Plenarprotokoll 18/106 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 106. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg) und Dr. Egon Jüttner 10033 A Wahl des Abgeordneten Christian Petry als Mitglied des Finanzmarktgremiums 10033 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 10033 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 21, 26 und 33g 10034 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen 10034 B Begrüßung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses des Parlaments der Tschechischen Republik, Herrn Jan Hamáček 10051 D Tagesordnungspunkt 4: Eidesleistung des Wehrbeauftragten 10034 C Präsident Dr. Norbert Lammert 10034 C Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 10034 D Tagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Gipfel Östliche Partnerschaft am 21./22. Mai 2015 in Riga, zum G-7-Gipfel am 7./8. Juni 2015 in Elmau und zum EU-CELAC-Gipfel am 10./11. Juni 2015 in Brüssel 10035 A Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin 10035 B Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) 10038 D Thomas Oppermann (SPD) 10041 D Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10044 C Volker Kauder (CDU/CSU) 10047 A Franz Thönnes (SPD) 10049 A Manfred Grund (CDU/CSU) 10050 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) 10051 D Florian Hahn (CDU/CSU) 10052 D Klaus Barthel (SPD) 10054 C Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) 10055 C Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) 10056 D Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und umfassend regulieren Drucksache 18/4839 10058 B Klaus Ernst (DIE LINKE) 10058 C Karl Schiewerling (CDU/CSU) 10059 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10061 C Katja Mast (SPD) 10062 D Albert Stegemann (CDU/CSU) 10064 C Klaus Ernst (DIE LINKE) 10065 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) 10066 C Markus Paschke (SPD) 10067 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10069 C Stephan Stracke (CDU/CSU) 10071 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 10071 C Daniela Kolbe (SPD) 10072 C Wilfried Oellers (CDU/CSU) 10074 A Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) 10076 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 10077 D Tagesordnungspunkt 7: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Prinzipien des deutschen Bildungswesens stärken – Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung durchsetzen Drucksache 18/4928 10079 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Berufsbildungsbericht 2015 Drucksache 18/4680 10079 D c) Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbildungsqualität sichern – Gute Ausbildung für alle schaffen Drucksache 18/4931 10079 D d) Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Brigitte Pothmer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit einer echten Ausbildungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen Drucksache 18/4938 10080 A Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 10080 A Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 10081 D Willi Brase (SPD) 10083 D Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 10085 B Michael Kretschmer (CDU/CSU) 10086 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10088 A Dr. Karamba Diaby (SPD) 10088 D Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 10089 D Gabriele Katzmarek (SPD) 10090 D Uda Heller (CDU/CSU) 10091 D Tagesordnungspunkt 33: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes und des Tiergesund-heitsgesetzes Drucksache 18/4892 10093 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMRG) Drucksache 18/4893 10093 A c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Drucksache 18/4894 10093 B d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 1. April 2015 über die Beteiligung Islands an der gemeinsamen Erfüllung der Verpflichtungen der Europäischen Union, ihrer Mitgliedstaaten und Islands im zweiten Verpflichtungszeitraum des Protokolls von Kyoto zum Rahmen-übereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Vereinbarung zur gemeinsamen Kyoto-II-Erfüllung mit Island) Drucksache 18/4895 10093 B e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. September 2012 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Republik Tansania über den Fluglinienverkehr Drucksache 18/4896 10093 B f) Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Maria Klein-Schmeink, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine menschenrechtsorientierte Umsetzung der Flüchtlingsaufnahmerichtlinie der EU Drucksache 18/4691 10093 C h) Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Richtlinien zum Schutz von Schulen und Hochschulen vor militärischer Nutzung in einem bewaffneten Konflikt umsetzen Drucksache 18/4939 10093 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entgeltgleichheit gesetzlich durchsetzen Drucksache 18/4933 10094 A Tagesordnungspunkt 34: a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: Übersicht 5 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/4962 10094 B b)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188 und 189 zu Petitionen Drucksachen 18/4827, 18/4828, 18/4829, 18/4830, 18/4831, 18/4832, 18/4833, 18/4834, 18/4835 10094 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Heizkosten sparen – Energiewende im Gebäudebereich und im Quartier voranbringen Drucksachen 18/575, 18/2715 10095 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Koalitionsfraktionen zur Freigabe der NSA-Selektorenliste im Hinblick auf mögliche Ausspähungen von Wirtschaft und Politik 10095 C Jan Korte (DIE LINKE) 10095 C Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) 10097 A Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10098 D Christian Flisek (SPD) 10100 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 10101 B Dr. André Hahn (DIE LINKE) 10102 D Dr. Jens Zimmermann (SPD) 10103 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10105 A Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 10106 B Susanne Mittag (SPD) 10108 B Nina Warken (CDU/CSU) 10109 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) 10111 B Tagesordnungspunkt 8: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 (Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Drucksachen 18/4600, 18/4950, 18/4951 10112 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen und zur Entlastung von Ländern und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern Drucksachen 18/4653 (neu), 18/4975 10112 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesverantwortung wahrnehmen – Kommunen bei Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern sofort helfen und Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Leistungsberechtigte schrittweise übernehmen Drucksachen 18/3573, 18/4118 10113 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Katja Dörner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Heute für morgen investieren – Damit unsere Zukunft nachhaltig und gerechter wird Drucksachen 18/4689, 18/4974 10113 A Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF 10113 B Roland Claus (DIE LINKE) 10114 B Johannes Kahrs (SPD) 10115 D Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10116 D Norbert Brackmann (CDU/CSU) 10118 A Jan Korte (DIE LINKE) 10119 A Ulrike Gottschalck (SPD) 10119 B Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 10120 B Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendienförderung und Stu-dienfinanzierung stärken Drucksache 18/4692 10122 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10122 B Sybille Benning (CDU/CSU) 10123 C Nicole Gohlke (DIE LINKE) 10126 C Marianne Schieder (SPD) 10127 C Cemile Giousouf (CDU/CSU) 10129 A Martin Rabanus (SPD) 10131 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 10132 B Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) 10133 A Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für strategische Investitionen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1291/2013 und (EU) Nr. 1316/2013 – KOM(2015) 10 endg.; Ratsdok. 5112/15 – hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen zum Erfolg verhelfen Drucksache 18/4929 10133 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE: Für ein öffentliches sozial-ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm in Europa Drucksache 18/4932 10133 D Joachim Poß (SPD) 10134 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) 10135 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) 10136 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10137 C Ronja Schmitt (Althengstett) (CDU/CSU) 10138 B Christian Petry (SPD) 10139 C Katrin Albsteiger (CDU/CSU) 10140 C Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Thomas Nord, Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Beseitigung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland -(Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz – RüstAltFG) Drucksache 18/4841 10141 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 10141 D Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU) 10143 A Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10144 A Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) 10145 B Alois Karl (CDU/CSU) 10146 C Uwe Feiler (CDU/CSU) 10147 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 10148 A Tagesordnungspunkt 12: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012, 2125 (2013) vom 18. November 2013, 2184 (2014) vom 12. November 2014 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010, dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 und dem Beschluss 2014/827/GASP vom 21. November 2014 Drucksachen 18/4769, 18/4964 10149 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4976 10149 C Dagmar Freitag (SPD) 10149 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 10150 C Thorsten Frei (CDU/CSU) 10151 D Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10153 A Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) 10154 B Wolfgang Hellmich (SPD) 10155 A Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 10156 B Namentliche Abstimmung 10157 B Ergebnis 10161 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wertstoffgesetz jetzt vorlegen Drucksache 18/4648 10157 C Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10157 C Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 10158 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) 10163 B Michael Thews (SPD) 10164 C Tagesordnungspunkt 14: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Vereinten Nationen geführten Mission UNMIL in Liberia auf Grundlage der Resolution 1509 (2003) und nachfolgender Verlängerungsresolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt Resolution 2190 (2014) vom 15. Dezember 2014 und der Resolution 2215 (2015) vom 2. April 2015 Drucksachen 18/4768, 18/4965 10166 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4977 10166 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) 10166 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 10167 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 10168 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10170 A Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) 10170 D Namentliche Abstimmung 10171 D Ergebnis 10173 C Tagesordnungspunkt 15: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe 10171 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Michael Leutert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrechte in Mexiko schützen, Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen aussetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschenrechtslage in Mexiko Drucksachen 18/3548, 18/3552, 18/3952 10172 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Irene Mihalic, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherheitsabkommen brauchen Standards Drucksachen 18/3553, 18/3933 10172 A Gabriela Heinrich (SPD) 10172 B Heike Hänsel (DIE LINKE) 10176 A Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) 10177 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10177 D Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) 10178 C Tagesordnungspunkt 16: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksachen 18/4683, 18/4968 10179 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksachen 18/4891, 18/4968 10179 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europarechtskonforme Regelung der Industrievergünstigungen auf stromintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb begrenzen und das EEG als kosteneffizientes Instrument fortführen Drucksachen 18/291, 18/515 10179 D Johann Saathoff (SPD) 10180 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 10181 C Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 10182 C Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10184 D Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Cem Özdemir, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord an den Rohingya verhindern Drucksachen 18/2615, 18/3951 10186 C Angelika Glöckner (SPD) 10186 D Annette Groth (DIE LINKE) 10188 A Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 10188 D Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10190 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 10190 C Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/4632, 18/4851 10191 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4852 10192 A Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. Axel Troost, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für ein internationales Staateninsolvenzverfahren – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Resolution der Vereinten Nationen für ein multilaterales Rahmenwerk zur Restrukturierung von Staatsschulden umsetzen – Jetzt aktiv den Arbeitsprozess der Vereinten Nationen mitgestalten Drucksachen 18/3743, 18/3916, 18/4233 10192 B Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten Drucksache 18/4901 10192 C Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Stephan Albani, Anette Hübinger, Albert Rupprecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Forschung und Entwicklung für die Bekämpfung von vernachlässigten armutsassoziierten Erkrankungen stärken Drucksache 18/4930 10192 D Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (9. BVerfGGÄndG) Drucksachen 18/2737, 18/4963 10193 A Dr. Matthias Bartke (SPD) 10193 B Richard Pitterle (DIE LINKE) 10194 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 10194 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10195 D Dr. Katarina Barley (SPD) 10196 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 10197 B Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften Drucksachen 18/4201, 18/4961 10198 B Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksache 18/4902 10198 C Nächste Sitzung 10198 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 10199 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Monika Lazar, Peter Meiwald, Corinna Rüffer und Hans-Christian Ströbele (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 12) 10199 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 18) 10200 A Wilfried Lorenz (CDU/CSU) 10200 A Julia Obermeier (CDU/CSU) 10201 A Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 10201 C Christine Buchholz (DIE LINKE) 10202 B Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10203 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Für ein internationales Staateninsolvenzverfahren – Resolution der Vereinten Nationen für ein multilaterales Rahmenwerk zur Restrukturierung von Staatsschulden umsetzen – Jetzt aktiv den Arbeitsprozess der Vereinten Nationen mitgestalten (Tagesordnungspunkt 19) 10203 C Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 10203 C Bettina Kudla (CDU/CSU) 10205 A Manfred Zöllmer (SPD) 10206 A Niema Movassat (DIE LINKE) 10207 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10207 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten (Tagesordnungspunkt 20) 10208 D Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 10208 D Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 10209 C Michael Thews (SPD) 10210 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 10211 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10211 D Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB 10212 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Forschung und Entwicklung für die Bekämpfung von vernachlässigten armuts-assoziierten Erkrankungen stärken (Tagesordnungspunkt 22) 10213 D Stephan Albani (CDU/CSU) 10213 D Anette Hübinger (CDU/CSU) 10214 D Dr. Karamba Diaby (SPD) 10215 D René Röspel (SPD) 10216 C Niema Movassat (DIE LINKE) 10217 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10218 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Interna-tionalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften (Tagesordnungspunkt 24) 10219 C Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) 10219 C Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 10220 C Dennis Rohde (SPD) 10221 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 10222 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10223 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zoll-kodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 25) 10224 A Olav Gutting (CDU/CSU) 10224 A Dr. Jens Zimmermann (SPD) 10224 D Richard Pitterle (DIE LINKE) 10226 A Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 10226 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 10227 C Inhaltsverzeichnis   106. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und möchte Sie zunächst mit dem erfreulichen Umstand vertraut machen, dass in der vergangenen Woche die Vizepräsidentin Claudia Roth ihren 60. Geburtstag gefeiert hat, (Beifall) über die sich die Glückwünsche des ganzen Hauses ergießen. Ähnliches gilt sicher für den Kollegen Dr. Egon Jüttner, der gestern seinen 73. Geburtstag gefeiert hat und dem ich ebenfalls herzlich gratulieren möchte. (Beifall) Wir müssen ein Mitglied des Gremiums gemäß § 10 a des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes sowie gemäß § 16 des Restrukturierungsfondsgesetzes, also des Finanzmarktgremiums, wählen. Die SPD-Fraktion schlägt vor, für den ausscheidenden Kollegen Dr. Carsten Sieling den Kollegen Christian Petry als Mitglied des Gremiums zu berufen. Stimmen Sie dem zu, auch im Bewusstsein der damit verbundenen Implikationen für einen Bundesstaat, auf dessen Personal-entscheidung wir gar keinen Einfluss haben? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Petry als Mitglied des Finanzmarktgremiums gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Aktuelle Prognose des IWF – Perspektiven für Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands (siehe 105. Sitzung) ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 33) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Entgeltgleichheit gesetzlich durchsetzen Drucksache 18/4933 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Federführung strittig ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 34) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Heizkosten sparen – Energiewende im Gebäudebereich und im Quartier voranbringen Drucksachen 18/575, 18/2715 ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Koalitionsfraktionen zur Freigabe der NSA-Selektorenliste im Hinblick auf mögliche Ausspähungen von Wirtschaft und Politik ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE Für ein öffentliches sozial-ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm in Europa Drucksache 18/4932 ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europarechtskonforme Regelung der Indus-trievergünstigungen auf stromintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb begrenzen und das EEG als kosteneffizientes Instrument fortführen Drucksachen 18/291, 18/515 ZP 7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Änderung der Klimaschutzziele im Bereich alter Kohlekraftwerke Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 21 – hier geht es um die abschließende Beratung des Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes – und 26 – abschließende Beratung eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes – sowie 33 g – hier geht es um die Beratung eines Antrags mit dem Titel „Bußgeldumgehung bei Kartellstrafen verhindern – Gesetzeslücke schließen“ – werden abgesetzt. Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 6. März 2015 (92. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung Drucksachen 18/4097, 18/4199 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Der am 27. März 2015 (98. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von den Abgeordneten Arnold Vaatz, Erika Steinbach, Elisabeth Winkelmeier-Becker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Frank Schwabe, Dr. Johannes Fechner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMRG) Drucksache 18/4421 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Ich frage Sie, ob Sie auch mit diesen Änderungen und Vereinbarungen einverstanden sind? – Das ist offensichtlich der Fall. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf: Eidesleistung des Wehrbeauftragten Der Deutsche Bundestag hat in seiner 76. Sitzung am 18. Dezember 2014 Herrn Dr. Hans-Peter Bartels zum Wehrbeauftragten gewählt. Gemäß § 14 Absatz 4 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages leistet der Wehrbeauftragte vor dem Bundestag den in Artikel 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid. Herr Wehrbeauftragter, ich bitte Sie, zur Eidesleistung zu mir zu kommen. (Die Anwesenden erheben sich) Ich darf Sie bitten, den in der Verfassung vorgesehenen Eid zu leisten. Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe. Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie haben den in der Verfassung vorgesehenen Eid geleistet. Ich wünsche Ihnen für die vom Deutschen Bundestag übertragene Aufgabe Geduld, Hartnäckigkeit, Erfolg, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit bei dieser wichtigen, bedeutenden Aufgabe. Alles Gute! (Beifall im ganzen Hause – Der Wehrbeauftragte nimmt Glückwünsche entgegen) Wenn die Unterstützung des Wehrbeauftragten durch den Deutschen Bundestag ähnlich eindrucksvoll ausfällt wie die Gratulationscour – woran ich keinen Zweifel habe –, dann steht einer erfolgreichen Arbeit erkennbar nichts im Wege. Damit kommen wir nun zum Tagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Gipfel Östliche Partnerschaft am 21./22. Mai 2015 in Riga, zum G-7-Gipfel am 7./8. Juni 2015 in Elmau und zum EU--CELAC-Gipfel am 10./11. Juni 2015 in Brüssel Hierzu liegen drei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Im Übrigen bitte ich darum – da wir den Wehr-beauftragten für eine beachtlich lange Amtszeit gewählt haben –, (Heiterkeit und Beifall) dass wir die Gratulationscour – ich habe mehrere einzelne Abgeordnete gesehen, die noch nicht persönlich gratuliert haben – (Heiterkeit und Beifall) in einer etwas diskreteren Form nach dieser Debatte gegebenenfalls fortsetzen. – Vielen Dank. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor fast genau sechs Jahren haben die Europäische Union und ihre östlichen Nachbarn – Ukraine, Moldau, Georgien, Weißrussland, Armenien, Aserbaidschan – gemeinsam eine neue Partnerschaft mit dem Ziel begründet, ihre Beziehungen, wie es in der Prager Gipfelerklärung vom 7. Mai 2009 formuliert wurde, auf eine neue Ebene zu bringen. Heute Abend beginnt in Riga das bereits vierte Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft. Es steht unter völlig anderen Vorzeichen als das letzte Treffen im November 2013 in Wilna; denn in der Zwischenzeit wurden wir Zeugen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland. Wir wurden Zeugen einer massiven Destabilisierung der Ostukraine. Wir wurden Zeugen davon, wie die europäische Friedensordnung nachhaltig infrage gestellt wurde. Um es gleich zu Beginn klar zu sagen: Nicht zuletzt auch unter diesen Umständen ist die Idee der Östlichen Partnerschaft wichtiger denn je. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit ihr werden wir unsere Nachbarn auf ihrem Weg zu demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaften weiterhin unterstützen. Gute Nachbarschaft bedeutet für uns zum einen, unseren Partnern politische Annäherung und wirtschaftliche Integration anzubieten. Wir wollen, dass dies zu mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Arbeitsplätzen und mehr Wohlstand führt. Wir wollen helfen, den Alltag der Menschen in diesen Ländern zu verbessern. Gute Nachbarschaft verbinden wir zum anderen mit dem Anspruch, uns zu gemeinsamen Werten und Prinzipien zu bekennen. Dazu gehören Demokratie und freie Marktwirtschaft, Menschenrechte und gute Regierungsführung. Es ist mir wichtig, diesen Anspruch in Riga noch einmal zu unterstreichen. Seit dem letzten Gipfeltreffen im November 2013 haben wir – trotz schwieriger Rahmenbedingungen – konkrete Fortschritte in der Zusammenarbeit mit unseren östlichen Partnern erzielt. Das belegen besonders anschaulich die Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, mit Georgien und mit Moldau. Durch diese Abkommen ermöglichen wir einerseits eine gegenseitige Marktöffnung – auch wenn diese mit langen Übergangsfristen verbunden sind –, andererseits ist in den Abkommen eine Annäherung an die Standards der Europäischen Union verankert, und zwar durch die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, durch einen besseren Schutz der Menschenrechte und durch die Angleichung technischer Standards und der gesamten Verwaltungspraxis. Seit vergangenem Herbst werden wichtige Elemente der Assoziierungsabkommen vorläufig angewendet. Dies hat dazu geführt, dass die Exporte Georgiens und Moldaus in die Europäische Union bereits deutlich angestiegen sind, aus Georgien zum Beispiel um 12 Prozent. Für alle Partnerstaaten gilt, dass die Assoziierungsabkommen wichtige Impulse für den innenpolitischen Reformprozess geben. Das wiederum ist Voraussetzung für mehr Investitionen, für die Modernisierung der Wirtschaft und damit natürlich auch für stärkeres Wirtschaftswachstum. Unser Ziel bleibt es, dass wir die Assoziierungsabkommen vollständig umsetzen. Ich freue mich daher besonders, dass der Bundestag und der Bundesrat hierfür mit großer Mehrheit ihre Zustimmung erteilt haben. Damit hat Deutschland das parlamentarische Ratifizierungsverfahren noch vor dem heute beginnenden Gipfel abschließen können. Die Teilnahme des ukrainischen Parlamentspräsidenten Groysman an der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages Ende März hat gezeigt, dass dies auch von unseren östlichen Nachbarn – in diesem Fall der Ukraine – als wichtiges politisches Signal wahrgenommen wird. Jetzt geht es darum, dass die Partnerstaaten ihrerseits die notwendigen Reformen umsetzen, die dann für die Implementierung des Assoziierungsabkommens nötig sind. Das wird an vielen Stellen noch erhebliche Anstrengungen erfordern: bei der Stärkung der staatlichen Leistungsfähigkeit, bei der Korruptionsbekämpfung, bei der Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und bei der Verbesserung des Justizwesens. Visaerleichterungen zum Beispiel sind nur dann möglich, wenn hierfür alle vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Europäische Kommission ist in einem jüngst vorgelegten Bericht zu dem Schluss gekommen, dass Georgien und die Ukraine bereits große Anstrengungen unternommen haben, dass diese Anstrengungen aber noch nicht ausreichen und es noch einiges zu verbessern gilt. Die Europäische Kommission wird daher Ende des Jahres erneut – das ist etwas Besonderes; normalerweise macht sie das nur einmal im Jahr – über die Fortschritte berichten. Das gibt beiden Ländern die Möglichkeit, bis dahin noch einen entscheidenden Schritt voranzukommen. Denn es geht ja darum, unseren Partnern zu helfen, die Reformen, zu denen sie sich verpflichtet haben, auch wirklich umzusetzen. Deutschland bietet hierfür seine Unterstützung an, ebenso wie die Europäische Union insgesamt, und das in vielen, vielen Bereichen. Meine Damen und Herren, es sind drei Elemente, die die Haltung Deutschlands zur Östlichen Partnerschaft leiten. Erstens. Die Östliche Partnerschaft ist kein Instrument der Erweiterungspolitik der Europäischen Union. Wir dürfen deshalb auch keine falschen Erwartungen wecken, die wir dann später nicht erfüllen können. Das müssen wir – ich tue das auch – unseren östlichen Partnern in aller Offenheit deutlich machen. Zweitens. Uns ist bewusst, dass wir es mit höchst unterschiedlichen Partnerstaaten zu tun haben. Nicht nur die Entwicklungsperspektiven sind verschieden, sondern auch die gegenseitigen Erwartungen an eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Union. Wir respektieren die Entscheidung Armeniens, dass sie neben intensiveren Beziehungen zur Europäischen Union auch eine engere wirtschaftliche Bindung an Russland suchen und der -Eurasischen Wirtschaftsunion beitreten wollen. Wir re-spektieren auch die Entscheidung Aserbaidschans, das derzeit keine Assoziierung mit der Europäischen Union anstrebt und das im Übrigen auch keine Rolle für sich in der Eurasischen Wirtschaftsunion sieht. Wir sind trotz aller offenkundigen Differenzen auch bereit, die Zusammenarbeit mit Weißrussland zu intensivieren. Es liegt an Weißrussland selbst, hierfür die nötigen Voraussetzungen zu schaffen. Das gilt vorneweg für die Wahrung der Menschenrechte. Wichtige Gradmesser hierfür werden der Umgang mit den politischen Gefangenen und die Präsidentschaftswahlen im November sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen also – das ist unsere Erfahrung – für die verschiedenen Partnerstaaten individuell ausgestaltete Angebote. Die Östliche Partnerschaft bietet hierfür einen wichtigen gemeinsamen Rahmen. Drittens. Die Östliche Partnerschaft richtet sich gegen niemanden, insbesondere nicht gegen Russland. Ich werde es deshalb wieder und wieder sagen: Es ging nicht und es geht nicht um ein Entweder-oder zwischen einer Annäherung an die Europäische Union einerseits und dem russischen Wunsch nach einer engeren Partnerschaft mit diesen Ländern andererseits. Deshalb sind und bleiben wir da, wo zum Beispiel Sorgen über die Vereinbarkeit von Freihandelszonen vorgetragen werden, bereit, über diese Sorgen zu sprechen. Die Bundesregierung sagt immer und immer wieder auch, dass die Europäische Union diese Gespräche führen wird – sie führt sie im Übrigen im Augenblick mit Russland –, und wir werden sie sehr konstruktiv begleiten. Aber – auch das werde ich wieder und wieder sagen –: Es ist und bleibt die souveräne Entscheidung unserer östlichen Partnerstaaten, wenn sie sich den Werten der -Europäischen Union annähern wollen. Niemand hat das Recht, ihnen diesen selbstgewählten Weg zu verstellen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Denken in Einflusssphären nehmen wir im Europa des 21. Jahrhunderts nicht hin. Das gilt unverändert auch für die Lage in der Ukraine. Für die Wiederherstellung des Rechts in diesem so geplagten Land werden wir noch viel Geduld und einen langen Atem brauchen. Wir haben diese Geduld und diesen langen Atem. Das Maßnahmenpaket von Minsk weist uns den richtigen Weg. Deutschland wird – der Bundesaußenminister genauso wie ich – hier weiter die Verhandlungen begleiten, und das Normandie-Format zusammen mit Frankreich behält seine Bedeutung. Die Entwicklung in der Ukraine ist auch der Grund, weshalb wir uns am 7. und 8. Juni in Schloss Elmau als Gruppe der Sieben und nicht der Acht treffen werden. Russland wird, wie schon im vergangenen Jahr in Brüssel, nicht dabei sein; denn genauso, wie wir dies für die Östliche Partnerschaft anstreben, verstehen wir die G 7 bereits heute als eine Gemeinschaft der Werte. Dazu gehört, dass wir uns gemeinsam für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Dazu gehört, dass wir das Völkerrecht und die territoriale Integrität der Staaten achten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Vorgehen Russlands in der Ukraine ist damit nicht in Einklang zu bringen. Solange sich Russland nicht zu den grundlegenden Werten des Völkerrechts bekennt und danach handelt, ist für uns eine Rückkehr zum Format der G 8 nicht vorstellbar; denn nur wenn wir als G 7 überzeugend für unsere gemeinsamen Werte einstehen, können wir überzeugend auch auf internationaler Bühne Verantwortung übernehmen. Wie nötig dies ist, führt uns nicht zuletzt die Vielzahl internationaler Krisen vor Augen: die Lage in der Ukraine, im Nahen und Mittleren Osten, die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, die Ebolaepidemie in Westafrika, um nur wenige Beispiele zu nennen. Wir werden uns beim G-7-Gipfel eng darüber abstimmen, wie wir gemeinsam auf die großen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen reagieren können. Das Treffen in Elmau ist aber weit mehr als akute Krisendiplomatie. Wir müssen als G 7 vorausschauend handeln und Verantwortung für die Zukunft übernehmen. Unser Ziel als deutsche G-7-Präsidentschaft ist es, auf diesem Weg konkrete Fortschritte zu erzielen. Das gilt für die Post-2015-Ziele zur nachhaltigen Entwicklung, das gilt für die Entwicklungsfinanzierung, und das gilt für ein zukünftiges globales Klimaabkommen, das Ende des Jahres in Paris beschlossen werden soll. Hierzu wollen wir als G 7 – ich sage allerdings: das sind schwierige Verhandlungen – deutliche Signale der Unterstützung senden. Ich möchte drei weitere Beispiele herausgreifen, die veranschaulichen, dass unser Schwerpunkt auf den langfristigen und globalen Herausforderungen liegt. Erstens. Wir wollen im Rahmen der G 7 dazu beitragen, Frauen zu stärken und die Stärkung von Frauen besser als bislang zu nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn weltweit mehr Frauen aktiv am Wirtschaftsleben teilhaben, nutzt das allen. Hier gibt es Defizite in den Industrieländern genauso wie in den Entwicklungsländern. Das reduziert Armut und Ungleichheit, das fördert Innovation und Wachstum, und das nützt dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass mehr Mädchen und Frauen eine berufliche Qualifizierung bekommen. Das gilt nicht nur, aber insbesondere in den Entwicklungsländern. Wir wollen es Frauen zudem leichter machen, den Weg in die unternehmerische Selbstständigkeit zu gehen. Überall auf der Welt müssen wir beobachten, dass Frauen weitaus seltener zu Gründern werden als Männer. Das wollen und – ich denke – das müssen wir ändern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten – so hat es uns die OECD noch einmal aufgearbeitet – und zu Netzwerken ist hierfür besonders wichtig, aber er ist heute strukturell schlechter als für Männer. Zweitens. Wir wollen weltweit die Gesundheitssysteme stärken. Die Ebolaepidemie ist eine schreckliche Heimsuchung für die von ihr betroffenen Menschen, und sie ist hoffentlich so etwas wie ein Weckruf für uns alle. Jedenfalls habe ich zusammen mit meinem Kollegen aus Ghana und der Ministerpräsidentin Norwegens den Generalsekretär der Vereinten Nationen gebeten, ein Konzept zu entwickeln, wie Gesundheitskrisen in Zukunft effektiver bewältigt werden können, als das bislang der Fall ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich habe in dieser Woche auch die Versammlung der Weltgesundheitsorganisation besucht. Sowohl die Weltgesundheitsorganisation als auch die Weltbank werden eine zentrale Rolle bei den Vorschlägen spielen, die wir machen werden, um in Zukunft besser auf solche Epidemien und Pandemien reagieren zu können. Im Rahmen der G 7 wollen wir außerdem daran arbeiten, dass lebensrettende Antibiotika ihre Wirksamkeit behalten. Der gerade beschlossene Aktionsplan der Weltgesundheitsorganisation ist hierfür ein wichtiger Schritt. Das Bundeskabinett hat vor wenigen Tagen auch eine nationale Strategie beschlossen. Wir wollen beim G-7-Gipfel darüber sprechen, was zusätzlich noch getan werden kann. Hier geht es vor allen Dingen um gleiche Standards zwischen den G-7-Ländern beim Umgang mit Antibiotika und um die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Tier. Drittens. Wir wollen den weltweiten Handel stärken. Damit schaffen wir Impulse für die Erholung der Weltwirtschaft, für nachhaltiges Wachstum und für Beschäftigung. Auf globaler Ebene steht dabei weiterhin die Welthandelsorganisation im Zentrum unserer Bemühungen. Es bleibt unser Ziel, die Doha-Runde so rasch wie möglich abzuschließen. Das wird nicht einfach, aber wir halten es für möglich. Gleichzeitig wollen wir bei den bilateralen und regionalen Handelsvereinbarungen zügig vorankommen. Das gilt aus europäischer Sicht vor allem für die Abkommen der Europäischen Union mit den G-7-Partnern Japan, Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika; jetzt ist bald der EU-Japan-Gipfel, und auch mit den anderen beiden Staaten sind wir in Verhandlungen. Unser gemeinsames Ziel bleibt es, bis Ende 2015 den politischen Rahmen für ein Transatlantisches Freihandelsabkommen festzulegen. Eine Stärkung des Freihandels erfordert auch eine bessere Umsetzung sozialer und ökologischer Standards, insbesondere in internationalen Lieferketten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das furchtbare Unglück in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch vor zwei Jahren hat uns dies auf schreckliche Art vor Augen geführt. Ich setze mich dafür ein, dass die Opfer und ihre Familien endlich vollständig entschädigt werden. Das werden wir zu einem Thema machen. Ich halte es für ein Unding, dass das noch nicht erfolgt ist. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Ich möchte mich bei dem Entwicklungsminister Gerd Müller und der Arbeitsministerin Andrea Nahles bedanken, dass sie auch zu den Fragen der Lieferketten einen intensiven Dialog geführt haben. Wir haben das mit den internationalen Gewerkschaften gemacht und mit vielen anderen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Unser Ziel sind menschenwürdige Arbeitsbedingungen weltweit. Deshalb machen wir uns für eine bessere Prävention stark, also für die Stärkung von Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz. Wie weit wir bei den konkreten Verhandlungen kommen, kann man noch nicht ganz genau absehen. Dies alles steht unter dem Motto des G-7-Gipfels „An morgen denken. Gemeinsam handeln.“ Davon sollten sich nicht nur die Regierungen der G-7-Staaten angesprochen fühlen. Gemeinsam handeln bedeutet für mich vielmehr auch, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft zu handeln. Wir haben deshalb in den vergangenen Tagen und Wochen viel mit Wissenschaftlern, mit Nichtregierungsorganisationen, mit Vertretern von Wirtschaft und Gewerkschaften gesprochen. Zum Beispiel waren am vergangenen Montag Teilnehmer des Jugendgipfels zu Gast, die mehrere Tage hier in Deutschland verbracht haben: 54 Jugendliche aus 19 Ländern, die uns ihre Vorstellungen für eine Welt der Zukunft deutlich gemacht haben. Gemeinsam handeln, das heißt für mich auch, gemeinsam mit internationalen Partnern zu handeln. Deswegen haben wir Gäste nach Elmau eingeladen. Dazu gehören die Chefs der großen internationalen Organisationen, allen voran der Generalsekretär der Vereinten Nationen, und auch weitere Staats- und Regierungschefs. Wir wollen in zwei Sitzungen drei große Themen besprechen. Wir wollen das Thema „Terroristische Bedrohung“ besprechen – der neu gewählte nigerianische Präsident, der tunesische Präsident und der Ministerpräsident des Irak haben zugesagt, zu kommen –, und wir wollen das Thema „Nachhaltige Entwicklungsziele“, das im September in New York eine Rolle spielen wird, und das Thema „Gesundheit“ mit der liberianischen Präsidentin, mit dem äthiopischen Ministerpräsidenten und dem Präsidenten des Senegal besprechen. Eines ist für mich ganz klar: Insbesondere der Dialog mit den afrikanischen Staaten ist von zentraler Bedeutung. Wir wissen, dass die Zusammenarbeit mit Afrika intensiviert werden soll. Deshalb wird es im Herbst dieses Jahres einen Gipfel mit afrikanischen Staaten und der EU geben, um über die Bekämpfung der Ursachen der Flüchtlingsbewegungen zu sprechen. Es ist vollkommen klar: Wenn wir nachhaltige Antworten auf die drängenden globalen Herausforderungen unserer Zeit finden wollen, dann müssen wir als Europäer und natürlich auch Deutschland mit allen Regionen der Welt eng zusammenarbeiten. Deshalb werde ich am 10. und 11. Juni, also nur wenige Tage nach dem G-7-Gipfel, am Gipfeltreffen der Europäischen Union mit den 33 Staaten Lateinamerikas und der Karibik in Brüssel teilnehmen. Europa und Lateinamerika sind seit Jahrhunderten eng miteinander verbunden. Wir teilen ein reiches kulturelles und historisches Erbe. Europa und Lateinamerika werden auch wirtschaftlich immer wichtiger füreinander. Die Europäische Union ist für Lateinamerika und die Karibik der zweitgrößte Handelspartner. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich unser Handelsvolumen verdoppelt. Bei den Direktinvestitionen liegt die Europäische Union noch vor den USA an erster Stelle. Wir erkennen die Fortschritte an, die in der Region bei der Armutsbekämpfung, bei der Förderung von Demokratie und friedlicher Konfliktlösung erzielt wurden. Enge und freundschaftliche Beziehungen zu den Staaten Lateinamerikas und der Karibik sind für uns von großer strategischer Bedeutung. Bei unserem gemeinsamen Gipfeltreffen in Brüssel wollen wir deshalb neue Impulse für die politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit setzen. Die EU--Lateinamerika-Stiftung in Hamburg ist hierfür ein besonders sichtbares Element. Dass sie nach Hamburg kommt, dafür haben wir lange gekämpft. Deshalb wird sich die Bundesregierung jetzt auch dafür einsetzen, dass die Stiftung sobald wie möglich zu einer internationalen Organisation aufgewertet wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ganz im Zentrum der Beratungen am 10. und 11. Juni werden jedoch die gemeinsamen globalen Herausforderungen stehen; denn auch bei der Förderung von nachhaltiger Entwicklung, beim Klimaschutz und bei der -Bekämpfung des internationalen Terrorismus sind Lateinamerika und die Karibik für Europa wichtige Partner. Deshalb freue ich mich besonders, dass wir bei vielen Themen direkt an die Diskussionen und auch an die Ergebnisse des G-7-Gipfels anknüpfen können. Meine Damen und Herren, in einer sich immer schneller verändernden globalisierten Welt können wir unsere Werte nur behaupten und unsere Interessen nur wirksam vertreten, erfolgreich nur dann sein, wenn wir für die gemeinsamen Herausforderungen auch gemeinsame Antworten über Länder und Kontinente hinweg entwickeln. Dafür werde ich mich, dafür wird sich die ganze Bundesregierung mit ganzer Kraft einsetzen: im Rahmen der Partnerschaft mit unseren östlichen Nachbarn, im Rahmen der G-7-Präsidentschaft und in der Zusammenarbeit zwischen Europa, Lateinamerika und der Karibik. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe geahnt, Frau Bundeskanzlerin, dass wir von Ihnen keine einzige Äußerung zum Spionageskandal, der langsam zu einer Staatskrise wird, hören werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist ja kein Thema von Elmau, Mensch!) – Ich wusste, dass Sie sagen würden: „Es ist kein Thema“, Herr Kauder. Aber das stimmt nicht. Bei allen Treffen, zu denen sie fährt, findet sie Leute, die abgehört worden sind; insofern ist das ein Thema, kann ich nur sagen. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben schon vor längerer Zeit festgestellt, dass die NSA Deutschland komplett ausforscht. Die behandeln uns immer noch wie ein besetztes ehemaliges Feindesland. Ich sage Ihnen klipp und klar: Das dürfen wir uns nicht länger bieten lassen! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ach!) Darunter ist übrigens auch eine gravierende Wirtschaftsspionage. Nun hat sich herausgestellt, dass der BND für die NSA und sich selbst Abertausende rechtswidrige Handlungen beging. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Hat sich nicht herausgestellt! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt ja gar nicht!) Die deutsche Wirtschaft ist davon betroffen, europäische Regierungen sind davon betroffen, die EU-Kommission ist davon betroffen. Die Mär, dass das Ganze der Terrorismusbekämpfung dienen soll, ist damit widerlegt – vielleicht ein kleiner Anteil; aber der ganze Rest ist politische und Wirtschaftsspionage. Das ist beim besten Willen nicht hinnehmbar, und es ist strafbar. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unglaublich! Woher wissen Sie denn das! Lächerlich!) Ich sage Ihnen auch, Frau Bundeskanzlerin: Sie zeigen viel zu wenig Rückgrat gegenüber der US-Administration. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder der Antiamerikanismus! Den kennen wir doch schon!) Willfährigkeit und Duckmäusertum führen zu Verachtung. Was wir brauchen, ist jedoch Respekt. Respekt ist die Grundlage, um eine Freundschaft aufzubauen. Anders funktioniert das nicht. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unterwürfig sind Sie: gegenüber Putin!) Wir haben höchstwahrscheinlich eine tiefe Schuld gegenüber europäischen Partnern auf uns geladen. Frau Bundeskanzlerin, diesmal können Sie sich nicht mit Schweigen aus der Affäre ziehen. Ich gehe davon aus, dass der Kanzleramtschef, seine Vorgänger und auch Sie unter Eid im Untersuchungsausschuss aussagen müssen. Wir brauchen Aufklärung und Klarheit; es wird höchste Zeit. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kommen Sie mal zum Thema! Erst Behauptungen aufstellen und danach Aufklärung fordern! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es kann sein, dass Sie noch schneller unter Eid aussagen müssen, in Hamburg! Das kann alles noch kommen!) Im Übrigen hat der frühere Bundesinnenminister Friedrich – passen Sie auf, Herr Kauder! – der deutschen Wirtschaft versprochen, dass die US-Spionage in der Wirtschaft aufhört. Das war offenkundig falsch. Deshalb ist die Wirtschaft zutiefst enttäuscht, auch von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Keine Belege!) Schließlich könnten Sie Präsident Obama doch einmal eins erklären: Seit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag ist der Besatzungsstatus Deutschlands letztlich beendet. Deutschland ist ein souveränes Land. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Wir und kein anderer haben zu entscheiden, mit welchen Geheimdiensten wir wie zusammenarbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn es gegenseitig keine Spionage geben soll, dann haben Sie das auch durchzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Aber nun komme ich zum G-7-Treffen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zum Thema, super!) Da wollen Sie ja über den Klimaschutz reden. Ich darf Ihnen mal sagen: Ohne Russland und vor allen Dingen ohne China sind Gespräche zum Klimaschutz ziemlich albern; die bringen nichts. Allerdings gibt es eine Chance, dass man sich jetzt selbst mit China verständigen kann. Wissen Sie auch, warum? Weil die Luft in Peking so schlecht geworden ist, und die Luft macht nicht halt vor dem Politbüro, auch nicht vor dem Partei- und Staatschef. Sie wissen ja: Wenn es die Menschen selbst betrifft, werden sie gelegentlich einsichtig. Also, ich kann nur hoffen, dass wir in dieser Menschheitsfrage endlich etwas erreichen. Aber wie kommen Sie eigentlich darauf, dass sieben Staats- und Regierungschefs Weltpolitik machen könnten? Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass Sie die UNO ersetzen dürften? Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass sich diese Staaten anmaßen könnten, für alle anderen Staaten zu entscheiden? Das ist völlig indiskutabel. Deshalb wird es einen sehr breit angelegten Protest dagegen geben, und ich meine auch: zu Recht. (Beifall bei der LINKEN) Außerdem ist selbst das G-7-Treffen gar nicht in der Lage, Weltpolitik zu machen; denn es ist die internationale Finanzwelt, die bestimmt, was dort geschieht. Wir haben kein Primat der Politik mehr. Selbst die Union müsste doch daran interessiert sein, dass wir wieder ein Primat der Politik herstellen, dass nicht die Banken bestimmen, was Sie machen, sondern Sie wieder eine Chance haben, zu bestimmen, was die Banken machen. Aber davon sind wir zurzeit meilenweit entfernt. (Beifall bei der LINKEN) Frau Bundeskanzlerin, Sie sind die Vorsitzende beim G-7-Treffen. Da frage ich Sie mal: Warum hatten Sie nicht den Mumm, Herrn Putin einzuladen? Dass die Grünen so naiv sind, zu glauben, dass man in der Friedens- und Außenpolitik vorankomme, indem man ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, eine Vetomacht im Sicherheitsrat, eine Atomwaffenmacht, das militärisch stärkste und größte Land Europas, Russland, zu isolieren versuche, mag zum Teil mit deren Jugend zusammenhängen; aber Sie können das nicht ernsthaft glauben, Frau Bundeskanzlerin. Das ändert aber nichts daran, dass Kritik an Putin und seiner Regierung notwendig ist. Vor kurzem haben wir den 70. Jahrestag der Befreiung von der Nazidiktatur und des Endes des Zweiten Weltkrieges gefeiert. Ich finde, es hätte sich gehört, dass viele, auch westliche Staatsoberhäupter und Regierungschefs – auch Sie, Frau Bundeskanzlerin – an der traditionellen Feier zu diesem 70. Jahrestag am 9. Mai in Moskau teilgenommen hätten. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Um eine Raketenschau zu begutachten!) Ich sage Ihnen auch, warum: 27 Millionen Sowjetbürger haben ihr Leben im Kampf gegen Hitler verloren, und sie haben unsere Ehrung verdient. Dabei bleibe ich. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir beten keine russischen Waffen an! Das ist gar keine Frage!) Frau Bundeskanzlerin, immerhin waren Sie wenigstens einen Tag später da und haben gemeinsam mit Putin einen Kranz am Grabmal des Unbekannten Soldaten niedergelegt und auch ein Gespräch geführt. Ich sage Ihnen: Deeskalation und die Aufhebung der Sanktionen gegenüber Russland bedeuten Friedenspolitik. Beides liegt im Interesse des ukrainischen und des russischen Volkes, im Interesse ganz Europas und auch in unserem Interesse. Wenn Sie denken, die Zuspitzung zwischen der Ukraine und Russland nütze der Ukraine, Herr Vaatz, dann zeigt sich, dass Sie von Außenpolitik gar nichts verstehen. Das muss ich Ihnen einmal ganz klar sagen. (Beifall bei der LINKEN) Deeskalation liegt übrigens auch im Interesse unserer Wirtschaft. Diese Interessen und nicht die Interessen der USA haben maßgebend zu sein. Beim G-7-Gipfel und danach beim EU-CELAC-Gipfel wird es ja – Sie haben darüber gesprochen – auch um die Östliche Partnerschaft und damit ebenfalls um den Ukraine-Konflikt gehen. Am 28. Juni 2015 sollen Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine, mit Moldawien und mit Georgien unterzeichnet werden. Es handelt sich hierbei um drei souveräne Staaten. Seit einem Vierteljahrhundert sind sie nicht mehr Bestandteil der Sowjetunion, und Sie haben völlig recht, Frau Bundeskanzlerin: Diese drei Staaten haben das souveräne Recht, Abkommen mit der EU zu schließen. Es darf aber nie wieder passieren, dass auch die EU-Kommission wie bei der Ukraine eine Alternative daraus macht und sagt: entweder mit Russland oder mit uns. Sie haben gesagt, Sie seien dafür. Alle drei Staaten brauchen gute Beziehungen zur Europäischen Union, aber auch gute Beziehungen zu Russland, und genau dafür müssen wir uns einsetzen. – Das haben Sie gesagt, und ich habe das mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. (Beifall bei der LINKEN) Wir dürfen aber eins nicht vergessen: Die Ukraine ist auch in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise. Die Ukraine hat größere Schulden als Griechenland; ich sage das nur mal. Die Bundesregierung macht gegenüber Südeuropa die gleiche falsche Politik wie mit der Agenda 2010 in Deutschland. Wieder wird von der Ukraine verlangt, Renten zu kürzen, die Löhne zu senken und die öffentliche Daseinsvorsorge zu privatisieren. Das ist der falsche Weg. Wissen Sie, was die Leute nicht verstehen? Sie verstehen nicht, wieso eigentlich nicht die Oligarchen des Landes, sondern die Rentnerinnen und Rentner und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Krise bezahlen müssen. Das ist nicht akzeptabel, und zwar in keinem Land – weder in der Ukraine noch in Russland noch in anderen Ländern. Das ist auch unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Deshalb wird ja verhandelt!) Minsk II hat einen fragilen Friedensprozess ausgelöst, der von allen Seiten umgesetzt werden muss. Das bedeutet aber, dass die NATO aufhören sollte, in Polen und in den baltischen Staaten die militärischen Muskeln spielen zu lassen. Wenn die NATO ihre Provokationen einstellt, dann haben wir auch viel bessere Voraussetzungen dafür, von Russland zu verlangen, die Manöver, die ich abenteuerlich finde, ebenfalls einzustellen. Wir brauchen jetzt doch keine gegenseitige Hochrüstung. Wohin soll das denn führen? Wir brauchen Abrüstung und Deeskalation, und dafür müssen Sie stehen, Frau Bundeskanzlerin. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie haben über die geplanten Freihandelsabkommen gesprochen und sie nur gewürdigt. Sie haben nur die Chancen betont und gehen auf die Kritik daran überhaupt nicht ein. Es geht ja mindestens um vier Abkommen: um TTIP zwischen der EU und den USA, um CETA zwischen der EU und Kanada, um TPP zwischen den USA und Ostasien und um das Dienstleistungsabkommen TiSA zwischen 23 Staaten in Europa, USA, Lateinamerika und Asien. Überall geht es um den unbegrenzten Zugang der Finanzkonzerne zu den Daten der Bürgerinnen und Bürger. Den Datenschutz könnten wir dann abschreiben. Das ist überhaupt nicht hinnehmbar. Die USA wollen erreichen, dass Unternehmen, die in einem anderen Land Dienstleistungen anbieten, dort keinen Firmensitz mehr benötigen. Das würde bedeuten, dass dann auch das europäische Recht für sie nicht mehr gilt. Wo soll das Ganze enden? Die öffentliche Daseinsvorsorge soll privatisiert werden, und zwar vom Gesundheitswesen über den Verkehr, den Handel, die Energie und die Telekommunikation bis hin zur Bildung. Dann soll auch noch vereinbart werden – Sie machen das alles ja geheim; man ist immer auf die Informationen angewiesen, die man bekommt –, dass eine Privatisierung nie mehr rückgängig gemacht werden darf. Dann soll auch noch Standstill vereinbart werden. Das heißt, dass soziale, gesundheitliche und ökologische Standards eingefroren und nicht mehr erhöht werden dürfen. Sie machen damit jede vernünftige Veränderung in der Politik unmöglich. Ich sage es noch einmal: Es gibt auch schwere Kritik an der Investitionsschutzklausel. Ich will Ihnen sagen, was sie bedeutet: Ein amerikanischer Konzern kommt nach Deutschland, begründet seinen Sitz. Zu diesem Zeitpunkt gibt es eine Rechtslage. Danach wählen die Bürgerinnen und Bürger eine vernünftige Bundesregierung, sagen wir mal: eine mit Linken. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) – Herr Kauder, Sie dürfen sich schon darauf freuen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also jetzt doch wieder eine Büttenrede!) Ich würde Sie gerne einmal als Oppositionsführer erleben; aber ob Sie das können, weiß ich nicht. Wir werden es erleben. Aber wie dem auch sei! Das ist jetzt gar nicht mein Problem. Mein Problem ist ein anderes. Wenn diese vernünftige Bundesregierung mehr Mitbestimmung und etwas höhere Steuern beschließen würde, dann würden die Konzerne sagen: Nein, das verstößt gegen das Verbot von -Investitionshemmnissen. – Sie machen eine Politik in diese Richtung unmöglich. Das ist zutiefst undemokratisch und darf nicht passieren. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen ganz klar: Auch die Schiedsgerichte sind ein Skandal. Die deutschen Unternehmen müssen den Gerichtsweg gehen, die amerikanischen machen das über ein Schiedsgericht; mit Geld und drei Advokaten kriegen die alles geregelt. Ich kann nur sagen: Das ist absurd. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Dann kommt hinzu, dass plötzlich Lebensmittel erlaubt werden dürfen, die bei uns verboten sind, und zwar aus guten Gründen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber Sie werden nicht gezwungen, alles zu essen!) Nicht einmal das Reinheitsgebot für Bier – ich bitte die Bayern: Sie müssen doch wenigstens darauf achten – bliebe unter diesen Bedingungen erhalten. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir schützen uns schon selber!) Deshalb sind wir gegen diese Abkommen und meinen, das ist der falsche Weg. Den Gipfel der EU mit der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten in Brüssel finde ich auch spannend. Wissen Sie was, Frau Bundeskanzlerin: Sie werden dort lauter Staats- und Regierungschefs treffen, die immer eigenständiger und selbstbewusster werden. Es gibt dort auch viele linke Regierungen, die aus diesem ganzen neoliberalen Mist herauswollen und endlich Hunger und Elend überwinden und beseitigen wollen. Aber da ist noch etwas: Die USA spielen in Lateinamerika täglich eine geringere Rolle. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sagen Sie auch mal was zum Thema?) Zum Beispiel hat China zum Teil schon die USA als stärksten Handelspartner abgelöst. Dadurch werden die lateinamerikanischen Staaten jeden Tag unabhängiger. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Wissen Sie, was ich für einen Skandal halte: Kolumbien ist inzwischen unabhängiger von den USA als Deutschland. Ich finde, das sollten Sie ändern, liebe Frau Bundeskanzlerin. (Beifall bei der LINKEN) Lateinamerika hat, wie gesagt, entscheidende politische Veränderungen erlebt. Ich bin froh, dass es endlich zu einem Handschlag zwischen dem amerikanischen und dem kubanischen Präsidenten gekommen ist. Wir müssen den Kalten Krieg hinter uns lassen; die Blockadezeit muss endlich überwunden werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Bundeskanzlerin, haben Sie doch einfach einmal den Mut und besuchen Sie – bei aller Kritik – einfach die Perle der Karibik, die schöne Insel Kuba. Was meinen Sie, was das für eine Geste wäre, wenn Sie das machten! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Lassen Sie mich zum Schluss einen Satz sagen: Wir sind wichtig – ich weiß –, die USA sind selbstverständlich wichtig – ich weiß –, Russland ist auch wichtig, China wird immer wichtiger. Aber bitte unterschätzen Sie nicht die Bedeutung und Relevanz (Volker Kauder [CDU/CSU]: Von Kuba?) von Afrika, Asien und Lateinamerika. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so!) Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele bezweifeln, dass der G-7-Gipfel noch das richtige Format ist, um die Probleme dieser Welt zu lösen. Als die G 7 vor 40 Jahren von Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt gegründet wurde, da waren die Teilnehmer noch die wirtschaftlich stärksten Länder der Welt. Das ist heute nicht mehr uneingeschränkt der Fall. Als nach der Lehman-Pleite Antworten auf die internationale -Finanzkrise gesucht wurden, da war nicht die G 7, sondern die G 20 das richtige Gremium. Aber so wünschenswert es auch wäre, wenn die G 20 weiter an Bedeutung gewänne, so behält die G 7-Runde für Deutschland doch eine ganz entscheidende Bedeutung; denn alle G 7-Partner agieren auf einem gemeinsamen Fundament. Was uns mit den USA, mit Kanada, mit Japan, mit Frankreich, Italien und Großbritannien verbindet, sind die Werte Freiheit, Demokratie und Herrschaft des Rechts. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nur auf der Grundlage dieser Werte können wir die großen globalen Herausforderungen wie Klimawandel, wirtschaftliche Not, Flüchtlings- und Hungerkatastrophen oder Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus bewältigen. Deshalb ist die wichtigste Botschaft, die von diesem Gipfel in Elmau ausgehen muss: Deutschland denkt nicht national, Deutschland handelt nicht alleine, sondern Deutschland agiert an der Seite seiner Partner, um die großen Probleme dieser Zeit zu meistern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das G-7-Treffen findet – darauf hat die Bundeskanzlerin schon hingewiesen – nach 15 Jahren jetzt zum zweiten Mal ohne Russland statt. Das ist bedauerlich, aber es ist unvermeidlich; denn mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und mit der offenkundigen -militärischen Unterstützung der Separatisten in der Ost-ukraine hat Wladimir Putin die europäische Friedensordnung infrage gestellt. Da kann man nicht einfach zur -Tagesordnung übergehen und so tun, als sei nichts gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Gleichwohl können wir kein Interesse an einer Isolation Russlands haben. Langfristig muss es darum gehen, zurückzufinden zu den guten und freundschaftlichen Beziehungen. Aber klar ist auch: Wir werden nur dann die Sanktionen aufheben, wenn das Minsker Abkommen umgesetzt wird. Russland muss seinen großen Einfluss auf die Separatisten nutzen, damit die Waffenruhe eingehalten wird und der Abzug der Waffen sichergestellt ist. Auch der Westen sollte dabei bleiben, keine Waffen in die Ukraine zu liefern. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Margaret Horb [CDU/CSU]) Die Konfliktparteien in der Ukraine brauchen nicht mehr Waffen; sie brauchen einen politischen Dialog, um wieder Frieden herzustellen. In diesem Zusammenhang möchte ich dem Haushaltsausschuss dafür danken, dass er gestern den Beschluss gefasst hat, 10 Millionen Euro für die 4 000 zum Teil unter ganz kläglichen Verhältnissen lebenden ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen bereitzustellen. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Geste, die zeigt: Trotz aller grundlegenden Meinungsverschiedenheiten, die wir im Augenblick mit Russland haben, wissen wir und vergessen wir nicht, welche ungeheuren Opfer Russland im Zweiten Weltkrieg hat erbringen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Warum habt ihr uns dann runtergeworfen?) Ich möchte mich auch bei Volker Kauder ganz herzlich dafür bedanken, dass in dieser Frage so schnell eine Verständigung zwischen den Fraktionen möglich gewesen ist. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Leider nicht zwischen den Fraktionen! Das ist ein Skandal, lieber Herr Oppermann! Wer hat sich denn dafür eingesetzt?) – Lieber Kollege Bartsch, das ist natürlich nur eine kleine Geste. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Keine Frage! Völlig klar!) Aber ich finde 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges diese kleine Geste überzeugender als den Aufruf von Gregor Gysi an die Bundeskanzlerin, an einer imperial anmutenden Militärparade in Moskau teilzunehmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sagen Sie das mal dem Genossen Schröder! Der hat da eine andere Meinung!) Lieber Gregor Gysi, was haben Sie sich als Pazifist eben eigentlich dabei gedacht? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das hat mich an unsere Gedenkstunde zum Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert. Als Professor Winkler hier ausgerufen hat: „Nie wieder dürfen wir Deutschen zum Nachteil und auf dem Rücken unserer osteuropäischen Nachbarn Entscheidungen zu deren Lasten treffen oder über deren Schicksal bestimmen“, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ja!) hat sich in Ihrer Fraktion keine Hand zum Beifall gerührt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Außenpolitisch bzw. geopolitisch sind Sie in Ihrer Fraktion über den Stand der Breschnew-Doktrin noch nicht hinausgekommen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das musste einmal gesagt werden!) Das ist leider so. Aber das größte Problem ist nicht die Fraktion Die Linke. Das größte Problem auf der Welt ist im Augenblick die Tatsache, dass 50 Millionen Menschen auf der Flucht sind, um ihr Leben zu retten und eine Heimat zu finden. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das sind die Fragen! Sie haben keine Antwort darauf!) Nur ein ganz geringer Teil von diesen Flüchtlingen kommt hier bei uns in Europa an. Deshalb erwarten die G-7-Partner zu Recht, dass wir bei dem Flüchtlingsdrama im Mittelmeer und im Nahen Osten nicht nur zuschauen, sondern Verantwortung übernehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Im wichtigsten Punkt haben wir jetzt zum Glück eine Wende eingeleitet. Die humanitäre Seenotrettung steht wieder an erster Stelle. Ich freue mich, dass sich jetzt auch Schiffe der Bundesmarine daran beteiligen und schon über 1 000 Menschen das Leben gerettet haben. Ich möchte den Soldaten von hier aus unseren ganz herzlichen Dank aussprechen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es kann nicht sein, dass sich nur vier oder fünf Länder in Europa um die Flüchtlinge kümmern. Was wir brauchen, ist eine solidarische Flüchtlingsaufnahme in ganz Europa. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Vorschläge der EU-Kommission sind mutig. Sie sind ein richtiger Schritt. Das Europäische Parlament hat darüber gestern mit großem Zuspruch diskutiert. Ich finde, der G-7-Gipfel ist eine gute Gelegenheit, auch unserem Partner Großbritannien zu sagen, dass er hier nicht außen vor bleiben kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich halte es für beschämend, dass es in Europa Regierungen gibt, die meinen, sie hätten mit dem Flüchtlingsdrama im Mittelmeer nichts zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Tatsache, dass jetzt noch mehr Flüchtlinge aus Jordanien und dem Libanon nach Europa kommen, hat einen ganz einfachen Grund: Das UNO-Flüchtlingswerk muss die Nahrungsrationen kürzen, weil es nicht genügend Geld hat. Geldmangel der UN ist ein Grund für weitere Flüchtlinge. Deutschland hat seinen Beitrag im letzten Jahr geleistet und dafür gesorgt, dass keine Flüchtlingslager geschlossen werden mussten. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass sich weitere Länder an der Finanzierung der Flüchtlingsversorgung beteiligen. (Beifall bei der SPD) Auch darüber sollte auf dem G-7-Gipfel gesprochen werden. Natürlich müssen wir Schlepperbanden gezielt bekämpfen. Aber am Wichtigsten ist es natürlich, daran zu arbeiten, dass die Fluchtursachen beseitigt werden. Lieber Herr Minister Müller, Sie sind einer der ganz wenigen, möglicherweise der einzige Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der im Augenblick einen so kräftigen Etatzuwachs hat: 8,3 Milliarden Euro mehr bis 2019. Ich habe die klare Erwartung, dass wir diese Mittel schwerpunktmäßig zur Beseitigung der Ursachen der Flucht von Menschen einsetzen, die keine Arbeit, keine Perspektive und keinen Schutz haben. (Beifall bei der SPD) Deshalb muss ein großer Teil dieser Mittel in Afrika eingesetzt werden. Wirtschaftliche Entwicklung, fairer Handel und sicherheitspolitische Zusammenarbeit, das gehört zusammen, und das sollte auch die Botschaft der G 7 sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal etwas zu den Rüstungsexporten! – Gegenruf von der CDU/CSU: Ruhe!) Der G-7-Gipfel ist auch ein Anlass zum Nachdenken über unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Der -Irakkrieg, Guantánamo und die NSA-Affäre haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass das Ansehen der USA in Deutschland gesunken ist. Amerika wird zunehmend skeptischer betrachtet. Die Entfremdung in Teilen der Bevölkerung wächst, und sie verstärkt auch die Kritik an gemeinsamen Projekten wie dem Freihandelsabkommen. Ich sage: Wir dürfen nicht den Fehler machen, uns auseinanderdividieren zu lassen; denn die USA bleiben Europas wichtigster Bündnispartner. Die weltweiten Krisen erfordern, dass wir zusammenarbeiten und dass wir uns auf unser gemeinsames Wertefundament besinnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zu Abu Ghureib und zu Guantánamo!) Zu diesen Werten gehört ohne Zweifel auch der Grundsatz, dass die Ausübung jeglicher Staatsgewalt – dazu gehört für mich ganz besonders die Tätigkeit der Geheimdienste – an Recht und Gesetz gebunden ist. (Beifall bei der SPD) Wenn es jetzt den begründeten Verdacht gibt, dass die NSA die Kooperation mit dem BND genutzt haben könnte, um private Unternehmen und befreundete Regierungen in Europa auszuspähen, so wäre dies jedenfalls mit Recht und Gesetz in Deutschland nicht vereinbar. (Beifall bei der SPD) Sollte sich dies als wahr erweisen, würde das nicht nur das Vertrauen in den Verbündeten beschädigen, sondern vor allem auch das Vertrauen in den eigenen Nachrichtendienst. Ein Dienst, in dem solche Vorgänge nicht unverzüglich an die Behördenleitung, an das Kanzleramt und an das für die Kontrolle zuständige parlamentarische Gremium gemeldet werden, führt ein Eigenleben, das ihm in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zusteht. (Beifall bei der SPD) Ein Nachrichtendienst, der beschränkende Gesetze missachtet, ist kein Schutz für die Menschen, sondern eine Gefahr für die Demokratie, und schon deshalb müssen wir diese Vorgänge genau aufklären, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Unstreitig!) übrigens auch im Interesse der Mitarbeiter unserer Sicherheitsbehörden. Die allermeisten Mitarbeiter leisten eine ungemein wertvolle Arbeit für unser Gemeinwesen. Ich finde, an deren Loyalität zu Recht und Verfassung bestehen nicht die geringsten Zweifel. Sie dürfen nicht für die Fehler einiger in Mithaftung genommen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich bin zuversichtlich, dass die Aufklärung im parlamentarischen Untersuchungsausschuss und im Parlamentarischen Kontrollgremium gelingt. Wir werden die Fakten klären, die Ergebnisse bewerten und daraus die richtigen Konsequenzen ziehen. Das ist die richtige Reihenfolge. Aber ich bin mir schon jetzt sicher, dass wir ein neues BND-Gesetz brauchen. Die Bürger und Bürgerinnen akzeptieren Nachrichtendienste. Aber dabei müssen sie sich auf zwei Dinge verlassen können, nämlich erstens darauf, dass der Schutz ihrer Privatsphäre respektiert wird und sie nicht vom eigenem Auslandsnachrichtendienst ausgespäht werden, und zweitens darauf, dass der BND im Rahmen klarer gesetzlicher Vorgaben unter effektiver exekutiver und parlamentarischer Kontrolle unsere Sicherheit gewährleistet und uns mit dem Sammeln von Informationen vor Anschlägen schützen kann. Wir alle wissen: Ein effektiver Schutz ist heute wichtiger denn je; denn wir erleben eine völlig neue Form der Bedrohung. Mehrere Hundert junge Deutsche, mehrere Tausend junge Europäer ziehen in den Krieg im Nahen Osten und beteiligen sich an Terrorakten. Sie können jederzeit zurückkommen. Auf diese Internationalisierung des Terrors dürfen wir nicht mit einer Renationalisierung und Abschottung unserer Nachrichtendienste antworten. Das wäre der falsche Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen auch in Zukunft eine Zusammenarbeit mit der NSA; aber sie muss auf klaren rechtlichen Grundlagen geschehen. Schwierige Themen tragen schwierige Entscheidungen in eine Koalition. Aber auch wenn etwas kompliziert ist, kann man es lösen. Das haben wir in den vergangenen Wochen immer wieder geschafft. (Lachen der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben uns in etlichen nicht ganz einfachen Punkten geeinigt, zum Beispiel bei der Entlastung der Alleinerziehenden und beim Abbau der kalten Progression. Wir haben ein Maßnahmenpaket gegen Wohnungseinbrüche geschnürt. Auch bei einem so schwierigen Thema wie der Vorratsdatenspeicherung haben wir uns geeinigt. Ich bin ganz sicher: Wir werden uns in den nächsten Wochen auch in der Frage einigen, wie wir die Kommunen in Deutschland bei der Aufnahme von Flüchtlingen stärker entlasten. Ich freue mich jedenfalls darüber, dass diese Koalition den festen Willen hat und ohne Einschränkungen bereit ist, die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland so zu organisieren, dass wir eine Spaltung der Gesellschaft verhindern. Daran lassen Sie uns gemeinsam arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kanzlerin, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Bundeskanzlerin!) wir haben von Ihnen heute wieder einmal eine typische Regierungserklärung gehört, so eine schöne Ankündigungsrede. (Zurufe von der CDU/CSU) Sie haben viele Themen kurz gestreift: die Klimakrise, die Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit, die Gefahr eines postantibiotischen Zeitalters und die mangelnde Fairness der ökonomischen Globalisierung. Sie haben viele Probleme der Welt auf die Tagesordnung des G-7-Gipfels in Elmau gesetzt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine typische Oppositionsrede!) Sie sind die Kanzlerin der Tagesordnung, Frau Merkel. Daran besteht kein Zweifel. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) So eine Tagesordnung schreiben Sie bestimmt nach bestem Wissen und Gewissen, wie Sie es selbst ausdrücken. Ich finde, dieser Satz verkörpert, wofür Sie stehen: Sie ersetzen die Tat durch den Vorsatz, den Inhalt durch die Überschrift und die Politik durch PR. Egal wenn nichts passiert; Hauptsache, es sieht irgendwie schön aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die reale Welt braucht aber reale Politik, Frau Merkel. Daran müssen Sie sich messen lassen, und genau dabei fallen Sie durch. Ob bei den entscheidenden Zukunftsfragen, beim Datenschutz, bei einer gerechten Globalisierung, beim Klimaschutz oder bei der Energiewende: Überall herrschen Stillstand, Apathie und Gleichgültigkeit. Die Probleme der Welt sind echt, aber Ihre Politik ist nicht echt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach bestem Wissen und Gewissen, Frau Merkel? Seien wir ehrlich: Sie wissen es doch viel besser. Sie wissen doch, dass der Klimaschutz in Deutschland stockt, dass unsere Daten nicht sicher sind, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das weiß der Herr Lammert!) dass die Ungleichheit zunimmt und unsere Autos nicht sauberer werden. Das wissen Sie sehr wohl. Warum handeln Sie dann nicht endlich? Bisher ist es Ihnen oft gelungen, die Fassade aufrechtzuerhalten und die Arbeit nur vorzutäuschen. Aber nach zehn Jahren Wind und Wetter aus der echten Welt bekommt die schönste Fassade Risse. Morsches Gebälk kommt zum Vorschein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein tiefer Riss in dieser Fassade stammt aus dem Jahr 2013. Erinnern Sie sich? Damals war Wahlkampf. Im Jahr 2013 ist die reale Welt in Form von Edward Snowden in die Merkel-Welt eingebrochen. Das war natürlich total unangenehm; denn Sie hatten die Republik doch so schön eingelullt. Aber dann kam die reale Welt zum Vorschein, und was taten Sie? Sie schickten einen Gaukler namens Pofalla. Und was haben Sie den Gaukler Pofalla sagen lassen? Sie haben den Gaukler Pofalla die schönen Worte an die Deutschen richten lassen: Die Amerikaner haben uns den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten. Sie wollten beruhigen, Lösungen vortäuschen und verschleiern. Ihre Botschaft sollte sein: Wir haben alles im Griff. – Doch es war eine falsche Fährte, eine Fährte, wie sie ein Geheimdienst nicht besser hätte legen können. Es war Trickserei. So geht es nicht, Frau Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn an der Beendung der Massenüberwachung waren Sie gar nicht interessiert. Es sollte nie ein No-Spy-Abkommen geben. Die Amerikaner hatten es nie angeboten. Ihr Kanzleramt hat die Öffentlichkeit getäuscht, hinter die Fichte geführt oder, wie man es landläufig auch nennt, schlichtweg gelogen. Und Sie haben es zugelassen. Sie sind schließlich die Kanzlerin. Deshalb vermute ich, dass Sie Einfluss auf Ihr Kanzleramt haben. Vielleicht haben Sie es sogar selbst veranlasst. Ist es das, was Sie mit bestem Wissen und Gewissen meinen? Ihr Gewissen ist Ihre Sache, Frau Merkel. Ihr Wissen war allerdings schon damals deutlich besser als Pofallas Gauklerspiel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der belegte E-Mail-Verkehr legt nahe, dass Sie ganz genau wussten, dass es dieses Abkommen nie geben würde. Frau Merkel, es war alles nur ein faules Ei aus Ihrer PR-Abteilung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Merkel, Sie hätten heute die Gelegenheit gehabt, sich zu äußern. Eine Entschuldigung bei den Bürgerinnen und Bürgern wäre angesichts dieser Täuschung das Mindeste; sie wäre angemessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen imitieren Sie Helmut Kohl und versuchen, die Probleme auszusitzen. Das lassen wir nicht zu, Frau Merkel. Der BND hat der NSA jahrelang geholfen, deutsche und europäische Unternehmen und europäische Nachbarn auszuspionieren. Gegen diese Realität hilft keine PR, Frau Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wissen wir doch noch gar nicht! So wird wieder etwas behauptet vor der Aufklärung! Jedes Mal dasselbe!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das hat rein gar nichts mit dem Schutz vor Terror zu tun. Erst täuschen Sie die Wählerinnen und Wähler, und jetzt versuchen Sie, sie mit ihrer Angst vor Terroranschlägen einzuschüchtern. Das ist im Kern wirklich unanständig. Frau Merkel, Sie untergraben auch die Legitimität der Geheimdienste, des Rechtsstaats und am Ende unserer Demokratie, wenn Sie jetzt nicht endlich aufklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Untergraben der Legitimität gefährdet am Ende unser aller Sicherheit; denn wir brauchen eine funktionierende Zusammenarbeit, und wir brauchen eine rechtsstaatliche, verlässliche Zusammenarbeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber was wir nicht brauchen, ist, nach Ihrer marktkonformen Demokratie, auch noch die geheimdienstkonforme Demokratie. Es kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein, Frau Merkel, was Sie da zulassen. Legen Sie endlich die Selektorenlisten auf den Tisch! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Sie haben noch am 11. Mai in Bremen versprochen, dass selbstverständlich alle Unterlagen dem BND-Untersuchungsausschuss zugeleitet werden. Sie selbst haben gesagt: Selbstverständlich wird alles zugeleitet. – Stimmt das jetzt, oder stimmt es nicht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Offensichtlich hat das Versprechen nicht einmal drei Tage gehalten. Wo sind jetzt die Selektorenlisten, wo sind die Unterlagen, die der Untersuchungsausschuss fordert? Halten Sie sich in diesem Fall an Ihre eigenen Worte, und legen Sie die Unterlagen endlich vor! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Jahr ist auch entscheidend für den Klimaschutz und die globale Gerechtigkeit. Mit den Konferenzen zur Entwicklungs-finanzierung und zu den Nachhaltigkeitszielen der UN sowie der Klimakonferenz in Paris werden Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt. In Ihrem Videopodcast haben Sie, Frau Merkel, angekündigt, dass die Globalisierung jetzt fair und gerecht gestaltet werden soll. Wieder eine schöne Überschrift. Sie werden sich ganz -bestimmt nach bestem Wissen und Gewissen dafür einsetzen. Aber können wir irgendetwas davon erwarten? Ich fürchte, nein. Erinnern Sie sich noch an 2007? Da gab es schon einmal einen Gipfel in Deutschland, den G-8-Gipfel in Heiligendamm. Im Vorfeld haben Sie eine schöne Rede gehalten. Diese Rede hat den Titel getragen: „Globalisierung fair gestalten“. Was ist aus dieser Überschrift gefolgt? Es ist immerhin schon viele Jahre her. Ich kann es Ihnen sagen: Finanztransaktionsteuer – gibt es nicht; verbindliche Arbeitsmarkt- und Sozialstandards – nicht mit Frau Merkel; harte Regeln für die Banken – Puste-kuchen; 0,7-Prozent-Ziel für die Entwicklungszusammenarbeit – kein Plan vorhanden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wo waren Sie die ganze Zeit?) An Ihren Slogans und Überschriften ist genauso viel dran wie an der schönen Show Ihres damaligen Gauklers Herrn Pofalla, es ist schlichtweg gar nichts dran. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fragen Sie sich manchmal, ob seitdem für die Näherinnen in Bangladesch irgendetwas an ihren Lebens-umständen besser geworden ist? Es ist richtig, dass diese Menschen Entschädigungen bekommen. Aber es ist doch noch viel wichtiger, dass man dafür sorgt, dass es zu solchen Unglücken gar nicht erst kommt. Ist irgendetwas besser geworden, seit Sie zum letzten Mal eine solche Rede gehalten haben? Nein, nichts ist besser geworden für die Näherinnen, und wir fürchten, dass auch Ihre jetzige Rede wieder konsequenzlos bleibt und auch diesmal nichts besser wird für die Näherinnen in Bangladesch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fragen Sie sich eigentlich, ob die Risiken der globalen Finanzwelt kleiner geworden sind, seit Sie viele schöne Reden gehalten haben? Auch hier lautet die Antwort Nein. Die Risiken sind nicht kleiner geworden. Oder nehmen wir die brutale Ungleichheit, die viel mit einer fairen und gerechten Globalisierung zu tun hat. Nein, auch die brutale Ungleichheit in der Welt ist kein bisschen kleiner geworden. Nächstes Jahr wird das reichste 1 Prozent der Menschen genauso viel besitzen wie alle übrigen 99 Prozent zusammen. Schützen Sie diejenigen besser, die zu Hunderttausenden vor Krieg, Armut und Vertreibung fliehen? Nein, der Großteil des Mittelmeers bleibt immer noch eine Todeszone, und humanitäre Visa gibt es immer noch nicht. Frau Merkel, Ihre Rede enthält wunderbare Überschriften, sie enthält schöne Worte, aber an der Realität ändert sich nichts. Seit zehn Jahren verbessert sich die Realität nicht. Da können Sie noch so oft schöne Worte wie die von fairer Globalisierung finden. Handeln Sie endlich! Verändern Sie die Realität! Dafür sind Sie zur Kanzlerin gewählt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Merkel, Sie sprechen von einem guten Signal, das vom Petersberger Klimadialog ausgehen müsse. Ein gutes Signal. Es kann sein, dass Sie in Signalen und Symbolen denken. Wir erwarten beim Klimaschutz aber nicht Signale und Symbole, wir erwarten beim Klimaschutz längst Taten; denn Taten müssen den Worten folgen, nicht nur immer weitere schöne Worte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber was passiert pünktlich zum Auftakt des Petersberger Klimadialogs? Sie weichen die CO2-Einsparziele Ihres Energieministers auf. Mit dem Verbrennen der dreckigen Braunkohle reißen Sie alle selbst gesteckten -Klimaziele und heizen die Erde weiter auf. Sie lassen unentwegt die Kohle- und Atomideologen aus der Unionsfraktion und aus Bayern die Energiewende sabotieren. Ihre Bundestagsfraktion hat Minister Gabriel so lange in die Kniekehlen getreten, bis er eingeknickt ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Er steht doch aufrecht da!) Ihr Ministerpräsident Seehofer wütet gegen den Netzausbau, der die Grundlage für den Atomausstieg ist. Sie versprechen zusammen mit Frankreich einen besseren Emissionshandel. Aber es sind doch Ihre Parteifreunde von der CDU, die in Brüssel im Europaparlament genau das verhindern, was Sie hier versprechen. Das darf doch nicht wahr sein! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was tun Sie, Frau Merkel? Sie schreiben nach bestem Wissen und Gewissen schöne Überschriften für diese falsche Politik. Die Merkel-Union ist längst zu einer Bedrohung für das Klima geworden. (Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Sie gefährden dadurch, dass Sie nicht handeln, sondern immer nur schöne Worte sagen, die Lebensgrundlagen für uns alle; Sie gefährden dadurch die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen. Frau Merkel, „nach bestem Wissen und Gewissen“, das ist die verbale Krücke für Ihr Regierungsprinzip. Wenn Politik allerdings nicht liefert, was sie verspricht, wenn sie nicht sagt, was sie wirklich will, wenn sie nur Fassade ist, dann nimmt unsere Demokratie Schaden. Niedrige Wahlbeteiligungen und Politikverdrossenheit sind Folgen davon. Das ist mit Ihr Verdienst, Frau Merkel. Eine träge und politisch sedierte Bundesrepublik ist die Folge von zehn Jahren Kanzlerschaft Merkel. Ihre asymmetrische Demobilisierung, mit der Sie erfolgreich Wahlkämpfe geführt haben, ist längst zu einer flächendeckenden Entpolitisierung geworden. „Nach bestem Wissen und Gewissen“ – an diese Worte kann ich mich gut erinnern. Die habe ich von einem anderen Politiker schon einmal gehört. Dieser andere Politiker war auch einmal der beliebteste Politiker in ganz Deutschland. Können Sie sich noch an ihn erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union? Es war Karl-Theodor Guttenberg. Mit denselben Worten verteidigte er einst seine Promotionsarbeit. So substanzlos wie seine Promotionsarbeit, so zusammengeschustert, ideenlos und inhaltsleer ist inzwischen Ihre Politik geworden. Auch Sie werden nicht länger mit Ihrem Einlullen, Täuschen und Vortäuschen davonkommen. Die „Methode Merkel“ kommt inzwischen an ihr Ende, und das ist auch gut so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun Volker Kauder das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung zu zwei, drei wichtigen globalen Themen und -Herausforderungen gesprochen. Bei den Treffen in den nächsten Tagen wird darüber entschieden, wie es bei zentralen Aufgaben, die nicht mehr national gelöst werden können, weitergeht. Da kann ich mich, Herr Hofreiter, nur wundern, mit welch kleinem Karo Sie heute hier angetreten sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Da geht es zunächst einmal um die Vertiefung und den Ausbau der Partnerschaft der EU mit den östlichen Ländern. Es ist tatsächlich so, wie es die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister mehrfach gesagt haben: Dabei geht es nicht darum, dass die EU und dass wir aus Deutschland unseren Willen durchsetzen wollen – überhaupt nicht! –, sondern darum – darauf hat Thomas Oppermann auch hingewiesen –, dass Länder in freier Selbstbestimmung entscheiden, was sie gern möchten, und damit auf ein Angebot der EU zukommen. Es war in vielen Festreden hier im Deutschen Bundestag die Rede davon: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker darf durch niemanden eingeengt und bedroht werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Genau dies setzen wir jetzt um. Herr Gysi, dass Sie sich noch immer nicht entscheiden können, Unrecht vonseiten Russlands als Unrecht zu bezeichnen, (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Habe ich immer gemacht!) weil Sie offenbar noch immer nicht richtig wissen, wo Sie hingehören, ist Ihr Problem. Aber schade ist es auf jeden Fall. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Quatsch!) Liebe Kollegen, ich halte es auch für richtig, dass die EU deutlich macht, dass wir in der Vertiefung von Nachbarschaftsbeziehungen keinen Alleinvertretungsanspruch für uns behaupten, sondern dass wir natürlich sagen: Wir wollen eine Vertiefung der Beziehungen, haben aber auch Verständnis dafür, wenn es darüber hinaus noch weitere Organisationseinheiten gibt, zu denen man gehören möchte, wie beispielsweise im Fall Armeniens. So können wir einen Beitrag leisten, um auch in diesem Teil Europas und in europanahen Regionen für Entwicklung zu sorgen. Wir sollten mit diesen Nachbarn aber auch darüber reden, dass auch sie einen Beitrag dazu leisten können, Flüchtlingsbewegungen zu unterbinden, und damit zu der Frage, wie wir mit Flüchtlingen umgehen. Es gibt nämlich nicht nur die Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen, sondern auch Tausende von Flüchtlingen, die auf dem Landweg über osteuropäische Staaten zu uns kommen. Deswegen gehört das Thema Flüchtlinge nicht nur in diesen Bereich hinein, sondern auch in den Rahmen des G 7-Treffens. Ich bin froh, dass wir hier bei uns in Deutschland klare Positionen gefunden haben, was wir tun wollen, und dass wir uns dieser Herausforderung stellen und dafür im Nachtragshaushalt, den wir in dieser Woche beschließen, Mittel zur Verfügung stellen. Ich finde, dass auch dies ein Thema ist, das man in Elmau besprechen kann: Was müssen wir tun, um Flüchtlingsbewegungen nicht zu stoppen, sondern immer weniger notwendig zu machen, damit die Menschen eine Perspektive in ihren Ländern haben? Da ist es völlig richtig, dass wir uns die Frage stellen: War die bisherige Entwicklungshilfepolitik tatsächlich überall richtig und erfolgreich? Da müssen wir natürlich mit Ländern sprechen, die zu den G 7 gehören, und mit Ländern, die nicht zu den G 7 gehören. Da muss man auch mit China einmal darüber reden, dass das, was China in Afrika macht, mit Entwicklungshilfepolitik an vielen Stellen relativ wenig zu tun hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]) Wenn wir über Sicherheit reden, dann müssen wir auch darüber reden, dass die Sicherheit gefährdet ist: durch ausbleibende wirtschaftliche Entwicklung, beispielsweise in den ärmsten Ländern der Welt, aber auch dort, wo es überhaupt keine staatliche Gewalt mehr gibt. Ich kann nur sagen: Was in Libyen passiert, hat mit einem funktionierenden Staat überhaupt nichts mehr zu tun. Wir sehen ja, dass es für uns fast unmöglich ist, das Thema der Flüchtlinge, die aus Libyen kommen, mit irgendjemandem in Libyen zu besprechen. Deswegen ist es eine zentrale Aufgabe der internationalen politischen Arbeit, dass wir dafür sorgen, dass es funktionstüchtige Staaten gibt. Ich sehe in weiten Teilen Afrikas eine immer stärkere Auflösung. Dort, wo keine ordnende staatliche Gewalt mehr da ist, wo terroristische Gruppen mit den Leuten machen können, was sie wollen, sind die Menschen am meisten betroffen und verfolgt. Das müssen wir unterbinden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Frau Bundeskanzlerin, ich glaube, die Bedeutung eines anderen Themas, das bei den Vereinten Nationen nicht so richtig aufgenommen wird, sollte in den Gesprächen sowohl im Rahmen der Östlichen Partnerschaft als auch in Elmau deutlich gemacht werden: Eine zentrale Ursache für terroristische Bewegungen und die Verfolgung von Menschen ist die zunehmende Bereitschaft, Religionsfreiheit nicht mehr als einen zentralen Bestandteil der politischen Arbeit zu betrachten. Ich meine damit nicht nur die besondere Situation verfolgter Christen. Vielmehr sehe ich, dass Religion im Nahen Osten teilweise missbraucht wird, um Macht und Gewalt ausüben zu können. Davon sind Muslime genauso betroffen wie Angehörige anderer Religionen. Ich kann aufgrund meiner jahrelangen Erfahrung und Arbeit nur sagen: Wir müssen deutlicher machen, dass es, wenn das Recht jedes Einzelnen, sich zu einer Religion zu bekennen oder nicht und dies auch zu leben, nicht durchgesetzt wird, keine Ruhe in den betreffenden Regionen geben wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen muss die Religionsfreiheit ein zentrales Thema sein. Es wird nicht immer einfach sein, das deutlich zu machen. Ich habe vor wenigen Wochen ein Gespräch mit dem Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo geführt. Er hat mir gesagt – da sieht man, wo die Auseinandersetzungslinie verläuft –: Ihre westliche Vorstellung von Menschenrechten teilen wir nicht. – Er hat also nicht gesagt: „Das akzeptieren wir“, sondern: „Das teilen wir nicht“. Und weiter hat er gesagt, dass im Islam der Grundsatz gelte – diesen lasse man sich auch von niemandem nehmen –, dass die Religion über dem Einzelnen steht und nicht der Einzelne mit seinen Rechten über der Religion. Solange es Religionen gebe, die genau das Gegenteil behaupten, könne er dies nicht hinnehmen. – Deshalb kann ich denjenigen, die anderer Meinung sind, nur sagen: Sie können ihre Position für sich und ihre Religion vertreten. Wenn aber jemand glaubt, seine Auffassung, was religiös richtig ist und was nicht, unbedingt und absolut durchsetzen zu müssen, dem kann ich nur sagen: Dann wird es keinen Frieden in den betreffenden Regionen geben. Religionsfreiheit bedeutet, dass jeder das Recht hat, seinen Glauben zu leben. Das müssen wir in den Diskussionen mit vielen Ländern dieser Welt so klar und deutlich sagen und auch einfordern. Es geht nicht – wie der eine oder andere in der Türkei meint – um den Vorrang der christlichen Religion. Vielmehr hat jede Religion das Recht, ihren Glauben überall auf der Welt frei zu leben. Das muss durchgesetzt werden. Nur so sorgen wir für eine wirkliche Bekämpfung radikalisierter Gruppen in den entsprechenden Regionen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Zum Klimaziel. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben auch in diesen Tagen immer wieder betont, dass es beim Klimaziel bleibt, dass es also keine Abstriche gibt. Aber, Herr Hofreiter, Sie haben heute an diesem Rednerpult so getan, als ob Sie in ganz Deutschland in der Opposition wären. Das wäre zwar kein Problem, wenn dem so wäre. Aber dem ist nicht so. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt! Wir regieren in mehr Ländern als die CDU!) Sie sind in Nordrhein-Westfalen, einem Kohleland, in der Regierung. Da kann ich nur sagen: Bestimmte Dinge gehen redlich nicht. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da reduzieren wir die Braunkohle!) Man kann nicht aus Nordrhein-Westfalen rufen: „Wir lassen nicht zu, dass der Kohle irgendetwas geschieht“, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Herr Laschet! Kennen Sie Herrn Laschet, Herr Kauder?) aber dann, wenn es darum geht, etwas für das Klima zu tun, damit es bei der Kohle weitergehen kann, nämlich Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung zu beschließen, nicht mitmachen. (Beifall bei der CDU/CSU) Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, ob das, was Sie heute hier gesagt haben, nicht logischerweise zum Austritt aus der Regierung in Nordrhein-Westfalen führen müsste? Die Frage müssen Sie sich einmal stellen, Herr Hofreiter, statt hier solche Sprüche zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich kann nur sagen: Wir bleiben bei unserem Ziel. Wir werden mit dem Wirtschafts- und Energieminister Gabriel eine Lösung dieses Problems finden. Aber ich sage auch: NRW muss endlich bereit sein, bei der energetischen Gebäudesanierung mitzumachen, zumal jetzt die finanziellen Möglichkeiten dazu bestehen. Es hat nicht nur der Bundesfinanzminister mehr Steuereinnahmen in die Bundeskasse bekommen, sondern in gleicher Höhe sind auch die Einnahmen in den Ländern gestiegen. Dann wird es doch möglich sein, dass Sie hier für das Klima etwas machen. Da helfen die Reden hier nichts! Dort, wo Sie in der Regierung sind, müssen Sie einmal handeln, Herr Hofreiter, statt hier große Reden zu führen! (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, wer die Gebäudesanierung blockiert hat? Das waren Seehofer und die CSU! Und die CSU regiert leider Bayern und nicht NRW!) Wir werden das Thema wieder bringen. Sie werden Gelegenheit haben, zu zeigen, ob das, was Sie hier vollmundig verkünden, dann nachher wenigstens in einer kleinen Tat gelingt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Franz Thönnes ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Franz Thönnes (SPD): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga findet vor einem Hintergrund statt, in dem der Frieden nicht gesichert und die Gefahr einer neuen Spaltung in Europa nicht gänzlich gebannt ist. Es ist gleichzeitig ein Hintergrund, verbunden mit einer Hoffnung – mit der Hoffnung, dass es drei Monate nach der Erklärung der Präsidenten von Frankreich, Russland, der Ukraine und der Bundeskanzlerin trotz einzelner Waffenstillstandsverletzungen nun zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen und der dazugehörigen Maßnahmen, also zu einem friedlichen Prozess der Lösung des Konflikts, kommt. Das ist von zentraler Bedeutung für die Menschen, das ist von zentraler Bedeutung für die notwendigen Reformen und die Stabilität in der Ukraine, und es ist auch eine wesentliche Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Östlichen Partnerschaft und der Entstehung eines neuen Vertrauens. Es geht letztlich darum, das friedliche Zusammenleben in unserem gemeinsamen europäischen Haus zu sichern. (Beifall bei der SPD) So wird der heutige Gipfel kein Jubelgipfel sein können, aber er wird auch nicht der Gipfel einer gescheiterten Politik in den letzten Jahren sein. Er muss ein Gipfel der nüchternen Analyse sein, ein Gipfel, der die gemachten Erfahrungen mit den Partnerländern Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der Ukraine aufarbeitet und der zeigt, dass man gelernt hat, dass – salopp gesagt – eine Kleidergröße allein nicht passt, sondern dass es notwendig ist, Bedingungen zu entwickeln, die auf die Partnerländer zugeschnitten sind, und mit länderspezifischen Angeboten zu arbeiten. Und es gilt, noch deutlicher zu machen, dass die Koopera-tionspolitik nicht gegen einen Nachbarn gerichtet ist, sondern spürbar auf gute Nachbarschaft ausgerichtet ist. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dafür gibt es gute Gründe. Georgien, Moldau und die Ukraine haben inzwischen ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Aserbaidschan, Armenien und Belarus streben das nicht an. Die letzten beiden wurden Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion gemeinsam mit Russland, Kasachstan und Kirgisistan. Genau damit könnten sie wichtige Bindeglieder bei einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen Russland und der EU sein. Alle Länder haben das Recht, ihre Wege und Formen der Zusammenarbeit mit anderen Ländern oder von Zusammenschlüssen frei und selbst zu bestimmen. Genauso gehört zur guten Nachbarschaft, mit den Nachbarn über die damit verbundenen Entwicklungen zu reden. Die jetzigen Gespräche zwischen der EU und Russland über die Wirkungen des mit der Ukraine abgeschlossenen Assoziierungsabkommens gilt es von beiden Seiten konstruktiv zu nutzen. Es gilt, zu realisieren, wie bestimmte Beziehungen der Partnerländer zum großen Nachbarn Russland ausgeprägt sind. Trotz der sehr kritischen Lage gehen noch immer 25 Prozent des ukrainischen Exports nach Russland, 33 Prozent in die EU. Da bestehen Verbindungen und Verflechtungen im Energiebereich, im gesellschaftlichen, sprachlichen und medialen Bereich. 700 000 Beschäftigte aus Moldau arbeiten in Russland. Die Russische Föderation ist Moldaus größter bilateraler Handelspartner. Die europaorientierte und von den Kommunisten gestützte Regierung befindet sich angesichts eines Bankskandals im Moment in einer sehr schwierigen Situation. Aber man spürt in der Bevölkerung, dass ein Teil die Kooperation mit Russland und dass ein anderer Teil eine enge Kooperation mit der -Europäischen Union will. Tausende Moldauer machen inzwischen Gebrauch von der Visaliberalisierung. Die georgische Regierung hat gerade erst wieder eine Umbildung hinter sich und ist bemüht, ihren europäischen Kurs zu halten. Gleichzeitig bangen die Menschen um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und sehen auch die engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland. Nicht zu unterschätzen sind auch die Verbindungen der Kirchen untereinander. In Armenien kommen 60 Prozent der Direktinvesti-tionen aus Russland, 2 Millionen armenische Gastarbeiter sind dort tätig. Durch den ungelösten Berg-Karabach-Konflikt wahrt Russland seine Einflüsse auf Armenien und auf Aserbaidschan. Die Menschenrechtslage in Aserbaidschan ist schwierig, und das Land ist derzeit wohl eher selektiv an einer Zusammenarbeit im energie- und wirtschaftspolitischen Bereich interessiert. Schließlich ist Belarus, Gründungsmitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion, einer der engsten und von Russland abhängigsten Partner. Gleichwohl hat das Land im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland eine sehr konstruktive Rolle gespielt. Von erheblicher Bedeutung sind hier aber Verbesserungen der innenpolitischen und menschenrechtlichen Lage sowie die dringend notwendige Freilassung der politischen Gefangenen, unter denen auch der ehemalige sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat Nikolai Statkevich ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dieser Ausschnitt aus der gesamten Vielfalt der Situation in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und -ihren Verhältnissen zeigt deutlich, wie wichtig die Einbeziehung Russlands in die Gestaltung dieser Nachbarschaftspolitik ist. Ich teile die Einschätzung, die hierzu gerade im April dieses Jahres in einem Papier der Stiftung für Wissenschaft und Politik geäußert wurde: Die EU muss sich außerdem bemühen, in dem Gesamtgeflecht ihrer Beziehungen dafür zu sorgen, dass in dem Verhältnis zwischen Russland und dessen Nachbarn sowie zwischen den Nachbarn untereinander Verträglichkeit, Transparenz und Stabilität herrscht. Einen guten Rahmen hierfür bietet das Bekenntnis der Staats- und Regierungschefs aus der Minsker Erklärung vom 12. Februar 2015 zur Version eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der OSZE. Diese Verantwortung gilt es, einzulösen, für alle, auch für Russland, um neues Vertrauen zu schaffen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Thönnes. Franz Thönnes (SPD): Aber es gilt auch, Perspektiven für die Partnerländer aufzuzeigen, den Weg in die Europäische Union zu gehen. Dazu bedarf es konsequenter Arbeit. Polen hat -dafür 15 Jahre gebraucht. Schneller können wir gute -Voraussetzungen für die Visaliberalisierung mit den Partnerschaftsländern und auch mit Russland schaffen, damit der humanitäre Raum mit der Begegnung von Menschen im friedlichen Miteinander ausgefüllt werden kann. Deswegen ist der Erfolg von Minsk für uns alle so wichtig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Manfred Grund für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Manfred Grund (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anfang der 2000er-Jahre, also vor ungefähr 15 Jahren, habe ich an einer Konferenz im Rahmen des Programms „Partnerschaft für den Frieden“ teilgenommen. Auf dieser Konferenz waren Botschafter nahezu aller europäischen Staaten, also auch aus den Transformationsländern Ost- und Mitteleuropas vertreten, und auch verschiedene Militärs. Während der Konferenz ergriff ein russischer General das Wort und stellte die Frage, ob denn nicht jedermann klar sehe, dass sich mit der Osterweiterung der Europäischen Union und der NATO diese nach Osten, an die Grenzen Russlands verschieben und damit die Interessen Russlands verletzt würden. Es war spannend, zu erleben, wer dem russischen General antwortete. Kein EU- oder NATO-Botschafter ergriff das Wort. Es stand ein polnischer General auf, und er sagte, nicht die Europäische Union und die NATO würden nach Osten verschoben, um Russland zu beeinträchtigen, sondern Europa finde nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Fall des Eisernen Vorhangs seine Mitte wieder. – Meine Damen und Herren, was für ein Bild! Nach dem Ende der Teilung Europas findet dieses Europa seine Mitte wieder. Und selbstverständlich gehören Warschau, Krakau, Riga und Budapest zu Europas Mitte – wie schon vor der Teilung Europas, wie schon vor dem Kalten Krieg. Im Kalten Krieg war Europa geteilt in Interessenssphären und Machtblöcke: hier EWG, dort RGW, hier NATO, dort Staaten des Warschauer Paktes. In den Jahren nach 1990 schien diese Teilung aufgehoben. Europa konnte zusammenfinden. Interessenssphären und Machtpolitik hat niemand von uns, niemand in Europa, wirklich vermisst. Doch spätestens mit der Annexion der Krim und dem militärischen Eingreifen Russlands in der Ukraine ist die Machtpolitik, ist die Hegemonialpolitik wieder auf die europäische Tagesordnung zurückgekehrt. Auch der bevorstehende Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga bleibt davon nicht verschont. Die Deutsche Presse-Agentur, dpa, vermeldete gestern: Vor dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga hat der russische Außenminister Sergej Lawrow die EU mit Nachdruck davor gewarnt, Russlands Interessen zu schaden. Was aber sind Russlands Interessen, und warum sind es – offensichtlich – nicht die gemeinsamen europäischen Interessen, und wie könnte ein Ausgleich dieser Interessen aussehen? Meine Damen und Herren, beim heute Abend in der lettischen Hauptstadt Riga beginnenden Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union mit den Vertretern sechs östlicher Nachbarländer geht es um die Bilanz, die Verbesserung und Vertiefung der 2009 beschlossenen Östlichen Partnerschaft. Zur Östlichen Partnerschaft gehören die Ukraine, Weißrussland, Moldau, Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Diese Staaten gehören zu Europa oder verorten sich selbst zu Europa und orientieren sich an der europäischen Entwicklung. Sie haben aber auf absehbare Zeit keine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union. Mit der Östlichen Partnerschaft macht die Europäische Union diesen Staaten ein Modernisierungsangebot, ein Modernisierungsangebot durch Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, zur Bekämpfung der Korruption, für gute Regierungsführung, ein Angebot zur gesellschaftlichen Modernisierung durch Stärkung der Zivilgesellschaft, ein Angebot zur wirtschaftlichen Modernisierung durch weitgehende Integration in den EU-Markt. Es geht also um Stabilität, und es geht um wirtschaftliche Entwicklung. Wieso innere Stabilität und wirtschaftliche Prosperität in den Ländern der Östlichen Partnerschaft russischen Interessen zuwiderlaufen sollten, ist für uns nicht so leicht nachzuvollziehen. Könnte es sein, dass Moskau die Westorientierung seiner Nachbarn deshalb ablehnt, weil deren rechtsstaatliche und demokratische Modernisierung eine Herausforderung für das eigene politische System ist? (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gute Frage!) Macht Putin die erfolgreiche politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung Polens Angst, weil er hier in seinem eigenen Land die größten Defizite aufzuweisen hat? Meine Damen und Herren, mit Georgien, der Republik Moldau und der Ukraine hat die EU Assoziierungsabkommen abgeschlossen. Dies sind ambitionierte Programme für Reformen. Daran gilt es ohne Abstriche festzuhalten. Es bleiben Belarus, Armenien und Aserbaidschan. Mit Armenien hatte die Europäische Union ebenso ein Assoziierungsabkommen ausgehandelt, doch hat sich Armenien wegen innen- und außenpolitischer Zwänge der von Russland dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion angeschlossen. Auch Belarus ist Mitglied in dieser Eurasischen Wirtschaftsunion. Aserbai-dschan – auch das wurde erwähnt – sucht noch einen -eigenen Weg. Auf diese unterschiedlichen Positionierungen wird die Europäische Union bei der im Herbst anstehenden Neuausrichtung der Europäischen Nachbarschafts-politik akzentuiert antworten müssen. Ich sehe zwei zentrale Herausforderungen: zum einen den Konflikt mit Russland, zum anderen die Schwierigkeit einer nachhaltigen Modernisierung dieser Partnerländer. Beides wird kurzfristig nicht zu bewältigen sein. Es wird Jahre in Anspruch nehmen. Wir brauchen dazu strategische Geduld, insbesondere im Umgang mit Russland. Wir müssen mit Russland in einen Dialog treten mit dem ambitionierten Ziel, die Gegensätze zwischen Europäischer Freihandelszone und Eurasischer Zollunion zu überwinden. Falls sich Lawrows Vorbehalte durch einen solchen Interessenausgleich erübrigen, wäre das ein Gewinn für alle Beteiligten, auch für Armenien, welches sich nach dem Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion viel von einer weiteren wirtschaftlichen Annäherung an die Europäische Union verspricht. Hierzu ist es aber nunmehr auf einen Dialog zwischen Eurasischer Wirtschaftsunion und EU angewiesen, weil es nicht mehr frei für sich selbst verhandeln kann. Ein solcher Dialog wird auch einen Hinweis darauf geben, ob die Eurasische Zollunion die Situation in ihren Mitgliedstaaten verbessern will oder lediglich dazu dient, die von Russland beanspruchte Einflusssphäre wirtschaftlich und politisch von der Europäischen Union abzuschotten. Aus all dem folgt, dass sich eine Weiterentwicklung der Östlichen Partnerschaft an zwei Prinzipien ausrichten sollte. Erstens: Differenzierung. Wir brauchen eine starke Differenzierung zwischen den einzelnen Ländern, und wir brauchen eine stärkere Differenzierung unserer Angebote. Zweitens: Flexibilität. Wir brauchen größere Flexibilität hinsichtlich unserer Fähigkeit, schnell und zielgerichtet auf neue Herausforderungen und Entwicklungen zu reagieren. An einem Punkt ist allerdings klare Kante angesagt, nämlich beim Kampf gegen Korruption und Oligarchenwirtschaft. Dieser Kampf muss in den Ländern Osteuropas selbst bestritten und gewonnen werden. Denn in den vergangenen zwei Jahrzehnten haben vor allem in der Ukraine und in Moldau oligarchische Strukturen die Politik dominiert. Eine systemische Korruption hat staatliche Institutionen praktisch weitgehend privatisiert. Das oligarchische System hat eine moderne Form des Feudalismus etabliert. Oligarchen verzichten nicht freiwillig auf Einfluss und Pfründe. Der Rechtsstaat muss gegen Oligarchen erzwungen werden, auch und gerade mit unserer Hilfe. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gelingt diese Systemwende in der Ukraine und in Moldau nicht – also Stärke des Rechts und nicht: Recht des Stärkeren –, dann wird das oligarchische System früher oder später zu einem staatlichen Zerfall führen, und dieser staatliche Zerfall der Ukraine und der Republik Moldau wird größere Sicherheitsrisiken in sich bergen als der heutige Konflikt mit Russland. Unser Signal muss klar sein: Europa bedeutet politische und wirtschaftliche Reformen, gesellschaftliche Modernisierung, sozialer Zusammenhalt. Es sind Demokratie und wirtschaftliche Perspektiven, was die Menschen in diesen Ländern von der Östlichen Partnerschaft erwarten. Wir wollen diese mit den Assoziierungsabkommen und den Instrumenten der Östlichen Partnerschaft ermöglichen, und wir halten einen Interessenausgleich mit Russland für möglich und notwendig, eben weil die Östliche Partnerschaft und die Europäische Nachbarschaftspolitik nicht gegen Russland gerichtet sind. Es gibt berechtigte Hoffnung, dass sich Russland dem für Anfang 2016 geplanten Inkrafttreten des Freihandelsabkommens der EU mit der Ukraine nicht widersetzen wird. Ein Interessenausgleich mit Russland sollte auch deshalb möglich sein, weil Sankt Petersburg und Moskau gar nicht so weit von der Mitte Europas entfernt sind. Der Bundeskanzlerin viel Erfolg für die Gespräche in Riga und Ihnen vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben der soeben aus Prag eingetroffene Präsident des Abgeordnetenhauses des Parlaments der Tschechischen Republik, Herr Jan Hamáček, und seine Delegation Platz genommen, die ich im Namen des ganzen Hauses herzlich bei uns begrüße. (Beifall) Lieber Kollege Hamáček, wir freuen uns über Ihren Besuch, wünschen Ihnen einen interessanten Aufenthalt in Berlin, und wir freuen uns auf die immer enger werdende Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Parlamenten. Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Kofler für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Bärbel Kofler (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vom Gipfel in Elmau müssen entwicklungspolitische Signale für die künftigen Konferenzen, die in diesem Jahr anstehen, ausgehen. Es sind drei wichtige Konferenzen, die bereits von einigen Kollegen angesprochen wurden. Eine ist die Konferenz in Addis Abeba zum Thema der Entwicklungsfinanzierung. Hier kann der G-7-Gipfel in Elmau einige Signale aussenden, positive Signale aussenden, nicht nur, was das Erreichen der 0,7-Prozent-ODA-Quote anbelangt, sondern insbesondere auch, was die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung anbelangt sowie im Hinblick auf das Ausdünnen von Steueroasen. Ich erwarte mir von einem Gipfel wie dem G-7-Gipfel in Elmau, wo Vertreter der führenden Industrienationen zusammentreffen, positive Signale in diesen Bereichen, damit Entwicklungsländer auch die Chance haben, mit Steuereinnahmen, mit eigenen Einnahmen und eigenen Mitteln, systemisch in Gesundheitssysteme, Bildung und Armutsbekämpfung zu investieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich erwarte mir von diesem Gipfel auch, dass im Bereich der Vorbereitung der sogenannten Nachhaltigkeitskonferenz zu den SDG-Zielen in New York deutliche Signale ausgehen, in zwei Richtungen. Neu bei dieser Konferenz ist das sogenannte Prinzip der Universalität; das heißt, alle Staaten müssen ihr Handeln so ausrichten, dass es entwicklungsförderlich und armutsbekämpfend ist. Alle Staaten, auch die Teilnehmerstaaten des G-7-Gipfels, auch die führenden Industrienationen, müssen das tun, müssen ihr Handeln sowohl bei Handelsverträgen als auch beim Klimaschutz und bei Klimaabkommen dementsprechend ausrichten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich erwarte, dass in zwei Bereichen, die neu sind im sogenannten Nachhaltigkeitsprozess – neu im Gegensatz zu den früheren Zielen, den Millenniumsentwicklungszielen –, hier entscheidende Impulse ausgehen. Es geht um die Frage der Ungleichheit zwischen den Ländern – wie man Ungleichheit zwischen den Menschen und zwischen den Ländern bekämpfen kann –, und es geht um die Frage der menschenwürdigen Arbeit. Ich möchte hier explizit noch einmal unterstreichen: Es muss von diesem Gipfel, wenn ein wichtiger Schwerpunkt das Thema „Standards in Handels- und Lieferketten“ ist, ein Signal für verbindliche Standards im sozialen und ökologischen Bereich ausgehen, um Menschen vor Ausbeutung in Arbeit zu schützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Woche hat die Internationale Arbeitsorganisation in Genf einen Bericht vorgelegt, der sich mit den unsicheren, den prekären Arbeitsbedingungen weltweit auseinandersetzt. Wenn wir es ernst meinen damit, dass wir die Arbeitsbedingungen der Menschen in Entwicklungsländern verbessern und die Menschen aus der Armut herausholen wollen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, was in dem Bericht steht: dass in Afrika und Südasien nur zwei von zehn Arbeitnehmern angestellt sind. Das heißt, alle anderen sind im infor-mellen Sektor – der Bericht spricht von „auf eigene -Rechnung“ – beschäftigt und haben damit keine soziale Absicherung, keinen Zugang zu irgendeinem Gesundheitsschutz und keinen Hintergrund, der es ihnen ermöglicht, aus eigener Kraft die Armut zu verlassen. Mehr als 10 Prozent der Arbeitnehmer verdienen unter 1,25 Dollar am Tag – 1,25 Dollar am Tag und darunter, bei Vollzeitbeschäftigung. Das sind die Probleme, zu denen ich vom Gipfel in Elmau, bei dem es um verbindliche Standards in Lieferketten geht, wirkliche Signale erwarte. Die ILO sagt dazu: Mittlerweile sind 453 Millionen Menschen in 40 Ländern in globale Lieferketten eingebunden. – Wenn das so ist, dann tragen wir aufgrund unserer industriellen Produktion, die in viele Länder dieser Erde ausgelagert ist, eine Mitverantwortung für die Standards und für das Leben und für das Arbeiten dieser Menschen. Diesen Standards müssen wir gerecht werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Über die Frage des Fonds, wenn es um Arbeitsschutz geht, ist gesprochen worden heute. Das ist ein ganz wichtiges Instrumentarium. Ich bin den beteiligten Ministerien da explizit dankbar. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Ich komme zum Schluss. – Aber es muss auch darum gehen, das Thema der ILO-Kernarbeitsnormen und damit insbesondere des gewerkschaftlichen Rechts und der gewerkschaftlichen Beteiligung voranzubringen. Auch da hätten einige der G-7-Staaten noch Nachholbedarf. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Florian Hahn das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Östliche Partnerschaft ist von herausragender Bedeutung – wir haben das schon mehrfach heute gehört –, zu Recht. Es geht dabei um mehr als nur um die Außenpolitik der EU oder Handelserleichterungen; denn wir sind mit unseren Partnerländern nicht nur räumlich verbunden, sondern auch kulturhistorisch. Diese Partnerschaft hat auch eine geopolitische Dimension; das haben die Entwicklungen um die Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, mit Georgien und mit Moldau gezeigt. Russland lässt gegenwärtig leider nichts unversucht, die Annäherung der östlichen EU-Nachbarstaaten zu verhindern. Unsere Botschaft ist klar: Wir wollen gute Nachbarn sein, und wir wollen gute Nachbarn haben. Deshalb sind die Stabilisierung und die Demokratisierung unserer Nachbarländer in unserem ureigenen europäischen Interesse. Die Östliche Partnerschaft ist aber nicht gegen Russland gerichtet. Es geht nicht um Entweder-oder, sondern um Sowohl-als-auch, und ich bin der festen Überzeugung: Am Ende des Tages wird auch Russland verstehen, dass die Östliche Partnerschaft eine Chance für alle ist: für uns, Europa, für die Partnerländer und für Russland selbst. (Beifall bei der CDU/CSU) Heute, fast auf den Tag genau sechs Jahre nach der Gründung der Östlichen Partnerschaft, ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme. Lassen Sie mich deswegen drei zentrale Punkte benennen: Erstens. Bei der Östlichen Partnerschaft geht es nicht um die Missionierung unserer Nachbarn. Sie hat mit Zwangsbeglückung nichts zu tun und ist kein europäischer Imperialismus, sondern sie ist die natürliche Folge unserer Werte. Sie entspringt der Bereitschaft, Frieden und Freiheit, Sicherheit und Wohlstand zu teilen und gemeinsam zu mehren. Das sehen auch die Menschen in der Ukraine so. Sie finden Europa so attraktiv, weil wir eben nicht in Einflusssphären denken, sondern die Menschen-, Bürger- und Freiheitsrechte garantieren, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit leben und das Recht der Staaten auf territoriale Integrität und Selbstbestimmung achten. Das heißt aber auch: Wir dürfen es 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nichts zulassen, dass das Rad der Zeit zurückgedreht und die Freiheit zurückgedrängt wird. Das wäre nicht nur ein Rückschritt für die betroffenen Länder, sondern auch für uns in Europa. Deshalb möchte ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, für Ihren unermüdlichen Einsatz für den Frieden in der Ukraine danken. Es ist richtig, dass wir nun die Sanktionen an Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen knüpfen. Aber auch die Ukraine muss ihre Probleme entschlossener angehen. Das Land braucht Wirtschafts- und Regierungsreformen. Klar ist aber auch: Eine Lösung der aktuellen Krise kann es nur mit Russland geben. Das gilt sowohl für die Ukraine als auch für den Nahen Osten und für den Norden Afrikas. Wir dürfen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Gemeinsam an der europäischen Friedensordnung zu arbeiten, ist auch eine Chance für Russland. Es ist gut und richtig, dass die Bundesregierung klare Kante zeigt und gleichzeitig im Gespräch bleibt. Das ist die Marschroute der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in der EU. Zweitens. Sechs Jahre Östliche Partnerschaft haben unmissverständlich klargemacht: Es gibt nicht die eine Strategie für alle Partnerländer. Dafür sind sie einfach zu unterschiedlich. Wir brauchen deshalb ein differenziertes und auf die einzelnen Länder fokussiertes Vorgehen. Es ist an der Zeit, dass Europa konkrete Perspektiven für verschiedene Arten der Partnerschaften entwickelt. Die EU-Vollmitgliedschaft kann nicht das einzige Ziel sein. Das überfordert die Länder der Östlichen Partnerschaft und vor allem auch uns. Wir brauchen in -Europa jetzt eine Vertiefung und nicht eine Erweiterung. Im Übrigen zeigt sich auch hier, dass unser Weg zu einer privilegierten Partnerschaft mit der Türkei der richtige war. Ich kann nur sagen: Ich bin froh, dass wir keinen Autokraten Erdogan in der EU haben, der das Land islamisiert, Frauen- und Presserechte mit Füßen tritt, die Gewaltenteilung untergräbt und die in Deutschland lebenden Türken gegen ihre neue Heimat und unsere gemeinsame Gesellschaftsordnung aufwiegelt. (Beifall bei der CDU/CSU) Prinzipiell darf es keinen Aufnahmeautomatismus geben – für kein Land. Deswegen ist es richtig, dass wir die Fortschritte bei der Östlichen Partnerschaft an konkrete Reformen binden und die Dokumentation durch die Fortschrittsberichte der EU-Kommission einfordern. Wir dürfen dabei natürlich keine falschen Erwartungen wecken, und wir dürfen uns auch nicht auseinanderdividieren lassen; denn Europas Trumpf ist Geschlossenheit. Umso unerträglicher ist das Verhalten der griechischen Regierung. Wir müssen deswegen klarmachen: Wer die Solidarität Europas will, muss sich zu Europa bekennen. Wir lassen uns nicht erpressen. (Beifall bei der CDU/CSU) Drittens. Was derzeit auf dem Mittelmeer passiert, ist eine humanitäre Katstrophe und mit unseren Werten unvereinbar. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir werden das Elend der Flüchtlinge nur dann lindern können, wenn wir die Nachbarschaftspolitik mit den nordafrikanischen Staaten intensivieren. Wir unterstützen deshalb die Bemühungen der Europäischen Kommission zur Neuausrichtung der Europäischen Nachbarschaftspolitik – gerade auch hin zu unseren südlichen Partnern. Aber: Wir alleine können die Probleme Afrikas nicht lösen, schon gar nicht, indem wir eine Massenzuwanderung nach Europa zulassen. Wir dürfen deshalb keine weiteren Anreize schaffen, sondern müssen unseren Dreiklang beherzt umsetzen. Der heißt: Seenotrettung verstärken, Schlepperbanden das mörderische Handwerk -legen und Fluchtursachen durch Hilfe in den Herkunftsländern bekämpfen. An dieser Stelle möchte ich einen besonderen Dank an unseren Minister Müller richten, der mit der Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“ bereits über 100 Projekte auf den Weg gebracht hat. Ich denke da beispielsweise an die Beschulung von insgesamt 80 000 Kindern im Libanon. Das sind genau die richtigen Maßnahmen, die wir brauchen. Deswegen ist es richtig, dass der entsprechende Etat einen Aufwuchs erfahren hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Zur Wahrheit gehört auch: Die meisten Asylsuchenden kommen nicht aus Syrien oder Nordafrika, sondern vom Balkan und damit aus sicheren Herkunftsstaaten mit Anerkennungsquoten von unter 1 Prozent. Das sind eben keine Flüchtlinge, die um Leib und Leben fürchten müssen. Wir alle sind aufgefordert – auch die EU-Kommission –, das abzustellen – allein schon im Interesse derer, die unserer Hilfe wirklich bedürfen. Ebenso entscheidend ist dabei, dass wir zu einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge kommen. Das vereinbarte Quotenmodell ist ein richtiger Schritt. Aber es kann nicht sein, dass Länder, die in den vergangenen Jahren immens von der europäischen Solidarität profitiert haben, sich jetzt einen schlanken Fuß machen. Solidarität ist keine Einbahnstraße, sondern eine gemeinsame Aufgabe für ganz Europa. In einer so vernetzten Welt wie der heutigen müssen die entscheidenden Akteure natürlich zusammenarbeiten. Deshalb ist es gut, dass sich die führenden Industriestaaten am 7. und 8. Juni zum G-7-Gipfel im bayerischen -Elmau treffen. Denn Frieden und Freiheit, Sicherheit und Wohlstand – das schaffen wir nur gemeinsam. Das gilt auch für die Bekämpfung der Geißel der offenen Gesellschaft, den internationalen Terrorismus. Wenn sich der Terrorismus global vernetzt, müssen auch die Nachrichtendienste und die Sicherheitsbehörden eng zusammenarbeiten; das war die Erkenntnis nach 9/11. Deshalb war es folgerichtig, dass die damalige Regierung die Zusammenarbeit des BND mit der NSA vereinbart hat. Ohne diese Zusammenarbeit hätten wir unsere Soldaten in den Auslandseinsätzen nicht ausreichend schützen können. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ohne diese Zusammenarbeit hätten wir auch keinen Anschlag vereiteln können, nicht den des Kofferbombers von Köln und auch nicht den der Sauerland-Gruppe. Diese Zusammenarbeit der Nachrichtendienste hat in den letzten Jahren unzählige Leben gerettet. Deshalb brauchen wir sie auch in Zukunft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber klar ist auch, dass es offene Fragen gibt, die abgearbeitet werden müssen, aber bitte nicht über die Bild am Sonntag, sondern in den demokratisch legitimierten Gremien. Alles andere hat nichts mit staatsbürgerlicher Verantwortung zu tun. Auf Verantwortung kommt es jetzt an, für unsere Freiheit und für unsere Sicherheit. Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Das dürfen wir nie vergessen. Meine Damen und Herren, zum Abschluss: Wir haben vorhin von Toni Hofreiter gehört, dass die Bundeskanzlerin so ungefähr an allem schuld ist, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht an allem, aber an manchem!) wohl auch daran, dass der Weltfrieden noch nicht eingetreten ist. Aber an der Schwäche der Opposition, lieber Herr Hofreiter, sind Sie schon selber mit schuld. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Klaus Barthel das Wort. (Beifall bei der SPD) Klaus Barthel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von uns hier in diesem Hohen Hause bin ich derjenige, der am nächsten am Schloss Elmau lebt. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Nein, ich!) Deswegen erlebe ich ganz aus der Nähe die Aufregung und den Aufwand in der Bevölkerung, die es dort in einem großen Umkreis gibt. Ich will aber nicht über diesen Aufwand reden, sondern darüber, dass viele Menschen am Sinn solcher Veranstaltungen erhebliche Zweifel haben. Wir können diesen Sorgen und dieser Kritik nur begegnen, wenn auf diesen Gipfeln richtige Antworten auf die weltweiten Entwicklungen gefunden und diese auch umgesetzt werden. Insofern sind wir froh, dass die Bundeskanzlerin heute zum Beispiel – ich zitiere – „menschenwürdige Arbeitsbedingungen weltweit“ als Ziel der Veranstaltung in Elmau genannt hat und sie wörtlich gesagt hat, dass die „Stärkung des Freihandels … eine bessere Umsetzung sozialer und ökologischer Standards“ erfordert. In der Tat – Frau Kofler hat es ja auch erwähnt –: Die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten auf der Welt nehmen trotz allen Freihandels immer mehr zu, und die Arbeit gerät immer mehr unter Druck. Flexibilisierung bedeutet eben im weltweiten Maßstab immer mehr Prekarisierung. Der ILO-Report zeigt, dass diese Prekarisierung auch vor den Industrieländern nicht haltmacht und sie sich in der Europäischen Union besonders stark auswirkt. Hier könnte die G 7 eine ganz wichtige Rolle spielen, weil die weltweiten Wertschöpfungsketten – wir -reden ja immer von Wertschöpfungssystemen – hier zusammenlaufen. Das heißt, wir hätten die Chance, mit verbindlichen Regeln Standards durchzusetzen, wie es immer so schön heißt. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Diese Chance nutzen wir!) Faire Wettbewerbsbedingungen hieße Verlässlichkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Verbraucherinnen und Verbraucher. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Verbindlichkeit und Fairness müssen bedeuten, dass sich nicht derjenige auf dem Markt durchsetzt, der sich mithilfe teurer Imagekampagnen eine weiße Weste umhängt, ohne für Transparenz zu sorgen, und dass sich in diesen Wertschöpfungsketten niemand aus der Verantwortung stehlen kann. Deswegen bin ich sehr froh, dass das Europäische Parlament gestern – auf Druck der Sozialdemokraten – beschlossen hat, dafür zu sorgen, dass bei den Konfliktmineralien vom Anfang bis zum Ende der Wertschöpfungskette verbindliche Standards eingehalten werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]) Herr Minister Müller, die Bundesregierung ist aufgefordert, diesen Prozess in dem jetzt stattfindenden Trilogverfahren zu unterstützen. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist genau mein Ansatz!) Wenn wir aus der Sackgasse WTO herauskommen wollen, müssen wir in Zukunft weg vom reinen Liberalisierungsansatz, hin zu Gerechtigkeit, zu sicherer Arbeit, zu sicherer Arbeit und Ökologie, eben vom freien zum fairen Handel. In diesem Zusammenhang trägt die G 7 eine besondere Verantwortung, im Übrigen auch bezüglich all der Freihandelsabkommen – das wird die Nagelprobe sein –, die wir bilateral jetzt mit Kanada, den USA usw. abschließen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]) Lassen Sie mich noch etwas zu Lateinamerika sagen – dieses Thema hat heute kaum eine Rolle gespielt, was ich bedauere – und zu dem Gipfel, der mit CELAC in ungefähr 14 Tagen in Brüssel stattfindet. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die europäische Politik durch die Entwicklung der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Kuba ein bisschen blamiert worden ist. Wir wurden davon völlig überrascht und müssen jetzt besondere Anstrengungen unternehmen, um mit Lateinamerika in einen Dialog zu kommen. Vor allen Dingen müssen wir begreifen, dass Lateinamerika nicht länger eine Region ist, in der man sich seine Partner aussuchen kann, in der man Lieblinge haben kann und in der es andere gibt, die man weniger mag. Die Linke macht genau das übrigens auch, nur spiegelverkehrt. Man muss diese Region als das verstehen, wozu sie immer mehr wird, nämlich als politischen Zusammenschluss, der aufgrund starker Gemeinsamkeiten keine Ausgrenzung von weniger geliebten Ländern wie Kuba zulässt. Das ist der eine Aspekt, den wir begreifen müssen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Barthel, über weitere können wir jetzt nicht mehr sprechen. Klaus Barthel (SPD): Der letzte ist, dass wir doch noch begrüßen müssen, dass sich Frank-Walter Steinmeier jetzt insbesondere um Kolumbien kümmert. Herr Kauder hat mit Blick auf die Failed States heute etwas zu Afrika gesagt. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir ein Signal gesetzt haben, das zeigt, dass die Bundesregierung sich zu dem Friedensprozess bekennt und ihn unterstützt. Vielen Dank, Frau Präsidentin. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was bewegt uns zurzeit? Was bewegt jeden Einzelnen von uns, die Medien und die Öffentlichkeit? Es ist das Flüchtlingsproblem. Es sind die unzähligen Menschen, die sich mit der Aussicht auf eine ungewisse Zukunft ins Mittelmeer stürzen, die unter fürchterlichen Umständen versuchen, nach Europa zu kommen, und zum großen Teil umkommen. Das ist etwas, was uns sehr beschäftigt. Das wird uns auch in Zukunft noch beschäftigen; denn das Thema ist noch nicht zu Ende. Schnell gerät dabei ein Politikfeld in die Schlagzeilen, das bei den Medien und der Öffentlichkeit sonst nicht unbedingt so viel Beachtung findet, nämlich die Entwicklungspolitik. Plötzlich heißt es: Die haben versagt. Die Öffentlichkeit, sogar die eigenen Kollegen sagen: Ihr habt versagt. Was macht ihr eigentlich? – Ich glaube, es wäre gut, einmal darüber zu reden, was wir machen. Ich glaube, jetzt ist auch der Zeitpunkt, dass uns endlich einmal jemand zuhört, was wir machen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl richtig!) Jemand hat erkannt – es war die Frau Bundeskanzlerin schon im Jahr 2007 in Heiligendamm –, dass Frieden, Stabilität und Sicherheit nicht nur mit Außen- und Wirtschaftspolitik, sondern auch mit nachhaltiger, erfolgreicher Entwicklungspolitik zu erzielen sind. Deshalb haben wir auch dieses Mal in Elmau wieder entwicklungspolitische Themen auf der Tagesordnung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn es heißt: „Was macht ihr Entwicklungspolitiker eigentlich?“, dann muss ich sagen: Wir machen sogar sehr viel, ohne dass Sie es vielleicht alle merken. Wir haben einen Entwicklungsminister, der vor anderthalb Jahren – ich weiß gar nicht, mit welcher Vorausschau er dies getan hat – eine Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen!“ im Haushalt installiert hat. Das ist das, was Sie permanent fordern. Wir machen es bereits. (Beifall bei der CDU/CSU) Wie machen wir es? Wir versuchen, vor Ort mithilfe von NGOs, vor allem aber mithilfe funktionierender, stabiler Regierungssysteme wirtschaftlichen Erfolg aufzubauen und zu unterstützen. Wir versuchen, rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen, damit sich die Menschen in ihrem Lande sicher fühlen können. Wir versuchen mit dem Aufbau von Gesundheitssystemen, die Menschen überhaupt arbeitsfähig zu machen oder auch zu erhalten. All dies sind präventive Maßnahmen – ich könnte Ihnen noch sehr viele weitere nennen, wenn ich nicht schon wieder auf die Uhr schauen müsste –, die wir in diesem Bereich bereits haben und bei denen wir schon seit Jahren tätig sind – zugegebenermaßen mit mehr oder weniger Erfolg. Wir haben hervorragend arbeitende Länder in Afrika, die wirtschaftlich sehr erfolgreich sind. Von dort kommen die Flüchtlinge aber nicht. Woher kommen sie? Sie kommen von dort, wo wir aufgrund der staatlichen Strukturen, der Bürgerkriegszustände, der Menschenrechtsverletzungen und des Fehlens von Staatlichkeit überhaupt nicht in der Lage sind, Entwicklungszusammenarbeit durchzuführen. Insofern ist es in diesen Ländern schwierig. Es ist nicht nur die Entwicklungspolitik, die dort teilweise nicht weiß, wie man mit diesen Ländern umgeht, sondern es ist auch die Außen- und die Sicherheitspolitik. Was machen wir mit sogenannten Failed States, mit Staaten, in denen wir keinerlei Ansprechpartner haben und keine Regierungen finden, mit denen wir zusammenarbeiten können? In Zukunft müssen wir uns gemeinsam darüber noch mehr Gedanken machen, und genau dort müssen wir nochmals eindeutig über das Thema „vernetzte Sicherheit“ nachdenken und uns überlegen: Was kann Außenpolitik leisten, was kann Verteidigungspolitik leisten, was kann Entwicklungs-politik leisten? Können wir gerade in diesen Staaten, in denen wir diese Katastrophen feststellen und in denen es Bürgerkriege und keine staatlichen Strukturen gibt, in der Summe mit vernetztem Ansatz erfolgreicher arbeiten, als wir es, selbstkritisch genug, zurzeit tun? (Beifall bei der CDU/CSU) Ziel des Ganzen muss sein, dass wir uns als Entwicklungspolitiker eigentlich irgendwann einmal selbst abgeschafft haben, weil die Länder in der Lage sind, mit rechtsstaatlichen Strukturen, mit guter Wirtschaft, mit kleinen und mittleren Unternehmen, mit guter Ausbildung und Bildung sowie mit gestärkten Frauen, wie Frau Bundeskanzlerin eben sagte, zum Erfolg geführt zu werden, und wir Partner haben, mit denen wir auf Augenhöhe wirtschaftliche Verhältnisse im gegenseitigen Nutzen haben. Lassen Sie mich einen Aspekt aufgreifen, da ich glaube, G 7 ist in diesem Zusammenhang eine gute Basis, auf der man diskutieren kann, weil sie fernab irgendwelcher Strukturen ist. Es hat den informellen Charakter, den es eigentlich braucht und der notwendig ist, lieber Herr Gysi. Wir finden auch, dass die UN sicherlich wichtig sind. Aber das eine tun und das andere nicht lassen, ist das eine Thema. Das andere ist, dass wir feststellen müssen: Auch die UN sind nicht allmächtig. Ich erinnere an Syrien oder die Ukraine: Auch dabei sind wir in der UN nicht vorwärtsgekommen. Etwas fand ich jedoch bemerkenswert, Herr Gysi, wenn ich das zum Abschluss noch sagen darf. Zu Ihrer Einlassung zu G 7 und zu der Veranstaltung an sich sowie letztlich zu der Frage, was dort eigentlich passiert: „Und wir gehen dorthin und demonstrieren“: Ich finde, Sie sollten das tun. Ja, wir können demonstrieren. Sie können demonstrieren. Ich bezweifle, dass Sie persönlich dorthin gehen; aber ich weiß, dass sehr viele Ihrer Kollegen dorthin gehen. Ich komme aus Hessen, aus der Nähe von Frankfurt. Ich habe erlebt, was in Frankfurt anlässlich der Eröffnung der EZB passiert ist. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber das war nicht die Linke!) Ich weiß noch, wie die – ich möchte nicht „zwielichtig“ sagen – durchaus zu diskutierende Rolle der Linken in diesem Zusammenhang war. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein!) Wenn Sie schon jetzt ankündigen, dass Sie dort demonstrieren gehen, dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie sich als demokratisch gewählte Mitglieder sowohl des Bundestages als auch der Landesparlamente, also als Vertreter des Rechtsstaates, genau dem entgegenstellen, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie aber auch! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Krimineller linker Gewalt!) was wir jetzt zu erwarten haben: Chaoten und Randalierer. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich erstens von denen distanzieren und dass Sie sich zweitens denen entgegenstellen, damit all das, was wir zurzeit befürchten und was unglaubliche zusätzliche Kosten verursacht, nicht passiert. Das erwarte ich von Ihnen. Ich hoffe, dass ich das in der Zeitung lesen darf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Andreas Nick hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was 1975 als Weltwirtschaftsgipfel zum informellen Austausch unter den Staats- und Regierungschefs begann, ist inzwischen als G 7 ein zentrales Format auch zur Koordination von Fragen der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik geworden. Es ist auch ein wichtiges Instrument zur Steuerung und politischen Gestaltung der Globalisierung. Deutschland richtet zum sechsten Mal den G-7-Gipfel aus. Wir wollen und werden in der einmaligen Atmosphäre von Schloss Elmau gute Gastgeber sein, und wir wollen der Welt ein positives Bild unseres Landes vermitteln. Davon werden wir uns auch von Protesten und Krawallmachern nicht abbringen lassen; die Kollegin Pfeiffer hat das Nötige dazu gesagt. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine zentrale Antriebskraft für globales Wachstum und internationale Verflechtungen ist der Welthandel. Zwei zentrale Ziele wollen wir gleichgewichtig verfolgen. Zum einen wollen wir weiterhin Handelshemmnisse abbauen und damit zur Öffnung der Märkte beitragen, weil dies weltweit zu Wohlstand und Vielfalt beiträgt. Zum anderen wollen wir für diese globalen Märkte weltweit verlässliche Standards für Arbeits-sicherheit, Verbraucher- und Umweltschutz im Sinne eines fairen Wettbewerbs und einer wahrhaft auch internationalen sozialen Marktwirtschaft. Die Globalisierung macht weitere Formate der internationalen Zusammenarbeit notwendig. So ist unter dem Eindruck der Finanzkrise das Format der G 20 entstanden. Der kommende G-20-Gipfel im Herbst 2015 im türkischen Antalya wird sich wiederum schwerpunktmäßig mit Fragen der globalen Finanzmarktregulierung und der Steuerharmonisierung befassen. 2015 dient der G-7-Gipfel natürlich auch besonders der Vorbereitung der beiden im Jahresverlauf anstehenden Konferenzen der Vereinten Nationen zu zentralen globalen Fragen: zum einen der Verabschiedung der Ziele zur nachhaltigen Entwicklung im Rahmen der Post-2015-Agenda in New York, zum anderen der internationalen Klimaschutzkonferenz am Jahresende in Paris. Die Herausforderungen der Globalisierung machen eine immer intensivere Zusammenarbeit zwischen den großen Weltregionen notwendig. Der Gipfel der EU mit der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten, CELAC, rückt erfreulicherweise Lateinamerika wieder stärker in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit. Denn auch wenn die Krisen- und Bedrohungslagen in Osteuropa, im Mittleren Osten und in Nordafrika, aber nicht zuletzt auch die dynamische wirtschaftliche Entwicklung Asiens viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Lateinamerika ist und bleibt für uns in Deutschland und Europa eine wichtige – wenn auch leider manchmal etwas aus dem Blick geratene – Partnerregion. Ich will in Erinnerung rufen: Beim EU-CELAC-Treffen kommen 61 Staaten zusammen. Das ist ein Drittel der Mitglieder der Vereinten Nationen, darunter fast die Hälfte der G-20-Staaten. Gemeinsam haben die EU und Lateinamerika eine Bevölkerung von über 1 Milliarde Menschen, und sie produzieren zusammen 40 Prozent des Weltsozialproduktes. Die EU ist der größte ausländische Investor in der Region und der zweitgrößte Handelspartner der lateinamerikanischen und karibischen Staaten. Mit kaum einer anderen Region der Welt sind wir Europäer historisch enger verflochten und kulturell stärker verbunden. Das bildet die Grundlage für gemeinsame Werte und eine dauerhafte Zusammenarbeit. Daran gilt es immer wieder anzuknüpfen – zum beiderseitigen Vorteil, aber auch in gemeinsamer Verantwortung. Deshalb wollen wir Bemühungen zu einer vertieften regionalen Zusammenarbeit in Lateinamerika ermutigen und unterstützen. Denn der Kontinent weist immer noch sehr unterschiedliche wirtschaftliche und politische Entwicklungen auf. Immer noch leben in Lateinamerika 180 Millionen Menschen in Armut, vor allem die indigene Bevölkerung. Der Zugang zu zentralen öffentlichen Gütern wie Bildung und Gesundheit ist für große Teile der Bevölkerung nicht gesichert. Leider bestimmen negative Schlagzeilen zu Armut und Inflation, Drogenkriminalität und Bürgerkrieg auch in unseren Medien noch viel zu häufig die Wahrnehmung der Region. Deshalb ist es so wichtig und richtig, dass die Bundesregierung den Aussöhnungsprozess in Kolumbien nachhaltig unterstützt. Wir begrüßen es, dass aus den Reihen des Bundestages der Kollege Tom Koenigs dabei eine wichtige Aufgabe übernommen hat, für die wir ihm gutes Gelingen und viel Erfolg wünschen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die katastrophale wirtschaftliche und humanitäre Entwicklung etwa in Venezuela kann eigentlich niemanden wirklich überraschen. Denn der Sozialismus des 21. Jahrhunderts der Herren Chávez und Maduro ist genauso gescheitert wie der des 20. Jahrhunderts. Eine Ausnahme sind vielleicht die Kollegen der Linken: Wenn man Ihren Antrag liest, in dem Sie noch einmal die sozialen Errungenschaften des Chavismus bejubeln, wird deutlich, dass Sie auch dort noch nicht in der Realität angekommen sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Leider ist in Venezuela eine friedliche und demokratische Veränderung nicht absehbar. In Kuba können wir zumindest ein hoffnungsvolles Signal der Öffnung -sehen. Argentinien bleibt weiterhin von Inflation und Abschottung gebeutelt, und ob die Präsidentschaftswahlen im November zu einem dringend notwendigen Neuanfang in diesem so sehr unter seinen Möglichkeiten bleibenden Land führen werden, bleibt abzuwarten. Demgegenüber setzen insbesondere die Länder der Pazifik-Allianz – Chile, Kolumbien, Mexiko und Peru – erfolgreich auf wirtschaftliche Öffnung und Marktwirtschaft. Sie wenden sich dabei auch verstärkt den besonders dynamischen Wachstumsmärkten Asiens zu. Das gilt übrigens auch umgekehrt: China plant in den kommenden zehn Jahren Investitionen von über 250 Milliarden Dollar in Lateinamerika. Dieses chinesische Engagement in der Region sollten wir aufmerksam verfolgen. Es sollte uns ein Ansporn sein, Lateinamerika unsererseits ebenfalls die notwendige Aufmerksamkeit zu widmen, um keine einseitigen Abhängigkeiten als reiner Rohstoffexporteur oder von einzelnen Handelspartnern entstehen zu lassen. Als größtes Land Lateinamerikas und als einer der BRIC-Staaten nimmt Brasilien wirtschaftlich und politisch eine Schlüsselstellung ein. Im Juli werden im Rahmen unserer strategischen Partnerschaft erstmals auch umfassende deutsch-brasilianische Regierungskonsultationen in Brasilia stattfinden. Wir können unsere Partner in Lateinamerika nur ermutigen, wirtschaftlich wie politisch auf verstärkte Zusammenarbeit und regionale Integration zu setzen. So wäre auch eine stärkere Annäherung von Pazifik-Allianz und Mercosur zweifelsohne wünschenswert, nicht nur, was die Größe und Relevanz des gemeinsamen Marktes angeht, sondern auch die grundsätzliche wirtschaftspolitische Ausrichtung. Dies könnte auch der Diskussion für ein Freihandelsabkommen zwischen dem Mercosur und der EU neue Impulse geben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade auch für die Menschen in Lateinamerika bietet das klare Bekenntnis zu menschenwürdiger Arbeit, nachhaltigem Wachstum und offenen Märkten große Chancen. Von Zusammenhalt geprägte und nachhaltige Gesellschaften müssen -unser gemeinsames Ziel sein: in Europa, in Lateinamerika und weltweit. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4934. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4935. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4936. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4937. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen und umfassend regulieren Drucksache 18/4839 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Klaus Ernst. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag steht – lassen Sie mich das zitieren –: Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren. Was wären die Kernfunktionen bei Leiharbeit? Zum Beispiel Auftragsspitzen abbauen, zum Beispiel Personalengpässe ausgleichen. Wir sind weit von dieser -Praxis entfernt, und ich kann bis jetzt noch keine Anstrengung der Koalition erkennen, das, was sie in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, auch umzusetzen. Wie ist die Praxis? Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen verdienen bis zu 30 Prozent weniger als die, die sonst im Betrieb fest beschäftigt sind. Leiharbeit wird eingesetzt, um den Kündigungsschutz zu umgehen. Dem Leiharbeitnehmer muss nämlich nicht gekündigt werden, wenn er aus dem Betrieb entfernt wird. Leiharbeit dient zur Disziplinierung der Stammbelegschaften, und Leiharbeit dient auch zur Durchlöcherung des Tarifsystems. Meine Damen und Herren, Sie betreiben zurzeit einen großen Aufwand, um möglichst schnell ein Gesetz zur Tarifeinheit herbeizuführen, über das wir morgen diskutieren. Wenn Sie wirklich etwas für die Tarifeinheit tun wollen – denn jeder Leiharbeitnehmer und jede Leiharbeitnehmerin steht außerhalb des Tarifvertragssystems der anderen –, dann schaffen Sie endlich klare Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und regulieren Sie Leiharbeit. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Verhindern Sie, dass dort Menschen, die dieselbe Tätigkeit wie die anderen ausführen, entweder in einem anderen Tarifvertrag oder – wie meistens – in gar keinem -beschäftigt sind. Da machen Sie nichts, sondern Sie schauen zu. Wenn Sie nur halb so schnell wie bei der -Tarifeinheit wären, die Sie gesetzlich regeln wollen, dann hätten wir für viele Hunderttausende von Menschen bessere Arbeitsbedingungen und nicht das, was wir gegenwärtig erleben. (Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Oder gar keine Arbeit!) Leiharbeit dient auch dazu, Streikbruch zu organisieren. Gegenwärtig ist das bei der Deutschen Post der Fall, die sich in einem Arbeitskampf befindet. Die Deutsche Post ist zum Teil im Eigentum des Bundes. Wir haben Anfragen gestellt, wie Sie dort die Tarifflucht verhindern wollen. Sie tun so, als würde Ihnen der Betrieb gar nicht gehören und als hätten Sie als Eigentümer null -Einfluss auf den Aufsichtsrat. Das ist unerträglich. Auch dort sage ich Ihnen: Wenn Sie wirklich etwas regeln wollen und Einfluss auf Leiharbeit nehmen wollen, dann verhindern Sie, dass bei der Post, deren Eigentümer Sie sind, Leiharbeiter als Streikbrecher eingesetzt werden. Das wäre einmal eine gute Idee. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zu Ihren Vorschlägen im Koalitionsvertrag. Sie sagen, die Überlassungsdauer solle bei Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern auf 18 Monate begrenzt werden. Gleichzeitig wollen Sie regeln, dass nach neun Monaten das gleiche Geld wie in der Stammbelegschaft zu zahlen ist. Warum eigentlich erst nach neun Monaten? (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Einarbeitungszeit!) – Einarbeitung. Da merkt man, dass Sie von der Praxis genauso viel Ahnung haben wie eine Kuh vom Fußballspielen. (Beifall bei der LINKEN – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Reden Sie nicht von Kühen!) Wenn Sie Ahnung hätten, würden Sie wissen, dass jeder, der neu im Betrieb anfängt, egal ob er Leiharbeitnehmer ist oder nicht, natürlich nicht dasselbe Geld bekommt wie einer, der schon zehn Jahre beschäftigt ist. Es gibt in jedem Betrieb so etwas wie Einarbeitung. Dass aber der Leiharbeitnehmer noch einmal schlechtergestellt werden soll als der, der normal im Betrieb neu anfängt, ist nicht hinzunehmen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ungerecht ist das!) Das ist auch deshalb nicht hinzunehmen, weil Sie genau wissen, dass in der Regel ein Leiharbeitnehmer im Schnitt gerade einmal drei Monate beschäftigt ist. Was würde es ihm nützen, wenn die Überlassungsdauer auf 18 Monate festgelegt wird, wenn er nur drei Monate beschäftigt ist? Was würde es ihm nützen, wenn er nach neun Monaten gleichen Lohn für gleiche Arbeit kriegt, wenn er dann gar nicht mehr im Betrieb ist? Es ist doch nichts anderes als ein Placebo, was Sie hier in Ihrem -Koalitionsvertrag vereinbart haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir haben inzwischen ein Riesenproblem. Ein Drittel der Beschäftigten in der -Metallindustrie sind als Leiharbeitnehmer oder als Werkvertragsbeschäftigte eingestellt. In der Automobilindustrie kommen auf 736 000 Stammbelegschaftsleute inzwischen 100 000 Leiharbeitnehmer und 250 000 Werkvertragsbeschäftigte. Da wäre Handeln dringend geboten. Sie aber sitzen dieses Problem einfach aus. Die Lage der Arbeitnehmer ist dramatisch: Zwei Drittel sind unter dem Niedriglohnsockel; sie sind oft Aufstocker und landen in Altersarmut. Meine Damen und Herren, was tun? Unsere Forderungen sind ganz einfach: Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit ab der ersten Stunde plus 10 Prozent wie in Frankreich! Warum soll der Arbeitnehmer in Deutschland schlechtergestellt werden als der Franzose? Warum? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es würde genügen, Leiharbeit für drei Monate zu akzeptieren. Dann müsste das in einen Vollzeitjob umgewandelt werden. Verbot von Streikbruch – ganz wichtig! Und: Synchronisationsverbot! Das heißt, der Leiharbeiter darf nicht nur für die Dauer, für die er verliehen wird, beim Verleiher eingestellt werden, sondern die Beschäftigung bei seinem Verleiher muss unbefristet sein. Das wären Regelungen, die dringend notwendig wären, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen zum Schluss: Die Linke ist eigentlich prinzipiell gegen Leiharbeit. Ich kann Ihnen sagen, -warum. Ein Arbeitgeber stellt einen Arbeitnehmer nur dann ein, wenn er weiß, dass dieser ihn weniger kostet, als er ihm bringt; sonst macht es für ihn keinen Sinn. Ein Arbeitnehmer in einem normalen Arbeitsverhältnis muss einem Arbeitgeber die Kohle bringen. Bei einem Verleiher ist noch einer da. Da muss der Arbeitnehmer praktisch zwei Arbeitgeber bedienen. Er muss sozusagen für zwei Arbeitgeber gewinnbringend sein. Deshalb wird er auch schlechter bezahlt als woanders. Deshalb sagen wir: Leiharbeit brauchen wir nicht! Machen wir Ordnung auf dem Arbeitsmarkt! Schauen wir, dass jeder anständig beschäftigt wird – Vollzeit, unter Geltung von Tarifverträgen – und nicht verliehen wird wie eine Kuh! Danke für das Zuhören. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Karl Schiewerling hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Kollege Ernst, wir kennen die Reden, die Sie halten, mittlerweile nahezu auswendig; sie werden dadurch nicht besser. Sie sind hier mit Abstand einer der Lustigsten unter der Sonne. Sie bringen permanent ein Beispiel mit der Kuh – und das auch noch bei dem Kollegen Stegemann, einem Milchlandwirt. Wenn Sie hier sagen, der habe keine Ahnung von Kühen, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Vom Fußballspielen, habe ich gesagt! Wie eine Kuh vom Fußballspielen! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Dessen Kühe spielen besser Fußball!) dann muss ich Ihnen sagen: Sie müssen das schon gut überlegen. Es geht übrigens auch nicht um das Verleihen von Kühen. (Beifall bei der CDU/CSU) Weil Sie gerade mit der Deutschen Post unterwegs sind, weil da gestreikt wird, will ich Ihnen am Anfang nur sagen – ich finde auch nicht alles toll, was da stattfindet –: Der Bund ist nicht Eigentümer der Post. Er hat gerade mal ein Aufsichtsratsmitglied. Er hat niemanden im Vorstand. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 21 Prozent!) Der Vorstand handelt. Der Aufsichtsrat führt Aufsicht, und da ist der Bund nur mit einer Person vertreten. -Deswegen gibt es Grenzen. Da Sie von Leiharbeit offensichtlich genauso viel -Ahnung haben wie von Unternehmensrecht, wissen Sie nicht, dass die Einflussnahme nicht gegeben ist. Im -Klartext: Da Sie das offensichtlich nicht wissen, will ich Ihnen einige Minuten Nachhilfe zum Thema Zeit- und Leiharbeit geben. (Zuruf von der LINKEN: Was ist denn der -Unterschied?) Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland über 42 Millionen erwerbstätige Menschen, davon über 30 Millionen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Es gibt 7,2 Millionen Minijobs. 1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler und Studenten haben Minijobs, 1,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner, 2 Millionen Menschen, die obendrauf Geld verdienen, neben ihrem normalen Einkommen, und 2 Millionen Menschen, die ausschließlich aus einem solchen Job Einkünfte haben. Daneben gibt es etwa 250 000 Menschen, die im haushaltsnahen Bereich tätig sind; eine besondere Situation. – Das sind die Rahmenbedingungen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 2,8 Millionen. Davon sind allerdings – das stimmt – 1,9 Millionen langzeit-arbeitslos. Es kommt darauf an, diese Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen. Was der Zusammenhang mit der Zeitarbeit ist, will ich Ihnen sagen: Zurzeit sind etwa 900 000 Menschen in der Zeitarbeit tätig. Das sind gerade einmal 2,6 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland. Ich rate Ihnen, Herr Ernst, hier nicht wiederum den Eindruck zu vermitteln, als sei ganz Deutschland in Zeit- und Leiharbeit angestellt. Das sind gerade einmal 2,6 Prozent. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt doch überhaupt niemand!) Und da Sie auf die Entwicklung eingegangen sind: Ja, es geht darum – das steht im Koalitionsvertrag –, über die Frage der Kernfunktion von Zeitarbeit nachzudenken. Aber die Kernfunktion von Zeitarbeit hat sich im Laufe der Zeit, seitdem es Zeitarbeit gibt, gewandelt. Die gesetzlichen Regelungen wurden aus gutem Grunde, weil man auf Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zeitnah und vernünftig reagieren musste, immer wieder vom Gesetzgeber entsprechend angepasst. Richtig ist auch, dass angesichts der Verwerfungen, die wir seit dem Jahr 2004 aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland hatten, manche meinten, alles und jedes müsste bis zur Unkenntlichkeit dereguliert werden. Deshalb haben einige – ja, das ist richtig – in der Zeit- und Leiharbeit Grenzen überschritten und geglaubt, sie könnten machen, was sie wollten. Aber das ist reguliert worden. Das haben wir in der letzten Koalition bereits gemacht. Das Problem, dass Leute einfach ausgegliedert wurden in einen Zeitbetrieb desselben Unternehmers, wie es bei der sogenannten Schlecker-Drehtür der Fall war, haben wir bereits angepackt und unterbunden. Wir haben mittlerweile 98 Prozent aller Zeit- und Leiharbeiter in Tarifverträgen, und wir haben mittlerweile einen allgemein verbindlichen, anerkannten Mindestlohn, der im Westen bei 8,80 Euro und im Osten bei 8,50 Euro liegt und der in weiteren Schritten bis 2016 angepasst und um 10 bis 13,4 Prozent erhöht wird. Deswegen gibt es in der Zeit- und Leiharbeit kein blankes Elend und keine Verelendung. Vielmehr haben wir dort eine ganze Menge reguliert und nach vorne gebracht. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es gibt immer noch Ungerechtigkeiten!) Insofern rate ich Ihnen, sich mit Ihrem Antrag zurückzuhalten, insbesondere was so eine verrückte Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von 10 Euro angeht. Das bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen, (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) dass es zu einem Überbietungswettbewerb käme, wenn wir hier im Deutschen Bundestag die Höhe des Mindestlohns festlegen würden. Deswegen bin ich froh, dass wir eine Mindestlohnkommission haben, die sachgerecht die entsprechenden Entscheidungen trifft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will Ihnen noch einmal einige wenige Zahlen zur Zeit- und Leiharbeit nennen: 55 Prozent aller neuen -Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die seit 2014 in Zeit-arbeitsunternehmen tätig werden, waren zuvor arbeitslos. 10 Prozent aller Zeitarbeitnehmer, die dort tätig sind, waren zuvor noch nie beschäftigt. 29 Prozent aller -Zeitarbeitnehmer haben keinen Berufsabschluss. Ich sage Ihnen: Zeitarbeit und Leiharbeit sind von ihrer Kernfunktion immer noch das, und zwar in verstärktem Maße, was sie ursprünglich waren, nämlich neben dem Abfangen von Auftragsspitzen auch für viele, ob uns das passt oder nicht, eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt. Das Instrument wirkt also. (Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das schlechteste Instrument!) Das ist nicht umsonst 2004 in entsprechender Weise organisiert worden (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man anders organisieren!) und entfaltet nicht umsonst jetzt seine entsprechende Wirkung. Ich will Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, dass wir -natürlich auch Verwerfungen sehen. Aber Verwerfungen gibt es in jeder Branche. Ich habe gestern auf Einladung der Präsidentin der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld, unserer Kollegin Lena Strothmann, ein Gespräch mit Wirtschaftsjunioren aus dem deutschen Handwerk geführt. Wenn mir in der Diskussion ein -Malermeister aus dem Rhein-Main-Gebiet erzählt, dass er mit Zeitarbeits- und Leiharbeitsunternehmen zu tun hatte, die sich offensichtlich nicht an Recht und Ordnung halten, und er als Malermeister schon nicht bezahlte -Sozialabgaben nachzahlen musste, weil der Betrieb, der entliehen hat, das nicht getan hat, dann sage ich Ihnen: Das sind Situationen, die wir nicht gutheißen können. Aber das, was diese Unternehmen machen, ist illegal, verstößt gegen Recht und bestehende Gesetze. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat der Malermeister eingestellt?) Wir können nicht permanent noch weitere Gesetze machen. Wenn gegen bestehende Gesetze verstoßen wird, dann müssen die Dinge vernünftig kontrolliert und auch angepackt werden. Deswegen sind die Zeit- und Leiharbeitsbranche und die entsprechenden Unternehmerverbände aufgefordert, die Spreu vom Weizen zu trennen und dafür zu sorgen, dass es Ordnung in ihrer Branche gibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu Ihrem Hinweis betreffend die Werkverträge: Die Werkverträge sind ein uraltes Instrument, geregelt im BGB seit über 100 Jahren. Zu Problemfällen, die wir in letzter Zeit hatten, gibt es Richterrecht. Außerdem gibt es klare Abgrenzungen, Kriterien und Definitionen gegenüber der Zeit- und Leiharbeit sowie anderen Beschäftigungsformen. Wenn es Missbrauch gibt, ist auch dort Kontrolle auszuüben. Wir können uns hier bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit informieren. (Zuruf des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Diese Stelle hat mittlerweile viel Erfahrung in diesem Bereich gesammelt und kann uns sagen, wie wir Kontrolle ausüben können. Wir sollten uns aber wirklich gut überlegen, ob wir zusätzliche Gesetze brauchen. Wenn die bestehenden Gesetze und Regelungen, die durch Richterrecht geschaffen worden sind, offensichtlich in der Praxis nicht richtig angewandt werden, dann muss man bei der Kontrolle ansetzen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zu wenig! Die Richter wollen auch Kriterien! Das hat die Anhörung ergeben!) Herr Ernst, was Sie wollen, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Abschaffung der Zeit- und Leiharbeit; (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!) das haben Sie deutlich gesagt. Es ist ehrlich, dass Sie das so gesagt haben. Aber dann sagen Sie es auch so; (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Habe ich ja gesagt! Sie sagen ja selber, dass ich es gesagt habe!) dann können Sie Ihre Rede auf einen Satz reduzieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke das Wort. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zersplitterung der Tariflandschaft ist ja gerade das große Thema der Koalitions-fraktionen. Verantwortlich machen Sie dafür die Tarifpluralität, also die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften. Tatsächlich zersplittert die Tariflandschaft aber durch Scheinwerkverträge, Leiharbeit und Scheinselbstständigkeit. Also lassen Sie das, was Sie mit dem Gesetz zur Tarifeinheit vorhaben, und kümmern Sie sich endlich um die echten Probleme! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit Werkverträgen und Leiharbeit unterlaufen die -Arbeitgeber den Kündigungsschutz, die betriebliche Mitbestimmung, die Bezahlung nach Tarif und somit den sozialen Schutz der Beschäftigten. Gewerkschaftliche Errungenschaften stehen damit nur noch auf dem -Papier. So wird der gesellschaftliche Konsens der Sozialpartnerschaft aufgekündigt. So zersplittern die Belegschaften. Das ist nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist also gut, dass die Linken heute dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Die Debatte ist notwendig. Inhaltlich sind wir uns an manchen Stellen einig, aber nicht in jedem Punkt. Darüber werden wir aber im Ausschuss noch ausführlich diskutieren. Zum Thema Leiharbeit: Für uns Grüne ist und bleibt die Leiharbeit ein Instrument für mehr Flexibilität. Heute profitieren die Unternehmen von der Leiharbeit aber doppelt. Sie erhalten Flexibilität und billigere Arbeitskräfte. Diese Fehlentwicklung wollen wir korrigieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Korrektur geht nur über den Preis. Deshalb wollen auch wir Equal Pay ab dem ersten Tag. Auch wir wollen einen Flexibilitätsbonus von 10 Prozent. Für die Betriebe lohnt sich Leiharbeit dann nur vorübergehend, und die Beschäftigten erhalten dann endlich einen fairen Lohn und somit Anerkennung und Wertschätzung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Koalitionsfraktionen planen hingegen, Equal Pay erst nach neun Monaten vorzuschreiben. Das macht überhaupt keinen Sinn; denn die wenigsten Leiharbeitskräfte werden davon profitieren. Wir alle wissen – das wurde schon angesprochen –, dass die Leiharbeitskräfte in der Mehrzahl schon nach drei Monaten wieder arbeitslos sind. Liebe SPD, ich finde, das ist schon hart: Die Wartezeit von neun Monaten, das war ein Vorschlag von der FDP. Das wurde von Ihnen in der letzten Legislatur-periode heftigst kritisiert. Ich höre noch immer die permanenten Zurufe aus Ihrer Fraktion in der damaligen Debatte. Das heißt, Sie sind an diesem Punkt heftig eingeknickt. Daran werden wir Sie immer wieder erinnern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wären Sie auch, wenn Sie an der Regierung wären!) Wir wollen übrigens keine Höchstüberlassungsdauer. Auftragsspitzen sind unterschiedlich je nach Branche. „Vorübergehend“ bedeutet nun einmal „nur auf Zeit“, je nach besonderen Auftragslagen. Diese Definition ist ausreichend, damit Betriebsräte oder eben auch Gerichte tätig werden können. Die geplante Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten – aber auch eine Höchstüber-lassungsdauer von drei Monaten – lehnen wir ab; denn dadurch entstehen nur Drehtüreffekte. Entleihbetriebe, die die Beschäftigten nicht übernehmen wollen, sondern weiterhin auf billigere Arbeitskräfte setzen, geben doch ganz einfach die Leiharbeitskräfte nach neun Monaten oder spätestens nach 18 Monaten zurück. Und das geht nur zulasten der betroffenen Leiharbeitskräfte. Deshalb lehnen wir diese Regelungen ab. Sie sind nicht gerecht und auch nicht fair. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt zu den Werkverträgen – die Entwicklung dort ist eigentlich das größere Problem –: Die menschenunwürdigen Bedingungen durch Werkverträge in der Fleischbranche sind bekannt; die kennen wir alle. Im Einzelhandel gibt es die Regaleinräumerinnen und -einräumer, und mittlerweile wird der gesamte Kassenbereich über Werkverträge organisiert. Im Druckbereich werden Schichten, aber auch der Betrieb von ganzen Rotationsmaschinen per Werkvertrag vergeben. Fündig werden wir auch in Hotels, im Transportbereich, natürlich in der Metallbranche. Bei den Werkverträgen sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Häufig leisten die Beschäftigten mit Werkvertrag die gleiche Arbeit auf demselben Betriebsgelände wie die Kolleginnen und Kollegen mit einem regulären Arbeitsvertrag, allerdings oft für deutlich weniger Lohn. Und wenn irgendetwas am Arbeitsplatz nicht stimmt, dann können sie sich nicht einmal beim Betriebsrat beschweren. Denn der ist für sie nicht zuständig. Das alles geht gar nicht. Für uns hört die unternehmerische Freiheit bei Lohndumping auf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Denn bei solchen Werkverträgen geht es darum, Lohnkosten einzusparen. Es geht um Tarifflucht von einem guten in einen schlechteren Tarifvertrag. Und häufig besteht überhaupt keine Tarifbindung mehr. Vor kurzem ist ja die Studie der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht worden; darin sind die Folgen beschrieben. Heute sind nur noch 35 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Der Lohnunterschied zwischen den Betrieben mit und ohne Tarifbindung ist gestiegen, und zwar auf 19 Prozent. Wenn der Anstand in Teilen der Wirtschaft verloren geht, dann müssen die Rahmenbedingungen verändert werden zum Schutz der Beschäftigten, aber auch zum Schutz der verantwortungsvollen Betriebe. Notwendig sind eindeutige Kriterien. Wenn Werkverträge für fachfremde Arbeiten mit gelegentlichem -Charakter oder für spezialisierte Tätigkeiten eingesetzt werden, dann ist das unbedenklich. Das entspricht einer modernen Arbeitswelt. Problematisch wird es aber, wenn Werkvertragsbeschäftigte die gleichen Tätigkeiten verrichten wie das Stammpersonal oder bisherige Tätigkeiten, die dem Wesen des Betriebs entsprechen, per Werkvertrag vergeben werden. Dann ist das kein „Werk“, sondern dann handelt es sich schlichtweg um nichts anderes als Scheinwerkverträge und Tarifflucht. Die Arbeitswelt ist schon heute gespalten, und die Fehlentwicklungen durch Scheinselbstständigkeit und Scheinwerkverträge werden das noch verschärfen. Diese Entwicklung muss endlich gestoppt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition, Sie haben wegen des verfassungswidrigen Tarifeinheitsgesetzes wertvolle Zeit verloren. Ich sage es noch einmal: Die Tariflandschaft und die Belegschaften zersplittern nicht wegen der Tarifpluralität, sondern aufgrund von Scheinwerkverträgen, Leiharbeit und Tarifflucht. Nehmen Sie diese Entwicklung endlich ernst! Ankündigungen sind aber zu wenig. Legen Sie endlich etwas auf den Tisch! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Katja Mast (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden über die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen, aber ich will am Anfang meiner Rede doch noch einmal klarstellen: Für uns in der Regierungskoalition ist die Frage der Stärkung der Tarifautonomie eine ganz zentrale. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Stegemann [CDU/CSU]) Deshalb haben wir den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, die Möglichkeit für All-gemeinverbindlichkeitserklärungen verbessert und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen geöffnet. Ursprünglich wollten wir all das gemeinsam mit dem Gesetz zur Tarifeinheit verabschieden, haben dann aber wegen der heiklen verfassungsrechtlichen Fragen gesagt: Da müssen wir noch etwas mehr Gehirnschmalz hineinlegen als in die genannten Punkte, die in der Tat einfacher zu regeln waren. Sich hier nun hinzustellen und uns zu sagen: „Sie beschäftigen sich mit Tarifeinheit und kümmern sich nicht um Tarifautonomie“, halte ich an der Stelle für eine Unverschämtheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Bezüglich Leiharbeit und Werkverträgen ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten klar, dass im Betrieb gelten muss: gemeinsam arbeiten, gleich verdienen und gleich behandelt werden. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ach!) Das ist für uns Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. (Beifall bei der SPD) Dass das nicht immer der Fall ist, haben einige meiner Vorredner ja schon gesagt. Es gibt in den Betrieben eine Zwei- und Dreiklassenbelegschaft. Es ist beispielsweise so, dass es in der Automobilindustrie in der Montage eine Stammbelegschaft, Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit -einem Werkvertrag gibt. Die Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer verdienen ungefähr 30 Prozent weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem Werkvertrag ungefähr 70 Prozent weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen. Klar ist: Zu einer sozialen Marktwirtschaft gehört, dass diejenigen, die das Gleiche tun, das Gleiche verdienen müssen. Deshalb ist es richtig, dass Leiharbeit und Werkverträge reguliert werden. (Beifall bei der SPD) Die IG Metall hat eine Umfrage zu diesem Thema durchgeführt – der Kollege Ernst hat es vorhin schon erwähnt – und festgestellt: In der Automobilindustrie stellen ungefähr 760 000 Kolleginnen und Kollegen die Stammbelegschaft, 100 000 Kolleginnen und Kollegen sind Leiharbeiter und 250 000 in Werkvertragskonstellationen. Es besteht dort also ein Verhältnis von 2 : 1. In der Luftfahrt stellen 73 000 Kolleginnen und Kollegen die Stammbelegschaft, 10 000 Kolleginnen und Kollegen sind Leiharbeiter und 10 000 Kolleginnen und Kollegen in Werkvertragskonstellationen. Zum Dienstleistungsbereich: In Krankenhäusern – dazu liegen zurzeit mehrere Petitionen im Petitionsausschuss vor – gibt es beispielsweise die Tendenzen, ganze Krankenhauseinheiten auszugliedern und Aufträge über Werkvertragskonstellationen zu vergeben. Zu sagen: „Es gibt kein Problem“, negiert diese Realität in den Betrieben in unserem Land. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Wenn wir sagen: „Wir in der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD wollen Leiharbeit und Werkverträge regulieren“, dann geht es uns nicht nur darum, zu erklären: Das ist für die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb nicht in Ordnung. Vielmehr ist das auch für die ehrlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nicht in Ordnung; denn am Schluss sind sie die Dummen. Sie werden dann durch den Konkurrenzdruck dazu gezwungen, ähnliche Betriebspraktiken einzuführen. Wer glaubt, dass das nicht der Fall sei, sollte sich einmal die aktuellen Debatten bei DHL und Post sowie in den Krankenhäusern ansehen. Da sehen wir sehr genau, was passiert. Es gibt Unternehmen mit einer guten Mitbestimmung und gut ausgestatteten Arbeitssituationen, die in weniger stark tarifgebundene und mitbestimmte Strukturen gehen, eben in Richtung Werkvertragskonstellationen. Genau deshalb muss das Parlament handeln. Wir können nicht zuschauen; denn an dieser Stelle ist die soziale Marktwirtschaft in Gefahr. (Beifall bei der SPD) Im Betrieb sieht das dann oft so aus, dass die Kolleginnen und Kollegen in Leiharbeit oder mit Werkverträgen unterschiedliche Arbeitskleidung haben, unterschiedliche Preise in der Kantine bezahlen und nicht auf den gleichen Parkplätzen parken dürfen etc., weil sie eben keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stammbelegschaft sind. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Leiharbeit regulieren. Alle, die diese Debatte schon länger verfolgen, wissen: Die SPD hätte sich ein bisschen mehr vorstellen können als das, was im Koalitionsvertrag steht. Aber wer glaubt, da sei keine Musik drin, irrt. Denn wir bekommen laufend Anfragen von Verbänden, Unternehmen und Arbeitnehmerorganisationen, die mit uns über dieses Thema reden wollen, und zwar sehr intensiv. Also, da ist ordentlich Musik drin. Bei der Leiharbeit wollen wir definieren, was der Gesetzgeber unter „vorübergehend“ versteht. Nachdem wir uns da lange Zeit gelassen haben, bin ich froh, dass wir jetzt eine Regelung gefunden haben und unter „vorübergehend“ grundsätzlich 18 Monate verstehen. Wir wollen Leiharbeit auf ihre Kernfunktion zurückführen. Wir wollen sie also nicht abschaffen, sondern auf ihre Kernfunktion zurückführen. Wir wollen, dass sie ein Instrument ist, um bei Auftragsspitzen und zu Urlaubszeiten schnell zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bekommen. Wir wollen aber nicht ganze Produktionszyklen oder sogar mehrere Produktionszyklen über Leiharbeit organisieren. Wir wollen, dass spätestens nach neun Monaten gilt: gleiches Geld für gleiche Arbeit. Liebe Beate Müller-Gemmeke, natürlich hätten wir es gerne gesehen, wenn das noch früher gelten würde. Aber Koalitionen sind Bündnisse auf Zeit. Wir können uns im nächsten Bundestagswahlkampf darüber streiten, was wir uns vornehmen. Aber die Regelung mit den neun Monaten ist an der Stelle immerhin besser als nichts. (Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir wollen nicht, dass Leiharbeitnehmer als Streikbrecher eingesetzt werden. Und wir wollen eine gesetzliche Klarstellung, dass die Zahl der Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Schwellenwerte für Mitbestimmung einbezogen wird, sodass die Firmengröße bei den Betriebsratswahlen tatsächlich abgebildet wird. Wir stellen aber eines fest: In der Leiharbeit stagnieren seit 2011, als wir durchgesetzt haben, dass es dort einen Mindestlohn gibt, die Beschäftigtenzahlen, während Werkvertragskonstellationen zunehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht das eine regulieren, ohne das andere im Auge zu behalten. Deshalb wollen wir auch Werkverträge regulieren, rechtswidrige Vertragskon-struktionen zulasten der Arbeitnehmer verhindern, die Kontroll- und Prüftätigkeiten bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit konzentrieren. Wir wollen die Informations- und Unterrichtungsrechte der Betriebsräte sicherstellen und Abgrenzungskriterien, die durch Rechtsprechung geschaffen wurden – das hat mein Kollege Schiewerling auch schon gesagt –, gesetzlich niederlegen. All das steht im Koalitionsvertrag. Wir werden da ab Herbst ganz gut zu tun haben. Zur Frage der Abschaffung von Werkverträgen – ja oder nein – zitiere ich kurz mit Zustimmung der Präsidentin den IG-Metall-Vorsitzenden Detlef Wetzel – Vizepräsidentin Petra Pau: Mit Blick auf die Uhr. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schnelles Zitat!) Katja Mast (SPD): – ja, ganz kurz –: „Ich habe nichts gegen Werkverträge generell“, sagte Wetzel im SPIEGEL. „Ich habe aber entschieden etwas dagegen, wenn sie genutzt werden, das Lohnniveau massiv zu drücken.“ Die von der IG Metall erhobenen Zahlen zeigten, dass – davon habe ich gerade schon gesprochen – „weite Teile der deutschen Wirtschaft den Gesellschaftsvertrag des Landes aufkündigen wollen“, so Wetzel. „Das ist ein Anschlag auf die soziale Marktwirtschaft.“ Da hat er recht. Deshalb diskutieren wir ab Herbst über die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen in der Koalition. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Albert Stegemann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Albert Stegemann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Und täglich grüßt das Murmeltier, ein weiterer Antrag Ihrer Partei, ein weiteres Schreckensszenario auf dem Arbeitsmarkt und ein weiterer Ruf nach staatlichen Eingriffen. Wenn ich Ihre Begründung lese, werde ich das Gefühl nicht los, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt vorindustrielle Zustände grassieren müssen. Ich lese von einem „Klima der Angst“ bei den Arbeitnehmern. Arbeitgeber würden jedwede Möglichkeit nutzen, um geltende Regelungen zu umgehen und ihre Mitarbeiter unter Druck zu setzen. Sie schmeißen Werkverträge und Zeitarbeit lustig in einen Topf und negieren, dass solche Formen der Beschäftigung ihren festen Platz auf dem Arbeitsmarkt haben. Hierbei blenden Sie drei Punkte aus. Punkt eins. Sie erwähnen mit kaum einem Wort, dass sich in der Zeitarbeit die Situation grundlegend verbessert hat. (Zurufe von der LINKEN) Die vielen gesetzlichen und tariflichen Änderungen sparen Sie aus: Zeitarbeit ist ein gut regulierter und spezieller Teil des Arbeitsmarktes, der Menschen auch Chancen bietet. Punkt zwei. Werkverträge sind selbstverständlicher Bestandteil des Wirtschaftslebens. Sie sind Grundpfeiler einer arbeitsteiligen Wirtschaft, deren Kriterien in der Rechtsprechung vollumfänglich behandelt wurden. Punkt drei – schließlich als Letztes. Sie streuen den Menschen leichtfertig Sand in die Augen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir? Ja, klar!) Sie fordern Einschnitte mit dem Vorschlaghammer, sagen aber nichts über deren gravierende Auswirkungen. Sie schaden damit nicht nur den Unternehmen, sondern Sie verschließen Menschen auch eine Zukunft für sich und ihre Familien. Eine Beschäftigung bietet immer auch eine Perspektive, Selbstbestätigung und Chancen auf ein besseres Leben. So möchte ich im Folgenden diese drei Punkte weiter ausführen und beginne mit Punkt eins, der Zeitarbeit. In keinem anderen Wirtschaftsbereich ist die Tarifbindung heute so hoch wie in der Arbeitnehmerüberlassung. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich kann dieses Argument nicht hören!) Und wir reden hier nicht über irgendwelche Tarifverträge. In ganz intensiven – und sicherlich nicht immer einfachen – Verhandlungen haben Arbeitgeber und der Deutsche Gewerkschaftsbund diese gemeinsam unterzeichnet. Seit 2011 gibt es einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn in der Zeitarbeit. Das, was wir uns seitens der Politik wünschen und mit den Gesetzen, wie zum Beispiel dem Tarifautonomiestärkungsgesetz, fördern wollen, hat hier in der Praxis funktioniert. Die Tarifpartner haben sich zusammengesetzt und haben ihre Hausaufgaben gemacht. Darüber hinaus hat die Bundesregierung umfassende gesetzliche Änderungen auf den Weg gebracht: zum Ersten die Abschaffung der Drehtürklausel, zum Zweiten Verbot der konzerninternen Überlassung und schließlich die Einführung von Equal Pay ab dem ersten Tag, zumindest dann, wenn ein Tarifvertrag vorliegt. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Stegemann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Ernst? Albert Stegemann (CDU/CSU): Von mir aus. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mutig, mutig!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herzlichen Dank für die Freundlichkeit. – Ich habe folgende Fragen an Sie. Meine erste Frage lautet: Mit welcher Begründung sollen Ihrer Ansicht nach Menschen, die exakt dieselbe Tätigkeit im selben Unternehmen machen, in den ersten neun Monaten unterschiedliche Löhne bekommen? Warum nicht sofort gleiche Löhne? Warum werden die, die über eine Leiharbeitsfirma ins Unternehmen kommen, nicht genauso behandelt wie neu im Betrieb eingestellte Beschäftigte? Meine zweite Frage lautet: Warum akzeptieren Sie, dass bei vollkommen gleicher Tätigkeit für Leiharbeitnehmer und Festangestellte in einem Betrieb unterschiedliche Tarife gelten – Sie haben gerade von hoher Tarifbindung bei Leiharbeit gesprochen –, wenn Sie gleichzeitig offiziell als Regierung die Position vertreten, dass Tarifeinheit gelten soll, dass also die Beschäftigten in einem Betrieb bitte schön dem gleichen Tarifvertrag unterliegen sollen? Albert Stegemann (CDU/CSU): Zu Ihrer ersten Frage: Wir brauchen ganz klar eine Einarbeitungszeit für die Mitarbeiter. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die brauchen die anderen Angestellten auch!) Wir haben es hier teilweise mit einer speziellen Klientel zu tun, (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wieso das denn? – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Das ist doch stigmatisierend!) die eine gewisse längere Einarbeitungszeit braucht. Sie müssen den Zeitarbeitsfirmen auch zugestehen, dass sie Schulungen und Bildungsmaßnahmen fördern. Sie müssen das anerkennen. Ich habe das selbst miterlebt. Ich war zum Beispiel bei einem Bewerbungsgespräch bei einer Zeitarbeitsfirma dabei und habe erlebt, mit welchem Engagement und mit welchem Fingerspitzengefühl die Personaldisponenten hier vorgehen. Teilweise bringen sie sehr individuelle Maßnahmen und spezielle Unterstützung für ihre Klientel auf den Weg. Es war für mich ein beeindruckendes Erlebnis, mit wie viel, auch sozialem, Engagement hier vorgegangen wird. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!) Sie werden das lächerlich finden, aber ich habe selbst erlebt, wie man Menschen eine Chance gibt, die vorher keine Chance hatten. Ohne entsprechende Maßnahmen hätten sie sicherlich keinen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt gefunden. Das ist der entscheidende Grund. Wenn unterstützende, begleitende Maßnahmen für eine gute Einarbeitung notwendig sind, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es ganz andere!) dann muss ermöglicht werden, dass in der Einarbeitungszeit der Lohn flexibel ist, bevor Equal Pay gilt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Tarifverträge! Das war meine zweite Frage!) – Dazu komme ich später. Ich fahre jetzt in meiner Rede fort. Das Instrument der Arbeitnehmerüberlassung – das habe ich gerade ausgeführt – stellt eine hervorragende Möglichkeit für den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt dar. Das gilt insbesondere, wie auch schon gesagt, für Menschen mit geringer Qualifikation, die sonst nur ganz wenige Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Zahlen belegen dies – sie wurden auch schon angeführt –: 60 Prozent waren vor ihrer Beschäftigung arbeitslos, und 50 Prozent arbeiten im Helferbereich. Und machen wir uns nichts vor: Eine Studie des IAB aus dem vergangenen Jahr belegt, es gibt immer weniger Jobs mit sogenannter Helfertätigkeit in unserem Land, die Geringqualifizierte für ihren Einstieg ins Berufsleben so dringend benötigen. Unser aller Ziel ist es, dass Langzeitarbeitslose in das Arbeitsleben zurückkehren können. Wir dürfen diese Menschen nicht aufgeben. Niemals! Die Bundesregierung legt viele Programme auf, die viel Geld kosten, um die Betroffenen zu erreichen. Aber viel zu häufig fehlt in der Praxis der direkte Bezug zum Arbeitsmarkt. Zeitarbeitsfirmen schaffen das jedoch. Vor diesem Hintergrund sollten wir diese Tür nicht leichtfertig verschließen. Sicherlich: Die Unternehmen verdienen auch Geld damit. Aber warum nicht? Gerade deshalb sind viele mit viel Kreativität und Energie unterwegs. Sie fahren Mitarbeiter zum Arbeitsplatz und vermitteln in ungewohnte Tätigkeiten. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das habe ich ja noch nie gehört!) Nicht immer klappt dies, und das hält auch nicht immer für längere Zeit, aber eine gute Chance ist es allemal. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Stegemann, es gibt von der Kollegin Zimmermann einen weiteren Wunsch nach einer Frage oder Bemerkung. Albert Stegemann (CDU/CSU): Ich würde jetzt gerne meine Rede zu Ende führen. Punkt zwei, Werkverträge. Auch hier wäre es zur Abwechslung schön, von Ihrer Seite einmal eine andere Platte als die des Missbrauchs der Werkverträge vorgespielt zu bekommen. Mehr als 95 Prozent der Werkverträge in unserem Land sind nicht zu beanstanden. Der Gang zum Friseur: ein Werkvertrag! Oder bringen Sie Ihre eigene Schere mit zum Friseur? Nein, Sie kaufen ein fertiges Produkt. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gar nicht!) Die neue TÜV-Plakette in der Autowerkstatt: ein Werkvertrag! (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niemand redet darüber! Einfach zuhören!) Aber auch der Auftrag eines Unternehmens an eine andere Firma, um die Fenster oder Büroräume zu einem festen Preis zu reinigen: ein Werkvertrag! Und wenn ein Autokonzern die Entwicklung eines speziellen Bauteils an eine Fremdfirma auslagert, ist das auch ein Werkvertrag. Damit geht aber doch nicht automatisch Lohndumping einher. Ein Produkt ohne eigenen Aufwand und Risiko zu kaufen, das ist Teil der unternehmerischen Freiheit. Sicherlich müssen wir sehen, dass es in den vergangenen Jahren auch hier schwarze Schafe gegeben hat. Nun aber direkt mit der Schrotflinte das Problem aus der Welt schaffen zu wollen, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit welcher Schrotflinte denn?) da sage ich Ihnen: Sie treffen mit Sicherheit vor allem die Falschen. Abschließend möchte ich zu Punkt drei kommen und damit zu meiner Bewertung Ihres Antrags. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen von der Linken, Zeitarbeit und Werkverträge sind konstruktive Elemente auf dem -Arbeitsmarkt. Sie sind notwendig für das Funktionieren einer arbeitsteiligen Wirtschaft in einer globalen Welt. Die Zeitarbeit ist heute weitgehend reguliert und kein Massenphänomen. Da, wo sich die Anforderungen zulasten einer Gruppe verschieben und wo Tarifparteien nicht gestalten können, gibt es allerdings Handlungsbedarf seitens der Politik. Diesem sind wir in der Vergangenheit nachgekommen, und wir werden dies auch weiterhin tun. So haben die Regierungsparteien klug entschieden, Missbrauch anzugehen. In den nun anstehenden Verhandlungen wird noch zu klären sein, wie wir den Realitäten des modernen Arbeitens und den Chancen der Zeitarbeit Rechnung tragen können. Ich möchte Ihnen keineswegs die guten Absichten absprechen. Der Schutz des Einzelnen in der Arbeitswelt ist ein hohes Gut. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Die Maßgabe kann aber nicht lauten: Viel hilft viel. Schaffen Sie keine Branche ab, nur weil einige Dinge nicht funktionieren! Lieber Herr Ernst, Sie würden doch auch nicht Ihren Porsche verschrotten, nur weil der Aschenbecher voll ist. (Heiterkeit – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Er raucht gar nicht!) Wir sollten die guten Seiten dieser Beschäftigungsform bewahren und an den Defiziten schrauben. Zu diesem konstruktiven Gespräch lade ich Sie herzlich ein. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausbeutung hat auf dem Arbeitsmarkt viele Namen. Ein Name davon: Werkverträge. Das Problem ist: Die Zahl der Missbräuche steigt. Mittlerweile stehen Werkverträge für Lohnbetrug, für ungerechte Bezahlung, für unwürdige Behandlung von Beschäftigten und für die Spaltung ganzer Belegschaften. Das hat nichts damit zu tun, was Werkverträge einmal waren, Herr Schiewerling. Es geht nicht mehr darum, dass Spezialaufgaben in den Betrieben von externen Dienstleistern übernommen werden, zum Beispiel die Elektrik im Krankenhaus oder das Fliesenlegen im Metallbetrieb. Werkvertragsbeschäftigte übernehmen heute ganz reguläre Arbeiten in Betrieben, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sie ersetzen Stammbeschäftigte, und das zu Bedingungen weit unter Tarifstandards. Das geht doch alles gar nicht! (Beifall bei der LINKEN) Beispiele wie die Wareneinräumer im Einzelhandel gibt es genug. Über die Baubranche und die Fleischindustrie haben wir hier auch schon geredet. Der Missbrauch von Werkverträgen ist mittlerweile ein Flächenbrand. (Beifall bei der LINKEN) Dagegen muss unbedingt etwas unternommen werden! Was aber macht die Regierung? Sie begnügt sich mit Ankündigungen und lässt sich Zeit. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Aussitzen von Problemen. Das möchten wir nicht. (Beifall bei der LINKEN) Fantasielos ist auch die Ankündigung selbst: Die Bundesarbeitsministerin stellt in Aussicht, dass der Zoll kontrollieren soll, ob in den Unternehmen illegale -Werkverträge zur Anwendung kommen. Was sollen die Kolleginnen und Kollegen vom Zoll denn noch alles kontrollieren? Schwarzarbeit, Mindestlohn, Arbeitnehmerüberlassung – die sind doch heute schon völlig überlastet. Das geht doch auch alles gar nicht! (Beifall bei der LINKEN – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Sie wollen für jeden Betrieb einen bestellen!) Anstatt sich engagiert mit dem Problem zu beschäftigen, will die Bundesregierung dieses Problem nur mit der Kneifzange anpacken. Ein bisschen Frieden reicht uns nicht, ein bisschen Regulieren von Werkverträgen auch nicht. (Beifall bei der LINKEN) Zwei Punkte aus unserem Antrag möchte ich gerne herausgreifen, die für eine konsequente Regulierung von Werkverträgen entscheidend sind. Punkt eins: Stichwort „Mitbestimmung“. Betriebs- und Personalräte müssen ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht beim Einsatz von Fremdfirmen in Unternehmen erhalten. (Beifall bei der LINKEN) Informationsrechte, wie sie die Regierung im Koalitionsvertrag angekündigt hat und die teilweise auch schon vorhanden sind, reichen nicht aus. Betriebsräte müssen den Einsatz von Fremdfirmen verhindern können. Nutzen wir den Sachverstand dieser Kolleginnen und Kollegen! Die wissen sofort, ob mit Werkverträgen Tarifstandards unterlaufen werden sollen oder nicht. Punkt zwei. Auch legale Werkverträge werden genutzt, um Lohndumping zu betreiben. Selbst wenn Werkverträge rechtskonform angewandt werden, wenn also die Arbeit von Werkvertragsunternehmen völlig in Eigenregie erbracht wird, kann es sich um Tarifflucht handeln. Tarifflucht liegt eindeutig immer dann vor, wenn diese Arbeiten von dem Betrieb vorher selbst erledigt wurden. Eine gesetzliche Regulierung muss auch diesem Sachverhalt Rechnung tragen. Die Regierung scheint das völlig zu ignorieren. (Beifall bei der LINKEN) Wir Linke sagen: Bei der Auftragsvergabe an Fremdfirmen, die die gleiche Arbeit verrichten, muss auch für deren Beschäftigte ein Gleichbehandlungsgebot festgeschrieben werden. Mit anderen Worten: gleicher Lohn für Stammbeschäftigte und Werkvertragsbeschäftigte in einem Betrieb! Nur so kann Tarifflucht schon im Ansatz ausgetrocknet werden. Ich möchte zum Schluss auf ein Problem aufmerksam machen, das uns auch hier im Bundestag unmittelbar betrifft bzw. das wir erlebt haben. Es geht um das Thema Scheinselbstständigkeit. Es ist beschämend, dass der Bundestag als Arbeitgeber über Jahre hinweg Besucherführer als Scheinselbstständige beschäftigt hat. Die nachträglich erhobenen Sozialversicherungsbeiträge wurden nun nachgezahlt. Die Quittung dafür kassiert der Beschäftigte, der das Ganze öffentlichgemacht hat. Er hat zwar nach wie vor einen Rahmenarbeitsvertrag, -bekommt jetzt aber keine Aufträge mehr von der Bundestagsverwaltung. Nun lebt er von Hartz IV und muss sehen, dass er über diesen Weg Geld bekommt. Was ist das im Grunde für ein Signal, das wir als Bundestag an der Stelle aussenden! Ich finde, das, was da passiert, ist unmöglich. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir wollen, dass eine gerechte Arbeitswelt entsteht und dass sich auch die Bundestagsverwaltung beim Umgang mit den Kollegen anders verhält; denn das, was wir da erlebt haben, ist absolut nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen muss jetzt in Angriff genommen werden. Unsere Vorschläge liegen vor. Jetzt warten wir noch auf Ihre, und dann schauen wir einmal, was am Ende dabei herauskommt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Markus Paschke hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle kennen die Berichte über die systematische Ausbeutung osteuropäischer Arbeitnehmer in der Fleischindus-trie und über Beschäftigungsverhältnisse, die unter dem Deckmantel von Werkverträgen nichts anderes sind als moderne Sklaverei. In der letzten Woche war ich in der Beratungsstelle für mobile Beschäftigte in Oldenburg. Kurz zuvor war dort ein rumänischer Arbeiter, der um Hilfe gebeten hat. Seinen Fall will ich einmal kurz schildern: (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Fleischindustrie!) Er hat drei Monate auf einem Schlachthof gearbeitet und musste Tierdärme auswaschen. Nach diesen drei Monaten erhielt er einen Lohn von 1 300 Euro ausgezahlt. Das war das erste Mal, dass er Geld gesehen hat. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Echt?) Aber beim ersten Aufbegehren und Einfordern des in Rumänien versprochenen Lohnes wurde er fristlos entlassen und aus seiner Unterkunft geworfen. (Zuruf von der SPD: Pfui!) In Rumänien hatte man ihm 10 Euro pro Stunde, freie Unterkunft und freie Fahrten zur Arbeit versprochen. Dafür musste er sogar eine Vermittlungsgebühr von knapp 800 Euro zahlen; aber er hatte sich ja ausgerechnet, dass sich das lohnt. Nach der Ankunft im Oldenburger Land war es allerdings anders als versprochen: Er wurde in einer Massenunterkunft mit 1 500 anderen -Arbeitern untergebracht. In dem Raum, der ihm zugewiesen wurde, standen 16 Betten, die alle belegt waren. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist doch alles illegal!) Dafür wurden ihm 240 Euro monatlich vom Lohn abgezogen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist auch illegal!) Auch die Kosten der Fahrt zum Schlachthof wurden vom Lohn abgezogen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist illegal!) In einem fremden Land, der Sprache nicht mächtig, -ausgebeutet und betrogen – das nenne ich moderne Sklaverei. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU] – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Nein, das ist illegal! Das ist auch heute schon illegal! – Zuruf von der LINKEN: Darum gibt es unseren Antrag! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was will uns unser Koalitionspartner damit sagen?) – Hört mir zu, dann komme ich zu dem Punkt. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Okay! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Machen wir gern!) Unter dem Deckmantel der Werkverträge passiert viel Missbrauch. Was meine ich, wenn ich von Missbrauch spreche? Bleiben wir bei dem beschriebenen Fall des rumänischen Schlachters. In der Beratungsstelle wurde dann festgestellt, dass er gar nicht als Arbeitnehmer, sondern als Selbstständiger gearbeitet haben soll. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Also illegal!) Das bedeutet: keine Sozialversicherung, Steuerpflicht usw. Ich nenne das Missbrauch. (Beifall des Abg. Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD] – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja! Gesetzesverstoß!) Oder im Bereich der Landwirtschaft: Da gibt es konkrete Fälle, gerade in der Saison, wo Menschen zehn, elf, zwölf Stunden körperlich hart arbeiten, (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Auch -illegal!) Spargel ernten und Erdbeeren pflücken. Aufgeschrieben und bezahlt werden aber nur sieben oder acht Stunden. Auch das ist Missbrauch. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Auch illegal!) Die krassesten Fälle von Missbrauch kennen wir aus der Fleischindustrie, aber es gibt sie ebenso im Stahlbau, auf Werften, im Baugewerbe, im Hotel- und Gaststättengewerbe und in vielen anderen Wirtschaftsbereichen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Überall Verstöße! Richtig!) Da gibt es den Spüler im Nobelhotel – auch das ist illegal –, der angeblich als Selbstständiger arbeitet, (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, genau! Was wollen Sie uns jetzt damit sagen? – Zuruf von der LINKEN: Dann müssen Sie für den Antrag der Linken stimmen!) Arbeiter auf der Baustelle des Einkaufstempels Mall of Berlin, die um ihren Lohn geprellt wurden. Auch aus der Leiharbeit sind uns solche Fälle bekannt: der Kommis-sionierer, der seit zehn Jahren als Leiharbeiter in einem Betrieb arbeitet und nur 60 Prozent dessen bekommt, was sein Kollege neben ihm verdient. Diese Liste ließe sich beliebig fortführen. Deshalb sage ich ganz klar – ich komme zum Fazit –: Es muss gehandelt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das sind wir den Menschen in unserem Lande schuldig. Wir sind es ihnen schuldig, dass sie einen anständigen Lohn für anständige Arbeit bekommen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Kriegen sie doch! Haben wir doch gemacht!) Wir sind es ihnen schuldig, dass sie ein menschenwürdiges Leben führen können. Ich frage Sie: In was für einem Land wollen wir leben? In einem, das tatenlos den Auswüchsen moderner Sklaverei zusieht? Da sage ich Nein. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Richtig!) Wir müssen mit aller Kraft diese Not und Ungerechtigkeit bekämpfen. (Beifall bei der SPD) Erinnern wir uns an die christlichen Werte wie Recht und Gerechtigkeit, an soziales Handeln und soziale -Normen! Wenn es nicht gelingt, menschenwürdige -Arbeits- und Lebensbedingungen zu garantieren, dann verfaulen unsere Werte von innen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wer stellt denn die Arbeitsministerin?) Wenn es uns nicht gelingt, Recht und Gerechtigkeit allen zugänglich zu machen, dann höhlen wir unsere Gemeinschaft und unsere Werte aus. Zu Recht und Gerechtigkeit gehört für mich zum Beispiel auch die Einrichtung einer Anlaufstelle für Werkarbeiter, wo man sie in ihrer Sprache über ihre Rechte aufklärt, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) wo sie jederzeit Hilfe erhalten, an die sie sich mit Fragen und Problemen wenden können. Zu Recht und Gerechtigkeit gehört für mich aber auch endlich eine härtere und nachhaltige Bestrafung des Missbrauchs. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Zart auf die Finger zu klopfen, finde ich da nicht ausreichend. Missbrauch ist Missbrauch und muss auch endlich als solcher bezeichnet werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Soziale Standards und Tarife zu unterlaufen, ist weder rechtens noch gerecht. Ich denke es ist unstrittig, dass wir in diesem Bereich Handlungsbedarf haben. Jetzt komme ich zum Antrag der Linken. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber schwer, die Kurve zu kriegen! – Gegenruf der Abg. Katja Mast [SPD]: Nee! Der schafft das schon!) – Nein, das ist ganz einfach. – Ich muss sagen: Ihr -Antrag ist in keiner Weise dazu geeignet, die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederherzustellen und die Werte unserer Gesellschaft hervorzuheben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN – Gegenruf von der SPD: Hören Sie doch mal zu!) Da wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Auch wenn einzelne Spiegelstriche bei den Forderungen ihre Berechtigung haben (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Es quietscht zwar, aber das Badewasser ist weg! – Zuruf von der LINKEN: Meine Güte! Das ist jetzt echt schwer peinlich! – Gegenruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt lasst ihn doch noch den einen Satz sprechen!) – schön zuhören! –, folgt die Gesamtschau doch eher dem Motto: Wir beseitigen nicht die Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, sondern wir schaffen die Arbeit gleich ganz ab. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Nee! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sie glauben wohl selber nicht, was Sie sagen!) Bezüglich der Leiharbeit haben Sie das entsprechend formuliert. Ich sage es einmal so: Unter seriöser Politik verstehe ich etwas anderes. Seriöse Politik ist das, was wir in der Koalition bisher geleistet haben. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Und auch weiter leisten wollen!) Mit der Einführung des Mindestlohns haben wir begonnen; das war der erste wichtige Schritt. (Beifall bei der SPD) Mit unseren Vorhaben, den Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen zu verhindern, werden wir auf diesem Weg weitergehen. Sie sind herzlich eingeladen, uns auf diesem Weg zu begleiten. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liegt was auf dem Tisch?) Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Thomas Gambke hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Paschke, wo sind denn Ihre Spiegelstriche mit den Maßnahmen gewesen? Wo war denn der Zeitplan, bei dem die Herrschaften von der Union hätten klatschen können? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie hätten uns etwas vorlegen sollen, das uns gezeigt hätte, dass Ihre Analyse – Sie haben die Situation schön und treffend formuliert – auch zu Aktionen führt. (Katja Mast [SPD]: Sie hätten bei den Reden zuhören müssen! Dann hätten Sie etwas gehört!) Genau das ist doch der Punkt. Die Leute da draußen wollen, dass Sie handeln, und nicht, dass Sie reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es wurde schon viel über das Für und Wider geredet. Ich darf dieses Thema einmal aus Unternehmersicht beleuchten. Leiharbeit und auch Werkverträge können im Einzelfall eine wichtige Funktion haben. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Ich nenne zwei Beispiele aus eigener Erfahrung: Erstes Beispiel. Als wir bei uns im Betrieb einen Brand hatten, Automaten ausgefallen waren und durch Handarbeit ersetzt werden mussten – kurzfristig kam es also zu außergewöhnlichem Arbeitsaufwand –, war es absolut korrekt und richtig, zu sagen: Wir müssen kurzfristig die Belegschaft in diesem Betriebsteil um 25 Prozent erhöhen. Das können wir aus eigener Kraft nicht schultern. – So haben wir Leiharbeiter in den Betrieb geholt. Das zweite Beispiel, auch aus eigener Erfahrung: Wenn Unternehmen in einer außergewöhnlichen Situation sind – zum Beispiel beim Aufbau eines neuen Werkes oder aufgrund von Umstrukturierungen und Nachfolgeregelungen –, haben sie gerade im Fach- und Führungskreis einen außergewöhnlichen Bedarf. In solchen Fällen besteht die Notwendigkeit, über Werkverträge – Stichworte: „Nutzung des Arbeitsmaterials“ und „Weisungsbefugnis“ – zusätzliche Kräfte in den Betrieb zu holen. Aber, Herr Kollege Stegemann, die missbräuchlichen Anwendungen nehmen zu. Das ist von Ihrem Kollegen aus der Regierungskoalition gerade sehr eindrucksvoll beschrieben worden. Wir müssen etwas dagegen tun. Wir können doch nicht einfach weiter zuschauen und sagen: „Das ist in Ordnung“, wie Sie uns suggeriert haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Setzen Unternehmen dauerhaft Leiharbeit ein, dann tun sie das im Wesentlichen aus folgenden Gründen: Sie wollen den Mindestlohn umgehen, (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Den Mindestlohn können die nicht umgehen! Das geht gar nicht! Der ist unabdingbar!) sie wollen den Kündigungsschutz umgehen, sie haben Geschäftsmodelle, die nicht nachhaltig sind. Das heißt, wir müssen etwas tun, um diese nicht tragbaren sozialen Zustände zu eliminieren. Dafür müssen wir arbeiten, und wir müssen – das sage ich als Unternehmer – Wettbewerbsverzerrungen verhindern; denn der Mittelstand – Sie haben das Beispiel des Malers angebracht – braucht gute Wettbewerbsbedingungen, braucht ein Level Playing Field, braucht eine Gleichbehandlung. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Völlig richtig!) Dafür müssen Sie sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie können sich also nicht zurücklehnen und sagen, dass das nur Einzelfälle sind. Die Regulierung von Leiharbeit scheint Konsens zu sein. Die Vorschläge, die ich gehört habe – eigentlich habe ich fast gar keine gehört –, sind bisher aber nicht sehr überzeugend. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie haben auch noch keine gemacht!) Equal Pay ist einfach ein Muss. Ich bemühe noch einmal mein am Anfang genanntes Beispiel: Die Einhaltung des Liefertermins war für uns damals ein überaus wichtiges Ziel. Die Erreichung dieses Ziels war uns das Extrageld, das wir dafür gezahlt haben, wert. Es wurde uns -sozusagen dreimal zurückgezahlt. Gerade bei Auftragsspitzen zahlt sich das aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist doch Blödsinn, anzunehmen, dass in einer solchen Situation eine Einarbeitung notwendig ist. Gerade bei Auftragsspitzen ist der Betrieb in der Lage, zusätzliches Geld zu verdienen. Da ist es fair und richtig, dies auch zum Teil weiterzugeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Bei den Werkverträgen sehe ich die Sache noch etwas kritischer; denn sie werden in der Tat von den Unternehmen zunehmend missbraucht. Sie nannten das Beispiel von den Lkw-Fahrern. Diese sollen auf einmal selbst unternehmerische Verantwortung tragen, obwohl sie vollkommen abhängig sind. Das ist schlichtweg unanständig, und wir müssen dem einen Riegel vorschieben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Da warte ich auf Ihre Vorschläge. Im Bundesrat gab es 2013 einen guten Vorschlag für stärkere Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates beim Einsatz von Fremdpersonal. Man hat gesagt, man wolle zusätzliche Kon-trollen durchführen. Auch dies wäre notwendig. Ich denke, Sie müssten endlich etwas vorlegen, damit wir dort eine gute Regelung haben. Wir müssen Leiharbeit und Werkverträge strenger regulieren. Beide Instrumente sind sinnvoll; das habe ich gesagt. Aber es gibt zunehmend schwarze Schafe. Wir sollten dabei allerdings aufpassen – dies sagte ich ebenfalls bereits –, die Situation von Fach- und Führungskräften und die Fälle, die ich genannt habe, nicht zu vermischen. Wenn Fach- und Führungskräfte über Werkverträge eingestellt werden, in denen die vereinbarte Entlohnung über einem bestimmten Satz liegt, dann ist eine Regelung nicht notwendig. Wenn es jedoch um den Lkw-Fahrer oder den Regaleinräumer geht, dann müssen wir dringend tätig werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Für die Unternehmen ist eine bessere Regulierung wichtig; damit möchte ich schließen. Für den Mittelstand ist sie wichtig; denn die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen ist eine der Grundvoraussetzungen für das Funktionieren der Wirtschaft. Dafür müssen gerade Sie Sorge tragen. Deshalb sind Ihre Verweigerungshaltung und die Art, in der Sie argumentiert haben, wirklich nicht zielführend. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Stephan Stracke das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Stracke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Gambke, Sie zeichnen wie so viele Ihrer Vorredner von der Opposition ein Zerrbild, was die Zeitarbeit und die Werkverträge betrifft, und suggerieren Handlungsbedarf (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kollege hat Erfahrung in diesem Bereich!) – Herr Kurth, Sie sollten lieber mal zuhören –, wo keiner besteht. Das zeigen auch die Beispiele, die Sie genannt haben. Dort, wo Werkverträge und Zeitarbeit missbräuchlich eingesetzt werden, handelt es sich schon jetzt um ein rechtswidriges Verhalten. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, genau!) Deshalb besteht hierbei kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf, sondern es ist eher eine Frage der Kontrolle und des Vollzugs. (Beifall bei der CDU/CSU) Insofern gaukeln Sie hier etwas vor, was ein Zerrbild unserer Arbeitswelt in unserem Land ist und nicht der Realität entspricht. (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zeitarbeit ist ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument. Es bietet den Unternehmen Flexibilität für Auftragsspitzen und arbeitslosen Menschen die Chance auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Sie ist ein Sprungbrett aus der Arbeitslosigkeit hinaus. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Nie gewesen!) – Doch, es ist tatsächlich so. Sie ignorieren die Fakten in diesem Bereich. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das behaupten Sie! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch überhaupt keine Ahnung!) Knapp zwei Drittel der Zeitarbeitsverhältnisse werden mit Personen geschlossen, die direkt zuvor keine Beschäftigung ausübten oder vorher noch nie beschäftigt waren. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frage ist doch nicht, was sie vorher gemacht haben, sondern was sie nachher machen!) Das heißt, Zeitarbeit stellt gerade für von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer eine stabile Brücke in den ersten Arbeitsmarkt dar, und Sie wollen im Grunde diese Brücke zerstören. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Ernst, Sie haben sich gemeldet; bitte schön. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort erteile immer noch ich; aber ich habe schon einmal die Uhr für Sie angehalten. – Bitte. Klaus Ernst (DIE LINKE): Danke für das Zulassen der Frage. – Wir haben vorhin gehört, dass es zum Beispiel in der Automobilindustrie über 100 000 Leiharbeiter und 200 000 Werkverträge gibt. Das Missverhältnis ist doch sehr gravierend. Wir haben hier einen Abbau von normaler Beschäftigung hin zu Leiharbeit und Befristung. Vertreten Sie tatsächlich die Auffassung, dass über ein Viertel der Beschäftigten in der Automobilindustrie nicht beschäftigt wäre, wenn es keine Leiharbeit und keine Befristung gäbe? Ich will noch eine zweite Frage nachschieben. Glauben Sie wirklich ernsthaft, dass die deutsche Automobilindustrie auf über ein Viertel der Belegschaft verzichten müsste, wenn sie die ordentlich bezahlen und ordentlich beschäftigen würde? (Beifall bei der LINKEN) Stephan Stracke (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Ernst, ich glaube, Kollege Schiewerling hatte schon zu Beginn der Debatte darauf hingewiesen, dass es in Relation zu den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten rund 2,6 Prozent Zeitarbeit gibt. Das ist also ein sehr geringer Prozentsatz. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: 25! Ich rede von der Automobilindustrie! Das ist ein Viertel!) Sie suggerieren hier die ganze Zeit, dass dies ein Massenphänomen wäre und landauf, landab die Zeitarbeit dazu genutzt würde, andere Arbeitsverhältnisse zu verdrängen. Genau das Gegenteil ist in diesem Bereich der Fall. Es findet keine Verdrängung anderer Erwerbsformen statt. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie beantworten meine Frage nicht! Hätten die keinen Job?) Insofern ist die Zeitarbeit ein durchaus legitimes Instrument des Arbeitseinsatzes in unseren Betrieben. (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das war nicht meine Frage!) Es entspricht auch der unternehmerischen Freiheit, dies so zu tun. Insofern ist es durchaus sinnvoll, dass wir die Zeitarbeit in dieser Form weiterhin einsetzen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wenn Sie wenigstens auf meine Frage eingegangen wären!) – Lieber Kollege Ernst, ich würde vorschlagen: Ich antworte Ihnen, und wenn Sie wollen, können Sie mir eine weitere Frage stellen. Darauf gehe ich dann entsprechend ein. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sind Sie ja nicht! Tun Sie das doch!) Sie blenden hier komplett die Verbesserungen bei der Zeitarbeit aus. Sie sagen, die Zeitarbeitnehmer wären Arbeitnehmer zweiter Klasse. Auch dies trifft nicht zu. Sie haben ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Für sie gelten sämtliche Regeln des Arbeits- und Tarifrechts. Auch das Mitbestimmungsrecht gilt für die Zeitarbeiter. (Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit einer Lohnuntergrenze, die wir 2012 mit tarifvertraglichen Branchenzuschlägen erreicht haben, gibt es auch eine sachgerechte Annäherung an Equal Pay. Auch dies blenden Sie vollkommen aus. Das zeigt: Sie haben eine ganz andere Auffassung. Hier geht es ausschließlich um die Frage des Klassenkampfes (Lachen bei der LINKEN) und nicht um die Fragen, wie wir den arbeitsmarktpolitischen Themen in diesem Land gerecht werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Lieber Klassenkampf als Redekrampf!) Wir haben uns jetzt vorgenommen, die vorübergehende Überlassung in der Zeitarbeit zu konkretisieren. Die Kollegin Müller-Gemmeke hatte hier schon auf die möglichen Folgewirkungen hingewiesen. Ich halte diese für in der Tat bedenklich und bedenkenswert. (Zuruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Insofern brauchen wir Öffnungsklauseln auf tarifvertraglicher und Betriebsebene, die praktikabel und interessensgerecht sind. Auch in der Zeitarbeit gibt es Hochqualifizierte. Gerade bei Hochqualifizierten liegt der Einsatzzeitrahmen bei zum Teil deutlich mehr als 18 Monaten. Wenn Sie beispielsweise daran denken, dass wir die Pflegezeit auf 24 Monate verlängert haben und dass die Elternzeit bei drei Jahren liegt, dann wissen Sie, dass wir notwendige Vertretungsmöglichkeiten für die Betriebe brauchen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann ja auch befristet einstellen!) Deswegen brauchen wir tatsächlich solche Öffnungsklauseln, wie Sie sie angesprochen haben. Das macht Sinn. Dass diese arbeitnehmerbezogen sein sollten, ist selbstverständlich. Ich komme zu den Werkverträgen. Werkverträge sind seit Jahrzehnten Bestandteil unserer arbeitsteiligen Gesellschaft. Es besteht überhaupt kein Grund, klassische Werkverträge gesetzlich einzuschränken. Für uns gilt der Grundsatz: Wo Werkvertrag draufsteht, muss auch Werkvertrag drin sein. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!) Die Rechtsprechung hat die Kriterien bei der Abgrenzung zwischen Werkverträgen und Zeitarbeit bereits klar konturiert, auch was die Rechtsfolgen insgesamt angeht. Maßgebend sind dabei immer die Umstände des Einzelfalls. Vermutungstatbestände oder Beweislastregeln haben hier überhaupt keinen Platz. (Beifall bei der CDU/CSU) Bezüglich der Mitbestimmungsrechte bei der Vergabe von Werkverträgen ist noch einmal daran zu erinnern: Der Unternehmer hat die Gestaltungsfreiheit, zu entscheiden, wie er seine unternehmerischen Ziele umsetzen will und mit welchen Arbeitnehmern. In diese Gestaltungsfreiheit wollen und werden wir auch nicht eingreifen. Deswegen gibt es überhaupt keinen Anspruch darauf, dass tarifvertragliche Regelungen die gesamte Produktionskette erfassen. Hier von Missbrauch zu reden, ist voll neben der Sache. Insofern ist der Antrag der Linken abzulehnen. Er geht an der Sache vorbei. Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal Danke an die Linke, wenn auch nicht für den vorliegenden Antrag (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Doch! Doch! Auch! Auch!) – daran hätte ich einiges zu bekritteln –, wohl aber dafür, dass wir über das wichtige Thema Leiharbeit und die große Frage der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt sprechen können. Das ist eines der Herzensanliegen der -Sozialdemokratie: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Dafür setzen wir uns ein. (Beifall bei der SPD) Leih- und Zeitarbeit war im eigentlichen Sinne dafür gedacht, Unternehmen zu ermöglichen, Spitzen abzu-federn und flexibler zu agieren, um am Markt wett-bewerbsfähig zu sein. Bei Werkverträgen handelt es sich um ein uraltes Instrument – Karl Schiewerling hat es schon erwähnt –: Seit 1900, also seit über 100 Jahren, ist es im BGB verankert. Selbstverständlich hat niemand außer manchen bei den Linken etwas gegen Zeitarbeit, wenn sie Auftragsspitzen abfedert, wenn zum Beispiel kurzfristig viele Beschäftige krank werden und ein Unternehmen einen Auftrag sonst nicht erledigen kann. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat er doch gesagt!) Es ist ein äußerst sinnvolles Instrument unter der Voraussetzung, dass diese Menschen sehr gut bezahlt und sehr gut behandelt werden. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss eben auch in diesem Bereich gelten. Das ist ein SPD-Grundprinzip. Werkverträge sind ein tolles Instrument – ich hatte selber schon einen Werkvertrag –, wenn der Werkvertragsnehmer gerne selbstständig arbeitet und weisungsungebunden ein Werk vollbringen kann. Die Realität der letzten Jahre und auch des Jahres 2015 sieht aber anders aus. Ich habe einige Beispiele aus meinem Leipziger Wahlkreis mitgebracht, die ich alle aus eigener Anschauung kenne. Dort gibt es ein Unternehmen mit einem sehr guten und sehr bekannten Namen, das sehr teure und wichtige Teile für den Automobilsektor herstellt. Das hat es im produktiven Bereich – nein – nicht mit 30 Prozent Leiharbeit, nein – nicht mit 50 Prozent Leiharbeit, sondern zu fast 100 Prozent mit Leiharbeitern aus unterschiedlichen Leiharbeitsunternehmen gemacht. (Katja Mast [SPD]: Das ist unglaublich! – Markus Paschke [SPD]: Missbrauch!) Das ist sozusagen eine immerwährende Just-in-time/Just-in-sequence-Auftragsspitze gewesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so haben wir das mit dem Abfedern-Können von Auftragsspitzen nicht gemeint. (Beifall bei der SPD) Als Sozialdemokraten können und wollen wir so etwas nicht hinnehmen. Ich habe große OEMs in meinem Wahlkreis, worüber ich mich sehr freue – das sind sehr gute Arbeitgeber –, aber auch dort werden seit der Ansiedlung der Unternehmen Leiharbeit und Werkverträge genutzt. Bei den OEMs, den Automobilherstellern, wurden Leiharbeit und Werkverträge von Anfang an genutzt – das ist eingepreist –, und zwar nicht nur, um Auftragsspitzen abzu-federn oder durch bessere Organisation Gewinn aus selbstständig organisierter Arbeit anderer zu erzielen, sondern um geringere Löhne zahlen zu können. Das ist sowohl durch Leiharbeit möglich als auch dadurch, dass in Werkvertragsunternehmen andere Tarifverträge als die der IG Metall gelten. Als die Ansiedlung der Unternehmen erfolgte, gab es in manchen dieser Werkvertragsunternehmen überhaupt keine Tarifverträge. Daraus ergibt sich, dass in diesen großen Unternehmen mindestens vier unterschiedliche Gruppen in einer Werkhalle am Band arbeiten: die Festangestellten, die Leiharbeiter des OEM, die Werkvertragsunternehmer zahlreicher Werkvertragsunternehmen und die Leiharbeiter, die in den Werkvertragsunternehmen angestellt sind – alle mit deutlich unterschiedlichen Nettoeinkommen und Arbeitsbedingungen wie auch mit einem deutlich unterschiedlichen Sicherheitsgefühl. Ich habe mit sehr vielen Leiharbeitern und Angestellten in Werkvertragsunternehmen in meinem Wahlkreis gesprochen. Es mag einige wenige geben, die sich das gezielt ausgesucht haben, zum Beispiel IT-Freaks, die selbstständig arbeiten und es vorziehen, mal hier und mal da zu arbeiten. Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, haben aber klar gesagt: Ich arbeite in diesem Werkvertragsunternehmen bzw. als Leiharbeiter, weil mein Ziel eine Festanstellung in einem der großen Unternehmen ist. Das ist der Grund, warum ich das tue. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und? Funktioniert es?) Ich habe schon Leiharbeitnehmer in meinem Wahlkreis getroffen, die seit zehn Jahren beim selben Leih-unternehmen angestellt sind und auf ihre Übernahme warten. Ich sage Ihnen: Es ist eine der ganz großen Lücken dieses Gesetzes, dass wir keine Höchstüberlassungsdauer haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Betroffenen wissen sehr wohl, warum sie in dieser Form angestellt sind, nämlich weil sie preiswerter als die Festangestellten sind. Sie wissen auch, dass sie das Risiko tragen. Wenn sich nämlich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, sind sie die Ersten, obwohl sie beim Leihunternehmen fest angestellt sind, denen gekündigt wird. Ich will aber auch sagen: In den letzten Jahren hat sich bei den Automobilherstellern eine ganze Menge bewegt, vor allen Dingen durch sehr starke Gewerkschaften und sehr mutige Betriebsräte. (Beifall bei der SPD) Da sind Tarifverträge ausgehandelt worden, und Leiharbeiter bekommen Zuschläge. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist es richtig!) Sie bekommen zumindest nach einiger Zeit das gleiche Grundgehalt. Über Zuschläge und andere Arbeitsbedingungen müsste man noch reden. Mittlerweile haben BMW und Porsche zugesichert, dass sie nur noch Werkvertragsunternehmen verpflichten wollen, die nach IG-Metall-Tarifen bezahlen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich muss sagen: Das hätte man wohl mit keinem Gesetz der Welt geschafft. Das waren die Betriebsräte. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist das, genau so!) BMW hat zudem eine Quote für Leiharbeiter eingeführt und will nicht mehr als einen gewissen Prozentsatz von Leiharbeitern beschäftigen. Trotzdem gibt es jede Menge zu tun, auch weil wir nicht überall die tollen Betriebsräte haben. Equal Pay und Höchstverleihdauer für die Leih- und Zeitarbeit sind für uns ganz zentrale Punkte. Wenn wir sehen, dass schon die Debatte über die Re-Regulierung der Zeitarbeit dazu führt, dass in Werkverträge ausgewichen wird, dann sage ich: Wir müssen gerade in diesem Bereich stark draufgucken und regulieren. Markus Paschke hat die Auswüchse beschrieben. Wir brauchen eine Abgrenzung zu Scheinwerkverträgen und zur Scheinselbstständigkeit ebenso wie zur verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, und natürlich brauchen wir eine viel, viel stärkere Kontrolle. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Als Sozialdemokraten haben wir gesagt: Ordnung auf dem Arbeitsmarkt ist unser wichtigstes Thema. Dafür haben wir gekämpft. Dazu gehört auch die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen. Wir sind stolz, dass wir das im Koalitionsvertrag auch so festgeschrieben haben. (Beifall bei der SPD) Wir werden das umsetzen. Dass die betriebliche Mitbestimmung in diesem Zusammenhang ein ganz wichtiger Punkt ist, habe ich mit meinen Beispielen deutlich gemacht. Die betriebliche Realität ist sehr vielfältig. Deswegen werden wir gemeinsam mit den betrieblichen Akteuren darüber sprechen, wie wir das wirklich sehr komplexe Feld gesetzlich regeln. Dann werden wir einen sehr guten Gesetzentwurf hier vorlegen und auch gemeinsam beschließen. Darauf freue ich mich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg will ich deutlich betonen, dass bei Zeitarbeit und Werkverträgen natürlich Missbrauch entgegengewirkt werden muss. Das steht außer Frage. Das gilt aber nicht nur für Zeitarbeit und Werkverträge, sondern das gilt für alle Fallgestaltungen, für alle rechtlichen Konstellationen. Da sind wir uns hier auch einig, denke ich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nur, mit dem Antrag, den Sie hier vorlegen, beabsichtigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, jedoch nicht, Missbrauch entgegenzuwirken, sondern Sie beabsichtigen, fundamentale Änderungen an der wirtschaftlichen Struktur vorzunehmen, die wir heute haben. Dabei muss hervorgehoben werden, dass die Zeitarbeit als ein wichtiges Flexibilisierungselement und die Werkverträge auch als ein wichtiges Instrument für eine ökonomische Arbeitsteilung mittlerweile unverzichtbar für die heutige Arbeitswelt geworden sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer dies in Abrede stellt, verschließt die Augen vor der Wirklichkeit und will sie offensichtlich nicht wahrnehmen. Genau dies belegt Ihr Antrag, meine Damen und Herren der Linken, vor allen Dingen dann, wenn Sie Formulierungen wie „Klima der Angst“, „degradiert Beschäftigte zu Arbeitnehmern zweiter Klasse“ oder „ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko“ wählen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es! Genau so ist es! Das ist die Wirklichkeit!) Der Eindruck, den Sie damit erwecken, ist reine Panikmache, und das ist dieser Debatte hier nicht dienlich. Es ist auch keine sachliche Debatte, die insoweit geführt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Skandalfälle, die selbstverständlich im Ergebnis Missbrauchsfälle sind, können Sie nicht heranziehen, um weitere oder schärfere gesetzliche Regelungen zu schaffen. Das hätte nämlich zur Folge, dass Unternehmen, die sich redlich verhalten, (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ganz genau!) der Einsatz dieses Instrumentes, das sie wirklich benötigen, erschwert würde. So können wir hier im Haus nicht arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können Missbrauch abstellen!) Da meine Vorredner bereits einiges zur Zeitarbeit gesagt haben, möchte ich mich etwas mehr auf die Werkverträge konzentrieren. Damit komme ich insbesondere auf Ihren Antrag, meine Kollegen der Linken, zu sprechen. Sie formulieren in Ihrem Antrag – ernsthaft –, dass Sie legale und illegale Werkverträge verhindern wollen. Allein schon die Wahl dieser Formulierung ist für mich wieder ein Beispiel für reine Panikmache und unsachliche Diskussion. Wir haben es beim Werkvertrag mit einer Vertragskonstellation zu tun, die bereits seit mehr als 100 Jahren, seit seiner Einführung, im BGB verankert ist. Dieses -Instrument hat auch eine ausgeprägte Rechtsprechung erfahren, mit der in der jetzigen Zeit und nach der jetzigen Rechtslage Missbrauch bereits verhindert werden kann und verhindert wird. Nur, die Fälle müssen auch zur Entscheidung gebracht werden. Wie gesagt, wenn es Fälle gibt, wenn es Missbrauch gibt, dann muss das abgestellt werden. Aber das können wir auch schon mit den heutigen Instrumenten und mit der heutigen rechtlichen Situation. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie müssen, wenn Sie die Diskussion führen, deutlich machen, was Sie unter „Missbrauch“ genau verstehen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das haben wir doch gesagt! Das steht doch im Antrag drin!) – Das haben Sie an Beispielen festgemacht. Von Missbrauch kann man in meinen Augen nur dann sprechen, wenn man einen Vertrag anders handhabt, als es der -Bezeichnung entspricht. Das heißt, wenn da „Werkvertrag“ draufsteht, muss im Ergebnis auch „Werkvertrag“ drin sein. Es darf kein Dienstvertrag sein. Da sind wir uns natürlich einig. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Was ist denn das für ein Juristengeschwätz?) Aber es kann nicht sein, dass Sie sagen: Es ist schon dann ein Missbrauch, wenn ein Werkvertragsbeschäftigter für längere Zeit in einem beauftragenden Unternehmen arbeitet. – Es sind viele Beispiele für Missbrauch gebracht worden. Ich will einmal Beispiele nennen, die zeigen, dass es notwendig ist, auf Werkverträge zurückzugreifen. Es gibt eine Firma, die sich darauf spezialisiert hat, IT-Software zu installieren. Diese Firma hat mit weniger als 20 Mitarbeitern angefangen. Sie hat mittlerweile mehrere Hundert Mitarbeiter. Ihr Konzept ist darauf ausgelegt, dass die Software in den Firmen installiert wird. Die Beschäftigten müssen dazu natürlich mit den Beschäftigten in diesen Firmen zusammenarbeiten, sind für eine gewisse Zeit dort. Wenn ich Ihre Kriterien aus dem Antrag zugrunde lege, dann komme ich zu dem Schluss: Ein solches -Modell wäre schon gar nicht mehr möglich. Wenn Sie das nicht beabsichtigen, dann müssen Sie das anders -formulieren; dann können Sie es nicht so schreiben, wie Sie es in Ihrem Antrag gemacht haben. Vor allen Dingen dürfen Sie nicht sagen: Wir wollen auch legale Werk-verträge bekämpfen. – So steht es ausdrücklich in Ihrem Antrag. Kommen wir zum Bereich Forschung und Entwicklung. Sie haben auch das Beispiel der Autoindustrie -genannt. Da wird natürlich viel Forschung und Entwicklung betrieben. Die Unternehmen kommen ohne die hochqualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus spezialisierten Betrieben gar nicht zurecht; ohne diese können sie die Forschung und Entwicklung gar nicht betreiben, können sie Projekte im Ergebnis nicht zum Erfolg bringen. Deswegen muss diese Konstellation auch weiterhin möglich sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) – Sie sollen einstellen, sagen Sie. Aber vielleicht wollen die Betroffenen das gar nicht. Sie wollen vielleicht speziell in den Unternehmen eingesetzt werden, wo gerade die Musik spielt, wo gerade die neuen Dinge entwickelt werden. Da wollen diese Personen sein. Sie müssen, denke ich, da ein bisschen differenzierter herangehen. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau! Das war der Blick aus der Praxis!) Ein letzter Punkt, den ich noch erwähnen möchte, sind die sogenannten Solo-Selbstständigen. Wir müssen akzeptieren, dass es auch Leute gibt, die alleine selbstständig sein und vielleicht nur für einen Auftraggeber arbeiten wollen oder die einen großen Auftraggeber und nur ein paar kleine haben. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!) Wenn Sie denen diese Möglichkeit nehmen, dann nehmen Sie ihnen auch einen großen Teil ihrer unternehmerischen Freiheit. Ich denke, diese Menschen bringen uns, vor allen Dingen was die Spezialisierung, Entwicklung und Forschung hier in Deutschland betrifft, weiter. Deswegen brauchen wir diese Modelle. Wenn es darum geht, hier einen konkreten Kriterienkatalog festzulegen, muss ich Ihnen als Jurist sagen: Das ist äußerst schwierig. Wir haben es hier mit einem Sachverhalt zu tun, der viele Einzelfälle beinhaltet. Man wird Einzelfällen mit einem starren Kriterienkatalog nicht gerecht werden können. Man wird der Realität nicht gerecht. Vor allen Dingen würde dieser auch Fälle umfassen, bei denen wir bei weitem nicht von Missbrauch sprechen. Ich denke, das ist das Schlimmste, was uns hier an dieser Stelle passieren könnte. Allein die Diskussion, die wir führen, sorgt bereits jetzt in der Wirtschaftswelt für große Verunsicherung. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Theoretisch können wir das eben nicht wirklich beschreiben!) Dem sollten wir als Gesetzgeber entgegenwirken. Wie gesagt, die heutige Rechtslage ist nach meiner Auffassung schon so, dass wir den Missbrauch verhindern können und keine schärferen Regelungen brauchen. Man müsste es dann eher kontrollieren. Ich möchte noch einen letzten Satz sagen, dann komme ich auch wirklich zum Ende. Vizepräsidentin Petra Pau: Gut. Wilfried Oellers (CDU/CSU): Was die Forderung nach mehr Mitbestimmungs- und Zustimmungsrechten für den Betriebsrat angeht, müssen wir attestieren, dass es in der jetzigen rechtlichen Situation im Betriebsverfassungsgesetz ausreichende -Möglichkeiten gibt. Das sind Informations- und Unterrichtungsrechte. Wenn Sie jetzt weitere Mitbestimmungsrechte und Zustimmungsrechte fordern, dann müssen Sie mir schon mal erklären, was Sie unter unternehmerischer Freiheit verstehen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Betriebsräte wissen nicht einmal, wie viele Leute auf ihrem Betriebsgelände rumlaufen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das war ein sehr langer Satz. Bitte kommen Sie zum Punkt. Wilfried Oellers (CDU/CSU): Ich komme sofort zum Ende. – Ich will nur noch einmal appellieren, dass wir die Flexibilisierungsinstrumente, die wir haben, nicht leichtfertig aufgeben dürfen, insbesondere angesichts der aktuellen Wirtschaftswelt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es gibt nur eine Welt, nicht nur eine Wirtschaftswelt! In der ist alles drin!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Hans-Joachim Schabedoth das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Erfahrung wiederholt sich heute zum x-ten Mal: Während die Koalitionsfraktionen noch mitten im Arbeitsprozess stecken, ruft die Linkspartei: Wir sind schon fertig und legen euch unseren Antrag vor. (Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Lehnen wir den Antrag ab, Kollege Ernst, dann wird einmal mehr über die zögerliche SPD und ihren sperrigen Koalitionspartner lamentiert. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die SPD in der letzten Legislaturperiode auch gemacht!) Was soll das? Mich erinnert das ein wenig an meine Schulzeit: Man hat zwei Stunden Zeit für die Klassenarbeit. Schon nach einer Stunde springt einer auf, der erste Übereifrige, und signalisiert: Ätsch, ich bin schon fertig, die anderen aber noch nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Der ist am Ende durchgefallen! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, aber dafür sind wir doch hier!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen: Die Schnellsten waren am Ende nicht immer unter den Besseren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Genau so ist es!) Auch im Parlamentsbetrieb geht es nach dem Prinzip „Sorgfalt vor Eile“. (Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Zum Inhalt, Achim!) Die Koalition verfolgt hier einen Sorgfaltsfahrplan. Zuerst wird mit den Sozialpartnern geredet. Erfahrungen, Erwartungen – auch Befürchtungen – werden systematisiert und abgeglichen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das haben wir schon hinter uns!) Erst dann kann gehandelt werden, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Warst doch selber Sozialpartner!) und zwar in der üblichen parlamentarischen Schrittfolge, die ich Ihnen hier gar nicht erläutern muss. (Beifall bei der SPD) Dabei legen wir Wert darauf, dass die im Koalitionsvertrag getroffenen Absprachen zuerst mit unserem Koalitionspartner konkretisiert werden. Haben Sie bitte Verständnis dafür. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das ist eine kluge Bemerkung! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das haben wir heute gemerkt!) Doch ich will gerne die Gelegenheit, die Sie geschaffen haben, nutzen, um ein paar Missverständnisse auszuräumen und vielleicht schon ein bisschen aus sozialdemokratischer Sicht zu resümieren. Eine Klarstellung haben wir alle, glaube ich, mittlerweile herausgearbeitet, nämlich die, dass wir Leiharbeit und Werkverträge nicht verbieten wollen, auch nicht „in the long term“. Zielsetzung ist – auch das haben viele Redner gesagt –, den Missbrauch dieser Arbeitsform als Lohn- und Sozial-dumpinginstrument zu unterbinden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Missbrauch ergibt sich – darauf will ich besonders hinweisen – in der Grauzone mangelnder Abgrenzung zwischen Werkvertrag, Scheinselbstständigkeit und Leiharbeit. Da muss was passieren. (Beifall bei der SPD) Der Missbrauch wird dadurch erleichtert, dass ein Statuswechsel heute nahezu problemlos möglich ist. Das wollen wir korrigieren. Es gibt immer wieder gute Gründe, statt auf Festanstellung temporär auf Leiharbeit zu setzen. D’accord! Und es gibt auch betriebliche Gründe, Arbeiten auf Werkvertragsbasis ausführen zu lassen. Allerdings gibt es keinen einzigen akzeptablen Grund, Leiharbeit und Werkverträge zum Zwecke des Umgehens von Tarifbindungen zu nutzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Für die meisten Arbeitgeber mag das – das will ich einräumen – eine Selbstverständlichkeit sein. Kollege Stegemann, es sind aber leider nicht nur einige schwarze Schafe. Mit denen könnten wir fertigwerden. Hier trabt eine ganze Herde schwarzer Schafe vorbei. Wir werden mit ihnen reden. Wir wollen das einhegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Vielleicht meint er die CDU/CSU! – Heiterkeit) Es gibt also einen Regelungsbedarf. (Klaus Ernst [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Hat er euch gemeint? – Heiterkeit) – Habe ich einen Scherz nicht mitgekriegt? (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Achim, hast du die CDU/CSU gemeint?) Unser Anliegen hat eine doppelte Stoßrichtung. Zum einen geht es darum, das Etablieren eines Apartheidsystems im Arbeitsleben zu verhindern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ein solches System bestünde dann, wenn Festangestellte weiterhin tariflich angemessen bezahlt würden, während Leiharbeitnehmer und Werkvertragsbeschäftigte sich mit einer zweiten, geringeren Lohnlinie abfinden müssten. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann geht auch Equal Pay nach neun Monaten nicht!) Zwar gibt es hier durch den Mindestlohn eine Haltelinie, ja. Aber trotzdem würde das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ erheblich verletzt. Auch Leiharbeiter haben Anspruch auf sichere, tariflich geregelte Arbeitsbedingungen bei ihrem Leiharbeitgeber in und zwischen den Phasen, in denen sie verliehen werden; (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ab dem ersten Tag!) auch das müssen wir beachten. In anderer Hinsicht geht es um faire Konkurrenzbedingungen in der Wirtschaft. Alle Unternehmen einer Branche müssen darauf vertrauen dürfen, dass es bei den Arbeitskosten eine vergleichbare Ausgangslage gibt; „level playing field“ würde wohl der Holländer sagen. Wer durch Tricksereien über Leiharbeit und Werkverträge seine Arbeitskosten drückt, betrügt alle Mitbewerber, die das nicht wollen oder tarifvertraglich gebunden sind. Der Gesetzgeber ist deshalb gefordert, Leiharbeit wieder auf ein Instrument der Flexibilität und eines vorübergehenden Ausgleichs von Auftragsspitzen zurückzuführen und der Prekarisierung der Arbeitswelt entgegenzuwirken. (Beifall bei der SPD) Ich sage es noch einmal: Wir wollen faire Arbeits- und Konkurrenzbedingungen. Verhindern wollen wir, dass der Monteur der rechten Autotür weniger verdient als der Zuständige für den Einbau der linken Autotür, nur weil er Leiharbeitnehmer ist. Equal Pay heißt das. Uns geht es auch darum, Equal Treatment nicht aus dem Blick zu verlieren. (Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, ab dem ersten Tag!) Das ist nicht zuletzt – das ist ein sozialdemokratisches Grundanliegen – ein Gebot des Respekts vor der Würde der Arbeit. Betriebspolitik und Tarifpolitik haben hinsichtlich der notwendigen Regulierung die Grenze ihrer tarifautonomen Gestaltungsmöglichkeiten erreicht. Deshalb muss die Politik jetzt handeln, aber darf auch nicht durch jeden Reifen springen, den uns die Linkspartei hinhält. (Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir können es auch aussitzen und abwarten!) Ich will noch auf einen letzten Aspekt eingehen. Aus der Wirtschaft wird das Bedenken signalisiert, eine gesetzliche Regulierung werde das unternehmerische Dispositionsrecht negativ tangieren. Ja, da ist was dran. Das sollte man ernst nehmen. Aber deshalb muss auch sorgfältig geklärt werden, welche Grenzziehungen sachgerecht und deshalb unvermeidlich sind. Konkret: Es muss zweifelsfrei unterscheidbar sein, was legitime Leih-arbeits- und Werkvertragsaufgabe ist und was als trojanisches Pferd des Lohndumpings und der Tarifflucht dahertrabt. Wer könnte bei der Klärung dieser komplizierten Frage besser und kompetenter urteilen als die Betriebsräte und die Personalräte? Deshalb sollten Unternehmen und Personalmanagement die Mitsprache dieser betrieblichen Intimkenner und Experten nicht fürchten, sondern wünschen und nutzen. Die SPD wird jedenfalls im Gesetzgebungsvorgang darauf achten, – Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit. Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): – dass bei Leiharbeit und Werkverträgen Mitbestimmungsregeln eingeführt bzw. effektiv genutzt werden können. Wir behalten im Auge – damit komme ich zum Schluss –, dass eine gesetzliche Neuregelung Anreize für die Arbeitgeber bietet, bestehende Tarifverträge beizubehalten bzw. auf besserer rechtlicher Basis neue Tarifverträge abzuschließen. Ich setze dabei – Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Schabedoth, bitte! Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): – auf die Bereitschaft unseres Koalitionspartners, an einer problemgerechten Lösung mitzuarbeiten. Und alle Oppositionsparteien bleiben zur konstruktiven Begleitung unserer Arbeit ausdrücklich eingeladen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich weiß ja, dass es ein weitverbreiteter Irrtum ist, dass das Minus vor der Zeitangabe die noch verbleibende Redezeit anzeigt. Aber ich bitte wirklich, auch im Interesse aller anderen Kolleginnen und Kollegen, sich an die Verabredungen zu halten. Das Wort hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Zum Schluss dieser ausführlichen Debatte stellt sich die Frage: Was bleibt denn von dieser Debatte? (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Schwarze Erde!) Da will ich als Erstes feststellen: Leih- oder Zeitarbeit, Werkverträge – das ist anständige Arbeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Und selbstverständlich verdienen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. die Selbstständigen, (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) die Arbeit im Rahmen eines Werkvertrags erledigen oder die als Leih- oder Zeitarbeiter arbeiten, unseren hohen Respekt und unsere Anerkennung. Das, was wir aber allesamt vermeiden wollen, ist, dass Werkverträge, Zeit- und Leiharbeit missbräuchlich eingesetzt werden. Darum geht es. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was ist der Unterschied zwischen Leiharbeit und Zeitarbeit?) Deswegen haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD zu diesen beiden Themenbereichen auch sehr viel Zeit genommen und sind uns in Folgendem einig: Wir wollen, dass Zeit- und Leiharbeit, die den Betrieben vor allem ermöglichen soll, Auftragsspitzen, Auftragsschwankungen auszugleichen, besonderen Anforderungen, die sich plötzlich stellen, gerecht zu werden, auch in Zukunft als ein Flexibilisierungsinstrument erhalten bleibt. Wir wollen genauso, dass der Werkvertrag – es ist erwähnt worden –, der seit über 100 Jahren im BGB steht und vielfach sinnvoll eingesetzt wird, erhalten bleibt. Da haben wir bei der Linken Zweifel, ob sie dies nicht alles abschaffen will. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Wir wollen aber vor allem eines klarstellen: Zeit- und Leiharbeit und genauso Werkverträge sind kein Instrument für Lohndumping. Vielmehr haben die Beschäftigten Anspruch auf eine anständige und angemessene Bezahlung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Auf die gleiche wie die anderen! Das ist der Punkt!) Das haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode deutlich gemacht, indem wir für Zeit- und Leiharbeit einen allgemeinverbindlichen eigenen Mindestlohn eingeführt haben, der im Westen bereits über 8,50 Euro liegt. (Katja Mast [SPD]: Auf Druck der SPD!) Also: In der Zeit- und Leiharbeit ist der Mindestlohn höher als der allgemeine gesetzliche Mindestlohn. Wir haben deutlich gemacht: Zeit- und Leiharbeit ist kein Instrument für Lohndumping; vielmehr gibt es da eine klare Grenze. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!) In der Koalitionsvereinbarung haben wir miteinander festgelegt, dass wir eine Höchstverleihdauer definieren wollen und dass wir auch die Frage, ab wann jemand, der in einem Leiharbeitsverhältnis steht, die gleiche Bezahlung wie die Festangestellten – Stichwort „Equal Pay“ – bekommen soll, beantworten. Aber dabei geht es nicht darum, dass diese Regelung erst nach neun Monaten greifen soll. Vielmehr haben wir schon in der letzten Legislaturperiode politisch unterstützt, dass Tarifverträge mit einer stufenweisen Heranführung an das Equal-Pay-Prinzip abgeschlossen werden, (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: In Tarif-verträgen!) dass also bereits nach wenigen Wochen Zuschläge für diejenigen gezahlt werden, die in einem Leiharbeitsverhältnis stehen. Besonders ist dafür der Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie bekannt, nach dem in Stufe 1 bereits nach sechs Wochen ein Zuschlag von 15 Prozent, nach drei Monaten ein Branchenzuschlag von 20 Prozent, nach einer Einsatzzeit von fünf Monaten ein Branchenzuschlag von 30 Prozent, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sieht man mal, wie wenig die am Anfang verdienen!) in Stufe 4 dann 45 Prozent und nach neun Monaten ein Branchenzuschlag von 50 Prozent gezahlt wird. Ich finde, genau das ist das Richtige: eine stufenweise Anhebung der Entlohnung in der Leih- und Zeitarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD] – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Gleicher Lohn ist das Richtige! Das ist immer noch nicht gleicher Lohn! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach drei Monaten sind die doch wieder arbeitslos!) Ich wiederhole es: Zum Werkvertrag, einem bewährten Instrument, gibt es eine ausdifferenzierte Rechtsprechung mit klaren Kriterien, an die man sich zu halten hat, um deutlich zu unterscheiden: Was ist ein Werkvertrag und was nicht? Wir wollen, dass diese Kriterien eingehalten und überprüft werden. Ich glaube, wenn wir die Informationsrechte der Betriebsräte stärken, erreichen wir Folgendes: Mehr Transparenz verhindert Missbrauch. Das sollte in Zukunft unser Motto bei der Gestaltung der Werkverträge sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will noch einmal an das, was Karl Schiewerling eingangs gesagt hat, erinnern. Richtig ist: Wir müssen Missbrauch verhindern. Aber zu dem, was hier von den Oppositionsfraktionen suggeriert wird, dass wir in einer Situation wären, in der die Zahl an Zeit- und Leiharbeitsverhältnissen dramatisch zunehmen würde, kann ich nur sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Zurzeit beträgt der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in einem Leih- und Zeitarbeitsverhältnis stehen, 2,6 Prozent. Diese Zahl lag schon einmal bei 2,9 Prozent. Das zeigt: Es gibt hier eher eine Stagnation oder Abnahme als eine Zunahme. Das zeigt: Die Dramatik, die die Opposition bei diesem Thema heraufbeschwört, ist von der Sachlage her überhaupt nicht begründet. (Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Reden Sie doch einmal mit diesen Leuten! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Auch 900 000 Leiharbeitskräfte haben Rechte!) Diese Debatte, nehme ich an, ist heute auch deswegen aufgesetzt worden, um das eigentliche Ziel, das wir als Koalition verfolgen, ein Stück weit zu vernebeln. Ja, wir wollen Probleme, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt, nicht negieren. Aber das eigentliche Ziel muss doch das sein, was sich die allergrößte Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Tat wünscht, nämlich in ein normales sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu kommen. Das ist das Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deswegen muss die Politik die Frage beantworten: Wie setzen wir die Rahmenbedingungen dafür, dass dieses Ziel für möglichst viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreichbar ist? Wir sollten einfach zur Kenntnis nehmen, dass das vergangene Jahr, also 2014, das Jahr mit der geringsten Arbeitslosigkeit seit 25 Jahren war und mit circa 42,5 Millionen beschäftigten Menschen das Jahr mit dem höchsten Beschäftigungsstand in der deutschen Geschichte darstellt, und zwar auch dem höchsten Stand an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das ist das Entscheidende. (Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Aber nicht Vollzeit!) Für mich ist der entscheidende Punkt: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist dabei proportional stärker angestiegen als die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse insgesamt. Die Botschaft ist also: Die positive wirtschaftliche Entwicklung führt im Gegensatz zu dem, was wir in früheren Jahren und Jahrzehnten erlebt haben, mittlerweile dazu, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die anständig verdienen sowie Steuern und Sozialabgaben zahlen, stärker als der Beschäftigungszuwachs insgesamt steigt. Das ist die eigentliche positive Botschaft. Die Zahl der normalen Arbeitsverhältnisse in Deutschland nimmt wieder zu. Das ist auch die Botschaft für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, weil wir heute Morgen mit der Regierungserklärung der Frau Bundeskanzlerin begonnen haben und einen Blick auf die internationale Entwicklung geworfen haben, will ich zum Schluss anmerken, dass die Internationale Arbeitsorganisation vorgestern einen dramatischen Bericht vorgelegt hat. Sie hat festgestellt, dass weltweit immer weniger Menschen einen Job haben und dass von den Menschen, die einen Job haben, weltweit nur noch 42 Prozent einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben. Das ist eine dramatische Veränderung der Arbeitswelt weltweit. Dagegen heben wir uns in hervorragender Weise ab, weil wir in Deutschland genau den gegenteiligen Trend haben, und zwar zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht!) zugunsten guter Arbeit. Ich finde, es ist der eigentliche Arbeitsauftrag der Koalition, diesen guten Trend für mehr Arbeit, für mehr Beschäftigung und für gute Bezahlung fortzusetzen. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Teilzeit, -Minijobs!) Das ist unser Ziel. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4839 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Prinzipien des deutschen Bildungswesens stärken – Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung durchsetzen Drucksache 18/4928 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierung Berufsbildungsbericht 2015 Drucksache 18/4680 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausbildungsqualität sichern – Gute Ausbildung für alle schaffen Drucksache 18/4931 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Brigitte Pothmer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit einer echten Ausbildungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen Drucksache 18/4938 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat Frau Bundesministerin Professor Dr. Johanna Wanka. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das duale System ist die wesentliche Säule für die Fachkräftesicherung der Zukunft in Deutschland auch in den nächsten Jahrzehnten. Das zeigt und demonstriert der uns vorliegende Berufsbildungsbericht 2015 ganz deutlich. Er zeigt aber auch, dass die berufliche Ausbildung in Deutschland vor sehr großen Herausforderungen steht. Was sind die Hauptbotschaften, die man diesem Bericht entnehmen kann? Aus Sicht der Jugendlichen hat sich die Situation weiter verbessert. Jetzt haben wir die Situation, dass für 100 Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchen, 103 Ausbildungsplätze vorhanden sind. Wenn ich mir die Zahlen der BA von März und April anschaue, dann setzt sich dieser Trend fort. Es ist ganz anders als in den 90er-Jahren. Wir haben also die Situation, dass mehr Plätze unbesetzt bleiben, es sind 37 000. Das ist Höchststand. Dagegen gibt es nur 21 000 Bewerber, die gar nichts haben und einen Ausbildungsplatz suchen. Die Frage ist: Wie bekommt man diese Jugendlichen auf die für sie geeigneten Ausbildungsplätze? Dieses Passungsproblem ist nicht trivial zu lösen. Es ist außer-ordentlich schwierig. Es ist sehr komplex. Wenn wir uns die Ausbildungsbetriebe anschauen, dann hat sich die Zahl derer, die Ausbildung anbieten, weiter verringert. Das ist außerordentlich bedenklich. Die großen und mittleren Betriebe haben ihre Ausbildungsbetriebsquote erhöht, aber bei den kleinen und kleinsten Betrieben geht diese Zahl stark zurück. Wir müssen die kleinen Betriebe motivieren, Ausbildungsplätze anzubieten, gerade in den neuen Bundesländern, wo sie jahrelang niemanden gefunden haben. Im Juni, Juli starten wir eine Ausschreibung, in der wir ein spezielles Programm anbieten, um die Ausbildungsbereitschaft der kleinen und mittleren Betriebe zu erhöhen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn man das Geflecht sieht, dann ist ganz klar: Es sind ganz viele Akteure in dem Geschäft. Dieser Bereich ist außerordentlich komplex. Man kann nicht an einer Stellschraube drehen und erwarten, dass sich dann alles grundlegend ändert. Deswegen bin ich den Koalitionsfraktionen sehr dankbar für diesen sehr umfassenden Antrag, der alle Aspekte einbezieht und viele Anregungen enthält, über die wir diskutieren und die wir umsetzen. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hat eigentlich dieselbe Zielrichtung, es gibt auch in Bezug auf die Instrumente viel Übereinstimmung. Aber in der Einschätzung dessen, was die Regierung ordentlich gemacht hat, was die Regierung schon erreicht hat, gibt es natürliche wesentliche Unterschiede. (Zuruf von der CDU/CSU) – Ja, es ist normal für eine Opposition. Es gibt viele Chancen, die wir ergreifen können – lassen Sie mich zwei, drei nennen, zum Beispiel den Übergangsbereich. In diesen Übergangsbereich mussten Bund und Länder in den 90er-Jahren richtig viel Geld stecken, um dafür zu sorgen, dass die jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, wenigstens irgendetwas haben. Früher sind rund 400 000 junge Menschen pro Jahr in den Übergangsbereich eingetreten, heute sind es rund 250 000. Das sind immer noch sehr viele. Aber es ist ein absoluter Fehlschluss – auch das habe ich in den Anträgen der Opposition gelesen –, zu glauben, das seien 250 000 Leute, die auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. Mindestens ein Drittel der jungen Menschen in diesem Übergangsbereich nutzt ihn, um einen schulischen Abschluss nachzuholen oder um einen höheren schulischen Abschluss zu erreichen, um ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu erhöhen. Dann gibt es in diesem Bereich die Jugendlichen, für die er gedacht ist und für die er auch in Zukunft immer notwendig sein wird. Das sind diejenigen, die die Schule verlassen und nicht ausbildungsfähig sind. Sie erfahren in den Maßnahmen des Übergangsbereichs besondere Unterstützung und Weiterbildung, was vielleicht noch besser und effektiver ausgestaltet werden kann. Dann gibt es die Gruppe junger Menschen, die in dem System sozusagen versorgt sind, aber in Wirklichkeit etwas anderes wollen, nämlich einen Ausbildungsplatz. Das ist die Klientel, auf die die Wirtschaft sofort zugreifen kann. Sie kann nicht sagen: Es gibt zu wenige, die eine Ausbildung machen wollen. Zu den Potenzialen zählen die Jugendlichen mit -Migrationshintergrund. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Ausbildungsanfängerquote bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund liegt bei 32 Prozent, bei den deutschen Jugendlichen bei 57 Prozent; es gibt also eine Riesenlücke. Fest steht: Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben sich in den letzten Jahren schulisch verbessert. Nun müssen wir vor allem um sie werben. Wir müssen die Jugendlichen, ihre Eltern, aber auch die Betriebe, die von Menschen mit Migrationshintergrund geleitet werden, informieren. Deshalb haben wir in diesem Jahr die Zahl der KAUSA-Servicestellen, die genau diese Funktion haben, mehr als verdoppelt. Aber es sind noch weitere Anstrengungen notwendig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Viele Jugendliche – die Zahlen finden Sie im vorliegenden Bericht – zwischen 20 und 29 Jahren haben keinen beruflichen Abschluss. Sie haben eine zweite Chance verdient. Das kostet richtig viel Geld, aber hier muss etwas getan werden. Aber viel entscheidender ist es, dass wir verhindern, dass wir es auch in Zukunft mit solchen Größenordnungen zu tun haben. Das heißt, wir müssen präventiv tätig sein und individuell fördern. Prävention statt Reparatur, das muss unsere Zielstellung sein. Bildungsketten – wir haben darüber gesprochen – sind eine sehr gute Möglichkeit, um Jugendlichen Vorstellungen über geeignete Berufe zu vermitteln, um sie zu ermuntern, eine Ausbildung zu beginnen. Wir sind in Deutschland immer stark, wenn es darum geht, Projekte auf den Weg zu bringen. Das Feedback in allen Projekten, die ich besucht habe, war: Es gibt eine große Akzeptanz dieser Bildungsketten vonseiten der Lehrer, aber auch vonseiten der Auszubildenden und der Ausbilder. Die Bildungsketten sind wirklich ein gutes Instrument. Aber wichtig ist, dass man etwas, das funktioniert, in einer anderen Größenordnung und flächendeckend macht. Die Arbeitsministerin und ich haben uns zusammengetan. Ich kann Ihnen sagen, dass wir 500 000 jungen Menschen – das ist eine halbe Million – eine Potenzialanalyse anbieten können, dass wir in den nächsten Jahren für über 100 000 junge Menschen eine Berufseinstiegsbegleitung anbieten. Nun könnte man sagen: Das könnte noch mehr sein. Aber in dieser Dimension gab es das bisher noch nie. Bei der Berufseinstiegsbegleitung sind praktisch alle Schulen, die infrage kommen, eingebunden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nun ist es so, dass sich viele um dieses Thema bemühen. Es gibt eine Menge von Maßnahmen, die nebenher und unkoordiniert verlaufen. Frau Nahles und ich haben die politische Initiative ergriffen. Wir regen an, dass in den einzelnen Bundesländern Gesamtkonzepte auf den Weg gebracht werden, damit keiner verloren geht. Wir müssen natürlich auf die Bundesländer zugehen; denn die Bedingungen, unter denen dies in Baden-Württemberg umgesetzt wird, sind andere als in Hamburg. Ich hoffe auf große Resonanz der Landesminister. Einige haben Ihre Bereitschaft schon signalisiert. Verwundert hat mich in den Oppositionsanträgen – da war ich wirklich verblüfft –, dass so viel über die Ausbildungsplatzgarantie geschimpft und andere Vorschläge gemacht wurden. Haben Sie nicht gelesen, was wir gemacht haben? (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) In der Allianz für Aus- und Weiterbildung ist das ein ganz zentraler Punkt. Wir haben dort zum Beispiel die Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Wenn ein Jugendlicher bis zum 30. September – also konkret, nicht nur irgendwie – eines Jahres keinen Ausbildungsplatz hat, dann bekommt er bei der Nachvermittlung der BA drei Angebote, und wenn sie bewirken, dass er sich räumlich verändern muss oder auch beruflich, dann wird das entsprechend finanziell unterstützt, auch zum Teil von den Arbeitsagenturen in den Ländern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auch das Thema Ausbildungsqualität ist in der Allianz für Aus- und Weiterbildung ein ganz zentrales Thema. Wir sollten wissen: Die Ausbildungsqualität muss verbessert werden, an vielen Stellen. Da sind viele Maßnahmen, viele Dinge vorgesehen, aber keine Schreckgespenster. Selbst der DGB – der DGB! – sagt, dass der Großteil der Auszubildenden zufrieden ist mit der Ausbildungsqualität. Ein Punkt, den ich besonders wichtig finde und noch kurz benenne, meine Damen und Herren, ist die Durchlässigkeit. Wissen Sie, in der Kultusministerkonferenz haben wir über Jahre diskutiert: Das Abitur in Deutschland ist die Hochschulzugangsberechtigung, die generelle Zugangsberechtigung, und alles andere geht nicht, vermatscht das Abitur. Man konnte es nachholen über den zweiten Bildungsweg. Mittlerweile ist es eine Tatsache – die wichtig ist –, dass man mit beruflicher Qualifikation studieren kann. Die Allererste, die das im Gesetz vorgesehen hat, war ich 2008 in Brandenburg. 2009 gab es den KMK-Beschluss. Jetzt ist es bundesweit in allen Gesetzen verankert. Aber es funktioniert noch nicht. Die Zahlen sind minimal. Wir müssen mehr machen, wir müssen die Hürden, die in den Gesetzen sind, noch einmal diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten bei der CDU/CSU und der SPD) Die rechtliche Basis ist gegeben; aber dazu gehört sehr viel mehr. Wenn wir wollen, dass akademische und -duale Ausbildung nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern dass Durchlässigkeit in beide Richtungen vorhanden ist, dann müssen wir an dieser Stelle intensiv arbeiten. Das ist ein Punkt, den ich in unterschiedlichen Anträgen wiedergefunden habe. Meine Damen und Herren, der Berufsbildungsbericht ist Analyse, aber auch Ermunterung und Auftrag, und den nehmen wir an. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung, die Bundesministerin spricht von leichten Verbesserungen auf dem Ausbildungsmarkt für Jugendliche, obwohl sie wieder einen Rückgang bei der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge konstatieren muss. Es scheint heute schon ein Erfolg zu sein, dass sich der Rückgang der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge gegenüber dem Vorjahr verringert hat. Ich finde, das ist eine komische Logik. (Beifall bei der LINKEN) Gleichzeitig beschwört sie seit Monaten, die Attraktivität der dualen beruflichen Bildung zu erhöhen und ihre Gleichwertigkeit zur akademischen Bildung herzustellen, und bastelt Programme für Studienabbrecher, um sie für die duale Ausbildung zu begeistern. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ist daran schlecht?) – Das ist nicht schlecht; das stimmt. – Die Zunahme der Zahl der unbesetzten Lehrstellen erklärt sie wieder mit sogenannten Passungsproblemen. Wir finden, dass die Probleme anders liegen. Die -duale Berufsausbildung hat kein Attraktivitätsproblem, sondern es mangelt an guten Ausbildungsplätzen, und sie hat zumindest in einigen Branchen und Unternehmen ein Qualitätsproblem. Darum haben wir heute einen Antrag zur Verbesserung der Ausbildungsqualität vorgelegt. (Beifall bei der LINKEN) Doch zu einigen Zahlen: Die Bundesregierung, die Ministerin eben auch, spricht immer nur von den etwa 21 000 unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern, also jenen Jugendlichen, die überhaupt kein Angebot erhalten haben. Ich finde, das ist Schönfärberei. Ich muss Ihnen eine andere Zahlenreihe anbieten: Tatsächlich haben sich mehr als 600 000 junge Menschen über die Bundesagentur für Arbeit um einen Ausbildungsplatz beworben. Es wurden aber nur 560 000 Stellen angeboten. Etwa 522 000 Ausbildungsverträge wurden tatsächlich abgeschlossen, einige davon sogar außerbetrieblich. Insgesamt haben sich also nicht nur 21 000, sondern 81 000 junge Menschen erfolglos um einen Ausbildungsplatz beworben; das ist schon eine andere Größenordnung. Ihr Wunsch, eine Berufsausbildung zu machen, ist immer noch da, auch wenn sie sich zurzeit in einer anderen Bildungsmaßnahme befinden. Es ist eine Katastrophe, dass insgesamt über eine Viertelmillion junge Menschen sich in schulischen Ausbildungsangeboten befinden – dort geparkt werden –, die zu keinem Berufsabschluss führen. Das darf man nicht schönreden! (Beifall bei der LINKEN) Ich finde, diese Warteschleifenpolitik des sogenannten Übergangssystems muss ein Ende haben, auch wenn es richtig ist, dass der eine oder die andere über diesen Weg einen höheren Schulabschluss erreichen kann. Das ist aber eine ganz andere Ebene. Das alles kann man auch anders machen. Nachdem in den Jahren seit 2005 die Zahlen des Übergangssystems sehr deutlich geschrumpft sind, scheint es nun irgendwie nicht weiterzugehen. Wenn es gelänge, nur diejenigen der im Übergangssystem Verbliebenen, die über einen Schulabschluss verfügen, also über einen Haupt- oder einen Realschulabschluss – das sind etwa drei Viertel der dort befindlichen jungen -Menschen –, in eine vollwertige Berufsausbildung zu bringen, wäre ein Großteil des Problems gelöst. Dazu brauchte man allerdings etwa 190 000 zusätzliche Ausbildungsplätze. Die zum Jahresende 2014 geschlossene Allianz für Aus- und Weiterbildung hat aber gerade einmal beschlossen, 20 000 Stellen mehr an die Bundesagentur für Arbeit zu melden. Man beachte die sprachliche Feinheit: zu melden, nicht zu schaffen! Frau Ministerin, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft hatten wir in den letzten Jahren wahrlich genug. Sie haben nichts geholfen. (Beifall bei der LINKEN) Darum ist das ewige Gejammer um die angeblich sinkende Attraktivität der beruflichen Bildung im Vergleich zur akademischen völlig überflüssig. Der Ball liegt bei den Unternehmen. Die müssen liefern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt tatsächlich etwa 37 000 unbesetzte Ausbildungsstellen, und zwar vornehmlich in den Wirtschaftsbereichen und kleinen Unternehmen, die eine sehr schwierige Ausbildungslage und Probleme mit der Ausbildungsqualität haben. Dort gibt es die höchste Zahl an Vertragsauflösungen. Das weist darauf hin, dass wir uns mehr um die Ausbildungsqualität kümmern müssen. Das kann man auch sehr gut im Ausbildungsreport der DGB-Jugend nachlesen, aber leider nicht so ausführlich im Berufsbildungsbericht. Ich will nur ein paar -Fakten daraus nennen: 34 Prozent der Jugendlichen haben keinen betrieblichen Ausbildungsplan, 11 Prozent sehen ihre Ausbilder selten oder nie, 36 Prozent müssen regelmäßig Überstunden machen, 13 Prozent der unter 18-Jährigen müssen mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten. Ich höre damit auf. Es gibt aber noch eine ganze Latte mehr solcher Befunde. Zu den Branchen, in denen das am häufigsten beklagt wird, gehören genau jene, in denen die meisten offenen Stellen sind und die die höchste Zahl der Ausbildungsabbrüche haben. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Was für eine Überraschung!) Die Sicherung der Ausbildungsqualität ist eine der wichtigsten Aufgaben für die Erhöhung der Attraktivität beruflicher Bildung geworden. Das müssen wir über die quantitativen Dinge hinaus endlich auch annehmen. (Beifall bei der LINKEN) Darum haben wir in unserem Antrag Forderungen formuliert, die nach unserer Auffassung auf Bundes- und auf Landesebene dringend in Angriff genommen werden müssen. Wir haben uns diesmal auf die duale Berufsausbildung, also auf die nach dem Berufsbildungsgesetz und der Handwerksordnung, beschränkt, wissen aber, dass es auch in anderen Bereichen offene Fragen dazu gibt. Die Ausbildungsqualität wird sich jedoch nur verbessern lassen, wenn auch die rechtlichen Rahmen dafür geschärft werden, und das kann und muss im Zuge einer Novellierung des Berufsbildungsgesetzes geschehen. Dazu gehört zum Beispiel auch die Aufwertung der Berufsschulbildung. Dual ist eine Ausbildung nämlich nur dann, wenn sie beide Seiten hat: die betriebliche und die schulische. Wenn das eine fehlt, ist sie nicht mehr dual. Deswegen müssen schulische Lernleistungen tatsächlich auch bei den Kammerprüfungen berücksichtigt werden, müssen die rechtlichen Regelungen für den Besuch einer Berufsschule zwischen den Ländern – sie sind nämlich sehr unterschiedlich – vereinheitlicht werden und müssen die Rechte von Auszubildenden, die älter als 18 Jahre sind, neu gesetzlich geregelt werden. Der -Berufsbildungsbericht muss künftig auch die Ausbildungsqualität berücksichtigen, und die Kompetenzen der Berufsbildungsausschüsse müssen gestärkt werden. Wir gehen nicht davon aus, dass wir schon alle Forderungen aufgeschrieben haben. Für Ergänzungen und Erweiterungen sind wir sehr dankbar. Ich möchte noch ganz kurz auf den Antrag der Koalition eingehen. Das Anliegen, die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung zu verbessern, teilen wir durchaus, aber Bekenntnisse werden hier nicht ausreichen. Lassen Sie mich drei Anmerkungen zu Ihrem Antrag machen. Erstens. Sie fordern von den Unternehmen, dass die Absolventen der beruflichen Bildung, wie staatlich geprüfte Techniker und Fachwirte, Entwicklungsmöglichkeiten erhalten, wie sie auch Hochschulabsolventen -haben. Das ist richtig; denn sie haben ein Qualifikationsniveau, das dem Bachelor-Abschluss gleichgestellt ist. Aber, meine Damen und Herren, das gilt auch für Erzieherinnen und Erzieher. Warum ist es dann so schwer, ihre Arbeit im Bereich der frühkindlichen Bildung in den Kindertagesstätten genauso zu würdigen und sie entsprechend einzugruppieren? (Beifall bei der LINKEN) Senden Sie hier doch einmal ein solches Signal aus; das würde vielleicht sogar in den derzeitigen Tarifverhandlungen helfen. Ihre Arbeit ist nämlich nicht weniger wert als die eines Fachwirtes, Meisters oder Technikers. Zweitens. Wir teilen die Forderung, Berufsschullehrer im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung stärker in die Lehrerausbildung einzubinden; wir fordern das auch. Die Lage an den Berufsschulen könnten wir allein schon dadurch verbessern, dass wir das Übergangs-system entsprechend abbauen. Dann könnten die frei werdenden Lehrerstunden nämlich in den Berufsschulen genutzt werden. Einen dritten, letzten Punkt möchte ich benennen und die Koalition auf einen kleinen Fehler hinweisen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Aber nur einen kleinen!) Unter Punkt 8 Ihrer Forderungen steht, die regionalen beruflichen Bildungszentren sollten zu Kompetenzzen-tren ausgebaut werden. Meine Damen und Herren von der Koalition, das dürfen Sie nicht; die Bundesregierung darf das nicht finanzieren, weil das Aufgabe der Länder ist. Ich frage mich ernsthaft, was Sie dazu bewogen hat, diesen Punkt aufzunehmen. Möglicherweise unterliegen Sie einem Irrtum, oder Sie wollen auf ganz listige Weise die Länderhoheit umgehen. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie irren sich! Das ist vollkommen falsch, was Sie sagen! Die überbetrieblichen Ausbildungsstätten sind bei uns im Haushalt!) – Es tut mir leid. Es geht nicht um überbetriebliche Ausbildungsstätten. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Doch, darum geht es!) Es geht um die regionalen Berufsbildungszentren. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Dr. Hein. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Googeln Sie einfach einmal! Dann finden Sie heraus, dass das Schulen sind. Das ist Länderhoheit. Tut mir leid. – Das Kooperationsverbot ist nicht unsere Erfindung. Heben Sie es auf, dann kriegen wir das auch hin. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Willi Brase das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Willi Brase (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auf die Debatte im federführenden Ausschuss; denn das, was Sie hier dargestellt haben, stimmt in Teilbereichen nicht ganz mit der Realität überein. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!) Ich finde, die Ministerin hat auf der Grundlage des Berufsbildungsberichtes schon sehr genau auf die unterschiedlichen Strukturen, Bedingungen und Verhältnisse hingewiesen. Das werden wir im Ausschuss noch einmal gebührend zu diskutieren haben. Wir konnten heute in der Presse lesen, dass laut einer Studie von Prognos bis zum Jahre 2020 1,2 Millionen junge Leute mit Berufsabschluss und 500 000 junge Leute mit Hochschulabschluss benötigt werden. Das ist nicht mehr lange hin; das sind nur noch ein paar Jahre. Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf hinweisen, dass die Debatte um einen angeblichen Akademisierungswahn in diesem Lande ein bisschen schiefläuft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Für uns ist der Aufstieg für alle, egal woher sie kommen und was sie mitbringen, ein absolutes Muss. Davon weichen wir nicht einen Millimeter ab. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen allen Menschen – denen aus schwierigen materiellen und sozialen Verhältnissen genauso wie -denen aus guten oder bildungsnahen Verhältnissen – die Chance geben, den Weg zu gehen, den sie gehen wollen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Daher empfehle ich, diese Debatte ein Stück weit zurückzufahren. Sie bringt uns nicht weiter. Was ich gut finde – man findet es teilweise in den -Anträgen, aber auch in der Realität –, ist die Debatte über die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung. Nach meinem Eindruck scheint mittlerweile klar zu sein, dass es nichts mehr bringt, die duale berufliche Ausbildung nur als Einstieg für Leute mit mittlerem Abschluss, Hauptschulabschluss und darunter zu verstehen. Das, was wir mit dem Berufsbildungsgesetz anbieten – Aufstiegsfortbildungen, Umschulungsmöglichkeiten, vor allem der Durchstieg zur Fachhochschule, auf den ich noch zu sprechen komme –, ist absolut richtig, um die Stärke des Industriestandortes Deutschland zu erhalten und gleichzeitig gute Perspektiven für die jungen Leute auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zur Gleichwertigkeit gehört für mich auch – wir können es im Berufsbildungsbericht gut nachlesen –: Wir haben über 200 000 junge Leute, die eine schulische Ausbildung mit Abschluss im Gesundheits- und Erziehungsbereich absolvieren. Nicht all diese jungen -Menschen haben eine Hochschulzugangsberechtigung. Vielfach sind es junge Menschen mit einem mittleren Bildungsabschluss. An dieser Stelle gebe ich Frau Hein durchaus recht: Die Gesellschaft sollte und muss begreifen, dass die Wertigkeit der Erziehungs-, der Pflege- und der Gesundheitsberufe – vor allen Dingen, was den -Pflegebereich angeht –, wesentlich höher eingeschätzt werden muss. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das halte ich für absolut richtig und notwendig; das muss noch einmal deutlich gesagt werden. Ich komme zur Qualität der dualen Berufsausbildung. Wir haben, auch außerhalb des Parlamentes, mehrere Debatten darüber geführt, an welchen Stellen das Berufsbildungsgesetz möglicherweise novelliert werden muss. Ich bin ein bisschen nachdenklich geworden, als von Vertretern des Bundesinstituts für Berufsbildung, der Wirtschaft und der Wirtschaftsverbände der Begriff „Berufslaufbahnkonzept“ benutzt wurde. Diesem Berufslaufbahnkonzept liegt die Auffassung zugrunde: Wir brauchen in bestimmten Branchen nur noch Teilqualifikationen. – Dazu kann ich für meine Fraktion klar und deutlich sagen: Wir wollen, dass das duale Ausbildungssystem das Berufsprinzip beibehält und dass ein Ergebnis der Prüfung die Zuerkennung der Berufsfähigkeit ist. Wir sind gegen eine weitere Aufgliederung von Ausbildungsgängen. (Beifall bei der SPD) Deshalb ist ein solches Konzept, auch wenn es mit dem Deutschen und dem Europäischen Qualifikationsrahmen ein Stück weit in Einklang steht, aber auf Teilqualifika-tionen und auf Teilzertifizierungen setzt, von uns abzulehnen. Ich kann nur sagen: Mit der SPD wird es eine solche Modularisierung der dualen Berufsausbildung nicht geben. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Es ist über die Warteschleifen diskutiert worden. Ja, man muss sich das genauer anschauen. Man muss sich dieses Problem auch unter regionalen Gesichtspunkten anschauen. Die bundesweiten Zahlen sind das eine, die Realitäten vor Ort das andere. Ich finde es bedauerlich, dass es offensichtlich noch nicht gelungen ist, das Instrument der Einstiegsqualifizierung – im Rahmen der Al-lianz für Aus- und Weiterbildung werden dafür ja noch einmal zusätzliche Plätze angeboten – bei den Unternehmen vor Ort und den jungen Leuten, die möglicherweise erst einmal in diesen Bereich gehen müssen, positiv zu verankern. Wenn man es schafft, ein Jahr lang eine Einstiegsqualifizierung in einem Betrieb zu absolvieren und gut arbeitet, wird diese Leistung zum Teil auf die duale Ausbildung anerkannt. Diesen Weg müssen wir deutlicher aufzeigen. Er muss besser verankert werden. (Beifall bei der SPD) Ich bin Frau Wanka dafür dankbar, dass sie sich mit Frau Nahles und den Bundesländern auf den Weg macht, das gesamte Paket, das für den Übergangsbereich zur Verfügung steht, zu untersuchen – es geht um etwa 250 000 Jugendliche in Warteschleifen – und zu überlegen, wie wir die Vielzahl der Maßnahmen reduzieren können. Ich glaube, dass ich das hier in den letzten Jahren 20- oder 25-mal angesprochen habe. Ich werde nicht müde, das erneut anzusprechen. Die Vielfalt bringt uns nicht weiter. Wir müssen das Ganze vernünftig begrenzen, um auf einen vernünftigen Weg zu kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen und müssen die Attraktivität des beruflichen Bildungssystems erhöhen. Zur Attraktivität der Berufe gehört natürlich auch die Antwort auf die Frage: Wie verhält es sich später mit den Löhnen und Gehältern? In diesem Zusammenhang möchte ich aus einem Artikel in der Rheinischen Post vom 27. Januar dieses Jahres zitieren, der anhand einer Studie des DIW deutlich gemacht hat, wie die Gehälter in einzelnen Ausbildungsberufen aussehen. Ich zitiere: Demnach bekommen Männer nach einer Lehre zum Versicherungskaufmann, Finanzberater, Logistiker oder Buchhalter die besten Stundenlöhne. Sie lassen beim Gehalt unter anderem Lehrer, Geistes- und Politikwissenschaftler, Architekten, Bauingenieure, Fachhochschulabsolventen, Erzieher und Sozialarbeiter hinter sich. – Ich meine, wer für die duale Ausbildung steht, der sollte auch mit Selbstbewusstsein sagen, dass wir sehr viele Berufe haben, in denen sehr gutes Geld verdient werden kann. Diese Berufe kann man mit akademischen Berufen vergleichen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben klare Erwartungen an die Allianz für Aus- und Weiterbildung. Das kann ich, glaube ich, für meine Fraktion, aber auch für die Koalition deutlich sagen. Alles, was diesbezüglich vereinbart wurde – 10 000 Plätze für die assistierte Ausbildung, 20 000 zusätzliche Ausbildungsplätze, Qualität der Ausbildung –, erwarten wir Ende des Jahres. Nach der Nachvermittlungszeit, die wir aus den berufsbildungspolitischen Debatten ja kennen, erwarten wir die entsprechenden Ergebnisse. Es muss vorangehen, auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir zukünftig ein hohes Maß an jungen Leuten brauchen, die gut und ordentlich ausgebildet sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen. Im Juli 2013 haben wir über die Jugendgarantie in Europa gesprochen. Die Bundesregierung und wir im Parlament haben bei den Haushaltsberatungen mittlerweile eine Menge Geld zur Verfügung gestellt, um einen Austausch zu ermöglichen, um jungen Leuten aus anderen Ländern die Chance zu bieten, in Deutschland eine Ausbildung oder Ähnliches zu beginnen. Vor wenigen Tagen hat Jacques Delors, den viele von Ihnen kennen, gesagt, wir brauchten einen neuen Anlauf bei der Ausbildung der Jugendlichen in Europa. Ich glaube, er hat recht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es geht nicht mehr um 30 000 oder 40 000 Jugendliche, sondern um mehr als 200 000 junge Menschen. Die Jugendgarantie umfasst insgesamt Mittel in Höhe von etwa 6 Milliarden Euro. Ich habe ein bisschen in die Szene hineingehört und bin der Frage nachgegangen, was bei all dem herumgekommen ist. Ich denke, dass der von Jacques Delors eingeschlagene Weg – ich kann ihn aufgrund meiner begrenzten Redezeit nicht mehr genau darstellen; man kann es nachlesen – richtig ist: 100 000 und mehr Jugendlichen in Europa wurde die Chance gegeben, in ein Nachbarland zu gehen und eine zwei- oder dreijährige Ausbildung zu machen. Das stärkt Europa, und es gibt allen jungen Leuten Zukunftsaussichten. Dafür sollten wir uns starkmachen. Ich danke fürs Zuhören. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Beate Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Sehr geehrte Frau Ministerin Wanka! Lassen Sie mich mit einem Zitat aus diesem April beginnen, das von Ihnen, Frau Wanka, stammt. Sie sagten damals: Wir haben jetzt im Gegensatz zu vor zehn Jahren mehr unbesetzte Plätze im beruflichen Bereich als unversorgte Bewerber. – Das haben Sie eben wiederholt. Ich finde schon, dass man sich diesen Satz einmal auf der Zunge zergehen lassen muss. Es ist, verzeihen Sie bitte, Unsinn, das einfach so zu behaupten. So, wie Sie es sagen, stimmt es nicht; so können Sie uns das nicht weismachen. Über eine Viertelmillion junger Menschen in diesem Land ist im vergangenen Jahr bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgegangen. Das ist keine kleine Randgruppe, sondern es ist eine Anzahl von Menschen, die der Einwohnerzahl einer Großstadt wie Augsburg entspricht. Diese jungen Menschen landeten im sogenannten Übergangssystem. Es waren fast 260 000 junge Menschen in teuren Warteschleifen ohne Anschluss, ohne Abschluss und ohne berufliche Zukunft. Gleichzeitig klagt die Wirtschaft über Fachkräftemangel. Da läuft irgendetwas falsch. Das ist wirtschaftlicher Unsinn und bildungspolitischer Irrsinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Im Berufsbildungsbericht steht genau das schwarz auf weiß. Frau Ministerin Wanka, es tut mir leid, aber ich finde, als Mathematikprofessorin interpretieren Sie da wirklich Ihre eigene Statistik falsch. Wer all diese Jugendlichen als versorgt bezeichnet – das tun Sie immer noch –, der ist entweder ahnungslos oder verantwortungslos. Ich weiß nicht, was ich schlimmer finde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hören Sie endlich auf, mit Zahlen zu jonglieren. Es geht um junge Menschen. Krempeln Sie lieber die Ärmel hoch, packen Sie etwas an, und schauen Sie, dass Sie die berufliche Bildung in Deutschland vom Kopf auf die Füße stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Koalitionsvertrag haben Sie noch vollmundig eine Ausbildungsgarantie angekündigt. Ich frage Sie: Wo ist sie denn, die Ausbildungsgarantie? Wir haben sie nicht gefunden. Wir haben uns auf die Suche begeben. Im Text der neuen Allianz für Aus- und Weiterbildung schreiben Sie, dass Sie allen Jugendlichen einen Pfad bereiten möchten. Meine Damen und Herren, ein schmaler Pfad, auf dem man sich irgendwie durchwurschteln kann, ist nicht das, was junge Menschen brauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie brauchen breite Wege und Brücken in den Beruf. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, Ihr Antrag zeigt schon im Titel, dass Sie den Kern des Problems überhaupt nicht begriffen haben. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Käse!) Dort lesen wir, dass Sie die Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung – wir haben es gerade gehört – durchsetzen wollen. Ich kann Ihnen versichern: Das schaffen Sie nicht, solange Sie das Ganze wie ein Mantra vor sich her tragen. Schwadronieren Sie nicht so lange über den vermeintlichen Akademisierungswahn – das tun Sie nämlich –, sondern hören Sie auf, die akademische Bildung gegen die berufliche auszuspielen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hat doch niemand gemacht! Niemand macht das! So ein Käse!) – Doch. Da können Sie ruhig lachen. Es ist in unseren Augen so. Es geht um die zentrale Frage, wie wir die Jugendlichen, die es selbst nicht schaffen und die schlechtere Startchancen in diesem Land haben, fit für die Ausbildung machen. Diese Jugendlichen gibt es. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich finde es, ehrlich gesagt, nicht so wahnsinnig lustig. – Es gibt sie, und sie brauchen mehr Unterstützung. Diese Jugendlichen haben wir bis jetzt nicht erreicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb fordern wir eine echte Ausbildungsgarantie, die diesen Namen auch verdient. Wir wollen die assistierte Ausbildung endlich für all jene Jugendlichen öffnen, die eben mehr Unterstützung brauchen, damit sie an ihr Ziel kommen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja, aber das haben wir doch gemacht!) – Ich sage ja gerade, was wir machen wollen. Hören Sie bitte noch kurz zu. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wir haben es schon gemacht!) Wir wollen den Ausbau der Jugendberufsagenturen stärken, damit junge Menschen – etwa solche, die keine Eltern haben, die sie auf den richtigen Weg schubsen – die notwendige Unterstützung bekommen und nicht auf dem Weg von der Schule in den Beruf verloren gehen. Da gehen noch viel zu viele verloren. Wir misten den Dschungel an Maßnahmen im Übergangsbereich aus und bündeln die sinnvollen Programme so, dass sie in einer betriebsnahen Ausbildung vom ersten Tag an zu einem anerkannten Berufsabschluss führen. Da Ihnen anscheinend die Ideen ausgegangen sind, wie es noch besser geht und wie man das erreichen kann, rate ich Ihnen: Schauen Sie ruhig einmal in unsere grüne Ausbildungsgarantie. Übernehmen Sie Verantwortung für die jungen Menschen und für die Wirtschaft in diesem Land. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Michael Kretschmer, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Michael Kretschmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Berufsbildungsbericht, über den wir heute sprechen, ist eine wichtige Handlungsgrundlage, eine gute Analyse, manchmal auch mit unangenehmen Wahrheiten, aber auf jeden Fall ein wichtiger Hinweisgeber für die Bildungspolitik in unserem Land. Ich vertraue diesem Bericht, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erarbeitet wird, viel mehr als so manchem Ratschlag, der von außen kommt. Unlängst hat uns der Präsident der Wirtschaftskammer in Wien erzählt: Wissen Sie, wenn wir der OECD glauben würden, müssten wir davon ausgehen, dass in unserem Land alles desaströs ist. Wir haben in Österreich viel zu wenige Leute, die Abitur machen. Wir haben viel zu wenige junge Menschen, die studieren. Das Einzige, das in Österreich besser ist als in anderen Ländern, das Einzige, wo die OECD zu guten Ergebnissen kommt, ist, dass wir eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit haben – die niedrigste –, dass wir höhere Löhne haben, dass wir überhaupt ein ordentliches Gehaltsgefüge haben. – Deswegen ist die Frage: Wem vertrauen wir? Ich glaube, es ist richtig, dass wir an dem, was Deutschland stark gemacht hat, dass wir an unserem Erfolgskonzept festhalten und es weiter ausbauen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben versprochen – wir halten dieses Versprechen auch –, bis zu 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung und Forschung auszugeben. Denn wir sagen: Es ist wichtig, dass in diesem Bereich viel passiert, dass wir uns um Inklusion kümmern, dass wir uns um junge Menschen kümmern, die es nicht so leicht haben. Insofern gilt dieses Versprechen. Wir werden hier weiter investieren. Unser Grundsatz lautet: kein Abschluss ohne Anschluss. Wir haben, was die Durchlässigkeit der Berufe angeht – der zweijährigen Berufe, theoriegemindert im Vergleich zu den richtigen Facharbeiterberufen – viel bewegt. Wir haben den Zugang zur Hochschule für diejenigen, die einen Meisterabschluss, aber kein Abitur, keine Fachhochschulreife haben, wirklich erleichtert. Das hat viel geholfen. Die große Herausforderung für die Zukunft ist die Kombination aus der demografischen Entwicklung – es gibt viel weniger junge Menschen – auf der einen Seite und dem Studierverhalten, das heute ganz anders ist, als es in der Vergangenheit war, auf der anderen Seite. Deswegen müssen wir alles daransetzen, dass das, was Deutschland als Industrieland stark gemacht hat, das dafür gesorgt hat, dass die Jugendarbeitslosigkeit so niedrig ist wie in kaum einem anderen Land der Europäischen Union, auch in Zukunft gilt. Das heißt, die Kombination aus Praxis und Theorie im dualen System ist die Stärke dieses Landes. Alle Energie, die wir in der Bildungspolitik, in der Berufsbildungspolitik einsetzen, muss sich auf diesen Punkt konzentrieren, damit wir diesen Vorteil auch in Zukunft erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen werden wir die Modularisierung nicht so weit vorantreiben – auch wenn manche eine größere Modularisierung wünschen –, dass dieses Berufskonzept am Ende nicht mehr vorhanden ist. Das wäre in der Tat ein großer Fehler. Es geht darum, dass Teilqualifikationen zertifiziert werden, dass sie auch in die Gesellenprüfung einbezogen werden. Aber im Grundsatz muss es bei diesem Berufskonzept bleiben. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Wir müssen gemeinsam mit den Ländern – wir müssen das auch von den Ländern einfordern – viel mehr Energie für die Berufsorientierung aufwenden, und zwar auch in den Gymnasien. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Überall an den Gymnasien in Deutschland müssen Berufsorientierungsmaßnahmen stattfinden, und zwar nicht als Alibi in der elften oder zwölften Klasse, sondern beginnend ab der achten, neunten Klasse, sodass die jungen Leute tatsächlich eine gute Vorstellung davon bekommen, was für sie das Richtige ist, und sodass hinsichtlich der Gehaltsvorstellungen – dazu haben wir gerade Beispiele gehört – ein realistisches Bild entsteht. Wir haben sehr viele Beispiele von jungen Leuten, die ein Studium abbrechen, weil sie auf einmal merken, dass es doch nicht das Richtige ist. Wir sehen, dass in einigen Berufen in der dualen Ausbildung besser gezahlt wird als in manchen Studienberufen. Deswegen gilt es, hier ein Bild zurechtzurücken. Das kann nur durch eine qualitativ sehr hochwertige Berufsorientierung gelingen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen und müssen auch mit der Wirtschaft darüber reden, dass sie durch Gehaltsmaßnahmen und eine ordentliche Betreuung der Auszubildenden die Attraktivität der dualen Ausbildung verbessert; das ist überhaupt keine Frage. Wir müssen über neue Modelle sprechen. Es geht um die hybride Ausbildung, also die Kombination von Berufsausbildung und Studium, und um das duale Studium, und zwar in einer qualitativ wirklich hochwertigen Weise, wie es damals in Baden-Württemberg von der Union erfunden wurde, nämlich Studium und Praxisanteil statt irgendeines Praktikums. (Widerspruch bei der SPD) Genau dieser Beitrag ist notwendig, damit der große Vorteil, von dem wir am Anfang gesprochen haben, die Kombination von Praxis und Theorie, erhalten bleibt. Das ist ein Gebot der Stunde. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich erinnere mich noch gut: Als ich 1991/1992 meine Ausbildung begonnen habe, bot sich ein trostloses und trauriges Bild. Der überwiegende Teil der jungen Menschen in den neuen Ländern ist entweder zur Ausbildung in die alten Bundesländer gegangen oder hat sich für eine überbetriebliche Ausbildungsmaßnahme entschieden. 2002, als ich zusammen mit vielen heutigen Kollegen in den Bundestag gekommen bin, war die Situation unverändert. Junge Leute in einer Oberschule haben uns erzählt, dass sie 20 oder 30 Bewerbungen geschrieben und nicht einmal eine Absage bekommen haben. Was haben wir seitdem erreicht, meine Damen und Herren? (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Heute gibt es mehr Ausbildungsplätze als Bewerber. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Ergebnis der demografischen Entwicklung!) Heute kann man sich den Ausbildungsplatz aussuchen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist das Ergebnis einer wirklich guten Politik. Denn Ausbildung ist eine Investition in die Zukunft, und zwar für die jungen Menschen, aber auch für den Betrieb. Wir brauchen ein vernünftiges wirtschaftliches Umfeld und eine Wirtschaftspolitik, die auf Wachstum setzt und Vertrauen hat. Ansonsten wird es auch keine Ausbildungsplätze geben. Das hat Angela Merkel seit 2005 geschafft, und das wird ihr auch niemand wegnehmen. Das ist ein ganz großer Erfolg, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Wir machen aber keinen Wahlkampf hier!) Was wir in den vergangenen Jahren gemeinsam erreicht haben, kann uns stolz machen. Die Zahl der Jugendlichen im Übergangssystem ist von über 400 000 auf 256 000 zurückgegangen. Das ist keine Maßnahme, die man kritisch und abwertend sehen muss. Es ist vielmehr eine Maßnahme für Jugendliche, die es zum Teil nicht leicht haben und viele Hemmnisse mitbringen. Um sie kümmert sich dieses Land ganz verantwortungsvoll und mit einem hohen Einsatz, weil wir sagen: Wir wollen kein Talent verloren geben. – Das ist eine tolle Sache, und es ist nicht in Ordnung, wie Sie das gerade he-runtergeredet haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben neue Modelle wie die assistierte Ausbildung und die Bildungsketten entwickelt, die sich bewährt haben und die wir in Zukunft ausbauen wollen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wenn wir dabeibleiben und das Prinzip „Praxis und Theorie“ weiter stärken, dann wird es auch wieder mehr Ausbildungsplätze und bessere Chancen geben. Wir sollten nicht von einem Akademisierungswahn reden. Ich halte das in der Tat für einen Kampfbegriff. Aber wir müssen das Bild zurechtrücken, dass nur das Studium einen vernünftigen Job und ein vernünftiges Einkommen erzeugt. Das ist nicht so. Dieses Land braucht die duale Ausbildung. Dafür müssen wir kämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalitionsfraktion, ich habe Ihren Antrag genau gelesen. Er wird der Überschrift, die Sie gewählt haben, in der Tat gerecht: Es geht um die Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit beruflicher und akademischer Bildung. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass es da einen großen Handlungsbedarf und noch sehr viel zu tun gibt. Aber ich frage Sie: Was ist mit denen, bei denen es nicht um Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit geht, sondern vor allen Dingen erst einmal um einen Zugang zur beruflichen Bildung? Sie finden in Ihrem Antrag bestenfalls am Rande – man kann fast sagen: als Fußnote – statt. Dabei haben wir – Frau Wanka, jetzt hören Sie bitte einmal zu! – (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) 1,5 Millionen Menschen unter 35 Jahren, die keine Berufsausbildung haben. Sie sind wahnsinnig stolz darauf, dass Sie die Anzahl derjenigen, die sich im Übergangssystem befinden, von 400 000 auf 256 000 abgesenkt haben. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ein Großteil aus der rot-grünen Zeit! 2005!) Was hat das mit politischem Erfolg zu tun? Das ist das Ergebnis der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Hier werden die Leistungen von Frau Merkel hervorgehoben. Frau Wanka schlägt sich auf die Schultern. Das ist keine politische Leistung. Die Wahrheit ist, dass sich die Anzahl an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen auf einem Rekordtief befindet. Die Wahrheit ist, dass nur noch jeder fünfte Betrieb sich überhaupt an der Ausbildung beteiligt. Da liegt Ihr Handlungsauftrag. Da sollten Sie etwas tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie schreiben in Ihrem Antrag – wie ich finde, zu Recht –: „Berufliche oder akademische Ausbildung … sind ein Garant für Beschäftigung und sichern gute Verdienstchancen.“ Aber was heißt das im Umkehrschluss? Das heißt im Umkehrschluss: Diejenigen, die keine Ausbildung haben – ich zitiere: 1,5 Millionen –, sind häufiger arbeitslos, sind öfter prekär beschäftigt und arbeiten nicht selten zu Armutslöhnen. Im Laufe ihrer beruflichen Biografie verdienen sie über 240 000 Euro weniger als die, die eine Ausbildung haben. Kümmern Sie sich wirklich einmal um diese Menschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie jetzt sagen, dass Ihre Allianz für Aus- und Weiterbildung die Antwort darauf ist, dann kann ich Sie nur fragen: Wie kann das eigentlich funktionieren? Sie sagen, Sie wollten 20 000 zusätzliche Ausbildungsplätze durch diese Allianz schaffen. Sie sagen, Sie wollten jedem Jugendlichen, der bis Ende September keinen Ausbildungsplatz hat, drei Angebote machen. Jetzt frage ich Sie einmal: Wie geht das nach Adam Riese? Wir haben 250 000 Jugendliche, die derzeit in der Warteschleife sind. Da zähle ich die Altbewerberinnen und Altbewerber in Höhe von 160 000 noch gar nicht mit. Frau Wanka, selbst wenn nicht alle in die betriebliche Ausbildung wollen – das behauptet doch auch keiner –, so bleiben doch immer noch so viele übrig, die nichts bekommen. Sonst hätten wir diese 1,5 Millionen Menschen nicht. Die haben sich doch im Laufe der Jahre aus dieser Warteschleife angehäuft. Also: 20 000 zusätzliche Ausbildungsplätze für 250 000 Jugendliche, und die sollen jeweils drei Angebote bekommen. Das ist echt PISA-verdächtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube wirklich, Sie haben vor diesem Problem kapituliert. Die Warteschleifen werden eben nicht abgeschafft; sie werden jetzt gesundgebetet. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir sind der Auffassung, dass es richtig ist, assistierte Ausbildung zu fördern, dass es richtig ist, ausbildungsbegleitende Hilfen zur Verfügung zu stellen. (Willi Brase [SPD]: Machen wir doch alles schon!) Aber assistierte Ausbildung für 10 000 Jugendliche ist doch weniger als der Tropfen auf den heißen Stein. Sagen Sie doch einfach an dieser Stelle: Wir machen das Angebot allen, die es brauchen. – Das wäre ein Schritt nach vorne. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Selbst wenn wir diese Hilfen für alle zur Verfügung stellen, müssen wir doch endlich auch einmal anerkennen, dass wir nicht alle Jugendlichen in die betriebliche Ausbildung bekommen. Trotzdem haben sie ein Anrecht auf eine Berufsausbildung. Diesen Vorschlag machen wir Ihnen mit unserer Ausbildungsgarantie. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie zu. Dann würden Sie auch Ihren Koalitionsvertrag, in dem Sie das versprochen haben, nicht brechen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Nächster Redner ist Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Karamba Diaby (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen Aufstieg durch Bildung. Diese Leitidee teilen wir alle in diesem Hohen Haus. Als Sozialdemokrat bewegen mich aber insbesondere zwei Fragen: Lösen wir das Versprechen auf Bildungsaufstieg tatsächlich ein? Besteht echte Chancengleichheit in unserem Bildungswesen? Ich möchte daher die heutige Debatte nutzen, um Ihren Blick auf den Ausbildungsmarkt und die Lage der Jugendlichen mit Migrationsbiografie zu lenken. Schülerinnen und Schüler mit Migrationsbiografie sind längst auf der Aufholjagd um Bildungsabschlüsse. Dennoch, trotz aller Fortschritte, die auch von der Frau Ministerin erwähnt wurden: Unser Bildungssystem macht sie immer noch zu Bildungsverlierern, und das muss uns nachdenklich stimmen. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, Herkunft darf kein Schicksal sein, weder der Geldbeutel noch die Herkunft der Familie. Unsere duale Ausbildung ist bekanntlich ein Erfolgsmodell und stillt den Fachkräftebedarf unserer Wirtschaft. Leider gibt es immer weniger betriebliche Ausbildungsstellen, und viele Jugendliche gehen leer aus. Dabei wird die Herkunft für Jugendliche mit Migrationsbiografie zum Klotz am Bein. Ein Berufsabschluss ist die Eintrittskarte in den -Arbeitsmarkt. Er eröffnet Lebenschancen und bietet -Perspektiven. Diese Chancen und Perspektiven sind aber leider nicht allen Kindern in Deutschland in die Wiege gelegt. Alle Zahlen belegen: Jugendliche mit Migrationsbiografie bekommen Diskriminierung auf dem Ausbildungsmarkt zu spüren. Ihr türkischer oder arabischer Name wird zum Stigma. Das darf nicht so bleiben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Egal wie gut ihre Leistungen sind, sie müssen sich mehr anstrengen, um gleiche Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Ihr Ausbildungsweg ist mit mehr Stolpersteinen gepflastert. Trotz statistisch nachgewiesener großer Bemühungen erhalten Mahmoud und Aischa seltener Antworten auf ihre Bewerbungen als Anna und Michael. Trotz gleicher Leistungen werden Mahmouds und Aischas Bewerbungen aussortiert. Sie werden viel seltener zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Das besagen auch Statistiken. Sie ergattern also seltener einen begehrten dualen Ausbildungsplatz. Meine Damen und Herren, das dürfen wir nicht hinnehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Land brauchen wir jedes Talent; denn jeder und jede einzelne Jugendliche ist unsere so dringend gebrauchte Fachkraft von morgen. Nur sage und schreibe etwa 15 Prozent der Unternehmen in Deutschland bilden Jugendliche mit Migrationsbiografie aus. Ich meine, die Wirtschaft ist in der Pflicht, gute Ausbildungsplätze für alle Jugendlichen zu schaffen. Zum Schluss sind mir drei Aspekte besonders wichtig: Erstens ist mir wichtig, dass wir die betriebliche -Diversity-Kompetenz stärken, um Vorurteile abzubauen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich selber glaube an die Erfolge von Schulungen zum Erwerb interkultureller Kompetenzen, und ich kenne solche Erfolge auch. Zweitens müssen wir neue Wege gehen. Warum nicht auch anonymisierte Bewerbungsverfahren auf dem Ausbildungsmarkt? (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]) Drittens müssen wir die Jugendlichen stärken: Wir müssen ihre fehlenden Netzwerke ausgleichen. Patenmodelle und die engere Zusammenarbeit von Schulen und örtlichen Ausbildern sind sehr wichtig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herkunft darf kein Schicksal sein. Lassen Sie uns dafür arbeiten, dass wir keinen Jugendlichen zurücklassen. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dr. Thomas Feist ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der nationale Berufsbildungsbericht hat es deutlich gezeigt: Der Patient atmet noch. – Das ist die gute Nachricht. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn ihr damit zufrieden seid!) Aber es gibt einiges, wo man vom ärztlichen Standpunkt her Bedenken anmelden müsste. Das ist zum Beispiel hier der Fall: Wir haben einen großen Rückgang bei der Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverhältnisse, der regional aber sehr unterschiedlich ist. Unser Rezept ist der Antrag, den wir als Koalitionsfraktionen zur Gleichwertigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung vorgelegt haben. Worum geht es im Einzelnen? Es geht darum – das hat die Ministerin auch schon gesagt –, dass die berufliche Bildung an Attraktivität verliert. Sie haben einmal in einer Rede gesagt, Frau Ministerin: Gegen mangelnde Attraktivität hilft auch kein Ministerprogramm, aber wir sollten es nicht unterlassen, alles zu tun, um die berufliche Bildung hier in Deutschland zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Stärkung der beruflichen Bildung fängt bei einer guten Berufsorientierung an. Ich füge hinzu: Berufs- und Studienorientierung. Angesichts von 330 Ausbildungsberufen und annähernd 20 000 Bachelor-Abschlüssen kommt man ohne eine gute Orientierung nicht weiter. Wir müssen erreichen, dass durch diese Berufs- und Studienorientierung zum einen alle Schüler angesprochen werden, zum anderen über die Schüler hinaus aber auch die Lehrer und die Eltern. Dazu müssen wir durch Staatsverträge mit den Bundesländern eine gleichbleibende und hohe Qualität der Berufs- und Studienorientierung gewährleisten; denn nur dort, wo Berufs- und Studienorientierung drin ist, darf sie auch draufstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das heißt auch: Wenn wir um Gymnasiasten werben, zeugt das von der Erkenntnis, dass in einer Industriegesellschaft – wir reden über Industrie 4.0 –, in einer sich verändernden Wirtschafts- und Technologielandschaft mittlerweile viele Ausbildungsberufe ein Abitur erfordern. Dabei kann eine Berufsausbildung mit einem -„Abitur Plus“, wie sie vom Zentralverband des Deutschen Handwerks vorgeschlagen wird, für die Fachkräfte sorgen, die wir morgen in diesem Lande brauchen. Wir haben in unserem Antrag nicht nur die Ausbildungsbetriebe adressiert, sondern auch die Berufsschulen, die Berufsschullehrer. Hier sind die Länder in der Pflicht, eine Struktur vorzuhalten, mit der wir den Innovationsvorsprung bei der Ausbildung, für den die Berufsschulen sorgen, erhalten und möglicherweise noch verstärken können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es fehlt in der ganzen Ausbildungskette nur noch eine Spezies: die Meister. Auch hier stellt sich die Frage der Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Bildung. Wenn wir über prekäre akademische Arbeitsverhältnisse reden, dann müssen wir auch über die prekären Arbeitsverhältnisse reden, die dort entstanden sind, wo die Meisterpflicht weggefallen ist. Das betrifft nicht nur kleine und Kleinstbetriebe. Wenn wir fragen: „Wie können wir mehr für Ausbildung tun? Wie können wir mehr Unternehmen erreichen, die ausbilden?“, dann ist es vielleicht ein mutiger Schritt, zu sagen: Wir haben in diesem Punkt einen Fehler gemacht und sollten überlegen, wie wir ihn korrigieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir über Gleichwertigkeit reden, möchte ich zwei Zahlen anfügen. Wir investieren in den normalen Bildungsweg, also Schule und berufliche Ausbildung, ungefähr 100 000 Euro. Wir investieren in den Bildungsweg Gymnasium und akademische Ausbildung 170 000 Euro. Aus meiner Sicht ist das ein Missverhältnis. Wir müssen sehen, dass wir in der nächsten Zeit dazu kommen, dass wir auch im Bereich der beruflichen Bildung mehr investieren und diejenigen Unternehmen, die ausbildungsbereit und ausbildungsfähig sind, unterstützen, damit sie auch in Deutschland ausbilden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben in der letzten Zeit darüber geredet, wie wir etwas mehr für den akademischen Nachwuchs tun können. Das ist gut. Unsere Koalitionsspitzen haben sich -darauf geeinigt, für den akademischen Nachwuchs in den nächsten Jahren 1 Milliarde Euro bereitzustellen, eine hervorragende Entscheidung. Noch besser wäre es gewesen, wenn wir im Zusammenhang mit der akademischen Ausbildung vielleicht auch etwas zur beruflichen Bildung gesagt hätten; denn beide Säulen sind wichtig, und beide Säulen stehen in unserem Land gleichberechtigt nebeneinander. Da sollten wir auch noch etwas tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir darüber reden, wie wir die Gleichwertigkeit von dualer, beruflicher und akademischer Bildung weiter erhöhen können, dann ist die Frage, wie wir etwas für die Aufstiegsfortbildung, sozusagen für das Meister-BAföG, tun können, auch ein wichtiges Thema. Wir sind gerade dabei, zu überlegen, welche Anreize wir denjenigen geben können, die sich für ein Meisterstudium entscheiden, wie wir finanzielle Anreize für das Bestehen dieser Meisterprüfung geben können und wie wir es eventuell auch schaffen, weitere Adressatenkreise für das Meisterstudium zu erschließen, die bisher noch nicht erfasst wurden. Ich denke da zum Beispiel an diejenigen, die einen Beruf gelernt haben, einen Bachelor haben und damit jetzt auch einen Anspruch auf Meister-BAföG bekommen sollen. Wir haben dem Berufsbildungsbericht entnommen, dass Handlungsbedarf besteht. Wir haben in dieser -Koalition schon die richtigen Zeichen gesetzt, auch im letzten Jahr. Es gilt jetzt, auf diesem Weg weiterzugehen und für eine gute und zukunftsfähige Finanzierung des beruflichen Sektors zu sorgen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Gabriele Katzmarek, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Katzmarek (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Berufliche Bildung made in Germany ist ein Markenzeichen und ein Erfolgsfaktor der Wirtschaft. Sie ist Garant für gut ausgebildete Facharbeiter und Facharbeiterinnen und für Akademiker und Akademikerinnen. Deutschland hat – und manchmal scheint man, wenn man die Reden heute hier gehört hat, zu glauben oder es vergessen zu haben – die geringste Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Mehr als 520 000 Ausbildungsverträge wurden 2014 abgeschlossen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich denke, es ist richtig, dies zu erwähnen. Ja, richtig ist auch – das müssen wir ebenfalls erwähnen; wir müssen darüber nachdenken, wie wir hier weiter vorgehen wollen –, dass 20 000 Jugendliche – dies konnten wir dem Bericht entnehmen – unversorgt sind. 50 000 Jugendliche verlassen Jahr für Jahr die Schule ohne Schulabschluss. 1,3 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren haben keine abgeschlossene Berufsausbildung; auch das ist richtig. Das verheimlichen wir nicht. Das ist erkennbar und ist dem Berufsbildungsbericht zu entnehmen. Das ist der Iststand. Meine Damen und Herren, und wir stehen heute hier und das nicht nur heute, sondern wir haben dazu schon verschiedene Beschlüsse gefasst und Maßnahmen verabredet, die dazu dienen, dies zu verändern im Interesse der jungen Menschen, um ihnen eine Perspektive für ihr weiteres Leben zu geben, und um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland wird entscheidend davon abhängen, inwieweit es uns gerade auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels gelingt, Bildung, Weiterbildung und Qualifikation der Fachkräfte zu sichern und auszubauen. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig!) Wir müssen uns mit den Folgen des dramatischen Geburtenrückgangs auseinandersetzen; denn entsprechend wird das Fachkräfteangebot zurückgehen. Wenn wir nicht rechtzeitig und entschieden reagieren, werden Wachstumseinbußen unvermeidbar sein. Aber wir sind in der Lage, diesem Trend entgegenzusteuern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im ersten Schritt müssen wir die vorhandenen Potenziale besser nutzen, die wir im Inland haben. Aber klar ist auch: Alleine aus dem eigenen Arbeitsmarkt heraus werden wir die Folgen des demografischen Wandels nicht abfedern. Wir müssen uns dazu bekennen, ein Einwanderungsland zu sein, nicht nur rhetorisch, sondern durch die Schaffung eines modernen Einwanderungsrechts. (Beifall bei der SPD) Wir reden heute über Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung sowie über den Berufsbildungsbericht der Bundesregierung. Wie die im Berufsbildungsbericht dargelegten Zahlen zeigen – Frau Pothmer, da haben Sie recht –, sind weitere Anstrengungen notwendig. Unser Ziel ist und bleibt, keinen Jugendlichen nach der Schule zurückzulassen. Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass wir, seitdem wir in der Regierung sind, verschiedenste Maßnahmen auf den Weg gebracht haben und heute nicht zum ersten Mal darüber reden. Ein Teil der Maßnahmen wurde schon genannt. Da Sie aber noch immer mäkeln, dass es nicht genug ist, will ich sie gerne noch einmal erwähnen – vielleicht merken Sie sich das dann –: 20. Mai 2014, was haben wir dort gemacht? Das -Modellprojekt „Jobstarter plus“, dann das Programm „Aufstieg durch Bildung“, die Initiative „Abschluss und Anschluss“, Ausbau der Berufsorientierung und am 26. Januar dieses Jahres die assistierte Ausbildung sowie die Ausweitung der ausbildungsbegleitenden Hilfen. – Dieses, meine Damen und Herren, muss man nun einmal zur Kenntnis nehmen, wenn man hier redet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unser Ziel wird es weiterhin bleiben – deshalb führen wir diese Maßnahmen ein –, keinen Jugendlichen zurückzulassen. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Es geht aber nicht um Quantität, sondern um Quali-tät! – Gegenruf des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) – Gut, wenn es Ihnen hilft, können Sie das gern ausdiskutieren. Es ist nur ärgerlich, dass es dann, wenn ich -Ihnen zuhören will, von meiner Redezeit abgeht. Deshalb verzeihen Sie es mir. – Aber ich will Ihnen gern noch einmal sagen, warum wir angetreten sind, was wir getan haben und was wir mit dem Antrag, der jetzt vorliegt, machen: Wir stärken die duale Berufsausbildung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss lassen Sie mich eines noch einmal ganz klar sagen: Wir stehen für akademische Bildung, wir stehen für die duale Bildung. Wir verschließen jedoch die Augen nicht, wir sehen die Herausforderungen und arbeiten an Lösungen. Wir haben dies in den letzten anderthalb Jahren mit vielen, vielen Maßnahmen, die erwähnt worden sind, getan. Sie können gewiss sein, meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition, wir werden weiter daran arbeiten. Denn unser Ziel ist es, junge Menschen in Ausbildung zu bringen, dem Fachkräftemangel aktiv entgegenzutreten und dieses nicht aus den Augen zu verlieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Uda Heller, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Uda Heller (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, wiederholt zu einem Thema zu sprechen, das viele Bürger interessiert – ob jung, ob alt – und mit dem jeder seine eigenen Erfahrungen gemacht hat. Für uns gehört das zu den wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre: die Stärkung der beruflichen Bildung. Meine Damen und Herren von den Grünen, eigentlich hatte auch ich vor, einige Passagen in Ihrem Antrag zu loben, aber angesichts Ihrer Schwarz-Weiß-Malerei heute kann ich das leider nicht tun. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) Von den Linken hatte ich nichts anderes als Kritik erwartet. Aber ich denke, an der Qualität können wir ja gemeinsam arbeiten. Fakt ist: Für mehr als 500 000 Jugendliche bedeutete im Jahr 2014 eine duale Ausbildung den Einstieg in eine qualifizierte berufliche Zukunft. Dennoch steht das deutsche Bildungssystem – wie es viele schon gesagt haben – vor großen Herausforderungen, die wir natürlich nicht allein durch die Politik lösen können. Hier bedarf es der Zusammenarbeit aller Partner der beruflichen Bildung. Ich bin der Meinung, der Ausbildungsmarkt ist in erster Linie ein regionaler Markt. Das bedeutet: Eine rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit aller Partner vor Ort ist ganz entscheidend, besonders beim Übergang von der Schule zum Beruf. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hier denke ich beispielsweise an die Jugendberufsagenturen; auch die wurden schon erwähnt. In meinem -Heimatkreis Mansfeld-Südharz konnte ich den Aufbau eines solchen Bildungsbüros mit unterstützen. Für einen fließenden Übergang bedarf es neben einer zentralen Anlaufstelle – das habe ich auch schon mehrfach betont – einer frühen, gleichwertigen und praxis-nahen Berufs- und Studienorientierung. Diese sollte als Querschnittsthema in den Lehrplänen verankert werden. Gute Ansätze für eine systematische Berufsorientierung gibt das BMBF-Programm „Bildungsketten“. Ganz entscheidende Partner in der Berufsberatung sind nach wie vor die Eltern. Sie haben noch immer den größten Einfluss auf die Berufswahl unserer Jugendlichen und sollten daher bei allen Berufsorientierungsmaßnahmen mitgenommen werden. Auch der Bund ist sich seiner Verantwortung mehr als bewusst. Mit einem 1,3 Milliarden Euro teuren Berufseinstiegs- und Berufsberatungsprogramm wollen wir zu einer stärkeren betrieblichen Ausbildung beitragen. Es ist wichtig, die Chancen, die eine Ausbildung bietet, sowie die sich daran anknüpfenden Aufstiegsperspektiven in der beruflichen Bildung deutlich zu machen. Gerade an Gymnasien gibt es in Sachen Berufsorientierung noch Nachholbedarf. Es ist wichtig, dass die Schüler gleichwertig über die Möglichkeiten einer akademischen und einer beruflichen Laufbahn beraten werden. Es kann nicht sein, dass sich Abiturienten aus reiner Unwissenheit über betriebliche Karrierechancen für ein Studium entscheiden, wobei dann jeder Vierte abbricht bzw. das Studienfach wechselt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Weiterhin gehören qualitativ hochwertige Orientierungspraktika sowie eine Übersicht der regionalen Angebote des Ausbildungsmarktes und ausreichend – ich betone: ausreichend – geschulte Ansprechpartner zu den entscheidenden Instrumenten der Berufsorientierung. Wie schon mehrfach erwähnt, sinkt die Zahl der Ausbildungsbetriebe. Besonders kleinen Betrieben fehlt oftmals die Ausbildereignung. In Halle wurde 2009 beispielsweise von Unternehmen eine Initiative zum vernetzten Engagement für gute Bildung und Ausbildung ins Leben gerufen. Hier werden Projekte initiiert, Lehrer weitergebildet sowie Messen, wie beispielsweise die MINT-Messe, organisiert. Die Kooperation zwischen Unternehmen und Schulen ist umso erfolgreicher, je -praxisnäher sie angelegt und je offener ein Schulleiter für diese Zusammenarbeit ist. Dennoch können Betriebe die Ausbildungsplätze häufig nicht besetzen. Daher ist es wichtig, auch schwächeren Jugendlichen mit einem niedrigen oder sogar ohne Schulabschluss eine Chance zu geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Verschiedene Instrumente und Maßnahmen, wie beispielsweise die 10 000 assistierten Ausbildungsplätze oder die ausbildungsbegleitenden Hilfen, unterstützen die Unternehmen und die Jugendlichen auf diesem gemeinsamen Weg. Seit Jahren steigt die Zahl der Ausbildungsplätze, bei denen ein Abitur vorausgesetzt wird. Auf zwei von drei Ausbildungsplätzen braucht sich ein Hauptschüler gar nicht erst zu bewerben; denn bei 62 Prozent aller Lehrstellen wird mindestens ein Realschulabschluss erwartet. Eine weitere wichtige Zielgruppe sind Jugendliche mit Migrationshintergrund. Deutschland hat mit 7,4 Prozent die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit innerhalb der Europäischen Union. Wir sind eine Industrienation, die durch ihren demografischen Wandel vor einem steigenden Fachkräftemangel steht. Deshalb sollten wir mit einer dualen Aus- und Weiterbildung allen Menschen, die es möchten – ich betone: die es möchten –, eine Chance geben. Der Kollege Brase und andere haben hier die Zahlen genannt. Insbesondere können wir so motivierten und leistungsbereiten Flüchtlingen aus akuten Krisengebieten eine neue Lebensperspektive bieten. Der jährlich erstellte Berufsbildungsbericht zeigt uns die Herausforderungen für die Zukunft auf. Er ist eine hilfreiche Arbeitsgrundlage für uns Bildungspolitiker, den die Bundesregierung in unserem Auftrag erstellt hat. Ich möchte als letzte Rednerin die Gelegenheit nutzen, mich für diese detaillierte Ausarbeitung auf knapp 130 Seiten bei den Fachleuten recht herzlich zu bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das gilt auch für unsere Ministerin. Sie hat auf diesen Bericht nicht mit Selbstzufriedenheit geschaut, sondern die künftigen Herausforderungen benannt. Dafür danke ich ihr ganz herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/4928, 18/4680, 18/4931 und 18/4938 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 f und 33 h sowie Zusatzpunkt 2 auf. Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Dabei kommen wir zunächst zu den unstrittigen Überweisungen. Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 f: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes und des Tiergesundheitsgesetzes Drucksache 18/4892 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMRG) Drucksache 18/4893 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Drucksache 18/4894 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 1. April 2015 über die Beteiligung Islands an der gemeinsamen Erfüllung der Verpflichtungen der Europäischen Union, ihrer Mitgliedstaaten und Islands im zweiten Verpflichtungszeitraum des Protokolls von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Vereinbarung zur gemeinsamen Kyoto-II-Erfüllung mit Island) Drucksache 18/4895 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. September 2012 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Republik Tansania über den Fluglinienverkehr Drucksache 18/4896 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Tourismus f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Maria Klein-Schmeink, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine menschenrechtsorientierte Umsetzung der Flüchtlingsaufnahmerichtlinie der EU Drucksache 18/4691 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Tagesordnungspunkt 33 h: h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Richtlinien zum Schutz von Schulen und Hochschulen vor militärischer Nutzung in einem bewaffneten Konflikt umsetzen Drucksache 18/4939 Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung über ihren Antrag in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuss, an den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Die Überweisung ist beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/4939 nicht in der Sache ab. Zusatzpunkt 2: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Entgeltgleichheit gesetzlich durchsetzen Drucksache 18/4933 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Federführung strittig Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4933 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke, dass die Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales liegen soll. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 j sowie Zusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 34 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Übersicht 5 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/4962 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 34 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 181 zu Petitionen Drucksache 18/4827 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 181 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 182 zu Petitionen Drucksache 18/4828 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 182 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 183 zu Petitionen Drucksache 18/4829 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 183 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 34 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 184 zu Petitionen Drucksache 18/4830 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 184 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 185 zu Petitionen Drucksache 18/4831 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 185 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 34 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 186 zu Petitionen Drucksache 18/4832 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 186 ist mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 34 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 187 zu Petitionen Drucksache 18/4833 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 187 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 34 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 188 zu Petitionen Drucksache 18/4834 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 188 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 34 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 189 zu Petitionen Drucksache 18/4835 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 189 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Zusatzpunkt 3: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Heizkosten sparen – Energiewende im Gebäudebereich und im Quartier voranbringen Drucksachen 18/575, 18/2715 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2715, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/575 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. – Danke schön für die Aufmerksamkeit. Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Haltung der Koalitionsfraktionen zur Freigabe der NSA-Selektorenliste im Hinblick auf mögliche Ausspähungen von Wirtschaft und Politik Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. – Wenn alle Kolleginnen und Kollegen Platz nehmen und die, die noch Gespräche führen möchten, dies bitte außerhalb des Saales tun, dann kann ich die Aussprache eröffnen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält Jan Korte, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 11. Mai sagte Bundeskanzlerin Merkel in Bremen – ich darf zitieren –: Alle Materialien aus dem Kanzleramt und, zum Teil ist das ja noch im Prozess, auch vom BND werden diesem Untersuchungsausschuss zugeleitet, das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Zitat Ende. Erstens. Natürlich stimmt das nicht, was sie gesagt hat. Es wird weiter vertuscht, behindert, geschwiegen und im Übrigen auch gelogen. Ich will die Dimension noch einmal deutlich machen: Es geht hier nicht um irgendetwas, sondern es geht offenbar um tausendfache Grundrechtsverletzung, und Bundeskanzlerin Merkel sitzt und schweigt wie in den bleiernen Helmut-Kohl-Zeiten. Das ist der Sache doch nicht wirklich angemessen nach so vielen Wochen der Debatte. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ungeheuerlich!) Zweitens. Genosse Sigmar Gabriel hatte rund drei helle Tage, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) in denen er markige Ansagen machte. Im Kern sagte er: Das Kanzleramt ist gefragt und verantwortlich. – Das ist richtig. Deswegen müssen wir uns jetzt die Reaktionen in dieser Spitzenkoalition darauf anschauen. Volker Kauder sagte – Zitat –: „So geht man nicht miteinander um in einer Koalition.“ Ausgerechnet in dieser Affäre will also die CDU/CSU Benimmregeln aufstellen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Aber das Ausspähen von EU-Partnern, der Wirtschaft und der Bevölkerung, das wird akzeptiert, das ist okay. – Da stimmt doch irgendetwas nicht bei Ihnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wissen Sie da schon mehr?) – Ich habe noch mehr, es wird noch besser. Horst Seehofer mit Blick auf Sigmar Gabriel – ich darf zitieren –: Das entspricht nicht der Staatsverantwortung, die eine Regierungspartei hat. Das geht nicht. Abgesehen davon, dass zurzeit der sogenannten Staatsverantwortung in diesem Haus lediglich die Opposition gerecht wird, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ui, ui, ui!) zeigt dieser Satz natürlich das ganze Elend in diesem Denken, nämlich das völlige Desinteresse für die Grund- und Freiheitsrechte, die im Übrigen unter großen Mühen und Opfern erkämpft worden sind. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Nicht von der Linken!) Das ist der eigentliche Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Angemessen wäre ja nun wirklich, wenn aufseiten der Bundesregierung irgendjemand mal Staatsverantwortung übernehmen würde. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Ende mit dem Schülerreferat!) Aber das macht keiner. Das wäre doch wohl angemessen und nicht so ein Geschwätz aus Bayern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wie oft waren Sie im Ausschuss? Wie oft waren Sie da nach der Wahl?) Das Ganze hat nun wirklich eine sehr grundsätzliche, demokratietheoretische Dimension. Deswegen will ich zum Dritten etwas zum Umgang mit dem Parlament und der Öffentlichkeit sagen. Sie beantworten Anfragen – das ist übrigens in dieser Legislaturperiode von Ihnen wirklich auf die Spitze getrieben worden – entweder gar nicht oder wissentlich falsch. Beides geht natürlich nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das No-Spy-Abkommen war ein reiner Wahlkampfgag – und Sie verkaufen das hier als eine große Tat! Ich will noch einmal darauf aufmerksam machen: Es gibt mittlerweile, zumindest unter den Innenpolitikern, wenn sie miteinander, mit dem Ausschusssekretariat oder mit Journalisten telefonieren, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Mit Journalisten telefonieren Sie viel! Das stimmt!) die Redewendung: nicht am Telefon. Das ist mittlerweile eine Standardaussage bei Telefonaten. Es kann doch nicht allen Ernstes von Ihnen für normal befunden werden, dass man nicht mehr frei am Telefon kommunizieren kann! Das muss aufhören, liebe Kolleginnen und Kollegen, egal in welcher Fraktion man ist! Das ist doch wirklich unfassbar. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Krönung des Ganzen bei dem Spiel der Entmachtung des Bundestages ist nun die Idee, einen Sonderermittler einzusetzen. Das ist in diesem Bereich nun wirklich die völlige Entmachtung des Parlaments. Da will ich auch sagen: Das hat nichts mit Oppositions- oder Regierungsfraktion zu tun. Es sollte doch allen Abgeordneten hier im Hause, egal wie sie politisch stehen, ein Anliegen sein, die Rechte der Abgeordneten nicht freiwillig aufzugeben. Wofür sitzen Sie denn eigentlich hier! Das kann doch nicht wahr sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen will ich Ihnen auch sagen: Auch die CDU/CSU kann wieder in der Opposition landen – das sollten Sie mal mit bedenken! –, wenn die SPD aus dem Quark kommt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Noch eine Anmerkung: Wenn Sie dem Vorschlag wirklich folgen, sollten zumindest die PKGr- und Untersuchungsausschussmitglieder der SPD und der CDU/CSU ihre Jobs im PKGr gleich freiwillig aufgeben; sie haben dann ja nichts mehr zu tun an relevanter Stelle. So konsequent sollten Sie sein! Dann können Sie gleich noch konsequenter sein – das wäre etwas Neues – und am besten gleich Ronald Pofalla zum Sonderermittler machen. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann wird diesem Irrsinn nämlich zur Kenntlichkeit verholfen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ich hatte ja bei der SPD gedacht: Okay, das sozialdemokratische Gewissen regt sich jetzt doch noch ganz kurz; Gabriel redete vom Rückgratzeigen. Dieses Rückgratzeigen gab er allerdings noch schneller auf als Heiko Maas seinen Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung. Es war alles Theater, Taktik. Vor allem war es rückgratlos von der SPD. Wie können Sie das nach dem Affentheater, das Sie hier aufgeführt haben, mitmachen? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege. Das war das Ende der fünf Minuten. Jan Korte (DIE LINKE): Wir müssen das jede Woche hier machen, bei dem, was hier abläuft. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Nur noch einen Punkt will ich sagen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich bin schon immer großzügig. Jan Korte (DIE LINKE): Ein Satz wirklich noch: Es gibt die Gesetzeslage der Geheimhaltung, zum Beispiel aus Gründen des Staatswohls. Das kann man kritisch sehen, es kann aber auch einmal sinnvoll sein. Geheimhaltung ist allerdings nicht dafür da, das Regierungswohl zu wahren und Fehler der Regierung zu vertuschen. Das ist Ihr Verständnis, aber nicht unseres. Machen Sie endlich Ihren Job! Und, Frau Bundeskanzlerin, erfüllen Sie vor allem endlich Ihren Amtseid! Vielen Dank. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Die zukünftigen Rednerinnen und Redner halten dann bitte die Redezeit ein. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir fünf Minuten Redezeit für jeden in der Aktuellen Stunde haben. Wenn jeder eine Minute überzieht wie der Herr Kollege Korte, dann wird das unseren ganzen Zeitplan ins Wanken bringen. Jetzt hat das Wort der Kollege Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Korte, jetzt haben Sie so viel von Staatsverantwortung geredet. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie ganz schwer hören!) Manchmal habe ich den Eindruck, dass Ihr Verständnis von Staatsverantwortung vor allem darin besteht, dass die von Parlamentariern selbst gesetzten Regeln, etwa bezogen auf die Vertraulichkeit von Sitzungen, ständig durchbrochen und Dinge durchgestochen werden, (Jan Korte [DIE LINKE]: Von wem denn?) die besser in den Gremien blieben. Das ist Ihr Verständnis von Staatsverantwortung! (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Was sind Sie für ein Parlamentarier? Ungeheuerlich! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das ist eine Frechheit! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine ungeheuerliche Unterstellung! Schämen Sie sich als Parlamentarier! Was sind Sie für ein Parlamentarier? Ungeheuerlich!) Sie haben sich hier ereifert, weil der Vorschlag für einen Sonderbeauftragten gemacht worden ist. Im PKGr ist dazu noch nichts beschlossen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie jetzt auch dagegen?) Sie schlagen seit Tagen und Wochen die Trommeln, dass einem die Ohren dröhnen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Gut so!) Ganz zu Beginn – da lag noch gar nichts vor – haben Sie „Verrat“ und dann „Landesverrat“ gerufen. Jetzt können Sie nur noch Hochverrat, Lüge und Rücktritt rufen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass Sie es wiederholen! – Jan Korte [DIE LINKE]: Haben Sie etwas zu widerlegen?) Bei all diesem – Sie haben sich aufgeblasen und sind lauter und lauter geworden – (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können das alles stoppen, indem Sie die Liste herausgeben!) gibt es eine seltsame Disproportionalität zwischen der Lautstärke der Vorwürfe und den Fakten, die Sie tatsächlich in der Hand haben. Das ist nämlich nichts. (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie alles stoppen! – Jan Korte [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zur Sache!) Vielleicht nutzen Sie ja die Pfingstfeiertage, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfingsten kommt der Geist der Wahrheit!) um sich ein bisschen abzukühlen; denn Sie verkennen eines: Das sind komplexe Sachverhalte, die die innere und die äußere Sicherheit unseres Staates und die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger berühren, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Wahrheit, Herr Strobl!) und es ist besser, mit solchen Themen nicht zu spielen, sondern sich ernsthaft und seriös damit zu beschäftigen, wie das diese Bundesregierung und die Koalition aus SPD und CDU/CSU auch tun. Wenn Sie sich etwas beruhigt haben, dann können wir uns auch ganz gerne darüber unterhalten: Was dürfen unsere Dienste? Welche gesetzlichen Grundlagen für unsere Dienste müssen wir ändern? (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fällt Ihnen früh ein! Sie regieren seit zehn Jahren!) – Das ist gar nichts Neues; das haben wir schon oft getan. – (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nichts gemacht!) Wo müssen wir das Recht anpassen? Wir können auch eine Debatte darüber führen: Müssen wir unserer Polizei und unseren Diensten die Möglichkeit geben, mit weiterer Technik zu arbeiten? Was für Regeln gelten? Ich erneuere mein Angebot und sage: Lassen Sie uns darüber reden, ob wir eine klare Rechtsgrundlage für die strategische Fernmeldeüberwachung des BND brauchen. Sie sind hier eingeladen, mitzudiskutieren, (Jan Korte [DIE LINKE]: Ich diskutiere auch, wenn ich nicht eingeladen bin!) sodass wir gemeinsam vernünftige Regeln finden. Das gilt auch für die parlamentarische Kontrolle. Die parlamentarische Kontrolle, das PKGr, haben wir in der Vergangenheit durch mehr Personal und eine neue Geschäftsordnung durchaus optimiert. (Jan Korte [DIE LINKE]: Na ja!) Hier gibt es weitere Vorschläge, zum Beispiel den Vorschlag zur Einsetzung eines Nachrichtendienstbeauftragten, der sich hauptamtlich, ständig und mit weitreichenden Kompetenzen im Auftrag des PKGr mit diesen Dingen beschäftigt. Ich finde, über all diese Verbesserungen können wir doch in aller Ruhe reden. Im Übrigen können wir vielleicht auch einmal darüber reden, was eigentlich alles geheim ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass in manchen Behörden -alles geheim ist. Selbst die Essensmarken kommen in -einer Mappe an, die mit „VS-Vertraulich“ gestempelt ist. Dabei tritt die seltsame Kuriosität auf, dass alles, was geheim ist, am Ende des Tages öffentlich wird. Vielleicht sprechen wir auch einmal darüber, wie wir zu mehr Transparenz in unseren Diensten kommen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das sind Ablenkungsmanöver!) Eine hundertprozentige Transparenz kann es bei Nachrichtendiensten selbstverständlich nie geben. Vielleicht kann es aber mehr Transparenz geben. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Essensmarken stehen nicht auf der Selektorenliste! Geist der Wahrheit!) – Frau Kollegin Göring-Eckardt, es wäre indessen schon gut, wenn die Dinge, die wirklich geheim sein müssen, dann auch geheim bleiben, und wenn sie auch in den parlamentarischen Gremien geheim bleiben, wenn die Parlamentarier vereinbaren, dass sie geheim bleiben müssen. (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An uns liegt es nicht!) Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind eingeladen, mit uns eine Debatte darüber zu führen: Brauchen wir unsere Dienste? Brauchen wir die Polizei? (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brauchen wir! Die Debatte führen wir nicht! Wenn Sie sie führen wollen, wir führen sie nicht!) Wie sind die Aufgaben? (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch einmal zum Thema! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Liste, Herr Strobl!) Da möchte ich für die Unionsfraktion eine sehr klare Antwort geben: (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Liste, Herr Strobl!) Angesichts der Bedrohungen durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“, angesichts der Lagen in Syrien, im Irak, in der Ukraine und im Nahen Osten, angesichts der Gefahren durch den internationalen Terrorismus (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Liste, Herr Strobl?) brauchen wir die Arbeit unserer Polizistinnen und Polizisten. Wir brauchen auch die Arbeit unserer Dienste, auch die internationale Zusammenarbeit unserer Dienste mit anderen Diensten. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Strobl. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stehen insofern hinter der Arbeit unserer Polizistinnen und Polizisten und unserer Dienste, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Wort zu der Selektorenliste!) dass wir sie nicht fortwährend von Leuten diskreditieren lassen, die vergangenheitsbedingt ein Problem mit Polizei und Diensten haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich Sie so höre, Herr Strobl, möchte ich doch mal zum Thema reden. Ich fange mit einem Zitat aus dem Staatsrechtskommentar von Maunz/Dürig an, der auf das Bundesverfassungsgericht verweist – das interessiert offensichtlich auch den Kollegen Mayer –: (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wie alles, was Sie sagen! – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Untersuchungsverfahren ermöglichen es dem Parlament, … unabhängig von Regierung, Behörden und Gerichten mit hoheitlichen Mitteln, wie sie sonst nur Gerichten und besonderen Behörden zur Verfügung stehen, selbständig die Sachverhalte zu prüfen, die sie in Erfüllung ihres Verfassungsauftrags als Vertretung des Volkes für aufklärungsbedürftig halten. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Bis jetzt war alles richtig!) So sehen wir das, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Uns geht es nicht um Diffamierung, nicht um Skandalisierung, nicht um schrille Töne, wie wir sie in den letzten Wochen von Union und SPD hören; Sie hören sie von uns nicht. Wir klären auf und suchen die Verantwortlichen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ströbele! Gezielte Irreführung!) Eines können wir allerdings heute mit Sicherheit sagen, Herr Kollege Strobl – wenn Sie mal im Ausschuss vorbeischauen, werden Sie es auch mitbekommen –: Zehn Jahre wurde bei der Fach- und Rechtsaufsicht des Bundeskanzleramtes über den Auslandsgeheimdienst geschlampt. Die rechtswidrige Übergriffigkeit der NSA in der Kooperation ist seit 2005 bekannt. Man kannte die Probleme mit Selektoren wie „Eurocopter“ und „EADS“, bei Inhalts- und Metadaten, die mangelnde Rechtssicherheit im Hinblick auf G 10 und den völlig unzureichenden Schutz deutscher und europäischer Interessen. Aber allerspätestens seit den Snowden-Veröffentlichungen im Sommer 2013 unterließen Sie vorsätzlich notwendige Korrekturen bei der Kooperation, und das fällt voll in die Verantwortung der Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Manipulation der Wahrheit – wir nennen es einmal so – im Wahlkampf durch Herrn Pofalla, Herrn Seibert und eben auch Frau Merkel bezüglich des -No-Spy-Abkommens fällt jetzt völlig zu Recht auf sie zurück und kratzt an ihrer Glaubwürdigkeit. Aber die -Irreführung hat System: Am 24. Oktober 2013, nachdem es um ihr eigenes Handy ging, sagte Frau Merkel den inzwischen sehr bekannten Satz: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ Erst danach, nachdem sie das in die Kamera gesagt hat, gab man im BND die Parole aus: Ausspähen von europäischen Freunden, das lassen wir zukünftig mal lieber. – Das muss man sich einmal vorstellen! Das war keine Aufklärung; das dokumentiert schlicht die mangelnde Führung und Aufsicht der -Bundeskanzlerin in Bezug auf den Geheimdienst, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Trotz der eindeutigen Erkenntnisse dank Edward -Snowden unterließ sie es nach der Bundestagswahl und nach der Leistung des Amtseids, die deutschen und europäischen Interessen vor rechtswidriger Spionage zu schützen. Darum geht es, Herr Strobl: nicht um Terrorismusbekämpfung, sondern um rechtswidrige Spionage. – Sie haben sich nicht gekümmert, es wurde nicht nachgefragt, Sie haben nicht nachgehakt, es wurde nichts geprüft. Dieses Durchwurschteln ist der erklärte Politikstil der Bundeskanzlerin. Das fällt Ihnen nun voll auf die Füße, und das schadet dem Ansehen Deutschlands in der Welt. Das ist das Versagen von Frau Merkel, und das macht diese Affäre auch zu ihrer Affäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nur darum geht es Ihnen ja!) All dies klärt der Untersuchungsausschuss sehr erfolgreich auf. Deswegen brauchen wir auch keinen Sonderermittler. Wir brauchen die Liste, die hier das Thema ist, Herr Strobl. Sowohl die Kanzlerin als auch der Vizekanzler – der Kollege Korte hat es gesagt – haben öffentlich zugesichert, dass wir diese Liste bekommen. Es geht um die Rechte des Parlaments, und die sind für uns nicht verhandelbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Diese verfassungsrechtlich verbrieften Rechte kann man auch nicht durch Diffamierungen und Unterstellungen, Herr Strobl, kleinreden oder kleinmachen. Geheimhaltung ist in bestimmten Fällen total angezeigt – Sie werden hier niemanden finden, der dem widerspricht –; (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Gut wäre, wenn man sich auch daran hielte!) aber Transparenz ist auch ein hohes Gut. Die Geheimhaltung ist die Ausnahme, nicht die Regel. Wenn hier über WikiLeaks geredet wird, muss man sagen: Der Vorgang war nicht in Ordnung. Aber war es ein Skandal, wie Herr Kauder es gesagt hat? Ist es ein Skandal, wenn Protokolle eines öffentlichen Teils einer Sitzung eines dem Öffentlichkeitsgrundsatz verpflichteten Gremiums öffentlich werden? Oder versuchen Sie einfach, auf -Kosten des Parlaments abzulenken, wenn Sie mit dieser hintertriebenen Art argumentieren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das ist mein starker Verdacht. Sie reden nicht zur Sache. Sie lenken ab. Wo sind Ihre Aussagen zur Nichtinformation und Umgehung des zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums, zum Zugriff auf die Glasfaserkabel in Frankfurt ohne ausreichende Gesetzesgrundlage, zu Zehntausenden von illegalen Suchbegriffen, mit denen offenbar Verbündete und Freunde in Europa mittels BND ausgespäht wurden? Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, denken Sie an die Zeit. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Dazu sagen Sie nichts. Das sind die Dinge, um die wir uns hier als Parlamentarier kümmern müssen. Ich sage Ihnen: Überwachung ist ein schleichendes Gift für eine Demokratie und für einen Rechtsstaat, wie Deutschland es ist. Wir müssen sie als Parlamentarier gemeinsam bekämpfen. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Christian Flisek, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeit des Untersuchungsausschusses genießt seit einigen Wochen wieder erhöhte Aufmerksamkeit. Das zeigt sich auch daran, dass wir jetzt in fast jeder Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde dazu haben. Ich denke, das ist gut so, weil wir hier öffentlich debattieren. Man kann eine solche Aktuelle Stunde aber auch für die üblichen Reflexe und Rituale nutzen. Dazu sagen ich, Herr Korte und Herr von Notz: Damit wird man der Sache nicht gerecht, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) weil sie in Wahrheit viel komplexer ist. Das wissen Sie auch. Es ist eine Abwägungsentscheidung zu treffen zwischen dem elementaren Aufklärungsinteresse dieses Hauses, seiner Abgeordneten, des Untersuchungsausschusses und des PKGr einerseits und dem Staatswohl-interesse der Bundesrepublik Deutschland, dem Interesse an einer funktionierenden Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten und einer funktionierenden nachrichtendienstlichen Kooperation mit amerikanischen Geheimdiensten andererseits. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sind darauf angewiesen in Zeiten internationaler terroristischer Bedrohung. Der Unterschied ist der: Wir wollen diese Kooperation auf den Boden der Verfassung holen – dafür gibt es diesen Ausschuss –, wir wollen Missstände, die es vielleicht gegeben hat, aufklären, und wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass das in Zukunft auch abgestellt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Untersuchungsausschuss befragt seit zwei Wochen Zeugen aus den Reihen des Bundesnachrichtendienstes zu dem Komplex Selektoren. Wir reagieren damit auf die sehr schwerwiegenden, massiven Vorwürfe, die derzeit in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Es heißt, dass eventuell mithilfe des BND NSA-Selektoren eingespeist worden sind, dass Suchbegriffe verwendet worden sind, um beispielsweise Wirtschaftsspionage zu betreiben oder europäische Partner, Institutionen und Persönlichkeiten auszuspionieren. Das sind schwerwiegende Vorwürfe. Darauf reagieren wir. Wir haben uns heute in der Beratungssitzung des -Ausschusses über alle Fraktionen hinweg auf ein gemeinsames Zeugenprogramm bis zur Sommerpause verständigt. Ich sage sehr deutlich: Es ist sehr unbefriedigend, wenn wir die Zeugen befragen müssen, ohne eigentlich zu wissen, was in dieser Selektorenliste genau steht. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! So ist es!) Deswegen sagt meine Fraktion sehr deutlich: Wir brauchen unverzüglich in geeigneter Weise Einblick in diese Listen. Wir brauchen diesen Einblick, damit wir mit Substanz unsere Arbeit machen können. Das ist wichtig. Ich glaube, mittlerweile wurden ausreichend Signale gesetzt. Ich denke, auch das Kanzleramt hat dies verstanden. Ich sage auch: Wenn man das erst einmal akzeptiert, dann wäre es auch schön, wenn man einen zweiten Schritt akzeptierte: dass es dafür eben nicht nur ein, sondern mehrere Verfahren gibt, die in Betracht kommen. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Ein Beispiel ist das Treptow-Verfahren, bei dem die Obleute Einblick nehmen können; aber, Herr Kollege Korte, es könnte auch ein Ermittlungsbeauftragter sein. Das ist keine Erfindung, die wir jetzt machen, sondern ein bewährtes Aufklärungsmittel aus der Vergangenheit, mehrfach im Parlamentarischen Kontrollgremium praktiziert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie haben in diesem Zusammenhang von einer Entmachtung des Parlaments gesprochen. Dadurch werden die Erfolge der vergangenen Zeit, in der ein solches Instrument eingesetzt worden ist, mit Füßen getreten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich sage noch eines dazu: Wenn wir uns auf die Ein-setzung eines solchen Ermittlungsbeauftragten einigen – ich sehe sehr deutlich, dass das Kanzleramt zusammen mit dem Parlament das Signal setzt, an einer Lösung zu arbeiten, und begrüße das ausdrücklich –, dann muss das nicht der letzte Schritt sein; aber es ist wichtig, dass wir zügig einen ersten Schritt machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss der nächste Schritt kommen!) Es muss nicht der letzte Schritt sein, weil wir uns abhängig vom Ausgang des Ermittlungsergebnisses dieses Beauftragten selbstverständlich als Parlamentarier alles Weitere vorbehalten. Insofern sage ich: Überlegen Sie sich bitte noch einmal Ihre Position, Ihren Standpunkt und die Äußerungen, die in diesem Zusammenhang gefallen sind. Ich denke, uns ist daran gelegen, dass wir hierbei insgesamt sehr zügig weiterkommen. Lassen Sie mich noch einen Satz zum Schluss sagen. Wir als SPD sind bereits jetzt davon überzeugt, dass unabhängig davon, wie es mit den Selektoren weitergeht, dringender Regelungsbedarf beim BND-Gesetz und beim G 10-Gesetz besteht. Wir sind der Überzeugung, dass hier zum Teil mit Mitteln des 21. Jahrhunderts gearbeitet wird, diese Regelungen jedoch oft noch aus dem letzten Jahrhundert stammen – ich sage es einmal überspitzt –, aus Zeiten des Kalten Krieges. Das Denken zwischen Freund und Feind, zwischen Inländern und Ausländern macht keinen Sinn mehr; dieser festen Überzeugung bin ich. Wir müssen zwischen gefährlichen und ungefährlichen Personen unterscheiden; diese gibt es sowohl im Inland als auch im Ausland. Das muss der Ansatz des Denkens und Arbeitens unserer Nachrichtendienste sein. Ich denke, wir müssen uns gemeinsam an die Arbeit machen, verfassungskonforme rechtsstaatliche Rechtsgrundlagen für die Routineüberwachung zu schaffen und dafür zu sorgen, dass sie nicht im Schmuddelbereich, im Graubereich weiterexistiert. Wir müssen sie einer effizienten parlamentarischen Kontrolle zuführen. Das ist es, worauf wir uns konzentrieren sollten, und ich bin jederzeit gern bereit, mit Ihnen zu diskutieren. Eine Schlussbemerkung noch: Wir sollten uns – egal, auf welcher Seite des Hauses wir sitzen – nicht gegenseitig absprechen, dass wir für das Staatswohl eintreten. (Jan Korte [DIE LINKE]: Ich habe Seehofer zitiert!) Wir arbeiten hier, wenn auch manchmal im Dissens, intensiv in den Debatten. Ich finde es sehr wichtig, dass wir die Arbeit des anderen achten; denn wir tragen zusammen mit der Bundesregierung zum Staatswohl bei. In diesem Sinne herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und sehr geehrte Kollegen! Wie in dem schönen Spielfilm Und täglich grüßt das Murmeltier beschäftigen wir uns auch in dieser Sitzungswoche wieder mit unseren Nachrichtendiensten. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schlimm genug! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wenn Sie das Problem nicht lösen!) Herr Kollege von Notz, ich dachte, ich höre nicht recht, als ich vernahm, dass Sie so tun, als ob Sie in -keiner Weise zur Skandalisierung dieser Angelegenheit beitragen, sondern Ihnen allein an objektiver, nüchterner Aufklärung gelegen ist und Sie in keiner Weise hier vollkommen überziehen und übertreiben. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie sind es doch, die hier mit Unterstellungen, Mutmaßungen und Verdächtigungen, die überhaupt nicht belegt und bewiesen sind, arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie mal in den Ausschuss, dann können Sie das nachvollziehen!) Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass wir den folgenden Dreiklang einhalten sollten: Erst einmal aufklären, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber wir bekommen ja keine Liste! Wie sollen wir da aufklären? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir würden ja gern aufklären!) dann bewerten und danach die erforderlichen Schlussfolgerungen ziehen. Aber was machen Sie? (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sollen wir das denn machen? Wie sollen wir denn aufklären, wenn die Liste nicht da ist?) Sie stellen sofort die Bewertungen auf und fordern irgendwelche Konsequenzen, ohne zuerst einmal eine objektive, lückenlose und vollständige Aufklärung stattfinden zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll man denn aufklären, wenn die Liste nicht da ist?) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sind momentan in den entscheidenden Gremien, sowohl im Untersuchungsausschuss als auch im Parlamentarischen Kontrollgremium, intensiv dabei, diese Angelegenheit aufzuklären. Ich stehe hier auch gar nicht hintan, zuzugestehen: Natürlich sind beim BND Fehler gemacht worden. Aber – ich habe dies auch schon das letzte Mal gesagt – nicht jeder Fehler ist automatisch ein Skandal. Deswegen geht es jetzt zunächst einmal darum, komplett, umfassend und vollständig aufzuklären. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liste her!) Diesbezüglich bin ich auch der Überzeugung, dass es hilfreich wäre, wenn wir sowohl im Parlamentarischen Kontrollgremium als auch im Untersuchungsausschuss Einblick in die Selektorenliste bekommen. Jetzt wurde der konkrete Vorschlag zur Einsetzung eines Ermittlungsbeauftragten oder eines Sachverständigen gemacht. Es gibt aktuell ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich das Instrument des Sachverständigen im Parlamentarischen Kontrollgremium bewährt hat. Einige Kollegen, die davon wissen, sind heute unter uns. Wir haben gestern den Bericht des Sachverständigen, des früheren Kollegen Jerzy Montag, zum Fall „Corelli“ bekommen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Ich sage jetzt nichts zur Sache, weil wir uns zu einem späteren Zeitpunkt dazu einlassen werden. Aber – ich glaube, so viel kann man schon sagen – dieses Instrument des Sachverständigen hat sich in diesem konkreten Fall absolut bewährt. Ich glaube, da sind wir uns über Fraktionsgrenzen hinweg einig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Denn keiner von uns, egal welcher Fraktion er angehört, hätte in den vergangenen sechs Monaten so viel Zeit und Muße gehabt, sich so intensiv, akribisch und akkurat mit dem Fall des ehemaligen V-Manns „Corelli“ zu beschäftigen, wie es der frühere Kollege Montag getan hat. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Abgeordneten haben die Akten auch eingesehen!) Es gibt also positive Beispiele eines Sachverständigen im Parlamentarischen Kontrollgremium. Ich könnte mir dies durchaus auch in diesem Fall hinsichtlich der Einsichtnahme in die Selektorenliste vorstellen. Wir tun, glaube ich, wirklich gut daran, uns an Recht und Gesetz zu halten und die Bundesregierung hier jetzt ihre Arbeit machen zu lassen. Derzeit läuft, wie in dem Abkommen von 1968 vorgesehen, das Konsultations-verfahren zwischen der Bundesregierung und der US-Regierung, bei dem es darum geht, die Zustimmung der US-Regierung hinsichtlich der Weitergabe der Selektorenliste einzuholen. Bevor diese Antwort der USA nicht da ist, ist es vollkommen verfehlt und populistisch, hier irgendwelche Forderungen aufzustellen. Jetzt lassen Sie uns doch erst einmal sehen, wie die US-Amerikaner antworten, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die antworten gar nicht!) und, wenn ja, in welcher Form. Dann kann man entsprechend weitersehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sowohl von Herrn von Notz als auch vom Kollegen Korte wurde jetzt wieder die Vermutung in den Raum gestellt, die Bundesregierung hätte Wahlbetrug begangen; man geht ja mittlerweile inflationär mit derartigen Begriffen um. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manipulation!) – Oder Sie sprechen von Manipulation. – Sie sagen, dass vor der Bundestagswahl 2013 der Eindruck erweckt wurde, es gäbe ein konkretes Angebot der USA, über ein sogenanntes No-Spy-Abkommen zu verhandeln. Ich möchte hier ausdrücklich betonen: Es gab ganz konkrete Verhandlungen zwischen der NSA und dem BND auf höchster Ebene zwischen General Alexander und dem BND-Präsidenten Schindler. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht über ein No-Spy-Abkommen!) Diese Verhandlungen haben sich bis weit in das Jahr 2014 gezogen. Deswegen stimmt das, was Sie behaupten, einfach nicht. Sie versuchen, hier den Eindruck zu vermitteln, als hätte es Wahlmanipulation gegeben und seitens der Bundesregierung, egal von wem, wären hier falsche Aussagen getroffen worden. Das ist schlichtweg unzutreffend. (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Mayer!) Ich habe zwar schon zu Beginn gesagt, dass wir diese Debatten mittlerweile inflationär führen, aber ich habe trotzdem die Hoffnung noch nicht verloren oder aufgegeben, dass derartige Aktuelle Stunden wie die heutige vielleicht mit dazu beitragen, das Bewusstsein sowohl hier im Parlament als auch in der Öffentlichkeit zu schärfen, dass wir eine effektive parlamentarische Kontrolle unserer Nachrichtendienste benötigen, dass es aber auch wichtig ist, dass wir internationale Kooperationen haben, und dass dies im Sinne der Sicherheit Deutschlands und deutscher Bürger im Inland und im Ausland ist. Vielleicht wird dadurch auch ein stärkeres Bewusstsein in der Bevölkerung geschaffen, dass wir effektive und gut aufgestellte Nachrichtendienste benötigen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist es eine Schande und auch ein Armutszeugnis für die Bundesregierung, dass diese Aktuelle Stunde überhaupt nötig ist. Im BND-NSA-Skandal kommen fast -täglich neue Fakten ans Licht. Die ganze Dimension der Vorgänge ist noch immer nicht absehbar. Bundesregierung und Koalition betonen seit Wochen, wie nötig Aufklärung sei, auch heute wieder. Die Realität sieht leider völlig anders aus. Was wir erleben, ist Mauern, Hinhalten, die Schwärzung von Akten, das Verhindern von Sondersitzungen des NSA--Untersuchungsausschusses zur Vernehmung der verantwortlichen Kanzleramtsminister und jetzt sogar die komplette Verweigerung der Herausgabe ganz zentraler -Beweismittel für Rechts- und Vertragsbrüche der US-Geheimdienste. Dieser Rechtsbruch, der inzwischen von niemandem mehr bestritten wird – ich hoffe, auch von Ihnen nicht, Herr Sensburg –, muss Konsequenzen haben. Wir können aber nur dann vollständig aufklären, wenn wir die Akten haben. Deshalb müssen sie auf den Tisch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu wahren und zu schützen. Die Bundesregierung behauptet, sie habe von den amerikanischen Ausspähaktivitäten nichts gewusst, oder aber, wenn sie doch Kenntnis darüber hatte, wurde nichts dagegen unternommen. Ich will gar nicht wichten, was schlimmer wäre. Ich sage nur für die Linke ganz klar: Beides ist gleichermaßen unverantwortlich und muss Konsequenzen nach sich ziehen. (Beifall bei der LINKEN) Denn der im Raum stehende Vorwurf ist schier unglaublich, meine Damen und Herren, und nach allem, was wir wissen, stimmt er. Im Kern ist er zutreffend. Der BND hat dem amerikanischen Geheimdienst NSA Zugang zu deutschen Satelliten wie auch Telekommunikationskabelpunkten in Deutschland verschafft, dabei auch offenkundig die G 10-Kommission des Bundestages, die Abhörmaßnahmen genehmigen muss, bewusst getäuscht, und dann auch noch von den Amerikanern gewünschte Suchkriterien, die sogenannten Selektoren, über Jahre hinweg ohne wirkungsvolle Kontrolle in die Überwachungsmaschinerie eingespeist. Das führte dazu, dass Monat für Monat millionenfach Telefonate, SMS- und Mail-Verkehre ausgeforscht und auch sogenannte Metadaten über erfolgte Kommunikationskontakte gesammelt und ohne genaue Prüfung an die NSA weitergeleitet wurden. Auch wenn es noch zahlreiche ungeklärte Fragen gibt, ist es vielleicht ein kleiner Lichtblick gewesen, dass es beim BND dann doch einmal irgendjemandem aufgefallen ist, dass bei dieser angeblich unverzichtbaren Kooperation etwas schiefläuft. Man hat mit Suchbegriffen festgestellt, wie viele unzulässige illegale Selektoren eingespeist wurden, und man hat dann sogar eine Ablehnungsdatei eingerichtet. Spätestens ab dem Jahr 2008 sind die Sperrungen also festgehalten worden. Um genau diese Listen geht es jetzt. Es handelt sich ganz klar um Unterlagen des BND. Deshalb unterliegen sie auch der parlamentarischen Kontrolle. Wir brauchen die Amerikaner nicht um Erlaubnis zu fragen. Es ist Vertuschung und Verzögerung, was Sie hier betreiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb sage ich ganz klar: Wir werden uns nicht mit halbseidenen Informationen abspeisen lassen. Wir wollen im Kontrollgremium wie im Untersuchungsausschuss die Vorlage der vollständigen Listen. Es geht dabei nicht nur um Grundrechtsträger, sondern wohl auch und vor allem um europäische Politiker, Regierungen, Institutionen sowie Wirtschaftsunternehmen, die über Jahre hinweg ausgespäht worden sind. Wenn die Bundesregierung wirklich die Einsicht in diese Liste verweigert, dann unterläuft sie den Einsetzungsbeschluss des Untersuchungsausschusses, der in diesem Haus einstimmig gefasst worden ist. Deshalb haben wir auch alle eine Verantwortung, die Bundesregierung dazu zu bringen, die Listen endlich vorzulegen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In den letzten Tagen hat sich vor allem die SPD immer wieder als Vorreiter der Aufklärung geriert. Nicht nur die Generalsekretärin, sondern auch der Parteivorsitzende und Vizekanzler haben wiederholt die Herausgabe der Listen mit den Suchbegriffen gefordert. Herr Gabriel sprach sogar von einer möglichen Staatsaffäre und davon, dass es keine Unterwürfigkeit gegenüber den USA geben dürfe und man gerade auch in dieser Angelegenheit Rückgrat zeigen muss. Der Mann hat absolut recht. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dann hören Sie doch endlich auf mit der Unterwürfigkeit! Zeigen Sie Rückgrat, und sorgen Sie in der Koalition dafür, dass die Listen herausgegeben werden! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Ein Er-mittlungsbeauftragter kann weder die Arbeit des Untersuchungsausschusses noch des Kontrollgremiums er-setzen. Es sind die gewählten Volksvertreter, die die Bundesregierung zu kontrollieren haben. Ein Sonder-ermittler kann bestenfalls ergänzend bzw. unterstützend tätig werden, aber nicht die Rechte der Abgeordneten aushebeln. Herr Mayer, Sie haben auf das Kontrollgremium hingewiesen. Sie haben aber eines vergessen zu sagen: Dort hatten die Abgeordneten den Zugang zu den kompletten Unterlagen, also zu den Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Wir haben den Sonderermittler Jerzy Montag dafür eingesetzt, dass er uns systematisch zuarbeitet. Aber wir hatten den Zugang zu den Akten, und das muss auch für die Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes gelten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein allerletzter Satz: Herr Strobl, der Vorwurf an uns, geheime Unterlagen weitergegeben zu haben, ist absurd. Wir lassen uns von Ihnen keine Straftaten unterstellen – damit das ganz klar ist. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da haben Sie als Ausschussvorsitzender eine besondere Aufgabe!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Hahn. – Einen schönen Nachmittag von mir, liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Gäste auf den Tribünen! Nächster Redner in der Debatte: Dr. Jens Zimmermann für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Hahn, Sie haben eben meinen Parteivorsitzenden angesprochen. Dazu will ich eines klarstellen: Als Parteivorsitzender der SPD braucht man -permanent so ein Rückgrat, und das hat unser Parteivorsitzender auch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Körperlich!) Es gibt doch ein Problem in dieser ganzen Debatte. Es wird ein Bohei gemacht, und es wird die Behauptung in den Raum gestellt, es wäre irgendetwas passiert. Es ist aber überhaupt nichts passiert. (Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben es so dargestellt, als würden wir die Listen und die Inhalte nicht zur Kenntnis bekommen. Eines ist doch klar: Auch wir, die SPD – das hat mein Kollege Christian Flisek doch eben auch klargemacht –, wollen wissen, was darin steht. Sie sitzen doch auch im Untersuchungsausschuss. Wir sitzen da doch nicht 15 Stunden nur so zum Spaß herum. Dass überhaupt die Existenz dieser Selektorenlisten dem Parlament zur Kenntnis gekommen ist, liegt doch an unserer gemeinsamen Arbeit in diesem Ausschuss. Deswegen haben wir ein Interesse daran, zu wissen, was in diesen Listen steht. Aber wir machen uns jetzt – das ist doch der Punkt – Gedanken über ein geeignetes Verfahren, wie wir einerseits die Inhalte erfahren können, um damit arbeiten zu können, andererseits aber nicht irgendwelche Informationen nach außen tragen, die vielleicht auch unsere Interessen in Deutschland schädigen könnten. Wir sind mitten in diesem Prozess. Deshalb sage ich: Es ist überhaupt noch nichts passiert. Wenn es dazu kommen sollte, dass die Amerikaner komplett Nein sagen, dann müssen wir weiter diskutieren. Wir haben heute im Ausschuss gesagt: Wir geben dem Kanzleramt die zwei Wochen über Pfingsten Zeit, und dann werden wir sehen, wie es weitergeht. Mir ist aber ein Punkt ganz wichtig: In der Öffentlichkeit wird doch nur der Streit wahrgenommen. Eine Fraktion versucht, schriller als die andere aufzutreten. Aber um was es eigentlich geht, weiß so gut wie keiner. (Zuruf von der LINKEN: Doch! Spionage!) Die Menschen draußen müssen doch denken, dass es diese Selektorenliste gibt und jegliche Kommunikation in Deutschland davon betroffen ist. Dass wir über Bad Aibling reden, dass wir über Satellitenkommunikation aus Krisenregionen reden, wird doch in der Diskussion völlig unter den Tisch gekehrt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch, was Sie sagen!) Denn das würde nicht zur Skandalisierung passen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Unsinn!) Das ist doch die Problematik, die wir haben. Schauen wir uns doch einmal an, wie erfolgreiche Untersuchungsausschüsse in der Vergangenheit gearbeitet haben. Das erinnert mich sehr an die Arbeit, wie sie in unserem Ausschuss erfolgt. Sie ist nämlich meistens sehr kollegial und von dem Interesse geleitet, am Ende wirklich herauszubekommen, was hier eigentlich schiefläuft. Wir müssen versuchen, daran zu arbeiten, und sollten schauen, dass wir uns nicht von diesen Aktuellen Stunden aus dem Konzept bringen lassen, in denen viele Leute reden, die allenfalls sporadisch in diesem Ausschuss sind, die aber hier große Worte machen. Wir müssen schauen, dass unsere Arbeit peu à peu weitergeht; denn dieser Ausschuss ist bisher unglaublich erfolgreich. Wir haben sehr viel aufgedeckt; wir wissen, in welche Richtung es bei unseren eigenen Diensten geht; wir wissen, dass wir Verbesserungen und Veränderungen bei den rechtlichen Grundlagen brauchen. Das alles sind Erkenntnisse, die bei der Arbeit unseres Ausschusses herausgekommen sind. Ich kann verstehen, dass die Opposition auf der einen Seite versucht, die Regierung und die sie unterstützenden Fraktionen zu piksen, wo es nur geht. Das ist ihr Recht, das ist ihre Aufgabe. Es ist auf der anderen Seite aber auch klar, dass die Große Koalition und die Regierung, die von ihr unterstützt wird, versuchen, nach Möglichkeit in dieser Situation keine Fehler zu machen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht sie aber!) Ich finde, beide Ansinnen sind vollkommen nachvollziehbar. Nur, wir müssen schauen, dass wir unsere gute Sacharbeit im Ausschuss nicht dieser öffentlichen Auseinandersetzung opfern. Das wäre der Sache vollkommen unangemessen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine Sache sagen, weil sie uns alle betrifft. Wir leben nicht in einem luftleeren Raum, wo die Diskussion, die wir gerade führen, eine rein akademische Diskussion wäre. Wir erleben es doch gerade selbst als Deutscher Bundestag. Wir wurden einem massiven Cyberangriff ausgesetzt. Das zeigt eindeutig, dass wir uns mit der Sicherheit und vor allem mit der Sicherheit im Internet auseinandersetzen müssen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja und? Das ist doch selbstverständlich!) Da gibt es keine einfachen Lösungen. Es wird häufig so dargestellt, als wären Geheimdienste per se erst mal schlecht oder als würden sie nicht im Interesse unseres Landes arbeiten. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir gerade nicht! Das Gegenteil ist der Fall!) Man muss doch einmal klarstellen, dass wir an dieser Stelle auch ein Interesse haben. Ich sage nicht, dass diese Abwägung einfach ist. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ein Popanz, den Sie aufbauen!) Aber es ist falsch, so zu tun, als könnte man einfach alle Geheimdienste abschaffen, und alles wäre gut. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In diesem Sinne kann ich für meine Fraktion nur das Angebot zu einer weiteren ordentlichen Arbeit in unserem Ausschuss aufrechterhalten. Ich glaube, eine solche Arbeit leisten wir auch die meiste Zeit. In einer Viertelstunde geht es, glaube ich, weiter. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Zimmermann. – Nächster Redner in der Debatte: Hans-Christian Ströbele für die Grünen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Flisek und Herr Kollege Zimmermann, es stimmt ja, dass es eine schwierige Abwägungsentscheidung ist: Kriegen wir die Selektoren? Kriegen wir sie nicht? Nur, Ihr Parteivorsitzender Gabriel, der Vizekanzler, und Herr Oppermann, der gerade noch hier saß – jetzt ist er abgehauen –, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Er ist nicht abgehauen! – Petra Ernstberger [SPD]: Der hat noch was zu tun! – Christian Flisek [SPD]: Fraktionsvorsitzender!) und Ihre Generalsekretärin haben diese schwierige Entscheidung bereits gefällt. (Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!) Sie haben nämlich in der Öffentlichkeit verkündet – das ganze Wochenende ging es durch alle Medien –, dass die Liste selbstverständlich herausgegeben werden muss, auch ohne die Zustimmung der USA und der NSA. (Christian Flisek [SPD]: Sie müssen zuhören! „In geeigneter Weise“!) Dann lassen Sie diesen Beschwörungen, diesen Auffassungen doch Taten folgen, und legen Sie uns endlich diese Liste vor! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Christian Flisek [SPD]: Hören Sie gut zu, wenn Sie hier zitieren! „In geeigneter Weise“!) Herr Kollege Strobl, wir diskutieren an anderer Stelle und bei anderer Gelegenheit über die Frage: Brauchen wir die Arbeit unserer Geheimdienste? Brauchen wir die Arbeit von Geheimdiensten in Deutschland? Aber eines brauchen wir mit Sicherheit nicht: Wir brauchen nicht diese Arbeit der Geheimdienste mit diesen Selektoren, weil diese Selektoren gegen deutsches Recht und Gesetz und gegen die Vereinbarung mit der NSA und den USA verstoßen. Deshalb brauchen wir diese Arbeit nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das wissen Sie doch nicht! Nicht immer das Ergebnis vor der Untersuchung nennen!) – Wir haben bereits ein Ergebnis der Untersuchung, Herr Kollege Strobl. Allein die Existenz dieser Selektoren beweist, dass der Bundesnachrichtendienst in Zusammenarbeit mit der NSA zu Unrecht Selektoren eingestellt hat, Überprüfungen vorgenommen hat, Suchen vorgenommen hat, die er nicht vornehmen durfte. Sie haben das immer noch nicht kapiert. Bei jeder Rede hier versuche ich, Ihnen das klarzumachen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der Einzige, der irgendwas kapiert hat, sind sowieso Sie!) Es handelt sich um Selektoren, die auch nach Auffassung des Bundesnachrichtendienstes und des Kanzleramtes nicht benutzt werden durften, aber trotzdem benutzt wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der Polizei- und Diensteexperte Ströbele!) Deshalb sind sie illegal und rechtswidrig. Das müssen Sie doch irgendwann mal verstehen. Das Parlament versucht, diese Selektoren jetzt zu bekommen, um durch die Lektüre dieser Selektoren, durch die Lektüre im Einzelnen, herauszubekommen: Warum hat der Bundesnachrichtendienst die herausgenommen? Ging es da um europäische Unternehmen? Ging es um europäische Politiker? Ging es um EU-Institutionen? Ging es um beides? Ging es vielleicht auch um Unternehmen, die sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern sind? Das ist jetzt die ganz wichtige Frage, weil wir daraus entnehmen können, dass diese Art der Zusammenarbeit mit der NSA so nicht sein darf. Wenn es nämlich um diese Begriffe geht, die ich jetzt angesprochen habe, dann ist ganz klar, dass diese Begehrlichkeit der NSA nicht erfüllt werden kann. Durch diese Selektoren ist nicht nur bewiesen, dass Edward Snowden in seinen Dokumenten recht gehabt hat. Durch die Existenz dieser Selektoren ist auch bewiesen, dass der Untersuchungsausschuss notwendig ist und inzwischen auch wesentliche Erkenntnisse hat, die er vorzeigen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Daran weiterzuarbeiten, verhindern Sie, verhindert die Kanzlerin und verhindert Herr Altmaier, weil er uns die Selektoren nicht gibt. Wir setzen gleich die Vernehmung eines Zeugen fort und vernehmen heute Nachmittag möglicherweise noch Herrn Schindler, den Chef des Bundesnachrichtendienstes. Wir müssten ihm aus dieser Liste Vorhaltungen machen können. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!) Wir müssten fragen können: Wie konnten Sie dulden, wie konnten Sie hinnehmen, dass diese oder jene Selektoren benutzt worden sind, obwohl sie doch ganz offensichtlich nicht hätten benutzt werden dürfen? Es geht darum, dass wir das nicht können. Unsere Arbeit wird unmöglich gemacht, wenn wir diese Selektoren nicht bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Insofern kann ich im Interesse des Parlaments, im Interesse der Aufklärungsarbeit, sowohl des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses als auch des Parlamentarischen Kontrollgremiums, nur an Sie appellieren: Setzen Sie sich dafür ein, dass wir die Selektoren möglichst bald bekommen. Lieber Kollege Flisek, von Ihnen wünsche ich mir eines: Verkaufen Sie nicht für das Linsengericht eines Ermittlungsbeauftragten die Rechte der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das tut doch auch keiner! Jetzt aber!) Sie sind gemeinsam mit dem Kollegen Oppermann nach draußen gegangen und haben gesagt: Vielleicht können wir ja durch einen Ermittlungsbeauftragten das Problem lösen. (Christian Flisek [SPD]: Ich will die Vorwürfe schnell ausräumen! Da muss man keine Blockadehaltung an den Tag legen! Da muss man flexibel sein!) Dann haben die Abgeordneten die eine oder andere Möglichkeit, durch Nachfrage bei diesem Ermittlungsbeauftragten herauszubekommen, was in der Selektorenliste steht. – Nein, wir müssen und wir wollen selber sehen, was da drinsteht. Wir wollen die Verantwortung übernehmen, auch dafür, dass hier ordnungsgemäß aufgeklärt wird, (Christian Flisek [SPD]: Ganz genau! Und zwar schnell!) so wie es das Grundgesetz befiehlt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Hans-Christian Ströbele. – Der nächste Redner in der Debatte ist Armin Schuster für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD]) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen und die Frage zu beantworten: Nein, ich bin nicht dafür, dass die Selektorenliste gegen den Willen der Amerikaner freigegeben wird. (Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das mit Herrn Gabriel abgesprochen?) Ich bin nicht dafür, dass sie für die Obleute von wem auch immer freigegeben wird. Ich halte auch das Treptow-Verfahren für ungeeignet. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schuster, Sie sind ein lustiger Parlamentarier! Das haben Sie auf der Habenseite! Aber dann hört es auch auf! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Jetzt entspannt sich der von Notz endlich mal!) – Ich wusste, dass Sie jetzt ein Sauerstoffgerät brauchen, lieber Herr von Notz; aber das wollte ich Ihnen doch noch mitgeben. Meine Damen und Herren, ich glaube aber – ich bin Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums –, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das müssen wir jetzt auch noch einmal überdenken!) dass es trotzdem möglich ist, sowohl im Untersuchungsausschuss als auch im PKGr die Aufklärung zu betreiben, die notwendig ist; denn dass es zu Fehlern gekommen ist, hat die Regierung konsequent so benannt, hat der BND konsequent so zugegeben. Nur, lieber Herr Ströbele und liebe Grünen, macht euch doch nicht so klein. Das ist ja fast ein kindliches Jammern nach einer Selektorenliste nach dem Motto „Wenn wir die nicht kriegen, um Gottes willen!“ Das Thema ist verdammt noch mal größer als eine Selektorenliste. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht!) Lassen Sie uns doch das Thema ordentlich bearbeiten. Sprechen wir einmal über die Fehler, zu denen es tatsächlich gekommen ist: Verstößt der BND gegen deutsches Recht? Nein. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Der BND darf Telekommunikation überwachen und aufzeichnen. Er darf Daten an ausländische Nachrichtendienste übermitteln. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So redet jemand, der die Selektorenliste nicht gesehen hat!) Der BND darf und soll mit ausländischen Partnern kooperieren. (Christian Flisek [SPD]: Denken Sie an den Dreiklang „Aufklären, Bewerten, Konsequenzen“!) Dabei geht es nie um Kommunikation von Deutschen in Deutschland, nicht um deutsche Staatsangehörige, nicht um deutsche Firmen. (Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ahnungslos, Herr Schuster! Ahnungslos!) Es geht um Terrorismus. Es geht um Proliferation, Drogenhandel etc. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es geht auch nicht um unkontrollierte Dienste, nicht um Wirtschaftsspionage (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Doch!) und ausdrücklich nicht um die Ausspähung deutscher Bürger. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie das?) All das, was der BND macht, wollten wir in diesem ehrenwerten Haus so, weil wir es ins BND-Gesetz geschrieben haben und weil wir es ins G 10-Gesetz geschrieben haben. Genau das wollten wir so. Der BND arbeitet rechtmäßig, schützt dieses Land, schützt zum Beispiel die Bundeswehr tagtäglich durch hervorragende Arbeit. Dass dabei Fehler vorkommen, passiert übrigens auch in Ihrer Fraktion. Darauf will ich nicht weiter eingehen. Daraus machen wir auch keinen Skandal. Man darf in diesem Land Fehler machen. Wir klären sie auf und stellen sie ab. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Bewerbungsrede für den Präsidentenposten, Herr Schuster!) Zweitens. Meine Damen und Herren, war und ist das Abkommen aus dem Jahr 2002, von Frank-Walter Steinmeier und Joschka Fischer verhandelt, richtig, und handelt der BND nach diesem Abkommen? (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Joschka Fischer hat damit nichts zu tun!) Es war und ist richtig. Wer will heute bestreiten, dass wir ein Terrorproblem auf der Welt haben? Wer will bestreiten, dass wir OK und Drogenhandel bekämpfen müssen? Meine Damen und Herren, über 3 000 Terrorgefährder exportiert Europa in die Welt. Es war absolut richtig, dass in dem betreffenden Memorandum Europa nicht ausgeschlossen war. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit der Selektorenliste zu tun, Herr Schuster? Thema verfehlt!) Deswegen ist es ein Skandal, dass Sie so tun, als ob die Existenz europäischer Ziele per se falsch wäre. Nein, 3 600 Terrorgefährder sind ein eindeutiger Beleg dafür, warum Europa in diese Überwachung einbezogen werden muss. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat der BND die Selektoren herausgenommen?) Und jetzt noch – ich habe nicht mehr viel Zeit – zur Dimension des Problems, insbesondere für die Damen und Herren, die uns hier zuhören. Weniger als 1 Prozent der Suchbegriffe, die wir heute gesperrt haben, entsprechen potenziell und unter gewissen Umständen nicht dem Abkommen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie das?) – Weil ich rechnen kann, Herr von Notz. Ich hatte Mathematik als Leistungskurs auf dem Wirtschaftsgymnasium in Kehl am Rhein belegt; das ist eine sehr ehrenwerte Schule. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Dr. von Notz, von diesen weniger als 1 Prozent Selektoren wissen wir nicht – weil wir die nachrichtendienstlichen Hintergründe nicht kennen –, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, weil Sie die Liste nicht gesehen haben! Sie haben die Liste nicht gesehen! Sie sind ahnungslos, Herr Schuster! – Gegenruf des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Zügeln Sie sich, Herr von Notz!) ob sie zu Recht oder zu Unrecht eingestellt werden sollten. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Der BND hat sie aussortiert!) Ich kann mir eine ganze Reihe von Gründen vorstellen, warum eine europäische Adresse beispielsweise zu Recht auf dieser Liste auftaucht. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat der BND sie dann he-rausgenommen, die Selektoren?) Wenn wir aber die Amerikaner dazu bewegen wollen, uns zu erklären – das ist der Kern des Themas –, welche nachrichtendienstlichen Hintergründe hinter einem Selektor stehen, dann müssen die Amerikaner die Tresortüren des Allergeheimsten öffnen. Wenn die Amerikaner das tun wollen und sollen, brauchen wir ein Verfahren, von dem die Amerikaner sagen: Dem vertraue ich; da ist Geheimhaltung weiterhin gewährleistet. – Eine öffentliche Freigabe, lieber Herr Ströbele, wissen Sie, was das ist, also wenn das komplett freisteht? Das ist nichts anderes als Boulevardparlamentarismus. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit bewegt man keinen Amerikaner dazu, zusammen mit uns das Problem zu lösen. Ich möchte aber das Problem lösen. Deswegen finde ich die Idee eines Beauftragten charmant. Ich bin optimistisch, dass auch die Obama-Administration die Nachrichtendienste reformieren möchte. Da gibt es eine gemeinsame Schnittmenge. Ich glaube ganz sicher, dass wir Geheimhaltung üben können, dass wir trotzdem politisch bewerten können und dass wir dann zu Konsequenzen kommen – diese sehe ich übrigens nicht –, wenn es notwendig ist. Die Idee eines Beauftragten ist sicherlich reizvoll. Informieren Sie sich bei Herrn Montag. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Schuster. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich darf den Kollegen Lischka zitieren – er ist nicht mehr anwesend –: „Das hätten wir so gut nicht gekonnt.“ Das sagte er gestern Abend im PKGr. So viel zu der Bedeutung eines solchen Mannes. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Schuster, darf ich Sie nun bitten, endlich zum Schluss zu kommen? Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich mache nur noch einen christlichen Spruch. Vizepräsidentin Claudia Roth: Christlicher Spruch hin oder her, die Redezeit ist deutlich überschritten. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Der Kollege Strobl hat eben darum gebeten, dass der Heilige Geist über Pfingsten über die Opposition kommt. Sorgen Sie doch bitte dafür, dass er auch eine Landefläche erhält, auf der er sich niederlassen kann. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder Aschermittwoch hier!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das war jetzt christlich? – Nächste Rednerin in der Debatte: Susanne Mittag für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Susanne Mittag (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade die öffentliche Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses für diese Aktuelle Stunde unterbrochen. Ich finde es natürlich gut, wenn wir öffentlich darstellen können, was wir in diesem Ausschuss machen. Ich hoffe, dass das in der nächsten Zeit immer wieder einmal der Fall sein wird. Das Interesse in der Öffentlichkeit kann nur gestärkt werden. Wir haben auch gestern bis Mitternacht getagt, und ich ahne, dass das heute auch so sein wird und wir unsere Zeugen vernehmen werden. Deswegen möchte ich an dieser Stelle noch einmal allen Damen und Herren des Stenografischen Dienstes, die hier und in unserem Ausschuss sitzen und bis in die tiefe Nacht hinein mitschreiben und alles das, was wir da erzählen, auflisten, einen herzlichen Dank für ihre Arbeit sagen. Das ist nicht selbstverständlich. (Beifall im ganzen Hause) Der Titel der Aktuellen Stunde lautet „Haltung der Koalitionsfraktionen zur Freigabe der NSA-Selektorenliste im Hinblick auf mögliche Ausspähungen von Wirtschaft und Politik“. Das ist ja ein ganz schöner Titel. Um ehrlich zu sein, für mich wären noch einige andere Fragen ziemlich relevant und gehörten dazu, etwa: Wie gewährleisten wir den Schutz von deutschen Interessen bei Kooperation mit ausländischen Nachrichtendiensten? – Wir stellen im Ausschuss fest, dass das irgendwie alles ein bisschen unklar ist. Dann – noch wichtiger –: Welches Verständnis von deutschen Interessen hat der BND, und wer definiert eigentlich die Interessen, und wer hinterfragt das Verständnis des BND? Und: Wie eng wird der BND kontrolliert? – Das alles sind Fragen, die wir schon gestellt haben, die auch Inhalt der Ausschussarbeit sind bzw. die wir noch stellen werden. Im Laufe der Arbeit des Untersuchungsausschusses habe ich das Gefühl gewonnen, dass der BND so ein ganz klein bisschen die Übersicht und die gebotene Vorsicht bei der Kooperation verloren hat. Er hat sie verloren, um nämlich genau diese Zusammenarbeit mit der attraktiv erscheinenden NSA, mit den Möglichkeiten, die die haben, eingehen zu können. Hier scheint der Schutz der deutschen Interessen in den Hintergrund getreten zu sein, und zwar von nachrichtendienstlichen Interessen. Und das ist ein Problem. Über die Selektorenliste setzen wir uns mit der Bundesregierung nun schon seit bald vier Wochen auseinander. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über vier Wochen!) Uns alle im Ausschuss eint der Wunsch, endlich Klarheit über die eingesetzten Selektoren zu erhalten. Da kursieren ja sehr unterschiedliche Zahlen in der Öffentlichkeit; das geht los bei 2 000 und geht bis 8 Millionen. Wenn ich hier einmal fragen würde, welche Zahl wohin gehört, dann würden wir wahrscheinlich auch überraschende Ergebnisse haben. Das müssen wir erst einmal klären. Um die infrage stehenden Selektoren hat sich der BND anscheinend – so muss man sagen – seit zehn Jahren nicht so richtig gekümmert. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man so sagen!) In den Jahren wurden es immer mehr und mehr, und da sind Maß und Übersicht so ein bisschen verloren gegangen. Dafür haben wir den Untersuchungsausschuss. Das muss jetzt nachgeholt werden. Wir müssen uns eine Übersicht darüber verschaffen, in welchem Rahmen Politik und Wirtschaft betroffen sind – das wissen wir noch nicht, auch wenn es sich hier manchmal anders anhört –: Sind Wirtschaftsunternehmen abgehört worden, sind welche als Selektoren benannt worden und, wenn ja, aus welchem Grund? Es wird sicherlich auch Begründungen geben, und wenn nicht, dann kommen wir auch dahinter. Sind sie vielleicht für die NSA wirtschaftlich interessant gewesen? Es gibt dazu unterschiedliche Meinungen. Auch das wollen wir klären. Und wir müssen klären, ob und in welchem Rahmen die europäische Politik auf die Selektorenliste gekommen ist und mit welcher Intention. Auch da gibt es Konkurrenten und unterschiedliche Interessen. Das, was mich neben den Selektoren in den vergangenen vier Wochen beschäftigt hat, ist: Was lief da eigentlich beim Bundesnachrichtendienst schief? Wie konnte es sein, dass offensichtlich kritische Selektoren der NSA ungeprüft übernommen oder eingesetzt wurden? – Dafür machen wir diese ganzen Zeugenbefragungen, und zwar sehr systematisch. Es geht vor allem um die Frage: Warum wurden Vorgesetzte, die dortige Hausleitung und das Bundeskanzleramt damals nicht oder nur teilweise über solche gravierenden Vorgänge in Kenntnis gesetzt? Wer wusste wann wie wo was? – Das müssen wir auch noch klären. Ich nenne hier einmal Dr. T. – der ist ja mittlerweile berühmt in unserem Ausschuss –, einen Referenten aus dem BND, der die kritischen Selektoren in wochenlanger Kleinarbeit gefunden und völlig richtig reagiert hat. Er meldete den Fund an seinen Vorgesetzten. Gut. Und was passierte dann? – Die Selektoren wurden quasi auf dem kleinen Dienstweg gelöscht, das heißt, außer Funktion gesetzt. – Unglücklich. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr milde ausgedrückt! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Kleiner Dienstweg“ ist milde, ja!) So, als hätte sich damit auch das Problem aufgelöst. Das macht uns alle so ein bisschen fassungslos. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herrn Schuster nicht!) Wie kann es vor dem Hintergrund der Snowden-Veröffentlichungen und der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses sein, dass solche Prüf- und Löschvorgänge der Leitungsebene im BND oder im Bundeskanzleramt vorenthalten wurden – und auch dem Parlament? Das sind für uns alle im Ausschuss die drängendsten Fragen, die sich stellen; und ich gebe zu, ich hätte mir gewünscht, dass wir uns in dieser Woche auf ein Verfahren im Umgang mit den Selektoren geeinigt hätten. Das war auch letzte Woche mein Wunsch. Da ist die Bundesregierung in einer Bringschuld, obwohl wir anerkennen, dass die völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Prüfung aufwendiger ist als gedacht. Das Konsultationsverfahren mit den Amerikanern läuft auch schon recht lange, eigentlich ziemlich lange. Da hoffen wir, dass die Bundesregierung jetzt endlich zu einer kurzfristigen Entscheidung kommt. Wir hoffen auf eine Entscheidung nach Pfingsten und darauf, dass uns als erster, nicht als letzter Schritt ein Vorschlag zur Überprüfung der Listen vorgelegt wird. In dieser Woche haben wir genug zu tun. Wir haben die Aufgabe, organisatorische Fehler und strukturelle Fehler, aber eben auch eine ganz bestimmte spezielle Behördenmentalität im BND zu erkennen und hoffentlich auch irgendwann zu ändern. Wir sind gerade dabei. Die Zeugen am gestrigen und heutigen Tag bringen uns da weiter; heute Nachmittag wird es ganz interessant. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gleich wieder in den Ausschusssaal gehen und die Arbeit fortsetzen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin Mittag. Zwei Kolleginnen sind in dieser Debatte aber noch vorgesehen. – Nächste Rednerin ist Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nina Warken (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich zwar, dass wir hier innerhalb kürzester Zeit zum zweiten Mal über die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses sprechen können. Angesichts des Spektakels, das etwa der Kollege Korte hier veranstaltet hat, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Unwürdig!) wäre ich aber doch lieber drüben geblieben und hätte mit der Ausschussarbeit weitergemacht. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nur Spektakel! – Jan Korte [DIE LINKE]: Bitte schön! Warum nicht? Noch können Sie gehen! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie jetzt einfach auf, zu reden!) Grundsätzlich kann man aber sagen: Der Ausschuss macht seine Arbeit, und er macht sie gut. Wir sind im Moment inmitten eines Prozesses, nämlich im Prozess der Aufklärung. Und da wir eben noch mitten in der Aufklärung sind, verstehe ich so manch schrillen Ton, der derzeit angeschlagen wird, nicht. Wenn man wirkliche Aufklärung will, ist so etwas unseriös und bestenfalls effekthascherisch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie einmal auf, Sigmar Gabriel zu bashen!) Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, um einige grundsätzliche Dinge festzustellen. Beginnen möchte ich mit der Diskussion um das Thema No-Spy-Abkommen, die ein wahres Musterbeispiel für die in den letzten Tagen überhitzte Debatte ist. Von einer „Nebelkerze im Wahlkampf 2013“ wurde da gesprochen oder gar von „Lüge“ oder „absichtlicher Täuschung“. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manipulation!) Dementgegen hat allerdings der heutige Bundesaußenminister noch im Februar 2014 das No-Spy-Abkommen zu einem Thema seiner Gespräche in den USA gemacht. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Dies geschah sicherlich nicht, um der Union im Wahlkampf nachträglich zu helfen. Das muss wohl auch die Opposition einsehen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Fakt ist: Bereits 2013 sind konkrete Entwürfe mit den Amerikanern ausgetauscht worden. Es gab ernsthafte Verhandlungen über eine Vereinbarung zwischen den Diensten. Das will in der derzeitigen Stimmung aber offensichtlich niemand wissen. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Die Wahrheit tut weh!) Ich kann den Kolleginnen und Kollegen jedoch das Aktenstudium sehr empfehlen. (Beifall bei der CDU/CSU) Stattdessen betreibt man Legendenbildung und versucht, die Reputation einzelner Personen zu beschädigen. So etwas halte ich für unredlich. Die Art und Weise, wie dieses Thema diskutiert wird, ist für die Debatte insgesamt symptomatisch. Sie ist von Vorwürfen, voreiligen Schlussfolgerungen und tendenziösen Wertungen geprägt. Meine Damen und Herren, Nachrichtendienste bewegen sich naturgemäß in einem sehr sensiblen Bereich. Weil es hierbei um existenzielle Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik und ihrer Bürgerinnen und Bürger geht, heißt es bei vielen Entscheidungen, sorgfältig abzuwägen – mit Augenmaß und ohne Hysterie. (Beifall bei der CDU/CSU) Abzuwägen ist etwa zwischen dem Interesse der parlamentarischen Gremien, die Selektoren einzusehen, auf der einen Seite und dem Sicherheitsinteresse der Bundesrepublik andererseits. Die Bundesregierung ist einerseits völkerrechtlich verpflichtet, den Partner vor Offenlegung von geheimen Unterlagen um Zustimmung zu ersuchen. Dieses Vorgehen erwarten wir umgekehrt ja auch von unseren Partnern. Zum anderen ist die Bundesregierung auch verpflichtet, den grundrechtlich garantierten Auftrag des Untersuchungsausschusses zu unterstützen. Diese Aspekte muss die Bundesregierung abwägen und schließlich eine verantwortungsvolle Entscheidung am Maßstab des deutschen Verfassungsrechts treffen. Laut und populistisch zu sein, das ist einfach. Politische Verantwortung zu tragen, das ist schwerer. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das trifft den Nagel auf den Kopf!) Meines Erachtens sind bei der Entscheidungsfindung mehrere Aspekte zu berücksichtigen: Erstens. Deutschland ist nicht isoliert in der Welt, und wir sollten es tunlichst vermeiden, uns im Bereich nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit zu isolieren. Wir brauchen die Zusammenarbeit mit befreundeten Diensten, auch zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit müssen auch wir ein verlässlicher Partner sein und uns an Vereinbarungen und völkerrechtliche Verpflichtungen halten. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Europarecht zum Beispiel!) Zweitens. Unsere Nachrichtendienste müssen arbeitsfähig sein. Dafür brauchen sie innerhalb von Recht und Gesetz gewisse Möglichkeiten. Nur so können sie ihren Aufgaben gut und effektiv nachkommen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Dazu gehört auch, dass gewisse Vorgänge im Rahmen der Arbeit der Nachrichtendienste vertraulich sind. Die Bundesregierung, aber auch wir als Parlament müssen gewährleisten, dass Dinge, die der Geheimhaltung unterliegen, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kontrolliert werden!) auch vertraulich behandelt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Staatswohl ist der Bundesregierung und dem Parlament gleichermaßen anvertraut. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!) Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich, dass es mir wirklich Sorgen bereitet, wie unverantwortlich zurzeit mit eigentlich geheimen Akten umgegangen wird. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da muss man sich in der Tat Sorgen machen!) Es steht doch außer Frage: Wenn weiterhin immer wieder Dokumente aus nichtöffentlichen Sitzungen an die Öffentlichkeit gelangen, dann wird das dazu führen, dass unsere Verbündeten künftig die für unsere Sicherheit so wichtige Zulieferung von Informationen einschränken. Was hier gerade geschieht, ist grob fahrlässig und unverantwortlich. So beschädigt man Vertrauen. (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Man hört heute echt die witzigsten Reden! Unfassbar!) Drittens. Wir als Untersuchungsausschuss haben den Anspruch, unserem Antrag vollumfänglich nachzukommen und gründlich aufzuklären. Dabei wollen wir uns natürlich auch ein Bild über die unzulässigen Selektoren, die die NSA dem BND übermittelt hat, machen können. Unsere Aufgabe dabei ist es, zu bewerten, inwieweit Suchbegriffe deutschen Interessen zuwiderlaufen oder gar gegen deutsches Recht verstoßen. Bei der Frage, wie wir das hinbekommen, gibt es für uns als CDU/CSU nicht entweder Schwarz oder Weiß. (Karin Binder [DIE LINKE]: Es gibt nur Schwarz!) Wir können uns durchaus Wege vorstellen, die allen Belangen gerecht werden und uns als Untersuchungsausschuss schließlich die Möglichkeit einer Bewertung der Listen geben. Ein Weg könnte zum Beispiel das Treptow-Verfahren sein, ein anderer die Benennung eines Ermittlungsbeauftragten. Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung all diese Aspekte in ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigt und zeitnah gemeinsam mit uns als Parlament einen gangbaren Weg finden wird, der gleichermaßen den Sicherheitsinteressen unseres Landes und unserer Partner und unserem Aufklärungsinteresse als Parlament gerecht wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Ende möchte ich an unser aller Verantwortungsbewusstsein appellieren. Lassen Sie uns vom parteipolitischen Gezänk wegkommen. Wir sollten uns weiterhin der seriösen Sachaufklärung widmen. Die CDU/CSU-Fraktion wird dies tun. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Flisek [SPD] – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr gute Rede! Ausgezeichnet!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin Warken. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Im Untersuchungsausschuss sind wir uns offensichtlich – das hört man hier heute auch – einig, dass die Selektorenliste geprüft werden muss. Einsicht in die Liste ist zur Aufklärung des aktuellen Falls unerlässlich. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Unsere parlamentarische Kontrolle findet aber nicht im luftleeren Raum statt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würden wir nur kurz durchhalten!) Natürlich muss das Parlament aufklären, und das tun wir auch. Auf der anderen Seite dürfen wir aber auch die Sicherheitsarchitektur unseres Landes nicht vergessen. Die deutschen Nachrichtendienste sind wichtige Garanten für unsere Sicherheit. Damit sie ihre Aufgaben in einer globalisierten und digitalisierten Welt erfüllen können, brauchen sie auch Partner. Wer diese internationale Kooperation grundsätzlich infrage stellt – und das tun Sie –, spielt mit der Sicherheit dieses Landes. Wir müssen unbedingt die Balance halten zwischen Methodenschutz und Aufklärung. Wenn geheime Informationen, die dem Ausschuss anvertraut wurden, umgehend veröffentlicht werden, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn Partnerdienste am Ende drohen, die Kooperation einzuschränken. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesregierung versucht, im laufenden und auch vereinbarten Konsultationsverfahren mit den USA einen Ausgleich zwischen Aufklärung und Methodenschutz zu finden. Wenn das nicht zügig gelingt, müssen wir einen anderen Weg gehen. Das Treptow-Verfahren wäre einer dieser Wege. Der Ausschuss hat aber – in § 10 PUAG gesetzlich verankert – die Möglichkeit, einen Ermittlungsbeauftragten als eigenes Aufklärungsinstrument zu bestimmen. Wenn ich heute immer höre, dass das ein Sonderfall wäre, dann frage ich mich, warum das Gesetz das ausdrücklich vorsieht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als Unterstützung, nicht als Ersatz!) Wenn wir wirklich zügig und zeitnah unter Abwägung aller Umstände wissen wollen, was in dieser Selektorenliste steht, dann kann man dieses Instrument nicht von vornherein ablehnen und für nicht zulässig ansehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Man sollte heute auch einmal festhalten, dass der Untersuchungsausschuss bisher in mehr als 200 Sitzungsstunden mit mehr als 50 Zeugen und in über 2 140 Ordnern Beweismaterial keinen Nachweis für eine anlasslose Massenüberwachung durch den BND gefunden hat. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, dann müssen Sie einmal lesen, Frau Lindholz!) Der Ausschuss sollte auch Vorschläge zur Verbesserung des Datenschutzes und anderer Regelungen erarbeiten, die wir für erforderlich halten. Diese Aufgabe hat in meinen Augen besondere Relevanz. Vorher müssen wir aber erst einmal alle Vorwürfe aufklären. Mit vorschnellen Behauptungen oder mit Vorverurteilungen von Personen oder Behörden sollte man dabei vorsichtig sein. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gerade eine Behauptung aufgestellt, Frau Lindholz!) Diese bringen in der Sache gar nichts. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Parlamentarischen Kontrollgremium haben die vorliegenden Vermerke des BND an das Bundeskanzleramt gezeigt, dass die Vorwürfe gegen den Bundesinnenminister völlig unberechtigt waren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Ich lach mich schlapp! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Sie waren doch gar nicht dabei! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum dürfen wir ihn morgen dann nicht vernehmen? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann soll er mal kommen!) Ich möchte auch an den haltlosen Vorwurf aus dem Jahr 2013 erinnern. Damals wurde behauptet, die NSA würde monatlich 500 Millionen Verbindungen deutscher Bürger überwachen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht, Frau Lindholz!) Heute wissen wir, dass diese Metadaten nicht aus Deutschland, sondern vor allem aus Afghanistan stammen, wo sie halfen, die Leben unserer Soldaten zu schützen. Dank der internationalen Kooperation des BND konnten in Afghanistan 19 Attentate verhindert werden. Diese Arbeit rettet Leben. In die Schlagzeilen schafft sie es aber leider nur sehr selten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje!) Im Übrigen hat der Untersuchungsausschuss schon im Mai 2014 beschlossen, alle relevanten Regierungsvertreter als Zeugen zu laden. Ihre Aussagen machen aber erst dann Sinn, wenn wir vorher den Sachverhalt auf der Arbeitsebene aufklären; das ist noch nicht vollkommen abgeschlossen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gerade Herrn de Maizière für unschuldig erklärt, Frau Lindholz! – Gegenruf des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Es ist jeder unschuldig, bevor nicht das Gegenteil bewiesen ist!) Für mich gibt es daher auch keinen Grund, plötzlich in Hysterie zu verfallen (Jan Korte [DIE LINKE]: Plötzlich?) und von unserem Aufklärungssystem abzurücken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die aktuelle parteitaktische Skandalisierung der Arbeit des Untersuchungsausschusses, so wie wir sie auch heute erleben, gerade durch Sie, Herr Kollege Korte – wobei ich mich frage, wann Sie eigentlich zum Thema dieser Aktuellen Stunde gesprochen haben –, (Jan Korte [DIE LINKE]: Vor einer Stunde!) zeugt weder von Sachkenntnis, noch dient sie der Aufklärung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Er ist nie da!) Anstatt hier im Plenum über ungeklärte Sachverhalte zu spekulieren, sollten wir lieber im Ausschuss unsere Arbeit machen und Fakten erarbeiten. Sie sollten vielleicht einmal anwesend sein, bevor Sie hier reden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Ich bin doch kein Mitglied!) – Auch wenn Sie kein Mitglied sind – ich habe noch 17 Sekunden Redezeit –, können Sie natürlich beantragen, an den Ausschusssitzungen teilzunehmen, so wie das andere Kollegen auch schon gemacht haben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was hat uns Herr Strobl erzählt! Der ist auch kein Mitglied! Oder Stephan Mayer! – Jan Korte [DIE LINKE]: Was ist denn mit der Truppe bei Ihnen?) Ich frage mich, wann Sie von dieser Möglichkeit bis dato einmal Gebrauch gemacht haben. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Frau Kollegin. – Die lebhafte Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich wünsche weiterhin gute Ausschussberatungen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Machen wir!) – Genauso lebendig. Nachdem der Wechsel auf den Sitzen stattgefunden hat, rufe ich die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 (Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Drucksache 18/4600 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Drucksachen 18/4950, 18/4951 b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen und zur Entlastung von Ländern und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern Drucksache 18/4653 (neu) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Drucksache 18/4975 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundesverantwortung wahrnehmen – Kommunen bei Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern sofort helfen und Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Leistungsberechtigte schrittweise übernehmen Drucksachen 18/3573, 18/4118 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Katja Dörner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Heute für morgen investieren – Damit unsere Zukunft nachhaltig und gerechter wird Drucksachen 18/4689, 18/4974 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre, ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wenn Herr Kampeter ausgequatscht hat, rufe ich ihn auf. Offensichtlich noch nicht. (Johannes Kahrs [SPD]: Steffen!) Herr Kampeter, ich hatte Sie aufgerufen, aber Sie unterhielten sich noch. Ich eröffne also jetzt die Aussprache. Das Wort hat der sehr geschätzte Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Charmante Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn auf der Tagesordnung eines Parlamentes „Nachtragshaushalt“ steht, dann ist üblicherweise irgendwo Land unter, weil irgendetwas nicht passt: Die Einnahmen sind zusammengebrochen, die Ausgaben explodieren. Das ist historisch die Erfahrung von Haushaltspolitik. Heute ist das anders. Der Nachtragshaushalt, den wir in zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bundestag beschließen, ist ein Zeichen unserer soliden Haushaltspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben in den vergangenen Jahren Maß gehalten in der Großen Koalition. Wolfgang Schäuble hat die Nettokreditaufnahme gemeinsam mit der Koalition zurückführen können. Wir haben günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Deutschland wächst. Jetzt nutzen wir diesen Spielraum, um mehr zu tun für das mittelfristige Wachstumspotenzial, für Arbeitsplätze in Deutschland durch die Stärkung von Investitionen. Zugleich tun wir etwas für das föderale Miteinander, indem wir mit diesem Nachtragshaushalt Maßnahmen beschließen für mehr Investitionen in den Kommunen und für mehr Solidarität bei der Bewältigung von Flüchtlingsherausforderungen. Das ist doch mal eine Botschaft für einen Nachtragshaushalt, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutschland wächst in diesem Jahr um voraussichtlich 1,8 Prozent, die Beschäftigung ist auf Rekordniveau, die Steuereinnahmen steigen, und im Übrigen hat sich demnächst auch der Deutsche Bundestag damit zu befassen, ob wir die kalte Progression entschärfen; das Wort darf man nicht sagen, aber man könnte das auch als Steuersenkung interpretieren. All dies zeigt, dass Haushalts- und Finanzpolitik, die solide ist, dazu beiträgt, dass der Staat handlungsfähig bleibt, und macht eines deutlich: Es ist falsch, zu sagen, dass Schulden irgendein Problem bei staatlichen Herausforderungen lösen könnten. Schulden sind in der Regel das Problem. Wer keine hat, ist handlungsfähig, und wer zu viele hat, der geht unter. Deswegen bleibt die schwarze Null der Maßstab, und wir nutzen Spielräume aus als Konsolidierungsrendite. Das ist Verlässlichkeit in der Haushaltspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir heute beschließen, mehr zu investieren, nämlich öffentliche Investitionen des Bundes auf den Weg zu bringen, dann geht es nicht darum, kurzfristig ein Strohfeuer anzuzünden, sondern darum, das mittelfristige Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft zu erweitern. Von 2014 bis 2018 belaufen sich die zusätzlichen Maßnahmen auf über 40 Milliarden Euro, knapp 1,5 Prozent unserer wirtschaftlichen Leistungs-fähigkeit. Wir tun damit mehr für digitale Infrastruktur, mehr für die Verkehrsinfrastruktur. Wir sagen Ja zur Steigerung der Energieeffizienz. Wir finden, dass der Klimaschutz nach vorne gebracht werden muss. Wir vergessen den Hochwasserschutz nicht und leisten etwas für die Städtebauförderung. Deutschland soll wachsen. Wir schaffen dafür die Voraussetzungen. Das ist das Angebot dieses Nachtragshaushalts. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein weiteres Feld ist die Stärkung der kommunalen Investitionskraft. Wir glauben nicht, dass alles von -Berlin aus geregelt werden kann. Wir wissen aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre, dass in den Kommunen sehr viel brachliegen kann und dass Investitionen, die man da anstößt, besonders schnell wirken. Deswegen wollen wir mit dem vorliegenden Nachtragshaushaltsgesetz ein Sondervermögen schaffen, mit dem wir in finanziell besonders gestressten Kommunen Investitionen -fördern wollen. Das ist unser Beitrag zu mehr Solidarität im föderalen Miteinander. Aber ich verbinde dies mit der klaren Aussage, dass zusätzliches Bundesgeld jetzt -komplementär mit Maßnahmen von der Seite der Länder begleitet werden muss; denn es macht überhaupt keinen Sinn, dass der Bund eine Schippe drauflegt, wenn sich die Länder aus der Verantwortung zurückziehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen: Kommunale Solidarität endet nicht beim Bundeshaushalt, sondern muss gemeinsam von Bund und Ländern getragen werden. Unser Angebot hierzu steht. Eine weitere wichtige Frage ist die folgende: Wie begegnen wir als Bund bestimmten kommunalen Herausforderungen, die wir beim Beschluss des Bundeshaushalts noch nicht in dieser Dimension gesehen haben? Es geht um die Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und auch die Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Lage an Europas Grenzen ist dramatisch. Unsere Kommunen sind herausgefordert. Da kann der Bund nicht abseitsstehen. Nicht abseitsstehen heißt, dass wir uns finanziell stärker engagieren, dass wir dafür sorgen, dass Mittel eingesetzt werden, dass wir die Verfahren schneller -machen. Der Bund ist bereit, hier mehr zu leisten; aber auch da gilt: Wir müssen diese Herausforderungen gemeinsam mit den Ländern angehen. – Wir machen ein faires Angebot. Wir erwarten, dass auch die Länder bei der Aufnahme, Unterbringung und möglicherweise, -notwendiger Abschiebung von Menschen ganz klare Schwerpunkte setzen. Bund und Länder gemeinsam für Kommunen, so lautet die Botschaft dieses Nachtragshaushalts. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in wenigen Wochen den Haushalt für das Jahr 2016 vorlegen. Er wird die Maßnahmen dieses Nachtragshaushalts fortführen, er wird deutlich machen, dass unsere Solidarität im föderalen Miteinander nicht geringer, sondern stärker wird. Er wird aber auch weitere notwendige Investitionsimpulse setzen. Eine Grundlinie ist jedoch klar: Wir wollen mit dem Geld auskommen, das die Bürgerinnen und Bürger uns zur Verfügung stellen. Wir wollen keine neuen Schulden. Jeder private Haushalt kann über kurz oder lang nur mit dem auskommen, was er verdient. Das auf den öffentlichen Bereich zu übertragen, das ist nichts weniger als Respekt vor der Leistung der Menschen in diesem Land. Das ist unsere Haushaltspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen herzlichen Dank, Steffen Kampeter. – Nächster Redner in der Debatte: Roland Claus für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Frau Präsidentin, die Sie auf mich nicht warten mussten! Meine Damen und Herren! Wie mein Vorredner will ich mich zunächst mit der Frage beschäftigen: Wozu braucht es einen Nachtragshaushalt? Ein Nachtragshaushalt ist immer dann erforderlich, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse im Vergleich zum Zeitpunkt der Haushaltsaufstellung erheblich verändert haben. -Gelegentlich könnte ein Nachtragshaushalt auch dazu benutzt werden, gewonnene neue Erkenntnisse zu verarbeiten. Wenn der geistige Horizont einer Regierung aber die schwarze Null ist, haben neue Erkenntnisse natürlich nur geringe Chancen. (Beifall bei der LINKEN) Die gravierendsten und bedrückendsten gesellschaftlichen Veränderungen erleben wir zweifelsohne aufgrund des Elends der Flüchtlinge. Die Flüchtlingsfrage stellt sich in völlig neuer Dimension, und es ist richtig, dass wir darauf reagieren. Es gehört aber auch zur Wahrheit, zu sagen: An der Verschärfung dieses Elends tragen die Europäische Union, Deutschland und die USA eine Mitverantwortung und auch eine Mitschuld. Man muss doch auch folgende Fragen beantworten: Wer fand es denn richtig, alle staatlichen Strukturen in Libyen wegzubomben? (Karin Binder [DIE LINKE]: Tja!) Wie ist die Terrormiliz „Islamischer Staat“ denn entstanden? Das geschah doch durch die Schlachtfelder des -Irakkrieges. (Johannes Kahrs [SPD]: Du hast die falsche Rede gezogen!) Und schließlich: Wer dem Fischer die Fische wegfischt, macht doch den Fischer erst zum Schlepper. Und wenn Herr Kauder – das hat er heute Morgen getan – an die Adresse der Länder, denen wir helfen, sagt: „Wir erwarten aber auch, dass die Flüchtlingsbewegungen unterbunden werden“, grenzt das, wie ich finde, schon an -Zynismus. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Eine Willkommenskultur verdient den Namen erst, wenn sie von der Betroffenheitskultur zu einer wirklichen politischen Verantwortungskultur geworden ist. Davon sind wir leider weit entfernt. 500 Millionen Euro fließen für die Aufnahme von Flüchtlingen und für eine bessere Integration und Betreuung an die Kommunen. Das hat im Haushaltsausschuss auch unsere Zustimmung gefunden. Aber das ist natürlich noch weit weg von dem, was ich Verantwortungskultur nenne. Erstens wissen wir alle, dass die Mittel zu gering sind, und zweitens machen wir mit dieser Art der Finanzmittelausreichung die Landkreise und Städte regelmäßig zu Bittstellern bei uns – und das kann nicht der Weg sein, um sich ehrlich zu begegnen. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben es im Nachtragshaushalt auch mit einer Investitionsförderung für finanzschwache Kommunen zu tun. Das geht in Ordnung. Wir haben ja auch gesagt: Wir werden uns nicht daran beteiligen, finanzschwache Kommunen etwa in Nordrhein-Westfalen gegen finanzschwache Kommunen in Thüringen auszuspielen. – Das Problem ist nur, dass Sie mit dem Zwang der Länder, finanzschwache Kommunen auswählen zu müssen, die ostdeutschen Länder benachteiligen, weil die Finanzschwäche von Kommunen in den ostdeutschen Ländern nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist, und die Länder jetzt gezwungen sind, Menschen und Kommunen von der Unterstützung auszunehmen. Das finden wir nicht in Ordnung und kritisieren wir. (Beifall bei der LINKEN) Dieser Nachtragshaushalt enthält eine ganze Reihe von Infrastrukturmaßnahmen des Bundes. Davon geht vieles in Ordnung. Aber auch hier stimmen die Verhältnisse nicht. Erneut wird Straßenbau gegenüber Schiene und Wasserstraßen erheblich begünstigt, geht Neubau vor Erhalt. Insgesamt reicht es – das wissen Sie auch – nicht aus. Deshalb spekulieren Sie öffentlich über die Beteiligung privaten Kapitals an öffentlicher Infrastruktur. (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!) Die Beteiligung privaten Kapitals an öffentlicher Infrastruktur will die Linke auch. Nur: Sie wollen bei denen betteln und mit denen Geschäfte machen, und wir wollen sie gerecht besteuern. Das ist der kleine Unterschied, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Im Nachtragshaushalt steckt dann auch noch ein echter Skandal, und zwar im Kleingedruckten: Ein Konferenzzentrum in Bonn soll auf Bundeskosten fertiggestellt werden. Dieses Konferenzzentrum ist aber Eigentum der Stadt Bonn. Es handelt sich also faktisch um eine Schenkung in Höhe von 34 Millionen Euro. Nach meinem Empfinden und meinen bisherigen Kenntnissen geht das am Haushaltsrecht vorbei, und ich denke, das sollte ein parlamentarisches Nachspiel haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schließlich gibt es noch eine Überraschung: Gestern wurde im Haushaltsausschuss die finanzielle Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener des Zweiten Weltkrieges beschlossen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Das ist gut so, und das haben wir ausdrücklich unterstützt. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke gehört bekanntlich zu den Initiatoren dieser Idee. Schäbig und diskriminierend fanden wir allerdings, dass der Linken die Mitautorenschaft bei diesem Antrag verweigert wurde, dass Sie uns verweigert haben, diesen Antrag mitzuzeichnen, und wir damit ausgeschlossen wurden. Ich will an die Initiativen von Frau Jelpke und Herrn Korte erinnern. Das grenzt an Diebstahl geistigen Eigentums, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das alles geht auf einen Unvereinbarkeitsbeschluss der Unionsfraktion zurück: nicht mit uns auf einer Drucksache. Er ist allerdings aus dem Jahre 1998. Ich möchte Sie nur einmal an eines erinnern: 1998 war meine Partei noch die PDS. Nun werde ich wahrscheinlich der Letzte sein, der den Anteil der PDS am Zustandekommen der neuen Linken irgendwie gering schätzt. Aber seit 2005 gibt es keine PDS-Fraktion, keine PDS-Anträge mehr im Bundestag. Nun mag „konservativ“ auch bedeuten, dass man in seiner Wahrnehmung etwas langsam ist; aber zehn Jahre müssten eigentlich genügen, um zu begreifen, dass dieser Beschluss ein Anachronismus ist. Frau Merkel hat heute Morgen eine Rede gegen den Kalten Krieg geführt. Ich sage Ihnen eines: Das muss auch im Bundestag endlich der Fall sein. Hören Sie auf, den Kalten Krieg, den Sie sonst nicht haben wollen, im Bundestag fortzusetzen! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Roland Claus. – Nächster Redner: Johannes Kahrs für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass der heute vorliegende Nachtragshaushalt etwas ist, über das man sich in diesem Land freuen kann. Als die Große Koalition ihren Koalitionsvertrag schloss, legten wir auch fest, dass wir 23 Milliarden Euro mehr investieren wollen, und wir alle haben gedacht, das wäre es dann für diese Legislatur-periode. Jetzt ist es aber so, dass aufgrund der guten Politik in den letzten Jahren, insbesondere aufgrund der Reformen, die unter Rot-Grün und Gerhard Schröder vorangetrieben worden sind, die Wirtschaft in diesem Lande hervorragend funktioniert, mehr Menschen in Arbeit sind als je zuvor und wir auch noch das Glück haben, dass die Benzin- und Ölpreise niedrig sind, dass das Währungsrisiko geringer ist und die Zinsen niedriger sind. Rundum läuft es derzeit gut. Das führt dazu, dass der Bund mehr Geld einnimmt, als man am Anfang gedacht hat. Auf alle Fälle ist es gut und richtig, dass wir daran festhalten, keine neuen Schulden zu machen. Ich glaube, das ist etwas, wo sich CDU/CSU und SPD einig sind. Wir haben die Schuldenbremse in der letzten Großen Koalition gemeinsam vereinbart. Wir haben vereinbart, dass wir in dieser Legislaturperiode keine neuen Schulden machen wollen. Ich glaube auch, dass das gut ist. Wenn wir das eine, das gut und notwendig ist, mit -etwas anderem Guten, nämlich mehr Investitionen, verbinden, dann erreichen wir etwas, was dem Land im Hinblick auf seine Wirtschaft, seinen Arbeitsmarkt und seine zukünftige Entwicklung generell guttut. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb planen wir 10 Milliarden Euro mehr reine -Investitionen. Das heißt, wir investieren in die Verkehrsinfrastruktur, in den Bereich Umwelt, in den Bereich Bau, in alle Bereiche, von denen wir glauben, dass Deutschland hier einen Nachholbedarf hat. Zu den 10 Milliarden Euro, die wir investieren, kommen 5 Milliarden Euro hinzu, die wir den Kommunen geben, damit sie aus dem Investitionsloch, in dem sie stecken, herauskommen. Da möchte ich insbesondere Bernhard Daldrup aus meiner Fraktion danken, der uns damit seit Jahr und Tag kujoniert und quält. In der Sache ist es so, dass die Kommunen unterstützt werden müssen. Es ist aber auch so, dass das Geld, das wir für die Kommunen vorsehen, auch bei den Kommunen ankommen muss. Da gibt es ein schwieriges Verhältnis zwischen Ländern, Kommunen und Bund. Wir hoffen, dass wir es mit der jetzt vorgesehenen Konstruktion im Einvernehmen mit den Ländern hinkriegen, dass dieses Geld wirklich an die Kommunen geht. Das ist ja in unser aller Interesse, weil es die Kommunen sind, die Investitionen vor Ort tätigen. Es kann nicht sein, dass Investitionen nur auf Bundesebene stattfinden. Sie müssen auch in den Stadtteilen stattfinden, in denen die Menschen wohnen. Sie müssen in der Infrastruktur vor Ort ankommen. Deswegen richte ich einen ganz herzlichen Dank an all diejenigen, die das vorangebracht haben. Mehr Geld für Investitionen, mehr Geld für die Kommunen – das war ein wesentlicher Teil unseres Wahlkampfs. Ich freue mich, dass wir das in der Großen Koalition so hinbekommen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heute werden auch die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels umgesetzt: Wir stellen 750 neue Stellen für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Verfügung, das Auswärtige Amt bekommt ebenfalls neue Stellen, und im Etat des Innenministeriums stellen wir 25 Millionen Euro mehr für Sprachkurse zur Verfügung. Ich glaube, dass das wichtige Bausteine sind, die wir brauchen, um beim Thema Flüchtlinge voranzukommen. Ein anderer wichtiger Baustein ist die Unterstützung der Kommunen. Ich glaube, dass das wesentlich und gut ist. In diesem Nachtragshaushalt sind auch wichtige kleine Maßnahmen verborgen: 8 Millionen Euro fließen in die Unterstützung von Jugendmigrationsdiensten, und weitere 4 Millionen Euro werden in Sprachkurse für ganz besonders qualifizierte Migranten investiert, die studieren wollen. Das sind sogenannte C1-Sprachkurse. Für diese Sprachkurse haben wir schon seit März kein Geld mehr. Dank dieser zusätzlichen Mittel können die hochqualifizierten Leute, die in dieses Land kommen und hier dringend gebraucht werden, die deutsche Sprache erlernen, damit sie relativ schnell auf dem deutschen Arbeitsmarkt ankommen. Dies ist eine richtige, gute und zukunftsweisende Investition. An dieser Stelle kann man der Otto-Benecke-Stiftung für ihre gute Arbeit nur danken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es freut mich auch, dass wir uns in der Großen Koalition darauf geeinigt haben, 10 Millionen Euro für die Entschädigung ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener auf den Weg zu bringen. Wir haben dazu extra eine Anhörung durchgeführt. Man kann sich fragen: Warum entschädigt man diese eine Gruppe und andere nicht? Es ist eben so, dass sowjetische Kriegsgefangene zu über 50 Prozent zu Tode gekommen sind. Diese Gruppe wurde anders behandelt als alle anderen. Daher ist es nur richtig und gut – alle Gutachter in unserer Anhörung sind zu diesem Ergebnis gekommen –, diese Gruppe zu entschädigen. Alle Fraktionen tragen dies mit. Ich glaube daher nicht, dass eine Fraktion die Urheberschaft dafür beanspruchen kann. Dass wir gemeinsam zugestimmt haben, ist ein gutes Zeichen. Das ist für die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt wichtig und kann angesichts des im Moment angespannten deutsch-russischen Verhältnisses vielleicht helfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man erlaube mir noch einige Bemerkungen zu anderen Etatverbesserungen, die wir hinbekommen haben: Im Bereich des Ministeriums für Arbeit und Soziales gibt es mehr Geld für die Grundsicherung im Alter und für das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“. Im Verteidigungsministerium haben wir mehr Geld für ziviles Personal zur Verfügung gestellt. Als Hamburger freue ich mich, dass es uns gelungen ist, 30 Millionen Euro für die Bewerbung für die Olympischen Spiele zur Verfügung zu stellen. Das ist inzwischen keine Bewerbung Hamburgs mehr, sondern eine Bewerbung Deutschlands. Hier steht ganz Deutschland und bewirbt sich international. Deshalb ist es gut und wichtig, dass der Bund sich daran beteiligt. Vielen Dank, dass alle das unterstützt haben. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Johannes Kahrs. – Nächste Rednerin in der Debatte: Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen aus Hamburg. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten heute den Nachtragshaushalt 2015 und ein Unterstützungspaket für die Kommunen. Wenn man sich jetzt die Frage stellt: „Worüber reden wir hier eigentlich?“, dann möchte ich sagen, sehr geehrter Herr Kampeter: Dies ist ein aufgrund der Verfehlungen bei den letzten Haushaltsberatungen notwendiges Nachbesserungsprogramm. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dies ist im Wesentlichen ein Programm zur Steigerung der öffentlichen Investitionen. Insofern ist dies ein Versuch, die Probleme, die Sie im Dezember zu korrigieren nicht in der Lage waren, jetzt, ein halbes Jahr später, wegen der günstigen Rahmenbedingungen wenigstens ein bisschen anzugehen. Ich möchte Ihnen deutlich machen, wie schnell man erkennen kann, dass dies leider nur ein Versuch ist: 3,5 Milliarden Euro als Investitionsförderung für die Kommunen. Das ist nicht falsch, (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das ist sogar richtig!) aber es muss im Verhältnis zu einem Investitionsstau von 156 Milliarden Euro bei den Kommunen gesehen werden; das ist die aktuelle Schätzung des Bundeswirtschaftsministeriums. Wenn man sagt, dass das Programm 3,5 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren umfasst und dass 156 Milliarden Euro der Bedarf sind, dann sieht man, dass das keine grundsätzliche Lösung für ein unglaublich veritables Problem sein kann, das die Menschen vor Ort erfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich betone ganz deutlich, was in der Expertenanhörung klar geworden ist. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das ist gelobt worden!) Es wurde der Versuch der Bundesregierung, die Kommunen zu unterstützen, zwar nicht geringgeschätzt. Aber es wurde deutlich, dass dies ein viel zu zaghafter Versuch ist und eine grundsätzliche Lösung, zu der sich gerade eine Große Koalition aufraffen sollte, nicht abzusehen ist. Ich kann dasselbe noch einmal illustrieren, indem ich nicht nur auf die Kommunen schaue, sondern auf die Investitionen insgesamt. Herr Schäuble sagte, es solle noch einmal 10 Milliarden Euro mehr in der Finanzplanperiode geben, um die öffentlichen Investitionen zu steigern. 10 Milliarden Euro zusätzlich für öffentliche Investitionen in der Finanzplanperiode – in welchem Verhältnis stehen diese 10 Milliarden Euro zu den Steuermehreinnahmen? Schauen wir uns doch einmal die Steuerschätzung an, die gerade veröffentlicht wurde. Die aktuelle Mai-Steuerschätzung sagt für 2014 bis 2019 Steuermehreinnahmen in Höhe von 163 Milliarden Euro voraus. Ich möchte das noch konkretisieren: Welche Zinsersparnis haben wir in der Finanzplanperiode? Ganz aktuell sind in Ihrem Nachtrag diesbezüglich 32 Milliarden Euro ausgewiesen. Das heißt, es gibt aktuell knapp 200 Milliarden Euro Haushaltsverbesserugen in der Finanzplanperiode, und von diesen 200 Milliarden stecken Sie 10 Milliarden in zusätzliche Investitionen. Das sind nur 5 Prozent, und das angesichts der Lücke, die ich vorhin beschrieben habe. Das ist nichts, das ist schwach, das ist unwürdig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb haben wir einen Antrag vorgelegt – und Sie haben uns dafür kritisiert –, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Zu Recht!) in dem gefordert wird, in den nächsten Jahren 45 Milliarden Euro – nicht hektisch, aber entschlossen –, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wer ist denn für die Kommunen zuständig?) also ein Viertel der neuen Spielräume, für eine Investitionssteigerung bereitzustellen. Das braucht man, wenn man das Wachstumspotenzial des Landes fördern und stärken will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht uns Grünen nicht darum, dies mit Schulden zu machen. Deshalb habe ich mir erlaubt, Sie noch einmal über die Spielräume aufzuklären, die es gibt. Wir fordern Sie auf, diese Spielräume als Gestaltungsspielräume zu nutzen. Seien Sie an dieser Stelle nicht so verzagt. Wir haben, was die Konjunktur angeht, ein bisschen Glück, Herr Kahrs. (Johannes Kahrs [SPD]: Das war harte Arbeit!) Glück zu haben, ist ja nichts Falsches. Auch die Große Koalition kann mal Fortune haben. Es gibt fleißige Menschen in unserem Land, die das erarbeiten; aber es gibt auch strukturell gute Bedingungen. Wir haben, demografisch bedingt, mit 43 Millionen Beschäftigten eine ex-trem hohe Beschäftigtenquote. Wir haben deshalb eine gut gefüllte Rentenkasse und niedrige Zinszahlungen; Sie haben dies alles erwähnt. Angesichts der guten Bedingungen ist es Zeit, Vorsorge für das nächste Jahrzehnt zu treffen, und das muss man mit Zukunftsinvestitionen ganz anders tun, als Sie es tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Genau das machen wir!) Meine letzte Bemerkung: Im Grundsatz ist das ein schlechter Nachbesserungsversuch. Das, was an diesem Nachtrag richtig und wichtig ist, ist die bessere Unterstützung der Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen; das möchte ich nicht vergessen zu erwähnen. Aber was noch besser gewesen wäre, Herr Kahrs, wäre, wenn Sie als Große Koalition im Hinblick auf die späte, aber immerhin vorgesehene Entschädigung für sowjetische Kriegsgefangene die Kraft gehabt hätten, die Linken mitzunehmen. Dazu hat mein Kollege Claus das Nötige gesagt. Auch an dieser Stelle sollten Sie sich im Haushaltsausschuss einen Schubs geben. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Anja Hajduk. – Nächster Redner in der Debatte: Norbert Brackmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Norbert Brackmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir hier heute machen, hat nichts, aber auch wirklich gar nichts damit zu tun, Frau Hajduk, dass wir Verfehlungen korrigieren wollen, oder damit, dass wir auf gesellschaftliche Veränderungen, lieber Kollege Claus, reagieren wollen. Vielmehr geht es darum, dass wir zur rechten Zeit das, was wir mit guter Politik an Freiräumen geschaffen haben, den Menschen zurückgeben, es zur Lösung der Probleme in diesem Land einsetzen und heute damit eine wesentliche Grundlage für die Zukunft legen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen ist die schwarze Null kein Kampfbegriff, auch wenn Sie das vielleicht so sehen. Geld nicht auszugeben und keine Schulden zu machen, sondern über Geld erst zu verfügen, wenn man es hat, ist ein wesentlicher Grund dafür, dass wir heute an dem Punkt sind, an dem wir sind. Ich hatte vorhin bei einigen Rednern der Opposition ein bisschen den Eindruck, als würde es Zufall sein, dass wir heute dort sind, wo wir sind. Aber wie ist es denn dazu gekommen, dass wir weniger Zinsen zahlen? Bekanntlich zahlt man Zinsen, wenn man Schulden aufgenommen hat. Wenn wir aber keine neuen Schulden aufnehmen, zahlen wir auch keine neuen Zinsen. Wenn die Investoren Vertrauen darin haben, dass wir mit ihrem Geld sorgsam umgehen, dann geben sie uns auch Geld zu niedrigen Zinsen, was dazu führt, dass wir mehr Einnahmen zu verteilen haben. Exakt dies machen wir heute. Wir machen es in erheblichem Umfang. Wir investieren zusätzlich 10 Milliarden Euro in die Zukunft des Bundes, aber – da verstehe ich die Kritik, die hier geäußert wurde, nun überhaupt nicht – in den nächsten Jahren gehen auch 6 Milliarden Euro in die Kommunen. Das ist bemerkenswert; denn wenn man sich die Finanzverfassung unseres Grundgesetzes anschaut, sieht man, dass wir als Bund eigentlich keine Verantwortung für die Kommunen haben, sondern die Länder in der Verantwortung für die Kommunen sind. Deswegen wäre es naheliegend, dass jeder auf seinem Gebiet die Politik macht, für die er zuständig ist, und dafür sorgt, dass er mit dem Geld auskommt, das er einnimmt, das er von den Menschen bekommt. Das wäre schon eine grundsolide Haltung. (Beifall bei der CDU/CSU) Insofern ist es, glaube ich, nicht hoch genug zu würdigen, dass wir als Bund ein Investitionspaket für die Kommunen auflegen. Auch hier sehen wir wieder, dass von den Ländern vielleicht etwas mehr Bereitschaft, hier Verantwortung zu übernehmen, gefordert werden könnte. Was waren die Schwerpunkte unserer Beratungen im Haushaltsausschuss? Wir haben das Grundgesetz genommen, gewürgt, geknetet, weil in der Föderalismuskommission II insbesondere auf Wunsch der Länder die Bedingungen, unter denen der Bund überhaupt Förderung für die Kommunen machen kann, so eng gefasst wurden, dass wir kaum eine Möglichkeit haben, die Kommunen unmittelbar zu fördern. Dennoch machen wir das. Wir hätten uns auch aus dem Staub machen und auf die Verantwortung der Länder hinweisen können. Dies machen wir nicht. Wir stehen zu den Aufgaben, die die Kommunen haben. Wir stehen zu dieser Solidarität zwischen Bund und Ländern. Das ist gerade in dieser Zeit besonders wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein Teil dieser Verantwortung ist auch, dass wir trotz dieser Aufgabenteilung, die ja von unseren Urvätern bewusst gewählt wurde, sagen: Wenn es besondere Belastungen für den Staat gibt, dann muss man diese nach Möglichkeit auf alle Ebenen verteilen, damit der gesamte Staat diese Belastung tragen kann. Es ist richtig, bei der Flüchtlingsproblematik zu sagen, dass für das Anerkennungsverfahren der Bund zuständig ist, die Länder für die Erstunterbringung und die Kommunen für die dauerhafte Unterbringung. Aber bei der Bewältigung dieser Aufgaben sind wir aufgrund der guten finanziellen Situation jetzt in der Lage, bei der Unterbringung der Flüchtlinge zu helfen. Die 1 Milliarde Euro, die wir zusätzlich für die Flüchtlingsunterbringung in 2015 und 2016 zur Verfügung stellen, und die Entlastung der Kommunen in 2017 über das Investitionspaket in Höhe von 1,5 Milliarden Euro sind unter dem Eindruck der vielen Flüchtlinge ein Zeichen der Menschlichkeit und eine wichtige Hilfe. Aber dann können und müssen wir auch erwarten, dass die Länder ihrerseits nicht den Versuch machen, an dieser Aufgabe zu verdienen, sondern das Geld an die Kommunen durchreichen. Wenn nur drei Länder die Bundesmittel für die Flüchtlinge komplett an die Kommunen weiterleiten, dann finde ich, dass wir das nicht akzeptieren können und dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das alles sind Investitionen in die Zukunft und in die Menschen. Deswegen ist der heutige Tag ein guter Tag für die Menschen, für die Kommunen, für die Flüchtlinge und für Deutschland. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Brackmann. – Frau Gottschalck, bevor ich Ihnen das Wort erteile, hat der Kollege Jan Korte das Wort zu einer Kurzintervention. Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin, schönen Dank, dass Sie das zulassen. – Ich will kurz auf einen Punkt eingehen. Ich finde es in der Tat gut, dass – für die Verhältnisse in diesem Hause relativ unbürokratisch – 10 Millionen Euro zur Entschädigung der wenigen noch lebenden ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen bereitgestellt werden. Ich finde, das ist eine gute Sache, und das ist kurz nach dem 70. Jahrestag der Befreiung eine gute Nachricht für die ganz wenigen Überlebenden. Schließlich sind über 3,5 Millionen Menschen in deutschen Lagern elendig verhungert. Ich weise aber darauf hin, dass wir, meine Kollegin Jelpke und übrigens auch viele Grüne schon seit vielen Jahren und auch ich persönlich in den letzten Monaten, uns sehr für eine Entschädigung engagiert haben. Weil mir das, was jetzt erreicht wurde, sehr wichtig ist, will ich aber eines anmerken: Dass Sie von der CDU/CSU, wohl wissend, dass damals das Gesetz zur Zwangsarbeiterentschädigung von allen Fraktionen gemeinsam eingebracht wurde – damals übrigens noch von der PDS, um das in Erinnerung zu rufen –, bei so einer Frage und an einem solchen Jahrestag ausgerechnet die Fraktion, die mit den Grünen, mit vielen Initiativen und Wissenschaftlern und anderen seit so vielen Jahren dafür gestritten hat, aus dem Antrag herauskegeln müssen, finde ich der Sache nicht angemessen. Dass Sie bei einer so elementaren historischen Frage so kleingeistig vorgehen, hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Das wollte ich loswerden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Brackmann, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten. (Norbert Brackmann [CDU/CSU]: Ich verzichte darauf!) – Sie möchten nicht antworten. – Dann hat Ulrike Gottschalck für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ulrike Gottschalck (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die GroKo macht nicht immer nur Spaß. Das werden mir meine Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen bestätigen. Aber die Ergebnisse der GroKo machen Spaß, und vor allen Dingen sind sie gut für die Menschen in unserem Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn ein Nachtragshaushalt wie der heutige vorliegt, dann sollte man sich nicht – je nach Naturell – beschweren, ereifern, aufregen oder gar echauffieren, Frau Hajduk, sondern man sollte ihm zustimmen und dadurch mithelfen, die Lebenssituation der Menschen zu verbessern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) XXL-Forderungen waren wir bisher von den Linken gewöhnt. Jetzt kommen sie auch von den Grünen. Ich frage mich, wie Sie sich die Umsetzung vorstellen. Die Bautechniker werden schon aufgrund der 3,5 Milliarden Euro für die Kommunen und der 10 Milliarden Euro auf Bundesebene, die bereits als Investitionsprogramm vorgesehen sind, genug zu tun haben. Was über Jahrzehnte aufgelaufen ist, wird man garantiert nicht in einem einzigen Jahr oder in einer Legislaturperiode abbauen können. Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Grünen und Linken, wenn Sie heute nicht zustimmen oder, wie angedeutet, sich kraftvoll enthalten, dann werden Sie damit auch der Entlastung der Kommunen nicht zugestimmt haben. Daran werden wir Sie auch immer wieder erinnern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr billig!) Für uns hat die Entlastung der Städte und Gemeinden höchste Priorität. Das haben wir versprochen, und das halten wir. Das zeigen wir heute, indem wir die Kommunen bis zum Jahr 2018 um insgesamt 25 Milliarden Euro entlasten werden. Noch einmal zum Mitschreiben: 25 Milliarden Euro bis zum Jahr 2018. Heute haben wir das massive Entlastungs- und Investitionspaket, insbesondere für finanzschwache Kommunen, aber auch die bereits angekündigten 10 Milliarden Euro für Investitionen in Deutschland. Ich will zu dem kommunalen Paket etwas sagen. Wir stocken die bereits für 2017 beschlossene Entlastung von 1 Milliarde Euro auf insgesamt 2,5 Milliarden Euro auf. Das eröffnet Spielräume für die Kommunen. Noch in diesem Jahr stellen wir 3,5 Milliarden Euro für das Sondervermögen mit dem schwierigen Namen „Kommunalinvestitionsförderungsfonds“ bereit. Aus diesem Fonds werden wir in den Jahren 2015 bis 2018 insbesondere finanzschwache Kommunen fördern, und zwar bis zu 90 Prozent. Ganz bewusst haben wir geringe Zielvorgaben gewählt, damit die Kommunen wirklich flexibel handeln können und auch bereits geplante Maßnahmen gefördert werden können. Entgegen Ihrer Aussage, Frau Hajduk, wurden wir in der Anhörung ausdrücklich von den Vertretern der Kommunen – Städtetag, Landkreistag – gelobt. Das ist bei weitem keine Nothilfe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Länder können festlegen, welche Kommunen sie als finanzschwach definieren. Sie können auch den 10 prozentigen Anteil der Kommunen übernehmen. Jetzt bin ich einmal gespannt, wie die Länder agieren. Ich bin vor allen Dingen darauf gespannt, wie sich mein Land, Hessen, aus der Affäre ziehen will, um um die 10 Prozent herumzukommen. Im Haushaltsausschuss haben wir einen Maßgabebeschluss gefasst, der insbesondere festhält, dass wir erwarten, dass die zur Verfügung gestellten Mittel unvermindert und zusätzlich an die Kommunen weitergegeben werden. Das ist, denke ich, ein kluger Beschluss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich hatte jetzt noch eine Aufzählung vorgesehen, was wir alles gemacht haben; aber die lasse ich aus Zeitgründen weg. Unbestritten stehen unsere Gemeinden vor großen Herausforderungen. Wir wollen den Städten, Gemeinden und den Landkreisen ganz konkret dabei helfen, diese Zukunftsaufgaben zu schultern. Das gilt eben auch für die aktuellen Flüchtlingsströme. Deshalb ist es gut, dass sich im Nachtrag auch die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels widerspiegeln. (Beifall bei der SPD) Denn die Fluchtursachen – Bürgerkriege, Terror, Armut – werden sich nicht von heute auf morgen in Luft auflösen. Ja, wir brauchen tragfähige europäische Lösungen, aber wir brauchen auch Lösungen vor Ort; denn die Flüchtlinge stehen bei uns vor Ort in den Kommunen und müssen dort versorgt werden. Ich bin deshalb auch unseren Haushältern sehr dankbar, dass wir es gestern in unserer kleinen Bereinigungssitzung zum Nachtrag erreicht haben, noch weitere Mittel für die wichtige Flüchtlingsarbeit zu akquirieren. Außer den 25 Millionen Euro für Integrationskurse wird es jetzt noch 8 Millionen Euro für die Jugendmigration geben und 4 Millionen Euro für Sprachkurse; Kollege Kahrs hat es schon angesprochen. Auch das hilft den Kommunen ganz konkret weiter. Der Nachtrag trägt also eine eindeutige Handschrift, es handelt sich um einen Haushalt zur Unterstützung der Kommunen. Ich kann nur noch einmal an die Opposition appellieren: Stimmen Sie einfach mit. Dann helfen Sie auch, dass es den Menschen in den Kommunen besser geht. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ulrike Gottschalck. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Wenn ein einfacher Innenpolitiker wie ich in einer Haushaltsdebatte sprechen darf, dann muss schon etwas Besonderes passiert sein. Das ist auch der Fall. Dieser Nachtragshaushalt 2015 weist einen klaren innenpolitischen Schwerpunkt auf. Ich sage hier in aller Form: Danke an die Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss, die dies ermöglicht haben. Ich sage auch ein herzliches Dankeschön an das Bundesfinanzministerium und das Bundesinnenministerium; denn dieser Nachtragshaushalt kann sich gerade angesichts der großen innenpolitischen Herausforderungen, die wir derzeit haben, wirklich sehen lassen. Führen wir uns noch einmal vor Augen: Wir hatten im Jahr 2008 etwa 28 000 Asylbewerber in Deutschland. Wir hatten dann vor zwei Jahren 127 000, im letzten Jahr 202 000 Erstanträge, und die für dieses Jahr aktualisierte Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge lautet sage und schreibe 400 000, also noch einmal eine Verdoppelung der Zahlen vom letzten Jahr. Deswegen ist es sachgerecht und auch wichtig, dass die Stellenzahl im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhöht wird. Ich bin den Haushaltskollegen schon sehr dankbar dafür, dass für die Haushaltsjahre 2014 und 2015 insgesamt 650 zusätzliche Stellen geschaffen wurden. Ich finde es auch sehr erfreulich, dass mit diesem Nachtragshaushalt beschlossen wird, dass noch einmal zusätzliche 750 Stellen im BAMF geschaffen werden. Das ist wirklich ein klares Signal dafür, dass der Bund sich seiner Verantwortung im vollen Umfang bewusst ist und dass er dieser Verantwortung gerecht wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsvertrag steht, dass wir die durchschnittliche Dauer von Asylverfahren auf drei Monate bringen wollen. Wir sind da schon auf einem sehr guten Weg. Die derzeitige Verfahrensdauer liegt bei etwa sechs Monaten. Aber da gibt es – um dies offen zu sagen – noch Luft nach oben oder, besser gesagt, nach unten. (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist wohl wahr!) Deswegen ist es richtig, dass diese 750 Stellen geschaffen werden. Es ist dann aber auch wichtig – das möchte ich mit diesem Dank verbinden –, (Johannes Kahrs [SPD]: Dass die besetzt werden!) dass diese Stellen schnell besetzt werden. Man hört, dass die 350 Stellen, die in diesem Jahr zusätzlich zur Verfügung stehen, noch nicht komplett besetzt worden sind. Da glaube ich schon, dass von der Debatte heute der starke Wunsch in Richtung BAMF ausgehen sollte: Bitte sorgen Sie dafür, dass diese Stellen schnell mit Personal unterfüttert werden! (Johannes Kahrs [SPD]: Aber keine Kritik am Ministerium!) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist ebenso gut und erfreulich, dass 25 Millionen Euro zusätzlich für Sprach- und Integrationskurse zur Verfügung gestellt werden. Auch hier, glaube ich, kann sich das, was der Bund macht, wirklich sehen lassen. Der Bund stellt in diesem Jahr über 270 Millionen Euro für Sprach- und Integrationskurse zur Verfügung. Das ist, glaube ich, durchaus honorig. Darauf können wir auch stolz sein. Ebenso werden 4,3 Millionen Euro zusätzlich für Dolmetscher zur Verfügung gestellt und 5 Millionen Euro zusätzlich für die Bundespolizei, um die erforderlichen Rückführungen bzw. Abschiebungen durchführen zu können. Ich sage hier eines ganz offen: Der Bund wird mit diesem Nachtragshaushalt in Sachen Asyl- und Flüchtlingspolitik seiner Verantwortung gerecht. Ich erwarte jetzt aber auch von den Ländern, dass sie das Ihre tun. Die Länder müssen jetzt auch tätig werden, wenn es darum geht, mehr Stellen bei den Ausländerbehörden und mehr Stellen bei den Verwaltungsgerichten zu schaffen; denn es reicht nicht, dass die Verfahren kürzer werden und schneller durchgeführt werden. Wenn der Verfahrensbescheid des BAMF vorliegt, dann muss auch der Ausweisungsbescheid schnell erstellt werden. Es darf hier nicht ein Flaschenhals entstehen dergestalt, dass zwar die Verfahren beschleunigt durchgeführt werden und das BAMF beschleunigt tätig wird, dass sich aber der Stau bei den Ausländerbehörden und bei den Verwaltungsgerichten vergrößert. Klarer Appell in Richtung Länder: Mehr Stellen für die Ausländerbehörden und mehr Stellen für die Verwaltungsgerichte! (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist wichtig – ein Großteil der Asylbewerber wird ja abgelehnt –, dass dann auch die Abschiebungen zeitnah erfolgen. Hierfür sind die Länder ebenso in der Verantwortung wie für die Erweiterung der Kapazitäten bei den Erstaufnahmeeinrichtungen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte in aller Kürze noch einen zweiten innenpolitischen Schwerpunkt dieses Nachtragshaushalts ansprechen, der sich wirklich sehen lassen kann. Das ist die Entscheidung, dass in den nächsten Jahren vom Bund insgesamt 30 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt werden zur Bekämpfung der Wohnungseinbruchskriminalität. Wohnungseinbruch ist ein Phänomen, das die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in höchster Weise erschüttert. Im Durchschnitt wird in Deutschland alle dreieinhalb Minuten in eine Wohnung eingebrochen. Im letzten Jahr gab es die Rekordzahl von 152 000 Einbrüchen. Ich finde es gut – auch hierfür bin ich den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss dankbar –, dass für dieses Jahr 10 Millionen Euro und für die nächsten beiden Jahre jeweils noch einmal 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Damit wird die KfW in die Lage versetzt, ein Sonderprogramm zu starten, um sowohl Vermietern als auch Mietern zu ermöglichen, mechanische oder elektronische Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen. Ein herzliches Dankeschön für diese Maßnahme! Ich glaube, man kann wirklich mit Fug und Recht behaupten: Der Bund und die Regierungskoalition machen mit diesem Nachtragshaushalt deutlich, dass sie nicht nur Sprüche klopfen, sondern auf die innenpolitischen Herausforderungen effektiv und zeitnah reagieren. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Mayer. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/4950 und 18/4951, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4600 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD und Ablehnung von der Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD und Ablehnung von der Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 8 b. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen und zur Entlastung von Ländern und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4975, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4653 (neu) in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen – Sie wissen es –, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD und Enthaltung von der Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 8 c. Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bundesverantwortung wahrnehmen – Kommunen bei Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern sofort helfen und Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Leistungsberechtigte schrittweise übernehmen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4118, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3573 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und bei Ablehnung der Linken. Tagesordnungspunkt 8 d. Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Heute für morgen investieren – Damit unsere Zukunft nachhaltig und gerechter wird“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4974, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4689 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendienförderung und Studienfinanzierung stärken Drucksache 18/4692 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch, ich höre keinen Widerspruch. Ich höre vieles andere. Ich bitte Sie, sich nun auf die Debatte zu konzentrieren. Dann ist das so beschlossen, dass Sie sich konzentrieren. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Kai Gehring von Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin, vielen Dank für die Konzentration. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bildungschancen und der Zugang zur Hochschule dürfen nicht von der sozialen Herkunft oder vom Konto der Eltern abhängen. (Beifall im ganzen Hause) Dieses Ziel ist längst noch nicht erreicht. Das zu ändern, muss endlich politische Priorität werden. Wir brauchen eine Hochschulpolitik und eine Studienfinanzierung, die kein Talent zurücklassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir Grüne beantragen hier und heute, die Bundesmittel des erfolglosen Deutschlandstipendiums umzuwidmen; denn diese Mittel wären in BAföG und in Stipendien für Flüchtlinge viel, viel besser investiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich sage Ihnen auch, warum. Das Deutschlandstipendium trägt nichts dazu bei, dass unser Bildungssystem durchlässiger wird. Kein Jugendlicher lässt sich dadurch zu einem Studium motivieren; denn nahezu alle Geförderten studieren bereits länger als ein Semester. Eine sichere Studienfinanzierung wie durch das BAföG mit seinem klaren Rechtsanspruch motiviert zum Studieren. Eine unsichere Stipendienlotterie tut das jedenfalls nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir Grüne wollen, dass sich die Vielfalt der Gesellschaft auf dem Campus widerspiegelt und dass sich unsere Hochschulen sozial öffnen. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wir auch! Diese Philosophie gibt es auch!) Dazu hat das Deutschlandstipendium aber ganz klar nichts beigetragen. Auch deswegen brauchen wir es nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschaffen!) Es gibt nicht nur wahnsinnig wenige Deutschlandstipendien. Sie verteilen sich auch extrem ungleich auf die Studienfächer. Mehr als die Hälfte ging an angehende Ingenieure, Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker. Geisteswissenschaftler dagegen gingen fast leer aus. Für Historiker standen bundesweit putzige 169 Deutschlandstipendien bereit. Eine solch einseitige Förderpraxis ist weder chancengerecht noch leistungsgerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kritikwürdig sind auch die horrenden Verwaltungskosten. 2013 ist jeder fünfte Stipendien-Euro für Bürokratie draufgegangen. Die überbordende Bürokratie kritisiert auch der Bundesrechnungshof glasklar. Er verlangt, die Durchführungskosten des Deutschlandstipendiums auf 10 Prozent zu reduzieren. Dem darf sich die Koalition doch nicht länger verweigern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Die Steuergelder für das Deutschlandstipendium sollten auslaufen, weil es vor allem ein absoluter Ladenhüter ist. Von 2,7 Millionen Studierenden erhalten nicht einmal 0,8 Prozent ein Deutschlandstipendium. Dabei hatte gerade die Union damals 8 Prozent als Ziel ausgegeben. Da ist Ihnen nicht nur einfach ein Komma verrutscht. Das ist vielmehr ein klarer Misserfolg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese unrealistischen Regierungsziele führen dazu, dass Jahr für Jahr Abermillionen Euro durch das Deutschlandstipendium blockiert, aber am Ende nicht verbraucht werden. Das ist ein Unding; denn an anderer Stelle fehlt das Geld doch eindeutig, zum Beispiel bei Stipendien an Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten. Flüchtlinge brauchen hierzulande endlich einen schnelleren Zugang zum BAföG; das haben wir Grüne beantragt. Die Flüchtlinge brauchen aber auch dringend mehr Stipendien. Allein 5 000 syrische Studierende haben sich im letzten Jahr beim DAAD um ein Stipendium beworben. Dafür hat das Auswärtige Amt nur 200 Plätze finanziert. Der Bedarf ist also weitaus höher als das Angebot. Bund und Länder müssen Stipendienprogramme für Flüchtlinge dringend ausbauen. Das ist unbürokratische Hilfe. Das tut not, und das kommt an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dafür können Sie das Geld für das Deutschlandstipendium gewinnbringend einsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für den einzelnen Geförderten ist das Deutschlandstipendium eine gute Sache; das werden Sie sicherlich gleich erklären. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine Förderung mindestens im selben Umfang, dafür aber dauerhaft, ermöglichen die bewährten Begabtenförderungswerke. Wir brauchen also keine staatlich finanzierte Doppelstruktur bei der Stipendienvergabe. Im Übrigen haben sich Wirtschaftsverbände im letzten Jahrzehnt immer wieder dazu bereit erklärt, eine Stipendienkultur in Deutschland zu initiieren. Da kann ich nur sagen: Nur zu! Bieten Sie doch Stipendien an! Dazu bedarf es keiner Extrasteuergelder, sondern nur der Eigeninitiative der Wirtschaft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In die soziale Öffnung der Hochschulen zu investieren, das ist richtig gut angelegtes Geld. Daher war es gut, dass wir Grünen in den Ländern mit wechselnden Partnern die unsozialen Studiengebühren abgeschafft haben. Um mehr Studierenden der ersten Generation tatsächlich den Weg auf den Campus zu ebnen, ist eine sichere Studienfinanzierung das A und O. Aber das BAföG ist seit fünf Jahren nicht erhöht worden. Die Koalition stellt Studierende bis ins Wintersemester 2016/2017 in die Warteschleife. Wir Grünen sagen: Das BAföG muss rauf, und zwar sofort! Fördersätze und Freibeträge müssen unverzüglich um 10 Prozent steigen! Und: Geben Sie endlich Ihren Widerstand auf, die BAföG-Sätze regelmäßig anzupassen! Das muss jetzt kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unsere Anliegen sind eine verlässliche Studienfinanzierung und eine effektive Stipendienvergabe. Wechselnde CDU-Bildungsministerinnen haben eine Stipendiensuppe angerührt, die keiner auslöffeln will. Sie von der SPD können ja seit zwei Jahren die Speisekarte mitbestimmen. Dann machen Sie das auch! (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja, 2 Prozent!) Nehmen Sie Ihren Koalitionspartner an die Hand, und schaffen Sie mit uns Grünen und den Linken dieses unsinnige, ungerechte Pinkwart-Schavan-Gedächtnisstipendium ab, und stärken Sie mit uns die Studienfinanzierung für alle! Das wäre ein starker Beitrag zu Chancengerechtigkeit für alle in unserem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er recht!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Gehring, auch dafür, dass die Redezeit vorbildlich eingehalten worden ist. (Zuruf von der CDU/CSU: Das erste Mal seit Monaten!) Ich weiß nicht, ob er ein Stipendium hatte, aber gelernt hat er es. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann gern noch etwas ergänzen!) Nächste Rednerin in der Debatte: Sybille Benning für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Sybille Benning (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auch auf der Tribüne! Aber ganz besonders: Meine lieben Kollegen von der Grünenfraktion! (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke schön!) Was soll dieser Antrag eigentlich? Sie wollen das Deutschlandstipendium abschaffen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, ja!) Ist das Ihre Botschaft an etwa 22 000 Stipendiaten? Für sie gibt es kein Stipendium mehr? Ist das Ihre Botschaft an die vielen Förderer, die allein im letzten Jahr 24 Millionen Euro für das Stipendium gegeben haben: „Euer Geld brauchen wir nicht mehr, wir wirtschaften wieder ohne euch“? (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Geld muss besser und richtig investiert werden!) Das kann doch wohl nicht wahr sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist offenkundig, dass das Deutschlandstipendium ein Erfolg ist. Dass es Kraft kostet, auch in Form von Verwaltungskosten, ein neues, so nie dagewesenes Programm anzuschieben, das ist doch wohl klar. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wasserköpfe!) Es ist wie mit neuen Schuhen: Zuerst drücken sie ein bisschen, und dann müssen sie eingelaufen werden, damit man mit ihnen einen langen Weg laufen kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wie viele Jahre darf es denn drücken? – Zuruf von der CDU/CSU: Nachhaltig!) – Das ist auch nachhaltig. Jetzt haben die Hochschulen die Strukturen aufgebaut, jetzt läuft es, und jetzt kommen Sie und sagen: „Alles umsonst, zurück auf null“? Wissen Sie eigentlich, dass der Bund mit dem Deutschlandstipendium jetzt etwa doppelt so viele Studierende fördern kann wie vorher über die Begabtenstipendien? Dadurch, dass private Förderer wie Unternehmen, Stiftungen oder auch Privatpersonen die eine Hälfte der Stipendien tragen, hat sich in der Tat eine ganz neue Stipendienkultur in Deutschland etabliert, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 0,76 Prozent! – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: 0,76 Prozent – das ist wirklich eine neue Stipendienkultur!) eine privat-öffentliche Bildungspartnerschaft, etwas ganz Neues. Gewöhnen Sie sich einmal daran! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist sozusagen eine Stipendienkulturrevolution. (Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 0,76 Prozent!) So ist es. Sie können ja mitmachen. So vielfältig wie heute war die Geberseite noch nie. Die Möglichkeit, mit überschaubaren Beiträgen ein überschaubares Engagement zu leisten, lockt auch viele Privatpersonen. Einige Universitäten bieten zum Beispiel auch Crowdfunding an, bei dem mehrere Spender mit kleinen Beiträgen (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, jeder 10 Euro!) einen Stipendiaten finanzieren. So werden Menschen erreicht, die zuvor kaum Kontakt oder gar keinen Kontakt zur örtlichen Hochschule hatten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade diese Förderer sind oft besonders begeistert von diesen engagierten Menschen, die sie sonst nie getroffen hätten. Und so wird auch die Hochschule ein deutlich lebendigerer Teil der Zivilgesellschaft. Bei den Veranstaltungen zum Deutschlandstipendium, zum Beispiel bei den Vergabefeiern, entstehen jetzt neue Kontakte zwischen Studierenden, Universitäten und Spendern, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dafür brauchen die doch keine Bundesregierung! Das können die alles selber machen!) von denen alle Seiten profitieren. Hier heißt mitmachen: gemeinsam gewinnen – ganz nach dem Motto des Deutschlandstipendiums „Voneinander lernen, miteinander fördern“. Viele Unternehmen bieten ihren Stipendiaten zusätzlich zu den finanziellen Mitteln Einblicke in ihre Betriebe. Es entwickeln sich Netzwerke, die in die Region und darüber hinaus auch global wirken. Studierende verschiedener Fächer finden über Projektarbeit zueinander, und durch Verknüpfungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie Privatleuten bilden sich völlig neue -Synergieeffekte. Aber wer bekommt eigentlich ein Deutschlandstipendium? Jemand, der überdurchschnittliche Leistungen erbringt, und zwar nicht nur in seinem Studienfach. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Geisteswissenschaftler offensichtlich nicht!) Die Stipendiaten sind ehrenamtlich engagiert oder in vielen Fällen der erste Studierende in der Familie oder familiär stark eingebunden oder erst kürzlich nach Deutschland gekommen, mussten dazu möglicherweise sogar Hindernisse überwinden und die deutsche Sprache lernen. Das sind alles Leistungen, die nicht mit Noten zu bewerten sind. Diese Leistungen einmal anzuerkennen, ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Hier werden nämlich Menschen mit Talenten erkannt, die noch andere Kompetenzen haben, die ebenso elementar wichtig sind wie fachspezifische Begabung. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das stimmt doch einfach nicht! Das ist Augenwischerei!) Unser Land, wir brauchen Menschen mit Persönlichkeit und einem Sinn für das, was unsere Gesellschaft voranbringt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Deutschlandstipendium zu tun?) Gerade die Anerkennung durch das Stipendium – so haben mir viele erzählt – stärkt ihr Selbstbewusstsein und ihre Motivation, diese hohe Leistung weiterhin zu bringen. Auch wenn 300 Euro niemanden voll finanzieren, so machen sie doch oft den entscheidenden Unterschied aus, ob ein Nebenjob nötig ist, ein Auslandssemester drin ist oder die Belegung von Kursen über den normalen Lehrplan hinaus möglich ist. All das wollen Sie den Deutschlandstipendiaten, den Förderern und den Hochschulen wieder nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Westfälische Wilhelms-Universität in meinem Wahlkreis Münster verzeichnet in diesem Jahr mit 223 Stipendiaten, die von 84 Förderern unterstützt werden, einen neuen aktuellen Rekord. Hier erfolgt die verantwortungsbewusste Auswahl der Stipendiaten zentral unter Beteiligung aller Fachbereiche. Für die Uni Münster ist dieses Verfahren ein Stück gelebte demokratische Kultur. (Beifall bei der CDU/CSU) Gerne weise ich darauf hin, dass die erste Initiative für ein paritätisch gefördertes universitäres Stipendium aus Nordrhein-Westfalen kam. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, von Herrn Pinkwart! Pinkwart und Schavan Hand in Hand!) Weil das NRW-Stipendium so ein großer Erfolg war, wurde es vom Bund übernommen. Mittlerweile – das wissen Sie auch – beteiligen sich drei Viertel aller Hochschulen an diesem Programm. Rund 90 Prozent aller Studierenden können sich an ihrer Hochschule um ein Stipendium bewerben. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Weil Druck ausgeübt wurde, sich zu beteiligen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 0,76 Prozent kriegen eines!) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die Evaluation zum Deutschlandstipendium läuft; das wissen Sie. Das Stipendium ist jetzt gerade einmal im fünften Jahr. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon!) Eine Evaluation zu einem früheren Zeitpunkt hätte doch wenig Sinn gemacht. Aber jetzt komme ich gerne zu Ihrem Antrag. Das Stipendium sei bürokratisch? Die Verwendung öffentlicher Mittel verlangt Transparenz, und dazu gehört eben auch ein wenig Bürokratie. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wie beim Mindestlohn! Da braucht man auch Bürokratie! – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Uni Münster macht hier übrigens die Erfahrung einer sehr konstruktiven Zusammenarbeit – hören Sie doch einfach einmal zu! – mit dem zuständigen Landesministerium in Düsseldorf. Frau Ministerin Löhrmann ist, wie Sie wissen, bei den Grünen. Vielleicht könnten Sie sich einmal intern austauschen, was das Deutschlandstipendium Gutes mit sich bringt. Ist das Stipendium ungerecht – wenn sich alle bewerben können, gleich welcher Herkunft, gleich welchen Einkommens und gleich welchen Studienfaches? Die Zahl der BAföG-Empfänger ist unter den Deutschlandstipendiaten übrigens etwa genauso hoch wie im allgemeinen Durchschnitt aller Studierenden. Ich komme zu dem Punkt, dass Sie sagen, das Stipendium bringe keine Motivation für ein Studium. Also, die Motivation für ein Studium muss der Student doch erst einmal selbst mitbringen. (Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Deutschlandstipendium ist darauf ausgerichtet, junge Menschen, die sich bereits für ein Studium entschieden haben, zu unterstützen. Und hier erweist sich das Deutschlandstipendium, anders als Sie es sagen, als äußerst tauglich. Sie fordern, die für das Deutschlandstipendium verwendeten Gelder zusätzlich in die BAföG-Mittel zu stecken. Das ist aber meiner Ansicht nach Gießkannenprinzip mit dem monokausalen Auswahlprinzip der Einkommensgrenzen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte?) Das Deutschlandstipendium berücksichtigt verschiedene Kriterien bei der Vergabe und belebt dadurch auch die Diversität der Stipendiaten. Sie fordern – das haben Sie eben auch in Ihrer Rede gemacht –, die Mittel für geflüchtete Studierende aus Kriegs- und Krisengebieten zu verwenden (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und dabei die soziale Situation der Flüchtlinge zu berücksichtigen. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass genau diese – im Hinblick auf ein Studium biografischen – Hürden bei der Auswahl zum Deutschlandstipendium insbesondere Berücksichtigung finden. (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie mir nicht zugehört!) Liebe Zuhörer, vor zwei Tagen war hier in Berlin die Jahrestagung zum Deutschlandstipendium. Ich habe niemanden von Ihnen da gesehen. Wie schade. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: PR-Regierungsveranstaltungen muss ich nicht besuchen!) Sie hätten Dinge erfahren können, die Sie vielleicht gar nicht erfahren wollen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten es nicht schmücken mit unserer Anwesenheit!) Sie hätten zum Beispiel erfahren können, dass die Hochschulen über diese neue Aufgabe auch einen neuen Blick auf die vielen Menschen gewinnen, die mit all ihren Facetten zu ihnen kommen, und dass sich die Hochschulen bei der Auswahl der Stipendiaten nicht reinreden lassen – das haben sie mehrfach gesagt –, auch nicht von den Förderern. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es Gegenbeispiele!) Und den Stipendiaten respektive den Wissenschaftlern liegt das auch fern. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel Stipendien auf Bestellung!) Mehrfach habe ich den Satz gehört: Wissenschaftler ticken gar nicht so. – Ich habe zum Beispiel auch erlebt, dass Stipendiaten eigene Projekte entwickeln, um, wie sie sagen, etwas zurückzugeben. Sie wollen nicht nur Empfänger des Geldes sein, sondern dafür etwas tun. Der Stifterverband hatte dazu einen Wettbewerb ausgelobt unter dem Motto: Macht was draus! Und das haben sie alle gemacht. Die Sieger wurden ausgezeichnet. Zum Beispiel dafür, dass sie in Brennpunktschulen gehen und Schülern die Schwellenangst vor der Uni nehmen; dass sie für Menschen in Ruanda dafür sorgen, dass im Krankenhaus nicht nur Medikamente, sondern auch Essen verteilt wird, und dass Flüchtlingskinder dabei unterstützt werden, Musik- und Sportangebote wahrzunehmen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Benning, denken Sie an die Redezeit. Sybille Benning (CDU/CSU): Das ist ehrenamtliches Engagement, das wir alle nicht hoch genug schätzen können. Unsere Gesellschaft braucht nicht noch mehr Selbstoptimierer, sondern Menschen, die über den Tellerrand schauen und sich für andere einsetzen, hier und anderswo. Genau solche Menschen erreicht das Deutschlandstipendium. Was Sie als Ladenhüter bezeichnen, ist unter Studierenden höchst begehrt. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Weil das BAföG ausgedünnt worden ist!) Es gibt weit mehr Bewerber als Stipendien, weswegen die Quote noch deutlich steigerungsfähig ist. Was wir jetzt brauchen, sind mehr Stipendiengeber aus Wirtschaft und Gesellschaft. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Mittel aus dem Bundeshaushalt fließen doch gar nicht ab!) Und die brauchen vor allem die Sicherheit, dass ihr Einsatz auch in Zukunft gefragt ist. „Perspektive für alle“ ist hier das Stichwort. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht das Deutschlandstipendium! Erhöhen Sie endlich die BAföG-Mittel!) Deshalb ist Ihr Antrag in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Aber er hat uns diese Debatte beschert. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin. Sybille Benning (CDU/CSU): Vielleicht, nein, hoffentlich trägt sie dazu bei, dass das Stipendium deutlich bekannter wird und mehr potenzielle Förderer überzeugt werden, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das unsere Aufgabe, oder was?) bei dieser Chance für alle – eine echte Win-win-Möglichkeit – mitzumachen. Dann hätte sich die Mühe gelohnt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Murks fördern wir nicht! Murks wollen wir nicht! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür braucht es keine Bundesmittel!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin Benning. – Nächste Rednerin: Nicole Gohlke für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Vor fünf Jahren wurde das Deutschlandstipendium von der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung aus der Taufe -gehoben. Es hieß, man wolle die Studienfinanzierung endlich zukunftstauglich machen und die 10 Prozent leistungsstärksten Studierenden zusätzlich und einkommensunabhängig mit 300 Euro monatlich fördern. 150 Euro sollte ein privater Stipendiengeber oder ein Unternehmen geben, 150 Euro sollte der Bund dazulegen. Kolleginnen und Kollegen, ich finde es wichtig, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, worum es 2010 ging. Es ging um nichts Geringeres als darum, dass die FDP im Schlepptau mit der Union den Einstieg in eine andere Form der Studienfinanzierung durchdrücken wollte, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da hat sie recht!) und zwar in eine – um es ganz klar zu sagen – Elitenförderung auf Kosten der Breite. Und deswegen hat die Linke dazu von Anfang an Nein gesagt. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir auch! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Grünen auch!) – Und die Grünen auch. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Und die SPD auch!) – Und die SPD auch. Darauf kommen wir gleich noch einmal zu sprechen. Fünf Jahre später müssen wir feststellen: Die ganzen Pläne von damals erweisen sich als kolossaler Reinfall. Im Grunde ist das alles grandios gescheitert, die FDP -übrigens gleich als ganze Partei, die für ihre elitäre Politik abgestraft wurde, (Beifall bei der LINKEN) und das Deutschlandstipendium gleich mit ihr; denn jedes Jahr stellen wir fest, dass es weit hinter den Erwartungen zurückbleibt und eine völlige Fehlkonstruktion ist. Gerade einmal 0,8 Prozent der Studierenden – um genau zu sein: 0,76 Prozent – wurden im Jahr 2013 damit gefördert. Die Hochschulen finden kaum Stipendiengeber und müssen mühsam und mit massivem bürokratischem Aufwand Bittbriefe an Unternehmen in der Region verschicken. Der Bundesrechnungshof kritisiert das Deutschlandstipendium regelmäßig für die ausufernden Verwaltungskosten und für die Verschwendung von Steuergeldern. Da fragt man sich: Warum hält die jetzige Regierung, an der auch die SPD beteiligt ist, an diesem Projekt fest? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir auf eine Sache gut verzichten können, dann ist es doch wohl noch mehr Elitenförderung in der Bildung! Denn hinter dem Deutschlandstipendium, das von Schwarz-Gelb seinerzeit als „zukunftstauglich“ etikettiert wurde, verbirgt sich doch in Wahrheit ein völlig antiquiertes Politik- und Bildungsverständnis. Dahinter steht die Idee, dass reiche Gönner und Mäzene wenigen von ihnen auserkorenen Begünstigten Unterstützung auf ihrem Bildungsweg zukommen lassen. Kolleginnen und Kollegen, das ist das Gegenteil von Chancengleichheit. Das ist das Gegenteil von Rechtsanspruch auf Bildung. Deswegen gehört dieser Blödsinn abgeschafft! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Lassen Sie doch beide nebeneinander zu! Wo ist denn das Problem, Frau Kollegin?) Es gibt noch einen weiteren Aspekt. Um überhaupt Geldgeber zu finden, werden den Stiftern immer wieder erhebliche Mitspracherechte bei der Auswahl der Stipendiatinnen und Stipendiaten zugestanden. Das erklärt auch, warum die meisten Geförderten in MINT-Fächern, in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften, oder in der BWL zu finden sind. (Sybille Benning [CDU/CSU]: Quatsch!) Von einer gleichen Behandlung der Studierenden und davon, dass nur Leistung und Engagement zählen, kann offensichtlich nicht die Rede sein. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Laufzeit einer Förderperiode beim Deutschlandstipendium beträgt nur ein Jahr; das heißt: Nach einem Jahr wird geprüft, ob die Stipendiatinnen und Stipendiaten immer noch „leistungsstark“ und „förderungswürdig“ genug sind. Der Stipendiengeber entscheidet erneut, ob die Förderung überhaupt aufrechterhalten werden soll. Für die Studierenden bedeutet das Unsicherheit und Abhängigkeit statt Planungssicherheit. Dann haben die Stipendiengeber und Unternehmen auch noch die Möglichkeit, ihren Anteil von 150 Euro steuerlich abzusetzen, geben also de facto nur 100 Euro. Ich finde es, ehrlich gesagt, unerträglich, trotz der genannten Rahmenbedingungen ständig die großartige Spendenbereitschaft der Stifter zu loben, wie das vor allem die Union tut. Wenn Sie Unternehmen und Reiche an der Finanzierung von Bildung beteiligen wollen, dann erhöhen Sie doch einfach den Spitzensteuersatz. (Beifall bei der LINKEN) Besteuern Sie große Vermögen, statt aus dem Rechtsanspruch auf Bildung in Wahrheit eine Charity-Veranstaltung zu machen. (Zuruf von der LINKEN: Genau!) Halten wir also fest: Das Deutschlandstipendium ist weder bedarfsdeckend noch planungssicher für die Studierenden. Für die Hochschulen ist es teuer und ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand. Der Staat verpulvert Steuergelder. Von der Förderquote her ist das Deutschlandstipendium weit davon entfernt, einen substanziellen Beitrag zur Studienfinanzierung in der Bundesrepublik zu leisten. Kolleginnen und Kollegen von der Regierung, ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie noch Argumente haben, die diese traurige Bilanz wettmachen könnten. Trennen Sie sich von Ihrem misslungenen Eliteprojekt! Machen Sie den Weg frei für sinnvolle Projekte und für eine echte und substanzielle BAföG-Reform, die wir seit Jahren anmahnen! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Gohlke. – Nächste Rednerin in der Debatte: Marianne Schieder für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Marianne, du warst doch auch dagegen!) Marianne Schieder (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, es ist so: Das Deutschlandstipendium war und ist kein Lieblingsprojekt der SPD-Bundestagsfraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja auch Murks!) Von Anfang an standen wir diesem neuen Förderinstrument absolut kritisch gegenüber. Wir haben unsere Argumente in die parlamentarischen Beratungen eingebracht. Wir haben uns dafür ausgesprochen, die hierfür eingeplanten Mittel lieber dem BAföG zuzuschreiben; das leugnen wir ja gar nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Ihr habt euch nicht durchsetzen können! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie es doch!) Wenn ich Bilanz ziehe, stelle ich fest: Unsere Bedenken sind keineswegs ausgeräumt. Im Gegenteil: Sie haben sich leider vielfach bestätigt. Denn es ist wahr: Der Erfolg bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abschaffen!) Von 2010 bis 2012 wurden 56,7 Millionen Euro für das Deutschlandstipendium eingeplant, aber nur 25,3 Millionen Euro wurden abgerufen, also nicht einmal die Hälfte der Mittel. In den Jahren 2013 und 2014 wurde wiederum nur gut die Hälfte der Mittel abgerufen. Für 2015 sind 47,4 Millionen Euro eingestellt, aber mit Stand vom 10. Mai dieses Jahres waren erst 11,8 Millionen Euro davon verplant. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke, dass du das Scheitern noch einmal darstellst!) Zur Erinnerung: Das ursprüngliche Ziel von Schwarz-Gelb war, im Jahr 2011 0,45 Prozent der Studierenden zu erreichen und 2012 1 Prozent der Studierenden. 2011 waren es aber nur 0,25 Prozent und 2012 0,6 Prozent. 2013 stieg der Anteil immerhin auf 0,75 Prozent. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz viele Nullen! Lauter Nullen!) Zurzeit, so sagt man uns, liegt der Anteil bei ungefähr 1 Prozent. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie die schwarze Null!) In absoluten Zahlen sind dies etwa 20 000 Studierende von rund 2,7 Millionen. Da kann man sich wirklich fragen: Für so wenige? Ich sage: All diejenigen, die Kritik üben, haben recht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen: abschaffen!) war es, lieber Herr Kollege Gehring, doch auch folgerichtig – zuhören ist auch gut –, dass wir im Koalitionsvertrag die ursprüngliche Zielmarke von 8 Prozent auf 2 Prozent korrigiert haben. (Beifall bei der SPD) Natürlich sagen auch wir: Der Durchführungsaufwand ist zu hoch. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fälschen wir am besten mal die Statistik!) Man sagt uns aus dem Ministerium, 2014 sei er immerhin auf 20 Prozent reduziert worden. Aber das ist immer noch zu viel, weil man normalerweise von 5 Prozent Durchführungsaufwand ausgehen kann. Zu Recht kritisiert dies natürlich auch der Bundesrechnungshof. Auch unsere Befürchtungen, dass es in strukturschwachen Regionen schwieriger sein dürfte, die nötigen Mittel einzuwerben, haben sich bestätigt. Ich sage einmal die Zahlen aus Bayern: Von all den in Bayern vergebenen Stipendien konzentrieren sich 44,6 Prozent auf drei Universitäten, nämlich auf die LMU München, auf die TU München und auf die Universität Erlangen-Nürnberg. (Zuruf von der CDU/CSU: Die kümmern sich!) An diesen Universitäten studieren aber nur 36,7 Prozent der Studentinnen und Studenten. Es ist auch richtig, was der Kollege Gehring angesprochen hat: Es gibt eine total einseitige Konzentration auf die MINT-Fächer. Man lässt ein bisschen noch mitlaufen die Rechts- und Betriebswissenschaften; aber die Geisteswissenschaften bleiben weit zurück. Also, das gefällt uns nicht. (Beifall des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE] – Zuruf von der CDU/CSU: Bist du jetzt dafür oder dagegen?) Aber in den Koalitionsverhandlungen war es halt so, dass wir vereinbart haben, beim Deutschlandstipendium zu bleiben und zu schauen, ob wir auf dem Weg, den wir mit dem Deutschlandstipendium beschritten haben, nicht die dringend erforderlichen Verbesserungen erreichen können. Ich glaube nicht, dass es großen Sinn macht, wie Sie von Bündnis 90/Die Grünen es fordern, jetzt mittendrin einfach umzukehren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange wollen Sie denn noch warten?) Sie müssen, wenn Sie über Studienförderung und Studienfinanzierung sprechen, auch anerkennen, dass wir in der Großen Koalition nicht nur vereinbart haben, dass Hochschulen bis zu 2 Prozent ihrer Studierenden mit einem Deutschlandstipendium fördern können, sondern auch, dass wir eine erhebliche, wirklich merkliche Verbesserung im Bereich des BAföGs auf den Weg bringen. (Beifall bei der SPD) Die Freibeträge und die Bedarfssätze werden ange-hoben, der Wohnungszuschlag, die Kinderbetreuungs-zuschläge, die Hinzuverdienstgrenze, der Förderungshöchstsatz steigen, die Förderungslücke zwischen Bachelor- und Masterstudium wurde geschlossen, und die Antragstellung ist verbessert worden. Also: Sie -können versichert sein, dass für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das BAföG ein Erfolgs-modell ist und bleibt und dass das BAföG auch das Kernstück sozialdemokratischer Bildungspolitik bleiben wird, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weil auch wir natürlich erkennen, dass das BAföG einen Rechtsanspruch schafft (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann erhöhen Sie es doch endlich!) und eine verlässliche, berechenbare Angelegenheit ist für junge Menschen, die aus sozial schwächeren und -bildungsferneren Elternhäusern kommen. Denn für uns Sozialdemokraten steht nach wie vor fest, dass Bildung nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein darf, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und wir erkennen doch alle miteinander, dass wir von diesem Ziel noch weit, weit entfernt sind, dass diese Abhängigkeit vom Geldbeutel der Eltern im gesamten Bildungssystem und auch an den Universitäten natürlich nach wie vor zu erkennen ist. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut ja weh! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: BAföG-Erhöhung vorziehen statt PR-Veranstaltung!) Aber zurück zum Deutschlandstipendium. Mir fällt da nur Konfuzius ein, der einmal gesagt hat: Der Weg ist das Ziel. – Ich räume ein: Es ist ein steiniger Weg, den wir da gehen müssen, um auch beim Deutschlandstipendium die nötigen Verbesserungen noch zu erreichen, -diesen Weg begehbarer zu machen. Aber ich hoffe, wir schaffen es und kommen dann doch zu einem guten Ziel. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Anette Hübinger [CDU/CSU]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Unionsfraktion spricht jetzt die Kollegin Cemile Giousouf. (Beifall bei der CDU/CSU) Cemile Giousouf (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht das Deutschlandstipendium ist der Ladenhüter, sondern Ihre immer gleiche, öde Forderung, dieses Stipendium abzuschaffen. (Beifall bei der CDU/CSU) Mein freundschaftlicher Appell an Sie lautet deshalb: Lassen Sie sich mal was Neues einfallen, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie mal an mit was Neuem!) erweitern Sie Ihr Sortiment, und schmeißen Sie den alten Antragsramsch einfach raus. Geben Sie sich doch einfach mal einen Ruck. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch die Flüchtlingsstipendien, die wir vorschlagen!) Vor allem aber: Sprechen Sie mit den Studenten, reden Sie mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten. Fast 20 000 Deutschlandstipendien (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wie viel? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben noch nicht mit allen 20 000 einzeln gesprochen!) wurden im Jahr 2013 vergeben; gegenüber dem Vorjahr ist das ein Plus von 42 Prozent. Da müssen Sie noch nicht einmal Stipendiat sein, um zu erkennen, dass das ein enormer Anstieg ist, Herr Gehring. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bundesweit beteiligen sich etwa drei Viertel aller Hochschulen an dem Programm. Allein an privaten Fördermitteln sind 2013 weitere 21 Millionen Euro für das Deutschlandstipendium hinzugekommen. Das heißt, hier haben sich Menschen freiwillig bereit erklärt, aus ihren privaten Mitteln Geld in die Hand zu nehmen, um junge Studierende zu unterstützen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Davon hält sie doch niemand ab!) Diese Zahlen zeigen deutlich: Das Deutschlandstipendium ist in Wahrheit ein Bestseller. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Reinfall erster Güte!) Es gehört heute genauso an die Universitäten und Fachhochschulen wie ihre vegetarischen Gerichte in der Mensa oder die Subventionierung von Projekten durch den AStA. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie jetzt auch für den Veggie-Day?) Sehen Sie, ich versuche sogar, einen Schritt auf Sie zuzugehen, indem ich Ihren Lebensweltbezug herstelle. Aber Sie protestieren, und genau deshalb wäre die Begabtenförderung bei Ihnen schlecht aufgehoben, weil bei Ihnen die Politik nicht mit der Betrachtung der Realität beginnt, sondern weil bei Ihnen nur Ihre eigene Klientel bedient wird. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt die Richtige!) Ich will jetzt zu Ihrem Antrag Stellung nehmen. Sie fordern darin die Bundesregierung auf, die Bundesmittel aus dem Deutschlandstipendium zu nutzen, um das BAföG zu finanzieren. Liebe Grüne, noch einmal zum Mitschreiben: Die Bundesregierung hat in einem großen Kraftakt die gesamten Kosten für das BAföG ab diesem Jahr übernommen. Sie waren doch gestern auch bei dem Fachgespräch dabei, bei dem nochmals das offensichtliche Versagen einiger Bundesländer deutlich wurde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Allein Nordrhein-Westfalen spart durch die Kostenübernahme jedes Jahr knapp 280 Millionen Euro. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Wir warten noch heute auf eine sinnvolle Antwort auf die Anfrage unseres AG-Vorsitzenden Albert Rupprecht, was NRW mit den Geldern denn machen will. (Oliver Kaczmarek [SPD]: Darauf gibt es auch keine Antwort! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso darf Herr Rupprecht eigentlich nicht reden?) Sorgen Sie als Koalitionspartner in Düsseldorf doch dafür, dass diese Gelder in den Hochschulbereich investiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei Rot-Grün versickern die Millionen im Schuldenloch. Da können Sie doch aktiv werden. Nun weiter zu Ihrem Antrag. Sie schreiben, Ihnen fehlten verlässliche Zahlen zur sozialen Herkunft der Stipendiaten. Alle Experten sagen: Das Deutschlandstipendium ist von allen Stipendien das mit der größten sozialen Streuung. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das?) Bei der Bewertung spielen nicht nur die Leistung, sondern auch die persönlichen und familiären Lebens-umstände eine entscheidende Rolle. Hierzu zählen etwa Krankheiten, Behinderungen, die Betreuung eigener Kinder oder pflegebedürftiger Angehöriger und eben ein sogenannter Migrationshintergrund. - (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso können das BAföG- und Begabtenförderwerke nicht besser?) Außerdem haben Studierende, die sich gesellschaftlich engagieren, gute Chancen, ein Stipendium zu erlangen. Die Studierenden machen übrigens großartige Projekte für Flüchtlinge. Schauen Sie sich das einmal an. Das wird Ihnen sicher sehr gefallen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt auch ganz viele, die das ohne Deutschlandstipendium machen!) Am Dienstag fand die Jahresveranstaltung zum Deutschlandstipendium statt. Dort hat die Präsidentin der Goethe-Universität, Frau Professorin Wolff, gesagt, dass an ihrer Hochschule 40 Prozent der Stipendiaten keinen akademischen Hintergrund haben, also sogenannte Erstakademiker sind, und dass 25 Prozent aus Migrantenfamilien stammen. Der Anteil der BAföG-Empfänger unter den Stipendiaten beträgt ein Viertel, und das Stipendium wird eben nicht auf das BAföG angerechnet. So viel zum Thema „soziale Durchlässigkeit“. Vor allem aber wird das Deutschlandstipendium auch an den Fachhochschulen angeboten, die in der Begabtenförderung bisher unterrepräsentiert sind. An Fachhochschulen studieren nämlich viele junge Leute aus nichtakademischen Elternhäusern. Daher ist der Antrag der Grünen auch ein Stück unsoziale Klientelpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU) Gehen Sie doch einmal an die Universitäten und Fachhochschulen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich häufiger als Sie!) In Ihrem Wahlkreis, Herr Gehring – ich habe mir sogar die Mühe gemacht, das herauszusuchen –, bekommen 489 Studierende ein Deutschlandstipendium. Deshalb hat die Uni den Ruf einer Kümmer-Uni erworben. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch nicht wegen des Deutschlandstipendiums! Ja, wo leben Sie denn?) Millionärssöhne und -töchter: Fehlanzeige! Das ist doch eine gute Sache. Freuen Sie sich doch darüber. Oder wollen Sie diesen jungen Menschen erzählen, dass sie das Stipendium eigentlich nicht verdient haben? (Beifall bei der CDU/CSU) Eine Stipendiatin aus meinem Wahlkreis ist Mutter von drei Kindern. Sie hat zehn Jahre als Sozialpädagogin gearbeitet und studiert jetzt an der Fernuniversität Hagen Jura. Ich zitiere die dreifache Mutter: Mich macht das Stipendium stolz. Es motiviert mich. Es ist mir ein großes Bedürfnis, Ihrem Vertrauen gerecht zu werden. Es hilft mir über manche Hindernisse. Es fordert mich auch heraus. Wir von der CDU/CSU vertrauen dieser Leistungsträgerin. Wir unterstützen ebendiesen Weg. Sie monieren dann, es würden zu wenige Geisteswissenschaftler unterstützt, es gebe nur 169 Historiker unter den Stipendiaten, dafür gebe es zu viele aus technischen Berufen. Davon abgesehen, dass es bei den Begabtenförderwerken eben genau anders aussieht, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) braucht unser Land Physiker, Informatiker und Ingenieure. Der Strom kommt nicht aus der Steckdose, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Sorgen Sie lieber dafür, dass der Geschichtsunterricht in den Ländern, in denen Sie regieren, überhaupt noch stattfindet, Stichwort: „Unterrichtsausfall“, Stichwort: „linke Experimente“ bei den Lehrplänen. Da haben Sie doch wirklich genug zu tun. (Beifall bei der SPD) Natürlich sind konkrete Projekte, die für die Wirtschaft interessant sind, vorwiegend in den MINT--Fächern zu finden, und wir wollen auch, dass Universitäten und die Wirtschaft noch enger kooperieren. Gerade in strukturschwachen Regionen, wo die jungen Leute scharenweise abwandern, kann die frühe Anbindung an die Wirtschaft helfen, dass die Fachkräfte dort bleiben, wo sie ausgebildet werden. Das bietet Perspektiven für die Studenten, aber auch für die Regionen. Der letzte Punkt in Ihrem Antrag hat mich richtig geärgert. Als Integrationsbeauftragte meiner Fraktion finde ich es schon sehr kritikwürdig, dass Sie die Stipendienförderung für geflüchtete Studierende in Ihren Antrag auch noch mit hineinpacken. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte?) Ich sage Ihnen auch, warum: Wir sollten nicht auf so vordergründige Weise über dieses Thema sprechen. -Dafür ist dieses Thema wirklich viel zu wichtig. In Anträgen, die in Wahrheit Ladenhüter sind, hat es nichts verloren. Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir von der Union kümmern uns seit 2005 darum, die Dinge besser zu machen. Wir danken den privaten Geldgebern, den Hochschulen und natürlich dem Bildungsministerium für den Einsatz, und wir beglückwünschen die Stipendiaten zu ihren hervorragenden Leistungen. Eins sagen wir aber auch deutlich: Nur die CDU/CSU ist Garant für das Deutschlandstipendium. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Martin Rabanus für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Martin Rabanus (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit zwei Vorbemerkungen einsteigen. Wir haben jetzt viel über das Deutschlandstipendium gehört. Meine Kollegin Schieder hat die kritische Position der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion dazu deutlich gemacht; das brauche ich nicht zu wiederholen. Ich habe mir auch notiert, dass ich eigentlich nichts über Kompromissfindungen in Koalitionsverhandlungen erzählen muss. Nach dem Beitrag von Frau Gohlke kommt mir das anders vor. Jetzt muss ich doch noch etwas zu der Frage sagen, wie Koalitionsverhandlungen laufen und wie Koalitionsverträge zustande kommen. Wenn es daran liegt, dass die Linke so selten Koalitionsverhandlungen führt, dann soll mir das auch recht sein. Denn jede Koalition, an der die Linke nicht beteiligt ist, ist für mich eine gute Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das war die erste Vorbemerkung. Die zweite Vorbemerkung ist: Wir sollten nicht so tun, als würde eine Abschaffung des Deutschlandstipendiums die Finanzierung des Hochschulwesens insgesamt retten, lieber Kollege Gehring. Wir stellen völlig zu Recht fest, dass das Deutschlandstipendium vielleicht nicht ganz so viele PS auf die Straße gebracht hat, wie es Schwarz-Gelb irgendwann einmal dachte, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das kann man so sagen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Euphemistischer geht es gar nicht!) und dass der Mittelabfluss, wie auch Kollegin Schieder deutlich gemacht hat, ausgesprochen bescheiden ist. Wir müssen allerdings auch feststellen, dass eine anderweitige Verwendung der bescheidenen Summe die Hochschulfinanzierung in dieser Republik am Ende des Tages nicht rettet – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) genauso wenig, wie das Deutschlandstipendium die Qualität des deutschen Hochschulsystems an sich sicherstellen kann. Da würde ich dazu raten, ein bisschen abzurüsten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Denn es ist doch zu deutlich, was der Antrag bringen soll. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Stipendien für Flüchtlinge!) Er kommt jetzt, in der Woche, in der die Jahrestagung zum Deutschlandstipendium stattgefunden hat. Es ist also der Versuch der Opposition, den Windschatten zu nutzen und irgendwie in der Berichterstattung darüber vorzukommen. Das ist ja legitim. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch gelungen!) – Das mag auch gelungen sein; aber mehr ist es auch nicht. – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die SPD mal wieder eingeknickt ist!) Dennoch finde ich das Vorgehen der Opposition eigentlich schade; denn ich halte eine profundere Debatte über das Stipendienwesen, das wir in Deutschland haben, für durchaus angemessen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Klar, das Deutschlandstipendium ist jetzt der Aufhänger; aber wir haben ja mehrere Instrumente. Das -Aufstiegsstipendium wird im Antrag wenigstens genannt. Irgendwo, unter Punkt 3, kommt auch die Begabtenförderung vor. Aber zu meinem Bedauern habe ich von einem Weiterbildungsstipendium beispielsweise gar nichts gelesen. Dabei geht es doch gerade um dieses Instrument. Wir diskutieren so viel über die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung, wir diskutieren so viel über gleiche Förderbedingungen, und dann wird das zentrale Stipendieninstrument, das wir im Bereich Weiterbildung haben, das seit fast 25 Jahren in Deutschland erfolgreich ist und inzwischen über 100 000 Menschen erreicht hat, in einem solchen Antrag noch nicht einmal erwähnt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Daran sieht man, was Sinn und Zweck dieses Antrages ist: Das ist eben nicht der Versuch, eine strukturierte Debatte anzustoßen, sondern das ist der Versuch, mit einer alten Wurst sozusagen noch ein bisschen grünen Duft zu verbreiten. Das finde ich ein bisschen bedauerlich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Nach unserer Auffassung ist es durchaus lohnenswert, auf unser Stipendienwesen insgesamt zu schauen: Da ist das Weiterbildungsstipendium, da ist das Aufstiegs-stipendium, da sind die Begabtenförderungswerke in-klusive unserer Studienstiftung, aber eben auch das Deutschlandstipendium. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Und das BAföG!) Das ist unser Stipendienwesen. Die Breitenförderung – ich glaube, das hat die Koalition in der Tat unter Beweis gestellt – wird im Rahmen des BAföG verbessert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das BAföG ist das passgenaue Instrument für eine sozial orientierte Förderung. Das ändert aber nichts daran, dass es in Sachen Förderung auch einen zweiten Teil gibt, nämlich das Stipendienwesen. Meine Fraktion und ich möchten uns das in den kommenden Wochen und Monaten ein bisschen genauer anschauen, auch vor dem Hintergrund der Sicherstellung gleicher Förderbedingungen in den Bereichen „berufliche Bildung“ und „allgemeine und akademische Bildung und Weiterbildung“. Der Antrag der Grünen greift zu kurz, da er beim Aufstiegsstipendium nur auf das Büchergeld rekurriert. Auch da muss man ein bisschen -genauer hinschauen. Wenn wir das dann gemeinsam vernünftig umgesetzt haben, wie wir von der sozialdemokratischen Fraktion es uns vorstellen – das wird unser Koalitionspartner sicherlich mitmachen –, dann haben wir der Sache einen Dienst erwiesen. Ihr Antrag erweist der Sache leider keinen Dienst. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Rabanus, gestatten Sie zum Schluss Ihrer Redezeit noch eine Zwischenfrage des Kollegen Gehring? Martin Rabanus (SPD): Eine Redezeitverlängerung? – Bitte schön, Herr Gehring. Gern. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Ich bin sehr gespannt. Die Redner der Koalitionsfraktionen haben in den letzten Debattenbeiträgen gesagt, man solle einmal über unser Stipendiensystem insgesamt sprechen. Das finde ich bemerkenswert. Wir haben in unserem Antrag und unserem Redebeitrag die Aufstiegsstipendien und die Begabtenförderungswerke erwähnt. Wir haben deutlich gemacht, dass die nicht abfließenden Mittel aus dem Deutschlandstipendium in Stipendien für Flüchtlinge fließen sollen. Sie kennen auch unsere anderen Anträge zum Thema Weiterbildungs-BAföG. Wir Grüne wollen die Förderung verschiedener Gruppen mit einer breiten Palette an Maßnahmen ausweiten. Ich würde gerne den Sinneswandel der SPD verstehen. Herr Rossmann hat 2010 gesagt: Wir sagen Nein zum Stipendiensystem. Ulla Burchardt – das war immerhin die Vorsitzende des Bildungsausschusses in der letzten Legislatur – hat gesagt: Vor allen Dingen ist das ein Programm zum Bürokratieaufbau an den Hochschulen. (Marianne Schieder [SPD]: Aber nicht insgesamt die Stipendien, sondern das Deutschlandstipendium!) Ich könnte Ihnen jetzt reihenweise Zitate aus der SPD-Bundestagsfraktion nennen, die belegen, dass das Deutschlandstipendium aus Ihrer Sicht genauso ein Ladenhüter ist wie aus Sicht der Grünen. Ich würde gerne einmal verstehen, warum Sie das inzwischen offensichtlich anders sehen. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Klüger geworden!) Martin Rabanus (SPD): Vielen Dank für diese ausgesprochen freundliche Frage. Ich will darauf zweiteilig antworten. Erstens. Herr Kollege, Sie haben gezeigt, dass die Grünen programmatisch eigentlich mehr auf der Pfanne haben als dieser Antrag, über den wir heute debattieren, uns erahnen lässt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich finde das bedauerlich, weil ich glaube – darauf habe ich hingewiesen –, dass Sie mehr auf der Pfanne haben. Das ist der eine Teil. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt unter Ihrem Niveau!) Zweitens. Ich habe darauf hingewiesen, dass ich der irrigen Annahme war, auf die Logik von Koalitionsverhandlungen, darauf, wie Koalitionsverträge zustande kommen und Kompromissfindungen ablaufen, nicht hinweisen zu müssen. Aber das ist natürlich ein sehr wichtiger Punkt. Ich möchte einmal an einem Beispiel aus meinem Heimatland Hessen deutlich machen, wie Koalitionsbildungen möglicherweise funktionieren: Im nächsten Frühjahr steht der Spatenstich für den Beginn des Baus von Terminal 3 am Frankfurter Flughafen an. Den Spatenstich wird vermutlich der Wirtschaftsminister des Landes Hessen, Tarek Al-Wazir, Bündnis 90/Die Grünen, mit durchführen, obwohl sich, wenn ich das nicht ganz falsch erinnere, ein Gutteil der Grünen in den 1980er-Jahren sozusagen im Umfeld der Baustelle der Startbahn 18 West gegründet hat. Der Punkt ist, dass wir an bestimmten Stellen, die, glaube ich, jedenfalls für uns Sozialdemokraten weit weniger fundamental sind als die Frage eines Flughafens für die Grünen, bereit sind, Kompromisse zu schließen, und bereit sind, zu sagen: Wir müssen Korrekturen vornehmen. – Wir erwarten auch, dass wir in der Diskussion um die Weiterentwicklung des Stipendienwesens die Unwuchten aus diesem Programm herausbekommen. Ich bin da ganz guter Dinge. Das ist ein Weg, den man gemeinsam beschreiten kann. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das war eine sehr schöne Antwort! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sehr guter Mann!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Rossmann ist mit einem Zitat erwähnt worden und hat deshalb um eine Kurzintervention gebeten, zu der ich ihm jetzt auch das Wort erteile. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Herr Präsident, vielen Dank dafür. – Ich kann mich erinnern, dass ich gesagt habe, dass die Sozialdemokratie gegen das Deutschlandstipendium ist. Die Sozialdemokraten waren aber nie gegen das Stipendiensystem. In welcher Logik würden wir uns denn da bewegen, wenn doch eine Edelgard Bulmahn und eine Annette Schavan entscheidend mit dafür gesorgt haben, dass das gesamte Stipendiensystem mit all seinen Stiftungen und all dem, was auch der Kollege Rabanus eben angesprochen hat, aufgebaut wird? Nach einer Wahl muss man erst einmal schauen, wie die Gewichte verteilt sind und wie bestimmte Konditionen eingehalten werden. Auch wenn es im Rahmen der ersten Koalitionsverhandlungen keinen Abschluss gegeben hat, wussten wir, dass wir über 500 Millionen Euro substanziell positiv für das BAföG bewegen können. Vor diesem Hintergrund fällt es einem leichter, zu sagen: Dann ist es auch ein ordentlicher Kompromiss, wenn 20 Millionen Euro für das Deutschlandstipendium bewegt werden; dies wollte der größere Koalitionspartner. Jeder soll darüber richten – die Grünen an erster Stelle –, ob die Relation zwischen 500 Millionen Euro und 20 Millionen Euro gerecht und zukunftsorientiert ist oder ob das Ganze ein Irrweg ist. Wir sagen selbstbewusst: Das ist kein Irrweg. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es wäre vielmehr ein Irrweg gewesen, wenn wir den Weg der 500 Millionen Euro für das BAföG nicht gegangen wären, weil wir uns bei den 20 Millionen Euro nicht durchsetzen konnten. (Beifall bei der SPD) Insofern zeigen wir die breite Brust für das gute Gewissen, das wir haben. Der Kollege Rabanus hat eben deutlich gemacht, dass man zwei Wege gehen kann, wenn man für seine Forderungen im Bildungsbereich Unterstützung finden will: Man kann das BAföG weiterentwickeln – das Meister-BAföG gehört dazu; schließlich wollen wir Gleichwertigkeit erreichen –, und gleichzeitig kann man schauen, wo bestimmte Gedanken in Bezug auf das Stipendienwesen aufzugreifen sind. Sie haben das Büchergeld angesprochen. Wie ist es beim Aufstiegsstipendium? Wie ist es beim Deutschlandstipendium? Über solche Fragen denken wir nach. Am Ende sind Sie eingeladen, mit uns darüber nachzudenken. Am Ende werden gegebenenfalls auch Sie einmal in einer politischen Verantwortung respektieren müssen, dass das Deutschlandstipendium da ist und dass es weiterentwickelt wird. Aber das Deutschlandstipendium wird nie das größte Gewicht bei den Stipendien bekommen. Das werden hoffentlich weiterhin die Stiftungen bekommen, die wir in der Tradition des deutschen Stiftungswesens bereits haben. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen: Die Grünen sind ein bisschen langsamer, wenn es darum geht, sich vernünftigen Realitäten anzupassen. Wir glauben, dass unsere Prioritätensetzung sehr gut ist. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bei der Pkw-Maut!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Gehring, möchten Sie darauf erwidern, oder ist alles gesagt? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) – Gut. Ich schließe somit die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4692 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 sowie den Zusatzpunkt 5 auf: 10 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für strategische -Investitionen und zur Änderung der Ver-ordnungen (EU) Nr. 1291/2013 und (EU) Nr. 1316/2013 KOM(2015) 10 endg.; Ratsdok. 5112/15 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen zum Erfolg verhelfen Drucksache 18/4929 ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE Für ein öffentliches sozial-ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm in Europa Drucksache 18/4932 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Joachim Poß für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen mehr Investitionen in Europa. Diese Einsicht eint inzwischen 28 Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und die Kommission. Die von meiner Partei auch im Deutschen Bundestag seit dem ersten Rettungspaket für Griechenland im Frühjahr 2010 geforderte Verstärkung der öffentlichen und privaten Investitionen ist heute nicht mehr umstritten. Umstritten sind teilweise die Finanzierung und die Ausgestaltung des EFSI, des Europäischen Fonds für Strategische Investitionen. Im jetzt laufenden Trilog zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission wird hoffentlich bis Ende nächster Woche eine Lösung gefunden werden. Das Investitionsniveau in Europa liegt immer noch 15 Prozent unter dem Niveau von 2007. So sagt es jedenfalls die Kommission. Die Linkspartei operiert mit anderen Zahlen und Annahmen. Es gibt unterschiedliche Schätzungen. Aber ich orientiere mich hier an der Kommission. Sie sagt immer noch: 15 Prozent unter dem Niveau von 2007. Ein Jahr nach der Europawahl müssen wir jetzt, finde ich, in Europa vom Reden und Verhandeln zum Handeln kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die geplanten Investitionen müssen auf den Weg gebracht werden. Das ist im Interesse einer zukunftsfähigen Infrastruktur, allerdings auch der Lebensaussichten der Arbeitslosen und vor allem der jungen Arbeitslosen. Europa muss sich jetzt als handlungsfähig erweisen, insbesondere beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, aber eben auch beim Kampf gegen skandalöses Steuerdumping von internationalen Konzernen und Multimillionären. Auch die Finanzindustrie muss mit der Finanztransaktionsteuer endlich an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden. (Beifall bei der SPD) Die europäischen Bürgerinnen und Bürger wollen und müssen jetzt auch bei der Stabilisierung der Euro-Zone – Griechenland hin oder her – messbare Erfolge sehen, wenn wir Europa wieder mit Hoffnung in Verbindung bringen wollen. Bei den europäischen Bürgerinnen und Bürgern muss uns das gelingen, und zwar nicht irgendwann, sondern wir müssen jetzt, ein Jahr nach der Europawahl, damit starten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Akzeptanz Europas ist ja gerade in den Krisenländern im Süden – das sehen Sie, wenn Sie sich die Zahlen bei den Umfragen anschauen – katastrophal eingebrochen. Deswegen sollten wir auch Missverständnissen und überzogenen Erwartungen, was die Ausrichtung und Aufgaben des Investitionsfonds angeht, vorbeugen. Der Fonds ist kein öffentliches Investitionsprogramm. Der Fonds soll vor allem privates Kapital anziehen, um Investitionen in den Zukunftsfeldern Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, Energie und Stadtentwicklung vo-ranzubringen, und er soll kleinen und mittleren Unternehmen Finanzierungsmöglichkeiten für Innovationen geben. In den Südländern spielt der Credit Crunch eine Rolle. Diesen müssen wir auch mithilfe dieser Maßnahme überwinden. Ob es private oder öffentliche Investitionen sind, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist, dass sie zusätzliche, rentable und damit auch nachhaltige Investitionen auslösen. Richtigerweise sieht der Verordnungsvorschlag deshalb auch keine sektoralen oder regionalen Kriterien vor. Denn die Investitionen sollen dort getätigt werden, wo sie sinnvoll sind. Wir wollen keine Luftschlösser finanzieren, sondern einen Investitionsschub in Europa aus-lösen. Es ist deswegen nur konsequent, dass die Euro-päische Investitionsbank eine so prominente Rolle einnimmt. Sie besitzt bei der Projektauswahl und -finanzierung durch ihre jahrzehntelange Tätigkeit in Europa das notwendige Know-how. Sie leistet auch einen eigenen finanziellen Beitrag in Höhe von 5 Milliarden Euro und hat bereits begonnen, erste Projekte zu finanzieren. Auch die Bundesrepublik wird – davon war vorhin in der Debatte um den Nachtragsetat bereits die Rede – einen eigenen Beitrag für mehr Investitionen in Europa leisten. Das ist auch dringend notwendig. Deswegen haben wir bereits 10 Milliarden Euro bis 2017 für den Ausbau der Infrastruktur bereitgestellt und weitere 5 Milliarden Euro für die deutschen Kommunen zugesagt. Die Unterstützung der Kommunen ist besonders wichtig; denn eine solche regionale Zielgenauigkeit ist von dem Europäischen Investitionsfonds EFSI nicht zu erwarten. Für den EFSI werden wir weitere 8 Milliarden Euro über die Kreditanstalt für Wiederaufbau bereitstellen. Wir fördern damit einerseits gezielt die regionale Investitionstätigkeit durch die von mir genannten Investitionen und durch den EFSI andererseits die Investitionstätigkeit in der ganzen Breite Europas. Hierin liegt die Stärke des Fonds, große und vor allem langfristige Investitionen auch über Ländergrenzen hinweg anzustoßen. Hoffentlich profitieren davon insbesondere die sogenannten Südländer. Das ebnet den Weg zu mehr Investitionen und Wachstum. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt geht es darum, den Wachstumspfad in Europa zu befestigen. Das Wichtigste ist: Wir müssen verhindern, dass es in Europa zu einer verlorenen Generation kommt. In Gesprächen oder bei Besuchen vor Ort, vor allem in den Ländern mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, wird uns anschaulich vor Augen geführt, worum es dort geht. Uns geht es, wie gesagt, nicht um Technokratie, und ich weiß, man kann auch um ein öffentliches Investi-tionsprogramm werben. Uns geht es darum, dass wir jetzt endlich in Europa handeln und anfangen, Investitionen auf den Weg zu bringen, um unseren Bürgerinnen und Bürgern damit eine Perspektive zu bieten, (Beifall bei der SPD) die auf der einen Seite Arbeitsplätze und Wohlstand beinhaltet und auf der anderen Seite die Gerechtigkeit generiert, die die Menschen in Europa wollen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Alexander Ulrich. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich muss in Europa viel mehr investiert werden. Wir haben das als Linke schon im Bundestagswahlprogramm 2009 gefordert. Wir haben es im Europawahlprogramm gefordert. Damals sind Sie von der SPD noch in der Großen Koalition gemeinsam mit der CDU/CSU durch -Europa gezogen und haben für die Einhaltung von Schuldenbremsen und Ähnlichem geworben. (Joachim Poß [SPD]: Ihr Langzeitgedächtnis funktioniert offenkundig überhaupt nicht, Herr Kollege!) Deshalb sind Sie mit schuld an dem riesigen Ausmaß der Arbeitslosigkeit in Europa. Jetzt fordern Sie mehr Investitionen. Dabei haben Sie jahrelang versagt. Der Juncker-Plan ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. (Beifall bei der LINKEN) Was Investitionen angeht, müsste die größte Volkswirtschaft in Europa viel mehr tun. Jetzt klopfen Sie sich mit Hinweis auf die 10 Milliarden Euro für Investitionen und die 5 Milliarden Euro für die Kommunen auf die Schulter und meinen, damit wäre ausreichend geholfen. Würde man nur die Schuldenbremse einhalten, die wir aber ablehnen, könnte man allein in Deutschland 18 Milliarden Euro mehr investieren. Deshalb müsste man -gerade jetzt in Deutschland viel mehr Investitionen anschieben. Dann wäre man auch in Europa glaubwürdiger, wenn man für Investitionen in anderen Ländern wirbt. Das, was die deutsche Bundesregierung in Europa tut, ist viel zu wenig. (Beifall bei der LINKEN) Das schreibt Ihnen mittlerweile jeder ins Stammbuch, ob IWF oder EU-Kommission. Diese Woche war Moscovici bei uns im Europaausschuss. Er hat deutlich gesagt, dass in Deutschland viel mehr investiert werden müsste. Aber die Bundesregierung glaubt, mit 10 Milliarden Euro plus 5 Milliarden Euro hätte sie genug getan. Im Vergleich zu 2007 haben wir eine Investitionslücke von 430 Milliarden Euro pro Jahr, Herr Poß. Der Investitionsbedarf ist aber eigentlich noch viel höher. Jetzt kommt der Juncker-Plan. Herr Juncker vertritt die grundsätzlich richtige Idee, dass wir mehr tun müssen, um Beschäftigung zu schaffen und die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, und wirbt für den Juncker-Plan mit 315 Milliarden Euro. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! Eine richtige Idee von Juncker! Neoliberal, Alex!) Wie aber kommen diese 315 Milliarden Euro zustande? Es werden gerade einmal 21 Milliarden Euro bereitgestellt. Dafür werden auch noch Gelder aus den EU-Töpfen für Forschung und Entwicklung abgezwackt. Das heißt, Bereiche, in die dringend investiert werden müsste, leiden unter dem Juncker-Finanzierungsplan. Man glaubt, mit einem komischen Hebelmechanismus auf 315 Milliarden Euro zu kommen. Das ist Voodoo-Ökonomie und hat mit wirtschaftlicher Vernunft nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Viel schlimmer ist aber: Diese 315 Milliarden Euro erstrecken sich über drei Jahre. Wir reden also über etwas mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. Mit etwas mehr als 100 Milliarden Euro für ganz Europa kann man aber bei weitem nicht der Probleme Herr werden, über die wir reden. Sie haben Südeuropa angesprochen, Herr Poß. Wir als Linke sagen schon seit Jahren: Wir brauchen einen -Marshallplan für Europa. Dafür reichen die 315 Milliarden Euro in drei Jahren nicht aus. Wir brauchen 500 Milliarden Euro pro Jahr an öffentlichen Investitionen. Deshalb können wir als Linke dem Juncker-Plan nicht zustimmen; denn er ist tatsächlich keine Lösung. Es werden wieder Luftschlösser gebaut, die Probleme werden nur vergrößert, und bei den Menschen werden Hoffnungen geweckt, die nicht erfüllt werden können. Dann kommt auch noch hinzu, dass mit dem Juncker-Plan ÖPP-Projekte unterstützt werden sollen. (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Super!) Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es kann doch wohl nicht sein, dass wir gerade die Projekte wieder einmal unterstützen, bei denen am Schluss Gewinne, die erwirtschaftet werden, bei den Privaten ankommen, aber bei Verlusten der Steuerzahler wieder herhalten muss. Haben wir nicht aus der Finanz- und Wirtschaftskrise gelernt, dass es nicht sein kann, die Verluste dem Staat aufzubürden? Wenn es lukrative Geschäfte gibt, dann soll sie der Staat finanzieren. Die Zinsen der Europäischen Zentralbank sind so niedrig, dass das auch ohne Weiteres gehen würde. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe erwähnt – das ist der Vorschlag der Linken –, dass wir 500 Milliarden Euro im Jahr investieren sollten. Mit diesem Geld sollte aber ein sozial-ökologisches Wachstum finanziert werden. Es kann nicht sein, dass zusätzliche Flughäfen oder neue Kernkraftwerke finanziert werden. Wir brauchen tatsächlich sinnvolle Investitionen in die Zukunft. Wir glauben auch, dass das durch die öffentlichen Haushalte finanziert werden kann. Dazu brauchen wir auch mehr Steuergerechtigkeit. Wir glauben, dass wir die Konzerne in Europa und auch die Superreichen zur Finanzierung der Projekte stärker besteuern müssen. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen eine Vermögensabgabe, ein gerechteres Steuersystem, wir brauchen den Kampf gegen Steueroasen, wir brauchen eine Abkehr von der Politik der Niedriglöhne und eine Abkehr vom Stabilitäts- und Wachstumspakt. Diese Dinge gehören eigentlich auf den Müllhaufen der Geschichte. Wir brauchen endlich eine vernünftige Investitionspolitik, deren Vorreiter Deutschland sein müsste. Alleine in Deutschland bräuchten wir Mehrinvestitionen in Höhe von 100 Milliarden Euro im Jahr. Diese 10 Milliarden Euro plus 5 Milliarden Euro sind deutlich zu wenig. Ich wiederhole gerne, was ich gestern gesagt habe: Reden Sie mit den Ländern, reden Sie mit den Kommunen. Schauen Sie sich die Infrastruktur in diesem Land an. Schauen Sie sich den Zustand der Brücken und Schulen an. Da besteht ein riesiger Investitionsbedarf. Wenn man da nichts tut, dann wird es sehr teuer für zukünftige Generationen. Deshalb wäre es klug, bei der jetzigen Niedrigzinspolitik zu investieren; das wäre für den Steuerzahler billiger, als jahrelang zu warten und dieses Land auf Verschleiß zu fahren. Europas Jugend braucht mehr Chancen. Gerade die Südländer hoffen auf Europa. Aber der Juncker-Plan gibt darauf leider keine Antwort. Unser Antrag ist sinnvoller. Deshalb stimmen Sie unserem Antrag zu, und lehnen Sie den Juncker-Plan ab! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Groden-Kranich für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Antrag kommt der Deutsche Bundestag einmal mehr seiner Verantwortung zur Mitgestaltung der europäischen Politik nach. Der Europäische Fonds für strategische Investitionen, kurz EFSI, schließt eine Finanzierungslücke in Europa, die nachhaltige und tragfähige Investitionen bisher behindert. Zwar werden in der EU mehr Patente angemeldet und Fachpublikationen veröffentlicht als beispielsweise in den USA, für die Umsetzung und Realisierung dieser Ideen steht jedoch nur ein Zehntel des Kapitals zur Verfügung. Dies ist ein Ergebnis der Expertenanhörung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union von Ende April. Dieses Defizit gehen wir mit dem EFSI an. Dazu nutzen wir das bei der Europäischen Investitionsbank, EIB, bereits vorhandene Know-how. Ich bin dem Präsidenten der EIB, Herrn Dr. Werner Hoyer, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bank für ihr Engagement bei diesem Projekt sehr dankbar; denn beim EFSI handelt es sich nicht um einen Fonds im klassischen Sinne, sondern quasi um ein Konto bei der EIB, das einen eigenkapitalersetzenden Charakter hat. Über den EFSI werden eben keine Subventionen ausgereicht, sondern es handelt sich um ein Kapitalmarktinstrument, mit dem Geld privater Anleger gesammelt und in Projekte mit erhöhtem und hohem Risiko investiert werden kann. Daher ist es zwingend, dass die Governance-Struktur des EFSI der besonderen Verantwortung der EIB Rechnung trägt. Es ist nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig, dass die Entscheidungen über Investitionen von den Expertinnen und Experten der EIB und nicht von einem anderen Gremium getroffen werden; (Beifall bei der CDU/CSU) denn auch hier gilt der Grundsatz: Wer das Risiko trägt, entscheidet auch. Ich bin überzeugt, dass sich in der gesamten EU innovative und förderfähige Projekte finden lassen. Die ersten wurden bereits gefunden, und die Finanzierung beginnt. Aus diesem Grund ist es auch unabdingbar, dass Investitionsentscheidungen losgelöst von regionalen Quoten oder ähnlichen Vorgaben getroffen werden. Alleinige Kriterien müssen Tragfähigkeit, Nachhaltigkeit und Zusätzlichkeit sein. Der EFSI ist ein Vehikel, mit dem wir eine kurzfristige Finanzierungslücke in Europa angehen wollen. Daher ist es auch ordnungspolitisch richtig, dass der Fonds befristet ist. Die vorgesehene Mid-Term Review beim mehrjährigen Finanzrahmen wird uns Gelegenheit geben, das bis dahin Erreichte zu bewerten und eine Neueinschätzung vorzunehmen. Der Staat ist eben nicht der bessere Unternehmer, und er ist auch nicht die bessere Bank. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit der Befristung verfolgen wir eine sehr klare und nachhaltige ordnungspolitische Linie. An diesem Punkt dürfen wir meiner Ansicht nach jedoch nicht stehen bleiben. Die Expertenanhörung im EU-Ausschuss hat auch sehr deutlich gemacht, dass wir uns des Themas Wagniskapitalfinanzierung zeitnah annehmen müssen. Während vor einiger Zeit das Thema Venture Capital von vielen noch sehr kritisch betrachtet wurde, ist dieses Finanzierungsinstrument heute deutlich positiver besetzt. Langfristig sollte die effektivere Nutzung von Wagniskapital europaweit gestärkt werden, um mittels geänderter Anlagerichtlinien für Kapitalsammelstellen wie zum Beispiel Lebensversicherungen und Pensionsfonds die Finanzierungslücke in Europa dauerhaft privatwirtschaftlich zu schließen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich noch auf drei Punkte eingehen: Erstens. Die Effektivität des EFSI wird in großem Maße davon abhängen, wie kleine und mittelständische innovative Unternehmen ihren Zugang zum Fonds finden. Wir brauchen folglich nicht nur einen einfachen, direkten und niederschwelligen Zugang zu dieser neuen Finanzierungsquelle; wir müssen auch aktiv für den EFSI und die Investitionsoffensive werben. Das beginnt in unseren Wahlkreisen und sollte auch Thema bei anstehenden Delegationsreisen von Mitgliedern des Hauses sein. Zweitens. Durch die Einrichtung des EFSI werden die Obergrenzen des mehrjährigen Finanzrahmens der EU nicht erhöht. Wir schaffen es also – so der Plan –, mit dem gleichen Mittelansatz, ergänzt um privates Kapital, zusätzliche Wachstumsimpulse in Zukunftsbranchen zu setzen. Um mit dem EFSI einen positiven Effekt zu erzielen, dürfen nur die Projekte kofinanziert werden, die es aufgrund ihrer Risikostruktur ohne den EFSI nicht gegeben hätte. Dritter und letzter Punkt. Die deutsche KfW – das hat Herr Poß schon gesagt – wird sich mit mindestens 8 Milliarden Euro beteiligen. Weitere nationale Förderbanken haben zwischenzeitlich Finanzierungszusagen im Umfang von über 33 Milliarden Euro gemacht. Dieses zusätzliche Engagement stärkt den Effekt des EFSI, stärkt Wachstum und Arbeitsplätze, stärkt den Wirtschafts- und Wissensstandort Europa. Abschließend noch ein Wort zum Antrag der Fraktion Die Linke. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Guter Antrag!) Es gibt keinen besseren Beweis dafür, dass Sie weder die Wirkungsweise noch die Systematik des EFSI auch nur ansatzweise verstanden haben, als Ihren heute vorliegenden Antrag. (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Gar nichts haben sie verstanden!) Schon allein Ihre Forderung nach einem staatlichen 500-Milliarden-Euro-Programm, finanziert durch Kredite – ausgerechnet der EZB – und durch Steuererhöhungen, zeigt, dass Ihnen weder das Europarecht noch eine echte Investitionstätigkeit sonderlich naheliegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen unterstützen wir die gute, richtige und zukunftsweisende Position der Bundesregierung auf europäischer Ebene. Er ist auch eine wichtige Positionsbestimmung gegenüber unseren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament – gerade im Hinblick auf die Trilogverhandlungen. Die EU-Kommission ist aufgerufen, alle noch ausstehenden Arbeiten, die für einen baldigen Start des EFSI notwendig sind, zügig abzuschließen. Dazu gehört für mich insbesondere die Erarbeitung von Grundsätzen zur beihilferechtskonformen Projektauswahl. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur mit einer klaren ordnungspolitischen Ausgestaltung des EFSI, wie sie der Antrag von CDU/CSU und SPD vorsieht, können wir diese Vorhaben zum Erfolg führen. Ich werbe daher um Zustimmung für unseren Antrag. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächster spricht der Kollege Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine riesengroße Koalition mit kleinem Mut. Das zeigt dieser Antrag, mit dem Sie sich nun endlich doch trauen, sich grundsätzlich hinter den Europäischen Fonds für strategische Investitionen zu stellen. Aber den Mut für die wirklich wichtigen Schritte, die von Europa verlangt werden, um die Krise anzugehen, um den Mut und die Hoffnung der Menschen wieder zu steigern, um gegen die Krise in den Ländern des Südens etwas zu machen, um den Zusammenhalt zu stärken, bringen Sie selber nicht auf. Mutig wäre es, zu sagen: Wir gehen voran. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Da hast du recht!) Stattdessen sagt Deutschland als Allererstes, Geld gebe man nicht. Bei den wirklich wichtigen strittigen Fragen, die im Trilog thematisiert werden, stellen Sie sich auf die Seite des Rates, der diesem Instrument skeptisch gegenübersteht und es eigentlich so schnell wie möglich wieder in der Versenkung verschwinden sehen möchte. Das wird sehr schön deutlich anhand der Befristung. Ich habe nichts dagegen, nach drei Jahren – vielleicht auch nach fünf Jahren; aber nach einer sinnvollen Zeit – zu schauen: Hat alles geklappt? Macht das noch Sinn? Aber die Befristung, die ja von Deutschland erst auf die Tagesordnung gebracht wurde, hat das Ziel, das Ganze nach drei Jahren abzuschließen und alles wieder in die Ecke zu packen. Bei der EFSF haben wir gesehen, wie gut das funktioniert hat. Die große integrationspolitische Chance, die hinter diesem Fonds steckt, nämlich ein Instrument zu schaffen, um in die richtigen Maßnahmen – in erneuerbare Energien, in Energieeffizienz, in Netze, in Hilfen für mittelständische Unternehmen – in Europa zu investieren, außerhalb der bisherigen Logik, die in Europa immer galt, dass ein Staat wieder so viel herausbekommen möchte, wie er eingezahlt hat – da gibt es ja immer die Brüsseler Nächte der langen Messer, in denen sich die Regierungen gegenseitig die Zahlenwerke an den Kopf werfen –, und mit der Idee, Instrumente zu entwickeln, mit denen Projekte von europäischem Mehrwert in diesen strategischen Feldern angegangen werden, wollen Sie in drei Jahren am besten wieder beerdigt sehen, weil es Ihnen nicht passt, was Ihr Parteikollege, Herr Juncker, geschaffen hat. Das andere, was so interessant und wirklich wichtig ist: Wir müssen doch versuchen, die Maßnahmen dieses Fonds zu binden, sowohl an die Ziele der Strategie „Europa 2020“ wie auch an so etwas wie Nachhaltigkeit. Das müsste doch auch im Sinne der Großen Koalition sein. Deswegen schlägt das EP vor, ein Nachhaltigkeits-Scoreboard für die Projekte einzuführen. Kein Wort dazu in Ihrem Antrag, auch nicht zu der Frage, inwieweit eigentlich die Strukturen des EFSI so ausgestaltet sein sollen, dass der, der zahlt, auch die Kontrolle hat. Ich glaube, ich würde im Wahlkreis von Gunther Krichbaum 100 Prozent der Stimmen bekommen, wenn ich in dem wunderschönen Dialekt, der dort gesprochen wird, sage: Wir haben bezahlt, also wollen wir auch die Kontrolle haben. (Zuruf des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU]) Dies ist eines der wichtigsten Anliegen des Europäischen Parlaments: Wenn schon auf unseren Haushalt zugegriffen wird, dann wollen wir auch die Kontrolle darüber haben, wie mit dem Geld umgegangen wird. Was aber sagt die Koalition zu diesem Thema? Nichts. (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Ich habe etwas dazu gesagt!) Das ist doch eigentlich etwas, wo es sich lohnen würde, gemeinsam parlamentarisch – EP und Bundestag Seite an Seite – den Rat davon zu überzeugen, hier auf die Verhandlungsposition des Europäischen Parlaments einzugehen. Leider findet das nicht statt. Deswegen ist es aus unserer Sicht eine wirklich gute Idee, dass man sagt: Die Mitglieder des Investitionsausschusses werden vom Europäischen Parlament bestätigt, damit Transparenz und Kontrolle gegeben sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grüne meinen, dass nun in Europa wirklich investiert werden muss. Es hilft nichts, wenn ein konkreter Vorschlag für Investitionen gemacht wird, zu sagen: Der Vorschlag ist blöd. – Wenn man will, dass investiert wird, dann muss man auch liefern, wo das geschehen soll, wenn man einen Investitionsvorschlag ablehnt. Deswegen machen wir Vorschläge, wie man es richtig ausgestalten kann, anstatt uns in die Ecke zu stellen und zu sagen: Wir wollen diese oder jene Investition nicht und warten lieber so lange, bis andere kommen, was wahrscheinlich nicht der Fall sein wird. – Daher halte ich die Position der Linksfraktion an dieser Stelle für nicht konsistent. Wir Grüne meinen, dass das Europäische Parlament in den Verhandlungen im Trilog seine Position stark vertreten soll. Wir erkennen an, dass sich die Koalition endlich grundsätzlich dazu durchgerungen hat, den EFSI zu unterstützen. Wir kritisieren, dass Sie nicht bereit sind, dafür zu sorgen, dass sich Deutschland an der ersten Stufe des EFSI mit einem starken Signal beteiligt. Deshalb kommen wir am Ende zu dem Schluss, dass wir uns enthalten. Wir wünschen dem EFSI trotzdem guten Erfolg. Danke sehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ronja Schmitt für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ronja Schmitt (Althengstett) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, meine erste Rede in diesem Hohen Hause zu einem so wichtigen europäischen Kernprojekt für den wirtschaftlichen Wiederaufschwung in Europa halten zu dürfen. Konrad Adenauer wusste bereits vor fast 70 Jahren: Europa ist nur möglich, wenn eine Gemeinschaft der europäischen Völker wiederhergestellt wird, in der jedes Volk seinen unersetzlichen, unvertretbaren Beitrag zur europäischen Wirtschaft und Kultur, zum abendländischen Denken, Dichten und Gestalten liefert. Dies ist keinesfalls durch die Schaffung der Europäischen Union bereits erledigt. Es bedarf einer permanenten und intensiven Anstrengung in allen europäischen Ländern, um dieses Ziel wirklich zu erreichen und auch zu erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen durch den Europäischen Investitionsfonds in den nächsten Jahren zusätzliche Mittel in Höhe von mindestens 315 Milliarden Euro mobilisiert werden. Die wirtschaftlichen Investitionen in Europa haben infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise stark gelitten. Aufgrund dieses Investitionsdefizits ist das Wachstum deutlich zurück-gegangen. Dies belastet insbesondere die Volkswirtschaften und Regionen, die ohnehin von der Krise stark betroffen sind. Die Große Koalition begrüßt daher die europäische Offensive ausdrücklich; denn sie schafft eben die Rahmenbedingungen dafür, dass in den Mitgliedstaaten risikoreichere und ebenso wirtschaftlich tragfähige Projekte finanziert werden können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Paket schafft damit die Voraussetzung für eine Steigerung der Investitionstätigkeit, für ein stärkeres und nachhaltiges Wirtschaftswachstum und somit auch für Beschäftigung und Wohlstand. Wichtig ist – das wurde bereits gesagt –, dass die wirtschaftliche Rentabilität ein zentraler Faktor der Projektauswahl bleibt, um Fehlallokationen und Subventionsprogramme für nicht zukunftsträchtige Industriezweige zu vermeiden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die zu fördernden Projekte müssen daher unabhängig und transparent identifiziert werden. Das Investitionspaket muss sicherstellen, dass solche Wirtschaftssektoren gefördert werden, die die Grundlage für nachhaltigen Wohlstand bilden. Schwerpunkte setzt die EU-Kommission daher richtigerweise bei Forschung und Innovation, bei der Verkehrsinfrastruktur, im Bereich der Breitband- und Energienetze sowie bei erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Um den Rückstand in der Wettbewerbsfähigkeit bis zum Jahr 2020 aufholen zu können, veranschlagt die -Europäische Investitionsbank etwa 600 Milliarden Euro pro Jahr. Davon entfallen auf den Ausbau im Energiebereich etwa 100 Milliarden bis 200 Milliarden Euro. Neue Investitionen müssen aber auch getätigt werden, um langfristige Risiken in Europa abzufedern, wie zum Beispiel die Importabhängigkeit von knappen Rohstoffen. Gerade aus deutscher Sicht soll das Paket daher finanzielle Mittel für eine europäische Energiewende mobilisieren. Lassen Sie mich das ganz klar sagen: Die Energiewende ist ein wichtiges und zentrales Ziel für uns alle und für die kommenden Generationen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Integration des europäischen Binnenmarktes macht zudem einen forcierten Ausbau transeuropäischer Infrastruktur nötig. Das gilt nicht nur im Verkehr, sondern auch mit Blick auf den digitalen Binnenmarkt und die europäischen Energienetze. Die grenzüberschreitenden Verbindungen im Rahmen der Energieunion sind von enormer, zentraler Wichtigkeit für Versorgungs-sicherheit und für Preisstabilität. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Strom muss jetzt endlich auch dorthin fließen können, wo er gebraucht wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Als Baden-Württembergerin sehe ich hier gerade im Grenzbereich zu Frankreich noch einen Nachhol- und Ausbaubedarf, zum Beispiel beim Ausbau der Grenzkuppelstellen. Dies wäre hilfreich für Deutschland als Exportnation, für meine Heimat Baden-Württemberg als zentrale Industrieregion in Europa und für meinen Wahlkreis Alb-Donau/Ulm mit einer ganzen Reihe herausragender Industriebetriebe. Der österreichische Kabarettist Werner Schneyder sagte einmal: Europa besteht aus Staaten, die sich nicht vorschreiben lassen wollen, was sie selbst beschlossen haben. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr gut!) Auch wenn man hin und wieder einmal den Eindruck haben könnte, dass er damit so ganz falsch nicht liegt, glaube ich doch, dass er im Kern unrecht hat. Wir haben es in der Hand, zu beweisen, dass die Europäische Union eine Rechtsgemeinschaft ist, die ihre Ziele und Beschlüsse ernst nimmt und den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur Wohlstand und Sicherheit bietet, sondern auch Vertrauen in das uns verbindende Recht schafft. Von daher bitte ich um Unterstützung unseres Antrags. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Liebe Kollegin Schmitt, Sie gehören erst seit einigen Monaten dem Deutschen Bundestag an. Das war Ihre erste Rede im Hohen Haus. Ich gratuliere Ihnen im Namen der Kolleginnen und Kollegen dazu herzlich und wünsche Ihnen viele weitere Reden im Deutschen Bundestag. (Beifall) Für die SPD spricht jetzt der Kollege Christian Petry. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katrin Albsteiger [CDU/CSU]) Christian Petry (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist eigentlich ein wichtiger Tag für die Europäische Union. Denn wir hier unterstützen letztlich das, was die Europäische Union an Investitionsoffensive an den Tag legt. Das war nicht immer so. Die schwarze Null stand oftmals auch in Europa über allem, was wir als Sozialdemokraten in diesem Punkt eigentlich anders machen wollten, nämlich weg von der Austerität hin zu mehr Investitionen, zu Beschäftigung und Wachstum. Beschäftigung und Wachstum sind doch die Ziele, die wir in Europa verfolgen müssen, damit die Menschen Europa akzeptieren. Nicht die Fiskalpolitik, nicht die Haushaltsstabilität – sie ist wichtig – sind es, über die sich die Menschen mit Europa identifizieren. Beschäftigung und Wachstum, Vermeidung der Jugendarbeitslosigkeit, Abbau der Jugendarbeitslosigkeit, Teilhabe an Wohlstand in Europa, das sind die Ziele, und das wollen wir auch mit dem Investitionsfonds erreichen. Deshalb unterstützen wir ihn. (Beifall bei der SPD) Herr Kollege Ulrich, mein Gedächtnis bezüglich 2008 funktioniert. Der Sozialdemokratie vorzuwerfen, sie sei Investitionsbremser, hat ja Joachim Poß wirklich fast aus den Socken gehoben. (Joachim Poß [SPD]: Ach nee! Nein, mit Sicherheit nicht! – Weitere Zurufe von der SPD) Das ist ja wirklich eine Verdrehung der Tatsachen. Das ist so ähnlich, als würde ich behaupten, die Linken wären nur für die Superreichen da. In Ihrem Antrag steht es jedoch umgekehrt. Aber wenn man sich die griechische Politik anschaut, stellt man fest: Dort macht Syriza ein gigantisches Steuerentlastungsprojekt für die Superreichen, indem sie die Steuerschuldstundungen verlängert hat. (Joachim Poß [SPD]: Nach Beratung durch die Linkspartei!) Das ist linke Politik, das ist das, woran man die Realität messen kann – nicht an dem, was im Antrag steht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Und von Fußball verstehen die auch nichts! – Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Der europäische Mehrwert, die schnelle Realisierbarkeit, vorliegendes Marktversagen im Startschuss, keine regionalen und sektoralen Vorgaben, das sind die Dinge, die wir in diesem Fonds eigentlich verwirklicht haben wollen. Und ich bin eigentlich ganz froh, Herr Kollege Sarrazin – da sind wir unterschiedlicher Auffassung –, dass eine weitgehend unabhängige Kommission die Projektauswahl mitgestaltet, aufarbeitet und letztlich trifft. Ich glaube, das ist auch sehr gut so, und dann kann es funktionieren. Kritisch zu sehen sind natürlich die entsprechenden Finanzinstrumentarien, die wir dort haben: das ehrgeizige Ziel einer Hebelung im Verhältnis von 1 : 15. 21 Milliarden Euro – 16 Milliarden Euro aus den Fonds, aus dem Haushalt und 5 Milliarden Euro über die Investitionsbank – sollen 315 Milliarden Euro stemmen – und dies mit privatem Kapital. Selbstverständlich ersetzt dies nicht öffentliche Mittel. Aber angesichts der Alternative, jetzt etwas zu tun, ist es doch mit Blick auf die Möglichkeit, nichts zu tun, ganz klar, dass wir diese Instrumentarien ausnutzen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist natürlich klar, dass wir die Dinge kritisch begleiten wollen. Der Risikotransfer soll abgesichert werden. Anschubfinanzierung oder die Übernahme von Zinsrisiken sind Modelle, bei denen wir sagen: Hier können wir privates Kapital sinnvoll einbinden. Es macht keinen Sinn, dass dieses Kapital außerhalb von Europa eingebunden wird. Vielmehr müssen wir in Europa zur Einbindung dieses Kapitals Projekte anbieten. Diese Instrumentarien müssen ausführlich diskutiert und dann angeboten werden. Die EIB, die Europäische Investitionsbank, ist hierfür ein guter Partner und hat darin Erfahrung. Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat mit diesen Instrumenten sehr große Erfahrung. Wir können darauf vertrauen, dass diese Institutionen ordentlich arbeiten werden; denn die Risiken – da gebe ich Ihnen recht – sind hoch. Man muss aufpassen, dass die öffentliche Hand dabei nicht über den Tisch gezogen wird. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Rief [CDU/CSU]) Alles in allem haben wir hiermit eine gute Maßnahme zur Stärkung von Investitionen in Europa. Sie ist in die geänderte Geldpolitik eingebunden. Sie ist in die Schaffung einer Kapitalmarktunion eingebunden und damit ein großer Wurf. Sie ist in die neue Ausrichtung des Europäischen Semesters eingebunden. Sie ist ein Schritt weg von der Austerität und von der reinen Fiskal- und Stabilitätspolitik hin zu einer ordentlichen Politik für mehr Beschäftigung und Wachstum, für ein Europa der Bürger, so wie wir uns dies wünschen und so wie es auch akzeptiert wird. In diesem Sinne werbe ich um Zustimmung. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Katrin Albsteiger, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Katrin Albsteiger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Investitionstätigkeit in Europa stark geschwächt. Der derzeitige Mangel an Investitionen behindert das europäische Wachstum und trifft vor allem die Länder, die durch die Krise sowieso schon – wir haben es gehört – stark angeschlagen sind. Die Gründe für die fehlenden Investitionen können vielschichtig sein: ein unsicheres Umfeld in dem einen oder anderen Land, eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, schlechte wirtschaftliche Rahmenbedingungen oder einfach ein schwerer oder gar kein Zugang zu Investoren und damit zu Kapital. Das liegt hauptsächlich daran, dass diese Investitionen teilweise mit sehr hohen Risiken verbunden sind. Hohe Risiken sind vor allem da gegeben, wo es sich um langfristige Investitionen handelt. Genau an dieser Stelle setzt der EFSI an. Das klingt jetzt alles relativ technisch und vielleicht für den einen oder anderen, der das möglicherweise zum ersten Mal hört, etwas kompliziert und unverständlich. Aber Fakt ist doch, dass ein Ausbleiben von Investitionen dazu führt, dass der europäische Wirtschaftsraum weiter geschwächt wird. Das Fehlen eines guten wirtschaftlichen Klimas führt zum Schluss wieder dazu, dass es weniger Arbeitsplätze gibt. Die geringe Zahl von Arbeitsplätzen und damit auch eine hohe Arbeitslosenquote, die wir jetzt schon in einigen Ländern haben, sind natürlich ein Albtraum. Stellen Sie sich vor: Die durchschnittliche Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 22 Prozent, und das ist nur der Durchschnittswert. Dabei ist noch gar nicht die Spitze berücksichtigt. Davon betroffen sind Länder wie Spanien oder Griechenland, in denen die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen bei über 50 Prozent liegt. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Deshalb fordern wir viel mehr!) Ja, diese Quote hat sich zugegebenermaßen schon verbessert. Es hat in diesem Bereich eine positive Entwicklung gegeben, aber die Quote ist immer noch unverhältnismäßig hoch, so hoch, wie es für eine junge Generation nicht sein darf. Wir ziehen – Kollege Poß hat es gesagt – eine verlorene Generation in Europa groß. Hier muss die Europäische Union reagieren. Das sind große Herausforderungen, die hier zu stemmen sind. Der Europäische Fonds für strategische Investitionen kann, sofern er sich in der Realität tatsächlich bewährt, ein Anfang auf dem Weg sein, die Investitionstätigkeit und damit den Wirtschaftsraum zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben uns die Frage gestellt: Was soll dieser Fonds bewirken? Klar, es geht um die Mobilisierung von privaten Geldern. Er soll aber vor allem über die Ländergrenzen hinweg in den Schlüsselbereichen, die für ganz Europa enorm wichtig sind, Kapital bereitstellen. Er soll für die Beseitigung von sektorspezifischen und sonstigen nichtfinanziellen und finanziellen Investitionshindernissen sorgen. Ja, es geht dabei um die Generierung von insgesamt 315 Milliarden Euro. Das ist ein Riesenbatzen Geld; das kann man nicht wegdiskutieren. Es ist sicherlich auch nicht genug für die gesamte Investitionstätigkeit in Europa, aber es ist ein Anfang. Wir brauchen es jetzt. So viel im Übrigen zum Thema „Befristung des EFSI“. Ich sehe es schon kommen. Wenn wir ihn nicht befristen würden, würde es dazu führen, dass wir wahrscheinlich noch in vier oder fünf Jahren darüber diskutieren, wie wir es genau machen. Wir brauchen die Investitionen aber jetzt. Eine Befristung mobilisiert auch eine schnelle Investitionstätigkeit, die wir so dringend brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zu begrüßen ist ebenfalls, dass der EFSI hauptsächlich für kleine und mittelständische Unternehmen gedacht ist, für den wichtigen Mittelstand, der in anderen Ländern Europas noch viel wichtiger ist als bei uns. Wir haben schon einen relativ stabilen Mittelstand, den wir selbstverständlich weiter fördern müssen, aber gerade im Süden Europas ist noch einiges zu tun. Ebenfalls zu begrüßen ist, dass der EFSI nicht, wie so viele andere EU-Maßnahmen, auf Zuschüsse setzt, sondern auf ein risikoabgesichertes Darlehen. Das heißt, die Gelder sollen auch wieder zurückgezahlt werden. Trotzdem ist es so – das kann ich mir zum Schluss nicht verkneifen –: Es gibt bei allem Guten auch einen kleinen Wermutstropfen, über den wir schon so oft gesprochen haben. Einige Gelder werden aus dem erfolgreichen Forschungsprogramm der Europäischen Union „Horizon 2020“ genommen. Ich glaube, man kann es lang und breit beklagen. Sicher an dieser Stelle ist: Wenn die 2,7 Milliarden Euro herausgenommen werden und in den Fonds gehen sollen, dann sollte doch bitte schön bei der Auswahl der Projekte darauf geachtet werden, dass dieses Geld zum Schluss wieder in der Forschung landet, wohin es nämlich gehört. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Frau Kollegin Albsteiger. – Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/4929 mit dem Titel „Dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen zum Erfolg verhelfen“, und zwar zur Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Antrag ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 5. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4932 mit dem Titel „Für ein öffentliches sozial-ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm in Europa“. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Thomas Nord, Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Beseitigung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland (Rüstungsaltlastenfinanzierungs-gesetz – RüstAltFG) Drucksache 18/4841 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinerlei Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Norbert Müller für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Krieg verursacht unermessliches Leid für Menschen, und Krieg hinterlässt eine riesige Menge an gefährlichem Müll. Seit dem 9. Mai 1945 stellt sich in Deutschland folgende Frage: Was soll mit den ganzen Weltkriegswaffen, Bomben und Granaten, passieren, und wer ist für deren Entsorgung verantwortlich? Die Bundesrepublik trägt aufgrund der Subjektidentität mit dem Deutschen Reich die Kosten der Entsorgung sogenannter reichseigener Munition, also Wehrmachtsmunition, die im heutigen Territorium der Bundesrepublik Deutschland verblieben ist. Der Bund muss pro Jahr etwa 30 Millionen Euro für deren Beseitigung aufbringen. Nun gibt es aufgrund des Verlaufs des Zweiten Weltkrieges aber nicht nur reichseigene, sondern auch eine ganze Menge alliierter Rüstungsaltlasten auf deutschem Staatsgebiet. Ich komme aus Ostbrandenburg. Als ich ein kleines Kind war, gab es immer die Belehrung, wenn wir im Wald spazieren gegangen sind: Hebe nichts auf, was nach Metall aussieht, es könnte explodieren. – Ostbrandenburg, das ist einer der Landstriche in Deutschland, der im April 1945 durch die dortigen unnötigen Kampfhandlungen der Wehrmacht am meisten verwüstet worden ist. Häufig sind es Fliegerbomben, die zu unser aller Leidwesen undetoniert in deutschem Boden liegen. Insgesamt haben die Alliierten etwa 1,3 Millionen Tonnen Fliegerbomben eingesetzt, um das Deutsche Reich zur Kapitulation zu bewegen. Davon sollen circa 250 000 nicht explodiert sein. Wir wissen nicht genau, wie viele Bomben noch in deutschem Boden liegen. Besonders betroffen sind die Bundesländer Berlin, Hamburg, Brandenburg und Niedersachsen. Wer die Medien aufmerksam verfolgt hat, hat mitbekommen, dass in Hannover erst Anfang der Woche aufgrund der Entschärfung einer 250-Kilo-Weltkriegsbombe 31 000 Menschen ihre Wohnquartiere verlassen mussten – eine der größten Evakuierungen seit 1945. Die anfallenden Kosten für die Entsorgung alliierter Munition müssen die betroffenen Länder und die Kommunen seit nunmehr 70 Jahren selbst tragen. Seit 1990 hat die Erkundung, Entschärfung und Entsorgung alliierter Rüstungsaltlasten, insbesondere von Fliegerbomben, alleine mein Land Brandenburg etwa 220 Millionen Euro gekostet, die anderswo dringender gebraucht werden. Die anderen betroffenen Bundesländer stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Für die Betroffenen ist völlig klar: Es gilt das Verursacherprinzip, und Verursacher des Zweiten Weltkriegs sind nicht die Alliierten, auch nicht die Kommunen oder die Länder, sondern das Deutsche Reich und in Folge und Verantwortung die Bundesrepublik Deutschland, die dieses Erbe nicht ausschlagen kann, sondern annehmen muss. Mit der Beschlussfassung über den Entwurf eines Gesetzes über die Finanzierung der Beseitigung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland hat der Bundesrat zuletzt am 11. Juli 2014, und damit insgesamt zum sechsten Mal nach 1992, 1997, 2001, 2003 und 2011, die Bundesrepublik Deutschland in die Pflicht nehmen wollen. Was ist seit 1992 mit diesem inzwischen nahezu einstimmig getroffenen Beschluss des Bundesrates passiert? Nichts! Es ist jedes Mal gar nichts passiert. Jede Bundesregierung seit Helmut Kohl hat dieses Thema abgewürgt, ausgesessen oder schlichtweg ignoriert. Daran sind nahezu alle Parteien in diesem Haus beteiligt. Die Sozialdemokraten waren bei Abstimmungen im Bundestag 1993 und 1998 als Oppositionsfraktionen dafür. Jürgen Trittin – er war grüner Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten in Niedersachsen, er war sogar Beauftragter des Bundesrates für die Rüstungsaltlastenfinanzierung – hat als Minister im Kabinett Gerhard Schröder gegen sein eigenes Gesetz gestimmt. Die CDU war zeitversetzt adäquat verwirrt: Sie war 1993 und 1998 im Bund unter Bundeskanzler Kohl dagegen, dass sich der Bund an der Kostenfinanzierung beteiligt, in der Opposition 2004 dann aber dafür. Seit der Großen Koalition unter Kanzlerin Merkel war man sich einig, dass man am besten gar nicht mehr über das Thema spricht. Seit dem letzten großen Anlauf 2011 warten die Bundesländer nun darauf, dass die Große Koalition das Gesetz in den Bundestag einbringt. Die Rechnung der Bundesregierung scheint klar – das ist Ihrem Bericht zu entnehmen –: Je mehr Zeit vergeht, umso mehr Munition wird in der Zwischenzeit auf Kosten der Kommunen und der Länder entsorgt. Wo die schwarze Null den Haushalt regiert, müssen die berechtigten Interessen der eigenen Landesregierung hintanstehen. Es waren Landesregierungen aus CDU, aus SPD, häufig auch aus FDP, Grünen und Linken, die dem Gesetz zugestimmt oder es in den Bundesrat eingebracht haben. Das Aussitzen hier im Bund ist verdammt gefährlich. Nach über 70 Jahren verwittern langsam die Kunststoff- und Zellulosesicherungen der chemischen Langzeitzünder von Fliegerbomben. Hierdurch wird eine Entschärfung massiv erschwert und lebensgefährlich. Selbst sogenannte Spontandetonationen ohne jeglichen äußeren Einfluss in besiedelten Gebieten sind nicht auszuschließen. Dass es in der Vergangenheit Spontandetonationen nur in unbesiedelten Gebieten gegeben hat, dass kaum jemand zu Schaden gekommen ist, dass es nur Sachschäden gab, das grenzt – und ich bin nicht besonders gläubig – fast an ein Wunder. Wir können nur hoffen, dass es auch in Zukunft so ist; aber man darf eben nicht nur hoffen, sondern muss die Beseitigung von Rüstungsaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere die systematische Suche nach Fliegerbomben und deren Entschärfung, auch vorantreiben. (Beifall bei der LINKEN) Dabei kann man die Länder nicht mehr im Regen stehen lassen. Da muss der Bund in die Finanzierung mit eintreten; er ist hier auch in der Pflicht. Die Bundesregierung gefährdet das Leben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kampfmittelbeseitigungsdienste sowie von Bürgerinnen und Bürgern, die über Blindgängern wohnen oder arbeiten. Kollege Uwe Feiler – Sie sind anwesend –, ich habe Ihr Interview im Rundfunk Berlin-Brandenburg gesehen. Ich finde es, ehrlich gesagt, der Sache völlig unangemessen, zu argumentieren, man könne ja im Rahmen der Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen dann irgendwann mal darüber reden, 2018/2019. Nein, wir brauchen keine Regelung 2018/2019, wir brauchen jetzt eine Regelung. Die Länder warten seit 25 Jahren darauf und haben sechsmal im Bundesrat dafür gestimmt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben uns als Linksfraktion des vom Bundesrat erteilten Auftrags an die Bundesregierung angenommen. Wir haben lange genug gewartet, dass die Bundesregierung, die Koalition selbst aktiv wird aufgrund des Beschlusses des Bundesrates, und bringen einen entsprechenden Gesetzentwurf nun selbst in den Deutschen Bundestag ein. Damit haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten der SPD und der Union – eingeladen sind auch die Kolleginnen und Kollegen der Grünen –, die Möglichkeit, den auch von Ihren Landesregierungen getragenen Beschluss zum Gesetz zu erheben und den Bund endlich in die Verantwortung zu nehmen und an der Finanzierung der Beseitigung von Rüstungsaltlasten zu beteiligen. Zeit wird es. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege Klaus-Dieter Gröhler. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Mai 1945, also in den 70 Jahren seit Kriegsende, sind in Berlin circa 1,8 Millionen Sprengkörper aufgefunden und unschädlich gemacht worden. Nach Schätzungen der Berliner Landesregierung sind etwa noch 3 000 Blindgänger im Boden der Bundeshauptstadt vorhanden. Allein im letzten Jahr wurden in Berlin 54 Tonnen Bomben, Granaten und Munition aufgefunden und entschärft. In Niedersachsen sind es jährlich zwischen 50 und 90 Tonnen, und in dem Bundesland mit der größten Munitionsbelastung, nämlich Brandenburg, sind im vorletzten Jahr 270 Tonnen Altmunition geborgen worden. – So weit die Darstellung der Istsituation, die hier im Haus sicherlich von keiner Fraktion bestritten wird. Ich gebe gerne zu: Das ist eine große Herausforderung. Da, Herr Kollege Müller, sind wir uns einig. Wir kommen nur zu völlig unterschiedlichen Bewertungen in der Frage, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen müssen. Sie kommen zu falschen; denn Sie haben hier eben den Eindruck vermittelt, dass eine große Gefahr für die Bevölkerung dadurch entstehen würde, dass der Bund in dieser Frage völlig untätig sei, und haben das mit einem Rundumschlag im Hinblick auf zahlreiche Bundesregierungen verbunden. Genau das ist falsch; denn die Zahlen, die ich Ihnen eben geschildert habe, zur Munitionsbergung in den unterschiedlichen Bundesländern, zeigen ja, dass Munition aufgefunden, geborgen und unschädlich gemacht wird. Bitte vermitteln Sie doch nicht gegenüber der Bevölkerung den Eindruck: Hier besteht eine ganz große Gefahr, nur weil die Bundesregierung untätig ist. – Das ist so nicht richtig. Sie schreiben in Ihrem Gesetzesentwurf – ich darf zitieren –: … eine angemessene Lastenteilung zwischen Bund und Ländern bei der Finanzierung von Maßnahmen zur Beseitigung von Rüstungsaltlasten … zu regeln. Dabei übersehen Sie zum einen, dass es eine solche Lastenteilung bereits gibt. Zum anderen machen Sie den Fehler, in Ihrem Gesetzentwurf zu fordern, dass der Bund in Zukunft allein die Kosten übernehmen soll. Die Lastenteilung existiert: Allein 2013 hat der Bund den Ländern 26,3 Millionen Euro für die Beseitigung von Kampfmitteln erstattet. Im aktuellen Haushaltsplan, für 2015, sind erneut 25 Millionen Euro vorgesehen, und ich bin sicher, dass es auch im Haushaltsplan 2016 wieder so sein wird. Es gibt eine ganz klare Teilung in der Finanzverantwortung zwischen Bund und Ländern, die auch völlig logisch ist: Der Bund als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches kommt für die Finanzierung der Beseitigung deutscher Kampfmittel auf und für die Muni-tionsbergung auf bundeseigenen Grundstücken. Die Länder wiederum zahlen die Beseitigung von Munition der ehemaligen Alliierten auf den übrigen Flächen im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Ein brandenburgischer Innenminister, meine Damen und Herren, hat in diesem Zusammenhang einmal richtig bemerkt – ich darf zitieren –: Die Folgen des Zweiten Weltkrieges sind ein gemeinsames Erbe. Ihre Beseitigung ist damit eine gesamtstaatliche Aufgabe und nicht die Sache einzelner Länder. Genau das stimmt: eine gesamtstaatliche Aufgabe, von Bund und Ländern; übrigens wird das seit Jahrzehnten so gehandhabt. Dieser Satz stammt nicht vom heutigen brandenburgischen Innenminister, sondern ist elf Jahre alt und stammt von Jörg Schönbohm. Er wehrte sich damals dagegen, dass der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel jegliche Bundesbeteiligung ab 2006 streichen und diese Aufgabe komplett den Bundesländern aufbürden wollte. Dazu ist es nicht gekommen, und dafür besteht auch keine Veranlassung. Ich plädiere daher dafür, dass wir die über Jahrzehnte geübte Praxis der Lastenteilung der Verantwortung auch weiterhin beibehalten. Die Bundesrepublik Deutschland besteht aus 16 sehr selbstbewussten Bundesländern, die selbst auch eine Staatsqualität haben. Diese Staatsqualität bedeutet nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten – auch finanzielle Pflichten. Die Bundesländer sind ja keine nachgeordneten Verwaltungseinrichtungen des Bundes, die einfach sagen können, dass sie zusätzliches Geld brauchen, sondern sie haben eine eigene Verantwortung. Ich kann inzwischen nicht mehr hören, dass es ständig heißt: Das schaffen die Länder nicht, hier sind die Länder überfordert, sie brauchen hier vom Bund mehr Geld, da könnte der Bund noch eine Aufgabe übernehmen. – So funktioniert die Argumentation nicht, weil auch die Länder unserer Bundesrepublik von der sehr guten wirtschaftlichen Lage profitieren. Sie nehmen jährlich 10 Milliarden Euro Steuern mehr ein, und deshalb kann man nicht immer neue Forderungen an den Bund stellen. Darüber hinaus gibt es eine beispiellose Mittelumverteilung vom Bund an die Länder. Gerade heute, am Tag des Nachtragshaushalts, darf ich das noch einmal in Erinnerung rufen: 125 Milliarden Euro gehen im Zeitraum von 2010 bis 2018 zusätzlich vom Bund an die Länder, und ich glaube, ich darf einmal sagen: Noch nie hat eine Bundesrepublik Deutschland so kommunal- und länderfreundlich gehandelt wie unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir dafür ein Stückweit bestraft werden, nach der Devise: Der Bund gibt so viel, jetzt kann er noch mehr geben. Ich glaube aber, diese Argumentation ist falsch, und wir sollten sie auch dringend unterlassen, weil der Bund nicht die Kuh ist, die man ständig melken kann. Lassen Sie mich Ihnen noch eine letzte Zahl nennen: Das Land Brandenburg hat seit seiner Wiederherstellung als Bundesland vor 25 Jahren 117 Millionen Euro vom Bund für die Beseitigung von Munition und Bomben erhalten. (Ulrich Freese [SPD]: Und 200 Millionen Euro selber gezahlt!) Es gibt also eine ganz klare Lastenteilung, und an der gibt es nichts zu rütteln. Ich stimme mit meinem Kollegen Feiler darin überein, dass man im Rahmen von Bund-Länder-Reformbestrebungen im Bereich der Finanzen über diese Frage nachdenken kann. Heute gibt es in diesem Punkt aber nichts zu entscheiden – und schon gar nicht auf der Grundlage Ihres Gesetzentwurfs. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Dr. Tobias Lindner vom Bündnis 90/Die Grünen spricht als Nächster. (Henning Otte [CDU/CSU]: Da sind wir jetzt einmal gespannt!) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Gröhler, ich glaube, wenn sich ein Thema wenig eignet, um über die Frage, ob Anträge oder Gesetzentwürfe der Linksfraktion in diesem Haus immer sinnvoll sind oder nicht, und über die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu streiten, die ja notwendig ist – wir alle in diesem Haus sehen ja die Notwendigkeit –, dann sind es die Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkrieges, die immer noch in unserer Erde schlummern und tagtäglich eine Gefahr in sich bergen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir haben vor wenigen Wochen den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges begangen und der Opfer gedacht. Wir haben es heute immer noch mit Blindgängern zu tun, die im Boden liegen, und immer noch kommt es in Deutschland nahezu jährlich zu Todes-opfern, wenn bei Bauarbeiten ein Blindgänger nicht rechtzeitig entdeckt wird. Lassen Sie mich eines sagen: Die Situation wird nicht dadurch besser, dass man abwartet. Der Kollege Müller hat zu Recht den Zustand vieler Zünder erwähnt. Ich will hier jetzt gar nicht zu technisch werden, aber ich will Ihnen ausdrücklich zustimmen, Herr Kollege: Die Gefahr wird nicht dadurch geringer, dass wir hier zuwarten. Es ist auch schon daran erinnert worden, dass es sechs Bundesratsinitiativen mit unterschiedlichen Mehrheiten in diesem Hohen Hause gab. Herr Kollege Müller, ich sehe es Ihnen nach, dass Sie von Ihren Fraktionskollegen im Haushaltsausschuss noch nicht darüber informiert wurden: Auch meine Fraktion hat in den letzten Jahren die Notwendigkeit gesehen, dass der Bund tätig wird. Bei den Haushaltsberatungen haben wir in den letzten Jahren immer 10 Millionen Euro in den Bundeshaushalt einstellen wollen, um einen Anfang zu machen, damit die Länder eine größere Unterstützung durch den Bund haben als bisher, wenn es darum geht, Munition zu beseitigen und Gefahren zu vermeiden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Eine gesetzliche Regelung wäre gut gewesen!) – Herr Kollege, wir können über eine gesetzliche Regelung sehr gerne reden. Aber Sie werden mir, glaube ich, nicht widersprechen, dass es nicht nur um eine gesetzliche Regelung, sondern nun mal auch um finanzielle Mittel geht. Ich will für meine Fraktion sagen: Es geht hier nicht um ein Schwarz-Weiß-Denken in den Beratungen, die wir vor uns haben, sondern um die Frage, wie wir zu einer gerechten Lastenverteilung kommen: Müssen wir da nachjustieren? Kann man hier auch über ein Sonderprogramm des Bundes etwas erreichen? Ich will mich hier gar nicht auf eine rechtliche Exegese einlassen, ob die Lasten hundertprozentig bei den Ländern, hundertprozentig beim Bund liegen sollten oder – wie auch immer – geteilt werden sollten. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieses Thema viel zu ernst. Lassen Sie mich, wenn wir beim Thema Geld sind, eines sagen. Wir haben über sechs Bundesratsinitiativen gesprochen. Die Finanzverhältnisse gerade des Bundes haben sich seit 1992, als es die erste Initiative gab, deutlich zum Besseren verändert. Wir haben gerade erst vor zwei Stunden hier in diesem Hohen Hause über einen Nachtragshaushalt gesprochen. Die Große Koalition feiert sich regelmäßig für die schwarze Null. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Und das zu Recht!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem Feiern der schwarzen Null und des Nachtragshaushalts: Wir reden hier über überschaubare Beträge. Noch gestern haben wir im Haushaltsausschuss in der Bereinigungssitzung viel größere Beträge verändert. Wenn wir jetzt darüber reden, ob wir zu den 25 Millionen Euro, die der Bund jährlich für die Beseitigung reichseigener Munition bereitstellt, vielleicht die gleiche Summe oder eine Summe ähnlicher Größenordnung dazulegen, sollte uns klar sein: Das ist für den Bund leistbar und machbar, und es mindert Gefahren in der Zukunft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Nächster Punkt. Herr Kollege Gröhler, ich bin durchaus ein Anhänger der These, dass der Föderalismus in Deutschland große Vorteile bringt: Die Länder können und sollen eigene Verantwortung übernehmen und eigene Antworten geben. Aber was mir noch niemand in diesem Hause erklären konnte, ist, wie man ein Bundesland dafür verantwortlich machen kann, dass es im Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger stark von Bomben der Alliierten getroffen worden ist. Ich bin der Meinung, wir können die Bundesländer nicht dafür verantwortlich machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir können beispielsweise Brandenburg nicht dafür in die Verantwortung ziehen, dass es im Zweiten Weltkrieg besonders stark getroffen wurde. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte meine Fraktion, dass der Bund hier mehr Verantwortung übernimmt als bisher. Ich glaube – damit will ich zum Schluss kommen –, der Gesetzentwurf der Linksfraktion ist ein guter Anlass, in den Ausschüssen darüber nachzudenken, wie wir hier zu Lösungen kommen können. Ich habe auch erwähnt: Meine Fraktion war in der Vergangenheit offen für dieses Thema und hat eigene Vorschläge gemacht. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir hier über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg eine pragmatische Lösung finden könnten, im Sinne der Menschen, die immer noch unter den Gefahren dieser Munition leiden. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehört die Beseitigung sogenannter Rüstungsaltlasten, zum Beispiel Fliegerbomben – meine Kollegen haben es schon angeführt –, nach wie vor zu den großen Problemen, die die Länder und der Bund zu bewältigen haben. Gefahren für Mensch und Umwelt lauern überall. Sie schlagen sich in Form von Bodenvergiftungen, Gewässerverschmutzungen und Explosionsgefahren nieder. 70 Jahre alte Fliegerbomben und Explosionsmaterialien sind einem chemischen Veränderungsprozess ausgeliefert, der Grundwasserverunreinigungen und Schlimmeres befürchten lässt. Diese Rüstungsaltlasten sind Hinterlassenschaften zum einen aus Kriegen, zum anderen von Rüstungsindustrie und alten Truppenübungsplätzen. Gemeinsam ist beiden Ursachen jedoch der erhebliche Aufwand, der mit der Beseitigung der Altlasten verbunden ist. Es ist in der Tat kein Geheimnis, dass die Länder in vielen Fällen finanziell überfordert sind und wichtige Sanierungsaufgaben unerfüllt bleiben. Die Gefahren für Umwelt und Mensch bleiben demgemäß bestehen. Ich bin mir sicher, dass jeder von uns gut nachvollziehen kann, dass diese Gefährdung bedrückend ist, insbesondere für Regionen, die zu den – ich sage das durchaus in Gänsefüßchen – beliebten Zielen während der Zeit des Zweiten Weltkrieges gehört haben. Ich bin mir auch darüber im Klaren, dass hieraus nicht nur gesundheitliche, menschliche und soziale, sondern auch wirtschaftliche Nachteile resultieren können, zum Beispiel, wenn Investoren sich zurückziehen, weil sie die finanziellen Bedingungen, unter denen sie arbeiten sollen, nicht kalkulieren können. Vor diesem Hintergrund sind die beiden letzten Bundesratsinitiativen der Länder Brandenburg und Niedersachsen – sie wurden eben schon angesprochen – aus den Jahren 2011 und 2014 zu sehen, die sich die Fraktion Die Linke zu eigen gemacht hat. Diese Bestrebungen der beiden Bundesländer sind dem Grunde nach durchaus nachvollziehbar. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bereits seit 1992 wird nahezu in jeder Legislaturperiode fast ein und derselbe Gesetzentwurf vorgelegt. Ohne die Bedeutung zu verkennen – ich hoffe, das habe ich deutlich gemacht –, ist meines Erachtens eine Lösung in Form des von den Linken vorgelegten -Entwurfs kaum machbar. Mit dem Gesetzentwurf wird beabsichtigt, die Finanzierung der Maßnahmen zur Beseitigung von Rüstungsaltlasten grundlegend und einseitig zulasten des Bundes zu verändern. Nach den §§ 1, 2, 3 und 5 des Entwurfs soll der Bund auch die Kosten für nicht weltkriegsbezogene Lasten tragen. Dagegen sprechen meines Erachtens eindeutig verfassungsrechtliche Aspekte. In Artikel 104 a des Grundgesetzes ist das sogenannte Konnexitätsprinzip verankert, das besagt: Die Ausgabenlast folgt der Aufgabenlast. Mit anderen Worten: Hat das Land eine Aufgabe, muss es diese finanzieren; hat der Bund eine Aufgabe, muss jener sie finanzieren. Das Grundgesetz lässt Abweichungen nur dort zu, wo ausdrücklich etwas anderes geregelt ist. Der Gesetzentwurf bezieht sich im Kern auf Aufgaben, die der Gefahren-abwehr zuzurechnen sind. Das sind Bodenschutzmaßnahmen und Sanierungsbestrebungen – alles Dinge, die nach unserer verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung Länderaufgaben sind. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will man vom Konnexitätsgrundsatz in Artikel 104 a Grundgesetz abweichen. Das wiederum ist aber nur zulässig, wenn es dafür eine Norm gibt. Die Norm, um die es hier geht, ist Artikel 120 Grundgesetz, wonach dem Bund die Befugnis eingeräumt wird, Regelungen über Aufwendungen für innere und äußere Kriegsfolgelasten zu treffen. In diesem Zusammenhang gibt es eine einschlägige, aus Sicht von einigen von Ihnen leider immer noch einschlägige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach dem Gesetzgeber jede Befugnis in diesem Bereich nur dann zukommt, wenn es um Kriegsfolgelasten geht, die ausschließlich durch den Zweiten Weltkrieg verursacht worden sind. Dass der Krieg auch eine Ursache für eine Last ist, reicht nach unserer aktuellen Verfassungsgrundlage nicht aus. Das ist nun der Punkt in dem Gesetzentwurf: Rüstungsaltlasten sollen auch Grundstücke sein, auf denen nach dem 30. Januar 1933 mit rüstungsspezifischen Stoffen oder Kampfmitteln umgegangen worden ist. -Außerdem ist § 3 zu erwähnen, in dem auch Sanierungsmaßnahmen als in die Zukunft gerichtetes Handeln -allein dem Bund zur Last gelegt werden sollen. Die Kosten für diese Sanierungsmaßnahmen sollen dem Bund in Rechnung gestellt werden. Das geht so leider nicht; denn die im Gesetzentwurf genannten Zielsetzungen sind größtenteils der Gefahrenabwehr zuzuordnen und damit Aufgabe der Länder. Im Übrigen trägt der Bund – der Kollege von der CDU sprach das eben schon an – nach der Staats- und Verwaltungspraxis, die wir aktuell haben, bereits einen sehr hohen Anteil an der Finanzierung der Beseitigung der Altlasten. Er finanziert die Maßnahmen der Gefahrenbeseitigung auf nicht bundeseigenen Grundstücken, sofern sie durch reichseigene Kampfmittel verursacht worden sind. Zudem übernimmt er auf seinen Grundstücken natürlich ebenso seit 50 Jahren die Kosten für die Beseitigung der entsprechenden Kriegsfolgelasten. Er wendet ferner – die Summe wurde eben schon angesprochen – circa 25 Millionen Euro pro Jahr auf, um auf nicht bundeseigenen Grundstücken Gefahren zu beseitigen. Sie sehen: Die finanziellen Mittel, die der Bund zur Verfügung gestellt hat und stellt, sind nicht unerheblich. Aber – das ist genau der Punkt, über den wir hier heute zu diskutieren haben – welche Mittel benötigen die Länder, um den ihnen obliegenden Anteil an dieser – ich zitiere – gesamtstaatlichen Aufgabe endgültig erfüllen zu können? Im Gesetzentwurf wird davon ausgegangen, dass sich die Kosten mehr als verdoppeln; genauere Berechnungen fehlen. Da muss ich als Haushälter natürlich sagen: Das ist keine Berechnungsgrundlage. Das ist kein Punkt, den man ausgehend vom Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Richtschnur seines Handelns machen könnte. Denn – und das ist auch die Erfahrung der Staatspraxis – Diskussionen bezüglich des effizienten Mitteleinsatzes sind in der Regel immer da die Folge, wo ich eine Alleinfinanzierung des einen und die Durchführung des anderen habe. Ich komme zu dem Ergebnis, dass der vorliegende Gesetzentwurf in seiner bisherigen Form keine Chance hat, die angesprochenen Probleme nachhaltig zu beseitigen. Nichtsdestotrotz besteht das Gesamtproblem. Wie ich eingangs angesichts der Gefährdungslage für die betroffenen Regionen ausgeführt habe, gibt es heute erhebliche Aufgaben, bei denen mir bewusst ist, dass die Länder sie nicht oder nicht hinreichend immer werden erfüllen können. Von daher bleibt uns im Hinblick auf das aktuelle Gesetzgebungsvorhaben und die aktuelle Diskussion nur die Frage: Gibt es nicht einen neuen Lösungsansatz beispielsweise in der Form eines Bundeskonversionsprogramms? Gibt es nicht andere Lösungsansätze? Darüber, ob diese geeignet sind oder nicht, Herr Kollege Lindner, können andere streiten. Darüber haben die Länder dann im Rahmen der Bund-Länder-Finanzbeziehung zu beraten. Leider muss ich ausführen: All diese wichtigen und richtigen zukunftsorientierten Ansätze werden leider mit der jetzigen Form des Gesetzentwurfs nicht zu erreichen sein. Vielmehr wird es weiterer Argumente und weiterer Auseinandersetzungen bedürfen. Vielleicht können sie an dieser Stelle im weiteren Verlauf des Verfahrens geführt werden. Vielleicht müssen sie aber auch an anderer Stelle geführt werden. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege Alois Karl. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Karl (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Vorbereitung der heutigen Diskussion über den Antrag der Linken ist man durchaus geneigt, eine gewisse Zeitspanne zurückzuschauen; Herr Dr. Lindner, Sie hatten das angesprochen. Es ist noch nicht lange her, dass wir hier am 8. Mai 2015 in einer wirklich sehr bemerkenswerten Feststunde dem 70. Jahrestag der Beendung des Zweiten Weltkrieges und der totalen Kapitulation und Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus gedacht haben. 70 Jahre haben manches Leid nicht gelindert. Dies betrifft insbesondere den Tod von Angehörigen. Der persönliche Schmerz wirkt genauso nach wie das Thema, das Sie ansprechen, nämlich dass Altlasten in der Tat 70 Jahre überdauert haben. In den Bundesländern ist das ganz gewiss verschieden verteilt. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sind möglicherweise stärker -belastet als viele andere Regionen; das gilt insbesondere für die Stadt Oranienburg. Man geht davon aus, dass im Zweiten Weltkrieg Millionen Bomben über Deutschland abgeschmissen worden sind. Seriöse Berichterstattungen sagen, jede zehnte Bombe sei nicht explodiert. Das hieße, dass Hunderttausende nicht explodiert sind und im Laufe der Jahre und Jahrzehnte auch teilweise entschärft wurden. Wir gehen davon aus, dass seit Ende des Zweiten Weltkrieges etwa 300 000 Bomben entschärft worden sind. Der Innenminister Bayerns hat mir mitgeteilt, 180 000 Tonnen an Bomben und Munition seien im vorletzten Jahr in Bayern entschärft worden. Die anderen Bundesländer – wir haben das gehört – haben entsprechende Zahlen vorzuweisen. Ich weiß ein wenig, wovon ich spreche, da ich selber kommunalpolitisch tätig war und meine Stadt zum Ende des Zweiten Weltkrieges, 14 Tage vor dem 8. Mai, total zerstört worden war. 92 Prozent der Innenstadt wurden zerstört. 50 Jahre später gab es bei einem Schulhausneubau in der Tat die Probleme, von denen wir heute gehört haben. Wir mussten damals Bombenkataster einsehen und Unterlagen der amerikanischen Armee anfordern. Der Kampfmittelräumdienst hat damals eine schwierige Aufgabe gehabt. Ich möchte an dieser Stelle auch einmal denen unseren herzlichen Dank aussprechen, die fast tagtäglich – auch unter Einsatz ihres Lebens – diese schwierigsten Aufgaben erfüllen, damit wir Stadtentwicklung und Entwicklung unseres Landes betreiben können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich meine schon, dass das viel wert ist. Wir, die wir Verantwortung haben, müssen Vorsorge und Fürsorge betreiben, aber andere müssen die Arbeit machen. Über den Gesetzentwurf der Linken (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Guter Gesetzentwurf!) ist schon manches gesagt worden, sodass ich nicht noch einmal auf jedes Detail eingehen muss. Dieser Gesetzentwurf hat ja in Wahrheit nur einen einzigen Inhalt und einen Sinn, nämlich eine Kostenverlagerung weg von den Bundesländern hin zum Bund. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist ein Punkt, bei dem Sie sehr, sehr kurz greifen. In diesen Tagen diskutieren wir darüber, dass wir ein Programm in Höhe von 6 Milliarden Euro für die Bundesländer, die Kommunen, die Gemeinden und die Landkreise zur Stärkung ihrer Investitionstätigkeit auf den Weg bringen. Wenn Sie die Eingliederungshilfe dazunehmen, sehen sie: Zulasten des Bundes und zugunsten der Bundesländer geben wir 18 Milliarden Euro aus; damit stärken wir unsere Kommunen, aber auch unsere Länder. Wenn wir die Grundsicherung im Alter dazunehmen – diese haben wir übernommen –, sehen Sie: Wir stellen den Bundesländern etwa 55 Milliarden Euro zur Verfügung. Wir nehmen ihnen diese Last ab und schultern sie dem Bund auf. Bei den KdU, den Kosten der Unterkunft, ist es das Gleiche. Natürlich könnten wir bei all diesen Konglomeraten, bei diesen hohen Zahlen die Bundesländer ein bisschen weniger entlasten und 25 oder 30 Millionen Euro für die Rüstungsaltlasten zur Verfügung stellen, aber das wäre ein reines Nullsummenspiel. Damit wäre niemandem geholfen. Das wäre auch keine seriöse Politik. Damit würden wir in das Fahrwasser Ihres Gesetzentwurfs kommen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Deswegen lehnen Sie ihn ab!) Von Ihnen, lieber Dr. Krüger, wurde gesagt, dass es eigentlich ein Problem der Finanzbeziehungen des Bundes und der Länder ist, dass wir diese Finanzbeziehungen tausendfach haben. Sie gehören möglicherweise neu geregelt. Da greift der Gesetzentwurf aber in der Tat zu kurz. Ich bin zuversichtlich, dass wir Lösungsansätze finden, aber in einem anderen Konzept und nicht so singulär, nicht so pointiert auf die Rüstungsaltlasten bezogen. Jedes andere Land hat gewiss auch Nöte, die es vorbringen kann, und Argumente, da und dort vom Bund mehr zu verlangen. Nein, ich glaube, die Finanzausgleiche, die wir vom Bund zu den Ländern augenblicklich herstellen, sind außerordentlich großzügig bemessen. Damit muss es auch gerade in der verfassungsrechtlichen Situation, die Sie, Dr. Krüger, beschrieben haben, heute so verbleiben. Damit kann Ihrem Antrag kein Erfolg beschieden sein. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als abschließendem Redner in dieser Aussprache erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Uwe Feiler für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Feiler (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über ein Thema, das wiederholt Gegenstand der Diskussion unabhängig von der politischen Farbenlehre in diesem Hause war, das für die betroffenen Menschen vor Ort jedoch noch keine befriedigende Lösung bietet. Als direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis Oberhavel-Havelland vertrete ich auch die Interessen der Einwohner Oranienburgs, einer Stadt, die sich des Titels der Bundeshauptstadt der Blindgängerbelastung leider nicht erwehren kann. Nirgendwo sonst werden bis heute so viele Blindgänger mit chemischen Langzeitzündern gefunden und noch im -Boden vermutet wie in der Stadt Oranienburg. Der Kampfmittelbeseitigungsdienst der brandenburgischen Polizei hat allein 2013 Rüstungsaltlasten mit Kosten von circa 11 Millionen Euro beseitigt. Die Stadt Oranienburg selbst trifft eine jährliche Vorsorge von rund 2 Millionen Euro für die begleitenden Maßnahmen als Ordnungsbehörde und für die städtischen Liegenschaften. Diese Summe stellt für eine Stadt mit etwa 40 000 Einwohnern eine große finanzielle Belastung dar, die sich im brandenburgischen kommunalen Finanzausgleich leider nicht widerspiegelt. Schon alleine vor diesem Hintergrund bildet der -Gesetzentwurf der Linksfraktion, die in Brandenburg mitregiert und jetzt wortgleich den Gesetzentwurf des Bundesrates aufwärmt, kein geeignetes Mittel, um diesem Missstand zu begegnen. Das Gesetz nennt sich im vorliegenden Entwurf „Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz“. Der Name ist treffend. Denn er beruft sich als Grundlage auf Artikel 120 Absatz 1 des Grundgesetzes, umfasst im Gegensatz zu diesem aber nicht nur die Kriegsfolgealtlasten des Zweiten Weltkrieges, sondern ist gleichzeitig das Bekenntnis, dass die Länder mit ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr überfordert zu sein scheinen. Gerade aus Brandenburg war in den vergangenen Monaten mehr und mehr die Vokabel der „nationalen Aufgaben“ zu vernehmen. Hinter diesem Begriff, der nichts anderes als eine finanzielle Mehrforderung verschleiern soll, steckt zum einen der Versuch, ureigene Länderaufgaben durch das neue Etikett besonders wichtig erscheinen zu lassen und den Bund als Zahlmeister zu gewinnen. So wird die Bildungspolitik von Vertretern der Landesregierung ebenso als nationale Aufgabe klassifiziert wie die innere Sicherheit, die Unterbringung von Asylbewerbern, der Ausbau der Kinderbetreuung oder eben auch die Kampfmittelbeseitigung. Was die Ländervertreter bei dieser schiefen Argumentation verkennen, ist die Tatsache, dass sich die Länder selber in ihrer Existenz infrage stellen, wenn sie sich nur noch als bessere Regierungspräsidien für nationale Aufgaben des Bundes verstehen. Mein Verständnis ist das zumindest nicht. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Feiler, darf ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller gestatten? Uwe Feiler (CDU/CSU): Ja. Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege Feiler, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich frage Sie: Wissen Sie oder nehmen Sie zur Kenntnis, dass zu Zeiten der Großen Koalition im Land Brandenburg von 1999 bis 2009, als in Brandenburg die Linke noch nicht regiert hat, sondern in der Opposition war, die Union mit dem zitierten Minister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Jörg Schönbohm zweimal in der Landesregierung eine Bundesratsinitiative mitgetragen hat, nämlich 2001 und 2003? (Beifall bei der LINKEN) Sie liegt heute nahezu wortgleich als Entwurf eines Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetzes im Parlament vor. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es diese Initiative schon gab und dass das nicht unsere Erfindung war, sondern dass wir versuchen, berechtigte Interessen der Länder, die Sie als CDU in nahezu allen Landesregierungen mitvertreten haben, im Bundesrat durchzusetzen? Warum haben Sie ein so großes Problem, sich darauf einzulassen und mit dem Bundesrat in die Debatte zu treten? Warum sind Sie nicht selbst initiativ geworden? Warum haben Sie den Gesetzentwurf nicht selbst eingebracht, und warum haben Sie nicht die Möglichkeiten genutzt, auch ohne dass wir die Initiative ins Plenum einbringen mussten, mit den Ländern eine Vereinbarung zu treffen, die berechtigten Interessen, die Ihre CDU-Landesverbände auch in Brandenburg schon seit Jahren so sehen, zur Geltung bringen zu lassen? Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Uwe Feiler (CDU/CSU): Ich gebe Ihnen recht – ich habe es vorhin schon erwähnt –: Es wurden mehrere Anträge unabhängig von der Farbenlehre in diesem Haus eingebracht. Allesamt sind sie negativ beschieden worden oder führten zu keiner Lösung. Ihr Gesetzentwurf ist wortgleich und wird auch zu keiner Lösung führen. Wenn ich gleich mit meiner Rede fortfahre, werde ich einen Lösungsvorschlag unterbreiten. Zu Ihrem Vorwurf, was die CDU Brandenburg betrifft: Die CDU Brandenburg hat im Jahr 2010 für die Erstellung eines Kampfmittelkatasters und die Aufstockung der Mittel geworben. Das haben die rot-rote Landesregierung bzw. die rot-rote Koalition abgelehnt. Jetzt hat die CDU-Landtagsfraktion ihr Vorhaben wiederholt. Der Antrag ist in einem Ausschuss des Landtages gelandet. Ich hoffe, dass das Kampfmittelkataster und ein Konzept für die Kampfmittelbeseitigung in Brandenburg erstellt werden. Denn Sie sprechen in Ihrem Antrag auch von einem Fünfjahresfinanzplan. Ohne überhaupt ein Konzept zu haben, legen Sie irgendwelche Zahlen dar, die gar nicht nachweisbar sind. Schon deswegen ist Ihr Antrag abzulehnen. – Das war meine Antwort auf Ihre Zwischenfrage. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist unbestritten, dass die Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkrieges, vor allem die vielen Blindgänger der alliierten Luftangriffe, sehr gefährlich für die Menschen sind und ihre Beseitigung eine aufwendige Aufgabe für die betroffenen Länder darstellt. Der vorliegende Gesetzesvorschlag bietet dafür aber keine zufriedenstellende Lösung. Die Fraktion Die Linke möchte sämtliche Kosten dem Bund auferlegen. Dafür soll die bewährte und sinnvolle Staatspraxis aufgegeben werden. Der Bund trägt nach dieser Staatspraxis die Kosten der Kriegsfolgelasten auf bundeseigenen Liegenschaften und der sogenannten reichseigenen Munition. Diese im Grundgesetz gesicherte Staatspraxis wird seit über 20 Jahren immer wieder von den Ländern angegriffen. Das ist verständlich; denn Kampfmittelbeseitigung ist ein teures Geschäft. Die Beseitigung der Blindgänger ist im Kern jedoch Gefahrenabwehr, ein im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes den Ländern übertragenes Aufgabenfeld. Die hier aufgestellte Forderung, der Bund solle alles zahlen, die Kompetenzen aber sollten bei den Ländern bleiben, kann und darf so nicht funktionieren. Der Arbeitskreis Steuerschätzung geht von einem jährlichen Wachstum der Steuereinnahmen von 2 Prozent in den nächsten fünf Jahren aus. Das entspricht bis 2019 circa 4 Milliarden Euro. Brandenburg wird alleine im laufenden und nächsten Jahr über 120 Millionen Euro Mehreinnahmen haben, die nach meinem Verständnis zunächst für Pflichtaufgaben wie auch die Bombenbeseitigung eingesetzt werden sollten. Für mich steht im Vordergrund, dass den Menschen in den betroffenen Städten, die es nicht nur in Brandenburg, sondern auch in Niedersachsen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen gibt, geholfen und deren Sicherheit gewährleistet wird. Das Fazit muss lauten: Die Bomben müssen weg. Wir sollten deshalb nicht an Maximalforderungen festhalten, sondern pragmatische Lösungen suchen, die die Beteiligten in die Lage versetzen, die besonders gefährlichen Bomben mit chemischen Langzeitzündern schneller als bisher sicher zu bergen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in gemeinsamen Gesprächen mit gutem Willen auf beiden Seiten zu einer Einigung finden. Für unterstützenswert hielte ich die Auflage eines Fonds – oder die Gründung einer Stiftung – für besonders belastete Regionen in Deutschland, der sich gleichermaßen aus Zuführungen der betroffenen Länder und des Bundes speist und zu einer fairen Kostenverteilung für alle führt. Eine komplette Kostenübernahme durch den Bund ist aus meiner Sicht jedoch nicht geboten. Ausschließlich die Rechnung nach Berlin zu schicken, wird der Verantwortung der Länder für die Sicherheit auch ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht gerecht. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Als Sie 2004 noch in der Opposition waren, haben Sie das auch noch anders gesehen!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4841 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu sehe ich keinerlei andere Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011, 2077 (2012) vom 21. November 2012, 2125 (2013) vom 18. November 2013, 2184 (2014) vom 12. November 2014 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010, dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 und dem Beschluss 2014/827/GASP vom 21. November 2014 Drucksachen 18/4769, 18/4964 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4976 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dagegen erhebt sich keinerlei Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Dagmar Freitag für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dagmar Freitag (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die Operation Atalanta im Jahr 2008 vom Rat der Europäischen Union beschlossen wurde, sah sich die internationale Gemeinschaft mit einem erheblichen Piraterieproblem am Horn von Afrika konfrontiert. Wir wissen alle, dass seeräuberische Überfälle und Entführungen geradezu an der Tagesordnung waren. Seit November 2013 ist die Zahl der versuchten bewaffneten Angriffe auf vier gesunken, und alle vier konnten erfolgreich abgewehrt werden. Aktuell befindet sich darüber hinaus kein Schiff in der Hand somalischer Piraten. Ich denke, wir sind uns zumindest überwiegend einig, dass dies ein unmittelbarer Erfolg der Antipiraterieoperation Atalanta und natürlich auch der Zusammenarbeit mit anderen nationalen wie auch multinationalen Streitkräften am Horn von Afrika ist. (Beifall bei der SPD) Der Dank hierfür geht auch an unsere Soldatinnen und Soldaten, die durch ihren Einsatz zu diesem Erfolg beigetragen haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Operation Atalanta trägt darüber hinaus zur Offenheit und Sicherheit der Seewege am Horn von Afrika und vor der Küste Somalias bei. Diese Sicherheit ist essenziell für die Versorgung der somalischen Bevölkerung durch das Welternährungsprogramm; denn wir wissen alle: Somalia gehört nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Bevölkerung leidet seit Jahren unter den Folgen politischer Instabilität ebenso wie unter Dürren und Ernteausfällen. Daher sind die Lebensmittellieferungen des Welternährungsprogramms für viele Menschen in Somalia geradezu überlebenswichtig. Nur ein Beispiel: Aktuell sind allein in Mogadischu rund 350 000 Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Seit Beginn der Operation Atalanta konnten sämtliche Schiffe des Welternährungsprogramms sicher nach Somalia eskortiert werden. Sichere Transportwege in der Region sind auch darüber hinaus von Bedeutung. Schließlich ist der vor der Küste Somalias liegende Golf von Aden die wichtigste Handelsroute zwischen Europa, Asien und der Arabischen Halbinsel. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zu den gerade erwähnten Erfolgen bei der Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias sind die Fortschritte beim Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen in Somalia bislang allerdings keineswegs zufriedenstellend. Klar ist aber auch, dass ein funktionierendes staatliches Gewaltmonopol unverzichtbar ist, wenn die Rückzugsräume der Piraten erfolgreich bekämpft und die geschilderten Erfolge auf See nachhaltig gefestigt werden sollen. Al-Schabab und andere fundamentalistische Gruppierungen konnten zwar geschwächt werden, auch dank des erfolgreichen Einsatzes der Afrikanischen Union mit der Mission AMISOM, die von der EU maßgeblich mitfinanziert wird; aber nach wie vor ist der somalische Staat selbst zu schwach, um eroberte Gebiete zu kontrollieren. Diese Schwäche bedroht nicht nur Somalia, sondern sie untergräbt auch die Stabilität in der gesamten Region um das Horn von Afrika. Daher bleiben die Präsenz und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft nach unserer Meinung jedenfalls dringend geboten. Deutschland leistet seinen Beitrag zur Stabilisierung Somalias in erster Linie innerhalb des umfassenden Ansatzes der Europäischen Union. Wir beteiligen uns an der Operation der europäischen Seestreitkräfte Atalanta, an EUCAP NESTOR, der zivilen Mission zum Aufbau maritimer Kapazitäten, und an EUTM Somalia, der militärischen Beratungs- und Ausbildungsmission, deren Fortsetzung erst kürzlich vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde. Der Rat der Europäischen Union hat im November 2014 das Mandat für die Operation Atalanta verlängert. Dabei hat er unterstrichen, wie wichtig das Zusammenwirken verschiedener Komponenten der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Probleme in Somalia und auch am Horn von Afrika sind vielfältig. Genauso vielfältig müssen daher die Strategie und die Ansätze der EU und der Bundesregierung für das Land und die Region sein. Diese Strategie umfasst neben der militärischen Komponente und dem Aufbau der Sicherheitsstrukturen auch ein starkes wirtschaftliches und humanitäres Engagement; denn – das dürfte unbestritten sein – Sicherheit und Entwicklung hängen untrennbar miteinander zusammen. In 2016 sollen in Somalia Wahlen stattfinden. Gerade mit Blick darauf gilt: In der Entwicklung des Landes sind alle zivilen und militärischen Instrumente wichtig, um die Ausgangssituation zu stabilisieren und die Lage der Bevölkerung endlich zu verbessern; denn nur so kann den kriminellen Netzwerken, die für die Piraterie am Horn von Afrika die Verantwortung tragen, langfristig der Boden entzogen werden. Deutschland muss und wird seiner Verantwortung für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU nachkommen und diese Operation weiterhin unterstützen. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Kathrin Vogler von der Linken das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren hören wir von jeweils wechselnden Bundesregierungen: Der EU-geführte Militäreinsatz Atalanta ist ein Erfolg. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Sehr richtige Aussage!) Aber ich frage mich: Wie kommen Sie eigentlich darauf? Was ist eigentlich Ihr Maßstab? Als die Zahl der Piratenangriffe vor der somalischen Küste anstieg, war das ein Argument für Atalanta. Jetzt geht sie zurück. Was ist es für Sie? Es ist auch wieder ein Argument für Atalanta. (Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es einen Zusammenhang!) Dabei wissen Sie es doch alle: Keine noch so große Kriegsflotte kann letzten Endes die Piraterie nachhaltig bekämpfen. (Beifall bei der LINKEN) Das sagen Sie sogar selbst. Das wissen Sie genau; denn Piraterie ist ein Symptom, ist Ausdruck von Armut, von Verelendung, von Rechtlosigkeit. Und all das machen sich Geschäftemacher im Ausland auch noch zunutze. Und noch jemand profitiert davon: Das sind die privaten Sicherheitsunternehmen, die die Schiffe mit bewaffneten Söldnern schützen und die Sie in Ihrem Antrag auch noch lautstark loben. Da muss man sich doch fragen: Worum geht es eigentlich wirklich? – Aber um das herauszufinden, muss man sich nicht einmal irgendwelche geheimen Unterlagen besorgen. Es reicht völlig, sich den Antragstext der Bundesregierung anzuschauen. Sie schreiben das in der Begründung ja ganz offen. Im ersten Absatz der Mandatsbegründung etwa geht es um Rohstofflieferungen, im zweiten Absatz um den Welthandel und die Absatzmärkte für europäische Produkte, (Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja! Auch! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, und?) im dritten Absatz um die Zusammenarbeit mit anderen Staaten im Rahmen dieses Militäreinsatzes. Dabei kann man fast den Eindruck gewinnen, die Truppen in Somalia wären in einem einzigen großen Manöver, in dem die Abstimmung zwischen Europol und Atalanta, zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union, mit Bündnispartnern und Nachbarländern geprobt wird. Aber, meine Damen und Herren, es ist kein Manöver. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ist es dann? – Peter Beyer [CDU/CSU]: Lösen Sie das Rätsel auf!) Es geht um das Leben von Millionen Menschen in einem bettelarmen und kriegszerstörten Land. (Zurufe von der CDU/CSU) – Lachen Sie ruhig. Ich finde es nicht witzig. Es ist überhaupt nicht witzig. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Erst im vierten Absatz setzt sich die Bundesregierung dann endlich auch einmal mit der Situation in Somalia auseinander. Da verbreiten Sie dann geschönte Erfolgsgeschichten, denen zufolge sich die Lage im Land deutlich stabilisiert habe. Sie kennen doch die bittere Wahrheit. Die Lage in Somalia hat sich weder politisch noch ökonomisch verbessert. Wenn an den ganzen Erfolgsmeldungen, die uns hier Jahr für Jahr vorgetragen werden, etwas dran wäre, dann müsste Somalia doch inzwischen prosperierender Wohlstandsmotor für ganz Ostafrika sein. Aber das Gegenteil ist bekanntlich der Fall. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die internationale Politik seit der äthiopischen Militärintervention vor neun Jahren immer wieder und immer weiter nur auf die militärische Karte setzt. Lassen Sie sich gesagt sein: Einen Bürgerkrieg beendet man nicht, indem man mit Soldaten einmarschiert. Man beendet ihn nicht mit hinterhältigen Drohnenangriffen, die die US-Streitkräfte von Deutschland aus, nämlich von Ramstein, auch in Somalia täglich durchführen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Da ist wieder das Feindbild USA!) Man beendet ihn nicht mit der Ausbildung von immer mehr Soldaten, von denen immer wieder viele mitsamt ihren Waffen und ihren Ausrüstungsgeräten desertieren oder verschwinden und man nicht weiß, wo sie geblieben sind. Das, was Sie da treiben, ist eine völlig unverantwortliche Politik. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Kommen Sie wieder zum Thema zurück!) Wie viele Jahre wollen Sie denn noch versuchen, eine gewaltsame Lösung im somalischen Bürgerkrieg herbeizuführen? – Der Bürgerkrieg in Somalia, der die Ursache für die Verelendung, die Verarmung und die Konflikte ist, kann nur beendet werden, wenn sich die militärischen Akteure zurückziehen und man dafür sorgt, dass endlich verhandelt wird. Damit Frieden einkehren kann, müssen alle Konfliktparteien an einen Tisch. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Rufen Sie die doch mal an einen Tisch, wenn das so einfach ist!) Aber Sie rüsten eine Seite auf und hoffen, dass sie den Krieg gewinnt. Dass das nicht gelingen kann, müssten Sie doch aus den Erfahrungen in dieser Region und in Afghanistan endlich einmal gelernt haben. (Beifall bei der LINKEN) Dass Sie so lernunfähig sind, bezahlen leider viele Menschen in Somalia mit unvorstellbarem Leid. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer wohl hier lernunfähig ist?) Somalia zählt nach den Berechnungen des UN-Flüchtlingshilfswerks zu den drei wichtigsten Herkunftsländern von Flüchtlingen weltweit. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Was sagen Sie denn zum Welternährungsprogramm? Sagen Sie etwas dazu!) Viele von denen, die im Augenblick an den Mittelmeerküsten verzweifelt darauf hoffen, ihr Leben durch Flucht zu retten, kommen aus Somalia. Anstatt diesen Menschen, die um ihr Leben bangen und deshalb fliehen, legale Wege nach Europa anzubieten, halten Sie die Wege nach Europa versperrt, und Sie zwingen die Menschen, ihr Leben zu riskieren auf einem Meer, das längst zum Massengrab geworden ist. Jetzt diskutiert man sogar in der EU, auch die Flüchtlingsboote zu militärischen Zielen zu machen. Das ist fürchterlich. Fürchterlich! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihre Politik folgt einfach der perversen Logik: ausbeuten, aufrüsten, intervenieren und dann abschotten. Aber eine solche Politik wird die Linke nie, nie, niemals mitmachen. Deshalb werden wir auch zu diesem Mandat wieder Nein sagen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Wahlkampfgerede!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Thorsten Frei von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Vogler, Atalanta ist wirklich ein voller Erfolg. Wenn Sie fragen, was der Maßstab ist, an dem wir diesen Erfolg messen, dann könnte man sagen: Als die Mission Atalanta im Jahr 2008 begonnen hat, waren jedes Jahr 200 Schiffe Ziel von Überfällen von Piraten. Seit dem Jahr 2012 ist kein einziges Schiff mehr Ziel solcher Überfälle. Im vergangenen Jahr und in diesem Jahr sind nur wenige Schiffe erfolglosen Kaperversuchen ausgesetzt gewesen. (Dagmar Freitag [SPD]: Erfolglos!) – Erfolglos, genau. – Das ist der Erfolg der Mission Atalanta. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch die Tatsache – Frau Kollegin Freitag ist vorhin darauf eingegangen –, dass seit 2008 immerhin 179 Schiffe für das Welternährungsprogramm (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das ist der Maßstab!) und 121 Schiffe für AMISOM erfolgreich nach Mogadischu begleitet wurden, damit dort die Bevölkerung ernährt werden konnte, ist ein Erfolg dieser Mission. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte von daher die Gelegenheit nutzen, den Soldatinnen und Soldaten, die fernab der Heimat, getrennt von ihren Familien, lange Monate dort Dienst tun, ganz herzlich für ihren erfolgreichen Einsatz zu danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie haben den Antrag der Bundesregierung zitiert. Ich will Ihnen eines sagen: Das, was wir dort tun, entspringt zum einen einer humanitären Verpflichtung. Ich finde es zum anderen überhaupt nicht verwerflich, sondern richtig, dass wir am Horn von Afrika auch unsere Interessen schützen und vertreten. Das sind deutsche Interessen, das sind europäische Interessen. Wir haben als drittgrößte Exportnation der Welt ein Interesse an sicheren See- und Handelswegen; darauf ist Frau Kollegin Freitag ebenfalls eingegangen. Durch diese Seepassage fahren jedes Jahr 4 000 Container- und Handelsschiffe mit einem Warenwert von 4 Billionen Euro. Wenn Sie sich vorstellen, welchen Anteil der Seehandel in Deutschland und auch in Europa am gesamten Wirtschaftsvolumen hat, dann wissen Sie, dass hier viele Zehntausende Arbeitsplätze davon abhängen. Dass wir uns um Sicherheit und Stabilität in der Welt bemühen, auch bei den Seehandelswegen, das ist konsequent, das ist richtig. Das kann man in einem Antrag wie diesem auch so schreiben, liebe Frau Kollegin Vogler. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist natürlich vollkommen klar, dass der Grund für die Probleme Somalias und auch für die Probleme mit der Piraterie am Horn von Afrika letztlich in Somalia selbst zu suchen ist. Die Analyse ist durchaus zutreffend. Seit 1991, seit dem Sturz von Siyad Barre, ist das Land in Bürgerkrieg, Chaos und Anarchie versunken. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Und seit 1993 versucht die Bundesregierung, das militärisch zu lösen!) Traditionelle Strukturen gibt es dort nicht mehr. Die traditionellen Autoritäten wirken nicht mehr. Die Regierungen in Mogadischu haben einen Wirkungskreis, der auf Mogadischu begrenzt ist und nicht in das Land hinausstrahlt. Das sind die Probleme, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Wir wissen natürlich auch, dass in den vergangenen Jahren viel Geld der internationalen Staatengemeinschaft dorthin geflossen ist. Wir wissen um den Einsatz von Soldaten, Polizisten, Entwicklungshelfern und zivilen Helfern. Und wir wissen, dass es durchaus – zugegebenermaßen – bescheidene Erfolge gibt, wenn man etwa an die Regionalisierungsbemühungen bei der Verwaltungsreform denkt und an die neue Regierung, die im Februar vereidigt wurde. Sie ist zwar ein Stück weit eine junge und unerfahrene Regierung in absolut chaotischen Umständen, aber spiegelt die Stammesrealitäten wider. Ja, all das wissen wir. Trotz allem sind die Dschihadisten stark, ist al-Schabab stark. Trotz der Schläge gegen die Führung von al-Schabab im vergangenen Herbst, trotz der Tatsache, dass sie keine Gebiete mehr selbstständig hält und auf asymme-trisches Vorgehen übergegangen ist, trotz allem sind die Gefahren im Land riesig und enorm. Das kann man sehen, wenn man sich die Anschläge in den vergangenen Monaten in Somalia anschaut: auf Restaurants, Hotels, Politiker, Bürgermeister. Wenn man sich anschaut, dass die Gefahr droht, dass aus einem lokalen Konflikt ein regionaler wird, wenn man sich vor Augen führt, dass beispielsweise der Anschlag in Kenia auf die Universität in Garissa 140 Todesopfer gefordert hat, oder wenn man sich die Anschläge in Dschibuti, in Äthiopien anschaut, dann wird deutlich, dass hier die Gefahr besteht, dass sich ein Flächenbrand entwickelt. Welche Auswirkungen das hat – darauf sind Sie richtigerweise eingegangen –, können wir an den Flüchtlingsströmen nach Europa und auch nach Deutschland sehen. Deshalb sind hier drei Dinge ganz wesentlich: Das Erste: Natürlich muss gegen die Dschihadisten weiter konsequent vorgegangen werden. Jetzt geht es letztlich darum, dass man ihnen Nachschubwege abschneidet, dass man ihre Konsolidierung verhindert und dass man auch die Finanzierungsquellen trockenlegt. Bestandteile dieser sind auch die Piraterie, das Erpressen von Lösegeldern, um Terrorismus zu finanzieren, sowie der Schmuggel. Es müssen also auch Schmugglerrouten unterbrochen werden. All das sind Dinge, die die Mission Atalanta erfolgreich leistet. Das Zweite – darauf sind Sie eingegangen –: Es geht natürlich auch darum, den Menschen Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Das ist zugegebenermaßen schwierig in einem Land, in dem 3 Millionen Menschen unmittelbar an Hunger leiden, in dem 2011 250 000 Menschen verhungert sind, in dem nur ein Drittel der Kinder und -Jugendlichen Zugang zu Bildung hat und in dem 12 Millionen Menschen weniger als 2 Milliarden Dollar Jahresbruttoinlandsprodukt erwirtschaften. Das ist vergleichsweise wenig und viel zu wenig, damit sich das Land gut entwickeln kann. Das Dritte, worum es geht, ist, dass wir für Stabilität im Land sorgen müssen. Deshalb geht es darum, die erfolgreichen Missionen weiterzuführen. Das betrifft nicht nur Atalanta, sondern auch die EU-Trainingsmission und ist EUCAP NESTOR. Wir führen eben verschiedene Mosaiksteine zusammen, um mitzuhelfen, das Land zu stabilisieren und damit letztlich auch Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Der Weg ist lang, der Einsatz ist gut; er lohnt sich. Deshalb werben wir für die Fortsetzung dieser Mission. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Doris Wagner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer unserer Debatte zur Verlängerung des Atalanta-Mandats folgt, kann feststellen: So viel Einigkeit war nie. Wir sind uns einig, dass Atalanta wichtig ist. Wir sind uns auch einig, dass Atalanta ein Erfolg ist. Und wir sind uns einig, dass die Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz unseren Dank verdienen. Diese Einschätzung teile ich völlig. Gerade deswegen finde ich es ein Stück weit unverantwortlich, wie die Bundesregierung den Erfolg der Atalanta-Mission aufs Spiel setzt, indem sie für Somalia insgesamt eine widersinnige Politik betreibt. Wir schicken 950 Soldatinnen und Soldaten vor die Küste von Somalia, damit sie für Sicherheit auf See sorgen. Gleichzeitig setzt sich die Bundesregierung in der EU für Maßnahmen ein, die dazu führen, dass die Sicherheit an Land, in Somalia selbst, weiter abnimmt. (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Welche sollen das denn sein?) Für eine derart widersprüchliche Politik, werte Kolleginnen und Kollegen, sollten wir die Gesundheit und das Leben unserer Soldatinnen und Soldaten nicht aufs Spiel setzen. Auch die Menschen in Somalia verdienen eine bessere Politik. Dort sind nämlich nach wie vor mehrere Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Dank Atalanta laufen die Schiffe mit den Hilfsgütern des Welternährungsprogramms nun seit Jahren einigermaßen sicher in die somalischen Häfen ein. Doch damit sind sie ja noch nicht am Ziel. Damit die Lebensmittel und die Medikamente auch wirklich bei den notleidenden Menschen ankommen, braucht es sichere Transportwege, sichere Lagerstätten und sichere Verteilungspunkte im Land. Genau daran mangelt es aber in Somalia. Die Kämpfe zwischen offiziellen Armeeeinheiten und der Al-Schabab-Miliz stürzen Teile des Landes immer wieder ins Chaos. In Mogadischu sind Attentate und Morde auf offener Straße an der Tagesordnung. Auch zwischen einzelnen somalischen Clans kommt es immer wieder zu blutigen Konflikten. All das macht doch die sichere Versorgung der Bevölkerung in einigen Regionen fast unmöglich. Und was tut die Bundesregierung angesichts dieser Situation? Erstens. Sie leistet Entwicklungshilfe. – Gut. Zweitens. Sie entsendet Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, um die somalische Armee auszubilden und zu beraten. – Das sehe ich schon kritisch. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Drittens. Sie setzt sich auf EU-Ebene dafür ein, Länder wie Somalia mit Waffen und Munition auszustatten. – Das steht doch in krassem Widerspruch zu dem, was wir mit der Mission Atalanta eigentlich erreichen wollen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mehr Waffen bedeutet doch mehr Gewalt. Mehr Waffen bedeutet doch mehr Leid. Und mehr Waffen bedeutet doch auch noch weniger Hoffnung auf einen funktionierenden und sicheren Staat. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wirklich fassungslos bin ich darüber, welchen Kurs die Bundesregierung auf EU-Ebene gegenüber Staaten wie Somalia verfolgt. Die Bundesregierung hat die so-genannte Enable and Enhance Initiative in die EU ein-gebracht. Das Ziel dieser Initiative ist es, sogenannte Partnerstaaten in die Lage zu versetzen, ihre Sicherheitsprobleme selbst zu lösen. Dazu sollen die Mitgliedstaaten die Sicherheitskräfte der Partnerstaaten mit Ausbildung und Ausrüstung unterstützen. Umstritten ist aber innerhalb der EU offensichtlich, was genau unter „Ausrüstung“ zu verstehen ist. Sollen das auch letale Waffen und Munition sein? – Die Haltung der Bundesregierung ist da ganz klar. In seiner Antwort auf meine schriftliche Frage hat mir Staatssekretär Steinlein mitgeteilt: Der Begriff Ausrüstung sollte Waffen und Munition nicht grundsätzlich ausschließen. – Aber Waffen in schwache Staaten wie Somalia zu liefern heißt doch, ein ganzes Fass Öl ins Feuer zu gießen; (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: So ist das!) denn ein wesentlicher Grund für die anhaltende Gewalt in Somalia liegt doch genau darin, dass es eben nicht gelingt, den Waffenhandel wirksam zu kontrollieren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Waffen, die für die somalische Armee importiert wurden, verschwinden regelmäßig in dunklen Kanälen und tauchen auf dem Schwarzmarkt wieder auf. Einzelne Clans in der Armee haben einen privilegierten Zugang zu Waffenarsenalen und zweigen nachweislich Waffen ab, um ihre ganz eigenen Konflikte auszutragen. Außerdem verfügt die UN Monitoring Group für Somalia über ernstzunehmende Hinweise darauf, dass ein Berater des somalischen Präsidenten mitverantwortlich dafür war, dass Waffen in die Hände der Al-Schabab-Milizen geraten sind. Dazu werden noch Waffen im großen Stil illegal ins Land geschmuggelt, übrigens auch übers Meer. All das zeigt: Jede einzelne Waffe, jede Patrone, die aus Europa an Sicherheitskräfte in Somalia oder andere schwache Staaten geliefert wird, ist eine zu viel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Völlig unbeteiligte Menschen und eben auch Angehörige der vermeintlich gestärkten Partnerstreitkräfte können damit getötet werden. An einem solchen Wahnsinn darf sich die EU, darf sich auch die Bundesregierung auf keinen Fall beteiligen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Mission Atalanta ist wichtig, ja. Unsere Soldatinnen und Soldaten erfüllen ihre Aufgabe wirklich erfolgreich. Aber wir müssen noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag Schiffe vor das Horn von Afrika schicken, wenn es nicht gelingt, neben der Sicherheit auf See auch Sicherheit an Land zu schaffen. Deshalb appelliere ich an Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank: Überdenken Sie doch bitte Ihre Haltung zur Lieferung tödlicher Waffen an fragile Staaten, sonst reißen Sie das, was Sie an Sicherheit mit der einen Hand aufgebaut haben, mit der anderen wieder ein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Johann Wadephul von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Piraterie hat sich seit den 1990er-Jahren weltweit ausgeweitet. Neben einer sicher zu berücksichtigenden Dunkelziffer weist im Jahr 1992 die Statistik 74 -Piratenüberfälle aus. Im Jahr 2010 waren es bereits 445 Überfälle. Der Anstieg hat verschiedene Gründe: Die politische Entspannung nach dem Ende des Kalten Krieges führte zu einem Rückgang militärischer Präsenz auf See. Zugleich haben unter dem Begriff der Globalisierung der Handel und die Vernetzung unserer Welt eine ungeahnte Dynamik entfaltet. Piraterie ist nämlich schlicht eine Einnahmequelle. Es geht um den Raub von Gütern und auch um Lösegeld. Opfer sind in erster Linie Regionen, in denen der Staat sein Gewaltmonopol kaum oder gar nicht mehr durchsetzen kann. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, die EU-geführte Operation Atalanta vor der Küste Somalias durchzuführen. Von den im Jahr 2010 weltweit registrierten 445 Piratenangriffen entfielen 266 auf das Seegebiet vor Somalia. Über 600 Seeleute mit entsetzlichen menschlichen Dramen für sie und ihre Familien wurden Opfer. Das muss ich den Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, die diese Operation ablehnen und jeden militärischen Einsatz im Seegebiet verunglimpfen und als nicht zu rechtfertigen ansehen, schon sagen: (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Interessiert die doch gar nicht!) Allein die Seeleute und ihre Familien, die unter diesen Überfällen gelitten und Traumata davongetragen haben – der finanzielle Schaden ist vielleicht nicht das Schlimmste –, sind den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten in diesem Seegebiet wert. Das allein ist ein Beitrag zu mehr Humanität, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich kann Ihre Position überhaupt nicht verstehen. Außerdem gibt es eine zweite wichtige Aufgabe, die in der Debatte schon erwähnt worden ist, auf die Sie aber bisher auch keine Antwort gegeben haben. In Somalia findet in der Tat eine der schwersten humanitären Katastrophen auf der Erde statt. Neben Gewalt – das ist von der Kollegin aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gerade angesprochen worden – prägt Hunger den Alltag der Menschen in Somalia. Ich habe mich ein bisschen darüber gewundert, dass Sie versuchen, irgendwie zu konstruieren, die Bundesregierung würde eine Art Doppelstrategie verfolgen: Sie meinen, dass wir einerseits auf See etwas Gutes machen – das wird Sie hoffentlich dazu veranlassen, gleich dem Antrag zuzustimmen; dazu haben Sie sich leider nicht geäußert –, andererseits aber einen Anteil daran hätten, dass es an Land diese schlimmen Auseinandersetzungen gibt. Ich muss Ihnen sagen: Das kann ich nicht nachvollziehen. Das ist auch falsch. Das weise ich zurück. Wenn Sie hier solche Vorwürfe erheben, dann sollten Sie klipp und klar belegen, welche Waffen von Deutschland nach Somalia geliefert worden sind. Dass es dazu gekommen wäre, ist falsch. Das hat die Bundesregierung nicht erlaubt. Das würden wir auch in keinem Fall unterstützen. Aber wir können doch das Leid in Somalia nicht dadurch verbessern, dass wir jetzt auch noch die Seeoperation beenden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nein, die Seeoperation ist eine wichtige Voraussetzung, dass sich an Land auch etwas verbessern kann; und das muss dringend geschehen. So wird ein Schuh aus der ganzen Geschichte. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sie kommen auch nicht an der Tatsache vorbei, dass der Chef des Welternährungsprogramms – das ist nicht der Regierungssprecher der deutschen Bundesregierung – den Atalanta-Einsatz als Säule der Stabilität bezeichnet hat. Das zeigt, wie ich glaube, dass auch hier ein wichtiger Beitrag dazu geleistet wird, dass die Situation an Land besser wird. Das ist unsere Aufgabe, die wir leisten müssen. Wir müssen auf See anfangen. Dass wir das später auf einen schmalen Küstenstreifen ausgedehnt haben, hat dazu beigetragen, dass die Piraterie aktiv bekämpft werden konnte. Mit der großen Unterstützung des Welternährungsprogramms durch Deutschland zeigen wir auch, dass wir etwas machen wollen. Es ist eine gute Sache, die man unterstützen sollte. Kollege Frei hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Atalanta eine große Bedeutung für den Seehandel hat. Wir sind die drittgrößte Schifffahrtsnation der Welt. Ich möchte dazu sagen: Es geht bei Schifffahrt und Welthandel auf See nicht darum, andere auszubeuten, wie es Ihrer Vorstellung entspringt. Möglicherweise prägt Karl Marx heute noch Ihr Denken. In einer globalisierten Welt ist Seehandel jedoch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es in Deutschland und in Europa wirtschaftliche Prosperität gibt. Auf internationalen Austausch sind auch die Länder, aus denen wir etwas importieren, angewiesen. Und dass sie sicher an uns liefern können, ist ein Beitrag zu freiem Welthandel und dazu, dass die Menschen, wo auch immer sie auf der Erde leben, einen gerechten Lohn bekommen können. Das sollten Sie nicht von vornherein verunglimpfen. Deswegen ist auch ein Einsatz der Bundeswehr zur Sicherstellung von Seehandelsbeziehungen in der zivilen Schifffahrt gut, richtig und verantwortbar. Sie sollten dem zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Wolfgang Hellmich von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wolfgang Hellmich (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche Beiträge in dieser Debatte machen mich – und das geschieht eigentlich selten – schlicht fassungslos. An dieser Stelle völlig zu verkennen, dass wir uns in einer Situation befinden, wo wir uns auf Grundlage eines UN-Mandates um die Durchsetzung eines international geltenden Rechtes, nämlich des freien Zugangs zum Meer, kümmern, und zu verschweigen, dass wir uns im Rahmen eines solchen Mandates bewegen, deutet, glaube ich, darauf hin, worum es bei dem einen oder anderen Debattenbeitrag ging, nämlich schlichtweg darum, unseren Soldatinnen und Soldaten zu unterstellen, dass sie mit ihrem Einsatz daran beteiligt sind, (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein, nein, nein! Zu den Soldaten habe ich nichts ge-sagt! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Nicht den Soldaten!) den Krieg, den es in Somalia gibt, zu befördern. Sie fordern eigentlich unsere eigenen Soldatinnen und Soldaten auf: Fahrt nach Hause, lasst die Menschen in Somalia doch verhungern! Was interessiert uns das Land eigentlich? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Genau so müssen wir das interpretieren!) Das macht mich an dieser Stelle in der Tat fassungslos angesichts des guten Beitrags, den wir dort leisten. Dass die Ernährungslage in Somalia – das ist bereits beschrieben worden – nicht komplett durch internationale Programme gesichert werden kann, wissen wir. Wir wissen auch, dass in Somalia eigentlich viel mehr passieren muss. Deshalb ist es gut, dass die europäischen Regierungschefs miteinander vereinbart haben, alle Aktivitäten, Missionen und Mandate, die es in Somalia gibt, auf dem Gipfel im Juni dieses Jahres besser abzustimmen, zu überprüfen und an den Stellen zu arbeiten, an denen man besser werden muss. Das ist die nötige Konsequenz, die wir auch immer einfordern: Es geht darum, Mandate und Missionen auszuwerten – lessons learned – und die gewonnenen Erkenntnisse zur Anwendung zu bringen, in diesem Fall in Somalia. Wir lassen uns nicht davon abbringen, dass die Operation Atalanta im Kontext anderer EU-geführter Missionen ein Erfolg ist. Wenn es dieses Mandat nicht gäbe und wenn mit ihm nicht erfolgreich Piraterie verhindert und Piraterie bekämpft worden wäre, würden wir der al-Schabab die Mittel in die Hände geben, um ihren asymmetrischen Krieg, den sie führt, um die Region zu destabilisieren, weiterführen zu können. Sie würde eben nicht von den Quellen der Finanzierung ihrer Aktivitäten abgeschnitten werden. Es ist doch beschrieben worden: Mit welchen Waffen kann man letztendlich eine Universität in Kenia kaputtbomben? (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, wo kommen die denn her!) Wo kommen die Instrumente, die Mittel her? Wo kommen denn die Waffen her, mit denen AMISOM-Soldaten umgebracht wurden, mit denen Anschläge in Mogadischu begangen wurden? (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die militärische Strategie ist offenbar sehr erfolgreich!) Unser Auftrag in dieser Situation ist nicht der Rückzug, sondern unser Auftrag ist, dazu beizutragen, dass Staatlichkeit in Somalia aufgebaut wird, dass Sicherheit hergestellt wird. Ohne die Sicherheit auf dem Meer werden wir keine Sicherheit an Land herstellen können. (Dagmar Freitag [SPD]: So ist das!) Wir würden die somalische Regierung und diejenigen, die sie unterstützen, der al-Schabab und anderen Terroristen ausliefern und alleine mit ihnen lassen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben die Hilfen für Somalia ausgeweitet. Das ist gut und richtig so. Wir haben angesichts der Sicherheitslage den Schutz derjenigen, die diese Arbeit leisten, erhöhen müssen; denn wir wissen, wie sich die Situation in Somalia entwickelt hat. Ich sage aber an dieser Stelle klar und deutlich: Es gibt keine Alternative zu Atalanta und den anderen EU-geführten Missionen. Nur so können wir den Menschen in Somalia in ihrer Notlage helfen; denn die Ursachen für Terrorismus liegen auch in Somalia. Das sind nämlich die Menschen, die hungern, die Not leiden. Ihnen zu helfen, das ist unsere vornehmste und wichtigste Pflicht im Kontext all dieser Mandate. (Dagmar Freitag [SPD]: Sehr richtig!) Ich möchte noch auf einen anderen Umstand hinweisen. In Somalia geht es auch um das Thema der Terrorismusbekämpfung. Nur ein kleiner Hinweis: Wenn es der bayerischen Polizei gelingt, einen Somalier, der mit gefälschten italienischen Papieren nach Bayern einreisen wollte, mithilfe von Erkenntnissen, die man bei einem Angriff auf einen Tanker hat gewinnen können, zu detektieren und festzusetzen, dann bedeutet das: Es geht in Somalia auch um die Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit den Instrumenten, die uns zur Verfügung stehen. Und diese müssen wir an der Stelle auch zur Anwendung bringen. Atalanta ist notwendig, genauso wie die anderen EU-geführten Missionen notwendig sind. Ich danke auch Drittländern außerhalb Europas – Kolumbien und anderen südamerikanischen Ländern –, dass sie sich bereit erklärt haben, sich an Atalanta zu beteiligen. Das macht deutlich: Es ist eine internationale Aufgabe. Wir und unsere bis zu 950 Soldatinnen und Soldaten leisten einen wichtigen Beitrag. Deshalb bitte ich: Stimmen Sie diesem Mandat zu! Es ist für die Menschen in Somalia dringend notwendig. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. Als letzter Redner in der Debatte hat Dr. Hans-Peter Uhl von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Für den Wohlstand Deutschlands sind sichere Exporte und Importe unabdingbar. Allein im Jahr 2014 hat Deutschland Güter und Waren im Wert von 1,2 Billionen Euro ausgeführt. Auch bei den Einfuhren sind wir von weit entfernten Ländern abhängig: Deutsche Produkte sind auf zahlreiche Zulieferungen angewiesen. Diese kommen aus Asien über die Handelsroute, über die wir gerade reden, durch den Golf von Aden und den Suezkanal zu uns. Um den Status als Exportweltmeister zu verteidigen, hat Deutschland deshalb ein vitales Interesse an freien Transportwegen. Die deutsche Handelsflotte als drittgrößte Handelsflotte der Welt ist auf sichere Seewege angewiesen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Von 2007 auf 2008 stieg die Zahl der Piratenangriffe am Horn von Afrika um das Zehnfache. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!) Die Sicherheit auf einer der wichtigsten Handelsrouten war massiv gefährdet. Auf dem großen Versicherungsmarkt Lloyd’s of London wurde die Region als „war risk region“ eingestuft; die Versicherungsprämien stiegen. Manche, die damals schon im Bundestag waren, erinnern sich an das Geiseldrama auf der „Hansa Stavanger“; ich schaue den Kollege Jung an, er war damals Verteidigungsminister. Monatelange Verhandlungen mit den Piraten mit abschließender Zahlung eines Lösegeldes in Millionenhöhe machten dem Spektakel ein Ende. Deutschland war unter Druck, Europa war unter Druck. Es musste etwas geschehen. Zu Recht forderten die deutschen Reeder Schutz vom deutschen Staat für ihre Schiffe. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Uhl, ich muss Sie einmal kurz unterbrechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist jetzt wirklich deutlich zu laut geworden. Das ist einfach unfair gegenüber dem Kollegen Uhl. Ich bitte, auch ihm zuzuhören. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir werden heute eine wichtige Entscheidung treffen; deshalb bitte ich um die entsprechende Aufmerksamkeit. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Ich bedanke mich, Frau Präsidentin. – Zurück zur „Hansa Stavanger“. Damals hatten wir eine lange Diskussion über die Frage: Wer gewährleistet den Schutz durch den Staat? – Auf der einen Seite hatten wir die Polizei; die hatte zwar das Recht dazu, aber nicht die Fähigkeiten. Und dann hatten wir das Militär; die hatten die Fähigkeiten, aber nicht das Recht dazu. Weil der eine kann, aber nicht darf, der andere darf, aber nicht kann, war das Ergebnis, dass wir uns überlegen mussten, was wir tun. Die Resolution des UN-Sicherheitsrates und die Gemeinsame Aktion des Europäischen Rates bildeten dann die solide rechtliche Grundlage, um die Streitkräfte zum Einsatz zu bringen. Die Operation Atalanta war geboren, und das war auch gut so. Von den zahlreichen Attacken auf Handelsschiffe, die es zuvor gegeben hatte, blieben nach wenigen Jahren nur noch ganze vier Angriffe im Jahre 2014. Die Operation Atalanta, meine Damen und Herren von den Linken, ist für den sicheren Seeverkehr in diesem Teil der Welt also zweifellos ein Erfolg. Die generalpräventive Wirkung dieses Militäreinsatzes wird sicher auch in Zukunft dazu beitragen, dass keine Angriffe mehr stattfinden oder nur noch wenige. Auf der anderen Seite muss man bedenken: Ein Seegebiet anderthalbmal so groß wie Europa kann man mit vier Schiffen und zwei Seefernaufklärern natürlich nicht abdecken. Deswegen war es richtig, dass wir als zweite Maßnahme ein Gesetz für private Sicherheitsunternehmen geschaffen haben. Wir haben die Reeder in die Lage versetzt, auch selbst für Sicherheit zu sorgen, durch private Sicherheitsleute auf den Schiffen. Über 330 Schiffspassagen wurden seit dieser Zeit auf dieser Rechtsgrundlage gesichert. Soweit mir bekannt ist, ist noch kein einziges Schiff angegriffen worden, das von privaten Sicherheitsunternehmen geschützt war. Das heißt, auch diese zweite Maßnahme ist ein Erfolg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir werden nicht feststellen können, was in der Kausalkette den größeren Ausschlag gegeben hat: die Operation Atalanta oder die privaten Sicherheitsleute. Beides hat eine große Rolle gespielt. Aber allein der Umstand, dass sich Europa zusammengefunden hat und gezeigt hat, dass wir handlungsfähig sind, wenn es darum geht, Risiken auf der Welt zu beseitigen oder zu schmälern, war schon ein großer Erfolg. Wir haben eine Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschlossen, 1999 bereits. Wir haben bisher bereits 30 gemeinsame EU-geführte Zivil- und Militäroperationen durchgeführt. Aber ich glaube – das scheint mir das Wichtigste zu sein, wenn man die Operation Atalanta Revue passieren lässt –: In einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, brauchen wir noch sehr viel mehr solcher gemeinsamen europäischen Maßnahmen wie die Operation Atalanta. Wir müssen gemeinsam in Europa noch mehr für Krisenprävention und für Krisennachsorge in der Welt tun. Hier haben wir noch ein erhebliches Steigerungspotenzial. Eine sichere und stabile Welt von morgen braucht ein Europa, das mit einer Stimme spricht und geschlossen handelt. Das Atalanta-Mandat ist ein solches Mandat. Deswegen bitte ich um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4964, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/4769 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich weise darauf hin, dass mir mehrere persönliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorliegen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie jetzt, Ihre Plätze wieder einzunehmen, damit wir in unserer Tagesordnung fortfahren können. Sie wissen, dass wir heute eine sehr lange Tagesordnung haben. Deshalb bitte ich Sie, zügig Ihre Plätze einzunehmen und die Gespräche einzustellen. Jetzt können wir in unserer Tagesordnung fortfahren. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wertstoffgesetz jetzt vorlegen Drucksache 18/4648 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Debatte hat Peter Meiwald von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum bringen wir heute einen Antrag zum Wertstoffgesetz ein? Es sind sich doch alle einig, dass ein solches Gesetz dringend nötig ist, um der großen Ressourcenverschwendung im Umgang mit unserem Müll und dem ineffizient gewordenen System der Verpackungsordnung ein Ende zu bereiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Doch drei CDU/CSU-geführte Regierungen des letzten Jahrzehnts verschleppen das Vorhaben Wertstoffgesetz seit Jahren, zulasten von Umwelt und Verbraucherinnen und Verbrauchern. Große Mengen kostbarer Wertstoffe werden verbrannt, obwohl technisch sehr viel mehr Recycling möglich wäre. Zehn konkurrierende duale Systeme finanzieren vor allem ihre eigene Struktur, mit Systemkosten von mehr als 100 Millionen Euro im Jahr. Die Kunden zahlen dafür. Die einstmals angedachten Innovationsanreize für das Produktdesign im Rahmen des Konzepts der Produktverantwortung sind längst nicht mehr wahrnehmbar. Das einstmals gut gedachte Konzept der geteilten Verantwortung in der Wertstoffsammlung ist nicht die Antwort auf die Herausforderungen des Ressourcenschutzes in Gegenwart und Zukunft, weil es ineffizient ist und sich an einer Vermeidung von Lizenzentgelten orientiert. Daran haben auch die sieben Novellen zur Verpackungsverordnung im Kern nichts ändern können. Duale Systeme sind kein schützenswertes Kulturgut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Doch statt, wie seit mehr als einem Jahr immer wieder angekündigt, ein Wertstoffgesetz vorzulegen, das diesen Reformstau endlich beseitigt, will die Regierung jetzt in Elmau – wir haben davon gehört – die Frage des Plastikmülls mit einer Forschungsinitiative zur Rückholung von Müll aus dem Meer medienwirksam abfrühstücken. Das tut niemandem weh, klingt hübsch und ist auch durchaus sinnvoll, löst aber das große Problem der Ressourcenverschwendung nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir dagegen wollen substanziell etwas bei Produktdesign und Recyclingquoten verbessern. Seit der Gründung unserer Partei setzen wir Grüne uns kritisch mit der Wegwerfgesellschaft auseinander und ringen um die besten Lösungen für die Umwelt. Abfälle wird es immer geben; aber es kommt darauf an, die Wertstoffe darin so gut wie möglich zu nutzen und nur das zu verbrennen, was gar nicht mehr nutzbar ist oder so stark mit Umweltgiften verseucht ist, dass man es besser nicht weiternutzt. Die Zielsetzung „weg von der Deponie“ – durchaus auch angestoßen von Grünen – war ein erster großer Meilenstein; die Zielsetzung „weg von zu viel Verbrennung“ muss der nächste sein. Dies schreibt im Übrigen die europäische Abfallhierarchie längst vor. Unseren Vorschlag dafür legen wir heute vor. Erstens. Wir wollen, dass die Kunststoffe aus Hausmüll und Verpackungen in einem System, möglichst in einer Wertstofftonne, in Verantwortung der Kommunen gemeinsam eingesammelt werden. Es ist nicht mehr vermittelbar, dass, wie bisher, ein Plastikkleiderbügel, der zur Verkaufsverpackung gehört – wir haben darüber schon öfter gesprochen –, in den gelben Sack geworfen werden darf, ein anderer Bügel aus dem gleichen Material aber in die schwarze Tonne gehört. Das ist heute nicht mehr vermittelbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kommunen werden dann regelmäßig die Menschen vor Ort über den Verbleib der Wertstoffe und die Erfolge beim Recycling, bei der Verwertung unterrichten. Dann haben wir Transparenz, und alle, die fleißig -ihren Müll trennen, wissen endlich, wofür sie das eigentlich tun. (Zuruf von der LINKEN: Das ist eine gute Idee!) Zweitens. Die gesetzlichen Recyclingquoten müssen dringend sehr deutlich angehoben werden. Diesbezüglich gibt es eigentlich einen Konsens. Wir brauchen selbstlernende Quoten, die sich automatisch anpassen, wenn sich die Recyclingtechnik verbessert. Dadurch werden Innovationen in der Abfallwirtschaft unterstützt. Vielleicht wird Deutschland dann auch mal wieder Vorreiter. Dabei kommt es natürlich nicht nur darauf an, möglichst viel zu recyceln, sondern auch möglichst gut, das heißt, qualitativ sinnvoll zu recyceln und nicht downzucyceln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Wer in Zukunft Dinge und Verpackungen auf den Markt bringt, die viele Ressourcen verbrauchen oder schlecht zu recyceln sind, soll dafür mehr bezahlen als derjenige, der sich das Prinzip der Kreislaufwirtschaft zu eigen macht. Wir nennen das ökologische -Ressourcenabgabe. Eine neue zentrale Stelle in öffentlich-rechtlicher Hand soll die bisherigen Lizenzentgelte weiterentwickeln, hin zu Preisen, die die ökologische Wahrheit der Produkte und Verpackungen wirklich abbilden. Fachlich gibt es hierzu viel Konsens, doch das reicht nicht aus. Die SPD stand, bevor sie an die Regierung kam – ich spreche hier insbesondere Frau Hendricks an, auch wenn sie nicht anwesend ist –, Schulter an Schulter mit uns Grünen, gerade wenn es darum ging, dass die Kommunen die Verantwortung für die Abfälle zurückgewinnen sollen. Doch die Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners kommt heute nicht zu einer Einigung. Statt wenigstens schnell den ersten Schritt auf dem Weg zu einem Wertstoffgesetz zu gehen, wie wir ihn jetzt als Einstieg vorschlagen, bremsen Sie sogar kleine Einzelprojekte wie unseren Antrag zur Lösung des Mikro-plastikproblems aus und versprechen stattdessen einen großen Wurf, in dem alle Probleme des Mülluniversums auf einmal gelöst werden sollen. Am Sankt-Nimmerleins-Tag? Sie lassen sich wieder einmal zwischen den verschiedenen Machtinteressen zerreiben. Das geht zulasten -unserer Umwelt. Wir Grüne wollen ein neues System, das ökologischer und transparenter ist, und wir wollen, dass die Verantwortung dafür in einer Hand liegt, in der kommunalen Hand. Wenn Sie auf diesem Weg auch die durch Mikroplastik hervorgerufenen Probleme lösen oder die Ökologisierung der Gewerbeabfälle in der Zukunft gleich mitregeln wollen, beteiligen wir Grüne uns sehr gerne konstruktiv an diesem Verfahren. Aber fangen Sie bitte endlich an, zu handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Folgen Sie unserem Vorschlag! Gehen Sie die wirklichen Probleme an, und legen Sie endlich ein Wertstoffgesetz vor! Ankündigungen haben wir nun wirklich genug gehört. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen, und zwar dringend. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin schon am Ende angekommen. Vielen Dank, Frau Präsidentin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Thomas Gebhart von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Grünen fordern in ihrem Antrag ein Wertstoffgesetz. Es ist überhaupt keine Frage: Wir alle wollen ein Wertstoffgesetz. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legen Sie einmal eines vor!) Darin sind wir uns einig. Aber es ist auch klar: Wir wollen nicht irgendein Wertstoffgesetz, sondern dieses Wertstoffgesetz muss ein Fortschritt sein. Auf den Inhalt kommt es an. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben! Das haben wir gerade erklärt!) Dieses Wertstoffgesetz muss die richtigen Antworten auf die Herausforderungen geben. Das ist der entscheidende Punkt. Was sind diese Herausforderungen? Ich will nur einen allgemeinen Punkt ansprechen. Wir haben weltweit eine steigende Nachfrage nach Ressourcen. Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als wir langfristig zur Verfügung -haben. Die Weltbevölkerung wächst nach wie vor, und Deutschland ist in hohem Maße abhängig von Rohstoffimporten. Allein deswegen ist es erforderlich, dass wir die Kreisläufe in Zukunft noch besser als heute schließen, dass wir Abfälle vermeiden, dass wir aus Abfällen wertvolle Ressourcen gewinnen, dass wir Ressourcen eben nicht verbrauchen, sondern gebrauchen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen und wir werden weitergehen auf dem Weg zu einer echten Kreislaufwirtschaft. Das ist gut für die Umwelt. Das schont die Ressourcen. Das ist vor allem auch wirtschaftlich sinnvoll. Das ist eine wirtschaftliche Chance. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie?) Das ist sogar eine pure Notwendigkeit. Wenn wir heute über dieses Wertstoffgesetz debattieren, dann müssen wir zunächst einmal gedanklich an den Ausgangspunkt der Diskussion gehen: Wo kommen wir eigentlich her? Es war Anfang der 90er-Jahre in Deutschland. Wir hatten einen Müllnotstand und wussten nicht, wohin mit dem Müll. Dann hat Klaus Töpfer als Umweltminister etwas auf den Weg gebracht, was zu einem absoluten Erfolgsmodell wurde. Er hat die Verpackungsverordnung und damit das Prinzip der Produktverantwortung eingeführt. Diejenigen, die in Deutschland -Verpackungen an den Markt bringen, sind dafür verantwortlich, diese Verpackungen hinterher zurückzunehmen und möglichst wiederzuverwerten. Die Unternehmen übernehmen also Verantwortung auch für die Entsorgung ihrer Produkte. Sie übernehmen damit Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus. Das ist eine marktwirtschaftliche Lösung, weil nämlich die Entsorgungskosten Teil des Preises und des Wettbewerbs werden. So entsteht von Anfang an ein Anreiz, Verpackungen möglichst zu vermeiden und Verpackungen und Produkte so zu gestalten, dass sie einfach und günstig zu recyceln sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Was war die Wirkung? Die Verpackungsmenge ging zurück, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, was Sie machen wollen!) obwohl es zum Glück gleichzeitig ein Wirtschaftswachstum gab. Es wurden hochmoderne Recyclingtechno-logien und Innovationen entwickelt, Müllberge wurden kleiner, und die Kosten für die Verbraucher sind gesunken. Das war die Situation damals. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor 20 Jahren!) Heute, mehr als 20 Jahre später, stehen wir an dem Punkt, dass wir einen entscheidenden Schritt weitergehen können und weitergehen müssen. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch schon seit zehn Jahren!) Wir wollen, dass Verpackungen und Nichtverpackungen, die aber aus den gleichen Materialen bestehen, insbesondere Metalle und Kunststoffe, gemeinsam erfasst und möglichst recycelt werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nicht wahr! Der Hammer! – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir ja auch!) Kleiderbügel, die Quietscheente und der Locher aus Metall sollen künftig nicht mehr in den Restmüll und dann verbrannt werden, sondern gemeinsam mit dem Joghurtbecher erfasst und verwertet werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir alles schon seit zehn Jahren! Sie müssen es nur mal machen!) Das ist die erste unserer fünf Kernforderungen, die wir an ein Wertstoffgesetz haben. Die zweite Kernforderung der Union lautet: Wir müssen das bewährte Prinzip der Produktverantwortung auf diese stoffgleichen Nichtverpackungen ausdehnen. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn?) Die Entsorgung wird also, wenn es nach uns geht, künftig nicht mehr über Müllgebühren laufen, sondern beim Kauf gleich mitbezahlt. Für den Bürger entsteht dadurch kein zusätzlicher Aufwand. Es wird nicht teurer. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir uns ja einig!) Das Entscheidende ist aber: Die Hersteller erhalten Anreize, ihre Produkte so zu gestalten, dass wenig Abfälle entstehen und sie einfach zu recyceln sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Dazu soll es auch differenzierte Lizenzentgelte geben, sodass sich im Preis tatsächlich widerspiegelt, ob es sich um leicht oder schwer recycelbare Produkte handelt. Produktverantwortung stärken – dafür stehen wir in der Union wie keine andere Fraktion hier im Deutschen Bundestag. (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Marktwirtschaft und Umweltschutz zusammenbringen – das ist unser Erfolgsrezept. Ich habe von den Grünen in der Vergangenheit wenig dazu gehört. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Sie haben doch eben Ihre Ohren zugehalten! Das Letzte, was Sie geleistet haben, war Klaus Töpfer! Das ist 20 Jahre her!) Wir wollen die Produktverantwortung ausdehnen. Das wäre ein echter Quantensprung. Es freut mich, dass diese Unionsforderung immer mehr Zustimmung erhält, und zwar nicht nur hier im Parlament, sondern auch außerhalb des Parlaments bei denjenigen, die es am Ende umsetzen müssen. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie unserem Antrag zu!) Wenn es uns gelingt, dies in einem Wertstoffgesetz zu verankern und somit die Produktverantwortung zu stärken und auszudehnen, dann wird das Wertstoffgesetz zu einem echten Fortschritt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere dritte Kernforderung ist die Forderung nach einer zentralen Stelle. Diese ist notwendig. Wir haben heute im System Organisationsprobleme, die gelöst werden müssen. Wir brauchen mehr Transparenz. Wir brauchen mehr Ordnung und mehr Kontrolle des Systems, bessere Regeln und fairen Wettbewerb. Was wir aber nicht wollen, ist das, was die Grünen gerne machen würden: weniger Wettbewerb und mehr Kommunalisierung. Das wäre ein Schritt zurück. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich frage mich: Worin sollen denn die Vorteile dieses grünen Vorschlages liegen? Ich kann es nicht verstehen. Wie wollen Sie Ihr System eigentlich rechtlich sauber -finanzieren? Darauf geben Sie keine vernünftige Antwort. Ich frage mich schon – das frage ich vor allem die Grünen –: Wo liegt denn der umweltpolitische Mehrwert einer Kommunalisierung? Gerade in diesem Punkt ist der grüne Vorschlag absolut schwach. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür aber zustimmungsfähig in der Gesellschaft!) Wir setzen hingegen auf ein wettbewerblich organisiertes System. Natürlich muss die Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und den Privaten verbessert werden – keine Frage. Aber hierzu gibt es sehr gute Ansätze. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vorteil liegt in der Transparenz!) Unsere vierte Kernforderung: Wir wollen anspruchsvolle Recyclingquoten. Sie müssen technisch machbar sein, sie müssen ökonomisch und ökologisch sinnvoll sein. Es sollen dynamische Quoten sein, die an den technischen Fortschritt angepasst werden. Wenn wir heute die Situation, die Realität in Deutschland betrachten, dann stellen wir fest: Wir hinken hinterher. In der Tat, es ist deutlich mehr möglich als das, was heute gesetzlich verankert ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Deswegen wollen wir, dass künftig weniger verbrannt und mehr recycelt wird. Dies spart übrigens auch CO2; es ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Ambitionierte Re-cyclingquoten in einem Wertstoffgesetz – dann wird es zu einem Fortschritt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann?) Ich komme zu unserer fünften Kernforderung. Wir beschreiben dies als Vorabmaßnahme. Es geht um -Getränkeflaschen im Handel. Wir fordern, dass es im Handel Hinweise gibt, ob es sich um Mehrweg- oder Einwegflaschen handelt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!) Warum? Weil die Mehrwegquote in den letzten Jahren dramatisch gesunken ist. Sie lag im Jahr 2004 noch bei über 70 Prozent. Sie ist heute auf unter 50 Prozent gesunken. Die letzte Bundesregierung hat noch 2013 unter Federführung des damaligen Umweltministers Altmaier beschlossen, dass es im Handel die Pflicht zu Hinweisen geben soll, ob es sich um Mehrweg oder Einweg handelt. Dieser Vorschlag liegt seitdem im Bundesrat auf Eis. Dies ist nicht nachvollziehbar. Uns geht es darum, mehr Klarheit zu schaffen. Wir wollen den Verbraucher nicht bevormunden, aber wir wollen mehr Klarheit beim Getränkekauf für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Deswegen ist es unerträglich, dass der Bundesrat seine Zustimmung hierzu nach wie vor verweigert. Er nimmt damit auch in Kauf, dass diese Mehrwegquote immer weiter in den Keller geht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen fordere ich auch an dieser Stelle die Länder auf, diesen Vorschlag nicht weiter zu blockieren. Das sage ich insbesondere in Richtung der Grünen und der grünen Umweltminister. Blockieren Sie diesen Vorschlag nicht länger. Geben Sie Ihre Blockade auf. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen ein Wertstoffgesetz, das uns wirklich vo-ranbringt, das Innovationen schafft, das mehr Umwelt- und Ressourcenschutz schafft, ein Wertstoffgesetz, das aber auch ökonomisch Sinn macht (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist es denn? Sie regieren hier! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist es denn?) und einen echten Fortschritt bringt. Dafür stehen wir, und dafür arbeiten wir. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Sie über das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta“ auf den Drucksachen 18/4769 und 18/4964 informieren: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben davon gestimmt 465, mit Nein haben gestimmt 72. 49 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 582; davon ja: 461 nein: 72 enthalten: 49 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Dr. Carsten Sieling Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Nein SPD Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Michael Groß Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis René Röspel Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl Christian Kühn (Tübingen) Monika Lazar Peter Meiwald Lisa Paus Corinna Rüffer Hans-Christian Ströbele Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Jetzt hat Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen fordern in ihrem Antrag, dass die Bundesregierung endlich ein Wertstoffgesetz vorlegt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Es ist aber weder der richtige Zeitpunkt noch die richtige Koalition für diese Forderung. (Beifall bei der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür können wir doch nichts!) Die Schwerpunkte sind richtig: weniger Verbrauch von Rohstoffen und mehr Recycling für Umweltschutz, die ökonomisch und ökologisch sinnvolle Abschaffung der dualen Systeme und die Einführung einer Ressourcenverbrauchsabgabe, um unnötigen Konsum zu verhindern und die Wiederverwendung von Produkten zu -fördern. Diese Forderungen unterstützt die Linke seit Jahren. Es sind gute und richtige Forderungen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber mit dieser Koalition ist das nicht zu schaffen. Diese Koalition würde ein Wertstoffgesetz konterkarieren, wie das neue Elektrogesetz zeigt. Ich begründe das. Erstens. Wertstoffe wie Papier und Glas werden bereits heute getrennt erfasst. Metalle werden vor oder nach der Restmüllverbrennung zurückgewonnen. Diese Wertstoffe werden heute von kommunalen Entsorgern genutzt und verkauft. Damit bezahlen die kommunalen Entsorger teilweise die teure Restmüllbeseitigung. Die Gewinne aus diesem Geschäft mit Wertstoffen stiegen seit 2007 so stark, dass die durchschnittlichen Müllgebühren in Deutschland seit 2007 konstant blieben, trotz Tarifsteigerungen für Beschäftigte, die sehr begrüßenswert sind, höherer Betriebs- und Anlagenkosten und strengerer Umweltnormen. Über 1 Milliarde Euro Entlastung brachte dies für Sie, für mich und für alle Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler pro Jahr oder, anders gerechnet, rund 12 Euro pro Einwohner und Jahr, und dies dank eines fehlenden Wertstoffgesetzes. Diese Milliarde weckt seit Jahren Begehrlichkeiten bei privaten Entsorgungskonzernen. 2012 wollten die Konzerne über die Neufassung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes diese Milliarde kassieren. Das konnte verhindert werden. Jetzt folgt die Kritik: Mit einem Wertstoffgesetz machen wir dieses Fass, das bisher dicht war, wieder auf. Deshalb ist es falsch, die Forderung nach einem Wertstoffgesetz heute auf die Tagesordnung zu setzen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für eine Logik? Sie legen nichts vor, weil die falsche Regierung regiert? – Ulli Nissen [SPD]: Heißt das, dass Sie jetzt keine Anträge mehr stellen?) Zweitens. Ja, die Verpackungsverordnung mit dem dualen System ist ein ineffektives Bürokratiemonster voller Betrugsmöglichkeiten. Trotz der oder durch die Verpackungsverordnung explodierte die Menge an produzierten Kunststoffverpackungen in Deutschland von 1,5 Millionen Tonnen 1997 auf über 3 Millionen Tonnen 2014. Die Menge von Papp- und Papierverpackungen stieg im gleichen Zeitraum von 5,2 Millionen Tonnen auf 7,2 Millionen Tonnen jährlich. Betrug hat System im Bereich der Verpackungsverordnung. Trotzdem erklären Umweltministerium und Koalition die dualen Systeme zum Erfolg. Ich frage mich, wie man das bei diesen Fakten machen kann. Das geht nur, wenn man entweder eine Gehirnwäsche durchlaufen hat oder von Lobbyisten vereinnahmt wurde. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sorry, liebe Grüne: Diese Koalition würde bei der Einführung des Wertstoffgesetzes genau das Falsche machen. Sie würde eine Wertstofftonne unter der Regie der dualen Systeme einführen. Dann nehmen in weiteren Bereichen Bürokratie und Betrug zu. Das wäre ein Horror für die Umwelt und die Verbraucherinnen und Verbraucher, die alles bezahlen müssen. Deshalb sage ich: Es ist besser, kein Wertstoffgesetz einzuführen, zumal sich die Wertstofferfassung derzeit rechnet und in der Praxis auch umgesetzt wird. Bei dieser Großen Koalition würde ein Wertstoffgesetz mehr Schaden als Nutzen verursachen. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Nordrhein-Westfalen stehen derzeit 100 Anlagen still!) Aber auch wir wollen die Koalition treiben. Lassen Sie uns einen Schritt gehen. Mit Forderungen zugunsten der Wiederverwendung von Produkten und nach langen, garantierten Nutzungszeiten können wir die Koalition treiben. Dies schont unser aller Geldbeutel und die Umwelt. Der Einführung einer Ressourcenverbrauchsteuer steht auch unabhängig von einem Wertstoffgesetz nichts entgegen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach deiner Logik würde die Koalition ja wieder was Schlimmes daraus machen!) Diese Forderung ist wichtig; da sind wir uns einig. Die Wertstofftonne vertagen wir, bis wir die SPD von einer verbraucher-, kommunal- und umweltfreundlichen Lösung überzeugt haben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte hat Michael Thews von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Thews (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Dieses berühmte Zitat von Max Weber bestätigt sich – das hat die Diskussion eben gezeigt – gerade im Falle des Wertstoffgesetzes wieder einmal. Die Geschichte des Wertstoffgesetzes reicht zugegebenermaßen schon etwas länger zurück, aber sie ist nicht unendlich, und sie ist, wenn es nach mir geht, auch nicht ohne Happy End. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Forderung der Grünen, jetzt den Entwurf eines Wertstoffgesetzes vorzulegen, ist verständlich. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Aber das ist leicht gesagt. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt das vor einem Jahr selber gesagt!) Die Bestrebung, ein Wertstoffgesetz zu verabschieden, gibt es schon seit Jahren. Umweltminister Norbert Röttgen hat sich genauso vergeblich darum bemüht wie sein Nachfolger Peter Altmaier. Alle Beteiligten wissen: Es ist jetzt höchste Zeit, das Wertstoffgesetz auf den Weg zu bringen. Beispiele für unverständliche Regelungen – einige wurden schon genannt – gibt es viele. Die Tatsache, dass der kaputte Drahtkleiderbügel aus dem Kleiderschrank in eine andere Mülltonne gehört als der Drahtkleiderbügel aus der Reinigung oder dass die Plastikente in eine andere Tonne gehört als der Joghurtbecher, ist weder ökologisch sinnvoll noch für die Verbraucher nachvollziehbar oder praktikabel. Deshalb brauchen wir eine Mülltrennung, die sich nach dem Material des Gegenstandes richtet und nicht nach seinem Gebrauchszweck. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Völlig richtig so!) Wir brauchen die Wertstofftonne, und da sind wir uns weitestgehend einig. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man es doch machen!) Genauso einig sind wir uns darüber, dass wir anspruchsvollere Recyclingquoten brauchen und dass wir die Ressourceneffizienz steigern wollen. Einig sind wir uns auch, dass die Fehlentwicklungen, die bei der Verpackungsverordnung in den letzten Jahren zum Beinahekollaps der dualen Systeme geführt haben, beseitigt werden. Wir wollen mehr Transparenz und mehr Kontrolle, und die siebte Novelle, so finde ich jedenfalls, war ein wichtiger Schritt in diese Richtung. (Beifall bei der SPD) Trotzdem ist das mit dem Wertstoffgesetz nicht so einfach. Das liegt wie so oft an den unterschiedlichen und teilweise auch sehr gegensätzlichen Interessen der Beteiligten. Die private Entsorgungsindustrie braucht Planungssicherheit, um in neue Sortier- und Recyclingtechnik investieren zu können. Die Hersteller, die die Sammlung und Verwertung finanzieren sollen, wollen die Kosten möglichst gering halten. Die dualen Systeme wollen die aufgebauten Strukturen und ihre Geschäftsfelder erhalten, und die Bürgerinnen und Bürger, was wollen die? Die wollen eine verständliche, ökologische, einfache und kostengünstige Lösung. Die Kommunen, die für die meisten Bürgerinnen und Bürger der erste Ansprechpartner für alle Probleme und Fragen rund um die Müllentsorgung sind, weil diese eben als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge verstanden wird, wollen nicht für etwas verantwortlich gemacht werden, was sie nicht beeinflussen können. (Ulli Nissen [SPD]: Deshalb müssen wir es auch dringend so machen, dass sie zuständig sind!) Sie brauchen daher unbedingt wirksame Steuerungsmöglichkeiten und, wenn es nach mir geht, die Sammlungshoheit, die allerdings von vielen infrage gestellt wird. Wenn die gelbe Tonne oder der gelbe Sack nicht oder nicht rechtzeitig abgeholt werden, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich warte noch auf die Begründung, warum ihr das Gesetz nicht vorlegt!) wenn die Säcke bei der Sammlung aufplatzen und die Gehwege verschmutzen, wenn es nicht genug Säcke gibt oder sie zu selten abgeholt werden, dann wenden sich die Bürgerinnen und Bürger an die Kommune. Das ist auch grundsätzlich in Ordnung; denn die Kommune ist für viele Dinge der unmittelbare Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger. (Beifall bei der SPD) Gleichzeitig hat die Kommune so auch den unmittelbaren Zugang zum Bürger und kann für die Abfalltrennung die erforderliche Akzeptanz und das erforderliche Wissen schaffen. (Ulli Nissen [SPD]: Völlig richtig!) Es ist auch in Ordnung, wenn die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass bestimmte Leistungen, auch unter unwirtschaftlichen Bedingungen, zuverlässig erbracht werden und „insolvenzfest“ sind. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Höre ich da einen Unterschied zur Union heraus?) Aber dann muss die Kommune auch Problemen bei der Sammlung entgegensteuern können. Sie muss Einflussmöglichkeiten haben, und sie muss den Systembetreibern auch Vorgaben machen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade hier hat es aber in den letzten Jahren unter dem Regime der Verpackungsverordnung unzählige Rechtsstreitigkeiten gegeben über Fragen wie: wer wann und unter welchen Voraussetzungen eine Abstimmungsvereinbarung beenden oder Änderungen verlangen kann, wessen Entsorgungssystem sich nun anpassen muss und wer von wem eigentlich wie viel Geld bekommt. Die Gesamtgemengelange der unterschiedlichen Interessen ist in Wahrheit noch wesentlich differenzierter und schwieriger, als ich sie jetzt mit einigen Pinsel-strichen gemalt habe; aber ich denke, es ist deutlich geworden, dass es hier viele berechtigte und gegenläufige Interessen der Beteiligten gibt. Gerade weil wir uns in so vielen wichtigen Punkten wie anspruchsvollere Recy-clingquoten, Weiterentwicklung der Produktverantwortung oder auch Einrichtung einer zentralen Stelle einig sind, hoffe ich sehr, dass wir es in dieser Legislatur-periode schaffen werden, ein Wertstoffgesetz zu verabschieden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt aber nicht sehr überzeugt!) Was die Produktverantwortung angeht, müssen wir es allerdings auch schaffen, diese zu einem ökologischen Lenkungsinstrument zu entwickeln. Sie darf von den Herstellern nicht nur als finanzielle Verantwortung verstanden werden, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hoffnung stirbt zuletzt!) zumal die finanzielle Verpflichtung zwar zu guten Einnahmen bei den dualen Systemen führt, aber auch viel zu oft nur ein dünner Finanzfluss zum Beispiel bei den Recyclern ankommt. Gutes Recycling braucht gute Anlagen, und die kosten nun einmal Geld. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die heute schon viel beschworene Produktverantwortung muss wieder als Verantwortung verstanden werden, ressourcenschonende, besser verwertbare oder wiederverwendbare Produkte herzustellen; denn eins ist klar: Wir wollen und wir müssen weitermachen auf unserem Weg zu einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft. Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, auf Sekundärrohstoffe zu verzichten. Die Kreislaufwirtschaft muss dazu beitragen, die sozialen und ökologischen Folgen des zunehmenden Rohstoffabbaus einzugrenzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vor dem Hintergrund der Endlichkeit natürlicher Ressourcen und stetig steigender Rohstoffpreise haben wir nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch auf die Dauer keine andere Wahl. Die Bundesregierung hat sich in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel gesetzt, bis 2020 im Vergleich zu 1994 für die gleiche Menge an Gütern nur halb so viele Rohstoffe einzusetzen. Ich meine, das kann nur mit einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft gelingen. (Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Das sehen wir auch so!) Wir werden zur weiteren Vervollkommnung dieser Kreislaufwirtschaft in diesem Jahr unter anderem noch das Elektro- und Elektronikgerätegesetz, die Gewerbeabfallverordnung und die Novelle des Batteriegesetzes auf den Weg bringen und so auch noch andere Stoffströme in den Fokus nehmen. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Es ist nicht damit getan, dass der Müll in die richtige Tonne kommt, und es ist auch nicht damit getan, dass die Recy-clingquoten erhöht werden; denn Recycling ist kein Wert an sich. Es muss für die Recyclate auch einen Markt geben – ein weiteres hartes Brett, das wir mit Leidenschaft und Augenmaß bohren werden. Vielen Dank für Ihr Interesse. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4648 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Vereinten Nationen geführten Mission UNMIL in Liberia auf Grundlage der Resolution 1509 (2003) und nachfolgender Verlängerungsresolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt Resolution 2190 (2014) vom 15. Dezember 2014 und der Resolution 2215 (2015) vom 2. April 2015 Drucksachen 18/4768, 18/4965 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4977 Über diese Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Debatte hat Dr. Bärbel Kofler von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]) Dr. Bärbel Kofler (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute hier ein Mandat in Liberia, das bereits seit zwölf Jahren existiert und, wie ich glaube, einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit, aber auch zum Aufbau von staatlichen Institutionen in Liberia geleistet hat. Wer die Situation in diesem westafrikanischen Land vor zwölf Jahren noch vor Augen hat, weiß: Es war ein wirklich gebeuteltes Land, das Jahre des Bürgerkriegs hinter sich hatte, in dem 250 000 Menschen ihr Leben verloren haben. Es gab mehr als 1 Million Vertriebene. Das Land war tief gespalten, wirtschaftlich und sozial. Die Infrastruktur war am Boden. Das Mandat ist von einer Vorgängermission der westafrikanischen Staaten übernommen worden, die sich um einen Friedensvertrag, um Friedensschluss bemüht haben. Mit dem Friedensvertrag von Accra sollte über die UN-Mission ein Beitrag dazu geleistet werden, Liberia zu stabilisieren und vor allem – das ist das Bedeutende, das Wichtige daran – die Zivilbevölkerung in diesem Land zu schützen. Ich glaube, es ist wichtig, ein solches Mandat zu unterstützen. Es ist wichtig, dass wir es gemeinsam unterstützen, dass wir es als Völkergemeinschaft unterstützen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]) Ursprünglich war diese Mission auf 15 000 Mann ausgelegt, konnte aber – auch das ist ein Indiz dafür, dass in die richtige Richtung gearbeitet wurde – in den ersten drei Jahren bereits um zwei Drittel reduziert werden. Der Fokus konnte auf verschiedene Aspekte, auch nichtmilitärische Aspekte, ausgeweitet werden. Wichtig, glaube ich, ist, dass es mit diesem Mandat gelungen ist, drei demokratische Wahlen in Liberia abzusichern: im Jahr 2005, im Jahr 2011 und im Jahr 2014. Es ist wichtig, dass diese Wahlen frei, demokratisch und vor allem sicher für die Zivilbevölkerung abgehalten werden konnten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht aber um weit mehr als um den militärischen Sektor, auch wenn er in diesem Fall wegen der Sicherung der Zivilbevölkerung sehr wichtig ist. Es geht um den Aufbau von Institutionen in Liberia. Es geht um die Arbeit, die auch von Polizisten in Liberia geleistet wird, um die Ausbildung von Polizeikräften auch in ländlichen Strukturen, um die Frage, wie man Dezentralisierung auch im Bereich der Sicherheitskräfte voranbringen und gerade auch auf dem Land Sicherheit herstellen kann. Es geht ferner – das darf nicht vergessen werden – um das zivile Personal, das im Rahmen dieser UN-Mission Rechtsberatung leistet, Beratung beim Aufbau von Justiz- und Sicherheitssystemen leistet, Fragen der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte, aber auch Fragen des Gesundheitswesens – ich erinnere insbesondere an HIV/Aids – mit bearbeitet und hier wertvolle Beiträge leistet. Das Mandat läuft am 30. Juni nächsten Jahres aus. Dann soll Liberia die gesamte Sicherheitsverantwortung übernehmen. Ich glaube, es war richtig, in den letzten Wochen und Monaten die Truppenreduzierung wegen der Ebolaepidemie in Liberia auszusetzen und erst jetzt langsam damit fortzufahren. Nach Beschluss vom April dieses Jahres wird derzeit über 3 590 Soldaten, 1 515 Polizisten, aber auch 390 zivile Experten diskutiert. Deutschland beteiligt sich seit dem Jahr 2004 vor allem im Bereich der Polizei mit fünf Polizistinnen und Polizisten, im Bereich des zivilen Personals mit sechs Expertinnen und Experten und ab Sommer dieses Jahres eben auch das erste Mal mit fünf Soldatinnen und Soldaten, auch in der führenden Position des stellvertretenden Befehlshabers von UNMIL. Ich glaube, es ist richtig, dass wir uns daran beteiligen, und ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir das an der Mission UNMIL insgesamt tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Mission hatte in den letzten Wochen und Monaten schwierige Aufgaben zu übernehmen, insbesondere als es um den Umgang mit der Ebolaepidemie ging. Ich glaube, es ist ein positiver Beitrag, dass es hier neben der anderen Mission der UN, UNMEER, bei der es explizit um die Bekämpfung der Ebolaepidemie ging, gelungen ist, logistische Unterstützung zu leisten und den Transport von Hilfsgütern in entlegene Landesteile zu begleiten. Es ist aber auch nicht zu unterschätzen, dass es gelungen ist, einen Beitrag zur gesundheitlichen Aufklärung der Bevölkerung in Liberia, zum Beispiel über einen missionseigenen Radiosender, zu leisten und Erkenntnisse über Krisen, Ursachen und Vermeidungsstrategien im Zusammenhang mit der Ausbreitung von Ebola zu sammeln und zu verbreiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Mission soll zu einem für Liberia sehr schwierigen Zeitpunkt enden. Ich glaube, es ist wichtig, sich über die Mission hinaus Gedanken zu machen, wie wir Liberia weiter begleiten und unterstützen können. Das Land hat, wie gesagt, Jahrzehnte des Bürgerkriegs hinter sich, der Destabilisierung, auch des Vertrauensverlustes der Bevölkerung im Hinblick auf alle staatlichen Institutionen, auf ihren Staat als Ganzes. Liberia hat im letzten Jahr mit fast 4 700 Toten den größten Anteil aller westafrikanischen Länder an den Toten der Ebolaepidemie zu verkraften gehabt. Auch das hatte natürlich ökonomische und humanitäre Folgen für das Land. Das Wirtschaftswachstum ist eingebrochen. Besonders schlimm finde ich, dass in einem Land, in dem Arbeitslosigkeit sowieso grassiert, noch einmal 46 Prozent der arbeitenden Menschen ihre Arbeit und damit ihre Existenzgrundlage verloren haben, dass das Haushaltsvolumen des Staates Liberia noch einmal um prognostizierte 25 Prozent zurückgehen wird und dass natürlich auch die Ernährungssituation aufgrund der Ernteausfälle und der nicht möglichen Arbeit in der Landwirtschaft das Land vor entsprechend große humanitäre Herausforderungen stellen wird. Ich glaube, gerade in dieser Situation wird die Aufgabe sein, jenseits von UNMIL eine Antwort auf die Frage zu geben: Wie können wir das staatliche Gesundheitssystem und die Strukturen in Liberia stärken, um den nächsten Krisen und Epidemien vorzubeugen, um den Menschen eine Basis zu geben, sich gesundheitlich versorgen zu können und es ihnen zu ermöglichen, Vertrauen in den eigenen Staat wiederzugewinnen? Ich glaube, es ist wichtig und richtig, dass wir über die humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes, aber genauso über die Entwicklungszusammenarbeit des BMZ entscheidende Beiträge geleistet haben. Es ist richtig, dass wir beim Wiederaufbau im Transportsektor und bei der Infrastruktur viel geleistet haben, bei der Rehabilitierung von Wasserkraftwerken, aber auch dabei, im Rohstoffsektor Transparenz bei der Entnahme der Rohstoffe herzustellen, damit die eigenen Ressourcen auch für die Bevölkerung in Liberia genutzt werden können. Ich glaube aber, dass wir als Völkergemeinschaft noch einen langen Atem über die Mission UNMIL hinaus brauchen werden, dass wir hier humanitär und entwicklungspolitisch arbeiten müssen, um dem Land eine Basis für eine friedliche Zukunft zu geben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute hier abschließend über diesen Bundeswehreinsatz. Einzig meine Fraktion, die Linksfraktion im Deutschen Bundestag, war dagegen, keine Öffentlichkeit bei diesem Bundeswehreinsatz herzustellen. Wie richtig es ist, Bundeswehreinsätze immer im Lichte der Öffentlichkeit zu beraten – Sie werden sie dann leider mit Ihrer Mehrheit beschließen –, hat noch einmal eine Anhörung der Linksfraktion im Deutschen Bundestag am Montag ergeben, in der der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Herr Willy Wimmer, Mitglied der CDU, als Sachverständiger anwesend war und unterstrichen hat: Man muss alles gegen eine Aushöhlung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes durch die sogenannte Parlamentskommission tun, die den Parlamentarierinnen und Parlamentariern noch nicht einmal Einsicht in ihre Unterlagen gewährt. Es lässt Schlimmes vermuten, wenn man den Parlamentariern noch nicht einmal Zugang zu den Unterlagen dieser Kommission gewährt. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Sie hätten doch in der Kommission mitmachen können! Sie waren doch eingeladen!) Der Auslandseinsatz der Bundeswehr in Liberia wirft viele Fragen auf. Zunächst einmal drängt sich der Eindruck auf, dass die Bundesregierung wieder einmal die falschen Prioritäten setzt. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass sie den Einsatz auch mit dem Kampf gegen Ebola begründet. Während die kleine Insel Kuba Ärzte nach Westafrika schickte, schickt Deutschland Bundeswehrsoldaten. (Beifall des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) Hier möchte ich die Arbeit der vielen Helferinnen und Helfer gar nicht schmälern. Aber gerade jetzt, wo neue Ebolafälle in den Nachbarländern Liberias auftauchen, brauchen wir nicht nur eine neue Strategie der Weltgesundheitsorganisation, sondern ein ziviles, humanitäres Hilfskorps. Es ist doch beschämend, dass eine kleine Insel wie Kuba mehr Ärzte nach Westafrika geschickt hat als die großen NATO-Staaten zusammen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Zweitens fällt auf, dass Sie die Afrika-Präsenz der Bundeswehr immer weiter ausdehnen. Wohin soll das eigentlich führen? Ist dies der grundgesetzliche Auftrag der Bundeswehr? Ich finde es jedenfalls bezeichnend, dass Sie unter internationaler Verantwortung zuvörderst die weltweite Entsendung von Bundeswehrsoldaten verstehen. Die Linke lehnt das ab. (Beifall bei der LINKEN) In diesem Zusammenhang muss man auch sehen, dass bei diesem Einsatz ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotenzial vorhanden ist. 2011 gab es eine militärische Beteiligung von UNMIL aufseiten Frankreichs an der Côte d’Ivoire an UNOCI. Der Regime-Change an der Côte d’Ivoire, im Nachbarland Liberias, wurde vorangetrieben. Das war schon damals ein Tabubruch. Im Oktober dieses Jahres stehen dort fragwürdige Wahlen an, für die noch nicht einmal ein Viertel der Bevölkerung als Wähler registriert ist. Viele Anhänger und Kämpfer des ehemaligen Präsidenten sind nach Liberia geflohen und dort von UNMIL teilweise verfolgt worden oder wurden wegen ihrer Absicht, an die Côte d’Ivoire zu kommen und dort zu kämpfen, erst gar nicht über die Grenze gelassen, weil UNMIL die Grenze dichtgemacht hat. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das deutsche Führungspersonal, das auch in anderen Ländern wie Mali, Nigeria und in der Zentralafrikanischen Republik eng mit Frankreich zusammenarbeitet, wesentlich an der Entscheidung mitwirken wird, ob Kampfhubschrauber von UNMIL wieder UNOCI an der Côte d’Ivoire unterstellt werden, um dort die Wiederwahl des dortigen Präsidenten des Westens, Ouattara, abzusichern. Dieser Einsatz birgt also ein Konfliktpotenzial. Deshalb lehnt die Linke diesen Einsatz ab. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind der Auffassung, dass man tatsächlich humanitäre, internationale Verantwortung übernehmen sollte. Schicken wir deshalb Ärzte statt Soldaten nach Liberia! Bauen wir dort ein Gesundheitssystem gegen Ebola auf! Das wäre eine wirklich humanitäre Intervention, die ihrem Namen gerecht wird. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner in der Debatte hat Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dağdelen, glauben Sie ja nicht, dass mir Ihre Argumente die Stimme verschlagen haben. (Heiterkeit bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was höre ich denn da?) Dafür hätte es anderer Kaliber bedurft. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie grenzen sich in vielen Punkten aus. Hätten Sie doch bei der Parlamentskommission mitgemacht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und hätten sich beteiligt bei der Erörterung der Fragen der Verbesserung der Parlamentsrechte, der Stärkung der Parlamentsrechte und der Erhöhung der Verlässlichkeit unseres internationalen Engagements. – Fehlanzeige! (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie rechtfertigen, dass Parlamentarier keinen Zugang zu Dokumenten haben! Was ist denn das für ein Parlamentsverständnis? Was ist denn das für ein Demokratieverständnis? Einfach eine Schande!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute, in diesem Monat und im nächsten Monat, feiern wir 70 Jahre Vereinte Nationen. Wir werden dazu im Bundestag noch gesondert debattieren. In den letzten 20 Jahren haben sich die Vereinten Nationen in außergewöhnlichem Maße in der Krisenprävention und in der Krisennachsorge engagiert. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Eine Schande, was sich so alles Parlamentarier nennt!) In Liberia haben sich die Vereinten Nationen in einer der größten Missionen in ihrer Geschichte von 2003 an engagiert. Wir müssen einmal schauen, wo Liberia herkommt: Seit Ende der 80er-Jahre bis 2003 hat eine Viertelmillion Menschen in verheerenden Bürgerkriegen ihr Leben verloren. Mit der UN-Mission seit 2003 sind drei wesentliche Fortschritte für Liberia erreicht und damit auch Leuchttürme für die Entwicklung anderer afrikanischer Staaten gesetzt worden. Erstens. Erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen ist es der UNO gelungen, einen amtierenden Staatspräsidenten, einen Kriegsverbrecher, den Diktator Taylor, vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen. Das hatte nichts mit militärischem Engagement zu tun, sondern mit Rechtsstaatlichkeit, Kollegen von der Linken. (Zuruf von der LINKEN: Der Bush fehlt noch! – Heiterkeit bei der LINKEN) Zweitens. Liberia ist ein Land, das wie wenige andere Transparenz auf dem Rohstoffsektor hergestellt hat. Dieses Land ist zertifiziert und damit auch Leuchtturm für andere afrikanische Staaten. Das hat nichts mit Militarisierung zu tun. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist überholt! GPS gibt es jetzt!) Drittens ist Liberia ein Land, das über den Pariser Prozess erfolgreich eine Entschuldung zu Ende gebracht hat. Das ist doch das, was wir in der Entwicklungszusammenarbeit, in der Außenpolitik anstreben sollten, nämlich dass diese Staaten von selber wieder auf die Füße kommen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die wesentliche Leistung der Vereinten Nationen ist es, sich für Demokratie eingesetzt zu haben, für Rechtsstaatlichkeit, für Reformen im Sicherheitssektor und – das ist das, was mir persönlich sehr am Herzen liegt – eben auch für Perspektiven und marktgerechte Möglichkeiten, sodass sich die Menschen in der Wirtschaft organisieren können. Seit 2003 ist diese Mission, die einstmals fast 20 000 Soldatinnen und Soldaten sowie Polizistinnen und Polizisten umfasst hat, auf gerade einmal 5 000 reduziert worden. (Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]) Wir steigen in eine Mission in einem geschundenen Land ein, um zu zeigen, dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Wir haben das, glaube ich, mit einer sehr guten Vorleistung hinbekommen. Deutschland hat dank des Engagements unseres Außenministers und unserer Verteidigungsministerin die Ebolaseuche massiv bekämpft: nicht nur mit 200 Millionen Euro Haushaltsmitteln – sie waren dort richtig eingesetzt –, sondern auch mit Flügen der deutschen Luftwaffe, auf denen 700 Tonnen Hilfsgüter transportiert wurden. Mein Dank gilt den Bundeswehrsoldaten vor Ort, den Helferinnen und Helfern und insbesondere den Helferinnen und Helfern des Deutschen Roten Kreuzes, die jetzt den Militäreinsatz in eine zivile Mission zur Bekämpfung von Ebola überführt haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte abschließend noch drei Punkte ansprechen, die belegen, warum unser Engagement so wichtig ist: Erstens. Deutschland hat Verantwortung gezeigt und hat gezeigt, dass es verlässlich ist. Unsere Kanzlerin hat bei der Sicherheitskonferenz in München gesagt: Wenn jemand gebraucht wird, dann sind wir da. Wir dienen uns nicht an, aber wenn Not am Mann, Not an der Frau ist, steht Deutschland der internationalen Gemeinschaft verlässlich zur Seite. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Oh weia!) Dem ist nichts hinzuzufügen. Zweitens. Wir Deutschen müssen sehr darauf achten, dass wir in Afrika ein europäisches Gesicht bekommen. Es darf nicht eine Interessenaufteilung geben: Frankreich kümmert sich um Afrika, und wir kümmern uns um Osteuropa und die Ukraine. Wir brauchen eine europäische Präsenz, (Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]) und unser Ziel einer europäischen Verteidigungsunion kann nicht besser dargestellt werden als zum Beispiel dadurch, dass wir uns beim Aufbau medizinischer Fähigkeiten in Afrika engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Drittens. Wir werden Führungsverantwortung übernehmen, indem wir den stellvertretenden Missionsleiter stellen. Wir hätten diese sehr kleine Mission gerne im vereinfachten Verfahren durch den Bundestag gebracht. Allerdings ist es Sache des Bundestages selbst, darüber zu entscheiden, was er im vereinfachten Verfahren beschließt und was er der Regierung überlässt. Entscheidend ist – gleich ob wir es im vereinfachten Verfahren machen oder nicht –, dass wir als Bundestag hinter diesem Einsatz stehen und mit ganzer Kraft Verantwortung zeigen und den Soldatinnen und Soldaten in der Region und allen Helfern sagen: Wir stehen an eurer Seite. Europa unterstützt diesen Einsatz. Wir wollen Westafrika stabilisieren, um den Staaten, die im nördlichen Afrika vor dem Zerfall stehen, zu zeigen, dass wir in der Region nachhaltig präsent sind. Das machen wir mit dem Einsatz in Liberia. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit hat jetzt Agnieszka Brugger von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten 25 Jahren haben die Menschen in Liberia viel Leid ertragen müssen. Aktuell leiden sie immer noch -unter dem Ausbruch der Ebolakrise. Aber in der Vergangenheit gab es auch zwei blutige Bürgerkriege. Einer davon war einer der schlimmsten auf dem afrikanischen Kontinent. 2003 hat die Weltgemeinschaft, haben sich die Vereinten Nationen dazu entschlossen, sich dort für mehr Frieden, Sicherheit und Stabilität zu engagieren und eine Friedensmission der Vereinten Nationen auf den Weg zu bringen, UNMIL. Am Anfang hatte die Mission die Aufgabe, den Waffenstillstand abzusichern, und sie hat auch Staatsaufgaben in dem bürgerkriegszerrütteten Land übernommen. 2003 waren 15 000 Männer und Frauen im Rahmen von UNMIL eingesetzt. Heute sind es noch 6 000 Menschen. Dazu gehört die einzige weibliche VN-Polizeieinheit. Ich finde, wir brauchen mehr davon, weil es gerade für Frauen in Krisenregionen wichtig ist, auf weibliche Sicherheitskräfte als Ansprechpartner zu treffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) In den letzten Jahren haben mehrfach Wahlen stattgefunden. In Liberia wurde die erste Präsidentin Afrikas gewählt; sie ist inzwischen auch Friedensnobelpreisträgerin. Auf all diese Erfolge sollte man zurückschauen. Die aktuellen Aufgaben von UNMIL sind etwas anders. Es geht um den Schutz der Zivilbevölkerung, um die Sicherung von humanitären Hilfsleistungen, um die Reform des Sicherheits- und Justizsektors – das ist nach wie vor eine sehr schwierige Aufgabe – oder eben auch um die Sicherung der Menschenrechte. Ich finde, die zahlenmäßige Reduktion dieser Mission, aber auch die Veränderung des Auftrags zeigen deutlich, dass es sich hier um eine erfolgreiche Mission handelt. Es wird aber auch klar: Der Weg ist oft lang, und er ist auch noch nicht ganz zu Ende gegangen. Mit dem Mandat, das die Bundesregierung heute hier vorlegt, sollen deutsche Soldatinnen und Soldaten entsandt werden, um die Führung der Mission zu unterstützen. Deutschland soll sogar den stellvertretenden Leiter stellen. Das mag zahlenmäßig vielleicht ein geringer Beitrag sein. Er ist aber richtig und ein sehr wertvoller Beitrag, weil er großen Einfluss auf die Ausgestaltung dieser Mission bietet. Ich wünsche den Soldatinnen und Soldaten, die in diesen Einsatz gehen werden, viel Erfolg bei ihren wichtigen Aufgaben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, wir debattieren schon seit längerem die neue deutsche Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik. Für uns Grüne bedeutet mehr Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik mehr Einsatz für die Vereinten Nationen und für ihre Bemühungen, weltweit für Frieden und Sicherheit zu sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für die VN-Friedensmission heißt das ganz konkret, dass man vor allem die zivile Komponente stärkt und sie schneller verfügbar macht. Es heißt aber auch, dass man in solche Missionen mehr Polizeipersonal entsendet. Es geht auch um den großen Bedarf an militärischen Fähigkeiten, gerade in den Bereichen Logistik, Transport und Aufklärung. Sie, Frau Ministerin von der Leyen, waren letztes Jahr in New York bei den Vereinten Nationen. Sie haben dort viel versprochen; aber bis auf dieses richtige Mandat UNMIL ist seitdem sehr wenig passiert. Wir als Obleute des Verteidigungsausschusses waren gemeinsam in New York bei den Vereinten Nationen. Da wurde uns wirklich noch einmal aufgezeigt, wie groß der Bedarf ist, damit die Vereinten Nationen ihre Aufgaben in den Krisenre-gionen dieser Welt erfüllen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, statt jetzt die Zeit -zurückzudrehen und die Bundeswehr nach einer Logik des Kalten Krieges aufzustellen und mehr Panzer zu beschaffen, sollten wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Bundeswehr VN-fähiger wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, es ist leider nicht immer wie bei UNMIL in Liberia. Nicht alle VN-Friedenmis-sionen sind in Bürgerkriegsstaaten Erfolgsgeschichten. Das ist nicht in erster Linie ein Versagen der Vereinten Nationen, sondern es hat sehr oft mit dem zu tun, was die Mitgliedstaaten tun und vor allem auch damit, was sie nicht tun. Wir müssen schauen, dass die Vereinten Nationen ihrem Auftrag gerecht werden können. Deutschland ist kein kleiner und unbedeutender Mitgliedstaat, gerade wenn es um mehr Personal für VN-Friedensmissionen geht. Deutschland kann und Deutschland sollte hier mehr tun. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte hat Dr. Reinhard Brandl von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir heute hier über Liberia sprechen. Über den Anlass kann man sich aber streiten. Wir reden hier über ein Mandat, bei dem es um ein bis maximal drei Soldaten in einer 6 000 Mann starken VN-Mission geht. Eigentlich enthält unser Parlamentsbeteiligungsgesetz für genau solche Mandate eine Regel, die es ermöglicht, dass man im vereinfachen Verfahren entscheidet. Die Linke hat diese Debatte gewollt; sie hat sie bekommen. Aber, Frau Dağdelen, ich finde es bezeichnend, dass Sie in Ihrem Beitrag kein einziges stichhaltiges Argument gegen eine Beteiligung gebracht haben (Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ich kann sie Ihnen noch einmal zusenden!) und trotzdem dagegen stimmen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wer zuhören kann, ist klar im Vorteil, Herr Brandl!) Ich glaube, irgendwann nehmen Ihre Wähler Ihnen das nicht mehr ab. Aber, meine Damen und Herren, wir wollten über Liberia und nicht über die Linke reden. Die Mission UNMIL gilt als eine der erfolgreichsten Missionen der VN-Geschichte. 2003 war das Land nach 14 Jahren Bürgerkrieg am Boden. Dank UNMIL ist es gelungen, dass es in den letzten Jahren wieder einigermaßen auf die Füße gekommen ist. UNMIL war des-wegen so erfolgreich, weil die Mission Elemente -verschiedener Art in der Zusammenarbeit der internationalen Hilfe verknüpft hat. Es geht um den Schutz der -Zivilbevölkerung, den Aufbau von Infrastruktur, die Durchführung demokratischer Wahlen, humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit, Versöhnungsprozess. UNMIL hat alles kombiniert. Der deutsche Beitrag lag bisher in der Entwicklungszusammenarbeit. An der Mission selbst waren wir mit bis zu fünf Polizisten bisher nur wenig beteiligt. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Der Einsatz endet nächstes Jahr!) Wir wurden jetzt gefragt, ob wir einen deutschen General als stellvertretenden Befehlshaber der UNMIL überstellen sollten. Natürlich sollten wir das machen. Wir zeigen damit zum einen unsere Verbundenheit zu den Vereinten Nationen, zu den Friedensmissionen und zu den Stabilisierungsmissionen der Vereinten Nationen. Wir zeigen damit zum anderen auch, dass wir bereit sind, bei den Missionen in Afrika Verantwortung und Führung zu übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Auweia! Das war schon einmal! Das ging aber ganz schön schief!) Meine Damen und Herren, UNMIL kommt in eine kritische Phase. Es steht der Übergang der Sicherheitsverantwortung auf die liberianischen Behörden bevor. Wenn dieser wichtige Meilenstein gelingt, dann ist das Land Liberia auch weiterhin auf einem guten Weg in Richtung nachhaltiger Frieden und nachhaltige Stabilität. Wir sollten den Beitrag, den wir mit unserem einen Soldaten leisten, nicht überhöhen. Es ist zwar ein wichtiger, ein symbolischer Beitrag, aber es ist nur ein kleiner Beitrag in einem großen internationalen Gemeinschaftsprojekt. Die Bundeswehr hat aber in den letzten Monaten einen sehr viel greifbareren Beitrag für die Menschen, für die Bevölkerung in Liberia geleistet. Kein anderes Land war so stark von Ebola betroffen wie Liberia; es gab dort über 4 000 Tote. Wir alle erinnern uns noch an den dramatischen Hilferuf der Präsidentin Anfang September an die Bundesrepublik Deutschland. Die deutsche Hilfe und die internationale Hilfe kamen bei Ebola zu spät. Aber als sie kam, war sie wirkungsvoll. Liberia ist seit dem 9. Mai nun ebolafrei. Die Bundeswehr hat von Oktober 2014 bis März 2015 345 Hilfsflüge in die Region durchgeführt. Sie hat über 1 000 Tonnen Hilfsmaterial an Liberia und seine Nachbarländer geliefert. Bundesministerin von der Leyen hat vor kurzem die freiwilligen Helfer, darunter auch viele Reservisten und zivile Mitarbeiter der Bundeswehr, im Ministerium empfangen und sie für ihren Einsatz geehrt. Auch der Sonderbeauftragte der Bundesregierung Lindner hat in seiner Stellungnahme deutlich gemacht, wie wichtig die zivil-militärische Zusammenarbeit war und dass sie gut funktioniert hat. Liberia braucht unsere Hilfe; denn Ebola war für die Entwicklung Liberias ein Rückschlag. Die beiden -Bundesminister Gröhe und Müller haben mit ihrem Besuch Liberias vor einigen Wochen ein wichtiges Zeichen gesetzt. Wir sollten heute mit unserer Zustimmung zu UNMIL ein weiteres Zeichen setzen. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Schluss dieser Debatte. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Vereinten Nationen geführten Mission UNMIL in Liberia. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4965, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/4768 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen durch die Schriftführerinnen und Schriftführer besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Michael Leutert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Menschenrechte in Mexiko schützen, Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen aussetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschenrechtslage in Mexiko Drucksachen 18/3548, 18/3552, 18/3952 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Irene Mihalic, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheitsabkommen brauchen Standards Drucksachen 18/3553, 18/3933 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat Gabriela Heinrich von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Gabriela Heinrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Noch vor einem Jahr hätten wohl die wenigsten Menschen in Europa Mexiko genannt, wenn man sie nach den Krisen auf dem Globus gefragt hätte. Wenn sie überhaupt wahrgenommen wurden, bezeichnete man die Konflikte in Mexiko als Kartellkriege, Bandenkriege oder Drogenkriege. Seit den Ereignissen in Iguala hat sich das grundlegend geändert. Die 43 verschwundenen Studenten haben die Menschenrechtslage in Mexiko ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit gerufen. Seitdem lesen und hören wir mehr über dieses Land, leider meist nichts Gutes. Zum Beispiel berichtete gestern die Süddeutsche Zeitung online, dass erneut Menschen verschwunden sind, wieder in der Provinz Guerrero, diesmal im Ort Chilapa. Die Anzahl der verschwundenen Menschen scheint noch nicht klar zu sein. Die Bewohner hätten von 30 Menschen gesprochen, die örtliche Menschenrechtskommission von 13. Verschwunden seien die Personen, nachdem eine Bürgerwehr den Ort besetzt hatte. Fakt ist: Viel zu viele Menschen verschwinden in -Mexiko. Regierungschef und Präsident Enrique Peña -Nieto bekennt sich zwar ebenso wie sein Vorgänger -Calderón zu den Menschenrechten. Mexiko ist ein verlässlicher Partner in den Vereinten Nationen. Mexiko hat die allermeisten internationalen Menschenrechtsabkommen unterschrieben und ratifiziert. Dennoch sind Menschenrechtsverletzungen in mehreren Bundesstaaten an der Tagesordnung. In den Bundesstaaten Michoacán und Guerrero vergeht kaum ein Tag ohne gewalttätige Auseinandersetzung. Die jeweiligen Gegner sind heterogen, die Lage ist unübersichtlich. Die Waffengewalt spielt sich innerhalb des organisierten Verbrechens ab oder zwischen Polizei und Banden oder zwischen selbst-ernannten Bürgerwehren und Banden. Die Konflikte gehen also längst über einen Drogen- oder Kartellkrieg hinaus. Es gibt viele Menschenrechtsverletzungen in Mexiko: Gewalt an Frauen, Feminizide, also Morde an Frauen, Kinderarbeit, Menschenhandel und Diskriminierung von Minderheiten. Ein Teil des Problems sind die Sicherheitsbehörden. Menschenrechtsorganisationen berichten von Übergriffen durch Polizei und Militär, von Willkür, vom Verschwindenlassen und von Folter. Die Täter gehen in der Regel straffrei aus. Die Justiz ignoriert Straftaten ebenso wie schwere Menschenrechtsverletzungen. Amnesty International beschreibt im Amnesty Report 2015 über Mexiko, dass dadurch das Klima der Straflosigkeit weiter verstärkt und das Vertrauen in das Rechtssystem geschwächt sei. Die Folge sind Selbstbewaffnung und Selbstjustiz durch Bürgerwehren, weil sich die Menschen nicht mehr oder nicht genügend durch Staat, Justiz und Polizei geschützt fühlen. Wenn solche Bürgerwehren wiederum Drogenkartelle oder -banden unterstützen, dann ist der Teufelskreis komplett. Mexiko selbst will bis 2016 endlich die Strafprozessrechtsreform aus dem Jahr 2008 umsetzen. Diese -Reform modernisiert das mexikanische Justizwesen und soll die Rechte der Angeklagten stärken. Zum Beispiel soll endlich die Unschuldsvermutung gelten, und -erzwungene Geständnisse sollen verboten werden. Weiterhin sollen die Maßnahmen im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, gegen Drogenkartelle und Menschenhändler verschärft werden. Deutschland unterstützt Mexiko in der Entwicklungszusammenarbeit bisher vor allem im Bereich von Umweltprojekten. In Ihren Anträgen fordern Sie völlig zu Recht, dass Deutschland die mexikanische Zivilgesellschaft stärken soll. Aus dem Entwicklungsministerium habe ich die Information erhalten, dass die Entwicklungszusammenarbeit demnächst neben dem Umweltschwerpunkt neue Wege gehen soll. Anfang Juni werden die deutsch-mexikanischen Regierungsverhandlungen stattfinden. Geplant ist ein gemeinsam finanzierter Fonds, der unter anderem Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit finanzieren soll. Ein weiterer Fonds ist zur Förderung der mexikanischen Zivilgesellschaft vorgesehen. Das von Ihnen kritisierte Abkommen zielt darauf ab, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen und zu verhindern. Die Minderung schwerster Straftaten, der Rauschgift- und Schleuserkriminalität, des Terrorismus und des Menschenhandels sind die Unterziele. Die Polizei erhält dadurch keine weiteren Befugnisse, aber Deutschland kann helfen, die Sicherheitsbehörden besser auszubilden. Das wiederum kann helfen, Rechtsstaatlichkeit zu fördern. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für wen? Für welche Regierung?) Die Zusammenarbeit soll über die Generalstaatsanwaltschaft erfolgen. Auch die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala arbeitet mit der Generalstaatsanwaltschaft zusammen. Aus Guatemala wissen wir, dass die Erfolge im Kampf gegen die organisierte Kriminalität auch von den dort handelnden Personen abhängig sind. Ja, in Mexiko sind Korruption und Willkür ein Problem. Aber sollten wir die Zusammenarbeit deshalb einstellen? In der Entwicklungszusammenarbeit müssen wir uns diese Frage häufig stellen. Versuchen wir, ein Land beim Aufbau von mehr Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen, oder kapitulieren wir aufgrund der zugegebenermaßen sehr schwierigen Situation? Beide Anträge der Opposition fordern durchaus Wichtiges und Richtiges, zum Beispiel, die Zivilgesellschaft bzw. Menschenrechtsverteidiger zu unterstützen. Beide Anträge fordern aber auch, das Sicherheitsabkommen auszusetzen, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) ohne Mexiko eine konkrete Alternative zu bieten. Ich bin völlig einverstanden mit Ihrer Forderung nach deutlich mehr Fortschrittskontrolle und weitaus größerer Transparenz in Ihrem Antrag mit dem Titel „Sicherheitsabkommen brauchen Standards“. Das Parlament muss über die Maßnahmen, die Fortschritte oder mögliche Misserfolge informiert werden. Sie schießen jedoch über das Ziel hinaus. Sie fordern halbjährliche Berichte der Bundesregierung an den Bundestag. Die Berichte sollen Auftrag, Zweck, Gebiet, rechtliche Grundlagen, Mitarbeiterzahl, Kosten und Dauer enthalten. Wenn wir zu allen 24 Sicherheitsabkommen und zu den 12 derzeit verhandelten Abkommen halbjährlich Berichte bekommen sollen, dann sind das 72 Berichte im Jahr. Ich halte dieses Ansinnen für überzogen und wenig zielführend. Wir werden die drei Anträge ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung mit dem Titel „Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Vereinten Nationen geführten Mission UNMIL in Liberia auf Grundlage der Resolution 1509 (2003)“, Drucksachen 18/4768 und 18/4965, bekannt geben: Abgegeben wurden 584 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 522, mit Nein haben gestimmt 59. 3 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 584; davon ja: 522 nein: 59 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Dr. Carsten Sieling Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein SPD Cansel Kiziltepe Christian Petry DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) Enthalten SPD Dr. Ute Finckh-Krämer Petra Hinz (Essen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Ich rufe die nächste Rednerin auf: Heike Hänsel von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In diesem Land der Straffreiheit gibt es Morde ohne Mörder, Folter ohne Folterer, sexuelle Gewalt ohne Vergewaltiger. Ich spreche von Mexiko, einem Land, in dem 98 Prozent Straflosigkeit herrscht. Traurige Berühmtheit erlangte Mexiko letztes Jahr, als 43 Lehramtsstudenten der Universität von Ayotzinapa durch die Polizei gewaltsam verschwanden. Bis heute ist dieser Fall nicht richtig aufgeklärt, auch wenn die mexikanische Regierung den Fall trotz großer -Widersprüche als abgeschlossen ansieht und jede Verantwortung zurückweist. Ich habe mich letztes Jahr mit den Angehörigen der Verschwundenen in Ayotzinapa getroffen. Sie sind verzweifelt und haben keinerlei Vertrauen in die staatlichen Strukturen. Sie fordern mittlerweile internationale Hilfe bei der Aufklärung und auch persönlichen Schutz, weil sie vielen Anfeindungen ausgesetzt sind. Die mexikanische Regierung und die Staatsanwaltschaft, mit der ich ebenfalls gesprochen habe, wollen diesen Fall als rein lokales Problem korrupter Polizeieinheiten darstellen. Dabei sagen alle Menschenrechtsorganisationen in Mexiko, dass auch die nationale Ebene -verantwortlich ist. Denn auch die Bundespolizei und die mexikanische Armee waren zum Zeitpunkt der Verhaftung der Studenten vor Ort und haben nicht eingegriffen. Im Gegenteil: Sie haben sogar ebenfalls die Studenten bedroht. Sie waren zu jeder Zeit vom Sicherheitsdienst über die Lage vor Ort informiert. Ayotzinapa ist aber nur die Spitze des Eisbergs -brutalster Menschenrechtsverletzungen in Mexiko: über 26 000 gewaltsam Verschwundene und fast 100 000 Menschen, die seit 2006 ermordet wurden. -Immer wieder sind alle Ebenen der Polizei und das -Militär in diese Verbrechen verwickelt. Was macht nun die Bundesregierung? Wir haben Außenminister Steinmeier mehrfach zu Venezuela reden gehört; da macht er sich große Sorgen. Zur Menschenrechtssituation in Mexiko sagte er nichts. Im Gegenteil, gebetsmühlenartig sagt die Bundesregierung: Mexiko ist unser strategischer Partner, und wir teilen die gleichen Werte. – Ich muss sagen, ich finde das unerträglich. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) So verhandelt die Bundesregierung bereits seit Jahren über ein Sicherheitsabkommen ausgerechnet mit der mexikanischen Bundespolizei. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass eine Polizei die Grundwerte verinnerlicht und Entführungen, Folter und Überfälle nicht durchführt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich frage mich, wie Sie sagen können, sie brauchten ein gutes Training und eine Ausbildung, um die Menschenrechtsstandards gewährleisten zu können. Es gibt doch auch eine Mitverantwortung der Regierung, die diese Polizei deckt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen sagen viele Menschenrechtsorganisationen in Mexiko, man müsse diese Verhandlungen aussetzen; denn das Abkommen würde die korrupte Polizei nur stärken und mehr Gefahren für die Bevölkerung bedeuten. Vor allem wollen die Menschenrechtsorganisationen Zugang zum Text des Abkommens erhalten – das ist das Entscheidende; wir fordern es auch –, damit sie sich anschauen können, was verhandelt wird. Es sollte nicht über ihre Köpfe hinweg verhandelt werden. Dafür setzen wir uns ein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung hatte auch keine Skrupel, Waffen nach Mexiko zu liefern, zum Beispiel Gewehre der Firma Heckler & Koch. Sie hat immer behauptet, es gehe nur um einige Bundesstaaten. Aber: Als ich in Ayotzinapa war, habe ich am Straßenrand dieses Foto von einem Polizisten gemacht, der ein G36 von Heckler & Koch in Händen hält, (Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] hält ein Bild hoch) und das in einem Bundesstaat, in dem eigentlich nie G36-Gewehre auftauchen sollten. Das war bereits ein Skandal. Die Bundesregierung muss auch für diese Exporte die Verantwortung übernehmen. Wenn man Exporte nach Mexiko genehmigt, dann ist man auch verantwortlich für das, was mit diesen Waffen passiert. Damit sind Sie verantwortlich dafür, dass diese Gewehre auch beim Verschwindenlassen der Studenten eingesetzt wurden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit? Heike Hänsel (DIE LINKE): Ja. – Zum Schluss möchte ich daran erinnern, dass Mexiko das Land mit den meisten Freihandelsabkommen ist und die Europäische Union derzeit das Freihandelsabkommen mit Mexiko noch ausweiten will. Wir lehnen das ab, weil die Freihandelspolitik in den letzten 20 Jahren in Mexiko zu enormen sozialen Verwerfungen geführt hat. Sie ist eine Ursache für die Gewalt in diesem Land. Freihandel tötet, und deswegen brauchen wir einen neuen Handel, auch mit Mexiko. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Professor Dr. Egon Jüttner, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Dezember des vergangenen Jahres wurden die nun zur Abstimmung stehenden Anträge bereits beraten. Heute wie damals vertreten wir als CDU/CSU-Fraktion die Auffassung, dass die Verhandlungen über das geplante Sicherheitsabkommen zwischen Deutschland und Mexiko weitergeführt und zu einem positiven Abschluss gebracht werden sollten. Gerade die schleppende und mangelhafte Aufklärung des unglaublichen Verbrechens in Iguala zeigt, dass Mexiko Hilfe benötigt bei der Bekämpfung von Unrecht, Kriminalität, Straflosigkeit und Korruption. Diese Hilfe können wir nicht gewähren, wenn wir uns zurückziehen und den mexikanischen Behörden die Aufklärung dieses und anderer Verbrechen sowie die Eindämmung der kriminellen Strukturen selbst überlassen. Die mexikanische Polizei, das mexikanische Militär und die mexikanische Verwaltung benötigen unsere Hilfe; gerade seit Iguala benötigen sie diese Hilfe dringender denn je. Die Verquickung von Gewalt, Straflosigkeit, Kriminalität und organisiertem Verbrechen, die sich wie ein Krebsgeschwür durch die mexikanische Gesellschaft zieht, kann von den Institutionen des Landes alleine offensichtlich nicht aufgebrochen werden. Meine Damen und Herren, Sicherheitsabkommen zwischen zwei Ländern werden gerade deswegen abgeschlossen, damit ein Staat seine Erfahrungen, seine Technologie und sein Know-how einem anderen Staat in vertrauensvoller Zusammenarbeit zur Verfügung stellt. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das aufgeschrieben?) Nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion wäre es ein falsches Signal gegenüber den Opfern von Iguala und ihren Angehörigen, wenn Deutschland die ihm zur Verfügung stehenden Mittel nicht anbieten würde, sondern sich vielmehr abwenden und der Bitte Mexikos um Zusammenarbeit nicht nachkommen würde. Außerdem ist es Ziel eines Sicherheitsabkommens und im Interesse beider Länder, also auch im Interesse Deutschlands, die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung grenzüberschreitender organisierter Kriminalität zu verbessern. Die Bedenken der Opposition, dass die Mittel, die Deutschland im Rahmen des Sicherheitsabkommens zur Verfügung stellen würde, in die falschen Hände gelangen und damit eine kontraproduktive Wirkung erzeugen könnten, müssen natürlich ernst genommen werden. Wir verlangen deshalb von der mexikanischen Seite die Garantie, dass nur solche Personen Vertrauensträger des gemeinsamen Sicherheitsabkommens sein dürfen, die über jeden Verdacht von Straffälligkeit oder Bestechlichkeit erhaben sind. Ein gutes Zeichen ist, dass als Partner des Sicherheitsabkommens auf mexikanischer Seite die Generalstaatsanwaltschaft vorgesehen ist, die als vergleichsweise zuverlässige Institution im Lande gilt. Wir verlangen von der mexikanischen Seite, dass Korruption und Straffälligkeit auf allen Ebenen bekämpft und Menschenrechtsverteidiger geschützt werden. Außerdem ist es so, dass das Bundesinnenministerium als Verhandlungsführer den Text der Vereinbarung mit dem Justizministerium und dem Auswärtigen Amt abstimmen muss. Schließlich ist für die Ratifikation noch die Zustimmung des Deutschen Bundestages erforderlich. Seit der ersten Beratung im Dezember 2014 hat es aus Mexiko auch gute Nachrichten gegeben. So ging den mexikanischen Fahndern erst jüngst, am 7. Mai 2015, der flüchtige Vizepolizeichef von Iguala ins Netz. Die Polizei- und Justizreform von Präsident Nieto wird inzwischen im Senat diskutiert. Wir sollten Mexiko dabei unterstützen, künftig größere und schnellere Schritte bei der Aufklärung und bei der Bekämpfung von organisiertem Verbrechen und Korruption zu machen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Hans-Christian Ströbele das Wort. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Jüttner, so einfach kommen Sie aus diesem Widerspruch nicht heraus. Das fürchterliche Verbrechen in Iguala zeigt, dass überhaupt nicht verhindert werden kann, dass deutsche Waffen, die unter der Bedingung nach Mexiko geliefert wurden, nicht an bestimmte Regionen ausgehändigt zu werden, sogar in Iguala Verwendung finden. Das wurde nicht verhindert. Auch ich war in den Tagen nach Ostern vor Ort und habe mit einem Studenten, der dem Massaker gerade noch entkommen ist, weil er sich unter einem Bus verstecken konnte, und mit dem Vater von verschwundenen Studenten geredet. Sie sagen auch: Das Schlimmste, was man im Augenblick machen kann, ist, mit der Polizei und den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten, denen Waffen zu geben und sie dadurch noch effektiver zu machen. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass Polizei, Justiz und Militär unzuverlässig sind. Es sind vielleicht nicht alle unzuverlässig, aber man weiß eben nicht, wer. So ist es unvermeidbar, dass Hilfen in die falschen Hände kommen; das haben Sie vorhin bereits gesagt. G36-Gewehre gibt es nicht nur auf dem Foto, das Sie gerade gezeigt haben, sondern G36-Gewehre wurden in der Polizeistation gefunden, in die die Studenten, die entführt wurden und jetzt verschwunden sind – wahrscheinlich wurden sie massakriert –, zunächst gebracht wurden. Man konnte anhand der Nummern auf den Waffen feststellen, dass es sich um die G36-Gewehre handelte, die von der Bundesregierung unter der Bedingung nach Mexiko geliefert worden sind, dass sie keinesfalls nach Iguala bzw. in die dortige Provinz geliefert werden dürfen. Das ist der falsche Weg. Wenn wir die Aussage der Bundeskanzlerin von heute Morgen, dass die G-7-Staaten für Grundwerte stehen und sie das überall auf der Welt anhand ihrer Politik zeigen, ernst nehmen wollen, dann können wir nicht übersehen, dass in Mexiko auf allen Ebenen der Politik, von der örtlichen über die staatliche bis hin zur zentralen Ebene, Korruption vorherrschend ist. Ich habe vor Ort mit Vertretern von zwölf Menschenrechtsorganisationen geredet. Darunter waren Anwaltsvertreter, Feministinnen und Menschenrechtler. Ich habe mit Vertretern der interamerikanischen Menschenrechtskommission geredet, die die Menschenrechtssituation und die Verbrechen in Iguala untersucht. Alle sind skeptisch. Sie sagen, sie weisen darauf hin – das ist schon gesagt worden –, dass 98 Prozent der Taten nicht aufgeklärt werden. Das heißt, aufgrund der Impunidad werden nur 2 von 100 Taten aufgeklärt und führen zu einer Verurteilung. Das ist Straflosigkeit bei schwersten Verbrechen. Als ich da war, gab es wieder eine Auseinandersetzung mit Schusswaffen in einer Stadt in der Nähe von Mexiko-Stadt, bei der 20 Menschen getötet worden sind. Die Polizei hat sich überhaupt nicht darum gekümmert. Sie hat auch keine Untersuchung eingeleitet, weil sie gesagt hat: Das bringt sowieso nichts. – Das heißt, aufgrund der Impunidad darf man an ein solches Land in der jetzigen Situation weder Waffen liefern noch Unterstützung für das Militär oder die Polizei geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Jetzt fragen Sie sich: Was wollen wir machen? Ich habe nur noch wenige Sekunden Zeit. Da kann ich nur Folgendes sagen: Sie müssen die Kreise stützen und unterstützen, die die Regierung auf den verschiedenen Ebenen kontrollieren. Es gibt wie in kaum einem anderen Land Lateinamerikas eine sehr wache Zivilgesellschaft. Es gibt sehr wache und sehr emsige Menschenrechtsorganisationen. Es gibt in Teilen noch eine Presse. Aber auch die Pressefreiheit ist äußert bedroht. Gerade als ich da war, wurde eine bekannte unabhängige Journalistin entlassen und kann nicht mehr dort wirken. Diese Institutionen, Presse, Parlament, die neu aufzubauende Justiz, Menschenrechtsorganisationen und Zivilgesellschaft, müssen wir unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Denn nur sie können dort im Land kontrollieren, solche Massaker öffentlich machen und um internationale Unterstützung bitten. Sie legen großen Wert darauf, dass wir hier im Deutschen Bundestag darüber diskutieren, weil ihnen die öffentliche Aufmerksamkeit in Europa und gerade auch in Deutschland hilft, um für ihre Sache, für die Menschenrechte und gegen die Impunidad, die Straflosigkeit, sowie gegen die Massentötungen, die dort in den Auseinandersetzungen jedes Jahr stattfinden, vorzugehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Anita Schäfer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem wir bereits ausführlich über das Sicherheitsabkommen mit Mexiko gesprochen haben, möchte ich noch eine etwas grundsätzlichere Frage behandeln, nämlich die, wie wir generell mit bilateralen Sicherheitsabkommen umgehen wollen. Die Grünen fordern dazu in ihrem Antrag, dass sich die Vertragspartner bei derartigen Abkommen unter anderem zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards unter Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien verpflichten. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kontrolliert!) – Korrekt. – Geschehen soll dies durch Vertragsklauseln mit Überprüfungscharakter. Wie immer in internationalen Verhandlungen stellen sich aber die Fragen, welches Ziel man erreichen will und welche Forderungen man noch durchsetzen kann, wie viele Bedingungen man an den Partner stellen kann, wenn es um das Erreichen gemeinsamer Interessen geht. Beide Seiten wollen ja von einer Vereinbarung profitieren. Sind die Bedingungen für eine Partei unannehmbar, gibt es eben kein Abkommen. Nun könnte man sagen: Wer unsere deutschen Standards nicht erfüllt und sich nicht von uns überprüfen lässt, mit dem wollen wir auch keine Sicherheitszusammenarbeit haben. Allerdings geht das dann auch eventuell zulasten unserer eigenen Sicherheit. Zusätzlich berauben wir uns der Chance, durch eine solche Zusammenarbeit tatsächlich auf die Verhältnisse im Partnerland einwirken zu können. Es ist ja nicht so, als ob beispielsweise Menschenrechtsfragen bei solchen Abkommen bislang keine Rolle spielten. Schon heute verpflichtet sich die Bundesregierung nur nach der Maßgabe deutscher Gesetze zur Zusammenarbeit. Sicherheitsabkommen stellen stets ausdrücklich klar, dass sich diese Zusammenarbeit nach den Vorschriften unseres innerstaatlichen Rechts richtet. Dies umfasst auch Fragen des Datenschutzes. Demnach ist eine Übermittlung von Daten an Abkommenspartner ausgeschlossen, wenn die Verletzung von Menschenrechten droht, bzw. ist die Übermittlung an Bedingungen geknüpft, die eine solche Gefahr ausräumen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr! Sie haben nicht zugehört!) Es ist der Bundesregierung also durchaus bewusst, welche Konsequenzen Sicherheitsabkommen für Menschenrechte und Fragen des Datenschutzes in Partnerstaaten haben können. Ähnliches gilt für die Forderung im Antrag, bei der Ausbildungsunterstützung Schwerpunkte auf Menschenrechts- und Rechtsstaatsausbildung zu legen. Diese Punkte sind ohnehin regelmäßig Inhalt von Schulungen im Rahmen der Partnerschaften. Dass die Ausbildung von Polizeikräften in Partnerstaaten Ermittlungstechniken zur Aufklärung von Straftaten beinhalten sollte, muss, glaube ich, nicht eigens in einem Antrag gefordert werden. Deutschland hat seit jeher Verhandlungen zu Sicherheitsabkommen mit Partnerstaaten im Lichte von Problemen geführt, die in diesen bestehen. Verhandlungen aber durch unrealistische Forderungen zu gefährden, würde den Menschen dort in keiner Weise helfen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal!) – Ja. – Sicherheitsabkommen sind vielmehr für unsere eigene Sicherheit ebenso unverzichtbar wie für den Auf- und Ausbau rechtsstaatlicher Strukturen im jeweiligen Land. Wir müssen auch zukünftig den Dialog mit Ländern führen, die in dieser Hinsicht noch Verbesserungsbedarf haben, um ihnen Hilfe bei der Entwicklung des Rechtsstaates zu leisten. Ein funktionierender Rechtsstaat ist nämlich nicht nur eine Voraussetzung für die Einhaltung menschenrechtlicher Standards, sondern auch die Basis für die wirtschaftliche, zivilgesellschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes und wirkt damit nicht zuletzt Flüchtlings- und Migrationsbewegungen entgegen. Wie wichtig das ist, zeigt sich aktuell an der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer. Daher sollten wir der Bundesregierung beim Aushandeln derartiger Abkommen keine unnötigen Steine in den Weg legen, gerade weil wir selbst in nicht unerheblichem Maße von diesen Partnerschaften profitieren, etwa indem unsere Sicherheitsbehörden Hinweise im Zusammenhang mit internationaler Kriminalität erhalten, von der auch wir betroffen sind. Wenn Deutschland auf diesem Wege zudem dazu beitragen kann, dass sich auch andere Staaten demokratisch und im Sinne der Menschenrechte entwickeln, sollten wir auch mit kleinen Fortschritten zufrieden sein. Daraus kann im Ergebnis dann mehr entstehen. Diese Chance sollten wir nicht gefährden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir werden daher Ihrem Antrag in dieser Form nicht zustimmen können. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über die Form können wir reden!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/3952. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3548 mit dem Titel „Menschenrechte in Mexiko schützen, Verhandlungen zum Sicherheitsabkommen aussetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3552 mit dem Titel „Iguala ist kein Einzelfall – Zur Menschenrechtslage in Mexiko“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Sicherheitsabkommen brauchen Standards“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3933, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3553 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatzpunkt 6 auf: 16 – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksache 18/4683 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksache 18/4891 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/4968 ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europarechtskonforme Regelung der Industrievergünstigungen auf stromintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb begrenzen und das EEG als kosteneffizientes Instrument fortführen Drucksachen 18/291, 18/515 Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Johann Saathoff, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Never change a running system, oder, wie man in Ostfriesland auf gut Deutsch sagt: Nooit an klütern, wenn wat löppt. Es gilt normalerweise: Wenn etwas gut funktioniert, dann soll man das eigentlich nicht verändern. Das gilt allerdings nicht bei der Energiewende; denn es liegt in der Natur der Sache, dass bei der Energiewende ständig nachjustiert werden muss, weil die verschiedenen Phasen in der Energiewende unterschiedliche Maßnahmen erfordern, die man eben jeweils wirken lassen muss. Was wird jetzt mit den Gesetzentwürfen neu geregelt? Es werden zwei Branchen neu in die Besondere Ausgleichsregelung im EEG aufgenommen: einmal die Branche „Herstellung von Schmiede-, Press-, Zieh- und Stanzteilen“, zum Zweiten die Branche „Wärmebehandlung von Stahl“. Erstere ist wichtig für den Karosseriebau. Das ist überhaupt keine Frage. Die gesamte Automobilbranche hängt letzten Endes an dieser Branche. Die zweite Branche ist beispielsweise für Armaturen wichtig. Sollten Sie einmal einen Wasserhahn aufdrehen, dann haben Sie es mit dieser Branche zu tun. Ich gebe zu und kann an dieser Stelle berichten: Es gab zwischenzeitlich noch weitere Begehrlichkeiten; denn wenn man erst einmal eine solche Dose aufmacht, dann gibt es weitere Begehrlichkeiten. Das System orientiert sich nicht daran, um das ganz deutlich zu sagen, welches Produkt ich herstelle, und zwar egal wie; das System orientiert sich an der Handelsintensität und der Stromkostenintensität. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat noch nicht, wer will nochmal?) Jetzt gibt es in dieser Frage eine eindeutige Datenlage. Aus meiner Sicht ist es aufgrund der Datenlage, die jetzt aktuell ist, nur gerecht, diese beiden Branchen mit in die Besondere Ausgleichsregelung aufzunehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) An dieser Stelle würde ich gerne mit dem Gerücht aufräumen, die Wirtschaft sei von der EEG-Umlage befreit und nur die Bürgerinnen und Bürger müssten diese zahlen, weshalb die Befreiung bei der Besonderen Ausgleichsregelung ungerecht sei. 96 Prozent der Unternehmen, die in der Bundesrepublik Deutschland wirtschaften, zahlen die EEG-Umlage in voller Höhe. 4 Prozent der Unternehmen zahlen den verringerten Satz durch die besondere Ausnahmeregelung. Industrie, Handel, Gewerbe und Dienstleistungsbranche zahlen circa 50 Prozent der EEG-Umlage; das muss uns bewusst sein. Private Haushalte zahlen ungefähr ein Drittel der EEG-Umlage. Auf jeden Fall kann man nicht sagen, nur die Bürgerinnen und Bürger würden die EEG-Umlage tragen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die verbrauchen auch viel weniger!) Der zweite Bereich, den wir regeln, ist die anteilige Direktvermarktung. Die wollten wir eigentlich – das muss man ehrlicherweise sagen – schon im letzten Jahr bei der grundsätzlichen Novelle zum EEG regeln. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hättet ihr uns zustimmen können!) Aber das haben wir so nicht einrichten können. Jetzt ist es also möglich, dass in mehreren Anlagen produzierter Strom – zum Beispiel mehrere Windenergieanlagen in einem Windpark – über eine gemeinsame Messeinheit aufgeteilt werden kann, in mehrere Veräußerungsformen überwandern kann. Es kann also der Verkauf an große Direktkunden oder der Verkauf an unterschiedliche Stromhändler organisiert werden. Das hilft – Stichwort „Akteursvielfalt“, die wir erhalten möchten – den Produzenten von erneuerbaren Energien, bei der Vermarktung ihrer Energie jeweils eigene Wege zu finden, und gibt damit eine gewisse Evolution frei. Ich sagte eingangs, dass bei der Energieklimapolitik ständig nachjustiert werden muss. Das Verständnis dafür ist nicht überall vorhanden, um das einmal ganz vorsichtig zu sagen. Deswegen möchte ich noch einige Worte zu dem Vorschlag von Frau Aigner zum Energieleitungsbau sagen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Im Bundestag haben wir neulich eine Debatte über die größtmögliche Erdverkabelung geführt, um Bürgerakzeptanz herzustellen. Jetzt haben wir den Vorschlag aus Bayern vorliegen, Leitungen um Bayern herum zu legen. Immerhin haben wir einen Fortschritt; denn vor vier Wochen haben wir darüber debattiert – übrigens auf breiter Basis –, ob die Leitung überhaupt erforderlich ist. Nun sind wir nicht mehr auf der Ebene, dass wir die Erforderlichkeit der Leitung anzweifeln, sondern nur noch die Art und Weise, wie wir das machen. (Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ihr wollt doch auch keine Leitungen!) Wie ist dieser Vorschlag von Frau Aigner zu bewerten, wie ist er zu verstehen, wie soll ich das in die normale Welt der Bürgerinnen und Bürger übertragen und umsetzen? Das will ich an dieser Stelle mit einem Beispiel illustrieren. Stellen Sie sich vor: Meine Tochter Johanna, neun Jahre alt, hat eigentlich kein Einsehen in die Notwendigkeit, ihr Zimmer aufzuräumen. Jeder, der Familie hat, kennt diese Situation. Sie wäre aber bereit, die Notwendigkeit des Aufräumens ihres Zimmers nicht weiter anzuzweifeln, wenn ihr Bruder Jona die Arbeit dafür übernehmen müsste. Nach ihrem Jurastudium wird meine Tochter Johanna dann später den Begriff „Vertrag zulasten Dritter“ damit verbinden. Die Reaktion ihres Bruders ist allerdings so wie die Reaktion von Hessen und Baden-Württemberg: verständlicherweise bestenfalls Kopfschütteln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Einige Akteure bei der Energiewende sind überzeugt von Ausschreibungen. Wir haben die ersten Ergebnisse aus der Pilotausschreibung vorliegen. 150 Megawatt sind ausgeschrieben worden. Angebotsseitig ist vierfach überzeichnet worden. Ich bin mir aber nicht sicher – das sage ich an dieser Stelle ganz klar –, ob der Beweis wirklich erbracht ist, dass mit der Ausschreibung die Ziele erreicht wurden, die eigentlich erreicht werden sollen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eben nicht!) Die Ziele unserer Fraktion sind: Akteursvielfalt erhalten und Preise zumindest nicht steigen lassen, am besten senken. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Preise sind gestiegen!) Eine Ausschreibung allein – das weiß ich auch – ist noch nicht aussagekräftig genug. Wir behalten diese Ziele fest im Auge. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Preise gestiegen! Eigentor!) Diskussionsbedarf gibt es weiterhin beim Klimabeitrag. Beim ersten Mal habe ich noch Alternativvorschläge vermisst. Mittlerweile ist klar, dass es einen kompletten Alternativvorschlag nicht geben kann. Zu den einzelnen Elementen muss es Alternativvorschläge geben. Dafür haben wir mittlerweile durchaus eine große Anzahl an alternativen Vorschlägen. Wir sind jetzt endlich Gott sei Dank – das war im Dezember letzten Jahres nach dem Kabinettsbeschluss noch nicht der Fall – in -einer gesamtgesellschaftlichen Debatte, und in dieser -gesamtgesellschaftlichen Debatte werden wir auch Lösungen zum Erreichen der Klimaziele bekommen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das denn?) Für die Zukunft würde ich mir allerdings noch eine weitere gesamtgesellschaftliche Debatte wünschen, die die Energiebranche betrifft, nämlich eine Debatte mit den Gewerkschaften und mit den Energieunternehmen darüber, wie wir den Strukturwandel in der Energieproduktion so hinbekommen, dass die Bürgerinnen und Bürger und vor allen Dingen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Energiebranche sich mitgenommen fühlen. Sie sehen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir haben viele Zukunftsaufgaben. Heute stimmt die SPD-Fraktion für den Gesetzentwurf zur Änderung des EEG, weil das vom System her richtig und vor allen Dingen gerecht ist. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bald ist das EEG, das heute noch ein klein wenig verändert wird, in dieser Form ein Jahr in Kraft. Und ich muss feststellen: Die Energiepolitik der Regierung ist ziellos, strategielos (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: So ist die Politik der Linkspartei!) und schädlich für die erneuerbaren Energien, die eine der Branchen mit den größten Potenzialen ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Erneuerbaren haben große Möglichkeiten, große Potenziale für unseren Arbeitsmarkt. Das geht aus einer Studie des Wirtschaftsministeriums hervor, die aber unter Verschluss gehalten wird. (Matthias Ilgen [SPD]: Ach was!) Wir haben schriftlich nachgefragt: Warum veröffent-lichen Sie diese Studie nicht? – Wollen Sie der Öffentlichkeit nicht sagen, welch großartiger Jobmotor die Erneuerbaren sein könnten? Ich sage „sein könnten“; denn natürlich wird sich das nicht automatisch einstellen. Die Bundesregierung müsste dann schon die richtige Politik machen, die die Erneuerbaren auch voranbringt – so wie sie es irgendwann einmal eigentlich in Aussicht gestellt hat und in Sonntagsreden immer wieder behauptet. Doch was bisher gelaufen ist, bringt den Jobmotor „erneuerbare Energien“ nicht zum Laufen, sondern zum Stottern. Diese Politik macht ihn vielleicht sogar kaputt – so wie ein Motor ohne Öl: Kolbenfresser ist dann angesagt. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Was macht diese Bundesregierung mit den Erneuerbaren? Jetzt deklinieren wir es mal durch: Die Bioenergie wird komplett plattgemacht. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Pfui!) Die Photovoltaik erreicht ihr Ausbauziel nicht, bleibt um ein Viertel unter der Zubaurate. Die PV-Ausschreibungen funktionieren nicht, weil sie mit durchschnittlich 9,17 Cent teurer sind als die Förderung bislang. Natürlich ist auch die Bürgerenergie draußen geblieben. Über KWK reden wir sicher morgen. Die wollen Sie jetzt auch noch plattmachen. (Florian Post [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Und was macht diese Bundesregierung mit den Industrierabatten, die sie ursprünglich mal einschränken wollte – das muss man immer wieder sagen: vor der Bundestagswahl war das so –, um die Belastung für die privaten Haushalte zu reduzieren? (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Versprechen gebrochen, jedes Mal!) Sie macht das Gegenteil dessen, was sie behauptet hat. Die Industrierabatte wurden ausgeweitet und werden es noch, auch mit dieser heutigen Gesetzesänderung. Die 5 Milliarden Euro Industrierabatte kommen Unternehmen zugute, die vor allem glaubwürdig behaupten können, im internationalen Wettbewerb zu stehen. (Matthias Ilgen [SPD]: Wir haben das -geprüft!) In einem Merkblatt des BAFA ist zu lesen: Die Wettbewerbsfähigkeit in der Bundesrepublik Deutschland ansässiger Unternehmen auf den internationalen Märkten wird durch eine Vielzahl von zum Teil nur schwer objektiv messbaren Einflussfaktoren bestimmt. Ich entnehme der verschwurbelten Formulierung: Wer es schlau anstellt, wird natürlich immer nachweisen können, dass sein Unternehmen im internationalen Wettbewerb steht. Die Industrierabatte sorgen außerdem dafür, dass sich Effizienz nicht lohnt. Das wird mir aus der Praxis berichtet, zum Beispiel von einer Gießerei in Bayern. Weil der Betrieb sonst zu wenig verbrauchen würde, um als stromintensiv zu gelten – da nützt auch die Pflicht zu einem Umweltmanagementsystem nichts –, spart man eben keinen Strom mehr ein, da man sonst wesentlich mehr bezahlen würde. Das ist auch bestätigt. Ich sage Ihnen: Hier wird Verschwendung belohnt. Ich halte es für pervers; denn die Betriebe wollen eigentlich Strom einsparen. (Beifall bei der LINKEN) Der wesentliche Kern des Erfolgs des EEG war ja die Investitionssicherheit. Das sagen uns alle möglichen -Betriebe immer wieder. Das wissen Sie auch. Die Bundesregierung hat es geschafft, eine wachstumswillige und -fähige Branche tief zu verunsichern, und setzt damit die Tendenz der Vorgängerregierung fort. Ich halte es einfach für traurig. Das ist eine Kolbenfresserpolitik. Der Jobmotor „erneuerbare Energien“ stottert. Ich sage Ihnen: Machen Sie da endlich etwas, bevor es zu spät ist. (Beifall bei der LINKEN) Natürlich müssen wir auch über Arbeitsplätze reden, über den Strukturwandel; der Kollege von der SPD hat es angesprochen. Dann lassen Sie uns jetzt endlich diese Debatte ernsthaft führen und nicht, wie es passiert, den Vorschlag, den Herr Gabriel gemacht hat, immer weiter verwässern. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Nächster Redner ist Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten gestern ein Gespräch mit einer Schweizer Delegation über die Energiewende. Ich kann gleich zu Beginn sagen: Ich habe die Herrschaften des Nationalrats sprachlich besser verstanden als das Platt von Herrn Saathoff. (Johann Saathoff [SPD]: Was?) Nach der heutigen Eingangsrede muss ich sagen: Ich habe immer gedacht, dass wir uns wenigstens inhaltlich verstehen, aber mittlerweile bin ich auch da nicht mehr so sicher. Da kommt ein konstruktiver Vorschlag aus Bayern, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dirk Becker [SPD]: Da muss er selber lachen! Wer’s glaubt!) und Ihnen, Herr Saathoff, fällt nichts Besseres ein, als diesen konstruktiven und wirklich diskussionswürdigen Vorschlag gleich zu Beginn zu zerreden. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Johann Saathoff [SPD]: Jetzt muss er selber lachen! – Dirk Becker [SPD]: Das war jetzt die Liebeserklärung an Ilse Aigner! Reicht! Setzen!) Spaß beiseite: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie sich das Schreiben und auch die Stellungnahme zum Netzentwicklungsplan in Bayern anschauen, dann stellen Sie fest, dass darin sehr sinnvolle Vorschläge enthalten sind, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo?) die eben auch zur wirklichen Lösung dieses Problems beitragen werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo? Haben Sie das mal gelesen?) Wir werden gemeinschaftlich – davon gehe ich aus – bis zum Sommer eine gute Lösung finden. Ich lade natürlich auch alle ein, dazu beizutragen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Populismus und Egoismus in Schriftform!) Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes der Koalitionsfraktionen. Herr Saathoff hat es gesagt: Wir sorgen dafür, dass energieintensive Unternehmen aus den Bereichen Schmieden, Härtereien und Oberflächenveredelung die Besondere Ausgleichsregelung in Anspruch nehmen dürfen. Es geht dabei um rund 80 Unternehmen einer Branche mit rund 50 000 Arbeitsplätzen und rund 8 Milliarden Euro Umsatz. Für diese schaffen wir Planungs- und Investitionssicherheit. Zudem nehmen wir eine klarstellende Änderung bei der anteiligen Direktvermarktung vor. Auch künftig wird es möglich sein, bei der anteiligen Direktvermarktung eine gemeinsame Messeinrichtung zu verwenden. Mit der Reform des EEG im vergangenen Jahr sind wir bei der Energiewende einen wichtigen Schritt vorangekommen. Wir haben einen planbaren und verlässlichen Ausbaupfad geschaffen. Wir werden den Anteil der Erneuerbaren im Strombereich bis 2025 auf 40 bis 45 Prozent und bis 2035 auf 55 bis 60 Prozent ausbauen. Das Sinken der EEG-Umlage auf 6,17 Cent pro Kilowattstunde sowie der Rückgang der Strompreise sind gute Signale. Millionen privater Haushalte profitieren davon. Der Erfolg der Energiewende muss sich aber auch daran messen lassen, dass Deutschland ein wettbewerbsfähiger Wirtschafts- und Industriestandort bleibt. Dazu sind Sonderregelungen für die stromintensiven Indus-trien schlichtweg erforderlich. Die europafeste Reformierung der Besonderen Ausgleichsregelung war deshalb ein Schwerpunkt bei der Novelle zum EEG im letzten Jahr. Wir kümmern uns um den Industriestandort Deutschland. Uns sind die Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplätze im Industriebereich wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Grünen fordern in ihrem Entschließungsantrag, den Kreis der privilegierten Unternehmen einzuschränken; die Industrie leiste keinen ausreichenden Beitrag. Herr Saathoff, darin sind wir uns einig – um dies ein weiteres Mal zu entkräften –: Die deutsche Industrie zahlt 7,4 Milliarden Euro EEG-Umlage. Das ist nahezu so viel, wie die privaten Haushalte insgesamt zahlen. Die Industrie trägt somit knapp ein Drittel der Gesamtkosten der EEG-Umlage. Zusammen zahlen Industrie, Handel und Gewerbe über die Hälfte der EEG-Umlage. Zwar lag die Zahl der antragsberechtigten Unternehmen 2014 mit 2 461 um etwa 5 Prozent höher als im Vorjahr. Dies ist aber auch dadurch bedingt, dass die Schienenbahnen im letzten Jahr noch privilegiert wurden, was auch Ihre Zustimmung gefunden hat. Hingegen blieb die Anzahl der antragsstellenden Industrieunternehmen in etwa gleich. Das gesamte Entlastungsvolumen lag im letzten Jahr bei rund 5,1 Milliarden Euro. Im Vergleich zu 2014 ist nun ein Rückgang zu verzeichnen. 2015 liegt die Entlastungswirkung voraussichtlich bei rund 4,8 Milliarden Euro. Wir haben klare Kriterien geschaffen, nach denen die Branchen die Besondere Ausgleichsregelung nutzen können. Das ist ein wichtiger Schritt für die deutsche Wirtschaft. Die Kriterien werden nachweislich auch von den Härtereien und Schmieden erfüllt. Es ist daher richtig, die Besondere Ausgleichsregelung auch bei diesen Branchen anzuwenden. Die Mehrbelastung hinsichtlich der EEG-Umlage beträgt lediglich 0,001 Cent, also ein Tausendstel Cent pro Kilowattstunde. Der Nutzen für die betroffenen Unternehmen und die damit verbundenen Arbeitsplätze ist jedoch umso höher. Auch zukünftig muss es möglich sein, Branchen in die Besondere Ausgleichsregelung aufzunehmen, wenn die Kriterien „internationale Wettbewerbstätigkeit“ und „Stromintensität“ erfüllt werden. Das Bundeswirtschaftsministerium wird in solchen Fällen in Kooperation mit der Europäischen Kommission eine entsprechende Prüfung vornehmen. Uns war es wichtig, dies im parlamentarischen Verfahren herauszustellen. Ohne die Besondere Ausgleichsregelung würde ein privater Haushalt mit vier Personen zwar im Schnitt circa 60 Euro im Jahr weniger an Strom zahlen. Wegen der zu erwartenden Wohlstandsverluste würde das real verfügbare Einkommen jedoch im Durchschnitt um rund 500 Euro sinken. Gerne wird auch die Mär verbreitet, Deutschland habe im Vergleich niedrige Industriestrompreise. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Lassen Sie mich hier kurz aus dem Fortschrittsbericht zur Energiewende zitieren: Die durchschnittlichen Strompreise für Industriekunden liegen in Deutschland in weiten Teilen über dem EU-Durchschnitt und deutlich über den Strompreisen in den USA. Es besteht die Gefahr, dass hohe Stromkosten zu einer schleichenden Deindustrialisierung und zu Arbeitsplatzverlusten in Deutschland führen. Wenn die betreffenden Branchen erst einmal weg sind, kommen sie auch nicht wieder, wie man in Großbritannien sieht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben die günstigsten Preise seit zehn Jahren!) Da hilft auch der Ausbau von anderen Branchen wie des Dienstleistungssektors nichts. So viele Haare kann man gar nicht schneiden, um diesen Verlust auszugleichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Welche Haare wollen Sie schneiden?) Wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, wurde im vergangenen Jahrzehnt nicht einmal ausreichend investiert, um den Verschleiß der Produktionsstätten bei den energieintensiven Unternehmen auszugleichen. Wir haben also im letzten Jahr einen klaren Rahmen für Arbeitsplätze und für Investitionen geschaffen. Die Grünen fordern in ihrem Entschließungsantrag, die geltenden Importzölle für chinesische Photovoltaikmodule nicht fortzuführen; darüber kann man diskutieren, wenn auch nicht im Rahmen des EEG. Aber das geht nur, wenn sich alle Beteiligten an die Regeln für fairen Handel halten. Die Dumpingpolitik aus China, das Unterschlagen von Zöllen in Millionenhöhe, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In anderen Bereichen machen wir das nicht, nur bei Solar!) muss zumindest als Problem erkannt werden. Sie fordern eine Anhebung der jährlichen Zubaumenge bei der Photovoltaik auf 5 000 Megawatt. Die Verdoppelung der Ausbauziele soll dann wohl am besten mit chinesischen Paneelen erfolgen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die aus dem Land getrieben! Da ist es kein Wunder!) Ich denke, wir tun gut daran, die Ausbaupfade so zu lassen, wie sie sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch peinlich! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal mit einem Handwerker gesprochen? Kennen Sie überhaupt einen?) Die erste Runde der Pilotausschreibungen bei den Photovoltaik-Freiflächen ist zwischenzeitlich abgeschlossen. Wir werden die Ergebnisse nun auswerten. Natürlich werden wir dabei auf die Sicherung der Akteursvielfalt achten. Das steht ja auch im Koalitionsvertrag. Es darf nicht zu einer Bevorzugung von großen Projekten kommen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 40 Prozent! Wenn das keine Bevorzugung von großen Unternehmen ist!) Hier sollten in jedem Fall die Bagatellgrenzen der EU-Beihilferichtlinien ausgenutzt werden. Das werden wir auch machen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wurde so angekündigt!) Weiterhin fordern Sie ein Modell zur Vermarktung von sogenanntem Grünstrom. Auch hier wird an der Umsetzung gearbeitet. Wir müssen das Richtige aber auch richtig machen. Wir schauen uns also zunächst die erstellten Gutachten und unterschiedlichen Modelle an. Auch hier brauchen wir eine europarechtskonforme Lösung. Aber Sie können hier gern mithelfen. Zahlreiche weitere Schritte stehen an. Wir brauchen mehr Systemdienlichkeit bei den erneuerbaren Energien. Die Vorschläge für ein neues Strommarktdesign liegen vor. Diese bieten eine gute Grundlage, sind allerdings weiter zu diskutieren. Es geht vor allem darum, auch künftig ein Höchstmaß an Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig gilt es, die damit verbundene Kapazitätsreserve so auszugestalten, dass die notwendigen Kapazitäten auch flächendeckend verteilt vorhanden sind. Wir brauchen Reservekraftwerke zur Netz- und Systemabsicherung. Wir stehen zu den nationalen und europäischen Klimaschutzzielen. Dazu muss auch der Strombereich einen Beitrag leisten. Dem Klima ist es allerdings egal, in welchem Bereich die CO2-Einsparungen erfolgen, und dem Klima hilft es auch nichts, wenn die deutsche CO2-Bilanz aufgebessert wird und sich im Gegenzug die der europäischen Nachbarn verschlechtert. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bisher hat sich immer die deutsche CO2-Bilanz verschlechtert!) Eng damit verknüpft – wir haben es vorhin ja schon gehört – sind die Entscheidungen im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung. Die hocheffiziente KWK muss auch künftig eine wichtige Rolle spielen. Jetzt vielleicht noch einen Satz zum bayerischen Brief, zur bayerischen Stellungnahme. (Matthias Ilgen [SPD]: Jetzt geht es wieder los!) Bayern fordert den Ausbau von Bestandstrassen, neue Möglichkeiten bei der Erdverkabelung – das fordern Sie ja auch –, neue Möglichkeiten, um Wechsel- und Gleichstromsysteme auf einem Mastgestänge zu führen. Das alles ist auch sinnvoll. Bei allen nationalen Anstrengungen ist zudem die enge Koordinierung im europäischen Konzert notwendig. Meine Damen, meine Herren, es gibt viel zu tun. Wir stellen uns den Aufgaben und finden – wie jetzt bei den Härtereien und der anteiligen Direktvermarktung – verantwortliche Lösungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Dr. Julia Verlinden das Wort. (Dirk Becker [SPD]: Jetzt geht es ab! Jetzt kommt die Generalabrechnung!) Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute wollen Sie ja mehrere Punkte im Erneuerbare-Energien-Gesetz ändern. Zum einen geht es da um diesen Fehler bei der sogenannten anteiligen Direktvermarktung. Es ist auch dringend nötig, dass Sie diesen Fehler korrigieren. Aber das hätten Sie ja auch schon im Dezember haben können, nicht? – Im Dezember haben wir Grünen einen inhaltlich gleichen Gesetzentwurf eingebracht, und Sie haben diesen damals abgelehnt. (Dirk Becker [SPD]: Da waren auch Fehler drin!) Ich sage jetzt einmal: besser eine späte Einsicht als gar keine Einsicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Außerdem wollen Sie heute noch mehr Branchen beim Strompreis begünstigen, indem Sie die Indus-trieprivilegien erweitern. (Dirk Becker [SPD]: Stimmt nicht! Nur anwenden auf weitere Branchen!) Minister Gabriel hat vor einem Jahr angekündigt, die Industrieprivilegien zurückzufahren. Damals hatte er gemeint, dass die Bundesregierung gut sei, wenn sie die anderen Stromkunden – also die privaten Verbraucher und kleine Unternehmen – um 1 Milliarde Euro entlastet. Inzwischen wissen wir: Dieses Ziel hat die Bundesregierung klar verfehlt. Nach Auskünften des BAFA ist es gerade mal ein Drittel, nämlich nur 300 Millionen Euro. Herr Gabriel kann sich hier also nicht auf die Schulter klopfen. Seine Entlastung um 1 Milliarde Euro für die privaten Kunden hat er nicht erreicht. Aber anstatt nun nachzubessern, begünstigen Sie gleich noch zwei weitere Branchen bei der EEG-Umlage. Damit sind wir dann schon bei 221 befreiungsberechtigten Branchen angekommen. (Dirk Becker [SPD]: Das ist falsch!) Und wer zahlt dafür die Zeche? – Die bezahlen die Bürgerinnen und Bürger, der Handels- und Dienstleistungssektor und die vielen kleinen Unternehmen. Das hat nichts mit einer gerechten Energiewende zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir Grüne haben in unserem Antrag einen prakti-kablen Vorschlag gemacht. Wir haben gesagt: Die Besondere Ausgleichsregelung könnte so ausgestaltet sein, dass wirklich nur energieintensive Unternehmen, die wirklich im internationalen Wettbewerb stehen, profitieren. Dafür gibt es bei der EU eine gute Vorlage, nämlich die EU-Richtlinie zur Strompreiskompensation. Anhand derer könnte man das hier definieren. Das wäre zweckmäßig und vernünftig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Es ist wirklich hochinteressant, wie viel Tatkraft Sie nun schon wieder in die Begünstigung von weiteren Branchen stecken. (Dirk Becker [SPD]: Stimmt nicht!) Dabei gibt es im EEG doch noch ganz viel wichtigen Reformbedarf. Den benennen wir auch in unserem Antrag. Wir brauchen endlich einen Ersatz für das weggefallene Ökostromprivileg, damit der Ökostrom aus deutschen EEG-Anlagen auch als solcher verkauft werden kann. Wir brauchen endlich ein Mieterstrommodell, bei dem auch Mieter, die sich keine eigene Solaranlage auf das Dach setzen können, mehr von der Energiewende profitieren. Das war doch für Sie von der SPD immer eine Ihrer zentralen Forderungen gewesen. (Johann Saathoff [SPD]: Kommt noch!) Ich frage mich jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Warum setzen Sie sich hier nicht einmal durch? (Matthias Ilgen [SPD]: Kommt noch! Das stellen wir in zwei Wochen vor!) Ihnen war das Mieterstrommodell sehr wichtig. Die CSU aber kann in der Koalition jede noch so blödsinnige Forderung durchsetzen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Jetzt fordert Frau Aigner auch noch, die Stromtrassen um Bayern herumzulegen. Ich hoffe, dass Sie sich nicht wieder über den Tisch ziehen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Nein, das soll kein Kreisverkehr werden!) Es muss doch möglich sein, auch einmal etwas Vernünftiges zu beschließen. Wir brauchen einen verlässlichen Ausbau aller erneuerbaren Energien, auch der Photovoltaik. Nachdem die Politik in den letzten fünf Jahren schon die Modulhersteller aus Deutschland vertrieben hat – das waren übrigens 20 000 Arbeitsplätze, die Sie vernichtet haben; 20 000 –, (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Solarmafia! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Irgendwo haben Sie Wahrnehmungsschwierigkeiten!) gehen jetzt viele kleine Handwerksunternehmen reihenweise pleite, die ihr Geld mit der Installation von Solaranlagen verdient haben. Da müssen Sie doch etwas unternehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In unserem Antrag machen wir einen konkreten Vorschlag zur Erreichung der energie- und klimapolitischen Ziele. Wir brauchen einen Ausbaupfad von 5 000 Megawatt Solarstrom pro Jahr. Wir brauchen keine „Atempause“, wie Frau Merkel die Sabotagepolitik der Bundesregierung gegen die Photovoltaik verharmlosend nennt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Ah!) – Ja, es ist echt verharmlosend, hier von einer Atempause zu sprechen. – Außerdem müssen wir endlich diesen unsäglichen Ausbaustopp bei 52 Gigawatt Photovoltaik streichen. Bei der anteiligen Direktvermarktung haben Sie ein halbes Jahr gebraucht, um unsere Forderungen als richtig zu erkennen. Machen Sie es doch beim Ausbau der Photovoltaik, beim Grünstrom- und Mieterstrommodell und bei den Industrieausnahmen besser, und stimmen Sie unserem Entschließungsantrag gleich heute zu. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE] – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Nein, das machen wir nicht!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/4683. Es geht um den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4968, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4979. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des -Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung auf Drucksache 18/4891 zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4968, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen zu Zusatzpunkt 6. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Europarechtskonforme Regelung der Industrievergünstigungen auf stromintensive Unternehmen im interna-tionalen Wettbewerb begrenzen und das EEG als kosteneffizientes Instrument fortführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/515, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/291 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Cem Özdemir, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord an den Rohingya verhindern Drucksachen 18/2615, 18/3951 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Angelika Glöckner, SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Angelika Glöckner (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist heute Anlass für die Debatte, in der wir uns mit der Volksgruppe der Rohingya in Myanmar, dem ehemaligen Burma, beschäftigen. Welche Aktualität dieses Thema heute hat, haben die Antragsteller zum Zeitpunkt der Formulierung des Antrages nicht gewusst. Viele Menschen in unserem Land dürften bis vor wenigen Tagen überhaupt nichts von der Existenz, geschweige denn von der besorgniserregenden Situation dieser 1,4 Millionen Menschen in Südostasien gewusst haben. Durch die tragischen Irrfahrten von Hunderten Flüchtlingen aus der Gruppe der myanmarischen Rohingyamuslime im Golf von Bengalen und den umliegenden Gewässern, welche in den letzten Tagen zunehmend mediale Beachtung fanden, hat sich das massiv geändert. An dieser Stelle gilt es einmal mehr festzuhalten, dass es, wie schon so oft, die Bilder von humanitären oder menschenrechtlichen Katastrophen sind, die für diese Art der Öffentlichkeit und Betroffenheit sorgen. Aber neu, Kolleginnen und Kollegen, ist die Flüchtlingsproblematik der Rohingya in Südostasien nicht. Seit vielen Jahren leiden sie unter extremen Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung und Perspektivlosigkeit in ihrem Heimatland. Auf der Flucht vor diesen Umständen werden sie durch Schleuser in die Nachbarländer Myanmars verbracht, wo sie als illegale Arbeitsmigranten unter Bedingungen, die an moderne Sklaverei erinnern, in der Fischerei-, Agrar- und auch der Tourismusindustrie arbeiten oder – in den schlimmsten Fällen – als Geiseln für Lösegeldforderungen missbraucht werden. Jetzt, da die Nachbarstaaten der Region massiv gegen die Schleuser vorgehen, wird das Ausmaß dieses skrupellosen und verwerflichen Vorgehens deutlich. Heute geht es aber vor allem um die Ursachen dieser Flüchtlingswelle, und dies sind die Menschenrechtsverletzungen an der Volksgruppe der Rohingya in Myanmar. In bin den Antragstellern dankbar, dass sie dieses wichtige Thema heute aufgegriffen haben und es somit auf die Tagesordnung brachten. Die Rohingya sind eine der am stärksten von Menschenrechtsverletzungen betroffenen Volksgruppe der Welt. Das muss ohne Umschweife so festgestellt werden. Auch nach der beginnenden Liberalisierung Myanmars seit dem Ende der Militärdiktatur 2011, der Freilassung zahlreicher Oppositioneller, der Zulassung einer politischen Opposition und der zu begrüßenden Verbesserung der allgemeinen menschenrechtlichen Situation im Land hat sich daran nichts geändert. In vielen Fällen hat sich die Situation der Rohingya in den letzten vier Jahren sogar noch verschlechtert. Den Rohingya wird noch immer die Staatsbürgerschaft Myanmars und damit die Teilhabe an grundlegenden Rechten verwehrt. Aufgrund der daraus folgenden Staatenlosigkeit besteht für sie zudem keine Möglichkeit, legal aus Myanmar auszureisen. In ganz Myanmar sind derzeit noch immer ethnische Konflikte und Vertreibungen an der Tagesordnung. Insgesamt zählen die Vereinten Nationen 240 000 Binnenflüchtlinge im Land, mehr als die Hälfte davon Rohingya in Rakhine, die dort in 40 Flüchtlingscamps unter widrigsten Bedingungen leben. Ihre Bewegungsfreiheit, der Zugang zu Wasser, zu Nahrung, zu Gesundheitsvorsorge sowie zu Bildung und Ausbildung werden seitens der örtlichen Sicherheitsbehörden massiv eingeschränkt. Immer wieder aufflammende ethnische Konflikte und gewalttätige Übergriffe zwischen der muslimischen Minderheit der Rohingya und der radikalen Gruppen der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit in Rakhine seit 2011 haben bisher mehrere Hundert Opfer aufseiten der Rohingya gefordert. Die lokalen Sicherheitsbehörden sehen tatenlos zu. Die Politik duldet weder religiöse noch ethnische Mischehen. Auch Überlegungen zu Vorgaben einer Zwei-Kind-Politik und die Meldepflicht von Hochzeiten sind hier zu nennen. All dies sind Menschenrechtsverletzungen, die klar zu benennen sind. Hier muss die internationale Staatengemeinschaft geschlossen und eindringlich vorgehen und aufzeigen, dass dies keinesfalls hingenommen wird. Hier gilt ganz klar die Schutzverantwortung des Staates Myanmar gegenüber seinen Bürgern, und diese schließt explizit die Rohingya mit ein. Es ist Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft, auf die Umsetzung dieser Schutzverantwortung hinzuwirken. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im politischen System Myanmars wird die Dimension der Menschenrechtsverletzungen noch immer kleingeredet. Deshalb gilt es, Druck durch die internationale Öffentlichkeit zu entwickeln. Hier möchte ich auch explizit die Opposition in Myanmar in die Pflicht nehmen, welche während der Junta-Regierung durch die internationale Öffentlichkeit unterstützt wurde, die Lage der Rohingya aber seit 2011 vernachlässigte. Ich bin davon überzeugt, dass dies am besten auf multilateraler Ebene funktioniert. Die vorgelegten Berichte der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Myanmar, Frau Yanghee Lee, vom September 2014 und vom März 2015 sowie die am 19. Mai 2015 verlautbarte Forderung nach mehr Rechten für die Rohingya durch Aung San Suu Kyi verdeutlichen dies. Das Europäische Parlament hat sich der Situation bereits 2013 in einer Entschließung angenommen, in der es die Menschenrechtsverletzungen an den Rohingya verurteilt und ihre Anerkennung als Staatsbürger fordert. Wir als SPD setzen uns gemeinsam mit unseren europäischen Schwesterparteien in der S&D-Fraktion für eine Resolution im Europäischen Parlament ein. Diese Resolution verurteilt die Situation der Rohingya. Sie fordert ein Ende der Gewalt und ruft auf zu einer gemeinsamen Lösung durch Myanmar, aber vor allem auch durch die Gemeinschaft der ASEAN-Staaten. Denn das Problem kann nur durch das gemeinsame Vorgehen aller beteiligten Staaten gelöst werden. Dieses gemeinsame Vorgehen muss unser Weg sein. Zuletzt muss auch ganz klar gesagt werden, dass die Flüchtlingskatastrophe und auch die Menschenrechtsverletzungen an den Rohingya nur ein Symptom von entwicklungspolitischen und wirtschaftlichen Problemen vor Ort sind. Der Rakhine-Staat in Myanmar ist eine der ärmsten Regionen eines Landes, das selbst von großer Armut geprägt ist. Hier liegt die zugrunde liegende Ursache, die durch die gesamte Bevölkerung Myanmars bekämpft werden muss. Es gilt, sie dabei zu unterstützen. Aber diesen Umstand vernachlässigt der vorliegende Antrag weitestgehend. Deshalb möchte ich an dieser Stelle dafür werben, die gesamteuropäische Initiative der S&D-Fraktion im Europäischen Parlament zu unterstützen. Denn hier müssen wir als Europäer gemeinsam agieren und mit gemeinsamer Stimme sprechen, um den Menschenrechtsverletzungen an den Rohingya, aber auch ganz besonders den ihnen zugrunde liegenden Ursachen erfolgreich entgegenzutreten. Meine Fraktion wird daher den vorliegenden Antrag ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Annette Groth, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind derzeit Zeugen von drei Flüchtlingskatastrophen: die erste vor unserer Haustür im Mittelmeer, die zweite im südostasiatischen Meer – das haben wir gerade gehört –, und die dritte Flüchtlingskatastrophe spielt sich im Roten Meer ab, wo Tausende von Afrikanern auf Booten aus dem Jemen in ihre Heimatländer flüchten. Darüber wird bei uns allerdings kaum berichtet. Wir haben es gerade gehört: Ein Großteil der Bootsflüchtlinge im südostasiatischen Meer sind die Rohingya. Das ist eine muslimische Volksgruppe, die seit über 150 Jahren verfolgt und diskriminiert wird. Im burmesischen Staatsangehörigkeitsgesetz von 1982 werden sie ausdrücklich nicht als nationale Minderheit anerkannt, sondern als Bengalis bezeichnet, was „Einwanderer“ bedeutet. De facto sind sie staatenlos, weshalb die burmesische Regierung sich auch weigert, die Geflüchteten wieder einreisen zu lassen. Seit gestern gibt es einen Hoffnungsschimmer für die Bootsflüchtlinge: Die Regierungen von Malaysia und Indonesien haben angekündigt, die Geflüchteten an Land zu lassen. Gleichzeitig machten beide Staaten aber deutlich, dass sie hierfür internationale Hilfe erwarten und andere Länder die Flüchtlinge spätestens nach einem Jahr aufnehmen müssen. Zu betonen ist, dass indonesische Fischer bisher über 1 300 Flüchtlinge gerettet und gegen den Willen der Behörden an Land gebracht haben. Fischerfamilien haben die erschöpften Flüchtlinge versorgt, bevor Behörden und Hilfsorganisationen eingesprungen sind. Es waren Fischer, die nach treibenden Booten suchten, um die Flüchtlinge zu retten – und das, obwohl das indonesische Militär darauf drängte, nur Menschen von gesunkenen Booten aufzunehmen. Diese Fischer und ihre Familien haben meinen höchsten Respekt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, aufgrund der Gewalt und der strukturellen Diskriminierung sind allein in den letzten drei Jahren etwa 100 000 Rohingya geflohen, in diesem Jahr fast 30 000. In Thailand fallen sie skrupellosen Menschenhändlern in die Hände, die sie als Arbeitssklaven ausbeuten; viele Flüchtlinge bezahlen das mit ihrem Leben. Bis vor fünf Jahren wurde Myanmar von einer Militärdiktatur regiert. Die internationale Gemeinschaft hat dies mit scharfen Sanktionen geahndet. Seit der Einsetzung einer Zivilregierung unter Präsident Thein Sein haben die westlichen Staaten die Sanktionen gelockert. Seitdem gilt das Land als Eldorado für Investoren und Topdestination für Touristen. An der langen Küste werden Hotels für internationale Touristen hochgezogen. Die Vertreibung der lokalen Bevölkerung von ihrem Land ist an der Tagesordnung. Davon ist in unseren Medien aber leider nichts zu lesen; auch das ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN) „Goldgräberstimmung in Rangun“ titelte die FAZ Ende letzten Jahres und beschrieb den Boom in der ehemaligen Hauptstadt Burmas, die inzwischen zu den teuersten Städten der Welt gehört. So zahlen UNICEF und die WHO 1 Million Dollar Jahresmiete für ihre Büros, was für große Kritik sorgte. Da die meisten Bürohäuser den Militärs gehören, wandert dieses Geld in deren Taschen, was auch ein Skandal ist, finde ich. Gleichzeitig hat Myanmar in der Region die niedrigsten Löhne, sodass Textilunternehmen ihre Produktion aus anderen Billiglohnländern nach Myanmar verlagern. Die Investitionen von Textilunternehmen haben sich im letzten Jahr verfünffacht. Myanmar wird zum zweiten Bangladesch, allerdings auf noch niedrigerem Niveau. Laut der Kampagne für Saubere Kleidung, die die menschenverachtenden Zustände in der Bekleidungsindus-trie anprangert, liegt der Monatslohn für die Beschäftigten in Myanmar bei 35 Dollar, halb so viel wie in Bangladesch. Davon kann kein Mensch leben. Die Unterdrückung und Verfolgung der Rohingya wird durch die bittere Armut im Land zusätzlich angefeuert. Soziale Mindeststandards, menschenwürdige Löhne, das Recht auf Gesundheitsversorgung und Bildung sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine Verbesserung der sozialen Situation in Myanmar. Wir, die Fraktion Die Linke, werden dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zustimmen. Wir hoffen, dass die dramatische Lage der Rohingya nicht in der medialen Vergessenheit landet. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Bernd Fabritius. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir thematisieren zu später Stunde das Schicksal der Rohingya in Myanmar, auf Antrag der Grünen. Die im Südwesten Myanmars ansässige muslimische Volksgruppe der Rohingya gilt laut einer Feststellung der Vereinten Nationen als die am meisten verfolgte Minderheit der Welt. Auch wenn die öffentliche Wahrnehmung bei uns größtenteils durch die abscheulichen Verbrechen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“, den weiterhin vor unserer Haustür schwelenden Ukraine-Konflikt und die weltweite Flüchtlingskrise mit mehr als 50 Millionen Schutzsuchenden und Vertriebenen beherrscht wird, dürfen wir die dramatische Situation der Rohingya auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Das ist unstreitig. Im Schatten des atemberaubenden politischen Wandels, der in dem noch bis vor kurzem von einer Militärdiktatur beherrschten Myanmar stattfindet, werden die Rohingya weiterhin ausgegrenzt und ihrer Bürgerrechte beraubt. Deshalb gehören viele von ihnen inzwischen zu den gerade erwähnten mehr als 50 Millionen Schutzsuchenden weltweit – sowohl als Binnenvertriebene in Myanmar selbst als auch als Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. Man muss sich das einmal vorstellen: Im Vielvölkerstaat Myanmar gibt es 135 staatlich anerkannte Minderheiten, aber diese eine mit geschätzt immerhin 1 Million Angehörigen im Land wird nicht anerkannt. Im Gegenteil: 1982 wurde den Rohingya durch eine Regelung im Staatsangehörigkeitsrecht sogar allgemein die Staatsangehörigkeit entzogen. Die Folgen sind unerträglich: Rohingya werden wie Rechtlose behandelt, sie erhalten beispielsweise keine Ausweise, ihr Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem ist eingeschränkt, und wenn sie heiraten wollen, dann brauchen sie eine Genehmigung, die oft erst nach Jahren erteilt wird. Der Ursprung dieser Ausgrenzung liegt unter anderem in der Behauptung, die Rohingya seien nicht in Myanmar beheimatet, sondern – das wurde schon erwähnt – aus Bengalen eingewandert. Als Konsequenz dieser Sichtweise droht den Rohingya sogar die vollständige Vertreibung aus Myanmar. Leider hört der Albtraum damit nicht auf. Seit Juni 2012 kam es vermehrt zu gewalttätigen Übergriffen auf die Rohingya. Es gab Misshandlungen und sogar Tote. Ganze Dörfer und Siedlungen wurden niedergebrannt. Weil fatalerweise auch die Polizei die Gewalt nicht verhindert, bleibt den Rohingya meist nur die Flucht. So leben weit über 100 000 von ihnen als Vertriebene im eigenen Land in Flüchtlingslagern. Die Zustände in diesen Lagern sind katastrophal. Es fehlt an nahezu allem, was zum Leben und zum Überleben notwendig ist. Seit vielen Jahren suchen Rohingya auch Schutz in den umliegenden Ländern. Schätzungen zufolge sind in den letzten Jahrzehnten weit über 1 Million Mitglieder der Volksgruppe vor Gewalt und Diskriminierung aus Myanmar geflüchtet. Der Weg aus dem Land heraus führt meist über das Meer und ist mit großen Risiken verbunden. In den vergangenen Tagen häuften sich Berichte über verzweifelte Bootsflüchtlinge vor den Küsten der Anrainerstaaten, vor allem vor Indonesien, Malaysia und Thailand. Auch unsere Nachrichtensender haben dieses Thema in den letzten Tagen bereits aufgegriffen. Die Praxis der genannten Staaten, die an ihren Küsten anlandenden übervollen Flüchtlingsboote mit halbverhungerten und -verdursteten Menschen zurück auf das offene Meer zu schicken, ist unglaublich und erschütternd. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie zeugt aber auch von der Überforderung dieser Länder angesichts des nicht abreißenden Flüchtlingsstroms Abertausender Schutzsuchender, was die Situation selbstverständlich nicht besser macht oder gar als Rechtfertigung missverstanden werden darf. Meine Damen und Herren, auch die Nachbarländer Myanmars müssen ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden. Die gestrige Entscheidung der Außenminister Indonesiens und Malaysias, die circa 7 000 weiterhin auf hoher See ausharrenden Flüchtlinge nun doch zumindest zeitweise aufzunehmen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Darüber hinaus sollten die Länder in der Region auch gegen die kriminellen Schlepperbanden vorgehen. Wie im Mittelmeer verdienen skrupellose Menschenschmuggler auch dort mit dem Leid der Flüchtlinge ein Vermögen. Die Internationale Organisation für Migration in Asien geht davon aus, dass Schmuggler allein in dieser Region an diesem menschlichen Desaster eine Viertelmilliarde Dollar jährlich verdienen. Vor allem jedoch muss Myanmar – die dortige Regierung und die Gesellschaft – seine Haltung gegenüber den Rohingya ändern; denn letztlich ist das Leid der Flüchtlinge ein Symptom der verfehlten Minderheitenpolitik in diesem Land. Wirkliche Veränderungen und Verbesserungen kann dort nur die Regierung erreichen, und dabei müssen wir sie in die Pflicht nehmen. Selbstverständlich möchte ich die in den vergangenen Jahren durchgeführten Reformen nicht verschweigen: Auf dem Weg zur Demokratie wurden in Myanmar innerhalb kurzer Zeit auch Fortschritte gemacht, beispielsweise im Bereich der Pressefreiheit. Solche positiven Entwicklungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Dinge an anderer Stelle, in der Minderheitenpolitik, im Argen liegen und sogar weitere Rückschritte drohen. Anstatt auf Betreiben radikaler Gruppen ein neues diskriminierendes Gesetz zu erlassen, welches Frauen in armen Regionen, damit natürlich den Rohingya, etwa bei der Familienplanung enge Grenzen setzt, sollte sich die Regierung vielmehr für die Beseitigung von Diskriminierungen einsetzen. (Beifall des Abg. Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU]) Sie muss darüber hinaus dafür Sorge tragen, dass die Polizei bei stattfindenden Hetzjagden gegen Rohingya tatsächlich eingreift, (Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) die Opfer schützt und nicht etwa noch mitmacht. Letztlich müssen die Rohingya als Minderheit anerkannt werden, sie müssen ihre Staatsangehörigkeit und ihre weiteren Rechte wiedererlangen. Bei alledem müssen wir berücksichtigen, dass sich natürlich nicht ausschließlich die offiziellen Vertreter des Landes der Diskriminierung und des Rassismus schuldig machen. Zumeist religiöse Extremisten nutzen vorhandene Vorurteile und schüren Hass und Misstrauen. Es ist klar, dass auch die Anfeindungen aus der Bevölkerung aufhören müssen. Genau an dieser Stelle ist auch die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gefordert. Selbst wenn der Einsatz für die muslimische Minderheit der Rohingya offenbar keinen Stimmenvorteil in dem mehrheitlich buddhistischen Land bringt, muss die Oppositionsführerin als Ikone des Wandels und der Demokratiebewegung in Myanmar klar Stellung gegen Gewalt und Diskriminierung beziehen, und das tut sie bisher leider nicht. Zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, muss ich allerdings sagen: Auch wenn die Situation der Rohingya verheerend und durch nichts zu entschuldigen ist, warne ich davor, solche Geschehen vorschnell als Völkermord einzustufen. Völkermord ist ein klar definierter Tatbestand, und den sehe ich hier – das sage ich ausdrücklich – zum Glück nicht erfüllt. Dieser Meinung sind übrigens auch Nichtregierungsorganisationen wie etwa Amnesty International, Human Rights Watch oder die Gesellschaft für bedrohte Völker, (Michael Brand [CDU/CSU]: Mit langjähriger Erfahrung!) die in ihren teils sehr ausführlichen Berichten zur Situation der Rohingya in Myanmar das Geschehen minutiös aufzeigen und dennoch nicht von Völkermord sprechen. Die Leiden der Rohingya und die nicht hinnehmbare Haltung der Regierung Myanmars werden in keiner Weise beschönigt oder gar negiert, wenn wir Sorge dafür tragen, dass tatsächliche Völkermorde durch eine abschwächende Verwendung des Begriffs auch für andere Unrechtsgeschehen nicht relativiert werden. Meine Damen und Herren, ich habe deutlich gemacht, was wir von der Regierung Myanmars erwarten. Sie muss künftig garantieren, dass die Menschenrechte der Rohingya nicht weiter mit Füßen getreten werden. Ich bin mir darüber hinaus sicher, dass unsere Bundesregierung in dieser Sache das Nötige unternimmt und auch gegenüber Vertretern Myanmars den richtigen Ton trifft. Unsere Regierung ist gerade international bekannt dafür, Menschenrechte überall dort zu thematisieren, wo dies notwendig ist, und das meist mit Erfolg. Anträge wie diesen braucht sie dafür bestimmt nicht. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Tom Koenigs das Wort. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir -diskutieren zu so später Stunde über diesen Antrag, weil er im Ausschuss einfach ohne Begründung abgelehnt wurde. Heute sind wir uns bei der Schilderung des Desasters der Rohingya, ihrer Unterdrückung und Verfolgung völlig einig. Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben zu dieser Schilderung etwas beigetragen. Das war alles richtig. Darin sind wir uns einig. Aber die Mehrheit sagt: Deshalb machen wir nichts. – Haben Sie uns gefragt, ob wir gemeinsam einen Antrag vorlegen wollen? Frau Glöckner sagt: Wir warten auf die SPD-Initiative. – Wo ist sie? Wir unterstützen einen diesbezüglichen Entschließungsantrag im Europäischen Parlament, und hier machen wir nichts? Nehmen wir uns so wenig ernst, dass wir angesichts dieses schreienden Unrechts, dieser Katastrophen, dieses Desasters, über das wir täglich in den Zeitungen lesen, einfach sagen: Nein. – Herr Fabritius sagt: Die Bundesregierung wird es richten. – Prima. Und wir? Wir verabschieden nicht einmal eine Resolution dazu. Hätten wir diese Debatte nicht gefordert und darauf bestanden, dass sie nicht zu Protokoll geht, wären Sie alle schon zu Hause. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Koenigs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wunderlich? Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich gestatte eine Zwischenfrage, auch zwei. Wer will sie haben? Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Herr Kollege Wunderlich. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Koenigs, ich bin weder im Ausschuss für Menschenrechte noch in einem anderen mitberatenden Ausschuss Mitglied, konnte die Debatten dort also nicht verfolgen. Deswegen habe ich heute aufmerksam gelauscht und die Forderungen in Ihrem Antrag gelesen. Angesichts der Ablehnung im Ausschuss war ich erstaunt über die Ausführungen von Dr. Fabritius hier. Im Ausschuss ist der Antrag abgelehnt worden, aber Dr. Fabritius hat hier eigentlich nur Argumente geliefert, warum man dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zustimmen sollte. Jetzt habe ich von Ihnen gehört, dass das Ganze im Ausschuss ohne Begründung von den Koalitionsfraktionen abgelehnt wurde, obwohl sich alle darüber einig sind, dass diese Situation schlimm ist. Alle sagen: Wir müssen einschreiten; es sterben nicht nur Leute im Mittelmeer, sondern auch im Pazifik. Über diese Situation ist hier ausgiebig debattiert worden. Jetzt erfahre ich, dass man sich im Grunde nur an der Begrifflichkeit „Völkermord“ stößt. Warum, frage ich mich dann, hat die Koalition in den Beratungen im Ausschuss, die inhaltlich in die Tiefe gehen sollten, nicht einen Änderungsantrag gestellt, um diesen Begriff auszutauschen? Warum hat man nicht versucht, diese komischen Befindlichkeiten – so sage ich es einmal – wegzuräumen, um den Leuten dort zu helfen? Dass man sich an so etwas hochzieht, um die Hilfe, die in diesem Antrag gefordert wird, abzulehnen, ist für mich schier unerträglich. Können Sie mir da zustimmen? (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, diese Frage habe ich mir auch gestellt. Der Menschenrechtsausschuss hat eine Information der Bundesregierung erhalten über all die Tatsachen, die in diesem Antrag stehen. Herr Fabritius, Frau Groth und Frau Glöckner haben sie vorhin geschildert. Darüber ist man sich völlig einig. Dann wurde der Antrag zur Abstimmung gestellt. Da hat keiner etwas gesagt. Die Koalitionsfraktionen waren dagegen, und die Opposition war dafür. Ende. – Das ist zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Herr Fabritius, jetzt zum Thema Völkermord. In dem Antrag steht nicht, dass dort ein Völkermord passiert, sondern dass man ihn verhindern muss. Vor einem Jahr habe ich ein Gespräch mit dem Sonderberater des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für die Verhütung von Völkermord geführt. Diese Institution ist geschaffen worden, um ein Instrument zur Durchsetzung der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes zu haben, der wir vor 60 Jahren zugestimmt haben, die wir ratifiziert haben. Herr Adama Dieng hat auf meine Frage: „Was glauben Sie denn, wo am ehesten die Gefahr besteht, dass ein Völkermord begangen wird?“, auf Myanmar hingewiesen. Das haben auch Sie, Herr Fabritius, geschildert. Dort besteht die größte Gefahr, weil die Repression, die Diskriminierung und die Verbrechen so zahlreich sind. Dabei geht es übrigens auch um religiöse Fragen, um die Zerstörung von Moscheen usw. Daher muss man befürchten, dass es in Myanmar zu einem Völkermord kommt. Das ist die Fluchtursache: Die Leute haben Angst vor einem Völkermord. Deshalb trägt der Antrag den Titel „Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord an den Rohingya verhindern“. Ja, wir können dort nicht sehr viel tun. Wir könnten im Mittelmeer sehr viel mehr tun. Was wir aber tun können, das sollten wir auch tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir sollten nicht sagen, dass das Europaparlament oder die SPD-Fraktion irgendwo etwas machen sollen. Deshalb haben wir diesen Vorschlag erarbeitet. Sie können ihn gerne erweitern. Sie können auch sagen: Wir müssen eine gemeinsame Resolution des Bundestages erreichen. Das hat Gewicht. Unsere Stimme hat in Myanmar Gewicht. Die Delegationen kommen hierher. Wir sind der wichtigste europäische Wirtschaftspartner. Die Europäische Gemeinschaft hat für die nächsten fünf Jahre 700 Millionen Euro für die Förderung des Wiederaufbaus von Myanmar eingesetzt. Das war eine vergessene Krise. Jetzt ist es ein Boomland. Da müssen und können wir eingreifen, und zwar auch durch die Instrumente der Resolution und des Appells. Die Konferenz der Minister der Nachbarstaaten, die Sie erwähnt haben, soll nächste Woche fortgesetzt werden. Myanmar ist eingeladen. Die Generäle dort haben aber gesagt: Wenn auch nur das Wort „Rohingya“ erwähnt wird, dann kommen wir nicht. – Da können Sie sehen, dass es mit dieser Diskriminierung weitergeht. Das sind die Vorboten eines möglichen Völkermordes. Das müssen wir mit allen Mitteln verhindern, egal ob das Europaparlament da etwas macht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist gut, dass das Europäische Parlament etwas macht. Wenn Sie sagen, dass die Bundesregierung es schon richten wird, dann frage ich mich: Wo ist denn Ihre Selbstachtung? Wir müssen selbst etwas machen. Wir können nicht nur die Zeitung lesen und sagen: Hoffentlich ist das bald wieder – was es vor einem Jahr war – eine vergessene Krise. – Wir machen uns schuldig. Wir sehen das. Wir müssen den Bürgern deutlich sagen: Wir beziehen Stellung. Wir unterstützen unsere Regierung darin, dass sie da etwas macht. Wir unterstützen die Kämpfer vor Ort, die für die gerechte Sache kämpfen. Wir fordern die Nobelpreisträgerin auf, sich eindeutig zu äußern. So viel können Sie doch machen. Lassen Sie das nicht einfach vorbeigehen, indem Sie sagen: „Jetzt sind wir es endlich los und gehen nach Hause“, sondern formulieren Sie – meinetwegen zusammen mit der SPD – eine Resolution. Wir werden mit Sicherheit daran mitarbeiten. Wenn sie in diesem Tenor ist, dann werden wir sie unterstützen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord an den Rohingya verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3951, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2615 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/4632 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) Drucksache 18/4851 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4852 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe keinen Widerspruch. Wir kommen zur Abstimmung. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4851, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4632 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Dr. Axel Troost, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein internationales Staateninsolvenzverfahren – zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Resolution der Vereinten Nationen für ein multilaterales Rahmenwerk zur Restrukturierung von Staatsschulden umsetzen – Jetzt aktiv den Arbeitsprozess der Vereinten Nationen mitgestalten Drucksachen 18/3743, 18/3916, 18/4233 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 18/4233. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3743 mit dem Titel „Für ein internationales Staateninsolvenzverfahren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3916 mit dem Titel „Resolution der Vereinten Nationen für ein multilaterales Rahmenwerk zur Restrukturierung von Staatsschulden umsetzen – Jetzt aktiv den Arbeitsprozess der Vereinten Nationen mitgestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elek-tronikgeräten Drucksache 18/4901 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4901 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Albani, Anette Hübinger, Albert Rupprecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Forschung und Entwicklung für die Bekämpfung von vernachlässigten armutsassoziierten Erkrankungen stärken Drucksache 18/4930 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/4930. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (9. BVerfGGÄndG) Drucksache 18/2737 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/4963 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Bartke (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, Politiker würden sich des makellosen Rufes erfreuen, den die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben. Ich glaube, jeder der hier versammelten Abgeordneten wäre begeistert. (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Bei uns ist das der Fall!) Das hohe Ansehen des Bundesverfassungsgerichts ist von unschätzbarem Wert, der nicht aufgewogen werden kann. Unser Anspruch muss es daher sein, die hohe Legitimität des Bundesverfassungsgerichts zu erhalten. Die Frage der Richterwahl trifft dabei den Kern des Ganzen. Grundsätzlich geregelt ist sie in Artikel 94 Grundgesetz, konkretisiert wird sie in § 6 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Diese Konkretisierung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz trat 1951, also vor fast 65 Jahren, in Kraft; und sie ist seither hochstrittig. Selbst der amtierende Präsident des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle hat die geltende Regelung der Richterwahl in seiner Kommentierung von Artikel 94 Grundgesetz noch im Jahr 2010 mit deutlichen Worten als verfassungswidrig deklariert. Seltsamerweise hat er aber dann zwei Jahre später den -Beschluss mitunterzeichnet, nach dem das Gericht die Regelung zur Richterwahl als verfassungskonform ansieht. Die Kritiker der jetzigen Rechtslage bemängeln, dass sich das Bundestagsplenum der zentralen Aufgabe der Auswahl der eigenen Kontrolleure nicht entledigen dürfe. So nämlich wird die Delegierung der Auswahl an den Wahlausschuss gewertet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass wir in einem fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf dieser Kritik begegnen und Änderungen vornehmen. Es bleibt zwar auch künftig bei dem zwölfköpfigen Wahlausschuss. Dieser wählt aber nicht mehr die Richter des Bundesverfassungsgerichts; stattdessen beschließt er mit mindestens acht Stimmen einen Wahlvorschlag. Die Richter werden auf diesen Vorschlag hin im Plenum ohne Aussprache gewählt und müssen dort eine Zweidrittelmehrheit erhalten. Dennoch – der Änderungsantrag der Grünen macht es deutlich – konnten wir trotz des fraktionsübergreifenden Gesetzentwurfs nicht in allen Punkten Einigkeit erreichen. Die Grünen fordern zum Beispiel eine Frauenquote von 37,5 Prozent in jedem der beiden Gerichts-senate. Meine Damen und Herren, die SPD ist die Partei der Quote. (Beifall bei der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich erzähle gleich mal was aus dem Nähkästchen! – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Ihr wollt also 40 Prozent?) Wir haben das Gesetz zur Frauenquote in Führungspositionen durchgesetzt. Aber das Gesetz war auch sorgfältig vorbereitet und wurde vorher intensiv und medial diskutiert. Genau das ist hier nicht der Fall. Hier soll quasi im Vorbeigehen kurz vor Ende der zweiten Lesung ein Schnellschuss abgefeuert werden, der mehr grundsätzliche Fragen als Antworten aufwirft: Warum eine 37,5-Prozent-Quote? Warum sollen nur die Senate des Bundesverfassungsgerichts quotiert werden? Warum sollen nicht auch andere Gerichte quotiert werden? Warum soll nicht zum Beispiel auch die Finanzgerichtsbarkeit, die bislang den geringsten Frauenanteil aller Gerichtsbarkeiten aufweist, quotiert werden? (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die nicht im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt wird!) All das sind Fragen, die man lösen kann, aber nicht, indem man kurz vor Ultimo eben einen kleinen Änderungsantrag mit gravierender Tragweite einbringt. Und natürlich hätte man vorher eine umfängliche Anhörung zur Thematik durchführen müssen. Nein, ein solcher Schnellschuss entspricht keiner verantwortungsvollen Politik. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde ich einmal bei der Vorratsdatenspeicherung berücksichtigen!) Lassen Sie mich aber am Ende doch festhalten: Mit dem heute zu beschließenden Gesetz werden wir ein Wahlverfahren für das höchste deutsche Gericht korrigieren, das seit Jahrzehnten verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch hochstrittig war. Meine Damen und Herren, daher gilt: Heute ist ein guter Tag für unseren Rechtsstaat! Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Richard Pitterle, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit meiner Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffe ich mich ab, natürlich nicht als Person, sondern als privilegiertes Mitglied dieses Bundestags, das bisher bereits an der Wahl der Richter am Bundesverfassungsgericht beteiligt war. Künftig sollen, wie wir bereits gehört haben, die Richter vom Plenum des Deutschen Bundestages gewählt werden. Das ist richtig und wichtig. Damit brechen wir mit einer 34 Jahre alten Tradition. Das ist aus meiner Sicht keine reine Formsache. Wenn wir die Richterinnen und Richter im Plenum wählen, wird das vielmehr der Bedeutung dieses Gerichts, das Entscheidungen mit Gesetzeskraft trifft und das auch Entscheidungen des Bundestages revidieren kann, erst wirklich gerecht. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde es auch gut, dass dieser Weg über Fraktionsgrenzen hinweg bestritten wird, was sich in einem gemeinsamen Gesetzentwurf aller vier Fraktionen des Bundestages widerspiegelt. Bei der großen Freude über die Einigkeit, was diesen Schritt angeht, bleibt ein Wermutstropfen. Angesichts der Tatsache, dass nur 5 von 16 Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts weiblich sind, hätten wir uns schon eine verbindliche Quotierung gewünscht, wie es auch im Änderungsantrag der Grünen gefordert wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Warum ist mir dieser Punkt wichtig? Jedem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geht ein Abwägungsprozess zwischen der Lebensrealität und den verfassungsrechtlichen Ansätzen voraus. In einen solchen Abwägungsprozess gehen unterschiedliche Sichtweisen ein. Wir wissen: Sichtweisen sind durch Lebenserfahrung geprägt. Wir wissen auch, dass Männer und Frauen unterschiedliche Lebenserfahrungen haben. Ich hätte mir gewünscht, dass diese unterschiedlichen Erfahrungsansätze in diesen Abwägungsprozess Eingang finden. Die Vertreter der Regierungskoalition müssen sich schon fragen, warum eine Frauenquote, die wir vor einigen Wochen hier ja tatsächlich für DAX-Unternehmen beschlossen haben, ausgerechnet für das höchste Organ der Rechtsprechung nicht gelten soll. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Weil es ein Verfassungsorgan ist!) Wir sollten auch darüber nachdenken, wie wir unserer Verantwortung für die Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht gerecht werden. Das Bundesverfassungsgericht ist in den letzten Monaten und Jahren in die Rolle eines Ersatzgesetzgebers gedrängt worden. Deswegen sollten wir uns als Ziel vornehmen, hier künftig mehr verfassungskonforme Gesetze zu verabschieden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das machen wir doch!) Hätten Sie in der Vergangenheit auf uns gehört, dann wäre den Richtern des Bundesverfassungsgerichts viel Arbeit erspart geblieben. Das sage ich jetzt aus aktuellem Anlass. Wenn das Bundesverfassungsgericht im letzten Dezember entschieden hat, dass Teile des Erbschaftsteuergesetzes verfassungswidrig sind, weil eine nicht zu rechtfertigende Privilegierung der deutschen Oligarchen dadurch stattfindet, (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) dann sollten wir nicht im nächsten Schritt versuchen, diese Privilegien zu erhalten. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Das gibt es bei Putin!) So würde das Bundesverfassungsgericht von Arbeit entlastet. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste spricht Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt“, so besagt es Artikel 94 Absatz 1 Satz 2 unseres Grundgesetzes. Der Bundesrat hat das für seine Hälfte gleich von Anfang an so umgesetzt, wie man das erwartet. Wenn vom Bundesrat die Rede ist, dann denkt man ans Plenum, und dort werden auch die vom Bundesrat zu wählenden Richter ausgewählt. Der Bundestag ist von Anfang an einen anderen Weg gegangen – wir haben es gerade gehört –: Ein zwölfköpfiges Gremium übernimmt das für uns. Das ist nicht so richtig transparent, nicht jeder bekommt mit, was da passiert. Es wird so gut wie keine öffentliche Notiz davon genommen. Dabei ist es durchaus von Bedeutung, welche Persönlichkeiten diese Aufgabe beim Bundesverfassungsgericht für uns alle wahrnehmen. Sie legen für uns die Verfassung verbindlich aus, sie entscheiden auch teilweise über unsere gesetzgeberischen Entscheidungen. Da macht es nicht nur einen Unterschied, welche rechtliche Qualifikation man mit sich bringt, sondern auch, welche Lebenserfahrung man mitbringt, welches Geschlecht man mitbringt, vielleicht auch, aus welcher Region des Landes man kommt. Deshalb hat das durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient. Es ist gut, dass wir heute dieses Verfahren ändern, es aus diesem kleinen Gremium herausholen und ins -Plenum verlagern und dass wir hier demnächst mit Zweidrittelmehrheit im gesamten Rund der Abgeordneten entscheiden. Mindestens die Hälfte der Mitglieder des Bundestages muss sich dann für einen Richter aussprechen. Was erreichen wir damit? Wir nähern uns vor allem zunächst einmal dem Wortlaut von Artikel 94 des Grundgesetzes. Es hat schon öfter Streit gegeben, ob das bisherige Verfahren überhaupt diesem Artikel genügt. Seinerzeit hat auch Herr Voßkuhle – das muss er sich jetzt noch öfter anhören – eine andere Meinung dazu vertreten als jetzt als Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Ich denke, es liegt auch auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts, zu sagen, dass alle wesentlichen Entscheidungen im Plenum des Bundestages getroffen werden müssen und eben nicht auf die Regierung oder auf kleinere Gremien übertragen werden können. Es liegt aber vor allem auf der Linie, die Legitimation des Bundesverfassungsgerichts zu stärken. Wir haben den Grundsatz, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Das gilt für uns als Parlament ganz klar, aber es gilt eben auch für das Bundesverfassungsgericht, im Übrigen genauso für den Bundesgerichtshof und die anderen Bundesgerichte; das sei hier auch noch einmal gesagt. Ich denke, uns Abgeordneten ist das sehr bewusst, weil wir uns dem alle vier Jahre wieder stellen müssen. Es ist aber der Wahlakt, der uns legitimiert, von dem sich letztendlich auch die Staatsgewalt der Gerichte ableitet. Diese Ableitung wird gestärkt und damit auch die Legitimation, wenn dieser überflüssige Zwischenschritt wegfällt, nicht mehr das Parlament einen kleinen Ausschuss bestimmt, der die Richter wählt, sondern das Plenum -unmittelbar die Richter wählt. Das ist ein Mehr an Legitimation, ein Mehr an Transparenz, ein Mehr an Nähe, die wir unserem gemeinsamen Souverän, denke ich, schulden, dem gemeinsamen Souverän, der uns legitimiert und auch finanziert und der von unseren Entscheidungen auch betroffen ist. Die Anforderungen, die an uns als Parlamentarier gestellt werden, auch in Bezug auf Transparenz, in Bezug auf unsere Person, auf unsere Entscheidungen, sind hoch. Sie sind nicht zuletzt auch durch die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an uns sehr hoch. Ich denke, es ist dann konsequent und liegt auch auf der Linie dieser Entscheidungen, wenn wir heute in einem behutsamen ersten Schritt auch mehr Transparenz in die Wahl der Bundesverfassungsrichter bringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Ein Stück weit ist es auch dieser Transparenz geschuldet, dass wir heute Abend hier diese Debatte sozusagen in Wort und Bild führen und die Reden nicht nur zu Protokoll geben. Ich denke, das ist eine kleine Reminiszenz an die Bedeutung dessen, was in dieser Debatte beraten wird. Nun kann man im Rückblick sicher sagen, dass die Entscheidungen, die der kleine Wahlausschuss bisher getroffen hat, im Ergebnis gut waren. Das Bundesverfassungsgericht hat ein hohes Renommee, und das liegt an der Qualität der Entscheidungen, die dort getroffen -worden sind, und auch an dem hohen Renommee der Richter, die dort tätig sind. Stellen wir uns das Anforderungsprofil vor: Dazu gehören sehr gute rechtliche Kenntnisse, ein sehr gutes Standing, eine sehr gute Überzeugungskraft und auch die Bereitschaft, sich auf die Argumente der anderen, auch der anderen Kollegen, einzulassen. Es gehört sicherlich nicht dazu, dass man immer die große Bühne sucht. Das berücksichtigen wir in unserem Verfahren. Wir schaffen das Mehr an Transparenz, ohne ins glatte Gegenteil zu verfallen, ohne also amerikanische Verhältnisse herbeizuführen. Ich denke, dass wir so diesem wichtigen Wahlvorgang mehr Aufmerksamkeit verschaffen, die er auch verdient, und zugleich einen sehr guten Rahmen schaffen, sodass wir bei alldem auch in Zukunft die richtigen Kandidaten und Kandidatinnen auswählen. Ich danke Ihnen für das Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, gut, dass wir hier die Debatte echt führen. Ich glaube, es ist dem Thema auch angemessen, dass die Reden nicht einfach zu Protokoll gegeben werden. Ja, heute ist ein guter Tag insoweit, als wir einen gemeinsamen Gesetzentwurf haben, durch den § 6 Bundesverfassungsgerichtsgesetz geändert werden soll. Wenn Meilensteine unterschiedliche Größenordnungen haben könnten, handelte es sich immerhin um einen kleinen Meilenstein, der auch eine Schieflage beseitigt. Es wäre doch kurios, die höchsten Richterinnen und Richter dieses Landes würden nur in einem Wahlausschuss gewählt, in dem, ich glaube, mehr Geheimhaltung war als an manch anderen Orten. Zumindest in den Zeitungsartikeln, die ich immer gelesen habe, kamen mehr die vereinigten Kaffeesenate zu Wort. Es taten mir immer die leid, die da gehandelt wurden, es dann aber doch nicht wurden. Das sprach auch ein bisschen für -diesen kleinen Wahlausschuss: die Wertschätzung gegenüber den Personen. Heute schaffen wir natürlich eine bessere Vergleichssituation. Es wäre ja komisch, die höchsten Richterinnen und Richter würden nicht im Plenum gewählt, aber der Wehrbeauftragte zum Beispiel würde dort gewählt. Nichts gegen selbigen, aber man muss ja irgendwie eine ausgleichende Linie hinbekommen. Wir als Grüne hätten uns mehr gewünscht. Herr Bartke, wir hätten uns natürlich mehr gewünscht, schon allein für das Bundesverfassungsgericht. Aber das ist ja schon einmal etwas nach all der Kritik der letzten Jahre. Ich meine, wir sind natürlich freie Bürgerinnen und Bürger und Abgeordnete in einem freien Land. Wir dürfen auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kritisieren. Aber wenn dann zu oft gesagt wurde: „Da sind die zu weit gegangen, das steht denen gar nicht zu“, kriegte das doch manchmal einen Unterton, bei dem ich dann dachte, obwohl auch ich frech losreden kann: Das geht jetzt eigentlich zu weit. Da fehlt der Respekt vor der dritten Gewalt. Wir hätten noch mehr machen können. Ich hätte mir, weil wir ja wollen, dass es ein selbstbewusstes und unabhängiges Gericht ist, was Deutschland ja auszeichnet und worauf wir an der Stelle stolz sein können, natürlich auch noch vorstellen können, dass es so geregelt worden wäre, dass tatsächlich öffentliche Anhörungen, Anhörungen im Rechtsausschuss usw. hätten stattfinden müssen. Da gibt es noch manche Verbesserungsmöglichkeiten. Was wir Ihnen heute jedenfalls nicht ersparen konnten, ist unser Änderungsantrag, der zwei Punkte enthält. Ich will darauf kurz eingehen. Der erste Punkt ist das Zählverfahren für die Besetzung der Sitze. Hier wird immer noch das Verfahren nach d’Hondt angewandt. Wir wollen das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers. Ja, ich gebe zu, das ergibt für die kleine Opposition – je kleiner, desto mehr – mehr Plätze. Aber das ist ja wohl in heutigen Zeiten, in denen wir über Minderheitenschutz und auch über die demokratische Legitimation der Bundesverfassungsrichter reden, keine falsche Überlegung. Da, glaube ich, ist es gut, wenn am Ende alle Fraktionen, wie viele wir auch immer haben, daran beteiligt sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Harbarth, der jetzt nicht hier ist, hat im Ausschuss gesagt: Jedes Sitzverteilungsverfahren hat seine Vorzüge und Nachteile. Das mag stimmen. Er hat daraus jedoch abgeleitet, dass er keine Notwendigkeit für eine Änderung sieht. Ich sage Ihnen: Sie müssten begründen, warum dieser Richterwahlausschuss für das Bundesverfassungsgericht das einzige Gremium ist, das noch nach d’Hondt besetzt wird. So herum sollte es sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Der zweite Punkt ist die Frage nach einer Frauenquote. Lassen Sie mich Ihnen, Herr Bartke, sagen: Ich war in der letzten Legislaturperiode dabei und habe dieses Geschäft sehr systematisch vier Jahre betrieben, auch mit CDU-Frauen, zum Beispiel mit Rita Pawelski, die leider jetzt nicht mehr dabei ist. Lassen Sie mich Ihnen eine Lebensweisheit mit auf den Weg geben, weil ich ja weiß, was die SPD in der letzten Legislaturperiode gemacht hat: Nicht jeder, der auf einen fahrenden Zug aufspringt, ist deshalb auch gleich Lokomotivführer. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Ein ganz schlechter Vergleich!) Zu sagen: „Wir sind die Partei der Quote“, das geht dann doch zu weit. Dass Sie am Ende im Ministerium die Funktion hatten, das federführend vorlegen zu müssen, gestehe ich Ihnen zu. So war es. Ich sage Ihnen: Ich finde, eine Quote mit dem Inhalt: „Mindestens drei Männer oder Frauen müssen in einem Senat vertreten sein“, ist nicht zu viel verlangt, nachdem wir eine Quote für Aufsichtsräte börsennotierter mitbestimmungspflichtiger Unternehmen beschlossen haben. Ich weiß nicht, wen man zu dieser Frage noch hätte anhören können. Sie hätten natürlich auch eine Anhörung beantragen können und sagen können, dass Ihnen die Beratungen noch nicht reichen. Aber eins nehme ich auf, Herr Bartke: Wir werden Sie beim Wort nehmen. Hier und an vielen anderen Gerichtsstellen sind Sie jetzt in der Pflicht, mit uns dafür zu sorgen, dass in dieser Wahlperiode noch etwas passiert. Ich sage Ihnen: Ich finde die Aktion des Deutschen Juristinnenbundes richtig, der gefordert hat: Mehr Frauen in die roten Roben! – Das wäre ein weiterer kleiner Fortschritt. So ist es ein kleiner Meilenstein, ein Schritt vorwärts. Sie dürfen sicher sein: Wir stimmen zu, um dem Verfassungsgericht mehr Würde zu geben, aber wir werden Sie ab morgen früh wieder fragen, was Sie, Herr Bartke, dafür tun, dass mehr Frauen an den Gerichten in Führungspositionen und nicht nur in unteren Positionen sind. Wenn das so ist, dann ist es ein guter Tag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Kollegin Künast. – Nächste Rednerin ist jetzt Dr. Katarina Barley, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Katarina Barley (SPD): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, die zu dieser späten Stunde noch da sind! Ich muss zugeben, ich hätte mir gewünscht, dass wir diesen Tagesordnungspunkt an einer etwas prominenteren Stelle der Tagesordnung diskutieren; denn es geht hier ein Stück weit um etwas sehr Grundsätzliches. Es geht um die Balance der Gewalten in unserem Staat. Das ist etwas, was enorm wichtig ist. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich einiges dabei gedacht, als sie die Struktur so geschaffen haben, wie sie jetzt ist. Sie haben dem Bundesverfassungsgericht eine sehr starke Stellung gegeben. Das war ja durchaus ein Risiko. Die Verantwortung liegt nunmehr in den Händen von 16 Einzelpersonen. Das hätte auch schiefgehen können. Aber jetzt können wir konstatieren – ich glaube, da sind wir alle einer Meinung –, dass sich – ich mag diesen Satz sonst überhaupt nicht – diese Konstruktion wirklich sehr bewährt hat. Doch auch das Verfahren, so wie wir es bisher in einem kleinen Ausschuss mit einer relativ späten Beteiligung der Öffentlichkeit betrieben haben, hat sich bewährt. Es ist schon gesagt worden: Anhand des Wortlautes war es immer umstritten, ob die Entscheidung alleine durch den Wahlausschuss gefällt werden kann. Auch ich bin froh, dass wir heute eine entsprechende Änderung hinbekommen. Ich muss zugeben, Frau Künast, dass ich mit Ihnen nicht ganz einer Meinung bin, was eine noch weitergehende Öffnung im Hinblick auf zum Beispiel öffentliche Anhörungen angeht. Ich glaube, dass ein Verfahren, das dem amerikanischen ähnelt, unserer Art, Verfassungsrechtsprechung zu betreiben, nicht gerecht wird. Ich selbst hatte das Privileg, am Bundesverfassungsgericht zu arbeiten. Ich kann nur bestätigen, dass die Parteizugehörigkeit, wenn es denn überhaupt eine gibt, oder die Partei, die den jeweiligen Richter oder die jeweilige Richterin nominiert hat, keine Rolle bei der Entscheidungsfindung spielen. Es geht tatsächlich um die Persönlichkeiten und ihre Erfahrungen; das wurde schon mehrfach angesprochen. Insofern möchte ich davor warnen, in zu großen Schritten in diese fragile Balance einzugreifen. Ich will das nicht für alle Zeiten ausschließen. Aber ich halte es für sehr gut, wenn wir ganz behutsam vorgehen. Ich glaube, dass wir jetzt einen vielleicht kleinen, aber wichtigen Schritt in die richtige Richtung gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Artikel 94 unseres Grundgesetzes besagt, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts in gleichen Teilen durch den Bundesrat und den Bundestag zu wählen sind. Mit der heutigen Entscheidung gleichen wir die Verfassungspraxis dem Verfassungswortlaut an. Mit dieser Entscheidung wird eine stärkere demokratische Legitimation der Richter des Bundesverfassungsgerichts herbeigeführt. Das ist wichtig und notwendig, weil das Verfassungsgericht ein Verfassungsorgan ist und weil seine Entscheidungen in bestimmten Bereichen selbst Gesetzeskraft bekommen können. Mit dieser Entscheidung ist aber kein Auftrag zu einer stärkeren politischen Positionierung des Bundesverfassungsgerichts verbunden. Die Grenze verfassungsrechtlicher Rechtsprechung ist die grundrechtssensible gesetzgeberische Wertentscheidung des Parlaments. Das gilt es nach wie vor zu beachten. Natürlich ist die Grenze fließend. Sie muss und sollte aber bestimmbar sein im Interesse beider Verfassungsorgane, nicht nur im Sinne eines gegenseitigen Respekts, sondern im Interesse einer funktionierenden Gewaltenteilung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sosehr das Gericht dem Gesetzgeber verfassungsrechtliche Schranken im Bereich der Grundrechtsinterpretation aufzeigt, so sehr darf auch der Bundestag den Wunsch äußern, dass die reinen politischen Wertentscheidungen respektiert und berücksichtigt werden. Meine Damen und Herren, der Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Einführung einer Frauenquote am Bundesverfassungsgericht ist nicht der richtige Weg. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) Natürlich gilt der Grundsatz – er hat zu allen Zeiten gegolten und gilt auch zukünftig –: Wir wollen die besten Frauen und Männer an diesem Gericht haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gilt aber auch der Grundsatz: Verfassungsorgane quotiert man nicht, man respektiert sie. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn? – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn? – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn?) Am kommenden Samstag feiert unser Grundgesetz den 66. Geburtstag seiner Verabschiedung. Es hat sich im Laufe der Jahre von einem Provisorium zu einer weltweit geachteten Verfassungsordnung entwickelt. Und das Bundesverfassungsgericht hat mit richtungsweisenden Entscheidungen und großartigen Richtern einen sehr entscheidenden Anteil daran, dass diese Verfassungsordnung weltweit respektiert und nachgeahmt wird. Deswegen gilt an dieser Stelle dem Bundesverfassungsgericht auch der Dank für die Unterstützung und die Aufrechterhaltung unserer verfassungsgemäßen Ordnung. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das brauchen wir auch bei den Gesetzen, die Sie verabschieden!) Meine Damen und Herren, man sagt nach einem geflügelten Wort: Mit 66 Jahren fängt das Leben an. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das war ein Lied! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, dass Sie das jetzt singen! – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das Leben des Verfassungsgerichts fängt jetzt nicht an, sondern es soll in den kommenden Jahren respektvoll und durch Würde getragen weitergehen, damit wir gemeinsam, alle Verfassungsorgane, diese Verfassungsordnung, in der die Würde des Menschen und die Freiheit der Person festgeschrieben sind, respektieren und weiter fortschreiben. Es handelt sich, glaube ich, um die beste Verfassungsidee, die wir haben; wir sollten sie bewahren. In dem Sinne bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4963, den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/2737 anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4978 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften Drucksache 18/4201 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/4961 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4961, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4201 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksache 18/4902 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4902 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, es gibt keine weiteren Vorschläge. Dann ist so beschlossen. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich bedanke mich bei Ihnen für die regen Debatten und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 22. Mai 2015, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 22.59 Uhr)   Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.05.2015 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.05.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.05.2015 Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 21.05.2015 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 21.05.2015 Bülow, Marco SPD 21.05.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.05.2015 Groneberg, Gabriele SPD 21.05.2015 Grundmann, Oliver CDU/CSU 21.05.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 21.05.2015 Hintze, Peter CDU/CSU 21.05.2015 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 21.05.2015 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21.05.2015 Lach, Günter CDU/CSU 21.05.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 21.05.2015 Pflugradt, Jeannine SPD 21.05.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 21.05.2015 Schwabe, Frank SPD 21.05.2015 Spiering, Rainer SPD 21.05.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Monika Lazar, Peter Meiwald, Corinna Rüffer und Hans-Christian Ströbele (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 12) Den Antrag der Bundesregierung lehnen wir ab und stimmen mit Nein. Wir halten den Einsatz der Bundeswehr im Golf von Aden und im ganzen Indischen Ozean politisch für falsch und nicht notwendig zum Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms vor Piraterie. Vor allem war er von Anfang an nicht das letzte mögliche Mittel, die Ultima Ratio, um die Schiffe zu schützen und Piraterie wirksam zu bekämpfen. In der Begründung zum Mandat erklärt die Bundesregierung, dass die niedrige Zahl der versuchten Übergriffe auf Handelsschiffe eine Folge der ständigen Präsenz der Kriegsschiffe im Golf von Aden sei. Wie im Vorjahr wird diese Behauptung nicht belegt. Es ist eine falsche Annahme. Denn zivile Maßnahmen wie das Einhalten der sogenannten Best Management Practices – Fahren im Konvoi oder mit hoher Geschwindigkeit sowie die Absicherung von Reling und Außenbord, etwa durch Stacheldraht, und das Anbringen von Scheinwerfern – haben die Piratenangriffe verhindert. Die Bundesregierung hat bestätigt, dass kein einziges Schiff von Piraten aufgebracht wurde, das sich an diese Regeln gehalten hat. Das gilt gerade auch für den Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms. In einem Gutachten des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg wird empfohlen, den Schutz dieser Transporte von Hilfsgütern und Nahrungsmitteln nach Somalia dadurch zu verbessern, dass das WFP mit besseren und schnelleren Schiffen ausgestattet wird. Zum neunten Mal entscheidet sich der Bundestag nun schon für diesen Kriegseinsatz, der aber letztlich nur die Symptome der Piraterie bekämpft. Deren Ursachen hingegen, die man nur politisch angehen kann, werden immer noch weitgehend ignoriert. In Somalia herrschen Armut, Hunger, Gewalt und politische Unsicherheit. Ein Grund für Hunger und Armut ist die Überfischung der Gewässer vor Somalia. Modern ausgestattete Fangflotten aus der EU, Japan oder Taiwan rauben den lokalen Fischern die Existenzgrundlage. Zusätzlich kommt es durch illegale (Gift-)Müllentsorgung vor der Küste Somalias zu massivem Fischsterben, und Menschen erkranken. Kriegsschiffe und Militäreinsätze sind nicht das richtige Mittel, um die Piraterie und ihre Ursachen zu bekämpfen. Atalanta beeinflusst auch die europäische Debatte darum, wie mit der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer umgegangen werden sollte: Die EU-Kommission schlug jüngst vor, sich dabei an Atalanta zu orientieren. Dies zeigt die drohende Militarisierung der europäischen Flüchtlingspolitik. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 18) Wilfried Lorenz (CDU/CSU): Auch in der abschließenden zweiten und dritten Lesung der konstitutiven Neufassung des Unterhaltssicherungsgesetzes, USG, komme ich nicht umhin, den Blick auf die Besonderheiten der deutschen Sprache zu lenken, die gelegentlich Irritationen hervorrufen. Die in unserem Sprachraum verbreitete, nicht selten mehrere Textzeilen füllende Aneinanderreihung einer Vielzahl von Substantiven findet sich auch im Wort Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz. Von diesem Regelungswerk hat schon jeder gehört. Über das Unterhaltssicherungsgesetz wird dagegen kaum berichtet. Zugegeben, die Wortzusammenstellung lässt auf den ersten Blick eher an Unterhalt für die geschiedene Ehefrau oder Alimente für Kinder denken. Doch es liegt nun an uns allen, deutlich zu machen, dass das USG zu Unrecht weniger im Fokus der Öffentlichkeit steht. Denn die Reservedienst- und freiwillige -Wehrdienstleistenden, um die es geht, leisten denselben Dienst wie die aktiven Soldatinnen und Soldaten, für die das Attraktivitätssteigerungsgesetz geschaffen wurde. Das Gesetz, das wir heute beschließen, sollte treffender Reservedienst- und Freiwilligwehrdienstleistendeunterhaltssicherungsgesetz – RDLFWDLUSG – heißen. Auf diese Weise wären nicht nur noch mehr Substantive in einem durchaus beachtlichen Wortungetüm untergebracht und eine stattliche Abkürzung kreiert. Es würde auch etwas klarer, welche Inhalte sich dahinter verbergen: Erstens. Regelungen, die spiegelbildlich als logische gesetzgeberische Fortführung des Bundeswehrattraktivitätsgesetzes, auch den Dienst von Reservistinnen und Reservistinnen wie freiwilligen Wehrdienstleistenden attraktiver gestalten sollen. Zweitens. Vorschriften, die die Durchführung des Gesetzes von den Ländern auf den Bund übertragen und beim Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr in einer Hand zusammenfassen; zuständig sind ab 1. November 2015 also nicht mehr die Unterhaltssicherungsstellen auf lokaler Ebene. Drittens. Die Zusammenfassung und Vereinfachung aller Leistungen für Reservedienstleistende, die bislang auch im Wehrsoldgesetz, WSG, geregelt waren, zu einem Anreizsystem. Der gesetzliche Handlungsbedarf erschließt sich bereits aus der Tatsache, dass das derzeit gültige USG noch aus dem Jahr 1957 stammt und zuletzt 1990 geändert wurde. Vor allem neue demografische Anforderungen an die Bundeswehr machen Änderungen als Teil der Attraktivitätsagenda erforderlich. Die deutschen Streitkräfte sind – spätestens seit Aussetzung der Wehrpflicht – einsatzfähig, wenn genügend qualifizierte Reservedienstleistende aus allen Bereichen der Gesellschaft und aus allen Berufsgruppen gewonnen und gehalten werden können. Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz und Unterhaltssicherungsgesetz sind daher als Gesamtprojekt zur Steigerung von Attraktivität und Leistungsfähigkeit der Bundeswehr zu sehen. Um bisherige Benachteiligungen zu beseitigen, enthält das neue USG wesentliche Änderungen: Erstens eine angemessene Erhöhung der Mindestleistungen für Reservistinnen und Reservisten auf ein Niveau in Höhe mindestens der Nettobesoldung aktiver Soldatinnen und Soldaten gleichen Dienstgrades; Mindestleistungen dienen der Sicherung des Einkommens während des Dienstes – daher die Begrifflichkeit Unterhaltssicherung; durch deren Erhöhung erreichen wir eine Gleichbehandlung von Reservisten und Aktiven. Zweitens können Reservedienstleistende ihren Dienst künftig ohne Gehaltseinbußen tun. Dies gilt auch für Reservisten mit höherem zivilem Einkommen. Sie erhalten zusätzlich Wehrsold und gegebenenfalls Verpflichtungsprämien. Reservisten im gleichen Dienstgrad, aber mit unterschiedlicher ziviler Qualifikation erhalten eine unterschiedliche Entschädigung entsprechend ihrem zivilen Einkommen. Für Selbstständige werden die Sätze erhöht und der Nachweisaufwand verringert. Drittens wird der Unterhalt von Familienangehörigen freiwillig Wehrdienstleistender durch Nachvollzug von Änderungen im Unterhaltsrecht gesichert, so die Gleichstellung nichtehelicher und ehelicher Kinder sowie die Aufnahme der Unterhaltsansprüche von Müttern und Vätern nichtehelicher Kinder. Spiegelbildlich zum Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz haben wir mit dem neugefassten USG einen weiteren gesetzlichen Baustein zu mehr Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr – hier vor allem des Reservedienstes – geschaffen. Bisherige Benachteiligungen gegenüber aktiven Soldaten sind beseitigt. Und wir -haben Anreize geschaffen, sich für den Dienst in der Bundeswehr zu entscheiden, dort zu bleiben und als Multiplikatoren in die Gesellschaft hineinzuwirken. Doch der Mensch lebt bekanntlich nicht vom Brot allein. Und so bedeutet mehr Attraktivität des Dienstes herzustellen auch, mehr Anerkennung und Wertschätzung des Dienstes in den Streitkräften in unserer Gesellschaft zu verankern. Wir werden hier nicht stehen bleiben, sondern weiter an Verbesserungen arbeiten, wo nötig. Dazu gehört, dass wir – wie beim Attraktivitätssteigerungsgesetz – auch zusätzliche Haushaltsmittel zur Verfügung stellen werden. Für die Erhöhung der Leistungen werden derzeit zusätzliche Mittel in Höhe von jährlich 11,9 Millionen Euro veranschlagt. Für die Gesetzesdurchführung dürften zusätzlich Kosten von 4,25 Millionen Euro hinzukommen. Das sind Gesamtkosten von 16,15 Millionen Euro, die sich für unser aller Sicherheit – immateriell wie materiell – weit mehr als bezahlt machen werden. Denn unsere Soldatinnen und Soldaten, Aktive wie Reservisten, wissen dann endlich, dass wir es ernst meinen, wenn wir sagen: Sie sind uns wichtig! Vor Ihrem Dienst für unser Land stehen wir mit größtem Respekt und werden alles dafür tun, dass Sie diesen unter den besten Bedingungen und mit der besten Ausrüstung leisten können. Julia Obermeier (CDU/CSU): Seit Beginn dieser Legislaturperiode haben wir eine Häufung krisenhafter Entwicklungen erlebt: Vor eineinhalb Jahren war noch keine Rede von der Ebolaepidemie in Westafrika, dem menschenverachtenden Vormarsch der ISIS-Terrormiliz, der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem gewaltsamen Konflikt in der Ostukraine oder der dramatischen Situation der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. In ungeahntem Ausmaß haben sich die bedrohlichen Ereignisse überschlagen. Sie zeigen uns deutlich: Die Herausforderungen, die Deutschland und die Bundeswehr zu bewältigen haben, können sich schnell und wesentlich ändern. Diese Herausforderungen kann die Bundeswehr nur mit dem Rückhalt einer starken Reserve bewältigen. Die Reservisten sind unverzichtbarer Bestandteil der Bundeswehr. Aktuell sind fast 33 000 Reservedienstleistende beordert. Sie sind aus der Bundeswehr nicht mehr wegzu-denken: ob bei der Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft in der Heimat, der Hilfeleistung im Katastro-phenfall im Inland oder bei der Unterstützung im Auslandseinsatz. Reservedienstleistende nehmen an Übungen teil. Sie helfen auch bei Naturkatastrophen, wie zum Beispiel dem Hochwasser im Frühsommer 2013. Reservisten sind darüber hinaus bei nahezu allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr vertreten: Sie unterstützen die KFOR-Truppen im Kosovo, die Mission Atalanta am Horn von Afrika oder die Ausbildungsmission Resolut Support in Afghanistan. Einige Reservisten haben auch Nothilfe im Kampf gegen Ebola geleistet. Bei meinen Truppenbesuchen treffe ich neben Berufs- und Zeitsoldaten auch immer wieder Reservedienstleistende. In Bad Reichenhall habe ich einen aktiven Reservisten getroffen, der den Kommandeur im Sommer vertreten hat. Besonders beeindruckt war ich von einem Oberstleutnant der Reserve, der in Mali bereits zum zweiten Mal als deutscher Militärattaché diente. Dies zeigt: Die Bundeswehr setzt Reservedienst-leistende entsprechend ihrer speziellen Fähigkeiten auch gezielt auf herausgehobenen Dienstposten ein. Reservedienstleistende sind und bleiben ein tragender Bestandteil unserer Streitkräfte. Ich und meine CDU/CSU-Fraktion danken allen Reservisten für ihren Einsatz und für ihr Engagement. Wir wollen die Bundeswehr als Arbeitgeber noch -attraktiver machen. Die Agenda „Bundeswehr in Führung“ und das Bundeswehrattraktivitätssteigerungs-gesetz waren wichtige Schritte. Das Unterhaltssicherungsgesetz ist nun der nächste Schritt. Es ist vor allem auf die Reservedienstleistenden zugeschnitten. Einzelne Verbesserungen betreffen auch die freiwillig Wehrdienstleistenden. Die Kernidee bleibt erhalten: Den Dienstleistenden wird mindestens der Einkommensverlust ausgeglichen. Doch der Reservedienst soll attraktiver gemacht werden. Dies wird unter anderem durch drei der Verbesserungen erreicht: Erstens. Die Mindestleistungen für Reservedienstleistende werden wesentlich erhöht: Die Vergütung wird an die Nettobesoldung von Soldatinnen und Soldaten gleichen Dienstgrades angeglichen. Zweitens. Es wird ein Anreizsystem für die Reservedienstleistung geschaffen. Wer sich vorab verpflichtet, in einem Jahr mindestens 19 bzw. 33 Tage Reservistendienst zu leisten, erhält Zulagen. Drittens. Die Antragstellung wird vereinfacht: Die Kompetenzen werden zentral in der Bundeswehrverwaltung gebündelt. Die Länder werden von dieser Aufgabe entlastet. Mit dem Unterhaltssicherungsgesetz wird der Reservedienst attraktiver. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für den vorliegenden Gesetzentwurf. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Das Unterhaltssicherungsgesetz, das wir heute beschließen, regelt umfassend und neu die Versorgung von Reservedienstleistenden und von freiwillig Wehrdienstleistenden der Bundeswehr sowie von deren Angehörigen. Wir nehmen mit diesem Gesetz die Dienstleistenden erstmals als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ernst. Das wird auch höchste Zeit. Denn mit dem Wegfall der Wehrpflicht ist Freiwilligkeit das Prinzip nicht nur für Zeit- und Berufssoldaten, sondern auch bei den Nachfolgeformen des Grundwehrdienstes und der Wehrübungen, also bei der freiwilligen und der Reservedienstleistung. Das USG ist zuletzt 1980 grundlegend novelliert worden. In seiner bisherigen Form geht es von der Wehrpflicht aus. Die versorgungsrechtliche Gleichstellung der Wehrpflichtigen mit Zeit- und Berufssoldaten ist darin nicht vorgesehen. Eine Neufassung, die den Bedingungen der Freiwilligkeit gerecht wird, ist deshalb zwingend notwendig. Kerngedanke des neuen USG ist es, alle Soldatinnen und Soldaten entsprechend ihrem Dienstgrad gleich zu bezahlen, gleichgültig, in welchem Dienstverhältnis sie stehen. Die neuen Tagessätze führen dazu, dass das Nettoeinkommen von freiwillig Wehrdienstleistenden und Reservedienstleistenden dem von Zeit- und Berufssoldaten generell entspricht. Reservisten, die im Zivilberuf ein höheres Einkommen haben, werden wie bisher für ihren Verdienstausfall entschädigt. Das neue USG ist zeitgemäß, fair und sozial. Die SPD-Fraktion hätte gerne noch die automatische Anpassung der Tagessätze an Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst eingebaut, damit sich die Nettoeinkommen gar nicht erst wieder auseinanderentwickeln können. Wir werden diesen Punkt wieder ansprechen, wenn die Notwendigkeit sich bestätigt. Insgesamt aber handelt es sich um ein gutes Gesetz, dem wir gerne zustimmen. Das neue USG dient ausschließlich den sozialen Interessen der Dienstleistenden und ihrer Familien. Seine Ablehnung durch die Fraktion der Linken ist deshalb für uns nicht nachvollziehbar. Im Verteidigungsausschuss hat die Kollegin Buchholz die Position ihrer Fraktion damit begründet, dass das neue USG den Wehrdienst attraktiver mache und daher abzulehnen sei. Die Logik dieser Begründung bedarf der Analyse. Die Linke will also keine attraktive Freiwilligenarmee. Die Wehrpflicht, unter der die Attraktivität des Dienstes möglicherweise zweitrangig bleiben kann, will sie aber auch nicht. Will die Linke also eine unattraktive Freiwilligenarmee? Das wäre ein Widerspruch in sich. Wenn die Linke die eigene Argumentation ernst meint, verbirgt sich dahinter folglich die vollständige Ablehnung militärischer Landesverteidigung. Das sollte die Linke dann aber auch so offen formulieren und sich nicht hinter verschwurbeltem Gerede über einzelne Gesetze verstecken. Dann können die Bürgerinnen und Bürger sich ein klares Urteil über das sicherheitspolitische Credo der Linken bilden. Vollends unverständlich wird die Haltung der Linken aus dem Blickwinkel der Familienpolitik. Das neue USG bezieht nämlich erstmals die gesellschaftlichen Veränderungen mit ein, die seit 1980 dazu geführt haben, dass unsere Vorstellungen von Familie vielfältiger geworden sind. Nichteheliche Kinder, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner werden im neuen USG als Angehörige von Dienstleistenden definiert, die selbstverständlich einen eigenen Anspruch auf Versorgung haben. Dass ausgerechnet die Linke, die das Bekenntnis zur vollen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften sonst immer lautstark proklamiert, ihre Unterstützung in dem Moment verweigert, in dem es sich um schwule und lesbische Soldatinnen und Soldaten handelt, lässt erhebliche Zweifel an der allgemeinen Aufrichtigkeit ihrer Gleichstellungspolitik aufkommen. Für die SPD gibt es keine richtigen oder falschen Lebenspartnerschaften – alle verdienen die gleiche Anerkennung. Die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion bitte ich daher dringend, noch einmal zu prüfen, ob sie diesem guten Gesetz zusammen mit den anderen Fraktionen dieses Hauses nicht doch die angemessene Zustimmung geben sollten. Alle Dienstleistenden der Bundeswehr, alle, die diesen Soldatinnen und Soldaten für ihren Beitrag zur Landesverteidigung verpflichtet sind, alle, die zwischen Lebenspartnerschaft und Familie keinen Unterschied machen, und alle, denen die Rechte nichtehelich geborener Kinder am Herzen liegen, würden es ihnen danken. Christine Buchholz (DIE LINKE): Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung soll zu einer Konzentration der Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen durch Reservistinnen und Reservisten sowie von freiwilligen Wehrdienstleistenden bei einer vom Bund -einzurichtenden Stelle führen. Grundsätzlich ist es -begrüßenswert, wenn es durch Straffung administrativer Vorgänge zu einer Entlastung der Länder und einer rascheren Bearbeitung von Anträgen kommt. Dennoch lehnt die Linke diesen Gesetzentwurf ab. Wir sind der Auffassung, dass die von der Bundesregierung mit dem Gesetz angestrebte Förderung des Reservedienstes in die völlig falsche Richtung geht. Es handelt sich um den Versuch, in der Bundeswehr Personallöcher zu stopfen, die durch die unpopuläre Orientierung auf Auslandseinsätze entstanden sind. Reservisten sind längst Teil dieser offensiven Konzeption geworden. Viele wurden auch in Afghanistan eingesetzt. Die Förderung der Reserve leistet darüber hinaus der Militarisierung im Innern Vorschub. So können seit 2012 Reservisten zum „Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand“ herangezogen werden. Das läuft auf den Waffeneinsatz im Innern gegen nichtmilitärische Ziele hinaus. Einer Reserve mit solchen politischen Vorgaben darf nicht weiter gefördert werden. Der vorliegende Gesetzentwurf soll die soziale Situation freiwilligen Wehrdienstleistender verbessern. Doch während zu Zeiten der Wehrpflicht Veränderungen für Soldaten immer auch zu analogen Veränderungen bei Zivildienstleistenden führten, ist dies heute nicht mehr der Fall. So werden diejenigen, die im Bundesfreiwilligendienst arbeiten, in dem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. Dies, obgleich sie ohnehin schon stark benachteiligt sind. So erhalten freiwilligen Wehrdienstleistende am Ende ihrer Dienstzeit bis zu 1 146 Euro monatlich. Diejenigen, die im zivilen Bundesfreiwilligendienst arbeiten, höchstens 363 Euro. Eine solche Diskriminierung ist durch nichts zu rechtfertigen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass es der Bundesregierung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht um mehr soziale Gerechtigkeit, sondern um die Stärkung des Soldatentums in Deutschland geht. Diese grundlegende Schieflage macht den Gesetzentwurf inakzeptabel, auch wenn er einzelne begrüßenswerte Aspekte enthält, wie die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Partnerschaften hinsichtlich des Leistungsbezuges von freiwilligen Wehrdienstleistenden. Im Übrigen hat die mangelnde Attraktivität des freiwilligen Wehrdienstes nichts mit den Fragen der Vergütung zu tun. Die Tatsache, dass über 25 Prozent der freiwilligen Wehrdienstleistenden innerhalb der ersten sechs Monate abbrechen, ist Ergebnis des Widerspruchs zwischen militärischer Realität und der Schweinwelt, die die Bundeswehr den jungen Menschen in Werbeshows und Adventure-Camps vorspielt. Die Linke lehnt es ab, Reservistinnen und Reservisten sowie Freiwillige in eine Armee zu rekrutieren, für die es – wenn es nach dem Willen der Verteidigungsministerin geht – keine räumliche und qualitative Grenze mehr gibt. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach den Beratungen in den Ausschüssen debattieren wir nun abschließend das Gesetz zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften. Es geht in diesem Gesetzentwurf darum, die Leistungen, die Reservedienstleistende, freiwilligen Wehrdienstleistende und deren Angehörige erhalten, an die heutigen Rahmenbedingungen anzupassen und zu erhöhen, sie klarer zu strukturieren, deren Verwaltung zu zentralisieren und die Antragsverfahren zu vereinfachen. Das damit verfolgte Ziel, dass freiwillig Dienende eine angemessene Entlohnung erhalten und dass ihr Unterhalt während des vorübergehenden Dienstes für die Bundeswehr gesichert ist, unterstützen wir ausdrücklich. Wer einen freiwilligen Dienst leistet, soll eine angemessene Vergütung und Versorgung erhalten. Die Anhebung der Mindestsätze der Unterhaltssicherung führt dazu, dass Reservedienstleistende für die Zeit, in der sie einen Dienst leisten, auch eine Vergütung erhalten, die dem Einkommen eines Soldaten und einer Soldatin gleichen Ranges nahekommt. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu dem Grundsatz, dass gleiches Geld für gleiche Leistung gezahlt wird. Wer im zivilen Beruf ein höheres Einkommen erhält, bekommt im Rahmen der Höchstsätze eine höhere Entschädigung durch die Unterhaltssicherung gezahlt. Das ist wichtig, wenn man Menschen für diesen Dienst auch neben ihrer zivilen Karriere gewinnen möchte. Ein signifikanter Verdienstausfall würde sicherlich viele davon abhalten, sich als Reservist oder Reservistin zu engagieren. So macht auch die Logik der Entschädigung für Verdienstausfälle aus unserer Sicht weiterhin Sinn. Die Attraktivität der freiwilligen Dienste in der Bundeswehr ergibt sich nicht nur aus der Höhe der Unterhaltssicherungssätze. In der ersten Lesung hatte ich bereits darauf hingewiesen, dass Attraktivität vor allem auch eine qualitative Frage ist. Freiwillige Wehrdienstleistende müssen einen klaren Mehrwert in ihrem Dienst erfahren. Gleiches gilt für Reservistinnen und Reservisten, die sich im Rahmen von Reservedienstleistungen, auf beorderten Dienstposten oder im Rahmen der freiwilligen Reservistenarbeit engagieren. Der Aufwand, der hier betrieben wird, muss sich auch für die Bundeswehr rechnen. Die Umsetzung der Konzeption der Reserve muss aus unserer Sicht regelmäßig evaluiert werden. Auch hier im Bundestag sollten wir uns regelmäßig mit der Frage auseinandersetzen, ob die Reserve ihrem Auftrag, den ihr die Konzeption der Reserve gibt, gerecht wird. Wir sollten ein Auge darauf haben, dass das Geld und der Aufwand, der betrieben wird, auch zu einem angemessenen Output führt. Dazu bedarf es funktionierender Strukturen und Prozesse, die realistische Ziele verfolgen. Diese müssen regelmäßig überprüft werden. Da wir diesen Gesetzentwurf zum jetzigen Zeitpunkt für einen richtigen und wichtigen Schritt halten, stimmen wir ihm zu. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Für ein internationales Staateninsolvenz-verfahren – Resolution der Vereinten Nationen für ein multilaterales Rahmenwerk zur Restrukturierung von Staatsschulden umsetzen – Jetzt aktiv den Arbeitsprozess der Vereinten -Nationen mitgestalten (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Auch Staaten können pleitegehen – und dafür brauchen wir gar nicht auf Griechenland zu schauen, das seit Jahren in besonderer Weise im Rampenlicht steht. Deutschland hat diese -Erfahrung schon mehrfach gemacht, Argentinien war ein prominentes Beispiel der jüngeren Zeit, und vor allem in den – kapitalistischen! – Vereinigten Staaten von Amerika ist die Insolvenz von Einzelstaaten und vor allem Gemeinden nicht selten – und selbst der Bundesstaat USA stand im letzten Jahr ebenfalls am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Was aber bei Staaten anders ist als bei „normalen“ Schuldnern und insbesondere Unternehmen: Es gibt kein geordnetes und allseits akzeptiertes Verfahren, in dem eine solche Insolvenz abgewickelt werden könnte. Bevor wir die Frage näher beleuchten, ob ein solches Verfahren auch für Staaten möglich oder sinnvoll ist, sollte man sich aber erst noch einmal vor Augen führen, was ein Insolvenzverfahren eigentlich will. Drei Ziele stehen im Vordergrund: Einmal sollen die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich befriedigt werden, wenn und weil das Unternehmen seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann. Das bedeutet: Alle Gläubiger sitzen vor dem Hintergrund begrenzter Mittel in einem Boot und müssen gleichermaßen eine Kürzung ihrer Forderungen gewärtigen. Zum Zweiten bedeutet dies, dass der Schuldner vor der Inanspruchnahme durch einzelne Gläubiger nach dem Windhundprinzip – wer zuerst kommt, mahlt zuerst – geschützt ist. Und drittens soll dies – wie heute zu Recht immer häufiger betont wird – dazu beitragen, dass der Schuldner saniert wird und anschließend, typischerweise nach erheblichen Umstrukturierungsmaßnahmen, wieder am Wirtschaftsverkehr teilnehmen kann. Vorsorglich sei aber auch klargestellt, was ein Insolvenzverfahren nicht soll: Weder soll es dem Schuldner eine einseitige, unkontrollierte Möglichkeit geben, sich seinen Zahlungspflichten zu entziehen, noch kommt ein Insolvenzverfahren in Betracht, wenn der Schuldner bloß zahlungsunwillig – und nicht zahlungsunfähig – ist, insbesondere, weil er sich einiger, besonders unliebsamer Schulden entziehen möchte. Und schließlich ist mit einem Insolvenzverfahren auch nicht zwingend verbunden, dass der Schuldner bzw. seine Organe das Ruder aus der Hand geben müssen. Im privaten Insolvenzverfahren nennt man dies „Eigenverwaltung“. Ist dies alles bei einem Staat als Schuldner anders? Die einfache Antwort lautet: Nein! Allerdings fragt es sich dann natürlich, warum es ein Insolvenzverfahren, wie es seit Jahrhunderten für private Unternehmer üblich ist, für Staaten nicht gibt. Die Antwort ist recht einfach: Denn es müsste in völkerrechtlich verbindlicher Weise vorab zwischen eben diesen Staaten verabredet werden. Und da glauben die Staaten natürlich, dass eine einseitige Interessendurchsetzung oder eine solche in wechselnden Allianzen mehr Chancen bietet als die Unterwerfung unter verbindliche Regeln: So ist es natürlich charmant, einseitig zu versuchen, seine Zahlungsunfähigkeit zu erklären und auf ein Einsehen der Gläubiger zu hoffen, wie dies Argentinien getan hat – und wie es jetzt von Griechenland versucht wird. Umgekehrt glaubt jeder Staat im Zweifel für sich, dass er seine Forderungen oder die seiner Staatsbürger im Falle der Insolvenz eines anderen Staates besser – sprich mit einer höheren Quote – durchsetzen kann, als andere Staaten dies -können. Attraktiv ist es auch, einen Gerichtsstandort – auch für Schiedsgerichte – vorzuhalten, an dem ein solch besserer Schnitt möglich ist. Aber: Jedenfalls in einem System, das wie die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft angelegt ist, sollten solche Möglichkeiten des Trittbrettfahrens ausgeschlossen sein – wie dies etwa auch in den Vereinigten Staaten von Amerika der Fall ist. Das mit den beiden Oppositionsanträgen verfolgte Ziel ist daher durchaus dem Grunde nach berechtigt. Wir sollten in der Tat einen staatlichen Rahmen schaffen, der die Insolvenz eines Staates in einem geordneten staatlichen Verfahren ermöglicht. Das würde zum Beispiel für einen EU-Staat zugleich die Möglichkeit begründen, trotz eines Schuldenschnitts in der Währungsunion zu verbleiben, würde aber – vor allem – den Gläubigern bei ihrer Kreditvergabe an Staaten auch abverlangen, zu beurteilen, mit welcher Wahrscheinlichkeit denn der Staat seine Verbindlichkeiten zurückzahlen kann. Die auch formale Einführung der Möglichkeit eines Insolvenzverfahrens führt möglicherweise auch bei gut gerateten Staaten dazu, dass – allein wegen der theoretischen Möglichkeit einer Insolvenz – höhere Refinanzierungskosten entstehen; das gilt es gegen das Ausfallrisiko bei den Forderungen gegen andere, weniger solvente Staaten abzuwägen. Aber – und deshalb werden wir Ihre Anträge ablehnen –: Dieser Rahmen kann – soweit es sich um Staaten des Euro-Raumes handelt – wegen des Zusammenhangs mit der Währungsunion nur im europäischen Recht liegen. Das schließt einen weitergehenden, internationalen Rahmen nicht aus, würde aber einen Konsens über die dabei erforderlichen Rahmenbedingungen voraussetzen, den ich nicht sehe. Zweitens muss der betreffende Staat zahlungsunfähig sein: Da wird man bei der Schuldenlast schon genauer hinschauen müssen. Denn allein, dass Schulden unbequem sind, macht sie nicht belastend und heißt noch nicht, dass sie zur Wiederherstellung der Schuldentragfähigkeit beschnitten werden müssen. Schulden wie diejenigen Griechenlands, die praktisch weder bedient noch verzinst werden müssen, müssen auch nicht – weiter – beschnitten werden, und schon gar nicht, um neue Schulden machen zu können. Wer andererseits die Einnahmen, vor allem in Form von Steuern, – bewusst – gering hält und die Ausgaben nach oben schraubt, kann auch in einem Insolvenzverfahren für Staaten nicht auf Gnade seiner Gläubiger hoffen. Es gibt hier eben anders als bei der Unternehmensinsolvenz keine klar feststehende Insolvenzmasse. Und vor allem: Ein Insolvenzverfahren für Staaten muss auf eine Gleichbehandlung aller Gläubigerforderungen ausgerichtet sein – und nicht, wie beide Oppositionsanträge dies tun, zwischen guten und schlechten Forderungen unterscheiden: Wenn Sie auf der einen Seite die Forderungen von bösen Hegdefonds unter Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz beschneiden wollen, andererseits aber weitere Forderungen unter Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit vollständig aus dem von Ihnen angedachten staatlichen Insolvenzverfahren ausklammern wollen, führen Sie genau die Differenzierung wieder ein, die Sie eigentlich vermeiden wollen. Es ist – das sei in diesem Zusammenhang dann auch gesagt – auch nicht so, dass die Durchsetzung solcher Forderungen vor privaten Schiedsgerichten leichter möglich ist als vor staatlichen Gerichten. Denn erst vor wenigen Wochen hat der deutsche Bundesgerichtshof unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Forderungen aus argentinischen Staatsanleihen auch in Deutschland durchsetzbar sind. Was ist die Alternative? Ich habe es vor einigen Tagen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt: Es liegt nahe, ein Resolvenzverfahren in der Euro-Zone in der Weise einzurichten, dass durch geringfügige Änderungen des ESM-Vertrages ein Resolvenzgericht in Parallele zum ESM und unter Einbindung in die vorhandene Finanzarchitektur des europäischen Krisenbewältigungsmechanismus geschaffen wird. Zweck eines solchen mehr die Verhandlungen zwischen Schuldnerstaat und Gläubigern beaufsichtigenden als Streitigkeiten zwischen ihnen entscheidenden Gerichts wäre, künftig Handlungsungewissheiten und Handlungsunsicherheiten wie im Falle Griechenlands seit 2010 von vornherein zu unterbinden. Dieses Gericht würde eine Verfahrensordnung erhalten, in der sämtliche Schritte von der Stellung eines Antrags über die Verhandlungen zwischen Schuldner und Gläubiger bis schließlich hin zur Abstimmung über das Verhandlungsergebnis sowie zur Umsetzung der wechselseitigen Verpflichtungen vorgeschrieben wären. Darauf könnten sich sämtliche Betroffenen schon von Anbeginn an vorbereiten; für Transparenz wäre also gesorgt. Festgehalten werden sollte aber auch: Eine solche -Regelung wäre neben der gerade eingeführten Bankenunion ein – weiterer – Schritt zur Beseitigung von Systemfehlern in der Euro-Zone. Dass sie nicht den fehlenden Gleichlauf von Währungs- und Wirtschaftspolitik herzustellen vermag, liegt auf der Hand. Bettina Kudla (CDU/CSU): Die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben für ein internationales Staateninsolvenzverfahren jeweils einen Antrag vorgelegt. In den Anträgen fordern sie, dass die Bundesregierung sich aktiv in die Beratungen der G-77-Staaten bei der UN für ein Staateninsolvenzverfahren einsetzen möge. Die Linke bezieht sich dabei auf eine im September 2014 verabschiedete Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen, in der sich der Staatenbund auf die Einrichtung eines Insolvenzverfahrens für überschuldete Staaten festgelegt hatte. Elf Staaten, darunter Deutschland, hatten gegen die Resolution gestimmt. Die Bundesregierung hat den Prozess in den Vereinten Nationen zur Einrichtung eines Staateninsolvenzverfahrens konstruktiv begleitet, aber im Ergebnis zuletzt auch gegen die sogenannte Modalitätenresolution gestimmt. Diese Resolution wurde vonseiten der Europäischen Union konstruktiv verhandelt, letztendlich lehnten aber alle EU-Mitgliedstaaten ein formelles, rechtsverbindliches Staateninsolvenzverfahren ab. Die bestehenden Verfahren im Pariser Club und im IWF zum Thema Schuldenentlastung von Ländern mit entsprechendem Bedarf haben sich bewährt. Ein Verfahren mit einem für alle Beteiligten, also auch für alle Gläubiger, bindenden Schiedsspruch ist problematisch. Ein derartiges, formelles Staateninsolvenzverfahren erscheint unverändert verfassungsrechtlich und politisch nicht realisierbar. Insbesondere wären grundlegende parlamentarische Budgetrechte beeinträchtigt. Die Insolvenz eines Staates hat stets gravierende Folgen und ist häufig auch nicht die Lösung wirtschaftlicher Probleme. Laut einer Statistik des IWF gab es seit dem Jahr 1980 allein 90 Insolvenzen von 73 Staaten, einige Staaten sind demnach mehrfach insolvent geworden. Der Staat Chile war siebenmal insolvent, Brasilien sechsmal und Argentinien fünfmal. Eine erneute Insolvenz binnen so kurzer Zeit zeigt, dass weder die finanziellen noch volkswirtschaftlichen Probleme dieses Landes durch eine Staateninsolvenz gelöst wurden. Oberstes politisches Ziel muss es daher immer sein, der Überschuldung eines Staates vorzubeugen. Ein Staat muss ein verlässlicher Partner für Bürger und Unternehmer sein. Gute Handelsbeziehungen und Investitionen mit bzw. in einem Staat hängen wesentlich davon ab, ob in dem Staat verlässliche rechtliche, wirtschaftliche und finanzielle Rahmenbedingen herrschen. Wirtschaftliche Probleme in Entwicklungsländern beruhen häufig nicht auf fehlenden finanziellen Möglichkeiten, sondern auf strukturellen Problemen. Die Finanzierungen eines Staates hängen wesentlich von dessen Kapitalmarktfähigkeit ab. Die Finanzierung über Staatsanleihen wird erheblich eingeschränkt, wenn aufgrund eines drohenden Insolvenzverfahrens mit einem Ausfall der Staatsanleihen zu rechnen ist. Die Anleger müssen sich auf Zusagen eines Staates verlassen können. Unberührt bleibt davon die Möglichkeit, dass wohlhabende Staaten individuelle Schuldenerlasse gegenüber überschuldeten Staaten aussprechen. Dabei ist jedoch immer zu berücksichtigen, dass ein Schuldenerlass auch kontraproduktiv wirken kann und die wirtschaftlichen Möglichkeiten des betroffenen Staates aufgrund eines Vertrauensverlustes einschränkt. Es muss rechtzeitig vorgebeugt werden, dass Staaten nicht in eine Überschuldung geraten. Der Kontrolle durch das Parlament kommt eine zentrale Aufgabe zu. Die mittlerweile in unserem Grundgesetz auf Betreiben der CDU/CSU-Fraktion verankerte Schuldenbremse hat eine 40-jährige Entwicklung einer Anhäufung von Staatsschulden gestoppt und zur Trendumkehr gebracht. Für die Bundesrepublik Deutschland gilt, dass es wesentlich ist, dass nun auch die Bundesländer bis zum Jahr 2020 die Schuldenbremse einhalten und bereits heute die Weichen für die Einhaltung der Schuldenbremse stellen. Nur ein wirtschaftlich gesunder Staat hat entsprechende Möglichkeiten, über eine zielgerichtete Entwicklungshilfe die Lage in wirtschaftlich schwächeren und damit häufig überschuldeten Ländern zu verbessern. Was ist nun der Unterschied zwischen den Insolvenzverfahren des IWF und eines Insolvenzverfahrens durch die UN? Ein Insolvenzverfahren in Anlehnung an den IWF bleibt für staatliche wie für private Gläubiger im Kern freiwillig. Es gibt kein einheitliches Umschuldungsforum. Die staatlichen Gläubiger verhandeln im Pariser Club, die privaten Gläubiger im Londoner Club. Beide Clubs sind Plattformen für Gespräche über den weiteren Umgang mit den Staatsschulden. Dem IWF fällt eine Katalysatorfunktion zu. Die Bereitschaftserklärung des Schuldnerstaates zur Vornahme der notwendigen Reformen („Letter of Intent“) ist nicht nur Bedingung für den Abschluss eines Standby-Abkommens zwischen IWF und Schuldnerstaat, sondern mit seinem positiven Votum zum Stabilisierungsprogramm signalisiert der IWF den im Pariser Club vereinigten Gläubigern den ernsthaften Reformwillen des Schuldnerstaates und gibt damit das Signal für den Beginn der Umschuldungsverhandlungen. Ich halte dieses Verfahren für die Gläubiger für sicher und für fair und transparent. Bei einem Insolvenzverfahren auf Beschluss der Vereinten Nationen würde politisch weitgehend in die Rechte der Gläubiger der Staatsschulden und auch in die Rechte von Parlamenten eingegriffen werden. Gleichwohl bedarf es einer Regelung, falls es tatsächlich zu einer Insolvenz kommt, damit die Gläubiger bestmöglich geschützt werden. Die sogenannten Collective Action Clauses, CAC-Klauseln, regeln in den Anleihebedingungen von Staatsanleihen, dass im Falle der Insolvenz eines Staates die Gläubiger nach einem bestimmten Mehrheitsverfahren entscheiden können. Dies hat den Vorteil, dass die Sanierung eines Staates nicht durch einige wenige Gläubiger blockiert werden kann. Die Bundesregierung setzt daher zu Recht auf die bestehenden Staateninsolvenzverfahren im Pariser Club wie auch im IWF mit Unterstützung der Weltbank. Eine Verlagerung dieser Verfahren, weg vom Internationalen Währungsfonds zu den Vereinten Nationen ist nicht zwangsläufig erfolgreich. Auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Weltbank zur Leistung von Aufbauhilfe möchte ich hinweisen. Zu beachten ist, dass das Verfahren bei den Institutionen bleiben sollte, die es auch erfolgreich durchführen können. Ein formelles Staateninsolvenzverfahren der Vereinten Nationen wird seitens der Bundesregierung kritisch gesehen; dies entspricht auch der Haltung der EU-Staaten. Die Anträge sind daher abzulehnen. Ich begrüße, dass durch die IWF-Empfehlungen zu Collective Action Clauses, CACs, in Staatsanleihen deren verbreitetere Anwendung ermöglicht und vorangetrieben wird. Auf diesen IWF-Arbeiten sollte weiter aufgebaut werden. Manfred Zöllmer (SPD): Wie lange sollte man ein totes Pferd reiten? Diese Frage stellt sich, weil die Vereinten Nationen nach wie vor versuchen, auf Initiative von Bolivien ein formelles, rechtsverbindliches Staateninsolvenzverfahren zu entwickeln. Dieser Prozess wurde gegen die Stimmen der EU-Mitgliedstaaten eingeleitet. Hintergrund der Resolution ist eigentlich ein juristischer Konflikt Argentiniens mit einem New Yorker Hedgefonds. Infolge der Insolvenz des Landes im Dezember 2001 führte die Regierung in Buenos Aires in den Jahren 2005 und 2010 große Umschuldungsrunden durch. Inhaber von argentinischen Staatsanleihen sollten neue Wertpapiere mit veränderten Konditionen erhalten. Über 90 Prozent nahmen damals das Angebot an, obwohl das einen Abschlag von durchschnittlich 50 Prozent der ursprünglichen Forderungen bedeutete. Einige Hedgefonds zogen jedoch vor Gericht. Ein US-Gericht verurteilte die Regierung in Buenos Aires dazu, dem Hedgefonds NML Capital und Aurelius 1,47 Milliarden US-Dollar – rund 1,1 Milliarden Euro – auszuzahlen. Der Rechtsstreit wird in den USA ausgetragen, weil argentinische Anleihen unter amerikanischem Recht und in US-Dollar begeben wurden. Aber auch der deutsche Bundesgerichtshof gab im Februar dieses Jahres deutschen Anlegern gegen Argentinien Recht, die gegen die Umschuldungsstrategie Argentiniens geklagt hatten. Argentinien hatte die Zahlung seiner Schulden auch in diesem Prozess verweigert und berief sich zum einen darauf, dass die Mehrheit der Gläubiger damals der Umschuldung zugestimmt habe. Zudem gebe es mittlerweile quasi eine völkerrechtliche Gewohnheit, zum Beispiel mit Verweis auf die Rettung des Euro-Landes Griechenland und den damit verbundenen Schuldenschnitt. Doch der BGH sieht dies anders: Kein völkerrechtlicher Grundsatz berechtigt ein Land dazu, die Zahlung fälliger Schulden wegen eines finanziellen Staatsnotstandes oder einer freiwilligen Umschuldung der Gläubigermehrheit zeitweise zu verweigern. Auch aus der Weltfinanzmarktkrise und der Rettung Griechenlands sei eine derartige völkerrechtliche Regel nicht entstanden. Die Initiatoren des Beschlusses der Vereinten Nationen hatten die massiven inhaltlichen und prozeduralen Bedenken vieler Länder einfach ignoriert und einen Beschluss in der Vollversammlung der Vereinten Nationen gegen diese Bedenken mehrheitlich durchgesetzt. Mit der Bildung eines sogenannten Ad-hoc-Ausschusses wollte man in drei Sitzungen einen förmlichen verbindlichen Schuldenumstrukturierungsmechanismus beschließen. Deutschland hat sich immer für sinnvolle Regelungen im Falle einer Staateninsolvenz eingesetzt. Hierfür ist aber ein ergebnisoffener, konsensorientierter Prozess notwendig, der natürlich auch die Gläubiger mit einschließen muss. Dies war hier nicht der Fall. Deutschland hat daher gegen die Resolution gestimmt und sich nicht an der Arbeitsgruppe beteiligt. Wir bedauern diese Entwicklung, denn die weltweite Verschuldung befindet sich auf einem neuen Höchststand. Es ist mehr als sinnvoll, sich damit auseinanderzusetzen. Aber dieser Prozess muss anders laufen. Ein weiterer Kritikpunkt an der Initiative ist die Forderung der völkerrechtlichen Anerkennung eines Schiedsgerichts, das verbindliche Entscheidungen im Rahmen einer Schuldenrestrukturierung treffen soll. In den vorliegenden Anträgen der Fraktionen Die Linke und der Grünen wird eine solche Forderung nachdrücklich unterstützt. Damit würden haushaltsrelevante Fragen auf eine Institution, die keiner parlamentarischen Kontrolle des Bundestages unterliegt, verlagert. Eine solche Forderung ist für uns aus politischen und verfassungsrechtlichen Gründen nicht akzeptabel. Wenn Linke und Grüne in handelsrechtlichen Fragen bei der Diskussion um TTIP Schiedsgerichte entschieden ablehnen, hier aber vehement fordern, dann ist dies nicht nachzuvollziehen. Ein Großteil der Staatsanleihen und weiterer Wertpapiere wird unter der Gerichtsbarkeit der großen internationalen Finanzmarktplätze USA und Großbritannien begeben. Ein Verfahren, welches diese Akteure nicht mit einbezieht, ist im Ansatz nicht zielführend. Es war der Kardinalfehler dieser Initiative, die Interessen der Gläubigerländer nicht zu berücksichtigen. Ein Durchmarsch mit einer Resolution bei den Vereinten Nationen hilft nicht, die Probleme real zu lösen. Eine Verständigung kann es nur geben, wenn es einen fairen und transparenten Prozess unter Einbeziehung der angesprochenen Institutionen und der Gläubiger gibt. Ein solcher ergebnisoffener Prozess findet jederzeit unsere Unterstützung. Deutschland hat sich an der gemeinsamen EU-Haltung orientiert. Wir unterstützen die IWF-Empfehlungen zu den Collective Action Clauses, CAC. Diese Umschuldungsklauseln in Staatsanleihen müssen weiterentwickelt werden, und dieser Prozess muss vorangetrieben werden. Die CAC sind gerade nach der Staateninsolvenz Argentiniens eingeführt worden. Das Anliegen ist, staatliche Schuldenkrisen kontrolliert abwickeln zu können, wenn von großen institutionellen Investoren, Bankkonsortien bis hin zu weltweit verstreuten privaten Anleihegläubigern die Gläubigerinteressen global und kleinteilig verteilt sind. Denn häufig waren wenige nicht zustimmende Anleihegläubiger der Grund dafür, dass ein Schuldnerstaat an der Durchsetzung einer von der Mehrheit gebilligten Restrukturierung durch eine ablehnende Minderheit gehindert war. Wir sprechen hier vom „Holdout-Problem“. Solche Klauseln erleichtern Schuldenrestrukturierungen und helfen damit bei der Krisenbewältigung. Die Bundesregierung setzt sich deshalb beim IWF dafür ein, die Arbeiten im Bereich vertraglicher Anleiheklauseln fortzusetzen. Ohne eine enge Beteiligung von IWF, Pariser Club und eine Berücksichtigung der laufenden Verhandlungen zur Vorbereitung der Financing-for-Development-Konferenz im Juli 2015 kann es keine Verständigung auf ein Schuldenumstrukturierungsverfahren geben. Letztlich wird der Aspekt der Schuldenprävention von der UN-Initiative leider völlig vernachlässigt. Kreditgeber und Kreditnehmer sollten nur im Rahmen der Schuldentragfähigkeit, wie sie im Rahmenwerk von IWF und Weltbank definiert ist, handeln, um übermäßige Verschuldung zu verhindern. Das laufende Verfahren, wie es in den Anträgen der Opposition gelobt wird, wird zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Die Opposition setzt auf das falsche Pferd. Dieses Pferd ist tot, damit kommen wir leider nicht ans Ziel. Deshalb sollte man rechtzeitig absteigen. Niema Movassat (DIE LINKE): Eines liegt doch klar auf der Hand: Die Welt braucht ein geregeltes und unabhängiges Insolvenzverfahren für überschuldete Staaten. Im September 2014 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit beschlossen, ein multilaterales Rahmenwerk zur Restrukturierung von Staatsschulden einzurichten. Diese Resolution wurde von Bolivien im Namen der Gruppe der 77 und Chinas eingebracht – also von den Ländern, die mehrheitlich am extremsten unter den Schulden-krisen der letzten 30 Jahre zu leiden hatten. Es ist mehr als beschämend, dass Deutschland zur kleinen Minderheit von elf Staaten gehört, die gegen diese Resolution gestimmt haben. Die Begründung, die die Bundesregierung für ihr Abstimmungsverhalten gab, ist mehr als kleinlich: Der Vorstoß der G-77-Staaten sei nicht mit den großen Gläubigerländern abgestimmt gewesen. Das sagt ausgerechnet ein Mitgliedsland der G 7, -einem Bündnis, das meint, über globale Menschheits-fragen in einem exklusiven Zirkel entscheiden zu können – vorbei an den Vereinten Nationen und ohne dass man sich je groß darum scherte, ob diese Beschlüsse vorher mit anderen betroffenen Staaten abgestimmt -wären oder nicht. Partizipation hatte für den Westen, -diesem Club ehemaliger Kolonialmächte, noch einen -besonders hohen Stellenwert. Zurück zur Sache: Die Überschuldung von Staaten hat sich als entscheidendes Hindernis für ihre selbst-bestimmte wirtschaftliche und soziale Entwicklung erwiesen. Im Schuldendienst werden Mittel gebunden, die dann für Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur fehlen. Schuldenpolitik war immer auch schon Machtpolitik. Da werden Schulden als koloniales Instrument eingesetzt, um alte Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse aufrechtzuerhalten oder neu zu erlangen. Viele dieser Schulden müssen wir zudem als illegitim bewerten. Der globale Süden hat also genügend Gründe, um genug von geberdominierten Verfahren zu haben. Multi-laterale Geberprogramme wie die HIPC-Initiative waren hochgradig ineffizient und sind gescheitert. Fast ein Drittel der 30 Staaten, die diese Verfahren durchlaufen haben, weisen schon jetzt erneut ein hohes Überschuldungsrisiko auf. Ein Grund dafür ist, dass neben Staaten auf der Geberseite auch immer aggressivere und verantwortungs-losere private Spekulanten auftreten. Das jüngste Beispiel Argentinien zeigt dies überdeutlich. Hier droht ein skrupelloser Hedgefonds einen ganzen Staat durch seine kompromisslose Haltung im Umschuldungsprozess erneut an den Rand des Ruins zu treiben. Wenn wir nicht jetzt zu einem verlässlichen, fairen und effizienten Verfahren finden, das künftig für alle Gläubiger verbindlich ist und die Bedürfnisse des Schuldnerstaats angemessen berücksichtigt, sind die nächsten Krisen schon vorprogrammiert. Diese haben dann – wie fast immer – die Ärmsten der Armen auszubaden. Länder werden um Jahrzehnte in ihrer Entwicklung zurückgeworfen. Die Linke fordert die Bundesregierung auf, einzulenken und den weiteren Prozess in den Vereinten Nationen zur Einrichtung eines fairen, partizipativen und trans-parenten Staateninsolvenzverfahrens nicht weiter zu blockieren, sondern konstruktiv zu unterstützen. Ein solches muss einen für alle Gläubiger bindenden Beschluss eines unabhängigen Schiedsverfahrens, das die Schuldenlast auf ein tragfähiges Niveau senkt, gewährleisten. Vorrang vor den Ansprüchen der Gläubiger muss die Sicherstellung eines Existenzminimums der Bevölkerung im Sinne der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte haben. Um dies sicherzustellen und auch um die Legitimität der Schulden zu überprüfen, braucht es einen Audit-Prozess unter Beteiligung einer möglichst breiten Öffentlichkeit. 