Plenarprotokoll 18/115 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 115. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 I n h a l t : Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 11035 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 und 30 11036 C Nachträgliche Ausschussüberweisung 11036 C Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Michael Brand, Kerstin Griese, Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung Drucksache 18/5373 11036 D b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl Lauterbach, Burkhard Lischka und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz) Drucksache 18/5374 11037 A c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring, Luise Amtsberg und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung Drucksache 18/5375 11037 A d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter Beyer, Hubert Hüppe und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung Drucksache 18/5376 11037 B Michael Brand (CDU/CSU) 11037 D Kerstin Griese (SPD) 11039 A Peter Hintze (CDU/CSU) 11040 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11041 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 11043 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 11044 B Dr. Carola Reimann (SPD) 11045 B Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 11046 B Thomas Dörflinger (CDU/CSU) 11047 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11048 A Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU) 11049 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11049 D Hubert Hüppe (CDU/CSU) 11050 D Michael Frieser (CDU/CSU) 11051 D Dr. Karl Lauterbach (SPD) 11052 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 11053 C Detlef Müller (Chemnitz) (SPD) 11054 C Johannes Singhammer (CDU/CSU) 11055 C Arnold Vaatz (CDU/CSU) 11056 B Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) 11057 A Burkhard Lischka (SPD) 11058 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11059 B Dr. Katarina Barley (SPD) 11060 B Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) 11061 B René Röspel (SPD) 11062 B Rudolf Henke (CDU/CSU) 11063 B Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) Drucksache 18/5372 11065 A b) Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Versorgungsqualität und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verbessern – Bedarfsgerechte Personalbemessung gesetzlich regeln Drucksache 18/5369 11065 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Versorgung, gute Arbeit – Krankenhäuser zukunftsfest machen Drucksache 18/5381 11065 B Hermann Gröhe, Bundesminister BMG 11065 B Harald Weinberg (DIE LINKE) 11066 C Dr. Karl Lauterbach (SPD) 11068 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11070 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) 11070 D Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11072 B Marina Kermer (SPD) 11073 B Jens Spahn (CDU/CSU) 11074 C Dr. Edgar Franke (SPD) 11076 B Lothar Riebsamen (CDU/CSU) 11077 B Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Medizinische Versorgung für Asylsuchende und Geduldete diskriminierungsfrei sichern Drucksache 18/5370 11078 C Harald Weinberg (DIE LINKE) 11078 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) 11079 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11081 D Hilde Mattheis (SPD) 11083 A Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11083 C Heiko Schmelzle (CDU/CSU) 11084 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 11086 A Rudolf Henke (CDU/CSU) 11087 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 11087 D Mechthild Rawert (SPD) 11087 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11089 A Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) 11090 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11091 B Bettina Müller (SPD) 11092 C Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von Nagoya vom 29. Oktober 2010 über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt Drucksache 18/5219 11093 D b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt und zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden Drucksache 18/5268 11093 D c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes über die internationale Zusammenarbeit zur Durchführung von Sanktionsrecht der Vereinten Nationen und über die internationale Rechtshilfe auf Hoher See sowie zur Änderung seerechtlicher Vorschriften Drucksache 18/5269 11094 A d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten Drucksache 18/5271 11094 A e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes Drucksache 18/5273 11094 A f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten Drucksache 18/5295 11094 B g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes Drucksache 18/5321 11094 B h) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Wahl von Betriebsräten erleichtern und die betriebliche Interessenvertretung sicherstellen Drucksache 18/5327 11094 C Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr Drucksache 18/981 11094 C b) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Netzneutralität als Voraussetzung für eine gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern Drucksache 18/5382 11094 C c) Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform der Pflegeausbildung auf gesichertes Fundament stellen Drucksache 18/5383 11094 D Tagesordnungspunkt 37: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2014 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 7. September 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksachen 18/5172, 18/5403 11095 B b)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208 und 209 zu Petitionen Drucksachen 18/5231, 18/5232, 18/5233, 18/5234, 18/5235, 18/5236, 18/5237, 18/5238 11095 C Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz gemäß § 93 a Absatz 3 der Geschäftsordnung: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens – KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13 hier: Einvernehmensherstellung gemäß § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647, 18/3385, 18/3427, 18/5355, 18/5411 11096 B b)–k) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218 und 219 zu Petitionen Drucksachen 18/5389, 18/5390, 18/5391, 18/5392, 18/5393, 18/5394, 18/5395, 18/5396, 18/5397, 18/5398 11096 C Kerstin Kassner (DIE LINKE) 11097 A Tagesordnungspunkt 7: Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ Drucksachen 18/5364, 18/5365 11098 A Sigrid Hupach (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) 11098 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die Sicherheitslage nach den jüngsten islamistischen Anschlägen 11098 D Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 11099 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) 11100 C Dr. Rolf Mützenich (SPD) 11101 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11102 B Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) 11104 A Thomas Lutze (DIE LINKE) 11105 C Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 11106 C Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU) 11107 C Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11108 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 11110 B Gabriela Heinrich (SPD) 11111 B Jürgen Klimke (CDU/CSU) 11112 B Marian Wendt (CDU/CSU) 11113 A Tagesordnungspunkt 8: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohngeld-rechts und zur Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes (WoGRefG) Drucksachen 18/4897 (neu), 18/5324 11114 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5328 11114 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 11114 B Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 11115 A Yvonne Magwas (CDU/CSU) 11116 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11118 B Steffen-Claudio Lemme (SPD) 11119 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 11120 A Michael Groß (SPD) 11121 A Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg (Hamburg), Christina Schwarzer, Ursula Groden-Kranich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sönke Rix, Susann Rüthrich, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstellen Drucksachen 18/3833, 18/4988 11122 B b) Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs umfassend sicherstellen Drucksache 18/5106 11122 C Susann Rüthrich (SPD) 11122 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 11123 D Christina Schwarzer (CDU/CSU) 11125 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11126 B Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 11127 B Kerstin Tack (SPD) 11128 C Maik Beermann (CDU/CSU) 11129 B Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Suizidprävention verbessern und Menschen in Krisen unterstützen Drucksache 18/5104 11130 C Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11130 C Reiner Meier (CDU/CSU) 11131 D Birgit Wöllert (DIE LINKE) 11132 D Helga Kühn-Mengel (SPD) 11133 D Tino Sorge (CDU/CSU) 11134 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11135 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11136 B Dirk Heidenblut (SPD) 11137 A Rudolf Henke (CDU/CSU) 11138 A Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten Drucksachen 18/4901, 18/5412 11139 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 11139 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) 11140 B Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 11141 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11142 D Michael Thews (SPD) 11144 A Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 11145 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen Drucksache 18/5227 11146 B Katrin Werner (DIE LINKE) 11146 C Uwe Schummer (CDU/CSU) 11147 C Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11149 B Kerstin Tack (SPD) 11150 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 11151 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) 11153 A Tagesordnungspunkt 13: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung Drucksachen 18/4097, 18/4199, 18/5420 11154 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5421 11154 A b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung des Schutzes von Ehe und Familie im Aufenthaltsrecht Drucksache 18/3268 11154 B Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 11154 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 11155 D Rüdiger Veit (SPD) 11156 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 11157 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11159 A Rüdiger Veit (SPD) 11160 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) 11160 D Namentliche Abstimmungen 11162 A, B, C , 11170 C Ergebnisse 11162 D, 11165 A, 11167 B, 11172 C Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen Drucksachen 18/4215, 18/4316, 18/5417 11170 D Dr. Nina Scheer (SPD) 11171 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 11174 B Jens Koeppen (CDU/CSU) 11175 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11177 A Namentliche Abstimmungen 11178 B, C Ergebnisse 11181 D, 11184 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre Drucksachen 18/4630, 18/5419 11178 C Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 11178 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 11179 D Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) 11180 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11186 B Helmut Brandt (CDU/CSU) 11187 C Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umgang mit Atommüll – Defizite des Entwurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms beheben und Konsequenzen aus dem Atommülldesaster ziehen Drucksache 18/5228 11188 B Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 11188 C Steffen Kanitz (CDU/CSU) 11189 B Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11191 C Hiltrud Lotze (SPD) 11192 B Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Transparenzinitiative der Europäischen Kommission mitgestalten – Bewährte Standards im Handwerk und in den Freien Berufen erhalten Drucksache 18/5217 11193 D Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jemen – Militärische Intervention stoppen – Neue Friedensverhandlungen beginnen Drucksache 18/5380 11194 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11194 B Thorsten Frei (CDU/CSU) 11195 B Christine Buchholz (DIE LINKE) 11196 B Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 11197 B Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden Drucksachen 18/4422, 18/5368 11198 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Tabea Rößner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zur digitalen Bildung umsetzen Drucksache 18/5105 11199 A Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Karl Schiewerling, Jutta Eckenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kerstin Tack, Katja Mast, Dr. Matthias Bartke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Integra-tionsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen Drucksache 18/5377 11199 B Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glaubensfreiheit Drucksachen 18/5206, 18/5408 11199 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes und des Tiergesundheitsgesetzes Drucksachen 18/4892, 18/5413 11199 C Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes Drucksachen 18/4656, 18/4947, 18/5414 11200 A Tagesordnungspunkt 24: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes Drucksachen 18/4625, 18/5404 11200 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5410 11200 B Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas über 2018 hinaus verlängern Drucksache 18/5378 11200 C Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung Drucksache 18/5294 11200 D Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen Drucksachen 18/5173, 18/5220, 18/5409 11201 A Tagesordnungspunkt 28: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Bürokratieentlastungsgesetz) Drucksachen 18/4948, 18/5418 11201 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Dieter Janecek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bürokratie gezielt abbauen statt Stillstand manifestieren Drucksachen 18/4693, 18/5418 11201 B Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg als wissenschaftlicher Sachverständiger im Rahmen der Evaluierung der Gefahrenabwehrbefugnisse nach den §§ 4a, 20j und 20k des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) Drucksache 18/5379 11201 D Nächste Sitzung 11202 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 11203 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbst-tötung (Tagesordnungspunkt 4) 11203 B Heike Brehmer (CDU/CSU) 11203 B Ansgar Heveling (CDU/CSU) 11204 A Michaela Noll (CDU/CSU) 11205 C Johannes Selle (CDU/CSU) 11206 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 11206 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) 11207 B Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) 11208 C Dr. Eva Högl (SPD) 11209 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 11210 D Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11211 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11212 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11214 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kersten Steinke, Dr. Dietmar Bartsch, Matthias W. Birkwald, Kerstin Kassner, Cornelia Möhring und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu den Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 215 und 217 zu Petitionen (Drucksachen 18/5394, 18/5396) (Zusatztagesordnungspunkte 4 g und 4 i) 11215 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Wahlvorschlag auf Drucksache 18/5365 (Tagesordnungspunkt 7) 11216 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marco Bülow, Dr. Lars Castellucci, Christina Kampmann, Kirsten Lühmann, Andreas Rimkus, Gülistan Yüksel (alle SPD) zur -Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungs-punkt 13 a) 11216 B Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Hilde Mattheis (beide SPD) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) 11216 D Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Mindrup und Mechthild Rawert (beide SPD) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) 11217 A Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) 11219 C Bärbel Bas (SPD) 11219 C Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 11220 C Dr. Karamba Diaby (SPD) 11220 D Swen Schulz (Spandau) (SPD) 11221 C Frank Schwabe (SPD) 11221 C Stefan Schwartze (SPD) 11221 D Rainer Spiering (SPD) 11222 B Sonja Steffen (SPD) 11222 B Christoph Strässer (SPD) 11222 D Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) 11223 A Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marco Bülow, Dr. Lars Castellucci, Dr. Ute Finckh-Krämer, Christina Kampmann, Kirsten Lühmann, Andreas Rimkus und Gülistan Yüksel (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE zu der dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufent-haltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) 11223 D Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Uwe Beckmeyer, Dr. Karl-Heinz Brunner, Dr. Lars Castellucci, Elvira Drobinski-Weiß, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Ulrike Gottschalck, Ulrich Hampel, Dirk Heidenblut, Gabriela Heinrich, Frank Junge, Ralf Kapschack, Gabriele Katzmarek, Ulrich Kelber, Dr. Bärbel Kofler, Daniela Kolbe, Birgit Kömpel, Christine Lambrecht, Steffen-Claudio Lemme, Hiltrud Lotze, Kirsten Lühmann, Dr. Birgit Malecha-Nissen, Dr. Matthias Miersch, Susanne Mittag, Markus Paschke, Detlev Pilger, Sabine Poschmann, Dr. Simone Raatz, Mechthild Rawert, Gerold Reichenbach, Andreas Rimkus, Susann Rüthrich, Bernd Rützel, Johann Saathoff, Annette Sawade, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Dr. Nina Scheer, Dr. Dorothee Schlegel, Swen Schulz (Spandau), Norbert Spinrath, Svenja Stadler, Kerstin Tack, Michael Thews, Dr. Karin Thissen, Carsten Träger, Gabi Weber und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) 11224 C Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) und Josip Juratovic (beide SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) 11225 B Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Hilde Mattheis (beide SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) 11226 C Anlage 14 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) 11227 B Heike Baehrens (SPD) 11227 B Marco Bülow (SPD) 11228 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 11229 A Ulli Nissen (SPD) 11229 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Transparenzinitiative der Europäischen Kommission mitgestalten – Bewährte Standards im Handwerk und in den Freien Berufen erhalten (Tagesordnungspunkt 15) 11230 B Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) 11230 B Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 11231 B Sabine Poschmann (SPD) 11232 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 11232 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11233 D Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Jemen – Militärische Intervention stoppen – Neue Friedensverhandlungen beginnen (Tagesordnungspunkt 14) 11234 B Niels Annen (SPD) 11234 D Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden – Antrag: Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zur digitalen Bildung umsetzen (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesordnungspunkt 7) 11236 A Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) 11236 A Sven Volmering (CDU/CSU) 11237 B Saskia Esken (SPD) 11238 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 11239 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11240 B Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen (Tagesordnungspunkt 19) 11241 A Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 11241 B Uwe Schummer (CDU/CSU) 11242 A Kerstin Tack (SPD) 11243 A Katrin Werner (DIE LINKE) 11244 C Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11245 B Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glaubensfreiheit (Tagesordnungspunkt 21) 11245 D Erika Steinbach (CDU/CSU) 11245 D Frank Schwabe (SPD) 11246 C Christine Buchholz (DIE LINKE) 11248 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11249 B Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des -Fischetikettierungsgesetzes und des Tiergesundheitsgesetzes (Tagesordnungspunkt 22) 11250 A Thomas Mahlberg (CDU/CSU) 11250 A Alois Rainer (CDU/CSU) 11250 D Johann Saathoff (SPD) 11251 B Karin Binder (DIE LINKE) 11252 B Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11253 A Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes (Tagesordnungs-punkt 23) 11253 C Kordula Kovac (CDU/CSU) 11253 C Gustav Herzog (SPD) 11254 C Roland Claus (DIE LINKE) 11255 B Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11255 C Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMEL 11256 B Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes (Tagesordnungspunkt 24) 11257 B Heinrich Zertik (CDU/CSU) 11257 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 11258 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 11259 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11259 D Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas über 2018 hinaus verlängern (Tagesordnungspunkt 25) 11260 A Steffen Bilger (CDU/CSU) 11260 A Norbert Schindler (CDU/CSU) 11260 D Christian Petry (SPD) 11261 D Andreas Rimkus (SPD) 11262 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 11263 B Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11263 D Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung (Tagesordnungspunkt 26) 11265 A Uwe Feiler (CDU/CSU) 11265 A Ingrid Arndt-Brauer (SPD) 11265 D Frank Tempel (DIE LINKE) 11266 C Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11267 B Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 11268 A Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (Tagesordnungspunkt 27) 11269 C Uwe Feiler (CDU/CSU) 11269 C Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) 11270 A Andreas Schwarz (SPD) 11270 D Richard Pitterle (DIE LINKE) 11271 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11272 B Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Bürokratieentlastungsgesetz) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Bürokratie gezielt abbauen statt Stillstand manifestieren (Tagesordnungspunkte 28 a und b) 11273 A Helmut Nowak (CDU/CSU) 11273 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 11274 C Andrea Wicklein (SPD) 11275 C Michael Schlecht (DIE LINKE) 11276 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11276 D Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg als wissenschaftlicher Sachverständiger im Rahmen der Evaluierung der Gefahrenabwehrbefugnisse nach den §§ 4a, 20j und 20k des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) (Tagesordnungspunkt 29) 11278 A Clemens Binninger (CDU/CSU) 11278 A Uli Grötsch (SPD) 11279 A Frank Tempel (DIE LINKE) 11279 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 11280 C Inhaltsverzeichnis 115. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 Beginn: 9.02 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer Plenarsitzung. Es gibt einige interfraktionelle Vereinbarungen zur Erweiterung unserer Tagesordnung. Ich verweise auf die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte, bei denen von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden soll: ZP 1 Vereinbarte Debatte zur Situation nach dem Auslaufen des -Finanzhilfeprogramms für Griechenland ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Rolle des Bundes beim Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG (ZP 1 und ZP 2 siehe 114. Sitzung) ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 36) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr Drucksache 18/981 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Netzneutralität als Voraussetzung für eine -gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern Drucksache 18/5382 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Federführung strittig c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reform der Pflegeausbildung auf gesichertes Fundament stellen Drucksache 18/5383 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 37) a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) gemäß § 93a Absatz 3 der Geschäftsordnung zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13 hier: Einvernehmensherstellung gemäß § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647, 18/3385, 18/3427, 18/5355, 18/5411 b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 210 zu Petitionen Drucksache 18/5389 c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 211 zu Petitionen Drucksache 18/5390 d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 212 zu Petitionen Drucksache 18/5391 e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 213 zu Petitionen Drucksache 18/5392 f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 214 zu Petitionen Drucksache 18/5393 g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 215 zu Petitionen Drucksache 18/5394 h) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 216 zu Petitionen Drucksache 18/5395 i) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 217 zu Petitionen Drucksache 18/5396 j) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 218 zu Petitionen Drucksache 18/5397 k) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 219 zu Petitionen Drucksache 18/5398 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die Sicherheitslage nach den jüngsten islamistischen Anschlägen ZP 6 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre Drucksache 18/4630 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/5419 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Tabea Rößner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zur digitalen Bildung umsetzen Drucksache 18/5105 Die Tagesordnungspunkte 6 – hier geht es um die Beratung von Vorlagen zum Thema „Altersarmut Ost“ – und 30 – hier geht es um Vorlagen zum Thema „Fracking in Deutschland“ – sollen abgesetzt werden. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 17. Juni 2015 (111. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss (8. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur -Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) Drucksache 18/5170 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Veränderungen einverstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann haben wir das so beschlossen. Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 4 auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Michael Brand, Kerstin Griese, Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung Drucksache 18/5373 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl Lauterbach, Burkhard Lischka und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten -Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz) Drucksache 18/5374 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Dr. Petra Sitte, Kai Gehring, Luise Amtsberg und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung Drucksache 18/5375 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter Beyer, Hubert Hüppe und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung Drucksache 18/5376 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Tagesordnungspunkt setzen wir die Arbeit an einem der sicherlich anspruchsvollsten und zugleich schwierigsten Gesetzgebungsprojekte dieser Legislaturperiode fort. Im November vergangenen Jahres haben wir uns in einer vierstündigen Orientierungsdebatte mit der Frage auseinandergesetzt, wie der Staat seine unaufgebbare Verpflichtung zum Schutz des Lebens und zum Schutz der Menschenwürde auch und gerade gegenüber dem sterbenden Menschen wahrnehmen kann. Daraus sind die vier Gesetzentwürfe entstanden, in deren Beratung wir heute eintreten. Die Antworten auf diese Frage kann nur jeder Abgeordnete für sich selber finden. Die Fraktionen haben -daher wie die Bundesregierung von vornherein darauf verzichtet, eigene Gesetzentwürfe vorzulegen, und es stattdessen jedem einzelnen, jeder einzelnen Abgeordneten überlassen, fraktionsübergreifend seine eigene Position zu formulieren und dafür jeweils Unterstützung zu gewinnen. Ich trage das insbesondere auch für unsere Besucherinnen und Besucher und die Zuhörer bei den elektronischen Medien vor, weil sich daraus ein etwas unüblicher Debattenablauf ergibt. Die Aufteilung der nach der interfraktionellen Vereinbarung vorgesehenen Debattenzeit von 120 Minuten soll sich im Wesentlichen nach dem Stärkeverhältnis der Anzahl der Unterzeichner der jeweiligen vier Gesetzentwürfe richten. Das ist, wie Sie alle wissen, eine Abweichung von unserem sonstigen Verfahren, die aber diesem Thema und der geschilderten Entstehung dieser Gesetzentwürfe Rechnung trägt. Die vier von mir zu Beginn genannten Gesetzentwürfe haben genügend Unterstützung gefunden, um nach unserer Geschäftsordnung heute in erster Lesung beraten werden zu können. An diese heutige Debatte wird sich eine intensive Befassung in den Ausschüssen anschließen, bevor wir dann im Herbst dieses Jahres werden entscheiden müssen, ob und gegebenenfalls welche Ergänzungen oder Korrekturen der geltenden Rechtslage erfolgen sollen. Ich will ergänzend darauf hinweisen, dass es die Vereinbarung gibt, dass die Reden der Kolleginnen und Kollegen, deren Redewunsch im Rahmen dieser zwei Stunden nicht berücksichtigt werden kann, in einem einer Redezeit von fünf Minuten entsprechenden Umfang zu Protokoll gegeben werden können. Ich vermute, dass Sie auch mit dieser Vereinbarung einverstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann verfahren wir so.1 Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort als erstem Redner dem Kollegen Michael Brand. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Michael Brand (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der Orientierungsdebatte im November des letzten Jahres und danach eine würdige Debatte um Sterbebegleitung, um die Würde des Lebens auch an seinem Ende geführt. Die gesellschaftliche Erörterung des Themas Sterben haben wir dadurch ein gutes Stück aus der Tabuzone holen können. Auch was die Debatte unter uns Abgeordneten angeht, bin ich sehr froh und möchte heute dafür danken, dass wir gerade auch bei unterschiedlichen Haltungen den Respekt voreinander gepflegt haben. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Schon weit vor der Debatte vom letzten November haben wir in einer Gruppe von Abgeordneten aus allen Fraktionen immer wieder die Frage erörtert: Wie können wir erreichen, dass starker Schutz und die gute Begleitung am Ende des Lebens auch miteinander harmonieren? Wir suchten dabei von Anfang an die richtige Mischung aus menschlichen und medizinischen Antworten, nämlich bestehend aus einer deutlichen Stärkung der Palliativ- und Hospizversorgung, guter Pflege und Ausbildung sowie vor allem menschlicher Zuwendung für die Menschen in Not, für die Sterbenden. Unser Leitsatz war und ist: Sterbende sollten an der Hand und nicht durch die Hand eines Mitmenschen sterben. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Es ist ein tiefer Respekt vor der Einzigartigkeit und der Würde eines jeden Menschen, der zu dem Gesetzentwurf geführt hat, den wir Ihnen heute vorschlagen. Dabei ist wichtig: Angehörige und nahestehende Personen behalten den Status wie bisher; wir wollen hier keine Verschärfung. Das gilt auch für Ärzte. Wir schützen mit unserem Gesetz das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient auch in der finalen Phase; denn wir wissen: Das Strafrecht kann auch gar nicht jeden Einzelfall lösen. (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt!) Wir wollen lediglich die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe von Vereinen oder Einzelpersonen – die auf Wiederholung angelegt ist – verbieten, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Unser Ansatz ist ein Weg der Mitte: Wir wollen weder weitreichende neue Strafbarkeiten wie ein Totalverbot noch die Öffnung hin zum ärztlich assistierten Suizid oder gar mehr. Die inzwischen über 210 Abgeordneten, die unseren Ansatz unterstützen, wollen auch einen Weg der Mitte: maßvoll, sensibel, ohne auf der einen oder auf der anderen Seite zu weit zu gehen. Wir wollen die Risiken vermeiden, die wir in Nachbarländern entdeckt haben. Die enorme, steigende Zahl der Todesursache Suizidbeihilfe oder gar Töten auf Verlangen in einigen Nachbarländern gibt Anlass zur Sorge auch mit Blick auf die Ausweitung von Suizidbeihilfe in Deutschland. Nach eingehender Analyse haben wir uns auf nur zwei Dinge konzentriert: Erstens soll das geschäftsmäßige Angebot von Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt und damit eine Regelungslücke geschlossen werden, die inzwischen offen ausgenutzt wird. Als die Regelung von Suizid im Jahre 1871 eingeführt wurde, konnte von geschäftsmäßig arbeitenden Sterbehilfevereinen oder Einzelpersonen niemand etwas wissen. Das Zweite, auf das wir geachtet haben: Wir wollen keine Öffnung zum ärztlich assistierten Suizid, sondern stattdessen einen Ausbau der Hilfen, und zwar flächendeckend. Wir wissen um die großartigen Möglichkeiten moderner palliativer Medizin, und wir wissen um die segensreiche Wirkung der Hospizbewegung. Hier sind sich alle Gruppen im Deutschen Bundestag einig: Wir wollen diese Hilfen verstärken, und wir zollen allen ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseren allergrößten Respekt. (Beifall im ganzen Hause) Für uns sind es zwei Seiten ein und derselben Medaille: Wir wollen helfen, und wir wollen schützen. Dabei ist darauf zu achten, dass es keine falschen Kompromisse gibt. Wir wollen – wie die große Mehrheit der Ärzteschaft – auf keinen Fall, dass Beihilfe zum Suizid zu einer regulären Option ärztlichen Handelns wird. Das aber droht, wenn wir diese Tür öffnen. Wird diese Tür einen Spalt breit geöffnet, ist der Fuß erst einmal drin, dann wird die Tür immer weiter geöffnet; das zeigt die traurige Entwicklung in Nachbarländern, die auch mit engen Kriterien begonnen haben. Die Kriterien – sie halten einfach nicht, sie werden aufgeweicht. Wir wissen inzwischen: Auch bei Sterbehilfe schafft Angebot Nachfrage. Viele Tausend sterben so inzwischen jedes Jahr in Belgien, in den Niederlanden und auch in der Schweiz. Jüngstes Beispiel – und wohl nicht das Ende der Entwicklung – ist ein Fall aus Belgien, bei dem einer ansonsten völlig gesunden 24-Jährigen wegen ihres Suizidwunsches von Ärzten aktive Hilfe beim Suizid angeboten wurde. Laut dem dort auch so genannten -Euthanasiegesetz ist das in Belgien erlaubt, wenn sich ein Mensch – ich will das zitieren – „in einer medizinisch aussichtslosen Lage befindet und auf ein anhaltendes, unerträgliches körperliches oder psychisches Leid zurückblickt“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so ist das mit den sogenannten „engen Kriterien“, die weit dehnbare Begriffe wie „unerträglich“ beinhalten: Auch vermeintlich enge Kriterien halten nicht, sie werden immer weiter gedehnt. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Wir wollen solch eine Entwicklung nicht. Wir wollen vielmehr die Selbstbestimmung von Menschen in Not schützen und eben keine Entwicklung, die Menschen mit ihrer Not und ihrer Last alleine lässt; das kann niemand wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Sterbende begleitet: Ich bin mit einem durch ein jahrzehntelanges Krebsleiden schwer gezeichneten Vater aufgewachsen. Wir haben es uns mit diesem Gesetzentwurf nicht einfach gemacht – weil es hier keine einfachen Antworten gibt. Aber eines haben wir getan: Wir wollen die schleichende Ausweitung eines geschäftsmäßigen Umgangs mit dem Sterben eindämmen. Verzweifelten Menschen sollte man die Verzweiflung nehmen, nicht das Leben. Wir wollen die Würde bewahren, wir wollen schützen und helfen. Helfen Sie uns dabei! Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Kerstin Griese (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über ein Leben in Würde und ein Sterben in Würde sprechen, dann muss uns klar sein, dass wir zuallererst Hilfe für die Menschen brauchen, die von Leid, Schmerzen und Einsamkeit betroffen sind. Wir brauchen bessere Informationen und eine Aufklärung über Behandlungsmöglichkeiten und auch über das Recht auf Abbruch von Therapien. Daneben brauchen wir Wissen über die besonders wichtige Bedeutung von Patientenverfügungen und einen Ausbau der Hospizarbeit und der Palliativmedizin. Es ist sehr gut, dass wir uns hierüber alle einig sind. Heute sprechen wir darüber, was rechtlich geändert werden muss. Mit unserem Gruppen-Gesetzentwurf wollen wir die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Ich stimme meinem Kollegen Michael Brand zu: Wir schlagen einen Weg der Mitte vor. Das garantiert unser Gesetzentwurf. Er sagt ein klares Nein zu Vereinen und Einzelpersonen, die wiederholt und als Geschäft Sterbehilfe betreiben. Gleichzeitig sichert unser Gesetzentwurf, dass die bestehenden ärztlichen Behandlungsmöglichkeiten erhalten bleiben, und das ist uns sehr wichtig. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Die Deutsche PalliativStiftung, der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband, die Deutsche Stiftung Patientenschutz und viele Menschen, die in Hospizen und in der ambulanten und stationären Palliativversorgung arbeiten, haben uns bei diesem Gesetzentwurf beraten und unterstützt. Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig ändern wollen. Wir wollen deshalb nur so wenig wie möglich ändern, weil wir in Deutschland gute gesetzliche Grundlagen haben. Unser Gesetzentwurf garantiert, dass es so bleibt. Der Suizid und damit auch die Beihilfe zum Suizid bleiben straffrei. Das zu ändern, wie es im Gesetzentwurf Sensburg vorgeschlagen wird, wäre falsch. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Auf der anderen Seite ist es richtig, dass die Tötung auf Verlangen, also die aktive Sterbehilfe, wie bisher strafbar bleibt. Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Der ärztliche Freiraum, den es heute gibt und der sicher ist, soll erhalten bleiben; denn die Ärztinnen und Ärzte müssen in schwierigen ethischen Situation individuell helfen und entscheiden können, und das geht auch heute schon. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Auch heute sind die passive Sterbehilfe, die indirekte Sterbehilfe und auch die palliative Sedierung schon erlaubt, weil es die Absicht der Ärztinnen und Ärzte ist, Schmerzen zu lindern. Unser Gesetzentwurf schafft kein Sonderrecht für Ärzte. Sie werden weder kriminalisiert, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist gut!) noch sollen sie besondere Rechte erhalten. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Wir formulieren ausdrücklich, dass die Absicht der Förderung der Selbsttötung, also das Ziel des Todes, vorliegen muss, damit eine Handlung strafbar ist. Ich sage es noch einmal ganz konkret: Der Onkologe auf der Krebsstation, die Ärztin auf der Palliativstation und die ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter in der Hospizarbeit machen sich nach diesem Gesetzentwurf nicht strafbar. Ihre Absicht ist die Linderung von Leid und Schmerzen, auch wenn es, wie bei der palliativen Sedierung, sein kann, dass das Leben in manchen Fällen verkürzt wird. Aber der Tod ist eben nicht das Ziel und die Absicht, und damit bleibt dies nicht strafbar. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Was meinen wir damit, dass wir nur so viel wie nötig ändern? Unser Gesetzentwurf bewirkt, dass die Tätigkeit sogenannter Sterbehilfevereine oder von Einzelpersonen, die geschäftsmäßig, also wiederholt und als Hauptzweck ihrer Tätigkeit, die Selbsttötung von Menschen fördern und vermitteln, unter Strafe gestellt wird. Ganz klar ist: Wir wollen kein Geschäft mit dem Tod, wir wollen keine Normalisierung des assistierten Suizids, der quasi als Dienstleistung unter bestimmten Bedingungen abrufbar ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir haben die Sorge, dass dann, wenn das Normalität wäre, der Druck auf Menschen in verzweifelten Situationen steigen würde und dass aus der Angst, jemandem zur Last zu fallen, zu schnell der Wunsch nach dem Tod entstünde, obwohl doch eigentlich Hilfe möglich wäre. Die Entwicklung in anderen Ländern Europas zeigt, dass das passiert. Wir wollen keine Hilfe zum Sterben, sondern wir wollen Hilfe beim Sterben. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) In Deutschland betreibt ein sogenannter Sterbehilfeverein den assistierten Suizid. Er bietet ihn nicht nur schwerkranken Menschen, sondern auch lebensmüden und psychisch kranken Menschen an, was ich für besonders verwerflich halte. Man bekommt bei „Sterbehilfe Deutschland“ die Suizidbegleitung, wie es in der Satzung heißt, besonders zügig, wenn man 7 000 Euro bezahlt. Für 2 000 Euro muss man ein Jahr warten und für 200 Euro jährlich mindestens drei Jahre. Dieses Geschäft mit dem Tod halte ich für ethisch nicht tragbar. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Die Tätigkeit solcher Vereine muss unterbunden werden – übrigens auch dann, wenn sie kein Geld damit verdienen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Recht auf ein würdiges und selbstbestimmtes Ende des Lebens ist allen Menschen wichtig. Die Achtung vor dem Leben – auch vor dem leidenden, dem schwerkranken und dem behinderten Leben – gehört zur Selbstbestimmung dazu. Ich möchte in einer sorgenden und solidarischen Gesellschaft leben und alt werden, in der die Antwort auf Einsamkeit, Leid und Not nicht der assistierte Suizid im -Angebot, sondern Hilfe, Betreuung und eine sehr gute Palliativversorgung ist. Zu einer humanen Gesellschaft gehört das Sterben in Würde und nicht die Dienstleistung „Suizid auf Abruf“ nach bestimmten Bedingungen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Wenn man, wie das in einem anderen Gesetzentwurf gefordert wird, im BGB Bedingungen festschreibt, nach denen der Arzt Hilfe zum Suizid leisten soll, würde damit keine Rechtssicherheit geschaffen; das will ich ausdrücklich sagen. Erstens. Ärzte haben schon heute viele Möglichkeiten, beim Suizid zu helfen. Es ist noch nie ein Arzt für das, was er in diesem Zusammenhang getan hat, belangt worden. Außerdem bleibt es eine Gewissensentscheidung des Arztes, und zwar im Dialog mit dem Patienten und nur mit seinem Einverständnis. Zweitens. Die Auflistung von Bedingungen im BGB, nach denen der Arzt Beihilfe zum Suizid leisten soll, würde eine ethische Normverschiebung bedeuten, die wir nicht wollen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Kerstin Griese (SPD): Wir stellen uns mit unserem Gesetzentwurf einer gesellschaftlichen Normalisierung und einer Ausweitung des assistierten Suizids entgegen und bitten dafür um Ihre Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Peter Hintze. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Peter Hintze (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 150 Jahren, seit dem deutschen Kaiserreich, ist die Hilfe zum Suizid straflos. Dieser Grundsatz muss auch in einem demokratischen Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts weiter gelten. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Nicht Staatsanwälte gehören ans Krankenbett, sondern liebende Angehörige und vertrauensvoll zugewandte Ärzte. Das Recht des leidenden Menschen, zu entscheiden, ob er die Qual seines Todeskampfes noch ertragen kann, muss unser Maßstab sein. Mir erzählte gestern ein Kameramann spontan von einem Bekannten, dessen Gesicht von einem Tumor zerfressen war. Im Rahmen der Palliativmedizin war nichts mehr zu machen. In seiner Verzweiflung sprang dieser Mensch aus dem Krankenhausfenster. Er starb durch den Aufprall. – Wir wollen nicht, dass sich ein verzweifelter Todkranker aus dem Fenster stürzen muss, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Die große Mehrheit der Bevölkerung und die große Mehrheit der Strafrechtswissenschaft lehnen eine Strafverschärfung ab. Der Bundestag sollte der Anwalt der Menschen, der Anwalt der Bürger sein. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ein Wort zum Mitte-Gesetzentwurf – so nennt er sich selbst – der Kollegen Brand und Griese. Darin heißt es, es gehe lediglich um ein Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe. Was aber ist „geschäftsmäßige Suizidhilfe“? Geschäftsmäßige Suizidhilfe ist wiederholte Suizidhilfe. (Michael Brand [CDU/CSU]: Auf Wiederholung angelegt!) Das heißt, ein Arzt, der einmal bei einem Suizid geholfen hat und gefragt wird, ob er das vielleicht noch einmal tun würde, macht sich schon strafbar. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Das ist doch gar nicht wahr!) Wenn er es zweimal macht, macht er sich schon strafbar. (Kerstin Griese [SPD]: Nein!) Wer das nicht glaubt, der schaue bitte in den Gesetzentwurf der Kollegen Brand und Griese auf Seite 21. Das steht dort in der Begründung; das haben Sie selber netterweise dort geschrieben. Der Begriff „geschäftsmäßig“ ist im deutschen Recht klar definiert. Er bedeutet „wiederholte Tätigkeit“. (Kerstin Griese [SPD]: Auf Wiederholung angelegt!) Wer könnte wiederholt tätig werden? Die Menschen, die Sterbende begleiten, also Palliativmediziner, die sich um die Linderung von Schmerzen bemühen, Onkologen, die sich um die Heilung einer Krebserkrankung kümmern. Wollen wir sie vor die Wahl stellen, ob sie, wenn sie einmal in ihrem Leben einem Menschen geholfen haben, zu sterben, dies noch ein zweites Mal tun würden, oder sollen sie unter die Strafandrohung im Brand/Griese-Gesetzentwurf fallen, der es ihnen verbieten würde? Das wollen wir nicht. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Das zerstört das Arzt-Patienten-Verhältnis. Unsere Ärzte stehen den Patienten bei. Sie versuchen, sie zu heilen. Sie versuchen, Schmerzen zu lindern. Sie machen alles in ihrer Macht Stehende, um Menschen ein Leben und ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Die Ärzte verdienen unser Vertrauen und keine neuen Strafvorschriften, die sie verunsichern, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Die Bevölkerung hat es nicht verdient, dass man sie mit Angstparolen (Kerstin Griese [SPD]: Genau! Das machen Sie!) von einem großen gesellschaftlichen Druck, der dadurch entstehen würde, und einer Tendenz, die die Menschen dazu treiben würde, verschreckt. Nein, die Menschen wollen selbstbestimmt leben; das ist der Kern der Menschenwürde. Sie wollen auch in der schlimmsten Phase ihres Lebens, im Sterbeprozess, entscheiden, ob sie dieses Sterben ertragen oder ob sie den Arzt bitten können, ihnen zu helfen, friedlich zu entschlafen, was jeder Mensch will. Die Selbstbestimmung ist der Kern der Menschenwürde. Sie gilt gerade auch am Ende des Lebens. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns geht es um die Situationen, in denen die Palliativmedizin an ihre Grenzen stößt. Sie sind selten, aber es gibt sie, und dann sind sie besonders bedrängend. Es geht in diesen Fällen nicht um das Ob des Sterbens, sondern um das Wie des Sterbens: qualvoll oder friedlich? Dabei gilt für mich: Leiden ist immer sinnlos. Leiden müssen wir abwenden. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Unsere Regelung sieht vor, dass todkranke und schwer leidende Menschen ihren Arzt des Vertrauens um eine freiwillige Hilfe zum friedlichen Entschlafen bitten dürfen, wenn sie umfassend über alle palliativen Möglichkeiten beraten worden sind und ein anderer Arzt diese Diagnose bestätigt hat. Damit wollen wir Ärzten für ihre Gewissensentscheidung eine sichere Grundlage geben, und durch diese Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch wollen wir sicherstellen, dass sie keine standesrechtlichen Sanktionen erdulden müssen. In manchen Ländern in Deutschland müssen sie das schon heute nicht, zum Beispiel im liberalen Bayern, was sehr erfreulich ist. Das, was in Bayern gilt, soll in ganz Deutschland gelten, nämlich dass der Arzt das Recht auf diese Gewissensentscheidung hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zwei zentrale Gebote tragen unsere Werteordnung: das Gebot der Menschenwürde und das Gebot der Nächstenliebe. Diese Gebote nehmen uns in die Pflicht, todkranken Menschen beizustehen und vorm Leiden zu bewahren. Die Alternative heute ist klar: Bevormundung durch Strafandrohung oder Selbstbestimmung als Kern der Menschenwürde auch am Lebensende. Unser Gesetzentwurf steht für den Schutz der Gewissensentscheidung von Ärzten, die todkranken Patienten dabei helfen wollen, friedlich zu entschlafen. Ich bitte Sie sehr um Unterstützung für unseren Gesetzentwurf. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Präsident Dr. Norbert Lammert: Renate Künast ist die nächste Rednerin. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren, auch die, die zuschauen oder oben sitzen! Ich glaube, es geht um ein Thema, das sehr viele Menschen bewegt. Ich denke, viele von uns haben es persönlich in vielen Gesprächen in der letzten Zeit – auch wegen unserer Debatte – erlebt, dass einen Menschen ansprechen und Veranstaltungen zu dem Thema übervoll sind. Alle fragen sich: Was ist ein würdiges Ende für mich selbst? Alle fragen sich oder erleben bei Freundinnen, Freunden, Ehepartnern und Familienangehörigen, wie ein würdiges Ende aussehen kann. Auch bei Krebskranken zum Beispiel ist die Frage immer wieder präsent. Mir haben sehr viele Leute gesagt, dass es nicht ausreicht und ihnen nicht hilft, zu wissen, dass es eine gute Palliativmedizin gibt, weil auch die irgendwann an ihre Grenzen kommt, abgesehen davon, dass die Palliativversorgung in Deutschland noch lange nicht überall gleichermaßen gut ist. Mir ist aber auch aufgefallen, wie viele Leute einen ansprechen und sagen: Das entscheiden wir selber und nicht ihr als Deutscher Bundestag. (Kerstin Griese [SPD]: Das können sie auch selber!) Viele Leute sagen: Das sollt nicht ihr regeln; wir machen das selbstverantwortlich. Wir leben selbstverantwortlich, und wir entscheiden selbst und im Gespräch mit unseren Angehörigen über die letzten Tage, Wochen und Monate unseres Lebens. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Deshalb fragen sich viele, was wir hier eigentlich für Debatten führen. Ich glaube, dass wir als Deutscher Bundestag uns in dieser Debatte nicht nur über Gefahren Gedanken machen müssen – das müssen wir immer –, sondern auch darüber, was uns selbst als Motiv in der Debatte treibt. Ich habe es an dieser Stelle schon einmal gesagt: Wir sollen nicht das im Strafgesetzbuch regeln, was wir selbst für richtig oder falsch halten, für uns selber und unsere Entscheidung, sondern wir sollen das regeln, was ein Gesetzgeber unserer Meinung nach tun darf. Wenn wir zu viel regeln und zu viel einschränken, nehmen wir den Menschen die Möglichkeit der Ausübung ihrer Selbstbestimmung am Lebensende, weil wir ihr Umfeld kriminalisieren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Nikolaus Schneider, der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat für sich selber eine Entscheidung getroffen. Er meint: Suizid geht nicht. Und er würde auch keinen anderen fragen. Aber die Erkrankung seiner Frau hat, fand ich, eine spannende Differenzierung gebracht, indem er gesagt hat: Mir steht es nicht zu, und ich habe deshalb wider meine eigene moralische Kategorie meiner Frau gesagt: Ich fahre dich dort hin oder helfe dir, wenn du das ernsthaft von mir erbittest. – Ich finde, diese Haltung müssen wir als Bundestag ebenfalls einnehmen. Wir dürfen die Türen nicht dort schließen, wo sie bereits heutzutage offen sind und wo es Chancen gibt. Herr Brand, Sie haben gesagt: Keine Tür aufmachen. – Falsch, Herr Brand! Die Tür ist bereits offen. Aber wir als Deutscher Bundestag dürfen die Tür nicht dort zuschlagen, wo Menschen eine Beratung und ein Gespräch wollen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Mich hat beeindruckt, wie viele Menschen – dazu gehört auch Hans Küng, ein gläubiger Mensch und überzeugter Christ – das ebenfalls sagen. Es gibt aber auch Phasen am Ende eines Lebens, in denen man sich anders entscheiden könnte. Was ist unsere Aufgabe? Ich glaube, unsere Aufgabe ist, nicht das Strafgesetzbuch zu ändern, sondern Beratung und Hilfe anzubieten und Suizidprävention zu betreiben. Aber warum tun wir das dann nicht, Frau Griese? Warum stellen wir in den Kern unserer Bemühungen nicht Suizidprävention, eine andere Palliativ-medizin und Hilfe für Menschen in bestimmten Lebenssituationen und schauen dann in ein paar Jahren, ob es überhaupt eine Notwendigkeit gibt, das, was seit 1871 im deutschen Strafgesetzbuch gilt, zu ändern? Ich verstehe den in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehenen Ablauf nicht. Ich glaube, Menschen brauchen keine Regeln, die in Paragrafen gegossen sind und ihrem Umfeld Probleme bereiten, selbst dem behandelnden Arzt. Ein Onkologe beispielsweise, der in diesem Zusammenhang auf Wiederholung angelegte Handlungen begeht, muss gemäß den anderen Gesetzentwürfen mit Nein antworten, weil er sich sonst dem Vorwurf der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aussetzt. Schauen Sie sich Ihre Definition von „geschäftsmäßiger Förderung“ an. Man kann sogar ein Geschäft machen, ohne dass Geld fließt. „Geschäftsmäßig“ bedeutet nach Ihrem Gesetzentwurf, dass sich ein Arzt strafbar macht, wenn er es dreimal gemacht hat; da hat der Kollege Hintze recht. Was die Menschen brauchen, sind Offenheit und Beratung. In meinem ersten Leben war ich Sozialarbeiterin. Spätestens seit dieser Zeit weiß ich: Eine gute Beratung setzt Offenheit voraus. Ein Arzt darf deshalb nicht als Erstes sagen müssen: Nein, das mache ich nicht. – Vielmehr muss er sagen dürfen: Schauen wir einmal, ob wir dorthin kommen; ich schließe es nicht aus. – Oder der Arzt könnte antworten: Versuchen wir es mit bestimmten Mitteln; reden wir später erneut darüber. – Nach meiner Meinung ließe sich mit einer solchen Offenheit viel mehr Suizidprävention betreiben. Lassen wir die betreffenden Menschen doch nicht allein, auch wenn wir in religiöser Hinsicht anderer Auffassung sind. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Ich glaube, dass Sie auch den Ärzten an dieser Stelle keinen Gefallen tun. Nach meiner Auffassung enthält das geltende Strafgesetzbuch eine gute Regelung, weil sie – anders als im Gesetzwurf Hintze – keine Engführung bei Definition und Prognose vornimmt. Auch Menschen, die unter einer schweren Krankheit leiden, die laut Prognose in den nächsten Wochen und Monaten nicht zwingend zum Tod führen wird, müssen die Möglichkeit einer ordentlichen Beratung haben. Wir müssen uns selbst bei Menschen, die Suizid begehen wollen, mit der Frage auseinandersetzen, wie sie das in Würde tun können. Auch das liegt nach meiner Auffassung in unserer Verantwortung. Mich erschrecken die Bilder von Menschen, die sich – das haben auch schon Prominente getan – vor den Zug werfen. Ich halte das für unwürdig. Mich trifft emotional ebenfalls, wenn ich sehe, wie viele Lokomotivführer nach einem solchen Vorfall psychisch völlig fertig sind und aus dem Berufsleben ausscheiden müssen. Wir haben auch Verantwortung für diejenigen, die erwachsen sind und entschlossen sind, Suizid zu begehen. Das sollten die Betreffenden in Würde tun können, ohne andere zu belasten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ich meine, dass es keine Strafbarkeitslücke gibt. Das Strafrecht, dessen Regelungen seit rund 140 Jahren bestehen, muss Ultima Ratio sein. Wir dürfen das nicht für andere bindend regeln. Wir dürfen nicht unsere eigene Überzeugung zur Grundlage unserer Entscheidungen machen; denn das Grundgesetz sieht nicht vor, dass unser aller Entscheidung umgesetzt wird, sondern, dass das Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen respektiert wird, sowohl im Leben als auch im Sterben. Nach all diesen Überlegungen sage ich Ihnen: Unser Gesetzentwurf ist der Entwurf von Maß und Mitte. Unser Gesetzentwurf orientiert sich am stärksten an der geltenden Rechtslage. Die Selbsttötung soll weiterhin straflos bleiben, genauso wie die Hilfe dazu. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Wir setzen nicht auf Regeln, die beschränken. Wir schreiben nicht vor, dass es eine Prognose geben muss, wonach man in wenigen Wochen nach schwerem Leiden und unter großen Schmerzen stirbt. Unser Kriterium bringt das zum Ausdruck, was im Grundgesetz verankert ist, nämlich dass Hilfe bei freiverantwortlicher Selbsttötung zulässig ist. Was ist Freiverantwortlichkeit? Juristen verstehen das so: Es heißt Volljährigkeit, und es heißt, dass man nicht psychisch erkrankt ist, also seinen Willen wirklich frei äußern kann. Das sind die Kriterien. Wenn diese erfüllt sind, ist eine Beihilfe straffrei. Wir nehmen in unserem Gesetzentwurf auch eine Sorge auf, die manche äußern, nämlich die Sorge, dass Menschen mit Beratung und Beihilfe Geld verdienen wollen, was ein neues Motiv in die Angelegenheit einführen würde. Deshalb haben wir nach langen Überlegungen gesagt, dass gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung bestraft werden soll. Gewerbsmäßig heißt nach juristischer Definition: Wer in der Absicht, sich selber oder einem Dritten eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen will, der handelt gewerbsmäßig. Wer in dieser Absicht handelt und Beihilfe leistet, der macht sich strafbar. Ich glaube, dass wir genug getan haben, um diese Sorge auszudrücken und eine kleine Mauer zu bauen. Damit das finanzielle Interesse nicht als Eigeninteresse in die Beratung hineinspielt, wollen wir da eine Sperre setzen. Ansonsten fordern wir in unserem Entwurf – damit ist er, wie ich glaube, am nächsten an der Realität –, dass es detaillierte Pflichten zur Beratung und Dokumentation gibt. Es geht uns um transparente Beratung. Diejenigen, die schon heute eine gute Beratung anbieten, arbeiten bereits transparent. So sollen zum Beispiel zwischen den beiden Beratungen 14 Tage liegen, damit man wirklich sieht, ob jemand freiverantwortlich und aus freier Entscheidung handelt oder ob er oder sie aus einem Augenblick der Trauer heraus gehandelt hat, der ihn oder sie zu der Entscheidung bewegt hat. Ich glaube, mit diesen beiden Regeln, nämlich einer klaren Dokumentationspflicht und den Beratungskriterien sowie dem Verhindern, dass jemand Geld damit verdient, haben wir an dem, was 140 Jahre im Strafgesetzbuch gegolten hat, genug geändert. Auf der anderen Seite sind wir der im Grundgesetz verankerten Selbstbestimmung gerecht geworden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Menschen in großer Not ist nicht geholfen, wenn wir mit lauter Paragrafen die Möglichkeiten, ihnen zu helfen, eingrenzen, sondern denen ist damit geholfen, wenn wir ihnen eine Hand reichen. Sie brauchen mehr Fürsorge und nicht mehr Strafrechtsparagrafen. Sie brauchen die Verlässlichkeit, dass sie Fürsorge, Unterstützung und Kontakte erhalten. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass sie dann, wenn sie es nicht mehr aushalten, Hilfe bekommen und nicht in die Schweiz fahren müssen. Von Belgien und Holland wollen wir gar nicht reden; darüber diskutiert hier keiner. Ich finde, dass ein Mensch das Recht hat, am Ende, wenn er oder sie meint, es nicht mehr aushalten zu können, professionelle Hilfe zu bekommen. Dessen muss er sich gewiss sein. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube, dass wir ethisch verpflichtet sind, den Menschen diese Tür nicht vor der Nase zuzuschlagen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Sensburg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute darüber, ob ein Dritter einem Selbstmordwilligen bei seiner Tat Hilfe leisten soll, Hilfe leisten darf. Ich glaube, alle Gruppen haben es sich nicht leicht gemacht und haben nach bestem Gewissen bei der Formulierung ihrer Gesetzentwürfe gehandelt. Unsere Gruppe hat einen Entwurf zur heutigen Debatte gestellt, mit dem die Suizidassistenz verboten werden soll. Ich glaube, es ist ein kluger Entwurf. Gerade ist gesagt worden, dass sich der Bundestag zum Anwalt der Menschen machen muss. Ich glaube, lieber Peter Hintze, dass er sich insbesondere zum Anwalt der Schwachen machen muss. Wir sind mit dieser Regelung nicht alleine, wenn der Gesetzentwurf angenommen würde. In vielen anderen europäischen Ländern ist die Suizidassistenz verboten; in Österreich, in Italien, in Finnland, in Spanien, in -Polen und in England haben wir vergleichbare Regelungen. Es ist also keine Sonderregelung. Wir haben uns bei unserem Vorschlag sehr an der österreichischen Regelung orientiert. Wir sind auch gar nicht weit von dem, was die Menschen denken, entfernt. Eine Umfrage von Infratest -dimap hat ergeben, dass 93 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Auffassung sind, dass es verboten sei, jemandem zu helfen, einen Selbstmord zu begehen. Unser Gesetzentwurf spiegelt also das wider, was die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger denkt. Warum denkt sie das? Weil sie in dieser Handlung einen eigenen Unwertgehalt sieht. Denn es ist keine, wie oft gesagt wird, humanitäre Tat, einem Menschen dabei zu helfen, sich umzubringen. Es ist eine humanitäre Tat, ihm in einer schweren Lebenslage zur Seite zu stehen. Es ist nicht, wie es gerade gesagt worden ist, humanitär, dabei zu helfen, den im Kopf vorhandenen Selbstmordwunsch umzusetzen; humanitär ist vielmehr, einem Menschen in Gesprächen zu helfen und ihn dazu zu bewegen, sich nicht umzubringen. Wenn jemand in der letzten Lebensphase ist – mit Leid, auch mit Schmerz –, dann ist es eine humanitäre Tat, ihm beizustehen, vielleicht wochen-, monatelang am Bett zu bleiben und diese Phase gemeinsam zu durchleiden. Eine Alternative dazu ist es nicht, den schnellen Tod durch ein Sterbemittel zu ermöglichen, indem man es zur Verfügung stellt. Das ist der Ansatz des Gesetzentwurfs unserer Gruppe. Wir wissen, dass die Stärkung der Palliativmedizin der richtige Ansatz ist, dass die Ermöglichung von Schmerzmitteln eine Hilfe bietet, auch dann, wenn sie Leben verkürzt. All das soll auch nach dem Gesetzentwurf unserer Gruppe weiter möglich sein. Denn in der letzten Lebensphase – mit Leid und Schmerz – wollen diejenigen, die sagen: „Ich will so nicht mehr leben“, in der Regel einen schnellen und einen schmerzfreien Tod. Deswegen werden sie im Zweifel nach dem Arzt fragen. Wir haben es gerade bei den Ausführungen vom Kollegen Michael Brand gehört: Sobald wir als Gesetzgeber eine Öffnung regeln, sobald wir Fallkonstellationen zu berücksichtigen versuchen, sobald wir versuchen, Krankheiten oder bestimmte Lebenssituationen im Gesetz abzubilden, öffnen wir eine Tür, die den Einzelfällen nicht gerecht wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir glauben, dass wir nur mit einem Verbot grundsätzlich Klarheit schaffen können. Ansonsten werden wir erleben, wie es in dieser Debatte schon der Fall war, dass wir darüber streiten, was der einzelne Gesetzentwurf eigentlich meint. Es ging ja damit los, dass sich gegenseitig vorgeworfen wurde: Ihr meint dieses; ihr habt diese Fälle im Kopf. Ihr meint jenes. – Das wird der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Ich glaube, dass wir mit unserem Gesetzentwurf eine klare Wertentscheidung treffen – das wird vom Gesetzgeber verlangt: eine klare Wertentscheidung –, indem wir in besonderen Ausnahmefällen, wo schweres Leiden besteht, wo keine Heilungsmöglichkeit mehr vorliegt und wo auch Schmerztherapien nicht helfen – wir reden von sehr wenigen Fällen in Deutschland, wo wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern dieser Welt eine exzellente Medizin haben –, wo tatsächlich Suizidassistenz in der Verantwortung der beteiligten Personen geleistet wird, nicht zu einer Strafbarkeit kommen, weil hier – wenn diese Fälle vorliegen, aber auch bitte nur dann – ein Schuldausschließungsgrund vorliegt. Ich wünsche mir, dass wir in diesen wenigen Ausnahmefällen, denen wir alle, glaube ich, sehr nahe sind, kein Verbot, keine Strafbarkeit vorsehen sollten. Wir sollten hieraus aber keine allgemeine Regelung ableiten, weil wir sonst dahin kommen, dass auch Personen, die kerngesund sind, dafür infrage kommen, Suizidassistenz zu erhalten. Das möchte ich nicht, und darum bitte ich, sich mit unserem Gesetzentwurf näher zu beschäftigen. Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kathrin Vogler ist die nächste Rednerin. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir, alle bisherigen Rednerinnen und Redner, die die verschiedenen Gesetzentwürfe vorgestellt haben, sind uns in einem einig: Wir alle wollen nicht, dass mit dem Sterbewunsch von Menschen ein Geschäft gemacht wird. Das ist bisher in allen Reden zum Ausdruck gebracht worden. Worin wir uns aber nicht mehr einig sind, ist, wie dies am besten geregelt werden kann. Man kann es sich in der Frage, wie man mit Menschen umgehen soll, die sich das Leben nehmen wollen, natürlich einfach machen, indem man sagt: Ich glaube, dass das Leben von Gott kommt und der Mensch kein Recht hat, es selbst zu beenden. Deshalb darf auch niemand dabei helfen. – Ich teile diese Vorstellung ausdrücklich nicht. In einer pluralen Gesellschaft wie unserer kann das meines Erachtens auch nicht Grundlage der Gesetzgebung sein. Gerade weil ich nicht an ein Leben nach dem Tod glaube, bin ich der Auffassung, dass jeder Mensch in seiner Einmaligkeit einen besonderen und universellen Wert hat. Jeder Mensch ist sein Leben wert, ganz gleich, ob jung oder alt, arm oder reich, stark oder gebrechlich, mit oder ohne Handicap. Die Aufgabe einer humanistischen Politik muss daher sein, diesen Wert des Menschen auch gegen die Zumutungen einer Leistungs- und Nützlichkeitsgesellschaft wie der unseren zu verteidigen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die selbsternannten Sterbehelfer, die einzeln oder im Verein gezielt Menschen anbieten, ihnen bei der Selbsttötung zu helfen, sind meines Erachtens Ausdruck einer Ideologie, die nur allzu gut in unsere kapitalistische Gesellschaft passt. Sie wollen den Tod optimieren, indem sie ihn effizient und technisch perfekt zu einer jederzeit verfügbaren Dienstleistung machen. Dafür werben sie. Ich halte dies für unmenschlich und zynisch, für ein böses Spiel mit den ganz realen Nöten und Ängsten von Menschen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unser Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung von Suizid ist geeignet, dieses zynische Geschäftsmodell zu unterbinden, ohne dabei den Suizid selbst oder die Beteiligung daran grundsätzlich oder für bestimmte Personen unter Strafe zu stellen. Um es noch einmal klar zu sagen: Niemandem wird verboten, Menschen beim Suizid zu unterstützen – außer denjenigen, die dies systematisch und wiederholt, eben geschäftsmäßig, tun. Der Gesetzentwurf unterscheidet hierbei auch nicht zwischen Ärztinnen und Ärzten einerseits und anderen Personen andererseits. Das bedeutet: Auch eine Ärztin könnte in einem Einzelfall einem schwer leidenden Patienten, dem sie anders nicht zu helfen weiß, die Mittel zu seiner Selbsttötung verschaffen, unter Umständen, sofern sie es nicht von vornherein darauf angelegt hat, auch ein zweites Mal. Allerdings dürfte sie diesen Akt nicht zu einem regelmäßigen Bestandteil ihrer Tätigkeit machen. Einen Facharzt für Lebensbeendigung wird es mit diesem Gesetzentwurf nicht geben, und das finde ich auch richtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es wird auch nicht in jedem Behandlungszimmer ein Staatsanwalt aufmarschieren und die Gespräche belauschen, die Menschen in existenzieller Not mit ihren Ärztinnen und Ärzten, mit Pflegekräften, Angehörigen, Freundinnen und Freunden führen. Die Vereine könnten selbstverständlich weiter beraten, informieren und aufklären. Auch Nikolaus Schneider könnte nach seinem Gewissen und dem Wunsch seiner Frau weiter handeln. Unser Gesetzentwurf ist also geeignet, die Selbstbestimmung der Menschen und das Recht auf Leben gleichermaßen zu schützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung machen. Ich verstehe gut, wenn sich Menschen vor dem Verlust der Selbstständigkeit fürchten. Ich kann das nachvollziehen. Als ich vor 18 Jahren meine MS-Diagnose bekam, konnte ich nicht ahnen, dass ich heute hier vor Ihnen stehen kann, dass ich noch laufen kann, dass ich noch sehen kann, dass ich mich anziehen kann und dass ich mein Butterbrot selbst schmieren kann. Ich habe Glück gehabt. Doch es könnte ebenso gut anders sein, und in der Situation würde ich nicht wollen, dass mir die Gesellschaft einerseits ganz einfachen Zugang zum Suizid anbietet, während sie für mich andererseits riesige Hürden errichtet, wenn es darum geht, das Leben mit Leben zu füllen. Das fängt an bei den niedrigen Erwerbsminderungsrenten, geht weiter bei den unzureichenden Leistungen der Pflegekasse und endet noch lange nicht an den Treppenstufen vor meiner Stammkneipe. In der ganzen Debatte habe ich immer wieder gehört, dass ein Leben mit Krankheit, Behinderung oder mit Bedarf an persönlicher Assistenz als unwürdig empfunden wird. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt so nicht!) Verzeihung, aber das kann ich so nicht stehen lassen. Würde hängt doch nicht davon ab, ob man noch allein auf die Toilette gehen kann. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, egal welchen Gesetzentwurf Sie bevorzugen – ich möchte Sie einfach darum bitten, diesen Gedanken mitzunehmen und in der weiteren Debatte zu berücksichtigen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Carola Reimann ist die nächste Rednerin. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Carola Reimann (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und -Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der -Orientierungsdebatte im November sind einige Monate vergangen, Monate, in denen wir Gelegenheit zu Veranstaltungen und vielen Gesprächen hatten. Diese Gespräche haben für mich bestätigt, was Umfragen schon lange und immer wieder zeigen: Die Menschen wollen nicht, dass der Staat mit neuen Verboten in den sensiblen Bereich zwischen Leben und Tod eingreift. Wer ein Leben lang für sich selbst entscheidet, möchte auch in der wohl schwersten Phase, am Lebensende, selbst entscheiden. Die Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie viel Leid und wie viel Kontrollverlust sie ertragen müssen. Sie wollen, dass wir ihre Bedürfnisse und die ihrer Angehörigen in den Mittelpunkt dieser Debatte stellen. Diesem Wunsch entsprechen wir mit unserem Gesetzentwurf. Wir verzichten als einzige Gesetzesinitiative auf eine Verschärfung des Strafrechts. Wir lehnen jeden Eingriff in das Strafrecht kategorisch ab. Wir sehen aber schon gesetzgeberischen Klarstellungsbedarf. Denn obwohl die Suizidbeihilfe bislang in Deutschland straflos ist, untersagt das ärztliche Standesrecht in 10 der 17 Landesärztekammern die Beihilfe zum Suizid. Dieser Flickenteppich an widersprüchlichen Regelungen führt dazu, dass zum Beispiel in Essen etwas anderes gilt als in -Bochum. Es braucht keine große Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass ein solches Regelungschaos bei Ärzten, aber erst recht bei Patientinnen und Patienten Unsicherheit auslöst. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen wir eine zivilrechtliche Regelung vor, die Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte schaffen wird. Mit der Erlaubnis der Suizidbeihilfe für Ärzte beenden wir das Regelungschaos der Berufsordnung und geben eine klare Botschaft an alle Betroffenen: (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Niemand muss ins Ausland fahren. Niemand muss sich an medizinische Laien oder selbsternannte Sterbehelfer wenden. – Wir ermöglichen, dass sich Menschen in großer Not ihrem Arzt anvertrauen können, weil er den Patienten gut kennt und fachlich am besten informieren kann. Damit schaden wir Sterbehilfevereinen mehr als mit Strafrechtsparagrafen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir entziehen diesen Vereinen die Existenzgrundlage, indem wir professionelle Hilfe und Beratung durch ihren Arzt rechtssicher machen. Wir haben ganz bewusst das Arzt-Patienten-Verhältnis ins Zentrum unseres Gesetzentwurfs gestellt und nicht die Aktivitäten einer überschaubaren Zahl von selbsternannten Sterbehelfern. Dafür gibt es gute Gründe. Seit Jahren gibt es immer wieder Anläufe und neue Versuche, mit strafrechtlichen Verboten gegen Sterbehilfevereine vorzugehen. Sie sind auch deshalb alle gescheitert, weil die unerwünschten Nebenwirkungen solcher Verbote gravierend sind. Die kritischen Fragen von damals müssen wir uns auch heute stellen: Rechtfertigen die Aktivitäten weniger Sterbehelfer einen Eingriff ins Strafrecht, der Auswirkungen auf die Arbeit einer viel größeren Zahl von Ärzten hat? Geben wir, um Sterbehilfevereine zu unterbinden, den seit 150 Jahren bewährten Grundsatz auf, dass der Suizid und auch die Beihilfe zum Suizid straflos sind? Und nehmen wir billigend in Kauf, dass wegen Kusch und Co. künftig allen Ärzten, die Hilfe zum Suizid leisten, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen drohen? – Ich finde, Kolleginnen und Kollegen, hier schaden die Nebenwirkungen mehr, als die Hauptwirkung nutzt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Folge ist immer ein Risiko für Ärzte, die regelmäßig in einem solchen Grenzbereich arbeiten. Gesetzliche Regelungen im Strafrecht lösen keine Probleme, sie schaffen zusätzliche. Sie gefährden das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis und führen dazu, dass Sterbenskranke in ihrer Not ins Ausland gehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen einen anderen Weg gehen. Wir wollen das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient stärken, damit Menschen in existenzieller Not fachlich fundierte Hilfe und Information bekommen. Dazu gehören auch die Möglichkeiten der Palliativmedizin. Kolleginnen und Kollegen, nicht selten führt die Gewissheit, sich in einer aussichtslosen Situation an seinen Arzt wenden zu können, dazu, dass Menschen von einem Suizidwunsch letztlich Abstand nehmen. Ich bin der festen Überzeugung: Suizidprävention gelingt nicht mit dem Strafrecht. Suizidprävention gelingt nur in einem rechtssicheren Raum, in dem das vertrauensvolle Gespräch zwischen Arzt und Patient möglich ist. (Michael Brand [CDU/CSU]: Ist es doch!) Diesen rechtssicheren Raum wollen wir mit unserem Gesetzentwurf schaffen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Sitte. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie kann es, wenn es um Leben, Sterben und Tod geht, Gewissheiten geben? Diese Frage stellt sich insbesondere in einer pluralen Gesellschaft wie der unseren. Welcher ethischen Vorstellung, welchen Sinnwelten wir auch nachhängen: Immer wollen wir darauf vertrauen, diese auch leben zu können, sei es, dass wir Leben, Sterben und Tod als von welchem Gott auch immer gegeben oder genommen ansehen, sei es, dass wir selbstbestimmte, konfessionell ungebundene Entscheidungen auch in solch existenziellen Fragen anstreben. Für unsere Diskussion bedeutet dies konkret: Wer Hilfe zur Selbsttötung ohnehin ablehnt, bedarf eines Verbotes durch den Gesetzgeber nicht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD) Wer aber Suizidassistenz nicht ausschließt, dem soll sie nicht genommen werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dabei ist Suizidassistenz zunächst nur eine Möglichkeit, die noch lange nicht den Vollzug einschließt. Der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der sich vor dem Endstadium seines Hirntumors erschoss, hat geschrieben: … ich wollte ja nicht sterben, zu keinem Zeitpunkt, und ich will es auch jetzt nicht. Aber die Gewissheit, es selbst in der Hand zu haben, war von -Anfang an notwendiger Bestandteil meiner Psychohygiene. … es am Ende auch zu tun, ist noch eine ganz andere Frage. … Ich muss wissen, dass ich Herr im eigenen Haus bin. Weiter nichts. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn eine Gesellschaft wie unsere nicht müde wird, individuelle Verantwortung in der Lebensgestaltung und in der Lebensführung zu betonen, wieso soll diese beim Sterben aufhören? Über sein Sterben, über seinen Tod frei entscheiden zu können, ist doch Ergebnis eines emotional schweren, schmerzhaften Abwägungsprozesses. In diesem spielen lange Zeit die Alternativen die weitaus größere Rolle, weil man sich eben das Nichtsein gar nicht vorstellen kann. Mit wem spricht man über diese Alternativen? Mit der Ärztin, den Angehörigen, Freunden, gegebenenfalls auch mit dem Pfarrer, auf jeden Fall aber mit Menschen, zu denen man eine enge Bindung und Vertrauen hat bzw. haben kann. Aber gerade diese Menschen – ich habe das immer wieder in Gesprächen erlebt – fühlen sich von den Ratsuchenden bisweilen heillos überfordert. Sie sind von Mitgefühl überwältigt oder eben auch ganz konkret durch die Organisation des Pflegealltags völlig überlastet. Bis auf Hospiz- und Palliativmediziner hat die Mehrzahl der Ärzte, auch nach ihrer eigenen Auskunft, gar keine hinreichende Erfahrung im Umgang mit Wünschen nach Sterbehilfe. Umgekehrt möchten Ratsuchende ihre Angehörigen, Freunde oder eben auch ihren Arzt nicht mit ihren Gefühlen und Problemen belasten. Manche ertragen das dabei mitschwingende Mitleid auch gar nicht. Deshalb brauchen wir eine kompetente dritte Seite für die Beratung aller Beteiligten und Betroffenen. Deshalb soll Beihilfe zum Freitod nicht nur Einzelpersonen, sondern weiterhin auch Vereinen gestattet werden, solange sie uneigennützig und ergebnisoffen beraten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn es ist völlig klar: Wer auf einen Eigennutz, gar auf einen finanziellen Profit bei der Suizidassistenz aus ist, wird kaum unabhängig und ergebnisoffen beraten. Zumindest darüber dürfte es hier in diesem Haus größte Einigkeit geben. Auf der Basis der Regeln und Anforderungen für Sterbehilfeorganisationen, die wir in unserem Gesetzentwurf vorschlagen, sollte es doch möglich sein, organisierter Beratung zu vertrauen. Renate Künast hat die Kriterien vorhin bereits erläutert. „Ich verlange Ehrfurcht gegenüber Sterbewilligen“, hat Wolfgang Herrndorf uns aufgegeben. Diese Ehrfurcht umfasst den Respekt vor dem ganz persönlichen Begriff von Würde sowie vor Freiheit und Selbstbestimmung am Lebensende. Sie bedeutet auch, den Sterbewunsch der Menschen ernst zu nehmen. Nur wenn das getan wird, lassen sich mit diesen Menschen Alternativen zur Vermeidung der Selbsttötung glaubhaft bereden. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Thomas Dörflinger ist der nächste Redner. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will eine Vorbemerkung machen, weil ein Thema von vielen Rednerinnen und Rednern heute Morgen angeklungen ist und diese Debatte sicher auch noch durchzieht und ein Kernstück der Diskussion sein muss. Es ist ein Punkt, an dem sich viele von uns – wahrscheinlich die allermeisten – einig sind, dass das, was der Deutsche Bundestag in der letzten Sitzungswoche debattiert hat, nämlich Rahmenbedingungen für Palliativmedizin und Hospizbewegungen zu schaffen, von vielen als ein erster Schritt begriffen wurde, dem weitere folgen müssen. Das bildet die Rahmenbedingungen für das ab, was wir heute unter dem Thema Suizidbeihilfe diskutieren. Diese Debatte ist deswegen spannend, weil sie für viele von uns nicht nur durch eigene Erfahrungen geprägt ist, sondern auch durch die hohe Verantwortung, die jeder und jede von uns spürt, wenn es darum geht, in der Gesetzgebung unterschiedliche Rechtsgüter gegeneinander abwägen zu müssen. Heute sind es zwei, die gleichermaßen Verfassungsrang haben: auf der einen Seite das Recht auf die freie Selbstbestimmung des Einzelnen, auf der anderen Seite das Leben. Für mich ist das Leben das höchste Gut, das die Verfassung zu schützen hat, weil es die Voraussetzung ist, damit sich alle anderen Güter entfalten können. Es ist zwar theoretisch vorstellbar, dass es ein Leben ohne freie Selbstbestimmung gibt. Wünschenswert – darin sind wir uns wohl einig – ist dies nicht, auch wenn es theoretisch vorstellbar ist. Die freie Willensbestimmung ohne Leben – darin sind wir uns ebenso einig – ist definitiv ausgeschlossen. Deswegen, glaube ich, ist das höchste Parlament in Deutschland auch in der Verpflichtung, bei Abwägung von Rechtsgütern, die Verfassungsrang haben, dem Leben gegenüber anderen Rechtsgütern, die Verfassungsrang haben, Priorität einzuräumen und dementsprechend zu handeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist das Bild bemüht worden, dass der Gesetzentwurf, den Patrick Sensburg, Hubert Hüppe, Peter Beyer und ich und andere vorgelegt haben, sozusagen den Staatsanwalt an das Krankenbett bzw. an das Pflegebett bemühe. Das ist zugegebenermaßen ein plastisches Bild, aber wohl ein virtuelles. Wenn diese Gefahr ernsthaft bestünde, dann müssten wir derlei in praxi aus Österreich, aus Italien, aus Spanien, aus Großbritannien, wo die Rechtslage heute so ist, wie wir sie fordern, eigentlich kennen. Mir sind derlei Beispiele nicht bekannt. Deswegen halte ich diese Diskussion für weitgehend virtuell. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will einen Punkt aufgreifen, den Michael Brand zu Beginn dieser Debatte eingeführt hat, weil mich dieser Punkt nachdenklich gemacht hat und weil wir, Herr Kollege Brand, uns in diesem Punkt sehr einig sind. Ich habe schon aus geografischen Gründen vor vielen Jahren den Beginn einer Diskussion zu einem Thema in der Schweiz verfolgt, das wir heute auf der Tagesordnung haben. Ich habe es insbesondere auch vor dem Aspekt verfolgt: Wie reagieren diejenigen, die sich unseren Parteifamilien zugehörig oder verwandt fühlen, in dieser Frage? Wie agieren sie politisch? Mich hat seinerzeit die Sorge umgetrieben, dass das, was dort in wohlmeinender Absicht diskutiert worden ist und letztlich auf den Weg gebracht worden ist, denjenigen, die das auf den Weg gebracht haben, möglicherweise wieder auf die Füße fallen könnte. Wenn ich heute Bilanz ziehe, dann ist genau das eingetreten. Die Niederlande und Belgien haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich will vermeiden helfen, dass wir ähnliche Erfahrung in Deutschland machen. Deswegen werbe ich dafür, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle eine möglichst eindeutige Regelung trifft, damit die Tür zu bleibt. Und ich sage aus unserer Sicht, aus der Sicht von Patrick Sensburg und mir: Damit die Tür zu bleibt, ist eine Regelung im Strafgesetzbuch mit einem neuen § 217 notwendig, der freilich – das gebe ich zu, und das räume ich ein; es ist uns auch wichtig – die Möglichkeiten, die das Strafgesetzbuch heute schon bietet, etwa dass man Sterbende straffrei in den Tod begleiten kann, unberührt lässt. Daran soll sich nichts ändern. Es ist uns sehr wichtig, dass da kein Widerspruch entsteht, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will mit einer persönlichen Bemerkung schließen, die vielleicht viele von uns in dieser oder in ähnlicher Weise schon gemacht haben. Wenn Sie Menschen begegnen, die sich in einer krankheitsbedingt schwierigen Phase befinden, durch die sie gelegentlich auch mit dem eigenen Tod konfrontiert werden, dann haben Sie sicherlich beispielsweise bei Besuchen genauso wie ich schon die Einschätzung gehört: Ja, wenn es denn bald zu Ende wäre! – Das ist die temporäre Einschätzung, eine momentane Stimmung. Sie haben vielleicht auch die Erfahrung gemacht, dass, wenn der Besuch dann zu Ende war, diese Einschätzung, es möge bald zu Ende gehen, vom Tisch war und man sich gefreut hat, den einen oder die andere wiederzusehen und daraus ein bisschen neuen Lebensmut zu schöpfen. Deswegen sage ich zum Schluss: Wenn bei einem krankheitsbedingt mit dem Tod Konfrontierten diese Einschätzung eintritt: „Ach, möge es bald zu Ende sein!“, dann ist insbesondere der Gesetzgeber in der Verpflichtung, nicht das Fläschchen zu reichen, sondern Hilfe anzubieten. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Harald Terpe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Vielen von uns ist spätestens in den Diskussionen der vergangenen Monate bewusst geworden, dass in Erwartung des Lebensendes, des Sterbens gar, Krankheit und Schmerz, Einsamkeit und das Gefühl, zur Last zu fallen, oder auch nur die Furcht davor von jedem von uns Besitz ergreifen können. Derartige existenzielle Krisen machen die Betroffenen unsicher und anfällig, umso mehr, wenn es um Leben und Tod geht. Viel spricht deshalb dafür, dass sich der Freiheitsgrad von Entscheidungen verschiebt, der Wille sehr volatil und die Selbstbestimmung bedroht ist. Vor diesem Hintergrund haben wir die Notwendigkeit gesehen, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung strafrechtlich zu unterbinden und somit Fremdbestimmung vorzubeugen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Unsere Mitmenschen sollen sich gerade nicht genötigt fühlen, eine derartige geschäftsmäßig organisierte Beihilfe zur Selbsttötung quasi im Gewand einer normalen Dienstleistung als vermeintlich einfache Lösung aller Probleme in Anspruch zu nehmen. Ich betone: Die Dualität von Freiheit und Verantwortung in unserer Gesellschaft gebietet mir, organisierte Suizidbeihilfe nicht als soziale Normalität billigend in Kauf zu nehmen, sodass der Suizid zu einer Handlungsoption wird, die gleichberechtigt neben anderen steht. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Das gilt auch und besonders für den ärztlich assistierten Suizid. Wir machen in unserem Gesetzentwurf keinen Unterschied zwischen Ärzten und Nichtärzten. Wir wollen kein Sonderrecht für die Ärzte beim Suizid, weder besondere Verbote noch besondere Vorrechte. Der assistierte Suizid ist für mich keine ärztliche Aufgabe und sollte es meiner Ansicht nach auch nicht werden, und das gerade wegen der besonderen Vertrauensstellung, die Ärzte genießen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ich bin der Meinung, das verhindert eine Auseinandersetzung, ein Gespräch über den Suizid. Ärzte sollten daher rechtlich genauso behandelt werden wie alle anderen Staatsbürger – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Um in diesem Zusammenhang noch ein Missverständnis aufzuklären: Es wird immer unterstellt, unser Gesetzentwurf greife in die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten auf onkologischen und Palliativstationen ein – ich kann mich an Redebeiträge erinnern, in denen das besonders schrill vorgetragen worden ist –, aber das ist falsch. Gerade diese ärztliche Berufsgruppe hat ein anderes Selbstverständnis und auch ein anderes Behandlungsziel, nämlich Sterbenden zu helfen, Schmerzen und Angst zu lindern, Menschen das Sterben zu erleichtern. Hilfe beim Suizid ist nicht Ziel oder regelmäßiger Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Sie bleiben deshalb auch nach unserem Gesetzentwurf straflos. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ich bitte auch darum, in den öffentlichen Diskussionen nicht immer wieder zu behaupten, dass anschließend der Staatsanwalt in die Palliativstationen und in die Hospize Einzug hält, weil wir im Gesetz irgendeine Lücke lassen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Eine wichtige Frage ist: Bleibt nun die Selbstbestimmung auf der Strecke? Mitnichten. Auch wenn es oft anders suggeriert wird: Unser Gesetzentwurf ändert nichts an der Tatsache, dass der Suizid in Deutschland straflos ist; das soll so bleiben. Und er ändert nichts daran, dass Menschen, die einem anderen in einer existenziellen Krise – hier geht es um individuelles Erleben, indivi-duelles Vertrauen und individuelle Verantwortungsübernahme – beim Suizid helfen, in der Regel straflos bleiben. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Unser Gesetzentwurf schränkt die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen nicht ein – im Gegensatz beispielsweise zum Gesetzentwurf des Kollegen Hintze und -anderer, die bezüglich des ärztlich assistierten Suizids genau festlegen wollen, wann ein Mensch ihn in -Anspruch nehmen darf und wann nicht, an der ungeregelten Wirkung von Sterbehilfevereinen offenbar aber keinen Anstoß nehmen. Ich sage voraus: Hier werden sich Allianzen bilden; denn es gibt offensichtlich viele Kolleginnen und Kollegen, die an der ungeregelten Wirkung von Sterbehilfevereinen nichts ändern wollen. Bei der anstehenden parlamentarischen Auseinandersetzung sollten wir daher genau hinschauen: Wir sollten Menschen, die leiden, Hilfe anbieten – durch Stärkung der Palliativmedizin, der Hospizbewegung und der Pflege. Wir haben bereits entsprechende Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sollten Menschen am Ende ihres Lebens das Sterben erleichtern, das Sterben seinen Lauf nehmen lassen. Aber wir sollten nicht einer vermeintlich einfachen Lösung das Wort reden. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Katherina Reiche. Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beihilfe zum Suizid ist seit 1871 straffrei, und wenn der Suizid straflos ist, dann muss auch die Beihilfe zum Suizid straflos sein, so die rechtssystematische Logik seit der damaligen Zeit bis heute. Diese Regelung hat sich als lebensklug und als menschlich bewährt. Unsere Rechtsordnung geht von der Selbstbestimmung des Menschen aus. Welches Maß an Leid ein Mensch erdulden kann, das kann nur er selbst bestimmen. Patienten können Therapien ablehnen. Patienten können sich lebensnotwendigen Operationen entziehen. Niemand kann zur Medikamenteneinnahme gezwungen werden. Aber wenn es um die letzten Stunden und Tage geht, also darum, wie lange ein Mensch noch Leid zu ertragen imstande ist und was er für sich selbst als würdevoll empfindet, da soll der Staat mit dem schärfsten Schwert, das er hat, dem Strafrecht, zuschlagen? Ich finde das grundlegend falsch. Das wäre quasi eine Rechtspflicht zum Erleiden von Qualen. Auch der Versuch, zwischen gewerbsmäßiger und ärztlicher Suizidbeihilfe zu unterscheiden, führt in die Irre. Sehr geschätzter Kollege Terpe und auch andere Vorredner der Gruppe, da unterscheiden wir uns tatsächlich. Wie Sie haben auch wir mit Ärzten, mit Strafrechtslehrern, mit Verfassungsrechtlern gesprochen, und nicht wir, sondern diese weisen uns auf den Umstand hin, dass einem Staatsanwalt gar nichts anderes übrig bliebe als zu ermitteln, zum Beispiel in onkologischen Praxen, wo naturgemäß mehr Patienten sind, die den Kampf zwischen Leben und Tod in ihrer letzten Phase führen, als in Praxen anderer Fachrichtungen. Mit der Patientenverfügung haben wir das Selbstbestimmungsrecht der Patienten gestärkt. Wir haben das Selbstbestimmungsrecht gestärkt, weil dies ein elementarer Wunsch der Menschen ist. Die Segnungen der modernen Medizin haben dazu geführt, dass früher unheilbare Krankheiten heute heilbar sind. Sie haben dazu geführt, dass Leid und Schmerzen viel besser zu ertragen sind und dass Patienten dank hervorragender Palliativmedizin bis in ihre letzten Stunden gut begleitet sind. Aber es gibt Fälle, da kann weder die Palliativmedizin noch irgendeine andere Fachrichtung mehr etwas ausrichten. Es gibt Fälle, wo der Patient nicht mehr kann, wo er auch nicht mehr will, wo er sich auch selbst nicht mehr ertragen kann, wo er selbst seinen Zustand als unwürdig empfindet. Frau Kollegin Vogler, das ist absolut individuell, und das wird keiner von uns für einen anderen bestimmen können. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Dem würde ich auch nicht widersprechen!) Welcher Zeitpunkt das ist, kann nur er für sich entscheiden, und hier hat der Staat Abstand zu wahren. Wo es um die innersten Bereiche des Menschen geht, da hat das Strafrecht zu schweigen. Ich fürchte, dass wir ungewollt mit diesen Anträgen diese Schwelle überschreiten. Hier setzt unser Antrag an. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Von den 17 Landesärztekammern in Deutschland -verbieten 10 standesrechtlich die ärztliche Beihilfe zum Suizid. Das Berufsrecht verbietet also etwas, wozu das Strafrecht explizit schweigt. Das verunsichert Ärzte, das verunsichert Patienten, und das führt dazu, dass in dieser wichtigen Frage – wie will ich sterben? – weniger Raum da ist und sich Patienten in ihrer Not an obskure Sterbevereine wenden – für viel Geld – oder den Weg des einsamen Freitods gehen. Wir wollen das ändern. Wir wollen, dass jeder Arzt, egal wo er praktiziert, in Berlin, in Bochum oder in München, dasselbe Standesrecht hat. Wir wollen ihm die Möglichkeit geben, mit seinem Patienten eine verantwortungsvolle Gewissensentscheidung zu treffen. Wie der Arzt sich entscheidet, kann wiederum nur er allein bestimmen. Auch hier soll der Grundsatz der Freiwilligkeit gelten. Trifft ein Arzt diese Gewissensentscheidung, dann wollen wir ihn vor möglichen berufsrechtlichen Sanktionen bewahren. Wir wollen, dass das, was unser Strafrecht gestattet, auch in der ärztlichen Berufsausübung gestattet ist. Ich möchte, dass sich ein Patient, der einen langen Leidensweg hat, an seinen Arzt und eben nicht an diese Vereine wendet und nicht in die Schweiz reisen muss. Ich bin überzeugt, wenn wir das Arzt-Patienten-Verhältnis auch in solchen extremen Phasen an der Schwelle von Leben und Tod stärken, dann entziehen wir den Sterbevereinen die Grundlage ihres Wirkens. Ärzte und Patienten wünschen sich, dass wir ihnen vertrauen. Ich finde, sie haben dieses Vertrauen verdient. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kai Gehring erhält nun das Wort. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Sterben gehört zum Leben dazu. Gleichwohl ist der Tod eines der letzten Tabus in unserer Gesellschaft. Viele sind im Umgang mit Sterbenden und mit Trauernden extrem unsicher. Ent-tabuisierung und eine neue Kultur der Sorge und Zuwendung halte ich für elementar. Eine humane Gesellschaft braucht Empathie; denn nichts ist schrecklicher, als einen geliebten Menschen zu verlieren. Ich war 19, als mein Vater durch einen Verkehrsrowdy ums Leben kam. Im April hätten wir seinen 65. Geburtstag gefeiert. Ich war 13 und 21, als meine Großeltern nach schwerer Krankheit auf der Intensivstation starben. Ich war 32, als die engste Freundin unserer kleinen Familie im Hospiz nach vielen Monaten ihrem Krebsleiden erlag. Ich sage das, um Bewusstsein zu schärfen: Lebens-, Pflege- und Sterbeerfahrung sind keine Frage des Alters. Aus diesen Erfahrungen heraus rate ich allen, die Angst vor absoluter Fremdbestimmung im Sterben haben, zu einer Patientenverfügung, am besten kombiniert mit einer Vorsorgevollmacht, und dazu, mit Ihren Nahestehendsten intensiv darüber zu sprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Warum habe ich diesen Gesetzentwurf mit Renate Künast und Petra Sitte erarbeitet? Für mich ist der einzelne Mensch Souverän des eigenen Lebens. Jeder hat seine ganz persönliche Definition von Würde und Autonomie, die von uns Gesetzgebern unbedingt zu respektieren ist. In der existenziellsten aller Fragen sollte sich der Staat zurückhalten. Daraus folgt für mich, das Spek-trum der letzten Hilfe beim frei verantwortlichen Suizid weitestgehend so zu erhalten, wie es ist. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Angehörigen, Nahestehenden, Ärzten und Sterbehelfern soll also Beihilfe erlaubt sein. Die Betroffenen selbst sollen entscheiden dürfen, wem sie sich anvertrauen, wen sie notfalls um letzte Hilfe bitten. Die Sterbewilligen gehören in den Mittelpunkt der Debatte. Sie benötigen Fürsorge, einen Strauß helfender Hände und ergebnisoffene Beratung. Daraus kann auch eine Entscheidung zum Weiterleben erwachsen. Verbote oder Kriminalisierung der Helfer helfen Menschen in allergrößter Not nicht, sondern verschärfen ihre Lebenskrise und das Risiko brutaler Affekt- und Verzweiflungssuizide. Daher lassen Sie uns das Spek-trum letzter Hilfe erhalten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Ärzte brauchen Rechtssicherheit. Sie sollen assistieren dürfen, nicht müssen. Es gibt schreckliche Situationen, da kann die humanste Hilfe, die noch zur Verfügung steht, die Hilfe zum Sterben sein. Für Ärzte sind Sanktionen dann unzumutbar. Für Sterbewillige ist unzumutbar, dass ihr Wohnort darüber entscheidet, ob ihrem vertrauten Arzt Beihilfe zum Suizid durch eine regionale Ärztekammer untersagt ist oder nicht. Das Arzt-Patienten-Verhältnis basiert in besonderem Maße auf Vertrauen. Dem sollten wir Rechnung tragen. Dammbruchthesen glaube ich hier nicht. Für Sterbehilfevereine setzt unser Gesetzentwurf klare Regeln. Gewerbsmäßigkeit, also Gewinnstreben, schließen wir aus. Mit Hilfe zur Selbsttötung darf kein Profit gemacht werden. Wir sagen Ja zu Vereinen, aber nicht als Einnahmequelle und nur mit klaren Transparenzregeln und Dokumentationspflichten. Warum? Letzte Hilfe auf Familienmitglieder oder nahestehende Einzelpersonen zu begrenzen, ist zu restriktiv und zu eng gedacht. Heutige Sozialstrukturen sind wesentlich vielfältiger: Es gibt immer mehr Menschen in unserem Land, die gar keine Angehörigen haben. Nicht alle Familien haben das notwendige Vertrauensverhältnis. Manche Sterbewillige wollen engste Verwandte nicht belasten, sondern bewusst mit einem Arzt oder Sterbehelfer über ihren Assistenzwunsch sprechen. Ihnen das zu verwehren, halte ich für inhuman. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Wer keine Angehörigen hat oder sie nicht um letzte Hilfe bitten möchte, darf nicht allein gelassen werden. Die Möglichkeit letzter Hilfe muss für alle bestehen. Niemandem helfen eine Romantisierung von Familien und eine Verteufelung von Sterbehelfern – beides halte ich für falsch. Denn die Realität ist komplexer, unsere Gesellschaft ohnehin. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Eigene Erfahrungen, die eigene Religion oder Weltanschauung sollten wir als Gesetzgeber für diese so vielfältige, weltanschaulich pluralistische, multireligiöse und auch zunehmend atheistische Gesellschaft bei dieser schwerwiegenden ethischen Frage nicht absolut stellen. Ich sage auch: Als alternde Gesellschaft brauchen wir eine Vision, wie wir als Hochbetagte zusammen leben wollen. Es braucht echte Pflege- und Gesundheitsreformen, mehr Hospize, Palliativversorgung, Suizidprävention und eine Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung. Unser Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung sichert Sterbewilligen ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Rechtssicherheit. Er liegt am nächsten an der bisher bestehenden Rechtslage und an der gesellschaftlichen Mehrheit. Er gilt als liberalster Entwurf, liberalisiert aber nichts, sondern regelt realitätsnah. Unser gemeinsamer Anspruch sollte sein, die Selbstbestimmung, also Menschenwürde des Einzelnen, auch beim frei verantworteten Suizid zu schützen. Dafür werbe ich um Ihre Unterstützung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Hubert Hüppe erhält nun das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hubert Hüppe (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich unterstütze den Gesetzentwurf der Kollegen Sensburg und Dörflinger, weil ich die Beihilfe zur Patientenselbst-tötung nicht als Therapieoption akzeptieren will. Ich möchte nicht, dass ein Patient, der auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen ist, erklären muss, warum er sich nicht für die einfache, alle entlastende Selbsttötung entscheidet. Deswegen sehe ich in der Beihilfe zur Selbsttötung keinen Akt der Nächstenliebe. Vielmehr muss es darum gehen, den Menschen beim Sterben zu helfen, ihnen Trost zuzusprechen und Hilfe zu leisten. Wenn wir die Ärzte in dieses Geschehen hineinholen, dann wird es gefährlich. Bisher stand der Arzt für die Solidarität der Gesellschaft. Der Patient wusste, dass der Arzt ihn nicht töten darf und dieser noch nicht einmal auf die Tötung oder die Selbsttötung des Patienten spekulieren darf. Das, meine Damen und Herren, soll aus meiner Sicht auch so bleiben. Unser Gesetzentwurf ist ja häufig, auch heute schon, kritisiert worden. Aber lassen Sie mich auch ein paar Dinge über den Gesetzentwurf der Kollegen Reimann, Hintze und Lauterbach sagen. Dieser Gesetzentwurf will nichts verbieten. Er will keine Sterbehilfevereine verbieten. Er will auch nicht verbieten, dass man dafür Geld nimmt. Er will noch nicht einmal verbieten, dass psychisch Kranken bei ihrer Selbsttötung geholfen wird. Im Grunde will er alles erlauben, und er will darüber hinaus noch mehr. Er will nämlich das ärztliche Standesrecht knacken, und das, obwohl die Ärzte 2011 mit großer Mehrheit, mit Dreiviertelmehrheit, beschlossen haben, dass die Beihilfe zur Tötung von Patienten nicht zum ärztlichen Handwerk gehören darf, und das mit Recht. Dieser Gesetzentwurf – das macht mich nachdenklich – spricht in der Begründung immer wieder von Ekel. Dreimal wird dort von Ekel gesprochen, auch heute wieder, und es werden extreme Fälle aufgezählt: Ekel vor sich selbst, vor Entstellungen, vor üblen Gerüchen. Meine Damen und Herren, wie sollen Menschen, die aufgrund einer Lähmung zum Beispiel inkontinent sind, solche Entscheidungen über „lebenswert“ oder „lebensunwert“ verstehen? Ich sehe das als gefährlich an. Auf Seite 2 dieses Gesetzentwurfs steht ein für mich erschreckender Satz – ich zitiere –: Das körperliche und psychische Leiden ihrer Patienten stellt auch für das medizinische Personal eine äußerst belastende Situation dar. Das ist keine unschuldige Feststellung einer reinen Tatsache. Das wird von vielen als Begründung verstanden werden, die ärztliche Suizidbeihilfe müsse auch deshalb legalisiert werden, um das medizinische Personal zu entlasten. Das kann ich so nicht akzeptieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Bitte?) Meine Damen und Herren, laut diesem Gesetzentwurf muss der Patient nicht, wie es hier immer behauptet wird, in der Sterbephase sein, sondern er muss nur eine Diagnose bekommen, die nicht sicher – auch das steht da nicht drin –, sondern wahrscheinlich zum Tod führt. Es kann aber noch Jahre dauern, bis der Tod eintritt. Stellen Sie sich vor, Sie bekommen eine tödliche Prognose, obwohl Sie noch gar keine Anzeichen haben. Stellen Sie sich vor, Sie wissen plötzlich, dass Sie Chorea Huntington bekommen, weil festgestellt wurde, dass dieses Gen bei Ihnen mutiert ist. Gerade in einer solchen Situation sind Sie äußerst gefährdet. Wenn dann die Selbsttötung als Angebot gemacht und gesellschaftlich akzeptiert wird, dann wird es schwierig. Das wollen wir verhindern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das Angebot macht doch gar keiner!) – Ich habe Sie ja gar nicht gemeint, Frau Künast; Ihr Gesetzentwurf geht ja gar nicht so weit wie der der Kollegen Hintze und Reimann. Lassen Sie mich also aussprechen. Ich habe Sie auch aussprechen lassen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann bleiben Sie aber sachlich!) Meine Damen und Herren, es ist eben nicht so, dass der langjährige Arzt diese Tat dann vornehmen kann; denn die meisten Ärzte lehnen es ab. Das heißt, es müssen andere Ärzte sein. Es wird auch nicht gefordert, dass ein Psychiater prüft, ob eine Depression vorliegt, sondern man geht davon aus, dass der Sterbearzt, der Arzt, der beim Sterben helfen wird, gleichzeitig auch die psychische Diagnose stellen kann. Das halte ich für in vielen Fällen unmöglich. Meine Damen und Herren, zum Schluss ein Zitat von Christoph Wilhelm Hufeland, der Anfang des 19. Jahrhunderts Erster Arzt in der Charité war. Er sagte: Der Arzt … darf nichts anderes tun als Leben erhalten, ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht, dies geht ihn nichts an. Und maßt er sich einmal an, diese Rücksicht in sein Geschäft mit aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im Staate. Dem wollen wir vorbeugen, und deswegen möchten wir, dass wir die Hilfe vor die Tötung des Patienten setzen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Michael Frieser. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Michael Frieser (CDU/CSU): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es in dieser Debatte bisher geschafft, nicht nur mit dem notwendigen sittlichen Ernst, der dem Thema angemessen ist, sondern auch mit dem richtigen Tonfall miteinander zu reden. Wir sollten versuchen, diese Schwelle nicht zu überschreiten, und trotzdem unterschiedliche Argumente austauschen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Wir sind uns in diesem Hause meistens einig, dass die drohende gesellschaftliche Veränderung – die es durch das aggressive Auftreten von Sterbehilfevereinen, aber auch von Einzelpersonen gibt – unser Tätigwerden erfordert. Zusehen ist keine Option mehr; denn am Ende würden wir in einer Gesellschaft landen, in der dann ältere und kranke Menschen, die ihr Leiden als Last empfinden, das Gefühl hätten, es gäbe eine gesellschaftliche Akzeptanz bzw. eine gesellschaftliche Norm, zu sagen: Ja, auch der Tod auf Bestellung steht mir zur Verfügung; dann lasse ich mich davon überzeugen. – Das wäre eine Gesellschaft, in der ich, der Kollege Brand, die Kollegin Griese und sehr viele andere aus allen Fraktionen dieses Hauses nicht leben wollen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Dazu bedarf es aber einigen Tätigwerdens. Dabei geht es darum, dass wir sagen: Ja, die Beihilfe zur Selbsttötung soll vor allem deshalb straffrei bleiben, weil die Selbsttötung in diesem Land straffrei ist. – Dann wird der Jurist zu dem Ergebnis kommen, dass auch die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei bleiben muss. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Das sollte sich unter keinen Umständen ändern. Deshalb bitte ich auch, mit dieser Legendenbildung aufzuhören. Wir wollen nur die geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung verhindern. Dabei geht es darum, dass das auf einige Dauer, auf Wiederholung angelegt ist. Aber nicht um die Wiederholung allein geht es, sondern um das Organisiertsein, um die Tatsache, dass jemand willentlich seine Absicht darauf richtet, zu sagen: Ich will Menschen dahin schaffen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Das bedeutet, dass wir auch immer wieder deutlich machen müssen: Es geht ohne Gewinnerzielung, und es geht mit Gewinnerzielung. Es hat in diesem Land nichts mit Geld zu tun, dass der Tod auf Bestellung keine Selbstverständlichkeit werden soll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich will mit einem weiteren Gerücht aufräumen. Wir wollen keine Lex Ärzte. Warum? Die Ärzte bitten uns inständig: Legt uns das Problem, dass wir die Meister des Todes sein sollen, nicht vor die Schwelle. Bitte legt uns das Problem dieser Gesellschaft nicht vor die Tür. Wir wollen nicht die Einzigen sein, die darüber befinden sollen und müssen. Ein weiterer Punkt ist ganz wichtig: Der Palliativmediziner handelt nicht mit dem Tod, er handelt mit dem Ende des Lebens. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Deshalb stellt sich die Frage der Rechtssicherheit nicht. Wir haben in diesem Haus leider auch Anträge auf dem Tisch liegen, die aktiver Sterbehilfe das Wort reden. Das ist der fundamentale Unterschied. Deshalb sind die Entscheidungen bzw. die Anträge tatsächlich nicht vergleichbar und nicht vereinbar, sondern sie schließen sich aus. Man muss deutlich sagen: Wer einem Arzt einen Katalog an die Hand gibt, anhand dessen er abhaken muss, wann er aktiv Sterbehilfe leisten darf und wann nicht, der befindet sich tatsächlich in Kollision mit unserer Verfassung. Denn der Mediziner muss dann etwas entscheiden, was er nicht entscheiden soll. Er muss dann nämlich über die Frage entscheiden: Was ist lebenswertes und was ist lebensunwertes Leben? – Davor sollten wir auf jeden Fall Achtung haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Deshalb gibt es diese Unvereinbarkeit. Deshalb müssen wir uns als Kollegen tatsächlich entscheiden. Ich erlaube mir einen Hinweis auf den Kollegen Hintze bzw. auf etwas, was natürlich auch nicht geht: Der Entwurf, der hier auf dem Tisch liegt, geht schon sehr weit, viel weiter als alles andere, was wir hier diskutieren. In diesem Entwurf wird nicht einmal die Frage der Gewerbsmäßigkeit der Selbsttötungshilfe in diesem Land zum Thema gemacht. Das öffnet keine Tür, sondern ein Scheunentor. Deshalb, glaube ich, wäre eine gesellschaftliche Veränderung durchaus zu befürchten. Es geht am Ende auch juristisch um die Frage: Mit welcher Einstellung nähert sich der Arzt dem Patienten, nähert sich der Nahestehende seinem sterbenden Mitmenschen? Es geht immer darum: Will ich in der Absicht, das Leiden zu lindern, handeln, oder will ich in der Absicht handeln, das Leben zu beenden? Das ist die Demarkationslinie, das ist die Grenzlinie, die wir in dieser Diskussion nicht überschreiten dürfen. Deshalb bitten wir – der Kollege Brand, die Kollegin Griese und alle anderen aus den Fraktionen – darum, unseren Vorschlag zu unterstützen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Karl Lauterbach. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einmal daran erinnern, was überhaupt das Hauptproblem ist, was wir mit dieser Debatte lösen wollen: Das Hauptproblem ist, dass viele Menschen Angst haben vor dem Sterben. Sie haben nicht Angst vor dem Tod, sondern sie haben Angst vor dem Sterben. Das ist ein ganz anderes Problem als beispielsweise der Ausbau der Palliativmedizin oder der Hospizversorgung. Es gibt Menschen, denen mit den Mitteln der Palliativmedizin leider nicht geholfen werden kann – das sind wenige; aber es gibt sie –, und es gibt zum Zweiten Menschen, die die Angebote der Hospizmedizin und der Palliativmedizin ganz klar verstehen, die sich gut informiert haben und die trotzdem selbst ihren Tod, der bevorsteht, in dieser Form nicht erleben wollen, weil sie ihn nicht als würdevoll empfinden. Sie empfinden ihn nicht als würdevoll – nicht andere –, sie wollen so, wie es auf sie zukommt, nicht sterben; diese Menschen gibt es. Das Problem, das wir lösen wollen, ist: Was bieten wir diesen Menschen an? Nichts? Bieten wir etwas an, was wir bisher nicht angeboten haben, oder belassen wir es bei dem, was angeboten wird? Darum geht es. Es geht nicht um Sterbehilfevereine allein. Ich komme sehr viel zusammen mit Menschen, die sich mit dem eigenen Tod beschäftigen; zum Beispiel im Wahlkreis, aber auch anderswo wenden sich Leute an mich, Krebskranke und dergleichen. Ich werde oft darauf angesprochen: Was macht ihr bei der Sterbehilfe? Was wird dort passieren? Welche Möglichkeiten habe ich? Welche Möglichkeiten hat meine Mutter? – Ich bin noch nie darauf angesprochen worden: Was passiert mit Herrn Arnold oder mit Herrn Kusch? Das wissen diese Menschen gar nicht, das interessiert niemanden. Hier sind viele im Raum, die machen ein Gesetz gegen Herrn Arnold und Herrn Kusch. Das ist aber nicht richtig. Wir müssen ein Gesetz für viele Menschen machen und nicht gegen ganz wenige. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Michael Frieser [CDU/CSU]: Wir wollen ein Gesetz für das Leben!) Ich möchte klar darauf hinweisen: Es ist nicht so, wie hier gesagt wird, dass der Gesetzentwurf Brand/Griese ein „Gesetzentwurf der Mitte“ ist. Er ist es nicht. Sie mögen es darstellen, wie Sie wollen – er ist es schlicht nicht. Oft ist es so: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. (Lachen des Abg. Michael Frieser [CDU/CSU]) Dieser Gesetzentwurf wird darauf hinauslaufen, dass Ärzte Sterbehilfe nicht mehr leisten. Ich fange mit mir selbst an: Ich bin Mitglied in einer Kammer, die für den Fall, dass ich das machen würde, mit dem Entzug der Approbation droht. Das ist die Ärztekammer Nordrhein; da bin ich registriert. Da würde ich vielleicht noch sagen: Okay, das riskiere ich, ich brauche die Approbation nicht unbedingt, und es ist auch noch so: Es wird nicht durchgezogen. Vielleicht komme ich damit durch. – Aber wenn mir möglicherweise drei Jahre Haft drohen? Wenn mir unterstellt wird, das wäre auf Wiederholung angelegt? (Michael Brand [CDU/CSU]: Das wird nicht unterstellt!) Dann warte ich doch nicht auf den Freispruch nach einer langen Ermittlung, sondern ziehe die Konsequenz: Das mache ich schlicht nicht. – Ich kenne keinen ärztlichen Kollegen, wirklich nicht – und ich kenne viele, die sich mit dem Thema beschäftigen –, der noch bereit wäre, Sterbehilfe zu leisten, wenn der „Gesetzentwurf der Mitte“ Griese/Högl/Brand durchkäme. Das wird – machen wir uns doch nichts vor! – einfach niemand machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Bitte stellen Sie sich doch nicht dumm! Es ist doch jetzt schon, wo lediglich die Approbation entzogen werden könnte, so: Es macht niemand. Die Ärzte tun es doch jetzt schon nicht. Wenn neben dem Entzug der Approbation dann auch noch strafrechtliche Verfolgung droht, macht das niemand. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Lauterbach, lassen Sie eine Frage der Kollegin Wawzyniak zu? Dr. Karl Lauterbach (SPD): Sehr gerne. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Herr Kollege Lauterbach, Sie haben gerade gesagt, Sie würden als Arzt, wenn drei Jahre Haft drohen, keine Suizidbeihilfe mehr leisten. Würden Sie zur Kenntnis nehmen wollen, dass in dem sogenannten Gesetzentwurf der Mitte steht, dass eine Strafbarkeit nur besteht, wenn man in der Absicht handelt, geschäftsmäßig ein auf Dauer angelegtes Angebot zur Suizidbeihilfe zu machen? Ich gehe davon aus, dass Sie nicht mit der Absicht handeln würden, eine auf Dauer angelegte Suizidbeihilfe zu leisten. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Vielen Dank für die Frage. – Ich will aus Ihrem Gesetzentwurf zitieren und unterstelle, dass Sie diesen Gesetzentwurf unterstützen – ich lese vor –: Grundsätzlich reicht hierfür ein erst- und einmaliges Angebot nicht. Anders verhält es sich aber, wenn das erstmalige Angebot den Beginn einer auf Fortsetzung angelegten Tätigkeit darstellt … (Michael Brand [CDU/CSU]: Richtig zitiert!) Nachdem die erstmalige Tätigkeit von mir erfolgt wäre, würden die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen beginnen, ob ich beabsichtige, diese Tätigkeit fortzusetzen. Diese staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen beginnen dann übrigens völlig zu Recht; dagegen habe ich nichts einzuwenden. Ich lege es aber doch nicht darauf an, (Michael Brand [CDU/CSU]: Auf Wiederholung angelegt! Eindeutig!) dass ich erst freigesprochen werde, nachdem festgestellt worden ist, dass ich es nicht wiederholt machen will. Spätestens beim zweiten Fall würde ich es doch nicht mehr machen. Hätte ich einen Freischuss und würde es dann nie mehr machen? (Michael Brand [CDU/CSU]: Nein! Ist doch Quatsch!) Würde ich mir von meinen Patienten einen aussuchen, bei dem ich den Freischuss verwenden würde? Spätestens beim dritten Mal würde doch ermittelt werden. Das will doch niemand. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch alles nicht wahr, was Sie behaupten!) – Ich spreche hier wirklich aus der Praxis. Das macht in der Praxis niemand. – Auch jetzt wird der Entzug der Approbation ja nur angedroht. Er wird ja nicht vollzogen, und trotzdem macht es niemand. (Michael Brand [CDU/CSU]: Sie wissen es doch besser, Herr Lauterbach!) Ich sage, worauf dieser Gesetzentwurf hinausläuft. Dieser Gesetzentwurf läuft darauf hinaus, dass die Menschen zur Sterbehilfe in die Länder ziehen müssen, die Sie, Herr Brand, hier angeklagt haben, nämlich in die Niederlande, nach Belgien und in die Schweiz. Darauf läuft der Gesetzentwurf hinaus. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie wissen es doch besser! Das steht bei uns doch gar nicht drin!) Aus meiner Sicht müssen wir ein Angebot schaffen. Es ist auch nicht richtig, dass wir zwischen unwertem und wertem Leben unterscheiden, wie es Kollege Hüppe dargestellt hat; das ist abwegig. Es geht darum, dass wir die Approbation der Ärzte und deren Rechtssicherheit in Bezug auf das Strafrecht sicherstellen wollen, wenn es um schwerkranke Menschen geht, deren Krankheit zum Tod führt. Wenn es um Menschen geht, die nicht vom Tod bedroht werden, die also nicht sterbenskrank sind, dann können aus unserer Sicht die Kammern frei bestimmen, ob demjenigen, der lebenssatt, aber nicht vom Tod bedroht ist, ein Arzt helfen kann oder nicht. Es bleibt aber immer erlaubt, Herr Frieser. Sie haben gesagt, es würde von uns geregelt, wer dürfe und wer nicht. Nach dem Strafrecht bleibt es immer erlaubt. Ich hatte den Eindruck, dass Sie den Gesetzentwurf nicht komplett gelesen haben. (Michael Frieser [CDU/CSU]: Zweimal, bis ich ihn verstanden hatte! Das war schwer genug! – Michael Brand [CDU/CSU]: So sollte man nicht diskutieren! Das fällt aus dem Rahmen!) Das Strafrecht kommt nie zum Tragen. Es bleibt immer erlaubt. Wir wollen aber eine zusätzliche Rechtssicherheit im Sinne einer berufsrechtlichen Rechtssicherheit, wenn es um Menschen geht, die nicht vom Tod bedroht sind. Ich komme zum Schluss. Das hat auch nichts mit der Palliativmedizin zu tun, Herr Brand. Die Länder, bei denen Sie die problematischen Umstände zu Recht beklagen – die Niederlande, Belgien und die Schweiz –, konnten das Problem, dass es dort immer stärker verlangt wurde, nicht durch die Palliativmedizin lösen. Sie alle haben eine stärker ausgebaute Palliativmedizin als wir. Das können wir nur leisten, indem wir bereit sind, die Einstellung zum Alter und zum Tod zu verändern. (Michael Brand [CDU/CSU]: Sagen Sie mal etwas zum Kriterienkatalog in der Schweiz und in Belgien!) Von daher bitte ich, unseren Gesetzentwurf zu unterstützen. Sonst überreagieren wir auf einen kleinen Klub von fragwürdigen Menschen, gegenüber denen ich selbst auch keine Sympathie empfinde. Wir müssen hier aber für die Menschen, die verzweifelt sind, ein Angebot schaffen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Detlef Müller ist der nächste Redner. Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eine Gewissensentscheidung zu treffen, ist schon schwer genug. Noch schwerer aber ist es, eine Gewissensentscheidung zu treffen, ohne zu Lebzeiten herausfinden zu können, ob sie richtig war. Leben, Würde und Gesundheit sind des Menschen höchste Güter. Das Grundgesetz misst ihnen deshalb entsprechende Bedeutung bei. Aber ich unterstütze den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung, weil dem Recht auf Leben auch ein Recht auf menschenwürdiges Sterben entspricht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn sich ein Mensch tatsächlich dazu entschieden hat, freiwillig aus dem Leben zu gehen, dann tut er das nicht leichtfertig, sondern er hat damit die schwerste Entscheidung getroffen, die ein Mensch überhaupt treffen kann. Wenn aber ein Mensch selbstbestimmt und in freier Entscheidung beschlossen hat, seinem Leben ein Ende zu setzen, wenn wir alles getan haben, um ihm Heilungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wenn wir ihn beraten und wenn wir versucht haben, in ihm doch noch Lebensmut zu wecken, dürfen wir uns danach einfach von ihm abwenden und ihn bei seinem Vorhaben alleine lassen? Ich glaube, nein. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er die Selbsttötung im moralischen, religiösen oder weltanschaulichen Sinne als erlaubt oder verwerflich betrachtet. Solange aber der Staat dem Menschen die Verfügung über sein eigenes Leben überlässt, halte ich es aus einer humanistischen und mitmenschlichen Sichtweise für geboten, einen verzweifelten und am Leben verzweifelnden Menschen im Sterben nicht alleine zu lassen. Es geht nicht darum, einem Menschen die Entscheidung darüber zu erleichtern, ob er sich das Leben nehmen soll. Es geht darum, ihm zu erlauben, sich auf dem schwersten seiner Wege begleiten oder eben auch helfen zu lassen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht darum, ihm in seiner letzten Stunde menschliche Zuwendung zu zeigen. Das heißt aber nicht, dass die Rechtsordnung dabei den Schutz des Lebens außer Acht lassen darf. Ganz im Gegenteil: Wenn eine solche Hilfe möglich sein soll, dann darf sie nur unter strenger Aufsicht des Staates möglich sein, indem Beratungspflichten und Kontrollmöglichkeiten eingeführt werden. So wie es unsere Pflicht ist, kranken Menschen den Weg zur Heilung zu zeigen, so ist es auch unsere Pflicht, zu versuchen, einem zum Äußersten entschlossenen Menschen wieder den Weg zu Optimismus und Lebensmut zu weisen. Zugleich muss aber selbstverständlich ausgeschlossen werden, dass Menschen mit der Beihilfe zum Suizid Geld verdienen. Für Familienangehörige, nahestehende Personen und Ärzte, aber auch entsprechende Vereine entsteht dadurch ein sicherer, aber auch ein streng einschränkender Rechtsrahmen. Um es in dieser emotional geführten Debatte noch einmal deutlich zu sagen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll Sterbehilfe nicht erleichtert werden. Ganz im Gegenteil: Die bestehende Rechtslage im Strafrecht soll beibehalten werden, nach der Beihilfe zum Suizid straflos bleibt. Darüber hinaus aber schaffen wir einen gesicherten Rechtsrahmen, damit Missbrauch vorgebeugt wird und nicht diejenigen bestraft werden, die Leidenden ehrlich, aufrichtig und uneigennützig helfen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb schlagen wir den Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung vor. Aufgrund strenger Regeln wird damit der Wunsch nach einem menschenwürdigen Sterben respektiert, aber werden auch enge Grenzen gezogen. Hilfe zur Selbsttötung darf nur dann geleistet werden, wenn der sterbewillige Mensch den Wunsch zur Selbsttötung frei verantwortlich gefasst und geäußert hat. Gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung und gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung sind danach verboten und strafbar. Ärzten und sogenannten Sterbehilfevereinen wird bei ihrer Tätigkeit ein klarer Rechtsrahmen gegeben. Es werden Beratungs- und Dokumentationspflichten eingeführt. Pflichtverletzungen werden selbstverständlich strafrechtlich geahndet. Das Strafrecht hat seit über 140 Jahren die Hilfe zur Selbsttötung nicht verboten. Dabei ist es nicht zu gravierenden Fehlentwicklungen gekommen. Wir wollen, dass diese Rechtslage erhalten bleibt. Zugleich aber stärken wir die Rechtssicherheit für die, die Hilfe leisten, und sanktionieren diejenigen, die aus dem Leid anderer Kapital schlagen wollen. Lassen Sie mich an dieser Stelle aber eines deutlich betonen, obwohl es hoffentlich nicht betont werden muss: In diesem Hohen Hause macht sich bei diesem ethisch so schwierigen Thema keine Abgeordnete und kein Abgeordneter die Entscheidung leicht. Ich achte und respektiere die Meinungen meiner Kolleginnen und Kollegen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen oder Wertvorstellungen zu anderen Lösungswegen kommen. Wir alle wissen, dass uns menschliches Leben und Menschenwürde die höchsten Güter sind. Durch unterschiedliche Sichtweisen und Vorstellungen nähern wir uns dem Problem aber von verschiedenen Seiten, manchmal auch emotional und leidenschaftlich. Lassen Sie uns dabei aber das gemeinsame Fundament, auf dem wir stehen, nicht vergessen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Präsident Dr. Norbert Lammert: Johannes Singhammer ist der nächste Redner. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Singhammer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tod ist der größte Feind der Menschheit, und kein Gesetz kann ihn besiegen. Das Sterben allerdings kann der Mensch beeinflussen oder gar gestalten und die Würde der letzten Lebensphase gesetzlich schützen. 900 000 Menschen werden in diesem Jahr – so sagt die Statistik – in Deutschland sterben, und keiner von uns weiß, wann ihm die letzte Stunde schlägt. Aber eines wissen wir: Die Menschen sind angesichts des nahenden Todes in einer Phase der größten Schwäche und brauchen deshalb besonderen Schutz und liebevolle Begleitung. Der Deutsche Bundestag führt eine anspruchsvolle Debatte, mit unterschiedlichen Lösungsvorschlägen, aber mit einer großen Ernsthaftigkeit. Ich möchte für den Gesetzesvorschlag werben, welcher die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung verbietet. Leben bedeutet Selbstbestimmung und Autonomie. Der Tod ist das Ende jeglicher Selbstbestimmung und Autonomie. Die Phase vor dem Tod heißt abnehmende Autonomie bzw. Autonomieverlust. Wie wir bei schwindender Selbstbestimmung die Würde bewahren, das ist der Kern der heutigen Debatte. Ich sage: Sterben ist höchstpersönlich und eignet sich keinesfalls zum Alltagsgeschäft. Die Möglichkeit des Sterbens, auf Bestellung gar, unter welchen wie auch immer engen Voraussetzungen ist wenig geeignet, die schwindende Selbstbestimmung zu verwirklichen; sie birgt vielmehr eine Gefahr: die Gefahr, einen Erwartungsdruck wachsen zu lassen, auch wenn er überhaupt nicht gewollt ist. Nützlichkeitserwägungen für eine Rechtfertigung des Lebens darf es aber zu keinem Zeitpunkt geben. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Eine ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung ist keine Lösung. Wir alle kennen die älteste Formel eines Standesrechts: Das ist der immer wieder beschworene hippokratische Eid der Ärzte, vor fast 3 000 Jahren erstmals gesprochen. Er ist eindeutig, klar und unmissverständlich und lautet: Ich werde niemandem ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen. – Das ist die Grundlage jedes ärztlichen Standesrechts in Deutschland. Ärzten mit einer gesetzlichen Norm die Beihilfe zur Selbsttötung zu eröffnen, wäre, denke ich, sehr problematisch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn allen eng gefassten Voraussetzungen und Beratungspflichten zum Trotz würde eine solche Norm das Verhältnis Arzt/Patient grundsätzlich ändern, und zwar im Kernbereich des Vertrauensverhältnisses. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ärzte wollen aber Leben erhalten, die Gesundheit schützen und möglichst wiederherstellen, Leiden lindern sowie Sterbenden Beistand leisten. Deshalb sollen Ärzte nicht Hilfe zu einem gesteuerten Sterben leisten, sondern Menschen im Sterben begleiten. Wir wollen, dass sich für Angehörige an der gegenwärtigen Rechtslage nichts ändert. Wir schlagen einen neuen § 217 Absatz 2 des Strafgesetzbuches vor, nach dem straffrei bleiben soll, wer Angehöriger ist. Das bedeutet aber unter keinen Umständen, dass es eine Art Ermächtigung für Angehörige wäre, bei einer Selbsttötung mitzuwirken. Nein, es soll auch keine Grauzone geschaffen werden. Vielmehr wird ein Verantwortungsbereich beschrieben, der sich mit seinen unterschiedlichsten, nicht vorhersehbaren Lebenssachverhalten einer kasuistischen Paragrafenregelung entzieht. Gesetze zu schmieden, bei denen die Wahrscheinlichkeit gering ist, in der Praxis umgesetzt zu werden, macht wenig Sinn. Das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid und der umfassende Aufbau einer Palliativ- und Hospizversorgung gehören untrennbar zusammen; darüber sind wir uns einig. Der Schutz des menschlichen Lebens vom Anfang bis zum Ende muss Vorrang vor jeder Art Nützlichkeits- oder Geschäftsdenken haben. Keiner von uns weiß, wie er sterben wird. Wir alle hoffen, das Lebensende geborgen, aufgefangen und schmerzfrei zu erleben. Das wollen wir mit unserem Gesetz unterstützen. Als Christ sage ich für mich persönlich: Ich bete für ein gnädiges Ende. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Arnold Vaatz erhält nun das Wort. Arnold Vaatz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Johannes, ich möchte deinen Gedanken aufgreifen. Wir befassen uns heute mit einer Regelung, deren Qualität sich nicht danach bemisst, ob sie in philosophischen Salons oder in juristischen Seminaren Bestand hat. Vielmehr muss sie sich am Kranken- bzw. Totenbett bewähren; das ist der Auftrag. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wie wollen wir beurteilen, wie sich eine solche Regelung in den letzten Momenten des Lebens eines Menschen auswirkt? Wir können hier nicht allgemeine Maßstäbe anlegen. Ich fordere daher jeden und jede hier auf, sich vorzustellen, dass er oder sie nach langem Siechtum oder nach der Prognose, dass nur noch wenige Tage bis zum Tod verbleiben, im Bett liegt, hilflos ist und nach langem Überlegen entscheidet: Ich möchte nicht qualvoll ersticken. Ich möchte mir nicht nachts die Schläuche aus den Adern herausreißen, in der Hoffnung, dass die Nachtschwester das nicht bemerkt. Vielmehr möchte ich einen leichten, absehbaren Tod, wenn es möglich ist. – In einer solchen Situation befinden sich die Betreffenden. Nicht ein Dritter hat sie dazu überredet, sich den Suizid zu wünschen. Vielmehr ist das ihre eigene Entscheidung. Heute geht es darum, ob wir eine gesetzliche Lage schaffen, die ausschließlich dazu dient, Menschen, die die letzten Tage ihres Lebens vor sich haben, vor der Erfüllung ihres letzten Willens zu schützen, ihnen ihren letzten Willen zu verwehren. Ich bin der entschiedenen Ansicht, dass ich, wenn ich in eine solche Situation käme, niemals akzeptieren würde, dass ein Arzt zu mir sagt: Ich sehe zwar ein, dass du nicht mehr lange zu leben hast und eine qualvolle Zeit vor dir liegt, und kann auch nachempfinden, dass du dir einen schnellen und leichten Tod wünschst. Aber ich kann dir das nicht gewähren, weil ich nicht hundertprozentig sicher bin, ob ich am Ende nicht belangt werde. Außerdem habe ich Familie. Deinetwegen kann ich nicht meine gesamte -berufliche Karriere riskieren. – Wir haben hier Ärzte -gehört. Der eine sagte, dass die Situation gemäß dem Gesetzentwurf Brand rechtssicher ist. Der Kollege Lauterbach hat genau das bestritten. Ganz offensichtlich ist man unterschiedlicher Meinung. Demzufolge kann ich als Nichtjurist nicht sagen, wie die Ärzteschaft darauf allgemein reagiert. Aber ich bin entschieden dagegen, dass mir aus Karrieregründen die Erfüllung meines allerletzten Wunsches verwehrt wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich betrachte es als ein zentrales Recht des mündigen Menschen, dass er auch in einem solchen Moment selbst entscheiden kann, wie es mit ihm in einer solchen klar umrissenen Situation weitergeht. Gleichzeitig rede ich aber nicht denen das Wort, die sagen, dass wir prinzipiell niemals Menschen vor sich selbst schützen müssen. Das müssen wir in manchen Fällen tun. Wir halten Kinder zurück, damit sie nicht über die Straße rennen und überfahren werden. Wir müssen etwas dafür tun, dass momentane Kränkungen, psychische Belastungen oder heilbare psychische Krankheiten nicht zum Selbstmord führen. Dafür sollten wir alles tun. Aber ich halte es für eine Grenzüberschreitung, wenn der Gesetzgeber für so aussichtslose Situationen wie die eben beschriebenen ein Gesetz schafft, das ausschließlich dazu dient, Menschen in ihren letzten Sekunden die Erfüllung ihres letzten, wohlüberlegten Willens zu verweigern. Demzufolge bitte ich um Zustimmung zu dem Antrag Hintze. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ulla Schmidt ist die nächste Rednerin. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Michael Frieser [CDU/CSU]) Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die heutige Debatte aufmerksam verfolgt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ein Einziger dabei war, der nicht bereit wäre, Menschen auch in den letzten, schwersten Stunden, Tagen und Wochen zur Seite zu stehen. Ich hatte vielmehr den Eindruck, dass jenseits aller Differenzen hier doch Einigkeit darüber besteht, dass es am Ende des Lebens um die Würde des Einzelnen geht und dass diese Würde nicht nur aufgrund von Artikel 1 unseres Grundgesetzes, sondern auch deswegen, weil sie Kernbestandteil einer humanen Gesellschaft ist, nicht verhandelbar ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Deswegen glaube ich, dass neben der Wahrung der Autonomie und der Selbstbestimmung für uns alle gelten muss, dass am Lebensende die Vermutungsregel „Pro Leben“ steht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gerade deswegen müssen die Angebote ausgebaut werden. Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, ich gehöre zu denen, die unendlich viele Palliativstationen besucht haben und in vielen Hospizen waren. Ich bin selbst in der Hospizbewegung aktiv und habe mit vielen Palliativmedizinern und -medizinerinnen gesprochen. Vielleicht sollte man manchmal zur Kenntnis nehmen, was heute schon alles in Deutschland möglich ist und was an Hilfe geleistet wird, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) und zwar von Ärztinnen und Ärzten, die nicht im Karrieredenken verhaftet sind, sondern die alles dafür tun, um in Zusammenarbeit mit dafür ausgebildeten Pflegekräften und Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen den Menschen zu helfen. Ich verweise auf die Angebote, die wir geschaffen haben, wobei ich aber auch weiß, dass sie noch nicht flächendeckend vorhanden sind. Aber da, wo diese Angebote bestehen, werden sie von den betroffenen Menschen und ihren Angehörigen als enorme Hilfe in den letzten schweren Stunden empfunden. Daran muss weiter gearbeitet werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Es gibt drei Gründe, warum ich für den Entwurf Griese/Brand bin. Der erste Grund ist: Mir ist bewusst, dass es so etwas wie Rechtssicherheit in diesen Fragen nicht geben kann. Ich bin davon überzeugt: Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wird kein Gesetzgeber bis zur letzten Gewissheit rechtssicher regeln können. (Michael Brand [CDU/CSU]: So ist es!) Aber was wir brauchen, ist Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte, wenn sie sich für den Patienten entscheiden. Solidarität mit den Patienten, Kollege Hüppe, bedeutet doch nicht nur, dass ich alles tue, um ihn am Leben zu erhalten, sondern sie bedeutet auch die Begleitung im schweren Sterbeprozess. Das geht bis zu dem Punkt, dass man zum Beispiel die autonome Ent-scheidung von ALS-Kranken, das Beatmungsgerät ab-zustellen – wobei die Patienten wissen, dass damit der Sterbeprozess eingeleitet wird –, akzeptiert. Ebenso muss akzeptiert werden, dass der Patient oder die Patientin selbst entscheiden kann, wie er oder sie den Sterbeprozess gestalten will, schlafend oder aktiv bis zum letzten Atemzug. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Deshalb glaube ich, dass der Gesetzentwurf, der all das zulässt, was heute möglich ist, und in diesem Bereich nichts regelt, der richtige ist. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Aber das tut er nicht!) Der zweite Grund ist: Eine so verstandene Sterbebegleitung ist für mich immer eine Frage eines karitativen Aktes, und deshalb kann es keine gewerbsmäßige, auf Wiederholung angelegte Arbeit von Sterbevereinen und organisierten Sterbehelfern geben. Der Unterschied besteht in dem, was ich eben beschrieben habe: Was Ärzte für die Patienten heute tun, ist, die Behandlung auf die Linderung von Schmerzen unter Inkaufnahme des Todes auszurichten. Dabei soll allerdings der Tod nicht explizit herbeigeführt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Für uns geht es darum, wirklich zu beraten und darüber aufzuklären, was möglich ist. Diejenigen, die schnelle Hilfe versprechen, stellen hingegen lediglich ein Suizidmittel bereit. Der dritte und letzte Grund ist – Herr Präsident, wenn Sie gestatten –: Wir in Deutschland können diese Diskussionen nicht führen, ohne unsere Vergangenheit im Auge zu behalten. Ich will nicht alles in einen Topf werfen. Das eine war eine organisierte kollektive Euthanasie, die staatlich verordnet war. Wir hingegen reden hier über Patientenautonomie und Selbstbestimmung bis zum letzten Atemzug. (Michael Brand [CDU/CSU]: So ist es!) Aber wir müssen bei diesen Fragen immer auch mitbedenken, dass Menschen mit Behinderung schon in Sorge sind, wenn Kriterien dafür beschrieben werden, wann vielleicht gestattet ist, ein Leben zu Ende zu führen oder nicht. Wir müssen da sehr sensibel und sehr vorsichtig sein. (Kerstin Griese [SPD]: Ja!) Ich glaube, dass wir uns bei der in unserem Land immer wieder geführten Debatte darüber, welches Leben lebenswert ist oder nicht, stets bewusst sein müssen, dass diese Debatte häufig von Menschen bestimmt wird, die gar nicht in entsprechenden Situationen sind, während Menschen in solchen Situationen ihr Leben als lebenswert empfinden. Deshalb: So wenig Regeln wie möglich. Wir sollten das Ganze in dem gesellschaftlichen Klima belassen, das wir kennen. Aber wir sollten verbieten, dass aus Sterbehilfe eine Dienstleistung wird. Eine Dienstleistung zum Töten darf es in unserem Land nicht geben. Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Burkhard Lischka ist der nächste Redner. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Burkhard Lischka (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der heutigen Debatte ist sehr viel über Würde gesprochen worden. Das ist auch gut so. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – das ist der erste und der allerwichtigste Satz unseres Grundgesetzes. Ein Leben in Würde, aber auch ein Sterben in Würde: Würde bleibt Würde, bis zum letzten Atemzug. Nur, wie sieht eigentlich ein würdiges Sterben aus? Dazu gibt es – übrigens nicht nur hier im Haus – ganz unterschiedliche und, wie ich finde, auch sehr persönliche Antworten. Für die einen besteht ein würdiges Sterben darin, dass der Körper selbst und nicht der Mensch den Todeszeitpunkt vorgibt. Für die anderen gehört zu ihrer Würde, dass sie als Todkranke selbst entscheiden können, ob und wann sie ihr Leben beenden, wenn sie ihr Leid als unerträglich empfinden. Das ist ein unauflösbarer Konflikt, der da sichtbar wird. Ich finde, dass in einer freien Gesellschaft beide Ansichten ihren Platz haben müssen. Wie ein würdiges Lebensende auszusehen hat, das sollte Politik nicht allen Menschen vorschreiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kerstin Griese [SPD]: Tut ja auch keiner!) Das ist und bleibt eine höchstpersönliche Entscheidung, manchmal auch ein sehr schmerzhaftes Ringen zwischen Patienten, Familienangehörigen und Ärzten darüber, was Menschlichkeit gebietet. Der Gesetzgeber sollte das den Betroffenen nicht abnehmen und es, wie ich finde, erst recht nicht mit der Drohung des Strafrechts vorgeben. (Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) Das ist eine der Kernbotschaften des Gesetzentwurfs, den ich mit den Kollegen Hintze, Reimann, Lauterbach und anderen hier heute einbringe. Das Strafrecht ist das untauglichste Mittel, Todkranken vorzuschreiben, wie sie zu sterben haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb verzichten wir auch bewusst auf jede strafrechtliche Regelung. Der Staatsanwalt hat am Sterbebett nichts zu suchen. Eine zweite Kernbotschaft senden wir mit unserem Gesetzentwurf heute aus: Schützt eine mitfühlende ärztliche Gewissensentscheidung, wenn Menschen dem Tod ins Auge blicken, wenn sie ihr Leid – trotz aller Bemühungen – nicht mehr ertragen können, wenn Palliativmedizin Schmerzen zwar lindern, aber nicht aus der Welt schaffen kann? Ich fühle mich übrigens all denjenigen durchaus verbunden, die zumindest kommerziellen Sterbehilfevereinen einen Riegel vorschieben wollen, weil Missbrauch, finanzielle Abzocke und schlechte Beratung an der Schwelle zum Tod nichts zu suchen haben. Nur, ich habe eine Befürchtung: dass manche hier auf die Sterbehilfevereine zielen, aber dabei auch die Ärzte treffen. (Kerstin Griese [SPD]: Tun wir aber nicht!) Wer nämlich den ärztlich assistierten Suizid auf die Fälle beschränken will, bei denen ein Wiederholungsfall ausgeschlossen ist, der schickt Staatsanwälte an das Sterbebett, ob er das will oder nicht; (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Michael Brand [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!) denn in jedem Fall eines ärztlich assistierten Suizids (Michael Brand [CDU/CSU]: Das stimmt einfach nicht!) muss der Staatsanwalt doch als Erstes feststellen: Ist das eigentlich der erste Fall? Dann muss er feststellen: Ist eigentlich eine Wiederholung ausgeschlossen, oder hat der Arzt das auf Wiederholung angelegt? Deswegen muss er den Arzt vernehmen und muss auch die Hinterbliebenen vernehmen zu der Frage, was der Arzt ihnen möglicherweise gesagt hat. Im Hinblick auf den Absatz 2 dieser Regelung muss er möglicherweise durch eine Sichtung der Patienten- und Behandlungsakten noch feststellen, wie nahe sich eigentlich Arzt und Patient gestanden haben. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein!) Kein Arzt in Deutschland wird sich der Gefahr solcher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen aussetzen, meine Damen und Herren! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Deshalb ist meine große Befürchtung: Wenn sich kein Arzt mehr finden wird, dann treiben wir die Menschen in einer existenziellen Notlage genau dahin, wo wir sie nicht haben wollen, nämlich in die Illegalität oder in das Ausland. