+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

10.11.2016 Recht und Verbraucherschutz — Anhörung — hib 665/2016

Experten uneins über Stalking-Gesetz

Berlin: (hib/PST) Nur in einem waren sich die Sachverständigen einig bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses zum Schutz vor Stalking: Dass der geltende Stalking-Paragraf 238 des Strafgesetzbuches oft keinen wirksamen Schutz bietet. Ob aber der Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/9946) „zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen“ die richtige Antwort darauf ist, darüber gingen die Meinungen auseinander. Derzeit führen nur ein bis zwei Prozent der Anzeigen nach Paragraf 238 zu einer Verurteilung. Denn kaum ein Stalking-Opfer kann gerichtsfest nachweisen, dass „seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt“ wurde, wie es das Gesetz für eine Strafbarkeit der Tat voraussetzt. Der oder die Betroffene müsste dazu typischerweise seinen Wohnort gewechselt oder die Arbeit aufgegeben haben. Die Bundesregierung schlägt daher vor, dass es für die Strafbarkeit ausreichen soll, wenn eine Tat „geeignet ist“, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen.

Diese Umwandlung von einem „Erfolgsdelikt“ zu einem „Eignungsdelikt“ begrüßten fast alle Teilnehmer der Anhörung. So sagte die Vertreterin der Hilfsorganisation SOS-Stalking, die ehemalige Kriminalkommissarin Sandra Cegla, für die Strafwürdigkeit müsse „die kriminelle Energie des Täters entscheidend“ sein und nicht die Reaktion des Opfers darauf. Der Bamberger Generalstaatsanwalt Thomas Janovsky berichtete von einem Fall, in dem das Opfer „einer Vielzahl von massiven Stalking-Handlungen ausgesetzt“ gewesen sei. Weil es aber „stark war“ und seine Lebensgestaltung nicht geändert habe, sei die Tat als nicht strafbar gewertet worden. Als Eignungsdelikt könnten solche Taten verteilt werden.

Lediglich die ehemalige Leitende Oberstaatsanwältin Birgit Cirullies bezweifelte die erhoffte Wirkung der Umwandlung in ein Eignungsdelikt. Auch die Eignung betreffe immer ein besonderes Opfer. Auch dann hänge die Entscheidung eines Richters davon ab, ob dieses beispielsweise leicht oder schwer zu beeindrucken ist. Cirullies schlug daher vor, es beim Erfolgsdelikt zu belassen, aber das Wort „Lebensgestaltung“ durch „Lebensverhältnisse“ zu ersetzen und dadurch die Schwelle der Strafbarkeit zu senken.

Im geltenden Gesetz sind vier typische Verhaltensweisen aufgeführt, die zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen führen, und in einem fünften Punkt heißt es dann, dass sich ebenfalls strafbar macht, wer „eine andere vergleichbare Handlung vornimmt“. Diese sogenannte Generalklausel ist umstritten, weil sie dem Verfassungsgebot der Bestimmtheit von Strafnormen widersprechen könnte.

In der Anhörung rückte aber Leonie Steinl vom Deutschen Juristinnenbund von einer früheren Forderung ihrer Organisation ab, die Generalklausel ersatzlos zu streichen. Dies würde dazu führen, dass „viele Handlungen, die das Opfer in erheblichem Umfang psychisch beeinträchtigen, nicht mehr strafbar“ seien, argumentierte sie. Steinl schlug stattdessen vor, weitere „typische Handlungen in den Katalog“ aufzunehmen. Die Vorsitzende der Opferschutz-Organisation Weißer Ring und ehemalige nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter hielt dem entgegen: „So kreativ kann man gar nicht sein, dass man alle Handlungen ins Gesetz schreibt.“ Beate M. Köhler vom Anti-Stalking-Projekt des Berliner FRIEDA-Frauenzentrums pflichtete dem bei: „Sie können sich nicht vorstellen, welche Phantasie Stalker oft haben.“ Müller-Piepenkötter wies darauf hin, dass Generalklauseln auch an anderer Stelle „dem Strafgesetz nicht fremd“ seien.

Gül Pinar vom Deutschen Anwaltsverein bezweifelte grundsätzlich, dass sich ein besserer Schutz vor Stalking vor allem über das Strafrecht erreichen lässt, und fragte: „Warum wird nicht als erstes beim Gewaltschutzgesetz angesetzt?“ Dieses könne den Opfern sehr schnell helfen, während das Strafrecht immer erst spät greife. Pinar schlug vor, ins Gewaltschutzgesetz zusätzliche Kriterien aufzunehmen, um Stalking-Opfer zu schützen.

Leonie Steinl vom Deutschen Juristinnenbund regte an, das Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung auch für Stalking-Opfer einzuführen. Und Sandra Cegla von SOS-Stalking wies darauf hin, dass oft auch enge Angehörige von Stalking-Opfern erheblich betroffen seien. Deshalb solle auch ihr Schutz mit ins Gesetz aufgenommen werden.

Marginalspalte