2013 ist Norwegen mit gutem Beispiel vorangegangen und hat als erster Geberstaat einen Bericht über die Legitimität von Staatsschulden vorgelegt und in der Folge auch als illegitim erkannte Schulden erlassen. Denn auch Gläubiger haben eine besondere Verantwortung bei der Vergabe von Krediten. Norwegen hat sich hierbei an den UNCTAD-Prinzipien für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe, die auch Deutschland unterstützt, orientiert. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Veränderungen. Auch die Bundesregierung darf sich dem nicht verweigern. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt zwei gute und zwei schlechte Nachrichten; die guten zuerst: Erstens. Es gibt eine neue Initiative in den Vereinten Nationen zur Schaffung eines fairen und transparenten Entschuldungsverfahrens, die die Staaten des Globalen Südens – durch die Gruppe der 77 und China in den Vereinten Nationen – in der Generalversammlung zur Abstimmung gestellt haben und die mit großer Mehrheit angenommen wurde. Dieser Prozess verdient jede Unterstützung aus Politik, Wissenschaft und sozialen Bewegungen in Deutschland und ganz Europa. Schon so lange setzen wir uns fraktionsübergreifend für faire Entschuldungsverfahren ein – dieser VN-Prozess muss von uns mitgestaltet werden. Dass aus dem Prozess in den Vereinten Nationen ein rechtsstaatliches Verfahren zum Umgang mit öffentlicher Entschuldung resultieren könnte, ist sicherlich die beste Nachricht im Blick auf das Thema in den nächsten Monaten. Es gibt aus meiner Sicht noch eine weitere – ich zitiere Joseph Stiglitz –: Der Machtwechsel in Griechenland hat die neue Regierung mit dem ausdrücklichen Mandat ausgestattet, der desaströsen Sparpolitik der letzten fünf Jahre ein Ende zu setzen. Eine Lösung für die ganz und gar untragbaren öffentlichen Schulden und Auslandsschulden ist eine Voraussetzung für jeglichen wirtschaftlichen Neustart. Die neue Regierung ist bereit, auch unkonventionelle Optionen in Betracht zu ziehen, und sie lässt sich von der erfolgreichen Entschuldung Deutschlands im Londoner Schuldenabkommen von 1953 inspirieren. Wir können nicht absehen, ob sie es tatsächlich schaffen wird. Aber der Einsatz ist hoch – nicht nur für Griechenland, sondern für uns alle, die wir immer vor der verschuldungsbedingten Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten gewarnt haben. Diese beiden Neuigkeiten zeigen, dass Bewegung in die Frage um Schulden in und zwischen Staaten gekommen ist, und ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich aktiv und konstruktiv verhält und nicht in der unerträglichen Neinsagerposition verharrt, die sie bislang an den Tag legt. Und damit komme ich zu den schlechten, ja bedrohlichen Nachrichten: Die erste ist, dass Deutschland und die USA nichts tun, um den Prozess der VN konstruktiv mitzugestalten, und dass sie ihn durch ihre Blockadehaltung ernsthaft ins Stolpern bringen. Ohne eine andere Haltung vonseiten Deutschlands wird sich der Prozess über Jahre oder Jahrzehnte hinziehen, und eine historische Chance wird vertan. Für dieses Verhalten sollten Sie sich schämen, Frau Merkel, und vor allem Herr Schäuble. Es gibt dafür auch keinen Grund. Selbst wenn Sie nicht blockieren und sich einbringen würden, würde nichts gegen Ihren Willen entschieden, und bis Ende des Jahres würden trotzdem keine Fakten geschaffen. Die zweite, noch dramatischere Nachricht lautet: Probleme mit staatlichen Schuldenkrisen könnten in den nächsten Monaten zu einem durchaus noch größeren Problem werden. Seit mehr als drei Jahren leben wir mit historisch niedrigen Zinssätzen auf den internationalen Kapitalmärkten. Deren Folgen für Entwicklungs- und Schwellenländer sind offensichtlich: Wenn Regierungen günstige Kredite bekommen, dann nehmen sie diese auch auf, egal ob sie mit diesen Krediten in die Infrastruktur investieren, Löcher im öffentlichen Haushalt stopfen, zweifelhafte Geschäfte finanzieren oder andere mehr oder weniger edle Ziele verfolgen. Man muss schon die Augen sehr fest verschließen, um nicht zu erkennen, dass auch diese Kreditwelle zu neuen Staatspleiten führen kann, genauso wie die, die zur „Schuldenkrise der Dritten Welt“ in den 1980er-Jahren führte. Damit müssen wir in einigen oder sogar in vielen Ländern einfach rechnen. Denn die neue Kreditwelle stößt nicht etwa auf eine schuldenfreie Welt: Die dramatischen Schuldenindikatoren in einer ganzen Reihe von „kleinen Inselentwicklungsstaaten“ im Pazifik und in der Karibik sind hierzulande kaum wahrgenommen worden. Und die anhaltende Schuldenkrise in der Euro-Zone hat dort zu extrem hohen Schuldenindikatoren und zum Risiko der Staatspleite geführt. Auffallend hoch ist auch die Anzahl dramatisch hoher Auslandsschuldenindikatoren in Ländern des früheren Ostblocks. Insgesamt hat sich die globale Schuldensituation zwischen 2011 und 2013 verschlechtert: 54 Prozent der gerade erst von Erlassjahr untersuchten Verschuldungsindikatoren sind 2013 höher als 2011. 30 Prozent haben sich verbessert, bei 16 Prozent ist die Situation unverändert. Das heißt, dass die Verschuldung von Entwicklungs- und Schwellenländern weniger tragfähig ist als in den Vorjahren. Insgesamt sind Kapitalmarktfinanzierungen als Option der Entwicklungsfinanzierung für Entwicklungs- und Schwellenländer immer wichtiger geworden: 62 Prozent der Kredite an Entwicklungs- und Schwellenländer im Jahr 2013 kamen aus privaten Quellen. In einigen Ländern wird es laut Expertinnen und Experten beim IWF daher in wenigen Jahren wieder zu Schuldenkrisen kommen. Aber es steckt in diesen schlechten Nachrichten auch eine Chance: Wenn die Euro-Zone es schafft, umzusteuern und die Krise durch eine tiefgreifende und durchdachte Schuldenpolitik zu bewältigen, und wenn die Beratungen in den Vereinten Nationen zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden, dann könnte das Schuldenthema am Anfang einer neuer Ära stehen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Das Elektro- und Elektronikgerätegesetz ist eines der wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben im Bereich der Abfallwirtschaft in dieser Legislaturperiode. Wir setzen mit diesem Gesetz europäische Vorgaben um. Und wir setzen unseren Koalitionsvertrag um. Worum geht es? Ein Großteil der alten Elektrogeräte wird heute nicht zurückgegeben. Die Rücknahmemenge stagniert in den letzten Jahren. Zu viele alte Elektrogeräte verschwinden im Ausland oder wandern in den Restmüll. Welche Ziele verfolgen wir nun mit dem ElektroG? Erstens. Wir wollen, dass möglichst viele alte Elek-trogeräte, die nicht mehr gebraucht werden, getrennt gesammelt und wieder zurückgenommen werden. Und -unser Ziel muss es sein, dass möglichst viel davon hochwertig recycelt wird. Sekundärrohstoffe sollen zurückgewonnen werden. Kupfer, Aluminium und Kunststoffe – um nur ein paar Beispiele zu nennen – müssen wieder in den Kreislauf zurück. Das macht umweltpolitisch Sinn, es macht aber gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland vor allem wirtschaftlich Sinn. Technologisch ist heute schon vieles möglich. Ich habe mir vor kurzem eine Recyclinganlage für Elektrogeräte angesehen. Das ist absolut faszinierend, zu sehen, welche technologischen Innovationen in den letzten Jahren in Unternehmen stattgefunden haben. Wir wollen, dass von diesem Gesetz weitere Anreize zu technologischer Innovation in Deutschland ausgehen. Zweitens. Unser Ziel ist, dass wir für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ein möglichst einfaches und verbraucherfreundliches System schaffen. Drittens. Unser Ziel ist es, dass illegale Exporte von Elektroschrott eingedämmt werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass unsere ausgedienten Fernseher, Mikrowellengeräte und Teile von Kühlschränken in großen Mengen auf Müllhalden in Afrika landen. Es ist nicht hinnehmbar, dass unsere Abfälle dort erhebliche Probleme verursachen, und zwar für die Menschen und die Umwelt. Das dürfen wir nicht zulassen. Was sieht der Gesetzentwurf nun konkret vor? Ich will sechs Kernpunkte nennen: Erstens. Der Anwendungsbereich des bestehenden Gesetzes wird ausgedehnt. Es ist überfällig, dass etwa Fotovoltaikmodule einbezogen werden. Alte Module können künftig zurückgegeben werden. Zweitens. Die Ziele, wieviel Prozent des anfallenden Elektroschrotts in Deutschland zu erfassen sind, werden erhöht: zunächst auf 45 Prozent, 2019 dann auf 65 Prozent. Drittens. Die Recycling- und Verwertungsquoten bei den Altgeräten werden erhöht. Viertens. Es kommt zu einer Rücknahmepflicht des Handels. Eine Rücknahme durch den Handel erfolgt heute auf freiwilliger Basis. Wir wissen: Viele Geschäfte nehmen alte Elektrogeräte heute schon zurück. Künftig soll in großen Geschäften mit einer Verkaufsfläche von mehr als 400 Quadratmeter gelten: Kauft jemand ein neues Gerät, kann er im Gegenzug sein altes Gerät im Geschäft zurückgeben. Kleine Altgeräte – mit weniger als 25 Zentimetern Kantenlänge – müssen auch dann zurückgenommen werden, wenn kein neues Gerät gekauft wird. Fünftens. Ungeachtet der Rücknahmepflichten des Handels gilt: Bewährte Erfassungs- und Entsorgungsstrukturen werden erhalten und verbessert. Sechstens. Um die illegalen Exporte einzudämmen, wird eine Beweislastumkehr eingeführt: Will jemand alte Elektrogeräte exportieren, muss er künftig nachweisen, dass es sich nicht um Abfälle handelt, sondern um funktionstüchtige Geräte. Es handelt sich um ein umfangreiches Gesetz. Und der Teufel steckt im Detail. Es gibt zahlreiche Hinweise von verschiedenen Seiten, wie der Gesetzestext noch verändert und gegebenenfalls verbessert werden kann. Ich sage Ihnen zu: Wir werden uns alle Änderungswünsche sehr genau ansehen und bewerten. Es wird im Juni im Umweltausschuss zudem eine Sachverständigenanhörung geben. Wir werden diese genau auswerten und Schlussfolgerungen ziehen. Wir werden vor allem auch darauf achten, dass keine unnötige Bürokratie aufgebaut wird. Das ist mir wichtig. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Jeder kennt die Situation: Das Handy funktioniert nicht mehr, man kauft sich ein neues und das alte, defekte Gerät landet zu Hause in der Schublade. Irgendwann wird es dann entsorgt – idealerweise bei einer dafür vorgesehenen Sammelstelle. Schätzungen zufolge werden jährlich rund 150 000 Tonnen solcher Elektrokleingeräte nicht entsorgt, sondern landen in Müllverbrennungsanlagen, wo sie gar nicht hingehören. Betrachtet man alle Elektrogeräte, dann sind es sogar 500 000 Tonnen. Das muss ein Ende haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die EU-Richtlinie über Elektronik- und Elektroaltgeräte umgesetzt und das bestehende Elektrogesetz weiterentwickelt. Ziel des Gesetzes ist es, die Sammelquote bei Elektro- und Elektronikaltgeräten zu erhöhen, wertvolle Metalle zurückzugewinnen und die Reststoffe aus den Geräten ordnungsgerecht und umweltschonend zu entsorgen. Auch der Handel muss zur Erreichung der Ziele einen Beitrag leisten. Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von über 400 Quadratmetern werden verpflichtet, das Altgerät bei Kauf eines vergleichbaren Neugeräts zurückzunehmen. Bei kleinen Geräten muss die Rücknahme sogar ohne Neukauf erfolgen. Ich begrüße, dass der Gesetzentwurf den kleinen Strukturen des Mittelstands mit dieser 400-Quadratmeter-Regel Rechnung trägt. Denn: Aus eigener Erfahrung aus dem Familienumfeld kann ich sagen, dass nicht jeder kleine Dorfladen die räumlichen Möglichkeiten hat, große Geräte wie Wasch- oder Spülmaschinen zurückzunehmen und bis zur Entsorgung zu lagern. Auch der Onlinehandel, der immer weiter an Bedeutung gewinnt, wird einbezogen. Online-Händler werden zukünftig verpflichtet sein, Altgeräte zurückzunehmen. Die dafür vorgesehenen Rücknahmestellen müssen in zumutbarer Entfernung zum jeweiligen Endnutzer eingerichtet werden. Wie genau das in der Praxis auszusehen hat, werden wir im weiteren parlamentarischen Verfahren noch weiter diskutieren müssen. Auch diskutieren müssen wir den Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft. Die EU-Richtlinie reduziert die Anzahl der Produktkategorien von ursprünglich zehn auf sechs Kategorien. Dadurch sind die Hersteller verpflichtet, ihre Produkte neu in die Kategorien einzusortieren, was wiederum Umsetzungskosten in Höhe von rund 1 Milliarde Euro im Jahr 2018 entspricht. Auch wenn der Normenkontrollrat hier keine Bedenken angemeldet hat, so ist dies aus meiner Sicht problematisch und muss ebenfalls im weiteren Verfahren genau hinterfragt und geprüft werden. Rohstoffe und Sekundärrohstoffe sind etwas Wertvolles – vor allem für uns Deutsche, da unser Land wenige Rohstoffe hat. Künftig sollen nur noch überprüfte, funktionsfähige Geräte als Nichtabfall exportiert werden. Durch eine Beweislastumkehr, nach der der Exporteur belegen muss, dass es sich um gebrauchsfähige Geräte und nicht um Elektroschrott handelt, verleihen wir dieser Regelung Nachdruck. Damit schieben wir der illegalen Verbringung von Rohstoffen, insbesondere in Entwicklungsländer, einen Riegel vor, und das ist auch gut so. Bei all der Diskussion um die Umsetzung der EU-Richtlinie dürfen wir aber nicht vergessen, dass Deutschland die europäischen Zielvorgaben schon heute übertrifft. Auch bei der Produktverantwortung im Elektrogerätebereich sind wir sehr weit. Die Hersteller haben eine gemeinsame Stelle, die Stiftung ear gegründet. Die Hersteller holen so bereits heute die Altgeräte analog zu ihrem Marktanteil bei den öffentlich-rechtlichen Sammelstellen ab und sorgen für eine umweltgerechte Entsorgung und Verwertung der Rohstoffe. Von dieser Produktverantwortung können wir in weiteren Bereichen lernen. Ich denke hier zum Beispiel an das geplante Wertstoffgesetz, über das wir vorhin hier diskutiert haben. Durch eine Produktverantwortung für stoffgleiche Nichtverpackungen wie die Quietscheente oder den Kleiderbügel würden wir zum einen den Anreiz setzen, möglichst nachhaltige gut rezyklierbare Materialien bei der Herstellung zu verwenden, und zum anderen die stoffliche Verwertung gegenüber der thermischen Verwertung fördern. Ein Ansatz, der sich – wie ich finde – lohnt weitergesponnen zu werden. Es sind noch einige Fragen offen. Zusammenfassend möchte ich jedoch sagen, dass das Gesetz ein wichtiger Baustein zum Schließen von Stoffkreisläufen ist, die stoffliche Verwertung von Elektroabfällen verbessert und dafür sorgt, dass wertvolle Rohstoffe in der Wertschöpfungskette bleiben. Michael Thews (SPD): 41,8 Millionen Tonnen Elektroschrott sind im vergangenen Jahr weltweit angefallen. Das sind 2 Millionen Tonnen mehr als im Jahr davor. Etwa 4 Prozent des weltweiten Aufkommens stammen aus Deutschland. Wissenschaftler der United Nations University schätzen den Wert der in den Elektroaltgeräten enthaltenen Materialen für 2014 auf 48 Milliarden Euro. Allein der Wert des enthaltenen Kupfers wird auf 10,6 Milliarden Euro geschätzt und der des Goldes auf 10,4 Milliarden. Man könnte also meinen, bei dem heute debattierten Gesetz zum Umgang mit Elektroaltgeräten geht es gar nicht in erster Linie um Umweltpolitik, sondern eigentlich um Wirtschaftspolitik. Das stimmt natürlich so nicht. Natürlich wollen wir mehr Elektroaltgeräte sammeln, um die in ihnen enthaltenen Wertstoffe wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückzubringen, aber es geht eben auch darum, unsere natürlichen Ressourcen zu schonen. Wir müssen die sozialen und ökologischen Folgen des zunehmenden Rohstoffabbaus eingrenzen. Wir wollen, dass die Geräte sachgerecht recycelt werden. Wir wollen verhindern, dass es durch nichtfachgerechte Entnahme der Wertstoffe in Deutschland oder im Ausland zu Schadstoff-emissionen kommt und zu illegaler Deponierung der Reststoffe. Deshalb ist dieses Gesetz eben doch in erster Linie ein umweltpolitisch bedeutsames. Natürlich hat aber der Marktwert der in den Altgeräten enthaltenen Wertstoffe wie Metalle und seltenen Erden trotzdem Auswirkungen. Die Wissenschaftler haben nämlich festgestellt, dass trotz der wirtschaftlichen Bedeutung des Elektroschrotts weltweit weniger als ein Sechstel sachgemäß recycelt wird. Das liegt natürlich auch daran, dass wegen des Marktwertes die Entnahme von Kupfer und Gold auch außerhalb der offiziellen Recyclingwege stattfindet. Eine aktuelle Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen schätzt den Wert des auf inoffiziellen Wegen entsorgten und teilweise gehandelten Elektroschrotts auf 11 bis 16,5 Milliarden Euro im Jahr. Diese Art der Entsorgung hat unter Umständen verheerende Auswirkungen auf die Umwelt und besonders den Menschen. Denken wir an die Bilder aus Afrika, wo Menschen in meterhohen Lagen Elektroschrott wühlen. Messungen dort haben ergeben, dass die Schadstoffbelastung in Luft und Boden die zulässigen Grenzwerte um das 50-Fache überschreitet. Das ist auch die Folge unserer Sucht nach modernster Elektronik mit immer kürzerer Nutzungsdauer. Deshalb ist ein ganz wichtiges Ziel dieser Novelle die Eindämmung des illegalen Exports. Gleichzeitig müssen wir hier aufpassen, dass wir damit nicht den grenzüberschreitenden Transport zum Zweck der Reparatur unmöglich machen. Das wären dann ökologisch ebenfalls unerwünschte Nebenfolgen. Stärken wollen wir auch die Wiederverwendung von Geräten. Immer mehr Kommunen setzen diesen Weg mit lokalen karitativen und sozialen Betrieben um. Aber es geht bei diesem Gesetz auch darum, den Verlust der in den Elektro- und Elektronikaltgeräten enthaltenen Wertstoffe in Deutschland einzudämmen und den Rücklauf in den Wirtschaftskreislauf sicherzustellen. Denn bei uns landen immer noch zu viele Geräte in der grauen Tonne oder schlummern – wie zum Beispiel alte Handys – in Schreibtischschubladen oder landen manchmal auch in den Händen illegaler Entsorger. Deshalb soll das Sammelnetz verdichtet werden, der Handel und auch der Onlinehandel stärker in die Sammlung einbezogen werden, die Sammlung insgesamt verbraucherfreundlicher gestaltet werden, ohne dass dabei Schlupflöcher für illegale Entsorgung entstehen. So hoffen wir, das von der zugrunde liegenden EU-Richtlinie und der hier vorliegenden Novelle für 2016 vorgegebene Sammelziel von 45 Prozent, bezogen auf das durchschnittliche Gewicht der in den letzten drei Jahren in Verkehr gebrachten Geräte, zu erreichen. Ich möchte hier aber auch dafür plädieren, schon weiterzudenken. Wir müssen bei den Elektrogeräten auch den nächsten Schritt gehen und versuchen, Einfluss auf die Produktion der Geräte zu nehmen. So wie es in der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates auch schon anklingt, müssen wir uns auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass Maßnahmen für die Langlebigkeit von Elektrogeräten getroffen werden und darüber hinaus auch für die Recyclingfreundlichkeit der Geräte. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Die Bundesregierung will mit einem neuen Gesetz zur Entsorgung von Elek-trogeräten genannt ElektroG, deutlich mehr Elektroaltgeräte ordnungsgemäß und umweltfreundlich entsorgen lassen und damit einen Beitrag zur Ressourcenschonung leisten. So weit die Theorie, denn in der Praxis werden heute selbst über Abfall oder Sperrmüll entsorgte Geräte später ordnungsgemäß erfasst, weil das Gewinne abwirft – das ist Marktwirtschaft. Wäre das neue ElektroG gut, würde es wenigstens nicht schaden, aber es hat einige gravierende Fehler. Woran es im Punkte Ressourcenschutz in der Logik des Gesetzes bereits mangelt, ist, dass anstatt auf Vermeidung auf das Prinzip des Neukaufs eines Elektro-gerätes nach Ablauf einer dreijährigen Nutzungszeit gesetzt wird. Das spiegelt zwar die Realität wieder, aber die ist alles andere als ressourcenschonend. Denn es verstärkt den Eindruck gewollter Obsoleszenz bei den Elektrogeräten, die direkt nach der Gewährleistungszeit ihren Geist aufgeben, und die Regierung akzeptiert dies. Auch die permanente Suggestion, wer seinen Fernseher oder Laptop länger als drei Jahre in Gebrauch hat oder sein Mobiltelefon oder Tablet nach einem Jahr noch nicht ausgetauscht hat, sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit, wirkt definitiv nicht ressourceneffizient. Aber zurück zum Gesetzentwurf: Nehmen wir den Grünen Punkt, der von zehn im Wettbewerb stehenden dualen Systemen für alle bestätigten Verpackungen -vergeben wird. Die zehn dualen Systeme, diese zehn Firmen, streiten um ihren Anteil an der jeweiligen Verpackungssorte. Bringt die Verwertung einer Verpackungssorte Geld, will jede der Firmen einen großen Anteil. Kostet die Verwertung einer Verpackung Geld, dann will diese keiner bestätigt haben. Jeder der Zehn verhandelt mit den Firmen, die Verpackungen einsammeln, mit Firmen, die Verpackungen benötigen, und schließt seine Verträge und rechnet ab. Aber in einem Gebiet sammelt nur eine Firma alle Verpackungen ein, aber die muss mit allen zehn dualen Systemen abrechnen. Jede Verwertungsanlage verarbeitet für alle zehn Firmen Verpackungen und muss mit -jeder einzelnen abrechnen. Das beschreibt ganz kurz die Funktionsweise der dualen Systeme, die größere -Mengen an Geld für Bürokratie verschlingen, als für die eigentliche Entsorgung der Abfälle gebraucht wird. Mit dem neuen vorliegenden ElektroG wird wohl das nächste duale System geschaffen werden, mit ähnlichen Wirkungen, genauso schlecht funktionierend. Dieses Gesetz benachteiligt Kommunen. Die Kommunen werden verpflichtet, die Flächen für die Sammlung alter Elektrogeräte kostenlos zur Verfügung zu stellen und das Erfassungssystem kostenlos zu betreiben. Die Kommunen müssen auf ihre Kosten Bürgerinnen und Bürger umfassend zum ElektroG informieren. Elektronikgeräte sollen grundsätzlich nicht bei Haushalten abgeholt werden müssen, können es aber. Wenn ein Hersteller Geräte abholt, darf er Geld dafür verlangen. Wenn ein kommunales Abfallunternehmen das tut, darf es kein Geld fordern. Nett, dass die Bundesregierung zulasten der Kommunen versucht, zu verhindern, dass die Menschen ihre Altgeräte aus Kostengründen einfach in den Hausmüll oder die Natur werfen. Da ist zumindest der Anschein einer kostenlosen Entsorgungsoption besser. Sie geben mit diesem Gesetzentwurf den Herstellern und Vertreibern eine Lizenz zum Gelddrucken in die Hand, indem sie bei Abholung auch noch Geld verlangen dürfen. Weiterhin dürfen die Inverkehrbringer von Elektro-geräten zwischen mehreren Entsorgungspfaden wählen; das bedeutet mehr Bürokratie. Nicht umsonst schätzt die Bundesregierung Bürokratiekosten von 83 Millionen Euro je Jahr. Wir kommen nicht umhin: Wenn dieser Gesetzentwurf sozial gerecht werden soll, muss das Verursacherprinzip real und nicht scheinbar durchgesetzt werden. Die Hersteller zahlen eine Ressourcenabgabe. Aus einem Teil dieser Ressourcenabgabe wird das kommunale Rücknahmesystem finanziert. Durch die Ressourcen-abgabe würde der Gesetzentwurf außerdem ressourcenschonend. Denn wenn Produkte gut reparierbar oder -aufrüstbar sind oder wenn sie ressourceneffizient und gut recycelbar konstruiert wurden, zahlt der Hersteller weniger Ressourcenabgabe. Dann hat er einen Anreiz, so ökologisch und effizient wie möglich zu produzieren. Damit eine möglichst vollständige Sammlung und -Wiederverwendung ermöglicht und bestmögliches Recycling garantiert wird, bräuchte es nur eine Pfandpflicht auf Elektrogeräte. Das Prinzip der Pfandpflicht ist nichts Neues, und es ist effektiv und garantiert hohe Rückgabequoten. Nahezu kein Elektrogerät wird mehr im Hausmüll oder im Wald landen. Schade, das, was die Bundesregierung hier vorgelegt hat, kommt erstens zu spät, löst zweitens nicht existierende Probleme und schafft neue Baustellen. Dieses ElektroG bedeutet Mehrkosten für die Verbraucher und verwirrt diese. Kurz gesagt: Es wird ein Remake der dualen Systeme und genauso versagen. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Deutschen werfen pro Jahr 600 000 Tonnen Handys, PCs, Föhne, Herde und Toaster weg. Alte und kaputte Elektro- und Elektronikgeräte gehören aber nicht in den Restmüll, egal wie klein sie sind. Sie enthalten wichtige und wertvolle Rohstoffe, die bei der richtigen Behandlung zurückgewonnen werden können. Diese zu verbrennen ist reine Ressourcenverschwendung. Elektroschrott enthält außerdem viele Schadstoffe, etwa Blei und Kadmium in Akkus, Quecksilber in Leuchtstofflampen, Flammschutzmittel in Kunststoffen. Diese gelangen nur bei der richtigen Behandlung nicht in die Umwelt. Deshalb ist eine funktionierende, separate Sammlung von Elektroschrott enorm wichtig; da sind wir uns alle einig. Doch der Verbleib von zu vielen Elektrogeräten ist unklar. Deshalb hat die EU neue Vorschriften verabschiedet, um die Sammlung und die Verwertung zu verbessern. Die Bundesregierung legt heute mit dem aktualisierten ElektroG eine reine 1:1-Umsetzung der europäischen Vorgaben vor. Das ist reine Pflichterfüllung, bleibt aber umweltpolitisch weit hinter dem zurück, was möglich gewesen wäre, um die Ressourcenpolitik in Deutschland wirklich voranzubringen. Handys, Laptops, Tablets, es kommen immer mehr Elektrogeräte auf den Markt, vor allem in den Kommunikationstechnologien. Die Rückläufe, was also überhaupt ins Recycling gelangen kann, sind viel zu niedrig. Schätzungen zufolge landet in Deutschland nur etwa die Hälfte aller elektronischen Geräte vorschriftsgemäß auf dem Recyclinghof, bei kleinen Geräten ist die Zahl vermutlich noch viel niedriger. Etwa ein Viertel unseres Elektroschrotts, circa 150 000 Tonnen jährlich, wird dann illegal nach Afrika und Asien exportiert. Dem soll jetzt ein Riegel vorgeschoben werden durch die Beweislastumkehr beim Export. Dieses ist richtig und wichtig, um die illegalen Elektroschrottexporte in die Länder des Südens einzudämmen. Bis zu 20 000 Kinder sollen in Ghana, Nigeria oder der Elfenbeinküste auf Halden arbeiten und aus Elektroschrott seltene Metalle und andere wiederverwertbare Bestandteile herausholen und dabei giftigen Dämpfen ausgesetzt sein. Nun müssen Exporteure von Altelektrogeräten nachweisen, dass diese noch funktionieren. Somit haben Behörden nun erstmals europaweit eine Möglichkeit, den illegalen Export effektiv zu ahnden. Eine weitere wichtige Verbesserung ist die Rücknahme von Altgeräten im Handel. Hier hat die Regierung mit dem jetzt vorgelegten Gesetz allerdings nur den ganz großen Läden – ab 400 Quadratmetern Verkaufs-fläche von Elektrogeräten – die Pflicht auferlegt, Elek-trokleingeräte wieder zurückzunehmen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Rückgabemöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger noch einfacher werden, indem jeder, der Elektrogeräte verkauft, diese auch zurücknehmen muss. Das trifft dann nicht nur die ganz großen Elektromärkte, sondern auch Discounter, über deren Ladentisch mehr und mehr Geräte verkauft werden. Wir Grüne sind davon überzeugt, dass finanzielle Anreize den Anteil zurückgegebener Geräte deutlich erhöhen könnten und längere Verwendung und ein besseres Recycling dadurch möglich wird. Vor allem kleine Geräte landen vielfach in der Restmülltonne. Wir fordern die Einführung eines „Handypfandes“ als Test, ob dieses tatsächlich zu deutlich höheren Rückläufen führt, wie wir es annehmen. Wenn dieses erfolgreich ist, sollten solche finanzielle Anreize für Rückgaben auch auf andere Elektronikgeräte wie Tablets und Spielekonsolen ausgeweitet werden. Ein solches Pfandsystem sollte ins neue Elektrogesetz aufgenommen werden. Eine verpasste Chance ist es auch, dass keinerlei Vorgaben für das Produktdesign im jetzigen Entwurf enthalten sind, die die Reparaturfähigkeit und Langlebigkeit von Produkten fördern. Das Umweltbundesamt hat kürzlich erste Studienergebnisse veröffentlicht, die belegen, dass viele Geräte heute immer schneller kaputt gehen. Besonders Elektrogeräte sind hiervon betroffen. Dieses führt zu unnötigen Kosten, Umweltschäden durch Ressourcenverschwendung und viel Ärger bei Verbraucherinnen und Verbrauchern. Warum wird dieses Thema von Ihnen nicht im neuen Gesetz aufgegriffen? Dazu gehört auch die Vorgabe, dass Ersatzteile über einen gewissen Zeitraum vorgehalten werden und den unabhängigen Reparateuren auch zur Verfügung gestellt werden müssen. Verklebte Gehäuse oder fest verbaute Batterien und Akkus führen aber dazu, dass Reparaturen immer mehr erschwert werden. Das ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel, dieses Themas hätten Sie sich annehmen müssen. Ein weiteres, bisher leider unberücksichtigtes Thema ist der Zugriff von Weiterverwendern auf die Altgeräte – denn laut europäischer Abfallhierarchie ist Weiternutzung zu fördern. Aber genau das tun Sie mit Ihrem Gesetz nicht, indem Sie die Weiternutzung der Altgeräte ausschließen. Dies kritisieren auch alle Umweltverbände und die Reparaturwerkstätten und Repair-Cafés, die sich derzeit überall im Land gründen. Wir hoffen, dass es im weiteren Beratungsverfahren hier im Parlament und im Bundesrat noch zu deutlichen Umweltverbesserungen kommt. Dies betrifft vor allem die Nutzungsdauer von Elektrogeräten, Vorgaben für ökologischeres Design, die Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit von Geräten. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, wenn Sie bereit sind, an diesen Stellen nachzubessern, sind wir bereit, diese notwendigen Änderungen mit Ihnen zusammen vorzunehmen. Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Alte Elektrogeräte gehören nicht in die Restmülltonne, denn sie enthalten sowohl wertvolle Rohstoffe wie seltene Erden, aber auch Schadstoffe. Das weiß im Grunde jeder und jede, und den allermeisten ist eine fachgerechte Entsorgung ein wichtiges Anliegen. Ob es dann auch umgesetzt wird, hängt im Alltag oft davon ab, wie groß der Aufwand ist. Dennoch werden auch heute schon viele Elektroaltgeräte erfasst, und von den erfassten Geräten 85 Prozent recycelt. Trotzdem gilt es, zukünftig noch deutlich mehr Altgeräte zu erfassen und zu recyceln. Mit der Novellierung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes, das vor zehn Jahren in Kraft getreten ist, sollen deshalb vor allem die Weichen dafür gestellt werden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher ihre alten Geräte einfach und unkompliziert zurückgeben können. Das heißt, dass wir für ein dichtes Netz an Sammelstellen sorgen müssen – und das kann am besten der Handel. Er ist nah an den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Satt auf Freiwilligkeit setzt der Gesetzentwurf auf Pflichten zur Rücknahme von Elektroaltgeräten. Große Vertreiber werden verpflichtet, alte Geräte beim Neukauf eines gleichwertigen Geräts zurückzunehmen. Bei kleinen Geräten müssen die großen Vertreiber die Altgeräte sogar ohne Kauf eines entsprechenden Neugeräts zurücknehmen. Als „große Vertreiber“ gelten Geschäfte mit mehr als 400 Quadratmetern Verkaufsfläche, und auch Internethändler, die einen immer größeren Anteil am Umsatz haben, gehören dazu. Kleine und mittelständische Händler dagegen sind ausgenommen. Grundsätzlich halten wir am Konzept der geteilten Produktverantwortung, in dessen Rahmen die Kommunen eine zentrale Rolle haben, bei der Rücknahme und Entsorgung von Elektro- und Elektronikaltgeräten fest, denn es ist erfolgreich. Dies zeigen sowohl die Sammelleistungen als auch die in Deutschland erreichten Recycling- und Verwertungsquoten. Mit durchschnittlich 8,11 Kilogramm gesammelter Menge pro Einwohner und Jahr in den vergangenen sieben Jahren wird die europäische Vorgabe von 4 Kilogramm deutlich überschritten. Auch die Recycling- und Verwertungsquoten müssen den europäischen Vergleich nicht scheuen. Dennoch bietet die Novellierung die Chance, ehrgeizigere Ziele zu erreichen, Strukturen weiterzuentwickeln und praktische Erfahrungen aufzugreifen, um erstens den zukünftigen Vorgaben der EU mit Blick auf die Sammlung und das Recycling zu entsprechen – die Sammelziele steigen 2016 auf 45 Prozent, 2019 auf 65 Prozent –, zweitens die Ressourceneffizienz unserer Wirtschaft weiter zu verbessern. Bei der Novellierung des Elektrogesetzes geht es deshalb darum, einen größeren Anteil wertvoller Metalle, die immer seltener und teurer werden, aus den Altgeräten zurückzugewinnen, die Sammelmenge von Altgeräten weiter zu steigern und eine möglichst hochwertige Verwertung sicherzustellen und den illegalen Export von Altgeräten ins Ausland zu unterbinden. Wir haben in den letzten Jahren auf nationaler wie internationaler Ebene an Lösungen gearbeitet, illegale Exporte von Altgeräten zu verhindern: Erstens konkretisieren wir mit dem Gesetzentwurf die Kriterien für die Abgrenzung von gebrauchten Geräten und Altgeräten, die Abfall sind. Zweitens führen wir eine Beweislastumkehr ein. Zukünftig muss der Exporteur belegen, dass es sich bei den zu exportierenden Geräten um funktionsfähige Gebrauchtgeräte und nicht um Altgeräte handelt. Drittens ist es uns in der letzten Woche bei der Vertragsstaatenkonferenz zum Basler Übereinkommen gelungen, internationale Leitlinien zu verabschieden, die ebenfalls solche Instrumente enthalten. Damit weniger Altgeräte im Restmüll landen, sind vor allem die Bürgerinnen und Bürger gefragt. Dafür wollen wir bessere Rahmenbedingungen schaffen. Bei den nun folgenden Diskussionen im Bundestag und seinen Ausschüssen ist es aus Sicht der Bundesregierung unabdingbar, im Blick zu behalten, dass die zu treffenden Regelungen natürlich mit den europarechtlichen Vorgaben in Einklang stehen müssen. Zudem gilt es zu verhindern, dass die bestehenden, effizienten Strukturen zur Erfassung und Entsorgung von Elektro- und Elektronikaltgeräten konterkariert werden. Die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf viele Vorschläge abgewogen und ist der Auffassung, dass der vorliegende Entwurf einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen und Erfordernissen darstellt. Ich bitte daher um Ihre Unterstützung für die im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltenen Regelungen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Forschung und Entwicklung für die Bekämpfung von vernachlässigten armutsassoziierten Erkrankungen stärken (Tagesordnungspunkt 22) Stephan Albani (CDU/CSU): Infolge der Kürze der Zeit und der fortgeschrittenen Stunde gleich zum Kern des Themas: Weltweit existieren viele Krankheiten, für die bislang noch keine bzw. nur unzureichende Impfstoffe und aufwendige bzw. teilweise auch keine Therapien existieren. Hierzu zählen zum Beispiel „die großen Drei“ – HIV/Aids, Tuberkulose, Malaria – ebenso wie das Dengue-Fieber, die Schlafkrankheit und verschiedene andere Tropenkrankheiten, um nur ein paar dieser Erkrankungen zu nennen. Bis heute ist es uns allen nicht gelungen, diese Krankheiten in den Griff zu bekommen, bis heute leidet eine riesige Anzahl von Menschen an diesen Erkrankungen. Allein im Fall Tuberkulose sind weltweit 2,5 Milliarden Menschen infiziert, jährlich kommen nach Angaben der WHO 9 Millionen Neuinfektionen hinzu, und weit über 1 Million Menschen sterben daran. Es ist schon schlimm, wenn eine dieser Krankheiten getrennt allein auftritt. Doch dort, wo bereits eine Immunschwäche etwa durch HIV/Aids besteht, haben weitere Erkrankungen ein nur allzu leichtes Spiel. Keiner auf unserer heute durch die Globalisierung immer „kleiner“ werdenden Welt darf sich noch der Illusion hingeben, dass Krankheiten weit weg sind, für ihn oder sie keine Bedeutung haben, wenn wir sie nicht überall und für alle in den Griff bekommen. So wurde es wahrgenommen in Sachen Ebola, und zwischen 2010 und 2013 verdoppelte sich hierzulande die – wenn auch insgesamt noch kleine – Fallzahl der multiresistenten Tuberkulose. One World – One Health – wir sind eine Welt und wir haben eine Gesundheit! In diesem Sinne möchte ich Sie, meine Damen und Herren, hier daran erinnern, dass solche Krankheiten keine Grenzen kennen und wir auch am Beispiel von Ebola und auch der Tuberkulose spüren, dass ein weiterer Handlungsbedarf dringend notwendig ist. Heilmittel sowie Impfstoffe werden in der Industrie nachfrageorientiert und für strategisch wichtige Märkte entwickelt. Die Ärmsten der Armen stehen mangels Kaufkraft hier zunächst nicht im Fokus. Wirtschaftlich agierende Unternehmen dürfen und müssen so verfahren. Jedoch kann und muss unsere Gesellschaft hier anders entscheiden und den Fokus eben auch auf diese Erkrankungen lenken und öffentliche Gelder dort einsetzen, wo diese dringend benötigt werden, aber bislang fehlen, um die notwendige Forschungsleistung für Diagnostika, Impfstoffe und Therapien zu leisten. Wir in Deutschland können dies, die forschenden Köpfe dazu gibt es hier! Die Bundesregierung hat dies bereits 2011 erkannt und das Förderkonzept „Vernachlässigte und armuts-assoziierte Krankheiten“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung auf den Weg gebracht, um die Forschungsförderung zu fokussieren und Forschung hier über alle Akteure – aus Wissenschaft und Wirtschaft – hinweg zu bündeln. Allein 2010 bezifferten sich die vom BMBF geförderten Forschungsprojekte und Maßnahmen auf rund 11 Millionen Euro. 2011 wurden diese Mittel durch eine Fördermaßnahme für die sogenannten Produktentwicklungspartnerschaften – englisch: PDPs – mit einem Volumen von 20 Millionen Euro ergänzt. Zusammengenommen wurden 2012 von öffentlicher Seite etwa 47 Millionen Euro investiert – laut Internationalem Währungsfonds stand Deutschland damit an vierter Stelle im internationalen Vergleich. Dabei sind die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten PDPs ein besonders wichtiges öffentliches „Investment“: Sie schließen eine Versorgungslücke im globalen Gesundheitssystem und bauen eine Brücke zwischen denen, die ihren forschenden Beitrag leisten können, und denen, die es brauchen. Denn diese international agierenden Non-Profit-Organisationen entwickeln wichtige Heilmittel, Impfstoffe und Diagnostika gemeinsam mit Pharmaunternehmen und Forschungseinrichtungen. Sie entwickeln auch Präventionsmethoden gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, um die Betroffenen später auch mit diesen Produkten zu versorgen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt bereits vier Produktentwicklungspartnerschaften, dies sind: erstens „Drugs for Neglected Diseases, DNDi,“ mit Medikamentenentwicklungen gegen die Afrikanische Schlafkrankheit, Viszerale Leishmaniose, die Chagas-Krankheit und Wurmerkrankungen, zweitens die „Foundation for innovative new diagnostics, FIND,“ mit der Entwicklung einer Diagnoseplattform für vier parasitäre Erkrankungen: Afrikanische Schlafkrankheit, Chagas, Leishmaniose und Malaria, drittens, die „European Vaccine Initiative, EVI“ mit der Entwicklung eines Malariaimpfstoffes für Schwangere und viertens die „Dengue Vaccine Initiative, DVI“ zur Entwicklung eines multivalenten Impfstoffes gegen das Dengue-Virus . Diese Förderung endet in diesem Jahr. Wir haben die Aufgabe, diese elementar wichtige Fördermaßnahme fortzuführen, thematisch zu erweitern und finanziell stärker auszustatten. Dies ist Konsens aller Beteiligten, und dies findet Ausdruck in dem Antrag, den wir hier und heute debattieren. Mir sei erlaubt mich anlässlich dieses, meines ersten Antrages zum einen bei der Kollegin Frau Annette Hübinger und ihrem Team ganz herzlich zu bedanken, die mich bei der Einarbeitung immens unterstützt haben. Und ebenso gilt mein Dank meinem Co-Berichterstatter, Herrn René Röspel, und seinem Team für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Zum Abschluss: Es gibt nur eine Welt-Gesundheit, sie geht uns alle an, wir stehen gemeinsam in der Verantwortung. Durch die Zusammenarbeit von Industrie und Wissenschaft in den PDPs ist sicherzustellen, dass Forschungslücken bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten geschlossen werden und schlussendlich die Versorgung weltweit verbessert wird. Als einen Beitrag zur Weltgesundheit gilt es, die Fortsetzung des Förderkonzeptes „Bekämpfung vernachlässigter armutsbedingter Erkrankungen“ auch über das Ende 2015 hinaus sicherzustellen, es auszubauen, zu stärken und – so sollte es unser Anspruch sein – schlussendlich auch zu verstetigen. Anette Hübinger (CDU/CSU): Vernachlässigte, armutsassoziierte Krankheiten – ein Thema und ein Gesundheits- bzw. Forschungsbereich, dem in Deutschland meist wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit geschenkt wird. Ab und zu liest man von Krankheiten, die eigentlich in den europäischen Gebieten nicht auftauchen dürften – zum Beispiel, dass seit fast drei Jahren in Griechenland wieder Menschen an Dengue-Fieber erkranken. Ein mediales Ereignis ist dies nicht. Bei der Ebolaepidemie war es anders. Die Angst ging um, dass die Epidemie sich auch nach Europa ausbreiten könnte, schließlich leben wir in einer globalisierten Welt. Rufe nach Schutzzonen und Sicherheitsmaßnahmen an europäischen Flughäfen wurden laut. Neben Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie vor Ort und Behandlung der Kranken wurden zu Recht die Forschungsanstrengungen verstärkt. Nach wenigen Wochen flaute dann das mediale Interesse wieder ab, obwohl die aktuelle Ebolaepidemie bis heute nicht endgültig eingedämmt ist. Circa 26 000 Menschen erkrankten am Ebolafieber, über 10 500 von ihnen sind gestorben, so die WHO. Eine katastrophale Bilanz. Aber was ist mit all den anderen vernachlässigten tropischen Krankheiten? Jährlich infizieren sich 50 bis 100 Millionen Menschen weltweit mit Dengue-Fieber. An Leishmaniose, eine durch Parasiten hervorgerufene Infektionskrankheit, erkranken 1,5 bis 2 Millionen Menschen jährlich; pro Jahr versterben daran weltweit circa 70 000 Menschen. An Chagas, einer infektiösen Erkrankung, übertragen durch Raubwanzen, erkranken jährlich circa 50 000 Menschen, 15 000 der Fälle enden tödlich. Da fragt man sich: Wo ist da der mediale Aufschrei, der so ein bedeutsames Thema in das öffentliche Bewusstsein rückt? Aus dem politischen Bewusstsein sind diese Krankheiten glücklicherweise nie verschwunden. Bereits 2010 hat sich das BMBF zur Erforschung von vernachlässigten, armutsassoziierten Krankheiten strategisch neu aufgestellt und ein neues Förderkonzept erarbeitet. Dies ist deshalb so bedeutsam, da die pharmazeutische Industrie sich aus vielen Bereichen der Erforschung dieser Krankheiten wegen fehlender Gewinnmargen herausgezogen hat. Unser staatliches Engagement muss diese Lücke füllen. Deutschland muss und kann mehr tun. Nicht nur aus humanitärer Verantwortung, sondern auch, damit den betroffenen Entwicklungs- und Schwellenländern durch die Folgen dieser Krankheiten nicht noch zusätzliche Entwicklungshemmnisse langfristig aufgebürdet werden und nicht zuletzt, weil einige dieser Krankheiten verstärkt in Europa auftreten. In einer globalisierten Welt, mit vernetzten Wertschöpfungsketten, zunehmendem Reise- und Warenverkehr und wachsenden Flüchtlingsströmen, machen Krankheiten nicht an Ländergrenzen halt. Eine klare Tendenz ist erkennbar: Tropische Krankheiten schwappen insbesondere auf unseren Kontinent hinüber. Derzeit sind vor allem südeuropäische Urlaubsländer wie Spanien, Portugal oder Griechenland betroffen. Doch bereits 2014 entdeckte man die Sandmücke – das Überträgertier von Leishmaniose – in Hessen, der bislang nördlichste Fund. Aus Verantwortung gegenüber den Menschen weltweit, aber auch gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern, stellen wir heute erneut einen Antrag zur Verstärkung der Forschung und Entwicklung im Bereich vernachlässigter, armutsassoziierter Krankheiten. Das neue Förderinstrument, die sogenannten Produktentwicklungspartnerschaften, PDPs, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, ist eine wichtige Säule des bestehenden Förderkonzepts. Hierfür sind seit 2011 circa 21 Millionen Euro an Fördergeldern seitens des BMBF ausgegeben worden. Ich bin glücklich darüber, dass die erste Förderrunde in der aktuellen Evaluierung von März 2015 positiv bewertet wurde. Der Evaluationsbericht betont die außerordentliche Bedeutung der PDPs bei der Entwicklung und dem Einsatz besserer und neuer Therapien für die Behandlung vernachlässigter Infektionskrankheiten. Er stellt aber auch deutlich heraus, dass PDPs ihre Arbeit fortsetzen müssen und vor allem auch eine langfristig gesicherte Unterstützung benötigen. Für mich ist ganz klar, dass mit der -positiven Evaluation der ersten Förderperiode eine Anschlussförderung mit höherer Finanzmittelausstattung eine zwingende Folge ist. Daher fordern wir auch die Bundesregierung auf, eine zweite Förderrunde für PDPs festzuschreiben und die Förderung auch auf Medikamente zur Diagnose und Prävention, inklusive Impfstoffe für TB und HIV/Aids auszuweiten. Für diese wichtige Forschung fordern wir als Koalition eine signifikante Erhöhung der Mittel. Damit kann die Bundesregierung ein Zeichen setzen, um das bestehende Engagement zu verstetigen und sich noch klarer zu ihrer Verantwortung für die globale Gesundheit zu bekennen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Ausbau der Capacity-Building-Maßnahmen im Allgemeinen sowie im Rahmen der PDPs, als auch die Förderung des Wissens-transfers mit Forschern aus den betroffenen Regionen. Nur so kann eine Stärkung der regionalen Forschungsinfrastrukturen und eine qualitativ angemessene Langzeitbeobachtung der neu eingesetzten Medikamente sinnvoll implementiert werden. Ich habe bereits in früheren Reden erwähnt, dass das BMBF mit der Förderung von PDPs einen neuen und strategisch richtigen Weg gegangen ist. Angesichts der bereits bestehenden und zukünftig wachsenden Herausforderungen in diesem Bereich brauchen wir aber weitere Partner. Deshalb ist es sehr gut, dass unter der deutschen G-7-Präsidentschaft 2015 vernachlässigte, armutsassoziierte Krankheiten ein Schwerpunktthema sein werden und vor allem die Forschung zu diesen Krankheiten neben der globalen Gesundheits- und Entwicklungspolitik in den Mittelpunkt gerückt wird. Dies ist dringend notwendig, da gegen viele dieser Infektionskrankheiten seit Jahrzehnten keine wirksamen Medikamente existieren. Vielleicht bringt ja der G-7-Gipfel ein neues Bewusstsein für dieses Thema. Ich hoffe jedenfalls nicht, dass eine nächste Epidemie uns wieder für ein paar Monate in Atem hält, sondern dass neue Forschungsergebnisse vielen Menschen neue Hoffnung und Zuversicht schenken werden. Auch wenn die Erforschung neuer Wirkstoffe kostspielig ist und einen langen Atem benötigt, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, Forschung zu ermöglichen, die zum Wohle vieler Millionen Menschen ist und einen wichtigen Schritt zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele darstellt. Dr. Karamba Diaby (SPD): 1,4 Milliarden Menschen! Mit unserem Antrag gehen wir einen wichtigen Schritt, um weltweit circa 1,4 Milliarden Menschen zu helfen, die von den vernachlässigten Tropenkrankheiten betroffen sind. Wir alle erinnern uns an die Bilder der schrecklichen Ebolaepidemie. Bisher forderte sie mehr als 11 000 Opfer – und sie ist noch nicht ausgestanden. Wir wissen: Diese Tragödie wäre vermeidbar gewesen, wenn es Folgendes gegeben hätte: ein Gesundheitssystem, Medikamente und Impfstoffe, medizinische Versorgung sowie Zugang zu Wasser, Strom und Bildung. Ein weiteres Beispiel: Stellen Sie sich vor, dass ein Großteil Ihrer Bekannten bereits als Kinder an Malaria erkrankt. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Sterblichkeit bei circa drei Kindern auf 1 000 Geburten. In Subsahara-Afrika liegt sie durchschnittlich bei über 100 Kindern auf 1 000 Geburten. Eine der häufigsten Todesursachen ist nach wie vor Malaria. Das sind Beispiele für das milliardenfache Leid, das Krankheiten wie HIV, Malaria und Tuberkulose und die Tropenkrankheiten hervorrufen. Die Folgen dieser Krankheiten sind für den Einzelnen aber nicht nur physischer und psychischer Natur. Oft werden Betroffene sozial ausgegrenzt; oft nimmt Armut aufgrund von Arbeitslosigkeit zu. Die Kosten für die Gesellschaft gehen in die Milliarden. Allein für die Zeit April bis September 2015 schätzt die UN den Bedarf zur Bekämpfung der Ebolaepidemie auf weitere 1,5 Milliarden US-Dollar. Und im Übrigen irrt derjenige, der denkt, dass wir über Krankheiten sprechen, die ausschließlich in Entwicklungsländern auftreten oder mit denen man sich höchstens während eines Abenteuerurlaubs infizieren kann. Viren und Bakterien kennen keine Grenzen. Die Zahl der Tuberkulosefälle steigt auch in Deutschland wieder. Das Robert-Koch-Institut registrierte im Jahr 2013 über 4 000 Fälle. Auch die Industrienationen stehen einer der tödlichsten Krankheiten zunehmend machtlos gegenüber: veraltete Impfstoffe, veraltete Therapien, unwirksame Antibiotika. Es ist deshalb erforderlich, dass sich unser Land dieser großen Herausforderung stärker stellt. Unser Antrag zeigt, wo Handlungsbedarf ist. Zwei spreche ich an dieser Stelle an: Zum einen müssen wir die Forschung zur Bekämpfung der Krankheiten stärken. Das schließt die Erforschung von Impfstoffen, Antibiotika und therapeutischen Maßnahmen mit ein. Die Partnerschaften zur Entwicklung der Medikamente sind eine wirksame Strategie. Sie müssen wir ausbauen. Zum anderen: Es nützt das beste Medikament nichts, wenn es den Patienten nicht erreicht. Die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit muss einen Schwerpunkt auf den Aufbau der lokalen Gesundheitssysteme legen. Verantwortungsübernahme heißt für uns: Forschung dauerhaft fördern, den Aufbau der Gesundheitssysteme unterstützen, Kooperation bei der Ausbildung des medizinischen und wissenschaftlichen Personals. Diese Punkte müssen Hand in Hand gehen. Es ist deshalb auch das richtige Signal, dass der G-7-Gipfel in Elmau dieses bedeutende Thema aufgreift. Wir sind uns unserer Verantwortung gegenüber den 1,4 Milliarden Betroffen bewusst. René Röspel (SPD): Leider zu einem sehr späten Zeitpunkt am Donnerstagabend behandeln wir ein Thema, das viele 100 Millionen Menschen unmittelbar betrifft und sie in ihrer Gesundheit oder sogar ihrem Leben bedroht: vernachlässigte Krankheiten. Als „vernachlässigt“ werden solche Krankheiten bezeichnet, nicht etwa, weil sie „vernachlässigbar“ wären und bedeutungslos selten auftreten, sondern weil die damit verbundene Not in der Regel nicht an unsere Ohren in der wohlhabenden Welt dringt. Weil diese Krankheiten meistens gemeinsam mit Armut auftreten oder das Entstehen durch Armut begünstigt wird, schließt sich ein Teufelskreis: Es gibt kein kommerzielles Interesse beziehungsweise keine Möglichkeit, Medikamente zur Behandlung dieser Krankheiten zu entwickeln. Die Folge dieses „Marktversagens“ ist ein Forschungs- und Entwicklungsdefizit bei der (Weiter-)Entwicklung von Wirkstoffen, die den Betroffenen Heilung und Linderung versprechen könnten. Es ist mir daher eine besondere Freude, auch heute und in dieser Regierungskoalition einen Antrag der Regierungsfraktionen zur Stärkung der Forschung für vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten zu debattieren. Der vorliegende Antrag ist nicht nur als ein klares Bekenntnis zur weiteren Förderung von Produktentwicklungspartnerschaften im Bereich der vernachlässigten und armutassoziierten Erkrankungen zu verstehen, er soll die auch die anstehenden G-7-Verhandlungen auf Schloss Elmau flankieren. Wie bereits seitens der Bundesregierung angekündigt, sollen Fragen der Globalen Gesundheit auf diesem Gipfel explizit adressiert werden. Vor diesem Hintergrund möchte ich auch nochmals die Arbeit der Leopoldina lobend hervorheben, die in Vorbereitung dieses Gipfels deutlich auf Handlungsbedarfe – nicht nur in der Forschung – zur Bekämpfung dieser Krankheiten hingewiesen hat und in diesem Kontext auch eine umfassende wissenschaftliche Bestandsaufnahme zu diesem Themenkomplex erarbeitet hat. Dass die Bundesregierung das Thema auf die Agenda von Elmau gesetzt hat, begrüße ich ausdrücklich. Es zeigt, dass sich die langjährige Arbeit gelohnt hat und es einen klaren Lernprozess gegeben hat hinsichtlich der Bewertung des Gefahrenpotenzials dieser Erkrankungen für die globale Stabilität. So bringen diese Erkrankungen nicht nur unendliches Leid für die betroffenen Individuen und deren Familien mit sich, sie sind auch eine große Bürde für die Länder, deren Bevölkerung eine hohe Prävalenz – also eine hohe Krankheitshäufigkeit – aufweist. Die direkten und indirekten Folgen für die Volkswirtschaften dieser Länder lassen sich nicht immer genau quantifizieren, die Experten sind sich jedoch weitestgehend einig, dass diese Krankheiten die Wirtschaftsleistung eines Landes verschlechtern und einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Stabilität der betroffenen Länder und Regionen haben. Von den circa 1,4 Milliarden weltweit betroffenen Menschen leben – und leiden – viele in Subsahara-Afrika – einer Region, die ihrerseits durch wiederkehrende Krisen und Instabilität gezeichnet ist. Wer daher künftig globale Stabilität garantieren will, wird an Fragen der globalen Gesundheit nicht vorbeikommen. Ergänzend möchte ich an dieser Stelle noch einen Hinweis geben: Grundsätzlich sollte sich die Bundesregierung die Frage stellen, ob sie sich bei diesem G-7-Agenda-Punkt ausschließlich auf die 17 von der WHO gelisteten NTDs beschränken will. Denn es gibt auch weitere vernachlässigte Krankheiten, die zwar nicht von der WHO gelistet werden, jedoch das Potenzial haben, verheerende Folgen mit sich zu bringen. Beispielhaft ist an dieser Stelle Ebola zu nennen: Obwohl nicht in der WHO 17er-Liste aufgeführt, hält uns diese vernachlässigte Viruserkrankung in Atem. Die mehr als 10 000 Toten des letzten Ausbruches in Westafrika haben uns deutlich unsere Grenzen vor Augen geführt – im Übrigen auch die begrenzte Handlungsfähigkeit der westlichen Welt, adäquat auf solche Krisenszenarien zu reagieren. Es soll auch ein Appell sein, sich nicht in Sicherheit zu wiegen, sondern sich eben auch den Themen beziehungsweise Krankheiten zu widmen, die als gerade nicht bedeutend angesehen werden. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal lobend die wichtige und notwendige Arbeit der Nichtregierungs-organisation Ärzte ohne Grenzen hervorheben, deren schnelle und unermüdliche Arbeit während des Aufkommens der letzten Ebolakrise eine umgehende Krisenantwort Deutschlands überhaupt möglich gemacht hat. Die Krisenreaktionsfähigkeit Deutschlands in diesem Szenario – nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht – sollte uns allen zu denken geben. Ich sehe unseren Antrag aber nicht nur als unterstützende Maßnahme für die G-7-Regierungskonsultationen, sondern auch als Appell an uns alle: Globale Gesundheit kann und wird es nicht zu Discountpreisen geben. Die in diesem Antrag geforderte Öffnung des PDP-Förderprogramms für armutsassoziierte Erkrankungen wie HIV/Aids und Tuberkulose muss sich auch in einer entsprechend adäquaten Aufstockung der dafür bereitzustellenden Haushaltsmittel widerspiegeln. Wir haben aus den Koalitionsvereinbarungen noch Forschungsmittel zur Verfügung. Auch wenn es für den Einen oder Anderen vielleicht schwer nachvollziehbar ist, so lassen sich Viren, Bakterien, Protozoen und Parasiten in ihrer fatalen Wirkung nicht durch vom Bundesfinanzministerium gesetzte Haushaltsziele beeindrucken. Die erfolgreiche und nachhaltige Bekämpfung dieser Erreger und Parasiten ist eine Verantwortung der reichen Welt und kann nur durch eine ausreichende Bereitstellung von Haushaltmitteln für die Forschung gesichert werden, zumal bei objektiver Betrachtung Deutschland, dank seiner ökonomischen Potenz, hierzu durchaus in der Lage ist. In einem Zeitungsartikel hat der Bundesrichter und Vorsitzende des 2. Strafsenats des BGH, Thomas Fischer, die Bundesrepublik jüngst als „Fettauge auf dem Ozean der globalen Auszehrungen“ bezeichnet. Man muss sich diesem drastischen Bild vielleicht nicht anschließen, dennoch hilft der Blick über den Tellerrand und der Vergleich mit anderen, weniger begünstigten Nationen und Volkswirtschaften, das eigene Maß und die Prioritäten neu zu ordnen. Um ihre globale Verantwortung wird die Bundesrepublik sich nicht drücken können – nicht nur in der Außenpolitik, sondern eben auch in der internationalen Gesundheitspolitik und der Forschung für vernachlässigte und armutsassoziierte Erkrankungen. Lassen Sie mich abschließend noch einen kurzen Rückblick auf das bisher Erreichte geben: Dieser Antrag ist das Ergebnis eines langen – fast zehn Jahre dauernden – Prozesses, der viel parlamentarische Anstrengung – auch überparteilich – erfordert hat. Vor circa einem Jahrzehnt noch hat die Forschungsförderung für vernachlässigte und armutsassoziierte Erkrankungen keine wesentliche Projektförderung durch das BMBF erhalten. Durch gemeinsame überfraktionelle Anstrengungen konnte bereits in der letzten Legislatur darauf hingewirkt werden, dass sich das BMBF der Förderung von Produktentwicklungspartnerschaften in diesem Bereich annimmt. Eine erste Förderphase, die in diesem Jahr ausläuft, hat es bereits gegeben. Jetzt gilt es, auf dem bisher Erreichten aufzubauen und die Förderung weiter auszubauen. Genau hier setzt der vorliegende Antrag an: So soll nicht nur die bisherige Förderrichtlinie für vernachlässigte tropische Krankheiten fortgesetzt, sondern auch der Fokus der Förderung erweitert werden. Richtete sich die erste Fördermaßnahme noch ausschließlich an Projektmittelnehmer, die Forschung für vernachlässigte Tropenkrankheiten betreiben, so sollen künftig zusätzlich Forschungsprojekte für armutsassoziierte Krankheitsbilder wie zum Beispiel die Tuberkulose oder HIV/Aids förderfähig sein. Ich hoffe, dass wir als Regierungsfraktionen mit diesem Antrag einen substanziellen Beitrag in der Forschung zur Bekämpfung dieser Krankheiten und somit einen kleinen, aber vielleicht essenziellen Beitrag zur Weltgesundheit und globalen Stabilität leisten können. Weitere Schritte aber werden folgen müssen. Niema Movassat (DIE LINKE): „Vernachlässigte armutsassoziierte Krankheiten“ ist im doppelten Sinne ein schreckliches Wortkonstrukt. Millionen von Menschen leiden auch im 21. Jahrhundert überall auf der Welt nur deshalb an Krankheit, weil der globale Wohlstand völlig ungerecht verteilt ist. Das alleine ist schon schlimm genug und eine Schande. Dass es dann aber aufgrund der kapitalistischen Wirtschaftslogik schlicht zu wenig finanzielle Anreize für die Pharmaindustrie gibt, wirksame Medikamente gegen die typischen armuts-assoziierten Krankheiten zu entwickeln, ist eine doppelte Ungerechtigkeit. Der wohlhabende Teil der Menschheit enthält den Ärmsten der Armen so nicht nur einen Anteil an den weltweiten Reichtümern vor, sondern, wenn sie an den Folgen erkranken, auch eine adäquate medizinische Behandlung. Nur eine andere, gerechtere Weltwirtschaftsordnung kann dieses Problem grundsätzlich lösen. Dennoch möchte ich auch einige kurzfristig praktikable Vorschläge nennen, mit deren Hilfe sich die Situation verbessern ließe. Vor vier Jahren haben wir einen Bundestagsantrag eingebracht mit dem Titel „Forschungsförderung zur Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten ausbauen – Zugang zu Medikamenten für arme Regionen ermöglichen“. Leider haben sich seitdem weder die grundlegenden Probleme geändert noch haben sich die vorgeschlagenen Forderungen überholt. Nach wie vor investiert die Bundesregierung viel zu wenig in öffentliche Forschung. Welche fatalen Folgen das haben kann, hat die Ebola-epidemie erst kürzlich gezeigt. Vor vier Jahren hatten wir die Bundesregierung bereits aufgefordert, die nichtkommerzielle klinische Forschung mit 500 Millionen Euro jährlich zu fördern und einen Förderschwerpunkt für vernachlässigte Krankheiten einzurichten. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage stellte sich heraus, dass 2014 gerade einmal etwas mehr als 500 000 Euro öffentliche Gelder in die Ebolaforschung flossen. Mit solchen Summen ist natürlich nichts zu erreichen in der Pharmaforschung. Sogenannte Produktentwicklungspartnerschaften aus Wissenschaft, Industrie und Zivilgesellschaft, die auf Non-Profit-Basis an vernachlässigten Krankheiten forschen, haben sich als erfolgreich erwiesen. In der letzten Förderrunde von 2011 bis 2015 hat die Bundesregierung dafür insgesamt 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Auch das bleibt weit hinter dem zurück, was Deutschland gemessen an seiner Wirtschaftskraft beitragen könnte. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt lag Deutschland 2012 in puncto öffentlicher Investition in Forschung und Entwicklung vernachlässigter und armutsindizierter Krankheiten hinter Kolumbien und Indien auf Rang 12. Wieviel die Bundesregierung in der nächsten Förderrunde für Entwicklungspartnerschaften zur Verfügung stellen wird, ist trotz des bereits vorliegenden Evaluationsberichts bisher leider nicht genau bekannt. Wenn die Bundeskanzlerin sich jetzt beim G-7-Gipfel und der Weltgesundheitsversammlung als Vorkämpferin gegen vernachlässigte Krankheiten in Szene setzt, kann dies über die krassen Versäumnisse der Vergangenheit nicht wegtäuschen. Wenn sie jetzt endlich die Wichtigkeit des Aufbaus von öffentlichen Gesundheitssystemen in den Ländern des globalen Südens erkannt hat, ist das zwar ein Fortschritt. Die Forderung von Nichtregierungsorganisationen, mehr Geld für globale Gesundheit auszugeben, hat sie aber seit Jahren ignoriert. 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen reiche Staaten dafür aufwenden. Die Ausgaben für globale Gesundheit betrugen seitens Deutschlands zuletzt aber nur 0,03 Prozent. Das ist selbst im europäischen Vergleich nur absolutes Mittelmaß. Außerdem hat Deutschland seinen Finanzierungsbeitrag für die Weltgesundheitsorganisation WHO immer weiter zurückgefahren: von 33 Millionen Euro 2006 auf heute noch 24 Millionen Euro. Diese Bundesregierung ist mitverantwortlich dafür, dass die globale Gesundheitskrisenreaktion bei Ebola so schlecht aufgestellt war. Es bleibt zu hoffen, dass diese Bundesregierung auch über wichtige Konferenzen und Gipfel hinaus langfristig endlich einen angemessenen Beitrag zur Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten leistet. Am Ende ist und bleibt aber das beste Mittel gegen armutsinduzierte Krankheiten der erfolgreiche Kampf gegen die Armut selbst. Die Bundesregierung jedoch betreibt sowohl national als auch international eine Politik der Umverteilung von unten nach oben. Sie bleibt deshalb trotz aller wohlklingenden Maßnahmen und Gipfelankündigungen Teil des Problems, nicht der Lösung. Der vorliegende Antrag beschränkt sich leider nur auf Detailfragen, ohne auf den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit näher einzugehen. Strategien, die den Kern der Problematik zu lösen suchen, enthält er leider nicht. Stattdessen macht er sehr viele Vorschläge zur Behandlung der Symptome. Da diese in weiten Teilen nicht falsch sind, werden wir mit Enthaltung stimmen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Durch schlimme und bedrückende Ereignisse wie zuletzt die Ebolaepidemie in Westafrika rücken vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten in das öffentliche Interesse. Auch ohne tägliche Schreckensmeldungen muss klar sein: Wir dürfen nicht nachlassen bei der Bekämpfung von Ebola, HIV/Aids, Tuberkulose, Malaria und anderer Tropenkrankheiten, von denen die Ärmsten der Armen besonders betroffen sind. Es gilt, die internationale Zusammenarbeit massiv zu verbessern und zu verstetigen, damit den Milliarden betroffenen Menschen weltweit geholfen werden kann. Die Stärkung von Forschung und Entwicklung für die Bekämpfung dieser Erkrankungen ist dabei eine wichtige politische und humanitäre Daueraufgabe. Sie muss mit aller Entschiedenheit fortgesetzt werden, wenn das Auftreten zahlreicher Neuinfektionen einer armuts-assoziierten Krankheit aus den akuten Schlagzeilen verschwunden ist. Unsere Haushaltsanträge wurden leider erst vor wenigen Monaten von der Koalition schroff abgelehnt: Wir hatten zu diesem Zweck für das Haushaltsjahr 2015 beantragt, den Titel Gesundheitsforschung um 20 Millionen Euro aufzustocken, wobei wir speziell für die Initiative European and Developing Countries Clinical Trials Partnership, EDCTP, einen Aufwuchs in Höhe von 1 Million Euro vorgesehen haben. Sie von der Koalition müssen sich hier deshalb die Frage gefallen lassen, warum Sie erst jetzt, noch dazu zu nachtschlafender Zeit, einen solchen Antrag einbringen und noch dazu ohne vorherige Beteiligung der Fachausschüsse sofort abstimmen lassen wollen. Wir könnten jedenfalls viel weiter sein, wenn Sie unseren parlamentarischen Initiativen zugestimmt hätten. Die Vorschläge der Koalition sind nicht neu. Sie finden überwiegend unsere Zustimmung. Wenn das hier allerdings mehr sein soll als ein folgenloser Schaufensterantrag, dürfen Sie sich bei der Umsetzung der hehren Worte nicht noch mehr Zeit lassen. Die Diagnose der strukturellen Mängel fällt zunächst nicht schwer: Kurzsichtige wirtschaftliche Abwägungen insbesondere der großen Pharmakonzerne verhinderten bisher oft medizinische Innovationen und Versorgung, weil sich Gewinne mit Medikamenten für armutsasso-ziierte Krankheitsbilder schwerer realisieren lassen – das ist zynisch und unmenschlich. Eine Alternative sind Produktentwicklungspartnerschaften, die durch gemeinwohlorientierte Forschungsanreize und Entwicklungsprämien zu besseren und erschwinglicheren Medikamenten für Menschen in ärmeren Ländern führen. Es ist gut, dass Sie eine Verstärkung der anwendungsorientierten Grundlagenforschung fordern und europäische Programme wie Horizon 2020 loben. Dann dürfen Sie aber nicht gleichzeitig die Kürzung und Umwidmung gerade dieser Mittel durch die EU-Kommission Junckers zulassen, sondern müssen sich ihr in Brüssel und Berlin beherzt entgegenstellen. Nicht nur die Wirksamkeit von Medikamenten darf hinterfragt werden, sondern es geht auch um die Wirksamkeit und den nachhaltigen Nutzen bestimmter Hilfsinstrumente: Damit Prävention und Behandlung verbessert werden, muss die langfristige Zusammenarbeit mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort im Mittelpunkt stehen. Das betrifft Aufklärungs- und Informationsaktivitäten über Risikofaktoren und die Vorbeugung von Infektionskrankheiten durch Verhaltensänderungen. Und das betrifft die dauerhafte und systematische regionale Versorgung mit Medikamenten, die wichtiger wären als plakative Verteilaktionen für die Kameras der internationalen Öffentlichkeit. Deshalb muss sich die Bundesregierung auch international für nachhaltige, durchdachte und umsetzbare Strategien einsetzen. Forschungs- und gesundheitspolitische Zusammenarbeit darf nicht von oben herab erfolgen, sondern muss sich an der Lebenswelt vor Ort orientieren. Wenn sie keine Einbahnstraße ist, kann sie zu gemeinsamen Lerneffekten beitragen. Es klingt beispielsweise zunächst sehr ehrgeizig, wenn die Koalition in ihrem Antrag anregt, durch „Errichtung von Versichertendatenbanken“ in den betroffenen Regionen zur „Etablierung eines Gesundheitssystems und zur verbesserten Erhebung von medizinischen Statistiken“ beizutragen. Aber es ist doch überaus zweifelhaft, wie sinnvoll und wirksam dieses -Instrument ist. Sie selbst schaffen es seit Jahren nicht einmal in Deutschland, eine elektronische Gesundheitskarte einzuführen. Also ein Vorschlag, der nicht trägt und den Ärmsten der Armen nicht weiterhilft. Sowohl Akzeptanz als auch Realisierbarkeit müssen generell beachtet werden. Und es geht auch um Prioritätensetzung: Besonders dringliche Maßnahmen müssen zuerst angegangen und der Ausbau von Infrastrukturen mit den internationalen Partnern koordiniert werden, etwa durch einen globalen Fonds. Wir brauchen substanzielle Verbesserungen, damit Menschenleben gerettet und Zukunftschancen weltweit gesichert werden. Meine Fraktion unterstützt deshalb alle sinnvollen Forderungen, aber wir mahnen vor allem konkretes, schnelles und dauerhaft verlässliches Handeln der Regierung an. Denn nur so können endlich mehr Menschen vor Neuinfektionen geschützt und erkrankte gerettet werden. Deswegen darf die Bundesregierung keine Zeit verlieren. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Niemand beschäftigt sich gerne mit seinem eigenen Tod. Aber der Tod gehört unausweichlich zum Leben dazu. Will man aber beeinflussen, was nach dem eigenen Tod mit den finanziellen Werten geschieht, die man erarbeitet hat, will man das Schicksal seines Nachlasses selbst bestimmen, dann muss man sich zu Lebzeiten mit der Planung des eigenen Nachlasses beschäftigen. Durch die EU-Erbrechtsverordnung und das begleitende Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, wird diese Planung des Nachlasses und dessen Abwicklung in Erbfällen mit Auslandsbezug erheblich vereinfacht. Das Erbschaftsteuerrecht wird durch den Gesetzentwurf nicht geändert. Bisher unterliegt nach deutschem Recht die Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes angehörte. War der Erblasser Deutscher, galt also deutsches Erbrecht. Dies ändert sich durch die EU-Erbrechtsverordnung. Ausländisches Erbrecht kann erheblich von den deutschen erbrechtlichen Regelungen abweichen. Wenn deutsche Staatsbürger über Vermögen in einem anderen Land verfügen oder wenn sie nicht in ihrem Heimatland leben, können im Erbfall verschiedene Rechtsordnungen auf den Nachlass Anwendung finden. Dies kann zu gegensätzlichen Ergebnissen und unvereinbaren Gerichtsentscheidungen führen, die die Erben möglicherweise vor unlösbare Konflikte stellten. Folge können mehrfache Nachlassverfahren sein. Das wird mit der Erbrechtsverordnung geändert: Die EU-Erbrechtsverordnung lässt das materielle Erbrecht der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt. Sie bestimmt aber, dass nur das Erbrecht eines Staates auf den gesamten Nachlass Anwendung findet, egal in welchem Staat sich das Vermögen des Verstorbenen befindet. Das führt zu mehr Rechtssicherheit, und für die Erben wird die Verwaltung und Auseinandersetzung des Nachlasses deutlich vereinfacht. Das spart viel Ärger, Zeit und Kosten. Sofern der Erblasser dies testamentarisch nicht anders festgelegt hat, richtet sich künftig die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Recht des Staates, in dem der Verstorbene im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Ab dem 17. August 2015 werden Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte bei grenzüberschreitenden Erbfällen leichter durchsetzen können. Der Gesetzentwurf ist politisch nicht brisant. Er dient vor allem der rechtstechnischen Anpassung des nationalen Rechts an die EU-Erbrechtsverordnung, die ab dem 17. August 2015 in Deutschland unmittelbar gilt. Anwendbar ist das neue Recht für Todesfälle ab dem 17. August. Eine zuvor getroffene Rechtswahl bleibt aber auch danach wirksam. Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute abschließend beraten, werden für das Europäische Nachlasszeugnis eigene Verfahrensregeln vorgesehen. Ziel ist es, die Zuständigkeit für das Verfahren zur Erteilung eines deutschen Erbscheins und über die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses möglichst bei einem Gericht zu bündeln. Weiterhin erfolgt eine Anpassung des deutschen Rechts: Der Erbrechtsverordnung entgegenstehende nationale Regelungen werden aufgehoben, es werden einige Durchführungsvorschriften erlassen, damit die Erbrechtsverordnung in der Praxis problemlos angewendet werden kann, und es werden die nationalen Vorschriften zum Erbschein an die Vorgaben der Erbrechtsverordnung zum Europäischen Nachlasszeugnis angepasst sowie gesetzessystematische Mängel beseitigt. Im Rahmen der Berichterstattergespräche haben wir uns im Wesentlichen mit zwei Aspekten befasst. Mit dem Ziel, den Gestaltungsspielraum für Erblasser zu erweitern, haben wir diskutiert, ob es sinnvoll ist, die Bindungswirkung einer wechselseitigen Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament bzw. in einem Erbvertrag auch auf die Anordnung einer Testamentsvollstreckung auszudehnen. Weil die Erbrechtsverordnung bereits ab dem 17. August 2015 gilt und das Gesetzgebungsverfahren rechtzeitig davor abgeschlossen werden musste, haben wir uns mit dem Koalitionspartner darauf verständigt, dass die Frage der Möglichkeit einer bindenden Anordnung der Testamentsvollstreckung in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag durch das Bundesjustizministerium ergebnisoffen geprüft wird. Das BMJV wird dazu kurzfristig eine Umfrage bei den Ländern und den betroffenen Verbänden durchführen mit einer Frist zur Stellungnahme bis Ende September. Damit wird etwa im Oktober ein Ergebnis vorliegen, und eine entsprechende Regelung kann im Zusammenhang mit dem notariellen Nachlassverzeichnis getroffen werden. Aufgrund der Stellungnahme des Bundesrates haben wir vertieft geprüft, ob wir in Deutschland eine Regelung erlassen können, die nicht nur die Änderung und den Widerruf, sondern auch die körperliche Einziehung eines unrichtigen Nachlasszeugnisses ermöglicht. Das BMJV hat deutlich gemacht, dass die Kommission ursprünglich eine Einziehungsmöglichkeit vorgeschlagen hatte. Dieser Vorschlag fand aber im Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene keine Mehrheit und wurde bewusst nicht aufgegriffen. Weil die Erbrechtsverordnung insoweit also eine abschließende Regelung trifft, wäre eine entsprechende nationale Regelung nicht europarechtskonform. Das Struck’sche Gesetz gilt aber auch für diesen Gesetzentwurf: Im parlamentarischen Verfahren wurden handwerkliche Fehler behoben. Im ursprünglichen Gesetzentwurf wurde § 2270 BGB geändert, also der Spe-zialfall. Es wurde aber versäumt, die Grundvorschrift des § 1941 BGB an die Erbrechtsverordnung anzupassen. Weil nur die in § 1941 BGB genannten Verfügungen an der den Erbvertrag kennzeichnenden Bindungswirkung teilhaben, war eine Ergänzung erforderlich. Mit dem Gesetzentwurf stellen wir sicher, dass das grenzüberschreitende Erben und Vererben in Europa einfacher wird, und schaffen Rechtssicherheit für die Umsetzung der Nachlassplanung. Dr. Silke Launert (CDU/CSU): In dem Gesetzentwurf, über den wir heute sprechen, heißt es, es sei jährlich von circa 30 000 Todesfällen von EU-Ausländern in Deutschland auszugehen. Etwa genauso viele Deutsche würden jedes Jahr im europäischen Ausland versterben. Von diesen Zahlen nicht erfasst sind die Todesfälle von Nicht-EU-Bürgern. Gelangen diese Sterbefälle vor ein deutsches Gericht, müssen sich Richter und Rechtspfleger in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder in streitigen Erbrechtsverfahren zunächst fragen: Bin ich bzw. ist mein Gericht überhaupt zuständig? Und wenn ja: Darf ich hier deutsches Recht anwenden? Stirbt beispielsweise ein deutscher Rentner in der Toskana, wo er seinen Lebensabend in einer kleinen Villa verbracht hat, und entstehen nach seinem Tod Erbstreitigkeiten unter den in Deutschland lebenden Kindern über das Häuschen in Deutschland, die Villa in Italien und das Konto in der Schweiz, kann sich ein deutsches Gericht nicht per se für zuständig erklären und deutsches Erbrecht anwenden. Es stellen sich vielmehr konkret immer zwei Fragen, nämlich die nach der internationalen Zuständigkeit und die nach dem anwendbaren Recht. Bislang gibt es für das Erbrecht im Internationalen -Zivilverfahrensrecht keine und im Internationalen Privatrecht kaum Regelungen internationalen Ursprungs. Die nationalen Gerichte müssen daher immer entsprechend dem Lex-fori-Grundsatz auf ihr eigenes, nationales Recht zurückgreifen. In Deutschland gelangt man so bislang anhand der Vorschriften der ZPO zur internationalen Zuständigkeit und mittels des EGBGB zum anwendbaren Recht. Selbstverständlich sieht es in den anderen Mitgliedstaaten nicht anders aus, auch diese greifen auf ihr nationales Recht zurück. Und da alle 28 Staaten verschiedene Rechtsordnungen haben, kann es durchaus sein, dass derselbe Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, je nachdem, in welchem Staat ein Gericht angerufen wird. Darüber hinaus kann die aktuelle Gesetzeslage mitunter schon einmal dazu führen, dass ein Gericht eine fremde Rechtsordnung anwenden muss. Dass also beispielsweise ein deutsches Gericht ausländisches Erbrecht anzuwenden hat oder sogar teilweise deutsches, teilweise ausländisches, wenn Vermögen auch im Ausland belegen ist. Es versteht sich von selbst, dass hierbei große Rechtsunsicherheiten entstehen können. Ab dem 17. August dieses Jahres wird das anders. Denn ab dann ist die Erbrechtsverordnung auf alle eintretenden Erbfälle anzuwenden, die in den Mitgliedstaaten einheitlich insbesondere die Zuständigkeit und das anzuwendende Recht regelt. Fortan entscheiden also alle Gerichte in der EU anhand derselben Rechtsvorschriften, welches Gericht im Einzelfall zuständig und welches Recht anwendbar ist. Sie werden im konkreten Einzelfall alle zur Zuständigkeit desselben Gerichts und zur Anwendung desselben Rechts kommen. Die Zeiten des Forum-Shoppings im Erbrecht sind damit passé. Anknüpfungsmoment wird bei der Zuständigkeit und beim anwendbaren Recht nach Artikel 4 bzw. Artikel 21 Absatz 1 EuErbVO jeweils der gewöhnliche Aufenthalt sein. Das heißt, entscheidend ist der Ort bzw. das Land, in dem der Schwerpunkt der familiären oder beruflichen Bindungen des Erblassers zuletzt lagen. Es wird also eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen sein, wobei alle relevanten Tatsachen berücksichtigt werden müssen, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Vorteil desselben Anknüpfungsmoments bei Zuständigkeit und anwendbarem Recht ist, dass nun das zuständige Gericht – mit wenigen Ausnahmen – sein eigenes materielles Erbrecht anwenden können wird. Mit der Verankerung des Aufenthaltsprinzips wird das dem deutschen Recht vertraute Staatsangehörigkeitsprinzip des Artikel 25 EGBGB endlich abgelöst. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Mobilität der europäischen Bürger findet sich darin nun endlich eine zeitgemäße und praktikable Regelung, wie sie in den Haager Übereinkommen im Übrigen schon längst praktiziert wird. Die Verordnung gewährleistet damit eine ordnungsgemäße Rechtspflege innerhalb der Union und eine wirkliche Verbindung zwischen dem Nachlass und dem Mitgliedstaat, in dem die Erbsache abgewickelt wird. Um das Ganze nun ein wenig anschaulicher zu machen, möchte ich auf mein eingangs genanntes Beispiel zurückkommen: Ab August wird es nun nicht mehr relevant sein, welche Staatsangehörigkeit der Erblasser hatte oder wo sein Nachlass belegen ist. Zuständig ist ein italienisches Gericht und der Erblasser wird nach italienischem Erbrecht beerbt. Will der Erblasser – aus unserem Beispielsfall – nicht, dass sich seine Erbfolge nach italienischem Recht richtet, kann er nach Artikel 22 Absatz 1 im Testament regeln, dass im Todesfall das Recht des Staates Anwendung findet, dem er bei der Rechtswahl oder bei seinem Tod angehört. In unserem Fall kann er also deutsches Recht wählen. Auch das ist neu. Nach bisherigem deutschen Recht war die Rechtswahl beschränkt auf Grundstücke und auch da nur zugunsten deutschen Rechts möglich. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass Großbritannien, Irland und Dänemark auch diese Verordnung nicht übernommen haben. Das nach der Verordnung maßgebliche Recht ist jedoch auch dann anzuwenden, wenn es sich um das Recht eines Drittstaates handelt. Die Europäische Erbrechtsverordnung beansprucht somit universelle Geltung. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht nun Regelungen vor, dieser Verordnung ab August zur Anwendung zu verhelfen. Gebündelt hat er sie in einem neu zu schaffenden Gesetz, dem sogenannten Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetz. Dessen Anwendbarkeit beschränkt sich konsequenterweise auf die Fälle, in denen die EuErbVO gelten wird. Es regelt insbesondere die örtliche Zuständigkeit, die Zulassung von Zwangsvollstreckungen aus ausländischen erbrechtlichen Titeln sowie die Entgegennahme von Erklärungen der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft. Schließlich enthält der Gesetzentwurf bzw. das Internationale Erbrechtsverfahrensgesetz auch Vorschriften zum von der ErbVO neu eingeführten Europäischen Nachlasszeugnis. Dieses Zeugnis soll, einem Erbschein vergleichbar, zur Umschreibung öffentlicher Register verwendet werden und Erben, Vermächtnisnehmer und Testamentsvollstrecker in allen Mitgliedstaaten, in denen die Verordnung gilt, zu Legitimationszwecken dienen. Voraussetzung für die Erteilung ist, dass das Zeugnis in mehreren Mitgliedstaaten Anwendung findet und nicht nur innerstaatliche Sachverhalte betrifft. Der Gesetzentwurf wird das Europäische Nachlasszeugnis dem deutschen Erbschein in seinen Rechtswirkungen gleichstellen. Gleichzeitig gleicht er die Vorschriften zum Erbschein an die Vorgaben der ErbVO zum Europäischen Nachlasszeugnis an. Ziel ist es, die Zuständigkeit für das Verfahren zur Erteilung eines deutschen Erbscheins und über die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses möglichst bei demselben Gericht zu bündeln. Bezweckt wird auch hier eine erhebliche Vereinfachung bei grenzüberschreitenden Erbfällen. Abschließend lässt sich sagen, dass die Verordnung und das vorliegende umzusetzende Gesetz einen weiteren wichtigen Baustein liefern, um die Freizügigkeit im europäischen Rechtsraum zu erleichtern. Dennis Rohde (SPD): Europa wächst zusammen. Die alten Grenzen der Nationalstaaten, die die Struktur unseres Kontinents lange Zeit bestimmt haben, existieren weiter – aber sie haben einiges ihrer traditionellen Bedeutung eingebüßt. Wir können in unseren Nachbarstaaten reisen, arbeiten, wohnen – und all dies ohne die bürokratischen Maßregelungen, die für die Generation unserer Eltern noch selbstverständlich waren und deren Abschaffung man sich nicht träumen ließ. Auch wenn reaktionäre Nationalstaatsnostalgiker das nicht einsehen mögen: Diese Einigung ist ein hohes Gut. Sie zu bewahren und weiter voranzutreiben, ist für Europas Zukunft unerlässlich – und damit auch für Deutschland. Denn ohne ein starkes, friedliches, geeinigtes Europa fehlen die Voraussetzungen für den Zusammenhalt und den Wohlstand unseres Landes. Durch das Schwinden der nationalen Gegensätze haben sich auch die Lebensentwürfe geändert. Bestimmten vor einigen Jahrzehnten noch Grenzen unsere Lebenswelten, so genießen wir jetzt ungeahnte Freiheiten. Wir studieren im europäischen Ausland, ziehen ungehindert dorthin oder verlagern unseren Lebensmittelpunkt – und können doch jederzeit nach Deutschland zurückkehren. Auch Freundschaft, Ehe und Familie haben die alten Grenzen hinter sich gelassen. Die Europäerinnen und Europäer messen einander nicht mehr vornehmlich an der Staatsangehörigkeit – die europäische Integration hat ganz neue Möglichkeiten des Miteinanders geschaffen, die unseren Kontinent friedlicher, verzahnter und offener machen. Dazu gehört aber auch, dass eine zunehmende Zahl von Menschen in einem anderen Land stirbt als dem, dessen Staatsbürger sie sind. Sei es, weil sie sich im Ruhestand das ersehnte Haus im Süden geleistet haben, oder einfach, weil sich der Lebensmittelpunkt irgendwann verlagert hat – die Gründe sind vielfältig. Unbestritten dagegen ist, dass das Zusammenspiel unterschiedlicher Erbrechtssysteme Schwierigkeiten aufwerfen kann – und eine klare Regelung daher überfällig war. Die EU-Erbrechtsverordnung, der wir heute mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Weg auch in Deutschland ebnen, schafft hier Klarheit. Künftig gilt bei internationalen Erbfällen – diese liegen zum Beispiel vor, wenn ein Deutscher im Ausland stirbt und sein dortiges Haus vererbt – das Erbrecht des Landes, in dem der Verstorbene seinen letzten gewöhnlichen Wohnsitz hatte. Entscheidend ist also nicht mehr die Staatsbürgerschaft, sondern der Wohnort. Damit trägt auch das Erbrecht endlich dem Prinzip der Bewegungsfreiheit Rechnung, das zu einer bedeutenden Entwicklung des Zusammenlebens in Europa beigetragen hat – und das wir entschieden gegen regelmäßig wiederkehrende Bestrebungen, es aufzuweichen oder zu unterlaufen, verteidigen müssen. Zur Einigung in Europa gehört auch, dass Vorschriften und Regularien vereinheitlicht werden, um den gegenseitigen Austausch zu vereinfachen. Der zweite wichtige Aspekt des vorliegenden Gesetzentwurfes ist daher folgerichtig die Eingliederung des Europäischen Nachlasszeugnisses in deutsches Recht. Nicht viel anders als beim Erbschein sollen deutsche Amtsgerichte nun auch europaweit gültige und einheitlich verständliche Nachlasszeugnisse sowie beglaubigte Abschriften ausstellen – damit in Bezug auf Erbfälle in ganz Europa Rechtssicherheit herrscht. Der vorliegende Gesetzentwurf mag im großen Betrieb der Politik auf den ersten Blick nicht besonders bedeutsam erscheinen. Aber er ist stellvertretend für eine Politik der europäischen Einigung, die auch und ganz besonders wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer vorangetrieben haben. Und er steht für eine überlegte, ruhige Sachpolitik, in der man sich auch zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen verständigt, um gemeinsam vernünftige Gesetze voranzubringen. In diesem Sinne ist der heutige Gesetzentwurf nicht nur bedeutsam, sondern hoffentlich sogar richtungsweisend. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Sehr geehrter Leser, wenn ich hier möglicherweise die Argumente meines „Vorredners“ wiederhole, bitte ich um Nachsicht, da ich diese infolge der vereinbarten Protokollreden ja nicht kennen kann. Also: Anlass für diesen Gesetzentwurf ist vor allem die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. L 201 vom 27. Juli 2012, S. 107; L 344 vom 14. Dezember 2012, S. 3; L 41 vom 12. Februar 2013, S. 16; L 60 vom 2. März 2013, S. 140 – ErbVO), welche ab dem 17. August 2015 anzuwenden ist. Die ErbVO gilt für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs, Irlands und Dänemarks. Als Verordnung ist sie in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar anzuwenden mit der Folge, dass sie in ihrem Anwendungsbereich das bislang geltende Recht verdrängt. Gleichwohl bedarf es einiger Durchführungsvorschriften für die Umsetzung. Die Schaffung der notwendigen Verfahrensregelungen zum Europäischen Nachlasszeugnis wurde hier zum Anlass genommen, auch entsprechend sinnvolle Regelungen zum Erbschein zu ändern. Zum einen werden punktuell Vorschriften zum Erbschein an die Vorgaben der ErbVO zum Europäischen Nachlasszeugnis angepasst mit dem Ziel, die Zuständigkeit für das Verfahren zur Erteilung eines deutschen Erbscheins und über die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses möglichst bei demselben Gericht zu bündeln. Zum anderen werden die Anpassungen beim Erbschein zum Anlass genommen, derzeit im Bürgerlichen Gesetzbuch, BGB, enthaltene, rein verfahrensrechtliche Vorschriften zum Erbschein aus systematischen Gründen in das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, FamFG, zu übertragen und dabei zugleich überflüssige Doppelregelungen in BGB und FamFG zu bereinigen. Im Übrigen soll insbesondere eine Regelungslücke im Bereich der Gebühren in Grundbuchsachen geschlossen werden, um die Höhe der bei der Eintragung von Veränderungen eines Gesamtrechts bei verschiedenen Grundbuchämtern zu erhebenden Gebühren auf ein angemessenes Maß zu begrenzen. Bislang herrschte in grenzüberschreitenden Erbschaftsfällen eine große Unsicherheit, welches nationale Recht Anwendung findet. Mit der EU-Verordnung wird dahingehend Rechtssicherheit geschaffen, als dass nunmehr das Recht desjenigen Staates Anwendung findet, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte. Dies würde dann aber auch dazu führen, dass zum Beispiel Deutsche, die ihren Lebensabend im Ausland verbringen, nicht mehr nach deutschem Recht beerbt werden. Dennoch ist diese Regelung vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit zu begrüßen, zumal ein Erblasser testamentarisch nach wie vor die Anwendbarkeit deutschen Rechts festlegen kann. Auch für Erben bringt die Verordnung eine Erleichterung. Denn das durch die Verordnung neu geschaffene Europäische Nachlasszeugnis stellt eine Art internationalen Erbschein dar, der in der gesamten EU Geltung besitzt mit der Folge, dass der Erbe nicht mehr in all den Ländern, in denen der Erblasser Vermögen hinterlassen hat, separat Erbscheine beantragen muss. Das internationale Nachlasszeugnis kann – wie der bisherige Erbschein – beim Notar beantragt werden. Die Konzentrierung der Zuständigkeit für das Verfahren zur Erteilung eines deutschen Erbscheins und über die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses bei demselben Gericht stellt ebenfalls eine Erleichterung dar und ist zu unterstützen. Die Übertragung der derzeit noch im BGB enthaltenen rein verfahrensrechtlichen Vorschriften zum Erbschein in das FamFG ist ebenfalls vor dem rechtssystematischen Hintergrund zu begrüßen. Damit führt die Verordnung im Ergebnis zu deutlichen Erleichterungen bei Erblassern und Erben und zu mehr Rechtssicherheit und einer besseren rechtssystematischen Ordnung. Da der vorliegende Gesetzentwurf letztlich nur der Durchführung der Verordnung im deutschen Recht dient und darüber hinaus die Regelungslücke im Bereich der Gebühren in Grundbuchsachen zugunsten der Betroffenen schließt, sollte diesem zugestimmt werden. In dem Änderungsantrag geht es im Wesentlichen lediglich um redaktionelle Korrekturen, Klarstellungen und Folgeänderungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden muss. Es wird außerdem noch eine Begrenzung der Zusatzgebühr für die Beurkundung in einer fremden Sprache auf 5 000 Euro eingeführt. Wahrscheinlich sind diese Gründe, wie eingangs erwähnt, auch von meinem „Vorredner“ angeführt werden, was ich jedoch leider in Anbetracht der Protokollreden nicht beurteilen kann. Ich gehe jedoch gesichert davon aus, zumal wir uns im Berichterstattergespräch einig waren, dass dem Gesetz zugestimmt werden kann. Alles in allem stimmt die Linke dem Gesetz, wie bereits im Ausschussprotokoll dokumentiert, daher auch in der zweiten und dritten Lesung zu. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir wollen keine Grenzen mehr in Europa. Wir wollen europaweit wohnen, arbeiten, leben und sterben und deswegen am Ende auch europaweit erben. Aber keine Sorge: das materielle Erbrecht wird jetzt nicht europäisiert. Wer von wem in welcher Reihenfolge und in welchem Umfang erbt, bleibt, wie es ist. Allerdings ändert sich das Verfahrensrecht. Durch die Vereinheitlichung der Verfahrensregeln und die Möglichkeit der Rechtswahl wird es für Hinterbliebene aber jetzt einfacher, zum Beispiel in Fällen, in denen der Erblasser oder die Erblasserin zuletzt in einem anderen europäischen Land lebte oder in denen Paare mit unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten ein gemeinsames Testament errichten. Denn ab dem 17. August 2015 gelten im Erbrecht in fast allen EU-Mitgliedstaaten einheitliche Verfahrensregeln. Die Hinterbliebenen müssen sich beispielsweise nicht mehr um die Anerkennung ausländischer Gerichtsurteile kümmern, sondern wenden sich an das Gericht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers bzw. der Erblasserin. Auch ist es nun möglich, durch eine Rechtswahl die Nachlassspaltung zu vermeiden. Es ist nur noch ein Recht anwendbar für den gesamten Nachlass und nicht mehr unterschiedliches Recht, je nachdem, ob es sich um Grund und Boden oder um bewegliches Vermögen handelt, wie es derzeit in einigen europäischen Rechtsordnungen der Fall ist. Die Einführung des Europäischen Nachlasszeugnisses vereinfacht und vereinheitlicht den Nachweis im Rechtsverkehr. Der deutsche Erbschein bleibt aber erhalten. Das ist gut; denn er ist anders als das Europäische Nachlasszeugnis von seiner Gültigkeitsdauer nicht begrenzt. Beantragt wird das Europäische Nachlasszeugnis beim Gericht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers oder der Erblasserin. Somit ist es für die Erben einfacher, zu wissen, an wen sie sich wenden müssen, wenn sie ihr Erbe antreten möchten. Bei aller Vereinfachung bleiben aber auch Unsicherheiten: Bei gemeinschaftlichen Testamenten, wie dem Berliner Testament, muss man jetzt darauf achten, dass eine Bindung des überlebenden Ehegatten anderswo oft so nicht möglich ist. Gleiches gilt für die Testamentsvollstreckung. Auch das Pflichtteilsrecht kann sehr unterschiedlich sein. Hier wird es nach wie vor gut sein, sich beraten zu lassen. Schutzlücken gibt es bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Denn nicht in allen EU-Mitgliedstaaten werden Lebenspartnerschaften gesetzlich anerkannt, sodass sich hieraus eine mögliche Diskriminierung ergeben kann und die Rechtswahl beispielsweise bei gemeinschaftlichen Testamenten faktisch ins Leere läuft, wenn der hinterbliebene Partner oder die hinterbliebene Partnerin die Nachlassbeteiligung nicht durchsetzen kann. Denn die Frage, ob eine Partnerschaft überhaupt besteht, richtet sich nicht nach der Erbrechtsverordnung, sondern nach dem Recht, das an dem Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts gilt. Zwar können auch hier die Partner oder Partnerinnen von der Möglichkeit der Rechtswahl Gebrauch machen, doch kann es sein, dass Pflichtteilansprüche anderer Angehöriger bestehen bleiben. Eine Lösung für diese Fragen des Personenstandsrechts hätte eigentlich schon auf europäischer Ebene gefunden werden sollen, doch wurden auch bei den Durchführungsbestimmungen auf nationaler Ebene die verbleibenden, kleinen Gestaltungsspielräume leider nicht genutzt. Es gibt sicher noch viele weitere Baustellen im Erbrecht, über die es sich lohnen würde zu debattieren. Ich denke zum Beispiel an die Berücksichtigung von Pflegeleistungen beim Pflichtteilsrecht. Mit dem heutigen Gesetz wird das Erbrecht zwar nicht revolutioniert, aber eine sinnvolle Anpassung von Verfahrensvorschriften an die europäische Verordnung vorgenommen. Dem wird auch die grüne Fraktion ihre Zustimmung erteilen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 25) Olav Gutting (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf, welcher 13 Maßnahmen aufgreift, die der Bundesrat im Zollkodex-Anpassungsgesetz vorgeschlagen hatte und die nach der zugesagten fachlichen Prüfung umgesetzt werden können. Gleichzeitig wollen wir aber auch andere, aus unserer Sicht notwendige Änderungen mit diesem Gesetz vornehmen. Ganz glücklich bin ich mit dem aktuellen Gesetzentwurf noch nicht. Das fängt schon bei der Namensgebung an. Während die jährlichen notwendigen Anpassungen an das Steuerrecht in der Vergangenheit in den jeweiligen Jahressteuergesetzen vorgenommen wurden, geschieht dies nunmehr zunehmend in Trägergesetzen, die nicht zwingend im Titel auf den steuerlichen Bezug, wie zum Beispiel im Kroatiengesetz, dem Zollkodex-Anpassungsgesetz oder wie in dem hier beratenen Protokoll-erklärungsumsetzungsgesetz hinweisen. Mit diesem Gesetz werden nun vorrangig Wünsche des Bundesrates umgesetzt. Wir geben damit auch ein Signal an die Länder, dass wir bereit sind, sinnvolle steuerliche Anpassungswünsche des Bundesrates aufzugreifen. Dies ist jedoch keine Einbahnstraße, und ich appelliere an den Bundesrat, bei anderen Gesetzgebungsvorhaben des Bundestages auch einzulenken und die immer wieder gefahrene Blockadepolitik aufzuheben. Ich denke dabei insbesondere an zwei wichtige Gesetzgebungsverfahren – steuerliche Absetzbarkeit der energetischen Sanierung und Abbau der kalten Progression – der letzten Legislaturperiode, die aufgrund der Blockade des von Rot-Grün dominierten Bundesrates scheiterten. Auch wenn der vorliegende Gesetzentwurf überwiegend unproblematische Maßnahmen enthält, bedürfen einige Regelungen bei den zukünftigen Beratungen besonderer Aufmerksamkeit. Klärungsbedarf gibt es für uns beispielsweise bei der geplanten Schließung von Lücken im Umwandlungssteuergesetz, explizit beim § 20 Absatz 2 UmwStG. Wir halten die vorgesehene Änderung des UmwStG nicht für zwingend erforderlich, da eine systemwidrige Lücke – die geschlossen werden muss – überhaupt nicht vorliegt. Nun ist die Änderung im Koalitionsvertrag vereinbart, wir sollten aber nochmals prüfen, ob tatsächlich ein reales Bedürfnis hierfür besteht. Gerade bei diesem Thema bin ich auf eine Anhörung der Sachverständigen gespannt, zumal die Maßnahme allein aufgrund eines prominenten Einzelfalls Einzug in die politische Diskussion und die vermeintliche Notwendigkeit einer Lückenschließung gefunden hat. Weiterhin werden wir über eine Anhörung und die Beratungen klären müssen, ob wir mit der vermeintlichen Lückenschließung gestaltende steuerfreie Umstrukturierungen tatsächlich verhindern können. In den zukünftigen Beratungen ist von uns ebenfalls zu klären, ob die vorgesehene Mittelstandskomponente ausreichend für Umstrukturierungen im Mittelstand ist. Bedeutend ist unter Steuervereinfachungsaspekten auch der Wegfall des Funktionsbenennungserfordernisses. Wir von der Union setzen uns seit Jahren für Steuervereinfachung und Entbürokratisierung ein. Wir wollen mit dieser Regelung bei den Unternehmen Anwendungsunsicherheiten nehmen und gegebenenfalls Erleichterungen bei der Finanzierung zukünftiger Anschaffungen erreichen. Leider haben sich die Länder zu dieser Steuervereinfachung bereits negativ geäußert. Das Gesetzgebungsverfahren steht jedoch noch ganz am Anfang, und auch die Länder haben in ihrer Stellungnahme weitere 27 Maßnahmen gefordert, die überwiegend auch schon im Zollkodex-Anpassungsgesetz gefordert und bereits geprüft wurden. Es gibt daher zwischen allen Beteiligten noch genügend Gesprächsbedarf. Der Gesetzentwurf ist deshalb in den Finanzausschuss zu überweisen. Ich freue mich dort auf eine aufschlussreiche Sachverständigenanhörung und auf eine erfolgreiche Beratung. Dr. Jens Zimmermann (SPD): Wir beraten heute in erster Lesung das Gesetz zur Umsetzung des Protokolls zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften. Der Name des Gesetzentwurfes sagt es schon: Viele der im vorliegenden Gesetzentwurf formulierten Maßnahmen enthielt schon das Zollkodex-Anpassungsgesetz, das Jahressteuergesetz 2015. Mit vorliegendem Gesetzentwurf wird die Protokollerklärung der Bundesregierung zum Zollkodex-Anpassungsgesetz umgesetzt und viele der Länderanträge aus diesem Verfahren nach Prüfung durch die Bundesregierung in einem eigenen Steuergesetz aufgegriffen. Wie im Jahresssteuergesetz 2015 finden sich auch in diesem Vorschlag wieder eine Reihe an redaktionellen Änderungsvorschlägen durch das deutsche Steuerrecht hindurch, die politisch unstrittig sind. Es ist deshalb nicht nötig, auf jeden einzelnen Änderungsvorschlag einzugehen. Auch die unstrittigen Änderungen sind allerdings wichtig, um den Finanzbehörden in den Ländern ihre Arbeit zu erleichtern. Auch wenn das Protokollumsetzungsgesetz einen nicht ganz so umfangreichen Maßnahmenkatalog enthält wie das Zollkodex-Anpassungsgesetz: Hier gibt es ebenfalls wieder einige wichtige inhaltliche Punkte, über die wir im Gesetzgebungsverfahren sicherlich intensiv mit unserem Koalitionspartner, mit den Ländern und mit den Sachverständigen diskutieren werden. Einige dieser Punkte möchte ich kurz ansprechen. Bereits in den Verhandlungen zum Kroatien-Anpassungsgesetz und zum Zollkodex-Anpassungsgesetz haben wir als SPD-Bundestagsfraktion gezeigt, dass wir es ernst meinen damit, den Missbrauch des Steuerrechts zu verhindern und der Ausnutzung von Regelungslücken im deutschen Steuerrecht einen Riegel vorzuschieben. Steuersparmodelle, mit denen jeder ehrliche Steuerzahler verhöhnt wird, können und wollen wir nicht länger tolerieren. Deshalb werden auch in diesem Gesetzgebungsverfahren die vorgeschlagenen Änderungen zur Schließung von Lücken im Umwandlungssteuerrecht für uns als SPD-Bundestagfraktion eine wichtige Rolle spielen. Der im Jahre 2012 abgelaufene „Porsche-Deal“ kann als Musterbeispiel für solche Steuervermeidungsmodelle gelten. Im Jahre 2012 hat Volkswagen den Automobilhersteller Porsche übernommen, und zwar dadurch, dass VW eine einzelne Stammaktie auf die Porsche Holding SE übertragen hat. Das Finanzamt Stuttgart hat den Erwerb nicht als Kauf bewertet, bei dem die üblichen Steuern angefallen wären. Stattdessen wurde dies als Umstrukturierung nach dem Umwandlungssteuergesetz eingestuft. Dies hatte eine Steuerbefreiung zur Folge. Auch wenn diese Gestaltung nach geltendem Recht legal war: Gewünscht ist sie nicht. Denn bei dieser gezielten Steuervermeidung sind dem Staat 1,5 Milliarden Euro vorenthalten worden. Wir müssen solche Fälle zukünftig vermeiden. In den Berichterstattergesprächen zum Zollkodex--Anpassungsgesetz konnten wir uns mit unserem Koalitionspartner bereits auf konkrete Eckwerte für eine Neuregelung bei Einbringungen nach dem Umwandlungssteuerrecht einigen. Der jetzige Vorschlag sieht vor, dass die Gegenleistungen bei Einbringungen auf 25 Prozent oder 300 000 Euro des Buchwerts des eingebrachten Betriebsvermögens begrenzt werden sollen. Ich erwarte, dass es bei diesem Punkt nur noch um Detailfragen gehen wird. Auch unser Koalitionspartner sollte ein großes Interesse daran haben, dass ein Anteilstausch wie im Falle des VW-Porsche-Deals nicht mehr systemwidrig steuerfrei gestaltet werden kann. Ich freue mich in dieser Frage auf konstruktive Verhandlungen. Denn Bund und Länder können hier gemeinsam ein wichtiges Zeichen gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung setzen. Hier gilt unverändert die Devise: Je früher, desto besser. Dieser Grundsatz gilt auch für andere gesetzgeberische Schritte gegen Steuertricks: Im Gesetzgebungsverfahren zum Zollkodex-Anpassungsgesetz haben sich die Regierungskoalitionen gemeinsam mit den Ländern darauf geeinigt, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten, die konkrete Vorschläge für einen Gesetzentwurf zur Umsetzung des BEPS-Maßnahmenpaketes der OECD erarbeitet. Wir begrüßen die Einrichtung der Arbeitsgruppe ausdrücklich. Wir teilen aber auch die kritischen Hinweise der Länder in ihren Empfehlungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Denn bisher hat die Bund-Länder-Arbeitsgruppe schlicht nicht oft genug getagt, um eine Vorlage für einen Gesetzentwurf auszuarbeiten. In der Protokollerklärung zum Zollkodex-Anpassungsgesetz ist aber festgehalten, dass die Arbeitsgruppe zeitnah einen Vorschlag vorlegt. Das war eine der Bedingungen für die SPD-Bundestagfraktion und die SPD-geführten Länder, auf eine Regelung gegen hybride Finanzierungen im Steuerrecht im Verfahren zum Zollkodex-Anpassungsgesetz zu verzichten. Jetzt muss die Arbeitsgruppe auch liefern. Und das funktioniert nur, wenn diese regelmäßig tagt. Sicherlich intensiv diskutieren werden wir innerhalb der Regierungskoalition über eine Maßnahme im Gesetzentwurf, die die Abschaffung des Investitionsbenennungserfordernisses beim Investitionsabzugsbetrag – geregelt im § 7 g im Einkommensteuergesetz – vorsieht. Bisher war es für den Abzugsbetrag notwendig, dass die Funktion des begünstigenden Wirtschaftsgutes angegeben werden musste. Auf diese Angabe soll nunmehr verzichtet werden. Das hätte zur Folge, dass der Steuerpflichtige zukünftig ohne weitere Angaben Abzugsbeträge für künftige Investitionen bis zu einem unveränderten Höchstbetrag von 200 000 Euro gewinnmindernd abziehen könnte. Auch wenn sich an den sonstigen Regelungen zum Investitionsabzugsbetrag nichts ändert: Es gibt gute Gründe dafür, die in der Gesetzesbegründung angegebenen steuerlichen Mindereinnahmen von 40 Millionen Euro jährlich anzuzweifeln. Dass die Angabe der Investitionsabsicht wegfällt, birgt die Gefahr, dass Investi-tionsabzugsbeträge missbräuchlich in Anspruch genommen werden, um beispielsweise Steuerzahlungen um bis zu drei Jahre hinauszuzögern. Wir teilen hier deshalb die Bedenken der Länder. Bei der Anwendung der 44-Euro-Freigrenze für Sachbezüge wird es auch weiterhin bei der bisherigen Praxis bleiben. Der Bundesrat schlägt hier erneut – wie im Verfahren zum Zollkodex-Anpassungsgesetz – vor, die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes bei der Abgrenzung von Sachbezügen und Geldleistungen einzuschränken. Dieser hat mit einigen Urteilen Gutscheine, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber gestellt werden, den Sachbezügen zugeordnet. Damit sind diese Leistungen bis 44 Euro monatlich für den Arbeitnehmer steuerfrei. Viele Beschäftigte freuen sich über diese kleine finanzielle Entlastung. Diese Steuerfreiheit wieder abzuschaffen, würde Arbeitnehmer unnötig belasten. Hier teilen wir die Einschätzung der Bunderegierung uneingeschränkt. Diesen Antrag des Bundesrates werden wir deshalb erneut ablehnen. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende der Verhandlungen zu einer guten Lösung kommen werden. Richard Pitterle (DIE LINKE): Hinter diesem „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ verbirgt sich ein weiteres Jahressteuergesetz. Leider scheut sich die Bundesregierung mal wieder, das Kind dann auch beim Namen zu nennen und wählt stattdessen diesen umständlichen Namen. Aber auch das lenkt nicht davon ab, dass die Steuerpolitik der Großen Koalition ein einziges Chaos ist. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie schleppen sich von Jahressteuergesetz zu Jahressteuergesetz, ohne dass Sie nennenswert vorankämen – das ist eine Flickschusterei sondergleichen! Diese Flickschusterei geht zudem zum Teil auf einen traurigen Zweikampf zwischen Bundestag und Bundesrat zurück. Mit seinem Entwurf eines Steuervereinfachungsgesetzes hat der Bundesrat bereits 2013 verschiedene Vorschläge in den Bundestag eingebracht. Doch die Große Koalition im Bundestag hat sich bisher sehr schwergetan, angemessen darauf einzugehen, und auch dieser Gesetzentwurf ist da ein eher halbherziger Versuch. Zu Recht hat sich der Bundesrat beschwert, dass seine Vorlage in verfassungsrechtlich fragwürdiger Weise einfach ignoriert wurde. Denn nach Artikel 76 des Grundgesetzes hat der Bundestag über Vorlagen in angemessener Frist zu beraten und Beschluss zu fassen. An dieser Stelle möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren von Union und SPD, raten, vielleicht etwas öfter einen Blick ins Grundgesetz zu werfen; Sie scheinen da stets ein wenig unsicher zu sein, wenn es um dessen Einhaltung geht. Von diesem chaotischen Verfahrensgang einmal abgesehen, erscheint Ihr Gesetzentwurf, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, bislang auch inhaltlich wenig überzeugend. Auffallend ist vor allem, dass Sie Maßnahmen gegen Steuerumgehung mal wieder verschieben, anstatt hier endlich Handfestes zu liefern. Zum Beispiel versäumen Sie es, sich endlich der Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen anzunehmen und ermöglichen es grenzüberschreitend tätigen Unternehmen, auf diese Weise weiterhin eine doppelte Nichtbesteuerung oder einen doppelten Betriebsausgabenabzug zu erreichen. Stattdessen errichten Sie zu diesem Thema erst mal eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die bisher noch keine nennenswerten Ergebnisse hervorgebracht hat. Auch die Steuerpflicht für Veräußerungsgewinne aus Streubesitzanteilen haben Sie auf die lange Bank geschoben, obwohl hier ein bekanntes Steuerschlupfloch besteht. Ob Sie Ihre Ankündigung, dies dann in der Reform des Investmentsteuergesetzes anzugehen, auch wahrmachen, bleibt noch abzuwarten. An dieser Stelle müssen Sie sich mal wieder fragen lassen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, für wen Sie eigentlich Politik machen in diesem Land? Für die vielen ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler oder für grenzüberschreitend tätige Konzerne, denen Sie weiterhin Zeit geben, um weiter auf Kosten der Allgemeinheit Kasse zu machen. Damit ist die Liste Ihrer Versäumnisse leider noch nicht am Ende. Auch um eine Befassung mit der vom Bundesrat wiederholt angemahnten Erhöhung des Arbeitnehmer-Pauschbetrages und der Pauschbeträge für behinderte Menschen haben Sie sich gedrückt. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, bei den Beratungen haben Sie die Gelegenheit, meine Kritik durch Taten zu widerlegen. Daher bin ich auf die kommenden Beratungen bereits gespannt. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hinter dem Namen Zollkodex-Anpassungsgesetz verbirgt sich das Jahressteuergesetz der Bundesregierung aus dem letzten Jahr, in dem verschiedene steuerliche Änderungen vorgenommen wurden. Dieses Gesetz hat mal wieder bestätigt, dass die Bundesregierung steuerpolitisch keinerlei Ambitionen hat. Dabei sind eine Reihe von wichtigen Themen längst überfällig, auf die wir auch in unserem Entschließungsantrag hingewiesen hatten: zum Beispiel bei der Umsatzsteuer die unsinnigen Branchensubventionen abzuschaffen oder bei den Unternehmensteuern die Bevorzugung großer Konzerne zulasten der kleinen und mittleren Unternehmen zu beseitigen. Es ist schon bemerkenswert, wie untätig der Finanzminister sich hier gibt. Auch die Bundesländer sahen zu Recht viele ihrer wichtigen Anliegen, insbesondere zur Bekämpfung von Steuergestaltung, nicht berücksichtigt und wollten daher den Vermittlungsausschuss anrufen. Dazu kam es aber nicht. Anstelle von zeitgerechten und wichtigen Korrekturen einigte man sich nach langem Hin und Her darauf, dass die Bundesregierung in einer Protokollerklärung versprach, noch offene und zu prüfende Ländervorschläge Anfang 2015 in einem Steuergesetz aufzugreifen. Über dieses Projekt diskutieren wir heute. Es heißt „Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ – man muss sich dieses Wortungetüm einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die zentrale Botschaft dieser Überschrift ist: Nur etwas für Spezialisten, nichts für den normalen Bürger. Wir Grünen erwarten jetzt, dass die Bundesregierung den Kampf gegen Steuergestaltung nicht länger verschleppt, sondern gute Vorschläge vorlegt. Aber ist dies der Fall? Die Gestaltungsmöglichkeiten im Umwandlungssteuerrecht werden mit diesem Gesetz eingeschränkt. Dies begrüßen wir; damit ist eine unserer Forderungen umgesetzt worden. Ein zweiter wichtiger offener Punkt war, hybride Gestaltungen endlich zu besteuern. Auch hierauf haben wir in unserem Entschließungsantrag Ende letzten Jahres hingewiesen. Aktuell werden diese Finanzinstrumente vielfach nicht besteuert, weil die Steuersysteme der einzelnen Länder sehr unterschiedlich sind. So ist zum Beispiel in einem Land eine Zinszahlung eine abziehbare Betriebsausgabe und in dem anderen Land wird diese als Dividendenertrag freigestellt. Diese Unterschiede bei der Qualifizierung bestimmter Zahlungen sind seit vielen Jahren bekannt. Die Lösung ist, sogenannte Korrespondenzregelungen einzuführen, das heißt die unterschiedlichen Regelungen der Länder zu verzahnen. Hierzu hat die OECD im Rahmen des BEPS-Projektes Vorschläge gemacht. Das würde bedeuten, den Betriebsausgabenabzug von Zahlungen ins Ausland zu versagen, wenn diese Zahlung beim Empfänger steuerfrei gestellt ist. So wird verhindert, dass Unternehmen in keinem der beiden Länder Steuern zahlen. Die Bundesregierung hatte in ihrer Protokollerklärung versprochen, Anfang 2015 eine Bund-Länder-Arbeitsg