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3. Juli 2020 Presse

Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für ArbeitnehmerInnenrechte der Grünen, fordert eine schnelle Lösung gegen den Missbrauch von Werkverträgen in der Fleischbranche

Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 6. Juli 2020)

- Bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -

Das von Bundesarbeitsminister geplante Verbot von Werkverträgen im Kernbereich der Fleischindustrie muss schnell kommen, fordert Beate Müller-Gemmeke, die Sprecherin für Arbeitnehmerrechte  der grünen Bundestagsfraktion. Es sei ärgerlich genug, dass die seit Jahren bekannten Missstände in deutschen Schlachthöfen erst nach einem Corona-Ausbruch ernsthaft angegangen würden. „Insofern bin ich diesmal optimistisch, dass es keine Luftnummer wird“, so Müller-Gemmeke. Das Schlachten und Zerlegen der Tiere sei der Kernbereich jedes Schlachthofes, also der Grund, warum er überhaupt existiere. „Da darf es weder Werkverträge noch Leiharbeit geben“, sagte sie. Wichtig sei jedoch, dass in das Gesetz auch die Saisonarbeitskräfte der Landwirtschaft miteinbezogen würden, denn da gebe es bezüglich der Strukturen keinen Unterschied.

„Mit dem Verbot von Werkverträgen sind natürlich nicht alle Probleme gelöst“, warnte sie. Auch danach müsse man sehr genau überprüfen, wie die Beschäftigten bezahlt würden und wie ihre Arbeitszeiten aussehen. „Immer noch bekommen 1,8 Millionen Beschäftigte in Deutschland den Mindestlohn nicht, weil sie beispielsweise länger arbeiten als vereinbart. Hier müssen wir dringend die Kontrollen verbessern und brauchen am besten eine Arbeitsinspektion, also eine Kontrolle von Lohn, Arbeitszeit und Arbeitsschutz aus einer Hand.“

Das Interview im Wortlaut:

Frau Müller-Gemmeke, die oft miserablen Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachthöfen sind nicht erst seit Corona bekannt. Glauben Sie, dass diesmal der Empörung konkrete Verbesserungen für die Beschäftigten folgen?

Es ärgert mich ungemein, dass es erst zu einem Corona-Ausbruch kommen muss, damit das Thema die Ernsthaftigkeit bekommt, die es verdient. Insofern bin ich  optimistisch, dass es diesmal keine Luftnummer wird und sich tatsächlich etwas ändert. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil oder sein Amtskollege aus Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, hinter ihren Ankündigungen aus jüngster Zeit zurückbleiben können.

Hubertus Heil hat angekündigt, Werkverträge im Kernbereich der Fleischindustrie verbieten zu wollen. Das deckt sich doch mit Forderungen von Grünen und Linken.

Genau. Der Kernbereich eines Schlachthofes, also der Grund, warum er überhaupt existiert, ist das Schlachten und Zerlegen der Tiere. Und in diesem Kernbereich müssen die Beschäftigten beim Schlachthof fest angestellt sein. Heute dominiert dort dagegen eine Struktur von unzähligen Subunternehmen, das kann nicht sein. Es darf im Kernbereich weder Werkverträge noch Leiharbeit geben.

Wie muss ein Verbot formuliert sein, damit es nicht genügend Schlupflöcher bietet, es doch zu umgehen?

Das Gute ist: Wir haben Vorbilder, zum Beispiel in der Baubranche. Dort wurde Leiharbeit auch verboten, weil es zu massiven Verwerfungen gekommen ist und  deshalb hat man eine Sonderregelung für die Branche gefunden. Die neue Regelung kann ähnlich sein. Spannend wird, inwieweit es eine Abgrenzung von großen Schlachthöfen wie Tönnies und Co. und kleineren, eher noch handwerklich orientierten Betrieben geben wird. Es muss eine klare Lösung werden, die Leiharbeit mit einbezieht.

Was ist mit den Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft? Greift ein Gesetz, das sich nur auf Werkverträge im strengeren Sinn konzentriert, womöglich zu kurz?

Das ist in der Tat eine Gefahr. Deswegen fordern wir Grünen, auch die Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft mit einzubeziehen. Auch dort gibt es oft solche undurchsichtigen Strukturen mit Werkverträgen, wo es unklar ist, wer eigentlich die Verantwortung für die Beschäftigten trägt. Wir sehen da keinen Unterschied.

Schon 2014 hat sich die Branche in einem Verhaltenskodex dazu verpflichtet, soziale Standards einzuhalten. Wurde das jemals von unabhängiger Seite evaluiert?

Ich wüsste es nicht. Ich habe in den anschließenden  Jahren wiederholt versucht, entsprechende Zahlen abzufragen, auch bei Veranstaltungen. Und bei den Antworten auf Kleine Anfragen hat sich die Bundesregierung stets auf Zahlen der Branche bezogen. Das ist natürlich ein Witz. Ich hatte immer den Eindruck, dass nie kontrolliert wurde, ob es tatsächlich eine positive Entwicklung gegeben hat.

Auch die Selbstverpflichtung der Ernährungsbranche von 2015 scheint Zustände wie die bei Tönnies nicht verhindert zu haben. Sollte sich die Politik auf freiwillige Zusicherungen grundsätzlich nicht mehr einlassen?

Wir Grünen sind gegenüber Selbstverpflichtungen aus der Wirtschaft sehr skeptisch. Wir konnten in der Vergangenheit zu oft beobachten, dass dadurch nicht substanziell Dinge im Sinne der Verpflichtung verändert wurden. Auch beim Thema Frauenquote gab es freiwillig keine Bewegung. Viele Arbeitgeber halten ja auch nicht hinter dem Berg mit ihrer Ansicht, sich nur an die Dinge zu halten, die gesetzlich geregelt sind.

In einer Antwort schrieb die Bundesregierung, es gäbe „erste Hinweise“, dass das Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte in der Fleischwirtschaft von 2017 die Dinge verbessert habe. Wie bewerten Sie die Wirkung dieses Gesetzes?

Es war ja nur ein Anhängsel an ein anderes Gesetz und das wurde bewusst so gemacht. Ich nenne es immer das Nacht- und Nebel-Gesetz. Es wäre nie gekommen, wenn es ein ganz normales Gesetz gewesen wäre mit erster und zweiter Lesung und allem Drum und Dran. Stattdessen kam kurz vor der Abstimmung ein Änderungsantrag mit den entsprechenden Regelungen. Aber es ist ein wichtiges Gesetz, das es auch heute Minister Heil leichter machen kann, die Werkverträge neu zu regeln. Allerdings ist seit 2015 die Zahl der  Kontrollen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit in den Schlachthöfen  stark zurückgegangen. Damit ist das Gesetz natürlich ein Stück weit ins Leere gelaufen.

Es gibt derzeit wenig valide Daten zum Ausmaß von Werkverträgen in der Branche. Sollte sich die Regierung diese nicht zuerst beschaffen, bevor sie ein Gesetz beschließt?

Wir haben  kaum verlässliche Zahlen zu den Werkverträgen in den Fleischbetrieben, das stimmt. Aber nach übereinstimmenden Schätzungen reden wir von rund der Hälfte der Beschäftigten in der Fleischbranche. Wie hoch diese Zahl ganz genau ist, ist bei dieser völlig inakzeptablen Größenordnung abernicht entscheidend. Das Problem besteht und muss schnell gelöst werden.

Um die Verbreitung von Viren in den Verarbeitungshallen zu reduzieren, ist auch ein Umbau der Umluftanlagen im Gespräch. Haben Sie Sorge, dass sich das Thema zu sehr zu einem gesundheits- statt zu einem arbeitsrechtlichen entwickelt?

Das Entscheidende ist, dass hier schon über Jahre hinweg Menschen schlichtweg ausgebeutet werden. Um Arbeitsschutz oder Gesundheitsschutz geht es in diesem System nicht. Wenn die Werkvertragsarbeiter krank werden, bekommen sie die Kündigung, deswegen schleppen sie sich krank zur Arbeit. Aber 14 Stunden ohne nennenswerte Ruhezeiten durchzuarbeiten, hält niemand lange durch. Das muss im Mittelpunkt stehen, denn hierin liegt auch ein Grund, warum Corona so zuschlagen konnte. Gesundheitsschutz und Arbeitsschutz hängen also eng zusammen.

Ein anderer Strang der Diskussion ist der des Preises, also: Billiges Fleisch gleich schlechte Arbeitsbedingungen. Kann man das so sagen?

Wenn alle fair behandelt werden, vom Tier über den Landwirt bis zu den Beschäftigten in den Schlachthöfen, dann kann ein Kilo Fleisch nicht nur zwischen zwei und vier Euro kosten. Fleisch ist ein wertvolles Produkt und hat eben seinen Preis. Wenn wir diesen Preis aber an der Kasse nicht bezahlen wollen, dann zahlen dafür eben andere, zum Beispiel die Beschäftigten.

Die Fleischbranche wird alles versuchen, sich ihre Gewinnmargen nicht nehmen zu lassen. Könnte dies auf Kosten der Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft gehen?

Mit dem Verbot von Werkverträgen sind natürlich nicht alle Probleme gelöst. Auch danach muss sehr genau geschaut werden: Wie werden die Beschäftigten bezahlt? Wie sind die Arbeitszeiten? Immer noch bekommen 1,8 Millionen Beschäftigte in Deutschland den Mindestlohn nicht, weil sie beispielsweise länger arbeiten als vereinbart. Hier müssen wir dringend die Kontrollen verbessern und brauchen am besten eine Arbeitsinspektion, also eine Kontrolle von Lohn, Arbeitszeit und Arbeitsschutz aus einer Hand.
 

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