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, eine humane Gesellschaft muss in Situationen, in denen Atemnot, Angst, Schmerzen und Qualen nicht mehr beherrschbar sind, (Michael Brand [CDU/CSU]: Palliativmedizin!) auch die Kraft aufbringen, sterben zu lassen. Und diese Kraft wünsche ich mir für das weitere Gesetzgebungsverfahren. Recht herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Göring-Eckardt. (Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen in der Debatte, hier im Parlament und in der Gesellschaft, über den assistierten Freitod. Wir reden dabei über Freiheit, über Selbstbestimmung, über Eigenverantwortung, über Würde am Lebensende. Das tun wir alle. Wir reden über das Ende des Lebens, wissend, dass es kommen wird – unvermeidlich. Wir reden über den Tod und meinen doch eigentlich das Sterben. Wir führen diese Debatte vor allem, weil Menschen in Deutschland Angst vor dem Sterben haben. Sie haben Angst vor Schmerzen, Angst vor dem Verlust von Selbstbestimmung und Autonomie, Angst vor dem Verlust der Fähigkeit, ihr Leben in Würde zu leben. Und das verstehe ich zutiefst. Wir reden über den Tod, aber wir meinen eigentlich das Leben. Wir meinen ein Leben, das von Krankheit und Leid gekennzeichnet ist, von dem wir wissen, dass es bald zu Ende gehen wird, ein Leben, das bei manchem betroffenen Menschen Zweifel aufkommen lässt, ob es denn noch lebenswert sei, ob es denn noch als lebenswert betrachtet wird. Aber gibt es das, ein Leben, das nicht mehr lebenswert ist? Krankheit, Behinderung, Leid können die Würde des Lebens nicht relativieren. Das Leben verliert seine Würde nicht, und auch der sterbende Mensch verliert seine Würde nicht. (Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD]) Dennoch gibt es das, was wir „lebensmüde“ nennen. Die Gründe sind vielfältig – wir kennen sie aus vielen Umfragen –: die Angst vor Einsamkeit und Isolation, die Sorge, ins Heim zu müssen, die Sorge, auf Hilfe angewiesen zu sein und sich dafür zu schämen. All das kennen wir, auch wenn diese Sorgen, wie die Umfragen belegen, vor allem Menschen im gesunden Alter zwischen 40 und 60 Jahren umtreiben. Viele von uns, vielleicht alle, diskutieren hier mit sehr persönlichem Hintergrund, mit eigenen Fragen, mit eigenen Erlebnissen. Ich finde, es tut uns im Parlament gut bei all den Auseinandersetzungen, die wir sonst führen, Leben und Erleben auch der anderen in den Blick zu nehmen. Meine Mutter ist bei einem Unfall umgekommen, als ich 17 war. Ich hätte sie gerne länger gehabt und sie gepflegt. Stattdessen musste ich damals entscheiden, dass die Geräte abgeschaltet werden. Dieses Persönliche verstellt uns aber zugleich womöglich auch den Blick auf das Ganze. Wir entscheiden eben nicht für uns alleine, die wir reflektiert, informiert, orientiert sind; jedenfalls hoffen wir das. Wir sind hier Gesetzgeber und müssen daher diejenigen ganz besonders in den Blick nehmen, die auf Schutz und auf Hilfe angewiesen sind, die Schwächsten nämlich. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Deshalb und nicht mit Blick auf einen einzigen Kollegen oder eine einzige Kollegin hier im Saal frage ich: Welche Einschränkungen ist diese Gesellschaft eigentlich bereit zu akzeptieren und welche nicht? Wo ziehen wir die Linie? Ich sorge mich um eine Gesellschaft, die irgendwann akzeptiert, vielleicht sogar erwartet, dass alte, kranke oder pflegebedürftige Menschen ihrem Leben ein Ende setzen. Ich sorge mich um eine Gesellschaft mit unlauteren Sterbeerwartungen. Denn Menschen, die mit einer solchen Erwartung konfrontiert werden, direkt oder indirekt, mit Worten, mit Blicken, mit Beispielen von anderen, handeln nicht mehr selbstbestimmt. Sie sind fremdbestimmt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der LINKEN sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Kritiker führen ja an, dass für solche Entwicklungen bereits heute Hinweise zu finden sein müssten. Es ist jedoch ein Unterschied, ob einzelne Menschen in einer individuellen tragischen Ausnahmesituation handeln oder ob der assistierte Suizid einen Anschein gesellschaftlicher Normalität, einen Anschein von Dienstleistung in sich trägt. Ich jedenfalls kann keinem Vorhaben zustimmen, das in der Konsequenz den Respekt vor dem Leben in allen Facetten, Unvollkommenheiten, in Versehrtheit und Verzweiflung auch nur schwächt. Der assistierte -Suizid darf deshalb kein organisiertes und schon gar kein gewerbsmäßiges Angebot werden. Wir schulden den Menschen Würde, Selbstbestimmung, Hilfe und Unterstützung, auch im Tod. Wir schulden es den Menschen, dass sie auch in der letzten Phase des Lebens Zuwendung erfahren, und dürfen zugleich nicht von ihnen verlangen, einen qualvollen Weg in Widerwillen zu beschreiten. Der Gesetzgeber sollte deswegen unterstützende Handlungen beim Freitod nicht kriminalisieren. Deswegen trägt auch das Argument, dass die Ärzte es nicht dürften, nicht. Er darf sie aber eben auch in keiner Weise wie eine Dienstleistung legitimieren. Deswegen geht der Gesetzentwurf der Mitte, den Kerstin Griese, Herr Brand und andere erarbeitet haben, genau in diese Richtung: nicht kriminalisieren, aber auch nicht als Dienstleistung legitimieren. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) In unserer Debatte über den assistierten Suizid müssen wir bedenken, dass es weitergeht. Wir leben in einer Gesellschaft, die immer mehr verlernt, über Leben, Krankheit und Tod zu sprechen. Stattdessen wird schon 16-Jährigen suggeriert, sie könnten ihren Körper operativ optimieren. Und von 60-Jährigen wird fortwährende vollständige Leistungsfähigkeit erwartet. Schönheit und Makellosigkeit werden zu Götzen einer Welt, in der immer alles möglich, regelbar, erreichbar, selbstbestimmt sein soll. Der Tod, das Sterben, die Grenzen, die das Leben hat, werden verdrängt ins Unsichtbare und Uneigentliche. Man kann Grenzen, Leid und Tod aber weder ungeschehen noch ungesehen machen. Ohne Bewusstsein für den Tod kann es keinen Respekt für das Leben geben. Einer solchen Entwicklung sollten und wollen – ich glaube, da sind wir uns einig – wir keinen Vorschub leisten. Unsere Aufgabe ist es, Hilfe im Sterben zu ermöglichen und zu verbessern. Die Angebote der Palliativmedizin müssen ausgebaut werden und die Hospizarbeit, auch die ehrenamtliche, gestärkt werden. Zudem brauchen wir die Suizidprävention. Sie muss weiter gestärkt werden. Es gibt jedes Jahr mehr als 10 000 Suizide. Über 90 Prozent werden von psychisch Kranken vorgenommen. Wir als Fraktion haben dazu einen Antrag vorgelegt. Wir müssen aber auch die Pflege in den Heimen weiter verbessern. Zum Schluss. Meine Bitte bleibt: Lassen Sie uns genau das nicht immer nur pflichtschuldig sagen nach dem Motto „Ja, ja, wir müssen“. Auch wir sind nämlich vermutlich eines Tages selbst diejenigen, die ihre Selbstbestimmung und Würde bewahren wollen, auch wenn wir viel an Autonomie verloren haben. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Dr. Katarina Barley spricht als Nächste. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Katarina Barley (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich bin ausgesprochen froh über diese Debatte – auch darüber, wie sie abläuft –, weil sie, wie ich glaube, zeigt, dass das Thema wirklich reflektiert wird und wir alle uns unsere tiefen moralischen und ethischen Gedanken über diese Frage machen. Sie führt auch dazu, dass Sterben und Tod wieder ein bisschen mehr in den Mittelpunkt rücken; denn wir neigen dazu, die damit zusammenhängenden Fragen eher auszublenden. Auch wir werden sterben – alle von uns –, und niemand von uns weiß, wie ihn dieses Schicksal ereilen wird. Wir alle wollen in Würde sterben. Aber was Würde bedeutet, das definiert eben jeder für sich selbst. Das ist auch gut und richtig so. Daher ist es wichtig, zu betonen: Niemand hat das Recht, das Leben eines anderen, in welcher Form auch immer es sich gestaltet, als nicht würdig, als nicht lebenswert zu bezeichnen. Zugleich steht es, wie ich finde, auch niemandem an, einem anderen Menschen, der sein Leben, das er lebt, als nicht mehr lebenswert und unwürdig empfindet, zu sagen: Das ist es nicht. Wir übernehmen diese Wertung für dich. – Deswegen ist es wichtig, dass wir den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung weiter vorantreiben. Ich bin sehr froh, dass wir in diesem Hause derzeit dafür sorgen. Aber wir müssen uns auch Gedanken über diejenigen machen, denen das nicht hilft, entweder weil die Palliativversorgung an ihre Grenzen gerät oder weil Schmerz einfach nicht das tatsächliche und grundlegende existenzielle Problem ist, das der eine oder andere Mensch hat. Menschen haben in diesem Land das Recht, ihr Leben zu beenden, so sehr wir bedauern, dass sie das tun. Diejenigen, die ihnen dabei helfen, bleiben straffrei. Auch das ist gut und richtig so. Aber wie ist die aktuelle Lage? Am Ende eines Lebens, wenn ich sterbenskrank bin, dann kann ich meinen Partner, meinen Nachbarn oder meine Freunde bitten, mir dabei zu helfen, mein Leben zu beenden; aber einen kann ich nicht bitten: meinen Arzt. Ich halte diese Situation für fast absurd. Das verbietet nicht das Strafrecht, aber das ärztliche Standesrecht verbietet das. Nun kann man sagen: Na ja, es wird ja nicht umgesetzt. – Ich habe vor kurzem mit dem Bischof von Trier, wo ich lebe, über Sterbehilfe diskutiert und habe das dabei scherzhaft die „katholische Lösung“ genannt. Wir haben also Regelungen, aber gehen davon aus, dass sie keiner anwendet. Ich glaube, dass das für einen Gesetzgeber keine sehr befriedigende Lösung sein kann. Ich bin froh, dass wir als Gesetzgeber uns dieser Frage jetzt stellen; denn wir brauchen Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte. Wir können nicht zulassen, dass über ihnen das Damoklesschwert von Sanktionen bis hin zum Entzug der Approbation schwebt. Wenn Hilfe zum Suizid in Anspruch genommen wird, dann sollten es meiner Meinung nach gerade die Ärzte sein, zu denen die Menschen gehen können. (Michael Brand [CDU/CSU]: Die wollen das doch selbst nicht!) Warum? Sie kennen in der Regel die Patientinnen und Patienten gut und lange, kennen ihre Leidensgeschichte und können mit ihnen darüber sprechen, was auf sie zukommt. Sie können sie auch beraten, welche Alternativen es gibt, (Michael Brand [CDU/CSU]: Die Ärzte wehren sich doch selbst!) zum Beispiel Hospiz, Palliativmedizin; all das ist schon zur Sprache gekommen. Ich glaube – auch das muss man einfach einmal beim Namen nennen –, wenn es denn tatsächlich zur Hilfe beim Suizid kommt, dann sind diese auch die Menschen, die das am ehesten leisten können. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen Satz hervorheben, den das Nationale Suizidpräventionsprogramm enthält. Darin wird hervorgehoben, dass insbesondere ältere Menschen allein aufgrund der Vorstellung, im Falle zu großen Leidens mit ärztlicher Hilfe Suizid begehen zu können, stabilisiert werden und nicht nach diesem Ausweg greifen. Allein das Wissen darum, dass ich zu meinem Arzt gehen und Hilfe bekommen kann, hilft also schon vielen. Ich wage einmal einen Vergleich, der natürlich extrem hinkt: Die Art, wie diese Debatte geführt wird, erinnert aber mich manchmal an die Debatte zum Schwangerschaftsabbruch. (Kerstin Griese [SPD]: Der Vergleich passt überhaupt nicht!) Wir wollen das nicht. Wir wollen den Effekt nicht. Wir wollen nicht, dass Menschen das tun. Aber trotz aller Beratung und trotz aller Unterstützung wird es Menschen geben, die das tun. Und diesen Menschen müssen wir Unterstützung gewähren. Wir dürfen sie nicht alleinlassen, sonst werden die Tragödien umso größer. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus meinem persönlichen Umfeld. Ich habe gerade von der Veranstaltung mit dem Trierer Bischof gesprochen. Wenige Tage später erreichte mich der Anruf einer guten Bekannten. Sie sagte, ihre Schwester, die Krebs im Endstadium hat, bereits zwei Suizidversuche hinter sich hatte und nun in der geschlossenen Psychiatrie war, hat sich an genau diesem Tag, als die Veranstaltung war, eine Plastiktüte über den Kopf gezogen. Als sie gefunden wurde, hatte sie irreparable Hirnschäden. Ich habe mich gefragt: Was wäre passiert, wenn die Frau die Möglichkeit gehabt hätte, ihren Arzt um Unterstützung zu bitten? Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Claudia Lücking-Michel. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein gutes Ergebnis hat dieses Gesetzgebungsverfahren auf jeden Fall schon gebracht: Wir reden über Tod und Sterben. Dieses schwierige Thema war in den letzten Wochen und Monaten Gegenstand zahlreicher Erörterungen, politischer Veranstaltungen und privater Gespräche. Immer wieder wurden dabei Stimmen laut, die fordern, dass die Entscheidung über den eigenen Tod zur Selbstbestimmung und Autonomie jedes Menschen gehören müsse und der Gesetzgeber bzw. die Politik sich da bitte herauszuhalten habe. Es wird dann etwa so formuliert: Letztlich sterben wir alle alleine, also sollten wir auch selbst entscheiden können, wie wir sterben. Wie antworte ich darauf? Autonomie über alles? Natürlich gilt: Niemals darf ein Mensch zum bloßen Objekt fremder Interessen herabgewürdigt und durch sie fremdbestimmt werden. Freie Selbstbestimmung ist ein hohes Gut und unmittelbarer Ausfluss der Würde des Menschen. Dies ist für mich ein wesentlicher Bestandteil auch und gerade des christlichen Menschenbildes. Aber gleichzeitig hat unsere Selbstbestimmung Grenzen, und der Anspruch darauf unterliegt in mancher Hinsicht auch einer Selbsttäuschung. Denn niemand ist eine Insel. Keiner lebt für sich allein. Jeder von uns ist von Anfang bis Ende, von der Geburt bis zum Tod auf andere angewiesen und wird – Autonomie hin oder her – durch sein soziales Umfeld bestimmt. Wo spricht man dann wirklich autonom? Wo entscheidet unser Selbst? Und umgekehrt: Jede selbstbestimmte Entscheidung eines Menschen hat Auswirkungen auf seine Mitmenschen und beeinflusst unweigerlich deren Lebensführung und deren Lebensschicksal. Jede Entscheidung muss deshalb auch in ihrer Wirkung auf andere nach bestem Wissen und Gewissen verantwortet werden. Menschliche Autonomie wäre missverstanden, wenn man sie mit Beliebigkeit oder gar Bindungslosigkeit gleichsetzte. Meine Damen und Herren, was heißt das für unser Thema heute Morgen? Nicht nur sterbenskranke und leidende Menschen, auch manche, denen es noch durchaus gut geht, die aber Angst vor einem späteren Kontrollverlust haben, äußern immer häufiger einen Sterbewunsch. Dabei fordern sie für sich ein Maß an Selbstbestimmung, das es auch zu anderen Zeiten im Leben so nicht gibt. Am Lebensende kommt es erst recht vor, dass man Kontrolle abgeben muss. Schmerz, Leid, Ekel bekommt die Palliativmedizin dabei heute schon viel besser in den Griff, als viele von uns es erwarten. Mir macht Hoffnung, wenn Palliativmediziner berichten, dass sie die allermeisten Todeskandidaten von der Chance des Weiterlebens überzeugen konnten. Trotzdem wäre es sicher vermessen, zu behaupten, dass alles Leid aus dem Leben und seinem Ende verbannt werden kann. Vieles bekommen wir mit Medikamenten in den Griff, doch die Konfrontation mit unserem Ende kann uns niemand abnehmen. Meine Damen und Herren, sterben muss jeder von uns alleine. Das stimmt. Aber als Gesellschaft, als Gesetzgeber sind wir mit dafür verantwortlich, unter welchen Bedingungen Menschen sterben: alleine oder liebevoll versorgt, schwer leidend oder palliativmedizinisch behandelt; vor allem aber in der Gewissheit, dass wir als Gesellschaft keine Kosten und Mühen für sie scheuen und sie nicht unter Druck gesetzt werden, sich für eine Selbsttötung zu entscheiden. Das eine ist die Freiheit, sich selbst für die Selbsttötung zu entscheiden. Die kann und will ich niemandem nehmen, und das wollen wir auch mit unserem Gesetzentwurf nicht ändern. Das andere ist die Erwartung, dass es in unserer Gesellschaft legalisierte Beihilfeangebote hinsichtlich der Erfüllung dieses Wunsches geben sollte. Wenn Beihilfe zum Suizid bei uns erst mal zum Standardrepertoire gehört, muss ich mich entscheiden; dann bin ich nicht mehr frei, mich nicht zu dieser Option zu verhalten. Wenn rechts und links von mir Menschen regelmäßig auf so ein Angebot zugreifen, muss ich mich selbst ganz anders rechtfertigen, wenn ich es für mich ausschließe. So eine Situation möchte ich für unser Land und unsere Gesellschaft verhindern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aus diesem Grund habe ich mich an der Erarbeitung des Gesetzentwurfes beteiligt, der organisierte, genauer: geschäftsmäßige Formen von Suizidbeihilfe unter Strafe stellt. Wir wollen nicht, dass Menschen sich selbst als Last empfinden und sich unter Druck gesetzt fühlen, sich aus dem Weg zu räumen. Wir haben uns vielmehr von der Aussage leiten lassen: Eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht muss Menschen in Not einen menschlichen Ausweg anbieten, keinen technischen. Ich bitte deshalb um Ihre Unterstützung für den Gesetzentwurf Brand und Griese. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege René Röspel spricht als Nächster. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) René Röspel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es herrscht große Einigkeit im Hause und in der Gesellschaft, dass Sterben und Sterbende einen würdigen Platz in unserer Gesellschaft haben müssen. Deswegen ist es gut, dass sich in den letzten Jahren viele für eine Verbesserung der Palliativmedizin und Hospizarbeit eingesetzt haben. Denn Hospize sind ein solcher Platz zum Sterben. In Hospizen werden Menschen beim Sterben, in den Tod hinein, würdig begleitet. Aber in Hospizen ist es nicht Aufgabe und auch nicht Zielsetzung oder Absicht, den Tod herbeizuführen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Insofern, lieber Kollege Burkhard Lischka, wird der Staatsanwalt nach unserem Entwurf nicht am Sterbebett stehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Uneinigkeit besteht sicherlich in zwei Punkten, zum einen bei der Frage: Wie geht die Gesellschaft, wie gehen wir mit den Personen und Vereinen um, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, deren Ziel und Absicht es ist, durch Deutschland zu reisen, um Menschen dabei zu helfen, sich selbst zu töten? Ich finde, dass solche Vereine diese Gesellschaft nicht besser machen, und ich finde auch nicht, dass sie Probleme der einzelnen Menschen lösen, sondern ich finde, dass sie es schlimmer machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Wir wollen mit dem Gesetzentwurf Brand und Griese genau das verbieten. Ein zweiter Punkt der Uneinigkeit ist die Rolle der Ärztin oder des Arztes bei der Beihilfe zum Suizid. Nun hat eine Gruppe um den Kollegen Hintze herum den Vorschlag gemacht, einen Kriterienkatalog in das Bürgerliche Gesetzbuch einzubauen. Wer demnach an einer unheilbaren Erkrankung leidet, die unumkehrbar zum Tod führt, kann Beihilfe zum Suizid durch den Arzt bekommen. Überall da – das ist zumindest meine Erfahrung –, wo man einen Katalog schafft und Ansprüche formuliert, wird es mehr Menschen geben, die sagen: Genau diese Ansprüche, diese Kriterien erfülle ich, und da ich unheilbar erkrankt bin und meine Krankheit – wie übrigens das Leben auch – unumkehrbar zum Tod führt, erwarte ich von dir, Arzt oder Ärztin, dass du mir jetzt auch zum Tode verhilfst. – Ich glaube, auch das ist nicht der richtige Weg. Er würde dazu führen, dass die Kriterien weiter geöffnet werden, weil andere berechtigterweise fragen werden: Aber ist meine Erkrankung denn nicht unheilbar? Warum werde ich denn nicht in die Lage versetzt, von meinem Arzt verlangen zu dürfen, auch umgebracht zu werden? – Ich finde, das hat mit Selbstbestimmung nichts zu tun. (Zuruf des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) Rechtssystematisch wird es noch spannender, lieber Karl; denn dieser Abschnitt soll in § 1921 a Bürgerliches Gesetzbuch eingefügt werden. Wenn man im Bürgerlichen Gesetzbuch einige Seiten vorblättert, dann findet man § 1901 a, in dem die Patientenverfügung geregelt wird. Derselbe, der jetzt als Einwilligungsfähiger nur die Hilfe von seinem Arzt in Anspruch nehmen darf, wenn er unheilbar erkrankt ist, findet aber, wenn er eine Patientenverfügung für den Fall ausfüllt, dass er selbst nicht mehr entscheiden kann, die Möglichkeit, sein Leben unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung beenden zu lassen. Ich finde, man muss erst einmal erklären, wie das zusammengebracht werden soll. Das ist für mich das Zeichen dafür, dass ein solcher Vorschlag auch im Bürgerlichen Gesetzbuch keinen Bestand haben wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich sehe das Bemühen, das hinter dem Gesetzentwurf steht, und die Hoffnung, dass dadurch die Arbeit von Sterbehilfevereinen vielleicht eingedämmt oder sogar überflüssig wird. Aber meine Einschätzung ist: Das Gegenteil wird erreicht; denn so wird doch erst eine Marktlücke geschaffen für Vereine, die Menschen zu beraten, wie sie den Kriterienkatalog des neuen § 1921 a Bürgerliches Gesetzbuch erfüllen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Die Sterbehilfevereine werden Konjunktur haben. Der Gesetzentwurf Brand/Griese, den ich unterstütze, geht einen anderen Weg, eigentlich den heute üblichen Weg. Wir sagen: Wenn es um die Beihilfe eines Arztes oder einer Ärztin zur Selbsttötung geht – in einer schwierigen Situation, in einer Grenzsituation zwischen Leben und Tod, zwischen Recht, Selbstbestimmung und Barmherzigkeit –, dann gibt es keine bessere Instanz als das Gewissen des einzelnen Arztes. Da geht es nicht um das Strafgesetzbuch oder um das BGB, sondern um das, was ein Mensch an Fachwissen, an Erfahrung, an Barmherzigkeit, an Mitgefühl angesammelt hat, um einschätzen zu können, was der richtige Weg ist. Ärzte sind täglich mit solchen Situationen konfrontiert. Sie müssen über das Ende von Leben entscheiden, sie müssen loslassen und am Ende vielleicht sagen: Ja, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Hilfe gebe, damit ein anderer sich selbst vielleicht umbringen kann. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Da geht es nicht um das Strafgesetzbuch. Unser Vorschlag ist freier, offener und selbstbestimmter als die anderen Vorschläge. Wer unsere Haltung unterstützen will, der muss den Gesetzentwurf von Brand und Griese unterstützen. Um diese Unterstützung bitte ich. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner in dieser ersten Lesung ist der Kollege Rudolf Henke. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rudolf Henke (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte anschließend an das, was Herr Röspel gerade gesagt hat, nur einen der existierenden Sterbehilfevereine in Erinnerung bringen. Der Verein „Sterbehilfe Deutschland“ von Roger Kusch hat eine Übersicht über seine Tätigkeiten gegeben. Der Verein berichtet, dass im Jahr 2011 26 Personen Sterbehilfe, besser gesagt: Suizidassistenz, in Anspruch genommen haben. Sechs dieser Suizidenten waren körperlich gesund, nur sechs weitere Personen litten überhaupt an einer tödlichen Krankheit, bei neun Personen ist der Suizid ohne jede Diskussion über Alternativen vollzogen worden. – Das alles geht aus den Dokumentationen des Vereins hervor. Ich meine, dass man solchen Geschäften, ob sie nun kommerziell oder im Gewand eines Vereins, der Mitgliedsbeiträge nimmt, betrieben werden, und solchen Usancen ein Ende bereiten muss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Ich möchte zweitens ein paar Worte dazu sagen, was heute alles möglich ist. Ich habe 1980 nach meinem Staatsexamen begonnen, als Arzt zu arbeiten. Viele der Fragen, die man sich damals gestellt hat, sind heute geklärt. Die Patientenverfügung ist rechtlich verankert. Es gibt heute Richtlinien der Bundesärztekammer über die Möglichkeit eines Zielwechsels in der Therapie. Wenn eine kurative Behandlung nicht mehr möglich ist, dann ist es möglich, auf eine palliative Therapie umzustellen. Es ist möglich, auf Therapiemaßnahmen, die keinen Sinn machen, zu verzichten. Das alles war damals, als ich in den Beruf gekommen bin, noch nicht so. Deswegen kann man den Menschen heute sagen: Niemand muss eine Therapie erdulden – Strahlentherapie, Operation, Chemotherapie; was auch immer –, die er selber ablehnt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Eine Behandlung durch Ärzte, die nicht vom Einverständnis einer informierten Patientin bzw. eines informierten Patienten getragen ist, ist Körperverletzung und nicht zulässig. Damit haben wir ein starkes Mittel in der Hand, damit Leute nicht zum Objekt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Sterben lassen ist möglich, und Therapien am Lebensende sind möglich. Selbstverständlich kann der Arzt, wenn er sich um Schmerzstillung und Beseitigung von Angst kümmert oder etwas gegen die Luftnot tut, im Einklang mit dem Betreffenden Nebenwirkungen in Kauf nehmen, wie das bei jeder anderen Behandlung der Fall ist. Auch bei Operationen oder Chemotherapien kann es zu Nebenwirkungen kommen. Das ist gar kein rechtliches Problem. Das wird auch bei Umsetzung des Gesetzentwurfs Brand/Griese kein rechtliches Problem werden. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: So ist es!) Im Dezember 2014 hat der Deutsche Ethikrat eine Ad-hoc-Empfehlung vorgelegt. Er macht darin deutlich: Eine Suizidbeihilfe, die keine individuelle Hilfe in tragischen Ausnahmesituationen, sondern eine Art Normalfall wäre, etwa im Sinne eines wählbaren Regelangebots von Ärzten oder im Sinne der Dienstleistung eines Vereins, wäre geeignet, den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben zu schwächen. Das ist doch der Punkt. Es ist viel von der Verunsicherung der Ärzte die Rede gewesen. Ich sehe den Grund dafür nicht; aber ich sehe in manchem, was diskutiert wird, den Grund für eine Verunsicherung der Alten, der Schwachen, der Kranken. Denn sie fragen sich, ob sie unter uns noch willkommen, geachtet, geliebt sind, ob wir uns ihnen überhaupt zuwenden wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen meine ich: Man kann argumentieren, dass man die Vereine weiterhin erlauben möchte, weil die Ärzte verunsichert würden, und man kann den Gesetzentwurf von Brand und Griese deshalb ablehnen. Aber ich finde, man kann – darum geht es in einem Entwurf, über den hier auch diskutiert wird – ärztlich begleitete Lebensbeendigung nicht als ein Standardangebot ins Bürgerliche Gesetzbuch einführen, lieber Peter Hintze. Lieber Herr Lauterbach, als Mitglied der Ärztekammer Nordrhein wissen Sie doch genau, was aus einem solchen Standardangebot resultieren wird: Sie werden eine Zweitmeinung brauchen, Sie werden Qualitätssicherung brauchen, Sie werden eine Gebührenordnung brauchen, Sie werden ein Fortbildungsangebot und Fortbildungspunkte brauchen, Sie werden Forschungsprojekte brauchen. Das alles wird Gegenstand des Medizinbetriebs, wie wir ihn überall kennen; und das möchte ich nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Bravo!) Damit würde eine Grenze überschritten. Ich zitiere aus dem Formulierungsvorschlag für eine Änderung des BGB in diesem Gesetzentwurf: Die Entscheidung über den Zeitpunkt, die Art und den Vollzug seiner Lebensbeendigung trifft der Patient. – Autonomie! – Der Vollzug der Lebensbeendigung durch den Patienten erfolgt unter medizinischer Begleitung. Was heißt das denn? Der Arzt bleibt dabei. Was heißt das denn, wenn das Mittel nicht wirkt? Was heißt das denn, wenn der Betreffende erbricht? Was heißt das denn, wenn er Krämpfe bekommt? Was heißt das denn, wenn er den Erfolg des Suizids nicht erreicht? Dann wird doch der Arzt unter dieser Bedingung – „Der Vollzug … durch den Patienten erfolgt unter medizinischer Begleitung“ – zu einem notwendigen Erfolgsgaranten der Suizidabsicht. (Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU]) Damit wird hier die Grenze zur Tötung auf Verlangen überschritten. Das macht die Tür auf für die Tötung auf Verlangen; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) denn das verlangen die Menschen dann mit Recht von den Ärzten, die das einleiten. Da kann man nicht ein Fläschchen hinstellen und sagen: Okay, dieses Fläschchen steht jetzt da, und im Weiteren kümmere ich mich nicht mehr darum. – Das ist nicht das, was die Menschen in einer solchen Situation erwarten. Deswegen sollten wir das, glaube ich, nicht so regeln, wie das in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird. Meine Schlussbemerkung: Ich glaube, die Qualität der Versorgung und die Qualität der Hilfe hängen nicht davon ab, ob genügend Giftbecher gereicht werden, sondern davon, ob es genügend Menschen gibt, die es als Freunde, als Ehrenamtler bei Sterbenden aushalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie hängt davon ab, ob wir es Angehörigen ermöglichen, eine aktive Rolle in dem Teil des Lebens ihrer Lieben zu spielen, den wir das Sterben nennen. Sie hängt auch davon ab, ob wir genügend qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern, in den Arztpraxen und in den Pflegeheimen haben. Lassen Sie uns in der Debatte über das Pflegestärkungsgesetz, über die Palliativversorgung und über Hospize daran arbeiten. Dann kommen wir im Deutschen Bundestag, glaube ich, mit dem Verbot der Sterbehilfevereine, mit dem Verzicht auf weitere gesetzliche Regelungen, mit dem Verzicht auf eine Bestimmung, die ein Regelangebot schafft, und mit einer Stärkung der Hospizbewegung und der Palliativversorgung zu einer guten Lösung. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/5373, 18/5374, 18/5375 und 18/5376 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu sehe ich keine anderen Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) Drucksache 18/5372 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Versorgungsqualität und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verbessern – Bedarfsgerechte Personalbemessung gesetzlich regeln Drucksache 18/5369 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gute Versorgung, gute Arbeit – Krankenhäuser zukunftsfest machen Drucksache 18/5381 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Einen Widerspruch höre ich nicht. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem dem Bundesminister Hermann Gröhe das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die rund 2 000 Krankenhäuser in unserem Land mit ihren gut 1,2 Millionen Beschäftigten leisten mit über 18 Millionen Behandlungen im Jahr einen herausragenden Beitrag für die Gesundheitsversorgung. Mit der Reform, die wir heute auf den Weg bringen, werden wir einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dies angesichts eines sich immer mehr beschleunigenden medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritts und angesichts der demografischen Entwicklung für die Zukunft sicherzustellen. Diese Sicherstellung ist eine gemeinsame Aufgabe des Bundes und der Länder. Deswegen haben wir diese Reform bis hinein in den Gesetzentwurf gemeinsam in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe intensiv erarbeitet. Ich möchte auch an dieser Stelle den beteiligten Bundesländern für die überaus vertrauensvolle Zusammenarbeit ausdrücklich danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) So wie wir dieses Gesetzgebungsverfahren partnerschaftlich eingeleitet haben, so wollen wir es auch abschließen. Deswegen erwähne ich auch hier, dass wir seitens der Koalition gegenüber den Ländern zugesagt haben, vor der zweiten und dritten Lesung noch einmal über die Fassung, die dann hier zur Schlussabstimmung kommt, intensiv miteinander zu sprechen. Mit unserer Krankenhausreform machen wir unsere Krankenhäuser fit für die Zukunft. Wir verbessern die -finanzielle Ausstattung und sichern eine gut erreichbare Krankenhausmedizin gerade in der Grund- und Regelversorgung. Wir stärken die Qualitätsorientierung in der Krankenhausplanung und Vergütung. Wir stärken die Pflege im Krankenhaus, gerade die Stationspflege. Denn gute Pflege ist unverzichtbar für den Behandlungserfolg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir unterstützen die Länder bei einer Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft mit Planungsinstrumenten und einem Strukturfonds. Wir verbessern die finanzielle Ausstattung und sichern gut erreichbare Krankenhausmedizin. Wenn es nach einem Unfall oder bei einem Schlaganfall schnell gehen muss, ist gute Erreichbarkeit ein Kriterium für gute Qualität. Wir stärken deswegen die Grund- und Regelversorgung beispielsweise durch eine verbesserte Notfallvergütung, durch eine bessere Berücksichtigung der Kostenentwicklung bei der Fallpauschalenkalkulation und durch Verbesserungen bei der Mengensteuerung. Wir verbessern schließlich den Sicherstellungszuschlag, wenn es darum geht, die Existenz eines Krankenhauses, das für die Versorgung einer Region notwendig ist, abzusichern. Ich weiß, dass die Regelungen zu den zukünftigen Finanzierungsmechanismen manche Sorge ausgelöst haben: die Sorge der Krankenkassen, dass zu viel Geld fließt, die Sorge der Krankenhäuser, dass zu wenig Geld fließt. Ich denke, wir werden im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens Gelegenheit haben, in intensiven Gesprächen manche – auch manch übertriebene – Sorge auszuräumen und gegebenenfalls auch Veränderungen vorzunehmen, wenn sie unserem Ziel einer angemessenen Finanzierung, aber auch des Setzens von Anreizen für eine zukunftsfähige Strukturweiterentwicklung dienen. Wir stärken die Qualitätsorientierung. Besonders hohe Qualität soll zusätzlich vergütet werden, durch Zuschläge oder im Rahmen von Qualitätsverträgen. Das heißt aber auch, unzureichende Qualität muss Abschläge oder auch krankenhausplanerische Konsequenzen zur Folge haben. Mit der Einführung des Ziels der patientengerechten sowie qualitativ hochwertigen Versorgung in der Krankenhausplanung stärken wir die Möglichkeit der Länder, eine qualitätsorientierte Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft vorzunehmen. Ich setze darauf, dass diese neuen Instrumente mutig genutzt werden. Dabei geht es vor allen Dingen um eine kluge Arbeitsteilung zwischen gut erreichbarer Grund- und Regelversorgung und einer Spezialisierung für hochkomplexe Behandlungsabläufe bei seltenen Erkrankungen, eine Arbeit, die nicht zuletzt die Spitzenmedizin in unseren Universitätskliniken leistet. Dafür werden wir in Zukunft den Zentren die Mehrleistung bzw. die besondere Leistung angemessen vergüten. Ich erwähne in diesem Zusammenhang, dass wir bereits im Versorgungsstärkungsgesetz durch die Neuregelung bei den Hochschulambulanzen diese besondere Bedeutung der Spitzenmedizin unserer Hochschulkliniken ausdrücklich gewürdigt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen und stärken die Pflege, vor allem die Stationspflege. Unsere Pflegekräfte leisten eine für den Behandlungserfolg unverzichtbare Arbeit; dafür danke ich ihnen. Sie leisten eine Arbeit, die oftmals unter schwierigen Bedingungen stattfindet. Wir ergreifen Schritte, diese Situation zu verbessern. Bereits von 2009 bis 2011 gab es ein Pflegestellenförderprogramm. Nun wird ein weiteres derartiges Programm einen nächsten Schritt gehen. Mir liegt aber auch daran, deutlich zu machen, dass wir ebenfalls verabredet haben, eine Expertenkommission einzuberufen, in der Expertinnen und Experten aus Praxis, Wissenschaft und Selbstverwaltung diskutieren und Vorschläge machen werden, ob durch das Fallpauschalensystem oder durch ausdifferenzierte Zusatzentgelte der erhöhte Pflegebedarf, beispielsweise von demenziell erkrankten, pflegebedürftigen oder behinderten Patientinnen und Patienten, aber auch der allgemeine Pflegebedarf in Krankenhäusern sachgerecht abgebildet werden kann. Ich beabsichtige, die Mitglieder dieser Kommission alsbald zu berufen, damit diese Kommission unmittelbar nach der Sommerpause ihre Arbeit aufnehmen kann. Notwendig für zukunftssichere und gute Krankenhausmedizin sind ausreichende Investitionen in unsere Krankenhäuser. Dazu haben sich die Bundesländer in den Eckpunkten der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ausdrücklich bekannt. Ich erwarte, dass diesem Bekenntnis Taten folgen. Denn wenn über Behandlungsentgelte Investitionsmittel erwirtschaftet werden müssen, weil diese nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt werden, dann geht das nicht zuletzt zulasten der Pflege. Dies darf nicht sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, wir unterstützen zugleich die Länder bei der Aufgabe, durch Investitionen sicherzustellen, dass sich unsere Versorgungslandschaft klug weiterentwickelt. So werden wir den Ländern mit einem Strukturfonds zum Zweck der Verbesserung der Versorgungsstruktur, durch den Abbau von Überkapazitäten, aber auch durch die Umwandlung von Krankenhäusern in nicht akutstationäre lokale Versorgungseinrichtungen bei dieser Arbeit unter die Arme greifen. Ich erwähne in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch das kommunale Förderprogramm mit einem Volumen von 3,5 Milliarden Euro, das als ersten Förderzweck Investitionen in Krankenhäuser vorsieht. Das heißt, wir erwarten entsprechende Aktivitäten der Länder. Wir unterstützen sie dabei. Wir zeigen: Wir stehen gemeinsam in der Verantwortung für eine gute Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft in Deutschland. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Harald Weinberg. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Vielen Dank! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt draußen vor der Tür gerade in diesen Minuten eine Demonstration im Rahmen des Streiks für eine höhere Personalbemessung an der Charité unter dem Motto „Mehr von uns ist gut für alle“. Ich glaube, das ist das Motto, das wir insgesamt für die Krankenhäuser brauchen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dieser Protest richtet sich auch dagegen, dass die Politik das Problem des Personalnotstands in den deutschen Krankenhäusern seit Jahren ignoriert und auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eher aussitzt als angeht. Der Gesetzentwurf selbst stößt ohnehin bei nahezu allen Beteiligten unisono auf große Ablehnung. Das -betrifft die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Landeskrankenhausgesellschaften, den Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands, den Verband der -leitenden Krankenhausärzte Deutschlands, die Pflegeverbände, die Gewerkschaften Verdi und Marburger Bund, die Sozial- und Patientenverbände, den Deutschen Städtetag, die Bundesärztekammer, die Deutsche Stiftung Patientenschutz usw. usf. Einzig die Kassen zeigen sich erfreut, weil sie sich mehr Einfluss auf die Krankenhausplanung und die Krankenhauskosten erhoffen. Alle anderen lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Der Hauptgrund: Er löst die Probleme nicht, sondern er verschärft sie. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Man kann den Eindruck bekommen, es gebe hier zwei Realitäten der Situation in den Krankenhäusern. Die eine betrifft die Welt der Zahlen, der Dokumentationen, der Case-Mix-Punkte, der Grenzverweildauern, der Mengenentwicklung, der Evaluationen und der Umsatzrenditen. Hier knüpft der Gesetzentwurf offenbar an. Das -Gesetz wird den Datenkranz demnächst um Qualitäts-indikatoren und andere Kennzahlen erweitern. Die andere Wirklichkeit betrifft die realen Zustände auf den Stationen. Dabei geht es um die Relation von Pflegekräften – das ist in der Nachtschicht meist nur eine Pflegekraft – zu Patienten. Ich nenne die Stichwörter Minutenpflege, Arbeitshetze, permanente Überforderung, steigendes Risiko von und Angst vor Fehlern, Auslassen von eigentlich notwendigen Pflegemaßnahmen – zum Beispiel von Umlagern –, Einspringen aus der Freizeit, zeitraubende Dokumentationspflichten, Übernahme von pflegefernen, teilweise ärztlichen Tätigkeiten, ständige Arbeitsverdichtung, Burnout usw. usf. Daraus resultierend gibt es Überlastanzeigen ohne Ende, eine Flucht aus dem Beruf oder doch zumindest in die Teilzeit, um den Druck zu kompensieren. Was die Ursachen anbelangt, nenne ich nackte Zahlen: Von 1991 bis 2013 stieg die Zahl der Behandlungsfälle in den Krankenhäusern um 29 Prozent – also um fast ein Drittel – auf fast 19 Millionen im Jahr. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Vollzeitpflegekräfte um 3 Prozent. Jeder neue Fall bedeutet für eine Pflegekraft: Aufnahme in das Krankenhaus, Vorbereitung auf den Eingriff, Pflege nach der OP und Entlassungsprozedur. Bei einer durchschnittlich auf rund sieben Tage gesunkenen Verweildauer sagt die Bettenauslastung so gut wie nichts mehr aus. (Beifall bei der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Der Durchlauf hat sich enorm beschleunigt und bei weniger Pflegepersonal die Arbeit enorm verdichtet. Ich komme zu den Hintergründen. Durch die Streichung des Versorgungszuschlags und die Ablösung des Mehrleistungsabschlags durch den Fixkostendegres-sionsabschlag streichen Sie Mittel und verschärfen den Kostendruck weiter. Die Krankenhäuser selber rechnen mit wenigstens 500 Millionen Euro pro Jahr, die ihnen dadurch entzogen werden. Sie legen außerdem fest, dass die Bundesländer in den nächsten Jahren ihre Zuschüsse für die Krankenhausinvestitionen auf dem niedrigsten Niveau der letzten 40 Jahre festschreiben, die Krankenhäuser also dauerhaft so wenig Investitionsmittel erhalten wie noch nie. Krankenhäuser müssen aber investieren, damit sie in dem politisch gewollten Wettbewerb untereinander überleben können. Dazu nehmen sie in der Regel das Geld, das für den Betrieb bzw. das Personal gedacht ist, und finanzieren davon neue Großgeräte oder bauen um. Unter den Bedingungen der Fallpauschalen entsteht dabei nicht nur der Zwang, am Personal zu sparen, sondern auch möglichst lukrative Prozeduren an möglichst jüngeren und gesünderen Patienten vorzunehmen. Dazu kommt jetzt neuerdings die Qualitätsvergütung ins Spiel. Nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität soll in Zukunft bestimmen, wieviel Umsatz ein Krankenhaus macht. Aus unserer Sicht wollen Sie damit de facto noch einmal den Wettbewerbsturbo einlegen. Die Qualitätsdiskussion selbst ist da nur ein Vorwand. Sie wollen nicht die Qualität in den Krankenhäusern verbessern, sondern Sie wollen – das sagen Sie auch mehr oder minder unverblümt – Krankenhäuser mit schlechter Qualität, denen die Mittel gekürzt werden, aus dem Markt herausbringen. Ich habe noch nie gehört, dass man mit Mittelkürzungen die Qualität verbessern kann. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Man kann damit aber erreichen, dass Krankenhäuser geschlossen werden und eine Ausdünnung der Krankenhauslandschaft vorgenommen wird. Dazu passt auch die Abwrackprämie für Krankenhäuser, beschönigend „Strukturfonds“ genannt. Insgesamt 1 Milliarde Euro sollen für die Schließung von Krankenhäusern und die Umwandlung in Pflegeheime und anderes bereitstehen, im Übrigen auch noch mittels einer sachfremden Finanzierung: indem Sie 0,5 Milliarden Euro aus den Versichertenbeiträgen des Gesundheitsfonds nehmen. Schlecht ist Ihr Gesetz sogar dort, wo Sie vorgeben, etwas Gutes zu tun: beim Pflegestellenförderprogramm. Die Gewerkschaft Verdi geht bei ihrem Personalcheck davon aus, dass in den deutschen Krankenhäusern 70 000 Pflegekräfte fehlen. Sie wollen 6 000 bis 6 500 Stellen fördern, und das auch erst ab 2018. Das ist ein Faktor 10 weniger, als man bräuchte, um die Not der Krankenhäuser abzuwenden. Umgerechnet entspricht das drei Stellen pro Krankenhaus. Sie merken, durch ein solches Programm wird keine Stärkung der Pflege erreicht. Das sage übrigens nicht nur ich, das sagt zum Beispiel auch der Patientenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, der Landtagsabgeordnete Imhof von der CSU, (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Aha!) politisch unverdächtig, ein Linker zu sein. Ich zitiere: Ein Gesetz, das jedem Krankenhaus in Deutschland Mittel für höchstens drei zusätzliche Pflegekräfte bereitstellt, ist ungeeignet, die wachsende Belastung des Pflegepersonals in den Krankenhäusern langfristig zu verringern. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist im Jahr 2018 ein Tropfen auf den heißen Stein und in den nächsten 2 Jahren wird überhaupt keine Personalmehrung für den Patienten feststellbar sein. Die Fördersumme muss drastisch erhöht werden, um tatsächlich mehr Pflegekräfte ans Bett des Patienten zu bekommen. (Beifall bei der LINKEN) Außerdem führte er aus – Zitat –: Den Krankenhäusern werden ab … 2017 bundesweit 500 Mio. Euro gestrichen. Und ab 2018 können sie 330 Mio. Euro Fördermittel erhalten. Das heißt, die Krankenhäuser finanzieren ihr Förderprogramm selbst! Das ist absurd und dient nicht dem Wohl des Patienten! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Recht hat er, mit Sicherheit. Die CSU-Abgeordneten in diesem Haus sollten sich das Urteil ihres Parteikollegen sehr zu Herzen nehmen. Es ist ein Irrweg, in der Krankenhauspolitik mit immer mehr Markt die Probleme zu beseitigen, die durch die Einführung des Marktes erst entstanden sind. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Deswegen waren die DDR-Krankenhäuser auch so gut: Sie waren staatlich!) Wir von der Linken fordern einen Neustart in der Krankenhauspolitik: (Beifall bei der LINKEN) Erstens müssen die Länder mehr investieren und sich das auch leisten können. Dafür muss man die Steuerpolitik ändern. Mit diesem Geld wollen wir die Krankenhausplanung wiederbeleben, die momentan aus Geldmangel fast nicht mehr stattfindet, und wir wollen sie dann auch so ausrichten, dass sie übersektoral stattfindet. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens müssen wir weg vom Fallpauschalensystem, weil es falsche Anreize setzt. Drittens brauchen wir mehr Personal. Das geht am besten über eine gesetzliche Personalbemessung. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb bringen wir heute parallel einen Antrag ein zur Einführung einer gesetzlichen Personalbemessung, die sich am Bedarf ausrichtet. Damit würde sich wirklich die Versorgungsqualität verbessern. Kurz: Bei uns steht nicht die weitere Kommerzialisierung der Krankenhäuser, sondern die gute Versorgung der Patientinnen und Patienten sowie gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Mittelpunkt. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb unterstützen wir auch den Streik an der -Charité. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Kolleginnen und Kollegen streiken nicht für mehr Geld, sondern für ausreichend viele Pflegekräfte auf den Stationen. Nach elf Tagen Streik ist jetzt eine Rahmenvereinbarung geschaffen worden, die ganz offensichtlich in diese Richtung geht. Das ist dringend notwendig; denn damit würden die Behandlungsqualität verbessert, die Behandlungsergebnisse verbessert und die Sterblichkeit verringert. Ich hoffe und bin überzeugt, dass sich auch die Beschäftigten anderer Krankenhäuser einen solchen Arbeitskampf als Beispiel nehmen und für mehr Personal kämpfen. (Beifall bei der LINKEN) Abschließend: Wir teilen die breite Kritik an diesem Gesetzentwurf. Ich hoffe, es wird noch Änderungen zum Guten geben; denn schlechter geht es kaum. (Hilde Mattheis [SPD]: Ach!) Alles in allem kann ich mir aber nicht vorstellen, dass sich die Grundrichtung noch ändern wird – so wirksam ist das Struck’sche Gesetz leider doch nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr. Karl Lauterbach. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mit meiner Rede beginne, zunächst einmal kurz die üblichen, fast schon dazugehörenden Korrekturen an den Äußerungen des Kollegen von der Linkspartei. Ich wünschte, wir könnten uns das ersparen und sofort zum Thema kommen; aber es ist offenbar nicht anders möglich. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ehrt uns auch ein bisschen!) Zum einen ist es, anders als gesagt wurde, nicht so, dass wir die Investitionsmittel der Länder, die zu knapp sind – da sind wir uns ja alle einig –, festschreiben. So ist es einfach nicht. Wir sagen, dass mindestens so viel bezahlt werden muss, damit man die Mittel aus dem Strukturfonds – die 500 Millionen Euro – nutzen kann. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Es ist doch klar, dass es unter dem Diktat der Schuldenbremse nicht mehr wird!) Somit – ich übersetze es jetzt für jeden, der es nicht verstanden hat – ist es sozusagen eine Mindestauflage, die man erfüllen muss. Dadurch verhindern wir, dass durch die Mittel des Strukturfonds die ohnehin zu geringen Investitionsmittel der Länder noch reduziert werden. Darum geht es. Das war die erste wichtige Korrektur. Die zweite Korrektur ist, dass es nicht sofort Abschläge geben wird. Die Krankenhäuser, die am Anfang nachweislich Qualitätsprobleme haben und damit die Patienten gefährden – die Patienten kamen in Ihrem Vortrag so gut wie nicht vor –, (Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU]) müssen im ersten Jahr noch keine Abschläge hinnehmen, sondern erst im Jahr danach. Sie erhalten erst einmal die Möglichkeit, ihre Qualität zu verbessern. Zuschläge gibt es aber sofort. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied. Bei guter Qualität gibt es also sofort Zuschläge, Abschläge gibt es nur, wenn sich auch nach dem ersten Jahr nichts verändert. Die dritte Korrektur. Wir haben hier von Ihrer Unterstützung des Streiks gehört. Sie hätten aber noch erwähnen müssen, dass die Einigung, die in der letzten Nacht erfolgt ist – es wurde eine Rahmenvereinbarung geschlossen –, eine gute Einigung in unserem gemeinsamen Sinne gewesen ist und dass nicht nur Sie, sondern auch wir diesen Streik unterstützt haben. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das macht es ja nicht besser!) – Das macht es schon besser. – Das ist ein gutes Ergebnis noch bevor die Verbesserungen durch das Gesetz erfolgen. Von daher war Ihre Rede aus meiner Sicht am Thema vorbei. (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) – Es ist aber wichtig, das hier richtigzustellen. Unser Gesetzentwurf, den wir hier vorlegen, hat im Prinzip zwei Schwerpunkte: Zum einen geht es um mehr Pflege, also um das Pflegeförderprogramm. Über die Höhe kann man streiten; das ist ganz klar. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich mir hier eine weitere Aufstockung gut vorstellen könnte. Wir sind ja auch noch in den Verhandlungen. Würdigen Sie aber doch erst einmal 660 Millionen Euro an zusätzlichen Ausgaben. Das muss man doch anerkennen. Das ist in der heutigen Zeit doch nicht leicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zum anderen geht es um mehr Qualität. Die Qualität wird bei der Vergütung einzelner Krankenhäuser und bei der Landeskrankenhausplanung berücksichtigt. Bei der Landeskrankenhausplanung durfte sie bisher nicht berücksichtigt werden, obwohl dies hochsinnvoll gewesen wäre. Dort konnte alles berücksichtigt werden, nur nicht die Qualität. Dieser Fehler wird jetzt endlich beseitigt. Das neue Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen schafft dafür Daten, womit die Leistungen verglichen werden können. Es ist doch sinnvoll, dass wir Krankenhausinfektionen vermeiden. Wie soll ich das denn machen, wenn ich die Qualität der Häuser nicht vergleiche und die Honorierung nicht danach ausrichte? Bei bestimmten Leistungen, die zu selten erbracht werden, kann es zu schweren Komplikationen kommen. Dann steigt das Risiko des Patienten, daran zu sterben, deutlich an. Ein Beispiel ist der Eingriff beim Bauchspeicheldrüsenkrebs. Das ist eine sehr komplizierte Operation mit einer hohen Sterblichkeit, wenn sie nicht so oft erfolgt. Sie erwähnen mit keinem Wort, dass wir hier eine rechtssichere Mindestmengenregelung vorsehen, wodurch der Patient vor diesen Komplikationen geschützt wird. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ich hatte nur acht Minuten! Das ist das Problem!) Das ist doch eine sinnvolle Schlagrichtung unseres Gesetzentwurfes. Mehr Pflege, bessere Qualität: Die Honorierung soll in diese Richtung ausgerichtet werden. Hier machen wir eine Menge. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Beim Betrachten der Krankenhausstruktur richten Sie den Blick schwerpunktmäßig auf das Tonnageprinzip, nach dem Motto: Jedes aufgestellte Bett und jedes zusätzliche Krankenhaus ist erst einmal gut, weil das ein Arbeitsplatz ist. Das ist aber doch nicht die richtige Denkweise für unser Gesundheitssystem. Das kann doch nicht richtig sein. Bereits jetzt stehen zwischen 30 und 40 Prozent der Krankenhausbetten leer. Wir können doch kein Interesse an teuren, leeren Krankenhausbetten haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dieses System macht doch keinen Sinn. Machen wir uns doch nichts vor. Im europäischen Vergleich haben wir zum Beispiel zu wenige Einrichtungen, die teilstationär palliativ arbeiten, in denen man also zeitweise behandelt werden kann – ambulant und stationär. Die Struktur ist nicht flexibel genug. Sie sagen aber: Jedes Krankenhaus muss am Netz bleiben. Wir wollen das Tonnageprinzip durchsetzen. Ein Krankenhaus, das da ist, ist gut, egal wie gut die Qualität ist. Ob es gebraucht wird oder nicht und ob dort Menschen leben oder nicht, ist egal. Ein Bett, das dort steht, ist gut. Ob es voll ist oder leer, ist egal. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Quatsch!) Das ist nicht die richtige Denkweise. Die Planung muss sich am medizinischen Bedarf orientieren, und es darf keine ideologische Betten- und Häuserkapazitätsplanung geben. Das ist nicht mehr zeitgemäß und passt nicht zu dem, was wir brauchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich komme zum Abschluss. Für gleiche Fälle wurden bislang von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Zahlungen geleistet. Wir haben die Konvergenz dieser Bezahlung beschleunigt, sodass dort mehr Gerechtigkeit aufkommt. Es kann nämlich nicht angehen, dass die Leistungen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich bezahlt werden. Das bringen wir zusammen. Wir stärken die Palliativmedizin deutlich, was in der Diskussion zur Sterbehilfe vorhin als wichtiges Problem erkannt worden ist. Wir reduzieren auch nicht die Zuschläge für Krankenhäuser, wenn Gelder zum Aufbau der Palliativmedizin genutzt werden. Das Gleiche gilt auch für neue Leistungen. Wenn eine neue medizinische Leistung in den Bedarfsplan aufgenommen wird, dann gibt es dafür keine Abschläge bei den Zuschlägen. Das sind alles kleine, aber sinnvolle Schritte in die richtige Richtung. Von daher stimmt es schon: Es gibt nichts, was man nicht noch verbessern könnte. Aber ich glaube, dass wir insgesamt gemeinsam einen wichtigen Schritt in Richtung einer besseren Qualität und einer besseren Pflegeversorgung in unseren Krankenhäusern gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Dr. Harald Terpe spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, uns eint die Einschätzung, dass Krankenhäuser ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Bestandteil der Daseinsvorsorge in unserem Gesundheitswesen sind; denn von kleinen Eingriffen bis hin zu aufwendigen Transplantationen, von der Geburtshilfe bis hin zur palliativen Begleitung Sterbender leisten die Beschäftigten dort jeden Tag Dienst am Menschen, und das sehr verantwortungsvoll. (Beifall im ganzen Hause) Der Einschätzung, dass wir das im weltweiten Vergleich auf einem sehr hohen Qualitätsniveau tun, kann man sich nicht verschließen. Dennoch ist sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch für die Beschäftigten im Krankenhaus spürbar, dass es erheblichen Reformbedarf gibt. Die Arbeitsbelastung, insbesondere die der Pflegekräfte, steigt. Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger sehen sich aufgrund von Arbeitsverdichtung und Zeitdruck oftmals nicht mehr in der Lage, so auf die Patienten einzugehen, wie sie es gerne tun würden. Notwendige Investitionen werden von den Ländern auf die lange Bank geschoben. Kliniken finanzieren das momentan gezwungenermaßen aus den Mitteln für die laufenden Betriebskosten; Geld, das dann woanders fehlt, insbesondere im Zusammenhang mit der beschriebenen Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung. Zudem gibt es weiterhin Brüche zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, weil die Krankenhausplanung der Länder nicht gemeinsam mit der Bedarfsplanung im niedergelassenen Bereich gemacht wird. Überhaupt ist das mit der Bedarfsplanung so eine Sache: Der Kollege Karl Lauterbach, den ich sehr schätze, hat eben gesagt: Wir brauchen an sich in der Versorgung eine verstärkte Orientierung am Bedarf. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Genau!) Das führt mich zu der Tatsache, dass es regional teilweise erhebliche Überkapazitäten gibt und dass dies zu der prekären Lage aller Krankenhäuser beiträgt. Man muss es einfach einmal so sagen: Wenn in einer Region ein Krankenhaus mehr vorhanden ist und es dadurch zu Überkapazitäten kommt, dann geht es allen Krankenhäusern schlecht, egal ob sich dadurch der Wettbewerb erhöht. Da kann man machen, was man will. Hier müssten die Akzente anders gesetzt werden, um eine solche Situation zu beseitigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Sehr gut!) Wenn die Bundesregierung nun eine Krankenhausreform in Angriff nimmt, dann sollte sie, so könnte man meinen, diese großen Baustellen angehen. Doch weit gefehlt! Im Gesetzentwurf finden sich weder Vorschläge zur Investitionsfinanzierung noch Ansätze bzw. nur geringe Ansätze zu einer besseren sektorenübergreifenden Planung. Das muss in Zukunft stärker forciert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich muss auch sagen: Die Ansätze zur Verbesserung der Situation in der Pflege bleiben so zahm, dass sie kaum etwas verändern werden. Mit anderen Worten: Mit dem Pflegestellenprogramm wird der Pflegenotstand nicht einmal annähernd beseitigt. (Beifall der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das spiegelt sich auch in der Auseinandersetzung wider: Der Kollege Lauterbach hat erkannt bzw. kann sich gut vorstellen, dass eine Aufstockung der Mittel für das Pflegestellenprogramm sinnvoll ist. Kürzlich konnten wir in der FAZ lesen, dass die CSU von diesen Plänen nichts hält, aber im Gegenzug eine -Finanzspritze für die Notfallambulanzen fordert. Meiner Meinung nach muss man beides machen. Es steht – dazu finden sich in dem Gesetzentwurf wenig Anstöße – (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Verhandeln wir gerade!) eine Reform der Notfallversorgung an. Diese Reform muss in Angriff genommen werden. Wir brauchen für beides Geld. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Also: Wir fordern Sie auf, die Investitionsfinanzierung endlich grundsätzlich anzugehen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf unseren Antrag, den wir 2007 vorgelegt haben. Er könnte die Grundlage dafür sein, aber wir verschließen uns auch nicht anderen möglichen Regelungsmechanismen. Denn es geht um erheblich viel Geld für die Krankenhäuser. Ich hoffe, dass wir im parlamentarischen Verfahren noch ein deutliches Stück weiterkommen, um dem von Ihnen vorgeschlagenen Krankenhausreformpaket, das einige Ansätze enthält, die man weiterführen könnte, einen erheblichen Schub zu verleihen. Ich stelle sehr gern meine Erfahrung in den Dienst eines solchen Schubes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Kollege Terpe hat recht, wenn er sagt, dass uns alle das Ringen um eine flächendeckende stationäre und zunehmend auch im ambulanten Bereich wichtige Kranken-hausversorgung eint. Diese Versorgung muss natürlich wirtschaftlich und insbesondere auch finanzierbar sein. Das heißt aber nicht, Herr Kollege Weinberg, dass man es sich so leicht machen kann wie Sie mit der Aussage, wir würden Personal nur als Kostenfaktor sehen. Wir alle sehen ganz deutlich, was die Pflegerinnen und Pfleger und die Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern unter der Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung jeden Tag und jede Stunde leisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Es stimmt aber auch, dass die Personalkosten zwei Drittel der Kosten ausmachen. In dem Gesetzentwurf geht es auch darum, wie man genau diese zwei Drittel der Kosten finanziert. Die GKV hat bei den Krankenhäusern einen Kostenblock von 68 Milliarden Euro. Das ist der größte Ausgabenblock, der ein Drittel der Gesamtausgaben ausmacht. Dieser Ausgabenblock ist in den letzten sieben Jahren um 15 Milliarden Euro, das heißt um fast 30 Prozent, gestiegen. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das muss so sein!) Das zeigt, wie notwendig es ist, sich darüber Gedanken zu machen, wie man auf der einen Seite die Versorgung verbessert, auf der anderen Seite aber auch sicherstellt, dass die gute Versorgung finanzierbar bleibt . Wir haben dazu mit den Ländern verhandelt – und zwar gut verhandelt; darin hat der Minister sicher recht –, in einer sehr kooperativen Art und Weise. Der Bundesgesundheitsminister hat – das möchte ich unterstreichen – die Verhandlungsergebnisse präzise und gut in einen Gesetzentwurf umgesetzt. Auch das muss man deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deshalb ärgert es mich, dass der eine oder andere aus den Reihen der Länder, der an den Verhandlungen teilgenommen hat, sich nicht mehr präzise erinnern kann, wofür er am Schluss gestimmt hat. Ich verstehe, dass wir darüber diskutieren wollen, und es ist auch Fakt, dass wir tatsächlich im parlamentarischen Verfahren in der Koalition gemeinsam das eine oder andere verbessern und verändern wollen. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das gilt insbesondere für Bayern!) Aber man muss auch deutlich sagen, dass man hinter dem steht, was jetzt auf dem Tisch liegt. Wir wollen die Qualität verbessern. Die Qualitätszuschläge und -abschläge in der Praxis umzusetzen, ist ein Riesenanspruch. Dabei darf eines nicht passieren, nämlich dass das Ganze letztlich zu mehr Bürokratieaufwand und Dokumentationspflichten führt. Das ist ganz entscheidend. Darauf kommt es an. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch die Rolle des MDK ansprechen. Mittlerweile gibt es seitens der Krankenhäuser gegenüber dem MDK eine sehr emotionale Haltung, manchmal nicht ganz unbegründet aufgrund der Erfahrungen, die man damit gemacht hat. Wir sollten uns im parlamentarischen Verfahren ganz präzise überlegen, ob wir angesichts der Emotionalität, die im Raum steht, Gefahr laufen möchten, das, was wir umsetzen wollen, nämlich mehr Qualität im Krankenhausbereich, zu gefährden. Wir müssen an dieser Stelle darüber nachdenken, ob das die richtige Institution für die Prüfung der Qualität ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne ausreichende Pflege gibt es keine Qualität!) Wir wollen die Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen. Das ist ein Kernanliegen. Deshalb sehen wir Sicherstellungszuschläge vor, die erstmals diesen Namen verdienen. Sie kommen nicht nur auf den Inseln zum Tragen, wie das bisher der Fall war. Vielmehr sollen damit Leistungen, die sonst nicht wohnortnah anzubieten sind, wie der Name schon sagt, sichergestellt werden. Auch das bitte ich entsprechend zu würdigen. Wir stärken die finanziellen Grundlagen. Der Bundesrat fordert, die doppelte Degression auch bei den Zusatzentgelten komplett abzuschaffen. Darüber kann man natürlich diskutieren. Ich tue mich aber schwer, diese Forderung zu befürworten, wenn gleichzeitig der Versorgungszuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro, der seinerzeit eingeführt wurde, um die Auswirkungen der doppelten Degression abzumildern, beibehalten werden soll. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Wählerberuhigungs-trostpflaster!) Das ist inkonsequent und nur schwer vermittelbar. Das sage ich insbesondere an die Adresse der Bayerischen Staatsregierung, die das fordert. Wir werden in den Beratungen sicherlich an der einen oder anderen Stelle nachjustieren. Die ambulante Notfallversorgung wurde bereits angesprochen. Hier geht es nicht nur um mehr Geld, sondern auch um die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass das Geld dort ankommt, wo die Leistungen erbracht werden, und dass keine zusätzlichen Anreize für eine noch stärkere Verschiebung durch die Ärzteschaft in Richtung ambulante Dienste der Krankenhäuser gesetzt werden. Wir müssen darüber nachdenken, wie sich das miteinander vereinbaren lässt. Das sollte uns aber gelingen. Wir steuern die Mengenentwicklung; das ist kompliziert genug. Wenn Mengenverlagerungen strukturbedingt stattfinden, zum Beispiel dadurch, dass Krankenhäuser geschlossen werden, dann darf das nach Auffassung einiger nicht zu Fixkostendegressionsabschlägen führen. Auch darüber lässt sich sicherlich diskutieren. Aber Fakt ist, dass auch solche Mengenverlagerungen in der betriebswirtschaftlichen Realität zu einer Fixkostendegression führen. In den weiteren Beratungen müssen wir gründlich prüfen, ob die Instrumente zur Mengensteuerung, die wir verändert haben, in der kumulativen Wirkung zu starke finanzielle Begrenzungen auslösen. Mich irritiert, dass uns einerseits vorgehalten wird, wir kürzten die Budgets um 1 Milliarde Euro – das ist der Ansatz auf der Krankenhausseite –, und dass uns andererseits die Krankenkassen sagen, wir würden für Mehrausgaben in Höhe von 5 Milliarden Euro sorgen. Was denn nun? Aus meiner Sicht passt das nicht zusammen. Das kann so nicht richtig sein. Das Pflegestellenförderprogramm ist ein wichtiger und entscheidender Bestandteil des Gesetzes. Herr Kollege Lauterbach, natürlich kann man darüber diskutieren, wie sich dieses Programm ausweiten lässt. (Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man auch mit mir diskutieren!) Aber die Realität sieht folgendermaßen aus: Laut BA gibt es 7 400 offene Stellen im Pflegebereich, denen gerade einmal 5 800 Arbeitsuchende mit geeigneter Qualifikation gegenüberstehen. Ein frei werdender Arbeitsplatz in diesem Bereich bleibt im Schnitt mehr als vier Monate unbesetzt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die Arbeitsbedingungen besser würden, wäre es anders!) Nur das Programm auszuweiten, ohne dass man weiß, ob es genügend Bewerber gibt, ist zu wenig. Das muss ich in aller Klarheit sagen, bei aller Sympathie, die ich an dieser Stelle habe. (Beifall des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU]) Abschließend möchte ich noch etwas zum Strukturfonds sagen. Wir wollen Überkapazitäten abbauen, aber unter finanzieller Beteiligung der Länder; denn die Länder sind bei den Investitionskosten in der Pflicht und müssen das auch bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Sehr geschätzter Herr Kollege Nüßlein, denken Sie an die Redezeit. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident. – Daher können die Länder nicht lamentieren, dass wir festgelegt haben, dass in Zukunft die Länder ihre durchschnittlichen Haushaltsansätze der letzten drei Jahre fortschreiben müssen. Natürlich müssen die Länder das tun. Nun sind einige Länder, die in Wahlkampfzeiten ihre Investitionen hoch- und danach heruntergefahren haben, der Meinung, dass sie bei diesem Fonds zu kurz kommen. Dazu kann ich nur sagen: Man sollte sich in Zukunft gut überlegen, wie man sich in Wahlkämpfen zu verhalten hat. In diesem Sinne: Auf gute Beratungen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächste spricht die Kollegin Elisabeth Scharfenberg für Bündnis 90/Die Grünen. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Gröhe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ihr Krankenhausstrukturgesetz hat einen beeindruckenden Umfang. Ich denke, es geht ein bisschen nach dem Motto: Viel hilft viel. Aber auf die wesentlichen Fragen geben Sie uns trotzdem keine Antworten. Darüber täuschen auch Hunderte von Seiten nicht hinweg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich meine hier ganz besonders den Personalmangel in den Krankenhäusern. Seit Jahren spitzt sich doch die Lage immer weiter zu. Jetzt zeigen die Pflegekräfte die Zähne. Am Mittwoch letzter Woche haben Beschäftigte von Kliniken bundesweit im Rahmen der Verdi-Aktion „162 000 für 162 000“ auf die unhaltbaren Zustände hingewiesen. Die Zahl 162 000 steht für die fehlenden Pflegekräfte in unserem Land. Hier in Berlin hat das Personal der Charité gestreikt. Jetzt hat man sich geeinigt – das wurde eben gesagt –, aber damit ist die Kuh doch nicht vom Eis. Das ist doch ein ganz deutliches Alarmzeichen dafür, dass in deutschen Kliniken ganz gewaltig etwas schiefläuft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will noch eine Zahl nennen, um das zu verdeutlichen. Zwischen 1996 und 2012 wurden rund 11 Prozent der Vollzeitstellen in der Krankenhauspflege abgebaut. 11 Prozent, meine Damen und Herren! Niemand hier wird doch ernsthaft behaupten wollen, dass es bis zum Jahr 1996 11 Prozent zu viele Pflegekräfte in den deutschen Kliniken gab. Es hat ein massiver Personalabbau stattgefunden, und von diesem Personalabbau haben sich die Kliniken bis heute nicht erholt. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: So ist das!) Seit der Aussetzung der sogenannten Pflege-Personalregelung, PPR, gibt es keinen Mechanismus mehr, der Kosteneinsparungen zulasten der Pflege wirksam verhindert. Es gibt keinen Mechanismus mehr, der auch nur irgendwie ermittelt, wie viele Pflegekräfte eigentlich gebraucht werden. Auch die Fallpauschalen, die DRGs, leisten das nicht. In der aktuellen Form haben die DRGs dazu geführt, dass die Krankenhäuser die wirtschaftlich attraktiven ärztlichen Leistungen mehr im Fokus haben. Das geht zulasten anderer Bereiche, insbesondere zulasten der Pflege. Dennoch habe ich bei Ihrem Gesetzentwurf das Gefühl, dass Sie diese beunruhigende Entwicklung überhaupt nicht realisieren. Ja, Sie legen ein Pflegestellenförderprogramm auf, und, ja, das musste von den Ländern sehr mühsam in dieses Gesetz hineinverhandelt werden. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Nein! Wir haben das verhandelt! Wir wollten das alle!) Das Pflegestellenförderprogramm ist gut und richtig, um etwas Zeit zu gewinnen und damit das Thema Personalnot nicht in Vergessenheit gerät. Aber auf Dauer ist das viel zu wenig. Bei diesem Programm reden wir von 1 bis 1,5 Stellen pro Haus. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Der ist sofort verdampft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Sie wollen außerdem eine Expertenkommission einberufen. Diese Expertenkommission soll bis Ende 2017 prüfen, ob der Pflegebedarf in den DRGs sachgerecht abgebildet wird. Wenn nötig, soll die Kommission Vorschläge machen. Was, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen Sie denn noch prüfen? Wir haben doch kein Wissensdefizit. Was uns fehlt, ist die Umsetzung. Sie schieben die notwendigen Reformen einfach nur weiter vor sich her. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Wir brauchen jetzt die Entwicklung von verbindlichen Instrumenten zur Personalbemessung, und wir brauchen das schnell. Der Personalbedarf muss sich dabei aus dem tatsächlichen Pflegebedarf ableiten. Als -Sofortmaßnahme sollten Sie ein Pflegepersonalstellenprogramm auflegen, das sich mindestens an der Größenordnung der früheren Pflege-Personalregelung orientiert. Für die mittel- bis langfristige Perspektive könnten wir uns die Entwicklung einer Pflegepauschale gut vorstellen. Dann gibt es auch noch die psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen. Auch hier haben wir eine ganz große Baustelle. Die Psychiatrie-Personalverordnung fällt ab 2019 weg. Was danach kommt, ist total unsicher. Sie müssen da jetzt endlich verlässliche Grundlagen schaffen. Da ist leider Fehlanzeige in Ihrem Gesetz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Lieber Herr Gröhe, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine hochwertige und zugewandte Versorgung hängt vor allem von ausreichendem und gut ausgebildetem Personal ab. Die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich brauchen jetzt ein starkes Signal, das Signal nämlich, dass Sie die notwendigen Reformen wirklich angehen. Warme Worte, Ankündigungen und Kommissionen reichen nicht aus. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Marina Kermer spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marina Kermer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns allen ist klar, dass bei einer Veränderung von Strukturen zahlreiche widerstrebende Interessen auszugleichen sind. Der Entwurf des Krankenhausstrukturgesetzes liegt jetzt auf dem Tisch, ein Entwurf basierend auf den Ergebnissen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe und den Beratungen von Experten. Allen Beteiligten möchte ich an dieser Stelle ein großes Dankeschön sagen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Kaum ein anderes Thema betrifft so viele Menschen so elementar wie die Gesundheitsversorgung. Die Patientinnen und Patienten haben ein Anrecht auf beste Versorgung und höchste Qualität der Behandlung. Sie brauchen Vertrauen in die Fähigkeit der Ärztinnen und Ärzte und die Fürsorge der Pflegerinnen und Pfleger. Und: Gesundheit muss bezahlbar bleiben. Denn: Es sind vor allem Beitragsmittel, die das Gesundheitssystem tragen, Beitragsgelder, die mit Augenmaß und Sachverstand zu verwalten sind, Beitragsgelder, um die von vielen Beteiligten gerungen wird, in erster Linie von Krankenkassen, Krankenhäusern und Ärztevertretungen. Aber die Planungshoheit haben unsere Länder. Sie tragen die Verantwortung und entscheiden, welches Krankenhaus wo im Land mit welchem medizinischen Schwerpunkt sein soll. Viele Länder haben in den vergangenen Jahren die Investitionen deutlich zurückgefahren. Die Klagen der Krankenhäuser sind berechtigt. Deshalb hätte auch ich mir von den Ländern konkretere Zusagen über ihre zukünftigen Investitionen gewünscht. Aber wir wissen, dass die finanzielle Lage in den Ländern schwierig ist. Uns bleibt nicht die Zeit. Wir müssen jetzt vorausschauend handeln. Deshalb wollen wir mit dem Krankenhausstrukturgesetz neue, vielfältige, zeitgemäße Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Ja, es ist ein lauter Wettkampf um die Interessen. Zwei Gruppen stehen überwiegend eher leise im Abseits: Das sind die Patientinnen und die Patienten und die Pflegerinnen und Pfleger. Das dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb erheben wir die Stimme und treten ihnen als Politiker mit diesem Gesetzentwurf an die Seite. Wir wollen die Patientenrechte durch mehr Transparenz und Qualität stärken, und wir wollen endlich die Situation der Pflegekräfte verbessern. Mit 660 Millionen Euro können Kliniken mehr Personal einstellen, und zwar speziell für die Pflege am Bett; denn genau da brauchen wir Pflegepersonal. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wenn wir über Geld reden, das investiert werden soll, sollten wir nicht aus den Augen verlieren: Die GKV verzeichnete im Jahr 2014 insgesamt circa 194 Milliarden Euro Ausgaben für Leistungen der Gesundheitsversorger, davon 33 Prozent für Krankenhausbehandlungen. Es fließt viel Geld. Trotzdem sind die Krankenhäuser von Zahlungsunfähigkeit bedroht. Es ist eine Unwucht im System. Der vorliegende Entwurf ist ein Meilenstein auf dem Weg zu zukunftsfähigen Strukturen, ein Paradigmenwechsel hin zu einer qualitätsorientierten Planung; und das ist nötig. Die Menschen in unserem Land werden immer älter – ein gutes Zeichen. Denn: Ein langes Leben bei guter Gesundheit, wer wünscht sich das nicht? Der Blick auf morgen zeigt: Es steigen die Gesundheitskosten für die Menschen im Alter. Seit Jahrzehnten haben wir einen Geburtenrückgang. Junge Menschen ziehen mehr und mehr in Ballungszentren. Unsere ländlichen Regionen dünnen aus. Die Gesundheitskosten steigen bei immer weniger Beitragszahlern. Ist es da nicht illusorisch, zu glauben, wir könnten langfristig die gleiche Dichte an medizinischer Versorgung wie heute sicherstellen? Dazu fehlt uns auf Dauer nicht nur das Geld; uns fehlen vor allem die Menschen, die dort arbeiten. Deshalb werden wir langfristig vor allem Kapazitäten bündeln und neue Strukturen schaffen müssen. Qualität soll einheitlich definiert, gemessen und gesichert sein. Erfolg soll honoriert werden, weniger gute Leistungen gerade nicht. Ich verstehe auch so manche Aufregung nicht. Qualitätsmanagement ist nicht neu. Es wird bereits in den Krankenhäusern gelebt, leider nicht überall und nicht vergleichbar. Aber ohne Qualitätsmanagement wird es in Zukunft nicht gehen. Damit wollen wir das Patientenrecht stärken, entscheiden zu können, welcher Klinik man vertraut. Krankenhäuser mit dauerhaft schlechter Qualität werden nicht bestehen können. Sie bekommen die Chance, ihre Mängel wirksam abzustellen. Bereits heute gibt es Mindestmengenvorgaben bei planbaren Eingriffen. Oder wollen wir beispielsweise ein wertvolles Spenderorgan und damit ein noch wertvolleres Menschenleben riskieren, weil Ärztinnen und Ärzte keine ausreichende Praxis haben können? Da tun wir uns und den Ärzten keinen Gefallen. Deshalb wollen wir die Einhaltung der Mindestmengen sanktionieren. Auch gibt es einen Zusammenhang zwischen Qualität und Anzahl der Pflegekräfte. Heute haben wir ein Verhältnis von zwei Pflegekräften zu einem Mediziner. Die Pflegekräfte stehen am Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Ich habe mit vielen Personalvertretungen gesprochen. Ich weiß, dass Pflegerinnen und Pfleger zum Teil ganz aus dem Beruf ausscheiden, weil sie die Belastung nicht mehr aushalten oder Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht möglich ist. Meine Damen und Herren, diese ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erscheinen nicht in einer Statistik der Bundesagentur, weil sie in andere Branchen wechseln. Aus diesem Grund wollen wir als SPD-Bundestagsfraktion in den Verhandlungen erreichen und erkämpfen, das Pflegestellenförderprogramm zu erweitern, die Mittel zu verdoppeln, also auf 1,3 Milliarden Euro aufzustocken. Wir wollen nicht nur kurzfristig Personalknappheit beseitigen; Herr Bundesminister Gröhe sagte es bereits. Wir werden eine Expertenkommission einsetzen, die tragfähige Lösungen finden soll, als Anschlusssicherung nach diesen drei Jahren. Deshalb mein Appell: Langfristig müssen wir Personalstandards festlegen, um zum Beispiel für sensible Stationen eine Mindestzahl von Pflegekräften pro Patienten zu sichern. Ich komme zum Schluss. Mit dem Krankenhausstrukturgesetz kann es gelingen, die Qualität durch mehr Pflegepersonal zu erhöhen, die Arbeitssituation und damit das Image für die Pflegekräfte auf Dauer zu verbessern und gute Pflege am Bett und damit Patientenzufriedenheit zu sichern. Wir alle tragen Verantwortung, unser Gesundheitssystem zukunftssicher zu gestalten: für uns, unsere Kinder und Enkelkinder. Das wird ohne finanzierbare und effiziente Strukturen nicht funktionieren. Ich lade Sie alle ein, uns auf diesem Weg zu begleiten, mit konstruktiven Diskussionen und Argumenten; aber, meine Damen und Herren, stehen bleiben werden wir nicht. Danke. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Jens Spahn spricht jetzt für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Jens Spahn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Krankenhäuser in Deutschland – der Kollege Terpe hat gerade schon darauf hingewiesen – sind das Rückgrat der medizinischen Versorgung. Sie sind die einzige Institution, die 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr für die medizinische Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung steht, im Notfall, aber auch für die Regelversorgung. Ich glaube, niemand geht wirklich gern ins Krankenhaus, aber jeder ist froh, dass eines in der Nähe erreichbar ist, wenn er eines braucht. Zugleich sind Krankenhäuser in vielen kleineren, mittelgroßen, aber zum Teil auch sehr großen Städten oftmals der größte Arbeitgeber. Es geht um viele Hundert Beschäftigte vor Ort. Es geht im Übrigen auch um große Gebäude und Liegenschaften. Deswegen ist die Diskussion der Frage: „Was passiert in Zukunft mit dem Krankenhaus vor Ort?“, eine, die natürlich mit vielen Emotionen besetzt ist. Krankenhauspolitik, Versorgung mit Krankenhäusern, das ist eines der Kernthemen der Gesundheitspolitik in Deutschland, und deswegen ist es gut, dass wir uns in den nächsten Monaten Zeit nehmen, intensiv genau darüber zu sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu möchte ich drei grundsätzlichere Bemerkungen machen: Zum einen: Wie ist es mit der finanziellen Situation? Jeder dritte Euro, den wir im Gesundheitswesen ausgeben, geht in die Krankenhausversorgung. Das ist also der Bereich, in dem mit Abstand am meisten Geld eingesetzt wird. In den Jahren von 2008 bis 2014 sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Krankenhäuser um 30 Prozent gestiegen. In gut sechs Jahren sind die Ausgaben um 30 Prozent gestiegen. Ohne dass wir ein Gesetz ändern, steigen die Ausgaben für die deutschen Krankenhäuser in etwa um 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Durch das Gesetz, das wir jetzt diskutieren, werden sie in den nächsten fünf Jahren noch einmal um gut 5 Milliarden Euro steigen. Da von Kürzungen zu reden und davon, dass zu wenig Geld da ist, lieber Herr Weinberg, das ist, ehrlich gesagt, ein Verkennen der Realität. Diese Zahlen machen im Übrigen eines deutlich: In dieser Debatte geht es im Kern nicht nur um immer mehr Geld; es geht um die Bereitschaft, Strukturen zu verändern, und genau darüber müssen wir mehr als bisher reden, wenn es um die Krankenhäuser in Deutschland geht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das bringt mich zu einem zweiten Punkt. Manchmal hat man ja den Eindruck, es bestehe die Gefahr einer schlechten Versorgung und Erreichbarkeit. 50 Prozent der Deutschen erreichen innerhalb von 20 Minuten mindestens drei grundversorgende Krankenhäuser. Innerhalb von 30 Minuten erreichen 50 Prozent der Deutschen acht grundversorgende Krankenhäuser in ihrer Nähe. Über 96 Prozent der Deutschen erreichen innerhalb von 25 Minuten mindestens ein Krankenhaus. Das Hauptproblem – das macht ein Blick auf die Zahlen deutlich – haben insbesondere die kleinen Häuser, wenn es um die Fragen geht: Wie hoch ist die Belegung? Wie viele Patienten kommen im Jahr? Anders, als man denken könnte, besteht das Hauptproblem nicht bei Häusern auf dem Land. Tatsächlich sind es zu 75 Prozent kleine Häuser ohne Spezialisierung in den Ballungsräumen, die es finanziell am schwersten haben und um Patienten kämpfen müssen, weil eigentlich zu wenige kommen. Wir müssen uns in dieser Debatte endlich ehrlich machen: Wir haben in den Ballungsräumen zu viele kleine Häuser, die alles machen wollen und immer mehr Patienten brauchen. Da liegt ein Teil des Problems. So ehrlich muss man diese Debatte endlich führen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Genau da wollen wir mit dem Strukturfonds ansetzen. Eine Frage ist ja, was mit diesen Häusern passiert. Ich habe bereits gesagt: Da geht es um Gebäude und um Arbeitsplätze. Dieser Strukturfonds soll den Übergang ermöglichen. Ich würde mir wünschen, dass seine Mittel insbesondere in diesen Bereichen eingesetzt werden, um Häuser aus der Akutversorgung herauszunehmen, sodass sie etwas völlig anderes in der medizinischen Versorgung entwickeln können. Hier sollte beim Strukturfonds ein Schwerpunkt gesetzt werden. Er ist tatsächlich etwas völlig Neues, weil wir erstmalig seit vielen Jahrzehnten Krankenkassengelder einsetzen, um indirekt Krankenhausplanung zu befördern. Insofern ist das ein wichtiger Schritt nach vorne. Einen weiteren Aspekt will ich ansprechen, nämlich den der Qualität. Wir legen im Moment einen sehr starken Fokus auf die Ergebnisqualität, also auf die Fragen: Wie gut ist am Ende die Hüfte, das Knie, der Rücken operiert worden? Wie geht es dem Patienten nach einem Monat, nach sechs Monaten? Was ist tatsächlich passiert? Es ist auch richtig, hierauf einen Schwerpunkt zu setzen. Aber wir müssen noch stärker als bisher erst einmal auf die Indikationsqualität schauen. Was nützt es mir, wenn ich qualitativ super operiert worden bin, aber unnötig? Es ist im Interesse der Patienten, dass wir auch hier auf die Qualität achten und schauen, wo wir unnötige Operationen vermeiden können, die zum Teil gemacht werden, weil sie Geld bringen, die zum Teil aber auch gemacht werden, weil man die Behandlungsalternativen nicht genug in den Blick nimmt. Es gibt Beispiele, wonach 80 Prozent der Rückenoperationen, die geplant waren, vermieden werden konnten, weil durch eine konventionelle Behandlung, durch entsprechende Physiotherapie und anderes mehr, der Patient schmerzfrei und im Grunde behandlungsfrei wurde. Wir müssen den Fokus stärker auf die Fragen legen: Warum wird eigentlich wie viel in Deutschland operiert? Warum wird regional unterschiedlich operiert? Genau darüber wollen wir in den nächsten Wochen und Monaten reden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bezüglich der Qualität gibt es ein zweites Thema; dabei geht es um die Versorgung in der Fläche und die Frage, wer was macht. Schauen Sie sich einmal die Zahlen der Patienten an, die mit einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt in die Notfallaufnahme kommen. Es gibt Krankenhäuser in Deutschland, in die im Schnitt nicht einmal ein Patient pro Woche mit einem Schlaganfall eingeliefert wird. Dort sind entsprechende Experten nicht vorhanden. Wenn Sie in die Statistik schauen, dann stellen Sie fest, dass in diesen Häusern die Sterblichkeitsrate viel höher ist. Als Schlaganfallpatient ist das Risiko, in einem Krankenhaus, das pro Woche weniger als einen Schlaganfallpatienten hat, an diesem Schlaganfall zu sterben, deutlich höher. Auch diese Debatte müssen wir endlich ehrlich und transparent führen. Wir müssen darüber reden, dass es manchmal Sinn macht, die Dinge zusammenzuführen; dafür muss man vielleicht etwas weitere Wege in Kauf nehmen, erhält dafür aber eine deutlich höhere Qualität in der Versorgung der Patienten. Wenn wir das in den Mittelpunkt stellen und nicht so demagogisch, wie Sie es hier gerade gemacht haben, über Qualität reden würden, dann würde sehr klar werden, dass das In-den-Mittelpunkt-Stellen von Qualität, wie wir es jetzt vorhaben, vor allem den Patienten dienen soll, gerade auch im ländlichen Raum. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das heißt im Kern – darüber ist dann auch zu reden –: Wir haben zu viele kleine Häuser vor allem in den Ballungsräumen, zu viele Häuser, die versuchen, alles zu machen. Auch das ist ein Problem: Jeder will sich spe-zialisieren. Jeder will Darmzentrum sein oder eine -Onkologie haben. Gleichzeitig gibt es den Drang, jedenfalls in bestimmten Regionen, schneller zu operieren, als es vielleicht nötig ist. Gleichzeitig gibt es aufgrund des Drucks – da kommen wir zur Frage der Pflege – einen Abbau von Personal. Und wir haben die Situation, dass die Länder, die für die Investitionen zuständig sind, diese nicht leisten, und die Häuser, weil sie natürlich in eine gute Versorgung, in einen neuen OP-Saal, in neue Möglichkeiten investieren müssen, gezwungen sind, das Geld, das eigentlich für die Ärzte und für die Pfleger vorgesehen ist, für Investitionen einzusetzen. Es geht nicht nur um mehr Geld – das muss in dieser Debatte endlich deutlich werden –, sondern auch darum, die strukturellen Probleme in den Mittelpunkt zu rücken und zu lösen. Das ist am Ende auch das entscheidende Element, um das Pflegeproblem zu lösen. Einfach nur mehr Stellen, einfach nur mehr Geld lösen das Kernproblem nicht. Deswegen wollen wir im Zusammenhang mit diesem Gesetz über strukturelle Veränderungen in all diesen Fragen reden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Abschließend, Herr Präsident, möchte ich sagen: Ich freue mich, dass mit diesem Gesetzentwurf ein gutes Ergebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorliegt, auf dessen Basis wir über Strukturveränderungen reden können. Ich wünsche mir dazu intensive Debatten, auch in den Ausschüssen im Deutschen Bundestag. Sie wissen: Ich werde an diesen Debatten wahrscheinlich in den nächsten Wochen und Monaten nicht mehr so intensiv teilnehmen. Das ist meine letzte gesundheitspolitische Rede – vorerst jedenfalls – nach zwölfeinhalb Jahren, in denen ich mich mit Gesundheitspolitik beschäftigen durfte. Es waren spannende Jahre. Es waren Jahre, in denen es vor allem um Dinge ging, die die Menschen sehr interessieren. Aber mindestens so sehr freue ich mich auf meine neuen Aufgaben. Ihnen danke ich für die Zusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Spahn, ich darf Ihnen von dieser Stelle herzlich danken. Sie haben in der Gesundheitspolitik tiefe Fußspuren hinterlassen. Vielen Dank dafür. – Jetzt spricht der Kollege Edgar Franke für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Edgar Franke (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur hier in Berlin, sondern auch in jeder Lokalzeitung können wir verfolgen, wie in Menschenketten für mehr Klinikpersonal, für eine bessere Finanzierung der Krankenhäuser vor Ort gekämpft wird. Aber so einfach – Herr Spahn hat es eben angedeutet –, wie es sich einige machen, ist es nicht. Krankenhäuser werden von zwei Ebenen, also dual, finanziert. Für die Sicherstellung der Versorgung, das heißt für die Finanzierung von Investitionen, sind die Länder zuständig, die Betriebsausgaben werden dagegen durch Fallpauschalen bzw. Pflegesätze gedeckt und letztlich von den Krankenkassen gezahlt. Die Länderfinanzierung ist unzureichend; das wissen wir alle. 2 Milliarden Euro an Investitionen müssen jedes Jahr aus den Betriebsausgaben finanziert werden. Das ist – Herr Spahn, das ist richtig – nicht einfach für die Krankenhäuser. Dieses Spannungsverhältnis werden wir nicht grundlegend auflösen, aber wir werden mit diesem Gesetz die strukturellen Probleme angehen. In dem Eckpunktepapier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe haben sich die Länder verpflichtet, die Investitionsmittel in notwendigem Umfang bereitzustellen. Frau Scharfenberg, auch eine Vertreterin der Grünen, nämlich Barbara Steffens, war Mitglied dieser Bund-Länder-Arbeitsgruppe; das nur noch einmal zur Erinnerung. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hat das hineinverhandelt!) Wir geben den Ländern starke Instrumente an die Hand, um die Krankenhauslandschaft neu zu strukturieren. Denn das Problem ist nicht nur allein die Ökonomisierung durch die Fallpauschalen, sondern das Problem ist, dass in vielen Ländern und auch in vielen Kommunen – ich war ja lange Kommunalpolitiker – oftmals die politische Kraft fehlt, stationäre Überkapazitäten umzustrukturieren. Auch das muss man einmal sagen dürfen. Die Qualität spielt jetzt bei der Krankenhausplanung eine ganz andere Rolle als bisher. Es ist gut, dass der G-BA dafür klare bundeseinheitliche Maßstäbe entwirft. Gute Krankenhäuser sollen Zuschläge erhalten. Das ist vernünftig; das ist gut. Ich sage allerdings auch, Herr Minister: Ob Abschläge bei schlechter Qualität justiziabel sind, wird sich noch zeigen müssen. Da bin ich eher skeptisch. Bessere Qualität – auch das ist schon angesprochen worden – wird durch das Pflegestellenförderprogramm erreicht. Wir wissen alle um die Arbeitsverdichtung bei den Pflegekräften. Mit dem Pflegestellenförderprogramm – Ulla Schmidt hatte ja einmal ein Programm in gleicher Höhe aufgelegt – werden 660 Millionen Euro für neue Stellen im Bereich der Pflege zur Verfügung stehen. Das Programm ist vor allen Dingen zielgenau, weil mit dem Geld nicht das undichte Krankenhausdach repariert werden kann, sondern das Geld für eine bessere Pflege am Bett eingesetzt werden soll. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem wollen wir, dass gute Pflege in den Fallpauschalen abgebildet wird, damit gute Pflege besser bezahlt wird. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden aber auch strukturelle Probleme lösen, indem wir die Krankenhäuser, die für die flächendeckende Versorgung auf dem Land dringend notwendig sind, finanziell stärken. Viele Ärzte verlassen die kleinen Krankenhäuser und gehen in die Ballungszentren. Das ist ein wichtiges Instrument dieses Gesetzes, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auch mit dem Strukturfonds können wir vieles machen. Wir können vor allen Dingen Anreize schaffen, Überkapazitäten abzubauen. Wir können des Weiteren versuchen, ein Krankenhaus im Ballungszentrum mit einer schlechten Qualität in ein Gesundheits- und Pflegezentrum oder ein Hospiz umzuwidmen; denn die brauchen wir dringend. Insofern wird der Strukturfonds dazu führen, dass wir die Versorgung verbessern. Es ist gut angelegtes Geld, weil es nachhaltig investiert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es wird immer behauptet, Krankenhäuser würden weniger Geld als zuvor erhalten. Herr Weinberg, das stimmt einfach nicht. Ganz im Gegenteil: Es wird mehr Geld in die Hand genommen, um die Krankenhäuser zu unterstützen. Im Jahr 2016 sind es 600 Millionen Euro, über 1 Milliarde Euro im Jahr 2017 und 1,4 Milliarden Euro im Jahr 2018, dabei ist das Geld aus dem Versorgungsstärkungsgesetz noch nicht einmal hinzugerechnet. Also: Es gibt nicht weniger Geld, sondern mehr Geld für die Krankenhäuser. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Da wir das Geld nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern uns am Maßstab der Qualität orientieren, ist das kein pauschales Geldausgeben. Herr Spahn hat vorhin gesagt: Wir haben in letzter Zeit 30 Prozent mehr ausgegeben. Das sind von 2008 bis 2014 in absoluten Zahlen 15 Milliarden Euro, die wir in dieser Zeit mehr ausgegeben haben. Deswegen muss man wirklich sagen: Es stimmt einfach nicht – man kann es nicht oft genug wiederholen –, dass wir weniger Geld ausgeben. Auf der Grundlage dieses Gesetzes geben wir den Krankenhäusern mehr Geld, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mit diesem Gesetz schaffen wir bessere Rahmenbedingungen für Qualität. Wir Sozialdemokraten werden ganz besonders darauf achten, dass das auch wirklich gelingt. Wenn wir dafür noch an der einen oder anderen gesetzlichen Stellschraube – wenn wir in diesem Bild bleiben wollen – drehen müssen, dann werden wir das auch machen, vielleicht müssen wir dazu bei einem Finanzstaatssekretär nachfragen; denn Krankenhäuser zu finanzieren, ist auf jeden Fall eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe der Daseinsvorsorge. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden immer zu den Krankenhäusern stehen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Lothar Riebsamen für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie es bei abschließenden Rednern oft der Fall ist: Zu diesem Gesetzentwurf ist schon vieles gesagt worden. Deswegen möchte ich nur einige wenige Punkte vertiefen und vielleicht das eine oder andere korrigieren, was in den Raum gestellt wurde. Es ist durchaus richtig, dass der Budgetanteil des Pflegepersonals – noch vor zehn Jahren war er der größte Budgetanteil im Krankenhaus – heute nicht mehr der größte Anteil ist. Es gibt Gründe dafür, warum der ärztliche Bereich heute vor dem Pflegedienst steht. Aber das heißt nicht, dass das, was wir jetzt mit dem Pflegeprogramm machen, nicht zu Verbesserungen führt. Es wird die Probleme nicht lösen, wie es gesagt wurde – das stimmt –, aber es wird sie lindern. Frau Scharfenberg, die Zahl von 1,5 Stellen pro Krankenhaus, die Sie genannt haben, ist so nicht richtig. Wenn Sie die Summe, die mit diesem Gesetz zur Verfügung gestellt wird, durch die Zahl der Krankenhäuser dividieren – unterstellt 60 000 Euro je Pflegekraft –, dann kommen sie auf 5 500 Stellen. Dabei dürfen wir die -psychiatrischen Krankenhäuser nicht mitrechnen; denn es geht ausschließlich um die somatischen Krankenhäuser. Dann kommen Sie auf 3,5 bis 4 Stellen pro Krankenhaus. Das ist mehr als das Doppelte der Zahl, die Sie genannt haben. Ich sage aber noch einmal: Die Probleme werden nicht gelöst, aber sie werden angegangen. Es wird vor allem darauf ankommen, diese 3,5 Stellen bei einem 200-, 300-Betten-Haus vernünftig einzusetzen. Es geht darum, die Attraktivität des Pflegeberufs zu stärken. Das kann man mit diesem Geld machen. Bei der Erhöhung der Attraktivität des Pflegeberufs geht es insbesondere darum, mehr Stellen für Auszubildende, Krankenpflegeschülerinnen und -schüler und diejenigen zu schaffen, die die Praxisausbildung und -anleitung am Bett durchführen. Es ist einfach notwendig und muss möglich sein, dass die Praxisanleiter die Zeit haben, sich ihren Schülerinnen und Schülern zu widmen, damit diese auf der einen Seite etwas lernen und auf der anderen Seite sehen, dass es sinnvoll ist, was sie da machen, dass sie einen guten und richtigen Beruf gewählt haben und man sie nicht auf die Station schickt, ohne dass sie die nötigen Anleitungen dafür erhalten haben. Ich würde sehr dafür werben, das Geld genau für diese Stellen einzusetzen und es nicht mit der Gießkanne in einem Großkrankenhaus zu verteilen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Edgar Franke [SPD]) Dann käme natürlich nicht allzu viel dabei herum. Als zweiten Punkt möchte ich das Thema der doppelten Degression ansprechen. Wir alle haben über Jahre hinweg an Podiumsdiskussionen teilgenommen und haben mit den Krankenhausgesellschaften auf Landesebene und Bundesebene über dieses Thema diskutiert – es war das Thema Nummer eins –: Abschaffung der doppelten Degression bei den Krankenhäusern, die keine Mehrmengen erbracht haben. Diese Krankenhäuser mussten bisher akzeptieren, dass der Landesbasisfallwert gesenkt wird, sie in Mithaftung für die Mehrmengen anderer Krankenhäuser genommen werden. Genau dies schaffen wir mit diesem Gesetz ab. Natürlich ist jetzt die Folge, dass diejenigen Krankenhäuser, die Mehrmengen erbringen, alleine dafür geradestehen müssen; das ist richtig. An dieser Stelle muss man sagen: Wenn dort berechtigterweise notwendige Mehrmengen erbracht werden, dann müssen diese Mehrmengen natürlich den Krankenhäusern vergütet werden. Es kann ja nicht sein, dass man in Zukunft Mehrmengen, die notwendig sind, nicht mehr auskömmlich finanziert. Es muss bei den Mehrmengen um die Istfälle gehen und nicht um die hypothetischen Fälle. Da müssen wir in diesem Gesetzgebungsverfahren sicherlich ein Stück weit nacharbeiten. Einige Sätze zum Thema Strukturen. Jens Spahn hat eindrucksvoll dargelegt, wie die Situation in Deutschland aussieht. Kollege Harald Terpe hat mir gerade am Platz gesagt: Jetzt sei mal mutig und sage auch hier an dieser Stelle, was du sonst in den Podiumsdiskussionen sagst! – Ich will das gerne machen. Wir müssen akzeptieren, dass die Länder nur noch 50 Prozent der Investitionskosten erbringen. Wir müssen hinnehmen – es ist nun mal so –, dass die verbleibenden 50 Prozent aus den laufenden Entgelten entnommen werden. Daran wird sich vermutlich nichts ändern. Wo sollen die Länder das Geld hernehmen? Ich sehe keinen anderen Weg und weiß nicht, woher die Mittel kommen sollen. (Mechthild Rawert [SPD]: Steuermittel!) Also nehmen wir die Situation einfach so, wie sie ist, und machen uns darüber Gedanken (Mechthild Rawert [SPD]: Nein!) – nicht bei diesem Gesetz, aber vielleicht bei einem Folgegesetz –, wie wir den Status quo legalisieren können. In einem Punkt unterscheiden wir uns vielleicht doch: Wenn wir dies tun, dann kann es natürlich nur um die bedarfsnotwendigen Krankenhäuser gehen – sonst hätte das ja zur Folge, dass wir auch wieder mit der Gießkanne Mittel verteilen und Strukturen zementieren, die wir so nicht haben wollen –, dafür werbe ich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das wird auch dazu führen, dass die Strukturen in unserem Land verbessert werden. Im Übrigen ist unser Vergütungssystem darauf ausgerichtet, dass wir wirtschaftliche Krankenhäuser haben, nicht Grund- und Regelversorger, die in 100-Betten-Häusern vor sich hin arbeiten; das gibt das Vergütungssystem überhaupt nicht her. Schon deswegen ist es notwendig, dass wir an dieser Stelle einen deutlichen Schritt weiterkommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5372, 18/5369 und 18/5381 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weil sich kein Widerspruch erhebt, gehe ich davon aus, dass Sie alle einverstanden sind. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Medizinische Versorgung für Asylsuchende und Geduldete diskriminierungsfrei sichern Drucksache 18/5370 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Widerspruch gibt es dagegen keinen. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU]) Harald Weinberg (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen fliehen zu uns, weil weite Teile ihres Landes durch Krieg zerstört wurden wie in Syrien oder ihr Leben durch Bürgerkriege und Stammesfehden bedroht ist wie in Westafrika. Sie entkommen politischer Verfolgung in repressiven Regimen wie in Eritrea. Meistens haben sie eine gefährliche Reise hinter sich. Das sind Frauen, Männer, Familien, Kinder und Jugendliche – Menschen, die in ihrer Heimat nicht mehr leben können. Oft sind sie schwerst traumatisiert nach Folterungen, Massenvergewaltigungen, Gewalt und Hunger. Sie haben ein Anrecht auf eine menschenwürdige Behandlung. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU]) Daher haben wir den vorliegenden Antrag eingebracht, wonach Flüchtlingen die gleiche gesundheitliche Versorgung zustehen soll wie gesetzlich Krankenversicherten. Bisher erhalten Flüchtlinge nur Leistungen bei akuten Krankheiten, Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft, und auch das nur, nachdem sie auf dem Sozialamt vorgesprochen, den dortigen Mitarbeiter von der Notwendigkeit einer Behandlung überzeugt und einen Behandlungsschein erhalten haben. Wir wollen das ändern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn die Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung sind nach § 12 Sozialgesetzbuch V gesetzlich auf das Notwendige beschränkt. Weniger als das Notwendige verletzt das Recht auf Gesundheitsversorgung. Daher wollen wir, dass jeder Flüchtling eine Gesundheitskarte erhalten und sämtliche notwendigen Leis-tungen bekommen soll, ohne zuvor zum Sozialamt zu -müssen. Für uns ist das eine klare Sache; denn die notwendige gesundheitliche Versorgung betrifft die menschliche Existenz und ist damit ein ganz wesentliches soziales Menschenrecht und eine internationale Verpflichtung der Bundesrepublik. (Beifall bei der LINKEN) Ich hoffe, dass die Argumente, die in der Vergangenheit gegen diesen Vorschlag geäußert wurden, dieses Mal nicht wieder Anwendung finden. Bei diesen Argumenten ging es meist um Abschreckung; ich erinnere an das Wort von der „Zuwanderung in unsere Sozialsysteme“. Nach unserer Ansicht sind das alles Argumente, die nicht greifen dürfen, weil die Praxis der Notfallversorgung einen zigtausendfachen systematischen Verstoß gegen soziale Menschenrechte in Deutschland darstellt. Das muss aufhören. Menschenrechte haben immer Vorrang vor falschen migrationspolitischen Erwägungen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Einschränkung der Gesundheitsversorgung auf Akutleistungen ist auch sachlich nicht haltbar, weil sie weite Interpretationsspielräume eröffnet und damit Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten verursacht. Zum Beispiel sind chronische Krankheiten grundsätzlich ausgeschlossen. Dennoch muss ein Diabetiker natürlich Insulin erhalten. Es wäre unverantwortlich, den Leistungsausschluss für chronische Krankheiten ernst zu nehmen und zu warten, bis ein diabetischer Schock eingetreten ist, um dann die akute Krankheit zu therapieren. Vergleichbare Probleme gibt es auch mit anderen chronischen Krankheiten. Nach den bisherigen Erfahrungen in Bremen und Hamburg würde der einfache Zugang zu Gesundheitsleistungen wenig kosten und spart auch noch Geld. In Bremen gibt es einen Vertrag mit der AOK, wonach heute schon dort lebende Asylsuchende eine Gesundheitskarte bekommen. Dennoch kostet diese Lösung das Land Bremen nicht mehr Geld als zuvor. Das liegt größtenteils daran, dass die Verwaltungskosten, die im Zusammenhang mit einer Genehmigung der Anträge auf Gesundheitsleistungen beim Sozialamt entstehen, ersatzlos entfallen können. Für die Gesundheitskarte zahlt die Stadt einen pauschalen Beitrag an die Krankenkasse. Hinzu kommt, dass Flüchtlinge aufgrund der bisher hohen Schwellen nicht zum Arzt gehen und Krankheiten verschleppen. Das macht die Behandlungen schlussendlich teurer. Da ist es günstiger, ihnen die Gesundheitskarte zur Verfügung zu stellen. Auch die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, beispielsweise durch Impfungen, findet derzeit zu wenig statt, obwohl darauf auch nach heutiger Gesetzeslage schon ein Rechtsanspruch besteht. Das alles sind gute Gründe, die für eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge sprechen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber ich bin Realist genug, um zu wissen, dass die Koalition unserem Antrag voraussichtlich nicht zustimmen wird. Nach dem Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt habe ich aber die Hoffnung, dass die Bundesregierung den Ländern die Durchführung des Bremer Modells immerhin leichter machen will und dass sich damit nach Jahren der Stagnation etwas bewegt. (Beifall bei der LINKEN) Das wäre zwar eine Verbesserung, aber das reicht nicht aus. Ich bitte Sie, bundesweit verpflichtend eine Gesundheitskarte für alle in allen Bundesländern einzuführen (Beifall bei der LINKEN) und den Leistungsanspruch auf das Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung anzugleichen. Ganz wichtig wäre es auch, eine Lösung für die Hunderttausende illegal in Deutschland lebenden Menschen ohne Melde-adresse zu finden; denn diese Menschen haben zwar qua Gesetz einen Leistungsanspruch, aber die Arztpraxen und Krankenhäuser bleiben regelmäßig auf den Kosten sitzen. Wenn Sie das alles regeln, liebe Koalition, dann hat unser Antrag trotz Ablehnung etwas Gutes bewirkt, und das wäre ja schön. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Regel muss sich ein Asylbewerber heute für einen Arzttermin beim örtlichen Sozialamt einen Berechtigungsschein holen. Das ist, zugegeben, mit einem bürokratischen Aufwand verbunden, und auch ich werde in meinem Wahlkreis darauf angesprochen. Der Antrag der Linken scheint daher zunächst nachvollziehbar zu sein. Sie fordern, dass stattdessen alle Asylbewerber eine elektronische Gesundheitskarte (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre Menschenwürde!) und nach drei Monaten den vollen Zugang zum deutschen Gesundheitssystem erhalten sollen. Gerne will ich Ihnen erklären, warum ich sowohl die Gesundheitskarte für Asylbewerber als auch die Gleichstellung nach drei Monaten ablehne. Dazu hole ich ein bisschen aus. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Schläge! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich gespannt!) Wir stehen heute vor gewaltigen migrationspolitischen Herausforderungen. Die Vereinten Nationen meldeten kürzlich die unvorstellbare Zahl von weltweit 60 Millionen Flüchtlingen. Das ist die größte Flüchtlingskrise aller Zeiten. Die langfristigen Folgen dieser globalen Katastrophe sind kaum absehbar. Dieses Thema wird uns daher noch über Jahre beschäftigen. Deswegen müssen wir unser Asylsystem und unsere Leistungen so gestalten, dass nur die wirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge schnell integriert werden. Abgelehnte Asylbewerber hingegen müssen zügig und konsequent zurückgeführt werden; denn viele deutsche Kommunen haben heute schon die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht. Die Bundesregierung tut viel, um die Kommunen zu entlasten: Die Soforthilfen des Bundes wurden in diesem Jahr auf 1 Milliarde Euro verdoppelt. Ab 2016 wird sich der Bund dauerhaft an den Asylkosten der Länder beteiligen. Um die Verfahren zu beschleunigen, wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 1 400 neue Stellen geschaffen; weitere 1 000 Stellen sind für 2016 eingeplant. Mit dem Gesetzentwurf zum Bleiberecht und zur Aufenthaltsbeendigung, den wir heute hier verabschieden wollen, sorgen wir dafür, dass die Ausreisepflicht künftig schneller durchgesetzt werden kann. Jetzt sind aber auch die Länder gefordert. Wir brauchen mehr Erstaufnahmeeinrichtungen, damit aussichtslose Asylbewerber gar nicht erst auf die Kommunen -verteilt werden. Außerdem müssen die Länder ihre Ausländerbehörden und ihre Gerichte besser ausstatten, damit dort in den Asylverfahren nicht der nächste Flaschenhals entsteht. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland hilft den Flüchtlingen wie kaum ein anderes Land in der EU. Jeder dritte Asylantrag wird heute in Deutschland gestellt. Der Grund dafür ist ganz einfach, er ist relativ simpel: Gemeinsam mit Schweden sind wir das attraktivste Zielland innerhalb Europas. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und ein großes Land!) Wir haben erst im letzten Jahr die Residenzpflicht und die Vorrangprüfung für Asylbewerber und Geduldete gelockert und den Arbeitsmarktzugang schon nach drei Monaten ermöglicht. (Mechthild Rawert [SPD]: Das war eine supergute Entscheidung!) Seit Jahren steigt die Zahl der Asylanträge in Deutschland extrem an. Im Jahr 2008 wurden 28 000 Anträge registriert. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt alles für was ein Argument? Das habe ich nicht verstanden!) In diesem Jahr erwarten wir 450 000 Anträge. Damit hat sich die Zahl der Asylanträge in den letzten Jahren um fast 1 600 Prozent erhöht. Sie erreicht damit ein neues Rekordhoch. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können wir auch trotzdem anständig behandeln!) Im Schnitt werden bei zwei von drei Asylanträgen keine Schutzgründe festgestellt. Die Hälfte der Asylbewerber kommt aus den Westbalkan-Staaten. Ihre Anträge werden quasi alle abgelehnt; denn diese Menschen suchen bei uns Arbeit. Das ist verständlich – sie kommen zu uns, weil Deutschland Sicherheit, Wohlstand und Zukunft verspricht –, aber das rechtfertigt bei uns keinen Flüchtlingsschutz. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie noch zur Sache, zur medizinischen Versorgung?) Asyl dient ausschließlich dem Schutz vor Verfolgung und nicht der Anwerbung von Fachkräften oder als Mittel gegen Armut. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Standardrede hatten Sie schon mal, oder nicht? Da müssen Sie mal was Neues schreiben!) Um unsere Kommunen zu entlasten, müssen wir die große Zahl der aussichtslosen Asylanträge reduzieren. Wir brauchen daher ein klares Asylrecht, das Fehlanreize vermeidet und in ärmeren Weltregionen keine falschen Hoffnungen weckt. Wenn man Ihrem Antrag folgen würde und bundesweit eine Gesundheitskarte einführen und jedem Asylbewerber den vollen Zugang zum deutschen Gesundheitssystem schon nach drei Monaten ermöglichen würde, dann würden die sowieso schon extrem hohen Asylzahlen weiter ansteigen, und zwar in erheblichem Umfang. (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist eine stark diffamierende These!) Die flächendeckende Einführung einer Gesundheitskarte wäre eine Einladung für jeden, sich in Deutschland umsonst behandeln zu lassen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch perfide! Die Leute krank lassen, um den Pull-Effekt zu vermeiden! Dazu hat Ihnen Karlsruhe schon beim Asylbewerberleistungsgesetz das Richtige ins Stammbuch geschrieben!) Eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2013 mit dem Titel „Warum Deutschland?“ belegt, dass bereits heute die medizinische Versorgung von Asylbewerbern in Deutschland zu den wesentlichen Anreizen gehört, um hier Asyl zu beantragen. Sie können es gerne nachlesen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Erzählen Sie mir nie wieder was vom demografischen Wandel!) Asylbewerber werden heute schon umfassend medizinisch versorgt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Streichen Sie das C aus Ihrem Parteinamen, und setzen Sie sich!) Unmittelbar nach der Ankunft erhalten sie eine Kurzuntersuchung. Die ausführliche Untersuchung gemäß § 62 Asylverfahrensgesetz muss spätestens nach drei Tagen erfolgen. In Bayern zum Beispiel wird in den Erstaufnahmeeinrichtungen die medizinische Versorgung aller Asylbewerber auf niedrigschwelliger Basis sichergestellt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Auf niedrigschwelliger Basis!) Sie werden mit dem Nötigsten versorgt. Im akuten Notfall steht auch das System der Notfallversorgung zur Verfügung. Heute schon erhalten Asylbewerber spätestens nach 15 Monaten Aufenthalt eine medizinische Hilfe ähnlich der von Sozialhilfeempfängern. Ab diesem Zeitpunkt erhalten sie auch eine elektronische Gesundheitskarte. Diese Frist von 15 Monaten hat einen guten Grund. Grundsätzlich soll es nämlich eine umfassende gesundheitliche Versorgung nur für anerkannte Flüchtlinge geben oder für diejenigen, die sich seit 15 Monaten in Deutschland aufhalten und diese Dauer nicht rechtsmissbräuchlich selbst verursacht haben. Ein Blick in das Gesetz, in diesem Falle das Asylbewerberleistungsgesetz, erleichtert, wie ich so oft sage, die Rechtsfindung. Da steht das nämlich drin. Der bayerische Finanzminister erwartet, dass für die Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber in Bayern bis Ende 2016 rund 3 Milliarden Euro fällig werden. Das ist mehr als der Landesetat von Wirtschaft, Gesundheit und Umwelt zusammen. Eine Gesundheitskarte mit dem Leistungsumfang, wie Sie ihn im Prinzip von Beginn an fordern, würde diese Kosten natürlich weiter in die Höhe treiben. Und: Sie riskieren mit Ihrem Vorschlag auch die öffentliche Zustimmung zu unserem Asylsystem. Angesichts von 450 000 – 450 000! – Anträgen in diesem Jahr, eines stetig steigenden Migra-tionsdrucks und auch der aktuellen Situation im deutschen Gesundheitssystem lässt sich eine solche massive Leistungsausweitung unserer Bevölkerung nicht vermitteln. Bund und Länder haben sich beim Flüchtlingsgipfel am 18. Juni darauf geeinigt, dass die Länder selbst entscheiden, ob sie die Abrechnung der Arztkosten für Asylsuchende im bisherigen eingeschränkten Leistungsumfang auf die gesetzlichen Krankenkassen übertragen wollen. Bayern hat sich aus gutem Grund dagegen ausgesprochen. Derzeit gibt es dieses Modell nur in Bremen und in Hamburg. Die Signalwirkung der Stadtstaaten ist vergleichsweise überschaubar. Wenn aber auch ein großes Land wie Nordrhein-Westfalen die Gesundheitskarte, wie von Ihnen gefordert oder auch nur wie jetzt möglich, einführt, dann würde das ganz falsche Anreize schaffen, die sich auf das gesamte Bundesgebiet auswirken. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viele Kommunen in NRW wollen das!) Ich warne ausdrücklich davor. Auch wenn das jetzige System bürokratischer ist: Es hat seinen Zweck. Wir können die Kommunen nur dauerhaft entlasten, wenn wir den Fokus der Flüchtlingspolitik auf die Herkunfts- und die Transitländer richten und dort die Fluchtursachen bekämpfen. Ständig neue Forderungen an den Bund nach noch mehr Hilfen für Asylbewerber sind unverantwortlich. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bei solch schlimmen Sätzen klatscht noch nicht mal die Union!) Letztendlich erhöhen auch solche Anreize wie die Gesundheitskarte nur den Migrationsdruck. Wir müssen bei unseren Leistungen ganz klar zwischen Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen unterscheiden. Unser Asylrecht soll nur die Schutzbedürftigen schützen. Ihr Antrag geht in die falsche Richtung. (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Wir stimmen Ihnen eindeutig nicht zu! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Christlich war mal!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen: Die Vorrednerin hat eigentlich mehr als deutlich gemacht, woran bisher eine menschenwürdige gesundheitliche Versorgung in Deutschland gescheitert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Als jemand, der aus einer Gegend kommt, die sehr christlich geprägt ist, muss ich auch sagen, dass es mir ein bisschen die Sprache verschlagen hat, hier eine solche Positionierung zu hören, bei der der Mensch, der Flüchtling an und für sich nicht vorkommt. Dass jemand in solch einer menschenverachtenden Art und Weise über die gesundheitliche Versorgung spricht, habe ich selten gehört. Das muss man einmal vorwegsagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist auch bezeichnend, dass die Union als ersten Redner nicht einen gesundheitspolitischen Sprecher oder eine gesundheitspolitische Sprecherin gesandt, sondern lieber ihre grundsätzlich restriktive Flüchtlingspolitik deutlich gemacht hat. (Zuruf von der LINKEN: Peinlich!) Worüber reden wir? Wir reden darüber, dass auch Deutschland grundsätzlich menschenrechtliche Verpflichtungen eingegangen ist. Zu diesen Menschenrechten gehört nach dem Schutz zuallererst die Gewährung von gesundheitlicher Versorgung, wenn der Bedarf da ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese Form der Verpflichtung haben Sie in keiner Weise auch nur angesprochen. Wer muss Ihnen eigentlich noch ins Gebetbuch schreiben, was alles fehlt? Der Ärztetag hat in diesem Jahr erneut deutlich gemacht, dass die restriktiven Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes zu Mangelversorgung, Chronifizierung und einer insgesamt schlechten gesundheitlichen Versorgung führen, die uns oft sogar noch teurer kommt, weil die Flüchtlinge und betroffenen Erkrankten am Ende stationär versorgt werden müssen; (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wenn es doch der Abschottung dient!) das ist ein Zustand, den man nicht hinnehmen kann. Auch das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben: Das Menschenrecht ist aus migrationspolitischen Erwägungen nicht zu relativieren. – Das muss hier gelten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Kommen wir einmal zu den einzelnen Fragen, die hier eine Rolle spielen. Wo haben wir denn überall eine Unterversorgung? Wir haben sie im Bereich der Reha, der Prävention, der Kuren, bei notwendigen Anschlussbehandlungen, beispielsweise nach einer Krebsbehandlung, aber auch dort, wo es um ganz schlichte Fragen geht, zum Beispiel bei der Kariesversorgung von Kindern. Nur die Behandlung einer festgestellten Karies wird heute bezahlt, aber nicht das Anrecht auf Prävention. Meine Damen und Herren, dass es so etwas heute noch gibt, kann doch nicht wahr sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von daher ist die Forderung der Linken ganz richtig; wir haben sie auch schon in vielen anderen Anträgen bekräftigt. Wir führen eine Diskussion, an der sich deutlich zeigt, dass die Bevölkerung, die Bundesländer und die Kommunen in ganz vielen Regionen weiter sind als Sie. Sie alle fordern die Einführung der Gesundheitskarte, und zwar auch deshalb, um den Ablauf der Versorgung vernünftiger zu gestalten, nämlich so, dass man eben nicht erst zum Sozialamt rennen muss, um einen Antrag auf eine notwendige Behandlung zu stellen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Da geht es um Entlastung, um Geld und um nichts anderes!) Dadurch würden alle gewinnen. Wir würden eine unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten ordentliche Versorgung gewährleisten, wir würden dafür sorgen, dass die Kommunen entlastet werden, und wir würden gleichzeitig zum Bürokratieabbau beitragen. Dieses Geld könnten wir sehr, sehr gut in eine bessere Versorgung investieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Das können sie ja jetzt schon machen!) Wir haben es mit einem Versagen des Gesundheitsministeriums auf ganzer Linie zu tun, weil es längst, seit November letzten Jahres, die Verpflichtung gibt, eine Regelung zu schaffen, die es den Ländern ermöglicht, die Gesundheitskarte, wenn sie es denn wollen – das ist ja bisher an der CSU gescheitert –, (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das wird auch weiterhin so bleiben!) einzuführen. Eine solche Regelung liegt über sechs Monate später immer noch nicht vor. Im Gegenteil: Sie wird beim zweiten Flüchtlingsgipfel wieder einmal zum Verhandlungspfund gemacht. Ich finde das schäbig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ein weiteres Trauerspiel: Wie sieht es mit der Finanzierung der Traumazentren, der Zentren für Menschen, die Folter erlebt haben und traumatisiert sind, aus? Auch da ist ein Scheitern auf ganzer Linie festzustellen. Von den 21 Zentren, die auf Mittel der EU angewiesen sind und Anträge auf Weiterfinanzierung gestellt haben, haben bisher nur 12 überhaupt Aussicht auf Erfolg. Die psychosoziale Versorgung von Flüchtlingen mit schwersten Traumata ist nicht gesichert; sie findet auf Spendenbasis statt. Auch da müssen wir eine Lösung finden. Wir müssen auch eine Lösung für all diejenigen finden, die mehr als 15 Monate hier sind und Anspruch auf eine Regelversorgung haben; denn sie ist auf die besonderen Bedarfe der Flüchtlinge gar nicht ausgerichtet. Auch da muss das Gesundheitsministerium endlich tätig werden und dafür sorgen, dass das Regelsystem auf diese neue Aufgabe ausgerichtet wird. Das muss passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich hoffe sehr, dass wir in dieser Hinsicht bis Herbst ordentlich Dampf machen können. Die Bevölkerung, meine Damen und Herren, ist sehr viel weiter hinsichtlich Hilfsbereitschaft und Willkommenskultur. Sie kann all diese Dinge nicht verstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Hilde Mattheis, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Hilde Mattheis (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, das ist in der Tat eine schlimme und schwierige Entwicklung: Immer mehr Menschen suchen in unserem Land Schutz vor Krieg, Gewalt und Verfolgung. Sie nehmen enorme Strapazen auf sich, um für sich und ihre Kinder bzw. ihre Familien eine sichere Zukunft zu ermöglichen – auch wir würden das tun –, ja, um überhaupt eine Zukunft zu haben. Allein im Monat Mai wurden fast 26 000 Asylanträge in Deutschland gestellt. Wir meinen, es ist unsere humanitäre Pflicht, Schutzbedürftige aufzunehmen und gut zu versorgen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht der Riss durch die Koalition!) Daher ist das, was die Kollegin Lindholz formuliert hat, nicht die Grundmusik unseres Ansatzes. (Beifall bei der SPD) Vielmehr sind die Unterstützung und in der Tat auch die gute Versorgung unser Anliegen. Viele Flüchtlinge benötigen eine gute gesundheitliche Versorgung. Sie haben grausame Erfahrungen in ihren Herkunftsländern und während ihrer Flucht gemacht. Das wirkt sich auf Seele und Körper aus. Es besteht dringende Notwendigkeit, schnell und niedrigschwellig zu helfen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Wer mit Flüchtlingen – wie es vielleicht viele von uns tun – in direktem Kontakt steht, der sieht und weiß das. Und er weiß um die Notwendigkeit, dass da wirklich dringend etwas in die Wege geleitet werden muss. Ich glaube, es ist unser aller Ansatz, mit den Ländern und den Kommunen zusammen dafür zu sorgen, dass sich bei der Erstaufnahme sowie in den Folgeunterkünften die Situation wirklich verbessert. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]) Denn eines ist auch klar: Das, was Flüchtlinge, Asylsuchende erlebt haben, sollte dazu führen, dass sie bestmögliche Unterstützung und Begleitung bzw. ärztliche Versorgung bekommen. Deshalb distanziere ich mich ausdrücklich von der Begleitmusik der Kollegin Lindholz. Darum darf es uns hier nicht gehen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klein-Schmeink? Hilde Mattheis (SPD): Ja, gerne. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Mattheis, stimmen Sie mit mir überein, dass es durchaus helfen würde und besser wäre, wenn wir die Einschränkungen aus den §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes – danach ist nur eine Mindestgesundheitsversorgung vorgesehen – abschaffen – das wäre doch genau in Ihrem Sinne – und eine Überführung in die Leistungsgewährungen nach den GKV-Finanzierungsgesetzen vornehmen würden, die ja auch nur die notwendige, wirtschaftliche und zweckmäßige Behandlung vorsehen? Hilde Mattheis (SPD): Ja, wir sind da – das wissen Sie, werte Kollegin Klein-Schmeink – mit dem Inkrafttreten der Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes zum 1. März schon auf einem guten Weg gewesen. Dabei ging es um die Verkürzung des Zeitraums für den Bezug von Grundleistungen bei den Gesundheitsleistungen von 48 auf 15 Monate. Ich komme zum zweiten Punkt, der ja – das unterschreibe ich sofort – auch Ihre zentrale Forderung ist, nämlich zur Einführung der Gesundheitskarte. Dabei geht es darum, dass de facto diese beschränkten Zugänge abgeschafft werden. Von daher, Frau Klein-Schmeink, würde ich mich sehr freuen, wenn wir hier im Parlament alle miteinander das Ziel verfolgen würden, genau da Unterstützung zu leisten, wo Menschen in verzweifelten Situationen zu uns kommen und hoffen, dass es ihnen bei uns besser geht. Es sollte möglich sein, dass diese hochtraumatisierten Kinder, Frauen und Männer Zugang zu guter Versorgung haben. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir nicht nur mit der Entlastung jetzt – damit wäre, glaube ich, die Frage beantwortet –, nicht nur mit dem Vorziehen der Leistungen auf 2015 zur Entlastung der Kommunen, sondern auch mit einer strukturell dauerhaften Förderung ab 2016 die Länder und die Kommunen in die Lage versetzen, nicht nur für die Unterkünfte besser zu sorgen, sondern auch für die gesundheitliche Versorgung. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Es geht dabei nicht nur um die ärztliche Versorgung, sondern insbesondere auch um die psychotherapeutische Versorgung. Frau Klein-Schmeink, Sie haben das Problem der Finanzierung der Behandlungszentren für Folteropfer angesprochen. Ja, auch das sind Barrieren, die wir überwinden müssen. Auch in meiner Stadt, in Ulm, gibt es ein Behandlungszentrum für Folteropfer. Ich weiß, um welche Schicksale es da geht und wie schwierig die Versorgung ist. Ich glaube auch, dass wir da zusammen mit den Ländern und den Kommunen – es müssen allerdings auch die Krankenversicherungen mitspielen – einen guten Weg finden; denn es handelt sich um Einzelschicksale, die uns nicht nur sehr berühren, sondern bei denen wir alle wissen, dass so etwas ein Leben lang prägt. Von daher lassen Sie mich einfach festhalten: Wir sind nicht nur, was die finanzielle Unterstützung anbelangt, auf einem guten Weg; wir werden im Herbst auch Richtlinien zur Einführung der Gesundheitskarte nach dem Bremer Modell bekommen. Bei der Übertragbarkeit des Modells – es gibt ja schon Vertragsverhandlungen, sowohl in Baden-Württemberg als auch in Nordrhein-Westfalen – von Ländern wie Bremen und Hamburg, die damit seit vielen Jahren gute Erfahrungen gemacht haben, geht es nicht darum, Leistungen in irgendeiner Weise zu kontrollieren, sondern um verwaltungstechnische Vereinfachungen. Das ist wichtig, um die Zugänge niedrigschwellig zu gestalten. Städte wie Münster – das müssten Sie ja wissen – haben eine Vereinbarung hinbekommen, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir haben die noch nicht!) nach meiner Kenntnis auch andere Städte. Dort gibt es schon genau dieses Bremer Modell. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eben nicht! Alles stockt!) Wir brauchen jetzt schlicht und ergreifend eine Richtlinie, damit dies auch in Flächenländern möglich wird. (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Dafür zu werben, ist unser Anliegen; dafür treten wir ein. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Aufgabe ist es, das Gesetz so zu machen, dass das möglich wird! Wir sind keine Werbeagentur, sondern der Gesetzgeber!) Ich bin der Überzeugung, dass wir, was die psychotherapeutische Versorgung anbelangt, auch wichtige Bausteine setzen können; denn klar ist – da greife ich einfach noch einmal die scharfen Töne in der Debatte auf –: Wir sind eines der wirtschaftlich stärksten Länder. Wir haben heute einen gesundheitspolitischen Vormittag erlebt, wo es immer darum ging, Solidarität mit den Schwächsten in unserer Gesellschaft zu üben. Da waren wir uns – egal ob es um Palliativmedizin oder Hospize geht – in allen Bereichen einig. Ich wünsche mir sehr, dass wir diese Einigkeit auch bei diesem Thema nicht verlieren. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde ich mir auch sehr wünschen!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Heiko Schmelzle, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heiko Schmelzle (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Familie meines Vaters auf grausame Weise aus dem Sudetenland vertrieben. Auch die Familie meiner Mutter flüchtete aus der Heimat, um in Frieden und Freiheit noch einmal ganz von vorne anzufangen. Das Trauma der Flucht und der Verlust der Heimat sind bis heute eine nicht verheilte Narbe auf unserer Familienseele, auch wenn meine Familie zum Glück eine neue Heimat in Ostfriesland gefunden hat. Jeder Flüchtling hat eine eigene Leidensgeschichte und sein ganz persönliches Schicksal. Insofern möchte ich von diesem Rednerpult im Deutschen Bundestag aus allen Flüchtlingen, die in Deutschland Zuflucht vor Terror, religiöser und politischer Verfolgung suchen, mein tief empfundenes Mitgefühl ausdrücken: Seien Sie uns in Deutschland herzlich willkommen! (Beifall im ganzen Hause) Derzeit befinden sich weltweit ungefähr 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist die höchste Zahl an Flüchtlingen, die das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen jemals verzeichnet hat. Gestiegene Flüchtlingszahlen sind auch in Deutschland zu erkennen. Gab es 2008 22 085 Erstanträge auf Asyl, waren es 2014 202 834. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind rund 110 000 Asylanträge gestellt worden, sodass die Asylbewerberzahl für 2015 auf über 350 000 steigen könnte. Das stellt unser Land und unsere Sozialversicherungssysteme vor ganz neue Herausforderungen. Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke, zeichnet jedoch ein verzerrtes Bild der Realitäten in unserem Land. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?) Ihre Behauptung, Asylbewerbern werde die Möglichkeit auf ein menschenwürdiges Leben in unserer Mitte versagt, weise ich entschieden zurück. Die Realität sieht anders aus. Syrischen Flüchtlingen zum Beispiel wird in Deutschland im Rahmen des Möglichen zügig Asyl -gewährt. Selbst der Familiennachzug wird großzügig gehandhabt. Wir wollen das Leben der Betroffenen erleichtern und ihnen Schutz bieten. Seit Beginn des Terrors durch den „Islamischen Staat“ haben wir mehr als 120 000 syrische Flüchtlinge bei uns aufgenommen – mehr als jedes andere EU-Land. Von den in den ersten vier Monaten dieses Jahres in Deutschland angekommenen rund 110 000 Asylbewerbern stammten allerdings über die Hälfte vom Balkan. Über 57 000 stammten aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, dem Kosovo und Albanien. Während die überwiegende Zahl der syrischen Flüchtlinge anerkannt wird, tendieren die Anerkennungszahlen insbesondere bei den Bewerbern aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien fast gegen null. Die Menschen aus diesen Ländern mögen sich aus nachvollziehbaren Gründen auf den Weg nach Deutschland aufgemacht haben; diese stellen aber regelmäßig keinen Asylgrund dar. Das deutsche Asylrecht hat durch Artikel 16 a Grundgesetz Verfassungsrang. Es ist das einzige Grundrecht, welches nur Ausländern zusteht, und zwar dann, wenn sie politisch verfolgt werden. Asyl gewähren wir aus unserer Grundüberzeugung. Das Asylrecht darf aber kein Schlupfloch für illegale Einwanderung oder die illegale Ausnutzung unserer Sozialsysteme sein. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesundheitliche Versorgung gewähren wir jedem Schutzbedürftigen! Das steht in unseren Grundrechten!) Wer wie Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke, die Behauptung aufstellt, die derzeitigen Regelungen im Asylbewerberleistungsgesetz würden regelmäßig zu – ich zitiere – „Verzögerungen der Behandlung führen und dazu, dass selbst unaufschiebbare Behandlungen unter Gefahr für Leib und Leben verschleppt werden“, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist die Realität!) der setzt sich nicht sachlich mit Art und Umfang einer angemessenen medizinischen Versorgung für Asylbewerber auseinander. (Beifall bei der CDU/CSU) Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz können in Deutschland nach 15 Monaten die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung vollumfänglich in Anspruch nehmen. Bis dahin besteht ein Anspruch auf medizinische Versorgung regelhaft nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Im Falle einer -akuten Notfallbehandlung im Krankenhaus oder bei Zahnärzten können Ärzte und Krankenhausträger unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen ihren Aufwendungsersatzanspruch gegenüber dem jeweiligen Leistungsträger – sprich: der GKV – geltend machen. Die Erfüllung Ihrer Forderung, allen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Berechtigten den Zugang zu sämtlichen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren und ihnen damit die Mitgliedschaft in der GKV zu geben, würde unseren Anstrengungen, die Zuwanderung aus sicheren Drittstaaten zu reduzieren, entgegenwirken. Vor allem aber würde das die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenkassen wahrlich überfordern. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist Abschreckungslogik! Das hat doch mit Menschenwürde nichts zu tun!) Die Große Koalition hat sich für einen Weg der Vernunft entschieden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie noch nicht einmal wissen, worüber Sie reden, scheinen Sie das ja nicht beurteilen zu können!) Wir haben im März dieses Jahres die Bezugsdauer von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von bislang 48 Monaten auf 15 Monate unter Berücksichtigung des tatsächlichen Aufenthalts im Bundesgebiet reduziert. Damit können die Leistungsberechtigten nach 15 Monaten die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung vollumfänglich nutzen. Ich finde, da sind wir einen gewaltigen Schritt gegangen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und ist die Regelversorgung darauf eingestellt? Das muss jetzt mal in die Wege geleitet werden!) Um die dafür erforderliche schnellere Bescheidung der Asylanträge erreichen zu können und somit für die Antragsteller schneller Rechtssicherheit zu schaffen, haben wir das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit 1 400 zusätzlichen Stellen ausgestattet und werden wir 2016 weitere 1 000 Stellen schaffen. Wer hingegen wie Sie den nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Berechtigten von Anfang an den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung eröffnen möchte, schafft eine Situation, in der es künftig attraktiv sein würde, in Deutschland trotz offenkundiger Aussichts-losigkeit Asyl zu beantragen, um Versorgungsleistungen im Rahmen der GKV in Anspruch zu nehmen. Ein weiterer nicht nachvollziehbarer Punkt in Ihrem Antrag ist die Behauptung, die von Ihnen geforderte sofortige reguläre Pflichtmitgliedschaft – ich zitiere – „würde bedeuten, dass sie Vorversicherungszeiten für eine spätere freiwillige Mitgliedschaft in der GKV erwerben können“. Dabei handelt es sich doch um ein völlig konstruiertes Beispiel. Ihr Beispiel setzt nämlich voraus, dass der anerkannte Asylbewerber unmittelbar nach seiner Anerkennung ein Unternehmen oder ein -Gewerbe gründet und sich dann für eine freiwillige -Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung entscheidet. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch das kann vorkommen! Sie wollen doch, dass die Menschen arbeiten!) Nur für diesen einen denkbaren Fall bräuchte er die Vorversicherungszeiten. Ich denke, wir alle wissen, dass dies ein konstruierter Fall ist. Meine Damen und Herren, viele Menschen in Deutschland versuchen im Ehrenamt, aber auch in den zuständigen Ministerien, Ämtern und Behörden alles, um das Flüchtlingsleid zu lindern. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Sie lassen sie alleine! – Gegenruf der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr! Das wissen Sie auch!) All diesen Menschen gilt heute mein aufrichtiger Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer hätte noch vor wenigen Jahren eine Asylbewerberzahl von 350 000 oder sogar darüber vorhersehen können? Neue Herausforderungen bedürfen auch zeitgemäßer Lösungen. Durch die rasant gestiegene Asylbewerberzahl müssen die Erkenntnisse von gestern an die Realität angepasst werden. Eine Öffnung sämtlicher Leistungen der GKV für jeden, der nach Deutschland kommt, ist aus meiner Sicht durch die Sozialgemeinschaft nicht tragbar. Aber ich sage auch: Jeder, der hierherkommt und eine sofortige Behandlung braucht, weil er in Not ist, wird diese Hilfe in jedem Krankenhaus und bei jedem Arzt bekommen. Es wird dann auch ein Weg gefunden werden, diese Leistung zu vergüten. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal Ihr eigenes Asyl-bewerberleistungsgesetz!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin Lindholz und Herr Schmelzle, ich muss schon sagen: Die Szenarien, die Sie hier aufbauen, sind an Zynismus kaum noch zu übertreffen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wieso? Das sind Fakten, einfach Fakten!) Es gibt nicht den falschen und den richtigen Flüchtling, den illegalen und den legalen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Doch! Das ist ganz klar geregelt!) Jeder Mensch hat nach der Genfer Flüchtlingskonvention und nach internationalem Recht das Recht, hier -Anträge auf Asyl zu stellen. Diese müssen fair geprüft werden. Das ist ganz klar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Das wird doch geprüft!) Sie haben recht: Es kommen viele Flüchtlinge zu uns. Aber ich sage noch einmal: Kein Mensch flieht ohne Not, ohne Grund. Die Gründe der Flucht müssen auch weiterhin geprüft werden. (Beifall bei der LINKEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Was machen Sie mit den zwei Dritteln unberechtigter Asylanträge? – Dr. Roy Kühne [CDU/CSU]: Gehen Sie mal in die Kommunen!) Frau Lindholz, ich frage mich wirklich, ob die Würde des Menschen, die im Grundgesetz verankert ist, bei Ihnen für alle Menschen gilt oder nur für die Deutschen. Diese Frage muss man wirklich einmal stellen. Hier und heute geht es um ein ganz ernstes Problem. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Aufnahmerichtlinie sind Flüchtlinge, insbesondere die besonders schutzbedürftigen, angemessen medizinisch zu versorgen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Werden sie auch, Frau Jelpke!) Ich möchte das Problem gerne an einer Gruppe deutlich machen, nämlich an den Frauen. Sie tun immer so, als ob hier alles in Ordnung wäre. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Es ist auch alles in Ordnung!) – Nein, das ist keineswegs so. – Die Aufnahmerichtlinie sichert gerade Frauen, schwangeren Frauen, Minderjährigen und anderen (Maria Michalk [CDU/CSU]: Die bekommen alles!) ganz besonderen Schutz zu, den sie in den Flüchtlingsunterkünften und -lagern häufig nicht finden. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir haben keine Flüchtlingslager! Nehmen Sie das zurück!) Für diese Frauen ist es – das sage ich ganz deutlich – eine außerordentlich große psychische und körperliche Belastung, überhaupt auf die Flucht zu gehen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!) Sie benötigen neben einer adäquaten Unterbringung auch eine angemessene medizinische Versorgung. (Beifall bei der LINKEN) Ich will zwei Beispiele anführen, von denen der Berliner Flüchtlingsrat berichtet hat. In Hannover wurde eine Asylbewerberin mit einem vier Wochen alten Frühgeborenen mit Atembeschwerden an der Pforte eines Krankenhauses abgewiesen. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist nicht erlaubt! Sie wissen ganz genau, dass das rechtlich nicht zulässig ist!) Der Grund: Die Mutter hatte keinen Krankenschein für das Kind. (Zuruf von der CDU/CSU: Das kann auch jedem anderen passieren!) Eine Stunde später starb das Kind. – Ich könnte Ihnen reihenweise solche Fälle nennen. Wenn Sie die Gesundheitskarte einführen würden, könnten diese Menschen sofort ins Krankenhaus gehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Lindholz, Sie sind nicht einmal in der Lage, zuzuhören. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Weil das ein falsches Beispiel ist!) Vorhin ist nämlich berichtet worden, dass die Verwaltungskosten sogar sinken würden. Aber das wollen Sie gar nicht, weil es Ihnen mehr um Abschreckungspolitik geht als um eine menschenwürdige Behandlung. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Wir haben ein Umsetzungsproblem, kein rechtliches!) Ein zweites Beispiel aus der Stellungnahme des Flüchtlingsrats: Einer geflüchteten Frau wurde keine Psychotherapie zugestanden. Der Grund: Sie war schon sechs Jahre hier, als sie erstmalig über ihre Vergewaltigung im Herkunftsland und die Gewalt, die sie erlitten hatte, sprach. Wir alle wissen, dass Frauen häufig erst sehr spät darüber sprechen können, wenn sie Leid und Traumatisierung hinter sich haben. Gerade deswegen muss hier nachgearbeitet werden. Eine medizinische Versorgung darf nicht nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erfolgen, das wir sowieso immer abschaffen wollten. Es ist unerträglich, die Versorgung nur als Nothilfe durchzuführen. (Ute Bertram [CDU/CSU]: Wir haben es deutlich verbessert! Wir haben es nicht abgeschafft!) Selbst Ansprüche der Asylsuchenden und Geduldeten, die ihnen nach dem Gesetz unstrittig zustehen, können oft nicht ohne fremde Hilfe durchgesetzt werden. Unzureichende Sprachkenntnisse zum Beispiel hindern sie daran, sich selbstständig zu informieren oder sich bei den Behörden oder Ärzten zu verständigen. Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin, ein kurzer Blick auf die Uhr. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Ja! Die vier Minuten kommen mir sehr lang vor!) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ja, ich komme gleich zum Schluss. Vizepräsident Peter Hintze: Da müssten Sie eigentlich schon sein. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Diese Angst und, vor allen Dingen bei Frauen, die Scham, zu einer Beratung zu gehen, bitte ich zu berücksichtigen. Zum Schluss möchte ich noch eines deutlich sagen: Die Gesundheitskarte von Anbeginn – das ist Menschenwürde. Das fordern wir, und dafür werden wir weiter kämpfen; (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) denn es geht nicht an, dass man so unmenschlich ist und Menschen erst nach 15 Monaten Aufenthalt hier eine gesundheitliche Versorgung in vollem Umfang zukommen lassen will. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ute Bertram [CDU/CSU]: Das hat doch nichts mit Unmenschlichkeit zu tun! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Frau Jelpke, erzählen Sie doch nicht so ein Zeug!) Vizepräsident Peter Hintze: Es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention des Abgeordneten Henke. Rudolf Henke (CDU/CSU): Ich bedanke mich zunächst für die Möglichkeit einer Kurzintervention. Ich will nicht die Frage aufwerfen, ob es zweckmäßig ist, auf der Ebene der Kommunen anzustreben, dass die Krankenkassen Gesundheitskarten ausgeben, die dann von den Kommunen zu refinanzieren sind, und zwar sowohl was die Leistungsfinanzierung angeht als auch den damit verbundenen Overhead. Aber wir haben hier zwei unterschiedliche Versorgungswege. Beide Versorgungswege dienen dazu, Menschen mit gesundheitlichen Problemen medizinisch zu versorgen. Das eine ist der Weg nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das andere ist der Weg über das System der gesetzlichen Krankenkassen. Dass man jetzt mit Begriffen wie Unmenschlichkeit, Zynismus und Menschenfeindlichkeit die Stimmung aufheizt, obwohl es zwei unterschiedliche Versorgungswege gibt, finde ich nicht in Ordnung. Ich möchte Frau Jelpke fragen, ob sie glaubt, durch diese Wortwahl einer konstruktiven Lösung in diesem Punkt zu dienen? (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Mögen Sie darauf antworten, Frau Jelpke? – Bitte schön. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Kollege, nicht ich, sondern Ihre Fraktion hat den scharfen Ton in der heutigen Debatte angeschlagen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich weiß natürlich auch, dass ein Krankenhaus rechtswidrig handelt, wenn es ein leidendes, krankes Kind abweist. Aber ich finde, dass Sie durch die Stimmung, die Sie machen, indem Sie ständig Angst vor Flüchtlingen schüren, und das Horrorszenario, das Sie hier entwerfen, Wasser auf die Mühlen von Strömungen wie Pegida gießen, die inzwischen Flüchtlinge in diesem Land sogar angreifen. Setzen Sie sich mit dem Thema solidarisch auseinander, wenn es notwendig ist, und hören Sie mit dieser Hetze gegen Flüchtlinge auf! Dann haben wir eine andere Debatte. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Den Ausdruck „Hetze gegen Flüchtlinge“ weise ich zurück. Das hat hier niemand gemacht. Nun fahren wir in der Debatte fort. Mechthild Rawert hat als Nächste das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mechthild Rawert (SPD): Nach dem Verlauf der bisherigen Diskussion ändere ich den vorgesehenen Beginn meiner Rede und möchte die Gesundheitspolitiker und -politikerinnen an den Bericht der Bundesregierung über die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen erinnern. Wir haben diesen Bericht am 29. Juni dieses Jahres erhalten; das ist also noch nicht so lange her. Mündlich vorgetragen wurde er schon am 10. Juni. Dieser Bericht informiert uns über die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen nach der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Er spricht die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer, die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie im Hinblick auf die medizinische und psychologische Versorgung Schutzbedürftiger und einen Konsens an, auf den ich in meiner Rede noch zu sprechen kommen werde. Ich kann nur sagen: Die Gesundheitspolitik ist deutlich weiter, als es die heutige Einführung in das Thema vermuten lässt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung ist eine Verpflichtung für Gesellschaft und Staat. Der Zugang dazu ist ein Menschenrecht. Wir stehen hier als Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht. Es ist schon gesagt worden: Deutschland zeigt hohe Bereitschaft, Menschen nach einer Flucht vor Terror, Krieg und Verfolgung aufzunehmen und sie hier willkommen zu heißen. Dafür bin ich dankbar. Diese Willkommenskultur wird von den Flüchtlingen auch anerkannt. Das weiß jeder, der in seinem Wahlkreis Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern von Aufnahme- und Übergangswohnheimen pflegt. Die Bürgerinnen und Bürger, die wir für eine aktive Kooperation und ein aktives Engagement im Kontext der Willkommenskultur zu gewinnen versuchen, würden es nicht verstehen, wenn wir unsere Diskussion so beenden würden, als gäbe es ein Gesundheitswesen für Menschen erster Klasse und ein Gesundheitswesen für Menschen zweiter Klasse, also ein total ungleiches Gesundheitswesen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Rawert, so ist es leider!) Das wollen die Bürgerinnen und Bürger nicht. Sie wollen einen barrierefreien Zugang zur Gesundheitsversorgung. Ihr Maßstab sind dabei die weitestgehend gleichen Gesundheitsleistungen wie bei gesetzlich Krankenversicherten. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die Asylbewerber?) Denjenigen, die sich damit noch nicht befasst haben, sage ich: Stellen Sie sich vor, dass Sie krank sind, dass Sie akute Schmerzen haben und sich schlapp fühlen. Sie können aber nicht einfach zu einem Arzt gehen; denn Sie müssen als Erstes eine Behörde aufsuchen. Abgesehen davon, dass Sie in einem Wartesaal zusammen mit vielen anderen erkrankten Menschen sitzen müssen, und zwar in der Regel ziemlich lange, entscheidet dann ein Verwaltungsmensch, ob Sie einen Behandlungsschein bekommen oder nicht. Der Erhalt eines Behandlungsscheins ist die Voraussetzung dafür, dass Sie überhaupt zu einem Arzt oder einer Ärztin gehen dürfen. Ich bleibe immer noch im Bild: Wenn Sie Glück haben, sitzen Sie dann mit Ihren akuten Schmerzen in einer Praxis und warten. Von zusätzlichen Problemen wie Sprachbarrieren, die bei einer Behörde und den Ärzten eine Rolle spielen, möchte ich jetzt gar nicht reden. – Das verstehen die Bürgerinnen und Bürger nicht. Deswegen ist das, was im Kontext der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes gemacht worden ist, ein erster, aber auch guter Schritt. Davon wollen wir keineswegs wieder abgehen. Des Weiteren werden wir die rechtlichen Voraussetzungen für die Gesundheitskarte schaffen. Ich möchte aus einem Blatt zitieren. Die Überschrift lautet: Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 18. Juni 2015. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Mechthild, jetzt wird es spannend!) Hier wird unter 2.9 Folgendes gesagt: Bund und Länder sehen in der Übertragung der Abrechnung der ärztlichen Behandlung für Asylsuchende auf die gesetzlichen Krankenversicherungsträger als Dienstleister eine Möglichkeit, die gesundheitliche Versorgung von Asylbewerbern zu erleichtern und die Kommunen hinsichtlich des Verwaltungsaufwandes zu entlasten. Dann geht es weiter. Der Auftrag ist, dass bis zum Herbst – – (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Die Leistungen sollen sich wie bisher im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes bewegen“! Genau das ist das Problem!) – Es gibt sogar noch einen Satz dazwischen. Maria, ich bin jetzt dran. Du kannst gleich reden. (Heiterkeit) Die Aufgaben für die Bundes-, Kommunal- und Länderebene bestehen jetzt darin, hieraus ein Konzept zu erarbeiten; denn das ist Konsens zwischen Bund und Ländern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sagen Sie mir, ob Ihre Partei daran beteiligt ist. Darauf wäre ich sehr neugierig. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber kein Ruhmesblatt, was da steht!) Dieses Paket wird dazu dienen – das ist vorhin zu Recht gesagt worden –, Verwaltungskosten einzusparen. Wir haben dadurch aber auch mehr Möglichkeiten, im Gesundheitsbereich zu agieren. Ich will noch eines sagen: Ich möchte hier gerne eine bundeseinheitliche Linie haben. So froh ich bin, dass wir diese Gesundheitskarte in Bremen und in Hamburg schon haben – für Thüringen ist sie geplant –, so möchte ich doch nicht, dass die Bundesländer einem Flickenteppich gleichen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es soll vielmehr eine bundeseinheitliche Regelung gelten. So verstehe ich auch die Herausforderung, vor die uns unsere gemeinsame Bundeskanzlerin gestellt hat. Über die verschiedensten Hilfen, die seitens des Bundes, der Länder und der Kommunen schon geleistet worden sind, ist schon etwas gesagt worden. Ich schließe schlicht und ergreifend damit: Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Solidarität, um zu helfen. Die Bürgerinnen und Bürger verstehen nicht, wenn der „Umweg“ krankmacht, anstatt zur Gesundung beizutragen. Es heißt schließlich Gesundheitssystem und nicht Krankheitssystem. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst auf den Beginn der Debatte und die Rede von Frau Lindholz von der DU/SU-Fraktion zurückkommen. Das C haben Sie sich mit Ihrer Rede heute selber aberkannt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: So ein Quatsch! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Blödmann sondergleichen!) Ihnen ist sicher die Geschichte vom barmherzigen Samariter bekannt, in der geschildert wird, wie jemand krank auf der Straße liegt. Ihre Rede symbolisierte den Priester, der an dem Patienten vorbeigegangen ist, und nicht den barmherzigen Samariter. Ich halte es für einen Skandal, was Sie hier erzählt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Man kann doch nicht die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen instrumentalisieren, um Flüchtlinge von der Flucht nach Deutschland abzuschrecken. (Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit!) Das ist perfide. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Darum geht es überhaupt nicht!) Ich weiß, dass Sie in der CDU/CSU-Fraktion aus Prinzip keine Bundesverfassungsgerichtsurteile lesen. Aber diese Logik hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht bei der Entscheidung zum Existenzminimum beim Asylbewerberleistungsgesetz bereits um die Ohren geschlagen. Damals ging es nicht um die Gesundheitsversorgung – das war nicht Gegenstand des Verfahrens –; aber Karlsruhe hat Ihnen klipp und klar gesagt: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht relativierbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das können Sie im Urteil nachlesen. Das lässt sich präziser nicht formulieren. Was, bitte schön, gehört zu einer menschenwürdigen Versorgung, wenn man krank ist? Dass man die gesundheitliche Versorgung bekommt, die in unserem Land üblich und möglich ist – nicht weniger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Insofern haben Sie sich auch selber ein bisschen in die Tasche gelogen, Frau Rawert – ich weiß ja, Sie meinen es eigentlich gut –; denn die Vereinbarung der Ministerpräsidentenkonferenz besagt eben, das Leistungsspektrum solle auf die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beschränkt werden. Damit gelten die in § 4 und § 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes verankerten Einschränkungen der gesundheitlichen Leistungen für die ersten 15 Monate Aufenthalt in Deutschland einfach weiter. Das halte ich für inakzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das ist ein Rückfall hinter die Vereinbarung vom November letzten Jahres im Bundesrat. Da hieß es noch: Dabei prüft der Bund gemeinsam mit den Ländern, wie es den interessierten Flächenländern ermöglicht wird, die Gesundheitskarte für Asylbewerber einzuführen, mit dem Ziel, dem Deutschen Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf zuzuleiten. Wo ist denn dieser Gesetzentwurf? (Beifall der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Mechthild Rawert [SPD]: Keine Panik! Er wird kommen! – Zuruf von der CDU/CSU: Wir waren beschäftigt!) – Ja, Sie waren mit dem Innenministerium beschäftigt; ich weiß. Sie waren mit Themen wie Ausreisegewahrsam, neuen Fluchtgründen, Wiedereinreisesperren und dergleichen beschäftigt, und vor lauter Abschotterei sind Sie zu Ihren Hausaufgaben nicht gekommen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Es geht aber nicht nur darum, dass Sie da den Bundesrat beschissen haben. Es geht auch darum, dass Sie europäisches Recht nicht umsetzen. Es gibt eine Richtlinie des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen. Danach muss der Mitgliedstaat – Artikel 19 Absatz 2 – „Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe“ – in Klammern: auch Psychotherapien bei traumatisierten Personen – „einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung“ gewährleisten. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie mich das noch kurz ausführen; dann bin ich am Ende meiner Rede. Vizepräsident Peter Hintze: Sagen wir einmal so: Ihre Redezeit im Plenum ist schon länger zu Ende. Aber wenn Sie versprechen, den Satz kurz zu machen, dann erlaube ich es. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Manchmal erleichtert ja auch ein Blick in die Richtlinie die Rechtsfindung: (Maria Michalk [CDU/CSU]: Herr Beck, Sie sind schon zwei Minuten drüber! Ich habe auf die Uhr geschaut!) Das betrifft Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen. Nichts davon ist umgesetzt. Die Umsetzungsfrist endet im Juli dieses Jahres. Es gibt keinen Referentenentwurf. Es gibt keinen Gesetzentwurf. Die humanitären Aufgaben lassen Sie einfach liegen. Gleichzeitig schwadronieren Sie lieber davon, dass eine schlechte gesundheitliche Versorgung bei der Abschottung hilfreich ist. Ich finde, diese Logik ist perfide und einer christlichen Partei auf jeden Fall nicht angemessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unwürdig!) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Roy Kühne, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Sie sehen mich ein bisschen erschüttert angesichts dessen, wie dieses Thema hier behandelt wird, ein Thema, das in meinen Augen nicht mit dieser Dramaturgie und in dieser kleinkarierten Art und Weise diskutiert werden sollte. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wer hat denn das hineingebracht? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie mal Frau Lindholz nicht ans Rednerpult geschickt!) Sie vergessen nach meiner Meinung völlig den Respekt vor der Sachlage. Es geht Ihnen anscheinend mehr um die Aufmerksamkeit der Presse. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Nein! Uns geht es um die Flüchtlinge!) Ich sage ganz offen: Ich bin völlig enttäuscht. Frau Jelpke, Sie haben hier in typischer Art zitiert. Es werden kleine Fakten dargestellt, aber nicht bis zum Ende. Es wird nicht der gesamte Umstand berichtet, was in der Klinik „Auf der Bult“ passiert ist. Damit zeichnen Sie ein Bild, das verwirrt. Ich glaube, Sie wissen gar nicht, dass es so zu Missverständnissen kommt. – Die Klinik hatte das Kind nicht abgelehnt. Es kam ein Notfall dazwischen. Man hat die Mutter gebeten, kurz zu warten. Sie sprach kein Deutsch. Sie sprach radebrechend Englisch; eine Afrikanerin. Sie hat die Klinik verlassen. Es gab ein Missverständnis. Danach zu sagen: „Dieses Gesetz greift nicht, und diese Klinik hat das Kind abgelehnt“, ist in meinen Augen ein ganz schwerer Vorwurf, den Sie den fleißigen Mitarbeitern dieser Kinderklinik weiß Gott nicht machen sollten. Das gehört sich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Michalk [CDU/CSU]: Schlechtes Beispiel!) Ich will auch gleich die Kanzlerin zitieren, weil immer gesagt wird: der Einstieg der CDU. – Völliger Quatsch! Es ist ganz klar gesagt worden – ich zitiere –: Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder stimmen darin überein, dass die steigende Zahl von Asylsuchenden und Flüchtlingen Bund, Länder und Kommunen vor erhebliche Heraus-forderungen stellt. Sie betonen, dass es einer gesamtstaatlichen Anstrengung bedarf, um eine angemessene, menschenwürdige Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden und Flüchtlinge zu gewährleisten, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie die ganzen Seiten noch einmal vorlesen?) schnelle Asylverfahren zu ermöglichen und die Integration von Flüchtlingen mit einer Bleibeperspektive zu verbessern. – Meine Damen und Herren, das ist doch ein Fakt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das waren jetzt schöne Worte! Haben Sie verstanden, was Sie vorgelesen haben?) Wie geht es weiter? Es gibt Initiativen von wirklich sehr respektablen CDU-Mitgliedern, CSU-Mitgliedern in den Gemeinden. Da führe ich auch meine Gemeinde Dassel, meine Gemeinde Kreiensen an, wo es hervorragende Initiativen gibt. Das können Sie doch nicht einfach in den Sand treten – dagegen wehre ich mich auch persönlich – und sagen: Es passiert nichts bei der CDU. – Nein, wir tun was. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden heute über die medizinische Versorgung für Asylsuchende und nicht über Initiativen in Dassel!) – Ich bin gleich bei Ihnen; keine Sorge. Ich glaube, darüber sind wir uns einig: Deutschland steht dazu, Zuwanderungsland zu sein. Deutschland steht dazu, den Menschen, die aus ihren Heimatländern fliehen, die vertrieben wurden, solidarisch Schutz zu gewähren, sogar mehr zu tun, als ihnen nur Schutz zu gewähren, sie nämlich auch zu unterstützen, was ihre -weitere Entwicklung, was ihre Gesundheit angeht, eine Versorgung zu gewährleisten, die sie in dieser Art und Weise in den Heimatländern teilweise nie bekommen hätten – Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wollen Sie die gesundheitliche Versorgung aus den Flüchtlingslagern nach Deutschland tragen?) – Ich bin noch nicht fertig. Die aktuellen Flüchtlingsströme aus den Krisenregionen steigen. Das bringt Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Die sind nicht einfach zu bewältigen. Wir müssen uns natürlich damit befassen. Wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen und können nicht einfach nur sagen: So, jetzt mal alle los! Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, die Kollegin Frau Klein-Schmeink möchte eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen, oder wollen Sie weitersprechen? Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Frau Klein-Schmeink, kommen Sie. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mutig!) Vizepräsident Peter Hintze: Bitte schön. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kühne, Sie haben noch einmal betont, wie weitreichend auch in Ihrer Heimatstadt und in Ihrem Wahlkreis die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und die -Unterstützungsbereitschaft sind. Ist es da nicht auch notwendig, dass wir diesen Menschen zeigen, dass wir bei der gesundheitlichen Versorgung, die ein ganz grundlegendes Recht ist – da ist auch unsere Fürsorgepflicht gefragt –, nicht mit zweierlei Maß messen? Müsste man nicht dafür Sorge tragen, dass die gesundheitliche Versorgung nicht auf ein Mindestmaß reduziert wird, wie es das Asylbewerberleistungsgesetz bisher leider vorsieht, und die Gesundheitskarte so einführen, dass das Leistungsspektrum der GKV abgedeckt wird? Es ist ja gesetzlich fest vorgegeben – das wiederhole ich –, dass die GKV an gesundheitlicher Versorgung nur das zur Verfügung stellt, was notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Wo, bitte schön, machen wir sonst den Schnitt? Was ist denn dann das, was den Asylbewerbern nicht zusteht? Wie wollen Sie das so definieren, dass man nicht nur im Akutfall eine Behandlung bekommt? (Maria Michalk [CDU/CSU]: Wollen Sie das Sozialsystem plündern und dann kritisieren, dass die Zusatzbeiträge steigen? Das steigert die Zusatzbeiträge!) Wäre das nicht ein weitreichendes Zeichen auch in Ihre Mitgliedschaft hinein? Ich jedenfalls kann für Münster feststellen, dass wir uns im Rat der Stadt über alle Fraktionen hinweg dafür ausgesprochen haben, dass die Gesundheitskarte eingeführt werden soll. Ist das nicht genau das richtige Zeichen, das wir eigentlich brauchten, und müssten Sie da nicht umdenken? Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Vielen Dank für die Frage. – Da muss ich Ihnen leider widersprechen, ganz einfach unter dem Aspekt: Die Menschen vor Ort – das erlebe ich in den Gesprächen, auch in den Krankenhäusern – respektieren es, wenn notwendige Maßnahmen bezahlt werden. Wenn wir schon bei § 4 Asylbewerberleistungsgesetz sind, dann zitiere ich daraus einfach einmal: Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln (Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!) sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Und was ist mit Chronikern?) Ich denke, der Steuerzahler, alle Menschen haben ein Anrecht darauf, dass wir verantwortungsvoll mit dem Geld umgehen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es diverse Beispiele dafür gibt, dass der eine oder andere Fakt ausgenutzt wird. Ich möchte nicht ein Pauschaltor öffnen, weil wir dann – dazu sind wir im Gesundheitsausschuss alle verpflichtet – logischerweise über Zusatzbeiträge reden müssten. Das Türchen ist weiß Gott nicht so offen. Im Moment konsolidieren wir das Ganze. Wir haben ein gutes Gesundheitssystem. Aber es darf nicht ausgenutzt werden. Es muss belastbar sein. Es soll etwas für die Menschen, für alle, die unter Not leiden, sein, aber es darf nicht missbraucht werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich hatte bereits gesagt, dass das Asylbewerberleistungsgesetz die Kriterien festlegt. Die Kriterien sind eindeutig. Damit kann man eigentlich arbeiten. Damit können die Kommunen arbeiten. Das sorgt für Sicherheit. Das Asylbewerberleistungsgesetz soll ja einen Zeitraum überbrücken. Es soll bis zur Feststellung des Status quo klar angesagt werden, was möglich ist und was nicht. Dieser eingeschränkte Zugang stellt weiß Gott nicht, wie es im Antrag der Linken formuliert ist, eine Gefahr für Leben und Leib – es fehlt nur noch die Seele – dar. Bei der Gefährdung von Leib und Seele sind Schmerzen ein ganz hoher Indikator. Wenn tatsächlich Leib und Seele bedroht sind, dann ist jede Art von medizinischer Leistung angebracht. Wir als Große Koalition stehen dahinter, dass jeder Mensch, dessen Gesundheit bedroht ist – es wird ja sogar weiter formuliert –, die notwendige medizinische Leistung bekommt. Die vorhin genannten Attribute – Mütter, werdende Mütter, Wöchnerinnen – sind absoluter Unsinn; denn in § 4 Absatz 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes ist geregelt: Werdenden Müttern und Wöchnerinnen sind ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu gewähren. Da gibt es für mich kein Missverständnis, nicht einmal ein Deutungsproblem. Von daher kann ich Ihre Kritik nur zurückweisen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es wurde bereits mehrmals gesagt – und wir haben Beispiele aus der Geschichte –, dass ein übermäßiges Angebot oftmals einen übermäßigen Anreiz darstellt. Es ist statistisch nachweisbar, dass zunehmend Asylanträge genau aus diesen Gründen auflanden. Hier müssen wir gucken, dass der deutsche Steuerzahler, die Kommunen und auch die Mitarbeiter in den Kommunen nicht mehr belastet werden als nötig. Meiner Meinung nach haben die Kommunen momentan sehr viel zu tun. Sie sind in einem fleißigen Prozess, müssen diese ganze Aufgabe bewältigen. Wenn Sie mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort sprechen, dann stellen Sie fest, dass die am Limit sind. Sie geben ihr Bestes. Insofern sollten wir da nicht noch unnötig reinhauen, indem wir einen übermäßigen Anreiz schaffen, sodass die Einwanderungsflut unnötig aufwächst. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird immer schlimmer!) Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Thema Entbürokratisierung sagen. Die Gesundheitskarte in Bremen – hier gebe ich Ihnen recht, Frau Rawert – ist eine Möglichkeit, das Ganze zu entbürokratisieren. Es ist ein Werkzeug, das momentan genutzt werden kann. Es ist freiwillig. Ich denke, dass wir diesbezüglich einen guten Schritt getan haben, um die Kommunen zu entlasten, um auch ein direktes Abrechnungssystem zu schaffen. Letztendlich geht es doch um die Menschen, die wir willkommen heißen. Es geht überhaupt nicht um Dramaturgie, sondern wir möchten den Menschen helfen, die bei uns berechtigterweise zu Hause sein wollen, die krank sind, die ein gesundheitliches Problem haben. Denen wollen wir helfen, bis sie wieder gesund sind. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als letzter Rednerin in der Aussprache erteile ich das Wort der Abgeordneten Bettina Müller, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bettina Müller (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unterkunft und Betreuung von Flüchtlingen und deren gesundheitliche Versorgung stellt die Kreise und Kommunen vor große Herausforderungen – das ist schon angeklungen –, sowohl organisatorisch als auch verwaltungstechnisch und vor allem natürlich auch finanziell. Nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz obliegt die Sicherstellung der Versorgung im Krankheitsfall sowie der Versorgungsleistungen und Impfungen den zuständigen Behörden, also den Ländern bzw. den mit der Unterbringung betrauten Kreisen und Kommunen. Alle Kolleginnen und Kollegen hier im Hause wissen aus eigener Anschauung in ihren Wahlkreisen, was das konkret bedeutet, nämlich völlig überlastete Sozial- und Gesundheitsämter, die Behandlungsbescheinigungen ausstellen und Anträge bearbeiten müssen, einfache Verwaltungsmitarbeiter, die zwischen notwendigen und aufschiebbaren Behandlungen sowie chronifizierten und akuten gesundheitlichen Beschwerden zu unterscheiden haben. Das ist eine belastende und unwürdige Situation, sowohl für die Flüchtlinge, die sowieso nur notfallmäßig behandelt werden, als auch für die kommunale Verwaltung und ihre Mitarbeiter, die hier unter Zeitdruck und Überlastung medizinische Entscheidungen mit zum Teil erheblichen Auswirkungen auf das Leben der ohnehin schon traumatisierten Menschen zu treffen haben. Hier werden die geplante und hoffentlich bald umgesetzte Einführung einer speziellen Gesundheitskarte, über deren Leistungsspektrum noch zu diskutieren sein wird, und in der Folge die Abrechnung der Gesundheitskosten über die gesetzlichen Krankenversicherungsträger dann zu einer deutlichen Entlastung führen, (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie aber noch nicht umgesetzt!) und zwar nicht nur in Bezug auf die Verwaltungskosten der Kommunen, sondern auch für die Mitarbeiter der Kommunalverwaltungen. Mit der Karte liefe das Verfahren künftig über die Krankenversicherungsträger und die Ärzte, die für solche Entscheidungen ja prädestiniert sind, weil sie für sie ja tägliche Praxis sind. Denn die eigentliche Diskriminierung besteht ja darin, dass Asylsuchende die Behandlung bei einem Sozialamt beantragen müssen und diese Bewilligung ein Verwaltungsakt ist. Das medizinisch Notwendige, Akutbehandlungen, unaufschiebbare Operationen werden vorgenommen, aber diskriminierend ist vor allem das Verfahren. Deshalb würde die Gesundheitskarte, wie gesagt, eine deutliche Verwaltungsvereinfachung und damit auch – das ist mir als Kommunalpolitikerin wichtig – eine deutliche finanzielle Entlastung für die Kommunen bringen. Zusammen mit den bereits erfolgten Entlastungen – ich nenne hier nur die 1 Milliarde Euro Soforthilfe des Bundes für 2015, die Übernahme der Impfkosten für Kinder und Jugendliche, die Entlastungen bei den Kosten der Unterkunft nach SGB II – ergibt das eine substanzielle Unterstützung der Kreise und Kommunen. Weitere Hilfen für 2016 werden im Herbst – das ist schon angeklungen – zwischen Bund und Ländern vereinbart werden. Ich sage an dieser Stelle aber auch deutlich: Ich wünsche mir in diesem Zusammenhang, dass das Geld des Bundes dann tatsächlich auch eins zu eins da ankommt, wo es gebraucht wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn einzelne Länder bei der Weiterleitung der Mittel an die Kommunen – bei mir in Hessen geht es da immerhin um 37 Millionen Euro – die Hand aufhalten, dann geht auch das letztlich zulasten der Asylsuchenden und ihrer medizinischen Versorgung. Auch das ist Diskriminierung, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Zu dieser Versorgung – auch darauf möchte ich noch kurz eingehen, weil im Antrag der Linken nicht viel dazu steht – gehört auch die psychotherapeutische Behandlung, gerade für Flüchtlinge mit ihren oft traumatischen Erlebnissen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Diese Behandlung ist wegen der sprachlichen Hürden, den notwendigen Dolmetschern und den ohnehin komplizierten Versorgungsstrukturen im psychotherapeutischen Bereich besonders schwer zu organisieren, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Genau!) vor allem in Regionen außerhalb von Ballungszentren. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da warte ich auf Lösungen!) Hier müssen wir gemeinsam nach tragfähigen und sinnvollen Lösungen suchen, wie wir den Betroffenen in Zukunft besser helfen können. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der beste Weg, Flüchtlingen und Asylbewerbern eine vollumfängliche gesundheitliche Versorgung zu ermöglichen, liegt eindeutig auch in der Erleichterung der Arbeitsaufnahme. Für mich bedeutet Solidarität mit Flüchtlingen, sie so schnell wie möglich in die Solidargemeinschaft der Versicherten zu holen. Flüchtlinge erhalten dann nicht nur den vollen Leistungsumfang der GKV für sich und ihre mitversicherten Angehörigen, sondern sie zahlen dafür auch wie andere Arbeitnehmer aus ihrem Arbeitsentgelt in die Sozialversicherung ein. Gesellschaftliche Teilhabe, Integration in den Arbeitsmarkt und Integration in die So-zialversicherungssysteme müssen doch das Ziel einer gelungenen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik sein. (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Da sind wir uns einig!) Vizepräsident Peter Hintze: Das war an sich ein gutes Schlusswort, zumal die Redezeit schon überschritten ist. Bettina Müller (SPD): Okay. – Wir haben hier mit der Änderung der Beschäftigungsverordnung und der Vorrangprüfung usw. ja schon einiges geleistet. Die Asylbewerber und Geduldeten müssen sich seitdem bei der Arbeitsuche nicht mehr hinter den deutschen Arbeitnehmern und anderen EU-Bürgern anstellen. In dieser Woche wurden erneut Rekordzahlen für den Arbeitsmarkt vermeldet. Vor diesem erfreulichen Hintergrund, Kolleginnen und Kollegen, sollten wir wirklich noch einmal darüber nachdenken, inwieweit wir hier zusätzliche Erleichterungen für die Arbeitsaufnahme und damit auch eine Aufnahme der Flüchtlinge in die Solidargemeinschaft, wie eben dargestellt, schaffen können. Auch bei der -Beschleunigung der Asylverfahren müssen wir besser werden. Hier liegt der Schlüssel, um anerkannte Asyl-bewerber über die Arbeitsaufnahme in die reguläre -Gesundheitsversorgung zu bekommen. Das muss unser gemeinsames Ziel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5370 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 h sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf: 36 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll von Nagoya vom 29. Oktober 2010 über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt Drucksache 18/5219 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt und zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden Drucksache 18/5268 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die -internationale Zusammenarbeit zur Durchführung von Sanktionsrecht der Vereinten Nationen und über die internationale Rechtshilfe auf Hoher See sowie zur Änderung seerechtlicher Vorschriften Drucksache 18/5269 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der -Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten Drucksache 18/5271 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes Drucksache 18/5273 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur f) Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-setzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten Drucksache 18/5295 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO g) Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur -Umsetzung der Verpflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 sowie zur Änderung des Patentgesetzes Drucksache 18/5321 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Wahl von Betriebsräten erleichtern und die betriebliche Interessenvertretung sicherstellen Drucksache 18/5327 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr Drucksache 18/981 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Netzneutralität als Voraussetzung für eine -gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern Drucksache 18/5382 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Federführung strittig c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reform der Pflegeausbildung auf gesichertes Fundament stellen Drucksache 18/5383 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen: Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 h sowie -Zusatzpunkte 3 a und 3 c. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist. Das ist der Zusatzpunkt 3 b. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5382 mit dem Titel „Netzneutralität als Voraussetzung für eine gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern“ an die in der Tagesordnung auf-geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim -Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die die Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda wünscht. Wer stimmt dem Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist der Überweisungsvorschlag abgelehnt mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, die -Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie wünschen. Wer stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion angenommen worden gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 37 a bis 37 i und den Zusatzpunkten 4 a bis 4 k. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 37 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2014 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 7. September 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5172 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/5403 Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5403, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5172 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 37 b bis 37 i. Tagesordnungspunkt 37 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 202 zu Petitionen Drucksache 18/5231 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Sammelübersicht 202 einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 37 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 203 zu Petitionen Drucksache 18/5232 Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 203 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 37 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 204 zu Petitionen Drucksache 18/5233 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die Sammelübersicht 204 angenommen. Tagesordnungspunkt 37 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 205 zu Petitionen Drucksache 18/5234 Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist die Sammelübersicht 205 einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 37 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 206 zu Petitionen Drucksache 18/5235 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist das mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 37 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 207 zu Petitionen Drucksache 18/5236 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 37 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 208 zu Petitionen Drucksache 18/5237 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Angenommen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung der Fraktion der CDU/CSU und der SPD-Fraktion. Tagesordnungspunkt 37 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 209 zu Petitionen Drucksache 18/5238 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das ist angenommen worden mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) gemäß § 93a Absatz 3 der Geschäftsordnung zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13 hier: Einvernehmensherstellung gemäß § 8 Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647, 18/3385, 18/3427, 18/5355, 18/5411 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5411, eine Entschließung anzunehmen und das Einvernehmen gemäß § 8 Absatz 4 EUZBBG nicht herzustellen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer enthält sich? – Wer stimmt dagegen? – Keiner. Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig, mit den Stimmen aller Fraktionen, angenommen. Wir kommen wieder zu Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Zusatzpunkte 4 b bis 4 k. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 210 zu Petitionen Drucksache 18/5389 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist das einstimmig so angenommen. Zusatzpunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 211 zu Petitionen Drucksache 18/5390 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist auch die Sammelübersicht 211 einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 212 zu Petitionen Drucksache 18/5391 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist das gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung von CDU/CSU-Fraktion und SPD-Fraktion angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 213 zu Petitionen Drucksache 18/5392 Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammelübersicht kommen, erteile ich das Wort der Kollegin Kerstin Kassner als Berichterstatterin des Petitionsausschusses. – Bitte schön. Kerstin Kassner (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Namens des Petitionsausschusses möchte ich Sie über einen besonderen Umstand informieren. Zur Beschlussempfehlung 1 der Sammelübersicht 213 gibt es ein besonderes Votum: Es kommt nicht so oft vor – es ist in diesem Jahr erst das zweite Mal –, dass der Petitionsausschuss über alle Fraktionen hinweg, also einstimmig, das Votum „zur Erwägung“ abgibt. Ich möchte Sie kurz informieren, was sich hinter dieser Petition verbirgt, und Sie dafür gewinnen, uns zu unterstützen, damit wir mit unserem Votum tatsächlich Erfolg haben. Es geht um die Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz. Es geht darum – Sie haben es vielleicht noch in Erinnerung –, dass 1999 gesundheitliche Schädigungen vieler ehemaliger Soldaten der Bundeswehr und der NVA durch Radarstrahlung vermeldet wurden. Daraufhin wurde eine Expertenkommission eingesetzt. Diese hat bewertet, welche gesundheitlichen Schädigungen als Folgen der Radarstrahlung anerkannt werden sollten. Es handelt sich dabei um so schwere Erkrankungen wie Krebs, chronische lymphatische Leukämie und Katarakt, eine Trübung der Augenlinse. Nun bittet der Petent, der uns geschrieben hat, darum, dass andere Krankheiten ebenfalls anerkannt werden. Sie wissen, bei verschiedenen Menschen können sehr unterschiedliche Gesundheitsschädigungen auftreten, und es ist in der Tat so, dass es weitere strahlenbedingte Erkrankungen gegeben hat; es sind auch bereits viele nachgewiesen. Aber bis jetzt muss jeder Erkrankte tatsächlich für den Einzelfall nachweisen, dass auch die andere Erkrankung durch die Strahlen verursacht wurde. Wir erinnern uns: Das Ganze ging bis 1975. Es geht hier um Menschen, die schon älter sind und deren Familien schon über Jahre belastet wurden. Da ist ein solcher Nachweis dann doch sehr schwierig. Deshalb haben wir uns im Petitionsausschuss übereinstimmend dafür entschieden, dass wir das Bundesministerium der Verteidigung bitten, sich dieses Sachverhalts anzunehmen und im Interesse der Betroffenen eine bessere und schnellere Versorgung zu ermöglichen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das möchten wir dem Ministerium mit auf den Weg geben; ich weiß nicht, ob jemand vom Ministerium anwesend ist. Auch Sie alle hier haben die Möglichkeit, nachzufragen. So können Sie mithelfen, das Anliegen bekannt zu machen. Wir möchten gerne, dass den Betroffenen die entsprechende Behandlung möglichst schnell, unkompliziert und unbürokratisch zuteilwird. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Herzlichen Dank. Ich denke, die Nachricht wird das zuständige Ministerium erreichen. Wir kommen nun zur Abstimmung über Sammelübersicht 213, zu der eben gesprochen wurde, auf Drucksache 18/5392. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 213 ist mit den Stimmen aller Fraktionen des Hauses angenommen. Zusatzpunkt 4 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 214 zu Petitionen Drucksache 18/5393 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 214 ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses, CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, angenommen. Zusatzpunkt 4 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 215 zu Petitionen Drucksache 18/5394 Hierzu liegt eine schriftliche Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer -enthält sich? – Die Sammelübersicht 215 ist mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 4 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 216 zu Petitionen Drucksache 18/5395 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 216 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 217 zu Petitionen Drucksache 18/5396 Auch hier liegt eine schriftliche Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 217 ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 218 zu Petitionen Drucksache 18/5397 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer -enthält sich? – Die Sammelübersicht 218 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 219 zu Petitionen Drucksache 18/5398 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer -enthält sich? – Die Sammelübersicht 219 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ Drucksachen 18/5364, 18/5365 Auch hier liegt eine schriftliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung vor. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hat bereits die Wahlvorschläge der Bundesregierung, des Bundes der Vertriebenen, der evangelischen Kirche, der katholischen Kirche und des Zentralrats der Juden in Deutschland übermittelt. Dazu liegt Ihnen eine Unterrichtung auf Drucksache 18/5365 vor. Bevor wir zur abschließenden Wahl aller Mitglieder des Stiftungsrates kommen, müssen wir zunächst die vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder und Stellvertreter für die Wahl in den Stiftungsrat benennen. Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5364 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Damit sind die vom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder und Stellvertreter für die Wahl in den Stiftungsrat bestimmt. Somit können wir nun über den Gesamtvorschlag über die Mitglieder des Stiftungsrates auf Drucksache 18/5365 einschließlich des soeben angenommenen Wahlvorschlags des Deutschen Bundestages abstimmen. Der Gesamtvorschlag kann nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden. Wer stimmt für den Gesamtvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesamtvorschlag ist angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Mitglieder und Stellvertreter des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ sind damit gewählt. Frau Abgeordnete Hupach möchte eine mündliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben. – Bitte schön. Sigrid Hupach (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme beiden vorliegenden Vorschlägen für die Wahl der Mitglieder und Stellvertreterinnen und Stellvertreter des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ nach eingehender Prüfung nicht zu. Die Gründe dafür sind formaler Art und beziehen sich auf zwei Aspekte: Zum einen halte ich ein Wahlverfahren für undemokratisch, das mir nur die Entscheidung über einen Gesamtwahlvorschlag lässt, um ein so wichtiges Gremium wie den Stiftungsrat der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ zu besetzen. Meines Wissens gibt es bei keinem anderen Gremium, über dessen Besetzung hier im Bundestag abgestimmt wird, ein vergleichbares Wahlverfahren. Bei einem Gesamtvorschlag wie bei der Unterrichtung mit der Drucksachennummer 18/5365 kommt der Wille des Parlaments nur ungenügend und verfälscht zum Ausdruck. So bin ich gezwungen, entweder mit Ja der Übermacht des Bundes der Vertriebenen im Stiftungsrat zuzustimmen oder mit einem Nein zugleich die von der evangelischen Kirche, der katholischen Kirche oder dem Zentralrat der Juden benannten Vertreterinnen und Vertreter abzulehnen. Zum anderen bin ich davon überzeugt, dass an einem erinnerungspolitisch so wichtigen Gremium wie diesem Stiftungsrat alle im Bundestag vertretenen Fraktionen beteiligt werden sollten. (Beifall bei der LINKEN) Gerade hier verbietet es sich, die Oppositionsfraktionen auszuschließen. Daher lehne ich auch den Wahlvorschlag mit der Drucksachennummer 18/5364 ab. Die Stiftung braucht eine breite gesellschaftliche Basis, um ihrem Stiftungszweck gerecht zu werden. Aus den eben genannten Gründen stimme ich diesen Wahlvorschlägen nicht zu. 62 weitere Mitglieder meiner Fraktion schließen sich dieser Erklärung an. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Die Sicherheitslage nach den jüngsten islamistischen Anschlägen Ich rufe als ersten Redner für die Bundesregierung Herrn Bundesminister Dr. Thomas de Maizière auf. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Freitag war ein bitterer Tag. Innerhalb von wenigen Stunden wurden wir Zeugen von drei terroristischen Anschlägen. In Kuwait gab es einen Selbstmordanschlag auf eine schiitische Moschee mit 26 Toten und über 200 Verletzten, die nichts weiter getan hatten, als zu beten. Die Terrorgruppe IS hat sich zu dieser Tat bekannt. In Frankreich, in einem kleinen Ort bei Lyon, hat ein Täter seinen Kollegen getötet, enthauptet, und den Kopf öffentlich ausgestellt. Anschließend hat er versucht, eine Explosion auf einem Fabrikgelände für Gaserzeugnisse herbeizuführen. Die genauen Hintergründe sind noch unklar. Im tunesischen Sousse hat ein Terrorist mit einem Sturmgewehr, das man üblicherweise Kalaschnikow nennt, und mit selbst gebastelten Handgranaten das Feuer auf wehrlose Touristen am Strand eröffnet. Bei seinem Gang ins Hotel hat er weitere Menschen umgebracht. Später wurde er durch Sicherheitskräfte erschossen. In Tunesien haben wir 38 Tote zu beklagen, mindestens 30 Verletzte, darunter zwei tote deutsche Staatsbürger und eine Schwerverletzte. Vor allem Bürgerinnen und Bürger von Großbritannien sind schwer betroffen. Am Montag haben wir gemeinsam an diesem Strand gestanden: der tunesische Innenminister, die britische Innenministerin, der französische Innenminister und ich. Wir sind den Weg des Attentäters, wenn Sie so wollen, gegangen. Anschließend haben wir gemeinsam der tunesischen Öffentlichkeit gesagt – ich wiederhole es hier –: Wir sind dort gewesen, um mit den Angehörigen zu trauern, gleich welcher Nation auch immer sie angehören. Wir sind dort gewesen, um unsere Solidarität mit dieser jungen Demokratie zu bekunden, die so verletzlich ist, wie wir gesehen haben. Wir sind dort gemeinsam gewesen, um unsere Solidarität zu bekunden, um zu sagen: Wir sind gemeinsam bedroht, wir stehen gemeinsam für unsere Werte, und wir sind der Überzeugung, dass die Freiheit auf Dauer stärker ist als jeder Terrorismus. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte all denen in Tunesien und auch hier danken, die geholfen haben. Die deutschen Touristen, die dort geblieben sind, haben mir gesagt, dass sie deswegen dort geblieben sind, weil die tunesischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem Hotel ihnen so großartig geholfen haben. Sie wollten sie nicht im Stich lassen. Auch die Mitarbeiter des Reiseveranstalters TUI haben vorzüglich gearbeitet. Es ist, glaube ich, einen Dank wert, wenn man sieht, wie Menschen nach einem solchen schrecklichen Anschlag bereit und imstande sind, anderen zu helfen. Das hat mich jedenfalls sehr beeindruckt. (Beifall im ganzen Hause) Die Ermittlungen dauern an. Die Tunesier haben zugestanden, erlaubt, dass wir dort ein Ermittlungsteam des BKA haben, das sehr eng in die Ermittlungsarbeit einbezogen ist. Es gibt noch keine Klarheit über die Hintergründe der Tat. Wir wissen auch nicht, ob das, was an diesem Freitag stattgefunden hat, eine Serie war. Wir haben jedenfalls in allen Fällen ein Bekennerverhalten des sogenannten „Islamischen Staates“. Eines zeigen die drei Terroranschläge jedenfalls deutlich: Der internationale Terrorismus ist eine globale Bedrohung für das friedliche Zusammenleben, für junge Demokratien ebenso wie für uns in Europa, für Muslime, für Christen und für Juden gleichermaßen. 2014 wurden über 33 000 Menschen Opfer des internationalen Terrorismus. Dafür sind alleine vier Einrichtungen verantwortlich: IS, Boko Haram, Taliban und al-Qaida. Wir -haben unterschiedliche Tatbegehungen: Einzeltäter, koordinierte Gruppen, Kleinstgruppen. Wir haben unterschiedliche Ziele: politische Ziele, Menschen, die Urlaub machen, die beten, die arbeiten. Es gibt viele Erklärungen. Ich habe mich natürlich, wie Sie alle auch, viel mit diesen Fragen beschäftigt. Aber letztlich bleibt mir unverständlich, woher dieser Hass kommt, durch den man imstande ist, Menschen zu töten, die unschuldig sind, die arbeiten, die sich erholen und die beten. Auch Deutschland ist im Zielgebiet des internationalen Terrorismus. Wir haben – so nennen wir es – eine ernstzunehmende Bedrohungsgefahr auch in Deutschland. Das wissen wir. Wir arbeiten daran, dass es nicht zu Anschlägen kommt. Wir haben oft Glück gehabt. Unsere Sicherheitskräfte haben oft gut gehandelt. Wir waren oft auf Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten angewiesen, gerade auch der amerikanischen Nachrichtendienste. Wir haben viel gemacht. Wir haben entsprechende Gesetze erlassen oder auf den Weg gebracht. Weniges von dem, was noch zu tun ist, ist umstritten. Wir haben die Ausstattung der Polizisten verbessert. Wir haben das Personal erhöht und sind dabei, es weiter zu erhöhen. All das ist auf gutem Weg. Wir haben so viele Ermittlungsverfahren wie noch nie zuvor. Polizei und Staatsanwaltschaften arbeiten gut zusammen. Zugleich aber ist die Zahl der Gefährder, also der Menschen, von denen wir nicht ausschließen können oder annehmen müssen, dass sie gegebenenfalls einen terroristischen Anschlag begehen, ebenfalls so hoch wie noch nie zuvor: über 300. Die Zahl der sogenannten Ausreiser, also der Menschen, die aus Deutschland stammen oder aus Deutschland kommen und sich dort an Kämpfen beteiligen, ist ebenfalls so hoch wie noch nie zuvor: etwa 700. Es tröstet mich nicht, dass diese Zahl in anderen Staaten noch höher ist. Aus Tunesien sind es vielleicht 3 000, 4 000 oder 5 000. Aus kleinen Ländern wie Belgien oder den Niederlanden liegt diese Zahl bezogen auf die Bevölkerung auch deutlich höher. Es ist so – so bitter diese Aussage ist –: Wir hatten Sorge, dass Terrorismus nach Deutschland importiert wird. Im Moment exportieren wir den Terrorismus aus einer freiheitlichen Demokratie wie Deutschland. Wir haben viel gemacht, und wir werden weiter viel tun. Wir sind erfolgreich. Aber nicht sehr erfolgreich sind wir bei dem Durchbrechen der Prozesse der Radikalisierung mitten unter uns. Ich rede über Menschen, die in unsere Schulen gegangen sind, in unsere Vereine, in unsere Moscheen, die aus unseren Elternhäusern kommen und in unseren Bekanntenkreisen sind. Sie lassen sich für einen unbeschreiblichen Hass radikalisieren. Es gibt dafür viele Erklärungen. Ich habe diese Woche mit den tollen Frauen und Männern gesprochen, die in diesem Zusammenhang Beratungsarbeit machen. Man kann den Hut nicht tief genug vor dieser Arbeit ziehen. Vor allen Dingen befriedigt mich nicht die Antwort auf die Frage, warum wir nicht so erfolgreich sind, diesen Kreislauf der Radikalisierung zu durchbrechen. Das ist – weil gleich darüber diskutiert wird – auch eine Geldfrage, aber nicht nur eine Geldfrage. Wir sind auch nicht achtsam genug im Umgang miteinander, weil wir es zulassen, es nicht erkennen, es zu spät erkennen oder uns schämen, es zu sagen, dass Menschen sich verändern und radikalisieren. Wir müssen in unserer Gesellschaft, auch aus vielerlei anderen Gründen, achtsamer im Umgang miteinander werden, also bei dem, was mitten unter uns passiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, wie gerne würde ich als Innenminister hier stehen und Ihnen und der Öffentlichkeit sagen: Wir sind gut aufgestellt. Wir haben die Gesetze gemacht, auch wenn manches umstritten ist. Die Polizei arbeitet gut. Es wird keinen Terroranschlag in Deutschland geben. – Das kann ich nicht, und das werde ich nicht tun; das wäre unverantwortlich. Auch wir können betroffen sein; auch wir können getroffen werden. Aber was ich für alle Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern sagen kann, ist: Wir sind gut aufgestellt. Wir sind wachsam. Wir sind wehrhaft. Wir tun das uns Mögliche, damit ein Terroranschlag in Deutschland unterbleibt. Dafür brauchen wir natürlich politischen Streit. Wir brauchen aber auch ein großes Maß an Konsens in diesem Land, dass dies eine Herausforderung ist, der wir möglichst gemeinsam begegnen sollten. Wir brauchen auch einen Konsens darüber – und den gibt es hoffentlich –, dass eines nicht geschehen darf – das Wort „Terror“ kommt aus dem Lateinischen und heißt „Furcht“ und „Schrecken“ –: dass alleine durch Drohungen oder auch nach Taten die Furcht in Deutschland siegt. Das darf nicht sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, natürlich können wir nicht ausschließen, dass es auch in Deutschland zu Anschlägen kommt, wobei zum Glück zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür vorliegen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: „Keine Anhaltspunkte“? Wovon träumen Sie denn nachts?) Doch Sie haben eben erwähnt, was vor allen Dingen in den letzten Wochen und Tagen geschehen ist. In Frankreich zum Beispiel massakrierte ein Islamist seinen Chef und posierte hinterher mit dessen abgeschlagenem Kopf für ein Foto. In Tunesien erschoss ein Attentäter 38 Urlauber am Strand. In Kuwait starben Dutzende Betende bei einem Anschlag vor einer schiitischen Moschee. Im Jemen wurden zahlreiche Schiiten von einer Autobombe getötet. In der kurdischen Stadt Kobane massakrierten aus der Türkei eingedrungene Schlächter des sogenannten „Islamischen Staates“ über 200 Zivilisten. Erst gestern starben in Ägypten wieder über 100 Menschen bei Feuergefechten zwischen IS-Kämpfern und der Polizei. Diese Aufzählung macht vor allem eines deutlich: Die meisten Opfer des sogenannten islamischen Terrors sind selbst Muslime. Es sind die Menschen im Nahen Osten, die heute den größten Blutzoll zahlen müssen. Deswegen kann es keine Frage sein: Wachsamkeit ist geboten, auch in Europa. Aber, Herr Minister, ich glaube, man muss versuchen, auch die Ursachen des Hasses zu thematisieren. Meine Damen und Herren, diese Woche jährt sich die Ausrufung des IS-Kalifats im Irak und in Syrien. Doch das Terrorkalifat ist nicht vom Himmel gefallen. Der Boden dafür wurde durch den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak bereitet. Mit jüngst bekannt gewordenen Geheimpapieren des Pentagons wird bewiesen: Schon 2012 rechneten die USA mit der Gründung eines solchen Kalifats im Norden Syriens. Ein solcher Dschihadisten-Staat sei jedoch im Interesse der eigenen Verbündeten, um die syrische Regierung zu schwächen – so heißt es in diesem Papier. Im Klartext bedeutet das: Der Aufstieg des IS wurde sehenden Auges von den USA und ihren Verbündeten nicht nur hingenommen, er wurde sogar maßgeblich von diesen befördert. Der wichtigste Geburtshelfer des IS-Terrorkalifats ist ohne Zweifel die Türkei. Die AKP-Regierung hielt ihre Grenze nach Syrien für Zehntausende von Dschihadisten aus aller Welt offen. Sie stellte ihnen Trainingscamps und Krankenhäuser zur Verfügung, wo sie zusammengeflickt wurden. Sie lieferte ihnen tonnenweise Waffen und Material. Türkische Medien haben diese Tatsachen vielfach nachweisen können, und trotzdem will die Bundesregierung das einfach nicht wahrhaben. Sie rühmt sich der Sicherheitszusammenarbeit mit der Türkei. Herr Minister, ich fordere Sie auf: Reden Sie endlich Klartext mit Erdogan, damit die Türkei ihre Grenzen für die Dschihadisten dichtmacht und sie stattdessen für den Wiederaufbau von Kobane öffnet. Das wäre eine nachhaltige Terrorbekämpfung. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, die Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien, gehören zu den Hauptsponsoren des religiös motivierten Terrors gegen vermeintlich Ungläubige. Doch die Bundesregierung versucht, uns diesen Paten des Terrors als Partner in der Terrorbekämpfung zu verkaufen. Das ist doch absurd. Diese Kuschelei mit den saudischen Henkern muss endlich ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, von Afghanistan bis -Syrien gilt: Die westliche Politik selbst hat diese terroristischen Monster gefüttert, die jetzt drohen, ihre Kinder als Schläferzellen nach Europa zu schicken. Das bedeutet: Alle Maßnahmen gegen den islamistischen Terrorismus in Deutschland werden ins Leere laufen, solange Gelder fließen und die Hintermänner im Nahen Osten weiter freie Hand erhalten. Diese Kriege in der Region werden noch immer mit Waffenlieferungen angeheizt. Egal, wer die Empfänger sind: Am Ende landen diese Waffen immer wieder bei den entschlossensten und brutalsten Gruppierungen wie dem sogenannten „Islamischer Staat“ und al-Qaida. Das hat die Geschichte oft genug gezeigt. Um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen, müssen alle Löcher gestopft werden, durch die Rüstungsgüter in diese Region fließen, egal von welchem Land aus. Die Konsequenz kann unseres Erachtens nur lauten: Schluss mit allen Waffenlieferungen in den Nahen Osten! Setzen Sie endlich das Rüstungsexportverbot durch! Denn ich denke, wenn man die Löcher stopft, hat man auch eine Chance. So wird weiter aufgerüstet und weiter gekämpft. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Rolf Mützenich, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war ein Tag des Schreckens, der Verzweiflung und letztlich auch der Verunsicherung nicht nur in den betroffenen Ländern, sondern auch hier. Deswegen möchte ich auch ganz bewusst im Anschluss an Ihre Rede, liebe Frau Kollegin, davor warnen, in der Öffentlichkeit einfache Antworten zu präsentieren. Es gibt nicht die einfachen Antworten auf die Herausforderungen. Ich finde, wir tun gut daran, auch zu überlegen, warum aus Deutschland – das wird nicht durch Saudi-Arabien und viele andere gefördert – letztlich so viele Menschen zum IS und zu al-Qaida gehen, um dort zu kämpfen. Deswegen wäre es, glaube ich, gut, wenn von diesem Pult aus nicht nach einfachen Antworten gesucht wird oder sie sozusagen ausgesprochen werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deswegen sage ich: Es sind feige Morde. Wir trauern mit den Hinterbliebenen, deren Familien und Freunden. In der Tat – es ist gut, dass der Innenminister hier auch darauf hingewiesen hat –, wir können keine absolute Sicherheit in Deutschland erklären; aber wir tun letztlich alles dafür. Deswegen muss natürlich auch die Außenpolitik darauf reagieren. Ich würde gerne einige Argumente auch dafür finden. Sie haben, Herr Innenminister, zu Recht darauf hingewiesen: Der Attentäter in Tunesien hat nicht nur auf die Touristen geschossen, sondern er hat ganz bewusst – mir fallen leider keine anderen Worte ein – auf das Herz der tunesischen Wirtschaft geschossen, indem er genau auf das gezielt hat, worauf 30 Prozent der Berufstätigen in Tunesien letztlich angewiesen sind: auf den Tourismus. Umso beeindruckender war, was wir in den letzten Stunden und Tagen gehört haben: dass am Attentatsort offensichtlich insbesondere Zivilisten, Tunesierinnen und Tunesier, versucht haben, den Attentäter zu stoppen. Das zeigt, wie verzweifelt auch die tunesische Gesellschaft auf diese terroristischen Herausforderungen reagiert. Umso mehr müssen wir versuchen, uns in die Lage Tunesiens zu versetzen: Tunesien liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Libyen, einem aktuellen Bürgerkriegsherd, und zu Algerien, einem Land, in dem jahrelang ein Bürgerkrieg gewütet hat. Trotzdem hat sich Tunesien in der Vergangenheit bereit erklärt, Flüchtlinge aus Libyen aufzunehmen. Sie sind immer noch da, und die Menschen tragen die Last: eine hohe Arbeitslosigkeit von insgesamt 16 Prozent und eine Jugendarbeitslosigkeit zwischen 30 und 50 Prozent. Es wurde gesagt: 3 000 junge Menschen aus Tunesien sind offensichtlich zum IS gegangen, um dort zu kämpfen. Trotzdem versucht dieses Land, eine Demokratie zu bauen und damit letztlich Vorbild und Vorreiter in der arabischen Welt zu sein. Dies zeigt, dass trotz aller Verheerungen Länder aus der arabischen Welt in der Lage sein können, eine Gesellschaft zu bauen, die zu Besserem in der Lage ist. Ich finde, es gehört an diesen Ort, in den Deutschen Bundestag, dass wir uns bei dieser Gesellschaft, bei den Menschen Tunesiens ganz herzlich bedanken mit Respekt und Empathie. (Beifall im ganzen Hause) Wenn ich sage: „Wir müssen natürlich über die außenpolitischen Herausforderungen sprechen“, will ich auf der anderen Seite auch durchaus sagen: Eben weil dort versucht wird, eine Demokratie, eine Zivilgesellschaft zu bauen, ist es ein deutlicher Hinweis, dass auch eine Partei, die sich muslimisch nennt, bereit gewesen ist, auf die politische Macht in Tunis zu verzichten nach der Wahlniederlage, die sie erlitten hat. Ich glaube, dass das stilbildend sein kann und Vorbild sein sollte für andere arabische Länder oder Länder, in denen der politische Islam zurzeit in der Regierung ist. Deswegen sage ich noch einmal: Ja, Herr Innenminister, es ist richtig, dass die Bundesregierung die tunesischen Sicherheitskräfte unterstützt. Es kommt letztlich darauf an, dass die Demokratie gesichert wird. Aber Sicherheit heißt mehr: Sicherheit heißt Rechtsstaatlichkeit, heißt Unabhängigkeit der Justiz und heißt Gewissenhaftigkeit von Polizei und Militär. Wir wissen, dass die Umbrüche in der arabischen Welt von Tunesien ausgegangen sind. Da war der junge Tunesier, der sich verbrannt hat; er wollte ein deutliches Zeichen gegen die Korruption bei der Polizei setzen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Sicherheitskräfte nicht nur gestärkt werden, sondern sie sich in der Praxis auch anders verhalten. Aus diesem Grunde haben wir Projekte in Tunesien unterstützt, auch viele Entwicklungshilfeprojekte. Frank-Walter Steinmeier ist für die Bundesregierung oft in dem Land gewesen. Es war gut, dass die Europäische Union in der EU-Nachbarschaftspolitik bei Tunesien einen Schwerpunkt gesetzt hat. Darin müssen wir Frau Mogherini stärken. Es wäre gut, wenn dieses Land eine ständige Aufmerksamkeit bekäme und eine europäische Außenpolitik sich gerade auch in Tunesien wiederfände. Deswegen treten wir dafür ein, über eine präventive, über eine politische Aussagekraft in diesem Zusammenhang die EU-Komponente Tunesiens stärker deutlich zu machen. Es war ein richtiges Partnerland. Deswegen glaube ich, die Menschen haben es allemal verdient, dass wir nicht nur heute über sie sprechen, sondern in Zukunft auch. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! In der letzten Woche sind in Tunesien 38 Menschen gestorben, darunter, soweit wir wissen, zwei Deutsche. Wir denken an die Angehörigen der Opfer. Wir denken auch – Herr Mützenich, ich bin Ihnen dankbar für Ihre Ausführungen – an das Land, das so sehr von den Einnahmen aus dem Tourismus abhängig ist. Wir denken auch daran, dass dort Stabilität und die Überwindung des Terrors und der Angst ganz zentral sind. Heute reden wir über den Anschlag von Sousse, der bewusst den Tourismus und damit das Land Tunesien an einer empfindlichen Stelle treffen sollte. Gestern traf es 70 Menschen auf dem Sinai und letzte Woche das afghanische Parlament. In der vorletzten Woche tötete ein Bonner Islamist im Irak elf Menschen. Es vergeht keine Woche mehr ohne Terrormeldungen. Das ist furchtbar und bedrohlich, und, ja, das macht Angst. Ich teile die Auffassung all derjenigen, die hier gesagt haben, dass es darauf keine einfachen Antworten gibt. Es gibt darüber bestimmt parlamentarischen Streit, aber ich finde, es sollte hier keine billige parteipolitische Münze geben. Herr Strobl, deswegen will ich Sie ansprechen; Sie reden in der Debatte heute ja nicht. Der Innenminister hat deutlich gemacht, dass die Freiheit stärker als jeder Terrorismus sein muss. Wir alle haben nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo zusammengestanden und hier über die wichtigen und richtigen Wege zur Bekämpfung des Terrorismus gestritten. Ausgerechnet den Grünen vorzuwerfen, dass wir den Terrorismus und die Bedrohung, die daraus entsteht, nicht ernst nehmen würden, kann ich Ihnen nicht durchgehen lassen, Herr Strobl. Das ist völlig absurd, gerade in dieser Debatte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was beschwert Sie denn? Sagen Sie doch einmal konkret, was Sie beschwert! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Er hat doch gar nichts gesagt!) – Sie haben das in der letzten Woche gemacht. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Konkretisieren Sie das bitte einmal!) Ich will Ihnen das ausdrücklich sagen, nicht nur, weil wir diese Debatte im Innenausschuss angemeldet und auf die Tagesordnung gesetzt haben, sondern weil wir das sehr bewusst und – dieses Gefühl habe ich manchmal – an manchen Stellen vielleicht auch noch differenzierter als Sie betrachten. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal konkret, was Sie beschwert! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das weiß sie nicht! – Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kann selbst entscheiden, was sie in den fünf Minuten sagt!) Selbstverständlich ist ein Anschlag jederzeit möglich, und selbstverständlich war viel Glück dabei, dass es bei islamistischen Anschlägen in Deutschland bisher nur zwei Tote gab. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Irgendwie bellen da die getroffenen Hunde!) Ich glaube, wir brauchen mehr Antworten, als in der Vergangenheit gegeben wurden. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ganz genau wissen Sie nicht, um was es geht! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Man hat es Ihnen aufgeschrieben!) Ich rede erstens darüber, dass es nichts hilft, wenn wir mit immer mehr Überwachung von immer mehr Menschen weitermachen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wie wollen Sie die Islamisten denn überwachen, wenn nicht so?) Ich glaube auch nicht, dass es hilft, wenn wir mit schärferen Gesetzen weitermachen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nach dem, was man hier hört, glaube ich, der Vorwurf war ganz berechtigt!) Das ist der Automatismus nach jedem Anschlag: Zuerst kommt die Vorratsdatenspeicherung, Sie erweitern den gigantischen Heuhaufen und versuchen, eine Nadel zu finden, die immer weniger zu sehen ist, und am Schluss – das ist der inhaltliche Punkt – fehlen das Personal und die Mittel für die Überwachung islamistischer Zellen in Deutschland. Durch diese besteht aber eine wirkliche Gefahr. Wir haben das in Dinslaken und an anderen Stellen auch erlebt. Ich glaube, dass sich die Verschärfungslogik längst abgenutzt hat. Schauen wir einmal nach Baden-Württemberg. Was ist da nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo passiert? (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das sind die ganz klassischen linken Muster!) – Nein, das ist kein linkes Muster, Herr Strobl. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Doch, natürlich!) – Nein, das ist kein linkes Muster. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: An allem mäkeln Sie herum!) Ich bin fest davon überzeugt – hierin bin ich mir mit dem Herrn Innenminister vollkommen einig –, dass es um die Freiheit geht (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Aber alle Maßnahmen, die wir durchführen, um die Freiheit zu schützen, lehnen Sie ab! Oder Sie mäkeln daran herum!) und dass wir uns von terroristischen Anschlägen nicht die Freiheit nehmen lassen dürfen, sondern genau dahin gucken müssen, wo wir Anlass haben hinzuschauen, nämlich in Richtung der Bedrohung. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Genau darum geht es: das zu tun!) Wir dürfen nicht versuchen, ein ganzes Volk unter Verdacht zu stellen. Das ist der Punkt, Herr Strobl. An dieser Stelle versagen Sie, und zwar Sie ganz besonders. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie haben überhaupt keine eigene Vorstellung, aber mäkeln an allem herum! Das ist ziemlich trostlos! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU] gewandt: Warum reden Sie eigentlich nicht?) Deswegen sage ich: Schauen wir einmal genau hin, was in Ihrem Heimatland nach dem Anschlag auf -Charlie Hebdo gemacht worden ist, Herr Strobl – Sie können ja einmal kurz zuhören; wenn Sie die ganze Zeit sprechen, dann können Sie gar nichts hören –: Als Erstes gab es mehr Personalstellen bei der Polizei. Das gibt Sicherheit und war richtig. Zweitens. Die Zahl der Staatsschutzermittler wurde ausgebaut. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Nachdem man sie vorher abgebaut hatte!) Das bietet Sicherheit, und Sie werden nicht bestreiten, dass das richtig war, um genau zu schauen, welche Möglichkeiten es gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann gab es noch etwas Drittes. Wenn Sie das alles für linke Lyrik halten, dann können wir gerne darüber diskutieren. Das Dritte war nämlich, dass Geld in Prävention investiert worden ist, dass es mehr islamischen Religionsunterricht geben soll, um religiösen Analphabetismus zu verhindern. Das ist doch ganz wichtig; denn dort, wo wir den Terrorismus an der Wurzel packen können, dort, wo wir die jungen Menschen für die Demokratie gewinnen können, dort müssen wir ansetzen. Deswegen glaube ich, dass wir bei der Frage der Prävention noch sehr viel Handlungsbedarf haben: in den Haftanstalten, in den Schulen. Es geht um die Integration. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir machen auch bei der Prävention was, aber halt nicht nur Prävention!) – Ich habe Ihnen gerade gesagt, Herr Strobl: Machen Sie es sich nicht so einfach, und machen Sie es nicht so billig. Ich habe Ihnen gerade erzählt, dass es um Polizei und um Staatsschutz geht, und dann, dass es auch um Prävention geht, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Machen wir ja!) dass es um Schulen geht, dass es um Haftanstalten geht. (Zurufe von der CDU/CSU) Schließlich geht es darum, dass wir es schaffen, in dieser Gesellschaft gemeinsam zu leben, damit junge Menschen hier ihre Perspektive sehen und die Demokratie wollen und sie auch verteidigen. Das geschieht nur, wenn wir sie nicht vorverurteilen, (Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) sondern wenn wir sie auf den Weg der Demokratie mitnehmen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Wolfgang Bosbach von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sowohl der Bundesinnenminister als auch der Kollege Mützenich haben sehr kluge, sehr ernste Reden gehalten, die dem Tagesordnungspunkt gerecht werden. Ich bedauere es sehr, dass es Frau Göring-Eckardt und der Kollegin Jelpke nicht gelungen ist, daran anzuknüpfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herrn Strobl ist es nicht gelungen!) Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben gerade wörtlich gesagt, billige parteipolitische Münze sollten wir nicht wählen. Anschließend haben Sie ein ganzes Münzkabinett ausgepackt und über dem Kollegen Thomas Strobl ausgeschüttet. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht zugehört, was der gesagt hat? – Zuruf des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Es gehört sich einfach nicht, dass Sie ohne die Nennung des Zitats, auf das Sie sich beziehen – das haben wir übrigens auch mit dem Kollegen Dr. von Notz im Innenausschuss erlebt –, den Kollegen Strobl in aller Öffentlichkeit und in der Sache zu Unrecht so angreifen, wie Sie das getan haben. Das gehört sich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Kollegin Jelpke, es kam, was kommen musste: Wer ist schuld am islamistisch motivierten Terrorismus? (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir!) Die Amerikaner und die Deutschen. Als Geburtsstunde des internationalen Terrorismus gilt der 20. November 1979. Damals haben 500 radikale Islamisten in Mekka Geiseln genommen. Die Geiselnahme endete mit 300 Todesopfern. Mit dem Satz, dass die Mehrzahl der Opfer des internationalen, islamistisch motivierten Terrors Muslime sind, haben Sie recht. Aber dass die Geiselnahme in Mekka von 1979 die Folge des Irakkrieges ist, der 2003 begonnen hat, ist grober Unfug. Dieser gehört nicht in eine solche Debatte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hat sie ja auch nicht gesagt!) Die Taliban haben von 1996 bis 2001 in Afghanistan ein fürchterliches Terrorregime etabliert. Das kann überhaupt nichts mit dem von Ihnen erwähnten Irakkrieg zu tun haben. Das war lange davor. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber schon etwas mit den USA! Wer hat denn die Taliban gefördert?) Sie hassen uns nicht für das, was wir tun. Sie hassen uns für das, was wir sind. Sie hassen uns für das, wofür wir stehen: für Toleranz, für Glaubensfreiheit und dafür, dass wir den Menschen nicht vorschreiben wollen, welche religiöse Überzeugung sie haben sollen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wer hat denn die Taliban gefördert?) – Frau Jelpke, hätten Sie bloß Ihrer eigenen Rede vernünftig zugehört. Dann hätten Sie selber verstanden, dass das, was Sie sagen, nicht stimmen kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es wird doch mit diesen Zwischenrufen nicht besser. Sie müssten doch eigentlich merken, dass es im Kern der Auseinandersetzung nicht um eine Auseinandersetzung zwischen dem Abendland und dem Morgenland oder den Muslimen und den Christen geht, sondern es im Kern um eine radikale religiöse Ideologie geht, deren Anhänger frei von jeder Toleranz gegenüber Andersgläubigen sind und uns, der freien Welt, ihren Willen mit Waffengewalt aufzwingen wollen. Das ist eine Herausforderung, vor der wir alle stehen. Es wäre wirklich schön, wenn es darüber keinen parteipolitischen Streit geben müsste. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Uli Grötsch [SPD]) Wir haben – der Bundesinnenminister hat vorhin zu Recht darauf hingewiesen – bei den notwendigen Anstrengungen im Antiterrorkampf immer Maß und Mitte gehalten. Das gilt für Rot-Grün nach 2001, und das gilt auch für die Große Koalition, die jetzt seit fast zwei Jahren im Amt ist. (Beifall des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]) Wir wollen aber nicht Freiheit und Sicherheit gegeneinander ausspielen. Freiheit und Sicherheit sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wenn der demokratische Rechtsstaat für sich das Gewaltmonopol reklamiert, dann übernehmen wir damit auch die Verpflichtung, unser Land, die Bürgerinnen und Bürger so gut, wie wir dies können, vor Angriffen aller Art und insbesondere vor dem Terror zu schützen. Es ist selbstverständlich, dass wir diese Aufgabe haben, und wir werden sie wahrnehmen, ohne dass wir Freiheit und Demokratie in unserem Land opfern oder auch nur zur Disposition stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben im eigenen Land mit dem Terror bittere Erfahrungen gemacht: mit der Roten Armee Fraktion in den 70er- und 80er-Jahren. Auch damals haben wir nicht die Demokratie aufs Spiel gesetzt. (Zuruf von der Linken: Ach nee!) Ich blicke jetzt einmal nach links. (Zuruf von der Linken: Das war klar!) Am meisten lachen musste ich bei dem Satz „Wir sind auf dem Weg in den Überwachungsstaat“. Wir haben doch vor 25 Jahren einen Überwachungsstaat abgeschafft. Wir kämen gar nicht auf die Idee, heute einen neuen zu etablieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Eva Högl [SPD] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hören Sie sich eigentlich selbst zu?) Wir haben auch in den 70er- und 80er-Jahren beim Kampf gegen den Terrorismus der RAF Maß und Mitte gehalten. Und, Frau Göring-Eckardt, das tun wir auch in diesen Tagen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir werden alle abgehört!) in der Auseinandersetzung zum Thema Vorratsdatenspeicherung und Mindestspeicherfristen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist das!) Die Vorratsdatenspeicherung ist kein Patentrezept im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Kein vernunftbegabter Mensch kommt auf die Idee, zu sagen: Wenn wir Mindestspeicherfristen haben, kann es keine terroristischen Anschläge mehr geben. Das sagt doch niemand. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist ein Ermittlungsinstrument zur Aufklärung terroristischer Netzwerke. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ein wichtiges!) Wir haben es heute mit Selbstmordattentaten zu tun. Wenn ein fürchterlicher Anschlag verübt wurde und der Attentäter dabei selbst ums Leben gekommen ist, dann ist der Fall doch nicht aufgeklärt, dann beginnt erst die Ermittlungsarbeit, dann wollen wir wissen, mit wem er kommuniziert hat, woher er die Waffen und Sprengmittel hatte und ob er ein Einzeltäter oder Teil einer Gruppe ist. Der internationale Terror ist hochkonspirativ und hochkommunikativ, und die retrograde Auswertung der Telekommunikationsverbindungsdaten kann uns helfen, Strukturen von Tätergruppen aufzuklären und damit auch zukünftige Anschläge zu verhindern, nicht mehr und nicht weniger. Dass wir darüber streiten, liegt in der Natur der Sache. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Ich bin sofort fertig. – Darüber, dass das ein grundrechtssensibler Eingriff ist, gibt es keine Debatte. Aber ich hoffe, dass wir die Debatte mit dem notwendigen Ernst führen und uns vor allen Dingen in wichtigen Fragen, in denen wir uns alle einig sein müssten, nicht zerlegen. Das Publikum erwartet von uns, dass wir, wenn es um die Existenz des Landes geht, zusammenhalten und keinen parteipolitischen Streit austragen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Thomas Lutze von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Thomas Lutze (DIE LINKE): Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Präsidentin! Herr Bosbach, ich versuche, bei den letzten beiden Sätzen Ihrer Rede anzuschließen. Der feige Anschlag in der tunesischen Ferienanlage hat dieses Land hart getroffen. Heute gedenken wir vor allen Dingen der zahlreichen Opfer. Für Tunesien ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, vielleicht sogar der wichtigste. Es war kein Zufall, dass sich die Verbrecher des sogenannten IS gerade dieses Ziel ausgesucht haben. Sie wollten an einer ganz entscheidenden Stelle diejenigen treffen, die Tunesien in den letzten Jahren in eine positive Richtung geführt haben. Sie wollten eine Regierung treffen, die demokratisch gewählt wurde. Sie wollten eine Gesellschaft treffen, in der Demokratie, Menschlichkeit und Weltoffenheit keine Fremdworte sind. Auch die fortschrittliche Verfassung in Tunesien ist diesen Leuten ein Dorn im Auge. Die entstandene Situation ist sehr schwierig, und – das ist richtig – es gibt dafür keine einfachen Lösungen. Entscheidend ist aber, dass die Verbrecher des sogenannten IS mit ihrem Terror nicht durchkommen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]) Tunesien ist zu einem großen Teil vom Tourismus abhängig, der seitdem wieder stark rückläufig ist. Sicher war auch vor dem letzten Anschlag der Tourismus in Tunesien noch nicht wieder dort, wo er einige Jahre zuvor bereits war. Aber die Richtung stimmte, und es gab Anlass zur Hoffnung. Der aktuelle Anschlag wird die Krise des Tourismussektors in Tunesien erneut verschärfen. Die Islamisten haben in vielen arabischen Ländern auch deshalb Zulauf, weil sie gezielt für ihre menschenverachtende Ideologie werben und werben können. In Syrien zum Beispiel verteilen Islamisten Lebensmittel an die Bevölkerung, die sich vom Westen im Stich gelassen fühlt. Wo Menschen hingegen versuchen, die Islamisten loszuwerden, zerstören diese Verbrecher die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen. Rund eine halbe Million Tunesier lebt direkt vom Tourismus. Aktuelle Schätzungen der tunesischen Regierung besagen, dass der Anschlag im laufenden Jahr wirtschaftliche Einbußen in Höhe von rund 450 Millionen Euro nach sich ziehen wird – allein in diesem Jahr! Das alles geht auch uns etwas an. Wir müssen den Urlauberinnen und Urlaubern erklären, ob sie in Tunesien Urlaub machen können oder nicht. Wenn uns bei dieser Frage nicht schnell eine Lösung einfällt, dann hätten die IS-Verbrecher ihr menschenverachtendes Ziel erreicht. Aus diesem Grund bin ich den Koalitionsfraktionen dankbar, dass wir heute eine Aktuelle Stunde dazu auf der Tagesordnung haben. Allerdings hätte ich mir als Mitglied des Tourismusausschusses sehr gewünscht, dass dieser Ausschuss am gestrigen Mittwoch den Bericht der Bundesregierung zur Lage in Tunesien nicht einfach ohne Debatte zur Kenntnis genommen hätte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Form der Sprachlosigkeit war keine Sternstunde unseres Parlaments. (Beifall bei der LINKEN) Deutsche Tourismusunternehmen wie TUI, die auch Anteilseignerin der betroffenen spanischen Hotelkette RIU ist, haben auf vorbildliche Art und Weise unbürokratisch geholfen: Vorzeitige Rückflüge wurden organisiert, Urlauber konnten ihre gebuchte Reise kostenlos umbuchen oder stornieren, Reisende und Hotelmitarbeiter wurden durch extra eingeflogene Therapeuten betreut. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu bestand nicht, weil keine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vorlag und auch nicht vorliegt. Dafür sind wir der TUI und auch den anderen Reiseveranstaltern, die in Tunesien aktiv sind, sehr dankbar. Wir sollten bei der aktuell anstehenden Reform der Pauschalreiserichtlinie deshalb noch einmal ganz genau darauf schauen, ob wir tatsächlich alle Optionen bedacht haben. Reiseverkehrsrechtsregelungen und vor allen Dingen die Neufassung des Reisevertragsgesetzes müssen in Abwägung der Interessen der Urlauberinnen und Urlauber sowie der Reiseveranstalter sehr sorgfältig ausgearbeitet werden. Kulanz ist gut, lässt sich aber nur schwer in einen Rechtsrahmen fassen. Die Sicherheit der Reisenden steht an oberster Stelle. Abstriche daran sind nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) Eine den Sicherheitsstandards entsprechende Urlaubsplanung kann aber nur dann gewährleistet werden, wenn nicht durch Wettbewerbsverzerrungen eine Qualitätsabwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Die Krise in Tunesien offenbart die großen Qualitätsunterschiede in der Kundenbetreuung und dem Krisenmanagement zwischen professionellen Reiseveranstaltern und sogenannten Vermittlern. Reisevermittler oder Onlinebörsen haben keine Gästebetreuung vor Ort und auch kein Krisenmanagement im Ernstfall. Sie entsenden weder Betreuungsteams, noch bieten sie vergleichbare Kulanz bei Umbuchungen. Sie sparen beim Verbraucherschutz und werden seit 2012 in Deutschland auch noch steuerlich bevorzugt. Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) Dem Terrorismus muss – darin sind wir uns, glaube ich, im Haus einig – der Nährboden entzogen werden. Dazu gehört, dass auch die Menschen in Tunesien eine Perspektive jenseits von Hungerlöhnen und Jugendarbeitslosigkeit haben müssen. Die politischen Freiheiten sind die eine Seite der Medaille; das ist sehr begrüßenswert. Soziale Sicherheit und Wohlstand sind die andere Seite. Das ist letztendlich auch eine sicherheitspolitische Frage. Darüber hinaus müssen wir Tunesien noch intensiver dabei helfen, dass die real vorhandenen Sicherheitsdefizite vor Ort schnell abgebaut werden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Matthias Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lutze, Sie haben dadurch, dass Sie den Schwerpunkt wieder auf Tunesien und den Tourismus gelegt haben, die Emotionen ein bisschen heruntergekühlt. Dafür gebührt Ihnen Dank. Ich glaube, es ist dem Thema angemessen, wenn wir darüber wieder ein bisschen sachlicher reden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Herr Kollege Lutze, ich möchte insofern an Sie anknüpfen, als dass ich Tunesien zum Gegenstand meiner Rede mache. Aber, Herr Minister, ich möchte eher darlegen, was wir auf bilateraler Ebene für Tunesien tun können; darauf komme ich gleich zu sprechen. Lassen Sie mich zunächst einmal bitte den Angehörigen der Opfer mein Mitgefühl ausdrücken. Zugleich möchte ich den mitunter Schwerverletzten gute und vollständige Genesung wünschen. Ich denke, so viel Zeit sollte sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt eine weitere Bemerkung, die ich vorausschicken möchte. Ich möchte mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesregierung sehr herzlich bedanken, namentlich bei denen im Auswärtigen Amt und im BMI, bei dem Ermittlerteam des BKA und beim Krisenstab; denn diese haben hervorragende Arbeit geleistet. Es ging sehr schwer los. Sie konnten dabei nicht auf die Uhr schauen, private Termine mussten sie erst einmal hintanstellen. Sie hatten eine schwierige Aufgabe zu lösen, und sie haben dabei Hervorragendes geleistet. Herr Minister, bitte tragen Sie diesen Dank weiter an die Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der Westen war das Anschlagsziel. Das haben auch die Redner vor mir schon festgestellt. Es gibt auch ein Bekennerschreiben. Ob es seriös ist, wissen wir nicht, aber der Tathergang macht ja deutlich, dass der Westen das Ziel ist. Die Lage in Tunesien ist von meinen Vorrednern auch schon beschrieben worden. Wir haben fünf nordafrikanische Mittelmeeranrainer. Von Westen nach Osten sind das Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten. Diese fünf Länder verbinden wir mit dem Arabischen Frühling. Seit 2011 hat sich aber nur Tunesien verstärkt auf den Weg zu einer Demokratie gemacht und hat es geschafft, eine neue Verfassung zu verabschieden. Tunesien hat gewählte Repräsentanten, eine Gewaltenteilung und in der Verfassung sogar das Gebot der Gleichstellung von Mann und Frau. Aus unserer Sicht ist das vorbildlich für die arabische Welt. Ich will die Probleme in Tunesien nicht kleinreden; ich will aber zumindest deutlich machen, dass es sehr unterstützenswert ist, was sich dort abspielt. Die Frage, die ich mir stelle, ist: Was können wir jetzt innenpolitisch tun, um die Lage dort zu verbessern, zu stabilisieren? Dafür sollten wir zunächst einmal eine Bestandsaufnahme dessen machen, was wir schon in Tunesien machen. Das ist nämlich einiges. Es gibt eine deutsch-tunesische Transformationspartnerschaft. Bundespolizei, BKA, Verfassungsschutz und auch die Fachhochschule des Bundes, die heute natürlich Hochschule des Bundes heißt, sind da mit einbezogen. Alle diese Institutionen entsenden Experten, die vor Ort tätig sind und dort den demokratischen Prozess stärken. Es gibt Polizeiunterstützung auf allen Ebenen, auf der EU-Ebene, auf der Bundesebene und auch auf der Ebene der Länder. Ein neues Abkommen – Herr Minister, wir haben im Innenausschuss darüber gesprochen – steht unmittelbar bevor. Ich finde, in dieser neuen Situation müssen wir das alles jetzt rasch auf den Prüfstand stellen, aber nicht in dem Sinne, dass wir die Maßnahmen an sich infrage stellen oder Kürzungen vornehmen wollen, sondern in dem Sinne, dass wir uns fragen, in welcher Form wir diese Maßnahmen sinnvollerweise ergänzen können; denn bisher besteht das, was wir bilateral tun, aus eher harten Maßnahmen. Es geht um die Grenzsicherung – es gibt eine lange Meergrenze und eine Landgrenze zu Libyen –, es geht um Erkennungsdienst, es geht um Dokumentenprüfer, Zolleinsätze, und nun bekommen wir den zu-sätzlichen Schwerpunkt der Terrorismusbekämpfung. Aber wir sollten, wie ich finde, diesen harten Maßnahmen mit zusätzlichen weichen Maßnahmen mehr Kraft verleihen. Es sollte unser gemeinsames Ziel sein, die Demokratisierung in Tunesien zu stärken – beim Aufbau des Rechtsstaats, bei der Berufsbildung, bei Wahlen und bei der Bekämpfung von Korruption. Die Hochschule des Bundes wurde bereits als Player genannt. Dann bietet sich doch auch an, dass die Universitäten in Deutschland überlegen, welche Art der Partnerschaft sie vor Ort zur Stärkung eingehen könnten. (Beifall bei der SPD) Die Bundeszentrale für politische Bildung genauso wie die Landeszentralen könnten darüber nachdenken, zu unterstützen, ebenso die Handwerkskammern. Auf diesem Weg werden wir Sie, Herr Minister, immer sehr gerne unterstützen. Lassen Sie mich als Letztes sagen: Ich danke Ihnen ausdrücklich für Ihre Reise nach Sousse am vergangenen Montag. Sie haben damit nicht nur ein Zeichen der Solidarität mit Tunesien gesetzt, sondern Sie haben auch ein entschlossenes Zeichen gegen den Terror gesetzt. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Thorsten Hoffmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Morgen beginnt die Sommerpause. Viele von uns fahren in dieser Zeit mit ihren Familien in den Urlaub. Sie vielleicht auch? Jeder dritte Jahresurlaub der Deutschen führt ans Mittelmeer. Die Freiheit, zu reisen, sich zu erholen, neue Kulturen kennenzulernen, ist für uns normal. Der vergangene Freitag hat jedoch gezeigt: Freiheit ist nie selbstverständlich. Sie muss immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Am vergangenen Freitag hat ein Attentäter in Tunesien 39 Menschen brutal ermordet. Weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt: Menschen, die voller Freude auf Erholung und Freizeit nach Tunesien gereist waren, aber auch Menschen, die im Hotel arbeiteten oder ganz zufällig Opfer wurden – Urlauber und Einheimische, Christen und Muslime, deren Leben jäh zerstört wurde. Hier wird deutlich: Terror kennt keine Nationalität oder Religion. Dies zeigt auch ein weiterer Terrorakt am 26. Juni: In Kuwait verübten Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine Moschee. 26 Menschen sind tot, 227 verletzt. Sie waren zusammengekommen, um gemeinsam zu beten. Alle waren Muslime. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es nach dem Anschlag vom März wieder Tunesien getroffen hat, hat einen Grund: In diesem Land begann der Arabische Frühling. Kein arabisches Land hat sich seitdem stärker in Richtung Freiheit bewegt. Der Tourismus ist dabei die Achillesferse, die die Verbrecher treffen wollten. Wir werden es nicht zulassen, dass der Terror dieses Land in die Knie zwingt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Aus diesem Grund bin ich sehr dankbar, dass unser Innenminister diese Woche Tunesien besucht hat. Lieber Herr Minister, hiermit haben Sie ein wichtiges Zeichen gesetzt: Wir stehen geschlossen an der Seite der Menschen in Tunesien. Die Anschläge der letzten Wochen zeigen, wie zerbrechlich Frieden und Freiheit sind, auch in Deutschland. Am Montag hat das Innenministerium den Verfassungsschutzbericht 2014 veröffentlicht. Bis Januar 2015 sind mehr als 600 Islamisten aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausgereist, und die Zahlen steigen weiter: Heute sind es bereits rund 700 Kämpfer. Sie haben in Ausbildungslagern das Töten trainiert. Viele sind bereits zu Mördern geworden. Etwa ein Drittel der ausgereisten Personen ist inzwischen, zumindest zeitweise, wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Diese Menschen haben ein gefestigtes radikales Weltbild. Wir müssen von einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft ausgehen. Sie stellen ein enormes Sicherheitsrisiko für unser Land dar, und mit jedem Rückkehrer steigt die Anschlagsgefahr. Wie real diese Gefahr ist, hat sich leider bereits in Paris gezeigt. Der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ war die Tat eines Rückkehrers. Auch wir in Deutschland müssen jederzeit mit einem Terroranschlag rechnen. Dazu kommen die, die sich hierzulande radikalisieren. Der Verfassungsschutzbericht nennt mehr als 7 500 Salafisten in Deutschland, und die Tendenz ist steigend. Gerade junge Menschen werden über soziale Medien zielgerichtet angesprochen. Hier müssen wir die Prävention erheblich verstärken. Anmerken möchte ich auch: Es sind auch immer häufiger Frauen, die angesprochen werden. Es ist unsere Aufgabe, jungen Menschen unsere Werte überzeugend zu vermitteln. Daran sollten wir alle arbeiten. Unter dem Deckmantel einer kostenlosen Koranverteilung sind die Islamisten immer öfter in unseren Innenstädten präsent. Gemeinsam mit meinem Essener Kollegen Matthias Hauer habe ich beschlossen, dies nicht mehr hinzunehmen. Wo immer die Salafisten in meiner Heimatstadt Dortmund auftauchen, bin ich präsent und verteile unser Grundgesetz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Werte verdienen Mut. Wir dürfen selbstbewusst zu ihnen stehen. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen auffordern, es uns gleichzutun. Anders als die Menschen in Tunesien leben wir in einem gefestigten Staatswesen. Wir dürfen unseren Sicherheitsbehörden dankbar sein; sie arbeiten intensiv -daran, Anschläge abzuwehren und zu verhindern. Planungen zur Aus- und Rückreise von Islamisten können oft frühzeitig erkannt und sogar verhindert werden. Damit sie diese Arbeit optimal leisten können, bedarf es jedoch eines ausreichenden Werkzeugkastens und einer Vielzahl von Ermittlungsmöglichkeiten. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Nur so können unsere Sicherheitsbehörden die schwere Bedrohung abwehren, die der internationale Terrorismus mit sich bringt. Ein ganz wichtiges Werkzeug ist dabei die Vorratsdatenspeicherung. Ich freue mich besonders darüber, dass sich die SPD auf ihrem Parteikonvent auch dafür ausgesprochen hat. Herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Jetzt komme ich zum Schluss: Denken wir daran: Die Freiheit ist zerbrechlich. Sie muss geschützt werden. Stellen wir uns dem Extremismus als selbstbewusste Demokraten entgegen! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Da dies die erste Rede des Kollegen Hoffmann war: Herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede! (Beifall) Als nächste Rednerin hat die Kollegin Irene Mihalic von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir alle sind immer noch schockiert über die jüngsten Terroranschläge in Frankreich, in Tunesien, aber auch in Kuwait, im Jemen und jetzt auch in Ägypten. Wir fühlen und trauern mit den Angehörigen der vielen Todesopfer und Verletzten. Wir müssen selbstverständlich alles in unserer Macht Stehende tun, um der konstant hohen Terrorgefahr auch hierzulande mit rechtsstaatlichen Mitteln wirksam zu begegnen. In diesem Zusammenhang ist es meiner Ansicht nach allerdings wenig hilfreich, wenn Bundeskanzlerin Merkel unmittelbar nach den Anschlägen vom Freitag quasi aus der Hüfte den Versuch macht, die Ereignisse auf ihre Weise zu analysieren. Wie kann man mit so wenig Faktenwissen die Anschläge mit einem – so wörtlich – „Einsickern von IS-Terroristen“ begründen? Wie kann man überhaupt, ohne Details zu haben, davon sprechen, dass der Anschlag von Menschen verübt wurde, die nicht schon längst dort lebten, in Frankreich und in Tunesien? Wie kann man dann bitte zu der Schlussfolgerung kommen, zu der Frau Merkel kam? Ich zitiere eine Reuters-Meldung vom Tag der Anschläge: Wir wissen, dass wir gerade mit Blick auf die Migrationspolitik aufpassen müssen, dass nicht islamistische Kämpfer eindringen in die EU. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich! Das ist ja auch richtig!) Diese Vermischung der Terrorgefahr mit der Flüchtlingspolitik – das will ich Ihnen einmal sagen – ist nicht nur fachlich völlig falsch, sondern auch brandgefährlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Da liegen Sie aber so was von daneben! Das ist ja von Ahnungslosigkeit geprägt!) Wir alle müssen sehr aufpassen, dass wir mit unserer Wortwahl nicht denen eine scheinbare Legitimation verschaffen, die Flüchtlinge bedrohen und Asylunterkünfte anzünden. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist ja unterirdisch!) Genau deshalb – das sage ich Ihnen, Herr Strobl, da Sie sich bei Gelegenheit auch mal an innenpolitischen Debatten beteiligen – (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wo ist eigentlich der Sprücheklopfer von Notz heute? Der klopft nämlich sonst solche Sprüche! – Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der sitzt im Untersuchungsausschuss!) war das Attentat vom 26. Juni der absolut falsche Anlass, eine parteipolitische Debatte anzuzetteln. Da Sie, Herr Strobl, ja vorhin darum gebeten haben, dass wir sagen, auf welches Zitat wir uns beziehen, helfe ich Ihnen jetzt einmal auf die Sprünge. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hoi! Jetzt aber!) Das Zitat war: Es ist bezeichnend, dass zu den schrecklichen Anschlägen in Sousse und Lyon kein Wort von den Grünen und den Linken zu hören ist. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Sie haben, was die Sicherheit der Menschen in Deutschland angeht, offenbar nichts zu sagen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit so etwas! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Da hat der Kollege Strobl recht!) Herr Strobl, allein der Respekt vor den Opfern und ihren Familien verbietet es, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ojemine!) diese Debatte für durchsichtige parteipolitische Manöver zu nutzen, wie Sie es getan haben. Das gehört sich einfach nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das hat der Sprücheklopfer von Notz schon versucht! Wo ist der denn heute?) – Jetzt regen Sie sich mal nicht so auf, Herr Strobl! Ihr kleines Manöver war durchsichtig. Es ist aufgeflogen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Überhaupt nicht aufgeflogen! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Getroffene Hunde bellen! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, Sie bellen die ganze Zeit schon!) Leben Sie damit! Tragen Sie es mit Fassung! Im Gegensatz zu Ihnen reden wir erst, wenn wir tatsächlich etwas zu sagen haben, nämlich dann, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das merkt man tatsächlich, ja!) Wir sind jetzt einen Schritt weiter, nachdem wir die Debatte im Innenausschuss haben aufsetzen lassen. So können wir – Stand heute – sagen, dass es ganz anders war, als die Kanzlerin es am Freitag mal eben auf die Schnelle analysiert hat. Nicht reisende IS-Kämpfer waren das Problem, sondern zumindest in Frankreich und Tunesien waren es Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben wir die Schlaumeier bei den Grünen! – Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist selbst unter Ihrem Niveau, Herr Strobl, was Sie hier von sich geben!) Menschen, die dort schon länger lebten, die dort zur Schule gegangen sind, die soziale Kontakte hatten. Dieser Analyse müssen wir uns auch hier in Deutschland stellen. Die Terrorgefahr entspringt hier aus unserer Gesellschaft, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Und von außen!) Doch genau das ignorieren Sie, meine Damen und Herren auch von der Bundesregierung, konsequent. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Haben Sie eigentlich dem Innenminister zugehört?) Sie kümmern sich ausschließlich um reisende Täter, und das auch noch mit unbrauchbaren Maßnahmen wie dem Personalausweis für Terroristen. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist völlig falsch!) Da muss man doch nur einmal das Muster der Anschläge zu dieser Maßnahme ins Verhältnis setzen. Wenn man das täte, würde man feststellen: Da ist nichts, was irgendwie geholfen hätte, diese Anschläge zu verhindern. Das, was wirklich etwas bringen würde – das verkünden Sie hier in Reden; das packen Sie aber nicht an –, das wäre Prävention. Das wäre ein Thema – also von wegen: Ich habe nicht zugehört. Ich habe sehr gut zugehört. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Offensichtlich nicht! Schauen Sie mal, was in Hessen gemacht wurde in den Gefängnissen!) Aber leider folgt daraus keine Maßnahme. Schon heute gibt es viele Ansätze, das Problem der Radikalisierung von Menschen an der Wurzel zu packen: in Familien, in den Schulen, in den Religionsgemeinschaften. Herr de Maizière, Sie haben selbst gesagt, dass man vor dieser wichtigen Arbeit den Hut ziehen muss. Das teile ich ausdrücklich. Doch diese Arbeit bleibt ein Flickenteppich, wenn keine vernünftige Vernetzung, wenn keine Koordinierung stattfindet. Wir brauchen endlich eine nationale Präventionsstrategie, um diese wichtigen Ansätze und diese wertvolle Arbeit zu bündeln und auch finanziell verlässlich zu gestalten. Das wäre Ihre Aufgabe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie sich bis heute nicht darum kümmern. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wie bitte?) Denn da tun Sie nicht alles, um den Terror zu verhindern. Vielleicht ist es Ihnen zu kompliziert. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist platt!) Vielleicht ist Ihnen auch der mediale Ertrag zu gering. Über die Gründe kann ich offen gestanden nur spekulieren. Leider vergessen Sie dabei eines: Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass Sie die Terrorgefahr nicht nur in Worten, sondern eben auch in Taten ernst nehmen. Nehmen Sie den Auftrag endlich an, hören Sie auf mit Symbolpolitik, und lassen Sie bitte diese parteipolitische Spiegelfechterei auf dem Rücken von Anschlagsopfern! Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Was machen Sie denn? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sinn einer Aktuellen Stunde ist es doch, aufzuzeigen, dass der Deutsche Bundestag übergreifend bestimmte Themen behandelt und damit deutlich macht, dass es nicht alleine innenpolitische, außenpolitische, entwicklungspolitische oder verteidigungspolitische Handlungsmöglichkeiten gibt. Ich bin deshalb dem Innenminister und auch dem Kollegen Mützenich, aber auch Herrn Hoffmann sehr dankbar für die sehr sachliche und ruhige Art, wie sie dieses Thema angehen. Das steht uns als Bundestag auch gut an. Ich bin heute im Gegensatz zu sonstigen Debatten – das mag ich sagen – wirklich enttäuscht von der polarisierenden Art und Weise, mit der die Grünen versuchen, Kapital aus diesem ernsten Thema zu schlagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD] – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich war im Januar mit Außenminister Steinmeier im Bardo-Museum und begeistert von der Ausstellung mit Werken von -Macke, Kandinsky und anderen, und ich war im April nach den Anschlägen vom 18. März zum stillen Gedenken in diesem Museum. Wir alle wissen, dass die Radikalisierung, die auch in Europa stattfindet, die Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik aufhebt. Das Signal -dieser Aktuellen Stunde ist auch, dass wir enger kooperieren müssen. Etliche Vorrednerinnen und Vorredner haben das auch sehr deutlich gesagt. Was macht mir Sorgen? Junge Menschen lassen sich aufgrund von Perspektivlosigkeit radikalisieren, reisen beispielsweise nach Syrien, kommen traumatisiert zurück, umgeben sich mit einem Heldennimbus und versuchen, weitere junge Menschen zu rekrutieren und in den Terror zu ziehen. Allein hieran zeigt sich, wie wichtig es ist, dass Innen- und Außenpolitik kooperieren. Drei Trends machen mir Sorge: Erstens. Ursprünglich eigentlich lokale Rivalitäten bedienen sich zunehmend der Ideologie des internationalen Islamismus, Beispiel Libyen. Zweitens. Zerfallende Staaten, auch Staaten, die bereits in gewisser Weise ihre Souveränität verloren haben, bieten keine Perspektiven für ihre Jugend und müssen mit viel Aufwand wieder stabilisiert werden. Ich blicke hier auch auf den Kosovo, wo wir mit sehr viel Aufwand versuchen, die Radikalisierung zu verhindern. Der dritte Trend rückt Europa in den Fokus. Der französische Islamwissenschaftler Kepel hat bereits vor 15 Jahren davor gewarnt, was sich möglicherweise in Europa auswirken kann, weil, wie es vorhin sehr richtig gesagt wurde, unsere Lebensweise im Fokus ist. Unsere Lebensweise wird nicht akzeptiert: Toleranz, Meinungsfreiheit, gute Regierungsführung, Bekämpfung organisierter Kriminalität. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen aber auch Lösungen aufzeigen. Mit Blick auf die Per-spektivlosigkeit möchte ich sehr deutlich machen, dass wir die fragilen Staaten besser unterstützen müssen. Hier möchte ich das Beispiel Tunesien anführen. Deutschland hat seine Entwicklungshilfe für Tunesien vervierfacht, und zwar von 37 Millionen Euro auf 150 Millionen Euro. Aber wir geben nicht nur Geld. Auch 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GIZ, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, wirken mit. Der Internationale Währungsfonds bietet 1,8 Milliarden Euro Strukturhilfen in Zusammenarbeit mit der OSZE, den Vereinten Nationen und der Europäischen Investitionsbank. Hier zeigt sich, wie wichtig ein vernetzter, ein verzahnter Einsatz ist, und wie wichtig es ist, dass wir bewusst die Länder, die in den Fokus des Terrorismus geraten, zu stabilisieren versuchen. Der gegenwärtige Aufwuchs an Terrorismus, glaube ich, zeigt: Wir müssen uns besser informieren über lokale Gefährdungen, über Eigenheiten bestimmter Regionen, um unsere Ertüchtigungsinitiativen noch besser und glaubwürdiger unterstützen zu können. Wir Europäer haben einen sehr toleranten Islam auf dem Balkan, der sich über Jahrhunderte entwickelt hat und der unter dem Balkankrieg vor knapp 25 Jahren gelitten hat. Heute wird aufgrund der schwierigen Staatlichkeit in dieser Region versucht, Anhänger für den Wahhabismus und Salafismus zu werben. Wir sollten alles tun, um diesen toleranten europäischen Islam zu stützen, ihn zu unserem Islam zu machen, der die Werte -Europas von Toleranz, Völkerverständigung und Aussöhnung teilt. Dazu gehört, dass wir wirtschaftliche Perspektiven bieten. Die militärische Ausstattungshilfe, die wir in manchen Bereichen leisten, dient der Sicherheit. Aber ihr muss die Entwicklungshilfe folgen. Deshalb brauchen wir Entwicklungszusammenarbeit, Aufbauhilfe, Strukturhilfen, Ausbildungshilfen und gezielt Visaerleichterungen für Berufsgruppen, die eine Perspektive in unserer Gesellschaft haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen zu einem moderaten Ton zurückfinden. Wir sind hier nicht im Landtagswahlkampf, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Ihrem Landesvorsitzenden!) sondern wir sind ganz ernsthaft dabei, Lösungen zu finden. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem müssen Sie das mal sagen!) Ich bin unserem Innenpolitiker Thomas Strobl außergewöhnlich dankbar, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass er hier den Landtagswahlkampf eröffnet, oder was?) dass es ihm gelungen ist, den Blick unserer Innenpolitiker für die Notwendigkeit außen- und entwicklungspolitischer Maßnahmen zu schärfen, nicht zuletzt in unserer gestrigen fraktionsoffenen Sitzung zur Flüchtlingsfrage. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Gabriela Heinrich von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Gabriela Heinrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Diese Aktuelle Stunde hat eine schreckliche Aktualität: letzte Woche Anschläge in Frankreich, Kuwait und Tunesien, am Montag und gestern in Ägypten. Wir sprechen hier von insgesamt 156 Menschen, die innerhalb der letzten Woche in diesen Ländern ermordet wurden. Als Vorsitzende der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten liegt mir Tunesien besonders am Herzen, was natürlich die Relevanz der anderen furchtbaren Anschläge nicht mindern soll. Noch im Februar hat die Parlamentariergruppe Tunesien besucht. Wir waren unter anderem in Sousse und auch im Bardo-Museum. Vor den Anschlägen waren beide Orte friedlich und lebendig. Jetzt ist ihr Name mit Terror und Angst verbunden. Wie die meisten von Ihnen empfinde ich Trauer und Wut; denn wir haben dort Menschen getroffen, die voller Hoffnung an einer besseren, demokratisch geprägten Zukunft Tunesiens mitarbeiten wollen. Das Land ist voll von Engagement für diese Zukunft. Die Tunesier und Tunesierinnen setzen auf Vernunft und Kompromissbereitschaft. Diese Bemühungen sind es, die Terrorismus und Fanatismus zunichtemachen wollen. Die Frage, warum meist junge Menschen zu Terroristen werden, warum sie in den Kampf ziehen – die Debatte hat es gezeigt –, beschäftigt uns alle. Die Ursachen sind vielfältig. Sie sind nicht nur in der Perspektivlosigkeit, sondern auch in der Gewaltfaszination und dem Gefühl, sich für eine vermeintlich gerechte Sache zu opfern, zu suchen. Und es gibt als neues Phänomen die Unauffälligen, die äußerlich modern und liberal auftreten. Sie fallen nicht durch Hassreden auf, und ihr Umfeld reagiert völlig verstört, wenn sie zu Mördern geworden sind. Zu Ihnen gehörte der Attentäter von Sousse. In den deutschen Nachrichten wird bereits spekuliert, ob Tunesien jetzt nicht wieder zu einem Staat werden wird, der die Freiheitsrechte erheblich einschränkt. Es werden Stimmen gesucht, die angeblich den starken Mann fordern und die Demokratie ablehnen. Manchmal scheint es mir so, als ob das kleine Land in Nordafrika mit seiner modernen, demokratischen Verfassung inmitten einer Region, in der schwere Konflikte und Gewalt zum Alltag gehören, doch gar nicht erfolgreich sein kann. Ich habe mich gestern mit dem tunesischen Botschafter getroffen. Er erzählte mir, dass selbstverständlich Sofortmaßnahmen ergriffen werden. Im Rahmen eines -Sicherheitskonzepts werden Hotels, Strände, archäologische Stätten und andere Touristenziele geschützt. Und es wurden 80 Moscheen geschlossen, die erkennbar zu radikalen Netzwerken zählen. Alle jetzt ergriffenen Maßnahmen – und das ist das Besondere an Tunesien – werden öffentlich debattiert und von der Opposition und der Zivilgesellschaft mitgetragen. Und das funktioniert auch nur deshalb, weil es dort eine starke Zivilgesellschaft gibt. Tunesien setzt auf die Unterstützung Europas – auf die der Innenminister –, aber auch auf die Unterstützung, die mit der Transformationspartnerschaft verbunden ist. Meine Damen und Herren, gerade die starke Zivilgesellschaft ist es, die uns so viele Hebel bietet, das Land zu unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Wir beraten Tunesien beim Aufbau des Rechtsstaats, bei guter Regierungsführung, Dezentralisierung und -Medienfreiheit. Wir unterstützen das Land bereits im -Bereich der beruflichen Bildung. Die Sonderinitiative „Stabilisierung und Entwicklung Nordafrika-Nahost“ versucht unter anderem, die politische Partizipation zu steigern und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Das alles darf nicht weniger werden, sondern wir müssen diese Partnerschaft noch weiter ausbauen, auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Während meiner Reisen habe ich mich vom unbedingten Willen der Tunesierinnen und Tunesier überzeugt, Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaft voranzubringen. Sie brauchen jetzt unsere Solidarität, wie sie auch von denen bereits gezeigt wurde, die nach dem Anschlag an verschiedenen Stränden gegen den Terror demonstrierten – darunter viele Touristen. Ausdrücklich bedanken möchte ich mich beim Innenminister für den schnellen Besuch und die Hilfsangebote und ebenso bei Außenminister Frank-Walter Steinmeier für seine Bemühungen, die Libyer an einen Tisch zu bringen; denn die Konflikte und die Waffen in Libyen stellen auch für Tunesien eine ständige Bedrohung dar. Wir können nur hoffen, dass auch dieses Land bereit ist, die Konflikte zu beenden und eine nationale Einheitsregierung zu bilden, so wie es die Tunesier vorgemacht haben. Hier liegt ein wichtiger Schlüssel bei der Stabilisierung der gesamten Region. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Jürgen Klimke von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt, dass die jüngsten Anschläge in Tunesien, in Kuwait, in Frankreich und auch gestern in Ägypten uns nicht nur betroffen machen müssen, sondern dass sie uns auch vor ganz große Herausforderungen stellen, die nicht nur innenpolitischer, sondern auch außenpolitischer Art sind. Die Anschläge stehen in Verbindung mit dem sogenannten „Islamischen Staat“, dessen Protagonisten – anders als bei al-Qaida – nicht nur morden, sondern brutal für einen Staat in ihrem Sinne kämpfen. Der IS speist sich neben Einzeltätern aus Instabilität und Konflikten. Es sind Failed States, in denen der IS Entwurzelte an sich binden und Kämpfer für seine ideologischen Ziele begeistern kann. Deshalb ist es für unser außenpolitisches Handeln entscheidend, Instabilität zu vermeiden und Stabilität wiederherzustellen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir als Europäische Union immer die richtigen Konzepte haben und ob wir uns ausreichend engagieren. Das muss man einmal selbstkritisch sagen. So müssen wir zum Beispiel darüber nachdenken, ob wir es wirklich dauerhaft hinnehmen können, dass der IS im libyischen Machtvakuum immer mächtiger wird. Denn die Instabilität Libyens erweist sich als Fanal für die gesamte Region. Das gilt im Übrigen auch für die Flüchtlingsfrage. Instabilität droht auch andernorts, zum Beispiel in vielen Staaten Afrikas, auch in einigen Balkanstaaten – Kollege Kiesewetter hat es angesprochen –, bei denen wir eigentlich angenommen hatten, dass ihr friedlicher Weg in die europäische Integration vorgezeichnet ist. Es liegen jedoch neue Erkenntnisse vor, dass der IS den Balkan als Einfallstor in die EU nutzt. Meine Damen und Herren, wir müssen auch erkennen, dass eine mögliche Instabilität Griechenlands – wenn auch wegen anderer Fragen, nämlich in der Folge eines potenziellen Ausscheidens aus dem Euro oder auch aus der EU – gravierende Folgen für Südosteuropa haben und dort Instabilität verursachen könnte. Andererseits wäre die stabilisierende Rolle der Türkei, die Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat und dem IS militärisch Einhalt gebieten kann, gefährdet, wenn es zu keiner Regierungsbildung käme und wieder Neuwahlen notwendig wären. Damit könnte auch dort Instabilität entstehen. Meine Damen und Herren, wir Europäer können uns angesichts der Bedrohung durch den IS – wie bei der Grundsatzfrage hinsichtlich der Flüchtlinge – nicht in eine Zuschauerrolle begeben. Wir müssen bereit sein, einzugreifen und das zu tun, was erforderlich ist. Wir dürfen uns dabei nicht auf die Vereinigten Staaten verlassen. Wir müssen vielmehr eigene Strategien zur Gewährleistung von Stabilität entwickeln, mit denen wir Krisen vor unserer Haustür verhindern, fragile Staaten stabilisieren und Bürgerkriege bekämpfen können. Deutschland könnte sich hier bei der Erarbeitung einer Roadmap für die Region, aber auch bei der Etablierung multilateraler Sicherheitsstrukturen im arabischen Umfeld der EU einbringen. Lassen Sie mich einige Sätze zu Tunesien sagen; denn das Land – es wurde mehrfach unterstrichen – ist ein Hoffnungsträger nach dem Arabischen Frühling. Ziel der Anschläge war es, das Land zu schwächen und auch dadurch zu destabilisieren, dass die Reisenden ausbleiben. Deshalb ist es wichtig, Tunesien den Rücken zu stärken. Es war genau die richtige Antwort, dass die Innenminister der betroffenen Staaten an den Strand von Sousse gekommen sind, Arm in Arm beieinanderstanden – trauernd, aber auch den Morden trotzend – und zusammen Stärke gezeigt haben. Es war auch richtig, dass Bundeskanzlerin Merkel vor wenigen Wochen den tunesischen Präsidenten als Gast zum G-7-Gipfel eingeladen hat. Der erfolgreiche Weg Tunesiens in die Demokratie ist eine Angelegenheit von uns allen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Tunesien scheitert. Das war auch die Botschaft dieser Einladung. Insofern war es völlig richtig, sie auszusprechen. Natürlich muss man mit den betroffenen Staaten in Sicherheitsfragen kooperieren. Deutschland unterstützt ja die Weiterbildung der Sicherheitskräfte in Tunesien. Wir sollten aber auch im zivilgesellschaftlichen Bereich zusammenarbeiten, Austausch und Partnerschaften fördern, um das gegenseitige Verständnis zu stärken. Das gilt nicht nur für Tunesien. Meine Damen und Herren, der Terrorismus zielt darauf, Ziele psychologisch zu erreichen, die man im direkten Kampf nicht erreichen kann. Ein wirksames Mittel im Kampf gegen den Terrorismus besteht darin, diesen Kreislauf zu durchbrechen, rational zu sein und manchmal vielleicht auch etwas stur zu sein, nach dem Motto: Jetzt erst recht! – Lassen Sie uns jetzt erst recht für offene, demokratische Gesellschaften überall auf der Welt kämpfen! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat Marian Wendt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marian Wendt (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! „Das nächste große Schlachtfeld ist Europa“ – so titelte Die Welt vor drei Tagen. Von Schlachtfeldern haben wir in Europa meiner Meinung nach mehr als genug. Doch leider ist die Befürchtung, dass Europa zum Schlachtfeld religiös motivierter Terroristen werden könnte, überhaupt nicht irrational. Die letzten Monate und Jahre haben gezeigt, dass Menschen, denen unsere Freiheit nicht gefällt, aktiv sind und ihre Schandtaten hier ausüben. Streng genommen ist Europa schon lange mittendrin. Auch wenn es in Deutschland Gott sei Dank noch keinen großen Anschlag gab, so ist auch hier der islamistische Terrorismus präsent. Die Attentäter des 11. September lebten unter uns in Hamburg, und nur dank der guten polizeilichen und nachrichtendienstlichen Arbeit konnten terroristische Gruppen in Deutschland rechtzeitig ermittelt werden. Die Bilder des Bonner Rollkoffers und von der Sauerland-Gruppe sind uns noch allen im Gedächtnis. Religiöser Extremismus ist für uns in Deutschland ein relativ neues Phänomen, das unsere pluralistische und freiheitliche Gesellschaft vor große Herausforderungen stellt. Das besonders hohe Gewaltpotenzial des islamistischen Extremismus zeigt, wie akut die Bedrohungslage ist. In dieser Woche wurde der Verfassungsschutzbericht 2014 veröffentlicht. Danach leben allein in Deutschland 43 000 Personen, die zur islamistischen Szene gezählt werden. Das sind doppelt so viele Personen wie in der links- und rechtsextremistischen Szene zusammen. Wir sehen also: Es gibt ein großes Problem, das wir entschieden bekämpfen müssen. Aber ich muss auch feststellen: Die Muslime in Deutschland und auch weltweit leben grundsätzlich friedlich. In Bezug auf Wertvorstellungen und Lebensart überwiegen bei Christen und Muslimen die Gemeinsamkeiten. Kürzlich, zu Beginn des Ramadan, gab es unzählige Veranstaltungen zum gemeinsamen Fastenbrechen, an denen viele Kolleginnen und Kollegen teilnahmen. Aber auch gemeinsame Weihnachtsfeiern sind in unserem Land üblich geworden. Jedoch gibt es die wenigen, deren extreme, radikale und fundamentalistische Lesart des Koran Gewalt und Menschenrechtsverletzungen verherrlicht und schließlich den Terror hervorbringt. Der Islam wird von Fanatikern instrumentalisiert. Er wird missbraucht, um christliches Leben in Nahost zu vernichten. Die Verfolgung von Christen im Irak und in Syrien ist ein trauriges Beispiel dafür. Der Islam wird missbraucht, um Menschen zu schlachten und um aus Hass zu morden. Hier hört religiöse Toleranz auf. Hier hört die Toleranz unseres Rechtsstaates auf. Aus meiner Sicht sind die Vertreter des moderaten -Islam als unsere Partner und Mitmenschen besonders gefordert. Sie finden bei den Islamisten eher Gehör, und sie haben die kulturelle Kompetenz, ihr Gegenüber besser zu verstehen. Daher sind sie der beste Partner für die so wichtige Präventionsarbeit gegen Radikalisierung; darüber haben wir bereits mehrfach gesprochen. Ich fordere hier und jetzt die Vertreter des moderaten, freiheitlichen Islam auf, ein klares Bekenntnis zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung abzulegen. Es ist nicht zu viel verlangt, dass diejenigen Muslime, die fest auf dem Boden der Verfassung stehen, dies als deutliches Signal nach innen senden: (Beifall bei der CDU/CSU) in die Umma, in die islamische Ökumene und in die -Moscheegemeinden hinein; denn ihr Signal hat dort, wo es darauf ankommt, Gewicht. Die innerislamische Debatte kann sich insbesondere durch Vorbilder entwickeln, die sich für Humanität ohne Vorbehalte, für Friedfertigkeit und Toleranz starkmachen. Diese Werte teilen wir. Ohne Muslime, die Fanatikern die Stirn bieten, werden wir dem islamistischen Terror in unserem Land nicht Herr werden. Allen polizeilichen und nachrichtendienstlichen Maßnahmen, die ich für wichtig und richtig halte, zum Trotz: Es geht nicht um ein „Wir und die“, das Christen und Muslime trennt, sondern es geht um ein Bündnis von freiheitsliebenden Menschen, das den Feinden der Freiheit gemeinsam gegenübersteht. Dies sage ich aus wichtigen Abwägungsgründen; denn wir können an der Schraube polizeilicher und nachrichtendienstlicher Maßnahmen nur bis zu einem gewissen Grad drehen. Wenn Freiheit und Sicherheit aus dem Gleichgewicht geraten, dann haben wir ein Problem. Daher brauchen wir einen Mix aus mehr Aufklärungs- und Präventionsarbeit. Aber wenn dies nicht mehr hilft und wir in den Bereich der polizeilichen Gefahrenabwehr kommen, dann brauchen wir alle rechtsstaatlichen Polizeimaßnahmen, natürlich auch die Verkehrsdatenspeicherung, weitere nachrichtendienstliche Maßnahmen und die Wohnraumüberwachung, um der islamistischen Bedrohung Herr zu werden. Zum Schluss der Debatte möchte ich zusammenfassen: Die aktuelle Lage in Bezug auf den islamistischen Terror stellt uns vor neue Herausforderungen. Aber ich denke – und das haben alle Kolleginnen und Kollegen heute deutlich gemacht –: Gemeinsam stehen wir auch überparteilich zusammen, um den Terror, der unsere Freiheit bedroht, zu bekämpfen. Vor diesem Gebäude hat ein bedeutender Mann, Ernst Reuter, gesagt: Wir wählen die Freiheit. – Darum muss es uns auch weiterhin gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aktuelle Stunde. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohngeldrechts und zur Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes (WoGRefG) Drucksache 18/4897 (neu) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/5324 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5328 Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Als erste Rednerin hat für die Bundesregierung die Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sechs Jahre lang ist das Wohngeld nicht verändert worden. In dieser Zeit – das erleben wir alle – sind die Mieten in vielen Regionen deutlich gestiegen. Ich finde, es ist höchste Zeit, das Wohngeld zu verbessern. Damit greifen wir den Menschen, deren Einkommen nicht so hoch ist, ein Stück weit unter die Arme. Wir sorgen dafür, dass auch für sie das Wohnen bezahlbar bleibt. Dafür haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen eingesetzt. Ich bin sehr froh, wenn uns dies nun gelingt. Das Wohngeld ist ein Bauteil unserer Politik, die darauf abzielt, das Wohnen in Deutschland bezahlbar zu halten. Für diese Politik setzen wir viele Hebel an. Wir wollen auch, dass in Deutschland wieder mehr gebaut wird, vor allem auch im Bereich des sozialen Wohnungsbaus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen, dass wieder mehr Menschen Wohngeld bekommen und dass die Wohngeldhaushalte mehr Wohngeld erhalten. Seit der letzten Wohngeldreform im Jahr 2009 sind die Bruttokaltmieten und die warmen -Nebenkosten deutlich gestiegen, also die Bruttowarmmieten insgesamt angestiegen. Wir wollen die Tabellenwerte an die Einkommens- und Mietenentwicklung anpassen und erhöhen sie um durchschnittlich 39 Prozent. Davon profitieren alle Wohngeldhaushalte, unabhängig von ihrem Wohnort und dem Mietenniveau. Sie alle wissen: In einigen Regionen sind die Mieten deutlich gestiegen und in anderen nicht. Deshalb passen wir die Miethöchstbeträge an die regional unterschiedlichen Mietentwicklungen an. Rund 870 000 einkommensschwache Haushalte werden von der Wohngeld-reform profitieren. Rund 324 000 Haushalte werden erstmals oder erneut einen Anspruch auf Wohngeld haben. Darunter werden etwa 90 000 Haushalte sein, die von der Grundsicherung ins Wohngeld wechseln können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hinter diesen Zahlen stehen Hunderttausende Menschen, die lange auf die Wohngelderhöhung gewartet -haben. Wir haben diese Erhöhung versprochen, und wir halten gemeinsam Wort. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurden viele weitere Punkte erörtert. Dazu zählen die Klimakomponente, die Heizkostenkomponente und eine Dynamisierung. Lassen Sie mich kurz darauf eingehen: Wir wollen, dass sich möglichst viele Haushalte energetisch sanierte Wohnungen leisten können. Einige -haben kritisiert, dass keine eigenständige Heizkostenkomponente enthalten ist. Es ist allerdings so: Ob die Heizkosten, wie 2009, durch eine Heizkostenkomponente oder, wie im vorliegenden Gesetzentwurf, bei den Tabellenwerten berücksichtigt werden, hat auf die Höhe des Wohngeldes in den meisten Fällen keinen Einfluss. Lassen Sie mich schließlich noch etwas zur Dynamisierung sagen – ich habe mich dazu schon in der Regierungsbefragung im März geäußert –: Eine Dynamisierung des Wohngeldes ist unter sozialen Gesichtspunkten natürlich wünschenswert. Selbstverständlich kenne ich aber auch die Position des Bundesfinanzministers. Das Wohngeld ist ein sozialpolitisches Instrument. Wir stärken die Position von Menschen mit niedrigem Einkommen auf dem Wohnungsmarkt. In diesem Zusammenhang ist der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD für mich sehr gut nachvollziehbar und auch wirklich gut. Er sieht vor, das Wohngeld alle zwei Jahre zu überprüfen, erstmals zum 30. Juni 2017, und damit früher als noch im Gesetzentwurf vorgesehen eine Evaluierung vorzunehmen. Mein Ziel ist es – ich denke, das werden wir gemeinsam schaffen –, dass die Wohngeldverbesserung am 1. Januar des nächsten Jahres in Kraft tritt. Wir alle wissen, dass viele Menschen dringend darauf angewiesen sind. Wir sollten sie nicht länger warten lassen, sondern dieses gute Gesetz gemeinsam verabschieden. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Heidrun Bluhm von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland geht immer weiter zurück. Wir haben aus verschiedenen Studien bereits zur Kenntnis genommen, dass insgesamt 4 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland fehlen. In Wachstumsregionen und in Hochschulstädten ist Wohnen für viele Menschen mittlerweile unbezahlbar geworden. Das Lohnniveau kann mit der Steigerung der Mietpreise nicht mithalten. Das ist der Alltag vieler Mieterinnen und Mieter bei uns im Land. Aber das ist auch die Ausgangslage für uns im Parlament, an der wir die vorgelegte Wohngeldnovelle messen müssen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der uns vorgelegt wurde, ist ein dicker Roman. Wir haben ein aufwendiges Verfahren von Referentenentwurf, Regierungsentwurf, erster Lesung im Parlament, Expertenanhörung und Beratung in den Ausschüssen bis zur zweiten und dritten Lesung heute hier hinter uns gebracht. Man könnte vermuten, dass jetzt alles gut wird, vor allem auch vor dem Hintergrund dessen, was die Ministerin hier eben vorgetragen hat. Man könnte glauben, das ist ein großer Wurf. Aber weit gefehlt. Die Bundesregierung nimmt lediglich zur Kenntnis, dass eine Wohngeldreform im Allgemeinen begrüßt wird und diese auch dringend gebraucht wird. In der Anhörung zum Beispiel war schnell klar, dass die Sachverständigen nicht als Claqueure zu uns gekommen sind. Vielmehr hatten sie ernsthafte Kritik und viele kluge Änderungsvorschläge im Gepäck. Nichts davon, aber auch gar nichts davon hat die Bundesregierung zur Kenntnis genommen; wahrscheinlich konnte sie es wegen Herrn Schäuble nicht in den Gesetzentwurf einarbeiten. Der vorgelegte Entschließungsantrag der Koalition zeigt noch einmal die Ignoranz und die Lebensferne, die an den Tag gelegt werden. Dabei sollte man an dieser Stelle für die Bürgerinnen und Bürger, die davon betroffen sind, tatsächlich ernsthaft etwas zum Positiven ändern. Dem Anspruch, dass mit dieser Wohngeldreform die Durchmischung von Wohnquartieren erhalten bleibt und der Ghettobildung vorgebeugt wird, wird diese Novelle jedenfalls nicht gerecht. Auch den Anspruch der vollen Wahlfreiheit bezüglich der eigenen Wohnung kann diese Novelle aus meiner Sicht in keiner Weise umsetzen. Frau Hendricks sagte eben: Wir wollen, dass die Haushalte wieder mehr Wohngeld erhalten. Ja, sie bekommen, wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, sicherlich mehr Geld, aber es wird ja nur aufgeholt, was schon seit sieben Jahren wegen dieser Diskrepanzen zwischen Lohnentwicklung und Mietentwicklung abgespart worden ist. Das ist aus meiner Sicht Augenwischerei. Diese Augenwischerei wird die Linke ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Der Entschließungsantrag der Grünen geht aus unserer Sicht deutlich über den Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen hinaus. In vielen Punkten könnten wir dem zustimmen. Aber leider, Herr Kühn, bleiben auch Sie mit Ihrem Entschließungsantrag im bestehenden Denkschema der bisherigen Wohngeldpolitik hängen. Deshalb werden wir uns enthalten. Das ganze System der Wohngeldleistung hat einen grundlegenden Konstruktionsfehler: Es schaut nicht nach vorn, es schaut nicht in die Zukunft, sondern es repariert nachträglich und notdürftig die schlimmsten Schäden der vergangenen sieben Jahre. Die Überprüfung des Wohngeldes in bedarfsgerechten Abständen – was auch immer das sein soll – sichert eben nicht, dass dessen Leistungsfähigkeit erhalten bleibt, sondern bestenfalls – so wie mit der aktuellen Reform vorgeschlagen –, dass die bereits eingetretenen Wirkungsverluste lediglich für kurze Zeit wieder ausgeglichen werden. Das gegenwärtige Wohngeldsystem ist nicht geeignet, der ständig größer werdenden Lücke zwischen steigenden Wohnkosten und dem niedrigen Einkommen der wohngeldberechtigten Menschen wirkungsvoll, dauerhaft und vor allem vorbeugend entgegenzuwirken. Wir brauchen aber ein Wohngeld, das die klaffende Lücke zwischen realem Einkommen und Mietsteigerungen wirklich schließt. Genau das schlagen wir mit unserem Entschließungsantrag vor. (Beifall bei der LINKEN) Die Ausgangsprämissen unserer Vorschläge sind: Erstens. Menschen mit Anspruch auf Wohngeld sollen unter Berücksichtigung angemessener Wohnungsgröße und -ausstattung nicht mehr als 30 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für Wohnkosten ausgeben müssen. Das wäre eine wirkliche Dynamisierung. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke will, dass Haushalte nach Abzug der Miete am Anfang des Monats auch noch Geld haben, um mit den Kindern in den Zoo oder ins Kino gehen oder auch einmal mit der Oma einen Kaffee trinken zu können. Zweitens. Der Wohngeldanspruch muss sich aus der tatsächlich zu zahlenden Bruttowarmmiete ableiten. Die Linke will, dass alles, was im Zusammenhang mit dem Wohnen bezahlt werden muss, auch Grundlage der Wohngeldberechnung wird. Denn steigende Kosten für Energie und öffentliche Abgaben führen auch zu spürbaren Mehrkosten für Mieterinnen und Mieter, und das Jahr für Jahr. Drittens. Der Höchstbetrag des Wohngeldes muss sich aus der ortsüblichen Vergleichsmiete bzw. dem Mietspiegel der jeweiligen Gemeinde ableiten. Die Linke will, dass alle Mieterinnen und Mieter wirkliche Wahlfreiheit bekommen, wo sie wohnen, in allen Stadtteilen und bei allen Anbietern von Wohnraum. Nur so verhindern wir wirklich Segregation und Ghettoisierung. (Beifall bei der LINKEN) Viertens. Die Einkommensgrenze für den Wohngeldanspruch und die zu berücksichtigende Wohnungsgröße sollen sich an den Bemessungsgrenzen für Wohngeldberechtigungsscheine nach dem Wohnraumförderungsgesetz orientieren. Die Linke will, dass die regionalen Unterschiede auf dem Wohnungsmarkt in der gesamten Republik tatsächlich berücksichtigt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass jederzeit die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um das Wohngeld künftig bedarfsgerecht, dauerhaft und auskömmlich auszustatten. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Ich komme zum Schluss. – Die Linke will also eine wirkliche Reform des Wohngeldes, eine Reform für alle Bürgerinnen und Bürger, um das Grundrecht auf angemessene Wohnung überall zu gewährleisten. Um das zu untersetzen, – Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Nein. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): – werden wir demnächst mit Ihnen über das Thema Gemeinnützigkeit diskutieren. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die Zeit ein bisschen im Auge zu behalten. Wir haben noch eine sehr, sehr lange Tagesordnung und viele namentliche Abstimmungen. Deshalb bitte ich Sie wirklich, die Zeit im Auge zu behalten. (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Entschuldigung!) Als nächste Rednerin hat Yvonne Magwas von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Yvonne Magwas (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte schließen wir die Novelle zum Wohngeldgesetz erfolgreich ab. Damit setzen wir ein weiteres Vorhaben des Koalitionsvertrages um. Das Leistungsniveau des Wohngeldes wird angehoben. Einkommensschwache Haushalte werden damit auch angesichts der zunehmenden regionalen Engpässe auf dem Wohnungsmarkt sowie der steigenden Mieten und Heizkosten schnell, wirkungsvoll und treffsicher entlastet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Insbesondere Bürger mit niedrigem Einkommen und niedrigen Renten sowie kurzfristig Arbeitslose profitieren von unserer Reform. Damit schaffen wir auch eine schnelle Verbesserung für diejenigen, die fortan wieder Wohngeld beziehen können oder einen höheren Wohngeldanspruch haben. Ich denke, es ist uns gelungen, den ordentlichen Gesetzentwurf der Bundesregierung in den parlamentarischen Beratungen der letzten Wochen abzurunden. Sowohl die Anregungen des Bundesrates als auch die Erkenntnisse aus der Anhörung der Experten konnten aufgegriffen werden. Zusätzlich haben wir die Baustellen für die Zukunft in unserem Entschließungsantrag festgehalten. Damit nehmen wir auch die weitere Entwicklung im Wohngeldbereich in unser Blickfeld. Unsere wohnungspolitische Perspektive ist aber insgesamt weiter zu fassen. Mit dem vor einem Jahr gegründeten Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen soll ein ganzes Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der Lage auf dem Wohnungsmarkt erarbeitet werden. Nach nun zwölf Monaten warten wir mit Spannung auf den angekündigten Zwischenbericht. Sie kennen mein Credo: Bauen, bauen, bauen! Der Blick auf die Zahlen bestätigt es nämlich täglich: Wir sind noch weit weg von den Wohnungsbauzahlen, die für einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt erforderlich sind. Die konkreten Vorschläge des Bündnisses müssen geeignet sein, genau diese Lücke zu schließen. Wer eine neue Wohnung braucht, sollte sie auch in einer vertretbaren Zeit finden können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein kleiner Vorgeschmack auf das Maßnahmenpaket ist hoffentlich das neue Förderprogramm für nachhaltiges Wohnen für Studierende und Auszubildende. Architektonische, bauliche und technische Innovationen -sollen helfen, die Lage auf diesem Segment des Wohnungsmarktes zu verbessern. Gerade auch mit Blick auf den Zuzug von Studierenden und Auszubildenden ist dies dringend geboten. Mit insgesamt 120 Millionen Euro können viele Modellvorhaben gefördert werden, und das Problem kann mittelfristig gelöst werden. Meine Damen und Herren, ich sage ganz bewusst: Wir brauchen insgesamt mehr Investitionen in den Wohnungsmarkt. Auch wollen wir uns nichts vormachen: Die öffentliche Hand oder die öffentlichen Unternehmen allein sind damit hoffnungslos überfordert. Wir brauchen also auch wirksame Anreize für zusätzliche private Investitionen in den Wohnungsmarkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vor diesem Hintergrund warne ich vor der gegenwärtig vielerorts aufkommenden Stimmungsmache gegen private Vermieter oder die Wohnungswirtschaft im Allgemeinen. Sicher, es gibt vereinzelt schwarze Schafe, (Ulli Nissen [SPD]: Leider viel zu viele!) aber diese kritikwürdigen Einzelfälle rechtfertigen noch lange keine Verallgemeinerung und schon gar keinen gesetzgeberischen Aktionismus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun zurück zum Wohngeld. Das Wohngeld ist eines der wichtigsten Werkzeuge der sozialen Wohnungspolitik in Deutschland. Es hat sich bewährt und wird von den Bürgern als echte Hilfe geschätzt. Neben der Mietpreisbremse und dem angesprochenen Bündnis ist die Erhöhung des Wohngeldes ein weiterer wichtiger Schritt der Koalition, das Wohnen in Deutschland bezahlbar zu machen. Bereits heute beziehen knapp 700 000 Haushalte einen Wohngeldzuschuss. Der Zuschuss entlastet sie bei der Miete oder den Aufwendungen für Wohneigentum. Das Wohngeld sorgt dafür, dass die bezugsberechtigten Haushalte trotz eines geringen Einkommens ihre Kostenbelastung durch die Miete deutlich senken können. Es hilft, steigende Mieten auszugleichen, ohne die gewohnte Umgebung durch Wegzug in günstigere Quartiere verlassen zu müssen. Damit schützen wir auch die Quartiere vor Gentrifizierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Wohngeld ist effizient und treffsicher. Es ist auf den individuellen Bedarf eines Haushaltes ausgerichtet. Auch regionale Faktoren wie das unterschiedliche Mietniveau werden berücksichtigt. Wegen der steigenden Mieten und Einkommen muss das Wohngeld in Abständen nachjustiert werden. Seit der Einführung des Gesetzes wurde es aus diesem Grund in der Vergangenheit mehrfach novelliert, zuletzt im Jahr 2009. Mit der diesjährigen Erhöhung werden künftig rund 870 000 Haushalte zusätzlich Wohngeldleistungen erhalten können. 90 000 Haushalte werden durch die Wohngeldreform künftig, statt Leistungen aus der Grundsicherung zu beziehen, wieder in den Wohngeldbezug wechseln. Mit der Reform werden auch die Kommunen entlastet. Für sie macht es nämlich einen großen Unterschied, ob jemand Wohngeld oder Grundsicherung bezieht. Die Grundsicherung muss die Kommune stemmen, während das Wohngeld aus den Mitteln von Bund und Ländern -finanziert wird. Wenn 90 000 Haushalte wieder Wohngeld statt Grundsicherung beantragen können, dann entlasten wir damit auch die Haushalte der Kommunen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Wohngeld hat eine bessere strukturelle Anreizwirkung als die Grundsicherung. Höheres Einkommen bei Wohngeldbezug führt automatisch zu einem höheren Nettoeinkommen für den Haushalt. Wer ein zusätzliches Einkommen von 10 Euro bezieht, der verliert im Gegenzug nur circa 3 Euro Wohngeld. Damit setzt das Wohngeld bessere Anreize zur Einkommenssteigerung als das Grundsicherungssystem. Das, meine Damen und Herren, ist ein weiterer Grund, warum die uns heute vorliegende Novelle so wichtig ist. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit hat eine Anhörung von Sachverständigen zum Gesetzentwurf durchgeführt. Dort haben alle Sachverständigen unisono die Reform des Wohngeldgesetzes begrüßt. Natürlich haben wir mit den Experten auch darüber beraten, wie wir das Wohngeld auch in Zukunft leistungsfähig halten können. Wir werden gesetzlich verankern, dass das Wohngeld alle zwei Jahre überprüft wird. (Ulli Nissen [SPD]: Das war schon ein harter Kampf!) Das bleibt kein interner Prozess, meine Damen und Herren; vielmehr muss die Bundesregierung die Prüfergebnisse dem Deutschen Bundestag und damit der Öffentlichkeit vorlegen. (Ulli Nissen [SPD]: Sehr gut!) Die Prüfung betrifft die Höchstbeträge für Mieten, die Mietenstufen und die Höhe des Wohngeldes. Dabei ist der bundesdurchschnittlichen und der regionalen Entwicklung der Wohnkosten sowie der Veränderung der Einkommensverhältnisse und der Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen. Diese aufgezählten Bedarfsfaktoren verändern sich ständig und sind regional unterschiedlich. Wir wollen das Wohngeld in seiner Leistungsfähigkeit und Effizienz erhalten und einer jährlich abnehmenden Leistungswirkung sinnvoll begegnen. Ohne Anpassung würden wie bislang zahlreiche Haushalte durch Einkommenssteigerungen aus dem Wohngeldbezug herauswachsen. Andere Haushalte wechseln in die Grundsicherung oder Hartz IV. Der damit verbundene bürokratische Aufwand – sowohl für die Kommunen als auch für die Betroffenen – ist sinnlos und hilft niemandem. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir möchten eine präzise Überprüfung und eine möglichst umfassende Information über die Lage am Wohnungsmarkt. Die Berechnung des Wohngeldes bezieht, wie gesagt, viele unterschiedliche Einflüsse mit ein, zum Beispiel die Mietenhöhe, die Einkommensentwicklung und die regionalen Faktoren. Das sich daraus ergebende Bild fällt für Deutschland sehr heterogen aus. Für die Berechnung brauchen wir daher dringend einen fundierten Wohngeld- und Mietenbericht der Bundesregierung. Dafür wollen wir auch die Bundesländer mehr in die Verantwortung nehmen. Das macht Sinn; denn die Länder sind seit 2007 für Wohnungsbaumaßnahmen wie den sozialen Wohnungsbau oder, ganz neu, für die Ausweisung von Gebieten, in denen die Mietpreisbremse gilt, zuständig. Zentraler Bestandteil wird dabei sicherlich der freiwillige Bericht der Länder gegenüber dem Bund sein. In diesem Bericht wollen die Länder den Bund regelmäßig über die Wohnraumförderung und den Einsatz der Entflechtungsmittel zur Finanzierung von Maßnahmen des Wohnungsbaus informieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe unseren Entschließungsantrag bereits erwähnt. Wir wollen ergebnisoffen prüfen, ob es einen cleveren, einen intelligenten Mechanismus gibt, der das leidliche immer wiederkehrende Herauswachsen bzw. Herausfallen aus dem Wohngeldbezug und Hineinfallen in die Grundsicherung stoppt. Ich bin sehr optimistisch, dass wir den Drehtür-effekt gut in den Griff bekommen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Abschließend möchte ich allen Beteiligten herzlich für die wirklich sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit in den letzten Wochen danken. (Ulli Nissen [SPD]: Kann ich zurückgeben!) Sowohl die Führungs- und Fachebene des BMUB als auch die Länderministerien als auch die Mitglieder der Koalitionsfraktionen haben gute Arbeit geleistet. Dem Gesetzentwurf kann damit mit gutem Gewissen zugestimmt werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Christian Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland ist nicht alles gut, Frau Magwas: Die Mieten explodieren weiterhin, Häuser werden luxussaniert, bezahlbarer Wohnraum ist in vielen Städten knapp und längst zur Ware und zum Spekulationsobjekt geworden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Deshalb handeln wir ja!) Durch Gentrifizierung werden ganze Bevölkerungsschichten an den Rand der Städte gedrückt. Ich finde, damit muss endlich Schluss sein in Deutschland! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wohnen ist ein elementares Grundbedürfnis, und jeder hat ein Recht auf bezahlbaren Wohnraum. Hier wurde bereits eine Gesamtstrategie der Bundesregierung vorgestellt. Zu so einer Gesamtstrategie, die Frau Hendricks erwähnt hat, gehört aus meiner Sicht ein sozial-ökologisches Mietrecht. Ich finde, davon sind wir noch weit entfernt. Wir warten auf die Modernisierungsumlage, die Sie ja auch reformieren wollen. Einen gemeinwohlorientierten sozialen Wohnungsbau, der sich wirklich an gemeinnützigen Kriterien orientiert, kann ich in Deutschland in vielen Bereichen nicht erkennen, eher einen hochpreisigen Eigentumswohnungsbau. Ich kann auch nicht erkennen, dass Sie mit dieser Reform das Wohngeld wirklich nach vorne bringen. Ich finde, mit dieser Wohngeldreform, die Sie uns heute hier vorlegen, haben Sie eine große Chance vertan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Sie hätten hier zeigen können, wie Sie Klimaschutz und Wohnen und wie Sie soziale Gerechtigkeit und Wohnen zusammenbringen wollen. Diese Novelle trägt aber leider nicht die Handschrift derjenigen, die heute hier gesprochen haben. Frau Hendricks hat das ja auch freimütig zugegeben. Sie trägt halt die Handschrift von Wolfgang Schäuble und den Haushältern der Großen Koalition mit ihren Rotstiften, die zum wiederholten Male – wie auch bei der Liegenschaftspolitik – beim Wohngeld eine vernünftige und gute Wohnungspolitik verhindert haben. Es gab ja die gemeinsame Anhörung der Sachverständigen. Frau Magwas, alle Sachverständigen haben natürlich gesagt, es sei gut, dass jetzt endlich einmal etwas passiert. (Yvonne Magwas [CDU/CSU]: Ja, genau!) Sie haben aber auch gesagt, dass der Gesetzentwurf zum Wohngeld, den Sie vorlegen, sehr große Fehler hat. Das haben sowohl der Deutsche Städtetag, der Deutsche -Caritasverband, der Deutsche Mieterbund, die Wohnungswirtschaft als auch das Institut der deutschen Wirtschaft gesagt. Es gibt nämlich drei grundlegende Elemente, die in Ihrer Wohngeldreform fehlen: Erstens, die Dynamisierung. Sie stellen den Drehtüreffekt nicht ab. Sie haben selbst noch einmal beschrieben, welche Probleme sich daraus aus sozialpolitischer Perspektive für die Kommunen ergeben, haben es aber nicht geschafft, in dieser Novelle eine Antwort darauf zu geben. Das ist eine vertane Chance. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland Claus [DIE LINKE]) Frau Magwas, Sie haben nun gesagt, diese Anregungen seien aufgenommen worden und es solle in bedarfsgerechten Abständen überprüft werden. Ich sage Ihnen: Nach der Überprüfung in zwei Jahren wird man erst einmal sagen, dass alles in Ordnung ist, weil das Wohngeld gestiegen ist. In vier Jahren wird man wieder überprüfen und feststellen, dass das Wohngeld sinkt und dass man ein Problem mit dem Drehtüreffekt hat. 2021 wird es dann die nächste Novelle zum Wohngeld geben. Das ist viel zu spät. Bis 2021 können die Menschen in unseren Städten, die auf Wohngeld angewiesen sind, eben nicht warten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens, die Heizkostenkomponente. In Ihrer Begründung zum Gesetzentwurf schreiben Sie, dass die Preise für Strom, Gas und Brennstoffe von 2009 bis 2014 um 17 Prozent gestiegen sind, und sie werden auch in den nächsten Jahren steigen. Durch Ihre Novelle werden aber auch diese Heizkosten nicht dynamisiert. Dadurch werden viele Menschen kein Wohngeld mehr -erhalten. Sie tun also auch nichts für den Heizkostenzuschuss, den man auch einmal ohne eine Wohngeld-novelle anpassen könnte. Es ist ein Fehler, dass der Heizkostenzuschuss in dieser Wohngeldnovelle nicht enthalten ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Ich finde, der größte Fehler, den Sie machen, ist die fehlende Klimakomponente. Hier liegt ein Instrument dafür vor, den Klimaschutz und das Wohnen miteinander zu verbinden. Mit diesem Instrument könnte man es sozial schwachen Mieterinnen und Mietern in Deutschland ermöglichen, in gut sanierten Wohnungen zu leben. Ich finde, es ist eine Farce, dass Sie dieses Instrument nicht nutzen, in Ihren Entschließungsantrag jetzt aber wieder schreiben, dass Sie das überprüfen wollen. Sie haben in den NAPE hineingeschrieben, dass Sie es überprüfen wollen, Sie schreiben jetzt hier hinein, dass Sie es überprüfen wollen, und Sie werden irgendwann bestimmt noch einmal beschließen, dass Sie es überprüfen wollen. Ich will aber nicht, dass Sie es überprüfen, sondern dass Sie es einführen. Ich finde, hier vertun Sie eine große Chance für den Klimaschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ihr Entschließungsantrag enthält drei Prüfaufträge. Ich finde, das ist an symbolischer Symbolpolitik fast nicht mehr zu überbieten. Die Menschen in Deutschland erwarten von Ihnen, dass Sie eine zukunftsfeste Wohngeldreform durchführen. Das tun Sie hiermit nicht. Ich finde, Sie haben eine Chance vertan. Das ist nicht nur für die Mieterinnen und Mieter in Deutschland, sondern auch für all jene schade, die darauf hoffen, dass wir auf den Wohnungsmärkten eine Wende hinbekommen. Das tun Sie mit dieser Politik, die Sie uns hier gerade vorgelegt und vorgestellt haben, leider nicht. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Steffen-Claudio Lemme von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Steffen-Claudio Lemme (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte über die Wohngeldreform sprechen wir viel über Zahlen. 870 000 ist beispielsweise die Anzahl der Haushalte, die von der längst überfälligen Anpassung des Wohngeldes an die Mieten- und Einkommensentwicklung profitieren werden. 27 000 davon sind Haushalte von Alleinerziehenden, 320 000 von ihnen erhalten wieder oder zum ersten Mal Wohngeld, und 90 000 werden nicht mehr länger auf die Sozialhilfe angewiesen sein. Als Haushaltspolitiker füge ich noch zwei letzte Zahlen an: 730 Millionen Euro stellt der Bund im kommenden Jahr für das Wohngeld bereit, ein Plus von 100 Millionen Euro gegenüber dem Finanzplan. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jetzt möchte ich keine Zahlen mehr nennen; denn eigentlich müsste die Debatte unter der Überschrift „Arm trotz Arbeit“ stehen. Schließlich reden wir vor allem über berufstätige Bürgerinnen und Bürger, die trotz Arbeit zu wenig verdienen, um sich eine vernünftige Wohnung leisten zu können, oder die aus ihrem gewohnten Umfeld in Randgebiete verdrängt werden. Wir reden über ältere Menschen, die ein langes, hartes Arbeitsleben hinter sich gebracht haben und mit einer Rente auskommen müssen, die ihnen nach Abzug der Miete kaum noch etwas zum Leben übrig lässt. Und wir reden über Familien, deren Einkommen nicht ausreicht, um ihr bescheidenes Eigenheim weiter zu finanzieren. Bei der Wohngeldreform, die wir Sozialdemokraten jetzt nach sieben Jahren Durststrecke auf den Weg bringen, geht es um Unterstützung für ein menschenwürdiges Leben. (Beifall bei der SPD) Diese Wohngeldreform kann nur ein erster Schritt sein. Selbstverständlich dürfen wir bis zur nächsten Reform keine weiteren sieben Jahre vergehen lassen; ein viel zu langer Zeitraum, in dem zahlreiche Menschen die Unterstützung wieder verlieren. Deshalb sollen die Mietenstufen und die Wohngeldhöhe künftig nicht mehr alle vier, sondern alle zwei Jahre überprüft werden. Außerdem haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, mit dem Bund und Länder zur Prüfung einer Klimakomponente im Wohngeld aufgefordert werden. (Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht prüfen, einfach machen!) Das Leben in energetisch saniertem Wohnraum darf aufgrund der höheren Kaltmieten nicht nur Besserverdienenden vorbehalten sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit der Berücksichtigung einer Klimakomponente beim Wohngeld könnten wir Investitionen in die Energieeffizienz befördern, unseren nationalen CO2-Minderungszielen näherkommen und die soziale Durchmischung in den Wohnquartieren stärken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr regiert doch! Macht es doch einfach!) Wir müssen dem Effekt entgegentreten, dass zahlreiche Geringverdiener schon nach kürzester Zeit aus dem Bezug von Wohngeld in die Grundsicherung zurückfallen. Deshalb wollen wir, dass Modelle für eine automatische Anpassung des Wohngeldes untersucht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anhebung des Wohngeldes ist wie der gesetzliche Mindestlohn oder die Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende notwendig, um Armut trotz Arbeit zu bekämpfen. Ich hoffe, die Bürgerinnen und Bürger wissen, welche Fraktion den Vorschlag zur Entlastung in den Deutschen Bundestag eingebracht hat. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Dr. Anja Weisgerber von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist erneut ein guter Tag für Mieterinnen und Mieter in Deutschland. Wir beschließen heute wichtige Leistungsverbesserungen beim Wohngeld. Etwa 870 000 Haushalte werden davon profitieren. Die Koalition ist sich der Herausforderung durch die ansteigenden Mieten, vor allen Dingen in den Ballungsgebieten, durchaus bewusst. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag den wohnungspolitischen Dreiklang beschlossen: Investitionstätigkeit stärken – das ist ganz wichtig –, sozialen Wohnungsbau wiederbeleben und dies durch Änderungen im Mietrecht politisch flankieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Wohngeldreform leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dass Wohnen bezahlbar bleibt. Das Wohngeld wirkt zielsicher und orientiert sich am individuellen Bedarf der Haushalte sowie den regional unterschiedlichen Mietmärkten. Das Wohngeld ist eine vorverlagerte Sozialleistung und ein wichtiger Baustein, damit sich einkommensschwache Familien bezahlbares Wohnen leisten können und in ihren angestammten Wohnvierteln wohnen bleiben können. Aber das Wohngeld ist wie die Mietpreisbremse nur ein Bestandteil einer Gesamtstrategie. Entscheidend ist, dass es ausreichend bezahlbaren Wohnraum gibt. Daran fehlt es teilweise in einigen Ländern Deutschlands. (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Frage der sozialen Wohnraumförderung aufgeworfen. Diese liegt in der Zuständigkeit der Länder. Die Länder werden der Verantwortung aber höchst unterschiedlich gerecht. Bayern zum Beispiel nutzt die Kompensationsmittel vollumfänglich für soziale Wohnraumförderung. In anderen Ländern sieht es jedoch anders aus. Unser Wunsch ist, dass alle Länder ihrer Verantwortung gerecht werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir werden in die regelmäßige Evaluation des Wohngeldes durch den Wohn- und Mietenbericht auch die Berichte der Länder stärker einbeziehen, gerade weil wir regional sehr unterschiedliche Wohnungsmärkte haben. Dafür sind die Berichte über die Wohnraumförderung und auch die Daten über die Gebiete, in denen die Länder im Zuge der Mietpreisbremse einen angespannten Wohnungsmarkt ausgewiesen haben, sehr wichtig. Wir brauchen diese Daten und Berichte der Länder auch, um bewerten zu können, ob die Gelder des Bundes tatsächlich für die Wohnraumförderung eingesetzt werden. Das werden wir einfordern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zudem werden wir das Wohngeld künftig alle zwei Jahre überprüfen, um zeitnah auch auf Veränderungen reagieren zu können. Auch dafür werden wir die Daten, die in ganz Deutschland evaluiert werden, heranziehen. Neben dem Gesetzentwurf gibt es einen Entschließungsantrag, der auch zur Weiterentwicklung des Wohngeldes beitragen soll. Ein Thema, das mich als Klima-politikerin dabei besonders interessiert, ist sehr wichtig. Zurzeit richtet sich die Berechnung des Wohngeldes nach der Bruttokaltmiete. Dabei gibt es die Problematik, dass die Kaltmiete nach der energetischen Sanierung oft sehr hoch ist, sodass einkommensschwache Haushalte, die Wohngeld beziehen, bei der Anmietung von energetisch sanierten Wohnungen benachteiligt sind. Deswegen müssen wir darauf reagieren. Ja, Herr Kühn, es ist im Klimaaktionsprogramm 2020 enthalten, dass wir das Wohngeld um die Klimakomponente erweitern, und wir wollen dies auch. Aber wir wollen es richtig machen. Dafür brauchen wir den richtigen Weg. Wir müssen Experten und auch die Länder miteinbeziehen und das Ganze mit allen Beteiligten ausverhandeln. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung finden. Denn sie ist wichtig, um auch einen Beitrag zur Energieeffizienz leisten zu können. Wir müssen die Einsparpotenziale im Gebäudebereich nutzen, um unsere Klimaziele zu erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf und dem Entschließungsantrag haben wir unserer Meinung nach ein gutes Paket geschnürt. Die gesamte Koalition – sprich: Union und SPD zusammen – hat dieses Paket auf den Weg gebracht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, dass wir damit alle gemeinsam für unsere Haushalte gute Leistungsverbesserungen in dem Bereich, in dem sie notwendig sind, hinbekommen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Groß (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es schon gehört: Sie sind eine großzügige Präsidentin, was die Redezeit angeht. Ich werde mich aber beeilen, damit wir rechtzeitig fertig werden. Frau Weisgerber, wir bzw. NRW und Bayern werden noch richtig gute Freunde. Wir geben beide die Fördermittel für die soziale Wohnraumförderung zweckgebunden aus. Wir haben ein großes Ziel: Wir brauchen mehr sozialen Wohnraum und mehr soziale Wohnraumförderung. Deswegen müssen wir mit Blick auf die wachsenden Anforderungen in den Regionen dafür sorgen, dass wir noch mehr Geld, aber zweckgebunden, in die soziale Wohnraumförderung einspeisen. (Beifall bei der SPD) Ich hoffe, dass Sie uns dabei unterstützen werden und wir einen gemeinsamen Weg gehen. (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Bei Herrn Schäuble durchsetzen!) Frau Bluhm, ich bin von Ihren Reden sonst immer begeistert. Aber heute haben Sie gesagt, wir hätten das, was in finanzieller Hinsicht bisher nicht erfolgt ist, nicht einmal aufgeholt; die Menschen seien aus dem Wohngeld herausgefallen; es sei kein großer Wurf. Ich bin froh, dass so viele Menschen – fast 900 000 – wieder davon profitieren. 300 000 sind neu hinzugekommen. Das ist ein großer Gewinn für uns und vor allen Dingen für die Menschen. Wir kennen die Zahlen genau. Wie der Kollege Steffen-Claudio Lemme gerade geschildert hat, gehen 9 Prozent der Menschen in Hartz-IV-Haushalten arbeiten. Diese können zwar ihren Lebensunterhalt finanzieren, nicht aber das Wohnen. Das müssen wir ändern; da haben Sie recht. Deswegen haben wir einen sehr intelligenten Entschließungsantrag auf den Weg gebracht. Ich bin sehr froh, dass unser Haushälter gesprochen hat. Wir sind sehr sicher, dass wir in zwei Jahren – wir haben einen entsprechenden Prüfauftrag auf den Weg gebracht – eine Dynamisierung vornehmen und ein Klimawohngeld einführen können. Ich bin sicher, dass wir auf einem sehr guten Weg sind, insbesondere mit der Ministerin und dem Bündnis für das Wohnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich gespannt, ob Sie das machen!) Herr Kühn, viele Dinge brauchen vielleicht eine längere Beratungszeit. Wir haben das Bündnis nicht begründet, weil wir schon alles wussten. Vielmehr wollen wir alle Akteure auf dem Wohnungsmarkt und insbesondere die Fachleute einbinden und punktgenaue und bedarfsgerechte Lösungen finden. Ich bin der Ministerin sehr dankbar, dass sie für September die ersten Ergebnisse angekündigt hat. Ich hoffe, dass wir daraus gute Entscheidungen ableiten werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin der Ministerin auch sehr dankbar, dass sie das Wohngeld in seiner sozialen Funktion stärkt. Wir stärken das Wohngeld als vorgelagertes Sicherungssystem. Vor uns liegen aber noch viele Aufgaben. Das Wohngeld allein kann nicht die sozialpolitischen Probleme lösen, wie zu geringe Einkommen und zu geringe Renten, aber es kann ein Instrument unter vielen sein. Ich will noch zwei Sachverhalte ansprechen, die vielleicht in den nächsten Monaten wichtig werden. Wir müssen die Modernisierungsumlage reformieren. Ich hoffe, dass Heiko Maas im Dezember einen guten Gesetzentwurf vorlegen wird. Ein weiteres großes Thema ist – dann höre ich auf, damit ich einigermaßen in der Zeit bin – die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Wir sind als Bund in der Vorbildfunktion. Ich hoffe, dass wir Lösungen finden werden, insbesondere in den Ballungsregionen. Herzlichen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ankündigen, auch liefern!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank, auch dafür, dass wir noch gut in der Zeit liegen. – Damit kein Missverständnis bei den Kollegen entsteht: Die Präsidentin ist großzügig, wenn wir keinen gedrängten Zeitplan haben. Heute haben wir aber einen gedrängten Zeitplan. Deshalb kann und werde ich heute nicht so großzügig sein. Ich bitte die Kollegen, selber die Zeit im Auge zu behalten; denn unsere Tagesordnung ist sehr lang. Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Wohngeldrechts und zur Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5324, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4897 (neu) in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Ich komme zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Die Opposition. Damit ist der Gesetzentwurf in der dritten Lesung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Zuerst stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/5400 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Es gab keine Enthaltung. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5401. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5402. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt worden. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des -Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem -Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg (Hamburg), Christina Schwarzer, Ursula Groden-Kranich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sönke Rix, Susann Rüthrich, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstellen Drucksachen 18/3833, 18/4988 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs umfassend sicherstellen Drucksache 18/5106 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile als erster Rednerin Frau Susann Rüthrich von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Susann Rüthrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, ganz besonders lieber Herr -Rörig! Liebe Gäste vom Betroffenenrat! Liebes Team von Herrn Rörig! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heute ist es endlich so weit. Wir beschließen die Einrichtung der Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Wir alle waren entsetzt, als vor fünf Jahren die Fälle endlich öffentlich wahrgenommen wurden. In Schulen, in Heimen, in Kirchen und leider in viel mehr Einrichtungen wurden Kinder und Jugendliche über viele Jahre hinweg Opfer sexueller Gewalt. Sie wurden damit alleine gelassen, keiner hat ihnen zugehört, und keiner hat geholfen. Der Brief, in dem sich der Leiter einer dieser Einrichtungen bei den Betroffenen entschuldigte, löste einen Sturm der Entrüstung aus. Dieser Sturm wäre viel früher nötig gewesen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es meldeten sich immer mehr Betroffene. Sie alle hätten viel früher ernst genommen werden müssen. Ihnen hätte viel früher geholfen werden müssen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heute arbeitet der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Missbrauchs, Herr Rörig. Er und sein Team machen einen bewundernswerten Job. Danke dafür. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass diese Arbeit gemacht werden kann, ist auch ein Bekenntnis der Bundesregierung und unseres Hauses. Wir stellen uns dem Thema. Wir wollen es wissen. Wir wollen, dass es nie wieder möglich ist, dass Kindern und Jugendlichen solcher Schaden angetan wird. Wir wollen und werden die Ergebnisse des Runden Tisches umsetzen. So haben wir im letzten Jahr, wie vom Runden Tisch gefordert, das Strafrecht geändert und verschärft. Vor einigen Monaten hat sich der Betroffenenrat konstituiert und seine Arbeit aufgenommen. Jetzt fehlt noch die Aufarbeitungskommission. Betroffene werden dort berichten, was geschah, ihr Leid wird anerkannt und gesehen. Wir werden wissen, wie es dazu kommen konnte, welche Strukturen und welche Bedingungen es möglich gemacht haben, dass Kindern und Jugendlichen jahrelang keine Hilfe geleistet wurde. Dann wird es auch besser gelingen, die Kinder zu schützen, die jetzt, heute und morgen bei uns leben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eines ist mir auch noch wichtig: Die Empörung richtete sich auf einige Schulen und einige Institutionen. -Sexuelle Gewalt an Kindern findet aber an sehr vielen Stellen statt. So wird die Kommission alle Bereiche in den Blick nehmen, auch sexuelle Gewalt, die Kindern in Einrichtungen der Behindertenhilfe angetan wird, auch sexuelle Gewalt im privaten Bereich. Wenn wir den Beschluss heute so fällen, ist aber unsere Arbeit bei weitem noch nicht getan. Die Bundes-regierung, so besagt es der Antrag, soll unterstützen. Das muss aber auch der Bundestag tun. Was heißt das -konkret? Zum einen braucht es zügig Klarheit über die Finanzen und Ressourcen, die zur Verfügung stehen werden. Wir reden von 3 Millionen Euro im Jahr. Es braucht das klare Bekenntnis, spätestens im Herbst, dass das Geld zur Verfügung steht. Danach kann die Kommission gefunden, benannt und eingesetzt werden. In Ihrem Antrag, liebe Grüne, liebe Linke, sprechen Sie davon, dass das Geld, das dafür nötig ist, nicht nur aus dem Etat des Familienministeriums kommen soll. In dem Antragstext fordern Sie die Aufstockung des Etats des Familienministeriums um Mittel in ebendieser Höhe. Das ist etwas verwirrend formuliert. Ich denke, ich weiß, wie Sie das meinen. Meine Forderung wäre trotzdem eine andere: dass die Haushalte aller Ministerien, die mit diesem Thema in Berührung stehen, mitbezahlen und die entsprechenden Haushaltstitel in der nötigen Höhe veranschlagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn damit bekennen auch sie sich zu ihrem Teil der Aufarbeitung und sind dabei, wenn es um das Mitmachen und das Umsetzen geht. Das Ganze ist nämlich weiter eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Folglich sollten alle Ministerien an ihrer Erfüllung mit Geld, mit Ressourcen, mit Know-how, mit inhaltlicher Expertise und natürlich durch volle Kooperation mitwirken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit muss schnell losgehen können; denn sie ist bis 2019 begrenzt, dem Ende der Amtszeit des jetzigen Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das ist doch ein Fehler!) Der Antrag der Linken und der Grünen fordert, dass die Laufzeit der Kommission zur Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern nicht befristet wird. Auch da verstehe ich das Ansinnen; aber diese Forderung überzeugt mich nicht. Ich erwarte von dieser Kommission eine konzentrierte Arbeit, in der es Zwischenberichte und 2019 einen Abschlussbericht gibt. Diese Ergebnisse dürfen dann natürlich nicht einfach nur zur Kenntnis genommen werden. Damit muss dann etwas passieren. Dazu braucht es jemanden, der die Umsetzung begleitet, einfordert und dabei berät. Das wird, so hoffe und erwarte ich es, der Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs sein. Ihn, sein Team und den Betroffenenrat brauchen wir auf Dauer und unbefristet. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Ich wünsche der Aufarbeitungskommission jetzt gutes Gelingen. Ich erwarte deren Ergebnisse gespannt. Ich und alle, die in unserer Fraktion und, wie ich denke, hier im ganzen Haus gebraucht werden, um zu diesem Gelingen beizutragen, stehen bereit – versprochen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Norbert Müller von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen! Die Koalition hat sich seit der ersten Lesung des Antrages auf Sicherstellung der Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch leider nicht bewegt. Die berechtigten Forderungen und Kritiken aus den Verbänden, vom Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs und die Hinweise der gemeinsam agierenden Opposition aus Grünen und Linken wurden von Ihnen schlicht ignoriert. Mit dem hier vorliegenden Antrag schaffen Sie einen zahnlosen Tiger. Das Traurige ist: Das wissen Sie auch. Es wurde Ihnen oft genug gesagt. Sie bleiben weit unter Ihren Möglichkeiten. Da Sie sich guten Argumenten verweigern, lässt das den Schluss zu, dass Sie keine vollumfassende Aufklärung wollen, jedenfalls keine, die besonders auffällt, und das müssen Sie am Ende auch verantworten. (Christina Schwarzer [CDU/CSU]: Das ist eine Frechheit!) Ich erkläre Ihnen gern noch einmal, warum Sie mit diesem Antrag einen Fehler begehen und warum Linke und Grüne einen eigenen gemeinsamen Antrag einbringen mussten. Aufklärung sexuellen Kindesmissbrauchs erfordert Überparteilichkeit und Unabhängigkeit, und hierfür bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Organisationen, in denen sich Täterinnen und Täter – es waren überwiegend Täter – manchmal über Jahrzehnte ungehindert bewegen konnten, stoßen bei der Aufklärung von innen heraus selbst bei bestem Willen – auch das haben wir erlebt – schnell an ihre Grenzen. Sie neigen zu Verzögerungen und zu Vertuschungen. Das haben wir bei den Kirchen gesehen, die mehrere Anläufe gebraucht haben – nicht nur in Deutschland –, oder bei der Odenwaldschule. Aufklärung muss ab einem bestimmten Härtegrad unabhängig geschehen, und das geht eben nur von außen. Die Koalition hat die Kooperationsangebote von Linken und Grünen ausgeschlagen – wir haben sie im Februar nochmals unterbreitet – und damit die Chance vertan, eine parteiübergreifende Position zusammen mit dem Unabhängigen Beauftragten zu suchen und zu finden. Wir bedauern das. Wir wollen den Aufklärern der Kommission echte Ermittlungsinstrumente an die Hand geben: Akteneinsicht und das Recht zur Vorladung von Zeugen. Wir sehen, dass Täter in betroffenen Organisationen sich der internen Anhörung in der Vergangenheit verweigert haben. Wenn die Aufarbeitungskommission klare Ermittlungskompetenzen bekäme – das geht nur mit einer gesetzlichen Grundlage –, könnten sich Zeugen nicht mehr so leicht entziehen. Der CDU/CSU und der SPD geht es um eine billige Variante der Aufklärung – billig im doppelten Wortsinn: Es soll möglichst wenig kosten – das merken wir jetzt bei dem Verschiebebahnhof in der Frage, von welchem Ministerium wie viel Geld kommt; stattdessen sollten Sie nach einem halben Jahr der Diskussion darüber, wie die finanziellen Grundlagen sichergestellt werden sollen, endlich einen konkreten Vorschlag auf den Tisch legen –, und die Ergebnisse sollen auch bitte nicht zu unbequem werden. Eine Aufarbeitungskommission muss aber unbequem sein, auch wenn uns das in Einzelfällen möglicherweise nicht gefällt. (Beifall bei der LINKEN) Dafür darf auf keinen Fall Zeit- und Legitimationsdruck aufgebaut werden, gerade dann, wenn der Politik nahestehende Institutionen betroffen sind. Deshalb ist es erforderlich, die Aufarbeitungskommission auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen und sie unbefristet arbeiten zu lassen. Ich begrüße den Vorschlag, auch die Amtszeit des Unabhängigen Beauftragten nicht irgendwann zu beenden, nach einem Bericht, sondern die Institution unbefristet arbeiten zu lassen. Das ist, finde ich, eine gute Idee. Aber warum sollte man ausgerechnet die Aufarbeitungskommission, Kollegin Rüthrich, befristen? Dafür gibt es überhaupt keinen sachlichen Grund. Aufklärung geht nur umfassend. Hierfür ist eine zusätzliche, langfristige und angemessene Finanzierung vonnöten. Klar ist auch: Das Thema darf bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen nicht der schwarzen Null untergeordnet werden. Hier darf es kein Geschacher um die eine oder andere Million geben. Den Umgang der Koalition mit uns Linken, aber auch mit den Grünen und dem Unabhängigen Beauftragten halte ich für einen unfreundlichen und unkollegialen Akt. Uns wurde an einem Mittwochabend im Januar ein substanzloser Antrag vorgelegt, der schon kurz darauf im Plenum verhandelt wurde. Das mag im parlamentarischen Verfahren völlig üblich sein – das machen alle Fraktionen im Parlament; das ist nicht ungewöhnlich –, aber bei dem gemeinsam formulierten Willen, sexuellen Missbrauch aufzuklären und Missbrauchsstrukturen in der Gesellschaft aufzudecken – dieser Wille ist im Januar von allen Rednern formuliert worden –, ist es völlig unangemessen, so ein eigenbrötlerisches Vorgehen durchzuziehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Da gibt es halt unterschiedliche Auffassungen!) Ich halte das insbesondere gegenüber den Opfern für einen Affront. Eigentlich wäre es angemessen, diesen dünnen Antrag aus den genannten Gründen abzulehnen. Aber das werden wir aus Respekt vor den Opfern und aus Respekt vor der herausragenden Arbeit von Herrn Rörig und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – ich finde es übrigens sehr gut, dass sie auch heute wieder hier sind – nicht machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass die heutige Debatte von einer breiten interessierten Öffentlichkeit aus engagierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Pädagoginnen und Pädagogen und vor allen Dingen von Opfern sexuellen Missbrauchs verfolgt wird. Sie sollten sich bewusst machen, dass diese Menschen zur Kenntnis nehmen, dass der hier von der Koalition vorgelegte Antrag, dieser Beschluss, einen bitteren Beigeschmack verursacht. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass der erklärte Wille zur Aufklärung – ich habe es auszuführen versucht – nicht so umfassend ernst gemeint ist, wie wir uns das gewünscht hätten. Also überzeugen Sie uns vom Gegenteil! Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen, damit der Schleier des Verschweigens und Vergessens von sexuellem Kindesmissbrauch sich nicht wieder ausbreitet. Vielleicht versuchen Sie es in Zukunft wieder, wie in der Vergangenheit bereits geübt, fraktionsübergreifend im Deutschen Bundestag. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Christina Schwarzer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Christina Schwarzer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Müller, ich glaube, das Einzige, was hier unangemessen war, war Ihre Rede heute. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Uns zu unterstellen, wir wollten keine Aufarbeitung, oder die Idee zu formulieren, uns könnten eventuelle Ergebnisse nicht gefallen, das grenzt beinahe schon an Frechheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!) Als wir das heutige Thema am 30. Januar dieses Jahres, nämlich dem fünften Jahrestag der Aufdeckung der Vorfälle am Canisius-Kolleg – die Kollegin Rüthrich hat das schon erwähnt –, in erster Lesung beraten haben, habe ich meinen Beitrag mit der dringenden Bitte beendet, dass die Debatte um die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch nicht verstummen darf, damit der Mut der Opfer von sexuellem Missbrauch nicht umsonst war. Dazu können wir und müssen wir alle beitragen. Mit der heutigen Verabschiedung des Antrags wird die Aufarbeitung, auch der Frage nach dem Warum, weiter fortgesetzt. Wir alle tragen nämlich dazu bei, dass unsere Gesellschaft über das Thema „Sexueller Missbrauch“ spricht. Immer nur dann, wenn wir laut sagen und deutlich machen, dass derartige Abscheulichkeiten in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, schaffen wir ein Klima, in dem Täter sehen müssen, dass die Menschen in unserem Land ihre Taten weder verstehen noch akzeptieren. Vor allem aber – das ist noch viel wichtiger – schaffen wir ein Klima, in dem sich Opfer trauen können, zu sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Unsere Gesellschaft muss den Opfern gegenüber sicherstellen, dass sie sich öffnen können, ohne Angst vor Bagatellisierung, Ausgrenzung oder Unglaube. Wir müssen zuhören und vor allen Dingen verstehen. Auch deswegen ist die Einrichtung einer unabhängigen Kommission zur systematischen und umfassenden Aufarbeitung so wichtig. Wir als Gesellschaft setzen damit ein wichtiges Signal: Ja, wir wollen zuhören. Wir wollen verstehen. Wir müssen helfen und vor allen Dingen aufarbeiten. Die Kommission soll eine besondere Aufmerksamkeit auf die Anhörung von Betroffenen legen und Ursachen identifizieren, die Missbrauch in der Vergangenheit möglich gemacht haben. Ziel ist es, eine breite politische und gesellschaftliche Debatte anzustoßen, Fehler der Vergangenheit zu benennen und damit zum verbesserten Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexueller Gewalt beizutragen. Nicht vergessen dürfen wir, dass die Aufarbeitungskommission auch in den Institutionen helfen kann, in denen junge Menschen Opfer schlimmster Verbrechen wurden. Ich weiß um die Kritik an einigen Institutionen, die mit Beschönigung oder Vertuschung auf Vorfälle in ihren Einrichtungen reagiert haben. Beispielhaft möchte ich heute die Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen in der DDR benennen. Es ist mittlerweile unbestritten, dass beispielsweise im geschlossenen Jugendwerkhof in Torgau körperliche Züchtigungen, Einzelzellenarrest, aber auch sexuelle Kindesmisshandlungen zum Alltag gehörten. Viele davon haben zu Selbstmordversuchen geführt und natürlich auch seelische Schäden hinterlassen. -Sexueller Kindesmissbrauch war Teil eines erniedrigenden, demütigenden und menschenverachtenden Erziehungsregimes in den Heimen der DDR. Auch wenn wir Schmerz und Leiden nicht ungeschehen machen können, ist es trotzdem wichtig, heute noch darüber zu sprechen. Es ist wichtig, dies hier heute auch ausgesprochen zu haben, um deutlich zu machen, dass wir uns daran erinnern und eine schonungslose Aufarbeitung anstreben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Ziel lautet entsprechend: Es darf in Institutionen kein Netz von Mitwissern und Wegschauern mehr geben, die diese schrecklichen Verbrechen in ihrem Ausmaß stützen und möglicherweise sogar noch ermöglichen. Damit müssen wir sensibel umgehen; denn gerade bei Menschen, die diese Verbrechen vermuten oder einen Verdacht haben, besteht viel Unsicherheit. Aber es gibt unter den betroffenen Institutionen auch positive Beispiele, Institutionen, die eine Aufarbeitung bereits begonnen haben. Das müssen wir sehen und positiv herausstellen. Diese Einrichtungen sehen, was manch andere vielleicht noch erkennen müssen: dass die Kommission viel Positives für sie leistet. Sie kann ihnen eine Hilfe sein, Fälle aus der Vergangenheit aufzuarbeiten und so möglicherweise künftiges Leid zu verhindern. Dieses Ziel müssen sich die Institutionen aber auch selbst setzen. Die Aufarbeitungskommission kann und wird den Weg dorthin natürlich unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Bei aller Euphorie über die Einsetzung der Aufarbeitungskommission dürfen wir eines nicht vergessen: Sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wird es vermutlich immer geben, auch jetzt, in diesem Moment. Das seelische Leid und möglicherweise auch körperliche Schäden bei einem Missbrauch begleiten sie das ganze Leben lang. Die Aufarbeitungskommission ist jedoch nur ein Baustein von ganz vielen Bausteinen. Um nur einige zu nennen: der Betroffenenrat – er wurde heute schon genannt –, Opferinitiativen, Präventionsnetzwerke wie beispielsweise „Kein Täter werden“ hier an der Berliner Charité. Aber auch die vor einigen Monaten in diesem Hause beschlossene Verschärfung des Strafrechtes gehört ohne jeden Zweifel in diese Liste, in diesem Zusammenhang vor allem die Verlängerung der Verjährungsfristen; wir sprachen in diesem Hause sehr oft darüber. Oft dauert es Jahre oder Jahrzehnte, bis die Opfer über das Erlebte sprechen können. Dieser Mut darf dann nicht ins juristische Nirvana führen. Ebenso wichtig zu nennen ist der Fonds Sexueller Missbrauch. Das ist übrigens ein gutes Stichwort. Nicht ganz so viele Bundesländer haben bisher in den Topf eingezahlt. Ich finde, alle Kollegen in diesem Hause sind verpflichtet, in ihren Bundesländern klarzumachen, dass da noch die eine oder andere Million fehlt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Bayern hat!) – Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben in der Tat schon eingezahlt. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das könnte man lobend erwähnen!) Man kann sich natürlich immer ein bisschen mehr wünschen: ein bisschen mehr Beteiligung, ein bisschen mehr Geld, aber eben auch ein bisschen mehr Zeit. Das wird ja auch in Ihrem Antrag deutlich. Ich schlage Ihnen Folgendes vor: Lassen Sie uns heute gemeinsam den Beschluss zur Einsetzung der Kommission fassen. Es wäre ein großartiges Signal, auch an die Verbände. Gemeinsam sollten wir dann die Arbeit der Kommission wie auch die gesellschaftliche Debatte weiter begleiten. Die Arbeit der Kommission sollte zwar an die Amtszeit von Herrn Rörig gekoppelt werden, aber ich bin mir sicher, dass seine Arbeit 2019 nicht beendet sein wird. Sie wird fortbestehen, weil eben die Aufgaben der Aufarbeitungskommission vermutlich und leider nie beendet sein werden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Und natürlich auch: Lieber Herr Rörig und Team auf der Tribüne! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich froh bin, dass wir die Aufarbeitungskommission heute, so kurz vor der Sommerpause, doch noch auf den Weg bringen, wenn auch auf den letzten Drücker. Ich will auch daran erinnern, dass wir ursprünglich sehr wohl einen ambitionierteren Zeitplan für die Einsetzung der Kommission hatten. Der Antrag der Koalitionsfraktionen stammt vom 27. Januar 2015. Er ist also ein gutes halbes Jahr alt. Wir müssen festhalten, dass es bis heute zu viele Verzögerungen gegeben hat, vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die Regierungsfraktionen ja an keiner Stelle bewegt haben und auch nicht mit uns als Opposition ins Gespräch gekommen sind. Ich möchte noch einmal sagen, dass ich das sehr bedauere. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt ist es ohne Frage an uns, dem Unabhängigen Beauftragten vollen Rückenwind für die Einrichtung der Kommission zu geben. Ich will an dieser Stelle auch sagen: Wir werden dem Antrag der Koalitionsfraktionen zustimmen, obwohl dieser Antrag die Zustimmung eigentlich nicht verdient hat. Warum machen wir das trotzdem? Wir finden es sehr wichtig, dass es ein klares und auch interfraktionelles Signal gibt, mit dem wir als Deutscher Bundestag zum Ausdruck bringen: Ja, wir wollen diese Aufarbeitungskommission, und wir stehen hinter der Arbeit, die diese Kommission leistet. – Ich finde, dieses Signal sollte von der heutigen Debatte ausgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe; das kann man nicht oft genug sagen. Ich finde, das drückt sich auch in der Einrichtung der Aufarbeitungskommission als einem ganz wichtigen Baustein aus. Wir haben aber gemeinsam mit den Linken einen Antrag eingebracht, den wir heute auch zur direkten Abstimmung stellen, weil wir für eine Aufarbeitungskommission plädieren, die stärkere Rechte hat. Zum einen – das ist schon gesagt worden – wollen wir keine zeitliche Befristung der Kommission. Wenn wir davon ausgehen, dass die Kommission tatsächlich erst 2016 ihre Arbeit aufnimmt und die Laufzeit der Kommission an das Amt des Unabhängigen Beauftragten gekoppelt ist, dann sehen wir: Das sind gerade einmal knappe drei Jahre. Wir können uns eigentlich nur sehr schwer vorstellen, wie eine so umfassende und notwendige Arbeit seitens der Kommission in einer so kurzen Zeitspanne erledigt werden soll. (Beifall der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zum anderen sprechen wir uns für eine gesetzliche Grundlage für die Arbeit der Kommission aus. Ich will meinen Blick einmal nach Irland schweifen lassen. Die Erfahrungen mit der irischen Aufarbeitungskommission zeigen, wie wichtig eine gesetzliche Grundlage ist. Die irische Aufarbeitungskommission hatte nämlich genau das, was wir in unserem Antrag einfordern: Sie hatte die Befugnisse eines Gerichts. Sie konnte Zeugen vorladen, Akteneinsicht beantragen und damit die Strukturen und Mechanismen identifizieren, die sexuellen Missbrauch ermöglicht haben und ermöglichen. Wir befürchten, dass die notwendige Aufarbeitung durch unsere Kommission nicht vollumfänglich stattfinden kann, weil sie mit zu schwachen Rechten ausgestattet ist. Ich möchte noch sagen: Alle hier haben zu Recht über den Mut der Opfer gesprochen, über das erlittene Leid zu sprechen. Wir hätten uns gewünscht, dass die Regierungsfraktionen den Mut aufbringen, hier eine Aufarbeitungskommission mit wirklich starken Rechten einzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir fordern in unserem Antrag auch, eine langfristige Finanzierungsgrundlage für die Kommission zu schaffen, und insbesondere, hierfür den Etat des Bundesfamilienministeriums aufzustocken. Frau Rüthrich, ich fand es eine gewisse Spitzfindigkeit, zu sagen: Alle Ministerien sollen bezahlen. – Das wäre natürlich eine Variante, die auch wir unterstützen würden. Uns geht es darum: Es kann nicht sein, dass – überspitzt gesagt – die heutigen Kinder und Jugendlichen dafür bezahlen sollen, dass die Aufarbeitung vergangenen Missbrauchs geleistet werden kann. – Das ist der Punkt, den wir machen wollen. Das ist bei allen anderen Initiativen dieser Art in den letzten Jahren gelungen. Wir hoffen sehr, dass in den Haushaltsverhandlungen deutlich gemacht werden kann, dass der Bundestag weiter zu einem solchen Prinzip steht. Ich finde es auch sehr ärgerlich, dass wir zum heutigen Zeitpunkt immer noch keine Klarheit über die Finanzierung haben. Das finde ich sehr schade. Es wäre angemessen, darüber heute Klarheit zu erhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte aber auch noch etwas Positives hervorheben, und zwar, dass weiterhin 35 Millionen Euro zur Erforschung der Thematik des sexuellen Missbrauchs zur Verfügung stehen. Auch das war sehr lange nicht klar. Vorletzte Woche hat zur Frage der Forschung ein Hearing beim Unabhängigen Beauftragten stattgefunden. In diesem Hearing ist deutlich geworden, dass es trotz der Anstrengungen, die nach den Vorschlägen der Arbeitsgruppen des Runden Tisches unternommen wurden, noch erheblichen Forschungsbedarf gibt und dass wir insbesondere eine bessere Vernetzung von Praxis und Forschung brauchen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir bringen heute die Einrichtung der Kommission auf den Weg. Das ist ein sehr guter Schritt. Es darf uns aber keineswegs aus der Verantwortung entlassen, in der nächsten Zeit weitere konkrete Schritte zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu tun. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Dr. Silke Launert. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das -Canisius-Kolleg, die Odenwaldschule, Kloster Ettal – immer wieder muss die Öffentlichkeit mit Entsetzen feststellen, dass sexueller Kindesmissbrauch keine Randerscheinung in unserer Gesellschaft ist. Tatsächlich geschieht er mitten unter uns: in Schulen, in Kindergärten, in Sportvereinen, in Kinderheimen, ja, und sogar innerhalb der Familie. Als ehemalige Staatsanwältin kann ich Ihnen erzählen, dass ich während meiner Tätigkeit mit Schrecken feststellen musste, wie viele Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs es in einem überschaubaren geografischen Raum gibt. Dabei ist es so, dass die meisten Taten gar nicht Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht bekannt werden. Seit ich im Bundestag bin und für dieses Thema zuständig bin, haben mir ganz viele Menschen aus meiner Umgebung, aus meinem Bekanntenkreis von ihren Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch erzählt – von eigenen Erfahrungen oder Erfahrungen von Angehörigen. Seitdem weiß ich: Das ist ja fast ein Massenphänomen. Es ist uns lange Zeit nicht so bewusst gewesen. Überall kann es passieren, jederzeit, in allen gesellschaftlichen Schichten – viel häufiger, als wir denken, häufig über Jahrzehnte. Weil keiner das Schweigen bricht, wird es fortgesetzt und das Grauen nimmt kein Ende. Wenn Sie sich die Täter anschauen, die diese sexuellen Neigungen haben und die sie auch ausleben, so stellen Sie fest: Die machen es nicht nur einmal im Leben und nicht nur bei einem Kind; denn wenn das Kind älter ist, kommt das nächste dran. Nach Bekanntwerden der Fälle in den letzten Jahren hat sich einiges getan. Zahlreiche Einzelmaßnahmen wurden ergriffen, und Initiativen wurden gestartet zur Stärkung der Rechte der Opfer, zur Verbesserung der Prävention, zur Erforschung dessen, wie es überhaupt zu sexuellem Missbrauch kommen kann. Doch all das ist noch nicht genug. Wir wissen: Die Täter, die diese Neigung haben, wollen diese häufig wieder ausleben. Es ist völlig klar, dass es weiter dazu kommen kann. Was können wir tun? Jeder muss im Rahmen seiner Möglichkeiten das machen, was er leisten kann. Niemand darf wegschauen, niemand darf vertuschen, und niemand sollte verdrängen. Das gilt für Organisationen, Institutionen und sonstige Einrichtungen. Ansprechen möchte ich in diesem Zusammenhang einen Fall, der mich erst vor einigen Wochen erschüttert hat. In der Presse war zu lesen, dass UN-Blauhelmsoldaten sexuellen Kindesmissbrauch verübt haben: in der Zentralafrikanischen Republik und in Haiti. Offenbar wurden Informationen nicht richtig weitergegeben. Offenbar wurde darauf nicht angemessen reagiert, selbst da. Deshalb ist es wichtig, dass man in diesem Bereich klare Kante zeigt und dass die Null-Toleranz-Politik nicht nur auf dem Papier steht, sondern dass man sie umsetzt, sich Maßnahmen vornimmt und diese ernsthaft und aktiv umsetzt. Es ist auch wichtig, dass diese Fälle immer wieder in die Öffentlichkeit kommen. Hier sind die Journalisten, die Eltern und auch die Schulleiter gefragt. Sie müssen den Mut haben, das anzusprechen, selbst wenn die eigene Schule betroffen ist. Ferner ist natürlich die Politik gefordert. Der Gesetzgeber muss überall da tätig werden, wo es für ihn einen Weg gibt. Ich spreche zunächst das Strafrecht an. Die Straftatbestände müssen so formuliert sein, dass sich keine Strafbarkeitslücken auftun, es keine Grauzonen gibt, die Strafe angemessen ist und den Strafverfolgungsbehörden geeignete Ermittlungsmethoden zur Verfügung stehen. Wir haben die Bekämpfung der Kinderpornografie schon angesprochen. Nur ein Punkt: Die Höchststrafe von drei Jahren – bei Diebstahl liegt sie bei fünf Jahren – halte ich immer noch für zu niedrig. In der Praxis werden Kinderpornografieverfahren sehr häufig gegen Geldauflage eingestellt. Ich sage nur: Edathy lässt grüßen. Jeder wird verstehen, dass dieses Vorgehen – vielleicht abgesehen vom Fall Edathy, weil inzwischen jeder diese Person kennt – nicht wirklich geeignet ist, um des Problems Herr zu werden. Eigentlich müsste es da eine kurze Mindestfreiheitsstrafe geben, eine kurze Freiheitsstrafe auf Bewährung mit der Auflage einer Therapie – nicht weil ich glaube, dass man die sexuelle Neigung wegtherapieren kann, sondern weil ein Druck bestehen muss, den Umgang mit dieser Neigung zu lernen. Cybergrooming ist das nächste Thema, bei dem wir versuchen, nachzuarbeiten. Wenn sich ein Polizist im Internet als Kind ausgibt und da ein Täter ist, der sexuelle Handlungen vornehmen will und zu diesem Zwecke Kontakt zu dem vermeintlichen Kind aufnimmt, dann ist das nicht strafbar. Also, ganz ehrlich: Das finde ich absolut unverständlich. Ich freue mich, dass wir auch darüber in der Koalition weiter reden. Natürlich muss das Opfer den Mut haben, über das ihm angetane Leid zu sprechen; das haben wir jetzt schon ganz oft gehört. Genau da setzt die Aufarbeitungskommission an: Ihm wird ein Raum gegeben, in dem es sich aussprechen kann. Man möchte von diesen Erfahrungen lernen. Ich möchte mich – wie all meine Vorredner – bei den Opfern bedanken, die den Mut und die Kraft haben, das zu offenbaren und zum Beispiel ein langes Strafverfahren durchzuhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Bedeutung der Aufarbeitung darf nie unterschätzt werden. Lassen Sie mich – ich sehe, meine Redezeit läuft langsam ab – noch eines sagen: Es geht nicht nur darum, Geld in Institutionen zu stecken, sondern auch darum, dort Geld zu investieren, wo es Hilfe vor Ort gibt. Das ist ganz wichtig. Wir haben in Hof eine Einrichtung, die gerade um ihre Finanzierung kämpft: die Schutzhöhle. Wir müssen nicht nur die Institutionen unterstützen, sondern auch diejenigen, die vor Ort die Arbeit leisten. Ihre Hilfe ist entscheidend, wenn es darum geht, ob die Opfer mit dem erfahrenen Leid leben und es irgendwie verarbeiten können. Ein Opfer hat mir einmal gesagt: Sexueller Missbrauch ist ein Sterben auf Raten. Lassen Sie uns gemeinsam die richtigen Schritte tun. Die Aufarbeitungskommission ist der erste Schritt, aber es folgen hoffentlich noch viele weitere. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist Kerstin Tack, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir dieses Thema immer wieder in den Fokus nehmen, gerade und insbesondere, wenn es um Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe geht, um Kinder, die zum Schutz vor Gewalt im Elternhaus in die Obhut staatlich kontrollierter Einrichtungen gegeben wurden und in diesen Einrichtungen unendliches Leid, seelischen Tod und seelische Grausamkeit erfahren. Es ist gut und richtig, dass der Deutsche Bundestag schon vor mehreren Jahren dazu hinreichend wichtige Beschlüsse getroffen hat: die Einrichtung des Runden Tisches, verschiedene Maßnahmen, die Einrichtung der Fonds zur – man kann nicht von „Entschädigung“ sprechen, aber ein bisschen ist es das auch – Anerkennung des Leides dieser Kinder. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Runde Tisch und auch die Fonds, die eingerichtet wurden – gespeist vom Bund, von den Ländern und den Kirchen –, haben leider die Kinder, die in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder aber in stationären psychiatrischen Einrichtungen Missbrauch erlebt haben, nicht in den Blick genommen. Auch in diesen Einrichtungen sind unendliches Leid, Gewalt und Missbrauch geschehen – genauso wie in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Der Deutsche Bundestag hat deshalb schon im Jahre 2011 interfraktionell beschlossen, dass auch diese Zielgruppe in die Aufarbeitung, in die Aktivitäten miteinbezogen werden soll. Leider ist es bis heute nicht gelungen, auch für die Opfer von sexuellem Missbrauch in Einrichtungen der Behindertenhilfe und in stationären psychiatrischen Einrichtungen einen Fonds einzurichten, der die Anerkennung des Leidens dieser Kinder, die heute erwachsene Menschen sind, zum Ziel hat. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist beschämend. Der Deutsche Bundestag hat in den diesjährigen Haushalt Mittel für den Fonds eingestellt. Die Kirchen haben sich bereit erklärt, der Drittelung entsprechend ihren Beitrag zu leisten. Allerdings haben sich die Länder bisher nicht durchringen können, gemeinschaftlich in diesen Fonds einzuzahlen. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Bis auf Bayern!) Ich möchte hervorheben, dass Bayern – sehr vorbildlich – schon sehr früh seine Bereitschaft erklärt hat, in den Fonds einzuzahlen. (Beifall der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU]) Dafür gilt Bayern unser aller Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mittlerweile haben viele Länder erkannt, dass man sich der Verantwortung, die sich daraus ergibt, dass man die Aufsicht über diese Einrichtungen hatte, nicht entziehen kann. Trotzdem wir haben heute immer noch keinen Fonds für diese Zielgruppe. Ich bin mir sicher, dass wir uns heute, wie schon 2011, über die Grenzen aller Fraktionen hinweg einig sind, dass es nicht nur wichtig ist, dass die Aufarbeitungskommission diese Zielgruppe in den Blick nimmt, sondern dass es genauso wichtig ist, dass auch für diesen Personenkreis ein Entschädigungsfonds auf den Weg gebracht wird. Wir sollten in einem gemeinsamen Appell in Richtung der Länder unsere Erwartungshaltung hinsichtlich einer Beteiligung am Fonds und der Übernahme von Verantwortung für diesen Personenkreis formulieren; denn auch diese Opfer haben es verdient. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Maik Beermann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Maik Beermann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kinder brauchen Wurzeln und Flügel – so hat es einmal Johann Wolfgang von Goethe formuliert. In poetischer Art und Weise hat er darauf verwiesen, dass Kinder Geborgenheit und Zuwendung brauchen, um sich zu verwurzeln, aber auch Förderung und Unterstützung, um langsam, aber sicher in ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu entfliegen, in dem sie sich schließlich in ihre -Gesellschaft integrieren und am Alltag teilhaben. Missbrauchten Kindern wurde all dies genommen: Geborgenheit, das Gefühl von Schutz, vor allem aber auch Vertrauen, Vertrauen in die Menschen, die ihnen den Weg in die Zukunft bereiten sollten, ob es nun Eltern sind oder Mitarbeiter öffentlicher Einrichtungen. Bis heute ist sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Deutschland nicht eingedämmt. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 14 191 Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch. Diese Zahl hat mich persönlich sehr geschockt; von der Dunkelziffer, die wahrscheinlich noch viel höher liegt, möchte ich gar nicht reden. Das zeigt, dass die Debatte über das Thema Missbrauch von Kindern endlich gelebter Teil unseres Alltags werden muss. Wir brauchen in Deutschland dringend eine breite gesellschaftliche Debatte zum Thema Kindesmissbrauch in Schulen, in Kirchengemeinden und in Vereinen. Diese Orte müssen sichere Orte sein, und Gott sei Dank sind sie dies zum überwiegenden Teil auch. Ich bin sehr froh darüber, dass wir uns für die Einrichtung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission einsetzen und an dieser wichtigen Stelle Lernerfahrung in politisches Handeln umsetzen werden. Was die Finanzierung betrifft, liebe Frau Kollegin Rüthrich, bin ich allerdings der Meinung, dass das Haus, das bei diesem Thema die Federführung hat, auch die Zeche zahlen muss, (Ulli Nissen [SPD]: „Zeche zahlen“ ist wohl nicht der richtige Begriff!) und das ist nun einmal das Haus von Frau Schwesig, der Familienministerin. (Ulli Nissen [SPD]: „Zeche zahlen“ ist nicht der richtige Begriff! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Unglaublich!) Eine zentrale Forderung aus den Jahren 2010 und 2011, die von Betroffenen angesprochen wurde, wird damit aufgegriffen. Ich hoffe, dass die künftige unabhängige Aufarbeitungskommission zu einer viel breiteren politischen und gesellschaftlichen Debatte beitragen wird. Obwohl die Kommission zunächst nur zeitlich befristet arbeitet – bis Anfang 2019 –, wird sie viel erreichen. Sie wird Strukturen identifizieren, die Missbrauch ermöglichen und begünstigen. Sie wird Fehler der Vergangenheit benennen und das Leid der Missbrauchsopfer sichtbar machen. Sie wird vorhandene Aufarbeitungsberichte auswerten, auch die aus den Kirchen, und -Forschungsaufträge vergeben, um bestehende Erkenntnislücken zu schließen. Auch die Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen der ehemaligen DDR stellt eine wichtige Dimension unseres Koalitionsantrags dar; meine Kollegin Christina Schwarzer hat darauf hingewiesen. Für mich ist ein wichtiger und entscheidender Punkt, dass von sexueller Gewalt in der Kindheit Betroffene angehört werden sollen. Ich hoffe, dass diese Anhörung zur Anerkennung des erlittenen Unrechts beitragen wird. Solange es nicht gelingt, sexuelle Gewalt einzudämmen und unsere Kinder bestmöglich zu schützen, ist Missbrauch eine Schande und ein Skandal in und für unsere Gesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Als junger Vater möchte ich, dass nicht nur für meine kleine Tochter, sondern für alle Kinder zum Beispiel die Schule oder der Verein sichere Orte sind, an denen sich unsere Kinder außerhalb der Familie geborgen fühlen. Ich möchte, dass Kinder nicht ihrer Flügel und Wurzeln beraubt werden, indem sie sich dem Risiko eines Missbrauchs aussetzen, ob im privaten oder im öffentlichen Bereich. Ich möchte, dass Schulen, dass alle Einrichtungen und Organisationen, denen Kinder anvertraut sind, verstärkt in Prävention investieren, in institutionelle, aber auch in pädagogische Prävention. Dazu müssen auch unsere Länder und die Kommunen einen Beitrag leisten. Es gibt längst neue Formen sexueller Gewalt, die zum Beispiel durch digitale Medien in die Kinderzimmer drängen. Immer noch bieten wir Kindern nicht den möglichen Schutz und die mögliche Hilfe, auch nicht dort, wo Handlungsmöglichkeiten bestehen und bekannt sind. Auf neue Entwicklungen wird oft viel zu spät reagiert. Lassen Sie mich abschließend noch einen Satz sagen, den Bundespräsident Gauck aus meiner Sicht eindringlich und sehr stark formuliert hat: Genauso wie wir heute alles daransetzen müssen, Missbrauch keinen Raum zu geben, genauso entschlossen müssen wir die Untaten der Vergangenheit – und Fehler – zum Thema unserer Gegenwart machen. In diesem Sinne wünsche ich dem Unabhängigen Beauftragten, Herrn Johannes-Wilhelm Rörig, und seinem Team für seine wichtige und engagierte Arbeit alles erdenklich Gute. (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD]) Ich bitte um Zustimmung zu dem Koalitionsantrag. Frau Kollegin Dörner, ich bin mir sicher, dass Sie Ihre Zustimmung zu diesem Antrag nicht bereuen werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit schließen wir die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4988, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/3833 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir stimmen jetzt ab über den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5106 mit dem Titel „Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs umfassend sicherstellen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Suizidprävention verbessern und Menschen in Krisen unterstützen Drucksache 18/5104 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Morgen zweieinhalb Stunden eine Debatte über die Sterbehilfe geführt und auch darüber, wie wir und ob wir gesetzliche Maßnahmen ergreifen wollen. Ich glaube, es war heute Morgen eine durchaus sehr gute Debatte, eine sehr differenzierte Debatte, die auch deutlich gemacht hat: Es gibt Gemeinsamkeiten über alle Fraktionen hinweg, und es gibt ethische Grundhaltungen, die nicht einfach nach Lagern verteilt sind, sondern die sich tatsächlich nach ethischen Vorstellungen sortieren. (Beifall der Abg. Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich glaube, das ist nicht nur etwas, das von außen als Sternstunde des Parlaments wahrgenommen wird; vielmehr zeigt das auch, dass es Themen gibt, die wir grundsätzlicher angehen müssen und bei denen wir vor allen Dingen unsere gemeinsame Verantwortung in den Blick nehmen und nicht die Unterschiede. Ich hoffe, dass wir mit dem Thema der Suizidprävention in ähnlicher Weise umgehen können, dass wir also sehr genau schauen: Was sind die Vorschläge, und wie können wir sie in unserer parlamentarischen Arbeit aufnehmen? Das vorweg zur heutigen Debatte. Schauen wir uns die Zahlen an. Wir haben im Jahr 10 000 Suizide, die statistisch erfasst werden; wir haben weitere 100 000 versuchte Suizide. Das sind enorme Größenordnungen. 10 000 Tote durch Suizid – das sind mehr als doppelt so viele wie beispielsweise durch Verkehrsunfälle. Wir müssen uns klarmachen, dass sich täglich zwei Jugendliche das Leben nehmen und 20 es täglich versuchen, dass von den 10 000 Menschen ungefähr ein Drittel über 65 Jahre alt ist. Sie geben als Grund an – das ist der Bezug zu heute Morgen –: Angst vor Einsamkeit, Angst vor chronischen schwerwiegenden Erkrankungen, Angst vor Hilfsbedürftigkeit und Angst vor Pflegebedürftigkeit. Ich meine, all das muss Appell dafür sein, dass wir alles tun, was wir können, um präventiv die Hilfeleistung, die Unterstützung zu geben, die uns als Gesellschaft möglich ist. Dazu wollen wir mit diesem Antrag beitragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir beanspruchen an dieser Stelle nicht, ein vollständiges Werk vorzulegen; vielmehr haben wir uns die Mühe gemacht, aus den verschiedensten Bereichen Anregungen aufzunehmen, insbesondere auch des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland, das zahlreiche Anregungen gegeben hat und dies auch schon seit 2002 tut. Aber man muss auch sagen: Obwohl bundesweit 90 Institutionen, auch die Bundesregierung, daran teilhaben, diskutieren wir die Ergebnisse hier im Bundestag so gut wie nie. Ich meine, das sollte sich auch im Kontext der verschiedenen ethischen Debatten, die wir gerade führen, ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn es darum geht, was wir tun, dann müssen wir zuallererst in den Blick nehmen, dass circa 65 bis 90 Prozent – wir wissen es nicht genau – aller Versuche im Kontext einer psychischen Erkrankung oder zumindest einer psychischen Krisenlage zu verorten sind. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass man durch geeignete frühzeitige Hilfestellung erreichen könnte, dass zumindest ein Teil dieser Suizide vermieden wird, vor allen Dingen dort, wo eine ausweglose Situation vorliegt, eine psychische Gemengelage, eine Zuspitzung, vielleicht auch eine Einengung des denkbar Möglichen für den Betreffenden selber. Dies könnte durch eine frühzeitige Hilfestellung verändert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von daher ist es sehr wichtig, dass wir neben dem, was wir im Gesundheitssystem vorzuhalten haben, niedrigschwellige Hilfen – etwa die Angebote der Telefon-seelsorge, etlicher ehrenamtlicher Krisenhilfen und anderer, eher psychologischer, manchmal auch anonymer Hilfsdienste – ausbauen. Das darf nicht der Zufälligkeit von durch Spenden organisierten Initiativen überlassen bleiben. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass gerade diese niedrigschwelligen Angebote überall vor Ort zugänglich sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Außerdem müssen wir die Angebote der psychologischen, psychotherapeutischen und psychiatrischen Krisenhilfe so zugänglich machen, dass diese Menschen sie auch wahrnehmen, dass sie sich nicht aus Furcht vor einer Psychiatrisierung, einer Zwangseinweisung und all dem, was in diesem Kontext im Raume steht, anders entscheiden, sondern diese Hilfen selbstverständlich annehmen, und das frühzeitig. Es ist ganz klar: Die langen Wartezeiten, die wir in diesen Bereichen bisher haben, sind alles andere als das richtige Angebot. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich haben wir mit dem Versorgungsstärkungsgesetz Änderungen vorgenommen. Aber sie werden nicht ausreichen, weil insbesondere die ambulanten Krisenangebote fehlen. Da werden wir nachlegen müssen. Ich wäre sehr froh, wenn wir im Herbst dieses Jahres eine entsprechende Debatte führen würden, um an genau dieser Stelle nachzusteuern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kommen wir zur Unterstützung von Angehörigen. Auch sie sind nicht nur auf psychologische Unterstützung, sondern in großem Umfang auch auf alltagsnahe Hilfen, auf Ansprechpartner, auf Menschen, die in ähnlichen Situationen waren, angewiesen. Es geht also um das gesamte Geflecht, das wir gerade im Bereich der ehrenamtlichen Arbeit häufig vorfinden und das auch für sie sehr leicht und niedrigschwellig zur Verfügung stehen sollte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als Letztes zum Bereich der Prävention. Auch hier muss gelten, das in Angriff zu nehmen, was wir tun können, um zum Beispiel spontane Suizidentschlüsse schwieriger zu machen. Wir wissen aus der Forschung, dass leicht zugängliche Waffen, leicht zugängliche -Medikamente, leicht zugängliche Brücken, auch Eisenbahnbrücken, dazu herausfordern, in einer Kurzschlusshandlung aufgesucht und genutzt zu werden. Gleich-zeitig weiß man: Wenn es diese Möglichkeiten eines spontanen Suizids nicht gäbe, würde dieser Suizid wahrscheinlich nicht ausgeführt werden, insbesondere dann nicht, wenn geeignete Anlaufstellen oder Gesprächsmöglichkeiten da wären. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass über die vielen Vorschläge, die wir an dieser Stelle gemacht haben, eine konstruktive Debatte geführt wird, wir im Herbst dieses Jahres eine Anhörung durchführen und dann in die entsprechenden Verfahren eintreten. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Reiner Meier, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Reiner Meier (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Suizid ist eine große Tragödie, eine, die jedes Jahr rund 10 000 Menschen in unserem Land betrifft. Wie viel Leid für Partner, Familie, Freunde aus einer Selbsttötung unmittelbar folgt, können wir nur erahnen. Die Motive sind höchst individuell; sie lassen sich nicht pauschal einordnen. Unerkannte Depressionen und Kurzschlusshandlungen oder jahrzehntelange Traumata können im Nachhinein oft nur vermutet werden. Es ist deshalb außerordentlich wichtig, dass wir versuchen, wenigstens jene Menschen zu erreichen, die von einer Selbsttötung noch abgebracht werden können. Im Versorgungsstärkungsgesetz haben wir verankert, dass Patienten schneller einen Termin beim Psychotherapeuten bekommen. Dadurch erhalten die Betroffenen prompt die Hilfe, die sie brauchen. Ebenso verbessern wir durch den Auftrag zur Bedarfsplanung und die erweiterten Verordnungsmöglichkeiten für Psychotherapeuten die flächendeckende Versorgung ganz erheblich. Aber auch die würdige Versorgung von Kranken am -Lebensende hat für uns höchste Priorität. Deshalb schaffen wir mit dem Hospiz- und Palliativgesetz für unheilbar Kranke bessere Perspektiven für ein lebenswertes Leben. An dieser Stelle darf ich den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen für die konstruktiven Gespräche zu diesem Thema danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu dieser Debatte gehört aber auch, dass wir uns die Grenzen der Suizidprävention bewusst machen. Wir wissen, dass eine Selbsttötung oft auf einem ganzen Bündel von Faktoren beruht. Dem heute vorliegenden Antrag liegt aber die Auffassung zugrunde, wir könnten spontane Suizide durch punktuelle Maßnahmen zum Beispiel im Bau- oder Waffenrecht verhindern. Meine Damen und Herren, das glaube ich nicht. Wenn der Entschluss zur Selbsttötung erst einmal gereift ist, ist es reine Illusion, zu glauben, wir könnten alle potenziellen Mittel und Wege beseitigen. In manchen Fällen, wie etwa beim Zugang zu Beruhigungs- und Schmerzmitteln, sind pauschale Verbote sogar außerordentlich problematisch. Vor drei Jahren hat die Bundesregierung die Apothekenbetriebsordnung und das Betäubungsmittelrecht novelliert. Damit können Ärzte schwerstkranken Patienten ihre Medikamente unbürokratisch überlassen. Für diese Patienten ist das eine wesentliche Entlastung und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität. An dieser Stelle wieder einen Schritt zurück zu mehr Bürokratie zu gehen, halte ich ausdrücklich für falsch. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch ausdrücklich nicht!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten die heutige Debatte nicht führen, ohne an die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beratungseinrichtungen für Suizidprävention zu denken. Sie leisten täglich nicht nur eine höchst verantwortungsvolle, sondern auch eine persönlich schwierige und belastende Arbeit für ihre Mitmenschen. Dafür gebührt ihnen, glaube ich, der höchste Respekt dieses Hauses. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der vorliegende Antrag beleuchtet in der Tat ein schwieriges Thema. Erst heute früh haben wir uns eingehend mit den Fragen der Sterbehilfe auseinandergesetzt. Dabei wurde eines klar: Wir alle tun uns schwer, die Grenze zwischen Suizid und selbstbestimmtem Tod zu definieren. Für uns als Union ist das Leben der höchste Wert, und deshalb sollte auch stets ein lebenswertes Leben angestrebt werden. Dazu müssen wir den Menschen gute Perspektiven anbieten, wohl wissend, dass unsere Möglichkeiten, Suizide zu verhindern, leider immer begrenzt sein werden. Der Antrag enthält einige gute Ansätze, etwa bei der psychotherapeutischen Versorgung oder bei der Sterbebegleitung. Vieles davon haben wir schon umgesetzt, anderes setzen wir gerade um. In seiner Summe wird der Antrag diesem komplexen Thema jedoch nicht gerecht. Sicherlich werden sich einige Zuschauer von der heutigen Debatte besonders angesprochen fühlen. Ihnen möchte ich zurufen: Es gibt Hilfe! Bundesweit stehen -Ihnen zahlreiche Beratungsstellen zur Verfügung. Sie erreichen die Telefonseelsorge sogar rund um die Uhr. Die Nummer lautet: 0800/1110111. Bitte nutzen Sie dieses Angebot! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Birgit Wöllert, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Wöllert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! „Suizidprävention verbessern und Menschen in Krisen unterstützen“, so lautet der Titel des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich bin zunächst über den Begriff „Suizidprävention“ gestolpert und habe ihn erst einmal für mich aufgelöst, weil hier ein so emotionales Thema hinter einem so sperrigen, bürokratischen Wort versteckt ist. Eigentlich ist doch die Frage – wenn ich das für mich übersetze –: Wie verhindern wir, dass in Deutschland jährlich rund 10 000 Menschen die Freude am oder den Mut zum Leben verlieren? Das ist der zentrale Punkt, mit dem, hoffe ich, wir alle uns in der Beratung auseinandersetzen wollen. Ich glaube, wir sind es den Menschen, den Angehörigen, den Freunden und dem Umfeld, schuldig, dass wir uns damit auseinandersetzen. (Beifall bei der LINKEN) Selbsttötung bzw. Suizid ist ein weltweites Thema; es ist kein Thema, das nur uns in Deutschland beschäftigt. In diesem Jahr jährt sich der Welttag der Suizidprävention, den die Weltgesundheitsorganisation ins Leben rief, zum zwölften Mal. Im vorigen Jahr gab es den ersten Bericht dazu. Danach sind es jährlich 800 000 Menschen, die durch Selbsttötung sterben. Die WHO ruft uns alle auf, das Thema nicht länger zu tabuisieren. Ich denke, schon das ist ein wichtiger Beitrag, den wir leisten. Wenn dieses Thema in die Öffentlichkeit kommt, dann immer anhand prominenter und eher elitärer Beispiele; (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das hat doch nichts mit Eliten zu tun! Das ist Blödsinn!) betroffen sind aber viel mehr Menschen, die in anderen, schlechteren Lebensverhältnissen leben. Ich gehe nur einmal von den Gefahren durch Depressionen aus. Wenn aus Daten der AOK hervorgeht, dass bei den Langzeit-arbeitslosen die Anzahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen jährlich ansteigt – sie lag im Jahr 2011 bei über 40 Prozent –, dann ist auch die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ein Mittel der Prävention in den Lebenswelten zur Bekämpfung von Selbsttötung. Auch das sollten wir nicht aus den Augen verlieren. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe mir im Zusammenhang mit der heutigen Diskussion einige Aussagen von Wissenschaftlern angeschaut und bin bei den Recherchen auf sehr interessante Berichte, Dokumentationen, Vorlesungen usw. gestoßen, unter anderem auf Material von Professor Dr. Manfred Wolfersdorf. Da fand ich eine sehr interessante Definition, was man unter Suizidalität versteht. Er beschreibt das als ein zutiefst menschliches Geschehen und Erleben, das in seiner Komplexität nie vollständig verstehbar sein wird. Alle Erklärungsmodelle psychopathologischer, psychodynamischer, biologischer und/oder sozialer oder spiritueller Art seien von begrenzter Art mit dem Respekt vor dem nicht aufdeckbaren Geheimnis des -Suizides. Das bedeutet aber nicht: Man kann sowieso nichts tun. – Im Gegenteil, es erfordert die bestmögliche, ernsthafte Annäherung an Verstehen und Verhüten suizidalen Verhaltens. So habe ich auch den Antrag verstanden. Vielleicht sollten wir das als gemeinsame Aufgabe annehmen. Ich bin der festen Überzeugung – da weiß ich auch meine Fraktion hinter mir –, dass mit dem Verhüten von Selbsttötungen auch die Einsicht einhergehen muss, dass es sich hier um eine komplexe Aufgabe der ganzen Gesellschaft handelt: Gesundheitswesen, Schulen, Justiz, Wirtschaft und vor allem auch die Medien tragen eine große Verantwortung. Hier müssen wir koordiniert und gemeinsam unser Handeln absprechen. (Beifall bei der LINKEN) Selbsttötungen haben viel mit den persönlichen -Lebensbedingungen zu tun; ich hatte schon ein Beispiel genannt. Die WHO weist nach, dass die Suizidrate der unter 65-Jährigen mit jedem Prozentpunkt mehr an -Arbeitslosigkeit um 0,8 Prozentpunkte steigt. Auch hier haben wir insgesamt etwas zu leisten. Das ist auch eine Aufgabe der Wirtschaft. Wir brauchen natürlich mehr Beratungsangebote, mehr Weiterbildung, mehr Psychotherapie und mehr Forschung; das alles ist richtig. Was wir aber auch dringend brauchen, ist eine gesellschaftliche Wirklichkeit, die die Menschen nicht nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit einsortiert, sondern so akzeptiert, wie sie sind, mit all ihren Schwächen und Stärken. Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung jedes Menschen, der in unserem Land lebt. Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir brauchen dringend – das haben wir in den letzten Gesetzen nämlich nicht geleistet – auch eine Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes mit seinen sozialpsychiatrischen Beratungsstellen. Ich weiß aus meiner Region, dass dort nicht immer genügend Psychiater und Fachärztinnen und Fachärzte zur Verfügung stehen, um die Arbeit im erforderlichen Umfang aufrechtzuerhalten. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Wöllert, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen. Birgit Wöllert (DIE LINKE): Entschuldigung. Ich danke Ihnen. – Ich hoffe, dass Sie den Antrag heute mit überweisen, sodass wir zu diesem Thema gemeinsam – auch mit den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – in der Diskussion bleiben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Helga Kühn-Mengel, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Helga Kühn-Mengel (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Herr Meier, nur um das zu erklären: Wir haben vorhin ein bisschen gelächelt, aber nicht über Ihren Beitrag, sondern weil wir gedacht haben, dass Sie dann notfalls alleine abstimmen müssen. Es ist ein wichtiges Thema, ein tabuisiertes und in jedem Fall trauriges Thema, mit dem wir uns heute befassen. Wie hoffnungslos muss sich jemand fühlen, dass er wirklich keinen anderen Weg sieht, als sich das Leben zu nehmen. Es gibt kaum etwas Belastenderes für die Familie, die Freunde und die Partner. Die WHO sagt, dass mindestens sechs weitere Menschen von einem Suizid betroffen sind. Ich will den Zahlen, die genannt wurden, nur noch wenige hinzufügen. Der Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei den Jugendlichen; die Zahl der Suizidversuche ist bei den jungen Frauen und Männern am höchsten. Die Suizide im Alter, die ganz vielfältige Ursachen haben, sind schon erwähnt worden. Mindestens 100 000 Suizidversuche pro Jahr werden von Menschen begangen, die das Versorgungssystem genutzt haben. Deshalb fragt man sich natürlich, welche Symptome, Hinweise und Hilferufe nicht gesehen, wahrgenommen oder richtig eingeordnet worden sind. Ihr Antrag behandelt ein wichtiges Thema, hat aber auch einige Schwächen. Die in dem Antrag enthaltenen Forderungen an den Bund sind zum Beispiel größtenteils falsch adressiert. Über Einzelforderungen muss man sicherlich diskutieren. Die Bezugnahme auf das Flugzeugunglück ist hier, wie ich glaube, zweifelhaft, und viele Punkte sind einfach Ländersache. Ich will Beispiele dafür nennen: Die Aufklärung an den Schulen und der -öffentliche Gesundheitsdienst, den wir so dringend brauchen, sind Ländersache. Das gilt ebenso für die kultursensible Beratung von Migranten und Migrantinnen, die Sie nennen. Das alles liegt in der Zuständigkeit der Länder und Kommunen. Wir alle müssen uns vor Ort in der Region für mehr Beratung starkmachen. Es gibt auch wirklich gute Ansätze dafür. Ich nenne ein Beispiel aus Freiburg, nämlich [U 25] Freiburg. Bei diesem Arbeitskreis erfolgt die Beratung über den E-Mail-Verkehr; darüber werden viele wirklich gut erreicht. Des Weiteren hat das Land Nordrhein-Westfalen zusammen mit der Stadt Köln eine Anlaufstelle für lesbische Mädchen zwischen 15 und 23 Jahren eingerichtet, um zu verhindern, dass sich Mädchen in dieser Altersgruppe auf der Suche nach Gespräch und Identität das Leben nehmen. Der Verweis auf das Flugzeugunglück ist, wie ich finde, an dieser Stelle fachlich nicht gerechtfertigt und stellt eher eine Diskriminierung depressiver Menschen dar. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir auch so im Antrag stehen!) So ist es auch in den Medien dargestellt worden. Ich glaube, dass es sich eher um eine Amoktat handelt und dass das wenig bis gar nichts mit den 10 000 Suiziden pro Jahr zu tun hat. Richtig ist – da stimmen wir Ihnen zu –, dass Berufsverbote oder Einschränkungen der Schweigepflicht überhaupt nicht helfen, sondern nur geeignete Hilfen etwas bringen. Nicht schweigen, sondern reden – das hilft, um Lösungsmöglichkeiten zu finden; denn ganz überwiegend ist der Suizid Ausdruck einer psychischen Krise – das haben Sie gesagt, Frau Klein-Schmeink – oder einer psychischen Erkrankung. Er ist nur zu einem kleinen Teil Ergebnis einer souveränen Entscheidung. Sie fordern 1 Million Euro für Aufklärungskampagnen. Hier muss man kritisch fragen: Wie ist die Wirkung einer solchen Maßnahme? Ich nenne hier nur das Stichwort „Nachahmungseffekt“. Unerwähnt bleibt auch, dass der Bund viele Jahre lang effektiv Maßnahmen zur Suizidprävention gefördert hat. Die Frau Präsidentin hat in ihrer Zeit als Ministerin gemeinsam mit Frau Bulmahn in der Forschung jahrelang einen Schwerpunkt auf das Thema Suizidprävention gelegt und Kompetenzzentren zum Thema Depression gefördert. Da ist viel passiert. Manche dieser Maßnahmen werden auch heute noch gefördert, etwa das Nationale Suizidpräventionsprogramm. Auch die APK, die vor kurzem eine Tagung zu diesem Thema abgehalten hat, wird noch gefördert. Was Sie gar nicht erwähnen, sind die letzten Gesetze, die wir zu diesem Thema gemacht haben: das Versorgungsstrukturgesetz – dazu wird der Kollege Heidenblut noch etwas sagen –, die Einrichtung der Akutsprechstunde, die Disease-Management-Programme, ein schnellerer Zugang zu Ärzten; all das ist ganz wichtig. Im Rahmen des Präventionsgesetzes gibt es jetzt die Möglichkeit, Langzeitarbeitslosen entsprechende Angebote zu machen. Es gibt mehr Geld für Prävention in den Lebenswelten. Es gibt auch mehr Geld für Projekte gerade für junge Leute. Aber auch für ältere Menschen gibt es verstärkt Präventionsempfehlungen der Ärzte und mehr Selbsthilfeförderung. Insgesamt gibt es mehr Möglichkeiten für Interventionen und auch mehr Möglichkeiten, zu erkennen, zu handeln und zu vernetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Tino Sorge, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Tino Sorge (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Maler Vincent van Gogh, der ehemalige Fußballnationaltorwart Robert Enke, der Gentleman-Playboy und spätere Kunstsammler Gunter Sachs, der Schauspieler Robin Williams, der Sänger der Band Nirwana, Kurt Cobain – diese Menschen hatten vermutlich nicht viele Gemeinsamkeiten; aber eines verbindet sie, nämlich dass sie ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt haben. In ihrer Verzweiflung war der Tod offenbar der einzige Ausweg, die einzige Erlösung, um ihrem Leid zu entgehen. Genauso vielfältig wie die persönlichen Gründe, warum sich Menschen das Leben nehmen, ist die Art und Weise, wie dieser Entschluss letztendlich umgesetzt wird. Deshalb, Frau Klein-Schmeink, finde ich es ein bisschen enttäuschend, dass Sie in Ihrem Antrag den Eindruck erwecken, als gäbe es punktuelle Maßnahmen, um Suizide generell zu vermeiden. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sollten Sie ihn mal lesen!) – Ich habe ihn sehr genau gelesen. Sie haben im Grunde gemacht, was Sie häufig in Ihren Anträgen machen: Es gibt ein buntes Potpourri von Forderungen aus allen möglichen Bereichen. Das reicht von Menschen mit Migrationshintergrund über Mitarbeiter im Strafvollzug bis hin zu bauordnungsrechtlichen Vorgaben; es ist alles drin. Immer soll es mehr geben; aber es werden keine konkreten Lösungsvorschläge genannt. Wir sind uns alle einig, dass wir Menschen in Krisen, die suizidale Gedanken haben und sich umbringen möchten, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – ihr Leben nicht mehr lebenswert finden, helfen und ihnen Angebote machen müssen, um zu verhindern, dass es dazu kommt. Dazu gehört auch, dass wir die Thematik in der Öffentlichkeit konkret behandeln und das Thema enttabuisieren – denn leider ist es ein Tabuthema –, indem wir darüber sprechen. Insofern ist es gut, dass wir heute eine Debatte zu diesem Thema führen. Aber ich finde es schade, dass Sie suggerieren, die Bundesregierung und wir als Politiker würden überhaupt nichts machen. Es ist die Aufgabe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Gesundheitsförderung und Prävention auf Bundesebene zusammen mit allen Trägern, den Ländern, den Kommunen, den Sozialversicherungsträgern und den freien Trägern, zu organisieren. Das gibt es bereits. Ich gebe Ihnen völlig recht, Frau Wöllert, dass Prävention und Gesundheitsförderung viel stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken müssen. Darin sind wir uns alle einig. Hier gehen wir in dieselbe Richtung. Ich hatte selbst vor einiger Zeit in meinem Wahlkreis die Möglichkeit, einen Einblick in die gute Arbeit der Bundeszentrale zu bekommen. Ich habe damals mit Marlene Mortler die Jugendfilmtage eröffnet. In diesem Rahmen ging es um Drogen-, Alkohol- und Nikotinmissbrauch. Das zeigt, dass wir in der Politik auf einem guten Weg sind. Das Nationale Suizidpräventionsprogramm, mit dem die Suizidprävention unterstützt wird, ist bereits angesprochen worden. Das Bundesgesundheitsministerium ist, wie Sie wissen, seit der Einführung 2002 fachlich und finanziell eng damit vernetzt. Die Wichtigkeit des Themas zeigt sich auch an den vielen Projekten, die in diesem Bereich durchgeführt werden und die – das muss auch einmal gesagt werden – zu einer deutlichen Reduzierung der Suizidzahlen geführt haben. Aber das alles verschweigen Sie in Ihrem Antrag. Darin findet sich kein einziges Wort dazu. Konkret an die Fraktion der Grünen gerichtet möchte ich noch eines sagen: Ich finde es ein bisschen zynisch, wenn Sie in Ihrem Antrag alle möglichen Punkte aufführen, aber kein einziges Wort darüber verlieren, dass Sie tagtäglich der Legalisierung von Drogen, nämlich von Cannabis, das Wort reden. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach du liebe Zeit!) Dazu habe ich in Ihrem Antrag nichts gefunden. Aber bevor Sie jetzt wieder sagen, dass es keinen Zusammenhang, keine Korrelation mit unserem Thema gibt, sollten Sie sich mit den wissenschaftlichen Studien befassen. Es gibt eine tolle Studie – „toll“ in Anführungszeichen –, die ESPAD-Studie. Für das European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs wurden 45 000 Jugendliche befragt. Die Studie hat gezeigt, dass es durch den Konsum von Cannabis eine signifikante Erhöhung des Suizidrisikos gegeben hat. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann suchen Sie mal die Studien zu Suizid und Alkoholismus heraus! Die sind natürlich noch sehr viel deutlicher!) Weil Sie jetzt vielleicht sagen, dass das nichts miteinander zu tun hat, habe ich noch eine Studie herausgesucht. Ein neuseeländisches und australisches Forschungsteam hat über 30 Jahre 1 265 Menschen, die im neuseeländischen Christchurch geboren wurden, wiederholt untersucht und mit ihnen geredet. Dabei ging es ausschließlich um den Konsum von Cannabis. Ich will nicht weiter darauf eingehen; aber als Fazit ist festgestellt worden, dass häufiger Cannabiskonsum die Wahrscheinlichkeit von Suizidgedanken und auch das Suizidrisiko erhöht. Auch das sollten Sie in Ihre Anträge mit aufnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Sorge, da Sie gerade eine Redepause machen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Scharfenberg? Tino Sorge (CDU/CSU): Ja, natürlich. Sehr gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Kollege Sorge, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich bin, ehrlich gesagt, fast ein bisschen bestürzt über Ihre Ausführungen; denn es geht um belegte Zahlen. Wir sprechen nicht über fiktive Zahlen. Es gibt hier 100 000 Suizidversuche und 10 000 vollendete Suizide pro Jahr. Wir machen in unserem Antrag Vorschläge, wie man dem vorgreifen und Menschen unterstützen kann, damit es gar nicht erst zu den Versuchen kommt. Ich finde es fast ein bisschen armselig, dass Sie uns aufzählen, was es alles gibt. Das, was es gibt, verhindert derzeit nicht 100 000 Versuche und 10 000 vollendete Suizide. Ich kann Ihnen nur empfehlen, mit dem Verein AGUS – Angehörige um Suizid – Kontakt aufzunehmen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Telefonseelsorge!) Besuchen Sie einmal die Jahrestagung, und hören Sie sich das Leid der Angehörigen und die Lebensgeschichten an, die dahinterstecken. Danach sollten Sie noch einmal über ein solches Programm nachdenken oder darüber, was Sie hier von sich gegeben haben. Ich finde das, wie gesagt, ein bisschen armselig und bitte Sie, doch etwas konstruktiver an das Thema heranzugehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Tino Sorge (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegen Scharfenberg, wenn Sie mir genau zugehört hätten, hätten Sie gemerkt, dass ich das gar nicht in Abrede gestellt habe. Ich habe vielmehr gesagt, dass die Zahlen stimmen. Darüber sind wir nicht uneins; da gibt es gar keinen Dissens. Ich habe lediglich gesagt, dass Sie in Ihren Anträgen die Thematik gegebenenfalls ein bisschen ganzheitlicher betrachten sollten. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war sehr ganzheitlich!) Ich kann Ihnen konkrete Beispiele nennen. Beispielsweise fordern Sie in Ihrem Antrag die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Schwerpunkt auf eine Gesundheitsförderung in den Alltagswelten legt. Wir haben doch über das Präventionsgesetz diskutiert. Im Grunde haben wir genau das gemacht, was Sie fordern. Das Präventionsgesetz unterstützt Präven-tionsarbeit in den Lebenswelten. Sie haben konstruktiv mitdiskutiert. Nun stellen Sie sich aber hierhin und tun so, als wäre in diesem Bereich nichts passiert. Wie Sie wissen, geben wir in diesem Bereich 500 Millionen Euro mehr aus. 500 Millionen Euro! Das ist kein Pappenstiel. Da Sie sagen, Eigenlob stinkt, habe ich ein Zitat der Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, Frau Professor Barbara Schneider, herausgesucht. Sie hat in einem Schreiben an Bundesminister Gröhe das Präventionsgesetz ausdrücklich gelobt. Ich zitiere: Das Präventionsgesetz für Deutschland stimmt ganz besonders mit seinem fundamentalen Anspruch, die Prävention in der Breite der Gesellschaft zu etablieren, mit dem Anliegen und den jahrzehntelangen Bestrebungen der Suizidprävention durch die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention überein. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Sorge, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Schulz-Asche? Tino Sorge (CDU/CSU): Selbstverständlich. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Was ist denn nur los?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Er macht sie alle sehr aufgeregt. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin überhaupt nicht aufgeregt. – Da Sie gerade das Präventionsgesetz, das das Haus vor zwei Wochen verabschiedet hat, erwähnt haben, möchte ich Sie fragen, ob es nicht ein berechtigtes Anliegen ist, wenn ein neues Gesetz verabschiedet werden soll, in einem Antrag darauf zu drängen, dass beachtet wird, dass die Suizidprävention eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, und dieser Aspekt besonders berücksichtigt wird. Es ist kein Beispiel für das Versagen eines Antrags, sondern ein Zeichen dafür, wie ganzheitlich unser Antrag ist, wenn gefordert wird, auch solche Aspekte aufzugreifen und in neuen Gesetzen positiv zu berücksichtigen. Deswegen lautet meine Frage: Stimmen Sie mir zu, dass es notwendig ist, das Präventionsgesetz gesamtgesellschaftlich mit Inhalt zu füllen, und zwar auch im Bereich der Suizidprävention? Tino Sorge (CDU/CSU): Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass es schon ein Erfolg ist, dass wir das Präventionsgesetz verabschiedet haben. Ich finde es aber schade, dass Sie damals die Chance nicht genutzt haben, dem Gesetz, das wir erst vor kurzem beschlossen haben, zuzustimmen. Gerade bei Ihrem Ansatz hätte ich mir gewünscht, dass Sie gesagt hätten: Es ist super, dass wir ein Präventionsgesetz machen; das unterstützen wir als Grüne. – Aber Sie sagen einfach: Nein, das gefällt uns nicht. Der eine Punkt ist nicht richtig. An anderer Stelle könnte mehr getan werden. Also stimmen wir gar nicht zu. – Das finde ich nicht gut. Wenn selbst Experten wie Frau Schneider, die ich eben zitiert habe, sagen, dass in diesem Bereich viel passiert ist, dann können Sie doch nicht so tun, als wäre überhaupt nichts geschehen. Es gehört zur Fairness dazu, dass Sie zugeben, dass wir durchaus etwas getan haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich fahre mit meinen Ausführungen zu Ihrem Antrag fort. Ich habe ihn mir genau durchgelesen. Es ist interessant, zu sehen, wie Sie bestimmte Sachverhalte auf sehr unterschiedliche Weise begründen. So sagen Sie zum Beispiel, im Bereich der Heil- und Gesundheitsberufe müsse mehr getan werden, wohl wissend, dass wir uns mitten in der Diskussion darüber befinden und eine Reform des Medizinstudiums vornehmen wollen. Die Bund-Länder-Verhandlungen laufen. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch widersprüchlich, was Sie erzählen! Sie haben doch gerade Ganzheitlichkeit gefordert, und jetzt werfen Sie uns vor, dass es ganzheitlich ist!) – Ja, genau das ist der Punkt. Aber es ist schade, dass Sie laufende Verhandlungen ignorieren und parlamentarische Verfahren offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen. Sie haben die Palliativversorgung angesprochen. Das ständige Wiederholen der Aussage, dass bereits laufende Maßnahmen umgesetzt werden müssten, bringt uns nicht weiter, sondern hält uns nur auf. Ganz besonders interessant finde ich Ihre Forderung nach Änderung der baurechtlichen Vorgaben. Sie fordern die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass die Bundesländer ihre baurechtlichen Vorgaben dahin gehend überprüfen, inwieweit baurechtliche Regelungen zur Suizidprävention berücksichtigt werden können. Als Jurist finde ich das sehr interessant. Da das Baurecht in die Kompetenz der Länder fällt, habe ich mir das Bauordnungsrecht der jeweiligen Bundesländer angeschaut, insbesondere der Bundesländer, in denen Sie als Grüne mitregieren, zum Beispiel das Baurecht von Baden-Württemberg, wo Sie als Grüne den Ministerpräsidenten stellen. Trotz intensiver Suche habe ich keine entsprechende Regelung gefunden. Das gilt auch für NRW, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bremen. Ich habe nichts gefunden. Wenn Sie so etwas wollen, dann können Sie das in den Bundesländern, in denen Sie regieren, schnell umsetzen. Aber dort machen Sie nichts. Stattdessen stellen Sie sich hier hin und werfen uns vor, nichts zu machen, und fordern uns auf, entsprechende Maßnahmen umzusetzen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht gerade darum, die verschiedenen Ebenen zusammenzuführen!) Lassen Sie uns konstruktiv darüber sprechen. Wir haben Ihren Antrag zur Kenntnis genommen. Wir werden darüber diskutieren. Aber seien Sie auch konstruktiv, und loben Sie uns einmal, wenn wir etwas umsetzen. Das tut nicht weh. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einfach, Sie wollen keine Suizidprävention!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herzlichen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dirk Heidenblut (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte erst einmal – und das ganz ehrlich – Danke für den Antrag sagen. Danke auch dafür, dass wir gerade heute darüber sprechen können; denn im Grunde genommen greifen Sie sozusagen den dritten Aspekt eines Themenfeldes auf. Wir haben mit diesem Themenfeld nicht heute begonnen; denn das Hospiz- und Palliativgesetz, wenn ich das einmal als ersten Aspekt bezeichnen darf – das will ich aber gar nicht werten –, haben wir schon vorher in die Diskussion eingebracht. Heute Morgen ist ganz häufig angesprochen worden, dass wir gerade bei der Frage der Suizidprävention noch einmal hinschauen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Insofern danke ich durchaus dafür. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen sicher sagen: Wir werden das konstruktiv diskutieren. Etwas anders als der Kollege Sorge bin ich auch dankbar, dass Sie die Vorhaben der Bundesregierung – ich bleibe bei dem Bereich der Psychiatrie; sehen Sie mir das bitte nach – aufgegriffen haben und Sie mir insofern die Gelegenheit geben, das, was im Zusammenhang mit dem Versorgungsstärkungsgesetz schon passiert ist und was sich fast wortgleich zumindest in Teilen in Ihrer Begründung wiederfindet, aufzugreifen. Es ist nämlich genau das, was wir machen wollen und tatsächlich tun und was im Hinblick auf Suizidprävention wirken wird. Ich gebe Ihnen völlig recht – das haben wir sogar schon im Koalitionsvertrag festgestellt –: Lange Wartezeiten im Bereich der Psychotherapie von drei, vier oder mehr Monaten – damit ist nicht nur derjenige, der Suizidgedanken hat, gemeint, sondern es geht schon um den Erstaufschlag von Patienten in entsprechenden Einrichtungen – können natürlich nicht sein. Aber wir haben mit dem Versorgungsstärkungsgesetz die Bedarfsplanung, wie Sie sie in der Begründung vorsehen, zur Überarbeitung in Auftrag gegeben, und zwar kleinräumig, sodass genau in den Regionen, in denen wir Probleme haben – wir haben nicht in allen Regionen Probleme, es gibt auch anders aufgestellte Regionen –, der Zugang besser möglich wird, weil wir dort über mehr Angebote der Psychotherapie verfügen. (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt fehlt noch die ortsnahe Versorgung!) Ich bin froh, dass unsere Anträge schon zum 10. Juni vorlagen, als Ihr Antrag gestellt wurde. Wir haben auch die Sprechstunde schon vorgesehen, die Sie in Ihrem Antrag ansprechen; denn auch das ist bereits Teil der Vorgaben, die wir zur Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie machen, weil eine Akutsprechstunde, eine Sprechstunde, in die man sofort gehen kann, natürlich ganz wichtig ist. Ich bin mir ganz sicher, dass das alles Maßnahmen sind, die im Bereich der Suizidprävention wirken werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) An denen müssen wir weiterarbeiten, wenn die Ergebnisse vorliegen. Aber das muss jetzt erarbeitet werden. Ich will aber nicht verhehlen, dass in Ihrem Antrag eine Reihe von Punkten ist – auch da bleibe ich bei der Psychiatrie –, die ich als eine sehr interessante Ergänzung empfinde. Ich will als einen Aspekt den Bereich der aufsuchenden Psychotherapie ansprechen, den Sie gerade für die Seniorinnen und Senioren vorsehen. Das halte ich durchaus für eine Frage, über die man ganz sicher diskutieren muss. (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dass wir bei der Frage der Vernetzung ganz sicher – da sind wir wieder an dem Punkt, an dem wir uns fragen, um wen es sich eigentlich handelt – noch dringenden Nachholbedarf haben – Stichwort Gemeindepsychiatrie –, haben wir schon bei der Diskussion über PEPP angesprochen. (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben auch schon den Punkt Depression aufgegriffen. Ich verweise auf das strukturierte Behandlungsprogramm. Ich glaube, das gab es noch nie, dass sich so etwas in einem Koalitionsvertrag wiedergefunden hat und dann auch gleich in ein Gesetz gegossen worden ist. Wir haben uns also auch mit dem Bereich Depression befasst, und das ist ganz sicher ein Bereich, auf den wir noch einmal genauer schauen müssen. Wir werden darüber diskutieren, wir werden auch über das, was Sie angesprochen haben, diskutieren. Wir werden uns mit der Sache ausführlich beschäftigen. Bei aller Diskussion, die wir hier hatten: Die Verhinderung von Suizidversuchen und damit letztendlich die Verhinderung von Suiziden, das Schaffen von Möglichkeiten, damit sich Menschen bei uns, wenn sie solche Gedanken haben, schnell und unproblematisch Hilfe beschaffen können, ist ein ganz zentraler Punkt. Ich glaube, wir sollten da weiter am Ball bleiben. Ich freue mich auf die weiteren Diskussionen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Wort hat jetzt Rudolf Henke, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Rudolf Henke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man sieht an der Diskussion, wie unterschiedlich der gleiche Text ausgelegt und interpretiert werden kann. Aber nachdem wir heute Morgen zu dieser Thematik, wenn auch mit unterschiedlichen Positionierungen, vier fraktionsübergreifende Initiativen diskutiert haben, fragt man sich natürlich ein ganz klein bisschen – ich finde, das ist nicht total illegitim –: Woran liegt es, dass sich eine Fraktion am Nachmittag, statt eine fraktionsübergreifende Initiative zu entwickeln, auf die Fahnen schreiben will: „Wir sind diejenigen, die die Suizidprävention verbessern und Menschen in Krisen unterstützen wollen, und die anderen fertigen wir damit ab – jedenfalls wenn sie uns ein bisschen kritisch begegnen –, sie hätten daran kein Interesse“? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das konnten Sie meiner Rede nicht entnehmen!) – Doch, verehrte Frau Klein-Schmeink. – Diese Frage muss auch zu Zeiten eines Münsteraner Oberbürgermeisterwahlkampfes gestattet sein. Ich bitte sehr um Verständnis dafür, dass das in meiner Wahrnehmung nicht komplett zum heutigen Vormittag passt. Aber sei es, wie es sei. Ich finde, eine zweite Bemerkung ist viel wichtiger. Wir fangen nicht beim Punkt null an. Ich will daran erinnern, dass wir Anfang der 1980er-Jahre fast 19 000 erfolgreiche Suizide im Jahr in Deutschland hatten. Wir hatten Anfang der 1990er-Jahre round about 14 000 erfolgreiche Suizide im Jahr in Deutschland. Wir hatten Anfang des neuen Jahrtausends, also Anfang der 2000er-Jahre, rund 11 000 Suizide im Jahr in Deutschland, und in diesem Jahrzehnt pendelt diese Zahl um die 10 000. Es ist also nicht so, als wäre da nichts geschehen, als wäre niemand da gewesen, der versucht hätte, die Hand zu reichen und die Selbsttötung einzudämmen. Es ist auch ein Erfolg, dass das Durchschnittsalter, in dem Selbsttötungen eintreten, von 53,2 Jahren 1998 inzwischen auf 56,9 Jahre gestiegen ist. Ich finde, das muss man auch deswegen sagen, weil sonst der Eindruck vermittelt wird, als würden all die Menschen, die sich in der Hilfe engagieren, praktisch fruchtlos und erfolglos arbeiten, und das ist nicht der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU) Dennoch gilt: Jeder Suizidversuch ist einer zu viel, und insbesondere ist jeder erfolgreiche Suizid einer zu viel. Wenn man dem begegnen will, muss man sich ein bisschen mit der Frage auseinandersetzen: Wo ist das Ganze denn insbesondere eine Herausforderung? Wenn man die Daten analysiert, zeigt sich, dass insbesondere der Suizid im hohen Alter in einer Einsamkeitssituation und in einer Situation psychischer Krankheit der Suizid ist, der besonders häufig Ansatzpunkte für Hilfe aufweist. Es ist so, dass der häufigste Ort des Suizids nicht die Brücke ist, nicht das Gleis ist, sondern die häusliche Umgebung. Die häufigste Art und Weise des Suizids ist, sich zu erhängen. Das gilt insbesondere für die alten Männer. Insofern muss man an diesem Punkt die Frage stellen, ob die Art, wie wir über Alter reden – das schlägt auch die Brücke zur Debatte heute Morgen –, wie wir mit der Bedeutung eines Menschen, der in die Jahre kommt, umgehen, nicht mit einer gesellschaftlichen Aufgabe einhergeht, die Rollen ganz anders zu interpretieren. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle individuell erreichen müssen, dass die Not, die einer hat, erkannt wird und dass Entlastung geschaffen wird; das ist Ziel und Aufgabe von Suizidprävention. Es ist aber auch Aufgabe von Suizidprävention, über das hohe Lebensalter anders zu sprechen und Menschen das Gefühl zu nehmen, sie seien nutzlos, nicht gebraucht und von niemandem mehr angesehen. Ich glaube, an dieser Stelle gibt es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir in den gesamten Debatten über den demografischen Wandel auch thematisieren; (Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]) aber wir sind noch nicht so weit vorgedrungen, wie wir es tun müssen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) So wie wir über junge Menschen wissen, dass ihre psychische Gesundheit durch Resilienz stabiler wird und dass wir eine Resilienzförderung als einen Teil der Gesundheitsförderung betreiben müssen, so gilt, glaube ich, auch, den älteren Menschen widerstandsfähiger gegen die Krisen zu machen, die ihn im Leben treffen. Machen wir uns nichts vor: Das Leben ist kein Ort, keine Situation, in der die Politik den Menschen versprechen kann: Ihr seid von allen Lebenskrisen verschont. Freunde sterben. Ehepartner sterben. Lebensentwürfe gehen zu Bruch. Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Menschen verlieren ihre Gesundheit. Menschen verlieren ihre Wohnung. Menschen verlieren jeden, der sie ansieht, jedes Ansehen. Auf den Mitmenschen in einer solchen Situation zuzugehen, das ist eine Aufgabe, die wir nicht hier im Bundestag werden lösen können; die werden wir nur dadurch lösen können, dass wir davon sprechen, dass jeder einen braucht, der bereit ist, ihm zu begegnen. Das ist, glaube ich, die Botschaft, die man formulieren muss. Wenn es dann gelingt, diejenigen, die in den Hilfesystemen tätig sind, dadurch zu stärken, dass man besser untersucht, besser erforscht, welche Formen von Sui-zidalität im Einzelnen unter welchen Bedingungen am besten verhütet werden können, dann hat man auch der Prävention, glaube ich, sehr aufgeholfen. Das sollten wir möglichst gemeinsam entwickeln. Dazu bedarf es eigentlich keiner profilierenden Anträge. Aber der Antrag ist jetzt da. Gut, dass er da ist. Nehmen wir ihn zum Anlass, ihn dann im Ausschuss zu diskutieren! Dann werden wir sehen, ob wir zu einer gemeinsamen Beschlussfassung gelangen oder nicht. Ich bedanke mich für das Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Wir sind damit am Schluss der Debatte angelangt. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5104 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten Drucksache 18/4901 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/5412 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ressourcenschutz und ein sparsamer Umgang mit Ressourcen sind in einer Welt mit über 7 Milliarden Menschen, mit wachsendem Konsum und wachsendem Wohlstand unerlässlich. Wir müssen die Ressourcen verantwortungsvoll nutzen, und das gelingt am besten, indem sie nicht einfach verbraucht und entsorgt, sondern indem sie zurückgewonnen und wieder genutzt werden. Die gewaltigen Mengen von Elektro- und Elektronik-altgeräten sollen deshalb nicht unsere Müllberge vergrößern, sondern gerade unter Ressourcenschutzaspekten genutzt werden. Es geht dabei vor allem um die Rückgewinnung von umweltrelevanten Metallen aus diesen Geräten. Deshalb haben wir eine Novelle des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes vorgelegt. Ziel des Gesetzes ist es, die Effizienz der bestehenden Erfassungs- und Entsorgungsstrukturen weiter zu steigern, um einen größeren Anteil wertvoller Metalle aus den Altgeräten zurückzugewinnen, den illegalen Export von Altgeräten ins Ausland zu unterbinden oder mindestens zu minimieren und um so dann die schädlichen Auswirkungen der Entsorgung von Elektro- und Elektronikaltgeräten insgesamt weiter zu verringern. (Beifall bei der SPD) Wir haben in Deutschland bei der Rücknahme und Entsorgung von Elektro- und Elektronikaltgeräten eine geteilte Produktverantwortung. Diese geteilte Verantwortung ist ein Erfolgsmodell und soll mit dem Gesetz weiterentwickelt werden, um den Vorgaben der EU mit Blick auf die Sammlung und das Recycling zu entsprechen und um die Ressourceneffizienz unserer Wirtschaft insgesamt zu verbessern. Wir wollen erreichen, dass weniger Altgeräte im Restmüll landen. Dabei sind vor allem die Bürgerinnen und Bürger gefragt. Es ist allerdings unsere Aufgabe, für Rahmenbedingungen zu sorgen, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine einfache und unkomplizierte Rückgabe von Altgeräten ermöglichen. Dafür wird ein dichtes Netz an Sammelstellen gebraucht. Das bringt den Handel mit seiner räumlichen Nähe zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern ins Blickfeld. Der Gesetzentwurf sieht daher eine Rücknahmepflicht für Elektro- und Elektronikaltgeräte durch große Handelsgeschäfte und durch Internetvertreiber unter bestimmten Bedingungen vor. Wenn es uns gelingt, durch ein einfacheres Rücknahmesystem größere Mengen an Elektro- und Elektronikaltgeräten in die ordnungsgemäße Entsorgung zu bekommen, dann ist das auch ein entscheidender Beitrag, um die illegale Verbringung von Altgeräten ins Ausland, insbesondere auf den afrika-nischen Kontinent, einzudämmen. Dieses Ziel wird -entsprechend den europäischen Vorgaben auch dadurch umgesetzt, dass wir Mindestanforderungen an die Verbringung festlegen und die Beweislast umkehren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor dem Hintergrund der Diskussionen in den vergangenen Wochen möchte ich gerne noch auf zwei Punkte eingehen. Der Gesetzentwurf fällt mit Blick auf die Vorbereitung zur Wiederverwendung nicht hinter den Status quo zurück. Es wird zukünftig möglich sein, Elektro- und Elektronikaltgeräte bereits vor dem Transport auf die Möglichkeit zur Vorbereitung der Wiederverwendung zu prüfen und damit möglichen weiteren Beschädigungen vorzubeugen. Die Möglichkeit der Wiederverwendung steht auch hinter den Regelungen zur Entnahme von Batterien und Akkumulatoren, die nicht vom Altgerät umschlossen sind. Bei allem Verständnis für weitergehende Forderungen zur Entnehmbarkeit von Batterien und Akkumulatoren: Solche weitergehenden Anforderungen können aus binnenmarktrechtlichen Gründen nicht getroffen werden. Diese sind auf EU-Ebene in der Ökodesign-Richtlinie festzulegen. Das sieht auch die WEEE-Richtlinie ausdrücklich vor. Hier sollten wir alle gemeinsam Anstrengungen unternehmen, um entsprechende Diskussionen auf der EU-Ebene noch mehr als bisher anzustoßen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Materie ist natürlich vielschichtig. In einzelnen Bereichen bestehen auch hier Zielkonflikte. Das hat nicht zuletzt die öffentliche Anhörung im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages am 17. Juni ergeben. Die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf die vielen Vorschläge abgewogen und, wie ich meine, einen ausgewogenen Kompromiss vorgelegt. Durch die Maßgabebeschlüsse des Umweltausschusses wird zudem sichergestellt, dass weitere wichtige Punkte im Gesetz adressiert werden können. Das gilt zum Beispiel für die Berücksichtigung gefahrgutrechtlicher Anforderungen oder auch für Anforderungen an den Schutz personenbezogener Daten bei der Vorbereitung zur Wiederverwendung von Altgeräten. Gerade auch hinsichtlich dieser Ergänzungen möchte ich mich für die konstruktive Befassung in den Ausschüssen bedanken. Ich bitte um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat Herr Kollege Ralph Lenkert das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Koalitionäre, echt Wahnsinn, fast zwei Jahre haben Sie am neuen Gesetz für Elektroaltgeräte herumgemurkst. (Zuruf von der SPD: Gemurkst?) Das ist, wie treffend, Schrott. (Beifall bei der LINKEN) Sie schwadronieren über die Produktverantwortung der Hersteller und benachteiligen eiskalt die Kommunen. Nun müssen die Kommunen auf Wertstoffhöfen Altgeräte annehmen und in getrennten Behältern sortieren, einen für Fernseher und Radios, einen für Waschmaschinen und Geschirrspüler, einen für Kühlschränke, einen für Handys und Wasserkocher, einen für Photovoltaikmodule. Und das alles sollen die kommunalen Abfallbetriebe für die privaten Entsorger erledigen – kostenlos. Warum lassen Sie die Bürgerinnen und Bürger über die Müllgebühren diese Kosten tragen und nicht die Produktverantwortlichen, die Privaten? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit alten Elektrogeräten wird bei den derzeitigen Rohstoffpreisen viel Geld verdient. Die Linke will, dass dieses Geld dann auch den öffentlichen Abfallbetrieben zufällt; denn damit könnten Müllgebühren sinken. (Beifall bei der LINKEN) Ich wundere mich sehr, dass Sie von SPD und Union gegen niedrigere Müllgebühren sind und die Gewinne lieber privaten Konzernen zuschanzen. Obwohl: eigentlich typisch für Sie! (Heiterkeit bei der LINKEN) Schauen wir doch einmal, ob diese Gesetzesänderung wenigstens der Umwelt hilft. Klares Nein! Nichts findet sich zur längeren garantierten Nutzungszeit von Geräten, wie es die Linken und die Grünen fordern, beispielsweise für Waschmaschinen, die mindestens fünf Jahre halten, für Drucker, die auch nach 10 000 Blatt noch drucken. Das wäre toll für die Umwelt, gut für unser aller Geldbeutel, aber eben schlecht für die Umsätze der Konzerne. Deshalb hat die Koalition diese garantierten Nutzungszeiten verhindert. Das ist wiederum typisch für Sie. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja! Das ist traurig!) Sie von Union und SPD setzen noch einen drauf. Ich zitiere aus dem Gesetz den Abschnitt zu den Erfassungsquoten: … soll jährlich eine Mindesterfassungsquote von 45 Prozent gemessen an dem Gesamtgewicht der erfassten Altgeräte im Verhältnis zum Durchschnittsgewicht der Elektro- und Elektronikgeräte, die in den drei Vorjahren in den Verkehr gebracht wurden, erreicht werden. Haben Sie es verstanden? Beispielhaft bedeutet dies für meine Heimatstadt Jena: Wenn im Jahr 2015 2 200 Waschmaschinen verkauft werden, im Jahr 2016 dann 2 400 und 2017 wieder 2 200, dann müssten nach diesem Gesetz in Jena im Jahr 2018 insgesamt 2 970 Waschmaschinen entsorgt werden. Laufen die Waschmaschinen jedoch länger als zwei Jahre, gibt es für die Stadt und auch für die Hersteller keine Chance, das Gesetz einzuhalten. Die armen Hersteller müssen also Geräte bauen, die schnell entsorgt werden, sonst verfehlen sie die Quote. Diese Quotenregelung ist gut für die Umsätze, schlecht für die Umwelt, einfach Schwachsinn. (Beifall bei der LINKEN) Vor allem aber darf es keine Doppel- und Mehrfachstrukturen bei der Entsorgung von Elektroaltgeräten geben. Diese wären bürokratische, ineffiziente Monster wie die dualen Systeme bei den Verpackungen. Die dualen Systeme brauchen rund 500 Millionen Euro pro Jahr allein für ihre Bürokratie, aber sie setzen nur rund 400 Millionen Euro pro Jahr für das Sammeln und Verwerten der Verpackungen ein. Und dann schafft die -Koalition mit diesem Gesetz ein neues duales Systemmonster im Elektrogerätebereich! Das ist knallharte Lobbyarbeit für Konzerne, und da machen wir Linken nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) Entgegen Ihren häufigen Vermutungen hat die Linke Lösungen für ein Elektroaltgerätegesetz, die ich hiermit anbiete: Erstens. Die Verantwortung für Erfassung und Verwertung von Elektroaltgeräten muss den öffentlich-rechtlichen Entsorgern übertragen werden. Zweitens. Die Hersteller müssen längere Nutzungszeiten für ihre Geräte garantieren. Drittens. Die Inverkehrbringer von Geräten müssen für das Sammeln und Entsorgen der Altgeräte eine Entsorgungsabgabe zahlen. Viertens. Statt starrer Quoten führen wir eine Pfandpflicht für alle Elektrogeräte ein. Fünftens. Die Gewinne aus Wiederverwendung und Recycling werden zur Senkung der Müllgebühren verwendet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Union, fragen Sie doch einmal Ihre Bürgermeisterinnen und Landräte, ob sie gern die Müllgebühren senken würden. Ich sage Ihnen voraus: Mit diesem Gesetz und den dadurch hervorgerufenen Müllgebührensteigerungen werden Sie wenig Verständnis bei Ihren Kolleginnen und Kollegen im Lande erreichen. Das können Sie jetzt noch ändern. Schließen Sie sich einfach unseren Vorschlägen und dem Entschließungsantrag der Grünen an! Verabschieden wir gemeinsam ein besseres Elektroaltgerätegesetz! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Thomas Gebhart, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Große Mengen von Elektro- und Elektronikgeräten werden jedes Jahr in unserem Land verkauft – wir reden hier über eine Größenordnung von rund 1,6 Millionen Tonnen –, und es stellt sich die Frage: Was geschieht mit diesen alten Geräten, die nicht mehr gebraucht werden, die kaputt sind, nicht mehr repariert werden? Diese werden heute zu einem guten Teil gesammelt und recycelt. Aber zur Wahrheit gehört eben auch: Da ist noch viel Luft nach oben. Ein großer Teil dieser Geräte landet nach wie vor in der Restmülltonne, und ein Teil des Elektroschrotts verschwindet im Ausland. Dies wollen wir ändern, und wir werden es ändern mit diesem Gesetz, das heute zur Abstimmung vorliegt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Was sind die Ziele unseres Gesetzes? Wir wollen, dass möglichst viele alte Elektrogeräte zurückgegeben werden. Wir wollen, dass möglichst viele davon recycelt werden. Wir wollen, dass die Schadstoffe nicht in die Umwelt gelangen. Wir wollen, dass wertvolle Rohstoffe zurückgewonnen werden. Kupfer, Aluminium und Kunststoffe – um nur ein paar Beispiele zu nennen – müssen in den Kreislauf zurück. Das macht umweltpolitisch Sinn. Das macht wirtschaftspolitisch Sinn, und zwar gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland. Technologisch ist bereits heute eine ganze Menge möglich. Die deutschen Unternehmen haben moderne Recyclingtechnologien entwickelt. Ich selbst habe mir vor kurzem eine solche Anlage angesehen. Es ist absolut faszinierend, wenn man einmal sieht, wie alte Fernsehgeräte, Toaster und vieles andere in Einzelteile zerlegt werden und die Rohstoffe herausgeholt werden. Ich bin mir sicher: Dieses Gesetz wird einen Schub geben zu noch mehr technologischer Innovation. Wir werden die deutsche Vorreiterrolle in diesem Bereich stärken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Unser Ziel ist es also, die Kreisläufe auch im Bereich der Elektrogeräte besser zu schließen. Wir wollen dieses Ziel in einer Art und Weise erreichen, die es dem Bürger möglichst einfach macht. Wir wollen das Gesetz verbraucherfreundlich machen. Es ist in dieser Legislaturperiode eines der wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben im Bereich der Kreislaufwirtschaft. Wir setzen europäische Vorgaben um, und wir setzen unseren Koalitionsvertrag um. Was sieht dieses Gesetz ganz konkret vor? Ich will drei aus unserer Sicht besonders wichtige Punkte nennen: Erster Kernpunkt, Rücknahmepflicht des Handels. Wir wissen: Bereits heute nehmen viele Geschäfte – kleine wie große – kundenfreundlich freiwillig alte Geräte zurück. Künftig wird es eine Rücknahmepflicht in großen Geschäften mit einer Verkaufsfläche von mehr als 400 Quadratmetern geben. Kauft also jemand ein neues Gerät, kann er im Gegenzug sein altes Gerät zurückgeben. Kleine Altgeräte mit weniger als 25 Zentimetern Kantenlänge müssen auch dann zurückgenommen werden, wenn kein neues Gerät gekauft wird. Diese Rücknahmepflicht gilt auch für Händler, die über das Internet verkaufen. Dadurch vermeiden wir, dass Wettbewerbsnachteile für den stationären Handel entstehen. Ausgenommen von dieser Rücknahmepflicht sind kleine und mittelständische Geschäfte mit weniger als 400 Quadratmetern Verkaufsfläche. Diese wollen wir nicht überfordern. Selbstverständlich können sie auch weiterhin freiwillig zurücknehmen. Ungeachtet der Rücknahmepflichten des Handels bleiben die bewährten Erfassungs- und Entsorgungsstrukturen bei den kommunalen Einrichtungen erhalten. Sie werden verbessert. Der Bürger erhält also eine zusätzliche Möglichkeit, seine Geräte zurückzugeben. Zweiter Kernpunkt. Die Vorgaben, wie viel Prozent der anfallenden Altgeräte erfasst werden müssen, werden erhöht: zunächst auf 45 Prozent, später dann auf 65 Prozent. Neben dieser Erfassungsquote werden auch die Recyclingquoten erhöht, das heißt, mehr Geräte werden recycelt. Dritter Kernpunkt. Wir dämmen illegale Exporte von Elektroschrott ein. Bisher mussten die Behörden nachweisen, dass es sich um Elektroschrott handelt. Jetzt gibt es eine Beweislastumkehr: Will jemand Elektrogeräte ausführen, muss er künftig nachweisen, dass die Geräte noch funktionieren, dass es sich also nicht um Abfälle handelt. Das, meine Damen und Herren, ist uns wichtig, weil es nicht hinnehmbar ist, dass unsere ausgedienten Fernseher, Mikrowellengeräte und Teile von Kühlschränken in großen Mengen auf den Müllhalden in Ghana oder in anderen Ländern Afrikas landen. Es ist nicht hinnehmbar, dass unsere Abfälle dort erhebliche Probleme verursachen, und zwar für Mensch und Umwelt. Das dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das sind drei Kernpunkte, die uns wichtig sind. Die Grünen haben in einem Änderungsantrag gefordert, dass Geräte so zu gestalten sind, dass Batterien ausgetauscht werden können. Ich will ausdrücklich sagen: Diese Zielrichtung ist nicht falsch. Das Problem ist aber, dass wir eine solche Regelung nur europäisch erlassen können. Wir können es rein national nicht. Darüber gehen Sie in Ihrem grünen Antrag einfach hinweg. Die europäische Vorgabe, die wir umsetzen müssen, sieht unter anderem vor, dass die Kategorien für Elektrogeräte ab dem Jahr 2018 neu eingeteilt werden. Meine Damen und Herren, das verursacht erheblichen bürokratischen Aufwand ohne erkennbaren Nutzen. Ich kann keinen Mehrwert dieser Regelung erkennen; das muss in diesem Zusammenhang kritisch angesprochen werden. Ich halte diese EU-Regelung für mehr als fragwürdig. Wir haben dies kritisiert, und wir werden dies weiter thematisieren. Wir haben im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren sehr gründlich über die verschiedenen Punkte debattiert. Wir haben eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Wir haben gemeinsam mit dem Koalitionspartner wichtige Punkte durchgesetzt. Ich will nur vier kurz ansprechen: Erster Punkt. Die Anforderungen an die Erstbehandlung von Altgeräten – das ist mit Blick auf die Qualität des Recyclings wichtig – werden nun festgeschrieben. Zweiter Punkt. Die Kommunen werden bei den Mitteilungspflichten deutlich entlastet. Dies war Teil unseres Änderungsantrages und liegt damit heute ebenfalls zur Abstimmung vor. Dritter Punkt. Es wurde auch in der Anhörung mehrfach zu Recht darauf hingewiesen, dass Geräte mit bestimmten Batterien von anderen Geräten getrennt werden müssen, die keine Batterien haben, und zwar wegen der Brandrisiken. Daher ist nun vorgesehen, dass es für diese Geräte eigene Behältnisse gibt. Vierter Punkt, Stichwort: Mobiltelefone. Inzwischen liegen in Deutschland mehr als 100 Millionen alte Handys in den Schubladen. Die Frage ist: Warum geben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land die alten Geräte nicht zurück? Ich vermute, dass das wesentlich damit zusammenhängt, dass es schlicht und ergreifend die Sorge gibt, dass die Daten auf den Handys in falsche Hände geraten könnten. Also ist für uns die Konsequenz: Wenn diese Geräte wiederverwendet werden können oder sollen, dann ist der Schutz personenbezogener Daten von allergrößter Relevanz. Deshalb haben wir jetzt Anforderungen an den Datenschutz verankert. Wir legen großen Wert darauf, dass die Daten nicht in falsche Hände geraten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, kurzum: Dieses Gesetz bringt uns im Hinblick auf unser Ziel, die Kreisläufe besser zu schließen, Ressourcen zu schonen und Abfälle verstärkt als Rohstoffquelle zu nutzen, effektiv weiter. Deshalb bitte ich Sie heute um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächster hat der Kollege Peter Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über etwas, was jeder von uns ständig mit sich herumschleppt: Elektroschrott, Handys, Fernseher, Kühlschränke, Laptops. (Heiterkeit) – Na gut, Kühlschränke schleppen wir nicht mit uns herum, aber wir haben sie auch. (Heiterkeit) Warum reden wir heute darüber? Es gibt immer mehr Elektronik um uns herum, immer mehr Müll. Wir haben die Mengen gehört: 600 000 Tonnen allein in Deutschland, weltweit schätzungsweise 40 Millionen Tonnen. Kollege Gebhart hat es gerade angesprochen: Laut -BITKOM liegen 100 Millionen Althandys in unseren Schubladen. Das heißt, wir haben es mit einem Problem von ausreichender Relevanz zu tun. Warum ist Recycling dabei so ein wichtiger Aspekt? In Handys und all den anderen Geräten finden sich wertvolle Metalle wie Gold oder Silber. In einer Tonne Elektroschrott findet sich beispielsweise sehr viel mehr Gold, als man in einer entsprechenden Menge Erz finden würde. Insofern ist es durchaus ein interessantes Thema. Die Rohstoffe werden in der Regel nicht bei uns abgebaut und gewonnen, sondern in China, Südamerika und Afrika, zum Teil mit verheerenden Umweltauswirkungen. Die Minenarbeiter leiden darunter, die sozialen Kosten sind viel zu hoch. Es gibt Menschen, die sagen: Mit den ersten Bäumen, die gefällt werden, beginnt die Kultur. Mit den letzten Bäumen, die gefällt werden, endet sie. – Wenn man in manche Minengebiete fährt, dann könnte man glauben, die Kultur wäre da schon zum Erliegen gekommen. Insofern sollten wir – das besagt ja auch der Gesetzentwurf – sparsam mit den Rohstoffen umgehen und die Geräte möglichst lange nutzen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist ja richtig, dass die Inhaltsstoffe zurückgewonnen werden sollen, wenn die Geräte kaputt sind und nicht mehr repariert werden können. Doch in dem Gesetzentwurf gehen Sie nicht weit genug. Es muss doch auch darum gehen: Wie können wir die Geräte vernünftig designen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir Grüne sind überzeugt, dass wir nicht erst beim Schrott anfangen sollten, sondern mit Ökodesign und Produktverantwortung, also viel früher. Der vorliegende Gesetzentwurf regelt hier zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Batterien und Akkus austauschen zu können, ist wichtig, auch wenn es manchmal nicht einfach ist, das rechtlich umzusetzen. In der Anhörung wurde immer wieder ein zentraler Punkt betont: Die Ressourcen sind knapp, und es kommt darauf an, dass wir die Produkte länger nutzen können, als manche Akkus halten. Warum gehen Sie die Herausforderung nicht an? Immer nur darüber zu schimpfen, dass Geräte zu schnell kaputtgehen – eine Statistik des Umweltbundesamtes hat bestätigt, dass die Elektrogeräte immer kürzer genutzt werden –, das bringt nichts. Es hilft nicht, wenn man das nur deklamiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielmehr müssen wir Ansprüche an die Hersteller formulieren. Qualität fällt nicht einfach vom Himmel, Produktdesign entsteht nicht einfach so, und geplante Obsoleszenz können wir nicht länger negieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Geräte, in denen Sollbruchstellen eingebaut werden, damit sie schneller kaputtgehen – das nervt nicht nur die Nutzer, die unnötige Kosten und Ärger damit haben, sondern das führt auch zu einer Wegwerfgesellschaft, die wir Grüne so nicht wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Wir auch nicht!) – Ja, schön. Genau deshalb, Frau Nissen, haben wir im Umweltausschuss konkrete Änderungsvorschläge vorgelegt. Wir haben die Erkenntnisse aus den Anhörungen aufgenommen, um den Gesetzentwurf zu verbessern, damit wir vielleicht doch noch zustimmen können. Lassen Sie mich einige Aspekte nennen. Erstens. Batterien sollen auswechselbar sein. Zweitens. Geräte, die noch funktionieren, sollen aussortiert werden können, sodass sie weiter genutzt werden können, und das nicht nur beim Einsammeln, sondern das muss an allen Stellen des Prozesses funktionieren. Respektieren Sie endlich die EU-Abfallhierarchie, die genau das vorschreibt: -Weiterverwendung und weitere Nutzung gehen vor Recycling. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Der dritte Aspekt – Kollege Gebhart hat es angesprochen –: Onlinehandel und Discounter sollen einbezogen werden. Das ist im vorliegenden Gesetzentwurf mitnichten der Fall. Wer weist denn einem Onlinehändler nach, dass er 400 Quadratmeter Verkaufsfläche hat? Warum bietet man den großen Discountern, die viel Elektroschrott auf den Markt bringen, der nicht darauf ausgelegt ist, möglichst lange zu halten, immer wieder Schlupflöcher, um die Regelungen des Gesetzes zu umgehen? Das muss nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Ausschuss haben Sie alle unsere Vorschläge abgelehnt. Das ist für uns ein Skandal. Das führt dazu, dass wir Ihrem Gesetzentwurf so nicht zustimmen können. Denn er führt zu einem Weiter-so. Er führt zu Verschwendung und dazu, dass Geräte viel zu schnell und in immer kürzerer Zeit kaputtgehen. Das ist das Gegenteil von nachhaltig. Das fördert weiterhin die Ausbeutung der planetaren Ressourcen. Wir leben längst über unsere Verhältnisse. Das geht zulasten der Ärmsten und nachfolgender Generationen. Die Regierung verpasst wieder einmal eine Chance, etwas gegen Verschwendung und für besseren Umweltschutz zu tun. Warum haben Sie nicht den Mut, durch ein Handypfand einen echten wirtschaftlichen Anreiz zu schaffen, ausgesonderte Geräte einzusammeln? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist ein einfaches Prinzip. Wir wissen aus anderen Bereichen, dass es funktioniert. Warum tun Sie es nicht? Unsere Vorschläge finden sich in unserem vorliegenden Entschließungsantrag wieder. Geben Sie sich einen Ruck, und stimmen Sie dieser Entschließung zu – Kollege Lenkert hat es auch schon empfohlen –; denn umweltpolitisch sind diese Maßnahmen unverzichtbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Eine Bemerkung noch zum Schluss. Dafür, dass Sie diesen Gesetzentwurf mit anderthalb Jahren Verspätung vorlegen, ist er erschreckend dünn. Er setzt letztlich nur das um, was die EU vor anderthalb Jahren sowieso schon vorgeschrieben hat. Da können wir in Deutschland angesichts unserer technologischen Möglichkeiten und der politischen Maßnahmen, die wir ergreifen könnten, deutlich mehr. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Michael Thews. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Michael Thews (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der letzten Woche führte ich ein Gespräch mit einer jungen Studentin, die sich für das Thema Abfall interessierte. In dem Gespräch habe ich sie irgendwann gefragt, wohin sie denn ihre alten Elektrogeräte, zum Beispiel ihren Föhn oder ihren Wasserkocher, bringt, wenn sie kaputtgehen. Sie ahnte schon, dass das eine Fangfrage ist, und zögerte etwas. Irgendwann sagte sie: Die gebe ich dem „Klüngelskerl“, der bei uns den Elek-troschrott einsammelt. Der fährt bei uns durch die Siedlung und nimmt so ziemlich alles. – Diese kurze Unterhaltung hat mir zweierlei deutlich vor Augen geführt: Zum einen ist es wichtig und richtig, dass wir die Entsorgung der Elektroaltgeräte verbraucherfreundlicher und vor allen Dingen auch ortsnäher organisieren, und zum anderen: Wir müssen noch einiges an Aufklärungsarbeit leisten. Diese Studentin ist sicherlich nicht die einzige, die keine Lust hat, wegen einer elektrischen Zahnbürste oder wegen eines alten Handys zum Wertstoffhof zu fahren, oder auch gar nicht weiß, dass die Geräte dort hingehören. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Viele werfen ihre alten Elektrogeräte einfach in die graue Tonne, geben sie bei einem freundlichen Sammler ab oder lassen sie gleich zu Hause. Auf Basis dieses Gesetzes können die Bürgerinnen und Bürger ihre Elektrogeräte dort zur Entsorgung zurückgeben, wo sie sie gekauft haben, nämlich im -Handel; auch der Onlinehandel wird in die Pflicht genommen. Natürlich ist es auch weiterhin möglich, beim Wertstoffhof seine Geräte zurückzugeben. Ich meine, das ist ein guter Schritt. (Beifall bei der SPD) Ich bin der festen Überzeugung, dass wir parallel dazu dringend Aufklärungsarbeit leisten müssen. Die Bürgerinnen und Bürger brauchen einfach mehr Informationen über die Abfalltrennung im Allgemeinen und über die Entsorgung von Elektroschrott im Besonderen. Viele wissen schlicht nicht, wohin sie ihr altes Handy, ihre Sparlampe oder ihren Toaster bringen sollen. Viele wissen auch nicht, wie der Weg ihres alten Fernsehers aussieht, wenn sie ihn einem freundlichen Händler – die finden Sie teilweise vor den Wertstoffhöfen – in die Hand drücken. Dieser Weg hat Folgen. Die sollten wir uns einmal ansehen. In Deutschland haben wir hervorragende Recyclinganlagen mit einem sehr hohen technischen Standard und strenge Emissionswerte. Das ist aber nicht überall auf der Welt so. Als Entwicklungsminister Gerd Müller im Frühjahr dieses Jahres bei einem Besuch in Afrika den Export des giftigen Elektroschrotts anprangerte, kam eine der größten Elektromülldeponien der Welt am Rande von Accra, in Ghana, wieder einmal in den Fokus. Hier versuchen hauptsächlich Kinder und Jugend-liche, die im Elektroschrott enthaltenen wertvollen Rohstoffe zu gewinnen, indem sie die Plastikummantelung von Kupferkabeln oder die Plastikgehäuse der Geräte durch offenes Feuer zum Schmelzen oder zum Brennen bringen. Dadurch können Dioxine entstehen, und es gelangen andere Umweltgifte wie Arsen und Quecksilber in den Boden und in das Wasser – mit verheerenden Folgen für die Menschen vor Ort. Viele der dort unsach-gemäß deponierten oder recycelten Geräte sind illegale Exporte aus Europa, auch aus Deutschland. Defekte Geräte werden als noch funktionstüchtig deklariert und nach Asien oder Afrika verschifft. Dies wird nach dieser Novelle, mit der die Umkehr der Beweislast verbunden ist, schwieriger. Ich meine, das ist ein wichtiger Schritt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im parlamentarischen Verfahren haben wir auch eine Veränderung zugunsten des Datenschutzes aufgenommen; sie wurde hier schon kurz angesprochen. In einer Verordnung zur Regelung der Anforderungen an die Vorbereitung zur Wiederverwendung – die Wiederverwendung ist ein wichtiger Schritt zur Abfallvermeidung – soll der Schutz der personenbezogenen Daten berücksichtigt werden. Jetzt fragen Sie vielleicht: Warum ist das überhaupt nötig? Mittlerweile gibt es immer mehr Geräte, die unsere Daten speichern. Das kann die Uhr sein, das kann das Handy sein, das kann aber auch die Festplatte sein. Vielleicht zögert der eine oder andere, seine Geräte zur Entsorgung zu geben, weil er nicht sicher sein kann, dass diese Daten vor einer Wiederverwendung vollständig gelöscht werden. Ich finde, auch dies ist ein richtiger Schritt, den wir mit diesem Gesetzentwurf unternehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich nehme ich die Kritik der Opposition zur Kenntnis. Ich bin aber trotzdem der Meinung, dass wir mit diesem Gesetz einen vernünftigen Schritt hin zu einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft unternehmen. An dieser Stelle möchte ich mich bei den Mitarbeitern des Ministeriums und bei den Kolleginnen und Kollegen von der CDU recht herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ich denke, gerade in der letzten -Sitzungswoche vor der Sommerpause kann man das hier ruhig einmal sagen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Schätzungen zufolge – wir haben es von vielen Rednern schon gehört – landen jedes Jahr 150 000 Tonnen Elektrokleingeräte, zum Beispiel Handys oder Bügeleisen, im Restmüll und schließlich in der Müllverbrennung. Betrachtet man alle Elektrogeräte, sind es sogar 500 000 Tonnen. Deshalb ist es gut, dass die Europäische Union den Anstoß gegeben hat. Die EU-Richtlinie über Elektro- und Elektronikaltgeräte wurde überarbeitet. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir diese Richtlinie um und entwickeln das bestehende sogenannte Elektrogesetz weiter. Ich kann mich an die Diskussionen über die Richtlinie während meiner Zeit als Europaabgeordnete erinnern. Es war immer unser Ziel, die Sammelquote zu erhöhen. Es ist nicht nur wichtig, dass wir die wertvollen Rohstoffe zurückgewinnen, sondern auch, dass wir verhindern, dass Schadstoffe in die Umwelt gelangen. Deswegen ist es richtig, dass auch der Handel seinen Beitrag zur Erreichung der Ziele leistet. Aber ich begrüße ebenfalls, dass kleine Strukturen und eben auch die Belange der mittelständischen Unternehmen dabei berücksichtigt werden und ihren Umständen Rechnung getragen wird. Nicht jeder Dorfladen um die Ecke hat die Fläche für die Rücknahme von großen Geräten wie zum Beispiel Wasch-maschinen oder Spülmaschinen. Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von über 400 Quadratmetern müssen die Altgeräte beim Kauf vergleichbarer Neugeräte zurücknehmen. Bei Kleingeräten mit einer Kantenlänge bis zu 25 Zentimeter gibt es eine Rücknahmeverpflichtung ohne den Neukauf. Bislang erfolgt diese Rücknahme eher auf freiwilliger Basis. Es ist ein wichtiger Fortschritt, dass dies jetzt auch gesetzlich geregelt ist. Ich halte es gerade in der heutigen Zeit für richtig, dass der Onlinehandel einbezogen wird. Die Rücknahmestellen müssen auch beim Onlinehandel in zumut-barer Entfernung eingerichtet werden. Da kann man zum Beispiel auf die Paketdienste zurückgreifen. Daneben ist ebenfalls gut, dass der Elektroschrott wie bislang bei den kommunalen Sammelstellen abgegeben werden kann. Der Verbraucher hat damit eine Reihe von Möglichkeiten, aus denen er wählen kann. Das vereinfacht letztendlich die Handhabung für den Verbraucher und trägt vielleicht dazu bei, dass die Recyclingquoten noch weiter steigen und mehr Geräte in die Wiederverwertung kommen. Einige Kommunen haben bereits praxistaugliche Lösungen mit Beispielcharakter. Zum Beispiel gibt es in meinem Heimatland Bayern in München und auch in Augsburg flächendeckend einbruchsichere Container. Durch diese wird verhindert, dass Geräte illegal entwendet werden. Hier spielt natürlich der Datenschutz eine Rolle; er wurde bereits angesprochen. Auf Elektrogeräten sind oft auch persönliche Daten enthalten, die vielleicht in falsche Hände geraten können. Der Aspekt des Datenschutzes ist ganz wichtig. Ich finde es gut – es gab einen entsprechenden Antrag Bayerns im Bundesrat –, dass wir das im Gesetz-gebungsverfahren aufgenommen haben und dass jetzt verhindert wird, dass diese Geräte in unberechtigte Hände gelangen. Um zu verhindern, dass Unberechtigte Zugriff auf diese Daten haben, sieht das Gesetz vor, dass diejenigen, die Elektroschrott behandeln, ein Zertifikat erwerben müssen. Damit wird nachgewiesen, dass der Behandler Vorkehrungen getroffen hat, um die Bestimmungen des Datenschutzes einzuhalten. Das ist in meinen Augen wirklich sehr gut umgesetzt worden. Rohstoffe und Sekundärrohstoffe sind etwas sehr Wertvolles, gerade auch für Deutschland, weil wir wenige eigene Rohstoffe haben. Deswegen ist es richtig, dass wir die Beweislastumkehr für die Exporteure eingeführt haben. Der Exporteur muss belegen, dass Geräte nicht gebrauchsfähig sind. Damit verhindern wir das -illegale Verbringen von Rohstoffen und das Ausschlachten dieser Geräte. Zu guter Letzt möchte ich noch auf die Produktverantwortung eingehen. Bei all den Diskussionen dürfen wir nicht vergessen, dass Deutschland schon jetzt die EU-Zielvorgaben sehr gut erfüllt. Auch bei der Produktverantwortung sind wir weltweit führend. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist nämlich so, dass die Hersteller schon jetzt eine Stiftung, die Stiftung Elektro-Altgeräte Register, gegründet haben. Hersteller holen schon heute Altgeräte analog zum Marktanteil bei den Sammelstellen ab. Damit sorgen sie schon jetzt für eine umweltgerechte Entsorgung und auch für eine Verwertung der Rohstoffe. Von diesem Gedanken haben wir uns inspirieren lassen und haben die Produktverantwortung, die wir inhaltlich sehr gut finden, in das Eckpunktepapier zum Wertstoffgesetz aufgenommen. Durch diese Ausweitung der -Produktverantwortung setzen wir den Anreiz für den Hersteller, gut rezyklierbare Produkte zu verwenden. Schon beim Herstellungsprozess wird diese Produkt-verantwortung dann wahrgenommen, bzw. es wird der Anreiz dafür gesetzt. Ich denke, damit fördern wir die stoffliche Verwertung noch weiter, auch gegenüber der thermischen Verwertung, weil die stoffliche Verwertung uns da wirklich sehr voranbringt. Abschließend möchte ich sagen: Das Elektrogesetz ist ein wichtiger Baustein zum Schließen von Stoffkreisläufen und zur Verbesserung der stofflichen Verwertung, und es sorgt dafür, dass wertvolle Rohstoffe in der Wertschöpfungskette verbleiben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache angekommen. Wir stimmen ab über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten. Der Ausschuss für Umwelt, -Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in -seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5412, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4901 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5422. Wer stimmt für diesen -Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen Drucksache 18/5227 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, jetzt ihre Plätze einzunehmen und die zu führenden Gespräche außerhalb des Sitzungssaals zu führen. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Katrin Werner, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Katrin Werner (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag steht: Wir wollen die Integration von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt begleiten und so die Beschäftigungssituation nachhaltig verbessern. Man könnte denken: Wo ein Wille, da auch ein Weg. Leider weit gefehlt: Von einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderung zugänglichen Arbeitsmarkt, wie ihn die UN-Behindertenrechtskonvention im Artikel 27 fordert, sind wir meilenweit entfernt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Fakten sind aus unserer Sicht alarmierend: Im Januar 2015 waren 187 000 schwerbehinderte Menschen als arbeitslos gemeldet. Ihre Arbeitslosenquote ist mit 14 Prozent mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine. Die Arbeitslosenzahlen von Menschen mit Behinderung nehmen seit Jahren zu, und der Umfang der Beschäftigung in Sonderwelten wie Werkstätten steigt an. Sie können vom angeblichen Aufschwung des Arbeitsmarktes nicht profitieren. Sie bleiben einfach Bittsteller vor vernagelten Türen. Etwa 300 000 Menschen befinden sich derzeit in einer Werkstatt. Ihr durchschnittlicher Lohn liegt bei 180 Euro, und das oft bei einem Achtstundentag. Das ist diskriminierend und viel zu wenig fürs Leben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alle Menschen haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Sie haben das Recht, durch tarifliche Entlohnung ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Es reicht nicht aus, nur das System zu öffnen. Wir müssen auch bereit sein, Sonderstrukturen abzubauen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die schrittweise Umstrukturierung und damit die Abschaffung der Werkstätten, wie sie auch der UN-Fachausschuss zur Überprüfung der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Deutschland empfiehlt, ist ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der jeder Mensch das Recht hat, seine Arbeit frei zu wählen. Wir brauchen sofort ausreichend akzeptable Alternativen für Menschen, die nicht in einer Werkstatt arbeiten wollen. Und wir brauchen eine unabhängige Beratung von Betroffenen genauso wie ein Budget für Arbeit als gesetzlichen Leistungsanspruch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der UN-Fachausschuss empfiehlt, speziell die Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen mit Behinderungen in Deutschland auszubauen. Was die vielen Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung betrifft: Auch hier brauchen wir einen -Bewusstseinswandel aller Akteure. Viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zahlen lieber noch die gesetzliche Ausgleichsabgabe von monatlich bis zu 290 Euro, als Menschen mit Behinderung einzustellen. Umgekehrt sind jeder vierten Arbeitgeberin bzw. jedem vierten Arbeitgeber die finanziellen Fördermöglichkeiten unbekannt. Das ist nicht mehr hinzunehmen und muss dringend geändert werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weit über die Hälfte aller Unternehmen erfüllt nicht die festgeschriebene Beschäftigungsquote für Menschen mit Behinderung. Meine Damen und Herren, die derzeitige gesetzlich vorgeschriebene Quote von 5 Prozent Menschen mit Behinderung unter den Beschäftigten ist viel zu gering. Wir finden, die Quote muss endlich auf 6 Prozent – besser sogar noch mehr – angehoben werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Warum drücken sich immer noch so viele Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen davor, Menschen mit Behinderung einzustellen? Weil Sie die Ausgleichsabgabe -einfach aus ihrer Portokasse bezahlen können. Die Ausgleichsabgabe ist so deutlich anzuheben, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen die Beschäftigungspflicht nicht mehr umgehen. Im Gegenzug müssen Unternehmen, die die Beschäftigungspflicht mehr als erfüllen, steuerlich begünstigt werden. (Beifall bei der LINKEN) Menschen mit Behinderung sind für den Arbeitsmarkt oft eine große Bereicherung. Das zeigen uns die inklusiv arbeitenden Unternehmen. Mehr als Dreiviertel der Unternehmerinnen und Unternehmer sehen gar keinen Leistungsunterschied zwischen Berufstätigen mit und ohne Behinderungen. Nicht selten ist ihre Fachkompetenz und Qualifikation höher als die der Kollegen. Finden Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz, so stellen sich ihnen weitere Hürden in den Weg. Fast die Hälfte aller Arbeitsplätze von Beschäftigten mit Behinderungen ist nicht barrierefrei. Das darf einfach nicht mehr sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Arbeitsplätze müssen generell barrierefrei sein. Barrierefreiheit darf nicht erst hergestellt werden, wenn ein Mensch mit Behinderung beschäftigt wird. Barrierefreie Arbeitsplätze sind für uns alle gut. Braucht ein Mensch für seine Arbeit persönliche Assistenz, so muss er sie natürlich erhalten. Um die Selbstvertretung der Beschäftigten in den Werkstätten zu stärken, sind Mitbestimmungsrechte für Werkstatträte als Sofortmaßnahme einzuführen. Die Schwerbehindertenvertretung mahnt schon seit einigen Jahren die Ausweitung und Verbesserung ihrer Mitbestimmungsrechte an. Menschen, egal ob mit Behinderungen oder ohne, haben nach Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein Recht auf Arbeit und nicht nur ein Recht auf eine arbeitsähnliche Beschäftigung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir alle haben ein Recht auf eine freie Berufswahl, gerechte und gute Arbeitsbedingungen sowie das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Dieses Menschenrecht muss endlich für alle Menschen umgesetzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ich bin ganz sicher, dass ich den meisten von Ihnen aus dem Herzen gesprochen habe. Deshalb dürfte es für Sie ein Leichtes sein, unserem Antrag zuzustimmen. Tun Sie es einfach! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Uwe Schummer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Uwe Schummer (CDU/CSU): Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten heute 1,3 Millionen anerkannt schwerbehinderte Menschen. 260 000 wesentlich behinderte Menschen arbeiten in den sogenannten betreuten Werkstätten. Das heißt, die größte Zahl schwerbehinderter Menschen arbeitet auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg hat 2014 in einem Arbeitsmarktbericht festgestellt: Die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt steigt seit Jahren kontinuierlich. – Das ist die gute Nachricht. Sie hat aber auch festgestellt, dass aufgrund der Demografie, also deswegen, weil wir alle älter werden und damit natürlich auch Mobilitäts-beeinträchtigungen oder andere Beeinträchtigungen -bekommen, auch die Zahl der schwerbehinderten -Menschen stetig steigt. Deshalb nimmt eben die Arbeitslosigkeit nicht in entsprechendem Maße ab. Von daher ist das ein Thema, das wir miteinander bearbeiten müssen. Die Idee der Linken ist aber wieder einmal: Abgaben erheben, Bußgelder verhängen, sozusagen mit der Peitsche kommen und zu etwas zwingen. Das ist klassisch: Sie wollen zwingen, Sie wollen nicht überzeugen. (Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geht es freiwillig?) Sie betonen die Defizite, Sie wollen nicht die Potenziale und die Chancen der Menschen, die wir vertreten, in den Mittelpunkt stellen. Die UN-Behindertenrechtskonvention schaut dagegen auf die Potenziale der Menschen. Damit können wir jedes Unternehmen überzeugen, dass es wertvoll ist, behinderte Menschen einzustellen. Wer dies überzeugend vertritt, der muss nicht zwingen. Mit Handschellen kann man keinen überzeugen, nur mit Argumenten. Das sind die Themen, die wir nach vorne bringen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Handschellen“? Freiwillig funktioniert doch nicht!) Unternehmen, die das Potenzial der Menschen, die wir hier miteinander vertreten, nicht nutzen, behindern ihren eigenen Erfolg; das muss die Botschaft sein, die wir gemeinsam in die Arbeitswelt, in die Wirtschaft tragen. Es gibt ein Gutachten von Dr. Hans-Günther Ritz – es ist kein Unionsgutachten, Ritz ist vielmehr Sozialdemokrat – im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Juni 2015. In diesem Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung wird uns ins Stammbuch geschrieben: Bußgeldoffensiven oder die Erhöhung der Ausgleichsabgabe sind nicht zielführend. Die Erfahrung seit Absenkung der Beschäftigungspflicht von 6 auf 5 Prozent in 2001 – damals Rot-Grün – zeigt, dass die Arbeitgeber offener für -Beschäftigte mit Behinderungen geworden sind. Zielführender seien bessere Arbeitsbedingungen, Humanisierung der Arbeitswelt und eine Aufwertung der Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben und Verwaltungen. – Das sind die Wege, die uns empfohlen werden, und daran arbeiten wir auch laut Koalitionsvertrag. Ich war mit meinem geschätzten Kollegen Uwe Lagosky in Salzgitter bei VW. Dieses VW-Werk hat eine Produktionslinie für einen Lkw-Motor aufgebaut, in der ein Drittel der in dieser Produktionslinie Beschäftigten anerkannt schwerbehindert sind, ein Drittel über 50 Jahre sind, also ältere Arbeitnehmer sind, und ein Drittel unter 50 Jahre sind. Man hat den jeweiligen Arbeitsplatz so gestaltet, dass er sich über einen Mikrochip – der Hebekran, die Werkzeuge – den Menschen individuell anpasst, was Entlastung für den Einzelnen bringt, sodass auch ältere und schwerbehinderte Menschen weiter in der Produktion beschäftigt werden können. Die Konsequenz einer solchen kreativen Umgestaltung der Arbeitswelt ist, dass letztendlich die Zahl der Frühverrentungen zurückgeht, dass weniger Fehlzeiten durch Krankheiten entstehen und eine längere Beschäftigungsdauer bei einer höheren Produktivität möglich wird. Das heißt: Mit Schwerbehindertenvertretungen, wie in diesem Fall bei VW, individuell eine Humanisierung der Arbeitswelt zu betreiben, rechnet sich auch ökonomisch. Soziale Kompetenz entfaltet somit eine produktive Kraft in den Unternehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist also möglich, mit den Schwerbehindertenvertretungen eine Kampagne, eine Aktion zu entwickeln, durch die die Entwicklung eingedämmt wird, dass den stärksten Zugang in den betreuten Werkstätten psychisch erkrankte Arbeitnehmer bilden, die vom ersten Arbeitsmarkt kommen. Es gibt unterschiedliche Ursachen, die dazu geführt haben, dass sie psychisch erkrankt sind. Von daher brauchen wir in den Unternehmen und Verwaltungen Frühwarnsysteme. Die betriebliche Gesundheitsprävention muss ausgebaut werden. Wichtig ist auch ein Eingliederungsmanagement nach langen bzw. chronischen Erkrankungen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen auch an die Ursachen herangehen! Eine Antistressverordnung wäre etwas!) Diese soziale Kompetenz in den Unternehmen müssen wir stärken. Diese haben in der Tat die Schwerbehindertenvertretungen. Das entlastet dann auch die Unternehmen und die Sozialkassen. Voraussetzung ist aber, dass wir auch dem Wunsch der Schwerbehindertenvertretungen folgen, die uns sagen: Wenn ihr uns stärken wollt, dann müsst ihr uns Zeit geben. Das ist entscheidend für uns. Wir brauchen mehr Zeit, damit die individuelle Beratung der einzelnen Mitbeschäftigten nach Maßgabe der Sozialgesetzbücher auch erfolgen kann. Gebt uns mehr Zeit, sorgt für mehr Freistellungen und leistet auch mehr Unterstützung im Bereich der Verwaltungsbürokratie, damit wir all das leisten können, was in den Unternehmen aufgrund der Demografie weiter auf uns zukommt. Wir werden auch weiterhin Werkstätten benötigen. Das Schlimmste, was wir den Menschen, die jetzt in den Werkstätten sind, antun könnten, wäre, die Werkstätten dichtzumachen, alle rauszuschicken und zu gucken, was passiert. Wir müssen stattdessen Prozesse anschieben, damit sich auch hinsichtlich der Werkstätten Wahlfreiheit entwickeln kann. Keiner wird in eine Werkstatt gezwungen, aber auch keiner wird aus einer Werkstatt hinausgetrieben, vielmehr müssen die Werkstätten Optionen schaffen. Wir brauchen in den Werkstätten eine Durchlässigkeit, und wir müssen darauf drängen – das schreibt das Sozialgesetzbuch ja auch vor –, dass von den Werkstätten stärker die Vermittlung in den und die Begleitung auf dem ersten Arbeitsmarkt wahrgenommen wird. Wir brauchen auch virtuelle Werkstätten, die mit den Unternehmen vor Ort direkt zusammenarbeiten, und wir brauchen jenes Budget für Arbeit, über das wir ja im Rahmen der Verhandlungen über das Teilhabegesetz miteinander sprechen. Entscheidende Elemente beinhaltet für mich auch das, was heute durch die Koalition hier eingebracht werden wird. Integrationsfirmen sollen als Lotsenboote fungieren. Bundesweit sind 800 Integrationsunternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Sie zeigen, wie mit innovativen Konzepten in Bezug auf den Arbeitsablauf und die Arbeitszeit das Potenzial von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt genutzt werden kann. Wir haben ein Sonderprogramm im Umfang von 150 Millionen Euro gestartet, mit dem mehr Integra-tionsunternehmen unterstützt und durch eine verstärkte Gesundheits- und Weiterbildungsförderung zu Inklu-sionsunternehmen qualitativ weiterentwickelt werden sollen. Zugleich wollen wir die Zahl der Integrationsunternehmen in den nächsten Jahren verdoppeln. Auch das wird mit dem Finanzierungsansatz des Sonderprogramms möglich sein. Einige Bundesländer – beispielsweise Nordrhein-Westfalen; wir hatten da ein Gespräch mit der Lebenshilfe NRW – haben mir heute schon zugesichert, dass das Bundesprogramm durch Landesmittel weiter aufgestockt wird. Das kann in jedem Bundesland passieren, sodass es insgesamt zu einer Hebelwirkung bei den Integrationsunternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt kommt. Wir wollen die Integrationsunternehmen auch zu einem Ausbildungsort für Förderschüler entwickeln, damit Förderschüler eben nicht in die Werkstätten kommen, sondern in den Integrationsunternehmen qualifiziert werden können. Die Linken haben einen netten Schaufensterantrag vorgelegt, der ein Sammelsurium enthält. Was wir als Koalition miteinander vereinbaren, ist aber solides politisches Handwerk. (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Werner [DIE LINKE]: Was Sie sagen, ist Wischiwaschi!) – Ich habe doch gesagt, der Antrag ist nett. Wir wollen aber eben solides Handwerk. – Wir werden also heute die Beratung über das Sonderprogramm für Integrationsunternehmen starten, (Katrin Werner [DIE LINKE]: Das ist ja wohl auch ein Show-Antrag!) und im Laufe dieses Jahres werden wir das Recht der Schwerbehindertenvertretungen stärken. Auch das ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Anfang nächsten Jahres werden wir dann über das Bundesteilhabegesetz miteinander verhandeln, in dem all diese Themen, die von mir eben benannt wurden, noch einmal aufgeführt und umgesetzt werden. Es geht uns um solides Handwerk, und ich denke, dass wir hier gut miteinander arbeiten werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Corinna Rüffer das Wort. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Schummer, ich habe Ihnen vorhin versprochen, dass ich heute nicht so viel schimpfen will wie sonst immer, und wenn ich etwas versprochen habe, dann halte ich mich daran auch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – Ich freue mich besonders über den Applaus der SPD, will aber trotzdem ganz kurz etwas kommentieren. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Aber jetzt nicht die Zusage wieder brechen!) Sie haben wie immer ganz viel Richtiges gesagt, Herr Schummer, und Sie sind ein sehr geschätzter Kollege. Ich glaube aber, dass Sie das mit der Freiwilligkeit noch einmal überdenken müssen, weil es viel Zeit gab, die Arbeitgeber dazu zu bringen, auf der Basis von Freiwilligkeit (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Und Überzeugung!) – und Überzeugung – mehr zu leisten. Wir haben über ganz lange Zeiträume hinweg immer Überzeugungsarbeit geleistet, nicht zuletzt auch Sie, Herr Schummer. Aber man muss sagen: Das Ergebnis ist schon ein bisschen traurig. Schwerbehinderte Menschen, die in Unternehmen arbeiten, sind sehr häufig diejenigen, die in Unternehmen alt und krank geworden sind; das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Immer nur zu denken, dass alles über Freiwilligkeit läuft, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Die Humanisierung der Arbeitswelt ist natürlich ein gemeinsames Thema; unser Ziel ist der inklusive Arbeitsmarkt. Aber auch da haben wir noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir stehen nämlich vor der großen Aufgabe, in Deutschland endlich einen inklusiven Arbeitsmarkt zu schaffen. Das bedeutet natürlich, dass wir den Arbeitsmarkt so gestalten müssen, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, eine Arbeit zu finden, und zwar nicht nur irgendeine Arbeit, sondern tatsächlich gute Arbeit. Gute Arbeit heißt, dass man davon leben kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) – Ich finde, da kann man ruhig klatschen. Dass die Linke an dieser Stelle klatscht, hatte ich erwartet. – (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So weit ist es schon!) Davon sind wir aber weit entfernt. Ganz besondere Probleme haben gerade Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt. Ihre Chancen sind deutlich schlechter als die von Menschen ohne Behinderung; das haben wir mehrfach gehört. Ich finde, das haben Sie von den Linken in Ihrem Antrag richtig ausgeführt. Dafür will ich Ihnen ausdrücklich danken. Was also – das ist der eigentliche Punkt – ist jetzt zu tun? Wir haben im April – einige von Ihnen waren da – in Genf deutliche Hinweise bekommen: Der Fachausschuss der Vereinten Nationen, der dafür zuständig ist, die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Deutschland zu überprüfen, hat klare Worte gefunden. Deutschland muss systematisch – das ist wichtig – daran arbeiten, dass Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt barrierefreier werden. Die Vereinten Nationen fordern uns außerdem ganz deutlich auf, Werkstätten für behinderte Menschen in Deutschland schrittweise abzubauen. Anstatt diese Aufgaben mit Energie anzugehen, stecken wir noch immer ganz tief in einer Diskussion darüber, ob Werkstätten für behinderte Menschen nicht schon heute Bestandteil des inklusiven Arbeitsmarktes wären. Das ist natürlich mitnichten der Fall. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das haben Expertinnen und Experten aus zahlreichen Ländern auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrags – das muss man sich einmal klarmachen – herausgefunden. Sie haben Deutschland beurteilt und kritisiert. Sie haben Hinweise darauf gegeben, wie wir in Zukunft vorgehen sollten. Es wird manchmal so getan – das ist aber nicht so –, als ob diese Hinweise von irgendjemandem gekommen wären und wir jetzt darüber nachdenken könnten, ob uns das passt oder nicht. Wir haben die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Jetzt sind wir natürlich zur Umsetzung verpflichtet. Ich meine, wir sollten das gemeinsam angehen, und zwar so, dass die Menschen, die jetzt in Werkstätten arbeiten, am Ende nicht schlechter dastehen als heute. Das ist ein wichtiger Punkt; da haben wir, glaube ich, eine hohe Übereinstimmung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und die entsprechenden Möglichkeiten haben wir noch lange nicht ausgeschöpft. Zum Thema barrierefreie Arbeitsplätze möchte ich ganz kurz etwas sagen: Was ist eigentlich – das habe ich mich heute Nachmittag gefragt – aus der neuen Arbeitsstättenverordnung geworden? Ich wäre Ihnen schon dankbar, wenn sich da irgendwann einmal etwas bewegen würde; denn das ist ein wichtiger Baustein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, ich hatte ja versprochen: Ich will mich heute nicht nur beschweren. Sie haben ebenfalls einen Antrag zum Thema Integrationsbetriebe vorgelegt. Wir werden heute nicht mehr darüber diskutieren können, weil die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll gegeben werden. Wen das Thema interessiert, der kann die Reden aber nachlesen. Genau wie der Linksfraktion möchte ich auch Ihnen ausdrücklich meinen Dank für diese Initiative aussprechen. Ich bitte Sie: Bleiben Sie dran! Es ist nämlich gut und richtig und wichtig, dass wir in diesem Land endlich etwas für Integrationsbetriebe tun. Das ist aber natürlich nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt. Was ist zum Beispiel mit dem Budget für Arbeit? Was ist mit den Schwerbehindertenvertretungen? Wie kann die Bundesagentur für Arbeit Menschen mit Behinderungen noch besser fördern und unterstützen, als das heute der Fall ist? Was ist mit den Menschen, die einen besonders hohen Unterstützungsbedarf haben und besonders schutzbedürftig sind? Was sind unsere Angebote an diese Menschen, damit sie wirklich am Arbeitsleben teilhaben können? Ich sage es einmal so: Seitdem ich dem Bundestag angehöre, habe ich viele schöne Reden gehört. Es wäre schön, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir diesen Worten jetzt nach und nach auch Taten folgen lassen würden. Wir brauchen ein gut gemachtes flächendeckendes Budget für Arbeit – Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – genau –, deutlich gestärkte Schwerbehindertenvertretungen, Angebote für Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf und vieles mehr. Ich kürze das ab. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben alle Chancen, das nachher zum nächsten Punkt zu Protokoll zu geben. Sie müssen jetzt zum Punkt kommen. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, ich komme zum Punkt. – Wir gehen jetzt alle in die Sommerpause, in die sitzungsfreie Zeit. Ich hoffe, dass wir im September wieder da anknüpfen, wo wir heute aufgehört haben. Denn viele Menschen draußen warten darauf, dass sich endlich etwas tut. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Allein der Umstand, dass wir heute zwei Tagesordnungspunkte zum Thema „Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung“ haben – einer wurde von der Koalition und einer von Teilen der Opposition aufgesetzt –, zeigt, dass das Thema im Deutschen Bundestag angekommen ist, dass es wichtig ist und auch Anforderungen mit sich bringt. Ja, der inklusive Arbeitsmarkt – darin sind wir uns alle einig – ist ein Ziel, das wir nicht nur im Zuge der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verwirklichen müssen, sondern auch deshalb, weil eine -humane Gesellschaft eine inklusive ist. Das ist nicht nur für die Menschen mit Behinderung wichtig, sondern für alle. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dass das Thema heute zweimal auf der Tagesordnung steht, haben wir dem Antrag der Linken und unserem Antrag zu verdanken. Ich möchte mich dafür ganz herzlich bedanken. Denn die Zielrichtung Ihres Antrags zeigt, dass wir uns im Bundestag an vielen Stellen, wenn auch nicht in allen Punkten, darüber einig sind, welche Anforderungen wir stellen müssen. Natürlich möchte niemand jemanden mit Zwang in den allgemeinen Arbeitsmarkt hineindrängen. Schließlich möchte auch niemand von uns selber, wenn er eine Behinderung hat, ein aufgezwungenes Arbeitsverhältnis eingehen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Aber mit der Ausgleichsabgabe alleine erreichen wir dieses Ziel nicht. Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung neben der Möglichkeit der Zwangsabgabe auch mit der Wirtschaft gemeinsam mehrere Initiativen in Gang gesetzt hat, um eines der größten Probleme anzugehen, nämlich die fehlende Kenntnis von Unternehmen über ihre Möglichkeiten im Hinblick auf Unterstützungsformen, Begleitung, Assistenz und Kostenzuschüssen zum Lohn und anderem. Ich halte das für richtig; denn Unternehmen, die keine Menschen mit Behinderungen beschäftigen, verhalten sich in der Regel nicht aus Boshaftigkeit so, sondern viel häufiger aus Unkenntnis über die Möglichkeiten der Unterstützung. Deshalb ist es ein wesentlicher Punkt, uns zu fragen, wie wir genau diese Unterstützung und Beratung gewährleisten können, bevor wir den Unternehmen vorschreiben, dass sie sich an der Gesamtaufgabe „inklusiver Arbeitsmarkt“ beteiligen müssen, indem sie jemanden einstellen bzw. eine Abgabe zahlen. Ich hoffe, dass das Wirkung zeigt. Nichtsdestotrotz setzen wir, glaube ich, gerade was die Integrationsbetriebe angeht, mit dem von uns eingebrachten Antrag, über den wir ja nun nicht mehr diskutieren, ein ganz wichtiges Zeichen. Denn die Integrationsbetriebe, die bis zu 50 Prozent Menschen mit Schwerbehinderung in ihren Reihen haben, sind Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes und gehören damit zum ersten Arbeitsmarkt. Trotzdem bieten sie noch einen gewissen Schonraum mit der Möglichkeit, sich zu qualifizieren und weiterzubilden. Deshalb ist es richtig, genau diese Möglichkeit der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen anzubieten, die sich gemäß ihrem Wahlrecht eigentlich wünschen, nicht in einer Werkstatt beschäftigt zu werden, sich aber gleichwohl den manchmal sehr extremen Anforderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch nicht gewachsen fühlen. Genau diese Lücke schließt die Idee der Integrationsfirmen. Wir freuen uns sehr, dass wir mit den heute beantragten 150 Millionen Euro dafür sorgen können, dass all die Anträge, die in den Integrationsämtern vorliegen, bearbeitet werden können und eine entsprechende Unterstützung ermöglicht wird. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU] und Katrin Werner [DIE LINKE]) Wir wissen natürlich auch, dass das nicht alles sein kann. Vieles wird im Bundesteilhabegesetz geregelt werden. Dazu werden uns noch im Herbst konzeptionelle Vorlagen erreichen. Wir haben uns aber auch vorgenommen – der Kollege Schummer hat das bereits angekündigt –, noch in diesem Jahr die Betriebsräte in den Werkstätten für behinderte Menschen zu stärken. Diese Betriebsräte sollen genauso die Möglichkeit haben, mitzubestimmen und sich im Unternehmen einzubringen. Wir werden zudem Frauenbeauftragte in den Werkstätten für behinderte Menschen flächendeckend etablieren. Das ist gut und richtig, weil insbesondere Frauen – auch in den Werkstätten – Gewalt ausgesetzt sind. Deshalb ist es wichtig, ihnen eine eigene Ansprechperson an die Seite zu stellen. Wir freuen uns sehr, dass wir uns einig sind, dass das flächendeckend in den Werkstätten umgesetzt werden soll. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei der Stärkung der Schwerbehindertenvertretung – auch dazu wird uns noch in diesem Jahr ein Gesetzentwurf ereilen – geht es uns insbesondere darum, Freistellungen, die Fort- und Weiterbildungen, aber auch die Mitbestimmung zu stärken. Wir nehmen wahr, dass es überall dort, wo Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben Betriebs- und Personalräte unterstützen, besser gelingt, inklusive Arbeitsplätze zu schaffen, als in allen anderen Bereichen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir diesen Vertretungen die Rolle einräumen, die sie benötigen, um die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarkt innerhalb der gesamten Unternehmensstruktur voranzutreiben. Wir freuen uns, dass wir all das noch in diesem Jahr beraten werden. Wie Sie sehen, Frau Rüffer, fangen wir heute an. So wie es aussieht, werden wir in den Sitzungswochen nach der Sommerpause hinreichend Gelegenheit haben, weiter über den inklusiven Arbeitsmarkt zu diskutieren. Das freut uns alle sehr. Hier sind wir uns einig im Ziel. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Katrin Werner [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Ob man Arbeit als Last oder als Freude empfindet, das ist sehr unterschiedlich und hängt sehr stark von persönlichen Erfahrungen ab. Eines aber – so meine ich – verbindet behinderte und nicht behinderte Menschen, Manager und Hilfsarbeiter: Wir alle haben eine Vorstellung von unserem Traumberuf. Er soll uns soziale Kontakte, Anerkennung und ein anständiges Einkommen verschaffen und meistens Freude machen. Das ist der Anspruch, den wir alle zu Recht an die Arbeit haben. Es ist klar, dass Menschen mit Behinderung an der Verwirklichung ihrer beruflichen Träume genauso interessiert sind wie Menschen ohne Behinderung. Der Knackpunkt ist – über diesen Punkt diskutieren wir nun –, dass die Ausgangslage für Menschen mit Handicap ungleich schwieriger ist. In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, schreiben Sie, dass derzeit 10 000 schwerbehinderte Menschen mehr arbeitslos seien als noch 2010. Das ist auch richtig. Aber damit diese Zahl richtig eingeordnet werden kann – der Kollege Schummer hat schon darauf hingewiesen –, muss man auch erwähnen, dass im gleichen Zeitraum die Gesamtzahl der schwerbehinderten Menschen in Deutschland um mehr als eine halbe Million gestiegen ist und dass heute auch mehr als 100 000 schwerbehinderte Menschen mehr beschäftigt sind als noch vor fünf Jahren. Das zeigt einerseits eine ganz ordentliche Entwicklung, zeigt aber andererseits, dass es noch viel zu tun gibt, und natürlich auch, dass Menschen mit Behinderung nicht so am Aufschwung teilhaben wie Nichtbehinderte. Wie also verbessern wir die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben? Diese Frage beschäftigt uns schon sehr lange, und wir haben sie in der Koalitionsvereinbarung auch ganz weit oben auf die politische Agenda gesetzt. Parlamente, Ministerien, Kommunen, Behindertenverbände und Betroffene beschäftigen sich seit gut einem Jahr verstärkt mit dieser Frage. Wir haben mittlerweile auch Antworten darauf bekommen. Einige kann man in den langen Protokollen der AG Bundesteilhabegesetz des BMAS nachlesen. Andere Antworten bekommen wir einfach bei den Begegnungen in unseren Wahlkreisen. Sicher müssen wir zunächst einmal den Blick dafür schärfen, was der Einzelne eigentlich kann, was er mitbringt, was er einbringen kann, was er für ein Unternehmen leisten kann. Das ist tatsächlich ein gewisser Paradigmenwechsel. Viel mehr als bisher müssen wir die Stärken der Menschen beurteilen und dürfen nicht nach dem schauen, was sie nicht können. Darüber hinaus präsentieren Sie nun in Ihrem Antrag eine ganze Reihe von Ideen, wie man die Situation der Betroffenen verbessern kann. Ich fange jetzt einmal bei dem Guten in Ihrem Antrag an: beim Budget für Arbeit, das Sie vorschlagen. Das ist in der Tat ein erfolgreiches Modellprojekt. Es spielt auch in unseren Planungen für ein Bundesteilhabegesetz eine wichtige Rolle. Ich bin auch überzeugt davon, dass dieses Budget für Arbeit viel mehr Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt ermöglichen kann. Das Gleiche gilt für Ihre Ausführungen zu den Inte-grationsunternehmen, über die wir heute nicht mehr diskutieren. (Katrin Werner [DIE LINKE]: Schade!) Aber auch wir wollen sie stärken. Wir haben dazu einen Antrag. Die Idee, sie gerade in der Gründungsphase mehr zu fördern, finde ich gut. Ich finde auch gut, sie mehr als bisher als Ausbildungsbetriebe zu gewinnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin auch ganz bei Ihnen, wenn Sie schreiben, dass es einen Aufklärungsbedarf für Unternehmen gibt, was die Fördermöglichkeiten angeht. Es stimmt: Viel zu viele Unternehmen in Deutschland beschäftigen noch immer gar keinen Schwerbehinderten. Dafür gibt es einmal mehr, einmal weniger plausible Gründe. Der Kündigungsschutz und der Zusatzurlaub sind zwei Punkte, die oft genannt werden. Sie sind für die Betroffenen ganz wichtige Elemente, aber sie sind eben auch für Unternehmer oft ein Hemmschuh mehr, einen Menschen mit Behinderung einzustellen. Ich bin aber auch sicher, dass man, wenn man mehr aufklären würde, den einen oder anderen oder auch viele davon überzeugen könnte, einen Menschen mit Behinderung einzustellen. Es gibt aber dann schon auch eine Reihe von Punkten in Ihrem Antrag, die ich für falsch und sogar kontraproduktiv halte. Sie fordern die Anhebung der Beschäftigungsquote auf 6 Prozent, und Sie fordern eine deutliche Erhöhung der Ausgleichsabgabe. Beide Maßnahmen -tragen sicher nicht zu mehr Offenheit und Verständnis der Unternehmerschaft für unser Anliegen bei. Ich bin überzeugt davon, dass die inklusive Arbeitswelt nur dann funktionieren kann, wenn wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn Unternehmen und Beschäftigte aus voller Überzeugung Ja zum Miteinander von Behinderten und Nichtbehinderten sagen. Wenn wir irgendwann einmal gar keine Beschäftigungsquoten und gar keine Ausgleichsabgaben mehr brauchen, dann sind wir tatsächlich in der inklusiven Arbeitswelt angekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich halte nichts von zusätzlichen Zwängen und höheren Abgaben für die Unternehmen. Ich glaube, es ist, ohne Unternehmer mit Kindern gleichsetzen zu wollen, ein bisschen wie in der Kindererziehung: Positive -Anreize bewirken viel mehr als Strafen. Wir müssen aufklären, informieren, Bürokratie abbauen und Unterstützung anbieten. Schauen Sie sich doch die positiven -Beispiele an, die es schon gibt, zum Beispiel den Aktionsplan eines großen deutschen Softwareherstellers. Diese Entwicklungen gab es sicher nicht wegen der Ausgleichsabgabe. Ich bin ganz sicher, dass wir einen Bewusstseinswandel nur dann hinbekommen, wenn wir zusammenarbeiten. Eines ist mir tatsächlich ein persönliches Anliegen. Ich habe es hier schon öfter gesagt: Hören Sie bitte mit dieser diskriminierenden Sonderweltenrhetorik auf. Was meinen Sie eigentlich, wie sich die fast 300 000 Menschen in den Werkstätten fühlen, wenn sie sich immer wieder anhören müssen, dass ihre Welt nicht zum Rest der Welt gehört? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Viele von diesen Menschen haben sich durchaus selbstbestimmt und selbstbewusst für diesen geschützten Raum entschieden. Zur Teilhabe an der Gesellschaft und am Arbeitsleben gehört es wirklich auch, Respekt und Wertschätzung füreinander und für jeden Weg zu haben. Ich glaube, wir sollten für Wahlfreiheit sorgen und sicherstellen, dass jeder den Weg gehen kann, den er für sich als richtig empfindet. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen! Menschen mit und ohne Behinderung sollen zusammen spielen, lernen, leben, arbeiten und wohnen. So haben wir das gemeinsam mit der CDU und der CSU im Koalitionsvertrag fest verankert. Wir wollen ja auch alle gemeinsam eine inklusive Gesellschaft. Natürlich spielt dabei auch – das ist ja klar – der inklusive Arbeitsmarkt eine Rolle. Wir reden über den Antrag der Linken „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen“. Wir diskutieren – ich muss einmal sagen, die Kollegen haben sich wirklich sehr viel Mühe gegeben – 9 Einzelpunkte und – ich habe einmal nachgezählt – 42 Unterpunkte. Sie haben das also sehr detailliert aufgeführt. Viele Punkte davon sind gut und richtig. Dennoch beschreibt dieser Antrag immer wieder auch nur einen Ausschnitt von dem, was wirklich nötig ist. Oben auf der Besuchertribüne sitzen ja viele junge Leute. Wer in der Kindertagesstätte, in der Schule und in einer gemeinsamen Berufsausbildung Menschen mit und ohne Behinderung schätzen gelernt hat, mit dem brauchen wir nicht mehr darüber zu diskutieren, ob es Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung in allen Betrieben geben muss. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Ich denke, viele von euch dort oben auf der Besuchertribüne erleben das schon. Aber leider ist das natürlich noch Zukunftsmusik. Da wollen wir aber hin. Schauen wir uns einmal an, wie es jetzt eigentlich aussieht. Der Weg in den – in Anführungsstrichen – „eigenen“ Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung wird heute leider schon früh eingeschlagen. In den -Förderschulen ist die Werkstattkarriere meist schon vorprogrammiert. Daran wollten wir doch etwas ändern. Diesen Automatismus wollten wir doch durchbrechen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wir brauchen ein Gesamtkonzept, und wir brauchen gesellschaftliche Akzeptanz; das ist überhaupt keine Frage. Wir müssen das, was uns in der UN-Behindertenrechtskonvention aufgetragen ist, natürlich mit Leben füllen. Menschen mit Behinderung brauchen keine -Fürsorge – so haben wir lange gedacht –; Menschen mit Behinderung brauchen Unterstützung, um selbstbestimmt leben zu können. Seit Beginn dieser Legislaturperiode arbeiten die -Koalitionsfraktionen ganz konzentriert am Bundesteilhabegesetz. Die Linken haben in ihrem Antrag viele Themen aufgegriffen, die wir mit dem Bundesteilhabegesetz regeln werden. Aber wir wollen natürlich nicht, dass das geschieht, was 2013 in Großbritannien passiert ist: Mit einem Federstrich – in Klammern: weil es den Briten zu teuer war – hat man die Werkstätten für Behinderte geschlossen. Anfang 2015 hatte die Hälfte der dort Beschäftigten noch immer keine neue Arbeit gefunden. Das ist natürlich ein großer Fehler. Die Leute sagen zu Recht: Das kann nicht sein. Das war der beste Arbeitsplatz, den ich bisher hatte. – So hat es jedenfalls Jerry Nelson, der zuständige Gewerkschafter, beschrieben. Für andere in Großbritannien war die Werkstattschließung das Beste, was ihnen überhaupt passieren konnte. Zum Beispiel hat Tony Hammett eine feste Arbeit bekommen; er arbeitet jetzt in einem Pub. Er sagt: Es gibt mir Würde, mein Geld selber zu verdienen. – Dazu sage ich einmal: Das ist toll. Was will ich mit diesen beiden Beispielen sagen? Ganz einfach: Es gibt nicht den einen Weg. Immer -wieder wird auch hier im Haus über die Zukunft der Werkstätten diskutiert. Was wir in der Zukunft vor allem brauchen, sind andere Werkstätten. In Deutschland gibt es zum Beispiel nur 5 Prozent Außenarbeitsplätze. In Schweden, das uns immer wieder vorgehalten wird – man sagt, in Schweden sei alles besser –, gibt es 90 Prozent Außenarbeitsplätze. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ist das nicht auch ein bisschen Inklusion? Ich will einmal ein Beispiel aus meinem Betreuungswahlkreis nennen. In der Lutherstadt Wittenberg war ich vor drei oder vier Wochen in einer integrativen Kinder-tagesstätte. Da kamen mir aus der Werkstatt geistig behinderte Mitarbeiter entgegen. Sie hatten dort einen -Außenarbeitsplatz, etwa in der Küche, zur Unterstützung des Hausmeisters oder im hauswirtschaftlichen Bereich. Das ist doch ein Weg auf den ersten Arbeitsmarkt, möglicherweise. Ich würde für individuelle Lösungen sorgen wollen. Ich würde sagen: Auch eine Werkstatt für Behinderte hat bei einem Wunsch- und Wahlrecht, wenn es um Arbeit und Selbstbestimmung geht, ihre Berechtigung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen den Weg aus der Werkstatt heraus öffnen. Aber die Frage ist doch: Warum nehmen so wenige Menschen das überhaupt in Anspruch? Das ist kein Wunder. Jeder, der aus einer Werkstatt für Behinderte hinausgeht, auf den ersten -Arbeitsmarkt geht und es nicht schafft, verliert seinen Rentenanspruch und auch die Chance, in die Werkstatt zurückzukehren. Deshalb machen das so wenige. Daran müssen wir etwas ändern, und auch das werden wir im Bundesteilhabegesetz regeln. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Wolff. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Ich habe schon gesehen: Es leuchtet. Ich komme auch zu meinem letzten Satz. – Ich freue mich wirklich auf die Diskussion. Ich lade die Opposition ein, an dieser großen Aufgabe mitzuarbeiten, und bitte darum, dass die vielen Einzelanträge dann lieber zurückgezogen werden. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5227 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der -Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung Drucksachen 18/4097, 18/4199 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/5420 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5421 b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwirklichung des Schutzes von Ehe und Familie im Aufenthaltsrecht Drucksache 18/3268 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen vier Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über drei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Wir werden also zu diesem Tagesordnungspunkt vier namentliche Abstimmungen durchführen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tatsache von vier namentlichen Abstimmungen zeigt: Es ist ein umstrittenes Gesetz, und es ist ein wichtiges Gesetz, das wir heute beraten und über das wir heute abstimmen. Dieses Gesetz hat zwei Botschaften: Gut integrierte Ausländer erhalten ein dauerhaftes Bleiberecht bei uns. Das betrifft Zehntausende von Menschen in Deutschland. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist: Nicht schutzbedürftige Ausländer müssen schneller in ihre Heimatländer zurückkehren. Beides gehört zusammen. Die aktuelle Situation zeigt, wie dringend wir diese gesetzlichen Regelungen brauchen, und zwar beide. Meine Damen und Herren, viele Tausend Menschen kommen in diesen Tagen zu uns nach Deutschland. Sie suchen Schutz vor politischer Verfolgung. Sie kommen aus Krisengebieten. Oft suchen sie aber auch, verständlich vielleicht, eine bessere wirtschaftliche Perspektive für sich persönlich. Die Bereitschaft der Bevölkerung, schutzbedürftigen Flüchtlingen mit Hilfsbereitschaft zu begegnen, ist hoch. Ich danke auch heute noch einmal allen Bürgerinnen und Bürgern herzlich, die sich hierbei großzügig und großmütig engagieren, im Ehrenamt und hauptamtlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese Bereitschaft gilt es zu erhalten. Ebenso erhalten müssen wir aber auch unsere tatsächliche Aufnahmefähigkeit. Deshalb brauchen wir dringend schnellere Verfahren, eine schnellere Integration für diejenigen, die positiv anerkannt sind oder sonst Schutz verdienen. Wir brauchen aber genauso nach dem schnelleren Verfahren für die, die abgelehnt worden sind und keine Bleibeperspektive haben, eine konsequentere Rückkehrpolitik. Es muss klar unterschieden werden zwischen jenen, die Anspruch auf Schutz haben, und jenen, die diesen Anspruch nicht haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist fast wörtlich die gemeinsame Position der Bundesregierung und aller Bundesländer – Herr Beck und Frau Roth, auch der baden-württembergische Ministerpräsident hat dieser Formulierung zugestimmt –, und das ist die gemeinsame Position aller kommunalen Spitzenverbände. Es muss unterschieden werden zwischen denen, die Schutz verdienen, und denen, die keinen Schutz verdienen. Wer unter keinem Aspekt für ein Bleiberecht in Betracht kommt, der muss unser Land wieder verlassen. Diese Ausreisepflicht wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wirkungsvoller als bisher durchsetzen. Lassen Sie mich nur ein Beispiel dazu sagen: Es ist nicht zu viel verlangt, dass ein Mensch, der in Deutschland Schutz haben will, ehrlich angibt, wie er heißt und aus welchem Land er kommt. Wenn der Ausländer seine Identität verschleiert, dann soll das kein Bonus für das Asylverfahren sein, sondern in Zukunft sollen dann die Handys, die Datenträger dieses Menschen ausgelesen werden, damit wir feststellen, wer er ist und woher er kommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nun wird gleich sicher viel über die Abschiebehaft gesprochen. In der Kürze der Zeit ist es natürlich nicht möglich, darüber lange zu diskutieren. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will im Grundsatz nur eines sagen: Mit den Regelungen zu den Haftgründen für die Abschiebehaft, die in diesem Gesetzentwurf stehen, ist keine Verschärfung gegenüber dem bisherigen Zustand verbunden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist vielmehr so, dass die bisherige Rechtsgrundlage für Abschiebehaft in Deutschland problematisch ist. Wir müssen nach europäischem Recht diese Haftgründe definieren. Der BGH hat gesagt: Ihr dürft keine Abschiebehaft machen, wenn ihr dafür nicht in einem Gesetz die Regelungen festschreibt. (Burkhard Lischka [SPD]: So ist es! Das ist eine Verbesserung!) Jetzt schreiben wir diese Regelungen ins Gesetz in Umsetzung des EU-Rechts, und trotzdem sagen Sie, die Abschiebehaft werde verschärft. Das ist Unsinn, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Kurz zu der zweiten Botschaft, die genauso wichtig ist. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir zum ersten Mal ein dauerhaftes stichtagsunabhängiges Bleiberecht für Menschen, die auch ohne regulären Aufenthaltsstatus besondere Integrationsleistungen in Deutschland erbracht haben: die gut integriert sind, die Deutsch können, die ihren Lebensunterhalt sichern und die nicht in besonderer Weise straffällig in Erscheinung getreten sind. Diesen Menschen eröffnen wir ein dauerhaftes Bleiberecht. Wir sagen ihnen: Wie immer ihr hergekommen seid, ihr seid gut integriert, ihr gehört zu uns, ihr bleibt hier, ihr seid hier herzlich willkommen. Mit Blick auf diejenigen, die eine Ausbildung machen – das war eine lange Debatte –, schaffen wir mit der -Regelung in § 60 a des Aufenthaltsgesetzes Klarheit über die Ausbildung von jungen Geduldeten mit Bleibeperspektive. Wir stellen klar, dass diese jungen Menschen in Deutschland eine Ausbildung beginnen und zu Ende führen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wer eine betriebliche Ausbildung erfolgreich abschließt, der kann dauerhaft ein Aufenthaltsrecht erhalten. Unsere Ausbildungsbetriebe – das war eine wichtige Forderung – erhalten damit die für sie so wichtige Planungssicherheit. Meine Damen und Herren, beide Seiten des Gesetzentwurfs, Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung, gehören zusammen. Es kann nicht richtig sein, dass Ausreisepflichtige, bei denen es keinen humanitären Grund gibt, dass sie in Deutschland bleiben, allein deshalb hier bleiben, weil unsere Regeln so kompliziert sind, weil niemand mehr durchblickt, was eigentlich gilt. Da macht sich der Rechtsstaat lächerlich. Genauso ist es richtig, dass wir denjenigen, die Jahre hier sind, von denen wir wissen, dass sie unser Land sowieso nicht mehr verlassen, die sich zu unserem Land bekennen und ihren Lebensunterhalt sichern, sagen: Ihr bleibt hier. Beide Seiten gehören zusammen. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Beratung dieses Gesetzentwurfs wird hier wirklich im zeitlichen Schweinsgalopp durchgezogen. Ich finde, das ist das beschämendste Gesetz seit der faktischen Abschaffung des Asylrechts. (Burkhard Lischka [SPD]: Was?) Es ist wirklich ein Skandal! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich vorab gleich klarstellen: Ja, der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält einige Verbesserungen, zum Beispiel die gesetzliche Verankerung des Resettlement-Verfahrens für Flüchtlinge und die Schaffung einer gesetzlichen Bleiberechtsregelung. Die Verbesserungen gehen allerdings bei weitem nicht weit genug, und sie gelten nicht für alle Flüchtlinge gleichermaßen. Die Bleiberechtsregelung greift wesentlich zu kurz. Insbesondere Jugendliche sind hier benachteiligt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will hier ganz deutlich sagen: Wenn die außerparlamentarischen Bewegungen – die Flüchtlingsorganisa-tionen, die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände – nicht so lange für ein Bleiberecht gekämpft hätten, hätten wir nicht einmal das im Gesetz gehabt. Man kann ihnen nur dankbar sein. (Beifall bei der LINKEN) Nun zur Kritik. Dass auch dieses Gesetz von richtigen und falschen Flüchtlingen ausgeht – wie wir eben wieder gehört haben –, Herr Minister, ist beschämend und brandgefährlich. Erstens sollen sogenannte nicht schutzwürdige Flüchtlinge direkt aus den Auffanglagern wieder abgeschoben werden. Das wird vor allem Flüchtlinge vom Westbalkan treffen. Mit dieser offensichtlichen Ausgrenzung einer ganzen Flüchtlingsgruppe wird massiv gegen Grundsätze einer humanitären Flüchtlingspolitik verstoßen. Zweitens wird über diese Flüchtlinge zusätzlich ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wird. Sie werden also dafür bestraft, dass sie von einem Grundrecht Gebrauch machen wollen. Das ist völlig inakzeptabel. Drittens – das ist mit Abstand der größte Skandal – enthält das Gesetz uferlose Regelungen zur Abschiebehaft. Inhaftiert werden kann künftig etwa, wer aus einem anderen EU-Land hierherkommt, ohne den Abschluss des dort laufenden Asylverfahrens abgewartet zu haben, also sämtliche sogenannte Dublin-Flüchtlinge, wer keine Ausweispapiere mehr besitzt oder wer einen Schleuser bezahlt hat. (Burkhard Lischka [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Diese Verhaltensweisen sind für Flüchtlinge oft unvermeidlich. Ihre Politik der Abschottung der EU zwingt Flüchtlinge, sich an Schleuser zu wenden. Jemanden deswegen einzusperren, ist politisch und moralisch eine regelrechte Schweinerei. Flucht ist kein Verbrechen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit diesen Verschärfungen kann nahezu jeder Flüchtling inhaftiert werden, und das in einer Zeit, in der rassistische Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte zunehmen und Flüchtlinge mehr denn je auf unsere Solidarität angewiesen sind. Wir wollen eine Öffnung des Aufenthalts- und Asylrechts mit Rechten für alle Flüchtlinge. Das bedeutet eine umfassende humanitäre Bleiberechtsregelung. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Jelpke, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Kolbe? Das wird nicht auf Ihre Redezeit angerechnet. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Lassen Sie mich trotzdem zum Ende noch meinen Satz sagen. – Das bedeutet ein wirksames und umfassendes Nachzugsrecht für Familien. Wir wollen das Dublin-System abschaffen. Ich will hier deutlich sagen: Der Gesetzentwurf geizt bei Verbesserungen, und er ist in seinen Verschärfungen maßlos. Ich finde, es ist ein unglaublicher Skandal und beschämend, dass die SPD-Fraktion hier mitmacht. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das war ein schlichtes Missverständnis. Ihre Redezeit wäre noch länger geworden, wenn Sie sich auf die Frage der Kollegin Kolbe eingelassen hätten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, es langt, wenn zweimal „Skandal“ gesagt wird! Dann ist gut!) – Kollege Kauder, Sie haben mich eben auch mit Ihren Beifallsbekundungen verwirrt. Mal sehen, wie das weitergeht. – Das Wort hat jetzt der Kollege Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ulla Jelpke, wenn man deinen Worten zugehört hat, dann muss man bei dem Protest, der im Moment im Raum steht oder gerade eben vor dem Haus stattfindet, den Eindruck haben: Er macht sich an einer völlig veralteten Gesetzesfassung bzw. an einem völlig veralteten Entwurf fest. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will einmal klar sagen: Zu dem allerersten Entwurf – Herr Minister, ich bitte um Vergebung – habe ich – der Kollege Stephan Mayer und andere werden sich erinnern – auch nur drei Worte des Kommentars gesagt, nämlich: Was soll das? In der Zwischenzeit ist aber aus dem, was im Kabinett verabschiedet worden ist, was wir mit der Union jetzt ausgehandelt haben und was heute Gesetz werden soll, etwas ganz anderes geworden. Lassen Sie mich zu dem Protest noch eines an dieser Stelle sagen: Die, die uns vorhalten, dass viel zu viele Menschen ihr Leben riskieren müssen, um nach Europa zu kommen, haben recht – damit jedenfalls. Ich finde sogar: Es ist ein Skandal, ein wirklicher Skandal, dass es Europa bei aller Solidarität, die sonst immer bei Finanzhilfen apostrophiert wird, nicht schafft, für gerade einmal 40 000 Flüchtlinge eine angemessene gerechte Verteilung in ganz Europa hinzubekommen, obwohl sich auch der Innenminister darum sehr bemüht hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Uns aber ansonsten vorzuwerfen, wir wollten die Menschen massenhaft einsperren, geht rein faktisch an der Sache völlig vorbei. Wer sich einmal die Mühe macht, nachzuvollziehen, wie viele Abschiebehaftplätze in Deutschland existieren, der wird feststellen: Diese sind in letzter Zeit stark abgebaut worden. Vielleicht haben wir gerade einmal 500 bis 600 in ganz Deutschland. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die werden auf Halde gehalten!) Wenn jetzt diese Plätze – theoretisch unterstellt, sie wären alle frei – wirklich konsequent besetzt würden durch die, die zurzeit nach dem Dublin-Verfahren aus Nachbarstaaten zu uns kommen, dann würde die Kapazität der freien Plätze in Abschiebehaftanstalten gerade einmal einen halben Tag reichen. Das ist die Relation. Wir sind im Gegenteil bemüht, in ganz Deutschland menschenwürdige Unterbringungen für diejenigen Menschen zu schaffen, die jetzt in großer Zahl zu uns kommen. Wir sind schon froh, wenn wir feste Baulichkeiten statt Zelte anbieten können. Wer wollte auf einen so verrückten Gedanken kommen, zu sagen: „Jetzt brauchen wir noch massenhaft Auffanglager oder Abschiebehaftanstalten“? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausreisegewahrsamsanstalten!) Das geht völlig an der Sache vorbei. Das unterstellt uns falsche Absichten, und das gibt der Gesetzentwurf nicht her. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will auf den Kritikpunkt bezüglich der Fluchtgefahr eingehen. Die Anhaltspunkte, die im Gesetzentwurf genannt werden, waren früher in der deutschen Rechtsprechung die Regel, um Fluchtgefahr zu begründen. Alle Tatbestände, die genannt sind, sind früher in der Rechtsprechung anerkannt worden. Insoweit ändert sich für die Betroffenen nichts, gar nichts. Es wird deswegen kein Einziger mehr in Haft kommen – eher weniger. Das kann ich leider aus Zeitgründen nicht weiter ausführen. Was die Dublin-Fälle angeht, müssen Sie bitte beachten: Der BGH hat in seiner Entscheidung im Juni 2014 nicht etwa gesagt, dass eine Abschiebehaft in Dublin-Fällen generell unzulässig ist. Er hat nur gesagt: In Fällen des § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 Aufenthaltsgesetz ist sie unzulässig, weil Deutschland noch keine genaue Definition der Fluchtgründe im Einzelnen geliefert hat. – Das tragen wir jetzt nach. Wenn wir uns europarechtskonform verhalten wollen, dann müssen wir das tun, sonst können wir uns, was den Vergleich mit anderen europäischen Ländern angeht, auf europäischer Ebene nicht mehr sehen lassen. Stichwort auch hier: Solidarität. Das ist neu, aber nicht im Vergleich zu früheren Zeiten, sondern nur im Lichte der seit Anfang 2014 geltenden neuen Dublin-III-Verordnung und der Rechtsprechung des BGH, der gesagt hat, dass wir etwas machen müssen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Veit, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Dağdelen? Rüdiger Veit (SPD): Gerne. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Herr Kollege Veit, Sie haben so getan, als wenn dieses Gesetzespaket nur noch Verbesserungen für Betroffene enthielte. Sie haben das so begründet, dass man dem Europarecht damit Genüge tun will. Die SPD hat in ihrem Wahlprogramm versprochen – der SPD-Vorsitzende war im Wahlkampf 2013 Klinken putzen bei den türkischen Migrantenorganisationen –, die Sprachnachweise beim Ehegattennachzug aufzuheben, wenn man in die Regierung kommt. Es gab 2014 ein Urteil des EuGH, das Dogan-Urteil. Der Europäische Gerichtshof hat geurteilt, dass Sprachnachweise beim Ehegattennachzug europarechtswidrig sind, weil sie im Falle von türkischen Staatsangehörigen gegen Assoziationsrecht verstoßen. Daraufhin gab es erst einmal eine Ansage des Auswärtigen Amts – ein SPD-Minister steht diesem Ministerium vor –, dass das Urteil umgesetzt wird und dass man die Sprachnachweise aufheben möchte. Es gab inzwischen auch andere Urteile. Am 9. Juli wird der Europäische Gerichtshof noch einmal urteilen. Da wird geprüft, ob Sprachnachweise im Rahmen des Ehegattennachzugs auch gegen die Familienzusammenführungsrichtlinie verstoßen. Meine Frage: Wenn Sie doch europarechtskonforme Gesetze vorlegen wollen, warum heben Sie dann nicht endlich die europarechtswidrige, schändliche Regelung auf, den Ehegattennachzug mit der Voraussetzung eines Sprachnachweises zu verknüpfen, damit die Schikane gegen Eheleute ein Ende hat? (Beifall bei der LINKEN) Rüdiger Veit (SPD): Liebe Sevim Dağdelen, in der Bewertung sind wir uns völlig einig. Wir als SPD hätten diese Regelung gerne gänzlich aufgehoben. Das war mit der Union nicht zu machen. Stichwort: europarechtskonform, ja oder nein? Ich verfüge nicht über prophetische Gaben. Der EuGH wird am 9. Juli genau darüber eine Entscheidung treffen (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Hat er schon!) und uns dann sagen, ob diese Regelung insgesamt europarechtskonform ist – ja oder nein –, und, wenn ja, eventuell auch in Verbindung mit einer Härtefallklausel, wie wir sie jetzt ins Gesetz hineingeschrieben haben. Wie gesagt: Wir haben das nicht gerne gemacht, wir hätten es gern anders gehabt; aber ein politischer Kompromiss auch in der Frage setzt nun einmal wechselseitiges Nachgeben voraus. Deswegen steht das jetzt so drin. Ich würde gerne in meinen Ausführungen fortfahren und versuchen, Ihnen in der Kürze der Zeit darzulegen, was sich alles mit dem Gesetz zum Positiven verändert: Bleiberecht für langjährig Geduldete, für Jugendliche sogar nach vier Jahren. Vor allen Dingen – die meisten beachten es vielleicht nicht hinreichend –: Wir verzichten auf die vollständige Sicherung des Lebensunterhaltes. Das ist allein schon für die 20 000 Menschen extrem wichtig, die nach der alten Regelung zwar zunächst eine Aufenthaltserlaubnis bekommen haben, welche aber nicht verlängert werden konnte, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht sichern konnten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich sage in Richtung der Grünen: Es wäre uns in der Tat lieber gewesen, Volker Beck, für Jugendliche in der Berufsausbildung im Gesetz nicht nur eine Duldung vorzusehen, sondern eine Aufenthaltserlaubnis. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Duldung jetzt schon geht!) Aber auch da war nicht mehr machbar. Jedenfalls ist es ein Fortschritt in Sachen Rechtssicherheit, sowohl für die Auszubildenden als auch für die Handwerksmeister, ihre Ausbilder. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist uns gelungen, eine Regelung für das sogenannte Resettlement-Verfahren, also die Aufnahme von Flüchtlingen hier bei uns, ins Gesetz hineinzuschreiben und -dabei ausdrücklich klarzustellen, dass die Betroffenen, wenn sie denn hier sind und eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, ihre Familien nachholen können. Auch das ist lange nicht selbstverständlich gewesen und betrifft auch in der Zukunft sehr viele Menschen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Weiterhin: Auch subsidiär Geschützte – ich kann jetzt nicht im Einzelnen ausführen, wer zu dieser Gruppe gehört, aber es waren im letzten Jahr immerhin 5 000 Menschen – bekommen jetzt die Möglichkeit, ihre Familien nachzuholen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nächster Punkt. Wir sehen einen verbesserten Status für Opfer von Menschenhandel vor. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mit den Opfern von Menschenhandel ist doch eine Katastrophe!) Wir haben schließlich einen neuen Aufenthaltstitel für Personen geschaffen, die hier bei uns in Deutschland zusätzliche Qualifikationen erwerben, damit im Ausland erworbene berufliche Qualifikationen anerkannt werden können. Das sind nur einige wenige Punkte, die eindeutig auf der Habenseite zu verbuchen sind, Regelungen, die ganz viele Menschen – gerade bei der Bleiberechtsregelung sind es Zigtausende – begünstigen und ihnen auch für die nächsten Jahre Sicherheit geben. Das ist gut für diese Menschen, das ist gut für unsere Gesellschaft, die mit der Mitwirkung dieser Menschen in jeder Weise rechnen kann. Die Betroffenen haben bisher nur aus dem Koffer gelebt. Von daher ist das ein echter Fortschritt. Meine Damen und Herren, ich habe am Anfang gesagt: Für einen Teil der Überlegungen der Demonstranten habe ich Verständnis. – Das ist auch der Grund, -warum der Tag der Verabschiedung dieses Gesetzes nicht nur als Feiertag angesehen werden kann. Das ist sozusagen der Wermutstropfen. Ich würde aber gerne feststellen, dass jetzt mit der zweiten und dritten Lesung vieles von dem, was insbesondere Pro Asyl und zahlreiche andere Nichtregierungsorganisationen, die sich um das Wohl von Flüchtlingen kümmern, seit Jahren – um nicht zu sagen: seit Jahrzehnten – von uns verlangt und erwartet haben, Gesetz wird. Das ist eigentlich auch ein Grund zur Freude und eben nicht nur zum Demonstrieren, ausgehend von falschen Voraussetzungen. Ich sage in der zusammenfassenden Bewertung höchstpersönlich für mich: Wenn richtig wäre, liebe Ulla, liebe Sevim und andere, die uns das vielleicht vorhalten, dass das, was wir uns heute anschicken zu beschließen, die schlimmste Verschärfung des Asylrechtes seit dem Asylkompromiss ist, dann würde ich spätestens an dem Tag, an dem Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, mir das nachgewiesen haben, in Rente gehen. Dann wäre ich mein Geld nicht wert. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gefährlich! – Auf der Tribüne wird ein Transparent entrollt) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich bitte zunächst darum, die notwendige Ordnung herzustellen. – Bei der Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie schon im Saale sind: Ich habe mich vergewissert, dass wir für alle Kolleginnen und Kollegen hier im Saal eine Sitzgelegenheit haben. Unsere Debatte dauert noch neun Minuten. (Unruhe) Damit ich dem nächsten Redner das Wort erteilen kann, bitte ich alle, die schon im Saal sind, erst einmal Platz zu nehmen. Sollten Sie in Ihren interfraktionellen Gesprächsgruppen weiter zusammenbleiben wollen, aber in Ihrer Fraktion keinen Platz finden, gewähren die anderen Fraktionen Ihnen bestimmt die Möglichkeit, bei ihnen Platz zu nehmen. – Es betrübt mich, dass auch die Fraktion Die Linke mir nicht folgt. Das gilt auch für die Unionsfraktion. – Ich werde die Debatte nicht weiterführen, bevor wir nicht die notwendige Aufmerksamkeit für die nächsten zwei Redner haben. (Anhaltende Unruhe) – Das gilt auch für die Fraktion Die Linke, das sage ich ausdrücklich. Es geht hier nicht weiter, bevor Sie nicht sitzen. – Auch bei der SPD gibt es noch Bedarf, Plätze zu finden. Vielleicht können Sie Ihren Kollegen behilflich sein? (Zuruf von der SPD: Die können nur stehen!) – Ja, wenn sie nur stehen würden und nicht noch laut Gespräche führen würden, dann wäre das in Ordnung. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Können wir nicht weitermachen?) – Kollege Grund, wir machen dann weiter, wenn die notwendige Aufmerksamkeit hergestellt ist. Wir hören auch noch dem Redner der Grünen bzw. der Rednerin der Union zu. Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf bleibt im Aufenthaltsgesetz kein Stein auf dem anderen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Oje!) Es hat schon Gründe, dass wir in diesem Hohen Hause nach 20 Uhr über den vorliegenden Gesetzentwurf diskutieren. Es hat auch Gründe, dass sowohl der Bundes-innenminister als auch du, lieber Rüdiger Veit, kaum etwas zum Inhalt des Gesetzentwurfes gesagt haben. Das hätte ich auch so gemacht, wenn ich den hätte vertreten müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – -Lachen des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Natürlich ist es richtig, dass die Bleiberechtsregelung ein Fortschritt ist, (Rüdiger Veit [SPD]: Dafür haben wir gekämpft!) aber sie ist löchrig, und sie fällt hinter die Vorschläge des Bundesrates zurück. Die überfällige Bleiberechtsregelung wurde von der SPD teuer erkauft: allerlei Haft, viele Grundrechtseingriffe und mögliche Rückschritte für Geduldete in der Ausbildung. Haarsträubend ist der vorliegende Gesetzentwurf insbesondere in drei Punkten. Wir fordern Sie daher auf, Ihren falschen Weg im Rahmen von namentlichen Abstimmungen zu korrigieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Lieber Rüdiger Veit, du hast gesagt, wenn jugendliche Asylbewerber in Ausbildung kommen, dann werde künftig eine Duldung ausgesprochen; das sei ein Fortschritt. (Rüdiger Veit [SPD]: Ja!) Ich zitiere deinen Innenminister aus Nordrhein-Westfalen: Die Bundesregierung stellte klar, dass die Aufnahme einer Berufsausbildung zu den dringenden persönlichen Gründen zählt und eine Duldung daher bereits nach geltender Rechtslage erteilt werden kann. (Rüdiger Veit [SPD]: Aber nicht überall!) Mit diesem Gesetzentwurf – das ist die einzige Änderung – sorgt ihr für mehr rechtliche Unsicherheit für Auszubildende, die mit über 21 Jahren eine Ausbildung aufnehmen. Hier droht eine Verschlechterung. (Burkhard Lischka [SPD]: Das ist doch Unsinn!) Wir wollen: Den Geduldeten, die eine Ausbildung beginnen, ist für die Zeit der Ausbildung eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, (Burkhard Lischka [SPD]: Das ist nie zur Anwendung gekommen! Das ist Blödsinn!) damit sowohl die auszubildenden Flüchtlinge als auch die Handwerksbetriebe, die sie zur Ausbildung anstellen, Rechtssicherheit haben. (Zuruf des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) – Jetzt habe überwiegend ich das Wort, Herr Kollege Lischka. – Die Handwerksbetriebe sollen nicht anderthalb Jahre in jemanden investieren, der dann plötzlich weg ist, ohne Abschluss, ohne dass er die Ausbildung beenden konnte. Das, was Sie hier machen, ist einfach lebensfremd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das widerspricht auch den Forderungen der Wirtschaftsverbände. Seien Sie human und wirtschaftsfreundlich. Sie hätten die Chance dazu, indem Sie diese falsche Regelung korrigieren. Zweiter Punkt – Kollegin Dağdelen hat das schon angesprochen –: Beim Ehegattennachzug bestehen Sie weiter auf die unsinnigen Sprachtests. (Rüdiger Veit [SPD]: Wir eben nicht! Das habe ich gesagt!) Der Schutz von Ehe und Familie kann nicht unter Sprachvorbehalt stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das ist ein hohes Gut. Deshalb bringen wir heute hier einen Gesetzentwurf zur Verwirklichung des besonderen Schutzes von Ehe und Familie – auch für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit – ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Grundgesetz steht nicht: Schutz von Ehe und Familie nur für Deutsche. Das muss für alle gleichermaßen gelten. (Rüdiger Veit [SPD]: Ich habe etwas dazu gesagt!) Der Sprachtest ist doch Unsinn sondergleichen. (Rüdiger Veit [SPD]: Das ist richtig!) Deutsch lernt man am besten in Deutschland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) und nicht im Ausland, auf dem Land, wo es keine Sprachschule gibt. Sie setzen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs einfach nicht um. Konsequent nehmen Sie das Urteil nicht zur Kenntnis. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Steinmeier!) Das ist, wie ich finde, wirklich ein Skandal. Das Ganze ist doch sowieso schon ein Flickenteppich, weil wir mit den einzelnen Ländern verschiedene Abkommen geschlossen haben. Wir behandeln die Menschen unterschiedlich, je nachdem, wo sie herkommen. Die Änderungen beim Bleiberecht, die von Rüdiger Veit so hoch gelobt werden, werden mit einer Verschärfung der Abschiebehaft erkauft. (Burkhard Lischka [SPD]: Es wird nichts verschärft! Wo wird denn da was verschärft? – Daniela Kolbe [SPD]: Jetzt mal konkret!) Indem Sie die rechtlichen Gründe schärfer formulieren, führen Sie eine völlig neue Hintertür ein, nämlich den Ausreisegewahrsam. Haft ohne jeden Haftgrund – das ist so etwas von europarechtswidrig! Wir werden heute im Wege einer namentlichen Abstimmung das Abstimmungsverhalten festhalten, damit wir genau wissen, wer zugestimmt hat, wenn der EuGH oder das Verfassungsgericht sagt, dass das so nicht geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Darf ich noch einen Gedanken ansprechen? Vizepräsidentin Petra Pau: Wenn Sie dem Kollegen Veit gestatten, eine Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen, dann haben Sie die Chance dazu. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Rüdiger Veit (SPD): Lieber Kollege Volker Beck, ist dir und anderen bei dieser Kritik am Ausreisegewahrsam, der maximal vier Tage dauert und in der Tat neu ins Gesetz geschrieben wird, vielleicht entgangen, dass wir im gleichen Atemzug die sogenannte kleine Sicherungshaft, die bis zu 14 Tage dauern kann, abgeschafft haben? (Burkhard Lischka [SPD]: Genau!) Willst du der Feststellung widersprechen, dass das im Sinne der Betroffenen eine echte Verbesserung ist, nämlich zumindest zehn Tage weniger? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein. Gegen diesen Ausreisegewahrsam, so wie er ausgestaltet ist, können die Betroffenen keinen Rechtsbehelf einlegen. Das, was da stattfindet, läuft im rechtsstaatlichen Niemandsland ab. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier Tage ohne Haftprüfung!) Man kann Leute nicht ohne Haftgrund einsperren, auch nicht vier Tage. Das sind keine Straftäter! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Herr de Maizière, wir sind uns einig – ich sage das, damit hier kein Popanz aufgebaut wird; Rüdiger, bleib ruhig stehen, denn dann habe ich noch ein bisschen mehr Zeit – Vizepräsidentin Petra Pau: Sie müssen zum Ende kommen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – dass Menschen, die hier keinen Schutzanspruch haben und nicht als Arbeitsmigranten kommen, das Land verlassen müssen. Dafür kann man aber doch nicht auf rechtsstaatswidrige Mittel zurückgreifen. Dabei bleiben wir. Dieses Gesetz ist am Ende für viele Menschen eine Katastrophe. Für einige wird es eine Verbesserung -geben; aber damit wird das Unrecht, das dadurch -geschieht, nicht aufgewogen. Denen, denen Unrecht geschieht, geschieht Unrecht, und das darf man nicht hinnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es steht völlig außer Frage, dass wir Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, Asyl in Deutschland gewähren und sie zügig und bestmöglich versorgen und integrieren. Wir brauchen ein verlässliches Asylrecht, um wirklich schutzbedürftigen Flüchtlingen schnell helfen zu können. Aktuell werden allerdings bei zwei Dritteln aller Asylbewerber keine Schutzgründe festgestellt. Am 31. Dezember 2014 standen rund 154 000 ausreisepflichtige Personen im Ausländerzentralregister. Im gesamten Jahresverlauf 2014 wurden bundesweit nur knapp 11 000 Abschiebungen und circa 13 000 freiwillige Ausreisen verzeichnet. Diese Diskrepanz zeigt, dass unser Asylrecht nicht konsequent umgesetzt wurde. Viele Menschen leben seit Jahren ohne gesicherten Aufenthaltsstatus bei uns. Der vorliegende Gesetzentwurf soll diese Schieflage im deutschen Asylrecht korrigieren. Ausländer, die schon lange ohne gesicherten Aufenthaltsstatus bei uns leben und sich nachweislich gut integriert haben, sollen nun ein gesichertes Bleiberecht erhalten. Das ist auch richtig so. Gleichzeitig werden aber Ausweisungshindernisse beseitigt. Die veraltete dreistufige Kann-Soll-Muss-Regelung im Ausweisungsrecht wird abgeschafft. Künftig sollen Behörden und Verwaltungsgerichte in jedem Einzelfall zwischen individuellen Bleibeinteressen und öffentlichen Ausweisungsinteressen abwägen, die im Gesetzentwurf klar definiert wurden. Mit den neuen Einreise- und Aufenthaltssperren soll Asylmissbrauch vorgebeugt werden. Personen, die mehrfach unbegründete Asylanträge gestellt haben, können für den gesamten Schengen-Raum gesperrt werden. Unter den zehn Hauptherkunftsländern befinden sich seit Jahren fünf Balkanstaaten, obwohl die Asylbewerber aus diesen Ländern zu quasi 100 Prozent abgelehnt werden. Diese Menschen suchen – das geben sie in den Anhörungen im Wesentlichen so an – bei uns Arbeit. Das ist verständlich, aber für sie gibt es legale Wege, wie zum Beispiel die Einwanderung über einen der 70 Mangelberufe in Deutschland. Asyl – auch wenn das manch einer nicht hören will – dient dem Schutz vor Verfolgung und eben nicht der Anwerbung von Fachkräften und auch nicht der Bekämpfung von Armut. (Beifall bei der CDU/CSU) Außerdem schließen wir eine Regelungslücke im deutschen Recht. Der BGH hat uns ausdrücklich angemahnt, dass es im deutschen Recht an klaren Kriterien für die sogenannte Dublin-Haft fehlt. Die Abschiebehaft steht künftig unter Richtervorbehalt. Entlang ganz klar definierter Indizien, die zusammen die Annahme von Fluchtgefahr begründen können, muss ein Richter diese in jedem Einzelfall prüfen und auch die Verhältnismäßigkeit der Haft feststellen. Es ist damit auch keine Verschärfung vorgenommen worden. Tatsächlich Schutzbedürftige, vor allem Flüchtlinge aus Neuansiedlungsprogrammen und Jugendliche, werden aufenthaltsrechtlich deutlich besser gestellt. Wir schaffen einen neuen Aufenthaltstitel, um durch nachträgliche Bildungsmaßnahmen in Deutschland die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen zu erleichtern. Natürlich hilft die Klarstellung in § 60 a Aufenthaltsgesetz, lieber Herr Beck, dass die Betriebe in Zukunft Rechtssicherheit erhalten. Jugendliche, die vor dem 21. Lebensjahr eine Ausbildung begonnen haben, können sie definitiv in Deutschland abschließen, wenn die Länder entsprechende Regelungen umsetzen. Das werden sie auch tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es liegt weiterhin im Ermessen der Ausländerbehörde, die Duldung für eine Ausbildung erstmalig für ein Jahr zu erteilen. Wenn die Ausbildung ordnungsgemäß absolviert wird, muss die Duldung jedes Jahr verlängert werden. Wir schaffen damit deutschlandweit eine einheitliche Regelung. In diesem Jahr werden insgesamt 450 000 Asylbewerber erwartet. Das entspricht einem Anstieg von über 1 600 Prozent innerhalb der letzten acht Jahre. Angesichts dieses gewaltigen Anstieges ist es für die öffentliche Akzeptanz unseres Asylsystems von entscheidender Bedeutung, dass wir neben einer verbesserten Bleiberechtsregelung, neben schnellerer und unbürokratischer Hilfe für Kriegsflüchtlinge und andere schutzberechtigte Asylbewerber auch dafür sorgen, dass die vielen aussichtslosen Asylbewerber von der illegalen Einreise abgehalten oder zügig zurückgeführt werden. Wenn wir in diesen Tagen Kritik an unseren neuen Regelungen zu hören bekommen, wie auch heute hier, dann möchte ich den bisherigen UNHCR-Vertreter in Deutschland, den niederländischen Diplomaten Hans ten Feld, zitieren, der zu Recht eine europäische Asylpolitik angemahnt hat, uns aber gleichzeitig einen solidarischen und verantwortlichen Umgang mit Flüchtlingen bescheinigt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist zwar auch eine europäische Aufgabe. Aber er hat den Deutschen eines bescheinigt – das hat er wörtlich gesagt; dieses Zitat möchte ich zum Schluss bringen –: Nicht nur in Europa und nicht nur als Frage von Grenzkontrollen. Sondern auch damit, wie man vor Ort – denn auch das wird oft nicht berücksichtigt – oder in Nachbarländern helfen kann. Das sind wichtige Schritte, wichtige Signale, die da von Deutschland ausgehen. Insofern stellt der heutige Gesetzentwurf, den wir zur Abstimmung stellen, einen weiteren Baustein im Rahmen unserer Gesamtschau der Asyl- und Entwicklungspolitik dar. Wir sind auf einem richtigen Weg. Ich bitte Sie heute um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5420, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/4097 und 18/4199 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen vier Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksache 18/5425. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Bevor wir jetzt zu den drei Änderungsanträgen kommen, zu denen namentliche Abstimmung verlangt wurde, möchte ich darauf hinweisen, dass die Sitzung bis zum Vorliegen der Ergebnisse unterbrochen wird. Im Anschluss daran werden wir einfache Abstimmungen und eine weitere namentliche Abstimmung durchführen. Wir stimmen nun über die drei Änderungsanträge ab, zu denen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentliche Abstimmung verlangt hat. Wir beginnen mit dem Änderungsantrag auf Drucksache 18/5423. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am vorgesehenen Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die erste namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/5423. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir unterbrechen nicht jetzt, sondern wenn diese Abstimmung abgeschlossen ist, führen wir sofort die zweite namentliche Abstimmung durch. Zurzeit sind wir noch bei der ersten. Ich bitte darum, den Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht abgestimmt haben, dies zu ermöglichen, indem die Gänge frei gemacht werden bzw. sich diejenigen, die abgestimmt haben, wieder in die Reihen der Fraktionen begeben. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine Stimme zur ersten namentlichen Abstimmung noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5424. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? – Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/5424. Gibt es ein Mitglied des Hauses, welches seine Stimme zur zweiten namentlichen Abstimmung noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2 Schließlich kommen wir zu dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5426. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die dritte namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/5426. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme zur dritten namentlichen Abstimmung noch nicht abgegeben hat? Ich wiederhole die Frage: Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, welches sich gehindert fühlte, seine Stimme zur dritten namentlichen Abstimmung abzugeben? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.3 Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung. (Unterbrechung von 20.32 bis 20.40 Uhr) Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Zuallererst kommen wir natürlich zu den Ergebnissen der namentlichen Abstimmungen. Ich bitte Sie, die Sicht für das Präsidium ein wenig freizumachen, weil wir vor der nächsten namentlichen Abstimmung noch über einen Gesetzentwurf abstimmen. Wir wollen natürlich die Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei feststellen. Ich komme zu dem von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung: abgegebene Stimmen 592. Mit Ja haben 58 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 474 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, 60 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 592; davon ja: 58 nein: 474 enthalten: 60 Ja SPD Dr. Karamba Diaby Susann Rüthrich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Enthalten SPD Stefan Schwartze Sonja Steffen DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) Wir kommen zum zweiten Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zu dem von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnis der namentlichen Abstimmung: abgegebene Stimmen 592. Mit Ja haben 119 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 470, 3 haben sich enthalten. Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 592; davon ja: 119 nein: 470 enthalten: 3 Ja SPD Dr. Karamba Diaby Dr. Ute Finckh-Krämer Hilde Mattheis Frank Schwabe Christoph Strässer DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Peer Steinbrück Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Enthalten SPD Susann Rüthrich Stefan Schwartze Sonja Steffen Damit kommen wir zum dritten Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zu dem von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnis der namentlichen Abstimmung: abgegebene Stimmen 589. Mit Ja haben 118 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 468, und 3 haben sich enthalten. Auch dieser Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 590; davon ja: 119 nein: 468 enthalten: 3 Ja SPD Dr. Karamba Diaby Dr. Ute Finckh-Krämer Hilde Mattheis Susann Rüthrich Christoph Strässer DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuzj Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Peer Steinbrück Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Enthalten SPD Frank Schwabe Stefan Schwartze Sonja Steffen Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/4097 und 18/4199. Mir liegen dazu mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Entsprechend unseren Regeln nehmen wir diese Erklärungen zu Protokoll.4 Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen damit zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bin gespannt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie das jetzt entsprechend unseren Regeln bewerkstelligen wollen, wenn Sie in den Gängen stehen bleiben. Ich bitte nämlich diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich gestehe, ich bin mit Blick auf einige Fraktionen verwirrt. Wer stimmt dagegen? – Also, ich mache darauf aufmerksam: Jeder und jede kann nur einmal votieren. Wer jetzt steht, stimmt gegen den Gesetzentwurf, um das deutlich zu sagen. Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung angenommen. Nach dem, was wir hier vorn feststellen konnten, ist die Annahme mit den Stimmen der überwiegenden Anzahl der Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion erfolgt und die Ablehnung mit der überwiegenden Anzahl der abgegebenen Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bei einigen Kollegen kann ich nur feststellen: Entweder sie haben sich an allen drei Möglichkeiten beteiligt, oder sie wollten demonstrieren, dass sie an dieser Abstimmung nicht teilgenommen haben. Ich bitte, das in Zukunft zu berücksichtigen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge und beginnen mit dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5428.5 Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Darf ich erfahren, wie die Fraktion Die Linke votiert? Hier gab es eben ein sehr unterschiedliches Abstimmungsverhalten. – Ich frage noch einmal: Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5427. Die Fraktion Die Linke verlangt namentliche Abstimmung.6 Ich bitte Sie aus gegebenem Anlass, auf Ihre Stimmkarten zu schauen und sich zu vergewissern, dass die Stimmkarte Ihren Namen trägt. Außerdem möchte ich Sie daran erinnern, dass wir zu dem folgenden Tagesordnungspunkt 18 – Subventionen für Atomkraftwerke in der EU – in circa 25 Minuten zwei weitere namentliche Abstimmungen durchführen müssen. Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer die vorgesehenen Plätze eingenommen? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine Stimme zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke noch nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe damit die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.7 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3268 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich bitte, möglichst zügig die notwendige Ordnung herzustellen – auch rund um die Regierungsbank –, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen kann. Auch die nächste Rednerin ist nicht erfreut über Konkurrenz neben dem Rednerpult. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Völlig richtig! Sorgen Sie mal für Ordnung!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen Drucksachen 18/4215, 18/4316, 18/5417 Über die Beschlussempfehlung zu beiden Anträgen werden wir später namentlich abstimmen. Damit wir das tun können, werden wir zuerst eine Debatte führen. Deswegen lautet meine dringende Bitte an die Herren Staatssekretäre und Staatsminister, uns das nun auch zu ermöglichen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute darüber zu entscheiden, ob sich die Bundesregierung mittels Klage gegen eine Entscheidung der EU-Kommission wenden soll. Diese Entscheidung betrifft die Genehmigung einer Beihilfe vonseiten der Briten zugunsten des Neubaus des recht großen Atomkraftwerks Hinkley Point C. Ich möchte an dieser Stelle vorweg betonen, dass die Beihilfe vonseiten der Briten gewährt würde. Es handelt sich also nicht um europäisches Geld, sondern ausschließlich um eine britische Entscheidung. Der Förderrahmen, den die Briten für Hinkley Point C vorsehen, ist ziemlich üppig ausgestaltet. Er umfasst drei wesentliche Säulen: eine Vergütung, die auf 35 Jahre angelegt ist, Garantien und einen Inflationsausgleich sowie eine Versteinerung der Förderbedingungen. Selbst wenn irgendwann politisch anders entschieden würde, will der britische Staat heutzutage sicherstellen, dass die Förderbedingungen aufrechterhalten werden. Damit handelt es sich zweifellos um eine Beihilfe. Bei der Bewertung der Anträge, mit denen die Bundesrepublik aufgefordert werden soll, gegen diese Beihilfeentscheidung zu klagen, ist unbestritten, dass es sich um eine Beihilfe handelt. Ich möchte ganz deutlich sagen: Für mich ist ebenfalls unbestritten, dass es sich hier um ein unverantwortliches Projekt der Briten handelt. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich erinnere an die Erfahrungen mit Tschernobyl und Fukushima. Wir wissen, dass die Atomenergie absolut unrentabel und teurer ist als erneuerbare Energien und dass die Endlagerfrage weltweit nicht gelöst ist. Es ist eine Hochrisikotechnologie. Insofern halte ich es für richtig und den einzig wahren Weg, für den sich Deutschland entschieden hat, nämlich einen ganz klaren Ausstieg aus der Atomenergie zu wählen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun stellt sich aber die Frage, worauf sich diese Klage gründet. Die Klage wäre dann gerechtfertigt, wenn es sich um eine zweifelsohne rechtswidrige Beihilfeentscheidung, also um eine offensichtlich rechtsfehlerhafte Beihilfeentscheidung handeln würde. Das europäische Recht sieht für wettbewerbliche Verzerrungen, die hier auch zu erwarten sind, einen weiten Ermessensspielraum vor. Die Kommission hat einen weiten Ermessensspielraum, wenn sie zu bewerten hat, ob Wettbewerbs- und Handelsverzerrungen als beihilferechtswidrig einzustufen sind. Nach der Prüfung, die wir hier vorgenommen haben – auch vonseiten der Bundesregierung wird das so eingeschätzt –, liegt eine solche offenkundig rechtsfehlerhafte Beihilfeentscheidung nicht vor. Ich möchte aber dazu sagen, dass, wenn man sich die Begründung anschaut, natürlich schon auffällt, dass es unterschiedliche Argumentationen und Bewertungen auch im Verhältnis zu den erneuerbaren Energien gibt. Man kann ganz deutlich erkennen, dass bei erneuerbaren Energien vonseiten der Kommission bisher – etwa in Gestalt der EU-Beihilfeleitlinien – restriktivere Förderrahmen als opportun bezeichnet wurden als jetzt im Rahmen der Beihilfeentscheidung bezüglich Hinkley Point C. Aber auch daraus muss man nicht zwingend folgern, dass diese Entscheidung nun offensichtlich rechtsfehlerhaft ist, sondern man kann auch zu dem Schluss kommen, dass dieser Gestaltungsrahmen, den die Kommission jetzt für Hinkley Point C ansetzt, zulässig ist. Aber dann muss er natürlich auch zulässig für erneuerbare Energien sein. Genau an dieser Stelle beginnt die Frage politisch zu werden. Es ist die Frage, ob die Kommission bei einer Entscheidung, die einen sehr weiten Gestaltungsspielraum für eine wettbewerblich eingreifende Maßnahme eines Staates vorsieht, vonseiten eines anderen Staates angehalten werden soll, dem jeweiligen Mitgliedstaat auf die Finger zu hauen und zu sagen: „Das ist ein zu weiter Beihilfebegriff, das muss restriktiver gehandhabt werden“, oder ob ein Staat sagt: „Nein, wir nehmen das zur Kenntnis; hier ist ein weiterer Gestaltungsspielraum in Anspruch genommen worden, aber das muss bitteschön zukünftig auch für erneuerbare Energien gelten.“ (Beifall bei der SPD) Ich plädiere dafür, genau dies zum Maßstab zu nehmen und die deutschen Bemühungen, auch in Europa auf einen Atomausstieg hinzuwirken, zu verstärken. Das ist dringend erforderlich. Wir brauchen dringend den europäischen Atomausstieg. Das muss auch zum Maßstab genommen werden, wenn es um die Bewertung der erneuerbaren Energien geht. Hier darf nicht vonseiten der Europäischen Kommission mit zweierlei Maß gemessen werden. Diese Entscheidung der Europäischen Kommission bedeutet für mich eindeutig, dass hiermit ein neuer Rechtsrahmen und neue Bewertungskriterien für erneuerbare Energien gesetzt wurden. Noch zu erwähnen ist, was allerdings nicht beihilferechtlich relevant ist, aber eben in diesen Kontext der politischen Entscheidung passt, den ich gerade erwähnt habe, dass diese Entscheidung, die die Briten gefällt haben, eine Entscheidung ist, die den nationalen Energiemix betrifft. Auch Deutschland hat immer sehr großen Wert darauf gelegt, dass man frei in der Entscheidung ist, den nationalen Energiemix zu gestalten. Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union besagt, dass die Gestaltung des nationalen Energiemixes in der Gestaltungshoheit der jeweiligen Mitgliedstaaten liegt. Deutschland hat sich immer darauf berufen, auch wenn es um den Förderrahmen für erneuerbare Energien ging, dass diese Gestaltung das Recht der Mitgliedstaaten ist. Ich möchte auch daran festhalten und finde es richtig, dass wir diesen Artikel 194 haben und dass das das Recht der Mitgliedstaaten ist. Anders wäre es nicht möglich gewesen, dass Deutschland in der Energiewende eine solch herausragende Pionierrolle eingenommen hat. (Beifall bei der SPD) Was daraus folgt, habe ich schon vorangestellt. Ich meine, wir müssen auch aufgrund dieser Entscheidung dringend darauf hinwirken, dass europäisch ein Atomausstieg erfolgt und dass irgendwann eine politische Entscheidung in Richtung Atomausstieg getroffen wird. Deutschland hat sich hier auch schon positioniert. Bundesminister Sigmar Gabriel hat klar gesagt: Es soll keine Förderungen von Atomenergie mit europäischen öffentlichen Geldern geben, auch nicht im Rahmen der Europäischen Energieunion. Diese Aussage ist ganz klar. -Insofern ist es unsere Aufgabe, einerseits auf den europäischen Atomausstieg hinzuarbeiten und andererseits die Maßgaben für die Förderung erneuerbarer Energien zu schaffen. Abschließend – mein letzter Satz –: Wenn Deutschland nicht klagt, heißt das eben nicht, dass wir diese Entscheidung der Briten für gut halten. Ich habe erläutert, was diese Nichtklageerhebung zu bedeuten hat. Ich möchte hier noch einmal darauf hinweisen: Wir brauchen einen europäischen Atomausstieg. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 593. Mit Ja haben gestimmt 115, mit Nein haben gestimmt 477, Enthaltungen 1. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 593; davon ja: 114 nein: 478 enthalten: 1 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Enthalten SPD Susann Rüthrich Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon angesprochen worden: Die EU-Kommission hat im Oktober vergangenen Jahres mit Zustimmung des deutschen EU-Kommissars Oettinger einen unsäglichen Beschluss gefasst; (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn dieser Beschluss macht den Weg dafür frei, dass die britische Regierung den Neubau von zwei Atomreaktoren in Hinkley Point mit einem Rundum-sorglos-Paket in Milliardenhöhe aus Subventionen und mit Strompreisgarantien fördern darf. (Beifall bei der LINKEN) Das ist ein skandalöser Beschluss, der nicht nur die britischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler teuer zu stehen kommen wird. Die Regierungen von Österreich und Luxemburg werden mit einer Klage gegen diesen Beschluss vorgehen, ebenso hiesige Ökostromunternehmen und Stadtwerke. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Außerdem haben inzwischen über 160 000 Bürgerinnen und Bürger Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt. Und was tut die deutsche Bundesregierung? Sie kneift. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) Deswegen wollen wir Linken mit unserem Antrag erreichen, dass die Bundesregierung mit allen rechtlichen und politisch möglichen Maßnahmen dafür sorgt, dass der Beschluss der EU-Kommission zu Hinkley Point dahin kommt, wo er hingehört, nämlich in den Mülleimer. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hintergrund der Kommissionsentscheidung zu Hinkley Point ist der Euratom-Vertrag; das darf nicht vergessen werden. Das zeigt: Dieses Schlupfloch muss endlich geschlossen werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Euratom-Vertrag dient nur der Atomlobby, die ihre wirtschaftlichen Interessen auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler durchboxen will. Abgesehen davon ist die Begründung der Kommis-sionsentscheidung – das haben auch Sachverständige bei der Anhörung im Wirtschaftsausschuss herausgearbeitet – in Sachen europäisches Beihilferecht abenteuerlich: (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Gefälligkeitsgutachten!) Erstens liegt entgegen der Behauptung der EU-Kommission bei der Atomenergie kein Marktversagen vor. Kein einziges Atomkraftwerk wäre je gebaut worden, wenn es nicht schon immer massive staatliche Unterstützung gegeben hätte. Rechtsanwältin Cornelia Ziehm hat bei der Anhörung treffend formuliert, nicht der Markt habe versagt, sondern nach 60 Jahren Atomkraft könne man ja wohl nur davon sprechen, die Technologie habe versagt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens – das entkräftet ein bisschen die Argumentation von Frau Scheer – sind im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien, für die ein Ausbauziel von 27 Prozent bis 2020 verfolgt wird, nirgends gemeinsame europäische AKW-Ausbauziele definiert worden. Das gibt der Euratom-Vertrag definitiv überhaupt nicht her. Der EU-Beschluss muss aber ebenfalls vom Tisch, weil er als Türöffner auch für andere EU-Staaten Modell stehen wird: Sechs Staaten in der EU, darunter Polen und Tschechien, stehen bereits in den Startlöchern und überlegen, ähnlich wie Großbritannien vorzugehen. Darum: Der Beschluss der EU-Kommission muss gekippt werden. (Beifall bei der LINKEN) Atomausstieg in Deutschland und Atomsubventionierung in Europa passen nicht zusammen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Noch eines: Nach dem kraftvollen Nein von Sigmar Gabriel – das ist immerhin der SPD-Parteivorsitzende und Ihr gemeinsamer Wirtschafts- und Energieminister, sehr verehrte Damen und Herren und Abgeordnete – (Michael Donth [CDU/CSU]: Auch Ihrer!) zu Atomsubventionen in Europa ist es nun an unserer bundesdeutschen Regierung, endlich etwas zu tun: Geben wir ihr in der Abstimmung über die Anträge von uns Linken und von den Grünen den Auftrag, alles politisch und rechtlich Mögliche zu tun, damit der Beschluss der EU-Kommission zu Fall kommt und der Atomausstieg in Europa weitergeht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Jens Koeppen. (Beifall bei der CDU/CSU) Jens Koeppen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Oppositionsanträge empfehlen dem Deutschen Bundestag, gegen den Beschluss von Großbritannien, Atomkraftwerke zu bauen, zu klagen. Ich empfehle Ihnen, vom Ende her zu denken; denn dieser Schuss kann nach hinten losgehen. Ich denke, es ist nicht zulässig. Ich denke auch, es ist eine Sackgasse, und es ist ein Bumerang. Ich werde Ihnen auch erklären, warum das aus meiner Sicht so ist. Die Gestaltung der Energiepolitik, etwa der Energiewende, liegt in der nationalen Entscheidungshoheit jedes Mitgliedstaats der Europäischen Union. Genau diese Entscheidungshoheit erlaubt es Deutschland, zu sagen: Wir steigen aus der Kernenergieerzeugung aus. – Frau Dr. Scheer, das ist eine Bewertung. Ich will jetzt gar nicht bewerten, ob das gut oder schlecht ist. Aber Sie haben es gemacht. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es auch gemacht!) Das ist in Ordnung. – Wir steigen allerdings nur aus der Kernenergieerzeugung aus; nutzen werden wir die Kernenergie noch einige Jahre oder Jahrzehnte, weil wir die Lücke schließen müssen. – Das dazu. Durch die souveräne Entscheidung für diesen Mix in Deutschland ist es möglich, in das Zeitalter der erneuerbaren Energien zu kommen. Dieser Weg wird von vielen Nachbarn interessiert, aber auch sehr kritisch beäugt; denn sie wissen nicht, was da passiert. Wird es gelingen? Wird es nicht gelingen? Natürlich, Frau Kotting-Uhl – Sie werden es nachher sagen; Sie haben es im Ausschuss gesagt –: Jeder Vergleich zu den erneuerbaren Energien hinkt. – Jeder Vergleich hinkt. Ich will mich trotzdem auf die erneuerbaren Energien bei uns konzentrieren, um danach wieder zu Hinkley Point C zu kommen. Wir setzen auf erneuerbare Energien, und wir geben auch eine starke staatliche Förderung dafür; das ist unbestritten. Wir haben eine Einspeisevergütung über 20 Jahre. Das ist eine starke Subventionierung. Wir haben einen Einspeisevorrang für die erneuerbaren Energien. Das ist auch eine starke staatliche Subventionierung. Wir haben sogar eine Vergütung für nicht abgegebene Leistung. Wenn Energie abgeregelt werden muss, weil es zu viel Energie gibt, weil sie nicht verbraucht wird, wird trotzdem bezahlt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit neuestem haben wir das auch für Kohlekraftwerke!) Das ist etwas, Herr Krischer, was man natürlich beachten muss. Die Briten oder andere könnten sagen: Das ist ein Markteingriff. Dagegen könnten wir klagen. – Deswegen müssen wir vorsichtig sein, und deswegen müssen wir vom Ende her denken. (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben ungefähr 195 Gigawatt installierte Netto-Nennleistung. Davon sind 45 Prozent – das sind 90 Gigawatt – aus erneuerbaren Energien. Diese werden natürlich in den europaweit gekoppelten Stromspotmarkt integriert. Das reduziert – da sind wir beieinander – den Börsenstrompreis, und das hat eine direkte Auswirkung auf die Märkte. Jetzt fragen andere: Ist das zulässig? Ist das nicht ein Eingriff? Können wir dagegen nicht klagen? – Deswegen warne ich davor, solche Schritte zu gehen. Wer gegen Großbritannien und den Mix dort klagt, läuft natürlich Gefahr, dass gegen die 90 Gigawatt geklagt wird. Nur zum Vergleich: Hinkley Point C wird, wenn es fertig ist, 3,3 Gigawatt produzieren. Das sind circa 3,3 Prozent von den 90 Gigawatt installierter Netto-Nennleistung. Jetzt ist die Frage: Wo ist der Markt-effekt größer, bei den 90 Gigawatt oder bei den 3,3 Gigawatt? – Deswegen riskieren wir mit einer Klage, die Sie in den beiden Anträgen fordern, europäische Sympathien. Es ist, ganz klar, ein ideologisch geführter Kampf. Wir werden da Widerstand ernten. Was macht Großbritannien? Sie wissen, dass Großbritannien ein sehr ehrgeiziges Klimaschutzziel hat; das ist unbestritten. Bis zum Jahr 2050 will Großbritannien 80 Prozent CO2 einsparen. Welchen Weg geht man dort? Man substituiert mit Hinkley Point C alte Kernenergiekraftwerke. Man hat Offshoreprojekte, bei denen die Megawattstunde 188 Euro kosten wird bzw. entsprechend subventioniert wird. Dagegen wollen Sie übrigens nicht klagen. Das ist auch bemerkenswert. Das ist um 70 Prozent höher als in Deutschland. Außerdem hat Großbritannien die CCS-Technologie angewandt, um die CO2-Emissionen aus Kohle, Gas und Industrie zu senken. Das sind Wege, die Großbritannien festlegen kann, und zwar ganz allein, ohne dass in irgendeiner Art und Weise geklagt wird. Jetzt können Sie und auch die Sachverständigen doch nicht sagen: Das ist ein Rundum-sorglos-Paket. – Das ist nicht in Ordnung. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 35 Jahre Freistellung von Entsorgungskosten, von Inflationskosten!) Wir sagen: Das geht so nicht. Denn viele in Europa sagen: Das EEG ist ein Rundum-sorglos-Paket. – Und das wollen wir natürlich vermeiden. Der Weg von Großbritannien ist in der Tat nicht unser Weg; Frau Dr. Scheer, Sie haben es gesagt. Es ist aber die Frage: Sind wir gute Europäer, wenn wir andere Länder, Partner, befreundete Länder mit Klagen überziehen für eine Sache, dessen alleinige Gestaltungshoheit in den Mitgliedstaaten liegt? Ich glaube, das ist der falsche Weg. Was die Souveränität angeht, werden Sie ja wieder damit kommen, dass das europäisch gelöst werden muss, Frau Kotting-Uhl. Das haben Sie ja bereits im Ausschuss gesagt. Was wäre denn, wenn eine europäische Lösung so aussähe, dass durch irgendeinen Kommissar festgelegt wird, dass ein Mix aus 30 Prozent Erneuerbaren, 30 Prozent Kernenergie und 30 Prozent Kohle zu installieren ist? Wäre das der bessere Weg, oder ist es doch besser, dass die Souveränität bei den Mitgliedstaaten liegt? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal was von europäischen Zielen gehört?) – Ich sagte doch gerade: Wenn es festgelegt würde, dann müssten wir die Kernenergie weiterführen und dürften die Reaktoren nicht abschalten. Ist das dann der bessere Weg? Ich denke, nein. Deswegen gehen wir diesen Weg nicht mit. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einen Quatsch habe ich noch gar nicht gehört! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht so!) Was wir machen müssen, ist, für unseren Weg zu werben. Das können Sie ja nicht, Herr Krischer; Sie kreischen ja nur herum. Wir müssen für unseren Weg werben. Wir müssen zeigen, dass er erfolgreich ist. Noch ist er ja nicht erfolgreich. Noch sind wir ja auf dem Weg. Was wir machen müssen, ist: Wir müssen zeigen, dass es funktioniert. Denn Lösungen sind immer besser als Klagen, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wird es nicht funktionieren!) schon gar unter Freunden. Deswegen: Es bleibt dabei, dass Europa eine Wertegemeinschaft ist, bei der natürlich die Mitgliedstaaten untereinander im Wettbewerb stehen. Wir müssen zeigen, dass wir den Wettbewerb gewinnen, dass wir das bessere Konzept haben. Das ist die richtige Lösung. Klagen ist aus meiner Sicht eine Sackgasse. Es kann ein Bumerang sein, der schmerzhaft zurückkommen kann. Deswegen sage ich: Werfen wir ihn erst gar nicht! Daher sind Ihre beiden Anträge abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister Gabriel war ja einigermaßen pikiert, als Oliver Krischer ihn als „Abrissbirne der Energiewende“ bezeichnet hat. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist auch nicht schön!) Aber in diesen Tagen verdient er sich diesen Namen endgültig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Gestern lässt er sich die Kohleabgabe aus der Hand schlagen, und heute lehnt er ab, gegen die Subventionierung von Atomstrom zu klagen. Und Sie alle machen mit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und mit welchen Argumenten? Die Klage sei nicht besonders aussichtsreich, haben Sie im Ausschuss gesagt. Wer hat Ihnen das denn eingeredet? Und selbst wenn: Wenn einem etwas wichtig ist, dann kämpft man dafür, dann kämpft man das durch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Der Kampf gegen die Atomkraft in Deutschland war auch mal nicht besonders aussichtsreich. Wo wären wir denn heute in Deutschland, wenn wir Grüne uns deswegen damals vom Acker gemacht hätten? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr schändlichstes Argument aber ist die angebliche Analogie zum EEG. Wenn diese Sorge einige aus der Erneuerbaren-Branche umtreibt, dann kann ich das noch halbwegs verstehen. Deren Pflicht ist es nicht, sich mit Details des europäischen Wettbewerbsrechts und mit Beihilfegenehmigungen auseinanderzusetzen. Aber Ihre Pflicht wäre, klarzumachen, dass diese Analogie nicht besteht. (Zuruf von der CDU/CSU: Das europäische Recht gilt für alle!) Es ist ein Unterschied, ob ich eine junge, nicht marktgängige Technologie subventioniere oder eine 60 Jahre alte, die sich heute nicht mehr rechnet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und es ist ein Unterschied, ob wie beim Ökostrom eine 20-jährige Einspeisevergütung garantiert wird oder ob wie bei Hinkley Point ein – so muss man es nennen – Rundum-sorglos-Paket aus Kreditgarantien, subventionierten Betriebskosten, Inflationsausgleich und Entschädigungsansprüchen geschnürt wird. So ist ein Atomausstieg in Großbritannien auch gleich ausgeschlossen. Das Marktversagen, auf das sich die Kommission beruft – das hat die Anhörung des Bundestages deutlich ergeben –, reduziert sich auf die Nichtfinanzierbarkeit von Atomkraftwerken. Nachdem wir heute wissen, was Atomkraft kostet, leistet sich das kein Investor mehr. Nach der Argumentation der Kommission, die Sie sich zu eigen machen, müsste jede überholte Technologie subventioniert werden. Wir wären heute noch in der Postkutsche unterwegs, weil wir die Postkutsche gegen jede Innovation im Verkehrsbereich hätten subventionieren müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aus Artikel 40 des Euratom-Vertrags leitet die Kommission ein gemeinschaftliches Interesse der EU an Hinkley Point her. Ende der 50er-Jahre wäre das noch richtig gewesen. Artikel 40 enthält auch die Verpflichtung zu sogenannten hinweisenden Nuklearprogrammen, die in regelmäßigen Abständen erarbeitet werden müssen. Im letzten hinweisenden Programm von 2007/2008 steht: „Wichtig ist, dass in der EU in Kernenergieprojekte keine staatlichen Beihilfen fließen.“ Der Verweis auf -Euratom ist also nicht nur einigermaßen aus der Zeit gefallen, er ist auch noch falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!) Herr Koeppen, ein Unterschied ist auch, ob es festgeschriebene Ziele gibt oder nicht. Wir haben heute gemeinschaftlich festgelegte Ziele in der EU zum Ausbau der Erneuerbaren, aber nicht mehr zur Atomkraft. Nehmen Sie das doch mal zur Kenntnis! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrlich gemeinte Bekenntnisse brauchen manchmal auch Taten, nicht nur Worte. Das Bekenntnis zur Energiewende ist schön, davon allein kommt sie aber nicht. Das Bekenntnis zum Einsatz gegen Atomkraft auf europäischer Ebene ist auch schön, verpufft aber vor der Realität der Zeitenwende, die das Muster Hinkley Point in der EU einläutet. Das Analyseinstitut Energy Brainpool hat dargelegt, welche Effekte der subventionierte Atomstrom an der Börse haben wird und was das in der Folge für EEG und Energiewende bedeutet. Das kann niemand in diesem Haus wollen, dessen Bekenntnis zur Energiewende ernst gemeint ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit. Das wäre nämlich auch schön. (Markus Grübel [CDU/CSU]: Das sind gefühlte zehn Minuten!) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich denke an die Zeit. – Mein letzter Appell: Wenn die Bundesregierung gegen diese rückwärtsgewandte Subvention von Atomstrom nicht klagt, macht sie sich mitschuldig an der Bedrohung der Erneuerbaren-Branche und schafft einen neuen Bremsklotz für die Energiewende. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, können der Bundesregierung heute Ihren Auftrag mitgeben. Entscheiden Sie sich richtig! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Redundant!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das war die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt. Deshalb kommen wir nun zu den Abstimmungen zu Tagesordnungspunkt 18. Ich weise Sie darauf hin, dass wir jetzt zwei namentliche Abstimmungen durchführen und dass zu diesen Abstimmungen mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen.8 Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/5417. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4215 mit dem Titel „Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU“. Wir stimmen über Buchstabe a der Schlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über Buchstabe a der Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Hier vorne sind die Urnen frei. Oben rechts herrscht ein großes Gedränge. Kommen Sie doch bitte zur Mitte; dann geht es schneller. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass an den Urnen hier vorne keiner ist. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der CDU/CSU bleibt man immer bei derselben Urne! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe noch zwei Leute aus dem PUA! Die kommen gerade angerannt!) Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses Ihre Stimme abgegeben? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.9 Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5417 empfiehlt der Ausschuss für Wirtschaft und Energie die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4316 mit dem Titel „Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen“. Wir stimmen nun über Buchstabe b der Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über Buchstabe b der Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe niemanden mehr. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, auszuzählen. Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben.10 Jetzt bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze wieder einzunehmen. Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre Drucksache 18/4630 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/5419 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte noch einmal die Kolleginnen und Kollegen, jetzt die Plätze einzunehmen und die Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen. Dann eröffne ich jetzt die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu vorgerückter Stunde diskutieren wir heute einen Gesetzentwurf, der das Ende einer zehnjährigen -Debatte über die Notwendigkeit verbindlicher Regeln für den Wechsel von Regierungsmitgliedern, auch Parlamentarischen Staatssekretären, in die Wirtschaft markiert. Die vorliegende Karenzzeitregelung schafft ein transparentes Verfahren, indem eine Anzeigeverpflichtung für Mitglieder der Bundesregierung und Staatssekretäre eingeführt wird, wenn sie eine Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes aufnehmen möchten. Die beabsichtigte Beschäftigung kann untersagt werden, wenn dadurch öffentliche Interessen beeinträchtigt werden. Die Karenzzeitregelung – das ist der Kern – schützt das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Bundesregierung. Bereits der bloße Anschein einer voreingenommenen Amtsführung mit Blick auf spätere Karriereaussichten soll ebenso wie die spätere private Verwertung von Amtswissen verhindert werden. Der Gesetzentwurf ist übrigens von seiner Einbringung in das parlamentarische Verfahren bis zum heutigen Stand weitgehend unverändert geblieben. Selbst der Änderungsantrag der Grünen beinhaltet aus meiner Sicht keine substanzielle, große Änderung, auch wenn Sie sich – das gebe ich zu – Mühe gegeben haben. (Heiterkeit des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]) Wir haben eine Anhörung erlebt, bei der es viel Zustimmung seitens der Experten gab. Natürlich gibt es im -Detail immer Verbesserungsvorschläge und Ideen; aber die Anhörung hat wirklich gezeigt: Das ist ein Gesetzentwurf, der ordentlich vorbereitet worden ist und die richtigen Eckpunkte umfasst. Ich will sie in Stichworten nennen: Amtierende und ehemalige Mitglieder der Bundes-regierung unterliegen in den ersten 18 Monaten nach Ende ihrer Amtszeit einer Anzeigepflicht in Bezug auf Beschäftigungen außerhalb des öffentlichen Dienstes. Auch eine Rückkehr in eine vor dem Regierungsamt ausgeübte Berufstätigkeit ist davon umfasst. Es ist also durchaus eine weitgehende Regelung. Die Regelung gilt entsprechend – ich habe es eben gesagt – für die Parlamentarischen Staatssekretärinnen und Staatssekretäre und schließt natürlich auch die Bundeskanzlerin ein. Wenn eine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen vorliegt – die Gesetzesvorlage ist an dieser Stelle bewusst weit gefasst –, kann die Bundesregierung die Ausübung der Folgetätigkeit untersagen. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen der angestrebten Beschäftigung und dem ausgeübten Amt besteht. Die Dauer der Untersagung soll in der Regel ein Jahr betragen. Sie kann in Ausnahmefällen auch darunter liegen; in Fällen einer schweren Beeinträchtigung öffentlicher Interessen kann sie auch auf einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten ausgedehnt werden. Diese Kannregelung lässt aus unserer Sicht ausreichenden Spielraum, um eine im Einzelfall angemessene Entscheidung zu treffen, die zum Beispiel die Länge von Amtszeiten berücksichtigt oder auch das Maß der Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten im Amt, die etwa zwischen Bundesministern und Parlamentarischen Staatssekretären durchaus unterschiedlich sind. Die Bundesregierung orientiert sich damit an bestehenden Regelwerken wie dem Verhaltenskodex der EU-Kommission, der ebenfalls eine bis zu 18-monatige Karenzzeit für ausscheidende Kommissionsmitglieder vorsieht. Die Transparenz des Verfahrens wird umfassend sichergestellt. Vor einer Entscheidung der Bundesregierung wird diese durch ein beratendes unabhängiges Gremium unterstützt, welches in jedem Einzelfall eine Entscheidungsempfehlung unterbreitet. Das Gremium, das unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes eingesetzt werden soll, setzt sich aus drei Persönlichkeiten zusammen, die über eine ausgewiesene politische Erfahrung an der Spitze gesellschaftlicher oder staatlicher Institutionen verfügen und die maßgeblichen Fälle daher gut beurteilen können. Nachdem eine Entscheidung durch die Bundesregierung getroffen worden ist, soll diese zusammen mit der Empfehlung des beratenden Gremiums veröffentlicht werden. Jedermann kann den Entscheidungsprozess und nicht nur das Entscheidungsergebnis damit vollumfänglich nachvollziehen. Diese Regelungen ermöglichen eine verantwortungsbewusste Einzelfallprüfung. Schematische Fristvorgaben im Sinne einer stets einzuhaltenden, verpflichtenden Sperrzeit sind dabei wenig hilfreich – das kam in der Anhörung auch sehr deutlich zum Ausdruck –; denn sie lassen außer Acht, worum es bei der Karenzzeitregelung im Kern geht, nämlich um das Ergebnis einer angemessenen Abwägung zwischen dem Berufsausübungsinte-resse des Einzelnen und dem Interesse der Allgemeinheit an der Integrität des Regierungshandelns. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt deshalb auf eine flexible, ausfüllungsfähige Rahmenregelung und einen transparenten Entscheidungsprozess. Würden wir politischen Entscheidungsträgern nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt die Rückkehr in den alten Beruf oder die Aufnahme einer neuen Beschäftigung für zu lange Zeit verwehren, so ließen wir außer Acht, dass politische Ämter Aufgabenübertragungen auf Zeit sind – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Genau das tun wir nicht. Die Karenzzeitregelung ist Ausdruck einer klugen und verantwortungsbewussten Abwägungsentscheidung. Wir können sie Ihnen zur Annahme empfehlen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herzlichen Dank. – Nächste Rednerin ist Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es gibt zwei gute Nachrichten. Die erste ist: Wir streiten einmal nicht darüber, ob ein Gesetzentwurf, der von der Großen Koalition vorgelegt wird, verfassungsgemäß ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die zweite gute Nachricht ist, dass jetzt eine gesetzliche Regelung zu Karenzzeiten vorliegt; da war ja auch einmal etwas anderes im Gespräch. – Das sind die guten Nachrichten. Die schlechte Nachricht ist, dass der vorliegende Gesetzentwurf einige Mängel aufweist, weswegen wir ihm nicht zustimmen können. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!) Ich will jetzt keine Grundsatzdebatte über dieses Thema aufmachen. Die Position meiner Fraktion ist bekannt. Wir haben uns für eine Karenzzeitregelung eingesetzt, die sich an der Dauer des Anspruchs auf Übergangsgeld und an der ressortmäßigen Zuständigkeit orientiert. Sie haben einen anderen Weg gewählt; das ist auch völlig okay. Sie hätten dann aber in Ihrer Logik konsequent sein müssen. Das haben Sie aus unserer Sicht nicht gemacht; denn Sie haben sich dafür entschieden, dass im Falle der Beeinträchtigung öffentlicher Interessen die Karenzzeit im Regelfall 12 Monate, im Ausnahmefall 18 Monate betragen soll. Ich weiß immer noch nicht – außer dass Sie auf die EU-Kommission Bezug nehmen –, welche sachlichen Gründe für diese Zeiträume sprechen. Aber das ist jetzt nicht mein Thema. Ich will auf ein anderes Problem aufmerksam machen. Wenn Sie konsequent gewesen wären, hätten Sie die Mindestdauer des Übergangsgeldes an die Länge der Karenzzeit anpassen müssen; denn mit der jetzt vorgesehenen Regelung laufen Sie Gefahr, etwas zu ermöglichen, was Sie wahrscheinlich gar nicht wollen. Stellen Sie sich einmal vor, in der Bundesregierung wäre das Klima so wundervoll, dass ein Minister nach acht Monaten sagt: Mir reicht es. – Das ist bei Ihnen natürlich absolut unvorstellbar. Ich weiß das; aber nehmen wir das einmal an. (Burkhard Lischka [SPD]: Wenn es am schönsten ist, soll man gehen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr ehemaliger Parteivorsitzender war so einer! Er hieß Lafontaine!) Dann würde dieser Minister nach der jetzigen Regelung 8 Monate Übergangsgeld bekommen. Wenn dieser Minister sich nun einen Job sucht, der garantiert zu einer Karenzzeit führt, dann bekommt er nach der von Ihnen vorgeschlagenen Regelung 12 oder 18 Monate Übergangsgeld. Ich glaube, das entspricht nicht Ihrer Logik. Das haben Sie sicher nicht gewollt. Diese Logik ist aber in Ihrem Gesetzentwurf angelegt, und das finden wir falsch. (Beifall bei der LINKEN) Der zweite Punkt, den wir kritisieren, betrifft das beratende Gremium. Wir kritisieren nicht das beratende Gremium an sich. Das kann man machen; das ist völlig okay. Es ist auch okay, dass es von unabhängigen Sachverständigen besetzt wird. Aber wir haben das Problem, dass dieses sachverständige Gremium zunächst eine nichtöffentliche Empfehlung abgibt und die Bundesregierung dann entscheidet, ob sie dieser Empfehlung folgt. Dieses sachverständige Gremium wird auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt. Wir finden, da es in diesem Gesetzentwurf um Staatssekretäre und Minister geht, wäre es klug gewesen, den Fraktionen entweder ein Vorschlagsrecht zu gewähren – nicht bezogen auf Parlamentarierinnen und Parlamentarier, sondern bezogen auf unabhängige Sachverständige; nicht, dass wir uns da falsch verstehen – oder den Bundestag die Sachverständigen wählen zu lassen. Das haben Sie nicht gemacht. Das finden wir traurig. Insofern können wir Ihrem Gesetzentwurf, obwohl es gut ist, dass es eine gesetzliche Regelung geben soll, nicht zustimmen. Ich habe 46 Sekunden Redezeit gespart. Vielleicht kann ich die irgendjemandem aus meiner Fraktion schenken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die dürfen nicht mehr reden. – Nächster Redner ist Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Die Kollegin Wawzyniak ist zu freundlich zu mir. Die 46 Sekunden nehme ich selbstverständlich dankend an. (Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Eine Tafel Kinderschokolade!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Noch entscheide ich das. Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist aus zwei Überlegungen heraus entstanden: Erstens galt es, Transparenz bei der Durchlässigkeit zwischen Politik und Wirtschaft herzustellen. Zweitens waren wir bestrebt, Vorwürfe gegen betroffene Regierungsmitglieder auszuräumen, man stelle die persönliche Karriere in der Rangfolge über das Gemeinwohl. Der Grundgedanke dieses Gesetzentwurfs musste bis heute auf eine politische Mehrheit in diesem Haus warten. Von Oppositionsanträgen vermeintlich befeuert, diskutierten wir über die Karenzzeiten zwischen Regierungsamt und privatwirtschaftlicher Folgetätigkeit, manchmal um der Sache willen, zuweilen aber wohl auch nur, weil gerade wieder irgendein Regierungsmitglied kurz vor dem Sprung in die Wirtschaft stand. Nicht aus jedem Wechsel wurde ein Skandal; aber in der Öffentlichkeit entstand stets der Eindruck, dass vielleicht doch eine unzulässige Vermengung von Interessen zwischen der Regierungstätigkeit und der neuen, angestrebten Tätigkeit bestand. Damit wurde zumindest unbewusst das Vorurteil bedient, Politik sei käuflich, Entscheidungen seien von der Wirtschaft beeinflusst und unsere Demokratie sei nicht mehr Herr der Gesetzgebung. So konnten sich alle Fraktionen, die bereits Regierungsverantwortung übernommen hatten, in der Debatte gegenseitig mit Namen von Regierungsmitgliedern bewerfen, die unmittelbar im Anschluss an das Regierungsamt privatwirtschaftlich tätig geworden sind, um schlicht ihren Lebensunterhalt weiter zu bestreiten. Laut Definition ist jede Tätigkeit, die zur Schaffung und zur Erhaltung der Lebensgrundlage dauerhaft dient, ein Beruf. Das ist ein Begriff, der durch Artikel 12 Grundgesetz geschützt ist. Indem wir ein Regierungsmitglied, das Amt und Person nicht unmittelbar trennen kann, mit einer Sperrfrist belegen, schränken wir diese Berufsfreiheit erheblich ein. Dies geschieht, unabhängig davon, ob eine Sperrfrist angeordnet wird oder nicht, im Ausnahmefall für einen Zeitraum von maximal 18 Monaten, weil innerhalb dieses Zeitraums die Anzeigepflicht besteht. Minimal und faktisch geschieht dies -wiederum für den Zeitraum von einem Monat, weil hierdurch die Entscheidungshoheit der Bundesregierung als Kollegialorgan geschützt wird. Die Berufsausübungsfreiheit schränken wir bewusst ein, um einerseits die Integrität der Bundesregierung sowie das Ansehen der Politik zu schützen und andererseits Ruhe und Ordnung in das Verfahren bei unmittelbaren Anschlusstätigkeiten von Regierungsmitgliedern zu bringen. Letzteres Ziel wird erheblich dadurch erreicht, dass laut dem zu beschließenden Gesetzentwurf die Entscheidung durch ein beratendes Gremium vorbereitet und sachlich unabhängig geprüft wird. Das betroffene Regierungsmitglied muss nach der Anzeige bei der Bundes-regierung auch diesem Gremium, das mit Persönlichkeiten besetzt wird, die in Justiz, Verwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft hervorgehobene Positionen bekleidet haben, alle entscheidungsrelevanten Tatsachen anzeigen. So ist die Bundesregierung selbst in der Lage, aufgrund dieser unabhängigen Vorbereitung die Entscheidung zu treffen, ob durch den Wechsel möglicherweise Interessenkonflikte bestehen, die aus einer Nähe des Regierungsressorts zu der angestrebten Tätigkeit herrühren, oder ob man wegen des Kabinettprinzips generalpräventiv dem Eindruck von Interessenkonflikten vorbeugen soll. Eben hierfür ist der Zeitraum von faktisch einem Monat über im Regelfall 12 Monate bis hin zu 18 Monaten in besonderen Fällen geeignet, die Einzelfallprüfung zeitlich einzusortieren. Auf diese Art wird der Interessenkonflikt sachlich und zeitlich konkret individuell für das betroffene Regierungsmitglied gelöst. So weit muss es jedoch gar nicht kommen; denn allein die Einführung einer Anzeigepflicht ist für sich genommen geeignet, eine abschreckende Wirkung zu entfalten. Aber auch diesen Eingriff galt es verhältnismäßig zu gestalten. Im Gesetzentwurf wurde dies mit einer Anzeigefrist von einem Monat gelöst, die von dem beabsichtigten Beginn der Tätigkeit an zurückgerechnet wird. So ersparen wir den Betroffenen die Rechtsunsicherheit im vorvertraglichen Stadium und eine zu diesem Zeitpunkt möglicherweise auch kontraproduktive Öffentlichkeit. Das Gesetz soll nämlich kein Misstrauen säen und nicht vorsorglich jedem Wechsel ein Geschmäckle beifügen, sondern eine die Rechte des Einzelnen wahrende Prüfung ermöglichen und Vertrauen schaffen durch Offenheit gegenüber dem beratenden Gremium und Öffentlichkeit der Entscheidung der Bundesregierung, ob und wie lange eine Sperrfrist für eine dem Regierungsamt folgende Berufsausübung angeordnet wird. In der Sachverständigenanhörung vom 15. Juni haben wir einige Kritikpunkte beleuchtet und mit dem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen, wie dargestellt, auf den Mangel des einstweiligen Verbots reagiert. Die Kritik der Sachverständigen, dass die Regierung als Betroffene selbst entscheidet, sodass die oder der heute zur Entscheidung Berufene morgen der Entscheidung auch unterliegen kann, haben wir sorgsam abgewogen. Einerseits könnte diese Entscheidung von persönlichen oder parteilichen Loyalitäten oder aufgrund irgendwelcher Animositäten beeinflusst sein. Andererseits – das war das ausschlaggebende Argument – kann nur die Regierung selbst in der Lage sein, zuverlässig über einen Interessenkonflikt zu urteilen; denn der Schutz der Vertraulichkeit des Kernbereichs der Bundesregierung ist ebenfalls Schutzzweck dieses Gesetzes. Den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben wir aufgrund der Maßstäbe, die ich soeben an die Rechtfertigung angelegt habe, bereits gestern im Innenausschuss abgelehnt. Die Dauer der Karenzzeiten in diesem feingliedrig zeitlich abgestimmten Rahmen ohne gesetzgeberische Ermessensleitung der Bundesregierung zu übergeben, wäre aus unserer Sicht verantwortungslos. Evaluierungen – das ist die zweite Forderung in dem besagten Änderungsantrag – sind aus meiner Sicht eine beliebte Modeerscheinung. Eine Evaluierung ist jedoch völlig unnötig; denn der gesamte hier aufgezeigte Entscheidungsprozess ist neben dem zweistufigen Verfahren von vorbereitender Entscheidung durch das Beratungsgremium und bindende Entscheidung der Bundesregierung letzten Endes vor dem Bundesverwaltungsgericht der richterlichen Kontrolle zugänglich. Zusammenfassend: Dieser Gesetzentwurf schützt zuverlässig und generalpräventiv Kenntnisse und Entscheidungsnetzwerke des Regierungsamtes, die auf Kosten des Steuerzahlers erworben worden sind, und verhindert zugleich, dass sie zu einem wirtschaftlichen Gut werden. Betroffene Regierungsmitglieder werden mit einer Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestattet, die angestrebte Tätigkeit über jeden Zweifel erhaben und frei von Vorwürfen anzutreten, oder werden, wenn notwendig, öffentlich mit einer Sperrfrist belegt, gegen die der Rechtsweg offensteht. Mit anderen Worten: Für die Integrität und Vertraulichkeit der Politik ist heute ein sehr guter Tag. Ich bitte in zweiter und dritter Lesung um entsprechende Zustimmung. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und schließe mit einem herzlichen Glückauf. Ich habe noch zehn Sekunden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich nun der Kollegin Britta Haßelmann das Wort erteile, möchte ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt geben. Zunächst das Ergebnis der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 18 a, Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Die Linke: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben gestimmt 470, mit Nein haben gestimmt 114, Enthaltungen 2. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 584; davon ja: 469 nein: 113 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Nein SPD Klaus Mindrup DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten SPD Heike Baehrens Marco Bülow Ergebnis der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 18 b, Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: abgegebene Stimmen 583. Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 115, Enthaltungen 2. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 583; davon ja: 466 nein: 115 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Nein CDU/CSU Josef Göppel Hans-Georg von der Marwitz SPD Klaus Mindrup DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten SPD Heike Baehrens Marco Bülow Jetzt hat die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! In der Tat: Heute endlich debattieren und beschließen wir ein Gesetz zur Karenzzeit. Für diejenigen, die davon noch nie gehört haben: Seit zehn Jahren wird im Deutschen Bundestag über eine gesetzliche Regelung zur Karenzzeit diskutiert; es wurde gestritten und blockiert, aber heute wird sie endlich beschlossen. Darüber ist meine Fraktion sehr, sehr froh; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn wir waren diejenigen, die vor zehn Jahren das erste Mal eine parlamentarische Initiative dazu eingebracht haben. Wir haben damals gesagt: Im Interesse der betroffenen Regierungsmitglieder und im Interesse der Wirtschaft, in die man nach einem Mandat auf Zeit vielleicht wechselt, ist es richtig und notwendig, eine Karenzzeit festzulegen und sie gesetzlich zu verankern, damit verhindert wird, dass es in jedem Einzelfall, in dem ein Regierungsmitglied in die Wirtschaft wechselt, zu Diskussionen und zum Teil zu berechtigter öffentlicher Kritik im Hinblick auf mögliche Interessenkollisionen kommt. Wir wollten, dass der Deutsche Bundestag für sich und die Regierung endlich klare Regelungen trifft. Deshalb sind wir als Fraktion sehr froh, dass wir heute endlich eine solche Regelung beschließen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das kann man allerdings nicht tun, ohne den vielen NGOs, die sich in diesem Bereich seit zehn Jahren und länger engagieren, ein großes Dankeschön dafür zu sagen, dass sie bei der Sache geblieben sind und uns im Parlament immer wieder mit den entsprechenden Fragen konfrontiert haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu gehören Transparency International, Transparency International Deutschland, LobbyControl, abgeordneten watch.de und Campact. Sie haben allesamt immer -wieder gesagt: Lasst euch doch nicht von Fall zu Fall hetzen, was öffentlich ein schlechtes Bild von Politikerinnen und Politikern erzeugt, sondern schafft endlich eine gesetzliche Karenzzeit. – Insofern ist heute ein guter Tag. Deshalb wird auch meine Fraktion zustimmen. Wir haben allerdings einen Änderungsantrag eingebracht, den Sie, Herr Krings, schon angesprochen haben. Damit möchten wir Ihnen die Möglichkeit geben, aus einem Dilemma herauszukommen. Sie sagen nämlich, dass die Untersagung in der Regel für ein Jahr gilt; wenn öffentliche Interessen schwer beeinträchtigt sind, wollen Sie eine Karenzzeit von 18 Monaten. Wir halten es für verzichtbar, an dieser Stelle zu differenzieren. Denn diese Unterscheidung wird zu erheblichen Diskussionen führen, auch bei der Bewertung des jeweiligen Einzelfalles, weil die Frage: „Wann ist das öffentliche Interesse beeinträchtigt, und wann ist es schwer beeinträchtigt?“, immer wieder zu Diskussionen darüber führen wird, warum für den einen eine Karenzzeit von 12 und für den anderen eine Karenzzeit von 18 Monaten gilt. Wir schlagen Ihnen vor, es wie die EU zu machen, und zu sagen: Die Karenzzeit beträgt 18 Monate. – Dort gibt es Erfahrungen, dort wurde das praktiziert. Diese Regelung sollten wir übernehmen. Das ist der erste Punkt unseres Änderungsantrags. Zum zweiten Aspekt. Herr Özdemir – da unterscheiden wir uns von Ihnen –, die Evaluierung eines Gesetzes, für das wir so lange gebraucht haben, erachten wir nicht als Modeerscheinung. Es kann sein, dass es Fehlerquellen gibt. Diese könnte man sich nach Ablauf von zwei Jahren, also in der 19. Legislaturperiode, ansehen und dann sagen: Wir müssen da vielleicht etwas korrigieren. Diese beiden Punkte sind Inhalt unseres Änderungsantrags. Er ist sehr vernünftig. Ich werbe noch einmal dafür, ihm zu folgen. Der Einführung einer gesetzlichen Karenzzeit werden wir aber, wie gesagt, zustimmen. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Heute geht jemand aus unserer PGF-Abteilung, also aus der Abteilung der Parlamentarischen Geschäftsführer, in den wohlverdienten Ruhestand. Das sind die Menschen, die da am Fernseher sitzen, die ganze Zeit für uns zur Verfügung stehen und uns beraten. Jürgen Wachsmuth, mach es gut! Vielen Dank für deine Arbeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Helmut Brandt, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Helmut Brandt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eigentlich wohltuend, wenn man zu so später Stunde bei einem Gesetzentwurf, dessen Ausarbeitung man begleitet hat, feststellen kann, dass mit ihm dem Grunde nach alle mehr oder weniger einverstanden sind. Auch ich bin zufrieden, jetzt hier feststellen zu können, dass wir diesen Gesetzentwurf heute in zweiter und dritter Lesung beschließen werden. Es war sicherlich – da gebe ich Frau Haßelmann durchaus recht – oft ein Ärgernis, dass, wenn Mitglieder der Regierung in ein privatwirtschaftliches Amt wechselten, dies, wie es heute gerne gemacht wird, skandalisiert wurde. Das war oft überflüssig und unbegründet. Wir hoffen, dass mit diesem Gesetz mehr Sachlichkeit eintritt, obwohl ich da meine Zweifel habe. Die Bundesregierung hat diesen Entwurf erstellt. Wir haben ihn durch einen Änderungsantrag in einem Punkt noch leicht modifiziert, wie der Kollege Özdemir bereits dargestellt hat. Ich will zum Schluss noch einmal ganz kurz skizzieren, worum es ging. Zum einen ging es um den grundsätzlich legitimen Anspruch der Betroffenen, dass ihr Wechsel in einen anderen Beruf gewährleistet wird. Natürlich ging es auch darum, Transparenz zu schaffen, um keine öffentliche Kritik aufkommen zu lassen. Es ging auch um den Anspruch der Bundesregierung auf Wahrung ihres Ansehens. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird diesen Anforderungen durchaus gerecht. Ich muss es ganz klar sagen: In Bezug auf ein Berufsausübungsverbot eine starre Regelung von 18 Monaten einzuführen, halte ich für den falschen Weg. Die Regierung muss die Möglichkeit haben, zu differenzieren. Es muss eine maximale Zeit geben; die ist nach unserer Auffassung mit 18 Monaten reichlich bemessen. Es muss aber auch die Möglichkeit geben, in geeigneten Fällen ein, wenn man so will, Berufsverbot von weniger als 18 Monaten zu verhängen. Es gab eine Sachverständigenanhörung dazu. Man muss klar feststellen: Alle Sachverständigen haben den Gesetzentwurf im Grunde genommen gelobt. Keiner hat gesagt, dass er das Ziel verfehlt oder erhebliche Mängel hat. Natürlich hatte der eine oder andere Sachverständige Anregungen. Eine Anregung haben wir aufgenommen. Ich halte sie auch für sehr gut. Die Regierung muss, wie Herr Özdemir bereits dargestellt hat, wenn die Anzeige eines Regierungsmitgliedes kommt, wechseln zu wollen, einen Monat Zeit haben, um die Entscheidung vorzubereiten, ob dem Wechsel zugestimmt werden kann oder eine Karenzzeit verhängt werden muss. Ich bin von daher der Auffassung, dass wir hier einen sehr ausgewogenen Entwurf zur Abstimmung stellen. Ganz zum Schluss noch zur Frage der Evaluierung. Wir werden es hier mit einer sehr begrenzten Zahl an Fällen zu tun haben; das hat die Vergangenheit gezeigt. Es muss die Frage gestellt werden: Wenn nicht wir als Bundestag, wer soll dann einschätzen können, ob die Abwägungen, die im Einzelfall von dem Sachverständigengremium und der Regierung getroffen worden sind, nachvollziehbar und richtig waren? Nur dann, wenn wir feststellen, dass da Mängel bestehen, würde sich eine Änderung aufdrängen. Dann wäre der Bundestag meines Erachtens gefordert, nachzujustieren und an dem Gesetz vielleicht noch etwas zu ändern. Wir brauchen aber beim besten Willen keine Klausel im Gesetz, die das zwingend vorschreibt. Ich bitte um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dann schließe ich die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5419, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/4630 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5429 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einiger Abgeordneter der Fraktion Die Linke und ansonsten Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Umgang mit Atommüll – Defizite des Entwurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms beheben und Konsequenzen aus dem Atommülldesaster ziehen Drucksache 18/5228 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Schade, dass kein Vertreter des Umweltministeriums mehr da ist bei dieser Diskussion um ein Thema, das insbesondere Ministerin Hendricks, aber auch Minister Gabriel, der ja für Wirtschaft und Energie zuständig ist, umtreibt. Ich komme zum Thema. Eher unfreiwillig, nämlich zur Umsetzung einer EU-Richtlinie, hat das Umweltministerium unter dem harmlosen Titel „Nationales Entsorgungsprogramm“, abgekürzt: NaPro, endlich einen Entwurf vorgelegt, wie der künftige Umgang mit allen Arten von Atommüll bis hin zur vermeintlichen Endlagerung aussehen soll. Der Entwurf ist an und für sich ziemlich enttäuschend; denn die vorhandenen Probleme und ungelösten Fragen im Umgang mit den radioaktiven Abfällen werden darin weitgehend ausgeblendet. Das kritisieren wir; deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt. (Beifall bei der LINKEN) Bestehende Probleme mit leckenden Atommüllfässern kommen ebenso wenig vor wie Brennelementezwischenlager wie Brunsbüttel ohne Genehmigung. Die zeitlichen Prognosen des NaPro für die Errichtung eines Abfalllagers für hochradioaktive Abfälle sind unrealistisch; das zeigen auch die bisherigen Diskussionen in der Endlagerkommission des Deutschen Bundestages nachdrücklich. Auf die befristeten Genehmigungen für die zentralen Zwischenlager in Gorleben, bis 2034, und Ahaus, bis 2036, und darauf, welche Konsequenzen diese Befristungen nach sich ziehen, geht das Programm gar nicht ein. Wir greifen mit unserem Antrag eine Vielzahl der Probleme auf, die auch von Antiatominitiativen und Umweltverbänden als Einspruch gegen das NaPro vorgebracht worden sind. 70 000 solcher Einsprüche hat es gegeben. Wir fordern, dass endlich Konsequenzen aus dem Atommülldesaster gezogen werden. (Beifall bei der LINKEN) Eher unfreiwillig macht der Entwurf aber auch klar – und bestätigt uns Linke –: Der Umgang mit dem Atommüll muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die vom Bundestag im Rahmen des Standortauswahlgesetzes eingesetzte Atommüllkommission bekommt durch diesen Entwurf im Grunde einen umfassenden Neuauftrag auf den Tisch. Lassen Sie mich als Beispiel anführen: Das BMUB stellt fest – und das halte ich für einen ehrlichen Schritt –, dass es etwa 300 000 Kubikmeter leicht- und mittelradioaktiven Atommüll aus der Asse und aus der Urananreicherung in Gronau geben kann, der bislang in den Planungen nicht enthalten war. Er soll – so steht es in dem NaPro-Entwurf – entweder im Schacht Konrad oder aber gemeinsam mit den hochradioaktiven Abfällen in einem noch zu findenden Endlager versenkt werden. Dies wird ausdrücklich unter den Vorbehalt der Befassung durch die Endlagerkommission gestellt. Damit wird deren Auftrag de facto erweitert; denn bisher ist die Kommission nur für den hochradioaktiven Atommüll zuständig. Aus meiner Sicht und aus Sicht meiner Fraktion zeigt das NaPro damit auch, dass Konsequenzen mit Blick auf das von uns abgelehnte Standortauswahlgesetz und die Kommission diskutiert und gezogen werden müssen. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt ganz besonders, wenn der angestrebte gesellschaftliche Konsens bei der Atommülllagerung als Ziel erreicht werden soll. Mit unserem Antrag wollen wir dafür sorgen, dass es endlich mehr Ehrlichkeit beim Umgang mit den radioaktiven Abfällen gibt. Deswegen fordern wir Linken eine umfangreiche Überarbeitung des Entwurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms, die den gesamten vorhandenen und den künftig anfallenden Atommüll einbezieht und die vorhandenen Probleme tatsächlich beschreibt. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe einige konkrete Punkte schon erwähnt. Weitere finden Sie in unserem Antrag. Außerdem fordern wir ein definitives Exportverbot für Atommüll und Konsequenzen aus dem Brunsbüttel-Urteil, was die Zwischenlagerung angeht. (Beifall bei der LINKEN) Für Schacht Konrad fordern wir einen Neustart, genauso wie in Sachen Gorleben. Kommt es hier nicht zu einem Alternativenvergleich, dann muss das Projekt unserer Meinung nach aufgegeben werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Steffen Kanitz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Steffen Kanitz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Zdebel, wenn man Sie so hört, dann stellt man, glaube ich, fest, dass es Ihnen weniger um das Nationale Entsorgungsprogramm und den Entwurf geht, den die Bundesregierung hier vorgelegt hat, sondern vielmehr um eine umfassende Bewertung sämtlicher Diskussionen, die wir im Moment in der Endlagerkommission führen. Ich finde, da gehören sie auch hin; dort sollten wir sie führen. Man kann sie auch jetzt, um 22 Uhr, noch führen, aber ich glaube, das wird der Bedeutung der Thematik nicht gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Bundesregierung ist es mit dem Nationalen Entsorgungs-programm erstmalig gelungen, eine umfassende Roadmap für die nukleare Entsorgung vorzulegen. Das hat – das muss man auch hier an dieser Stelle noch einmal sagen – weder der Umweltminister Trittin noch der Umweltminister Gabriel geschafft. Diese Bundesregierung hat es hinbekommen. Insofern ein ausdrückliches Lob und Anerkennung dafür. Herzlichen Dank, dass Sie das hinbekommen haben. Ich kann dieses Lob aber leider nicht uneingeschränkt auch für den Umgang mit Castoren aussprechen. Ich glaube, es ist völlig richtig, dass das BMUB bei der Frage, wie wir mit den ausstehenden Castortransporten umgehen, tätig wird – auch initiativ. Ich bitte nur -dringend darum, dass es zu einer Abstimmung mit den Ländern kommt und wir dieses Schwarze-Peter-Spiel beenden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt nur ein Land, das da Probleme macht! Ein einziges!) Der Antrag der Linken ist in jeder Hinsicht ein Rückschritt. Sie alle versuchen gemeinsam, diesen sehr -wichtigen Punkt der Atommülllagerung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben und das Erreichte schlechtzureden. Ich will einmal einige Punkte aus dem Antrag sehr konkret durchgehen. Erstens. Sie sprechen den Schacht Konrad an und fordern die Beendigung dieses bereits genehmigten Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Sie wissen, dass Schacht Konrad mit erheblichen Konservativitäten geplant wurde. Der Präsident des BfS hat im Umweltausschuss noch einmal sehr deutlich gesagt, dass Schacht Konrad auch unter heutigen Rahmenbedingungen absolut sicher ist und dass er insofern auch daran festhält. (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Deswegen funktioniert es ja auch nicht!) Schacht Konrad, Herr Kollege Zdebel, ist die Achillesferse beim Rückbau der Kernkraftwerke. Kommt Schacht Konrad nicht, dann müssen Sie den Bürgern vor Ort sehr konkret erklären, warum die Zwischenlager zu De-facto-Endlagern werden. Mir ist das aber schon relativ klar: Wenn man keinen Bürgermeister in einer der Gemeinden vor Ort stellt, dann juckt einen das offenbar nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie erwecken in Ihrem Antrag den Eindruck, als hätte sich die Abfallmenge schlagartig verdoppelt. Das geisterte auch mehrmals durch die Medien. Ich will das noch einmal ganz klar von uns weisen. Spätestens seit der Lex Asse, spätestens seit April 2013, ist völlig klar, wie groß die Abfallmenge wird. Wir haben damals gemeinschaftlich die Rückholung der Abfälle aus der Asse vereinbart, sodass wir insofern mindestens mit den zusätzlichen 300 000 Kubikmetern umgehen müssen. Um das hier aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion ganz deutlich zu sagen: Wir wollen keine Erweiterung des Schachtes Konrad durch die Hintertür. Ich glaube, es ist völlig richtig, dass wir in der Endlagerkommission darüber sprechen, wie wir mit diesem Müll umgehen. Wir müssen schon darüber diskutieren, ob es richtig ist, diesen Müll in einem Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe zu lagern. Aber in jedem Fall brauchen wir ein transparentes und vernünftiges Verfahren, das objektiv und nachprüfbar ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein zweiter Punkt, der immer wieder angesprochen wird, ist der der zeitlichen Abläufe. Da geistern viele Zahlen durch die Gegend, die man ein bisschen geraderücken muss. Wir unterscheiden in der Endlagerkommission zwischen der Such-, der Errichtungs-, der Inbetriebnahme- und auch der Verschlussphase. Das, was wir als aktuelle Politiker in der Endlagerkommission, die dafür verantwortlich sind, beeinflussen können, ist der Zeitpunkt der Inbetriebnahme, den wir im Moment einigermaßen verlässlich auf 2050 quantifizieren können. Alles andere, etwa die Frage, wie lange die Einlagerungsphase dauert, wie lange das Monitoring dauert, wie lange wir über die Offenhaltungs- und Rückholungsoption sprechen, ist eine andere Sache. Es ist nicht Sache dieser Generation, das zu bewerten. Aber ich finde, es ist unsere Verantwortung, das zu tun, was wir im Moment beeinflussen können. Das ist der schnellstmögliche Bau des Endlagers für hochradioaktive Abfallstoffe. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, den Sie in Ihrem Antrag haben, Herr Kollege Zdebel. Das ist das Thema Freimessung. Sie nutzen den Begriff in Ihrem Antrag sehr konkret, um damit Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Dieser Begriff ist zugegebenermaßen sehr unglücklich gewählt. Aber ich möchte schon die Gelegenheit nutzen, um mit dem einen oder anderen Mythos aufzuräumen, etwa mit dem Mythos, dass durch Beimischen von Schutt zulässige Messwerte erreicht werden. Ich zitiere dazu die Strahlenschutzverordnung, in der es sehr klar heißt: Die Voraussetzungen für die Freigabe dürfen nicht zielgerichtet durch Vermischen oder Verdünnen herbeigeführt, veranlasst oder ermöglicht werden. Um es ganz deutlich zu sagen: Oberflächlich kontaminiertes Material wird gereinigt. Die entstehenden Abfälle kommen ins Endlager. Alles andere, beispielsweise bis zu 90 Prozent des werthaltigen Betons, wird recycelt und wiederverwertet. Es entsteht dabei lediglich 3 Prozent strahlender Abfall. Ich finde, man muss aufhören, bei den Menschen vor Ort Stimmung zu machen, um so die Lagerung von Bauschutt in Deponien zu verhindern. Ein Beispiel dafür ist das Kernkraftwerk Stade. Ich möchte, um das ein bisschen einzuordnen, bei den Freigabewerten auf einen Punkt hinweisen. Der Bauschutt, der auf die Deponien kommt, darf eine maximale Strahlendosis von 10 Mikrosievert per annum haben. Wenn Sie, Herr Kollege Zdebel, zum Shoppen nach New York fliegen, (Heiterkeit bei der LINKEN – Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Wann mache ich das denn?) dann sind Sie einer Strahlenbelastung zwischen 32 und 75 Mikrosievert ausgesetzt, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht der nie! Der fliegt höchstens nach Moskau!) das heißt dem Drei- bis Siebenfachen dessen, was Sie in einem ganzen Jahr an einer Deponie abbekommen -dürfen. Wir sollten das also richtig einordnen, um wieder zu einer sachlichen Diskussion zu kommen. Ich finde, wir sollten das positiv sehen: Deutschland hat im Bereich des Rückbaus eine absolute Vorreiterrolle, die wir gemeinsam ausbauen sollten. Wir sollten daher nicht immer nur zurückschauen, sondern vielmehr nach vorne schauen und die positiven Dinge sehen. Sie haben das Brunsbütteler Urteil angesprochen. Um auch da mit einem Gerücht aufzuräumen: Das Gericht hat keine Sicherheitsdefizite festgestellt, sondern dem Zwischenlager die Betriebsgenehmigung entzogen, weil sicherheitsrelevante Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt werden konnten. Das ist ein signifikanter Unterschied. Um das an dieser Stelle einmal festzuhalten: Das Zwischenlager ist sicher. Das Justizministerium und das Innenministerium arbeiten im Moment an einer Antwort auf die Frage, wie man zukünftig mit solchen Unterlagen umgehen kann. Sehr plastisch beschrieben: Keiner von Ihnen würde den Bauplan des Tresors offenlegen, wenn die Panzerknacker schon vor der Tür stehen. In einem weiteren Punkt sprechen Sie das Exportverbot an, dem man durchaus viel abgewinnen kann; das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber Sie haben einen ganz wichtigen Punkt vergessen. Sie haben vergessen, dass wir im Bereich der Medizin durchaus darauf angewiesen sind, Kernbrennstoffe von außerhalb zu bekommen. Ich nenne ein konkretes Beispiel, den FRM II in München. Der Forschungsreaktor FRM II in München produziert mithilfe der Kernenergie Kontrastmittel für die Krebsdiagnostik und die Tumortherapie. Allein in Deutschland sprechen wir von 60 000 Behandlungen pro Woche, 3 Millionen im Jahr. Der Kernbrennstoff für -diesen Reaktor kommt aus dem Ausland. Der Grundsatz der Nichtverbreitungspolitik, dem wir uns verpflichtet -fühlen, besagt, dass wir in der Lage sein müssen, den Kernbrennstoff an dieser Stelle zurückzuführen. Die -Radioisotopen müssen just in time produziert werden. Wir können sie also nicht von irgendwoher aus dem Ausland beziehen. Ab 2018 wird es weltweit nur noch drei Reaktoren geben, die diese Radioisotope herstellen können. Deswegen ist es mein Wunsch und meine dringende Bitte, dass wir, wenn wir über das Thema Exportverbote diskutieren, dafür sorgen, dass wir im Bereich der nuklearen Medizin zum Wohl der Patientinnen und Patienten in Deutschland weiterhin eine Vorreiterrolle haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bärbel Bas [SPD]) Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der immer wieder diskutiert wird, und zwar die Kosten. Wir sind uneingeschränkt für das Verursacherprinzip. Der Kostenrahmen – das ist der Punkt, der ein bisschen missverständlich ist – wird von uns in der Endlagerkommission ganz maßgeblich determiniert, weil er davon abhängig ist, wie viele Standorte wir oberirdisch und unterirdisch erkunden. Deshalb ist die Frage, ob das, was an Rückstellungen gebildet wurde, reicht, zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend zu beurteilen. Die Sicherheit hat für uns absoluten Vorrang. Das ist völlig klar. Das heißt aber nicht, dass wir Wirtschaftlichkeitsaspekte außer Acht lassen können; wir müssen vielmehr den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit wahren. Wenn wir alle das Interesse haben, dass das Verursacherprinzip durchgesetzt wird, dann müssen wir uns am Ende auch fragen: Was ist verhältnismäßig, um ein Endlager zu finden? Ich glaube, wir müssen eine ganze Menge gemeinschaftlich tun, aber wir dürfen nicht so blauäugig sein, zu glauben, alles würde bezahlt, unabhängig davon, was die Politik entscheidet. Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen: die -Bürgerbeteiligung. Herr Kollege Zdebel, ich vertrete natürlich andere Wählerinnen und Wähler, als Sie das tun, aber auch die 42 Prozent der CDU- und CSU-Wählerinnen und -Wähler haben einen Anspruch darauf, dass ihre Meinung in Endlagerfragen Berücksichtigung findet, auch wenn sie vielleicht nicht so laut zur Schau gestellt werden wie andere. In Endlagerfragen setzt sich aber nicht derjenige durch, der am lautesten schreit; es geht vielmehr darum, dass wir eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz schaffen. Gorleben wird von Ihnen immer wieder genannt. Das ist völlig klar. Das muss ich sagen: Wer eine objektive und wissenschaftsbasierte Endlagersuche möchte, der muss auch damit leben, dass wir am Ende des Verfahrens der Endlagerkommission einen Kriterienkatalog definiert haben, anhand dessen sich jeder Standort, auch Gorleben, messen lassen muss. Wenn sich dann ergibt, dass der Standort ungeeignet ist, wird er aus dem Verfahren fliegen. Das ist wie besprochen, aber wir werden das nicht im Vorfeld machen. Zusammengefasst, Herr Kollege Zdebel, bedeutet der Antrag der Linken einen Rückschritt in der Endlagerfrage. Er bedeutet einen Stillstand beim Rückbau, und er bedeutet die Beendigung der medizinischen Nuklearforschung. Insofern werden Sie sich nicht wundern, wenn wir einen solch rückschrittlichen Antrag nicht unterstützen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Hubertus Zdebel, ich gebe einigen eurer Forderungen absolut recht, zum Beispiel dass die Rückstellungen der AKW-Betreiber für Rückbau und Endlagerung in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt werden müssen. Das ist völlig klar und richtig. Aber zu dieser Thematik gibt es schon einen eigenen Antrag von uns und auch einen von euch, die im Verfahren sind und bereits zu einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss geführt haben. Andere Forderungen teile ich nur teilweise, manche auch gar nicht, oder ich teile die Einschätzung der Fakten nicht, wie zum Beispiel beim Entzug der Betriebsgenehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel. Meine wirkliche Kritik an dem Antrag ist aber, dass er nicht in die Zeit passt. Wir haben vor einem Jahr eine Kommission zur Lagerung hochradioaktiver Abfälle eingesetzt. Diese Kommission arbeitet, und sie arbeitet eingedenk der wirklich schwierigen Grundbedingungen ziemlich gut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es gibt erste Ergebnisse und Erfolge. Das NaPro, Hubertus, steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Entscheidung der Kommission. Wir haben den Auftrag, uns damit zu befassen. (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Das habe ich doch gesagt!) – Ja, aber es ist richtig, dass das so ist. Ihr werft in eurem Antrag zum größten Teil Fragen auf, die der Bundestag der Kommission überantwortet hat, in der wir beide Mitglieder sind. Deshalb verstehe ich diesen Antrag nicht. Was macht es für einen Sinn, jetzt in einem Oppositionsantrag eine Entscheidung zu fordern, wann das Eingangslager für das zukünftige Endlager errichtet werden soll, wenn wir genau solche Fragen mit guten Argumentationen im Konsens in der Kommission lösen können? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich halte eure Forderung, das nicht mit der ersten Teilerrichtungsgenehmigung zu koppeln, für völlig richtig. Aber wenn ihr das im Bundestag in einem Globalantrag zur Abstimmung stellt, wird es abgelehnt. In der Kommission dagegen hat diese vernünftige Forderung gute Aussichten, weil den Mitgliedern inzwischen -bewusst ist, dass eine solche Frage elementar mit der Problematik Vertrauensaufbau zu tun hat. Bei einem Endlagerstandort auch nur den Eindruck zu erwecken, vor der Genehmigung würden bereits Fakten geschaffen, würde alle Glaubwürdigkeit eines noch so sorgfältigen, transparenten und partizipativen Verfahrens zunichtemachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sehe auch keinen Sinn darin, dem Bundestag in seinen bekannten Mehrheiten jetzt ein Exportverbot für abgebrannte Brennelemente aus Forschungsreaktoren zur Abstimmung vorzulegen. Diese Gesetzesänderung kann nur in der Kommission erreicht werden, weil wir dort den Gesamtzusammenhang zwischen der Glaubwürdigkeit der Entwicklung eines Verfahrens zur Endlagersuche für hochradioaktiven Atommüll und dem gleichzeitigen Export hochradioaktiven Mülls zum Beispiel aus dem Forschungszentrum Jülich diskutieren. Ich finde es – ich muss das sagen – extrem schade, dass die Fraktion Die Linke nicht sieht oder nicht sehen will, welche Chance in der Kommission liegt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) in der sich festgefahrene Haltungen lockern und Positionierungen in breiter Mehrheit möglich sind, die sich in eurer und in unserer Fraktion vor drei Jahren noch niemand hätte vorstellen können. Ja, eine solche Kommission muss den Geist des Kompromisses atmen. Anders kommt sie nicht zu Ergebnissen. Ich bin politisch auch eher mit der Fahne auf der Barrikade sozialisiert. Aber, liebe Freunde von der Linken, alles hat seinen Ort und seine Zeit. Wir haben mit dem Standortauswahlgesetz, das wir auftragsgemäß evaluieren und verändern, die historische Chance, einen Umgang mit Atommüll zu entwickeln, der in unserer Gesellschaft keine weiteren Wunden schlägt. Der Ort dafür ist die Kommission. Die Zeit ist jetzt. In der Kommission erlebe ich den Kollegen Hubertus Zdebel als einen kritischen, skeptischen und konstruktiven Mitwirkenden. Der vorliegende Antrag bringt in der Sache aber nichts. Er vertieft Gräben, wo wir derzeit Brücken bauen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Deshalb in aller Freundschaft: Man kann Anträge vor der Abstimmung auch zurückziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Hiltrud Lotze das Wort. (Beifall bei der SPD) Hiltrud Lotze (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag greift eine wichtige Frage auf, nämlich die Frage nach dem Umgang mit Atommüll, zieht aber zum Teil falsche Konsequenzen; dazu sage ich später noch etwas. Erst am vergangenen Samstag wurde das erste Atomkraftwerk nach dem neuen, endgültigen Atomausstieg abgeschaltet. Wie der Zufall es will, liegt es in Bayern. Es ist das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. Das macht die Frage nach dem Umgang mit dem Atommüll mehr als tagesaktuell. (Beifall bei der SPD) Wir alle wissen, dass wir in dieser so wichtigen Frage sehr viel weiter sein könnten, wenn nicht in der letzten Legislaturperiode von 2009 bis 2013 der Atomausstieg von der Union rückgängig gemacht worden wäre. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist Unsinn!) Das waren in der Tat verlorene Jahre. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir steigen früher aus als Rot-Grün!) Umso wichtiger ist, dass wir jetzt konsequent vorangehen und die Fehler der vergangenen Jahrzehnte nicht wiederholen. (Beifall bei der SPD) Deswegen ist die Arbeit der Endlagerkommission – das hat die Kollegin Kotting-Uhl schon gesagt – so grundlegend und entscheidend. Die Folgen des geradezu fahrlässigen Umgangs mit der Atomkraft sind uns gegenwärtig, zum Beispiel in Form der 26 Castoren, die noch aus dem Ausland zurückkommen. Es kann doch nicht sein – das muss ich an dieser Stelle einfach sagen –, dass sich diejenigen, die jahrzehntelang die Atomkraft befürwortet haben und besonders viel Atomstrom und damit auch Atommüll erzeugt haben, der Verantwortung in dieser Frage verweigern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wie ist das mit Niedersachsen? Die verweigern sich auch!) – Zu Niedersachsen komme ich gleich noch, was Sie sicherlich nicht verwundern wird. Das ist unverständlich, zumal wenn dort mit dem Gedanken gespielt wird, weiterhin auf diese Hochrisikotechnologie zu setzen, weil Leitungen oder Windräder das Panorama verschandeln könnten. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das tun sie auch!) Ich komme aus dem Wahlkreis, in dem Gorleben liegt. Mich hat es – genauso wie die meisten Menschen im Wendland – sprachlos gemacht, als ich gehört und gelesen habe, dass Bayern es strikt ablehnt, die auch mit bayerischem Atommüll befüllten Castoren zurückzunehmen, und das mit der Begründung, man könne das der Bevölkerung nicht zumuten. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ein Unsinn! Völliger Quatsch!) Das war harter Tobak. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich finde es schade, welche Wertschätzung für die Menschen außerhalb Bayerns damit zum Ausdruck kommt. Ich lade Sie alle, insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der CSU, in das Wendland nach Gorleben ein. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Da war ich schon!) – Wunderbar! Kommen Sie noch einmal. – Dort stehen in einem oberirdischen Zwischenlager 113 Castoren. Ich vermittle sehr gerne direkt am Zwischenlager einen Austausch mit der Bevölkerung und den örtlichen Kommunalpolitikern. Sagen Sie einfach Bescheid. Dann bereite ich alles Notwendige vor. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Ich darf Sie bitten, vielleicht auch gleich die Unionsbürgermeister aus Baden-Württemberg mitzubringen, die jetzt in das gleiche Horn stoßen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Umweltministerin Hendricks hat absolut richtig entschieden, als sie festgelegt hat, dass auch Bayern einige Castoren übernehmen muss. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei muss es auch bleiben!) – Genau, dabei muss es auch bleiben. – Es handelt sich im Übrigen auch nur um die bescheidene Zahl von sechs bis neun Castoren. Herr Kanitz, die Länder hatten lange genug Zeit, sich freiwillig dazu zu äußern. Das war auch Grundlage der gesetzlichen Entscheidung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Insofern war es richtig, an dieser Stelle jetzt eine klare Regelung zu treffen. Nach dem Nationalen Entsorgungsprogramm, das im Übrigen fristgerecht vorgelegt worden ist, hat die Bundesregierung einen Plan aufgezeigt, wie sie in Zukunft verfahren wird. Sie hat eine offene und ehrliche Bestandsaufnahme des vorhandenen und noch anfallenden Mülls gemacht, und sie hat gesagt, wie wir vorgehen wollen, und vor allen Dingen, dass wir den Ergebnissen der Endlagerkommission nicht vorgreifen wollen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich mache jetzt einmal mit Blick auf die Uhr ein bisschen schneller. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie können auch aufhören!) – Das tue ich nicht, tut mir leid. – Der Antrag der Linken weist noch auf ein anderes Problem hin, auch wenn er da falsche Konsequenzen zieht. Auch das ist eben schon angesprochen worden. Es geht um die Kosten für Rückbau und Endlagerung und um die Frage, wie sicher diese sind. Es ist gut, dass Minister Gabriel in dieser Sache die Initiative ergriffen hat. Sie alle wissen: Es gibt eine Studie, die auf Schwachpunkte hingewiesen hat. Dazu hat es in der letzten Nacht eine Verständigung in der Koalition gegeben. Die Verantwortung bleibt bei den Unternehmen, die den Atomstrom produzieren. Es wird keine Verkleinerung des Haftungsvermögens erfolgen. Es gibt Stresstests für die Unternehmen, mit denen die Sicherheit der Rückstellungen geprüft wird. In einer Kommission soll die Frage geklärt werden, auf welchem Weg die Absicherung der finanziellen Verantwortung für Rückbau, Stilllegung und Endlagerung am besten erfolgen kann. Für die SPD sage ich hier noch einmal ganz deutlich: Wir werden keine Lösung akzeptieren, die da lautet: Gewinne privatisieren, Verluste – in diesem Fall Folgekosten – sozialisieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man einfach den Empfehlungen des Gutachtens folgen!) – Ja. Was den vorliegenden Antrag angeht, so können wir diesen nicht unterstützen, unter anderem deswegen – darauf hat Frau Kotting-Uhl schon hingewiesen –, weil diesem mindestens ein grundsätzlicher Denkfehler zugrunde liegt. Sie fordern nämlich, dass der Auftrag der Endlagerkommission dem Nationalen Entsorgungsprogramm angepasst werden muss. Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus; denn es besteht beim NaPro ein Revisionsvorbehalt. Das Nationale Aktionsprogramm zur Entsorgung des Atommülls steht völlig zu Recht unter Vorbehalt der Ergebnisse der Endlagerkommission; denn es sollen nicht schon wieder Fakten geschaffen werden, bevor es einen breiten Diskurs gegeben hat. Unser Fazit: Der Antrag enthält einige richtige Ansätze. Die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, sind jedoch zum großen Teil falsch. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist beendet. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5228 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Transparenzinitiative der Europäischen Kommission mitgestalten – Bewährte Standards im Handwerk und in den Freien Berufen erhalten Drucksache 18/5217 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden11. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5217. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Abstimmung in der Sache, die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüber-weisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die be-antragte Überweisung? – Die Antragsteller. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag auf Überweisung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir kommen daher zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 18/5217. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid Nouripour, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jemen – Militärische Intervention stoppen – Neue Friedensverhandlungen beginnen Drucksache 18/5380 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jemen war schon immer ein armes Land; es ist das ärmste Land der Arabischen Liga. Dennoch gab es im Jemen immer Hoffnung. Es ist gerade vier Jahre her, dass Hunderttausende von Menschen friedlich auf die Straße gegangen sind und sich Scharfschützen entgegengestellt haben – in der Hoffnung auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden. Was ist heute? Just am heutigen Tag hat die UN festgestellt, dass Jemen in die höchste Notstandskategorie gehört. Damit ist Jemen in derselben Kategorie wie Irak und Syrien. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Südsudan! – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Südsudan!) Hunger herrscht vor, Krankheiten grassieren. Fast 1,5 Millionen Menschen im Land sind Vertriebene. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Es gibt eine Flüchtlingswelle aus dem Jemen nach Somalia, weil Somalia für die Menschen sicherer als der Jemen selbst geworden ist. In Dschibuti gibt es einen Aufnahmestopp für jemenitische Flüchtlinge. Fabriken werden zerstört. Es gibt keine einzige Molkerei mehr in dem Land. Es gibt keine Zementfabrik mehr. Es gibt nicht einmal mehr ein Fußballstadion. Es gibt viele Berichte über gezielte Bombardements von Tankstellen und Kinderspielplätzen. Heute ist der 99. Tag des Massenbombardements der Koalition um Saudi-Arabien in diesem Land. Hierdurch werden NGO-Büros getroffen. Hierdurch werden Flüchtlingslager der Vereinten Nationen getroffen. Hierdurch wird Weltkulturerbe zerstört. Worum geht es denn? Eigentlich geht es um eine innenpolitische Auseinandersetzung. Eigentlich geht es um Ressourcenverteilung. Eigentlich geht es um Machtverteilung. Eigentlich geht es darum, dass in den letzten zehn Jahren sechsmal Massaker an den Huthis verübt worden sind. Eigentlich geht es darum, dass die Huthis sehr große Angst bekommen haben, weil die sunnitische Militanz immer stärker geworden ist. Es war nicht legitim von den Huthis, einen gewählten Präsidenten abzusetzen. Es ist kontraproduktiv, wie sich der Iran in den Konflikt einmischt. Es ist zerstörerisch, wie der ehemalige Präsident und Diktator Salih die Huthis unterstützt. Nichts davon rechtfertigt, dass Saudi-Arabien den Jemen zurzeit – seit 99 Tagen – in die Steinzeit bombt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wer sich wundert, dass die Genfer Gespräche und Verhandlungen gescheitert sind, muss sich auch einmal vergegenwärtigen, dass Saudi-Arabien nicht einmal bereit war, während dieser Verhandlungen von vier oder fünf Tagen nicht zu bomben. Unter Bomben kann man nicht über Frieden verhandeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was ist aber mit Deutschland? Die Position der Bundesregierung kam vor 97 Tagen in einem lapidar geäußerten Statement des Herrn Außenministers zum Ausdruck, er habe „Verständnis für das Vorgehen Saudi-Arabiens“. Dann kam zwei Monate nichts, ein eiskaltes Schweigen, eine dröhnende Stille dieser Bundesregierung, die einfach nicht bereit war, sich zu äußern. Wochenlang war der UN-Generalsekretär ohne Hilfe Deutschlands mit seiner Forderung nach einem Waffenstillstand. Das ist schlicht skandalös. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) So verhält sich ausgerechnet Deutschland, ein Land, das im Jemen eine Vermittlungsrolle spielen kann, ein Land, das dort jahrelang, jahrzehntelang Entwicklungszusammenarbeit geleistet hat. Man muss sich einmal vorstellen: Unsere Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben jahrzehntelang für den Wiederaufbau eines Landes mitbezahlt, das gerade von Saudi-Arabien zerstört wird, und die Antwort der Bundesregierung ist monatelang: Wir haben nun einmal Verständnis dafür. – Das ist schlicht nicht hinnehmbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist auch nicht hinnehmbar, dass die Saudis zurzeit Tag für Tag Boxen nehmen, lizenzierte deutsche G3-Waffen hineinstecken und diese Boxen über Gebieten abwerfen, die von al-Qaida regiert werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Bundesregierung nicht einmal kommentiert, dass es jetzt Berichte darüber gibt, dass aus Deutschland immer noch Bauteile für Bomben hingebracht werden. Meine Damen und Herren, wir haben es im Falle Ägyptens erlebt. Vier Jahre nach Beginn des Arabischen Frühlings hat die Bundesregierung beschlossen: Im Nahen Osten geht es nur noch um Stabilität. – Stabilität ist in diesem Fall nur noch Friedhofsruhe. Wir reden über eine Grabesruhe für den früh verstorbenen Aufbruch der Bundesregierung in eine neue Rolle Deutschlands in der Welt. Das, was im Jemen passiert, ist mehr als nur ein Skandal; es ist ein massives Verbrechen, und es tut sich niemand einen Gefallen, dabei zu schweigen, wie es die Bundesregierung monatelang gemacht hat. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland, dass die Europäer endlich die Stimme erheben und nicht die ganze Zeit so tun, als wäre Saudi-Arabien ein – Zitat – Stabilitätsanker. Es gibt im Sand keinen Anker, der hält. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus und glücklicherweise auch in der internationalen Staatengemeinschaft darüber einig, dass im Jemen ein Konflikt auf dem Rücken einer gebeutelten Bevölkerung ausgetragen wird. Es ist in der Tat ein Konflikt, bei dem auf der einen Seite der ehemalige Präsident Salih, der zurück in dieses Amt strebt, sowie große Teile der Militärtruppen und -verbände und die Huthi-Rebellen stehen, und auf der anderen Seite der ins Exil geflohene Präsident Hadi und verbliebene Regierungstruppen. Das, was in diesem kleinen Land im Süden der Arabischen Halbinsel angerichtet wird, ist eine unglaubliche humanitäre Katastrophe. (Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Etwa vier Fünftel der Bevölkerung sind auf unmittelbare Nothilfe angewiesen. 10 Prozent der Bevölkerung haben Mangelernährung. Viele Millionen Menschen haben -keinen Zugang zu sicheren und sauberen Trinkwasserquellen. Kindersoldaten werden eingesetzt. Die Zahlen sind schockierend: 3 000 Tote, 13 000 Verletzte, 1 Million Binnenflüchtlinge. Es ist eine humanitäre Katastrophe, und es ist klar, dass wir uns in dieser Angelegenheit schon allein wegen dieser humanitären Katastrophe rühren müssen. Aber es gibt darüber hinaus auch noch ein eigenes Interesse, weil nämlich die Flüchtlingsströme – es ist geschildert worden; die Menschen fliehen gar nach Somalia – mittelfristig auch nach Europa kommen werden. Wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen, dann ist der Jemen ein klassisches Beispiel dafür, dass wir uns engagieren müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sehen, wie im Jemen Staatlichkeit und Stabilität verloren gehen. Dann entsteht ein Machtvakuum, in dem internationaler Terrorismus gedeihen kann, und das tut er dort. Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel beispielsweise hat bereits zwei Provinzen unter seiner -Kontrolle. Der „Islamische Staat“ versucht, einen Keil zwischen den schiitischen und den sunnitischen Bevölkerungsteil zu treiben, das auszunutzen, das zu schüren und damit seine eigene Agenda zu verfolgen. Vor diesem Hintergrund könnte man wirklich den Eindruck haben, dass dieses Knäuel aus verwirrten und verwirrenden Beziehungen kaum aufzulösen ist. Trotzdem glaube ich, lieber Herr Nouripour, dass es durchaus Ansätze gibt, an denen man sehen kann, dass es möglich sein kann, diesen Konflikt zu lösen. Zum einen ist das die Tatsache, dass es in der Tat kein Religionskonflikt zwischen Sunniten und Schiiten ist. Es ist eigentlich auch kein Stellvertreterkrieg der Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran. Es besteht bei beiden die Gefahr, dass es sich dazu entwickelt. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Saudis sind doch da mit drin!) Aber es sind vor allen Dingen Machtspiele im Land, und es geht vor allen Dingen um ökonomische Frustration und Benachteiligung von Minderheiten und Bevölkerungsgruppen. Es ist also vor allen Dingen ein jemenitisches Problem, das man tatsächlich im Land lösen kann. Das gibt letztlich Hoffnung. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt gar kein Land mehr!) Auch wenn die Gespräche in Genf ergebnislos abgebrochen worden sind, spürt man, glaube ich, im Land und in der Region, dass es ein Bewusstsein dafür gibt, dass diese Gespräche wieder aufgenommen werden müssen, weil letztlich jede Seite zu schwach ist, ihre eigene Politik, ihr Blatt zum Guten zu wenden. Das gilt für die Huthi-Rebellen, die ein überdehntes Gebiet haben, die von IS angegriffen werden und nicht in der Lage sind, die Bevölkerung zu versorgen. Allein mit den Luftschlägen der Saudis wird Präsident Hadi auch nicht in den -Jemen zurückkehren können. Vor diesem Hintergrund muss es ein allgemeines Interesse geben, zu einer Lösung zu kommen. Es ist ja tatsächlich so, dass die Huthis beispielsweise der Einsetzung der Übergangsregierung unter Hadi zugestimmt haben. Und auch die Nachbarschaft kann helfen; ich denke etwa an den Golfkooperationsrat, an die Aktionen der Nachbarn, an das Engagement des Oman, mit denen derzeit wieder Gespräche stattfinden. Es gibt ein Interesse in der Region für Stabilität und Sicherheit, weil klar ist, dass das Ganze nicht auf den Jemen begrenzt bleiben würde. Vor diesem Hintergrund bin ich optimistisch, dass es gelingt, die UN-Resolution 2216 zu implementieren. Wenn es gelingt, einen Waffenstillstand unter UN-Aufsicht zu erreichen, wenn es gelingt, dass sich die Huthis aus den größeren Städten des Jemen zurückziehen, Hadi in den Jemen zurückgehen kann (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Saudis aufhören, zu bomben! Sagen Sie doch einen einzigen Satz zu den Saudis, einen!) – auch das –, dann gibt es die Chance, dass man den nationalen Dialog, der im Januar 2014 zu Ende gegangen ist, wieder aufnehmen kann mit seinen über 2 000 Empfehlungen und vor allen Dingen auch mit dem Verfassungsentwurf, den es dann zu implementieren gilt. Ich möchte einen letzten Satz dazu sagen, dass wir es im Jemen tatsächlich mit einem gescheiterten Staat zu tun haben. Von daher geht es darum, Vertrauen zurückzugewinnen, eine Regierung der nationalen Einheit zu schaffen und vor allen Dingen mitzuhelfen, dort wieder staatliche Strukturen aufzubauen. Auch das wäre eine Möglichkeit für die Europäische Union, ähnlich wie in Somalia und anderen nordafrikanischen Ländern im Rahmen eines Capacity Building und einer Trainingsmission mitzuhelfen, staatliche Strukturen aufzubauen und damit das Land in eine bessere Zukunft zu begleiten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Christine Buchholz, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über die Lage im Jemen ist überfällig. Ehrlich gesagt, Herr Frei, ich glaube, wir befinden uns hier in zwei unterschiedlichen Veranstaltungen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Seit Monaten bombardiert eine von Saudi-Arabien geführte Militärallianz dieses verarmte Land. Zahlreiche zivile Ziele wurden und werden getroffen. Die Auswirkungen sind verheerend. Die Zahl der Toten geht in die Tausende. 160 Krankenhäuser und Ambulanzen wurden zerstört oder mussten geschlossen werden. Und die UN sagt: Über 21 Millionen Menschen – das sind über 80 Prozent der Bevölkerung – sind auf Hilfe angewiesen. Doch das Land ist eingeschlossen, seit Saudi-Arabien die Häfen im Jemen blockiert. Ich sage: Dieser von Saudi-Arabien geführte Luftkrieg ist ein Verbrechen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Hauptverantwortlichen für die humanitäre Katastrophe im Jemen sind die Milliardäre in den Palästen Riads. Im Kern geht es ihnen um den Einfluss in der Region im Konflikt mit dem Iran und seinen Verbündeten. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) Man sollte meinen, die Haltung der Bundesregierung wäre angesichts der Katastrophe klar. Aber Herr Frei hat gerade eindrücklich demonstriert: Sie ist es nicht. Wir hören kein offenes, nicht einmal ein verstecktes Wort der Kritik an der saudischen Führung. Das ist ein wirklicher Skandal. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Gegenteil: Es sind nicht nur die G3-Sturmgewehre von Heckler & Koch, die über Aden abgeworfen wurden. Am Montag wurde der Bundestag darüber informiert, dass die Bundesregierung die Lieferung von 15 bewaffneten Patrouillenbooten an Saudi-Arabien genehmigt hat, wohlgemerkt in einer Zeit, da die saudische Regierung gegen den Jemen eine Seeblockade verhängt hat. Das, meine Damen und Herren, ist Beihilfe zur Aushungerung der jemenitischen Bevölkerung, und das ist skandalös. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die zynische Haltung der Bundesregierung hat tat-sächlich Geschichte. 2011 wurde die Lieferung von 200 Kampfpanzern nach Saudi-Arabien genehmigt. Das war nur wenige Wochen, nachdem saudische Panzer die Demokratiebewegung in Bahrain niedergewalzt haben. Erst das Geschäft, dann die Moral. Wir sehen auch hier: Minister Gabriel hat als Wirtschaftsminister an dieser Prioritätensetzung nichts geändert. Dieser Tatsache müssen Sie ins Auge sehen. (Beifall bei der LINKEN) Die Rechtfertigungen sind ebenfalls die gleichen geblieben. 2011 sagte de Maizière, Saudi-Arabien sei einer der wichtigsten Stabilitätsanker in der Region. Heute sagt die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion, Saudi-Arabien spiele in der Region eine Schlüsselrolle für die Sicherheit. Aber von welcher Sicherheit spricht die Bundesregierung? Über den Jemen hat der saudische Luftkrieg nur Unsicherheit und Verderben gebracht, und auch im Inneren der saudischen Monarchie selbst bedeutet Sicherheit vor allen Dingen Unterdrückung. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden 78 Menschen öffentlich hingerichtet. Die Bundesregierung unterstützt nicht die Stabilisierung in der Region, sondern Tyrannei. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dank des vorliegenden Antrages der Grünen haben wir die Möglichkeit, die Lage im Jemen zu debattieren. Es ist gut, dass im Antrag die Forderung nach einem Stopp von Waffenexporten nach Saudi-Arabien erhoben wird. Allerdings sehen wir auch Lücken in dem Antrag und müssen darüber noch weiter diskutieren. Es ist ein Problem, dass der Drohnenterror der USA gegen den Jemen kaum und die stillschweigende Unterstützung dieses Krieges durch Deutschland gar keine Erwähnung finden. Es reicht auch nicht, von der Bundesregierung die Distanzierung vom saudischen Luftkrieg zu fordern. Die Bundesregierung muss das Bombardement des Jemen verurteilen und endlich die Zusammenarbeit mit dem saudischen Regime beenden. (Beifall bei der LINKEN) Die Menschen im Jemen brauchen keine Bomben. Sie brauchen Wasser, Nahrung und Medikamente. Das sind Dinge, die Deutschland auf die arabische Halbinsel liefern sollte, keine Kampfpanzer oder Militärboote. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Niels Annen hat wegen eines andauernden -Termins im Auswärtigen Amt gebeten, seine Rede zu Protokoll geben zu dürfen.12 (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Party! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da ist eine Party!) Sind Sie damit einverstanden? – Dann hat jetzt die Kollegin Motschmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Militärische Intervention stoppen“, das ist die erste Forderung im Antrag der Grünen. Natürlich, Herr Nouripour, muss es das Ziel sein, diese Intervention zu stoppen. Niemand kann wollen, dass dort dauerhaft Krieg herrscht oder dass dort gebombt wird, von wem auch immer. Täglich sterben im Jemen Soldaten, Zivilisten und Kinder. Das muss aufhören. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Huthi-Rebellen kämpfen gegen die staatlichen jemenitischen Strukturen und haben diese weitgehend lahmgelegt und zerstört. Al-Qaida-Terroristen kämpfen mal gegen den Staat, mal gegen die Huthis. Zu allem Überfluss sind nun auch noch IS-Terroristen im Land und an den Kämpfen beteiligt. Präsident Hadi ist von Sanaa nach Aden und später nach Saudi-Arabien geflüchtet; das ist ja hier erwähnt worden. Eine Regierung besteht de facto nicht. Es besteht eine große Unsicherheit im Land, eine humanitäre Katastrophe; das haben Sie ja richtig beschrieben. Auch in dieser völlig verfahrenen, desolaten Situation müssen erneut Friedensverhandlungen beginnen. Da sind wir ganz bei Ihnen; niemand wird das ernsthaft bestreiten. Es stellt sich aber die Frage: Wer soll denn hier eigentlich mit wem verhandeln? Wer erkennt denn den jeweils anderen als Verhandlungspartner an? Das ist die erste Schwierigkeit. Bei den Friedensverhandlungen in Genf war es so, dass der UN-Sonderbeauftragte mehr Zeit mit dem Pendeln zwischen den Hotels verbracht hat als in den Sitzungen selber. So einfach ist das also nicht. Trotzdem müssen diese Verhandlungen möglichst schnell – da würde ich Sie voll unterstützen – wiederaufgenommen werden, um eine politische Lösung, wenn es sie denn gibt – wir hoffen das alle; das ist doch klar –, überhaupt zu ermöglichen. Ich denke, wir sind uns auch alle einig, dass wir nicht tatenlos zusehen können, wie ein Anschlag nach dem anderen das Land im Chaos versinken lässt. Allein in den letzten Tagen gab es wieder zahlreiche Tote. 17. Juni: 30 Tote, 20. Juni: 3 Tote, 30. Juni: 28 Tote. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und was machen wir? Wir liefern Waffen!) Darüber hinaus war der Jemen auch Ausgangspunkt für die feigen Attentäter, die im Januar in Paris die Redaktion von Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt angegriffen haben und dabei 17 unschuldige Menschen töteten. Der Jemen steht also vor einem totalen Zerfall und wird in seinem jetzigen Zustand natürlich auch zur leichten Beute des sogenannten „Islamischen Staats“ sowie von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel. Das muss man einfach sehen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!) Wir müssen davon ausgehen, dass die Aggressionen der Huthis – Sie haben es auch gesagt – zusätzlich aus dem Iran befeuert, unterstützt und gegebenenfalls sogar gesteuert werden. Saudi-Arabien spielt in der Arabischen Liga und im Golfkooperationsrat eine entscheidende Rolle. Das kann niemand bestreiten. Trotz aller Kritik, die wir alle an diesem Staat haben, brauchen wir sicher die Saudis. Hier denke ich allein an die mittelalterliche Rechtsordnung, die dort herrscht. Sie alle haben noch die tausend Stockschläge für Raif Badawi in Erinnerung und wissen, dass wir es mit einem Staat zu tun haben, der mit unseren demokratischen Maßstäben überhaupt nicht zu messen ist; es gibt auch nichts zu beschönigen. Trotzdem werden wir ohne Saudi-Arabien Sicherheit und Stabilität in der Region schwer herstellen können. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Unsinn!) Auch das ist die Wahrheit. An dieser Stelle berühren wir ein grundsätzliches Problem der Ethik. Es gibt Konflikte, in denen man sich auf keine Seite stellen möchte. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das macht die Bundesregierung eben nicht!) Genau das ist hier der Fall. Wir stellen uns auf die Seite der Menschen, die in dem Land leben – (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie stellen sich auf die Seite der Saudis!) – nein, ich stelle mich gar nicht auf irgendeine Seite – (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie nicht, aber die Bundesregierung!) – hören Sie einmal gut zu –, und müssen trotzdem in der Abwägung dann das kleinere Übel wählen; denn ohne Saudis wird es keine Lösung des Konfliktes geben. – Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. Entscheidend wird sein, Angriffe auf das Militär und die terroristischen Anschläge auf die Zivilbevölkerung zu beenden. Darin sind wir uns einig. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht die Saudis!) Dass dies ohne eine militärische Intervention gelingen kann, muss zum jetzigen Zeitpunkt mindestens bezweifelt werden. Das wird sehr schwer, auch wenn das von jedem gewünscht wird. Ich wünschte auch, wir könnten das mit gutem Zureden oder allein mit Verhandlungen schaffen. Befriedete Zonen sind unerlässliche Voraussetzungen zu humanitärer Hilfe. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird es nicht! Es werden Waffen geliefert!) Das ist das Nächste, was wir tun müssen: humanitäre Hilfe, die dringend erforderlich ist. Hier müssen wir Saudi-Arabien auch fordern. Sie müssen natürlich auch Flüchtlinge aufnehmen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen erst einmal aufhören, zu bombardieren!) – Sie müssen humanitär helfen, das wäre besser als bombardieren. Da bin ich ganz bei Ihnen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Bei diesem Vorhaben dürfen wir keine Zeit vergeuden. Auch das ist richtig. Die menschliche Katastrophe ist in vollem Gange. Sie haben es gesagt: Vier Fünftel der Bevölkerung, so die Vereinten Nationen, sind auf Hilfe angewiesen, unter ihnen etwa 1,8 Millionen Kinder, was uns zutiefst bedrücken muss. (Lachen des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) – Was lachen Sie eigentlich? Es gibt hier nichts zu lachen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Motschmann. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Die Rede ist zu Ende, Frau Präsidentin. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Doch welche Konsequenzen ziehen Sie mit Ihrer Politik daraus?) – Ich rede mich hier gar nicht raus. Ich sage nur, wie die Lage ist und wie schwer es ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Welche Konsequenzen ziehen Sie mit Ihrer Politik daraus?) – Das habe ich Ihnen doch gesagt, aber Sie müssen einmal zuhören. Für Sie gibt es nur eine einfache Lösung. Die gibt es hier aber nicht, gerade hier nicht. Die Lage ist so verworren, und Sie meinen, man könnte mit gutem Zureden oder mit Hände-in-den-Schoß-Legen den Jemen befrieden. So einfach ist das nicht. Deshalb sind wir, die Bundesrepublik Deutschland, verpflichtet, uns hier nach bestem Wissen und Gewissen einzubringen. Aber dass es so einfach wäre, wie es sich manche wünschen – ich übrigens auch, Herr Nouripour –, ist nicht der Fall. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, ich darf Sie jetzt bitten, zum Schluss zu kommen. Sie haben jetzt fast drei Minuten mehr gehabt. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Danke schön, Frau Präsidentin. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5380 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 7 auf: 17 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Durch Stärkung der Digitalen Bildung Me-dienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden Drucksachen 18/4422, 18/5368 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Tabea Rößner, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zur digitalen Bildung umsetzen Drucksache 18/5105 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.13 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Tagesordnungspunkt 17. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5368, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/4422 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 7. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5105. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Karl Schiewerling, Jutta Eckenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kerstin Tack, Katja Mast, Dr. Matthias Bartke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen Drucksache 18/5377 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.14 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5377 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glaubensfreiheit Drucksachen 18/5206, 18/5408 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden.15 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5408, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5206 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes und des Tiergesundheitsgesetzes Drucksache 18/4892 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/5413 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden.16 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5413, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4892 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Linken bei Enthaltung der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes Drucksachen 18/4656, 18/4947 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/5414 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden.17 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5414, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/4656 und 18/4947 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5414 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes Drucksache 18/4625 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/5404 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5410 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.18 – Ich sehe, Sie sind einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5404, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4625 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas über 2018 hinaus verlängern Drucksache 18/5378 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.19 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5378 mit dem Titel „Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas über 2018 hinaus verlängern“. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Abstimmung in der Sache, die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Überweisung an den Finanzausschuss. Nach ständiger Übung stimmen wir zunächst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen daher zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 18/5378. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung Drucksache 18/5294 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Die Reden werden, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, zu Protokoll gegeben.20 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/5294 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen Drucksachen 18/5173, 18/5220 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/5409 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.21 – Sie sind einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5409, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5173 und 18/5220 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs eines -Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Bürokratieentlastungsgesetz) Drucksache 18/4948 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/5418 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Dieter Janecek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bürokratie gezielt abbauen statt Stillstand manifestieren Drucksachen 18/4693, 18/5418 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden werden zu Protokoll gegeben, sofern Sie damit einverstanden sind.22 – Ich sehe, das ist der Fall. Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5418, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4948 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5430 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 28 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/5418 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4693. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg als wissenschaftlicher Sachverständiger im Rahmen der Evaluierung der Gefahrenabwehrbefugnisse nach den §§ 4a, 20j und 20k des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) Drucksache 18/5379 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden, obwohl das sehr bedauerlich ist.23 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5379. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Wir sind jetzt auch am Schluss der heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 3. Juli 2015, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Abend und schließe hiermit die Sitzung. (Schluss: 23.05 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.07.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.07.2015 Becker, Dirk SPD 02.07.2015 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 02.07.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.07.2015 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 02.07.2015 Groneberg, Gabriele SPD 02.07.2015 Hagedorn, Bettina SPD 02.07.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 02.07.2015 Ilgen, Matthias SPD 02.07.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 02.07.2015 Kiziltepe, Cansel SPD 02.07.2015 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.07.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 02.07.2015 Neu, Dr. Alexander S. DIE LINKE 02.07.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 02.07.2015 Dr. Steinmeier, Frank-Walter SPD 02.07.2015 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 02.07.2015 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Tagesordnungspunkt 4) Heike Brehmer (CDU/CSU): Gott ist der Schöpfer allen Lebens – dieses Verständnis bildet die Grundlage unseres christlichen Menschenbildes. Dieses Menschenbild ist die Basis für die Würde und Rechte eines jeden Einzelnen, auch für das Recht auf Leben. Durch den medizinischen Fortschritt und die demografische Entwicklung steigt die Lebenserwartung in unserer heutigen Gesellschaft stetig an. Das ist eine positive Entwicklung, mit der sich jedoch nicht nur die Hoffnung auf ein langes Leben verbindet – auch die Frage, wie wir mit dem Ende unseres Lebens umgehen, gewinnt immer mehr an Bedeutung. Im Plenum dieses Hohen Hauses befassen wir uns deshalb mit dem wichtigen Thema der Sterbebegleitung. Die Gruppenanträge, die wir heute in erster Lesung beraten, befassen sich intensiv mit diesem hochemotionalen Thema und spiegeln die Bandbreite der Diskussion in unserer Gesellschaft wider. Dabei geht es um Menschenwürde, Lebensschutz und das Recht auf Selbstbestimmung. Dies wird im Gruppenantrag meiner Kollegen Thomas Dörflinger und Dr. Patrick Sensburg, den ich persönlich unterstütze, besonders deutlich. Laut einer Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland sinkt die Zahl derjenigen, die sich für die Möglichkeit eines ärztlich assistierten Suizids aussprechen. Viele Menschen fürchten sich vor dem Gedanken, vor dem Sterben den medizinischen Möglichkeiten der Lebenserhaltung ausgeliefert zu sein. Der Gesetzentwurf, der am 19. Mai 2015 von Thomas Dörflinger und Dr. Patrick Sensburg vorgestellt wurde, will mithilfe eines neuen § 217 Strafgesetzbuch die Beihilfe zur Selbsttötung verbieten. Die Gefahr, dass jemand mit dem Leid und der Verzweiflung von Menschen sein Geld verdient, ist mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht vereinbar. In Artikel 1 unseres Grundgesetzes ist festgehalten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Diese Schutzwürdigkeit gilt vom Anfang bis zum Ende des Lebens. Sie gehört zu den Kernaufgaben unseres demokratischen Gemeinwesens. Deshalb dürfen wir die Möglichkeit, dass das Sterben eines Menschen mit einem Geschäft in Zusammenhang gebracht wird, nicht zulassen. Das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung hängt untrennbar mit dem Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung zusammen. Die Palliativmedizin ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft. Die Beratungsangebote in Deutschland sind vielen Menschen bisher noch nicht ausreichend bekannt oder sehr unterschiedlich ausgebaut. In Zukunft wird es wichtig sein, in den einzelnen Bundesländern die Beratungsangebote und notwendigen Hilfestellungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen weiter auszubauen. Nur so können wir die Würde des Menschen im Kreise seiner Familie bis zum Lebensende schützen und bewahren. Die Abwägung zwischen Werten wie Freiheit, Würde und Selbstbestimmung bewegt sich häufig auf einem schmalen Grat zwischen Emotionen und Rechtsprechung. Der Gruppenantrag von Thomas Dörflinger und Dr. Patrick Sensburg behandelt das Thema Sterbehilfe mit der notwendigen Verantwortung vor Gott und den Menschen und schafft eine wichtige Klarheit im Strafrecht. Jeder Mensch hat das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und ein ebenso menschenwürdiges Lebensende. Wenn wir diesen Grundsatz beherzigen, werden wir den Menschen in unserem Land gemeinsam mit Hospizen, Familie und medizinischem Fachpersonal ein Lebensende in Würde und Geborgenheit bieten können. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Weniger als zwei Monate vor seinem eigenen Tod schrieb Franz Kardinal König, der beliebte Alterzbischof von Wien sowie seinerzeit wesentlicher Denker und Lenker des Zweiten Vatikanischen Konzils, im Januar 2004 in einem Brief an den österreichischen Verfassungskonvent zu Fragen der Sterbehilfe: „Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen.“ Damit hat Kardinal König jenseits aller juristischen Kategorien sehr griffig und unmissverständlich auf den Punkt gebracht, wo die ethische Grenzlinie im Umgang mit dem Sterben für die Gesellschaft liegt. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen ist ein fundamentales Gebot auch im säkularen Verfassungsstaat. Sie zu achten und zu schützen, ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Dessen sollten wir uns sehr deutlich bewusst sein. Es mögen unabhängige Begründungswurzeln sein – dennoch: In diesem Verständnis sind sich das christliche und das humanistische Menschenbild im Übrigen einig. Bei beiden steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt; seine Würde ist es, um die es geht. Natürlich hat der autonome Wunsch des Einzelnen, über sein Leben zu entscheiden, Respekt verdient. Auf die Gesellschaft als Ganzes bezogen ist es indessen ein Indiz des gesellschaftlichen Versagens: Wie ist es um die Würde des Menschen im Sterben bestellt, wenn bei dem Einzelnen der Wunsch entsteht, seinem Leben ein Ende zu setzen? Kardinal König spricht in diesem Zusammenhang von einer „Kultur des Lebens“, um die es gehe und zu der auch eine „Kultur des Sterbens“ gehöre. Dabei formuliert er so: „Das Leben des Menschen ist mehr als eine beliebige biologische Tatsache unter anderen.“ Auch dessen sollten wir uns als Richtschnur bewusst sein. Das Strafrecht kann dabei zwangsläufig nicht das erste Mittel sein, ethischen Aufträgen an die Gesellschaft gerecht zu werden. Behutsamkeit, Verständnis für die körperlichen und psychischen Veränderungen, die etwa das Alter mit sich bringt, Sensibilität – alles das kann nicht der Staatsanwalt bescheren. Aber das Strafrecht ist dann gefordert, wenn es darum geht, den besonderen Schutz der Würde des Menschen durchzusetzen. Gegen Entwicklungen, die dem zuwiderlaufen. Nach einer intensiven Orientierungsdebatte im November des vergangenen Jahres und dem Zusammenfinden verschiedener Gruppen beraten wir heute in erster Lesung vier unterschiedliche Gesetzentwürfe, die sich mit dem Umgang mit der Suizidbeihilfe und dem „assistierten Suizid“ befassen. Ich unterstütze den mit Michael Brand, Kerstin Griese, Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe, Michael Frieser, Dr. Eva Högl, Halina Wawzyniak, Elisabeth Scharfenberg und Dr. Claudia Lücking-Michel gemeinsam eingebrachten Gesetzentwurf, der vorsieht, die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe – und nur diese – in einem § 217 StGB strafbewehrt zu verbieten. Ich halte diesen Ansatz für richtig und die begrenzte strafrechtliche Erfassung der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe für einen behutsamen und zurückhaltenden Weg, um mit dem Mittel des Strafrechts auf Fehlentwicklungen zu reagieren. So griffig die eingangs zitierte Formel von Kardinal König auch zunächst einmal ist – macht sie doch deutlich, dass es eine strenge Grenzlinie zwischen Tötung auf Verlangen und Hilfe beim Sterben gibt –, so unscharf ist sie, wenn es um die Selbsttötung geht. Der historische Gesetzgeber des Strafgesetzbuches im 19. Jahrhundert hat sich bewusst – und im Übrigen vor der Geltung eines Grundrechtskataloges – entschieden, den Suizid, den versuchten Suizid und dementsprechend auch Anstiftung und Beihilfe zum Suizid nicht unter Strafe zu stellen. Diese Wertentscheidung des Gesetzgebers hat nun über 100 Jahre Bestand und wird in der Gesellschaft anerkannt. Über eine lange Zeit hat es auch nur wenig Probleme bei der Handhabung gegeben. Lange Zeit bestand hierzu auch kaum ein Anlass. Die Frage nach strafrechtlicher Verantwortung stellte sich im Wesentlichen in Einzelfällen mit besonderen Konstellationen, die allesamt Ausdruck innerer Konflikte im zwischenmenschlichen Nahbereich sind. Davon haben wir uns indessen mittlerweile weit entfernt. Aus dem individuellen Konflikt ist durch das Auftreten von Sterbehilfevereinen die Diskussion um ein Dienstleistungsangebot geworden. Es geht um All-inclusive-Pakete in den Tod. Das ist eine Entwicklung, der wir nicht tatenlos zusehen dürfen. Wie der Gesetzentwurf festhält, nehmen auch in Deutschland die Fälle zu, in denen Personen auftreten, deren Anliegen es ist, einer Vielzahl von Menschen in Form einer Dienstleistung eine schnelle und effiziente Möglichkeit für einen Suizid anzubieten. Dies geschieht beispielsweise durch das Verschaffen eines tödlich wirkenden Mittels und das Anbieten einer Räumlichkeit, in der das Gift durch die suizidwillige Person eingenommen werden kann. Zu denken ist aber auch an Fälle, in denen von Deutschland aus die Gelegenheit vermittelt wird, im Ausland die für eine Selbsttötung notwendigen Mittel und Räumlichkeiten zu erhalten. Im Vordergrund solcher Handlungen steht dabei nicht ein Beratungsangebot mit primär lebensbejahenden Perspektiven, sondern die rasche und sichere Abwicklung des Selbsttötungsentschlusses. Diese Entwicklung lässt befürchten, dass die Hilfe zum Suizid als eine normale Dienstleistung angesehen wird und sich Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden. Der Gesetzentwurf, der sich für die Einführung der Strafbarkeit der Förderung der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe einsetzt, wird einerseits dem Respekt vor der in der Vergangenheit nie bestrittenen Grundentscheidung des historischen Gesetzgebers gerecht, der sich gegen eine Strafbarkeit des Suizids und der Teilnahme daran entschieden hatte, und greift andererseits korrigierend ein, um neuen Entwicklungen entgegenzutreten. Damit wird eine behutsame strafrechtliche Korrektur vorgenommen. Die Grundentscheidung zur Straflosigkeit des Suizids und der Teilnahme daran wird nicht angetastet. Vielmehr wird durch das Abstellen auf die Geschäftsmäßigkeit als eigenständigem Tatbestand deutlich gemacht, dass es um die strafrechtliche Bewertung eines eigenen Unwerts geht. In der Geschäftsmäßigkeit der Suizidhilfe liegt der eigenständige Grund für die Strafbarkeit. Ich halte diesen Weg für richtig, auch wenn daraus ein rechtssystematisches Problem erwächst, das der Gesetzentwurf mit einer Abwägungsentscheidung löst. Die Geschäftsmäßigkeit ist ein sogenanntes persönliches Merkmal im Sinne von § 28 Absatz 1 StGB. Nach dieser Vorschrift verhält es sich aber so, dass ein Teilnehmer – also jemand, der an der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid in irgendeiner Form teilnimmt – selbst nicht das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit erfüllen muss, um unter die Strafbarkeit des § 217 neu StGB zu fallen – als Teilnehmer. Dies kann insbesondere für Angehörige und nahe stehende Personen relevant werden. Hier haben wir abgewogen und sind zu dem Schluss gekommen, dass das Näheverhältnis Vorrang vor strafrechtlichen Untersuchungen haben sollte. Daher ist für Angehörige und nahestehende Personen ein persönlicher Strafausschließungsgrund in § 217 Absatz 2 StGB normiert. Angehörige und nahestehende Personen werden mithin von § 217 StGB nicht erfasst. Auch wir als Parlament haben einen klaren Verfassungsauftrag. Es ist auch unsere Aufgabe, die Würde des Menschen zu schützen. Diesem umfassenden Schutzauftrag müssen wir sorgfältig gerecht werden. Gerade die Regelung von Lebenssachverhalten, die sich mit dem Beginn und dem Ende des Lebens befassen, bedarf dabei einer besonderen Sensibilität. Das sind die Punkte, an denen, um nochmals Kardinal König zu zitieren, „das Leben in besonderer Weise gefährdet, ja ‚zerbrechlich‘ ist, wo die Gefahr droht, dass der Mensch ganz über den Menschen verfügt“. Dort liegt unser besonderer Schutzauftrag. Dort geht es nicht mehr um den Vorrang der individuellen Selbstbestimmung, sondern um das ethische Fundament einer ganzen Gesellschaft. Folgen wir der Maxime „Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen“. Übersetzen wir diese klare menschliche Grundregel in das juristisch Mögliche! Michaela Noll (CDU/CSU): Heute kommen wir erneut zusammen, um darüber zu sprechen, wie wir das Thema Sterbebegleitung gesetzlich regeln wollen. Nach einer sehr bedachten Debatte im November des letzten Jahres und sehr intensiven Gesprächen sowohl hier im parlamentarischen Raum als auch bei Veranstaltungen in meinem Wahlkreis habe ich mich dazu entschieden, den Gruppenantrag „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ des Kollegen Michael Brand zu unterstützen. Aus meiner heutigen Sicht ist dieses Gesetzesvorhaben der richtige Weg und zusammen mit den Vorhaben unseres Bundesgesundheitsministers, Hermann Gröhe, die Hospiz- und Palliativversorgung zu verbessern, ein wichtiger Schritt, um bestmögliche Voraussetzungen für eine menschenwürdige Sterbebegleitung zu schaffen. Dies ist jedoch meine sehr persönliche Sicht, und mir ist bewusst, dass man sich als gesunder Menschen nur schwer in den Gefühlszustand eines Sterbenskranken hineinversetzen kann. In den vergangenen Monaten habe ich mich mit vielen Ärzten, Mitarbeitern von Hospizeinrichtungen, Angehörigen schwerkranker Menschen und Theologen unterhalten. Ich habe Veranstaltungen organisiert, um verunsicherten Bürgern die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stellen und Sorgen zu erläutern. Die eine Veranstaltung trug den Titel „Lebenshilfe statt Sterbehilfe“ und die andere „Erfülltes Leben – in Würde sterben“. Beide Titel regen sehr zum Nachdenken an und sind auch meine Ansatzpunkte in dieser Debatte. Sehr deutlich wurde in all diesen Gesprächen, dass das Thema Sterben ein Tabuthema ist und es erschreckend viele Menschen gibt, die Angst haben, eines Tages schwerstkrank und einsam sterben zu müssen. Deshalb möchte ich den Schwerpunkt dieser Debatte nicht allein auf ein Für oder Wider hinsichtlich der ärztlichen Sui-zidassistenz legen. Ich bin der Meinung, dass die Angst vor dem sozialen Tod, der Einsamkeit am Lebensende, eine besonders große Aufgabe für unsere Gesellschaft ist. Hier geht es darum, alle Ressourcen zu mobilisieren, damit die Würde des Menschen geschützt ist. Hier darf niemand wegschauen, und wir sind alle gefragt, schwächeren und älteren Menschen zu helfen. Ein weiterer wichtiger Punkt in meinen Gesprächen war die große Angst davor, dass ein organisiertes Angebot ärztlicher Hilfe beim Suizid ältere und schwächere Menschen in den Tod drängen könnte. Dazu möchte ich heute sagen: Es darf nicht sein, dass wir als Gesetzgeber Türen öffnen, durch die verzweifelte oder schwerkranke Menschen hindurchgehen oder sogar gedrängt werden. Ein Angebot organisierter Suizidassistenz könnte Entscheidungen hin zum Suizid fördern. Bei Fachgesprächen auch hier im Bundestag haben wir aber erfahren, dass ein Wunsch nach Suizid durch psycho-logische, medizinische und letztendlich einfühlsame menschliche Hilfe sich wieder in einen Wunsch, zu leben, ändern kann. Viele Menschen, die die Absicht haben, sich selbst zu töten, leiden Studien zufolge an Depressionen. Wenn ein Mensch erfährt, welche konkrete Hilfe er bekommen kann, und sich ernst genommen fühlt in seiner Not und Angst, sind die Aussichten gut, dass er vom Wunsch, zu sterben, Abstand nimmt. Wenn wir nun diese sehr persönlichen Lebenssituationen und die rechtliche Lage in Deutschland verknüpfen, können wir Folgendes festhalten: Regelungsbedarf ergibt sich bei der organisierten Beihilfe zum Suizid. Es darf keine Sterbehilfevereine und andere organisierte Formen der Förderung der Selbsttötung geben. Ich wünsche mir für unsere Gesellschaft ein menschliches Begleiten der Sterbenden statt ein aktives Beenden des Lebens. Deshalb sage ich auch, dass es keine gesetzlichen Sonderregelungen für Ärzte geben soll. Ich denke, hier sollten wir auf die ethischen Grundsätze ärztlicher Sterbebegleitung vertrauen. Hier geht es darum, Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod auch mit den Möglichkeiten der Palliativmedizin beizustehen. Eine Sonderregelung für Ärzte birgt für mich die Gefahr, dass ärztlich assistierter Suizid als eine „Behandlungsoption“ gesehen werden könnte. Wenn wir hier ansetzen würden, wäre es bis zum Töten auf Verlangen nicht mehr weit. Eine Sonderreglung für Ärzte wäre somit eine Öffnungsklausel, die wir dann nicht mehr schließen könnten. Die Ärzte, mit denen ich in Fachgesprächen hier in Berlin und auch bei mir im Wahlkreis gesprochen habe, sehen es als ihren Grundsatz, dass jeder Mensch das Recht hat, an einer helfenden Hand statt durch eine Hand zu sterben. Auch sie sprechen sich alle für eine weitreichende Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung aus. Als Schirmherrin des Franziskus-Hospizes Hochdahl in meinem Wahlkreis begleite ich diese wichtige und wertvolle Arbeit schon sehr lange. Ich möchte mich -ausdrücklich dafür aussprechen, dass wir einen massiven und raschen Ausbau der palliativmedizinischen und -pflegerischen Begleitung von Schwerstkranken und Sterbenden vorantreiben. Besonders wichtig erscheint es mir, dass wir neben den sterbenskranken Menschen auch Angehörigen, Freunden und Pflegenden mehr Unterstützung zukommen lassen. Niemand soll schwerstkrank, verzweifelt und alleine sterben müssen. Ich hoffe sehr, dass wir durch das Gesetz, das unser Bundesgesundheitsminister auf den Weg gebracht hat, die professionelle palliative und psychosoziale Begleitung sterbender Menschen schnellstmöglich flächendeckend ausbauen können. Ich wünsche mir, dass wir mit unserem Antrag und dem Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung die Möglichkeiten für eine humane Sterbebegleitung aufzeigen können und so letztlich die Kultur der Lebensbejahung fördern. Johannes Selle (CDU/CSU): Wir kommen mit dem Gesetzesvorhaben, bei dem die letzte Lebensphase in den Mittelpunkt gestellt wird, an eine ethische Grenze. Wir tangieren ganz elementare Überzeugungen der einzelnen Kollegen. Die unausgesprochene Frage „Bin ich nach dem Tod noch verantwortlich?“ schwingt mit. Deshalb verlaufen die Textvorschläge ja auch nicht entlang von Parteilinien. Als ein zentraler Begriff erweist sich in der Debatte die Selbstbestimmung über das eigene Leben. Das ist ziemlich einsichtig und heißt für mich, jeder sollte nur für sich selbst verantwortlich sein. Ich habe erlebt, wie Menschen kein Wasser und keine Nahrung mehr annahmen, als für sie die Zeit erfüllt war. Für mich bedeutet das ebenfalls, dass ich nicht per Gesetz Handlungen, hier die aktive Hilfe zum Tod, als verantwortlich und unbedenklich bezeichnen möchte, die möglicherweise zu verantworten sind. Wir kommen durch die moderne Medizin in diese Grenzbereiche, aber wir können durch die moderne Medizin auch sicherstellen, dass Schmerzen verhindert werden können. Mir gefällt die Aussage, dass unsere mitmenschliche Verpflichtung darin besteht, beim Sterben zur Seite zu stehen und nicht zum Sterben zu verhelfen. Bei meinen Besuchen im Hospiz und an Sterbebetten erlebte ich, wie dankbar Nähe angenommen wird und wie schwierig eine zusammenhängende Kommunikation werden kann. Den Hinweis auf die und die Diskussion der Möglichkeit des assistierten Suizids kann ich mir in diesen Situationen nicht vorstellen und empfinde ich als unwürdig. Bei der Zulassung der Beihilfe zum Tod befürchte ich auch ein Aufweichen des Unrechtsbewusstseins und ein schleichendes Ausweiten auf Fälle, die heute wie selbstverständlich ausgeschlossen werden. Das ist unsere vielfache menschliche Erfahrung. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Zur ersten Lesung der Gruppenanträge zur Sterbebegleitung möchte ich einige kurze Gedanken skizzieren, die mir für die anstehenden Beratungen wichtig erscheinen. Sterbebegleitung, so der Titel der Debatte, bedeutet Begleitung eines Menschen am Ende seines Lebens. Auch wenn Sterben das Leben beendet, so steht der Sterbeprozess im Leben und ist Teil des Lebens. Wir haben daher eine Entscheidung in Bezug auf uns selbst und unsere Vorstellung vom Leben zu treffen. Nicht der Tod darf für die Debatte bestimmend sein, sondern die Momente des Lebens in seinen letzten Augenblicken. Zugrunde liegt die Frage: Gibt es rechtliche und ethische Konstanten, die zu allen Phasen des Lebens in seinen unterschiedlichen Aspekten gleichermaßen gelten? Die Antwort darauf kann nur lauten, dass es diese Konstante gibt. Es ist die Idee von der unteilbaren Würde des Menschen, aus der sich die aufgeworfene Frage von selbst beantwortet. Der Text unseres Grundgesetzes beginnt mit zwei grundlegenden Wertentscheidungen: einmal in der Präambel. Diese setzt unsere Verfassung in einen verantwortlichen Bezugsrahmen zu Gott und den Menschen. Die andere Wertentscheidung findet sich in Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Auftrag aller staatlichen Gewalt.“ Dieser Anspruch ist absolut. Nicht in einem religiös zu verstehendem Sinne, sondern vielmehr als eine bewusste Orientierung des Verfassungsgebers an Werten, die eine freiheitliche und ethische Ordnung erst gewährleisten, ohne sie aus sich selbst heraus begründen zu können. Der absolute Wert des menschlichen Lebens und unsere Menschlichkeit werden zu einem immerwährenden und nicht abdingbaren Dogma erhoben, weil wir sonst nicht leben könnten. Der Mensch kann die Begründung für das Menschsein nicht schaffen oder gar definieren. Sie ist einfach gegeben. Weil wir Menschen sind. Daraus erwächst für die staatliche Ordnung die Pflicht, Leben zu schützen. Das gilt aber gleichermaßen für den Einzelnen. Die staatliche Ordnung lebt durch das Handeln der Menschen. Sie ist davon nicht getrennt, sondern ergibt sich erst daraus. Leben mit ethischen und solidarischen Regeln ist das Band, das die Menschen zusammenhält. Deswegen trennt dieses Band, wer das Leben eines anderen beendet oder dies gezielt fördert. Er stellt sich somit außerhalb des notwendigen und akzeptablen Grundkonsenses. Der Philosoph Robert Spaemann spricht daher zu Recht von einer „ungeheuerlichen Zumutung“, wenn von Menschen verlangt würde, an der Beendigung des Lebens behilflich zu sein. Es würde sich am Ende gegen die Leidenden und somit auch gegen uns selbst richten. Andererseits muss die Frage erlaubt sein, welches Leid und welche Linderung wir den Menschen zumuten dürfen oder gestatten müssen. Von der Erduldung von Leid zu sprechen, fällt leichter, wenn man davon nicht betroffen ist. Es ändert aber nichts an der Realität des Schmerzes. Daher gibt es die Situationen, in denen Leben nicht mehr ertragbar erscheint. Darauf muss eine Antwort geben, wer Leben schützen und bewahren möchte. Dies ist die Stunde für richtige und mitfühlende Palliativ- und Hospizmedizin. Die Antwort auf Aspekte des Leids darf nicht in der aktiven Hilfe zum Sterben liegen. Erst recht nicht, wenn diese Hilfe zum Sterben als Teil des Lebens kommerzialisiert oder regelmäßig wäre. Dies würde eine ethische Entwicklung aufzeigen, die entgrenzt und kaum zu beherrschen wäre. Wird ein Aspekt des Lebens zur Disposition gestellt und ihm daher weniger Würde zugeschrieben, dann ist es nicht völlig fernliegend, dass auch Menschen in anderen Lebenslagen infrage gestellt oder gar unter Gesichtspunkten der Nützlichkeit betrachtet werden. Diesen Weg wollen und dürfen wir niemals beschreiten. Nicht allein aus historischen Gründen oder wegen der konzeptionellen Idee der Würde des Menschen, sondern auch aus einem einfachen und einleuchtenden Grund: wegen uns selbst. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die Diskussion über das Thema „Sterbebegleitung“ in unserer Gesellschaft und bei uns im Bundestag ist von großem Ernst und hohem Verantwortungsbewusstsein geprägt. Begonnen haben wir die Beratungen im Parlament bereits im vergangenen Jahr mit einer sogenannten -Orientierungsdebatte. Ich hoffe, dass wir zusammen auf einem guten Weg sind, dieses Thema in einem großen parlamentarischen und gesellschaftlichen Konsens zu entscheiden. Sowohl hier im Deutschen Bundestag als auch in zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen und Diskussionen ist zu spüren, dass der Respekt vor der anderen Meinung prägend für diese Diskussion ist. Es ist gut, dass wir in dieser Frage einzig und allein unserem Gewissen folgen. Die fraktionsübergreifenden Anträge, die uns heute vorliegen, sind bereits jetzt Ausdruck einer lebendigen Debattenkultur. Was mir Sorge bereitet, ist, dass in den vergangenen Jahren die Aktivität von Vereinen und Einzelpersonen zugenommen hat, die Sterbewilligen Hilfsdienste beim Suizid anbieten. Tödliche Substanzen werden besorgt, Hinweise zur Einnahme gegeben, und gelegentlich sind sogenannte Helfer sogar bei der Selbsttötung zugegen. Einige von ihnen betrachten diese Tat als reine Dienstleistung, für die eine Rechnung ausgestellt wird. Andere wiederum legen Wert darauf, lediglich ehrenamtlich zu handeln. Bisher ist es in Deutschland nicht eindeutig geregelt gewesen, ob sie mit ihrem Handeln gegen geltendes Recht verstoßen haben oder auch nicht. Das Ziel einer gesetzlichen Regelung zur Sterbebegleitung muss daher sein, einen Rechtsrahmen zu setzen, der in Zukunft für Klarheit sorgt. Die Begleitung Sterbender stellt grundsätzliche Fragen an jeden von uns selbst. Jeder geht daher mit seinem ganz eigenen Blickwinkel in diese Debatte über die Sterbebegleitung hinein. Orientierungspunkte können der Glaube und die eigenen religiösen Überzeugungen sein, auch persönliche Erfahrungen, Erlebnisse und Schicksale. Für Christen, aber auch für Angehörige anderer Religionsgemeinschaften ist das Leben zuallererst ein Geschenk Gottes. Der Tod ist eine oft verdrängte Tatsache im Leben. Viele sind unsicher, wie sie mit der Situation des Sterbens umgehen sollen. Der Abschied von einem geliebten Menschen ist oftmals gerade auch für die Angehörigen und für Freunde eine starke emotionale Belastung. Rein rational betrachtet wissen wir, dass die Geburt, das Leben und der Tod untrennbar zu unserem Wesen als Menschen gehören. Schließlich ist uns die Endlichkeit unseres eigenen irdischen Daseins mit unserer Geburt vorherbestimmt. Während wir jedoch die Geburt und auch das Leben insgesamt als Geschenk und Glück empfinden, ist unsere letzte Lebensphase oftmals geprägt durch das Gefühl von Unsicherheit und Einsamkeit, von Leid und Schmerz, von Belastung und Hilfsbedürftigkeit. In manchen Menschen erwächst vor dem Hintergrund der Erwartungen an einen möglicherweise leidvollen Sterbeprozess der Wunsch, den Zeitpunkt des eigenen Todes selbst bestimmen zu können. Die Würde des Menschen drücke sich auch in der Selbstbestimmung des Zeitpunktes des Todes aus, so eine häufig vorgebrachte Argumentation. Ich persönlich kann diese Argumentation nicht teilen. Ich bin der Auffassung, dass sich die Würde des Menschen im gesellschaftlichen Umgang mit Schwerkranken, Alten und Schwachen und in ihrer Sterbebegleitung widerspiegelt. Mein Standpunkt ist, dass jedes Leben von Gott gewollt ist und wir das Leben tatsächlich als Gabe, für die wir Verantwortung tragen, verstehen sollten. Es ist deshalb unsere Aufgabe, jedes Leben als Teil unserer Gesellschaft zu betrachten und jeden Menschen mit seinen Begabungen, Fähigkeiten und Schwächen in unsere Gesellschaft zu integrieren. Die Evangelische Kirche in Deutschland, EKD, hat über das Forschungsinstitut Emnid eine bundesweite Studie zum Thema Sterbehilfe in Auftrag gegeben. 61 Prozent der Befragten glauben demnach, dass bei einer Legalisierung der ärztlichen Hilfe zum Freitod Menschen vermehrt um todbringende Medikamente bitten würden – um Belastungen der Familie zu vermeiden. Das menschliche Leben darf sich jedoch nicht nach seiner Leistung und Nützlichkeit für die Gesellschaft ermessen. Eine Gesellschaft, die nur auf Aktivität und Leistung setzt, wird unmenschlich. Deshalb ist es Aufgabe einer humanen Gesellschaft, den Menschen die Ängste, Sorgen und Nöte beim Sterben zu nehmen und für sie auch in den schwersten Stunden da zu sein. Es ist als Gesellschaft unsere Aufgabe, den Menschen beizustehen und ihnen Trost zu spenden. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Menschen in der letzten Phase ihres Lebens zu begleiten, ihre Schmerzen zu lindern und ihnen das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben. Als Gesellschaft sollten wir daher lieber darüber nachdenken, wie Menschen würdevoll auf ihrem letzten Weg begleitet werden können, statt ihnen einen schnellen und selbst herbeigeführten Tod am Lebensende zu ermöglichen. Schwerkranken und alten Menschen darf nicht das Gefühl gegeben werden, eine Last zu sein. Ich lehne daher jede Form der kommerziellen oder einer auf Wiederholung angelegten Sterbehilfe ab. Sterbehilfe soll kein Geschäft wie jedes andere auch sein. Ich bin gegen eine Dienstleistungsbranche „Tod“ aus den Gelben Seiten. Ich möchte nicht, dass wir in Deutschland in eine Spirale geraten, in der Menschen – insbesondere alte Menschen – das Gefühl bekommen, eine Belastung für ihre Angehörigen und die Gesellschaft zu sein, und sich aus diesem Gedanken heraus zu einem schnellen und aktiv herbeigeführten Tod entschließen. Ebenso ist eine zweite Sache wichtig. Wir sollten das Arzt-Patienten-Verhältnis – ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis – nicht verändern. Wenn ein Patient leidet, ist es Aufgabe des Arztes, ihm die Schmerzen zu nehmen und nicht das Leben. Suizidbeihilfe ist im Regelfall keine ärztliche Aufgabe. Trotz aller Fortschritte in der Palliativmedizin und bester Versorgung wird es dennoch immer Menschen geben, deren letzte Lebensphase nicht ohne Leid verläuft. Diese Fälle machen gerade auch Ärzte betroffen und manchmal auch ratlos. Dennoch müssen wir uns davor hüten, Einzelfälle zum Maßstab allgemeiner Regelungen zu machen. Ich halte es für ein zentrales Anliegen, dass wir eine gute und humane Kultur des Sterbens entwickeln, die nicht von Angst geleitet ist, sondern in der Liebe und Barmherzigkeit Raum gewinnt. Daher brauchen wir zum einen eine qualitativ hochwertige und von menschlicher Hingabe geprägte Pflege. Zum anderen brauchen wir eine Hospiz- und Palliativversorgung, die auch in der allerletzten Lebensphase der Menschen die Würde des Einzelnen bewahrt. Eine Hospiz- und Palliativversorgung, die Schmerzen und nicht das Leben nimmt, die Menschen in den letzten Stunden ihres Lebens nicht alleinlässt, sondern Begleitung ermöglicht. Deshalb werbe ich dafür, dem Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, der von 210 Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen eingebracht wurde, zuzustimmen. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Bei der Debatte über das Thema Sterbehilfe gibt es kein Richtig oder Falsch. Es gibt keinen Anspruch auf absolute Wahrheit. Das Wertvollste an der Diskussion heute aber ist, dass sie stattfindet. Dass wir über elementare Fragen zwischen Leben und Tod sprechen. Dass wir Parameter abstecken, zwischen juristischen, medizinischen, philosophischen, theologischen, ethischen Fragen. Ruhig, sachlich, nachdenklich, aber nicht ideologisch oder gar parteipolitisch. Unser Grundgesetz gibt es vor: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Daraus leiten wir ab, dass wir ein selbstbestimmtes Leben führen können müssen. Daraus muss sich aber auch ableiten lassen, dass man selbstbestimmt sterben darf. Dies jedoch nicht um jeden Preis. Wir dürfen keine Ökonomisierung des Sterbens in Deutschland zulassen, das heißt, ein an den Maßstäben der Wettbewerbsfähigkeit und Gewinnmaximierung orientierter Markt für -Suizidbeihilfeleistungen darf nicht entstehen. Deshalb lehne ich persönlich gewerbliche und organisierte Unterstützung zum Suizid ab. Eine Hilfestellung bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung sollte nur auf der Grundlage ärztlicher Fachkenntnis und in medizinischer Begleitung erfolgen. Nicht sollte die Verantwortung allein auf enge Angehörige übertragen werden. Unsere Verantwortung gebietet es, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um kranken Menschen durch die bestmögliche medizinische und menschliche Begleitung ein Ja zum Leben zu ermöglichen. Dazu gehören eine konsequente Inanspruchnahme und Fortentwicklung palliativmedizinischer Möglichkeiten und ein Ausbau des Hospizwesens. Der medizinische Fortschritt ermöglicht es, dass Menschen besser und länger leben können. Dies ist ein großer zivilisatorischer Fortschritt. Zugleich führt die medizinisch ermöglichte Lebensverlängerung zu neuen Herausforderungen in der Behandlung eines krankheitsbedingten Leidens in der Sterbephase. In den Fällen, in denen auch die Palliativmedizin bei zum sicheren Tod führenden Erkrankungen für den Patienten nicht infrage kommt, leiden schwerstkranke Menschen oftmals eine große Not. Das körperliche und psychische Leiden ihrer Patienten stellt auch für die Ärzte eine äußerst belastende Situation dar. Während die Hilfestellung zum Suizid gesetzlich straflos ist, untersagen einige Ärztekammern in Deutschland jede Form der Hilfestellung zur selbstvollzogenen Lebensbeendigung ihrer Patienten. Dies sowie eine in Bezug auf Grenzfälle komplizierte Rechtslage führen zur Rechtsunsicherheit bei Ärzten und Patienten. Menschen in auswegloser Lage werden hierdurch zusätzlich belastet. Gerade auch durch die zahlreichen Graubereiche, die es im momentanen Regelungskonstrukt gibt. Derzeit ist es so, dass die 17 Landesärztekammern in Deutschland unterschiedlich in ihrem jeweiligen Standesrecht regeln, ob Ärzte ihren Patienten bei der Selbsttötung assistieren dürfen. Es kann aber nicht sein, dass wir in Deutschland 17 verschiedene Wege zum Sterben haben. Und erst recht möchten wir einem möglichen „Sterbetourismus innerhalb und außerhalb Deutschlands“ vorbeugen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auf die Bayerische Landesärztekammer verweisen. In der Berufsordnung für bayerische Ärzte steht, dass sie Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und ihres Willens beizustehen haben. Die Unterstützung von Sterbenden führt also nicht zu einem möglichen Berufsverbot. Auf diese Gewissensfreiheit, die bayerische Ärzte genießen, sollen sich alle Ärzte in Deutschland berufen können. Wir haben Regelungen für ein menschenwürdiges Leben. Wir benötigen aber auch Normen für ein menschenwürdiges Sterben. Eine solche Regelung, wie ich sie unter anderem mit meinen Kollegen Peter Hintze, Katherina Reiche, Dr. Carola Reimann, Professor Dr. Karl Lauterbach und Burkhard Lischka vorgestellt habe, sollte es volljährigen und einsichtsfähigen Menschen ermöglichen, die freiwillige Hilfe eines Arztes bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung in Anspruch zu nehmen, wenn feststeht, dass eine unheilbare Erkrankung unumkehrbar zum Tod führt, der Patient objektiv schwer an einer organischen Krankheit leidet, eine umfassende Beratung des Patienten bezüglich anderer, insbesondere palliativer Behandlungsmöglichkeiten stattgefunden hat und die ärztliche Diagnose von einem anderen Arzt bestätigt wurde. Bei unserem Entwurf steht also ein umfassendes und lebensbejahendes Gespräch zwischen Patient und Arzt im Mittelpunkt. Die Ermutigung zum Leben sowie eine umfassende Aufklärung über die palliativmedizinischen Möglichkeiten müssen dabei immer Vorrang haben. Allein das sichere Wissen, im Falle einer aussichtslosen Lebenssituation auf die Möglichkeit einer ärztlichen Hilfe zur Beendigung ihres Lebens zurückgreifen zu können, hilft schwer leidenden Menschen, von einer tatsächlichen Inanspruchnahme dieser Möglichkeit abzusehen. Aus Sterbehilfe wird somit Lebenshilfe. Auch wenn wir hier über das Ende der menschlichen Existenz sprechen, dürfen wir nie vergessen, dass das Leben unser wertvollstes Geschenk ist. Dr. Eva Högl (SPD): Unser Gruppenentwurf wurde bereits umfänglich vorgestellt; das möchte ich in meinen fünf Minuten Redezeit nicht alles wiederholen. Ich möchte mich auf ein wichtiges Thema konzentrieren: die Rolle der Ärztinnen und Ärzte und des ärztlichen Standesrechts. Wir werden mit unserem Entwurf kein Sonderrecht für Ärztinnen und Ärzte schaffen, weder ein Sonderstrafrecht noch einen Sondererlaubnistatbestand. Das hat einen guten Grund: Wir wollen gerade nicht, dass der ärztlich assistierte Suizid ein „normales Behandlungsangebot“ wird, ein Dienstleistungsangebot, das man am Lebensende als eine von mehreren Optionen wählen kann. Schon gar nicht soll diese Form der Suizidbeihilfe eine medizinische Versorgungsleistung mit quasi-staatlichem Gütesiegel werden. Wir wollen durch gesetzliche Regelungen auch keinen Rechtsanspruch konstruieren. Das Ende des Lebens sollte unter Einbeziehung der Menschen aus dem Umfeld des Sterbenden, der Ärzte/Ärztinnen und Pflegerinnen und Pfleger unter ethischen Gesichtspunkten individuell gestaltet werden. Wir wollen nicht, dass alte oder kranke Menschen sich direkt oder indirekt gedrängt fühlen, diesen – dann gesetzlich aufgezeigten – Weg auch gehen zu müssen! Was wir aber auch auf gar keinen Fall wollen, ist die Einschränkung der ärztlichen Behandlungsfreiheit. Ärztinnen und Ärzten muss erlaubt bleiben, in individuellen Situationen individuelle Entscheidungen zu treffen. Unser Entwurf ändert nichts an den bisher bestehenden ärztlichen Möglichkeiten. Die sogenannte passive Sterbehilfe, also die Nichtaufnahme oder der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung im Einklang mit dem Patientenwillen, wird weiterhin straflos möglich sein. Gleiches gilt für die indirekte Sterbehilfe, also die Gabe von schmerzstillenden Medikamenten unter Inkaufnahme einer Lebensverkürzung. Ebenso werden die palliativmedizinischen Möglichkeiten in keiner Weise eingeschränkt. Ärzte sollen eben nur keine geschäftsmäßige Suizidbeihilfe leisten dürfen. Sie sollen die Suizidbeihilfe nicht zum Mittelpunkt ihres Behandlungsangebots machen, sie nicht wiederholt, in der Absicht, die Selbsttötung eines Patienten zu fördern, anbieten. Ärzte sollen als Allererstes und vorrangig Helfer zum Leben sein – nicht Helfer zum Sterben. Das sieht der Großteil der Ärzteschaft übrigens genauso. Sie möchten nicht beim Sterben helfen. Nach einer aktuellen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach können sich nur 37 Prozent aller Ärzte überhaupt vorstellen, die Beihilfe zum Suizid unter bestimmten Bedingungen zu leisten. 61 Prozent hingegen lehnen die Suizidbeihilfe strikt ab. Bevor wir vorschnell nach Sterbehilfe als Mittel der Wahl rufen, sollten wir uns fragen, warum die Menschen einen Sterbewunsch äußern. Oft geschieht dies aus Einsamkeit, aus Angst vor dem Alleinsein, aus Angst davor, anderen zur Last zu fallen. Hierfür muss die Gesellschaft jedoch andere Lösungen finden als den schnellen, ärztlich verordneten Tod. Oft ist es aber auch die Angst vor Krankheit, vor Schmerzen, vor unendlichem Leid. Diese Angst müssen wir den Menschen nehmen. Mit den heute bestehenden Möglichkeiten der Palliativmedizin können Schmerzen gut behandelt werden. In den wenigen Fällen, in denen trotzdem das Leid und die Schmerzen zu groß sind, darf der Arzt nach unserem Gesetzentwurf auch weiterhin individuelle Entscheidungen treffen. Da wollen wir nichts verbieten, nichts einschränken, nicht bestimmen, in welchen Fällen er helfen darf und in welchen nicht, wie beispielsweise der Hintze/Lauterbach/Reimann-Entwurf es vorsieht. Ein großes Problem bereitet an dieser Stelle zugegebenermaßen das ärztliche Standesrecht. Seit 2011 die Musterberufsordnung dahin gehend geändert wurde, dass Ärzte „keine Beihilfe zum Suizid mehr leisten dürfen“, herrscht standesrechtliches Chaos und ein bundesweiter Flickenteppich. 10 von 17 Ärztekammern haben diese Regelung in ihre verbindlichen Berufsordnungen aufgenommen. Die anderen Kammern haben die Formulierung gar nicht oder nur in abgeschwächter Form übernommen. Im Ergebnis hängt die Frage, ob ein Arzt Suizidbeihilfe leisten darf, jetzt davon ab, in welchem Kammer-bezirk er Mitglied ist. Es ist aber in erster Linie an der Ärzteschaft selbst – daher an dieser Stelle auch mein dringender Appell –, dieses Chaos zu beseitigen und eine einheitliche Regelung zu finden. Es wäre gut, wenn sie wieder zu der alten Beschlusslage zurückfänden, dass Ärzte „keine Beihilfe zum Suizid leisten sollen“. So bleibt es dann jedem Arzt überlassen, in Einzelfällen eine Gewissensentscheidung zu treffen. Im Zweifel müssten die Landesgesetzgeber eingreifen und eine – im besten Fall einheitliche – Regelung in ihren jeweiligen Kammer- oder Heilberufegesetzen beschließen. Diese bilden schließlich die Grundlage der ärztlichen Berufsordnungen; hier können verbindliche Vorgaben gemacht werden. Auf gar keinen Fall kann der Bundesgesetzgeber tätig werden. Es liegt ganz einfach nicht in unserem Kompetenzbereich. In unserem föderalen System gilt nun mal nach Artikel 70 Grundgesetz die grundsätzliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder, sofern das Grundgesetz keine gegenteiligen Regelungen trifft. Der Bundesgesetzgeber ist nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 19 Grundgesetz nur für die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe zuständig, nicht aber für die Berufsausübung. Das obliegt ganz allein den Ländern. Da kommen wir auch nicht weiter mit einer Regelung im BGB oder einem eigenen Gesetz, das berufsständische Regelungen für unzulässig erklären will. In diesem Fall bricht auch Bundesrecht nicht Landesrecht, da nur kompetenzgemäß erlassenes Bundesrecht überhaupt im Konfliktfall die Anwendungshoheit für sich beanspruchen kann. Daher ist beispielsweise – wenn man es genau nimmt – der Entwurf von Renate Künast gleich in doppelter Hinsicht eine Mogelpackung. Zum einen steht drauf: „Gesetz über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“, obwohl mehr strafrechtliche Regelungen drin sind als in allen anderen Entwürfen. Zum anderen kann dieses Gesetz nichts an den bestehenden standesrechtlichen Regelungen ändern. Der Bundesgesetzgeber hat schlicht keine Gesetzgebungskompetenz. Auch der Reimann/Hintze/Lauterbach-Entwurf verspricht, was er nicht halten kann: Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte. Auch dieser Entwurf kann kompetenzrechtlich gar keine Rechtssicherheit bieten, er schränkt lediglich die ärztlichen Handlungsmöglichkeiten am Ende des Lebens ein. Wenn wir eine strafrechtliche Regelung treffen, haben wir hierfür die Gesetzgebungskompetenz, und auch das Standesrecht hat sich daran zu halten. Was strafrechtlich verboten ist, kann das Standesrecht nicht erlauben. Umgekehrt kann das Standesrecht auch grundsätzlich Dinge verbieten, die das Strafrecht erlaubt bzw. nicht verbietet. In diesem Fall bin ich jedoch der Ansicht, dass das ausnahmslose Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe im ärztlichen Standesrecht nicht verfassungsgemäß ist. Das hat auch das Verwaltungsgericht Berlin so gesehen. Bisher hat kein Arzt berufsrechtliche Konsequenzen davongetragen. Mir ist zumindest kein Fall bekannt. Falls dies doch mal passieren würde und der betreffende Arzt oder die betreffende Ärztin dies bis zum Bundesverfassungsgericht durchfechten würde, stünden die Chancen gut, dass das BVerfG die Regelung kippt. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir debattieren heute über verschiedene Gruppenanträge zum Thema Sterbebegleitung. Ich selbst habe den Antrag der Gruppe Griese, Brand und andere mit eingereicht. Lassen Sie mich zunächst sagen, dass mir die Arbeit an einem Gruppenantrag viel Spaß bereitet hat. Es ging endlich einmal darum, in der Sache zu streiten und gemeinsame Positionen zu finden. Es war eine Debatte, in der allein das Argument zählte. Ich wünsche mir mehr solcher Debatten. Zum Zeitpunkt der Orientierungsdebatte im Bundestag wusste ich noch nicht, welche der Positionen ich unterstütze. Ich habe also lange überlegt, wie ich mich in dieser Frage positioniere. Jede und jeder von uns hat einen anderen Zugang zum Thema Sterbebegleitung. Mein Zugang ist die personale Autonomie. Ich finde, jede und jeder hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob er bzw. sie weiterleben will – im Übrigen unabhängig vom Vorliegen einer nicht mehr therapierbaren, organischen und zugleich irreversibel tödlich verlaufenden Erkrankung. Das Recht, selbst zu entscheiden, wann der Zeitpunkt zu gehen da ist, setzt aber gerade personale Autonomie voraus. Eine Gesellschaft trägt dafür Verantwortung, dass diese individuelle personale Autonomie auch gegeben ist. Eine Gesellschaft, in der die Verwertung von allem und jedem eine herausgehobene Stellung hat, trägt eine besondere Verantwortung. In meinen Augen ist diese personale Autonomie dann gefährdet, wenn ein gesellschaftlicher Druck entsteht, der eine Handlung als „normal“ ansieht. Die „Normalisierung“ einer Dienstleistung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung einer anderen Person gefährdet in meinen Augen die personale Autonomie. Ich hätte mir gewünscht, dass eine Regelung, mit der eine „Normalisierung“ der Dienstleistung der Förderung der Selbsttötung einer anderen Person durch geschäftsmäßige Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung der Gelegenheit dazu einhergeht, jenseits des Strafrechts möglich gewesen wäre. Ich habe gedacht, das geht über das Vereins- oder Gewerberecht. Meine Recherchen haben ergeben, dass es nicht geht. Die Vereine, um die es mir vor allem geht, unterfallen aber dem Vereinsrecht. Und das hat glücklicherweise einen hohen Stellenwert. Ein Vereinsverbot kann nach § 3 Absatz 1 Vereinsgesetz eben nur stattfinden, wenn die Zwecke und Tätigkeiten des Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. Deshalb muss – zu meinem großen Bedauern – auf das Strafrecht zurückgegriffen werden, obwohl ich sonst bei Strafrechtsverschärfungen Pickel bekomme und schreiend wegrenne. Für mich ist das vorwiegend geschützte Rechtsgut in dem von mir unterzeichneten Gruppenantrag die personale Autonomie. Gegen deren Gefährdung richtet sich der vom Gesetzentwurf vorgeschlagene Straftatbestand vor allem. Es geht mit dem Gesetzentwurf ausdrücklich nur um die Strafbarkeit der Förderung der Selbsttötung einer anderen Person durch eine geschäftsmäßige Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung der Gelegenheit dazu. Nur eine solche geschäftsmäßige Förderung rechtfertigt einen Straftatbestand, da Strafrecht Ultima Ratio ist und nicht jede gesellschaftlich unerwünschte Handlung unter Strafe gestellt werden soll und darf. Mit dem Gesetzentwurf soll die Straflosigkeit des eigenverantwortlichen Suizid – und Suizidversuchs –, wie sie im deutschen Strafrecht existiert, nicht infrage gestellt werden. Da das deutsche Strafrecht einen Teilnehmer einer Tat (Gehilfen oder Anstifter) nur bestrafen kann, wenn auch eine strafbare Haupttat vorliegt, bleibt mit dem Gesetzentwurf auch die Suizidbeihilfe, also die physische oder psychische Hilfeleistung zum eigenständig durchgeführten, freiverantwortlichen Suizid, straffrei. Und das ist gut so. Der Gesetzentwurf – und damit die Strafbarkeit – soll sich allein auf diejenigen beziehen, die einen Suizid einer anderen Person fördern, indem sie geschäftsmäßig dazu Gelegenheit gewähren, verschaffen oder vermitteln. Der Gesetzentwurf soll sich also an diejenigen richten, die dieses Gewähren, Verschaffen oder Vermitteln von Gelegenheiten zum Suizid wiederholt anbieten und sie zum dauernden und wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit machen. Auf eine Gewinnerzielungsabsicht kommt es nicht an. Der Gesetzentwurf soll also nur diejenigen treffen, die wiederholt und damit dauernd und wiederkehrend äußere Umstände herbeiführen, die geeignet sind, den Suizid zu ermöglichen oder wesentlich zu erleichtern. Es geht dabei um Sachen wie die Überlassung von Räumlichkeiten oder die Überlassung von Mitteln zum Suizid (-gewähren) oder die Vermittlung eines konkreten Kontaktes zwischen einer suizidwilligen Person und jemandem, der geschäftsmäßig die Gelegenheit zum Suizid einer anderen Person gewährt. Der Gesetzentwurf soll diejenigen treffen, die all dies mit Absicht, also zweck- und zielgerichtet, tun. Er soll also diejenigen treffen, die wissen, dass sie – wiederholt und als dauernder und wiederkehrender Bestandteil ihrer Tätigkeit – eine Gelegenheit zum Suizid einer anderen Person anbieten und dies auch so wollen. Das deutsche Strafrecht ist kompliziert. Da der Gesetzentwurf diejenigen bestrafen soll, die geschäftsmäßig den Suizid einer anderen Person fördern, sind auch diejenigen als Teilnehmer strafbar, die selbst nicht geschäftsmäßig handeln. Bei der geschäftsmäßigen Handlung handelt es sich um ein sogenanntes besonderes persönliches Merkmal (§ 14 Absatz 1 StGB, „Umstand“). Die Strafe für einen solchen Teilnehmer – das sind Anstifter und Gehilfen – ist aber zu mildern (§ 28 Absatz 1 StGB). Das hat – theoretisch – Auswirkungen auf Angehörige und nahestehende Personen des Suizidwilligen. Der Gesetzentwurf will diese, soweit sie nicht selbst geschäftsmäßig handeln, aber explizit von der Strafbarkeit ausnehmen. Deswegen wollen wir für diese Personengruppe einen sogenannten persönlichen Strafausschließungsgrund schaffen. Diese Personen sind damit dann nicht strafbar. Um es noch deutlicher zu sagen: Der Angehörige, der eine suizidwillige Person zu jemandem fährt, der geschäftsmäßig Gelegenheiten zum eigenverantwortlichen Suizid gewährt, verschafft oder vermittelt, ist nicht strafbar. Was Angehörige und nahestehende Personen sind, ist bereits im Gesetz geregelt (§ 11 Absatz 1 Nummer 1 StGB) oder in der Kommentarliteratur völlig unstreitig im Hinblick auf andere Straftatbestände, sodass darauf zurückgegriffen werden kann. (§ 35 Absatz 1, § 238 Absatz 1 Nummer 4, § 238 Absatz 2 und 3 und § 241 Absatz 1 StGB). Ich glaube, dieser Gesetzentwurf sichert angemessen die personale Autonomie. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Viele von uns befinden sich noch in einem intensiven Meinungsbildungsprozess – oder haben diesen bereits abgeschlossen. Nicht eine Fraktionsmeinung ist gefragt, sondern die eigene. Die eigene Meinung, die sich bildet aus persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Sterbenden und dem Tod sowie aus eigenen Wertvorstellungen. Bei vielen von uns sind diese Wertevorstellungen zusätzlich religiös geprägt. Hinzu kommen die – widerstrebenden – Erwartungen aus der Gesellschaft. Letztlich geht es insbesondere um die Frage, welche Rolle der Mensch spielen darf – oder auch muss –, wenn es um das Ende eines Lebens geht. Ich selber habe in den letzten sieben Monaten einen intensiven Meinungsbildungsprozess betrieben durch die Lektüre von Fachartikeln und zahlreichen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern, Hospizhelfern, Fachkräften aus der Palliativversorgung, Beratungsstellen sowie Kirchenvertreterinnen und Kirchenvertretern. Dazu habe ich in meinem Wahlkreis zu Gesprächen geladen. Zu vielen Aspekten konnte ich mir eine klare Meinung bilden. In einigen Fragen bin ich mir nach wie vor unsicher, ob es überhaupt einer gesetzlichen Regelung bedarf und wenn ja, wie diese konkret gefasst werden kann. Inzwischen habe ich mich für einen Gesetzentwurf entschieden, den ich unterschrieben habe. Dieser wurde von Renate Künast und Kai Gehring (Bündnis 90/Grüne) sowie Petra Sitte (Die Linke) ausgearbeitet und wird inzwischen von Abgeordneten aus drei Fraktionen unterstützt. Es handelt sich um den Entwurf eines „Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“. Dieser Gesetzentwurf belässt die Rechtslage im Wesentlichen so, wie sie derzeit ist. Die Hilfe zur Selbsttötung bleibt demnach straffrei. Es handelt sich um ein eigenständiges, neues Gesetz und nicht die Änderung eines bestehenden Gesetzes. Zweck dieses Gesetzes ist die Festlegung der Voraussetzungen für die Hilfe zur Selbsttötung. Zu den Inhalten dieses Gesetzes: Die Selbsttötung wie die Hilfe dazu bleiben wie bisher straffrei. Dem entgegenstehende berufsständische Regelungen der Ärzteschaft werden unwirksam. Wer in organisierter oder geschäftsmäßiger Form (Ärzte) Hilfe zum Suizid leistet, muss vorher ein Beratungsgespräch geführt haben. Dabei sind Alternativen zur Selbsttötung zu besprechen. Zwischen dem Beratungsgespräch und der Hilfeleistung zum Suizid müssen mindestens 14 Tage vergangen sein. Die gewerbsmäßig (das heißt auf fortlaufende Gewinnerzielung) ausgerichtete Hilfe zur Selbsttötung ist untersagt und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft. Das Gesetz schafft die Voraussetzung für ein Werbeverbot für Hilfeleistungen zu Selbsttötungen. Das Gesetz wird alle vier Jahre evaluiert. Weshalb ich diesen Gesetzentwurf unterstütze: Der Suizid ist straffrei und auch die Hilfe dazu. An Ersterem will niemand rütteln. Wie kann etwas straffrei sein, die Hilfe dazu aber nicht? Und ist es nicht so, dass, wenn sich jemand Hilfe holt, sie oder er durch die andere, beratende Person vielleicht noch Alternativen aufgezeigt bekommen kann und dadurch vom Vorhaben, aus eigener Hand das Leben zu beenden, abgehalten wird? Wer nicht auf Hilfe setzen kann, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit einen einsamen Tod sterben. Und wer nicht auf Hilfe setzen kann, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit eine brutalere Methode wählen, um aus dem Leben zu scheiden. Solche Methoden belasten häufig für lange Zeit andere, unfreiwillig beteiligte Menschen. Man denke an die vielen Suizide auf den Gleisen der Bahn und denke dabei auch daran, welches Leid dies bei den Lokführern auslöst. Ich finde, dass niemand das Recht hat, den Entschluss eines des Lebens überdrüssigen Menschen zu bewerten oder gar zu verurteilen. Es sollten aber alle Wege für Gespräche und Beratungen offengehalten werden. Ein Verbot der Assistenz würde diese Wege weitgehend verschließen. Denn weshalb sollte eine sterbewillige Person einen Arzt aufsuchen, wenn dieser ihm unter keinen Umständen das ersehnte Medikament bereitstellen darf? Das Beratungsgespräch bietet die Chance, dass sich der Betreffende doch noch anders, nämlich für sein Leben, entscheidet. Der Verzicht auf ein Hilfeverbot wirkt damit suizidpräventiv. Es ist gut, dass dies von den Autoren mehrerer Gesetzentwürfe so gesehen wird. Was mir am oben skizzierten Gesetzentwurf gut gefällt, ist die Bedenkzeit. Damit wird das Risiko verringert, dass es zu fatalen Kurzschlussentscheidungen kommt. Dem Festhalten am Leben wird ebenso eine Chance eingeräumt, wie der feste Wunsch eines Sterbewilligen ernst genommen wird. Wichtig ist mir, dass die Ärzteschaft auf Grundlage eines bundesweit einheitlichen Rechtsprinzips arbeitet. Dass einige Standesvertretungen ihren Mitgliedern etwas verbieten, was der Gesetzgeber nicht verboten hat, ist nicht hinnehmbar und führt zu einem kaum durchschaubaren Flickenteppich an unterschiedlichen Regeln und fördert noch dazu einen Sterbehilfetourismus. Selbstverständlich sind Ärzte ihrem Gewissen unterworfen und werden zu nichts gezwungen, was ihrem ethischen Gewissen widerspricht. Ich bin nicht mit allem, was der beschriebene Gesetzentwurf enthält, vollständig einverstanden. So halte ich beispielsweise zur Vermeidung von Missverständnissen eine auch für juristische Laien eindeutige Klarstellung für notwendig, dass die Hilfe zum Freitod unter den genannten Bedingungen ausschließlich für Menschen gewährt werden darf, die an einer unheilbaren, zum Tode führenden Krankheit leiden. Insoweit hoffe ich, dass sich im Laufe des weiteren Prozesses Abgeordnete für Änderungen zusammenfinden und dann auf noch breiterer Grundlage eine Mehrheit zusammenfindet. Und ich hoffe, dass sich im Nachgang Mehrheiten für Verbesserungen der Beratungs- und Therapieangebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen finden. Dies fehlt mir gänzlich in der bisherigen Debatte. Das ist fatal. Denn die meisten Suizide werden von Menschen mit psychischen Erkrankungen begangen. Ziel unserer Bemühungen muss sein, dass weniger Menschen für sich im Suizid die Lösung sehen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir hören heute zweieinhalb Stunden lang Redebeiträge, die allesamt für eine Gesetzesänderung hinsichtlich der Sterbehilfe in Deutschland plädieren. Was wir leider nicht hören können, ist die Gegenrede zu sämtlichen dieser Gesetzentwürfe. Und deswegen ist es mir persönlich wichtig, dass Sie diese Rede wenigstens lesen können. Denn eines macht jemandem wie mir, die, wenn man den Umfragen Glauben schenken kann, die Mehrheit der Bevölkerung vertritt, Hoffnung: Am Ende müssen alle diese Gesetzentwürfe – und zwar jeder für sich – eine Mehrheit in diesem Parlament finden. Die aktuelle Rechtslage hat zwar leider keinen Fürsprecher in dieser Debatte; sie steht aber dennoch zur Abstimmung. Sie alle können sich entscheiden, gegen jeden dieser Gesetzentwürfe zu stimmen, und die Gründe dafür will ich Ihnen hier so knapp wie möglich darlegen: Am kürzesten geht dies beim Entwurf des Kollegen Sensburg und andere. Für diesen Entwurf können Sie stimmen, wenn Sie alle Angehörigen, alle Ärzte und alle sonstigen Helfer, die einem zum Suizid entschlossenen Menschen, aus welchen Gründen auch immer und in welcher Form auch immer, darin unterstützen, diesen Weg zu gehen, hinter Schloss und Riegel bringen wollen. Dieser Entwurf hat gegenüber allen anderen den Vorteil, dass er in sich konsequent und widerspruchsfrei ist. In diesem Fall brauchen Sie diese Rede auch nicht weiterzulesen. Der Entwurf von Brand, Griese und anderen will die geschäftsmäßige, das heißt jede organisierte Form der Sterbehilfe, unter Strafe stellen. Das bedeutet im Ergebnis, dass nur Personen im Einzelfall, wie beispielsweise Angehörige, die Hilfeleistung erbringen dürfen, ohne mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren rechnen zu müssen. Vereine sind ebenso strafbar wie Ärzte, auch wenn die Unterzeichner des Entwurfs das teilweise bestreiten. Jeder Arzt handelt im Hinblick auf seine Patienten immer geschäftsmäßig im Rahmen seiner Berufsausübung und würde sich damit immer – und zwar auch schon durch eine ergebnisoffene Beratung – einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aussetzen. Der erbwillige Neffe dagegen, der seiner reichen Großtante Mut zuspricht, doch endlich diesen letzten Weg zu gehen, wäre nach diesem Entwurf der Einzige, der von jedem Straftatverdacht befreit wäre. Wer also Ärzten und Vereinen jede Tätigkeit im Zusammenhang mit Sterbehilfe untersagen will, kann für diesen Entwurf stimmen und kann jetzt aufhören zu lesen. Als Nächstes hätten wir den Gesetzentwurf mit der Überschrift: „Gesetz über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“ von Künast & Co. Dieser Entwurf enthält leider entgegen der Überschrift zwei neue Straftatbestände, womit bereits die erste Widersprüchlichkeit offenbar wird. Danach riskiert jeder, der gewerbsmäßige Sterbehilfe leistet, bis zu drei Jahren Gefängnis, ebenso wie jeder, der einem Suizidwilligen ein tödliches Mittel verschafft. Gewerbsmäßig ist alles, was zur Erzielung von regelmäßigen Einkünften erfolgt. Jede Ärztin und jeder Arzt trifft auf seine Patienten im Rahmen seiner Berufsausübung. Diesen Beruf üben Ärzte nicht ehrenamtlich aus, sondern zur Erzielung von Einkünften. Es kommt mithin nicht darauf an, ob für die ergebnisoffene Beratung oder Hilfeleistung für einen Suizidwilligen ein eigener Gebührentatbestand abgerechnet werden kann. Auch wenn keine gesonderte Gebühr anfällt, handeln die Ärzte selbstverständlich immer im Rahmen ihrer Berufstätigkeit, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Die weiteren Regelungen in diesem Entwurf, die den ärztlich assistierten Suizid näher regeln, sind daher in sich völlig widersprüchlich. Aus anwaltlicher Sicht kann keinem Arzt empfohlen werden, sich in Anbetracht einer solch widersprüchlichen Rechtslage der Gefahr eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens auszusetzen. Für die nichtärztlichen Sterbehelfer wäre die Lage bei diesem Gesetz noch viel gefährlicher. Sie müssten unverzüglich einen Arzt hinzuziehen, bevor sie sich auf ein Gespräch mit einem suizidwilligen Patienten einlassen. Alles andere würde den Staatsanwalt auf den Plan rufen. Wenn Sie bis hierhin gelesen haben, lohnt sich der Rest auch noch. Denn ganz zuletzt gibt es den scheinbar liberalen Gesetzentwurf von Hintze, Reimann und anderen. Danach soll eine Gesetzesänderung im Vierten Buch des BGB – Familienrecht – klarstellen, dass die Ärztekammern ihren Mitgliedern die Sterbehilfe unter bestimmten Umständen nicht berufsrechtlich untersagen können sollen. Rein formal stellt sich dabei schon das Problem, dass wir als Bundesgesetzgeber leider keine Gesetzgebungskompetenz in dem Bereich des ärztlichen Berufsrechts haben. Und selbst wenn wir sie hätten, wäre das BGB sicherlich nicht der richtige Ort, dieses zu regeln. Aber auch inhaltlich müssen wir feststellen, dass zum einen die Voraussetzungen dieser ärztlichen Sterbehilfe auffallend eng und dabei auch noch unbestimmt gefasst sind. Wer soll denn die „Wahrscheinlichkeit des Todes“ medizinisch feststellen? Zum anderen können wir der Gesetzesbegründung außerdem entnehmen, dass ganz bewusst nur und ausschließlich die Ärzte vor Sanktionen geschützt werden sollen. Die Verfasser dieses Entwurfs wollen ausdrücklich keine Sterbehilfevereine zulassen und stellen implizit in Aussicht, dass ihr Gesetzentwurf doch durchaus mit anderen Entwürfen, die weitere Verbote enthalten, kombiniert werden könne. Die Flexibilität ist in der Tat vorhanden. Man müsste entscheiden, ob man diese Restriktionen mittragen will. Wer sich am Ende entscheidet, gegen all diese Entwürfe zu stimmen, verteidigt damit die aktuelle Rechtslage, die auch im internationalen Bereich nicht die schlechteste ist. Die Tötung auf Verlangen – aktive Sterbehilfe –, wie sie in Belgien und den Niederlanden teilweise praktiziert wird, ist und bleibt eine Straftat nach deutschem Recht, und das halte ich auch für richtig. Wer die Grenzen zur Tatherrschaft überschreitet, wie die Juristen das nennen, wird wegen eines Tötungsdeliktes zur Verantwortung gezogen. Das erfährt auch gerade der Herr Kusch, der den Anlass für diese ganze Debatte gegeben hat. Auch das restriktive Arzneimittelrecht verhindert, dass effektive tödliche Mittel in Deutschland unmittelbar verschrieben werden können. Das ist der eigentliche Grund, warum Menschen zum Suizid in die Schweiz -reisen. Nicht das Strafrecht macht den Unterschied, sondern das Arzneimittelrecht. Ich finde es durchaus überlegenswert, ob nicht auch deutsche Ärzte das entsprechende Mittel nach professioneller Prüfung verschreiben können sollten. Aber das steht hier heute nicht zur Debatte. Menschen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, mit dem Gedanken tragen, ihr Leben selbst zu beenden, sollten uneingeschränkt Zugang zu ergebnisoffener Beratung und Unterstützung haben. Auf diesem Wege können sie möglicherweise auch wieder von ihrem Vorhaben Abstand nehmen. Ob diese Menschen sich ihren Angehörigen oder dem Arzt ihres Vertrauens zuwenden oder aber einem unabhängigen Sterbehilfeverein, sollte ihre Entscheidung bleiben und nicht vom Gesetzgeber vorgeschrieben werden. Müssten die Ärzte oder Vereine im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit Sorgen haben, sich strafbar zu machen, würde den Betroffenen dieser Weg versperrt und sie würden andere Wege finden – im Zweifel grausamere Wege. Selbst die ärztliche, ergebnisoffene Beratung an sich kann unter den Rechtsbegriff der Beihilfe fallen. Auch die gewerbsmäßige Hilfeleistung muss daher im Sinne der Betroffenen straffrei bleiben. Unseriöse Angebote verhindert man am besten durch Sicherstellung professioneller Angebote und nicht durch die strafrechtliche Ahndung derselben. Deswegen plädiere ich dafür, gegen alle vorgelegten Gesetzentwürfe zu stimmen. Vielen Dank, dass Sie diese Rede bis zum Ende gelesen haben. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Freiheit ist in unserer Gesellschaft einer der höchsten Werte. Selbstbestimmung, die Möglichkeit, frei entscheiden zu können, zwischen Alternativen wählen zu können, ist in nahezu allen Lebensbereichen heute fast selbstverständlich. Unser Grundgesetz hat Entscheidungsfreiheiten festgelegt, andere wurden von mutigen Frauen und Männern in Parlament und Gesellschaft erkämpft. Am Ende des Lebens ändert sich das. Wir dürfen nicht frei entscheiden, wann und wie wir sterben wollen. Viele Menschen müssen durch eine manchmal lange Zeit der Qualen und der immer größeren Abhängigkeit bis zum bitteren Ende durchhalten. Für tief religiöse Menschen mag das richtig sein. Von Menschen, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, kann es als absolut sinnlos empfunden werden. Nach derzeitiger Rechtslage ist die aktive Sterbehilfe unter Strafe gestellt, die passive Sterbehilfe und die Beihilfe zum Suizid dagegen nicht. Trotzdem kann es in der Realität für einen sterbewilligen Menschen schwer bis unmöglich sein, Hilfe zu bekommen. Er hat kein verbrieftes Recht auf die Hilfe, er kann nur darum bitten. Den Weg zu einem Sterbehilfeverein kennt nicht jeder. Der Bundestag will die Beihilfe zum Suizid nun neu regeln. Es gibt vier Gruppenanträge. In der Tendenz geht es aber leider nicht darum, mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen, sondern darum, Sterbehilfe restriktiver zu regeln: Der Antrag der CDU-Politiker Sensburg und Dörflinger will Beihilfe zum Suizid ohne Ausnahme strafrechtlich bewehrt verbieten. Der fraktionsübergreifende Antrag der Gruppe Griese/Brand/Terpe/Vogler will lediglich „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe unter Strafe stellen – gemeint sind Sterbevereine. Es stellt sich aber die Frage, ob nicht auch ein Arzt dem Patienten gegenüber grundsätzlich geschäftsmäßig handelt, da er für seine Tätigkeit ja bezahlt wird. Die schon heute ungeklärte Situation eines Arztes, der seinem Patienten ein Mittel überlässt, mit dem dieser sich auf eigenen Wunsch töten kann, verschärft sich also. Den Arzt als Helfer, auch beim Wunsch nach Suizid, wollen Hintze und Lauterbach dagegen mit ihrem Antrag rechtlich absichern. Sie wollen den ärztlich assistierten Suizid im Bürgerlichen Gesetzbuch verankern und damit die in 10 (von 17) Landesärztekammern bestehenden Verbotsvorschriften im ärztlichen Standesrecht überwinden. Der Patient kann die Sterbehilfe vom Arzt allerdings nicht fordern; sie unterliegt der Freiwilligkeit. Und die Beihilfe zum Suizid ist an strenge Bedingungen geknüpft. So muss eine unumkehrbar zum Tode führende Krankheit vorliegen. Aus der Opposition – Künast/Gehring/Sitte – kommt der Antrag, für die Beihilfe zum Suizid eindeutige Bedingungen festzulegen und lediglich die gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung zu verbieten. Auch er wirft die Frage auf, was das Verbot der „gewerbsmäßigen“ Sterbehilfe für den Arzt als Suizidhelfer bedeutet. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages befassen sich mit großer Ernsthaftigkeit mit der Thematik Sterbehilfe. Die Anträge spiegeln unterschiedliche Haltungen dem Thema Sterben und Tod gegenüber wider. Ich finde mich in keinem der Anträge bisher wieder. Die komplexe Gesamtlage, in der der Deutsche Bundestag zu einer Entscheidung kommen muss, ist mir bewusst. Da ist die Sorge, alte, kranke Menschen könnten subtil zur Inanspruchnahme von Sterbehilfe gedrängt werden. Oder es könnte nach außen so aussehen, dass das Land, das in seiner dunklen Geschichte neben vielen anderen Verbrechen auch Verbrechen im Namen der Euthanasie beging, die Lehre aus diesen Verbrechen anfange zu vergessen. Da sind die Ärzte, deren erster Auftrag ist, Leben zu erhalten, und die zu nicht unbeträchtlichen Teilen Suizidbeihilfe ablehnen. Und doch steht der Mensch mit seinem Recht auf Selbstbestimmung für mich im Zentrum. Der Mensch, den wir mit unserem politischen Bemühen um beste gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu einem mündigen, selbstbewussten, entscheidungsfähigen Individuum aufwachsen lassen wollen. Das Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens kommt mir in allen Anträgen noch zu kurz. Eine Bedingung für das Recht auf Beihilfe zum Suizid kann für mich nicht das Leiden an einer unweigerlich zum Tode führenden Krankheit sein. Wenn Menschen ihr Dasein für sich als entwürdigend empfinden, weil sie schmerzgequält, entstellt und/oder vollkommen abhängig sind, dann müssen sie das Recht haben, zu gehen. Und wenn sie dazu Hilfe benötigen, müssen Sie diese Hilfe bekommen. Mir ist bewusst, wie schwer die Verhinderung von Missbrauch ist und dass aktive Sterbehilfe in unserer Gesellschaft ein Tabu ist. Und doch ist mein Anspruch an uns als den Deutschen Bundestag, dem Menschen an seinem Lebensende Selbstbestimmung zu ermöglichen. Niemand hat das Recht, zu definieren, was die Würde eines anderen Menschen ausmacht. Das kann jeder Mensch nur für sich selbst. Den Anspruch auf Selbstbestimmung erfüllt keiner der vorliegenden Anträge. Deshalb bin ich zu diesem Zeitpunkt der Debatte der Meinung, es sei besser, keinen der Anträge zu beschließen, um uns die Chance auf eine vielleicht bessere Lösung zu lassen – das mag sich aber bis November noch ändern. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kersten Steinke, Dr. Dietmar Bartsch, Matthias W. Birkwald, Kerstin Kassner, Cornelia Möhring und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu den Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 215 und 217 zu Petitionen (Drucksachen 18/5394, 18/5396) (Zusatztagesordnungspunkte 4 g und 4 i) Dem ablehnenden Abschluss aller folgenden Petitionen können wir nicht zustimmen, da diese Ungerechtigkeiten, die mit der Rentenüberleitung 1991 ins bundesdeutsche Recht entstanden sind, besser heute als nie hätten beseitigt werden sollen. Viele der Betroffenen in den neuen Bundesländern sehen heute genauer, wie anders, wie finanziell besser doch Personen mit gleichen Erwerbsbiografien oder ähnlichen Lebenswegen in den alten Bundesländern ihren Lebensabend verbringen können. Gerade die Geschiedenen hätten eine Lösung benötigt. Nach einer oft aufopferungsvollen Lebensphase für die Versorgung der Familie, damit der Mann ungestört seinen beruflichen Aufgaben nachgehen konnte, stehen fast alle ohne Versorgungsausgleich da. In der DDR hatten sie über eine Mindestrente einen gewissen Schutz, heute zählt nur, was aus eigener Erwerbstätigkeit an Ansprüchen entstanden ist. Das ist häufig sehr wenig und die – zumeist – Frauen sind auf Grundsicherung im Alter angewiesen – für fast alle eine entwürdigende Situation. Diese Probleme, die sich aus dem Wechsel der Sicherungssysteme, Renten- und Familienrecht, ergeben, wurden im Einigungsprozess vollständig übersehen. Es ist unerträglich, dass die Bundesregierung diesen Fakt als Argument dafür nutzt, eine Lösung des Problems nicht anzugehen. Die Professorinnen und Professoren wurden bei der Rentenüberleitung 1991 zwar mit einem gesonderten Gesetz, dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, AAÜG, behandelt, doch das Ergebnis ist unbefriedigend: Sie wurden alle in die gesetzliche Rentenversicherung überführt. Als Kronzeuge muss hier der Einigungsvertrag herhalten, der besagt, dass auch diese Versorgung in die GRV zu überführen ist. Vergessen wird immer der nachfolgende Halbsatz, der besagt, dass dabei keine Besserstellung gegenüber vergleichbaren öffentlichen Versorgungssystemen erfolgen darf. Dieser Nachsatz war dem Umstand geschuldet, dass das 1. Rentenangleichungsgesetz der letzten Volkskammer vom Juni 1990 vorgesehen hatte, dass in einem 2. Angleichungsgesetz diese Personengruppe so gestellt werden sollte, als hätten sie über das gesamte Einkommen entsprechende Beiträge gezahlt. Das war übrigens bei vielen der Zusatz- und Sonderversorgungssystemen auch tatsächlich der Fall. Durch die Dynamik des Einigungsprozesses im Sommer 1990 ist es zu dieser Gesetzgebung nicht mehr gekommen. Und gerade deshalb hätte dieser Halbsatz des Einigungsvertrages für eine Korrektur der Gesetzgebung von 1991 heutzutage wieder aufgegriffen werden müssen. Die Sammelpetition von rund 75 Tausend Petenten, die sich dagegen wehren, dass bei bestimmten in den Führungsebenen der DDR Beschäftigten bzw. denen, die beim MfS beschäftigt waren, noch immer in die Rentenformel eingegriffen wird, einfach mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts abzutun, zeugt nur von nicht vorhandenem Willen, etwas für diese Betroffenengruppen zu tun. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem zitierten Urteil von 1999 festgestellt, dass das durchschnittliche Einkommen der Bevölkerung keinesfalls unterschritten werden darf, was bis dahin mit der Anerkennung von 70 Prozent geschah. Im Umkehrschluss ließe die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts aber auch zu, höhere Einkommensanteile als den Durchschnitt für die Rente anzuerkennen. Müssen wir uns denn mit der neuen, derzeit anhängigen Beschwerde wieder erst vom Bundesverfassungsgericht die Richtung zeigen lassen, wie Unrecht zu beseitigen und die Wertneutralität des Rentenrechts endlich herzustellen ist? Einzig schwierig zu erfüllen ist die Petition, die begehrt, die Jahresendprämie auch ohne handfesten Nachweis anzuerkennen. Das würde den Bundestag als Gesetzgeber aber nicht daran hindern, endlich dafür zu sorgen, dass auch bei normalen Renten und nicht nur bei solchen, die aus den vormaligen Zusatzversorgungssystemen entstanden sind, nachweisbare Zahlungen an Jahresendprämien und sonstigen einmaligen Zulagen, die es bei Polizei, Zoll und Armee gab, als rentenwirksame Leistungen anerkannt werden. Sozial untragbar ist auch, für diejenigen, die verantwortungsvolle und schwere Tätigkeiten im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR verrichteten, den Vertrauensschutz nicht zu wahren. Ja, die DDR-Regelung für diese Personen, in der Rente einen Hochwertungsfaktor zu gewähren, war ein Wechsel auf die Zukunft. Doch was können diese, zumeist Frauen dafür, dass ihr Lebensabend in einem anderen Rechtssystem stattfindet? Hier eine angemessene Lösung zu suchen, zeugte von Humanität unseres Handelns. Warum konnte der Petitionsausschuss nicht dem Geist des zitieren Urteils des Bundessozialgerichts folgen und bei der Altersversorgung der technischen Intelligenz die Instrumentalisierung von Versorgungszusagen zu DDR-Zeiten auch für politische Zwecke korrigieren. Das brächte nur die Anerkennung des damals erzielten Einkommens bis zur Beitragsbemessungsgrenze, die vielen der Betroffenen aber eine einigermaßen anständige Rente bringen würde und nicht eine, die nach geltender Rechtslage über fast 20 Jahre – von 1972 bis 1991 – nicht einmal auf einem Entgeltpunkt basiert. Gerade für diejenigen, die derzeit erst in Rente gehen, die folglich nach der Einheit fachlich anerkannt mit Kollegen aus den Altbundesländern gearbeitet haben, ist die derzeitige rentenrechtliche Bewertung der DDR-Zeit demütigend. Generell sollten wir endlich den Schritt gehen und in der DDR gelebtes Leben anerkennen. Mit Nichtstun wird kein sozialer Friede zwischen Ost und West hergestellt werden. 25 Jahre deutsche Einheit wären ein guter Anlass gewesen, hier endlich zu handeln. Der negative Abschluss aller Petitionen stellt eine vertane Chance dar. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Wahlvorschlag auf Drucksache 18/5365 (Tagesordnungspunkt 7) Da die Zusammensetzung des Stiftungsrates nicht repräsentativ für die Gesellschaft ist und beispielsweise die Opposition gar nicht repräsentiert wird, stimme ich mit Nein. Dies ist keine Aussage über die vorgeschlagenen Personen und Wahlvorschläge. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marco Bülow, Dr. Lars Castellucci, Christina Kampmann, Kirsten Lühmann, Andreas Rimkus, Gülistan Yüksel (alle SPD) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) Erstens. In den Verhandlungen haben wir ursprünglich ebenfalls eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Vorbild des Bundesrates gefordert. Als Kompromiss mit der Union konnten wir nur einen klarstellenden Duldungsgrund durchsetzen. Wenngleich wir mehr wollten, glauben wir, dass auch damit ein Fortschritt erreicht ist: Wir haben eine gesetzliche Klarstellung bewirkt, wonach die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung für Jugendliche und Heranwachsende ausdrücklich als Duldungsgrund gelten kann. Das gibt Rechtssicherheit. Arbeitgeber wissen, dass ihr Auszubildender nicht abgeschoben wird, wenn sie einem Geduldeten oder einem Asylbewerber mit offenem Verfahrensausgang einen Ausbildungsvertrag geben. Der junge Asylbewerber oder Geduldete weiß, dass er die Ausbildung sicher beenden kann. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Außerdem enthält die Neuregelung keine zwingende Beschränkung auf Personen unter 21, wie es der Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/5423) suggeriert. Richtig ist, dass die Norm insbesondere auf Personen dieser Altersgruppe zielt. Die Formulierung „insbesondere“ und der lediglich klarstellende Charakter der Neuregelung eröffnen aber die Möglichkeit, in atypischen Einzelfällen auch in anderen Fällen einen dringenden persönlichen Grund anzunehmen, der die Duldung begründet. Im Übrigen ist sie auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres anwendbar, wenn die Ausbildung vor dem 21. Lebensjahr begonnen wurde. Zweitens. Der Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/5424) ist auf die Abschaffung des viertägigen Ausreisegewahrsams gerichtet. Wir hätten ihn auch lieber vermieden. Aber ohne diesen hätte die Union das Gesetz als Ganzes nicht mitgetragen. Im Rahmen eines Gesamtkompromisses, der auch viele für uns positive Regelungen enthält, haben wir uns bereit erklärt, die Einführung dieses Rechtsinstituts zu akzeptieren. Im Übrigen ist die Behauptung im Antrag nicht zutreffend, wonach Haft „ohne Vorliegen eines Haftgrundes verhängt werden können soll“. Auch hier ist es nach § 62 b Absatz 1 Nummer 2 des Entwurfs erforderlich, dass der Ausländer „ein Verhalten gezeigt hat, das erwarten lässt, dass er die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird, indem er fortgesetzt seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten verletzt hat oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht hat“. Drittens. Der Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/5424) zielt darauf, das Spracherfordernis vor Einreise beim Ehegattennachzug abzuschaffen. Wir haben auf Drängen der Union bei den Sprachkenntnissen vor Einreise beim Ehegattennachzug die Aufnahme einer Härtefallregelung ins Gesetz akzeptiert. Wir hätten die Regelung lieber ganz abgeschafft. Das war aber gegenüber der Union erwartungsgemäß nicht durchsetzbar. Zumindest können nun Härten im Einzelfall berücksichtigt werden. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Hilde Mattheis (beide SPD) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) In den Verhandlungen haben wir ursprünglich ebenfalls eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Vorbild des Bundesrates gefordert. Als Kompromiss mit der Union konnten wir nur einen klarstellenden Duldungsgrund durchsetzen. Wenngleich wir mehr wollten, glauben wir, dass auch damit ein Fortschritt erreicht ist: Wir haben eine gesetzliche Klarstellung bewirkt, wonach die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung für Jugendliche und Heranwachsende ausdrücklich als Duldungsgrund gelten kann. Das gibt Rechtssicherheit. Arbeitgeber wissen, dass ihr Auszubildender nicht abgeschoben wird, wenn sie einem Geduldeten oder einem Asylbewerber mit offenem Verfahrensausgang einen Ausbildungsvertrag geben. Der junge Asylbewerber oder Geduldete weiß, dass er die Ausbildung sicher beenden kann. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Außerdem enthält die Neuregelung keine zwingende Beschränkung auf Personen unter 21, wie es der Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/5423) suggeriert. Richtig ist, dass die Norm „insbesondere“ auf Personen dieser Altersgruppe zielt. Die Formulierung „insbesondere" und der lediglich klarstellende Charakter der Neuregelung eröffnen aber die Möglichkeit, in atypischen Einzelfällen auch in anderen Fällen einen dringenden persönlichen Grund anzunehmen, der die Duldung begründet. Im Übrigen ist sie auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres anwendbar, wenn die Ausbildung vor dem 21. Lebensjahr begonnen wurde. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Mindrup und Mechthild Rawert (beide SPD) zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) Die Zahl von Flüchtlingen, die in der europäischen Staatengemeinschaft und in Deutschland Schutz suchen, steigt. Die SPD steht uneingeschränkt zum Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte und den Regelungen des Flüchtlingsschutzes. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten eine Teilhabe am Leben in unserer Gesellschaft ermöglichen, wollen allen Flüchtlingen so früh wie möglich den barrierefreien Zugang zu Arbeit und Beschäftigung, zu Sprachkursen und Bildungsange-boten, einschließlich der beruflichen Bildung, eröffnen. Wir gehen den Weg weiter, der von negativen und de-fizitorientierten Ansätzen wegführt hin zu Wertschätzung und Anerkennung von gesellschaftlicher Vielfalt und zu den Potenzialen, Chancen und Ressourcen von Einwanderung. Wir wollen eine gesellschaftliche Willkommenskultur nachhaltig etablieren. Wir wollen das erneute Entstehen von Rassismus bekämpfen. Voraussetzung ist, dass die Bevölkerung unseren Weg weiterhin so unterstützt, wie dies derzeit in unzähligen Hilfsangeboten und Initiativen aus der Zivilgesellschaft geschieht. Schon im Vorfeld der Mitgliederabstimmung zum Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD 2013 haben wir festgestellt, dass der Koalitionsvertrag viel Licht und viel Schatten enthält – und zwar in nahezu jedem einzelnen Politikbereich. Dennoch waren und sind wir überzeugt: Die SPD hat hart und gut verhandelt. Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung: Am 2. Juli 2015 haben wir im Deutschen Bundestag den Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung – Drucksachen 18/4097, 18/4199 – in 2. und 3. Lesung beschlossen. Auch dieser Gesetzentwurf -enthält Licht und Schatten, er ist ein „klassischer Kompromiss“ der Großen Koalition. Ohne Hinnahme von Verschärfung repressiver Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung sind die Verbesserungen beim Bleiberecht zu unserem sehr großen Leidwesen nicht durchsetzbar gewesen. Mit diesem Gesetz werden wichtige humanitäre Vorhaben aus dem SPD-Regierungsprogramm und dem -Koalitionsvertrag umgesetzt. Vor allem schaffen wir endlich ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht für langjährig Geduldete bei nachhaltiger Integration. Dieses Ziel haben wir zusammen mit vielen gesellschaftlichen Kräften, wie Kirchen, Flüchtlingsorganisationen und den Gewerkschaften, seit Beginn der Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz vor über einem Jahrzehnt kontinuierlich verfolgt. Die im Gesetz getroffenen Regelungen zum Bleiberecht werden von Pro Asyl oder dem -UNHCR begrüßt. Wir unterstützen die wegweisenden Verbesserungen beim Bleiberecht. Sie tragen dazu bei, den nötigen Paradigmenwechsel zu schaffen, weg vom alten ordnungs-politischen Repressionsdenken hin zu einer Willkommenskultur, in der geflüchtete Menschen hier bleiben können und sollen. Die durchgesetzten Verbesserungen des Bleiberechts ergänzen insofern die bisherigen Erfolge der SPD: die Abschaffung der Residenzpflicht, die Abschaffung des Sachleistungsprinzips und die Eröffnung erleichterter Arbeitsaufnahme. Verbesserungen beim Bleiberecht: Einführung einer allgemeinen alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung für langjährige Geduldete bei nachhaltiger Integration (neuer §25b). Erweitertes Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche (§25a und §60a). Verbesserungen für Resettlement-Flüchtlinge. Verbesserungen für Opfer von Menschenhandel . Schaffung einer neuen Aufenthaltserlaubnis zur Anerkennung eines ausländischen Abschlusses. Verfestigung humanitärer Aufenthaltstitel. Nach Angaben von Pro Asyl leben mehr als 75 000 Menschen seit sechs Jahren oder länger ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland. Das sind mehr als 75 000 Menschen, die seit Jahren gezwungen sind, ein Leben auf Abruf zu führen. Eine Rückkehr in ihr Herkunftsland ist für die allermeisten von ihnen undenkbar, und in Deutschland sind sie nur befristet geduldet. Immer wieder droht ihnen die Abschiebung. Sie alle können ihre Zukunft nicht gestalten, weil sie in Deutschland keine sichere Lebensperspektive haben. Bleiberecht bei nachhaltiger Integration: Mit dem erweiterten Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche schaffen wir eine deutliche Verbesserung. Für junge Flüchtlinge bis zum 21. Lebensjahr genügt nunmehr ein vierjähriger Voraufenthalt. Die SPD hat sich dafür eingesetzt, dass die im Referentenentwurf vorgesehene Altersgrenze bei 27 Jahren bleibt, um auch den 17-jährigen Minderjährigen die Bleiberechtsperspektive nach vier Jahren zu ermöglichen. Dies war mit der CDU/CSU -leider nicht möglich. Dafür konnten wir im Laufe der Verhandlungen durchsetzen, dass Ausbildung ausdrücklich als Duldungsgrund verankert wird. Dies schafft Rechtssicherheit auch für Arbeitgeber und wird zu mehr Ausbildungsstellen für Menschen mit offenem Verfahrensausgang führen. Voraussetzung für die Bleiberechtsregelung ist für Alleinstehende ein mindestens achtjähriger Voraufenthalt. Für Eltern minderjähriger Kinder reichen sechs Jahre. Dabei haben wir durchgesetzt, dass die Betroffenen keine volle Lebensunterhaltssicherung nachweisen müssen, wie sie im Aufenthaltsrecht sonst üblich ist, sondern nur eine überwiegende. Das betrifft insbesondere Antragsteller, die im Niedriglohnsektor tätig und auf aufstockende SGB-II-Leistungen angewiesen sind. Auch diese bekommen jetzt eine dauerhafte Perspektive in unserem Land. Ergänzend schaffen wir eine noch günstigere Regelung für Jugendliche und Heranwachsende bis zum 21. Lebensjahr. Hier reicht ein vierjähriger Voraufenthalt. Aufenthalt während der Berufsausbildung: Wir haben eine gesetzliche Klarstellung bewirkt, wonach die -Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung für -Jugendliche und Heranwachsende ausdrücklich als -Duldungsgrund gelten kann. Das gibt Rechtssicherheit. Arbeitgeber wissen, dass ihre Auszubildenden nicht abgeschoben werden, wenn sie einem Geduldeten oder Asylsuchenden mit offenem Verfahrensausgang einen Ausbildungsvertrag geben. Die jungen Asylsuchenden und Geduldeten wissen nun, dass sie die Ausbildung sicher beenden können. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Resettlement-Verfahren: Es wird, wie auf unser Drängen im Koalitionsvertrag verankert, eine Rechtsgrundlage für das Resettlement-Verfahren geschaffen. Das ist die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus dem Ausland. Sie werden beim Familiennachzug und dem schnelleren Zugang zur Niederlassungserlaubnis – unbefristetes Aufenthaltsrecht – nach nur drei Jahren mit Asylberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gleichgestellt und sind außerdem BAföG-berechtigt. Familiennachzug für subsidiär Geschützte: Subsidiär Geschützte (EU) sind Personen, die von Menschenrechtsverletzungen bedroht sind, ohne dass ein Diskriminierungsgrund wie bei Asylberechtigung oder Genfer Flüchtlingskonvention vorliegt. Sie unterlagen beim -Familiennachzug bisher einer sehr restriktiven Ausnahmeregelung. Nun werden sie Asylberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gleichgestellt. Das ist ein bedeutender menschenrechtlicher Fortschritt für Zehntausende hier lebende Menschen. Schutz für Opfer von Menschenhandel: Der Entwurf enthält Verbesserungen für Opfer von Menschenhandel. Die Aufenthaltserlaubnis soll künftig erteilt werden. Zuvor war dies nur eine Kannregelung, die im reinen Ermessen der Behörde stand. Statt auf sechs Monate soll sie künftig auf ein bis zwei Jahre befristet werden. Familiennachzug ist möglich. Es besteht ein erhöhter Ausweisungsschutz. Bei Verlängerung des Aufenthaltstitels nach einem Strafverfahren besteht Anspruch auf einen Integrationskurs. Dies alles verbessert die Situation der Opfer in erheblichem Umfang. Niederlassungserlaubnis bei humanitären Aufenthaltstiteln: Bei humanitären Aufenthaltstiteln, die nicht Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder subsidiärer Schutz sind, wird die bisherige Schlechterstellung bei der Niederlassungserlaubnis – also dem unbefristeten Aufenthaltsrecht – aufgehoben, zum Beispiel für Begünstigte der Bleiberechtsregelung. Die Wartefrist wird von bisher sieben Jahren auf die für andere Titel geltenden fünf Jahre abgesenkt. Anerkennung ausländischer Abschlüsse: Es wird eine neue Aufenthaltserlaubnis zur Durchführung einer -Anpassungsqualifizierung zwecks Anerkennung eines ausländischen Abschlusses geschaffen. Neuregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung: Die Verschärfungen der repressiven Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung machen mir die Zustimmung zum Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung sehr schwer. Die Kritik von Flüchtlingsorganisationen, Verbänden und des SPD--Landesverbandes Berlin an diesem Teil des Gesetzes ist berechtigt – obwohl anzuerkennen ist, dass es der SPD-Bundestagsfraktion gelungen ist, im parlamentarischen Verfahren den Repressionscharakter einiger Regelungen zu entschärfen. Neuregelung der Abschiebungshaft: Die Neuregelung der Abschiebungshaft hat viel Kritik erfahren. NGOs und Verbände fürchten eine Ausweitung der Inhaftierung. Ich hätte mir eine andere Reglung gewünscht. -Allerdings kodifiziert die Neuregelung bisheriges Richterrecht und stellt damit keine Verschärfung der bisherigen Praxis dar. Einen Automatismus zur Inhaftnahme gibt es nicht, es muss stets eine Einzelfallprüfung erfolgen. Um hier Verbesserungen für die Geflüchteten zu erreichen, haben wir der CDU/CSU eine erhöhte Darlegungs- und Begründungslast für die Behörden abgerungen. Somit soll sichergestellt werden, dass die Inhaftnahme wegen Fluchtgefahr auch weiterhin nur in Einzelfällen erfolgt. Die schon jetzt als Anhaltspunkt für Fluchtgefahr gewertete Zahlung von Geldbeträgen an Schleuser wurde durch unsere Intervention insofern gegenüber der geltenden Rechtslage entschärft, als nunmehr nur „erhebliche“ Geldbeträge in Betracht kommen. Ich vertrete auch weiterhin die Position, dass den Menschen auf der Flucht legale Einreisewege eröffnet werden müssen. Dies sollte in gesonderten Gesetz-gebungsverfahren eingeleitet werden, um die Regelung von Anhaltspunkten der Fluchtgefahr auf diejenigen zu begrenzen, die trotzdem illegale Einreisewege nutzen. Klarstellung bei der Dublin-Haft: Europarechtlich sind wir verpflichtet, Anhaltspunkte für Fluchtgefahr auch für Rücküberstellungen nach der Dublin-III-Verordnung gesetzlich zu bestimmen. Das tun wir mit dem Gesetzentwurf. In diesen Fällen reicht aber keine einfache Fluchtgefahr. Der Richter muss eine erhebliche Fluchtgefahr feststellen. Das ist eine besonders hohe Hürde. Diese hohe Hürde war aus dem Regierungsentwurf nicht unmittelbar ersichtlich. Deshalb haben wir einen klarstellenden Verweis auf die VO aufgenommen, die die Erheblichkeit ausdrücklich benennt. Ausreisegewahrsam: Es wird ein viertägiger Ausreisegewahrsam geschaffen. Das ist sehr problematisch. In den Verhandlungen mit der Union hat sich leider herausgestellt, dass die CDU/CSU ohne diese Regelung das Gesetz als Ganzes nicht mitgetragen hätte. Einreise- und Aufenthaltsverbote: Wir kritisieren die Neueinführung von Einreise- und Aufenthaltsverboten. Der SPD ist es immerhin gelungen, den Anwendungs-bereich der Verbote auf Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten, deren zweiter Asylfolgeantrag abgelehnt wurde, zu begrenzen. Zudem sollen die Verbote bei unverschuldeten Duldungsgründen nicht verhängt und bei Vorliegen der Voraussetzungen für Bleiberecht oder humanitären Aufenthalt aufgehoben werden. Neuordnung des Ausweisungsrechts: Das Ausweisungsrecht wird neu geregelt. Das war wegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes erforderlich. Das Gesetz war längst nicht mehr europarechtskonform. Dabei -werden auf Drängen der Union die Ausweisungsgründe teilweise verschärft. Das war ein Zugeständnis aus dem Koalitionsvertrag. Zugleich werden aber Verbesserungen beim Ausweisungsschutz, unter anderem für Minderjährige und Opfer von Menschenhandel, eingeführt. Zudem ist der Rechtsschutz verbessert: Die Abwägung zwischen Bleibe- und Ausweisungsinteresse ist künftig durch Gerichte in jedem Einzelfall voll überprüfbar. Auslesen von Datenträgern: Datenträger – insbesondere Mobiltelefone und Smartphones – können zur Identitätsfeststellung ausgewertet werden, wie es jetzt schon bei Urkunden möglich ist. Diesen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung halten wir für problematisch. Wir haben, um effektiven Datenschutz zu gewährleisten, für eine bereichsspezifische Löschungsvorschrift für nicht mehr erforderliche Daten gesorgt. Zulassungsfreie Rechtsbeschwerde auch für Behörden: Bei der Abschiebungshaft wollte die Union die -zulassungsfreie Rechtsbeschwerde der Betroffenen in Abschiebungshaftsachen abschaffen. Wir haben uns gegen diese Verschlechterung des Rechtsschutzes gewehrt. Stattdessen haben wir akzeptiert, dass die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde auch für die Behörde zugelassen wird. Härtefallregelung für Sprachkenntnisse beim Ehegattennachzug: Auf Drängen der Union haben wir bei den Sprachkenntnissen vor Einreise beim Ehegattennachzug die Aufnahme einer Härtefallregelung ins Gesetz akzeptiert. Wir hätten die Regelung lieber ganz abgeschafft. Das war aber gegenüber der Union erwartungsgemäß nicht durchsetzbar. Zumindest können nun Härten im Einzelfall berücksichtigt werden. Wie bereits ausgeführt, enthält der Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung viel Licht und viel Schatten. Nach sorg-fältiger Abwägung überwiegen aus unserer Sicht die -erreichten Verbesserungen beim Bleiberecht die Verschärfungen von repressiven Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung. Deswegen stimmen wir dem Gesetz zu und lehnen die oben genannten Anträge ab. Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) Bärbel Bas (SPD): Ich werde dem Gesetzentwurf zustimmen, weil mit diesem Gesetz substanzielle Verbesserungen für die Betroffenen geschaffen werden. Mit einem Bleiberecht für langjährig Geduldete begegnen wir der langjährigen Praxis der Kettenduldung. Viele Geduldete bekommen nun endlich eine Perspektive in Deutschland. Voraussetzung für die Bleiberechtsregelung ist für Alleinstehende ein mindestens achtjähriger Voraufenthalt. Für Eltern minderjähriger Kinder reichen sechs Jahre. Dabei hat die SPD-Bundestagsfraktion durchgesetzt, dass die Betroffenen keine volle Lebensunterhaltssicherung nachweisen müssen, sondern nur eine überwiegende. Das betrifft insbesondere Antragsteller, die im Niedriglohnsektor tätig und auf aufstockende SGB-II-Leistungen angewiesen sind. Ergänzend schaffen wir eine noch günstigere Regelung für Jugendliche und Heranwachsende bis zum 21. Lebensjahr. Hier reicht ein vierjähriger Voraufenthalt. Außerdem wird eine Rechtsgrundlage für das Resettlement-Verfahren geschaffen, um besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus dem Ausland aufzunehmen. Sie werden beim Familiennachzug und dem schnelleren Zugang zur Niederlassungserlaubnis – unbefristetes Aufenthaltsrecht – nach nur drei Jahren mit Asylberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gleichgestellt und sind außerdem BAföG-berechtigt. Wir geben jungen Asylbewerbern und Geduldeten ebenso wie deren Arbeitgebern Rechtssicherheit. Wir haben eine gesetzliche Klarstellung bewirkt, wonach die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung für Jugendliche und Heranwachsende ausdrücklich als Duldungsgrund gelten kann. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Wir stellen subsidiär Schutzberechtigte endlich beim Familiennachzug mit anderen anerkannten Flüchtlingen gleich. Und wir verbessern die aufenthaltsrechtliche Situation für Opfer von Menschenhandel. Wir setzen bei der Inhaftierung in Dublin-Fällen eine europarechtliche Verpflichtung um: Nach der Verordnung müssen wir Anhaltspunkte für Fluchtgefahr auch für Rücküberstellungen nach der Dublin-III-Verordnung gesetzlich bestimmen. Das tun wir mit dem Gesetzentwurf. In diesen Fällen reicht aber keine einfache Fluchtgefahr. Der Richter muss eine erhebliche Fluchtgefahr feststellen. Diese besonders hohe Hürde haben wir im Gesetzgebungsverfahren noch einmal ausdrücklich klargestellt. Das Ausweisungsrecht wird neu geregelt. Das war wegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes erforderlich. Das Gesetz war längst nicht mehr europarechtskonform. Auf Drängen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurden die Ausweisungsgründe zwar teilweise verschärft. Zugleich werden aber Verbesserungen beim Ausweisungsschutz, unter anderem für Minderjährige und Opfer von Menschenhandel, eingeführt. Zudem ist der Rechtsschutz verbessert: Die Abwägung zwischen Bleibe- und Ausweisungsinteresse ist künftig durch Gerichte in jedem Einzelfall voll überprüfbar. Auch gibt es keine Ausweitung von Abschiebungshaft. Die Rechtsgrundlage bleibt unverändert. Mit fünf der sechs Anhaltspunkte – der sechste ist ein Auffangtatbestand – wird nur das ins Gesetz geschrieben, was die Rechtsprechung seit Jahren urteilt. Das ist keine Ausweitung gegenüber dem Istzustand für die Betroffenen. Und die Neuregelung nennt nur Anhaltspunkte für Fluchtgefahr. Es gibt keinen Automatismus, jeder Einzelfall muss gewürdigt werden. Bei der Abschiebungshaft wollte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die zu-lassungsfreie Rechtsbeschwerde der Betroffenen in Abschiebungshaftsachen abschaffen. Wir haben uns gegen diese Verschlechterung des Rechtsschutzes gewehrt. Stattdessen haben wir akzeptiert, dass die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde auch für die Behörde zugelassen wird. Auf Drängen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben wir bei den Sprachkenntnissen vor Einreise beim Ehegattennachzug die Aufnahme einer Härtefallregelung ins Gesetz akzeptiert. Wir hätten die Regelung lieber ganz abgeschafft. Das war aber gegenüber der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwartungsgemäß nicht durchsetzbar. Zumindest können nun Härten im Einzelfall berücksichtigt werden. Auch wenn wir einige Zugeständnisse an den Koalitionspartner machen mussten, werden mit diesem Gesetzentwurf humanitäre Verbesserungen eingeführt, die viele Menschenrechtsorganisationen seit Jahren fordern. Daher werde ich dem Gesetzentwurf zustimmen und die Änderungsanträge der Grünen sowie den Entschließungsantrag der Linken ablehnen. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Die SPD hat eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Vorschlag des Bundesrates gefordert. Leider war mit der Union nur ein klarstellender Duldungsgrund durchsetzbar. Wenngleich wir auch mehr wollten, bin ich mir sicher, dass auch damit ein großer Fortschritt erreicht ist: Die gesetzliche Klarstellung bewirkt, dass die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung für Jugendliche und Heranwachsende ausdrücklich als Duldungsgrund gelten kann. Das gibt Rechtssicherheit. Arbeitgeber wissen, dass ihr Auszubildender nicht abgeschoben wird, wenn sie einem Geduldeten oder einem Asylbewerber mit offenem Verfahrensausgang einen Ausbildungsvertrag geben. Der junge Asylbewerber oder Geduldete weiß, dass er die Ausbildung sicher beenden kann. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Es wird neu geregelt, dass es keine zwingende Beschränkung auf unter 21-jährige Personen gibt, wie es der Änderungsantrag suggeriert. Richtig ist, dass die Norm „insbesondere“ auf Personen dieser Altersgruppe zielt. Die Formulierung „insbesondere“ und der lediglich klarstellende Charakter der Neuregelung eröffnen aber die Möglichkeit, in atypischen Einzelfällen auch in anderen Fällen einen dringenden persönlichen Grund anzunehmen, der die Duldung begründet. Es wird klargestellt dass die Regelungen auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres anwendbar sind, wenn die Ausbildung vor dem 21. Lebensjahr begonnen wurde. Das schafft Planungssicherheit. Leider war die Abschaffung des viertägigen Ausreisegewahrsams, der de facto unbescholtene Menschen in Haft nimmt, mit dem Koalitionspartner nicht durchsetzbar. Da jedoch dieses Gesetz deutliche Verbesserungen zur augenblicklichen Rechtslage enthält, wäre es für mich unverantwortbar, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern. Dr. Karamba Diaby (SPD): Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen nehme ich für mich das Recht eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 (1) des Grundgesetzes in Anspruch. In Abwägung der getroffenen Verbesserungen und Verschärfungen bei der Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung stimme ich dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht zu. Den oben genannten Änderungsanträgen stimme ich zu. Erstens. Derzeit sind nach Schätzungen des UNHCR 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Dies ist die höchste Zahl, die jemals von UNHCR verzeichnet wurde, und sie wächst weiterhin rasant. In dieser globalen Flüchtlingskrise sehe ich sowohl die Europäische Union als auch die Bundesrepublik Deutschland in der Verantwortung für eine solidarische und humane Asylpolitik. Hierzu erachte ich eine Modernisierung des Asylrechts als erforderlich, im Sinne beispielsweise legaler Wege nach Europa für Asylsuchende und im Sinne einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis in der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland. Hierzu zählen für mich ebenfalls Maßnahmen wie einen Zweckwechsel für Asylsuchende zu ermöglichen. Als Sozialdemokrat lehne ich grundsätzlich Verschärfungen ab, die einer menschenrechtsbasierten Asylpraxis entgegenstehen. Zweitens. In folgenden wesentlichen Punkten sehe ich deutliche Verbesserungen für die Rechtsstellung, der in Deutschland lebenden Asylsuchenden und Einwandernder: a. Es wird eine neue Möglichkeit geschaffen, zum Zwecke der Anerkennung einer ausländischen Qualifikation nach Deutschland einzureisen, für die Dauer von bis zu 18 Monaten. Dies begrüße ich, damit mehr Menschen den Weg nach Deutschland finden können, um hier zu leben und zu arbeiten. b. Bleiberecht bei nachhaltiger Integration – nach diesem Prinzip wird eine deutliche Verbesserung für die Menschen geschaffen, die seit vielen Jahren in Duldungsketten in Deutschland leben. Sie erhalten nun endlich Rechtssicherheit und eine Zukunftsperspektive für Leben hier in Deutschland. Insbesondere die Neureglung für Jugendliche ist aus menschenrechtlicher Sicht zu begrüßen. c. Resettlement-Verfahren – mit der Neuregelung wird das Resettlement-Verfahren endlich endlich gesetzlich verankert, ein guter Schritt im Sinne einer verantwortlichen Asylpolitik. Drittens. Hingegen sind folgende Neuregelungen im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Inhaftierung und Ausweisung für mich aus menschenrechtlichen Erwägungen heraus und aus dem Anspruch heraus, dass Flucht nach Deutschland möglich sein muss, nicht zustimmungsfähig. Insofern finden die oben genannten Änderungsanträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meine Zustimmung. a. Die Neuregelung der Abschiebungshaft kommt einer Verschärfung gleich. Schätzungsweise weniger als einhundert Menschen befanden sich im letzten Jahr in Abschiebungshaft in Deutschland. Davon waren die meisten sogenannte Dublin-Fälle. Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs, BGH, von Juli 2014 wurden jedoch die meisten „Dublin-Fälle“ freigelassen. Die Neuregelung sieht für einreisende Asylsuchende neue Haftgründe vor, die es einfacher machen, Menschen zu inhaftieren, die abgeschoben werden sollen. b. Verschärfung des Ausweisungsrechtes: Es werden neue Einreise- und Aufenthaltsverbote geschaffen. Sie sind aus meiner Sicht ebenfalls kritikwürdig. c. Bleibeperspektive bei Berufsausbildung – hier braucht es eine gesetzliche Klarstellung in Form eines neuen § 25 c, damit Jugendlichen in Berufsausbildung und ihren Ausbildern Rechtssicherheit geboten wird. Und für die Zeit danach gilt schon jetzt: Wer eine Ausbildung beendet, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. d. Die Familienzusammenführung muss menschenrechtlich ausgestaltet werden. Insofern lehne ich unter anderem den Sprachnachweis vor Ehegattennachzug ab. Swen Schulz (Spandau) (SPD): Der Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung enthält Verbesserungen, für die sich viele Engagierte jahrelang eingesetzt haben. Ich begrüße das ausdrücklich. Insbesondere das stichtagsunabhängige Bleiberecht für langjährig Geduldete ist ein wesentlicher Fortschritt. Allerdings enthält das Gesetz auch massive Verschlechterungen, vor allem die Neuregelung der Abschiebungshaft, das neue Ausreisegewahrsam und neue Einreise- und Aufenthaltsverbote. Ich erkenne an, dass in den parlamentarischen Beratungen der Gesetzentwurf der Bundesregierung an -verschiedenen Stellen „entschärft“ wurde. Gleichwohl komme ich in der Abwägung von positiven und negativen Bestandteilen des nun zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurfs zu dem Ergebnis, dass ich nicht zustimmen kann, weil er den Ansprüchen an ein modernes, problemadäquates und humanes Bleiberecht nicht gerecht wird. Frank Schwabe (SPD): Das vorliegende Gesetz enthält für mich nicht nachvollziehbare neue Kriterien für die Abschiebehaft und für den Abschiebegewahrsam. Ich würde gern glauben, dass die Argumente stimmen, dass sich praktisch an der Vollzugspraxis nichts ändern wird, bin davon aber nicht überzeugt. Ich begrüße es sehr, dass mit dem Gesetz zwei neue gesetzliche Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geschaffen werden: die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen nach § 17 a AufenthG und die Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration. Dies sind gute Gesetzesänderungen, die dazu beitragen werden, dass langjährig geduldeten Ausländerinnen und Ausländern ein Bleiberecht erteilt werden kann. Außerdem ermöglicht der Gesetzentwurf es, die berufliche Integration von Ausländerinnen und Ausländern zu fördern. Da ich jedoch einer Gesetzesänderung nicht zustimmen will, bei der auch nur eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass unschuldige Flüchtlinge zusätzlich in Abschiebehaft genommen werden, enthalte ich mich der Stimme. Stefan Schwartze (SPD): Bei der Abstimmung über das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung habe ich mich aus folgenden Gründen enthalten: Ich begrüße sehr, dass mit dem Gesetz zwei neue gesetzliche Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geschaffen werden: die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen nach § 17 a AufenthG und die Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration. Dies sind gute Gesetzesänderungen, die dazu beitragen werden, dass langjährig geduldeten Ausländerinnen und Ausländern ein Bleiberecht erteilt werden kann. -Außerdem ermöglicht es der Gesetzentwurf, die berufliche Integration von Ausländerinnen und Ausländern zu fördern. Allerdings kann ich die nun gesetzlich verankerten Gründe für eine Abschiebehaft und für den Abschiebegewahrsam nicht unterstützen. Insbesondere sehe ich die Gefahr, dass damit der Rechtsschutz der Schutzsuchenden praktisch erheblich eingeschränkt wird. Die Beschleunigung der Asylverfahren führt inzwischen dazu, dass bereits innerhalb weniger Wochen eine rechtskräftige Entscheidung und sehr häufig eine vollziehbare -Abschiebungsentscheidung vorliegt. Eine gründliche rechtliche Prüfung ist praktisch nicht möglich. Die neu formulierten konkreten Anhaltspunkte für eine Abschiebehaft liegen bei den allermeisten Ausländerinnen und Ausländern vor, insbesondere was die -Unterdrückung von Ausweispapieren betrifft. Vielen Ausländern werden während ihrer gefährlichen Reise aus Krisen-, Kriegs- und Hungergebieten die Ausweispapiere sogar abgenommen. Insofern sind potenziell nahezu alle vollziehbar abschiebepflichtigen Ausländer von einer Abschiebehaft bedroht. Rainer Spiering (SPD): Dem vorliegenden Gesetzentwurf kann ich nicht zustimmen und enthalte mich. Trotz der Umsetzung wichtiger, im Rahmen des -Koalitionsvertrages mit der SPD vereinbarter Forderungen, wie etwa der alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete bei nachhaltiger Integration, kann ich diesen Gesetzentwurf nicht mittragen. Die Verabschiedung des Gesetzes würde eine massive Kriminalisierung der Flüchtlinge verursachen und damit eine Beschneidung des aktuell bestehenden Asylrechts darstellen. Besonders kritisch sehe ich die Regelungen bezüglich minderjähriger Geflüchteter, die Ausweitung von Haftgründen sowie die starke Diskriminierung von Schutz-suchenden aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten des Westbalkans. Die deutliche Verschlechterung der weltweiten Menschenrechtslage, insbesondere durch zahlreiche bewaffnete Konflikte in der unmittelbaren europäischen Umgebung, erfordert von Deutschland ein deutliches Bekenntnis zu einer Asylpolitik, die die -Betroffenen im Zentrum sieht. Trotz der humanitären Verbesserungen, die die SPD-Bundestagsfraktion im -Gesetzgebungsverfahren durchsetzen konnte, überwiegen jedoch weiterhin die negativen Auswirkungen des Gesetzes. Sonja Steffen (SPD): Der Deutsche Bundestag stimmt heute über den Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung ab. Bei der Abstimmung habe ich mich aus folgenden Gründen enthalten: Ich begrüße es sehr, dass mit dem Gesetz zwei neue gesetzliche Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geschaffen werden: die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen nach § 17 a AufenthG und die Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration. Dies sind gute Gesetzesänderungen, die dazu beitragen werden, dass langjährig geduldeten Ausländerinnen und Ausländern ein Bleiberecht erteilt werden kann. Außerdem ermöglicht der Gesetzentwurf es, die berufliche Integration von Ausländerinnen und Ausländern zu fördern. Allerdings kann ich die nun gesetzlich verankerten Gründe für eine Abschiebehaft und für den Abschiebegewahrsam nicht unterstützen. Insbesondere sehe ich die Gefahr, dass damit der Rechtsschutz der Schutzsuchenden praktisch erheblich eingeschränkt wird. Die Beschleunigung der Asylverfahren führt inzwischen dazu, dass bereits innerhalb weniger Wochen eine rechtskräftige Entscheidung und sehr häufig eine vollziehbare -Abschiebungsentscheidung vorliegen. Eine gründliche rechtliche Prüfung ist praktisch nicht möglich. Die neu formulierten konkreten Anhaltspunkte für eine Abschiebehaft liegen bei vielen Ausländerinnen und Ausländern vor, insbesondere, was die Unterdrückung von Ausweispapieren betrifft. Manchen Flüchtlingen werden während ihrer gefährlichen Reise aus Krisen-, Kriegs- und Hungergebieten die Ausweispapiere sogar abgenommen. Insofern sind potenziell nahezu alle vollziehbar abschiebepflichtigen Ausländer von einer Abschiebehaft bedroht. Christoph Strässer (SPD): Das vorliegende Gesetz enthält für mich nicht nachvollziehbare neue Kriterien für die Abschiebehaft und für den Abschiebegewahrsam. Ich würde gern glauben, dass die Argumente stimmen, dass sich praktisch an der Vollzugspraxis nichts ändern wird, bin davon aber nicht überzeugt, obwohl ich unserem Berichterstatter, Rüdiger Veit, voll vertraue. Ich begrüße es sehr, dass mit dem Gesetz zwei neue gesetzliche Gründe für die Erteilung einer Aufenthalts-erlaubnis geschaffen werden: die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen nach § 17 a AufenthG und die Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration. Dies sind gute Gesetzesänderungen, die dazu beitragen werden, dass langjährig geduldeten Ausländerinnen und Ausländern ein Bleiberecht erteilt werden kann. -Außerdem ermöglicht der Gesetzentwurf es, die berufliche Integration von Ausländerinnen und Ausländern zu fördern. Da ich jedoch einer Gesetzesänderung nicht zustimmen will, bei der auch nur eine Wahrscheinlichkeit -besteht, dass unschuldige Flüchtlinge zusätzlich in -Abschiebehaft genommen werden, enthalte ich/mich der Stimme. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) Zu dem Entschließungsantrag und teilweise den Änderungsanträgen von Bündnis90/Die Grünen ist keine Zustimmung, sondern nur eine Enthaltung möglich. Die vorgeschlagene Aufenthaltsregelung für geduldete Jugendliche in Ausbildung wurde vom Bundesrat übernommen und enthält unnötige Ausschlussgründe und Anforderungen (etwa zum Niveau von Deutschkenntnissen, ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, eine unbestimmte Ausschlussklausel bei Bezügen zu extremistischen oder terroristischen Organisationen und bei fehlender Mitwirkung bei der eigenen Abschiebung). Die Dauer der Abschiebungshaft von maximal 28 Tagen, wie von den Grünen vorgeschlagen, ist eindeutig zu lang, selbst wenn man dies als einen realpolitischen Vorschlag auf dem Weg zur Abschaffung der Abschiebungshaft, wie sie Die Linke fordert, versteht, wie es die Grünen in der Begründung darlegen. Flüchtlinge sind keine Kriminellen und gehören nicht in Haft. Beim Ausweisungsrecht tragen die Grünen im Ergebnis die Verschärfung mit, wonach künftig bereits ab einer einjährigen Freiheitsstrafe von einem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse ausgegangen werden soll. Das ist abzulehnen. Im Entschließungsantrag zu den Integrationskursen gehen die Forderungen zwar in eine richtige Richtung und werden von der Linken weitgehend geteilt, allerdings wird das derzeitige Integrationskurssystem zu unkritisch dargestellt, es fehlen insbesondere Feststellungen und Forderungen zu Zwangsmitteln und Sanktionen im derzeitigen Integrationskurssystem. So kann der Integrationskursbesuch nach geltendem Recht mit Mitteln des Zwangs durchgesetzt werden, Versäumnisse können zu sozial- und aufenthaltsrechtlichen Sanktionen bis hin zur Aufenthaltsbeendigung und zur kompletten Einstellung sozialer Unterstützungsleistungen führen. Seit Mitte 2011 wird sogar sanktioniert, wenn Betroffene das geforderte Sprachniveau (B1) nicht erreichen – so lange erhalten sie nur eine auf längstens ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis. Diese soziale Diskriminierung und Integration mit Zwangsmitteln ist abzulehnen und fördert bzw. fußt auf irrigen und populistischen Vorurteilen, wonach Einwanderinnen und Einwanderer sich angeblich nicht integrieren wollen. Im Entschließungsantrag wird verschwiegen, dass die Einführung der Integrationskurse in der rot-grünen Regierungszeit im Jahr 2005 zu einer deutlichen Verschlechterung der ohnehin niedrigen Honorare der Lehrkräfte im Sprachkursbereich führte. Wenn es in der Begründung heißt, dass die grüne Bundestagsfraktion „immer wieder“ Anträge für „adäquate Arbeitsbedingungen im Rahmen von Festanstellungen oder auf der Basis angemessener Honorare“ eingebracht habe, ist dies irreführend: So forderten die Grünen noch Ende 2011 in einem Antrag – Bundestagsdrucksache 17/7639 – eine Mindestvergütung in Höhe von nur 24 Euro die Stunde für Lehrkräfte im Integrationskursbereich und wies dabei ausdrücklich damalige Forderungen der Lehrkräfte bzw. der GEW nach einer Mindestvergütung in Höhe von 30 Euro zurück. Die Linke unterstützte hingegen bereits damals eine solche Mindestvergütung in Höhe von 30 Euro; grundsätzlich streben wir jedoch gut bezahlte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse für die Lehrkräfte an, die eine so wichtige und hochqualifizierte Arbeit leisten. In dem Antrag wird der Eindruck erweckt, als sei das deutsche Integrationskurssystem international Maßstäbe setzend, es besitze „auch im Ausland hohe Anerkennung“. Dabei gibt es zum Beispiel in Schweden seit 1970 ein kostenloses Sprachkurssystem für Einwanderinnen und Einwanderer, das an den Vorkenntnissen und dem Bildungsstand der Betroffenen anknüpft und entsprechend individuell angepasste Ziele setzt; die Lehrkräfte erhalten ein angemessenes Gehalt. Im deutschen System wird hingegen im Grundsatz von allen Einwanderinnen und Einwanderern – ausgenommen werden bezeichnenderweise zum Beispiel Hochqualifizierte – dasselbe Sprachniveau (B1) gefordert, und ursprünglich mussten auch alle dieses Ziel in derselben Zeit erreichen (600 Stunden). Trotz einiger Verbesserungen in den letzten Jahren hinsichtlich eines differenzierteren Kursangebots bedarf es grundlegender Änderungen am deutschen Integrationskurssystem, wozu die Linke Vorschläge unterbreiten wird. In der Begründung des Entschließungsantrags heißt es schließlich, dass die Haushaltsmittel für Integrationskurse „auf Druck“ der grünen Bundestagsfraktion erhöht worden seien. Das ist eine groteske Selbstüberschätzung, die man nicht noch durch Zustimmung nähren sollte. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marco Bülow, Dr. Lars Castellucci, Dr. Ute Finckh-Krämer, Christina Kampmann, Kirsten Lühmann, Andreas Rimkus und Gülistan Yüksel (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE zu der dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (Tagesordnungspunkt 13 a) Mit dem Antrag der Fraktion Die Linke werden eine „umfassende humanitäre Bleiberechtsregelung, ein wirksames Nachzugsrecht für Familienangehörige, das nicht von Sprach- oder Einkommensnachweisen abhängig ist, und eine Beendigung der Abschiebungshaft, statt ihrer Ausweitung“ gefordert. Die erste Forderung erfüllen wir mit dem Gesetzentwurf in der Fassung der Änderungsanträge der Koalition. Voraussetzung für die Bleiberechtsregelung ist für Alleinstehende ein mindestens achtjähriger Voraufenthalt. Für Eltern minderjähriger Kinder reichen sechs Jahre. Dabei haben wir durchgesetzt, dass die Betroffenen keine volle Lebensunterhaltssicherung nachweisen müssen, wie sie im Aufenthaltsrecht sonst üblich ist, sondern nur eine überwiegende. Das betrifft insbesondere Antragsteller, die im Niedriglohnsektor tätig und auf aufstockende SGB-II-Leistungen angewiesen sind. Auch diese bekommen jetzt eine dauerhafte Perspektive in unserem Land. Ergänzend schaffen wir eine noch günstigere Regelung für Jugendliche und Heranwachsende bis zum 21. Lebensjahr. Hier reicht ein vierjähriger Voraufenthalt. Zur Forderung nach einem wirksamen Nachzugsrecht für Familienangehörige, das nicht von Sprach- oder Einkommensnachweisen abhängig ist: Auf Drängen der Union haben wir bei den Sprachkenntnissen vor Einreise beim Ehegattennachzug die Aufnahme einer Härtefall-regelung ins Gesetz akzeptiert. Wir hätten die Regelung lieber ganz abgeschafft. Das war aber gegenüber der Union erwartungsgemäß nicht durchsetzbar. Zumindest können nun Härten im Einzelfall berücksichtigt werden. Einen generellen Verzicht auf Einkommensnachweise beim Ehegattennachzug unterstützen wir nicht. Zur Forderung nach einer Beendigung der Abschiebungshaft statt ihrer Ausweitung: Die SPD-Fraktion setzt sich nicht für eine generelle Abschaffung der Abschiebungshaft ein, sondern für ihre Einschränkung. Im Übrigen sagen wir hierzu: Erstens bestand die Rechtsgrundlage – Fluchtgefahr – zuvor und bleibt unverändert. Mit fünf der sechs Anhaltspunkte – der sechste ist ein Auffangtatbestand – wird nur das ins Gesetz geschrieben, was die Rechtsprechung seit Jahren urteilt. Das ist keine Ausweitung gegenüber dem Istzustand für die Betroffenen. Zweitens gibt die Neuregelung nur Anhaltspunkte für Fluchtgefahr. Es gibt keinen Automatismus, jeder Einzelfall muss gewürdigt werden. Drittens haben wir durchgesetzt, dass die schon in der Vergangenheit bestehende Möglichkeit der Inhaftierung, wenn jemand erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser ausgegeben hat, entschärft wird. Bisher hat die Rechtsprechung dies nur oberflächlich begründet. Wir haben die Darlegungs- und Begründungslast für Behörden und Gerichte erhöht. So wird der Anwendungs-bereich gegenüber der bisherigen Rechtsprechung eingeengt. Ursprünglich hatten wir in den Verhandlungen eine vollständige Streichung dieser Passage gefordert, konnten dies aber nicht durchsetzen. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Uwe Beckmeyer, Dr. Karl-Heinz Brunner, Dr. Lars Castellucci, Elvira Drobinski-Weiß, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Ulrike Gottschalck, Ulrich Hampel, Dirk Heidenblut, Gabriela Heinrich, Frank Junge, Ralf Kapschack, Gabriele Katzmarek, Ulrich Kelber, Dr. Bärbel Kofler, Daniela Kolbe, Birgit Kömpel, Christine Lambrecht, Steffen-Claudio Lemme, Hiltrud Lotze, Kirsten Lühmann, Dr. Birgit Malecha-Nissen, Dr. Matthias Miersch, Susanne Mittag, Markus Paschke, Detlev Pilger, Sabine Poschmann, Dr. Simone Raatz, Mechthild Rawert, Gerold Reichenbach, Andreas Rimkus, Susann Rüthrich, Bernd Rützel, Johann Saathoff, Annette Sawade, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Dr. Nina Scheer, Dr. Dorothee Schlegel, Swen Schulz (Spandau), Norbert Spinrath, Svenja Stadler, Kerstin Tack, Michael Thews, Dr. Karin Thissen, Carsten Träger, Gabi Weber und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) Wenn Deutschland nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission zur Genehmigung der Beihilfe für -Hinkley Point C klagt, ist darin keine Unterstützung von Atomenergie zu sehen. Genauso liegt in der Ablehnung entsprechender Bundestagsanträge keine Abwendung vom notwendigen Atomausstieg vor. Der Atomausstieg in Deutschland ist für uns unumkehrbar. Mit der SPD setzen wir uns sowohl national als auch europäisch und international für den Ausstieg aus der Atomenergie, den Umstieg auf erneuerbare Energien sowie für mehr Energieeffizienz ein. Der europäische Atomausstieg ist insofern eine politische Aufgabe, die nicht über einen beihilferechtlichen Klageweg auf den EuGH abgewälzt werden kann und sollte. Im Einzelnen zu den genannten Bundestagsanträgen: Ende 2014 hat die EU-Kommission die nationalen Beihilfen, die die britische Regierung für Hinkley Point C vorsieht, genehmigt. Mit den genannten Anträgen wird Deutschland aufgefordert, gegen die Entscheidung der EU-Kommission beim EuGH zu klagen. Die von der britischen Regierung für Hinkley Point C vorgesehene Förderung ist unbestritten eine Beihilfe. Das EU-Beihilferecht gesteht der EU-Kommission über Artikel 107 AEUV weite Ermessensspielräume für die Genehmigung von Beihilfen zu. Die Beihilfegenehmigung der EU-Kommission ist nach Einschätzung der vonseiten der SPD im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am 17. Juni 2015 benannten Sachverständigen nicht offenkundig rechtsfehlerhaft. Diese Einschätzung wird auch von der Bundesregierung geteilt. Eine Klage gegen die Entscheidung der EU-Kommission erhielte insbesondere vor diesem Hintergrund eine politische Dimension, zumal hiermit auf die britische Entscheidung über die Ausgestaltung ihres Energiemixes eingegangen wird. Nach Artikel 194 AEUV ist es das Recht der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix zu entscheiden. Deutschland hat bei der Förderung erneuerbarer Energien stets – zu Recht – die nationale energiepolitische Entscheidungskompetenz betont. Dieser -Maßstab sollte auch für den Umgang mit den Energie-politiken anderer Mitgliedstaaten gelten. Mit der Beihilfeentscheidung zu Hinkley Point C hat die EU-Kommission einen weiter gehenden Förderrahmen erlaubt, als sie etwa für erneuerbare Energien in den – für die Mitgliedstaaten nicht verbindlichen – Energie-Beihilfeleitlinien vorgesehen sind. Vor diesem Hintergrund und auch, weil sich die EU gemeinsam auf den Ausbau erneuerbarer Energien verständigt hat, muss zukünftig erst recht ein breiterer Handlungsspielraum bei der Gestaltung von Fördersystemen für erneuerbare Energien möglich sein. Klar ist aber auch, dass es eine europäische Förderung für den Neubau von Atomkraftwerken aus öffentlichen Geldern nicht geben darf. In den Beratungen zum Europäischen Fonds für strategische Investitionen, EFSI, -haben sich zuerst Bundesminister Sigmar Gabriel und dann auch die gesamte Bundesregierung explizit gegen eine Aufnahme der Förderung von Kernkraftwerken ausgesprochen. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie auch im Rahmen weiterer Diskussionen zu den Einzelbausteinen der Energieunion eine EU-Förderung oder gar einen europäischen Förderrahmen für Kernkraftwerke entschieden ablehnen wird. Aus diesen Gründen lehnen wir die oben angegebenen Anträge ab. Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg) und Josip Juratovic (beide SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) Klagen gegen Atomstrom. Klingt gut – ist aber falsch. Greenpeace Energy hat einen Massenbrief entworfen. Wer sich seine Meinung nicht bilden möchte, sondern klicken, nimmt seine Maus in die Hand und in etwa 30 Sekunden wird folgender Text an das Parlament geschickt, der von einer selbst geschriebenen Mail nicht unterscheidbar ist: Die EU-Kommission hat im Herbst 2014 staatliche Beihilfen für den britischen Reaktorneubau Hinkley Point C genehmigt. Mit der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt ist diese Genehmigung seit Ende April rechtlich verbindlich. Damit darf die britische Regierung das geplante Atomkraftwerk mit Staatsgarantien und einer hohen Einspeisevergütung fördern. Insgesamt sollen umgerechnet mehr als 20 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern in das Projekt fließen. Die Atomenergie in Europa erhält damit auf Jahrzehnte einen privilegierten Status, der einen freien und fairen Stromhandel auf dem europäischen Energie-Binnenmarkt beschädigt und die erneuerbaren Energien schwächt. Durch den grenzüberschreitenden Stromhandel in der EU hätte ein hochsubventioniertes Hinkley Point C einen direkten und messbaren Einfluss auf den deutschen Strommarkt. Zudem könnte das Beihilfe-Modell für Hinkley Point C Schule machen und für andere, derzeit geplante Reaktorbauten in Polen oder Tschechien übernommen werden. Dies würde den Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt weiter verzerren. Der Ökostromanbieter Greenpeace Energy, zahlreiche weitere Energiemarkt-Akteure sowie die Staaten Österreich und Luxemburg wollen deshalb gegen die Beihilfen für Hinkley Point C vor Gericht ziehen. Ich halte es für dringend geboten, dass auch die deutsche Bundesregierung mit konkreten rechtlichen Schritten gegen überzogene Subventionen für die riskante und unzeitgemäße Atomtechnologie vorgeht. Ich bitte Sie daher, sich entsprechend Ihrer Möglichkeiten als Parlamentarier dafür einzusetzen.“ Soweit der Standardtext, den einige Bürgerinnen und Bürger schicken. Die Aufforderung, die Bundesregierung zu rechtlichen Schritten gegen diese Genehmigung zu bewegen, klingt gut, denn Investitionen in Atomenergie sind unverantwortlich. Wir denken an die bittere Erfahrung, dass es auch in Deutschland erst Fukushimas bedurfte, damit die CDU/CSU ihren Wiedereinstieg in die Atomstromversorgung rückgängig machte. Hoffentlich bedarf es nun nicht für jeden kleinen Erkenntnisschritt eines Fukushima. Wir kennen die Risiken und das Problem der Atommülllagerung. Alle Folgekosten eingeschlossen, ist Atomenergie die teuerste Energieerzeugung, die wir kennen – und unverhältnismäßig viel teurer als erneuerbare, auf der Sonnenenergie basierende Energieversorgung. Deswegen ist es rückwärtsgewandt und falsch, dass Großbritannien und andere EU-Staaten an der Atomenergie festhalten und diese sogar ausbauen wollen. Greenpeace Energy verkennt, dass Hinkley Point C nur vordergründig ein rechtliches Problem ist. Vielmehr handelt es sich um ein politisches Problem, denn wir werden die Atomenergie in Europa nicht beenden, wenn wir die Entscheidung der EU-Kommission über den Weg einer Klage angreifen. Stattdessen brauchen wir eine gesellschaftliche Mehrheit in ganz Europa für den Atomausstieg, damit jene Parteien, die weiterhin für die Atomkraft eintreten, ihre Mehrheiten verlieren. Das Problem ist also nicht, dass die Europäische Union die staatliche Förderung des Reaktorneubaus genehmigt, sondern dass Großbritannien überhaupt einen Atomreaktor neu bauen und mit Steuergeldern subven-tionieren will. Die Genehmigung durch die EU-Kommission erfolgt nach Artikel 194 EUV: Danach hat die Europäische Union keinen Einfluss auf den Energiemix der einzelnen Mitgliedstaaten. Diese rechtliche Regelung ist in speziellen Einzelfällen extrem ärgerlich – manchmal aber auch die Rettung der Energiewende in Richtung solarbasierter nicht fossiler Energieversorgung. Ich denke natürlich an das EEG in Deutschland. Das Energieeinspeisegesetz ist die Basis für eine ökologische Energieversorgung in Deutschland. Würden wir durch eine Klage allerdings erreichen, dass künftig der Energiemix der Entscheidungskompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten entzogen würde – der deutsche Weg wäre extrem gefährdet. Denn Deutschland könnte erneuerbare Energien durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht „im Alleingang“ fördern – und die Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien unter Beweis stellen. Geht Deutschland diese Möglichkeit verloren, gerät eine technologische Entwicklung in der Energieversorgung – ohne Atomkraft, ohne fossile Energieträger – unter Druck und zukünftig notwendige Technologien wären nicht verfügbar. Technologie und Technik, die genau dann gebraucht werden, wenn England oder Frankreich – hoffentlich ohne ein Fukushima – die Zukunftsfähigkeit der Sonne erkannt haben werden. So schrecklich es ist. Polen und Energie heißt Kohle bzw. Kohlendioxyd. England und Energie heißt Atomstrom und Radioaktivität. Deutschland und Energie heißt Solartechnik, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit. Wenn wir diese Entscheidungskompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten zur Disposition stellen, gefährden wir die ökologische Erneuerung Deutschlands – ohne in anderen Ländern bzw. ganz Europa Kohle- und Atomstrom zurückdrängen zu können. Das Ziel von Greenpeace Energy, der Atomausstieg, wird von der gesamten SPD-Fraktion geteilt und unterstützt – die Klage gegen die Beihilfe anderer Länder gefährdet den Einstieg in alternative Technologien. Manchmal ist der Rechtsweg eben doch schlechter als gute Politik. Machen wir gute Politik in Europa. Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ute Finckh-Krämer und Hilde Mattheis (beide SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) Wenn Deutschland nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission zur Genehmigung der Beihilfe für Hinkley Point C klagt, ist darin keine Unterstützung von Atomenergie zu sehen. Genauso liegt in der Ablehnung entsprechender Bundestagsanträge keine Abwendung vom notwendigen Atomausstieg vor. Der Atomausstieg in Deutschland ist für uns unumkehrbar. Mit der SPD setzen wir uns sowohl national als auch europäisch und international für den Ausstieg aus der Atomenergie, den Umstieg auf erneuerbare Energien sowie für mehr Energieeffizienz ein. Der europäische Atomausstieg ist insofern eine politische Aufgabe, die nicht über einen beihilferechtlichen Klageweg auf den EuGH abgewälzt werden kann und sollte. Im Einzelnen zu den genannten Bundestagsanträgen: Ende 2014 hat die EU-Kommission die nationalen Beihilfen, die die britische Regierung für Hinkley Point C vorsieht, genehmigt. Mit den genannten Anträgen wird Deutschland aufgefordert, gegen die Entscheidung der EU-Kommission beim EuGH zu klagen. Die von der britischen Regierung für Hinkley Point C vorgesehene Förderung ist unbestritten eine Beihilfe. Das EU-Beihilferecht gesteht der EU-Kommission über Artikel 107 AEUV weite Ermessensspielräume für die Genehmigung von Beihilfen zu. Die Beihilfegenehmigung der EU-Kommission ist nach Einschätzung der vonseiten der SPD im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am 17. Juni 2015 benannten Sachverständigen nicht offenkundig rechtsfehlerhaft. Diese Einschätzung wird auch von der Bundesregierung geteilt. Eine deutsche Klage gegen die Entscheidung der EU-Kommission erhielte insbesondere vor diesem Hintergrund eine politische Dimension, zumal hiermit auf die britische Entscheidung über die Ausgestaltung ihres Energiemixes eingegangen wird. Nach Artikel 194 AEUV ist es das Recht der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix zu entscheiden. Deutschland hat bei der Förderung erneuerbarer Energien stets – zu Recht – die nationale energiepolitische Entscheidungskompetenz betont. Dieser Maßstab sollte auch für den Umgang mit den Energiepolitiken anderer Mitgliedstaaten gelten. Mit der Beihilfeentscheidung zu Hinkley Point C hat die EU-Kommission einen weiter gehenden Förderrahmen erlaubt, als sie etwa für erneuerbare Energien in den – für die Mitgliedstaaten nichtverbindlichen – Energie-Bei-hilfeleitlinien vorgesehen sind. Vor diesem Hintergrund und auch, weil sich die EU gemeinsam auf den Ausbau erneuerbarer Energien verständigt hat, muss zukünftig erst recht ein breiterer Handlungsspielraum bei der Gestaltung von Fördersystemen für erneuerbare Energien möglich sein. Klar ist aber auch, dass es eine europäische Förderung für den Neubau von Atomkraftwerken aus öffentlichen Geldern nicht geben darf. In den Beratungen zum Europäischen Fonds für strategische Investitionen, EFSI, haben sich zuerst Bundesminister Sigmar Gabriel und dann auch die gesamte Bundesregierung explizit gegen eine Aufnahme der Förderung von Kernkraftwerken ausgesprochen. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie auch im Rahmen weiterer Diskussionen zu den Einzelbausteinen der Energieunion eine EU-Förderung oder gar einen europäischen Förderrahmen für Kernkraftwerke entschieden ablehnen wird. Aus diesen Gründen lehnen wir die oben angegebenen Anträge ab. Anlage 14 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen (Tagesordnungspunkt 18) Heike Baehrens (SPD): Die Entscheidung der britischen Regierung zum Bau eines neuen Atomkraftwerks am Standort Hinkley Point sowie die Entscheidung der EU-Kommission, die Beihilfen für diesen Bau zu genehmigen, senden ein falsches Signal aus. Aufgrund der Gefahr, die von Atomkraftwerken ausgeht, der nach wie vor ungelösten Entsorgungsfrage und der immens hohen Kosten hat die Atomenergie keine Zukunft mehr. Anstatt sich auf einen europaweiten Atomausstieg zuzubewegen, wird bei einer tatsächlichen Realisierung des Projekts Hinkley Point C, welches für eine Laufzeit von 60 Jahren geplant wird, das Atomzeitalter in Europa um viele Jahre verlängert. Viele weitere Jahre, in denen die Menschen in Großbritannien und Europa der Gefahr eines AKW-Unfalls ausgesetzt sind. Viele weitere Jahre, in denen zusätzlicher hochstrahlender Atommüll produziert wird. Unflexible Großkraftwerke wie in Hinkley Point passen auch nicht zur Systemumstellung auf eine Energieproduktion auf Basis erneuerbarer Energien. Der Volatilität von zum Beispiel Wind- und Sonnenenergie muss mit flexiblen Kraftwerken begegnet werden. Statt den Systemumbau durch die Förderung zukunftsträchtiger Technologien zu unterstützen, müssen die britischen Stromkunden und Steuerzahler mit Milliardensummen eine Technologie fördern, die es in sechs Jahrzehnten nicht geschafft hat, ohne Subventionen so profitabel zu sein, dass sie sich frei am Markt finanzieren lässt. Während die Vergütungssätze der erneuerbaren Energien degressiv sind, diese also immer günstiger werden, garantiert der sogenannte Contract for Difference den Betreibern von Hinkley Point C beispielsweise eine höhere Vergütung als hierzulande aktuell Strom aus Windkrafträdern. Dieser über 35 Jahre (!) garantierte Atomstrompreis ist aber nicht degressiv, sondern soll sich inflationsbedingt sogar noch erhöhen. Zudem gibt die britische Regierung dem Betreiberkonsortium eine Kreditgarantie über 22 Milliarden Euro und garantiert Ausfallzahlungen, sollten sich durch politische Entscheidungen Rahmenbedingungen für die Atomenergieproduktion verschlechtern. Im Gegensatz zur Förderung der erneuerbaren Energien richtet sich die geplante Unterstützung auch nicht an eine Vielzahl konkurrierender Anbieter, sondern an einen einzigen Betreiber. Diese einseitige Atomenergieförderung wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach Nachteile für Erneuerbare-Energien-Anbieter nicht nur in Großbritannien, sondern auch in anderen EU-Ländern haben, vor allem wenn die Stromtrassen zwischen England und Resteuropa ausgebaut werden. Schließlich kann der in Hinkley Point C produzierte Strom durch die hohe Förderung besonders günstig angeboten werden und sogar bei negativen Marktpreisen Gewinne erzielen. Zu bedenken ist weiterhin, dass andere EU-Länder, die den Bau von Atomkraftwerken planen oder in Erwägung ziehen, von der Entscheidung der EU-Kommission eher in ihrem Vorhaben bestärkt als abgeschreckt werden. Hinkley Point C kann so zum Präzedenzfall werden. Die beiden weiteren schon im Bau befindlichen AKW-Projekte in Finnland und Frankreich haben aufgrund der Vielzahl der Probleme – zum Beispiel beim Reaktordruckbehälter im französischen Flamanvilley – der ausufernden Kosten und der sich immer weiter nach hinten verschiebenden Inbetriebnahme sicher keinen starken Anreizcharakter. Aufgrund der aufgeführten Argumente und meines langjährigen Engagements gegen Kernenergie bin ich ausdrücklich gegen den Reaktorneubau Hinkley Point C. Daher habe ich Verständnis für die Motivation, die hinter den Anträgen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen steht. Beide wollen damit versuchen, das Projekt doch noch zu verhindern. Allerdings muss an dieser Stelle auch gesagt werden, dass die heutige Abstimmung im Deutschen Bundestag nicht über die Realisierung oder Nichtrealisierung von Hinkley Point C entscheidet. Auch eine Entscheidung für eine Klage ändert nichts an dem Vorhaben. Es ist auch nicht eindeutig klar, wie die Aussicht auf Erfolg bei einer Nichtigkeitsklage ist und welche Folgen eine solche Klage für das weitere Handeln der EU bezüglich der deutschen Erneuerbare-Energien-Förderung haben wird. Die Experten der Anhörung im Wirtschaftsausschuss kamen hier nicht zu einer eindeutigen Meinung. Die Kommission hat bei Beihilferechtsfragen schließlich einen großen Ermessensspielraum. Eine Klageniederlage würde die Präzedenzwirkung der Kommissionsentscheidung noch weiter festigen. Viel wichtiger als den beihilferechtlichen Klageweg gegen ein AKW-Projekt anzustrengen, ist es, sich auf politischer Ebene innerhalb der EU gezielt für einen europäischen Atomausstieg zu engagieren, das heißt EU-Partner zu überzeugen, dass Atomenergie keine Zukunft hat. Aus diesen Gründen enthalte ich mich bei der Abstimmung. Marco Bülow (SPD): Die Entscheidung der britischen Regierung zum Bau eines neuen Atomkraftwerks am Standort Hinkley Point sowie die Entscheidung der EU-Kommission, die Beihilfen für diesen Bau zu genehmigen, senden ein absolut falsches Signal aus. Aufgrund der immensen Gefahr, die von Atomkraftwerken ausgeht, aufgrund der nach wie vor ungelösten Entsorgungsfrage und aufgrund der immens hohen Kosten hat die Atomenergie keine Zukunft mehr. Anstatt sich auf einen europaweiten Atomausstieg zuzubewegen, wird bei einer tatsächlichen Realisierung des Projekts Hinkley Point C, welches für eine Laufzeit von 60 Jahren geplant wird, das Atomzeitalter in Europa um viele Jahre verlängert. Viele weitere Jahre, in denen die Menschen in Großbritannien und Europa der Gefahr eines AKW--Unfalls ausgesetzt sind. Viele weitere Jahre, in denen zusätzlicher, hochstrahlender Atommüll produziert wird. Unflexible Großkraftwerke wie die Atomkraftwerke in Hinkley Point passen auch nicht zur Systemumstellung auf eine Energieproduktion auf Basis erneuerbarer Energien. Der Volatilität von zum Beispiel Wind- und Sonnenenergie muss mit flexiblen Kraftwerken begegnet werden. Statt den Systemumbau durch die Förderung zukunftsträchtiger Technologien zu unterstützen, müssen die britischen Stromkunden und Steuerzahler mit Milliardensummen eine Technologie fördern, die es in sechs Jahrzehnten nicht geschafft hat, ohne Subventionen so profitabel zu sein, dass sie sich frei am Markt finanzieren lässt. Während die Vergütungssätze der erneuerbaren Energien degressiv sind, diese also immer günstiger werden, garantiert der sogenannte Contract for Difference den Betreibern von Hinkley Point C beispielsweise eine höhere Vergütung als hierzulande aktuell Strom aus Windkrafträdern. Dieser über 35 Jahre garantierte Atomstrompreis ist aber nicht degressiv, sondern soll sich -inflationsbedingt sogar noch erhöhen. Zudem gibt die britische Regierung dem Betreiberkonsortium eine -Kreditgarantie über 22 Milliarden Euro und garantiert Ausfallzahlungen, sollten sich durch politische Entscheidungen Rahmenbedingungen für die Atomenergieproduktion verschlechtern. Angesichts des offensichtlich nötigen gigantischen Ausmaßes des Förderpakets für eine solch alte Technologie kann man klar feststellen, dass hier kein Versagen des britischen Strommarkts vorliegt, sondern ein Technologieversagen. Im Gegensatz zur Förderung der erneuerbaren Energien richtet sich die geplante Unterstützung auch nicht an eine Vielzahl konkurrierender Anbieter, sondern an einen einzigen Betreiber. Diese einseitige Atomenergieförderung wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach Nachteile für Erneuerbare-Energien-Anbieter nicht nur in Großbritannien, sondern auch in anderen EU-Ländern haben, vor allem wenn die Stromtrassen zwischen -England und Resteuropa ausgebaut werden. Schließlich kann der in Hinkley Point C produzierte Strom durch die hohe Förderung besonders günstig angeboten werden und sogar bei negativen Marktpreisen Gewinne erzielen. Zu bedenken ist weiterhin, dass andere EU-Länder, die den Bau von Atomkraftwerken planen oder in Erwägung ziehen, von der Entscheidung der EU-Kommission eher in ihrem Vorhaben bestärkt als abgeschreckt werden. Hinkley Point C kann so zum Präzedenzfall werden. Die beiden weiteren schon im Bau befindlichen AKW-Projekte in Finnland und Frankreich haben aufgrund der Vielzahl der Probleme – zum Beispiel beim Reaktordruckbehälter im französischen Flamanville –, der -explodierenden Kosten und der sich immer weiter nach hinten verschiebenden Inbetriebnahme sicher keinen starken Anreizcharakter. Aufgrund der aufgeführten Argumente und meines langjährigen Engagements gegen Atomenergie bin ich ein entschiedener Gegner des Reaktorneubaus Hinkley Point C. Aus meiner Sicht handelt es sich um eine fatale Entscheidung. Daher habe ich Verständnis für die Motivation, die hinter den Anträgen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen steht. Beide wollen damit versuchen, das Projekt doch noch zu verhindern. Ich kann daher nicht gegen diese Anträge bzw. für die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie stimmen. Allerdings muss an dieser Stelle auch gesagt werden, dass die heutige Abstimmung im Deutschen Bundestag nicht über die Realisierung oder Nichtrealisierung von Hinkley Point C entscheidet. Auch eine Entscheidung für eine Klage ändert nichts an dem Vorhaben. Es ist auch nicht eindeutig klar, wie die Aussicht auf Erfolg bei einer Nichtigkeitsklage ist und welche Folgen eine solche Klage für das weitere Handeln der EU bezüglich der deutschen Erneuerbare-Energien-Förderung haben wird. Die Experten der Anhörung im Wirtschaftsausschuss kamen hier nicht zu einer eindeutigen -Meinung. Die Kommission hat bei Beihilferechtsfragen schließlich einen großen Ermessensspielraum. Eine -Klageniederlage würde die Präzedenzwirkung der Kommissionsentscheidung noch weiter festigen. Viel wichtiger als den beihilferechtlichen Klageweg gegen ein AKW-Projekt anzustrengen, ist es, sich auf politischer Ebene innerhalb der EU gezielt für einen -europäischen Atomausstieg zu engagieren, das heißt EU-Partner zu überzeugen, dass Atomenergie keine Zukunft hat. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Atomenergie ist der falsche Weg. Subventionen dafür sind rückwärtsgewandt. Ziel muss ein europäischer Ausstieg aus der Atomenergie sein. Die vorliegenden Anträge fordern aber aus meiner Sicht, gegen geltendes europäisches Recht zu klagen. Der Europäische Gerichtshof ist hierfür der falsche Adressat. Wenn wir gesetzliche Regelungen ändern wollen und müssen, dann ist die gesetzgebende Ebene gefragt, nicht die rechtsprechende Ebene. Ende 2014 hat die EU-Kommission die nationalen Beihilfen genehmigt, die die britische Regierung für Hinkley Point C vorsieht. Deutschland wird in den vorliegenden Anträgen aufgefordert, gegen die Entscheidung der EU-Kommission beim EuGH zu klagen. Die von der britischen Regierung für Hinkley Point C vorgesehene Förderung ist eine Beihilfe. Das EU-Beihilferecht gesteht der EU-Kommission über Artikel 107 AEUV weite Ermessensspielräume für die Genehmigung von Beihilfen zu. Die Beihilfegenehmigung der EU-Kommission ist nach Einschätzung der vonseiten der SPD im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am 17. Juni 2015 benannten Sachverständigen nicht offenkundig rechtsfehlerhaft. Diese Einschätzung wird auch von der Bundesregierung geteilt. Eine Klage gegen die Entscheidung wäre auch mit der Frage über die Ausgestaltung des Energiemixes der Mitgliedstaaten verbunden. Nach Artikel 194 AEUV ist es das Recht der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix zu entscheiden. Deutschland hat bei der Förderung erneuerbarer Energien stets – zu Recht – die nationale energiepolitische Entscheidungskompetenz betont. Dieser -Maßstab sollte auch für den Umgang mit den Energie-politiken anderer Mitgliedstaaten gelten. Mit der Beihilfeentscheidung zu Hinkley Point C hat die EU-Kommission einen weitergehenden Förderrahmen erlaubt, als sie etwa für erneuerbare Energien in den – für die Mitgliedstaaten nicht verbindlichen – Energie-Beihilfeleitlinien vor-gesehen sind. Vor diesem Hintergrund und auch, weil sich die EU gemeinsam auf den Ausbau erneuerbarer Energien verständigt hat, muss zukünftig erst recht ein breiterer Handlungsspielraum bei der Gestaltung von Fördersystemen für erneuerbare Energien möglich sein. Der Atomausstieg in Deutschland ist für mich unumkehrbar. Mit der SPD setze ich mich sowohl national als auch europäisch und international für den Ausstieg aus der Atomenergie, den Umstieg auf erneuerbare Energien sowie für mehr Energieeffizienz ein. Eine europäische Förderung für den Neubau von Atomkraftwerken aus öffentlichen Geldern halte ich für falsch. In den Beratungen zum Europäischen Fonds für strategische Investitionen, EFSI, haben sich zuerst Bundesminister Sigmar Gabriel und dann auch die gesamte Bundesregierung gegen eine Aufnahme der Förderung von Kernkraftwerken ausgesprochen. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie auch im Rahmen weiterer Diskussionen zu den Einzelbausteinen der Energieunion eine EU-Förderung oder gar einen europäischen Förderrahmen für Kernkraftwerke entschieden ablehnen wird. Der europäische Atomausstieg ist eine politische Aufgabe, die nicht über einen beihilferechtlichen Klageweg auf den EuGH abgewälzt werden kann und sollte. Deswegen lehne ich die vorliegenden Anträge ab. Ulli Nissen (SPD): Der Atomausstieg in Deutschland ist für mich unumkehrbar. Mit der SPD setze ich mich sowohl national als auch europäisch und international für den Ausstieg aus der Atomenergie, den Umstieg auf erneuerbare Energien sowie für mehr Energieeffizienz ein. Der europäische Atomausstieg ist insofern eine politische Aufgabe, die nicht über einen beihilferechtlichen Klageweg auf den EuGH abgewälzt werden kann und sollte. Ich persönlich halte den Neubau des Atomkraftwerkes am Standort Hinkley Point für eine falsche Entscheidung und für ein falsches Signal. Atomenergie hat keine Zukunft mehr. Anstatt sich auf einen europaweiten Atomausstieg zuzubewegen, wird durch den Bau das Atomzeitalter um Jahrzehnte verlängert. Der Deutsche Bundestag entscheidet heute aber nicht über die Realisierung oder Nichtrealisierung von Hinkley Point C. Auch eine Entscheidung für eine Klage, wie in diesen Anträgen gefordert, ändert nichts an dem Vorhaben der britischen Regierung. Die Beihilfen, um die es geht, trägt ausschließlich der britische Steuerzahler. Es ist auch nicht eindeutig klar, wie die Aussicht auf Erfolg bei einer Nichtigkeitsklage ist und welche Folgen eine solche Klage für das weitere Handeln der EU bezüglich der deutschen Erneuerbare-Energien-Förderung haben wird. Die Kommission hat bei Beihilferechtsfragen einen großen Ermessensspielraum. Eine Klageniederlage würde die Präzedenzwirkung der Kommissionsentscheidung noch weiter festigen. Wenn Deutschland nicht gegen die Entscheidung der EU-Kommission zur Genehmigung der Beihilfe für Hinkley Point C klagt, ist darin keine Unterstützung von Atomenergie zu sehen. Genauso liegt in der Ablehnung entsprechender Bundestagsanträge keine Abwendung vom notwendigen Atomausstieg vor. Deshalb stimme ich gegen die Anträge. Viel wichtiger als eine Klage gegen ein AKW-Projekt anzustrengen ist es, sich auf EU-Ebene gezielt für einen europäischen Atomausstieg zu engagieren, das heißt EU-Partner zu überzeugen, dass Atomenergie keine Zukunft hat. Zum Hintergrund der genannten Bundestagsanträge: Ende 2014 hat die EU-Kommission die nationalen Beihilfen, die die britische Regierung für Hinkley Point C vorsieht, genehmigt. Mit den genannten Anträgen wird Deutschland aufgefordert, gegen die Entscheidung der EU-Kommission beim EuGH zu klagen. Die von der britischen Regierung für Hinkley Point C vorgesehene Förderung ist unbestritten eine Beihilfe. Das EU-Beihilferecht gesteht der EU-Kommission über Artikel 107 AEUV weite Ermessensspielräume für die Genehmigung von Beihilfen zu. Die Beihilfe-Genehmigung der EU-Kommission ist nach Einschätzung der vonseiten der SPD im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am 17. Juni 2015 benannten Sachverständigen nicht offenkundig rechtsfehlerhaft. Diese Einschätzung wird auch von der Bundesregierung geteilt. Eine Klage gegen die Entscheidung der EU-Kommission erhielte insbesondere vor diesem Hintergrund eine politische Dimension, zumal hiermit auf die britische Entscheidung über die Ausgestaltung ihres Energiemixes eingegangen wird. Nach Artikel 194 AEUV ist es das Recht der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix zu entscheiden. Deutschland hat bei der Förderung erneuerbarer Energien stets – zu Recht – die nationale energiepolitische Entscheidungskompetenz betont. Dieser -Maßstab sollte auch für den Umgang mit den Energiepolitiken anderer Mitgliedstaaten gelten. Mit der Beihilfeentscheidung zu Hinkley Point C hat die EU-Kommission einen weitergehenden Förderrahmen erlaubt, als sie etwa für erneuerbare Energien in den – für die Mitgliedstaaten nicht verbindlichen – Energie-Beihilfeleitlinien vorgesehen sind. Vor diesem Hintergrund und auch, weil sich die EU gemeinsam auf den Ausbau erneuerbarer Energien verständigt hat, muss zukünftig erst recht ein breiterer Handlungsspielraum bei der Gestaltung von Fördersystemen für erneuerbare Energien möglich sein. Klar ist aber auch, dass es eine europäische Förderung für den Neubau von Atomkraftwerken aus öffentlichen Geldern nicht geben darf. In den Beratungen zum Europäischen Fonds für strategische Investitionen, EFSI, haben sich zuerst Bundesminister Sigmar Gabriel und dann auch die gesamte Bundesregierung explizit gegen eine Aufnahme der Förderung von Kernkraftwerken ausgesprochen. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie auch im Rahmen weiterer Diskussionen zu den Einzelbausteinen der Energie-Union eine EU-Förderung oder gar einen europäischen Förderrahmen für Kernkraftwerke entschieden ablehnen wird. Aus diesen Gründen lehne ich die oben angegebenen Anträge ab. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Transparenzinitiative der Europäischen Kommission mitgestalten – Bewährte Standards im Handwerk und in den Freien Berufen erhalten (Tagesordnungspunkt 15) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Die Europäische Kommission hat 2011 einen Vorschlag zur Modernisierung der Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vorgelegt. Die Umsetzung in nationales Recht hat bis zum 18. Januar 2016 zu erfolgen. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen diesen Prozess im eigenen Interesse begleiten und natürlich auch die Bundesregierung in den entscheidenden Punkten unterstützen. Grundsätzlich ist die Absicht der Kommission zu begrüßen, den Binnenmarkt zu stärken und die Mobilität der Arbeitnehmer zu erleichtern. Aus deutscher Sicht ist gleichzeitig hervorzuheben, dass nur eine gute Qualität der Dienstleistungen den Binnenmarkt und die Innova-tionsstärke Europas wirklich unterstützen kann. Hierbei ist der Verbraucherschutz für den Bürger das entscheidende Kriterium für die Akzeptanz europäischer Regelungen bei den Bürgern. Bei der Erarbeitung des Antrags ist mir sehr bewusst geworden, dass es die zentrale Herausforderung sein wird, das richtige Verhältnis zwischen der Regulierung und Harmonisierung der Märkte zu finden. In diesem Zusammenhang ist es bedeutsam, dass die anerkannt hohe Qualität der deutschen Produkte und Dienstleistungen erhalten bleibt. Genau aus diesen Gründen wollen und müssen wir mit Augenmaß den Leistungs- und Qualitätswettbewerb im deutschen Mittelstand fördern. Nicht nur laut Statistik haben die Freien Berufe eine wichtige ökonomische Bedeutung, die sich auch anhand aktueller Zahlen 2015 weiterhin positiv darstellt: ein Zuwachs von knapp 3,5 Prozent bei den Selbstständigen; knapp 4,8 Millionen Menschen sind als Selbstständige oder Beschäftigte tätig, darunter – und das ist ein neuer Höchststand – 122 000 Auszubildende; ein erwirtschafteter Jahresumsatz von rund 381 Milliarden Euro. Aber Freiberufler sind mehr als Kennziffern. Sie stehen als Ärzte, Hebammen, Psychologen, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Ingenieure, Architekten, Journalisten, Wissenschaftler und viele weitere Berufssparten für eine Kultur von Unternehmertum, gesellschaftlicher Verantwortung und Leistungsbereitschaft. Vor allem aber sind ihre Dienstleistungen und Produkte ein beispielhafter Ausdruck des hohen Standards „Made in Germany“. Damit tragen sie wesentlich zur Wirtschaftskraft in Deutschland und auch in Europa bei. Niemand in der Union, aber auch bei den freien Berufen selbst verschließt sich einer vernünftigen Modernisierung, wenn sie das Gemeinwohl im Blick behält. Deshalb müssen wir auch darauf achten, dass nicht an sensiblen Stellen die Weichen falsch gestellt werden. Bewährte Standards im Handwerk und in den Freien Berufen müssen in einem zukunftsfesten europäischen Binnenmarkt erhalten bleiben. In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, dass wir als nationales Parlament immer wieder betonen, dass die Frage der Reglementierung der Berufe eine autonome Entscheidung der Mitgliedstaaten ist. Wenn also in Brüssel Deregulierungspotenziale identifiziert werden, gilt es aufzupassen. Unser Credo dabei ist, dass wir auf ein nachhaltiges Wachstum hinwirken und Chancen in einem Wettbewerb um die beste Qualität nutzen. Konsequenterweise muss also der Spagat zwischen Förde-rung eines Leistungswettbewerbs auf der einen und Erhalt von Standards auf der anderen Seite bewältigt und hier ein Weg gefunden werden. Besonders relevant für Deutschland ist auch das Thema Fachkräftemangel, unter anderem hervorgerufen durch die demografische Entwicklung. Daher erhält die Mobilität von EU-Bürgern eine besonders starke Bedeutung, weil nur so die Bürger ihre Qualifikationschancen gut nutzen können. Für Deutschland ist diese Art von Mobilität zentral, weil wir so den Fachkräftemangel etwas kompensieren können. Es darf aber keineswegs vergessen werden, dass Deutschland ausgezeichnete Strukturen der beruflichen Bildung hat. Der Berufszugang – an die Qualifikation gebunden – und die handwerkliche Ausbildung sind Vorbilder in der EU. Damit möchte ich abschließend den Fokus auf einen – mir sehr wichtigen – Qualitätsstandard lenken: Deutschland hat ausgezeichnete Strukturen in der beruflichen Bildung. Der Berufszugang, der bei uns an die Qualifikation und an die handwerkliche Ausbildung gebunden ist, ist vorbildlich in der EU. Deshalb müssen wir diese positiven Aspekte betonen, und sie müssen auch mit entsprechenden statistischen Zahlen belegt werden. In diesem Kontext ist zum Beispiel auch die OECD-Studie „Skills Outlook 2015“ zu nennen, die belegt, dass der Anteil 15- bis 29-Jähriger mit höherem Schulabschluss, die weder in Beschäftigung noch in Ausbildung sind, in Deutschland mit 5,7 Prozent so gering wie in kaum einem anderen OECD-Land ist. Mit unserem Koalitionsantrag und dieser heutigen Diskussion soll verdeutlicht werden, dass die laufende Evaluierung in der EU auf eine Vergleichbarkeit der Berufszugangs- und Berufsübergangsreglementierungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten hinauslaufen wird. Es ist unsere zentrale Aufgabe in diesem Prozess, Qualitätsstandards als strukturellen Wettbewerbsvorteil zu begreifen und zu bewahren. In diesem Sinne werde ich mich auch in Zukunft für einen selbstbewussten und selbstständigen Mittelstand in Deutschland und in Europa einsetzen. Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Die Freien Berufe und das Handwerk leisten wichtige Beiträge für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft. Sie stehen mit ihrer großen Breite und Vielfalt beruflicher Tätigkeiten für eine Kultur von Unternehmertum und Leistungsbereitschaft, für Innovation und Wachstum sowie für Arbeits- und Ausbildungsplätze. Allen voran stehen sie jedoch für unsere hohen Qualitätsstandards „Made in Germany“ und sind dadurch zentraler Bestandteil für die Wohlfahrt unseres Landes. Darüber hinaus übernehmen die Freien Berufe und das Handwerk auch eine besondere gesellschaftliche Verantwortung, etwa als Ärzte und Rechtsanwälte oder Ingenieure und Architekten sowie bei handwerklichen Berufen, die es zu bewahren gilt. Durch die hohen Qualitätsanforderungen schaffen sie das notwendige Vertrauen für die Verbraucher und sorgen für Sicherheit und Entlastung bei wirtschaftlichen Gefahren. Sie stellen damit in besonderer Weise die Ideale des selbstständigen Mittelstands dar. Um diese Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolgs – die Qualität – auch weiterhin auf einem hohen Niveau halten zu können, benötigen die Freien Berufe und das Handwerk qualifiziertes Personal. Sie sind nach der Industrie der größte Ausbildungs- und Arbeitgeberbereich und gelten dadurch als tragende Säule unseres Ausbildungssystems. Damit wirken die Freien Berufe und das Handwerk maßgeblich an einer geringeren Jugendarbeitslosigkeit sowie einem hohen Bildungsniveau in Deutschland mit. Diese Qualität kann jedoch nur gewährleistet werden, wenn wir die Reglementierung unseres Berufszugangs weiterhin aufrechterhalten. Hierzu zählt auch, das bewährte Instrument der Selbstverwaltung und der Kammern zu schützen. Die Ausübung bestimmter besonders verantwortungsvoller und gefahrengeneigter Tätigkeiten darf nur unter dem Vorbehalt einer fachspezifischen Qualifikation erfolgen. Nicht umsonst gilt das deutsche marktkonforme Regelungssystem als eines der wesentlichen Grundlagen für unsere überdurchschnittlich gute Wirtschafts- und Beschäftigungslage. Dies bestätigt auch die von der Kommission in Auftrag gegebene Studie des CSES (Centre for Strategy & Evalution Services): Der Abbau der Berufsreglementierung führt nicht zu mehr Wachstum und Beschäftigung. Ganz im Gegenteil, Zulassungsstrukturen können sogar eine positive ökonomische Wirkung hervorrufen. Damit wird die Richtigkeit des Regulierungsansatzes bestätigt. Wir unterstützen, ebenso wie der Bundesrat, eine Evaluierung der Zugangsstrukturen der reglementierten Berufe in der EU und werden diesen Prozess aktiv begleiten. Zugleich weisen wir jedoch auch darauf hin, dass – und das betone ich – eine Überprüfung nicht mit Maßnahmen wie einer Deregulierung des Berufszugangs einherzugehen hat. Die Kompetenz zum Erlass von Regelungen über den Berufszugang muss bei den einzelnen Mitgliedstaaten selbst liegen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unser System gänzlich infrage gestellt wird. Deshalb begrüße ich es sehr, dass die deutsche Regierung in ihrem Schreiben vom 10. März 2015 unsere Positionen unterstreicht. Sie weist zu Recht darauf hin, dass verbindliche Vergütungssätze für Architekten und Ingenieure die hohe Qualität der Dienstleistungen sichern und zudem auch dem Schutz der Dienstleistungsempfänger und Verbraucher und damit letztendlich auch dem Gemeinwohl dienen. Diese Aspekte zeigen damit auch deutlich, dass die HOAI einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses – allem voran den Schutz der Verbraucher – darstellt und damit eindeutig die Bedingungen des Artikels 15 Absatz 3 b der Dienstleistungsrichtlinie erfüllt. Denken Sie einmal an Ihre Kinder, die in den Kindergarten oder die Grundschule gehen. Gerade hier sind präzise ausgearbeitete Planungen und qualitativ hochwertig ausgeführte Bau- und Ingenieursleistungen von zentraler Bedeutung. Daher sehe ich es als unsere Aufgabe und Pflicht an, dass diese Qualität und dieser Schutz der Verbraucher gewahrt und entsprechend honoriert werden müssen. Die Weiterentwicklung unserer Märkte ist ein wichtiges Gut für die europäische Wirtschaft; sie darf jedoch nicht auf Kosten unserer wertvollen Standards und unserer Qualität gehen. „Made in Germany“ ist nicht ohne Grund in der Welt hochbeliebt. Und Deutschland hat nicht ohne Grund aktuell den größten Exportüberschuss auf der Welt. Deshalb muss es auch weiterhin unser Ziel sein, die Freien Berufe und das Handwerk zu unterstützen und die entsprechenden Rahmenbedingungen für unsere hohen Qualitätsstandards zu bewahren. Unser erfolgreicher Mittelstand ist der Wachstumsmotor unserer Marktwirtschaft. Um dies weiterhin gewährleisten zu können, ist ein wesentlicher Aspekt die Aufrechterhaltung unserer Berufszugangsstruktur. Sabine Poschmann (SPD): Das Thema, über das wir heute reden, ist uns bestens vertraut: Erst vor wenigen Monaten, im Dezember, haben wir uns an gleicher Stelle mit guten Argumenten für den Erhalt des Meisterbriefes im Handwerk starkgemacht. Wir haben deutlich werden lassen, dass wir die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit der EU-Kommission zur Bewertung nationaler Reglementierungen für den Berufszugang unterstützen. Daran hat sich nichts geändert. Ja, wir möchten vergleichen, welche Berufe in den einzelnen Mitgliedstaaten wie stark reglementiert sind. Ja, wir möchten, dass Hemmnisse so weit wie möglich abgebaut und ausländische Fachkräfte ermuntert werden, nach Deutschland zu kommen. Das alles liegt in unserem eigenen Interesse. Was wir allerdings nicht möchten, ist, dass unsere hohen und bewährten Qualitätsstandards durch neue Regeln aufgeweicht werden und in eine Abwärtsspirale geraten. Das gilt sowohl für das Handwerk als auch für die freien Berufe. Deshalb haben wir heute unseren Antrag vorgelegt. Die EU-Kommission bemängelt, die Freien Berufe in Deutschland seien zu stark reguliert. Konkret geht es um die Honorar- und Gebührenordnungen für Steuerberater, Architekten und Ingenieure. Sie behindern angeblich das Wirtschaftswachstum und würden ausländischen Dienstleistern den Zutritt zum deutschen Markt erschweren. Ich glaube, dass die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen viele gute Argumente hat, am bewährten System festzuhalten. Denn es ist richtig und gerechtfertigt. Es geht nicht darum, Pfründe für einzelne Berufsstände zu sichern. Es geht darum, Rechtssicherheit und Transparenz herzustellen, ruinösen Preiswettbewerb zu verhindern und Verbraucher zu schützen. Das dient sowohl dem Freiberufler als auch seinem Kunden. Beiden Seiten bietet die Gebührenordnung eine gute und zuverlässige Orientierung, die zeigt, welchen Wert die Arbeit des Steuerberaters oder des Architekten hat. Ich möchte nicht erleben, wie eine ungeübte Häuslebauerfamilie mit einem versierten Architekturbüro freihändig um Preise feilschen muss. Ebenso wenig möchte ich erleben, wie sich ein junger Steuerberater oder Architekt dem Preisdiktat von Großkunden beugen muss. Damit würde ein Verdrängungswettbewerb in Gang gesetzt, der große Zusammenschlüsse provoziert. Der gewachsenen Landschaft aus kleinteiligen Büros und Praxen mit wohnortnaher Versorgung aber fügt er massiven Schaden zu. Wir wollen genau das Gegenteil. Wir wollen Existenzgründungen und Selbstständigkeit fördern. Mit unserem Antrag machen wir deutlich, welchen Stellenwert ein qualitätsvolles, freiberufliches Engagement in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft hat. Die Selbstverwaltung der Freien Berufe funktioniert. Es gibt auch keine Rechtsunsicherheit: Dass die HOAI, die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, mit EU-Recht vereinbar ist, haben uns bereits 2013 mehrere Gutachten bestätigt. Der Europäische Gerichtshof ist in eine ähnliche Richtung gegangen. Die SPD wird sich Harmonisierungen zwischen den EU-Staaten nicht verschließen. Aber die Angleichungen müssen notwendig und sinnvoll sein. Und sie müssen dem Gemeinwohl dienen. Leider ist das nicht immer der Fall – ebenso wenig wie die Annahme richtig ist, dass eine Liberalisierung per se nachhaltiges Wachstum auslöst. Zwar hat die Aufhebung der Meisterpflicht in vielen Handwerksberufen dazu geführt, dass sich die Zahl der zulassungsfreien Betriebe fast um das Dreifache erhöht hat, auf 232 000. Die Kehrseite des Gründerbooms haben wir aber auch ausführlich beleuchtet: viele Soloselbstständige mit geringer Wettbewerbsfähigkeit, wenig Personal, kaum Auszubildende. Damit ist niemandem gedient. Wir sehen auch keinen Bedarf, Anwalts- und Steuerberatungskanzleien für Finanzinvestoren, Banken oder Supermarktketten wie in England zu öffnen. Ich möchte mich als Mandant keinem Anwalt anvertrauen, von dem ich nicht weiß, ob er meine Interessen vertritt oder vielleicht doch die Renditeabsichten seines Mitinhabers. Ich möchte keinem Steuerberater gegenübersitzen, bei dem ich fürchten muss, dass meine vertraulichen Daten auch für seinen Geldgeber von Nutzen sein könnten. Es gibt gute Gründe für das Verbot der Fremdkapitalbeteiligung in Deutschland. Wer dieses Verbot aufhebt, legt die Axt an das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt. Mehr noch: Er erschüttert das Vertrauen in unseren Rechtsstaat – nämlich dann, wenn auch nur der Anschein entsteht, dass die Durchsetzung der Ansprüche eines Mandanten durch einen Konflikt mit dem Investor berührt wird. Rechtsrat darf keinem wirtschaftlichen Diktat unterliegen und zu einer Ware verkommen! Es gibt in Deutschland rund 1,2 Millionen selbstständige Freiberufler. Sie beschäftigen 3,3 Millionen Mitarbeiter und erwirtschaften 10,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wir alle wissen, dass wir uns künftig noch stärker in Richtung Dienstleistungsgesellschaft orientieren werden. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese vielen Selbstständigen ihre Produkte und Leistungen auch weiterhin sach- und fachgerecht und in hoher Qualität erstellen können. Denn sie dienen dem Gemeinwohl. Klaus Ernst (DIE LINKE): Um was geht es in diesem Antrag der Großen Koalition? Die EU-Kommission will mit Blick auf einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt die regulierten Berufe unter die Lupe nehmen. Sollte ein Mitgliedstaat eine unverhältnismäßige Regulierung beibehalten wollen, droht die Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Union und SPD machen sich deshalb Sorgen um den qualifikationsgebundenen Berufszugang und die handwerkliche Ausbildung. Das Bekenntnis der Bundesregierung zum bewährten dualen Ausbildungssystem und zu guter Qualifikation ist begrüßenswert. Doch leider scheint sich die Bundesregierung bei der Handwerkspolitik darauf zu beschränken, alle halbe Jahre einen Schaufensterantrag ins Plenum einzubringen. Das ist zu wenig. Eine viel differenziertere Betrachtung ist notwendig. Denn: Die beste Art, das Handwerk zu schützen, wäre es, bestehende Probleme anzuerkennen und die sich daraus ergebenden Aufgaben anzugehen. Ihre Schaufensteranträge können nicht davon ablenken, dass Sie sich erstens seit Jahren weigern, die Handwerksnovelle von 2004 zu evaluieren. Zweitens reagieren Sie nicht auf die immer lauter werdende Kritik an den Handwerkskammern und an der Pflichtmitgliedschaft. Zunächst zur Handwerksnovelle. Kern der damaligen Gesetzesänderungen war es, die Meisterpflicht als -Voraussetzung zur selbstständigen Berufsausübung in 53 Gewerken aufzuheben. Das war über die Hälfte der Gewerke. Für diese Bereiche ist nun nicht einmal mehr ein Gesellenbrief notwendig. So braucht heute ein Maler und Lackierer einen Meisterbrief, ein Fliesenleger nicht. Ein Feinwerkmechaniker muss Meister sein, ein Uhrmacher nicht. Damals forderte die Union in einem Antrag: „... ist für alle Berufe im ersten Abschnitt der Anlage B sowohl die Gesellenprüfung als auch der Leistungsnachweis ausreichender Ausbilderqualitäten zur Existenzgründung obligatorisch festzuschreiben“. Sie forderten auch eine Revisionsklausel. Alle sieben Jahre sollte die geltende Liste der Meisterberufe überprüft werden. Nichts davon ist passiert. Nun ähnelt das Ziel der EU-Kommission heute dem Ziel von Rot-Grün damals. Es geht um mehr Wachstum und um mehr Beschäftigung durch Liberalisierung. Was jedoch genau die Ergebnisse der Liberalisierung damals waren, wissen wir nicht. Eine Studie des Volkswirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen zeigt aber, dass sich weit mehr meisterpflichtige Betriebe fünf Jahre nach Gründung erfolgreich am Markt behauptet haben als zulassungsfreie Betriebe. Im nicht mehr meisterpflichtigen Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerhandwerk sank die Zahl der Gesellenprüfungen von 1 665 im Jahr 2003 auf 658 im Jahr 2010. Im gleichen Zeitraum gingen die Meisterprüfungen von 557 auf 84 zurück. In anderen Bereichen wiederum mag der Meistervorbehalt gemessen an den beiden Kriterien Gefahrengeneigtheit und Ausbildungsleistung weniger sinnvoll sein. Oder möglicherweise werden die Ausnahmeregelungen nicht so großzügig angewandt, wie es das Bundesverfassungsgericht aufgrund des Eingriffs in die Freiheit der Berufswahl anmahnte. Für all diese offenen Fragen bräuchte es endlich eine gründliche Evaluierung. Nun zum zweiten Punkt: der Selbstverwaltung im Handwerk. Seit Inkrafttreten der Handwerksordnung 1953 fanden in den 53 Handwerkskammern bis auf drei Ausnahmen keine wirklichen Wahlen statt, da es keine konkurrierenden Listen gab. Das ist zugegebenermaßen der Stand von 2012, es dürfte sich jedoch nicht viel geändert haben. Dies steht im Widerspruch zum in der Wahlordnung benannten Regelfall, der von der Zulassung von mehreren Wahlvorschlägen und der Durchführung einer Briefwahl ausgeht. Anstatt sich hier Gedanken zu machen, wie mit dem Problem der nicht stattfindenden Wahlen zur Vollversammlung umzugehen ist, sprechen Sie von einer durch die Wahl der Kammervorstände demokratisch legitimierten Selbstverwaltung. Das ist peinlich! Gerade durch die Pflichtmitgliedschaft sollten die Handwerkskammern in besonderem Maße demokratischen Prinzipien genügen und transparent organisiert sein. Doch es gibt kaum Veröffentlichungspflichten. Und die Beitragsgestaltung sowie der Betätigungsumfang der Kammern sind für viele Pflichtmitglieder nicht nachvollziehbar. Sie als Gesetzgeber sind in der Pflicht, das anzugehen. Auch hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss zum Thema Pflichtmitgliedschaft vom Dezember 2001 geschrieben, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, regelmäßig zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für den Grundrechtseingriff noch vorliegen. Tatsächlich ist dies aber seit 1998 nicht mehr passiert. Zur Rechtfertigung wird allerdings von Kammern und Gerichten auf eine vermeintliche „inzidente“ bzw. „konkludente“ Bestätigung durch den Bundestag verwiesen. Das heißt, wenn der Bundestag sich gegen die Pflichtmitgliedschaft hätte aussprechen wollen, hätte er das im Rahmen mit der Beschäftigung mit anderen Anträgen zu den Kammern ja tun können. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit dieser Antrag wiederum Grundlage für diese angebliche konkludente Bestätigung sein soll. Ist das der Fall, kann ich nur sagen: Diese impliziten Wege sind ein Unding! Wir brauchen eine echte Überprüfung, ob die Voraussetzungen für den Grundrechtseingriff noch vorliegen. Genauso brauchen wir eine echte Überprüfung der Handwerksnovelle. Zum Schluss möchte ich noch die Erkenntnis der Bundesregierung hervorheben, dass eine „Deregulierung im Handwerk ... nicht zu nachhaltig mehr Wachstum und Beschäftigung“ führt. Ich empfehle Ihnen, diese Erkenntnis auch auf andere Felder anzuwenden – etwa auf die geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie legen uns hier mal wieder einen Antrag mit dem Credo, es möge alles so bleiben, wie es ist, vor. Für die Große Koalition ist das im Prinzip keine Überraschung. Allerdings ist es wie so oft: Offenkundige Probleme werden nicht angepackt, sondern schlicht negiert. Dass Sie sich an einigen Stellen beim Forderungstext wieder einmal fast eins zu eins an einschlägige Branchenzuschriften gehalten haben, ist auch nichts Neues und spricht nach wie vor nicht für Sie und Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz. Ich hatte es bereits in einer früheren Debatte zum Handwerk gesagt: Einfach Konzepte aus den Interessenverbänden zu übernehmen, springt zu kurz. Ich sage ganz ausdrücklich: Ja, eine gute und anspruchsvolle Regulierung von Berufen und Berufsqualifikationen ist wichtig – für die Qualität erbrachter Leistungen und damit auch für den Verbraucherschutz. Aber anders als die Koalition sehe ich durchaus Baustellen, gerade in Bezug auf die Regulierung der im Antrag angesprochenen Berufsgruppen: Nehmen Sie den Teilbereich der Freien Berufe. Steuerberater haben das Recht, Umsatzsteuervoranmeldungen für ihre Mandanten zu erstellen und abzugeben. Dieses Recht haben selbstständige Bilanzbuchhalterinnen und Bilanzbuchhalter nicht. Sie dürfen zwar die Umsätze in ein Programm buchen, und dieses Programm errechnet dann automatisch die Umsatzsteuervoranmeldung, aber auf den Knopf zum Abschicken der Voranmeldung an das Finanzamt dürfen die Buchhalter nicht drücken. Diese völlig praxisferne Regelung ist nichts weiter als eine Reglementierung zum Schutz einer Berufsgruppe vor Wettbewerb. Und sie bedeutet einen unnötigen Verwaltungsvorgang, das heißt unnötige Bürokratie. Weil diese Regelung durch die Digitalisierung schlicht lebensfremd und überholt ist, sehen wir Verbesserungsbedarf im Sinne eines stärkeren Wettbewerbs, von dem dann auch und gerade die auftraggebenden Unternehmen profitieren werden. Nehmen Sie das Handwerk. Zu Recht loben Sie die duale Ausbildung und ihren Beitrag zur guten wirtschaftlichen Entwicklung in der BRD. Aber dennoch bin ich der Auffassung, dass wir an der Handwerksordnung durchaus feilen können, um eben nicht durch teilweise praxisferne und wettbewerbsfeindliche Regulierung eine noch bessere Entwicklung hin zu mehr Innovationen zu verhindern. Kürzlich musste ein Gericht in Lübeck feststellen, dass eine Tortendesignerin eben keine Handwerkerin ist und deswegen auch keinen Meisterbrief braucht. Treiber der Klage waren unter anderem die örtliche Verwaltung und auch die örtliche Kammer. Damit solche ärgerlichen Vorgänge nicht immer wieder auftreten, kann man zum Beispiel das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz ändern und schlicht den Punkt streichen, wo es um unerlaubte Handwerksausübung geht. Das Handwerksrecht reicht aus, um Zugang und Qualifikation zu den Handwerksberufen zu reglementieren; wir brauchen hier kein Netz und doppelten Boden. Auch sollte man sich einmal anschauen, ob die Einhaltung der Handwerksordnung nicht einer objektiveren Prüfung unterzogen werden muss, als es jetzt in zum Teil eigeninteressengeleiteter Verantwortung geregelt ist. Auch moderne Handwerksleistungen, wie etwa die Installation einer Photovoltaikanlage, finden oft im Graubereich der Handwerksordnung statt, weil rein formal verschiedene Handwerksleistungen wie Dachdeckerei, Elektroinstallation oder weitere als Anforderung an diese Dienstleistung gestellt werden. Die Verschränkung der Gewerke erfordert eine Neuregelung dieser überlappenden Verantwortungen. Wir brauchen dringend einen Streitbeilegungsmechanismus zwischen den Gewerken, denn die fehlende Abstimmung führt am Ende zu Qualitätsverlusten der Handwerksleistung und schadet damit dem gesamten Handwerk. An dieser Stelle müssen mehr Klarheit und Rechtssicherheit geschaffen werden. Dies waren nur wenige Beispiele. Sie zeigen: Man muss sich mit neuen Entwicklungen auseinandersetzen und nicht den Stillstand als Fortschritt preisen. Die EUKommission hat mittlerweile den ersten Schritt eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland eingeleitet, weil sie die Honorarordnung in bestimmten Freien Berufen für EU-rechtswidrig hält. Ich finde in Ihrem Antrag keine Antwort auf diese Entwicklung. Wir brauchen auch Antworten auf die Frage, wie wir die Dienstleistungsfreiheit in der EU als eine der vier Grundfreiheiten so ausgestalten, dass nationale Standards hoch bleiben und gleichzeitig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb der EU mobiler werden. Wir haben das Problem, dass Inländer teilweise schwieriger Dienstleistungen erbringen können als Wettbewerber aus der EU. Auch hier brauchen wir dringend umsetzbare Lösungen. Es reicht nicht aus, mit schönen Worten den Status quo zu preisen. Als Regierungsfraktion haben Sie die Verantwortung, Antworten auf die wirtschaftspolitischen Fragen des Landes zu erarbeiten. Weil dem aber nicht so ist, können wir Ihrem Antrag einfach nicht folgen; dazu ist er schlicht zu dünn, und wir werden uns enthalten. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Jemen – Militärische Intervention stoppen – Neue Friedensverhandlungen beginnen (Tagesordnungspunkt 14) Niels Annen (SPD): Die Lage im Jemen ist dramatisch. Das ärmste Land der arabischen Halbinsel wird seit mehr als 15 Jahren durch Gewalt und Bürgerkrieg erschüttert. Der Krieg im Jemen steht sinnbildlich für ein weiteres Versagen der Politik in der gesamten Region. Von dem kurzen Arabischen Frühling im Jahr 2011/2012, der mit dem Sturz des Langzeitherrschers Saleh endete, ist nichts mehr übrig geblieben. Auf der einen Seite gibt es den innerjemenitischen Machtkampf zwischen dem Norden mit den Huthi-Rebellen und dem Süden des Landes sowie den Anhängern des Anfang des Jahres ins Exil geflohenen international anerkannten Präsidenten Hadi – der auch nach unserer Auffassung weiterhin der legitime Präsident bleibt – und dem vormaligen Präsidenten Saleh, der nun seine Chance zur Rückkehr sieht. Auf der anderen Seite sind die alten Bündnisse und Frontstellungen inzwischen gänzlich überholt. Die neue Gemengelage im Jemen ist reichlich verwirrend: Da kämpft der gestürzte Präsident Saleh mit Teilen der ihm loyal ergebenen Armee an der Seite der Huthis, obwohl er in seiner Zeit der mehr als 30-jährigen Herrschaft mindestens sechs Kriege gegen sie geführt hat. Gleichzeitig flüchtete sich Präsident Hadi in die Arme der Saudis, die jetzt eine neue Rolle angenommen haben: Sie sind nicht länger die Finanziers, die die Geschicke des Landes entscheidend lenken. Sie intervenieren direkt an der Spitze einer aus zehn arabischen Ländern bestehenden Koalition, die mit militärischen Mitteln versucht, den Vormarsch der Huthi-Saleh-Koalition zu stoppen und Präsident Hadi wieder in sein Amt einzusetzen. Daneben mischen der jemenitische Arm von al-Qaida und andere dschihadistische Gruppen als „dritte Partei“ im Bürgerkrieg mit. Wurden diese in der Vergangenheit noch von Huthis und dem jemenitischen Sicherheitsapparat gemeinsam bekämpft, so nutzen al-Qaida und Konsorten das jetzt entstandene Machtvakuum und breiten sich weiter im Land aus. Eine zusätzliche Destabilisierung des Jemen und der gesamten arabischen Halbinsel bedroht nun mehr denn je die Region. Inzwischen muss man im Jemen von einem maßgeblich durch Saudi-Arabien geführten Interventionskrieg sprechen. Ein Krieg, der die innere Auseinandersetzung im Jemen weiter verschärft und das Land noch weiter in Anarchie und Chaos stürzt. Das neue saudische Königshaus glaubt offenbar, mit seinem schonungslosen Luftkrieg die Huthis und ihren Verbündeten, Expräsident Saleh, in die Knie zwingen zu können. Nach wochenlangem Bombardement muss man nüchtern feststellen: Die Strategie hat erkennbar nicht funktioniert. Stattdessen wurden in den vergangenen drei Monaten nicht nur militärische Ziele angegriffen. Immer wieder werden auch zivile Ziele mit zahlreichen Opfern bombardiert. Dass dabei wichtige Kulturschätze des Jemen wie Teile der Altstadt Sanaa unwiederbringlich zerstört werden, ist nicht hinnehmbar. Die humanitäre Lage im Jemen ist katastrophal. Von den rund 24 Millionen Jemeniten sind 80 Prozent auf humanitäre Hilfe angewiesen. 10 Prozent der Bevölkerung gelten als mangelernährt. Aktuell wird der humanitäre Zugang zum Jemen -zudem durch die See- und Luftblockade der Militärallianz massiv eingeschränkt. Gleichzeitig stehen die von Saudi-Arabien angekündigten Mittel in Höhe von 274 Millionen US-Dollar für humanitäre Hilfe weiterhin aus. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit Beginn der Luftangriffe 2 800 Todesopfer und rund 13 000 Verwundete zu beklagen. Die UN geht zudem von 1 Million Binnenflüchtlingen im Land aus. Zehntausende Jemeniten sind über den Seeweg zum Beispiel nach Dschibuti und Somalia geflüchtet. Das muss man sich einmal vorstellen: eine Flucht vom Krieg im Jemen in den „failed state“ Somalia! Während die Huthis vom Iran unterstützt werden, wird die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition logistisch und nachrichtendienstlich insbesondere von den USA unterstützt. Doch trotz dieser Unterstützung sowie der Luftangriffe und der Blockade gibt es keinerlei -Hinweise darauf, dass in absehbarer Zukunft ein militärischer Sieg einer der beiden Seiten errungen werden könnte. Der Vormarsch der Huthi-Saleh-Einheiten in den Süden des Landes konnte weiterhin nicht gestoppt -werden. Welche Strategie verfolgen die Saudis im Jemen? Selbst Militärexperten sind ratlos: Offenbar setzt die neue saudische Führung einzig auf ihre militärische Luftüberlegenheit, auf ihre großen finanziellen Ressourcen und auf ihr damit angenommenes längeres Durchhaltevermögen. Gleichzeitig folgt Saudi-Arabien dem Narrativ eines Religionskrieges zwischen Sunniten und Schiiten. Das ist wenig überzeugend und birgt zudem die Gefahr, Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten weiter zu vertiefen. Die Huthis sind zwar Saiditen und gehören damit ins religiöse Spektrum des Schiitentums. Gleichwohl sind die Huthis immer ihren eigenen Religionsgebräuchen gefolgt, und dazu gehört insbesondere auch, dass sie mit den Sunniten des Landes nie wirklich aneinandergeraten sind. Denn im Gegensatz zu Saudi-Arabien kennen die Huthis kein militantes und exklusives Eifertum, wie es der wahabitischen Glaubensrichtung leider zu eigen ist. Vielmehr sind die jemenitischen Sunniten und Schiiten in der Vergangenheit gemeinsam zum Gebet in die -Moschee gegangen. Auch die These, dass es sich im Jemen um einen Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran handelt, halten Experten für – noch – nicht stichhaltig. Es drängt sich vielmehr die Vermutung auf, dass das militärische Engagement Saudi-Arabiens im Jemen nicht zuletzt innenpolitisch motiviert und vermeintlichen iranischen Expansionsbestrebungen geschuldet ist. Nichtsdestoweniger ist auch Iran als wichtiger Akteur in der Region in der Verantwortung. Teheran muss versuchen, Einfluss auf eine friedliche Lösung im Jemen zu nehmen. Die Lage im Jemen kann uns nicht gleichgültig sein. An erster Stelle brauchen wir eine Waffenruhe, um den Menschen im Jemen helfen zu können. Dafür brauchen die Vereinten Nationen uneingeschränkten humanitären Zugang und die entsprechende finanzielle Ausstattung. Insbesondere Saudi-Arabien ist hier in der Pflicht, seine finanzielle Zusage auch einzuhalten. In diesem Krieg gibt es keine militärische Lösung. Es benötigt vielmehr einen politischen Konsens aller beteiligten Konfliktparteien durch Verhandlungen. Dafür müssen alle Parteien Zugeständnisse machen. Insbesondere gilt dabei, die Huthis nicht weiter systematisch politisch, wirtschaftlich und religiös zu marginalisieren. Unser Interesse muss ein stabiler Jemen sein, der al-Qaida nicht als Rückzugsort dient und die Sicherheit an einer der am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt, der Bab al-Mandab, sicherstellt. Eine politische Einigung mit den Huthis wäre daher auch im Interesse aller Golfmonarchien, die nichts mehr als den Zerfall staatlicher Strukturen und instabile Verhältnisse fürchten. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden – Antrag: Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zur digitalen Bildung umsetzen (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesordnungspunkt 7) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Schule lebt im Hier und Jetzt, um auf das Morgen vorzubereiten. Das, was wir heute in der Bildungspolitik festlegen und umsetzen, wird gesellschaftlich wie wirtschaftlich in 10 bis 15 Jahren voll zum Tragen kommen, nämlich dann, wenn die heutigen Kinder und Jugendlichen ins Berufsleben eintreten werden. Und hoffentlich kreativ und gestaltend tätig sein werden – etwa als Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer ebenso wie als Startup-Unternehmerin oder -Unternehmer. Schule muss also heute auf die Zukunft vorbereiten. Diese Zukunft wird digital sein. Denn das Digitale ist bereits in der Gegenwart elementarer Bestandteil unseres Alltags, Wirtschaftsfaktor und Partizipationsraum. Das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet, DIVSI, untersucht regelmäßig das Nutzungsverhalten von jungen Menschen in Deutschland und kommt zu dem Schluss: Schon bei den Dreijährigen spielt das Internet eine große Rolle. Jeder zehnte Dreijährige ist online. Bei den Sechsjährigen geht fast ein Drittel ins Internet, und bei den Achtjährigen sind es bereits mehr als die Hälfte. Die Internetnutzung und der Umgang mit mobilen Endgeräten starten somit bereits im Kindergartenalter und bestimmen im jungen Erwachsenenalter das Kommunikationsverhalten durchgehend. Die Frage, ob Kinder und Jugendliche häufig online sein sollten, ist in der Praxis damit bereits entschieden. Wenn die Hälfte der Grundschüler in Deutschland doch schon „drin sind“, bei den Jugendlichen bereits 98 Prozent online sind und selbst die, die noch nicht lesen und schreiben können, schon App-Symbole erkennen und benutzen, können wir keine Diskussion mehr darüber führen, ob Schülerinnen und Schüler nicht besser ausschließlich analog unterrichtet werden sollen. Wir sind im Jahr 2015 schon mittendrin in der Digitalisierung, und daher müssen wir jetzt nur noch über das Wie diskutieren. Es gilt zu diskutieren und festzulegen, wie wir Kinder und Heranwachsende am besten auf eine Welt vorbereiten, die digitale Kompetenzen voraussetzt, erstens, weil künftig nicht nur der Computer und Fernseher, sondern auch der Heizkörper und das Auto online sein werden; zweitens, weil in sozialen Netzwerken oder im Gesundheitssystem kompetenter Dateneinsatz gefragt ist; drittens, weil fast jeder Beruf IT-Kompetenzen voraussetzt; viertens, weil die Digitalwirtschaft der Treiber unserer Volkswirtschaft ist. Neben dem Elternhaus sind Schule, Ausbildungsbetrieb und Universität die wesentlichen Orte, die das Aufwachsen in der digitalen Welt begleiten und prägen. Dabei geht es nicht nur um technische Ausstattung mit Tablets, Whiteboards und WLAN, auch wenn die gute Ausgestaltung der digitalen Infrastruktur eine Grundvoraussetzung ist. Dort müssen die digitalen Kompetenzen vermittelt werden. Damit meine ich, dass erstens Kenntnisse des Programmierens und der Algorithmen gelehrt werden; zweitens analytisches und vernetztes Denken und Arbeiten vermittelt werden sowie drittens Medienkompetenz, also die Kompetenz zum verantwortungsvollen Umgang mit Medien, beigebracht wird. Wir müssen junge Menschen für Risiken sensibilisieren, etwa Bewusstsein für Urheberrecht, Datenschutz oder IT-Sicherheit vermitteln, und sie zugleich fitmachen, die zahlreichen Werkzeuge und Dienste gewinnbringend zu nutzen. Und es ist eine Frage von Chancen und Teilhabe, dies allen Kindern zu ermöglichen, damit nicht diejenigen abgehängt werden, in deren Elternhaus kein guter und pädagogischer Umgang mit digitalen Medien stattfindet. Die digitale Unterrichtsgestaltung ist in Deutschland noch eine punktuelle Entwicklung. Dabei ist es nicht nur eine Mentalitäts- oder Geldfrage, sondern auch eine Frage der Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern. Selbst die jungen, digitalaffinen Lehrkräfte werden noch nicht strukturiert darin ausgebildet, digitale Medien im Unterricht sinnvoll einzusetzen. Es darf nicht Glückssache sein, ob Kinder, Jugendliche oder Studenten digitale Bildung in Deutschland erleben. Wir müssen zielgerichtet herangehen. Das heißt vor allem, die digitale Infrastruktur für Schulen zu schaffen, die Lehrerinnen und Lehrer dafür zu qualifizieren und kreative Konzepte in unsere Bildungseinrichtungen zu bringen. Wir haben in Deutschland bereits großes Potenzial. Auf dem Kongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu Bildung 2.0 im Juni haben sich viele kreative Köpfe – von Startups im Bildungssektor über Initiativen großer Unternehmen und Verbände – vorgestellt, die sich in der digitalen Bildung einbringen wollen. Hier müssen wir stärker vernetzen und bündeln – das darf nicht im Bildungsföderalismus untergehen! Es war ein wichtiger Schritt, gemeinsam mit dem Koalitionspartner den Antrag „Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden“ in den Deutschen Bundestag einzubringen. Damit setzt der Bund wichtige Impulse, entlässt die Länder und Kommunen aber nicht aus ihrer Verantwortung für ihre Kernaufgabe: Die Länder müssen für eine nachhaltige Bildungspolitik sorgen. Ich weiß, dass die Bildungseinrichtungen derzeit mit hohen Ansprüchen konfrontiert werden. Demografie, Migration, Inklusion und vieles mehr erfordern von Lehrkräften und Schulleitung große Anstrengungen. Aber das Digitale kann nicht warten, bis sich die Bildungspolitik in so manchem Land entwirrt hat. Ob Industrie 4.0, Smart Data oder E-Health – überall werden Digitalkompetenzen gefragt sein. Nur eine stringente Integration von digitaler (Aus)Bildung an Schulen, Berufsschulen und Universitäten bringt uns für die Zukunft akademische Exzellenz im IT-Bereich, anpackende Unternehmerinnen und Unternehmer, Fachkräfte für die IT-Industrie und mündige Bürger, die sich sicher und souverän im Netz bewegen. Wir brauchen jetzt einen Pakt für digitale Bildung, an dem Politiker aus allen Ebenen – Bund, Land, Kommune – sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Schule zusammenarbeiten. Wir müssen eine moderne, kreative digitale Bildung in Deutschland etablieren. Ich danke allen, die im Bund, in den Ländern und Kommunen und vor allem in den Bildungseinrichtungen daran arbeiten. Sven Volmering (CDU/CSU): Der Antrag von CDU/CSU und SPD gibt sowohl der Bundesregierung als auch den Ländern sehr konkrete Aufträge und Handlungsempfehlungen für die Entwicklung einer Strategie „Digitales Lernen“ auf den Weg. Das Feedback war bei vielen Lehrerverbänden, Professoren, Institutionen und Vereinen ausgesprochen positiv. Alle Experten des Fachgesprächs zur Digitalen Bildung im Ausschuss haben die richtige Zielsetzung des Antrags gelobt. Wir gehen mit unseren Forderungen über den Koalitionsvertrag hinaus, berücksichtigen die wichtigsten Ergebnisse der Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ und leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Digitalen Agenda der Bundesregierung. Die internationale ICILS-Computerstudie, die, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, nicht, wie in Ihrem Antrag steht, aus dem Jahr 2014, sondern aus dem Jahr 2013 stammt, hat den seit Jahren gefühlt vorhandenen Nachholbedarf bei der Digitalen Bildung empirisch belegt. Es wird daher Zeit, dass wir den Aufholprozess endlich beginnen! Das Rüstzeug für den Erfolg liegt auf dem Tisch. Jetzt geht es an die Umsetzung. Wir müssen an die Aus- und Fortbildung der Pädagogen heran, es geht um gemeinsame inhaltliche und technische Standards sowie um pädagogisch sinnvolle Konzepte, die in den Bildungsalltag aller Bereiche von der frühkindlichen Bildung bis zur Hochschul- und Weiterbildung integriert werden müssen. Ich spreche sicher auch im Namen meiner geschätzten Berichterstatterkollegin Saskia Esken, wenn ich darauf hinweise, dass die Regierungsfraktionen sehr genau darauf achten werden, dass Bund und Länder in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich ihre Hausaufgaben erfüllen, damit wir vorankommen. Gleichzeitig habe ich die Hoffnung, dass sich insbesondere die Landesregierungen mit Grünen-Beteiligungen konstruktiver bei der Entwicklung der Strategie „Digitales Lernen“ einbringen, als dies die grüne Bundestagsfraktion getan hat. Lieber Herr Mutlu, ich muss es leider so deutlich sagen: Ihr nachgereichter Antrag ist nicht mehr als ein welkes Feigenblatt. Sie haben gemerkt, dass die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD mit dem Antrag, mit eigenen gut besuchten Workshops und Kongressen das Thema besetzt haben und Sie jetzt im Bundestag zwar nicht persönlich, aber inhaltlich doch sehr nackt sind. Sie haben das Thema verpasst! Sie fordern etwas, was von der Regierung umgesetzt wird, und setzen im Gegensatz zu uns über den Enquete-Bericht hinaus nicht einen einzigen eigenen inhaltlichen Schwerpunkt. Als ein Beispiel nenne ich die von der CDU/CSU eingebrachte und von der SPD unterstützte Idee des Pakts für Digitale Bildung, der die unterschiedlichen Aktivitäten von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bündelt. Sie stößt auf großes Interesse. Mehrere Stiftungen stellen bereits Überlegungen an, wie sie Infrastruktur schaffen und Projekte bündeln und koordinieren können, um digitale Leerstellen abzubauen. Ich nenne das Stichwort Staatsvertrag, von dem ich glaube, dass es gut ist, dass wir ihn ins Gespräch gebracht haben, damit wir endlich Bewegung in die Diskussion um allgemeingültige technische und inhaltliche Standards bekommen. Der Antrag von CDU/CSU und SPD greift darüber hinaus explizit die wichtigsten Forderungen der Enquete-Kommission auf. Grundsätzlich ist dabei darauf hinzuweisen, dass die Enquete-Kommission auf die Verantwortung der Länder bei der Vermittlung von Medienkompetenz verweist und eben nicht nur den Bund in die Verantwortung nimmt, wie Sie es in Ihrem Antrag tun. Exemplarisch nenne ich drei konkrete Forderungen des Enquete-Berichts, die wir aufgegriffen haben: erstens die Stärkung der digitalen Ausbildung des pädagogischen Personals in allen Bildungssektoren, zweitens einheitliche Mindeststandards zur Medienkompetenz, drittens vergleichende Länderstudien zur Digitalen Bildung als Instrument der Bildungsforschung. Sie sehen also: Unser Antrag baut sinnvoll auf die Enquete-Kommission auf und geht sogar weiter. Daher werden wir Ihren nachgeschobenen Antrag ablehnen. Ich möchte den Rest meiner Redezeit dazu nutzen, noch kurz einige grundsätzliche Punkte anzusprechen. Unabhängig von den jeweiligen Zusammensetzungen der Regierungen auf Bundes- und Landesebene müssen wir uns bei der Durchsetzung der Strategie „Digitales Lernen“ darüber Gedanken machen, wie wir die Vorreiter in den Kommunen und den Schulen stärken und deren Unterstützerzahl ausweiten. Ich habe festgestellt, dass an verschiedenen Stellen Kämmerer und Schul-dezernenten auf kommunaler Ebene unabhängig von der Finanzlage die Blockierer sind, wenn es darum geht, in den Bereich der digitalen Bildung zu investieren oder bestehende Mittel umzuschichten. Deswegen ist es wichtig, in der Öffentlichkeit ein positives Bild für die digitale Bildung zu schaffen. Digitale Endgeräte sind Bestandteil der Lebensrealität. Deshalb müssen wir ihre enormen positiven Möglichkeiten nutzen, aber natürlich genauso über mögliche Risiken informieren. Niemand fordert ernsthaft eine totale Zwangsdigitalisierung, niemand will die klassischen Kulturtechniken abschaffen. Es geht immer nur um den sinnvollen pädagogischen Einsatz. Dabei kann man sich sehr gut am Löwenzahn-Kultmoderator Peter Lustig orientieren, der das Fernsehen als Medium für seine fantastische Sendung genutzt hat, aber jede Sendung auch mit dem Appell „Ausschalten“ beendete. Vor dem Hintergrund, dass es die Zielsetzung unseres Antrags ist, die Gefahr einer dauerhaften digitalen Spaltung zu verhindern und die jungen Menschen auf die beruflichen Herausforderungen der Industrie 4.0 vorzubereiten, wäre es fahrlässig, nicht zu handeln und panikmachenden Leuten hinterherzulaufen, die von der „Lüge der digitalen Bildung“ sprechen. Deshalb ist der Antrag von CDU/CSU und SPD ein enorm wichtiger Beitrag, da der Deutsche Bundestag mit seiner Verabschiedung nun eine klare Positionierung im Bereich der digitalen Bildung vorgenommen hat, die sich sehen lassen kann. Als zuständiger Berichterstatter bedanke ich mich sehr herzlich bei meiner AG, die mich immer unterstützt hat, bei der Kollegin Saskia Esken und ihrem Team für die konstruktive und menschlich angenehme Zusammenarbeit, bei Frau Hain und Herrn Mutlu für ihre Kritik und Anregungen, wobei ich der festen Überzeugung bin, dass sie den Antrag in Wahrheit gar nicht mal so schlecht finden, sowie bei meinem Büro, und hier insbesondere bei Frau Klaas für die Unterstützung. Ich freue mich auf die weiteren Debatten zum Thema digitale Bildung und danke für die Aufmerksamkeit. Saskia Esken (SPD): Wir beraten und beschließen heute den Antrag der Koalitionsfraktionen zur Stärkung der sogenannten digitalen Bildung. Ich sage „sogenannte digitale Bildung“, weil wir uns durchaus darüber bewusst sind, dass Bildung als ein lebensbegleitender Prozess der Weltaneignung niemals digital sein kann. Als Buzzword, als Überschrift oder Hashtag in den sozialen Medien hat sich der Kurzbegriff dennoch eingebürgert und ist auch durchaus geeignet, dafür zu stehen, was wir eigentlich meinen: die Bildung in einer digitalisierten Welt. In einem ersten Schritt wollen wir mit diesem Antrag den didaktisch sinnvollen Einsatz digitaler Medien im schulischen Unterricht fördern und damit den Erwerb von Medienkompetenz und informatischer Grundbildung. Wir wollen die souveräne Teilhabe aller jungen Menschen an einer digitalisierten Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitswelt sicherstellen und damit nicht nur auf den Fachkräftebedarf eines grundlegenden wirtschaftlichen Wandels reagieren. Wir sprechen im Titel dieses Antrags über eine digitale Spaltung der Gesellschaft, die sich nicht nur zwischen Generationen und Geschlechtern oder entlang eines Stadt-Land-Gefälles zeigt, sondern sich durchaus auch entlang sozialer Herkunft und Bildungshintergrund entwickelt hat und die es zu überwinden gilt. Mit dem Antrag konkretisieren die Koalitionsfraktionen das Vorhaben der Digitalen Agenda der Bundesregierung, mit den Bundesländern und weiteren Akteuren des Bildungssystems gemeinsam eine Strategie „Digitales Lernen“ zu erarbeiten und umzusetzen. Welche Rolle kann der Bund im Zusammenhang mit der schulischen Bildung denn überhaupt spielen? Das müssen wir uns nicht nur von den Vertretern der Oppositionsfraktionen fragen lassen. Nun, genau aus diesem Grund finden Sie im Antrag zwei Bereiche, von denen sich der eine mit den originären Aufgaben des Bundes befasst und der andere mit einer Art von Brückenbau für eine solche „gemeinsame Strategie der Länder und weiterer Akteure“. Klar in die Zuständigkeit des Bundes und gegebenenfalls der europäischen Gesetzgebung fällt dabei die Weiterentwicklung des Urheberrechts, das noch nicht im Zeitalter der Digitalisierung angekommen ist. Auch durch einen hohen Grad an Komplexität findet das Urheberrecht derzeit außerhalb des Bildungssystems zu wenig und innerhalb des Bildungssystems zu viel Beachtung. Lehrkräfte agieren beim Umgang mit digitalen Medien mit angezogener Handbremse, und zwar aus Angst vor der Abmahnung. Das müssen wir ändern. Deshalb freut es mich besonders, dass der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas angekündigt hat, einen diesbezüglichen Gesetzentwurf zu erarbeiten und dabei gerade die Belange von Bildung und Wissenschaft zu beachten. Im Bereich der beruflichen Bildung ist der Bund handlungsfähig und soll deshalb im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel für eine gute und sichere technische Infrastruktur sorgen, die für einen verstärkten Einsatz digitaler Medien im Unterricht benötigt wird, also beispielsweise ein Internetanschluss mit zukunftsfähiger Bandbreite und ein leistungsfähiges WLAN. Den Einsatz digitaler Medien und Materialien in allen Bildungsbereichen fördern kann der Bund darüber hinaus, indem er die Entwicklung von offenen Lehr- und Lernmaterialien, sogenannten Open Educational Resources, ermöglicht und dafür sorgt, dass die vorhandenen OER-Materialien besser auffindbar und verfügbar gemacht werden. Wenn es darum geht, wie die Bundesländer ihre Lehreraus- und -fortbildung weiterentwickeln und stärken, die Medienkompetenz und informatische Grundbildung in ihren Lehr- und Bildungspläne verankern, welche -Infrastruktur Länder und Schulträger bereitstellen und welche Medienbildungskonzepte die Schulen entwickeln und umsetzen: Da kann der Bund nur Impulse geben, Plattformen für Diskussion, Austausch und Kollaboration bieten und die Entwicklung im Bereich der Bildungsforschung und -berichterstattung begleiten. Im Rahmen der Antragsberatung hat die SPD-Bundestagsfraktion neben öffentlichen Fachgesprächen in Fraktion und Ausschuss in der vorvergangenen Woche eine Fachtagung veranstaltet. Eine beachtliche Anzahl von Fachleuten aus der gesamten Republik und darüber hinaus waren unserer Einladung gefolgt, sich mit den Chancen und den Herausforderungen einer „Bildung in einer digitalisierten Welt“ im kritisch-positiven Sinne zu beschäftigen. In meiner Einführung zu der Veranstaltung habe ich deutlich gemacht, dass Digitalisierung und Bildung in einem wechselseitigen Nutzenverhältnis stehen: Bildung muss zum Gelingen der Digitalisierung und zur Überwindung einer digitalen Spaltung beitragen. Ebenso wichtig ist mir aber auch, was – sozusagen im Gegenzug – die Digitalisierung für die Qualität der Bildung tun kann. Nach Impulsen aus den Ländern, hier von Ties Rabe, dem sozialdemokratischen Schulsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, sowie aus der Wissenschaft, namentlich von Richard Heinen vom Learning Lab der Universität Duisburg-Essen und von Professor Dr. Christoph Igel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, haben wir in vier thematischen Workshops den Diskurs gesucht zwischen Theorie und Praxis, aber auch zwischen scheinbar widerstreitenden Konzepten, die zusammengeführt werden müssen, damit die Bildung in einer digitalisierten Welt gelingen kann. Wie schon in den Fachgesprächen, so wurde auch bei unserer Fachtagung deutlich, dass der Zielsetzung und den Ansätzen unseres Antrags viel fachliches Interesse und positives Feedback entgegengebracht werden und dass viele Teilnehmer und weitere Akteure des Bildungssystems Interesse an einer Fortführung und Weiterentwicklung des Dialogs haben. Wir wollen uns während der Sommerpause deshalb überlegen, wie wir die Themen unserer Fachtagung, aber sukzessive auch weitere Themen zur Diskussion und Vertiefung anbieten können. Die SPD-Bundestagsfraktion will sich in den anstehenden Haushaltsberatungen außerdem dafür starkmachen, dass ein Anteil der Überschüsse aus dem Etat für das Betreuungsgeld im Bildungs- und Forschungsetat für die Förderung der Digitalisierung im Bildungsbereich genutzt wird. Ab 2016 könnten so jährlich 50 oder 60 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Wir fordern das Bundesministerium für Bildung und Forschung deshalb auf, baldmöglichst einen Investitionsplan über die Verwendung dieser Mittel vorzulegen. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Nein, wir haben keinen eigenen Antrag zu diesem Tagesordnungspunkt dazugelegt wie die Grünen. Ich weiß ja, dass die Grünen etwas von der Sache verstehen, aber was Sie da aufgeschrieben haben, hätten Sie auch bleibenlassen können. Der schadet zwar nicht, aber der nützt auch nichts. Die einfache Forderung, dass die Bundesregierung ihre Arbeit macht, finde ich wenig prickelnd. Und die Bezugnahme auf die Internet-Enquete-Kommission auch nicht. Wir haben aus gutem Grunde einen Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzungen eingefordert. Zwar sind wir uns einig, dass die Forderungen und Empfehlungen der Internet-Enquete richtig sind, aber für deren Umsetzung entstehen doch noch ein paar Fragen. Wenn der Bericht dieses Büros mit dem Titel „Bildung 4.0“ vorliegt, wollen wir auf dieser Grundlage konkretere Vorschläge machen. Manches liegt allerdings jetzt schon auf der Hand, und es ist auch im Arbeitsbericht 122 des TAB-Büros aus dem Jahre 2007 schon gut nachzulesen. Zum Beispiel die Frage: Was kostet das alles? Lassen Sie mich bitte zitieren: „Erst wenn die Förderung von Modellprojekten und Pilotvorhaben ausgelaufen ist, Garantien für die technische Ausstattung abgelaufen sind, Ersatzbeschaffungen anstehen oder der Support an externe Dienstleister vergeben wird, können die tatsächlich und dauerhaft auf die Schulträger zukommenden Kosten realistisch eingeschätzt werden.“ TAB-Arbeitsbericht 122, Zusammenfassung, Seite 13, Dezember 2007. Und es geht auch darum, wie sich die Lernmittelkosten verändern. Dass die Bundesregierung Mittel für die Entwicklung offener Lernmittel eingestellt hat, ist ja löblich. Aber man muss sie auch aufs Tablet bekommen. Und bezahlt werden muss das auch. Wenn ein Buch herunterfällt, hat es vielleicht ein Eselsohr. Wenn ein Tablet herunterfällt, ist es möglicherweise kaputt. Die Kosten für die Ersatzbeschaffung sind deutlich höher. Darum bestehen wir mindestens auf Lernmittelfreiheit. Doch auch die muss jemand bezahlen. Das sind in der Regel die Länder. Das kommt zu den offenen Fragen der technischen Ausstattung von Schulen, der Ausbildung von Lehrkräften, der Einstellung von Administratorinnen usw. alles noch dazu. Es geht auch um die Inhalte und die Veränderung der pädagogischen Arbeitsweise und der Vorbereitung der Schulen, der Eltern, der Öffentlichkeit darauf. Künftig wird mehr als je das alte Sprichwort gelten: Man muss nicht alles wissen; man muss nur wissen, wo es steht. Dann aber stellt sich gleich die Frage: Wie umgehen mit der Informationsflut? Wie auswählen, was wichtig ist? Wie kritische Distanz bewahren? Medienkompetenz nennt man das, und die ist längst zu einer Kulturtechnik geworden, die aber unterschiedlich gut beherrscht wird. Der selbstbewusste und verantwortungsbewusste Umgang mit persönlichen Daten im Netz, das Netzwerken überhaupt – alles erhält eine andere Dimension als noch vor 10 bis 15 Jahren. Ende offen. Darum brauchen wir möglichst schnell so etwas wie fächerübergreifende – und vielleicht auch bildungsphasenübergreifende – Bildungsstandards für digitales Lernen und Medienkompetenz. Lernende warten nicht, bis die Schulen und die Bildungspolitik so weit sind. Professor Esser hat erst gestern im Ausschuss darauf hingewiesen, dass die Kompetenzen der Jugendlichen oft schon fortgeschrittener sind als die ihrer Lehrkräfte. Wir laufen also Gefahr, unaufhaltsam hinterherzulaufen. Es erweist sich erneut als Problem, dass wir durch die strikte Trennung von Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern in unseren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Irgendwie wartet immer der eine auf den anderen. So passiert gar nichts oder weniges, und das nur verstreut, oder es muss von zu wenigen Menschen bewältigt werden. Auf dem Bildungsserver meines Bundeslandes Sachsen-Anhalt findet sich die Rubrik „Medienberatung“. Dort stehen für 14 Landkreise ganze 10 engagierte Beratungskräfte mit unglaublich interessanten Angeboten für Unterricht, Elternabend, Schulhomepage und Dienstberatung zur Verfügung, und ich wage nicht, mir vorzustellen, dass die knapp 900 allgemeinbildenden und 300 berufsbildenden Schulen alle ihr Herz für die digitale Bildung entdecken und auf die 10 Leute zwecks Fortbildung zugreifen. Wir werden diese Mammutaufgabe nicht den Schulen allein, nicht den Kommunen allein und auch nicht den Ländern allein überlassen können. Und schon gar nicht dem Selbstlauf. Nun hat die Koalition ein Instrument entdeckt, mit dem das Kooperationsverbot ein bisschen umgangen werden kann und die Länder genötigt werden sollen, einheitlich und abgestimmt zu handeln: den Länderstaatsvertrag. Einmal abgesehen davon, dass sich der Bund damit wieder aus der Verantwortung stiehlt, ist das ein Instrument, das die Legislative nur zum Abnicken braucht, aber nicht in die Verantwortung nimmt. Insofern ist es alles andere als ein föderales Instrument. Es schränkt demokratische Meinungsbildung und Mitsprache ein. Es ist aber auch ein untaugliches Instrument, denn was soll es bewirken? Die Implementierung von noch nicht vereinbarten Bildungsstandards? Und wenn sie es nicht tun? Wer soll es wie sanktionieren? Die KMK hat keine Sanktionsmöglichkeiten außer der gegenseitigen Nichtanerkennung von Abschlüssen. Das aber passiert jetzt schon über die Maßen und völlig inakzeptabel. Und wie wollen Sie denn die technischen Voraussetzungen für einen Länderstaatsvertrag schaffen? Ich fürchte, es ist ein stumpfes Schwert, und es riecht nach viel Bürokratie. Also erneuern wir die Forderung nach der Aufhebung des Kooperationsverbotes und fordern, dass auch der Bund in einem gemeinsamen Bund-Länder-Programm richtig viel Geld in die Hand nimmt, um die dort gemeinsam zu vereinbarenden Standards für digitale Bildung auch zu finanzieren. Weil in den Anträgen ansonsten wenig Falsches steht, uns aber viel Konkretes fehlt, werden wir uns der Stimme enthalten und kündigen hier schon einen eigenen, dann hoffentlich weitergehenden Antrag an. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im November 2014 wurde die ICILS-Studie veröffentlicht. In ihr wurde erstmalig der Frage nachgegangen, wie es um die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 8 bestellt ist. Nicht gut ist es um diese Kompetenzen bestellt, mit den Ergebnissen der ICILS-Studie können wir deshalb auch nicht zufrieden sein. Denn wenn 30 Prozent der Schülerinnen und Schüler lediglich eine der unteren beiden Kompetenzstufen erreichen und beispielsweise schon daran scheitern, einen einfachen Link zu öffnen oder in die Suchleiste zu kopieren, dann ist etwas faul in der sogenannten Bildungsrepublik Deutschland. Insbesondere die digitale Spaltung innerhalb der Schülerschaft ist skandalös. Es ist wie so oft: Es wird vor allem denen gegeben, die schon haben. Bei der digitalen Bildung ist das nicht anders. Das darf so nicht bleiben. Dass Schülerinnen und Schüler in Deutschland den Umgang mit dem Computer hierzulande trotz Schule lernen – um mal den Leiter der ICILS-Studie, Wilfried Bos, zu zitieren –, sagt viel aus und sollte nicht nur zum Nachdenken, sondern auch zum Handeln anregen. Es ist deshalb richtig und wichtig, dass sich die Große Koalition endlich in puncto digitaler Bildung und Medienkompetenz auf den Weg macht. „Zeit wird’s!“, kann ich da nur sagen. Wenn man sich den Koalitionsantrag aber genau anschaut, dann muss man leider wieder einmal feststellen: Ihr Antrag greift viel zu kurz, und es ist wie so oft bei Ihnen: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Gut gemacht wäre nämlich ein Antrag, der die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft im Hinblick auf Bildung und Forschung in der Breite umsetzt – von der Kita bis zur Hochschule, von der Schule bis zur Aus- und Weiterbildung. Und wenn Sie jetzt sagen, dass Sie sich erst einmal nur auf Schule konzentrieren wollen, und alles andere kommt dann später, dann sage ich Ihnen: Das reicht nicht aus. Von einer Großen Koalition, von der 28 Mitglieder im Bildungsausschuss sitzen, kann und darf man mehr erwarten. Von einer Großen Koalition, die seit nahezu zwei Jahren an der Regierung ist, muss man auch mehr erwarten. Und ich sage ihnen auch: Wenn Sie sich in ihrem -Antrag auf Schule konzentrieren, dann aber selbst da zahlreiche Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission nicht berücksichtigen, dann muss schon die Frage erlaubt sein, warum sie eigentlich Handlungsempfehlungen mitbeschließen – im Übrigen, die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission sind in diesem Hause einstimmig beschlossen worden –, die Sie dann entweder auf die lange Bank schieben oder überhaupt nicht umsetzen. Denn klar ist doch auch: All das, was Sie uns hier im Plenum unter den Schlagwörtern „Industrie 4.0“, „Digitale Technologien“ oder „Digitale Agenda“ verkaufen, all das verkommt doch zur Floskel, wenn junge Menschen nicht über entsprechende Kompetenzen verfügen und diese in der Bildung nicht konsequent gelehrt und gelernt werden. Digitale Bildung ist mehr als die Ausstattung von Schulen mit Whiteboards, Laptops und Ähnlichem. Diesbezüglich hat uns die ICILS-Studie viele Hausaufgaben in unser bildungspolitisches Hausaufgabenheft geschrieben. Hier einige Stichworte: Aus- und Fortbildung der Lehrer und Lehrerinnen, Open Educational Resources, Hardwareausstattung, Breitbandzugang, Vernetzung, Datenschutz usw. usf. Die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission geben darauf zahlreiche und vor allem sinnvolle und hilfreiche Antworten. Deshalb fordern wir Sie auf, das umzusetzen, was Sie seinerzeit mit uns gemeinsam beschlossen haben. Die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft können die Länder und Kommunen dabei aber nicht alleine stemmen. Der Bund wird deshalb nicht umhin kommen, mehr Geld für die digitale Bildung in die Hand zu nehmen. Deshalb meine Aufforderung an Sie: Verstecken Sie sich nicht hinter Zuständigkeiten und ihrem heißgeliebten, in Wahrheit aber äußerst dümmlichen Kooperationsverbot. Schieben Sie die Verantwortung nicht per Länderstaatsvertrag auf andere ab, sondern übernehmen Sie selbst Verantwortung. Eine Große Koalition sollte dazu eigentlich in der Lage sein. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Wir haben heute Mittag bereits über Möglichkeiten gesprochen, wie wir die Chancen für schwerbehinderte Menschen am Arbeitsmarkt verbessern könnten. Mit dem vorliegenden Antrag möchten wir einen kleinen, aber umso wichtigeren Teil dieses Arbeitsmarktes stärken und verbessern: die Integrationsbetriebe. Es gibt zwei maßgebliche Gründe dafür, Integrationsbetriebe auf einem Weg zur inklusiven Gesellschaft zu fördern. Der erste Grund ist die Funktion als Arbeitgeber. Integrationsfirmen beschäftigen einen sehr hohen Anteil an Menschen mit Behinderung. Mehr als 10 000 behinderte Menschen können so am allgemeinen Arbeitsmarkt teilhaben. Das ist umso wichtiger, weil sich dort in den vergangenen Jahren die Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinderung nicht signifikant verbessert haben. Auch aus rechtlicher Sicht ist die Arbeit der Integrationsunternehmen als Arbeitgeber wichtig: Sie tragen einen großen Teil dazu bei, dass die UN-Behindertenrechtskonvention in die Praxis umgesetzt wird – inklusives Arbeiten ist das Tagesgeschäft. Da wir diese -Entwicklung ausdrücklich begrüßen, möchten wir die Förderung so verstärken, dass noch mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung in Integrationsbetrieben geschaffen werden können. In den Jahren 2015, 2016 und 2017 sollen dazu jeweils 50 Millionen Euro aus dem Ausgleichsfonds kommen. Neben dieser Kernfunktion als Arbeitgeber von schwerbehinderten Menschen erfüllen Integrations-betriebe aber noch eine andere, mindestens ebenso wichtige Funktion: Sie sind Vorzeigeprojekte der Inklusion. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen, BAG IF, fasst diese Funktion in ihren Leitsätzen perfekt zusammen: „Unsere Vision ist es, für ein soziales Unternehmertum zu werben und dieses so zu verbreitern, dass überall in Deutschland benachteiligte und behinderte Menschen einen für sie passenden und attraktiven Arbeitsplatz erhalten können.“ Integrationsunternehmen zeigen tagtäglich, dass -Inklusion im Arbeitsleben möglich ist, und sie beweisen, dass sich wirtschaftlicher Erfolg und die Beschäftigung besonders betroffener Schwerbehinderter nicht ausschließen. Denn die Firmen müssen sich dem Wettbewerb des Marktes stellen wie alle anderen Unternehmen auch. Sie schaffen dies nicht mühelos, aber sie schaffen es. Das Geschäft der Integrationsbetriebe zeigt, dass viele Ängste und Befürchtungen von Unternehmern im Hinblick auf die schwerbehinderten Angestellten nicht nötig sind. Mit verlässlichen Nachteilsausgleichen und unterstützenden Rahmenbedingungen kann Politik dafür sorgen, dass viel mehr Menschen und auch Firmen diesen inklusiven Weg im Arbeitsleben gehen können. Mit den Mitteln aus dem Ausgleichsfonds und der damit verbundenen Stärkung der Integrationsbetriebe ist ein erster Schritt gemacht. Das ist aber nur ein Teil unserer Planungen für eine bessere Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung. Einen weiteren Teil werden wir mit dem Bundesteilhabegesetz angehen. Hier wollen wir das „Budget für Arbeit“ flächendeckend und bundesweit einführen und gesetzlich verankern. Es hat sich in Modell-Projekten bewährt und gewährleistet mehr Wahlfreiheit und mehr Selbstbestimmung. Menschen mit Behinderung können dann einfacher selbst entscheiden, wo und in welcher Form sie eine bedarfsgerechte Unterstützungsleistung im Arbeitsleben erhalten. Ein anderer Punkt, der zu einer größeren Wahlfreiheit führt, wäre die Zulassung von anderen Leistungsanbietern neben den Werkstätten für behinderte Menschen. Im Interesse der beschäftigten Menschen müssen wir aber dafür sorgen, dass die Qualitätsanforderungen an diese Anbieter doch mindestens ähnlich hoch wie die an die bestehenden Werkstätten sind. Klar ist aber auch: Nicht jeder Leistungsberechtigte benötigt die Komplexleistung, die in der Werkstatt erbracht wird. Wir werden hier einen Kompromiss finden müssen, der aber die Leistungsberechtigten in den Mittelpunkt stellen muss. Sie sehen: In nächster Zeit wird sich in dem Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung noch viel tun. Mit dem heutigen Antrag wollen wir aber erst einmal die Integrationsunternehmen stärken, damit sich möglichst viele Unternehmen an ihnen orientieren können und sich der inklusiven Gesellschaft öffnen. Uwe Schummer (CDU/CSU): Für Menschen mit oder ohne Behinderung ist die Teilhabe am Arbeitsleben sinnstiftend und existenziell zugleich. Jeder möchte für seinen Lebensunterhalt selbstständig sorgen, seine Fähigkeiten einbringen und einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten. Arbeit hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Die UN-Behindertenrechtskonvention hat dies aufgegriffen und macht dazu eindeutige Vorgaben. Deutschland als Vertragsstaat muss entsprechende Maßnahmen vorhalten, um das Ziel der vollen Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu erreichen und zu bewahren. Dazu gehören auch das Recht behinderter Menschen auf gleichberechtigte Teilhabe und das Recht, einen Beitrag dazu zu leisten, den eigenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. In Deutschland haben wir dafür bereits verschiedene Strategien entwickelt, um dieses Ziel zu verwirklichen. Zum einen gibt es die Werkstätten für behinderte Menschen. In ihnen arbeiten bundesweit 300 000 Menschen mit Behinderung. Der UN-Fachausschuss sagt, das sei keine echte Teilhabe am Arbeitsleben. Viele Betroffene selbst sehen das ganz anders. Ich möchte an dieser Stelle hervorheben: Wunsch- und Wahlfreiheit sind für die Union maßgebliche Leitlinie. Werkstätten sind ein Sonderweg, den die meisten anderen Länder nicht beschreiten. Dennoch leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Teilhabe am Arbeitsleben. Doch sie müssen sich noch sehr viel stärker am ersten Arbeitsmarkt ausrichten, sich flexibler aufstellen und durchlässiger werden. Mit einem „Budget für Arbeit“, das dem Menschen und nicht der Institution Werkstatt folgt, könnte das gelingen. Es wurde bereits erfolgreich in Modellprojekten erprobt und sollte aus Sicht der Union auch bundesweit Schule machen. Ein wichtiges und bekanntes Instrument, das noch großes Potenzial hat, viel mehr Arbeitsplätze abseits von Sonderstrukturen zu verwirklichen, sind die Integra-tionsbetriebe. Als Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt besetzen sie bis zu 40 Prozent ihrer Stellen mit schwerbehinderten Menschen. Bundesweit beschäftigen aktuell rund 800 Integrationsbetriebe über 22 000 Menschen. Davon haben etwa 10 000 Menschen eine Schwerbehinderung. Seit Einführung der Integrationsbetriebe mit dem SGB IX im Jahr 2011 konnten über 8 000 sozialversicherungspflichtige, tariflich bzw. ortsüblich entlohnte Arbeitsplätze geschaffen werden. Das liegt vor allem an der erfolgreichen Kooperation von Integra-tionsbetrieben mit Unternehmen direkt vor Ort in der Region. Sie sind als Lotsenboote für echte Inklusion in Arbeit unterwegs und zeigen mit innovativen Konzepten, dass Menschen mit Behinderungen alles können, wenn sie die Chance bekommen. Deswegen sind Integrationsbetriebe in sehr vielen Branchen am Markt, ob in der Gastronomie oder Hotellerie, im Garten- und Landschaftsbau, in der Industrieproduktion, im Facility Management, im Handel oder im Handwerk. Mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von etwa 23 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind viele von ihnen mittlerweile ein fester Bestandteil des erfolgreichen Mittelstands in Deutschland. Der gesetzliche Auftrag der Integrationsbetriebe lautet, schwerbehinderte Menschen mit einer geistigen oder seelischen Behinderung, die eine individuelle arbeitsbegleitende Betreuung benötigen, sowie Menschen mit einer schweren Sinnes-, Körper- oder Mehrfachbehinderung auszubilden, zu beschäftigen, arbeitsbegleitend zu betreuen und sie auf Arbeitsplätze in anderen Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes vorzubereiten. Aus diesem Grund bilden sie eine wichtige Brücke für Werkstattbeschäftigte, die auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln wollen. In Integrationsbetrieben bleiben alle rentenrechtlichen Vorteile weiterhin bestehen. Auch das macht sie für den Sprung raus aus der Werkstatt so attraktiv. Die Union will das erfolgreiche Konzept der Integrationsbetriebe noch erfolgreicher machen. Mit einem Sonderprogramm werden wir in den Jahren 2015 bis 2017 aus den Mitteln des Ausgleichsfonds im Bundesarbeitsministerium insgesamt 150 Millionen Euro in Neugründungen sowie in die Weiterentwicklung zu Inklu-sionsunternehmen investieren. Ziel ist, mittelfristig doppelt so viele Integrationsbetriebe wie heute zu haben, die sich dauerhaft am Markt halten können. Dazu reicht nicht nur eine gute Geschäftsidee, dazu müssen auch entsprechende Gelder fließen, um notwendige Investitionen in Barrierefreiheit und Lohnzuschüsse zu decken. Zudem sollen Integrationsbetriebe künftig bei der Vergabe öffentlicher Aufträge besonders berücksichtigt werden. Das stärkt ihre Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls nachhaltig und langfristig. Darüber hinaus sollen Gesundheitsförderung und Weiterbildung in Integrationsbetrieben eine größere Rolle einnehmen. Schwerbehinderte Menschen sind neben den beruflichen auch weiteren, zusätzlichen Belastungen ausgesetzt. Sie haben ein höheres Risiko, krank oder arbeitsunfähig zu werden. Eine betriebliche Gesundheitsstrategie in Integrationsbetrieben, in denen überdurchschnittlich viele schwerbehinderte Mitarbeiter angestellt sind, ist aus Sicht der Union nur folgerichtig. Integrationsbetriebe sind auch ein Sprungbrett in andere Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes. Regelmäßige Weiterbildung ist dafür eine zentrale Voraussetzung. Mehr Angebote für die betreffenden Mitarbeiter sollen ihre Beschäftigungschancen erhöhen. Eine echte Alternative zur Werkstatt sind Integra-tionsunternehmen insbesondere für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie haben es besonders schwer, beruflich wieder Fuß zu fassen, und brauchen individuell angepasste Arbeitszeitmodelle und Strukturen. Dann können sie ihr Können erfolgreich abrufen. Dazu soll auch beitragen, dass Integrationsbetriebe künftig bereits ab 12 Wochenstunden, statt bislang 15 Stunden, sogenannte begleitende Hilfen am Arbeitsleben bei den Integrationsämtern abrufen können. Die meisten Jugendlichen mit Behinderung wechseln nach der Förderschule direkt in eine Werkstatt für behinderte Menschen und bleiben dort. Diesen Automatismus wollen wir durchbrechen. Auch für sie bieten Integra-tionsunternehmen einen guten Ausbildungsort. Dort können sie neue Fähigkeiten erlernen, ihre Interessen individuell entfalten und sich gleichzeitig neue Beschäftigungschancen erarbeiten. Integrationsbetriebe sind schon heute in vielen Regionen sehr erfolgreich. Wie jedes Unternehmen brauchen sie Zeit, um sich am Markt behaupten zu können. Sie haben mit ihrem gesetzlichen Auftrag eine besondere Herausforderung zu meistern: im Wettbewerb mit anderen mittelständischen Betrieben konkurrieren und Teilhabe an Arbeit für schwerbehinderte Menschen organisieren. Das ist ein Spagat, den die Union mit ihrem Sonderprogramm künftig erleichtern will. Damit setzen wir ein Zeichen für mehr inklusive Beschäftigung und investieren zugleich in das Potenzial und die Fähigkeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Behinderung. Kerstin Tack (SPD): Menschen mit Behinderung sollen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können. Das ist nicht nur unser großes Anliegen, sondern spätestens seitdem wir im Jahr 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert haben auch unsere Verpflichtung. Die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben spielt dabei eine besonders wichtige Rolle. Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung liegt in Deutschland bei 35 Prozent. Nicht nur der EU-Durchschnitt liegt mit 38 Prozent darüber, -sondern Länder wie Schweden und Frankreich schaffen sogar mehr als 60 Prozent. Da müssen wir besser werden! Denn ein selbstbestimmtes Leben schließt ein, den eigenen Lebensunterhalt mit einer frei gewählten Tätigkeit selbst zu verdienen. Unser Ziel ist darum ein inklusiver Arbeitsmarkt. Das bedeutet: Wir brauchen mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse für Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Wir brauchen mehr Beschäftigungsverhältnisse, in denen der Fokus darauf liegt, was ein Mensch kann, und nicht, was er nicht kann. Und wir brauchen mehr Beschäftigungsverhältnisse, in denen Menschen arbeitsbegleitende Unterstützung erhalten, wenn sie sie gerade brauchen. Genau solche Arbeitsplätze bieten die rund 800 Inte-grationsbetriebe in Deutschland schon jetzt an. Die meist kleinen und mittelständischen Unternehmen beschäftigen insgesamt mehr als 22 000 Mitarbeitende. Knapp die Hälfte davon lebt mit einer Schwerbehinderung. Vor -allem Menschen mit seelischen und geistigen Behinderungen, aber auch Menschen mit schweren Sinnes-, Körper- oder Mehrfachbehinderungen finden dort eine passgenaue Ausbildung oder Beschäftigung – falls nötig, und das ist das Besondere, mit individueller Unterstützung. Gerade für Schulabgängerinnen und -abgänger aus Förderschulen bieten sie auch eine gute Möglichkeit, die leider noch viel zu häufig praktizierte Bildungskette -Förderschule – Werkstatt zu durchbrechen. Anstatt dass schwerbehinderte Jugendliche von einem separierenden System in das nächste wechseln, erhalten sie in Integra-tionsbetrieben direkt eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt. Darum streben wir mit unserer Initiative auch ein besseres Übergangsmanagement für den Wechsel von der Schule in Integrationsfirmen an. Zurzeit fördern die Integrationsämter die Integra-tionsbetriebe mit Mitteln der Ausgleichsabgabe. Im Jahr 2013 sind 68 Millionen Euro in den Aufbau und die Instandhaltung von Betrieben geflossen. Sie wurden damit betriebswirtschaftlich beraten, und besonderer Aufwand und außergewöhnliche Belastungen wurden ausgeglichen. Doch diese Mittel reichen nicht aus. In Integrationsbetrieben leben Menschen mit und ohne Behinderung schon jetzt Tag für Tag vor, wie ein inklusiver Arbeitsmarkt aussehen kann. Diese Erfolgsgeschichte müssen wir aktiv fortschreiben. Es kann -darum nicht sein, dass Anträge auf Gründung neuer Integrationsbetriebe nicht bearbeitet werden können, weil das Geld dazu fehlt. Darum wollen wir die Integrationsbetriebe mit 150 Millionen Euro aus dem Ausgleichsfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales massiv stärken. Je 50 Millionen Euro sollen in den Jahren 2015, 2016 und 2017 zur Verfügung stehen, um den Ausbau von -Integrationsbetrieben zu fördern und so die Anzahl der Arbeitsplätze zu verdoppeln. Aber auch Werkstätten können Integrationsbetriebe gründen und Gesamtkonzepte zur Stärkung entwickeln, die eine hohe Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt gewährleisten. Dass Integrationsbetriebe neben Werkstätten bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zukünftig bevorzugt berücksichtigt werden können, ist eine weitere wichtige Maßnahme, um sie zu stärken. Damit unterstützen wir ihre Wettbewerbsfähigkeit, denn sie müssen im Wettbewerb mit anderen Unternehmen bestehen. Anders als diese anderen Unternehmen beschäftigen sie aber eine hohe Anzahl von besonders betroffenen schwerbehinderten Menschen und müssen rentabel wirtschaften. Das ist ein Drahtseilakt, den die Integrationsbetriebe seit Jahren respektabel meistern. Mit der neuen Regelung zur Vergabe wollen wir jetzt die Bedingungen dafür verbessern. Vor dem Hintergrund, dass das Modell der Integra-tionsbetriebe sich bewährt hat, ist jetzt der richtige -Zeitpunkt, um es fortzuentwickeln. Darum wollen wir mehr Menschen die Möglichkeit geben, in Integrationsbetrieben zu arbeiten und von dem Konzept zu profitieren. Wir wissen, dass Menschen, die schon lange Zeit -arbeitslos sind, die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oft besonders schwer fällt. Auf langzeitarbeitslose Menschen mit Schwerbehinderungen trifft das noch einmal in besonderem Maße zu. Wir wissen, dass leider viele Langzeitarbeitslose bei der Arbeitssuche auf Vermittlungshemmnisse und Vorbehalte stoßen, die zeigen, wie wichtig ein inklusiver -Arbeitsmarkt für die gesamte Gesellschaft ist. Auch viele langzeitarbeitslose Menschen finden in Integra-tionsbetrieben Arbeitsbedingungen und Unterstützungsangebote vor, die ihnen den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt erleichtern können. Ich finde es darum richtig und nicht zuletzt im Sinne der Idee von Inklusion, dass wir die -Integrationsbetriebe zukünftig auch für die Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen öffnen wollen. Dabei muss jedoch klar sein, dass Langzeitarbeitslose mit und ohne Schwerbehinderung auch weiterhin durch die Eingliederungsmittel der Bundesagentur für Arbeit gefördert werden. Ich freue mich über diese Initiative, denn wir schaffen für mehr Menschen die Gelegenheit, den eigenen Lebensunterhalt mit einer frei gewählten Tätigkeit selbst zu verdienen. Damit gehen wir einen großen Schritt in Richtung inklusiver Arbeitsmarkt – auch wenn außer Frage steht, dass wir auf diesem Weg noch viele weitere Schritte zu gehen haben. Und natürlich haben wir auch noch viel mehr vor: Im Zuge des Bundesteilhabegesetzes wollen wir das Budget für Arbeit bundesweit einführen. In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hamburg und Niedersachsen gibt es schon sehr gute Erfahrungen damit, und es ist ein vielversprechendes Instrument, um personenzen-trierte Arbeitsplätze in Unternehmen zu fördern. Klar ist auch, dass wir flexible Übergänge zwischen den Werkstätten für behinderte Menschen und dem ersten Arbeitsmarkt brauchen, damit mehr Werkstattbeschäftigte sich dazu entscheiden, die Werkstatt zu verlassen. Dazu gehören vor allem klare Regelungen zum Rückkehrrecht. Diejenigen, die den Mut und den Willen aufbringen, auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln, brauchen die Sicherheit, in die Werkstatt zurückkommen zu dürfen, falls sie das möchten. Außerdem müssen wir bei Unternehmen mehr für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen werben. Wir müssen Förderinstrumente verbessern und mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern darüber ins Gespräch kommen. Denn natürlich zählen sie zu den wichtigsten Akteurinnen und Akteuren auf unserem Weg zum inklusiven Arbeitsmarkt. Viele von ihnen setzen sich bereits für dieses Ziel ein. Aber viel zu viele tun es noch nicht. Es gibt noch immer 37 500 Unternehmen, die die Beschäftigungsquote erfüllen müssten, aber gar keine schwerbehinderten Mitarbeitenden haben. Es sei dahingestellt, ob der Grund dafür Unwissenheit oder Unwille ist. In jedem Fall müssen wir sie darüber informieren, was es bedeutet – und vor allem, was es nicht bedeutet –, Menschen mit Behinderung einzustellen. Hier gibt es bereits gute Programme wie das -Projekt „Wirtschaft inklusiv“, auf denen wir aufbauen können. Ein inklusiver Arbeitsmarkt mit tatsächlicher Wahlfreiheit ist erst dann gegeben, wenn jede Wahl zur -Arbeitsaufnahme auch ermöglicht werden kann. Zu dieser Wahlfreiheit gehören für Menschen mit Schwerbehinderungen Arbeitsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, zu denen auch Integrationsbetriebe zählen, genauso wie Arbeitsmöglichkeiten in geschützten Werkstätten oder Außenarbeitsplätze. Mit unserem Antrag kommen wir einen wichtigen Schritt weiter auf dem inklusiven Arbeitsmarkt. Katrin Werner (DIE LINKE): Vor wenigen Minuten diskutierten wir den Antrag der Linken „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen“. Dabei wurde wieder einmal ganz deutlich: Bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention fehlt nach wie vor die Menschenrechtsperspektive! Der UN-Menschenrechtsausschuss über die Rechte von Menschen mit Behinderung ist besorgt über die Sonderarbeitswelten in Deutschland. Er kritisiert die Doppelstruktur und finanziellen Fehlanreize, die Inklusion verhindern. Deutschland ist das Land in Westeuropa mit dem am stärksten ausgeprägten Sondersystem. Aber was bedeuten der Regierung die Empfehlungen des UN-Fachausschusses? Seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention vor über sechs Jahren hat sich bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an Arbeit und Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt nicht viel getan. Im Gegenteil: ihre Arbeitslosenzahlen steigen entgegen dem allgemeinen Trend weiter an und die Zahl der Menschen, die auf Sonderwege geschickt werden, nimmt zu. Und jetzt sagen Sie uns bitte nicht wieder, wie schon beim letzten Mal, die Empfehlungen aus Genf würden sich auf den Staatenbericht von 2011 beziehen und seien quasi veraltet. Denn das sind sie nicht! Sie beziehen sich auf die Prüfung diesen Jahres und sind somit brandaktuell! Ja, Menschen mit Behinderung sind nach wie vor überdurchschnittlich oft arbeitslos, und das meist sehr lange. Ihre Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch wie die nicht behinderter Menschen. Sie werden nach wie vor ganz klar diskriminiert, sei es durch fehlende Unterstützung oder weil Arbeitsplätze nicht barrierefrei sind. Menschen mit Behinderung haben immer noch oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Hinzu kommt die mangelnde Sensibilisierung vieler Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen für ihre Kompetenz. Viele junge Menschen mit Behinderungen sind ausgezeichnet ausgebildet. Vor Arbeitslosigkeit schützt sie aber auch eine gute Ausbildung nicht. Und dennoch, meine Damen und Herren der Koalition, Ihr Antrag greift viel zu kurz und kommt auch reichlich spät! Ehrlich gesagt, er ist ein wenig „Show“. Sie wollen zwar einerseits Integrationsunternehmen in Inklusionsunternehmen umbenennen, aber bei der Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention halten sie eisern und stur an dem Begriff der Integration fest. Warum ersetzen sie ihn nicht auch dort endlich durch Inklusion? Die bereits rund 800 existierenden Integrationsunternehmen sind einfach nicht genug, da geben wir Ihnen Recht! Aber wieso beschränken Sie sich dann auf 150 Millionen Euro in den kommenden drei Jahren? Warum ergreifen Sie nicht mehr aus der Schatztruhe des Ausgleichsfonds des BMAS? Und wie wollen Sie denn noch in diesem Jahr die Integrationsunternehmen mit 50 Millionen entlasten? Wenn Sie Integrationsunternehmen für langzeitarbeitslose Menschen öffnen, was geschieht mit den dort arbeitenden Menschen mit Behinderung? Eine Förderung der Integrationsbetriebe allein reicht nicht aus. Wir brauchen eine strukturelle und schrittweise Umgestaltung des gesamten Werkstattsystems. -Integrationsfirmen sind für einen inklusiven Arbeitsmarkt fundamental wichtig. Sie tragen wegweisend zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben von Menschen mit Behinderungen bei. Wir müssen sie wesentlich stärken. Deshalb wollen wir, die Linke, bei der Umstrukturierung des derzeitigen Arbeitsmarktes für Menschen mit Behinderung vor allem Dreierlei: Wir wollen erstens Integrationsbetriebe nicht nur durch eine bevorzugte Vergabe bei öffentlichen Aufträgen fördern, sondern zusätzlich durch Investitionsförderungen und Steuerentlastungen in der Gründungsphase langfristig unterstützen. Wir wollen zweitens ein Budget für Arbeit, das es jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeitnehmerin erlaubt, ihren Arbeitsplatz frei zu wählen. Wir wollen drittens eine unabhängige verpflichtende Beratung durch Menschen mit Behinderung, die Menschen bei der Ausübung ihres Wunsch- und Wahlrechts bezüglich Arbeit mit zahlreichen Alternativen unterstützt. Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde in Deutschland mit ihrem Inkrafttreten geltendes Recht. Dieses Recht gilt es jetzt endlich auch in Bezug auf einen inklusiven Arbeitsmarkt umzusetzen. Menschen mit Behinderung müssen endlich mit entsprechender Unterstützung am allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein. Liebe Regierungsmitglieder, krempeln Sie die Ärmel hoch und erfüllen Sie ihre Hausaufgaben aus Genf. Setzen Sie die Empfehlungen aus Genf und somit Menschenrechte endlich auch bei uns um. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe es heute Nachmittag schon einmal gesagt: Ich freue mich, dass nun endlich auch von den Koalitionsfraktionen ein konkreter Vorschlag vorliegt, um die Chancen behinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Ich habe mich bereits heute Nachmittag ausführlich zum Thema geäußert, aus diesem Grund möchte ich nur mit einigen wenigen Sätzen auf den vorliegenden Antrag eingehen. Den Fokus auf die Integrationsbetriebe zu legen, ist eine gute Entscheidung: Sie bieten bereits jetzt vielen schwerbehinderten Menschen tariflich bzw. ortsüblich entlohnte Arbeitsplätze. Leider scheitern Neugründungen immer wieder daran, dass in den Ländern nicht ausreichend Geld zur Verfügung steht. Aus diesem Grund freue ich mich, dass hier vorgeschlagen wird, aus Bundesmitteln Gelder zur Verfügung zu stellen. Ich möchte aber auf zwei Aspekte hinweisen, die wir unbedingt im Auge behalten müssen: Zum einen sprechen Sie in Ihrem Antrag von „Anschubfinanzierung“. Nach meiner Kenntnis ist es gegenwärtig ein großes Problem, die Arbeitsplätze in Integrationsfirmen auf Dauer zu finanzieren. Wenn es also um die dauerhafte Begleitung und die Finanzierung von Lohnkostenzuschüssen geht, auf die sich Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auch verlassen können. Wenn wir die Integrationsfirmen als Alternative zur Werkstatt für behinderte Menschen ernsthaft stärken möchten, dann muss es auch hier Verlässlichkeit geben. Nun soll hier eine schöne Summe für Integrationsbetriebe zur Verfügung gestellt werden, und es wäre doch sinnvoll, dass die Betriebe das Geld auch so verwenden können, wie es zur Unterstützung der entsprechenden behinderten Menschen vor Ort sinnvoll ist. Den zweiten Punkt möchte ich hier als Anstoß in die Runde geben: Wir wissen, dass es große Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt, was die Förderung von Integrationsfirmen angeht. Wenn sich der Bund jetzt finanziell für die Integrationsfirmen engagiert, sollten wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir sicherstellen können, dass sich in der Folge kein Land aus der Verantwortung zurückzieht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für diesen Aufschlag und freue mich auf die weitere parlamentarische Beratung. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glaubensfreiheit (Tagesordnungspunkt 21) Erika Steinbach (CDU/CSU): Wir beraten heute abschließend über den von CDU/CSU, SPD und Grünen gemeinsam vorgelegten Antrag „Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glaubensfreiheit“. Zu Beginn meiner Rede will ich mich ausdrücklich bei unserem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder bedanken, der sich seit vielen Jahren mit großem Nachdruck für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit engagiert. Lieber Volker, mit deinem unermüdlichen Einsatz hast du das Feld bestellt, auf dem wir nun auch mit diesem Antrag aussäen können. Franz Josef Jung hat den Antrag gemeinsam mit den Beauftragten für Kirchen und Religionsgemeinschaften unseres Koalitionspartners und der Grünen „auf die Schienen gesetzt“. Auch dafür danke ich ausdrücklich. Die Religion drückt die tiefste Sehnsucht des Menschen aus. Sie bestimmt seine Weltanschauung und regelt die Beziehung zu den anderen. Letztlich gibt sie die Antwort auf die Frage nach dem wahren Lebenssinn im persönlichen und im sozialen Bereich. Die Religionsfreiheit bildet daher das Herz der Menschenrechte. Deshalb muss jeder Mensch seine Religion frei leben können. Für uns in Deutschland und in Europa ist dieser Satz selbstverständlich. In vielen anderen Teilen der Welt gilt dies aber nicht. Die Zahl der religiösen Auseinandersetzungen steigt. Religiös motivierter Hass ist weltweit zu einer der größten Bedrohungen des Friedens geworden – und das nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, wo der Terror des „Islamischen Staates“ auch immer mehr Muslime bedroht. Religionsfreiheit ist eng verwoben mit anderen Freiheitsrechten. Wo es keine Religionsfreiheit gibt, da gibt es keine Freiheit. Die Debatte über die Mohammed--Karikaturen hat die direkte Verbindung der Religionsfreiheit mit der Meinungs- und Pressefreiheit mehr als deutlich gemacht. Darüber hinaus haben viele Minderheitenkonflikte auch eine religiöse Dimension. Auch hier gilt: ohne Religionsfreiheit kein Minderheitenschutz. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist die Reli-gions- und Glaubensfreiheit seit langem ein wichtiges Anliegen, das sie aus dem C in ihrem Namen, dem Bekenntnis zum Christentum, herleitet. Die Hilfe für religiöse Minderheiten auf der ganzen Welt gehört in den Kontext ihrer wertegebundenen Außenpolitik. Wertegebundene Außenpolitik darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein. Sie muss ihren Ausdruck in der praktischen Politik finden. Bereits in der vergangenen Wahlperiode verabschiedete der Bundestag auf Initiative der Unionsfraktion einen Koalitionsantrag zur Religionsfreiheit. Es freut mich sehr, dass wir nun mit dem vorliegenden interfraktionellen Antrag gemeinsam die nächsten Schritte auf diesem Weg gehen können. Neu ist, dass die Bundesregierung in unserem Antrag dazu aufgefordert wird, bis Mitte nächsten Jahres erstmalig einen Bericht vorzulegen, in dem der Stand der Religions- und Glaubensfreiheit in den Staaten weltweit beschrieben wird. Dabei muss die Regierung auch ihre politischen Bemühungen vorstellen, die sie zur Förderung dieses Menschenrechts unternimmt. Damit folgen wir dem Beispiel der USA. Dort muss das State Department sogar jährlich berichten. Ich wünsche mir sehr, dass wir – aufbauend auf diesen zunächst einmaligen Bericht – mittelfristig ebenfalls einen regelmäßigen Berichtsrhythmus erreichen werden. So wäre zum Beispiel ein zweijähriger Rhythmus – immer im Wechsel mit dem Menschenrechtsbericht der Bundesregierung – denkbar. In unserem Antrag machen wir sehr deutlich, dass wir keine Religion oder Glaubensgemeinschaft besonders begünstigen wollen. Für unser eigenes Land heißt das, dass in der Bundesrepublik Deutschland jeder im Rahmen unserer Gesetze seinen Glauben frei leben kann. Das bedeutet zum Beispiel, dass alle Religionsgemeinschaften ihre Gottes- und Gebetshäuser bauen dürfen. Das bedeutet aber auch, dass das, was bei uns erlaubt ist, zum Beispiel in der Türkei oder anderen mehrheitlich muslimischem Ländern möglich sein sollte. In diesem Zusammenhang muss allerdings auch ganz klar sein, dass die mittelalterlichen Regeln der Scharia nicht mit unserem Grundgesetz und den freiheitlichen Werten der Europäischen Union kompatibel sind. Der Bericht wird sicherlich dazu beitragen, die doch manchmal sehr emotional geführten Debatten in diesem Bereich zu versachlichen. Die deutsche Außenpolitik kann viel für die Religionsfreiheit und religiöse Toleranz erreichen. Kaum ein Land dieser Welt wird es gerne hören, wenn Missstände auf diesem Gebiet offen angesprochen werden. Gegen den islamistischen Terror, wie er jüngst Tunesien und Frankreich erschüttert hat, hilft aber keine Diplomatie. Hier können wir nur die Kräfte unterstützen, die gegen diese Barbarei Widerstand leisten. Grundsätzlich muss ein neuer Geist der religiösen -Toleranz in dieser Welt einziehen. Das Eintreten für die Religionsfreiheit ist ein Einsatz für den Frieden. Der in unserem gemeinsamen Antrag geforderte Bericht zur weltweiten Situation der Religions- und Glaubensfreiheit kann in diesem Kontext ein deutscher Beitrag sein. Die erste Lesung und die Ausschussberatungen haben gezeigt, dass es in allen Fraktionen des Deutschen Bundestages eine breite Unterstützung für unser Vorhaben gibt. Deshalb würde ich mich auch heute in der abschließenden Abstimmung über Ihre Zustimmung freuen. Frank Schwabe (SPD): Zurzeit ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime. Weltweit sind die Muslime dazu aufgerufen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen und Trinken zu verzichten. Der Ramadan hat einen hohen Stellenwert für gläubige Muslime. In China unternimmt die Zentralregierung dieser Tage den Versuch, diese äußeren Symbole muslimischer Religiosität zu unterdrücken, unsichtbar zu machen. In einigen Landkreisen in der Provinz Xinjiang, deren Bevölkerung knapp zur Hälfte aus dem Volk der muslimischen Uiguren besteht, verbieten Parteimitglieder und Beamte das Fasten. Uigurische Beamte müssen schwören, die Fastenzeit zu boykottieren und nicht an Gott zu glauben und nicht an religiösen Aktivitäten teilzunehmen. Han-chinesische Kollegen sind aufgefordert, darauf zu achten, ob die Beamten mittags wirklich etwas essen. In den Schulen sollen Lehrer Schülern Wasser geben mit der Aufforderung, es öffentlich zu trinken. In der Öffentlichkeit wird vermehrt für Restaurantbesuche und vor allem auch für den Genuss von Alkohol geworben. All diese Aktionen stellen eine Verletzung des Rechts auf Glaubens- und Religionsfreiheit dar. Leider ist die Situation der Uiguren in China nur ein Beispiel. In den letzten Jahren steigt die Zahl der Menschen, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, der Ausübung ihrer Religion oder aufgrund eines Wechsels ihrer Religionszugehörigkeit Opfer von Diskriminierung, Unterdrückung, Verfolgung und erheblicher -Repressionen werden, stetig. Diese Menschen werden verhaftet, misshandelt, vertrieben. Vielfach müssen sie sogar um Leib und Leben fürchten. Der Fall der Uiguren in der chinesischen Region Xinjiang reiht sich in eine endlose Liste der Verletzungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit ein. Dies zeigt der Bericht zur internationalen Lage der Religionsfreiheit, den die US-Regierung seit einigen Jahren veröffentlicht: Dort wird von über 400 schiitischen Muslimen und 80 Christen berichtet, die in Pakistan von Milizen getötet wurden. In Ägypten sind Schiiten und Christen weiterhin vielfach gewalttätigen Angriffen ausgesetzt. Im Iran werden religiöse Gruppierungen, die nicht dem schiitischen Islam angehören, von Beamten und den sogenannten Gotteswächtern schikaniert und bedroht – so auch die Bahai. In Bangladesch wurden, angefacht durch politische Unruhen, Hindus und andere ethnische Gruppierungen belästigt und ebenfalls Opfer physischer Angriffe. In Sri Lanka zerstörten gewaltbereite nationalistische Buddhisten Moscheen und Kirchen, ohne dass Sicherheitskräfte eingriffen. Uns allen sind auch die Gräueltaten des „Islamischen Staates“ vor Augen, der in großen Teilen Syriens und des Irak in quasistaatlicher Funktion herrscht. IS-Anhänger versklaven Jesiden, Christen, aber auch schiitische -Muslime, verkaufen Frauen und Kinder und töten viele Andersgläubige auf brutalste Weise. Wir sollten den Blick allerdings nicht nur auf die islamisch geprägten Länder des Nahen und Mittleren Ostens oder auf den asiatischen Kontinent richten. Auch hier bei uns in Europa werden Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit mit Skepsis beäugt, ausgegrenzt. Dies belegen Phänomene wie Pegida, antisemitische oder antiislamische Äußerungen in Internetforen und in der Öffentlichkeit sowie die Kontroversen um den Bau von Synagogen, Moscheen und anderen Gotteshäusern „fremder“ Religionen. In den letzten Jahren lässt sich eine Renaissance der Religion feststellen. In einer zunehmend globalisierten Welt suchen viele Menschen im Glauben und im Zugehörigkeitsgefühl zu einer Glaubensgemeinschaft Sinn und Sicherheit. Ein Trend, der sich auf allen Kontinenten beobachten lässt, seien es die evangelikalen Bewegungen in den USA, in Lateinamerika oder in Afrika, die Strahlkraft des Islam oder aber die Wiederentdeckung und Stärkung der orthodoxen Kirche in Russland. Zunehmende Religiosität und eine wachsende Bedeutung von religiösen Faktoren in Politik und Gesellschaft führen, wie die genannten Beispiele zeigen, jedoch nicht automatisch zu mehr Verständigung und Frieden. Im Gegenteil: Sie lösen Spannungen aus in der Gesellschaft, Spannungen, die zu Einschränkungen des Rechts auf -Religions- und Meinungsfreiheit und somit de facto zur Einschränkung von Menschenrechten führen. Diese können, wie wiederum durch die Fallbeispiele deutlich wird, durch zivilgesellschaftliche Akteure, aber auch durch staatliche Stellen geschehen. Häufig sind religiöse -Minderheiten die Leidtragenden, aber auch die Mehrheitsreligionen können betroffen sein. Oft geht es nur vordergründig um Religion; politische, soziale und wirtschaftliche Motive spielen eine ebenso große Rolle. Zur Bewältigung der Konflikte bedarf es daher oftmals einer tiefergehenden Analyse. Die SPD-Fraktion verfolgt mit großer Sorge die weltweite Verfolgung von religiösen Minderheiten und setzt sich mit all ihren Möglichkeiten für den Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit ein. Dabei unterscheiden wir nicht nach Religionen, Weltanschauungen oder nach der Zahl der Anhängerschaft. Die weltweite Achtung und der Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit muss eine vordringliche Aufgabe der internationalen Gemeinschaft sein. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind längst vorhanden, denn Religions- und Glaubensfreiheit sind in internationalen und -regionalen Menschenrechtskonventionen sowie in nationalen Verfassungen verankert: in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in Artikel 18 des UN-Zivilpakts, in Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, in Artikel 10 der Grundrechtecharta der EU, in Artikel 12 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention und in Artikel 8 der Banjul Charta. Religionsfreiheit ist ein universales Recht, keine Frage der Toleranz. 166 Staaten haben den UN-Zivilpakt ratifiziert und erkennen damit verbindlich den folgenden Artikel 18 an: (1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. (2) Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde. (3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und freiheiten anderer erforderlich sind.“ Religions- und Glaubensfreiheit ist eine Ausprägung der Menschenwürde. Sie bezieht sich auf den einzelnen Menschen und sein Recht, eine Religion oder eine Weltanschauung zu haben oder anzunehmen. Er kann sie auch wechseln oder einen atheistischen Standpunkt einnehmen. Diese Entscheidungen zu treffen ist seine individuelle Freiheit. Positive Religionsfreiheit bedeutet, dass ein Mensch in allen seinen religiösen oder weltanschaulichen Aktivitäten Schutz genießt, negative Religionsfreiheit bedeutet, dass er zu keiner Religion oder Weltanschauung und den damit verbundenen Aktivitäten gezwungen werden darf. Positive und negative Religionsfreiheit sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Für alle den Menschenrechten verpflichteten Staaten, Gesellschaften und Religionsgemeinschaften ist es eine große Herausforderung, wirksam gegen die politische Instrumentalisierung von Religion und für den Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit einzutreten, sowohl im Innern als auch in den internationalen Beziehungen. In Europa ist Religionsfreiheit besser umgesetzt als in anderen Regionen der Welt. Deshalb haben die europäischen Staaten eine besondere Vorbildfunktion und Verantwortung für den inter- und intrareligiösen Dialog und für ein tolerantes Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit. Der für das nächste Jahr geplante Bericht über die weltweite Lage der Religions- und Glaubensfreiheit ist eine gute Basis zur intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik und wird die Arbeit in den Ausschüssen und im Bundestag unterstützen. Hervorzuheben ist, dass dieser Bericht nicht nur die Verletzungen des Rechts auf Religionsfreiheit aufzeigen, sondern auch auf die Maßnahmen der Bundesregierung eingehen wird, die diese zum Schutz der betroffenen religiösen Gruppen sowie zur Verbesserung der menschenrechtlichen Lage in den jeweiligen Ländern getroffen hat. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. Christine Buchholz (DIE LINKE): Heute stimmen wir über einen Antrag ab, der die Bundesregierung auffordert, bis zum 30. Juni 2016 einen Bericht über den Stand der Religionsfreiheit weltweit vorzulegen. Die Linke wird diesem Antrag zustimmen. Zwei Aspekte möchte ich in der Debatte besonders hervorheben: Wenn es um Religionsfreiheit geht, sollten wir zuerst vor der eigenen Haustür kehren. Das betrifft die Situation sowohl in der Bundesrepublik als auch in der EU. Zum anderen will ich hervorheben, dass viele Konflikte, die religiös bemäntelt werden, in aller Regel im Kern politische und soziale Auseinandersetzungen darstellen. Das Eintreten für Religionsfreiheit darf im Übrigen nicht für eine Außenpolitik instrumentalisiert werden, die diese Konflikte nicht löst, sondern befördert. Zum ersten Punkt: Wie steht es um die Religionsfreiheit in Deutschland und Europa? Dazu zählt nicht nur das formale Recht auf Ausübung der Religion der eigenen Wahl. Es muss auch ein Klima herrschen, in dem alle Menschen ohne Angst sich zu ihrem Glauben bekennen können. Dies ist nicht der Fall. Es herrscht ein Klima der Feindseligkeit gegen Muslime in vielen europäischen Ländern. Dies wurde jüngst durch eine Umfrage des US-Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center bestätigt, wonach 56 Prozent der Bevölkerungen in den sechs größten EU-Ländern negativ gegenüber Muslimen eingestellt seien. Die Folgen dieser feindseligen Haltung gegenüber dem Islam sind dramatisch. So jährte sich gestern zum sechsten Mal der Mord an Marwa al-Schirbini, die im Dresdner Landgericht vor den Augen ihres Kindes und ihres Mannes von einem Rassisten niedergestochen wurde. Die damalige Bundesregierung hat mehrere Tage gebraucht, bevor sie sich überhaupt zu diesem Verbrechen geäußert hat. Zurückhaltung bei der Verteidigung von Muslimen gibt jenen Rückenwind, die mit dem Hass gegen Muslime Menschen mobilisieren. Pegida konnte so Tausende in Dresden mobilisieren. Viele Politiker stellten sich gegen Pegida. Nur die wenigsten sprachen aus, was diese Bewegung antrieb: Rassismus gegen Muslime. Pegida ist nur der sichtbare Ausdruck für ein verbreitetes Problem. Moscheen wurden in den vergangen Jahren zu Dutzenden Ziele rassistischer Anschläge. Es gab wiederholt Proteste gegen den Bau von Moscheen. In einigen Orten versuchen kommunale Verwaltungen über Bauvorschriften und andere bürokratische Tricks, den Bau von Moscheen in zentraler Lage zu verhindern. Solange Muslime, Juden und andere religiöse Minderheiten nicht Gotteshäuser nach ihren Vorstellungen bauen oder angstfrei besuchen können, ist die Religionsfreiheit bei uns nicht für alle garantiert. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März darf Lehrerinnen nicht mehr pauschal verboten werden, an Schulen das Kopftuch zu tragen. Dies ist ein Schritt nach vorn. Denn das Kopftuchverbot ist nichts anderes als ein Akt der Unterdrückung einer religiösen Minderheit. Doch wir erleben weiterhin tagtäglich die Diskriminierung von muslimischen Frauen, die Kopftuch tragen. Einer der Gründe sind Äußerungen und Schriften bekannter Politiker, nicht zuletzt der Sozialdemokraten Sarrazin und Buschkowsky. In dem Bezirksamt von Berlin-Neukölln, dort, wo Buschkowsky Bürgermeister war, bewarb sich die kopftuchtragende Muslima Betül Ulusoy als Rechtsreferendarin. Sie musste erleben, wie eine telefonische Zusage zurückgezogen wurde, nachdem sie dort persönlich vorstellig wurde. Das ist Diskriminierung und widerspricht geltendem Recht. Leider ist diese Erfahrung kein Einzelfall. Häufig wird mit dem Finger auf andere Länder gezeigt, wenn es darum geht, religiöse Diskriminierung anzuprangern. Doch wie verhält sich die deutsche Auslandsvertretung in dem Land gegenüber diesem Phänomen? Die Ahmadiyya-Gemeinde wird in Pakistan verfolgt, ihre Eheschließungen werden in Pakistan nicht anerkannt. Wenn nach Deutschland ausgewanderte Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde Ehegatten oder -gattinnen im Zuge der Familienzusammenführung nachholen wollen, bekommen sie Probleme. Oft müssen sie erleben, dass sich die Deutsche Botschaft in Pakistan die Position der pakistanischen Behörden zu eigen macht und die Eheschließungen nicht anerkennt. Wer weltweit glaubwürdig für Religionsfreiheit eintreten möchte, darf nicht gleichzeitig diskriminierende Standards bei der Vergabe von Visa und Aufenthaltsberechtigungen übernehmen. Hier gibt es Handlungsbedarf. Herr Kauder setzt sich besonders für die Religionsfreiheit von Christinnen und Christen ein, zum Beispiel in Ägypten. Ich bin auch für die Religionsfreiheit der Koptischen Gemeinde in Ägypten. Wer aber die Rechte der Kopten hochhält und dann dem ägyptischen Diktator el-Sisi den roten Teppich in Berlin ausrollt, der predigt eine Doppelmoral. Unter Präsident el-Sisi wurden rund 1 500 Todesurteile gegenüber Muslimbrüdern und anderen Oppositionellen verhängt. Man kann sehr wohl die Rechte der Kopten verteidigen, ohne sich vor den Karren el-Sisis spannen zu lassen. Nicht nur el-Sisi, auch das saudische Regime wird hofiert – obgleich in dem Land auf die Ausübung der christlichen Religion die Todesstrafe steht. Offenbar trägt der Vorsatz einer „wertegeleiteten“ Außenpolitik nur so weit, wie die „Werte“ nicht mit wirtschaftlichen oder strategischen Interessen kollidieren. Das ist leider die Realität. Die Redner der Union haben in der ersten Lesung dieses Antrages auf die Verbrechen des sogenannten „Islamischen Staates“ verwiesen. Der IS mordet, versklavt und vergewaltigt im Namen der Religion Christen und Jesiden. Das ist richtig. Allerdings ist es falsch, den Eindruck zu erwecken, es handele sich beim Krieg im Irak um einen Krieg zwischen Christentum und Islam. Erstens sind es in der Mehrzahl Muslime, die unter dem IS leiden. Zum anderen werden vonseiten der radikal-schiitischen Milizen Verbrechen begangen, die jenen des IS gleichen. Doch diese Milizen sind es, auf die sich das mit der westlichen Allianz verbündete Regime in Bagdad stützt. Die Religion dient nicht nur dem IS, sondern beiden Seiten als Vorwand, um Ortschaften zu plündern, Gefangene hinzurichten und Bevölkerungen zu vertreiben. Wir sind gespannt auf den Bericht der Bundesregierung zur Religionsfreiheit. Und wir sind gespannt, wie sie das eigene Agieren in der Frage bilanzieren wird. Es geht um die Stärkung der Religionsfreiheit und aller anderen Menschenrechte. Hierzulande und weltweit. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Religiöse Intoleranz ist weltweit auf dem Vormarsch. Menschen werden aufgrund ihrer Religion in vielen Teilen der Welt diskriminiert, schikaniert, gefoltert und getötet. Mit barbarischem Eifer verfolgen extremistische Gruppierungen wie ISIS Andersgläubige – ob gemäßigte Muslime, Jesiden oder Christen. Die Terroranschläge am vergangenen Freitag mit insgesamt mehr als 65 Toten haben uns diese grausame Realität wieder einmal vor Augen geführt. In Lyon hinterließ der Attentäter eine -IS-Flagge und auch zu dem Anschlag auf Touristinnen an einem Strand in Tunesien bekannte sich die Terror-miliz. Der saudi-arabische Ableger des IS zeigte sich verantwortlich für die Bombe in einer Moschee in Kuwait. Christenverfolgung ist ein besorgniserregendes Problem, in Syrien sind derzeit 200 000 Assyrer auf der Flucht, auch die Drusen werden von ISIS bedroht. Der „Weltverfolgungsindex 2015“ des christlichen Hilfswerks Open Doors zeigt mit Blick auf verfolgte Christinnen und Christen einen wichtigen Ausschnitt der religiösen Verfolgung. Aber die Realität ist komplexer als das: Heiner Bielefeldt umschreibt es treffend: „Religionsfreiheit ist ein universelles Menschenrecht, das Menschen in all ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit schützt“. Er ist UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Glauben als Menschenrecht beinhaltet also nicht nur das Recht, sich einen Glauben zu bilden, sondern auch das Recht, ihn zu wechseln oder überhaupt nicht an eine Religion zu glauben. Auch Muslime sind sehr häufig Opfer religiöser Verfolgung, nicht nur, aber gerade auch durch Islamisten. Im Irak und Syrien werden neben den Jesiden auch -Schiiten und kritische Sunniten vom IS verfolgt. In Indien kommt es mit dem Hindu-Nationalismus immer wieder zu Gewalt gegenüber religiösen Minderheiten. In Myanmar gehen buddhistische Mönche gegen Muslime vor, auch in Sri Lanka wird Gewalt im Namen des Buddhismus verübt. In den Südstaaten der USA sind in den letzten Wochen zahlreiche sogenannte Black Churches angezündet worden von Tätern, deren krudes rassistisches „Ku-Klux-Klan“-Weltbild sich auf die christliche Lehre berufen will. In vielen Teilen der Welt werden außerdem immer wieder Atheisten verfolgt. Zur Religionsfreiheit gehört auch die negative Religionsfreiheit. Das heißt, die Freiheit, religiöse Riten und Äußerungsformen nicht vollziehen zu müssen. Aber immer wieder werden religiöse Argumente missbraucht, um Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen, so am vergangenen Wochenende in Istanbul. Die friedlich Demonstrierenden von Istanbul Gay Pride wurden mit Knüppeln, Tränengas, Wasserwerfern und sogar Plastikgeschossen vertrieben. Ihr Protest wurde als „unvereinbar mit dem Ramadan“ denunziert. Dieser Missbrauch der Religion als Legitimation für Gewalt ist inakzeptabel und besonders alarmierend. Die Demonstrierenden verdienen unsere volle Solidarität. Alle diese Vorfälle zeigen, dass wir endlich eine ehrliche und sachliche Debatte brauchen, sowohl über die Verfolgung im Namen des Glaubens als auch über die Verfolgung von Gläubigen. Hierbei kommt es darauf an, Zusammenhänge zwischen Gewalt und Religion nicht zu vereinfachen. Es ist wichtig, dass wir ein Bild davon bekommen, wo Menschen überall auf der Welt aufgrund ihres Glaubens verfolgt und diskriminiert werden. Der von uns gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen eingeforderte Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glaubensfreiheit kann dieses Bild zeichnen. Er kann die Debatte um Religionsfreiheit schärfen und auf sachlicher Ebene voranbringen. Es geht uns um eine präzise Berichterstattung zur weltweiten Lage der Verfolgung von religiösen Minderheiten. Der Bericht muss dann aber auch Konsequenzen für unsere eigene Politik haben. Unsere Aufmerksamkeit muss allen Schwachen, allen Opfern religiöser Verfolgung gelten. Denn dort, wo religiöse Gemeinschaften sich unterdrückt und benachteiligt fühlen, lassen sie sich für politische Zwecke mobilisieren. Außenpolitik muss den respektvollen Umgang der Religionsgemeinschaften untereinander fördern. Die Bundesregierung muss deutliche Kritik an der Diskriminierung aller religiösen Minderheiten in allen Teilen der Welt üben. Saudi-Arabien kann dann nicht mehr immer wieder als Partner bezeichnet werden, wenn die Regierung bereits den Besitz einer Bibel mit dem Tod bestraft und religiös-dogmatische, gewaltbereite salafistische Gruppierungen weltweit unterstützt. Religionsfreiheit ist ein zentrales Menschenrecht, und wir dürfen eines nicht vergessen: Sie muss der gleichen freiheitsrechtlichen Logik folgen wie die Meinungsfreiheit. Es geht darum, dass Menschen ihre Religion gemäß ihrer persönlichen Überzeugung gleichberechtigt und frei leben können. Dazu gehört auch, dass man religiös provozieren darf. Zum demokratischen Rechtsstaat muss gehören, diese Provokationen auszuhalten – egal ob von Monty Python oder „Charlie Hebdo“. Der Graben verläuft nicht zwischen Religionen, sondern zwischen Demokraten und den Feinden der Demokratie. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes und des Tiergesundheitsgesetzes (Tagesordnungspunkt 22) Thomas Mahlberg (CDU/CSU): Gerade mal vor zwei Tagen kam eine Meldung des Statistischen Bundesamtes, dass die Erzeugung in deutschen Aquakulturbetrieben im Jahr 2014 gegenüber dem Vorjahr um 3,0 Prozent gestiegen ist. Immer mehr Fisch, der auf unserem Teller landet, kommt aus der Zucht. In absehbarer Zeit werden wir wohl mehr Fisch aus Aquakulturen als aus dem Fang verspeisen. Im Hinblick auf die Überfischung und zum Schutz der Ökosysteme ist diese Entwicklung zu begrüßen. Bei der Nutzung der Wachstumspotenziale der Aquakultur ist jedoch darauf zu achten, dass dies nachhaltig und tierschutzgerecht erfolgt. Der Appetit auf Aquakultur- und Fischereiprodukte wächst weltweit seit dem Jahr 2004 kontinuierlich. Fisch ist nicht nur ein wichtiger Teil der menschlichen Ernährung, sondern auch ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. Alleine in der deutschen Fischwirtschaft betrug der -Umsatz im Jahr 2014 rund 2 Milliarden Euro. Für die nächsten Jahre werden der Branche stabile Umsätze prognostiziert. Die Fischwirtschaft hat nicht nur unseren Fischhunger zu stillen und dabei auf die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen zu achten. Mit der heute zur Beratung stehenden Änderung des Fischetikettierungsgesetzes wird die Fischwirtschaft verpflichtet, noch mehr Transparenz über die Herkunft und die Produktionsmethoden ihrer Produkte herzustellen. Die Überführung der neuen, ergänzenden EU-Vorschriften zur Verbraucherinformation in nationales Recht ist eine Eins-zu-eins-Umsetzung und stärkt das Vertrauen der Kon-sumenten, was wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion -äußerst begrüßen. Dank der neuen Kennzeichnungsvorschriften wird sich jeder Verbraucher informieren können, in welchem Untergebiet genau und mit welchen Fanggeräten der Fisch gewonnen wurde. Auch bei Binnenfischerei- und Aquakulturerzeugnissen muss künftig ihre Herkunft angegeben werden. So kann jeder beim Kauf verstärkt Nachhaltigkeitsaspekte in Erwägung ziehen und den Schutz unserer natürlichen Ressourcen fördern. Das entspricht unserem Leitbild eines mündigen Verbrauchers, der auf der Grundlage -klarer Angaben sein Kaufverhalten steuern und dadurch Verantwortung übernehmen kann. Die Stärkung der -Verbraucherinformation rechtfertigt geringfügig höhere Kosten, die der Wirtschaft durch die erweiterte Etikettierung ihrer Erzeugnisse entstehen sowie den eher unbedeutenden Mehraufwand für die Verwaltung. Mit keinerlei Kosten verbunden ist wiederum die -Änderung des Tiergesundheitsgesetzes, die heute ebenso in der zweiten und dritten Lesung beraten wird. Mit dieser Änderung wird eine Regelungslücke geschlossen, um bestimmte Verordnungsregelungen mit einem -Bußgeld zu bewehren. Dies ist wichtig, damit im Falle einer virulenten Tierseuche Zuwiderhandlungen gegen entsprechende Verbote als Ordnungswidrigkeit geahndet werden -können. Ferner wollen wir mit einem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen dem Friedrich-Loeffler-Institut, das als Bundesforschungsinstitut für die Tiergesundheit zuständig ist, eine Veröffentlichung von Testergebnissen ermöglichen. Die Ermächtigung sieht vor, dass das Institut die im Rahmen seiner Tätigkeit als Referenzlabor gewonnenen Erkenntnisse veröffentlichen kann, soweit dies einer Gefahrenabwehr oder einer Risikovorbeugung dient. Bei der Entscheidung über die Veröffentlichung hat das Friedrich-Loeffler-Institut die Belange der Betroffenen zu beachten und ihnen Rechnung zu tragen. Eine Veröffentlichung personenbezogener Daten ist ausgeschlossen. Mit diesem Vorschlag verbessern wir die Rechtslage im Sinne der Tiergesundheit. Für meine Fraktion und mich persönlich ist die Stärkung der Tiergesundheit ein wichtiger Auftrag und hohe Verantwortung, die sich aus dem Staatsziel Tierschutz ergeben. Zum Schluss möchte ich um breite Unterstützung für die Änderung des Tiergesundheitsgesetzes und des -Fischetikettierungsgesetzes werben. Denn mit diesen Änderungen stärken wir den Verbraucher und sein Recht auf verständliche und umfassende Information, fördern das Verbrauchervertrauen in die Fischerei- und Aquakulturprodukte, machen die Fischerzeugung nachhaltiger und schützen die Gesundheit unserer Mitgeschöpfe. Alois Rainer (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes und des Tiergesundheitsgesetzes vollziehen wir die Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft durch die Verordnung 1379/2013 vom 29. Dezember 2013. Damit gehen wir auf die gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur ein mit dem Ziel, den Verbraucherinnen und Verbrauchern weiterführende, klare und verständliche Informationen verfügbar zu machen. Die Gesetzesänderung berücksichtigt in Artikel 1 die erweiterten Verbraucherinformationen des Unionsrechts, die bei der Etikettierung nach diesem Gesetz in Zukunft zusätzlich berücksichtigt werden müssen. Unverändert davon bleiben in dem Entwurf die Bestimmungen hinsichtlich der Aufgaben der zuständigen Behörden sowie die Bußgeldvorschriften. So ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung weiterhin für die Überwachung der Einhaltung der Rechtsakte der EU außerhalb der verbindlichen Anlandeorte zuständig. Demnach müssen sowohl für die Gebiete des Nordost-atlantiks, die FAO-Fanggebiete, in denen die deutsche Flotte überwiegend fischt, als auch für das Fanggebiet im Mittelmeer und im Schwarzen Meer, differenzierte Angaben über die Herkunft der Fischereiprodukte, mit Angabe über das Untergebiet oder über den Bereich des Fischens, gemacht werden. Die Änderungen in Artikel 2 bezüglich des Tierschutzgesetztes dienen vorrangig der Schließung einer Lücke bei den Ordnungswidrigkeiten. Zum derzeitigen Zeitpunkt sieht das Tiergesundheitsgesetz keine ausreichende Bußgeldbewehrung bestimmter Verordnungsregelungen vor, die Verbote des innergemeinschaftlichen Verbringens, der Einfuhr oder der Ausfuhr von Tieren, Teilen von Tieren oder tierischen Erzeugnissen zum Inhalt haben. Zum Beispiel bei hochansteckenden Tierseuchen, wie etwa der Schweinepest, wäre bei Zuwiderhandlungen gegen entsprechende Verbote eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit derzeit nicht möglich. Mit der nun vorliegenden Änderung soll die derzeit bestehende Bewehrungslücke im Tiergesundheitsgesetz geschlossen werden. Dazu bedarf es sowohl einer Änderung der Bußgeldvorschrift in § 32 des Tiergesundheitsgesetzes als auch einer Neufassung des § 14 Absatz 1 des Tiergesundheitsgesetzes. Ferner wollen wir mit einem Änderungsantrag sicherstellen, dass das Friedrich-Loeffler-Institut, FLI, ermächtigt wird, die im Rahmen der Wahrnehmung seiner Aufgaben als Referenzlabor gewonnenen Testergebnisse bei Vorliegen einer Gefahr oder eines Risikos für die Tiergesundheit zu veröffentlichen, soweit die Veröffentlichung der gewonnenen Erkenntnisse, einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden produktbezogenen Angaben, einer Gefahrenabwehr oder Risikovorbeugung dienlich erscheint. Insgesamt ist festzuhalten, dass mit den geschaffenen Kennzeichnungsänderungen im Fischetikettierungsgesetz die Verbraucherinnen und Verbraucher künftig mehr über die Herkunft und die Produktionsmethoden von -Fischerei- und Aquakulturprodukten erfahren werden. Außerdem wird mit der Änderung im Tiergesundheitsgesetz die bestehende Bewehrungslücke geschlossen und damit die Durchsetzung von Verboten beim Auftreten hochansteckender Tierseuchen verbessert. Johann Saathoff (SPD): Fisch ist gesund und wir sollten alle mehr Fisch essen. Das ist keine Neuigkeit. Aber alle, die es bislang nicht wussten, können auch die aktuelle Zeitschrift der Stiftung Warentest lesen. Da steht drin, dass sich die Omega-3-Fettsäuren sehr positiv auf das Gehör auswirken können. Leider war der Pro-Kopf-Fischverbrauch der Deutschen in den vergangenen Jahren leicht rückläufig. Zwischen 13 und 14 Kilogramm verzehrt der durchschnittliche Deutsche pro Jahr. In der Liste der meistverzehrten Arten steht dabei der Alaska-Seelachs an erster Stelle, gefolgt von Lachs und Hering. Der -Pangasius hat in den vergangenen Jahren wieder Marktanteil verloren. Auch unter gesundheitlichen Gesichtspunkten ist das von Vorteil, denn er enthält vergleichsweise wenig Omega-3-Fettsäuren. Und damit sind wir bei der gesunden Ernährung. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in dieser Woche eine große Veranstaltung zum Thema „Gute Ernährung“ durchgeführt. Allein die große Zahl der Teilnehmer hat deutlich gemacht, dass die Ernährung ein Kernthema für uns alle sein muss, da es darum geht, was die Menschen essen und wie Lebensmittel erzeugt werden. Es geht aber auch darum – und damit komme ich zu unserem heutigen Thema –, wie Menschen, die bei ihrem Einkauf auf die nachhaltige Produktion der Lebensmittel achten, erkennen, dass die Lebensmittel, in diesem Fall der Fisch, nachhaltig produziert oder gefangen wurden. Der uns heute vorliegende Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Fischetikettierungsgesetzes stellt nicht nur die einfache Umsetzung von EU-Recht dar, er ist vielmehr auch durch die deutliche Kennzeichnung ein großer Zugewinn für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für eine noch nachhaltigere Fischereiwirtschaft. Die Verbraucherpräferenzen haben sich, was die Konsumentscheidung angeht, in den letzten Jahren stark verändert. Heutzutage hat der Verbraucher eine viel größere Auswahl, welchen Fisch er essen möchte. Denn Fisch wird weltweit gefangen, erzeugt, gehandelt und transportiert. Nicht umsonst stand Frau Aigner nach dem Unglück in Fukushima am Frankfurter Flughafen und kontrollierte dort öffentlichkeitswirksam den ankommenden Fisch. Ein Großteil der Fischimporte nach Deutschland kommt nämlich per Flugzeug. Die neue Gemeinsame Marktordnung, auf der die heutige Gesetzesvorlage basiert, ist Teil des Verordnungspaketes zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik, die bekanntlich im Jahr 2013 unter der griechischen Kommissarin Maria Damanaki novelliert wurde. Mit der Reform wurden einige Pflöcke für eine deutlich nachhaltigere Fischerei in europäischen Gewässern und darüber hinaus eingeschlagen. Die Fangquoten werden nach dem MSY-Ansatz, dem maximalen nachhaltigen Dauerertrag, festgelegt und gefangener Fisch, für den man keine Quote hat, sogenannter Beifang, darf zukünftig nicht mehr über Bord geworfen werden. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass sich die Situation der Bestände der einzelnen Fischarten sehr unterschiedlich darstellen. Dabei müssen wir uns vor Augen führen, dass die Fischerei die einzelnen Fischarten deutlich detaillierter betrachtet als der gemeine Verbraucher. Im Nordostatlantik gibt es allein 13 Kabeljaubestände, und der Bestand in der Barentssee ist zehnmal so groß wie die anderen Bestände zusammen. Die kleineren Bestände sind teilweise in schlechtem Zustand; man kann also über den Zustand des Kabeljaus keine pauschale Aussage treffen. Mit der Gesetzesänderung wollen wir den Verbrauchern an der Theke und an der Tiefkühltruhe die Möglichkeit geben, auf diese differenzierte Situation der Bestände zu reagieren. Die derzeitige Einteilung in „FAO-Fischereigebiete“, der Nordostatlantik ist die FAO 27, wird als zu grobes Raster angesehen und daher durch die Aufteilung in sogenannte Untergebiete und Bereiche weiter gestaffelt. Diese kleinräumigere Einteilung ermöglicht eine weitaus genauere Herkunftsbestimmung. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist es zum einen eine anspruchsvolle Aufgabe, diese Informationen zu akquirieren. Andererseits geben die Angabe des genauen Fanggebiets und des Fanggeräts noch keine Auskunft über die Bestandssituation. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Kombiniert mit den detaillierten Informationen von Fischbestände-Online ist es den Menschen möglich, Fisch sehr zielgerichtet zu kaufen. Ich möchte alle Menschen ermutigen, sich beim oder vielleicht schon vor dem nächsten Fischeinkauf einmal dort schlauzumachen getreu dem Motto: „Watt de Buur neet kennt, dat frett he neet!“. Das Thünen-Institut hat auf Fischbestände-Online in den letzten fünf Jahren umfangreiche Informationen über die Fischbestände des Nordostatlantiks zusammengestellt, und diese werden auch laufend aktualisiert. Mit der Gesetzesänderung wird neben der genaueren Fanggebietskennzeichnung auch eine Kennzeichnung des Fanggeräts umgesetzt. Dabei wird zunächst nach aktiven und passiven Fanggeräten unterschieden und diese dann noch weiter gruppiert. Auch zu den einzelnen Fanggeräten kann man sich auf Fischbestände-Online sehr genau informieren. Der Kunde kann bei seiner Kaufentscheidung also viele neue Elemente berücksichtigen. Unsere Aufgabe war und ist es nun, die Verbraucherinnen und Verbraucher dazu zu ermutigen, von diesem Informationsangebot Gebrauch zu machen. Also, meine Damen und Herren, besuchen Sie Fischbestände-Online. Am Rande sei mir noch eine Bemerkung erlaubt: Ich würde mich im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, die sich dafür interessieren, welche Nahrungsmittel sie hinsichtlich der Art der Nahrungsmittelproduktion und deren Verarbeitung und der Transportwege kaufen, freuen, wenn diese neue Form der Transparenz für die Verbraucherinnen und Verbraucher vom Fisch auch auf andere landwirtschaftliche Produkte – insbesondere Fleisch – übergehen könnte. Die Argumentation, das ginge vom Verfahrensablauf schlicht nicht, ist mit diesem Gesetz spätestens widerlegt. In diesem Sinne schließe ich für heute, in der Hoffnung, dass das Thema Fischerei, dass hier leider viel zu oft zu kurz kommt, in naher Zukunft noch weitergehend an dieser Stelle behandelt wird. Karin Binder (DIE LINKE): Fisch ist wertvoller Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung. Ein bis zwei Fischmahlzeiten pro Woche empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Gleichzeitig sind die Meere von Überfischung und umweltschädlichen Fangmethoden bedroht. Auch Zuchtfisch aus der Teichwirtschaft oder den Aquakulturen in offenen Gewässern belastet das Ökosystem. So wird für die Aufzucht von Forellen Fischmehl und Fischöl verwandt, das aus gefangenem Meeresfisch stammt. Für 1 Kilo Zuchtfisch müssen oft 5 Kilo Wildfang als Futter herhalten, was wiederum die Meeresumwelt bedroht. Damit uns nicht der Appetit vergeht, müssen wir also genau wissen, was auf dem Teller landet. Fisch muss als Teil einer ausgewogenen Ernährung aus bestandserhaltender und umweltschonender Fischerei stammen. Der hier vorliegende Entwurf zur Änderung des -Fischetikettierungsgesetzes ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Verbraucherinnen und Verbraucher erfahren künftig genauer, woher der Fangfisch oder die Erzeugnisse aus Aquakulturen stammen. Sie werden zudem über die Fangmethoden, beispielsweise „Schleppnetz“ oder „Treibnetz“ informiert. Das war überfällig! Hilfreich beim Fischkauf ist auch das MSC-Logo. Es wird von einer gemeinnützigen Organisation vergeben und zeichnet Meeresfisch aus, der aus umweltverträglicher und bestandsschonender Fischerei stammt. Der -Lebensmitteleinzelhandel setzt zunehmend auf MSC-Fisch, was zu begrüßen ist. Allerdings ist die Menge an Fisch aus nachhaltiger Fischerei begrenzt, und wir müssen aufpassen, dass die bisher strengen Regeln der MSC-Zertifizierung nicht auf Druck des Handels aufgeweicht werden, bloß um die fangbare Menge zu erhöhen. Das wäre dann krasse Verbrauchertäuschung, und das Logo würde seine Glaubwürdigkeit verlieren. Wir werden uns auch mehr mit dem rasanten Zuwachs an Zuchtfisch auseinandersetzen müssen. Nicht einmal jeder zehnte Lachs stammt heute aus dem Meer. Ganz überwiegend kommt er aus riesigen Fischfarmen. Das sind schwimmende Käfiganlagen vor den Küsten, die jeweils bis zu 50 000 Lachse aufnehmen. Schon wird mit gentechnisch veränderten Lachsen experimentiert, um noch schneller noch größere Zuchtfische mit noch größerem Profit zu bekommen. Gelangt dieser Genlachs durch schadhafte Maschen ins freie Meer, besteht die Gefahr, dass er ganze Ökosysteme verändert. Wir lehnen solche Experimente deshalb ab! Die industrielle Zucht erfordert zudem den Einsatz von Medikamenten und Tierfutter, das mit zum Teil krebserregenden Chemikalien belastet ist. Gerade gestern sprachen wir im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft über schädliche Zusätze in Fischmehl. Der möglicherweise Erbgut schädigende und krebserregende Konservierungsstoff Ethoxyquin, der als Pflanzenschutzmittel bereits 2011 verboten wurde, gelangt über die Fütterung von Zuchtlachs mit Fischmehl in die menschliche Nahrungskette und in die Muttermilch. Wir brauchen also auch für diese Form der Massentierhaltung strenge Vorgaben für den Verbraucherschutz. Kritisch sehen wir die Einschränkung des Friedrich-Loeffler-Instituts, FLI, durch das Gesetz bei der Veröffentlichung bestimmter Forschungsergebnisse. Wenn „bei der Entscheidung über die Veröffentlichung den Belangen der Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen ist“, kann das auch bedeuten, dass damit unbequeme Wahrheiten und unangenehme Veröffentlichungen unterbunden werden können. Hier muss die Bundesregierung im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher unbedingt für juristische Klarheit und die notwendige Transparenz sorgen. Fisch ist wertvoller Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung. Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass es auch so bleibt. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir diskutieren hier heute einen Gesetzentwurf zur -Fischetikettierung. Die Reform der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik, GFP, wurde nach dreißig Jahren endlich auf den Weg gebracht. Jetzt setzen wir schrittweise auf nationaler Ebene die EU-Beschlüsse in nationales Recht um. Wir begrüßen die Reform im Grundsatz, da sie versucht, Fischbestände langfristig nachhaltig zu bewirtschaften. Die Fischerei weltweit kann mit Schauer-geschichten aufwarten: Bestände sind erschöpft und überfischt, regionalen Fischern in Asien oder Afrika wird durch industrielle Fischerei die Lebensgrundlage genommen, Fische werden nach dem Fang tonnenweise über Bord gekippt, weil die Ausbeute nicht genügend Geld auf dem Markt einbringt, und durch „höherwertige“ Fänge ersetzt – um nur einige Beispiele zu nennen. Es ist ja schön, dass Sie jetzt auch national regeln, dass auf den Fischverpackungen neben vielen anderen Dingen auch die Fanggerätekategorie angegeben werden muss. Haben Sie sich schon einmal Fischverpackungen genauer angesehen? Auf vielen Fischverpackungen steht bereits eine große Liste an Angaben – freiwillig oder verpflichtend. Wirklich vergleichbar sind die Verpackungen jedoch häufig nicht. Meist steht auf den Packungen ein Mischmasch aus verpflichtenden und freiwilligen Angaben. Bei den wenigsten – rund 5 Prozent nach Ermittlungen von Greenpeace – kann man die gesamte Fang- und Lieferkette nachvollziehen. Es stehen dort meist Informationen zu Fischart, Fangart, Fanggebiet usw. Dies macht es in vielen Fällen für den Verbraucher nicht wirklich einfacher. Der Kunde muss inzwischen ja schon fast Fischereiexperte sein, um die Angaben auf den Verpackungen verstehen zu können. Ehrlich, nachvollziehbar und transparent wäre die notwendige Lösung. Hier müsste die Bundesregierung ansetzen: Statt immer mehr Angaben auf den Fischverpackungen zu platzieren, müssten diese Angaben übersichtlicher gestaltet werden, etwa mit dem Fanggebiet auf einer Landkarte. Ein Beispiel: Eine Kennzeichnung des Fanggebiets FAO 27 lässt den Kunden nicht sofort nachvollziehen, wo der Fisch gefangen wurde, und schon gar nicht, ob in diesem Fanggebiet die gekaufte Fischart bereits am -Limit ist. Wir sind generell für mehr Kennzeichnung und vor allem Kontrolle der Lebensmittel. Die Konsumenten müssen verlässlich nachvollziehen können, woher das Produkt stammt und welchen weiteren Weg es nach dem Fang noch genommen hat. Diese Kennzeichnung muss auch für Informationen auf den Fischverpackungen gelten. Und das Ganze muss verständlich, nachvollziehbar und transparent sein. Nur dann macht eine ausführliche Kennzeichnung auch Sinn. Bessern Sie also in diesem Sinne das Gesetz nach. So geht es zwar in die richtige Richtung, greift aber viele wichtige Punkte für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht ausreichend auf. Wir werden daher mit Enthaltung stimmen. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes (Tagesordnungspunkt 23) Kordula Kovac (CDU/CSU): Wir wollen heute erneut über eine Novellierung des Weingesetzes beraten und beschließen. Wein in Deutschland hat eine lange Tradition. Dass Tradition aber nichts mit altmodisch zu tun hat, durfte ich in meiner Heimat erfahren. Gerade in diesem Jahr wurden dort die badischen Winzer von CreatiWi aus Sasbachwalden als beste Jungwinzervereinigung ausgezeichnet. Für diese jungen Menschen ist Tradition vor allem der eigene Anspruch an qualitativ hochwertige Produkte und gelebte Winzerleidenschaft. Es ist unsere Aufgabe als Bundestagsabgeordnete, Vorgaben aus Brüssel so umzusetzen, dass wir den europäischen Wünschen entsprechen und gleichzeitig unsere traditionsreiche deutsche Weinbaukultur schützen. Das überarbeitete Genehmigungssystem für Neuanpflanzungen von Weinreben in der Novelle des Weingesetzes ist notwendig geworden, um auf ein Überangebot des Marktes reagieren zu können. Das neue Genehmigungsverfahren betrifft vor allem Neuanpflanzungen, die nun unter besonderen Voraussetzungen in ganz Deutschland zu ermöglichen sind. Waren die Verhandlungen auf Grundlage der EU-Vorlagen bei den vorangegangenen Abstimmungen doch immer relativ harmonisch, so haben wir diesmal mehr Diskussionsbedarf gehabt. Auf den Punkt gebracht: Eine solche Gesetzesänderung ruft vor Ort bei den Betroffenen immer Unsicherheiten hervor. Dass es zudem nie einfach ist, es allen recht zu machen, zeigt sich auch bei diesem Thema. Denn sowohl im Bundesrat als auch hier im Hohen Hause wurde die Debatte kontroverser geführt, als man es in der Vergangenheit gewohnt war. Zu verschieden waren die Positionen der betroffenen Bundesländer und ihrer Abgeordneten. Ganz deutlich: Ein Bundesgesetz zu verabschieden, das die einheitliche Grundlage für Bundesländer mit solchen grundverschiedenen Voraussetzungen in der Sache beinhalten soll, erweist sich per se als äußerst schwierig. Lebhaft zu ging es bei dem Wert der zur Verfügung stehenden Genehmigungen für Neuanpflanzungen für die Jahre 2016 und 2017: Von 1 Prozent bis 0,1 Prozent gab es die verschiedensten Forderungen seitens der Bundesländer, der Berufsverbände, aber auch innerhalb der Kollegen über die Fraktionsgrenzen hinweg. Dies sorgte vor allem bei unseren Winzern für Unsicherheit. Deshalb war und ist es wichtig, dass wir uns auf einen Wert von 0,3 Prozent verständigen konnten. Gleichzeitig haben wir dem Wunsch der Länder mit kleineren Anbauregionen Rechnung getragen. Für diese soll es eine Sonderregelung geben, die einen aus betriebswirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Gründen notwendigen Mindestanteil an den Neupflanzungen bis zu 5 Hektar sichern soll. Politik ist immer eine Abwägung von Interessen und deshalb oft verbunden mit der Findung von Kompromissen. Mit der neuen Regelung ist uns, denke ich, ein guter und gerechter Interessenausgleich zwischen kleinen und großen Anbaugebieten gelungen. So trägt diese Lösung der sensiblen Marktlage Rechnung. Niemand will, dass der deutsche Wein als Discountprodukt unter Wert gehandelt wird. Die Zulassung neuer Anpflanzungen muss sich an den langfristigen Entwicklungen der Märkte orientieren. Kurzfristige Ansätze sind hier keine Lösung. Ein vorläufiger Wert von 0,3 Prozent ist ein guter Kompromiss. Einerseits wird beachtet, dass das Angebot auf Kosten des Preises nicht zu sehr steigen darf. Andererseits wird gewährleistet, dass je nach Bedarf und Marktanteil eine Steigerung der Anbaufläche generell möglich ist. Als Prioritätskriterien haben wir verankert, dass vorrangig zu bescheidende Anträge mit einer Beantragung von Flächen in der Steillage berücksichtigt werden. Diese Stellungen stehen für unsere geschlossenen Kulturlandschaften, die unsere deutsche Weinbautradition so besonders machen und daher schützenswert sind. Einen zweiten großen, wenn auch eher bürokratischen, Punkt galt es zu klären. Die Zulassungsmodalitäten – ob ein- oder zweistufig, war die Frage – wollen wir praxisnah, aber natürlich auch unter Berücksichtigung der Bundes- und Länderkompetenzen umsetzen. Die Union spricht sich für ein einstufiges Verwaltungsverfahren zur Beantragung und Genehmigung von Neuanpflanzungen aus. Dies entlastet sowohl Antragsteller als auch Landesverwaltungen. Damit haben wir eine gute Lösung gefunden; denn ich will, dass sich unsere Winzer dem europäischen Wettbewerb weiter auf höchstem Niveau stellen können. Hierfür benötigen sie verlässliche Partner in der Politik. Wenn die Auswirkungen der heutigen Beschlüsse erst in mehreren Jahren bewertet werden können, können wir so dementsprechend flexibel reagieren. Gerade deshalb halte ich es für enorm wichtig, dass wir die Möglichkeit einer Nachjustierung mit eingeplant haben, wenn uns in zwei Jahren der Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen dieses Gesetzes vorliegen wird. Sowohl im Parlamentarischen Weinforum als auch im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft haben wir über dieses Gesetz ausgiebig diskutiert. Wir wissen, dass einige Länder, welche noch Nachholbedarf im Weinbau sehen, sich größere Anbauflächen für Neuanpflanzungen gewünscht hätten. Ich persönlich bin froh und auch den Kollegen Berichterstatter aller anderen Fraktionen dankbar, dass sie alle diesen Kompromiss mittragen. Mit dieser Novelle wollen wir dafür sorgen, den Weinbau in ganz Deutschland in Zukunft weiter konkurrenzfähig zu gestalten – im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Winzerinnen und Winzer. Dafür bitte ich Sie alle um Ihre Zustimmung. Mehr als 400 Jahre vor Christus sagte Euripides einst: „Wo der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens.“ Gustav Herzog (SPD): Seit mehr als 20 Jahren ist die Weinbaupolitik in Deutschland auf Qualität statt Menge ausgerichtet. Wir haben nur begrenzt geeignete Fläche für den Qualitätsanbau. Wir haben einen eher zurückgehenden Weinkonsum, und trotz der Exporterfolge und der Wettbewerbsfähigkeit unserer Weinwirtschaft gibt es keinen Anlass für eine gewollte stetige Mengensteigerung. Die EU-Politik ist widersprüchlich: Bei der vorletzten Reform gab es Rodungsprämie und, statt rektifiziertes Traubenmostkonzentrat oder Destillation, Geld für Marketing und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit im Wingert, Weinkeller und der Vinothek. Dann die EU-Entscheidung für Flächenausweitung. In Mainzer Weingipfeln haben Weinwirtschaft, Bund und Länder immer wieder einmütig ihre Position gegenüber der Europäischen Union bekräftigt. Trotzdem hat die EU unser strengstes Wiederbepflanzungsregime kassiert und uns eine Flächenausweitung aufgezwungen. Mit der 9. Änderung des Weingesetzes gehen wir an die Umsetzung. Strittig war vor allem eins: die Größe des Flächenzuwachses. Im Regierungsentwurf war eine Begrenzung der Neuanbaufläche von jährlich 0,5 Prozent vorgesehen. Das war für die kleinen Weinanbauländer zu wenig und für die großen viel zu viel. Wir dürfen aber nicht vergessen: 3 000 Hektar Wiederbepflanzungsrechte im Bestand sind eine Aufforderung zur Vorsicht. Zurückgehender Konsum und Export könnten die Erzeugerpreise gefährden. Das wollen wir nicht riskieren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich deshalb immer für einen behutsamen Start bei den Neuanpflanzungen in den kommenden Jahren 2016 und 2017 ausgesprochen. Dem stimmten auch die wichtigsten deutschen Weinbauländer und der Deutsche Weinbauverband, DWV, zu. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion eine Begrenzung auf 0,3 Prozent pro Jahr gefordert. Das sind immerhin 300 Hektar in ganz Deutschland. Bei einem maximalen Ertrag von 200 Hektolitern Wein pro Hektar sind das 6 Millionen Liter Wein. Eine spürbare Steigerung bei einem durchschnittlichen Konsum von rund 24 Litern pro Kopf und Jahr in Deutschland. Deshalb haben wir uns in allen Fraktionen – die einen gut, die anderen weniger gut – und in Absprache mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf einen Kompromiss geeinigt. Dieser sieht eine Begrenzung von 0,3 Prozent pro Jahr und eine Sonderregelung für alle Anbauländer vor. Diese haben vorab jeweils 5 Hektar ihres Gebiets für Neuanpflanzungen reserviert. Begrüßt wird von der SPD-Bundestagsfraktion die eindeutige Priorisierung der Steillage bei Neuanpflanzungen. Das einzigartige Kulturgut prägt die Landschaft in vielen Weinanbaugebieten, wie zum Beispiel an der Mosel. Ebenfalls gibt es Änderungen im Genehmigungsverfahren für Neuanpflanzungen. Winzer stellen nun nur noch einen Antrag bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, BLE, und nicht, wie zunächst vorgesehen, noch zusätzlich bei der zuständigen Landesbehörde. Um Anfang 2017 auf empirischer Grundlage weiter über eine Begrenzung ab 2018 entscheiden zu können, fordert die SPD von der Bundesregierung einen Bericht über die Auswirkungen der Wieder- und Neuanpflanzungen auf den deutschen Weinbau und die Handhabung des Genehmigungsverfahrens. Mit unserer Entschließung wollen wir die Bundesregierung unterstützen, die europäische Weinbaupolitik wieder auf den Weg eines qualitätsorientierten nachhaltigen Weinbaus zu bringen. Die Einstimmigkeit bei der Abstimmung gestern im Ausschuss zeigt, dass wir mit dem Gesetzentwurf auf dem richtigen Weg sind. Wir haben es geschafft, die Wünsche der Anbauländer zu berücksichtigen. Für die SPD ist wichtig, dass nach den Differenzen um die Anpflanzungsquote wieder die Gemeinsamkeit der Weinanbaugebiete und der Bundestagsfraktionen gefunden wird. Roland Claus (DIE LINKE): Ich freue mich, dass wir auch diesmal wieder – altem Brauch folgend – in Sachen Weingesetz so lange verhandelt haben, bis ein einvernehmlicher Kompromiss zustande gekommen ist. Dafür möchte ich mich bei der Mitberichterstatterin und den Mitberichterstattern wie auch bei den Mitgliedern im Parlamentarischen Weinforum herzlich bedanken. Als Vertreter der beiden ostdeutschen Weinbauregionen Saale/Unstrut in Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie Meißen an der Elbe in Sachsen habe ich mich zunächst – das will ich hier nicht verhehlen – für eine Zuwachsmöglichkeit von 0,5 Prozent, gleich 500 Hektar, der Rebfläche eingesetzt. In Sachsen gab es gar ein Interesse an 1 Prozent. Nun haben wir uns auf 0,3 Prozent geeinigt, und das ergibt eine akzeptable Balance zwischen dem für die jeweiligen Weinbaugebiete aufgeschlüsselten Wachstum und der Verhinderung eines drohenden Überangebots an Wein. Besonders wichtig für die beiden ostdeutschen Weinbaugebiete ist die mit dem Änderungsantrag gefestigte Priorisierung des Weinanbaus in der Steillage, denn fast aller Weinanbau dort findet in der Steillage statt. Wir unterstützen daher nachdrücklich eine Politik, die diese Form des Weinanbaus als Teil einer besonderen Kulturlandschaft für schützenswert hält und ein Abwandern des Anbaus von der Steillage in die Flachlage zu verhindern sucht. Angesichts der guten Erfahrungen, die wir mit dem engagierten Aushandeln günstiger Bedingungen für den Weinanbau gemacht haben, schlagen wir Linken vor, diese auch einmal auf andere Kulturlandschaften und Agrarprodukte zu übertragen, zum Beispiel auf die Milch und auf die Landschaften, in denen sie produziert wird. Zum Wein zurück: Wir Linken haben – ich habe vor vielen Jahren an dieser Stelle schon einmal Bezug darauf genommen – einen Ahnherrn, der sich auch in der komplexen Problematik des Weinanbaus und des Weingenusses bestens auskannte: Friedrich Engels. Er erinnerte im Februar 1876 in einem Zeitungsartikel daran, dass ernstliche und besonders erfolgreiche Aufstände nur in Weinländern oder in solchen deutschen Staaten vorkamen, die sich durch Zölle vor den verheerenden Wirkungen des preußischen Kartoffelschnapses geschützt hatten. Lassen Sie uns also den Weinanbau auch weiter befördern. Und vielleicht macht ja die gemeinsame Suche nach einvernehmlichen Lösungen im Parlament noch Schule. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Weinbau ist gerade für ländliche Regionen ein bedeutender Wirtschaftszweig. Der hochqualitative Wein aus Deutschland wird mittlerweile weltweit geschätzt und erzielt Preise, von denen unsere Winzerinnen und Winzer leben können. Der Weinbau ist längst auch bedeutender Tourismusfaktor: Seit Jahren erfreut sich der Weintourismus wachsender Beliebtheit. Besucherinnen und Besucher schätzen die Kulturlandschaften mit ihren Weinbergen, Steilterrassen und Trockenmauern und genießen die besondere Lebensqualität, die wir mit Wein verbinden. Die Qualität des Weins ist also der entscheidende Faktor für die regionale Wertschöpfung durch Weinbau. Für uns gilt also der einfache Grundsatz: Klasse statt Masse. Diesem Grundsatz sind wir in der Weinpolitik verpflichtet. Wir verfolgen das gemeinsame Ziel, die Qualität des Weins aus Deutschland zu fördern. Es gilt, die Weinpreise stabil zu halten, um unseren Winzerinnen und Winzern im Wettbewerb den Rücken stärken. So können wir attraktive Arbeitsplätze in den Regionen erhalten und auch die prägende Kulturlandschaft schützen. Heute geht es um eine Frage, die die Weinbauregionen seit langem beschäftigt. Der europaweite Anbaustopp für Reben wird durch die EU-Kommission zum 1. Januar 2016 abgeschafft. Die Rebfläche darf jährlich um 1 Prozent ausgeweitet werden, wenn wir nicht bundesweit eine strengere Regelung finden. Diese Entscheidung hat große Bedeutung für betroffene Weinbauregionen, die eine starke Ausweitung der Rebflächen und damit einen Preisverfall für die Winzerinnen und Winzer befürchten. Vorneweg: Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Wir haben es geschafft, uns – wie in der Weinpolitik üblich – auf einen gemeinsamen Weg zu einigen, der der Wichtigkeit dieser Entscheidung gerecht wird. Wir haben uns interfraktionell auf eine Beschränkung der Neubepflanzungen auf 0,3 Prozent geeinigt. Aber – und das richtet sich besonders an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion – das hätten wir auch leichter haben können. Denn vor diesem guten Kompromiss haben wir einige Extrarunden zurücklegen müssen: 0,3 oder 0,5 Prozent? Ein- oder zweistufiges Verwaltungsverfahren? Lange schien hier die Position der Koalitionsfraktionen nicht ganz eindeutig zu sein. Aber was lange währt, wird endlich gut. Denn das Endergebnis ist ganz in unserem Sinne. Von Beginn an hatten wir neben den 0,3 Prozent zur Beschränkung der Neubepflanzungen auch ganz praktisch eine Entlastung der Winzerinnen und Winzer gefordert. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah ein zweistufiges Verfahren vor. Die Winzerinnen und Winzer hätten also einen Antrag bei einer Landesbehörde und einen beim Bund stellen müssen – für ein und denselben Vorgang! Für uns bedeutet Entlastung eben auch: Weniger bürokratische Anforderungen für diejenigen, die den guten Wein anbauen und produzieren. Hier waren die Koalitionsfraktionen wenig gesprächsbereit. Umso überraschter waren wir, als im letzten Änderungsantrag das einstufige Verfahren auf einmal aufgetaucht ist. Das begrüßen wir sehr! Denn das einstufige Verfahren bei der BLE vermeidet doppelten Aufwand – auch übrigens aufseiten der Verwaltungen der weinbauenden Bundesländer. Ich bin mir sicher, dass wir auch weiterhin politisch immer wieder auf den gemeinsamen Weg in der Wein-politik zurückfinden. Das Wichtigste ist jetzt ein starkes gemeinsames Signal in diese Richtung aus dem Bundestag. Denn wir müssen den Winzerinnen und Winzern die Sorge nehmen, die Preise könnten verfallen. Ein behutsamer Einstieg in das neue Genehmigungssystem ist vor diesem Hintergrund richtig. Daher begrüßen wir auch die gemeinsame Entschließung zur Evaluation in zwei Jahren und den Auftrag, besonders die Steillagen zu schützen. Denn alle Weinpolitikerinnen und Weinpolitiker hier im Bundestag wollen eine ungehemmte Ausweitung der Rebflächen verhindern, wollen die Kulturlandschaften schützen, wirtschaftliche Potenziale heben und die Winzerinnen und Winzer stärken. Peter Bleser, Parl. Staatssekretär beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Die zur Entscheidung anstehende Änderung des Weingesetzes hat die betroffenen Winzer und Winzerinnen, aber auch die interessierten Landes- und Bundesverwaltungen und nicht zuletzt auch die Agrarpolitiker dieses Hohen Hauses intensiv beschäftigt. Ich freue mich, dass es nach langen Diskussionen, in die sich auch Herr Bundesminister Schmidt noch einmal persönlich eingebracht hat, gelungen ist, eine sachgerechte Entscheidung zu finden, die aller Voraussicht nach auch so vom Bundesrat akzeptiert wird. Letztlich ist es im Sinne aller Beteiligten, dass bald Klarheit über Inhalt und Verfahren bei der Umsetzung des EU-Genehmigungssystems für Rebpflanzungen zum 1. Januar 2016 herrscht. Es geht vor allem darum, die hohe Qualität des deutschen Weinbaus zu sichern und dabei ein moderates, nachhaltiges Wachstum des Weinmarktes zu ermöglichen. Deutscher Wein wird bei unseren Verbrauchern, aber auch im Ausland immer beliebter. Darauf sollten unsere Erzeuger reagieren können. Eile ist geboten, um sicherzustellen, dass – entsprechend dem EU-Recht – alte Wiederanpflanzungsrechte ab dem 15. September 2015 in Genehmigungen umgewandelt werden können. Deshalb ist es sehr gut, wenn es zu einem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens vor der Sommerpause kommt. Aus Zeitgründen möchte ich nur die zentralen Punkte des Gesetzentwurfs erläutern: Erstens. Obergrenze bei Neuanpflanzungen. Nach dem Entwurf werden in den ersten beiden Jahren, das heißt 2016 und 2017, 0,5 Prozent der deutschen Rebfläche für Neuanpflanzungen vorgesehen. Der Ernährungsausschuss empfiehlt nun, die Obergrenze auf 0,3 Prozent für zwei Jahre abzusenken, um so der Sorge, dass ein zu starkes Anwachsen der Weinanbaufläche zu Marktstörungen führt, Rechnung zu tragen. Diese Sorgen werden insbesondere im größten Weinanbauland Rheinland-Pfalz artikuliert. Die vom Ernährungsausschuss ebenfalls empfohlene Sonderregelung soll sicherstellen, dass in jedem Flächenland zumindest 5 Hektar Neuanpflanzungen genehmigt werden können. Dies ist Voraussetzung dafür, dass kleinere Anbaugebiete wie zum Beispiel Sachsen oder Saale-Unstrut am Ende nicht leer ausgehen. Es wird sich zeigen, ob, wann und inwieweit die Obergrenze von 0,3 Prozent in den kommenden Jahren verändert werden muss. Ich versichere Ihnen, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Marktsituation genau beobachten wird. Zweitens. Prioritätskriterien. In dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass Neuanpflanzungsanträge in der Steillage gegenüber Anträgen in der Flachlage bevorzugt werden. Weitere Kriterien sollen derzeit nicht festgelegt werden. Auch hier sind aber Anpassungen in der Zukunft möglich, wenn dies aufgrund der Praxis der ersten beiden Jahre mit dem neuen Genehmigungssystem angezeigt ist. Eine Verlagerung des Anbaus aus der Steillage in die Flachlage kann zwar nicht völlig unterbunden, aber doch erschwert werden. In dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass Antragsteller, die bei ihrem Antrag angeben, dass die Neuanpflanzung in der Steillage erfolgt, sich verpflichten müssen, die betroffene Fläche innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nicht zu roden oder wieder zu bepflanzen. Für den Fall, dass gar keine Anpflanzung erfolgt, wird dies mit einer Strafe belegt. Unabhängig davon wird sich die Bundesregierung weiterhin dafür einsetzen, dass die EU-rechtlichen Regelungen in Zukunft so ausgestaltet werden, dass der – auch kulturell – bedeutsame Steillagenweinbau erhalten bleibt. Drittens. Zuständigkeit für das Verfahren bei Neuanpflanzungen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Arbeitslast zwischen Bund und Ländern verteilt wird – „gestuftes Verfahren“). Der Ernährungsausschuss fordert nun in Übereinstimmung mit dem Bundesrat und der gesamten Weinwirtschaft, dass ausschließlich die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, BLE, für das Genehmigungsverfahren bei Neuanpflanzungen zuständig sein soll . Dies hat den Vorteil einer unbürokratischen Regelung, da nun nur noch ein Antrag zu stellen ist. Ich verhehle nicht, dass die Bundesregierung das gestufte Verfahren für das bessere hält. Die Feststellung, ob nun eine beantragte Neuanpflanzungsfläche wirklich in der Steillage liegt oder nicht, kann besser von den ortsnahen Landesbehörden getroffen werden. Im Übrigen sind ja grundsätzlich auch die Länder für die Durchführung agrarrechtlicher Regelungen in Deutschland zuständig. Letztlich kann sich die Bundesregierung aber nicht davor verschließen, dass eine Einigung mit dem Bundesrat ohne ein Zugeständnis in dieser Frage wohl kaum zu erreichen ist. Bleibt also noch der Appell an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Helfen Sie mit, die zur Umsetzung nun erforderlichen Stellen für die BLE im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens zur Haushaltsaufstellung 2016 zu schaffen. Ohne diese zusätzlichen Stellen ist die BLE nicht in der Lage, diese zusätzlichen Arbeiten zu leisten. Abschließend bitte ich Sie um Zustimmung zu dem aus Sicht der Bundesregierung ausgewogenen Gesetzentwurf nach Maßgabe der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes (Tagesordnungspunkt 24) Heinrich Zertik (CDU/CSU): Wir beraten heute abschließend das Häftlingshilfegesetz, HHG. Dieses Gesetz wurde 1955 mit der Absicht eingeführt, Menschen für ihr furchtbares Kriegsfolgeschicksal zu entschädigen, welches sie schuldlos und wehrlos den kommunistischen, sozialistischen oder stalinistischen Regimen ausgeliefert hatte. Davon betroffen waren Menschen, die aus politischen Gründen nach dem Zweiten Weltkrieg inhaftiert oder deportiert wurden, weil sie bei der Errichtung der kommunistischen Systeme in Osteuropa unbequem oder hinderlich waren. Das ist sehr milde ausgedrückt. Dahinter verbirgt sich unermessliches Leid, welches Hunderttausende von Familien erlitten haben. Mit Geld ist das eigentlich gar nicht wiedergutzumachen. Es ist fast 75 Jahre her, dass Wolgadeutsche nach Sibirien, an den Ural oder nach Kasachstan – so wie es auch meine Familie erlebt hat – deportiert wurden. Rumäniendeutsche wurden noch 1951 aus den Grenzgebieten Rumäniens und Ex-Jugoslawiens in die Baragansteppe deportiert. Von ihnen sind heute noch einige Tausend übrig, die diese schrecklichen Ereignisse am eigenen Leib erfahren haben. Im Erlass des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 heißt es: „… hat das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR es für notwendig befunden, die gesamte deutsche Bevölkerung, die in den Wolga-Rayons ansässig ist, in andere Rayons umzusiedeln, und zwar derart, dass den Umzusiedelnden Land zugeteilt und bei der Einrichtung in den neuen Rayons staatliche Unterstützung gewährt werden soll. Für die Ansiedlung sind die an Ackerland reichen Rayons der Gebiete Nowosibirsk und Omsk, der Region Altaj, Kasachstans und weitere benachbarte Gegenden zugewiesen worden. Im Zusammenhang damit ist das Staatliche Verteidigungskomitee angewiesen worden, die Umsiedlung aller Wolgadeutschen und die Zuweisung von Grundstücken und Nutzland an die umzusiedelnden Wolgadeutschen in den neuen Rayons unverzüglich in Angriff zu nehmen. Der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR gez. M. Kalinin Der Sekretär des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR gez. A. Gorkin Moskau, Kreml, 28. August 1941“ Was hier als sachliches, scheinbar gut organisiertes Unterfangen beschrieben wird, hat sich oftmals in einer Hauruckaktion innerhalb weniger Stunden abgespielt. Mitten in der Nacht wurden Familien mit Kindern aus ihren Betten gerissen, angewiesen, einige Sachen zu packen, und dann auf Viehwaggons verladen. Manche konnten nur das mitnehmen, was sie auf dem Leib trugen. Was in dem Erlass als Ackerland in Aussicht gestellt wurde, entpuppte sich in Wirklichkeit als eine unwirtliche, menschenfeindliche Steppe, der ein landwirtschaftlicher Ertrag mühsam abgetrotzt werden musste. Kann man das finanziell wiedergutmachen? Durch das Häftlingshilfegesetz von 1955 hat die damalige Bundesregierung versucht, die Notlage der auch als Zivildeportierte bezeichneten Deutschen östlich der Oder/Neiße-Grenze zu lindern. Das Häftlingshilfegesetz galt zunächst für ehemalige Sowjetzonenhäftlinge, die als Klassenfeinde hingestellt wurden, und Deutsche aus den ehemaligen Ostgebieten gleichermaßen. Für ehemalige DDR-Häftlinge wurde 1990 das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz geschaffen und somit eine Unterscheidung getroffen, die zum Teil als ungerecht empfunden wurde, weil sie ein Leid gegen das andere stellt. Das Häftlingshilfegesetz, über welches wir heute sprechen, soll ausdrücklich der Linderung einer Notlage dienen. 95 Prozent der 5 000 Anträge, die im Jahr gestellt werden, werden von Russlanddeutschen und von Rumäniendeutschen gestellt, die von den eingangs geschilderten Deportationen betroffen waren. Die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge, StepH, prüft, bearbeitet und bewilligt die Anträge, und in der Regel werden etwa 500 Euro pro Jahr und Antragsteller ausgezahlt. Nur etwa 15 Prozent dieser Anträge sind Erstanträge. Bei den anderen handelt es sich um Wiederholungsanträge, die jedes Jahr wieder gestellt werden. Die Bundesregierung hat jetzt ein Gesetz vorgelegt, mit dem die jährlichen Unterstützungsleistungen durch eine abschließende Einmalzahlung beendet werden sollen. Die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge hatte darauf hingewiesen, dass die Unterstützungsleistung nicht als effektive Hilfe von den betagten Berechtigten empfunden würde. Mir ist bewusst, dass nicht alle dies so sehen. Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland macht darauf aufmerksam, dass „eine kontinuierliche, wenn auch nur jährliche Leistung wichtiger als eine Einmalzuwendung“ sei, weil dadurch die ohnehin meist kleinen Renten oder Grundsicherungszuwendungen dauerhaft aufgestockt würden. Da die meisten Antragsteller jedoch inzwischen ein hohes Alter erreicht haben, scheint es mir sinnvoll zu sein, ihnen mit einer Einmalzahlung einen größeren finanziellen Spielraum zu verschaffen und ihnen die mühselige jährliche Antragstellung zu ersparen. Da die Zahlung weder auf die Rente noch auf mögliche Grundsicherungsleistungen angerechnet wird, steht der Betrag in vollem Umfang zur Verfügung. Im Jahr 2016 sollen in den Bundeshaushalt einmalig 13,5 Millionen Euro, davon 11,5 Millionen zusätzlich, eingestellt werden. Es wird damit angestrebt, jedem Antragsteller, dessen Antrag positiv beschieden wurde, einmalig etwa 3 000 Euro auszuzahlen. Das entspricht in etwa dem Betrag, der vormals über einen Zeitraum von sechs Jahren von der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge gewährt wurde. Das Gesetz sieht die Einführung eines Stichtages in § 18 Häftlingshilfegesetz, HHG, vor, sodass Anträge auf eine Unterstützungsleistung bei der Stiftung für politische Häftlinge faktisch noch bis zum 30. Juni 2016 gestellt werden können. An den Voraussetzungen für eine positive Bescheidung der Anträge ändert sich nichts. Der Gesetzgeber führt weiterhin einige Neuerungen ein, die das bürokratische Verfahren erleichtern sollen. Demnach kann der Stiftungsrat zukünftig die Entscheidung über die Anträge teilweise auf den Vorsitzenden des Vorstandes oder dessen Stellvertreter übertragen. Dies bezieht sich in erster Linie auf die Wiederholungsanträge und erleichtert das Verwaltungsverfahren. Unberührt von den gesetzlichen Änderungen bleibt die Tatsache, dass nach wie vor kein Rechtsanspruch auf die Förderung nach § 18 HHG besteht. Begünstigte sind die ehemaligen politischen Häftlinge und Deportierten, die zu der sogenannten Erlebnisgeneration zählen und deren Geschichte und deren Schicksal allerhöchsten Respekt verdienen. Mein Anliegen ist es, dass diese schrecklichen Kriegsfolgenschicksale nicht vergessen und die geschichtlichen Ereignisse aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ein wesentlicher Ort des Erinnerns wird die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung sein. Die Regierungsparteien von CDU/CSU und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag 2005 zu dieser Stiftung bekannt. Sie ist im Deutschen Historischen Museum angesiedelt und wird seit 2008 durch den Bund gefördert. Ihre Aufgabe besteht darin, als ein „Ort lebendigen Gedächtnisses“ zu wirken, und zwar in enger Abstimmung mit der oben beschriebenen Erlebnisgeneration, durch Einbeziehung von Einzelschicksalen und biografischen Erzählungen. Damit erhalten die historischen Fakten auch für die jüngere Generation ein Gesicht. Ich werde mich auch weiterhin dafür einsetzen und dafür werben, dass es bundesweit Orte des Erinnerns, der Aufklärung und der Kommunikation gibt, um gegen das Vergessen zu wirken. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Erlittenes Unrecht lässt sich nicht finanziell entschädigen. Darüber sind wir uns hier im Haus einig. Von Deutschland ausgehend ist allerdings vor mehr als 70 Jahren unsägliches Unrecht über Europa und die Welt ausgebreitet worden. Wie kann ermessen werden, wie groß das Leid war und welche Schäden es im Leben des Einzelnen hinterlassen hat? Leid ist individuell. Es wird individuell erlebt und hinterlässt tiefe Spuren im Leben der Menschen. Wir als Bundestagsabgeordnete können das in der Tiefe kaum ermessen. Was wir aber können und müssen, ist, Verantwortung zu übernehmen. In der Vergangenheit wurden zahlreiche Gesetze erlassen, um eine moralische und finanzielle Wiedergutmachung für die Opfer von Unrechtssystemen zu leisten. In der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft waren es vor allen Dingen die Opfer des Nationalsozialismus, die im Blickpunkt einer Entschädigung standen. 1952 wurde das Luxemburger Abkommen zwischen der Bundesrepublik, Israel und der Jewish Claims Conference beschlossen, das eine erste wichtige Wegmarke setzte. Ihm folgten weitere Gesetze und Abkommen wie das wichtige 1956 erlassene Bundesgesetz zur Entschädigung für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Auch weitere Jahrzehnte später wurden Gesetze erlassen, die den Anspruch der Wiedergutmachung in sich trugen. 1998 wurden Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege aufgehoben, und erst vor kurzem haben wir das Gesetz für den Bezug von Renten aus „Ghettobeschäftigungen“ für Menschen mit Wohnsitz in Polen verbessert. Jede Maßnahme, die durch staatliches Unrecht erlittenes Leid mindert und die Situation der Menschen verbessert, ist auch Jahre später noch richtig und zu begrüßen. Auch das vorliegende Gesetz ist von diesem Gedanken getragen. 1955 wurde das Häftlingshilfegesetz erlassen. Es richtet sich an Menschen, die in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone oder in den ehemaligen deutschen Ostgebieten aus politischen Gründen rechtsstaatswidrig in Gewahrsam genommen wurden. Es ist ein schweres Schicksal, das diese Menschen erleiden mussten, und es war richtig, ihnen bereits in den 50er-Jahren diese Unterstützungsleistungen zuteil werden zu lassen. Seither können sie Leistungen in Höhe von rund 500 Euro im Jahr erhalten. Die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge mit Sitz in Bonn übernimmt seit 1970 die Ausreichung der Mittel. Gut 60 Jahre nach -Inkraftsetzung des Häftlingshilfegesetzes strebt die Bundesregierung an, das Verfahren zu ändern. Die Antragsteller sind inzwischen zumeist hochbetagt, und die Belastung, die mit der jährlichen Antragstellung verbunden ist, halte ich für unverhältnismäßig. Darum hat nun die Bundesregierung eine Regelung vorgeschlagen, die das Verfahren deutlich erleichtert. Die jährliche Leistung soll in eine Einmalzahlung umgewandelt werden. Das heißt, dass anstelle der bisher jährlich neu zu beantragenden rund 500 Euro einmalig die sechsfache Summe, nämlich rund 3 000 Euro, als Abschlusssumme geleistet wird. Für die Anspruchsberechtigten ist das mit deutlich weniger Aufwand und einer höheren finanziellen -Leistung verbunden. Dabei wird angestrebt, dass die Menschen von dieser hohen Einmalzahlung stärker profitieren als von den geringeren Jahresbeträgen. Im Bundeshaushalt werden für diese Maßnahme zusätzlich rund 11,3 Millionen Euro veranschlagt, und ich freue mich, dass es gelungen ist, diese nicht unbeträchtliche Summe für die Umsetzung des Gesetzesvorhabens bereitzustellen. Ich halte es für eine gute Entscheidung, das Häftlingshilfegesetz in dieser Weise zu verändern und zum Abschluss zu bringen. Auch 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg tragen wir Verantwortung. Verantwortung für Unrecht und Leid, das im Namen oder infolge deutscher Unrechts-regime begangen wurde. Es ist Ausdruck einer mündigen demokratischen Gesellschaft, sich dieser Verantwortung immer aufs Neue zu stellen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung beantragt eine Änderung des Häftlingshilfegesetzes. Bisher müssen die Berechtigten jedes Jahr einen Antrag auf Beihilfe stellen, die aber nur 500 Euro beträgt. Diese Regelung soll jetzt ersetzt werden durch eine einmalige Zahlung von 3 000 Euro. Das Gesetz steht jenen Personen offen, die nach der Befreiung vom Faschismus von den Sowjetbehörden zu Unrecht in Gewahrsam genommen worden waren. Gegenwärtig handelt es sich bei den meisten der rund 5 000 Antragsteller um Russlanddeutsche bzw. um Rumäniendeutsche, die in die Sowjetunion verschleppt worden waren. Es liegt auf der Hand, dass eine Beihilfe, die gerade einmal 500 Euro pro Jahr umfasst, von den Betroffenen kaum als wirksame Unterstützung wahrgenommen wird. Von daher ist es zu begrüßen, dass ihnen die alljährliche Auseinandersetzung mit dem Antragsformular erspart wird und sie stattdessen eine Zahlung von 3 000 Euro erhalten. Problematisch ist aus unserer Sicht aber, dass diese Summe als „Abschlusszahlung“ bezeichnet wird. Ob sich das für die Betroffenen unterm Strich lohnt, hängt damit von ihrer Lebenserwartung ab. Wenn man der Auffassung ist, dass die Beihilfe an sich legitim und notwendig ist, warum lässt man sie dann auslaufen? Dazu hat die Bundesregierung keine Begründung geliefert. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auf einen grundsätzlichen Mangel dieser Regelung hinzuweisen. Natürlich hat es beim Vormarsch der Roten Armee auch Exzesse und unrechtmäßige Inhaftierungen gegeben. Dass die Betroffenen heute eine, wenn auch bescheidene, Hilfe erhalten, ist völlig in Ordnung. Bemerkenswert ist aber, dass das nur für Deutsche gilt, die Opfer der Roten Armee wurden. Menschen, die rechtswidrigem Verhalten der Wehrmacht oder der Waffen-SS zum Opfer fielen, wie etwa die Einwohner der griechischen Ortschaft Distomo, in der die Nazibesatzer ein Massaker verübten, haben bis heute nicht einen Cent an Entschädigung bekommen. Als Webfehler des Gesetzes sehen wir auch den Ausschluss von Personen, die den sozialistischen Regierungen Osteuropas „Vorschub geleistet“ haben. Das ist eine absolute Gummiformulierung. Während altgediente Nazis nur ausgeschlossen werden, sofern ihnen hieb- und stichfest Verbrechen nachweisbar sind, sind etwa Kommunisten, die sich für den Aufbau und den Erhalt der DDR eingesetzt haben, von einem prinzipiellen Ausschluss bedroht. Das spiegelt sehr deutlich den antikommunistischen Geist der 1950er-Jahre in der BRD, als dieses Gesetz entstanden ist. Die Linke wird sich aus den genannten Gründen enthalten. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im vorliegenden Antrag stellt die Bundesregierung fest, dass knapp 70 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges die Empfänger von Unterstützungsleistungen nach dem Häftlingshilfegesetz, HHG, im Durchschnitt über 80 Jahre alt sind. 95 Prozent dieser Antragsteller erhalten nach Angabe der Bundesregierung gemäß den Arbeitsanweisungen der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge, StepH, eine Unterstützungsleistung in Höhe von 500 Euro pro Jahr. Nach Schilderung der StepH wird eine Unterstützungsleistung in dieser Höhe allerdings nicht als effektive Hilfe wahrgenommen. Den hochbetagten Antragstellern sei es deshalb nicht mehr zuzumuten, jedes Jahr erneut diese relativ geringe Leistung zu beantragen. Der Vorschlag der Bundesregierung ist deshalb, durch die Änderung des HHG die jährliche Unterstützungsleistung an ehemalige politische Häftlinge ab 2016 durch eine Einmalzahlung zu ersetzen, für die der Bund einmalig 13,5 Millionen Euro – davon 11,5 Millionen Euro zusätzlich – bereitstellen wird. Durch diese zusätzlichen finanziellen Mittel wird die Einmalzahlung deutlich höher ausfallen als die bisher jährlich gezahlte Unterstützungsleistung. Wir begrüßen den großzügigen Ansatz, dass Anspruchsberechtigte vorab für sechs Jahre den ihnen zustehenden Entschädigungs- bzw. Anerkennungsbetrag auf einmal bekommen. Darin sehe ich keinen Grund für eine Ablehnung. Insgesamt hätten wir uns aber eine konsequentere Entscheidung, auch mit Blick auf andere -Opfergruppen, erhofft und hätten eine höhere Zahlung begrüßt, weshalb wir uns heute enthalten werden. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas über 2018 hinaus verlängern (Tagesordnungspunkt 25) Steffen Bilger (CDU/CSU): Alternative Antriebe sind eine gute, sinnvolle und notwendige Alternative zu herkömmlichem Sprit auf Erdölbasis. Um unseren Umwelt- und Klimabeitrag im Verkehrsbereich zu erbringen, müssen wir dafür sorgen, dass auf Deutschlands Straßen weniger CO2 und andere Schadstoffe ausgestoßen werden. Auch die Lärmemissionen müssen sinken, und nicht zuletzt sollten wir unsere Abhängigkeit von Ölimporten verringern. Dafür muss der Verbrauch von Diesel und Benzin abnehmen. Die sinnvollste Variante ist dabei der Elektroantrieb. Er ist leise, stößt lokal keine Emissionen aus, kann mit regenerativ erzeugter Energie betrieben werden und unterstützt die Weg-vom-Öl--Strategie. Da aber E-Fahrzeuge – seien sie batteriebetrieben oder durch Wasserstoff angetrieben – noch nicht für alle Anwendungen nutzbar sind, benötigen wir andere Antriebsmöglichkeiten. Dazu gehören Erd-und Flüssiggas. Gasbetriebene Fahrzeuge ermöglichen umwelt- sowie klimafreundlichere Mobilität. Um die Gasmobilität voranzutreiben, wurde schon vor Jahren mit wichtigen Maßnahmen begonnen. Das Tankstellennetz wurde fast flächendeckend ausgebaut und die Steuerermäßigung eingeführt. Zusammen mit den Fahrzeugherstellern entstand dadurch ein Markt für die Kunden. Denn nur wenn auch bei dieser Technik das klassische Henne-Ei-Problem gelöst ist, kommen wir bei der notwendigen Verbreitung voran. Die Hersteller müssen Fahrzeuge oder Umrüstmöglichkeiten anbieten, die Tankstelleninfrastruktur muss angemessen ausgebaut und der Preis des Gases attraktiv sein. Auf die ersten beiden Bedürfnisse hat der Staat wenige Einwirkungsmöglichkeiten, auf letzteres umso mehr. Experten sagen deshalb, dass ohne die eingeführte Steuerermäßigung Erd-und Flüssiggas für Autos nur noch schwer verkäuflich wäre. Daher brauchen wir diese Form der Förderung. Das Bundesfinanzministerium macht sich nun sinnvollerweise intensiv Gedanken darüber, wie sich die Mindereinnahmen durch Steuerzugeständnisse bei den alternativen Kraftstoffen in Zukunft auf den Bundeshaushalt auswirken werden. Hierzu wird gerade ein -Gutachten erarbeitet. Es ist verständlich, dass erst nach Abschluss des Gutachtens über die weitere Steuerermäßigung bei der Gasmobilität Schlussfolgerungen gezogen werden sollten. Vor allem steht eben die Frage im Raum, ob es sie geben wird und, wenn ja, wie eine mögliche Degression der Steuerermäßigung aussehen und bis wann diese komplett abgeschmolzen sein wird. Auch deshalb ist es gut, dass vertieft und in einem breiteren Ansatz über alternative Antriebe geforscht wird. Zu Recht wird von der Politik Verlässlichkeit eingefordert. Es kann schließlich nicht sein, dass Rahmen-bedingung von heute auf morgen zum Schaden von Wirtschaft und Bevölkerung geändert werden. Gelegentlich gibt es gute Gründe dafür, es sollte aber die Ausnahme bleiben. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, dass -spätestens im kommenden Frühjahr die Bundes-regierung einen Gesetzentwurf zur Steuerermäßigung vorlegt, bei dem dann jeder weiß, woran er ist. Potenzielle Käufer, Hersteller und Tankstellenbetreiber brauchen aber schon jetzt ein Signal, ob die Steuerermäßigung auch über 2018 hinaus tatsächlich bleiben wird. Autos werden gekauft und über Jahre genutzt. Wenn eine Gas-Tankstelle überholt bzw. erneuert werden muss, benötigt der Betreiber Sicherheit, ob er weiter in diese Technologie investieren sollte, und die Hersteller – obwohl sie natürlich international anbieten – sind ebenfalls daran interessiert, wie sich der Markt in Deutschland aufgrund der steuerlichen Rahmenbedingungen entwickeln könnte. Überhaupt sollte es unser Anspruch im Autoland Deutschland sein, dass wir bei allen Formen der Mobilität der Zukunft in Forschung, Produktion und Anwendung vorne mit dabei sind. Aus diesen Gründen haben sich die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD entschlossen, diesen Antrag in den Deutschen Bundestag einzubringen. Er fordert die Bundesregierung auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen. Dort heißt es: „Die bis Ende 2018 befristete Energiesteuerermäßigung für klimaschonendes Autogas und Erdgas wollen wir verlängern.“ Auch im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz des Bundeswirtschaftsministeriums wird die Verlängerung der steuerlichen -Begünstigung von Erd- und Flüssiggas über das Jahr 2018 als Maßnahme gelistet. Mit diesem Antrag machen wir deutlich, dass der Bund auch weiterhin die Gasmobilität fördern wird. Alle Beteiligten können sich darauf verlassen und entsprechend planen. Wir stehen zur Gasmobilität und wünschen uns ihren Erfolg! Danken möchte ich als Verkehrspolitiker an dieser Stelle allen Beteiligten aus der Koalition. Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter. Meine Kollegen aus den -Bereichen Finanzen, Verkehr, Umwelt und Wirtschaft der Koalitionsfraktionen haben den Entstehungsprozess konstruktiv begleitet, und auch das zuständige Bundesfinanzministerium hat seinen Beitrag geleistet. Nun freue ich mich auf die weiteren Beratungen und bitte um breite Zustimmung. Norbert Schindler (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen wird die Bundesregierung aufgefordert, auch in Zukunft das im Verkehrssektor verwendete komprimierte und verflüssigte Erdgas, CNG/LNG, und Flüssiggas, LPG, mit einem vergünstigten Mineralöl-(Energiesteuer-)satz zu belegen. Ziel dieser Maßnahme ist es, die derzeitige Konkurrenzfähigkeit der mit CNG und LPG betriebenen Kfz mit den konventionell betriebenen (Otto- und Dieselmotoren) beizubehalten. Die Gründe für diesen Vorstoß mit dem heutigen Antrag sind vielschichtig; ich möchte hier einige herausgreifen: Für das Gelingen der Energiewende und das Erreichen der Klimaziele sind nicht nur Treibhausgasminderungen im Bereich der Energieerzeugung – wie gestern von der Großen Koalition beschlossen – notwendig, sondern gerade auch im Verkehrssektor, der für circa 17 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland (159 Millionen Tonnen) verantwortlich ist. Durch die Zunahme des Individual- und Güterverkehrs in Deutschland werden sich diese Emissionen in Zukunft mit konventionellen Kraftstoffen nicht reduzieren lassen. Deshalb brauchen wir im Verkehrssektor einen Energiemix, zu dem eben auch verflüssigte Gase für Verbrennungsmotoren gehören. Die Beibehaltung der Steuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas für einen zu definierenden Zeitraum soll Motivation für Innovationen in diesem Bereich sein. So entfallen heute zwar nur circa 0,3 Prozent des Energieverbrauchs des Verkehrssektors auf Erdgas (circa 100 000 Pkw), das eine deutlichere THG-Minderung aufzuweisen hat als LPG; jedoch ist der mögliche mittelfristige Marktanteil auf das 12- bis 15-Fache prognostiziert. Ein derartiger Zuwachs könnte zu einer signifikanten Reduzierung der Emissionen um circa 1 Million Tonnen pro Jahr führen. Gerade die jetzt anlaufende Herstellung von Methan mittels der Power-to-Gas-Technologie oder die Beimischung von Biogas als erneuerbare Energieträger machen den Erdgaseinsatz noch vorteilhafter. Da die Produktion jedoch derzeit noch deutlich teurer ist als die Fragmentierung von Erdölprodukten, muss ein deutlicher steuerlicher Abstand beibehalten bleiben. Erdgas gilt auch als alternativer Kraftstoff für den Ziel- und Quellverkehr, für den Elektrofahrzeuge aufgrund der Reichweite nicht eingesetzt werden können. Darüber hinaus wird auch der Einsatz von Erdgas als Alternative zu Diesel im Straßentransport im Rahmen der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie, MKS, der Bundesregierung vorbereitet. Die entsprechende Initiative Erdgasmobilität muss durch Beibehaltung von günstigen Steuersätzen flankiert werden. Neben dem Lkw-Bereich, in dem der Einsatz von gasbetriebenen Fahrzeugen erst anläuft, kann schon auf langjährige Erfahrungen bei Bussen zurückgeblickt werden. Auch hier sind (Bio-)Erdgasfahrzeuge eine gute Alternative insbesondere für die Innenstädte, da die direkten Abgasemissionen deutlich niedriger sind als bei Dieselfahrzeugen und zudem Feinstaubemissionen nicht mittels teurer Technik bekämpft werden müssen, da sie nahezu vollständig ausbleiben. Mit der geforderten Verstetigung der Steuerminderung für den Einsatz von Erd- und Flüssiggas in Fahrzeugen vermeiden wir eine Erosion des Gastankstellennetzes. Durch den Teufelskreis wenige Fahrzeuge (Kunden), wenig Umsatz, hohe Wartungs- und Instandhaltungskosten, Abbau der Kapazitäten, weniger Fahrzeuge ist für viele Unternehmen das Betreiben der Gastankstellen unattraktiv geworden. Auch das möchten wir mit dieser Initiative stoppen, und wir hoffen, dass die Tankstellenbetreiber dies als Signal für einen Ausbau des Netzes werten. Nicht zuletzt wollen wir die in- und ausländischen Kfz-Hersteller hiermit motivieren, mehr Fahrzeug-varianten mit Gasbetrieb herzustellen und zu vertreiben. Wird die Flotte attraktiver, ist auch der Anreiz zum Erwerb eines Fahrzeugs mit Gastank – trotz Mehrkosten in der Beschaffung – vorteilhaft, da die Gesamtkosten im Lebenszyklus des Kfz, TCO – Total Cost of Ownership, durchaus mit konventionell betriebenen Fahrzeugen konkurrenzfähig sind. Nach den Erfolgen eines deutschen Premiumherstellers mit erdgasbetriebenen Fahrzeugen kündigten weitere an, dieses Segment ebenfalls bedienen zu wollen. Und auch die Importeure ziehen nach. Ich kann nur sagen: Weiter so! Das Potenzial der Energieträger CNG und LPG, zu einer nachhaltigen Energieversorgung im Straßenverkehr beizutragen, ist noch lange nicht ausgeschöpft. Gerade hinsichtlich der Dekarbonisierung im Verkehrssektor ist der Einsatz dieser Energieträger auch mittelfristig notwendig und muss schnellstmöglich auf den Straßentransport ausgeweitet werden. Die größtmögliche Reduzierung der Treibhausgas- und Schadstoffemissionen kann in diesem Sektor erfolgen, wenn erneuerbare Energien bei der Herstellung dieser Energieträger Verwendung finden. Die Vorteilhaftigkeit insbesondere von (Bio-)Erdgas wird nur noch von Biokraftstoffen übertroffen, die direkt oder als Beimischung zu Benzin oder Diesel in Verbrennungsmotoren eingesetzt werden. Auch hier ist eine höhere Beimischungsquote durchaus denkbar, zum Beispiel die Erhöhung auf E 20 (20 Prozent Bioethanol im Benzin) als weiterer Baustein, um die nationalen Klimaziele auch im Verkehrssektor zu erreichen. Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen, die Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas – gegebenenfalls differenziert – über 2018 hinaus zu verlängern, haben wir heute die steuerpolitische Richtung vorgegeben. Die Umsetzung wird im Frühjahr nächsten Jahres erfolgen, nachdem das Ergebnis des Forschungsvorhabens zur Entwicklung der Energiesteuereinnahmen im Kraftstoffsektor ausgewertet worden ist. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir eine Regelung mit Augenmaß erhalten, mit der alle Beteiligten gut leben können. Dabei werde ich weder das nationale Klimaziel noch das Ziel der Haushaltsneutralität aus den Augen verlieren. Christian Petry (SPD): Heute beraten wir einen Antrag der Koalitionsfraktionen zur Verlängerung der bestehenden Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas. Bevor ich auf inhaltliche Details zu sprechen komme, möchte ich den Antrag und seine Ziele gerne in einen größeren Kontext setzen. Im Koalitionsvertrag haben sich CDU/CSU und SPD auf eine massive Reduzierung der Treibhausgasemissionen verständigt. Bis zum Jahr 2020 wollen wir im Zuge der Energiewende die Emissionen national um 40 Prozent senken – ein ambitioniertes Ziel. Im letzten Jahr konnten in vielen treib-hausgasemittierenden Sektoren Erfolge erzielt werden. Die aktuellen Emissionsdaten des Umweltbundesamtes zeigen einen grundsätzlich positiven Trend bei den Treibhausgasemissionen: Seit drei Jahren sind die Emissionen wieder rückläufig. Das ist erfreulich und vornehmlich den strukturellen Veränderungen in der Energiewirtschaft geschuldet. Ganz anders sieht es dagegen im Verkehrssektor mit einer unterdurchschnittlichen Performance aus. Die Emissionen sind hier im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 3 Prozent gestiegen, sie machen aktuell insgesamt 17 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen aus. Der Hauptgrund für die gesteigerte Verkehrsleistung im privaten und gewerblichen Bereich ist dabei volkswirtschaftlich durchaus positiv zu sehen: konstantes Wirtschaftswachstum, das von niedrigen Kraftstoffpreisen befeuert wird. Umweltverträgliche Kraftstoffe konnten sich zwar teilweise im Markt etablieren, der überwältigende Großteil der Energieträger im Verkehrssektor wird jedoch aus Mineralölen gewonnen. Dieser kurze Exkurs zeigt: Die Energiewende kann nur dann gelingen, wenn es auch im Verkehrsbereich zu einem Umdenken kommt, ein Umdenken hin zur vermehrten Nutzung regenerativer Kraftstoffe und hin zu verstärktem Forschen an alternativen Antriebstechnologien. Die Energiewende verstehe ich dabei als eine gesamtwirtschaftliche Herausforderung, die viele Wirtschaftszweige vor große Veränderungen stellt. Hier muss die Politik mit zielgenauer und differenzierter Unterstützung diesen Veränderungsprozess begleiten. Ich bin überzeugt: Das Gießkannenprinzip sollte nicht das Mittel der Wahl sein. Daher gilt es, jede politische Entscheidung zugunsten einer Technologie oder eines Kraftstoffes vorab sorgsam abzuwägen. Ich komme damit zum Kern des vorliegenden Antrags. In Deutschland sind bis Ende 2018 Erd- und Flüssiggas energiesteuerlich begünstigt. Beide Kraftstoffe konnten sich in den vergangenen Jahren mit Erfolg im Markt etablieren. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU/CSU daher darauf verständigt, diese Begünstigung auch über 2018 hinaus zu verlängern. Die konkrete Ausgestaltung dieser Verlängerung gilt es nun in den kommenden Monaten zu definieren. In diesem Zusammenhang hat das Bundesfinanzministerium ein umfangreiches Forschungsvorhaben ausgeschrieben, das die Entwicklungen der Energiesteuereinnahmen im Kraftstoffsektor zum Gegenstand hat. Ich denke, dass neben dem reinen Zahlenwerk auch eine Blaupause vonnöten ist, die für Erd- und Flüssiggas einen Weg in die Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Kraftstoffen ohne steuerliche Vergünstigungen aufzeigt. Neben diesen zentralen Überlegungen zur mittelfristigen Marktetablierung von Erd- und Flüssiggas stellt der vorliegende Antrag somit zunächst sicher, dass die Bundesregierung bis zum Frühjahr 2016 einen konkreten Vorschlag zur Verlängerung der angesprochenen Steuerbegünstigungen macht. Ich glaube, dass dies ein richtiges Signal für die weitere Unterstützung umweltschonender Kraftstoffe ist. Die kommenden Monate müssen jetzt genutzt werden, um die Details der zukünftigen steuerlichen Vergünstigung für Erd- und Flüssiggas zu formulieren. Dabei fordern wir von der Bundesregierung auch ein, dass sie nichtsteuerliche Möglichkeiten zur besseren Etablierung dieser beiden Kraftstoffe aufzeigt. Andreas Rimkus (SPD): Es ist sehr wichtig, dass wir es geschafft haben, diesen Antrag noch vor der Sommerpause auf den parlamentarischen Weg zu bringen. Denn in der Tat soll er ein wichtiges Signal an die Industrie, aber auch an die Nutzerinnen und Nutzer sein, dass wir zur Technologie des Gasantriebs stehen und ihn als wichtigen Bestandteil der Energiewende im Verkehr begreifen. Dies ist als Aufforderung zu betrachten, sich offen den bereits etablierten ökologischen Antriebsformen zuzuwenden und selbst einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Transformation zu umweltfreundlicher Mobilität gelingt. Mit den UN-Mitgliedstaaten hat sich auch die Bundesrepublik auf klare Zielvorgaben verständigt, zu denen Deutschland seinen Beitrag leisten muss. Deshalb hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen maßgeblich zu senken. Bis 2050 wollen wir 80 bis 95 Prozent CO2-Emissionen gegenüber 1990 reduzieren, bis 2020 immerhin schon 40 Prozent. Diese Zahlen gehen einem leicht von den Lippen, doch ihre Umsetzung wird nicht von alleine kommen, sondern bedarf unserer tatkräftigen Unterstützung. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Verkehrsleistung stetig zunimmt, wie auch die Verkehrsverflechtungsprognose zeigt. Insbesondere im Straßengüterverkehr wird ein Anstieg der Verkehrsleistung um 39 Prozent prognostiziert, was den dringenden Handlungsbedarf sichtbar macht. So müssen wir auch im Verkehrsressort kurz- und mittelfristig deutlichere Fortschritte machen. Hier haben wir mit LNG einen Kraftstoff, der besonders im Straßengüterverkehr bei der Reduzierung von Emissionen helfen kann. Damit uns die Abkehr von den klassischen Kraftstoffen Diesel und Benzin gelingt und wir einen Paradigmenwechsel im Verkehrssektor hinbekommen, müssen wir uns ehrlich anstrengen. Es braucht Ideen, Innovationen und Konzepte. Erste Schritte sind wir mit dem Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz von Sigmar Gabriel und dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 aus dem Hause von Barbara Hendricks gegangen. Dort wurden Gesamtkonzepte vorgelegt, die deutlich über 100 Maßnahmen beinhalten. Unsere Aufgabe ist nun, diese in die Tat umzusetzen. Ergänzend dazu haben wir aber auch bereits im Koalitionsvertrag Maßnahmen verabredet. Einen wesentlichen Baustein dieser Maßnahmen bildet ebendiese Verlängerung der Steuervergünstigung für Erd- und Flüssiggas. Mit dem vorliegenden Antrag bekräftigen wir dieses Bekenntnis noch einmal und machen deutlich, dass wir auch im Verkehrssektor zu unseren ökologischen Zielen stehen. Um diese zu erreichen, müssen wir allerdings ran. Dies gelingt uns mit der Förderung von Gastechnologie, aber auch mit weiteren Antriebsformen, wie Elektroantrieben mit Akku und Brennstoffzelle, Power-to-Gas und Biokraftstoffen der zweiten Generation. Deshalb stehen auch ich und meine Fraktion hinter alternativen Antriebstechnologien. Auch die EU-Kommission erkennt diesen Ansatz und berücksichtigt in der Richtlinie zum Ausbau von Lade- und Tankinfrastruktur alternativer Antriebe (Clean Power for Transport) sowohl Wasserstoff und Strom als auch Gas. Ausdrücklich werden hier auch Anforderungen für den Ausbau von LNG-Tankinfrastruktur für die Schifffahrt definiert. Auch hier bietet Flüssiggas eine ökologische Alternative zu den klassischen Brennstoffen. Die Zukunft wird uns vor die Aufgabe stellen, nicht nur aus Umweltschutzgründen die Energiewende im Verkehr zum Erfolg zu führen, sondern auch aufgrund der Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger. Viele Menschen drängen in die Städte, wo sich der Verkehr staut. Wir stehen vor der Herausforderung, auf der einen Seite den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen gerecht zu werden und auf der anderen Seite Probleme wie die Feinstaubbelastung in den Innenstädten zu reduzieren. Auch dazu kann der Treibstoff Gas seinen Beitrag leisten. Wie ich bereits an dieser Stelle im Plenum deutlich gemacht habe, ist mein Credo: Technologieoffenheit. Lassen Sie uns doch die Nutzerinnen und Nutzer entscheiden, wo die Reise hingehen soll. All die genannten Technologien bieten noch erhebliches Innovationspotenzial. Gute Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich diese Potenziale ideal heben lassen, sehe ich als meine und unsere gemeinsame Aufgabe. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Wir sprechen heute hier über einen Antrag der Koalitionsfraktionen zur Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas. Die Steuerermäßigung soll über 2018 hinaus verlängert werden. Begründet wird dies mit Klimaschutz und der Dekarbonisierung des Verkehrssektors. Es ist ja schön, dass das Wort Dekarbonisierung nun auch von der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden in Elmau in den Mund genommen wurde. Aber mit schönen Worten ist es beim Klimaschutz leider nicht getan. Wenn es um Taten geht, dann sieht man die schwache Willenskraft der Koalition wie gerade heute bei den Ergebnissen des Spitzentreffens zur Energie. Wirklich wirksame Instrumente zum Klimaschutz haben bei der Koalition wenig Chancen, wie man am heute gescheiterten Klimabeitrag für Kohlekraftwerke wunderbar sehen kann. Dekarbonisierung – Sie von der Koalition müssen erst noch lernen, wie man das buchstabiert. Auch im Verkehrsbereich. Grundsätzlich sagen wir als Linke, dass es zwar nicht falsch ist, über eine solche Steuerermäßigung Anreize zu geben, um den Marktanteil von erdgasbetriebenen Fahrzeugen zu erhöhen. Wenn ich mir allerdings Ihre Begründung ansehe, meine ich, Sie hätten hier nicht so einen klimapolitisch klingenden großen Aufwasch zu machen brauchen. Für einen Beitrag des Verkehrssektors zum Aufhalten der Klimaerwärmung würde ich mir ambitioniertere Anträge aus den Reihen der Koalition wünschen. Im Verkehr wird etwa ein Fünftel der deutschen CO2-Emissionen ausgestoßen – Tendenz steigend. Da sind noch nicht einmal die anteiligen Emissionen aus dem internationalen Flugverkehr eingerechnet. Insbesondere der Straßenverkehr wächst, auf den über 95 Prozent der Verkehrsemissionen entfallen. Höhere Wachstumsraten als im Straßenverkehr sind allein im Flugverkehr zu verzeichnen, wo endlich die umweltschädliche Steuerbefreiung bei Kerosin aufgegeben werden müsste. Ich will aber beim Straßenverkehr bleiben: Hierzulande fahren die Leute immer leistungsstärkere Autos und haben eine Vorliebe für große Schüsseln: SUVs sind beliebt. Die Klimaschutzwirkung von effizienterer Technik wird durch immer höhere PS-Zahlen leider ausgehebelt. In Deutschland stieg die durchschnittliche Motorleistung von Neufahrzeugen von 123 PS im Jahr 2005 auf 137 PS im Jahr 2013. Das ist Gift für das Klima, denn dies führte zu zusätzlichen 9,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen – allein wegen PS-stärkerer Motoren. Allein der Autoverkehr ist in der EU für 12 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Wir haben jetzt zwar CO2-Grenzwerte für Pkw, aber da wurde ja die Bundesregierung in Brüssel sehr aktiv, um die deutsche Automobilindustrie vor zu strengen Auflagen zu schützen. Nachdem sie strengere CO2-Grenzwerte nicht verhindern konnte, setzt Angela Merkel sich jetzt für sogenannte Supercredits ein, besondere Boni, mit denen die Firmen verkaufte Elektrofahrzeuge in ihrer Flotte gleich mehrfach anrechnen – und sich damit auf dem Papier CO2-ärmer rechnen, als sie es tatsächlich sind. Klimapolitischer Unsinn. Ein weiteres Problem ist, dass die CO2-Werte der Hersteller kaum mit der Realität übereinstimmen. Hier gibt es eine riesige Diskrepanz, die man in den Griff bekommen muss. Beim Elektroauto greift der Rebound-Effekt, weil es hauptsächlich als Zweit- und Drittwagen zum Einsatz kommt. Im Verkehrsbereich muss es zu einem Umdenken kommen, wenn man für das Klima etwas erreichen will: neue Verkehrskonzepte mit einem starken ÖPNV und kurzen Wegen, mehr Güterverkehr auf die Schiene. Deswegen kann die Koalition hier lange Begründungen schreiben, wie sie über Erdgassteuererleichterungen das Klima schützen will; wenn es darauf ankommt, bedient sie eher die Interessen der Automobilindustrie als die Interessen des Klimas. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für die deutsche Klimapolitik stellt der Verkehrssektor eine enorme Herausforderung dar. Der vorliegende Antrag zur Verlängerung der Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas beginnt hier mit einer treffenden Analyse. Es ist richtig, dass das stetig steigende Verkehrsaufkommen im Güter- und Personenverkehr und eine fast vollständige Abhängigkeit von Mineralölprodukten es erschweren, die Treibhausgase in diesem Sektor zu reduzieren. Allerdings: Der zweite Teil des Antrags erweckt den Eindruck, als wenn alle Klimaschutzprobleme im Verkehrssektor mit einer Verlängerung der Energiesteuerermäßigung für Erd- und Flüssiggas gelöst wären. Dies ist jedoch ganz sicher nicht der Fall. Mit dem vorliegenden Antrag verfestigt sich der Eindruck, dass die Koalitionsfraktionen die wirklich wichtigen Schwerpunkte in der Verkehrspolitik nicht angehen wollen. Stattdessen schreiben sie einen Showantrag, in dem sie das Finanzministerium auffordern, etwas zu tun, was es ohnehin plant, nämlich ein Gutachten zur Zukunft der Energiesteuer im Verkehrsbereich vorzulegen und die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verlängerung der Steuerermäßigungen für Erd- und Flüssiggas umzusetzen. Der Titel des Antrags und die Tatsache, dass die -Koalitionsfraktionen eine Sofortabstimmung über den Antrag fordern, macht es umso deutlicher, dass es ihnen nicht um eine sorgfältige Beratung geht, wie man die Klimaziele im Verkehr tatsächlich erreichen kann, sondern lediglich um die schlichte Botschaft, dass die Subvention von Erd- und Flüssiggas fortgesetzt wird. Um im Verkehrssektor die CO2-Einsparungsziele zu erreichen, muss auf mehreren Feldern deutlich umgesteuert werden. Der Fuß- und Radverkehr, aber auch Busse und Bahnen müssen im Vergleich zum Auto eine sehr viel bedeutendere Rolle spielen. Massive öffentliche Investitionen in einen einfachen, komfortablen und gut ausgebauten öffentlichen Personenverkehr wären hier das Mittel der Wahl. Von der Bundesregierung ist hier leider kaum etwas zu sehen. Im Gegenteil: Noch immer bangen die Länder, ob sie in den nächsten Jahren ihren Nahverkehr aufrechterhalten können, weil der Bund mit seiner Zusage für weitere Regionalisierungsmittel zögert. Die beste Maßnahme für eine effektive Klimaschutzpolitik wurde von der Bundesregierung auf EU-Ebene ausgebremst. Leider hat sich die Kanzlerin in Brüssel erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Autobauer nur lasche Vorgaben dafür bekommen, wie sparsam ihre Autos sein müssen. Eine weitere Stellschraube, um die großen Herausforderungen im Verkehrssektor anzupacken, ist mehr Kostenwahrheit im Verkehrssektor. Wer auf die 10-Millarden-Euro-Subventionen für den Luftverkehr oder die fortdauernde Subventionierung von schweren Dienstwagen schaut, der erkennt, dass es einen neuen Anlauf für eine ökologische Finanzreform braucht. Auch im internationalen Vergleich hinkt Deutschland hier hinterher. Der Anteil der Umweltsteuern an den Gesamtsteuereinnahmen ist in Deutschland seit 2003 um ganze 4 Prozentpunkte, von 13 auf 9 Prozent, gesunken. Die OECD weist darauf hin, dass die Einnahmen aus Umweltsteuern in Deutschland mittlerweile unter dem Durchschnitt der 34 OECD-Staaten liegen, und empfiehlt, dass Steuervergünstigungen für umweltschädliche Aktivitäten abgeschafft und Mehreinnahmen durch wirkungsvollere Umweltsteuern erzielt werden. Solche sinnvollen Initiativen aus den Reihen der Koalitionsfraktionen gibt es aber leider nicht. Stattdessen dominierte eine komplett sinnfreie Pkw-Ausländermaut die verkehrspolitische Agenda der Koalition, die ungefähr null Effekt auf die CO2-Emissionen im Autoverkehr haben wird. Worum geht es bei der Verlängerung der Energiesteuerermäßigung im Detail? Erd- und Flüssiggas werden heute mit 13,90 Euro pro Megawattstunde besteuert. Der reguläre Steuersatz beträgt 31,80 Euro. Zum Vergleich: Rechnet man die Litersteuersätze beim Benzin in Megawattstunden um, beträgt der Steuersatz 73,20 Euro, beim Diesel sind es 46,90 Euro. Daran erkennt man zweierlei: Erstens. Die hier zur Diskussion stehenden Steuerermäßigungen für Erdgas und Flüssiggas sind gemessen an den derzeitigen Steuersätzen für Diesel und Benzin sehr weitgehend. Zweitens sieht man, dass die regulären Steuersätze unsystematisch ausgestaltet sind. Sie sind historisch gewachsen, orientieren sich aber nicht an einer klima- oder verkehrspolitischen Fragestellung. Vor diesem Hintergrund ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass das Finanzministerium die Studie zur Zukunft der Energiebesteuerung in Auftrag gegeben hat. Darin sollte nicht nur untersucht werden, wie sich alternative Antriebe auf die Steuerbasis auswirken, sondern auch, welche Effekte die dauerhafte Subventionierung des Diesels auf Steuereinnahmen und den Verkehrssektor hat. Bevor im Bundestag über die Verlängerung der Steuerermäßigungen für Flüssig- und Erdgas abgestimmt wird, sollte die Studie des Finanzministeriums sorgfältig ausgewertet werden. Denn es gilt zu klären, inwieweit diese im Koalitionsvertrag vereinbarte Steuerermäßigung das passende Instrument ist, um dem Klimaschutz im Verkehr einen ordentlichen Schub zu verleihen. Unbestritten ist, dass insbesondere Neuwagen mit Erdgasantrieb im Vergleich mit ihren Schwestermodellen sehr gute Umwelteigenschaften ausweisen. So stoßen Erdgasautos bis zu einem Viertel weniger CO2 aus als vergleichbare Benzinmodelle und belegen seit Jahren Spitzenplätze in der VCD-Auto-Umweltliste. Dennoch gilt es zunächst zu erörtern, ob eine schlichte Fortführung der Energiesteuerermäßigungen für Erd- und Flüssiggas tatsächlich der richtige Weg ist. Fragen, die dabei zu klären sind, wären etwa: Sind die derzeitigen üppigen Ermäßigungen in dieser Höhe aus klimapolitischer Sicht zu rechtfertigen? Sind auch Motoren auf Basis von Flüssiggas eine Brückentechnologie, die massive Steuervorteile rechtfertigt? Und sollte die nun anstehende Novelle nicht schon jetzt dafür genutzt werden, um mit einer schrittweisen Erhöhung der Steuersätze die Antriebstechnologien an den Wettbewerb mit Benzin- und Dieselantrieben heranzuführen? Letztlich muss die Subventionierung von Erdgas und Flüssiggas auch vor dem Hintergrund alternativer Regulierungsinstrumente betrachtet werden – etwa inwieweit die Marktdurchdringung mit effizienten Antriebstechnologien vor allem durch ehrgeizige und technologieneutrale Verbrauchsgrenzwerte auf EU-Ebene forciert werden sollte anstatt mit einer Subventionierung bestimmter Kraftstoffarten. Um dieser Entscheidung nicht vorzugreifen, enthält sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem vorliegenden Antrag. Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Zollverwaltung (Tagesordnungspunkt 26) Uwe Feiler (CDU/CSU): Wir beraten heute über ein Gesetz zur Neuorganisation der Zollverwaltung. Mit diesem hat die Bundesregierung ein schlüssiges und konsequentes Konzept vorgelegt, um unsere Zollbehörde noch effektiver und effizienter zu machen. Der Zoll hat bereits 2007 eine erfolgreiche Strukturreform auf der Ortsebene durchlaufen und steht gut da. Jetzt ist es an der Zeit, die Ergebnisse dieser Reform zu sichern und konsequent zu Ende zu bringen. Zentraler Bestandteil der Reform ist die Bildung der Generalzolldirektion in Bonn. Diese wird die bisherigen Bundesfinanzdirektionen bündeln, sodass die gesamte Kompetenz der Zollverwaltung mit Zuständigkeit für das ganze Bundesgebiet dort zusammengefasst wird. Die allgemeine Verwaltung und die IT werden zentral bei der Generalzolldirektion angesiedelt. Durch kürzere Entscheidungswege und klarere Zuständigkeiten wird die Verwaltung optimiert. Auch die Zusammenarbeit in Europa kann dann noch besser koordiniert werden. So kann der Zoll seine in den letzten Jahren gewachsenen und auch in Zukunft wachsenden Aufgaben noch besser erfüllen. Dabei wird aber nicht alles umgeworfen. Zum Beispiel wird die mit maritimen Fragen erfahrene Bundesfinanzdirektion Hamburg zu einer Außenstelle der Generalzolldirektion. Die Verwaltung wird reformiert, die Spezialisten in Hamburg sind nun aber sogar für die maritimen Fragen des Zolls in ganz Deutschland zuständig, sodass der Zoll in Gänze und die Ansprechpartner in der maritimen Wirtschaft von der Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter profitieren. Auch das Zollkriminalamt wird in die neue Behörde eingegliedert, bleibt aber als eigenständige etablierte Sicherheitsbehörde erhalten. Entlastet von allgemeinen Verwaltungsaufgaben kann es noch besser wirken und sich auf seine originären Zuständigkeiten konzentrieren. Gleichzeitig bleibt die bewährte Ortsstruktur erhalten. Der Zoll wird weiterhin – und in Zukunft sogar verstärkt – in der Fläche aktiv und sichtbar sein. Dafür stehen die 43 Hauptzollämter und acht Zollfahndungsämter. Überhaupt wird die gesamte Umstellung geordnet und überlegt verlaufen. Sie wurde mit den Personalvertretungen und Gewerkschaften gemeinsam diskutiert, und es wurden verbindliche Verabredungen getroffen. Alle Dienststellen bleiben erhalten, sogar größtenteils an den bisherigen Orten. Umzüge sind freiwillig. Änderungen wird es vor allem in der Abteilung III des BMF geben. Das Ergebnis wird eine bessere Zollverwaltung ohne Nachteile für die Mitarbeiter sein. Damit sorgen wir dafür, dass auch in Zukunft unser Zoll seine vielfältigen Aufgaben zur Sicherung der staatlichen Einnahmen und der Sicherheit der Menschen erfüllen kann. Vor allem die Überprüfung des gesetzlichen Mindestlohns und die von den Ländern übernommene Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer haben eine große gesellschaftliche Bedeutung und die Behörde vor neue Aufgaben gestellt. Die angegebenen Kosten der Zollreform beinhalten nicht nur die IT-Umstellung und Anmietung neuer Räumlichkeiten, sondern auch die Modernisierung der Kommunikationsausstattung der Zollliegenschaften. Auch in der Ausrüstung wird der Zoll somit besser aufgestellt. Wenn man sich den vorliegenden Gesetzesvorschlag der Bundesregierung anschaut, muss man feststellen, dass wir hier eine durchdachte, konsequente und sinnvolle Reform vorliegen haben. Unser Zoll wird damit für seine wichtigen und auch in Zukunft weiter wachsenden Aufgaben gerüstet. Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Fast jeder erwachsene Bürger kennt ihn: den Zoll; aber nur wenige kennen das wirkliche Maß seiner Bedeutung. Die Zollverwaltung ist eine Großbehörde und hat ungefähr 39 000 Mitarbeiter. Diese sichern nationale und europäische Einnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe, vor allem im Bereich der Verbrauchsteuern. Für das Jahr 2014 waren das ungefähr 130 Milliarden Euro. Zu den Kernaufgaben des Zolls -gehören die Unterbindung illegalen Handels und der Schutz der Bevölkerung durch die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Ich nenne an dieser Stelle nur einmal exemplarisch den Schmuggel von verbrauchsteuerpflichtigen Waren wie Zigaretten und Alkohol, Drogen-, Waffenschmuggel, Markenpiraterie, Geldwäsche, Artenschutz – Handel mit geschützten Tier- und Pflanzenarten –, Einfuhr verbotener Arznei- und Lebensmittel und vieles andere mehr. Vor der Öffnung der Grenzen in Europa – Stichwort: Schengen-Raum – hatten zumindest diejenigen, die ins Ausland fuhren, im Regelfall unmittelbaren Kontakt mit den Grenzbeamten des Zolls. Das ging auch mir als Abgeordnete aus einer Grenzregion zu den Niederlanden häufig so. Mit dem Wegfall der Grenzkontrollen wurde der Zoll für viele Bürger weniger erfahrbar und unsichtbarer. Aufgabenspektrum und Bedeutung des Zolls aber sind seitdem nicht weniger geworden – ganz im Gegenteil, sie haben sogar zugenommen. Ich nenne hier die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die seit 2004 vom Zoll übernommen wurde, die jüngst hinzugekommene Übernahme der Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer von den Ländern und die Kontrolle des gerade von der Bundesregierung beschlossenen gesetzlichen Mindestlohns. Um den wachsenden Aufgaben gerecht werden zu können, hat die Regierung jetzt eine umfassendere Neuorganisation der Zollverwaltung beschlossen, die wir heute erstmalig im Bundestag einbringen und in den kommenden Wochen und Monaten in den Gremien beraten werden. Wesentliches Element der Reform ist die Schaffung einer Generalzolldirektion als zentrale Oberbehörde in Bonn. In diese werden die fünf Bundesfinanzdirektionen und die Bereiche aus dem Finanzministerium, die nicht der Gesetzgebung dienen, überführt. Das Zollkriminalamt bleibt als Generaldirektion als eigenständige Abteilung bestehen. Die neue Einheit Generalzolldirektion wird unmittelbar dem Bundesfinanzministerium unterstellt. Die Reform will bestehende Strukturen effizienter gestalten und verschlanken; sie will Hierarchieebenen abbauen. Leitbild der Regierung war der Erhalt des Zolls als Einheit von Finanzverwaltung und Vollzug. Die meisten Verbände, denen der Gesetzentwurf zur Konsultation vorab übersandt wurde, unterstützen diesen Ansatz im Grundsatz. Ich will aber nicht verschweigen, dass die Gewerkschaft der Polizei, GdP, eine davon abweichende -Meinung vertritt. Die GdP lehnt eine Integration des Zollkriminalamtes als eigenständigen Teil der Generaldirektion ab. Empfohlen wird die Trennung von Verwaltungs- und Polizeiaufgaben. Kontroll-, Fahndungs-, und Ermittlungsaufgaben sollten nach Vorstellung der GdP in einer von drei eigenständigen „Säulen“ unter dem Dach des Zollkriminalamts gebündelt werden. Laut GdP-Vorschlag würden die FKS und die Kontrolldienste Teil des ZKAs. Das Zollkriminalamt soll dann entweder direkt dem Bundesfinanzminister oder demselben mittelbar mit einer dazwischengeschalteten Generaldirektion unterstehen. Die GdP erhofft sich von der Zusammenführung „polizeilicher“ Aufgaben eine Stärkung der -polizeilichen und eine bessere Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden der Landes- und Bundespolizeibehörden. Die Abschaffung der Mittelbehörden dagegen wird ausnahmslos von allen Verbänden unterstützt. Ausdrücklich begrüße ich den Ansatz der Regierung, kein Personal abzubauen. Stellen, die durch Neu- und Umorganisation der Verwaltungsstrukturen an der einen Stelle frei werden, entfallen nicht, sondern werden dorthin verlagert, wo sie im Zuge der Neuorganisation benötigt -werden. Es steht außer Frage, dass der Zoll heute und zukünftig jede Fachkraft benötigt. Der demografische Wandel wird auch am Zoll nicht spurlos vorbeigehen. Personalgewinnung bleibt ein zentrales Thema – nicht der Abbau! Die Herausforderungen sind und bleiben groß: Ich erinnere an die 1 600 zusätzlichen Stellen für die Mindestlohnkontrolle, für die Personal gewonnen und ausgebildet werden muss. Der Zoll bleibt auch in der Fläche in vollem Umfang präsent. Kein Standort wird geschlossen. Das gilt für die ehemaligen Bundesfinanzdirektionen ebenso wie für die 43 Hauptzollämter und die acht Zollfahndungsämter. Die Fachkompetenz vor Ort und in der Fläche kann so erhalten werden. Ich halte den vorliegenden Entwurf für eine gute Diskussionsgrundlage. In den nächsten Wochen haben wir alle Zeit, um intensiv darüber nachzudenken, um dann nach der Sommerpause vertieft in die Sachdebatte einzusteigen. Frank Tempel (DIE LINKE): Die Linke hat in der vergangenen Wahlperiode einen Antrag zur Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei als Wirtschafts- und Finanz-ermittlungsbehörde eingebracht. Unser Ansatz war es, die Bundeszollverwaltung zu einer selbstständigen, originär polizeilich ausgerichteten Behörde umzuwandeln. Mit der Bündelung der Ermittlungs-, Fahndungs- und Kontrolleinheiten des Zolls unter eine einheitliche Führung und Fachaufsicht sollte ein Effizienzschub bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Geldwäsche, der Außenwirtschaftskriminalität, des Subventionsbetrugs und des organisierten Schmuggels erreicht werden. Die Bundesregierung hat ebenfalls die Notwendigkeit einer Strukturreform der Zollverwaltung erkannt, aber einen anderen – unserer Meinung nach viel zu zaghaften – Ansatz gewählt, die bestehenden Probleme anzugehen. Die aufgeblähten sechs Mittelbehörden sollen abgeschafft und eine effizientere Struktur durch die Bildung einer Generalzolldirektion als Oberbehörde mit neun Direktionen geschaffen werden. Das Zollkriminalamt und das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung sollen innerhalb der Generalzolldirektion als funktionale Einheit erhalten bleiben. Es stellt sich die Frage, ob ein einheitliches und strategisch ausgerichtetes Zusammenwirken aller Kontroll-, Fahndungs- und Ermittlungskräfte erreicht werden kann, wenn sich die operative Steuerung der vollzugspolizeilichen Kontroll-, Fahndungs- und Ermittlungsdienste auf vier Direktionen, die Streifen- und Kontrolldienste sich auf drei verschiedene Direktionen und die Fahndungs- und Ermittlungsdienste auf zwei Direktionen verteilen. Die Führungskräfte der Mittelebene waren bisher zum Großteil leitende Finanzbeamte ohne Erfahrungen bezüglich der Führung eher polizeilich ausgerichteten Ermittlungseinheiten. Es ist zu befürchten, dass sich dieser Umstand in den Direktionen wiederfindet. Das grundhafte Problem der Zollverwaltung, dass die Ermittlungseinheiten als Anhängsel der Finanzverwaltung behandelt werden, würde sich strukturell und personell fortsetzen. Neben der zweifelhaften Grundrichtung der Reform sieht die Linke schon jetzt Probleme bei der Umsetzung. Der nötige Kulturwandel einer bisher stark hierarchisch geleiteten Behörde hin zu mehr Entscheidungsbefugnis und Eigenverantwortung an die örtlichen Strukturen wird extrem schwierig. Ohne diesen Wandel ist aber auch diese begrenzte Reform zum Scheitern verurteilt. Die Gewerkschaften, vom DGB über die Gewerkschaft der Polizei – GdP – bis hin zur Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft – BDZ – fordern für die Beschäftigten ein transparentes Herangehen an den Umbau des Zolls. Wegfallende Tätigkeiten und Aufgabenumverteilungen werden mit Dienstpostenverschiebungen einhergehen. Frühzeitige Information über Veränderungen ermöglichen den Betroffenen frühzeitige individuelle Planungen zum Beispiel zum Wohnungswechsel oder notwendige Weiterbildungen. Das abschreckende Beispiel der Reform der Bundespolizei muss den Verantwortlichen eine Warnung sein, die Reform nicht auf dem Rücken der Beschäftigten durchzudrücken. Dort hatte sich der Zustand zunehmender Aufgabenverdichtung ständig verschärft. Bei der Zollverwaltung sieht es seit Jahren ähnlich aus. Die bislang erfolgte mangelnde Beteiligung der Beschäftigten und Personalvertretungen und die knapp bemessene Zeitschiene der Umsetzung bis zum 1. Januar 2016 lässt hingegen Schlechtes ahnen. Ein Umbauprozess ist ohne das Engagement der Beschäftigten aber nicht zu bewerkstelligen. Die Linke wird diesen Prozess beobachten und parlamentarisch begleiten. Die Gewerkschaft der Polizei, GdP, weist in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf berechtigterweise darauf hin, dass mit der Zuordnung des Zollkriminalamtes und seiner nachgeordneten Zollfahndungsämter unter die Generalzolldirektion die Befugnisse nach dem Zollfahndungsdienstgesetz, ZFdG, auf die Generalzolldirektion übergehen werden. Damit sind bei der Generaldirektion tiefgehende Befugnisse beim Eingriff in die Persönlichkeitsrechte gebündelt, die im Übrigen weit über polizeiliche Eingriffsrechte hinausgehen. Zu nennen sind etwa umfangreiche Zugriffsmöglichkeiten auf Datenbanken, präventive Abhörmöglichkeiten und weitgehende Befugnisse zum Führen von verdeckten Ermittlern. Diese neue Qualität der institutionellen Machtfülle in einer Behörde von 7 000 Beschäftigten bedarf einer viel schärferen gesetzlichen Regelung der innerbehördlichen Zuständigkeiten und datenschutzrechtlicher Bestimmungen, als dies im vorliegenden Gesetzentwurf vorhanden ist. Es bedarf auch einer neuen Qualität demokratischer Kontrolle. Die jetzige Arbeitsweise des Gremiums nach § 23 c Absatz 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes wird dem nicht gerecht. Bloße Berichterstattungen ohne Kontrollmöglichkeiten vor Ort, das Recht der Akteneinsicht und Vorladungsrechte sind nicht ausreichend. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch wenn die Zollverwaltung in der Öffentlichkeit nicht besonders im Vordergrund steht, erfüllt sie doch eine wichtige Rolle für die Funktion unseres Gemeinwesens. Zu nennen ist die Überwachung des mit unserer Unterstützung eingeführten gesetzlichen Mindestlohns, die Bekämpfung des Schwarzmarktes und der illegalen Beschäftigung sowie die Erhebung und Verwaltung der Kfz-Steuer und der Verbrauchsteuern. Besonders wichtig ist die Zollverwaltung für die Bekämpfung organisierter Wirtschafts- und Finanzkriminalität, insbesondere der Steuerhinterziehung. Die Methoden der organisierten Kriminalität werden von Jahr zu Jahr raffinierter, und damit erweitert sich auch das Aufgabenspektrum des Zolls kontinuierlich. Es ist daher richtig und wichtig, den zunehmend komplexer werdenden Aufgaben mit einer effektiven und effizienten Struktur der Zollverwaltung Rechnung zu tragen – aber auch für eine ausreichend dicke Personaldecke zu sorgen. Dass es hier deutlichen Verbesserungsbedarf gibt, sieht man etwa, wenn es darum geht, Steuerhinterziehung zu verhindern. Zwar leistet der Zoll hier wertvolle Arbeit. Dennoch gehen dem Staat nach Schätzungen der Finanzämter aufgrund von Umsatzsteuerbetrug jährlich mehrere Milliarden an Steuereinnahmen verloren. Zu nennen sind hier vor allem die sogenannten Umsatzsteuerkarusselle. Der Finanzminister möchte sein Ziel der Effektivität und Effizienz mit der Einrichtung einer Generalzolldirektion als Oberbehörde erreichen, in der die bisherigen Aufgaben der fünf Bundesfinanzdirektionen sowie des Zollkriminalamts zusammengeführt werden. Die Verschlankung besteht darin, dass die bisherigen Mittelebenen wegfallen, an örtlichen Zollämtern aber festgehalten wird. Insbesondere vor dem Hintergrund des Problems Steuerhinterziehung begrüßen wir das Ziel, die Zoll-verwaltung zu stärken. Das Ziel einer effektiven und -effizienten neuen Organisation, wie es der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt, wird auch von uns Grünen grundsätzlich unterstützt. Inwieweit genau diese neue Organisationsstruktur effektiver und effizienter sein wird, muss sich noch zeigen. Das Gesetz allein überzeugt da noch nicht. Vielleicht kann die Anhörung da noch weiterhelfen. Denn auch die derzeitige Struktur mit den fünf Bundesfinanzdirektionen wurde seinerzeit mit der gleichen oder ähnlichen Begründung eingeführt. Wir fordern daher eine regelmäßige Überprüfung der im Zusammenhang mit der Neuorganisation vorgenommenen Änderungen hinsichtlich ihrer Effizienz und Effektivität. Schwer nachzuvollziehen ist, auf welche Analyse der alten Struktur sich Finanzminister Schäuble im vorliegenden Gesetzentwurf bezieht. Beschäftigte und deren Interessenvertretungen wurden offensichtlich dabei kaum berücksichtigt. Ohne eine umfassende Analyse der Ist-Situation wird eine Bewertung von Effizienz- und -Effektivitätssteigerungen, die auf die Neuorganisation zurückzuführen sind, jedoch schwierig. Die ganze Strukturreform wird auf jeden Fall verpuffen, wenn die Personalausstattung nicht aufgabenadäquat ist. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit kontrolliert zum Beispiel seit diesem Jahr den flächendeckenden Mindestlohn – ein Mammutprojekt für den Zoll. Auf Anfrage stellte sich heraus, dass es sich bei den von der Bundesregierung angekündigten 1 600 neuen Stellen für Finanzkontrolle Schwarzarbeit um leere Versprechungen handelt. Diese sollen bis zum Jahr 2019 geschaffen -werden. Tatsächlich blieb bei dieser Rechnung unberücksichtigt, dass 3 Prozent des Personals pro Jahr alters-bedingt oder aus anderen Gründen ausscheidet. Realistisch kann mit etwa 160 Neueinstellungen im Jahr gerechnet werden. Das ist zu wenig, um die Überlastung abzumildern. Zudem kommt die Hilfe zu spät. Darüber hinaus hat der Zoll im letzten Jahr zusätzlich die Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer von den Ländern übernommen. Hier konnte man bereits erkennen, dass der Zoll stellenweise völlig überlastet ist. Es kam zu fehlerhaften Steuerbescheiden, da es an Personal fehlte. Zumindest der zusätzliche Personalbedarf im Rahmen der Einführung der PKW-Maut scheint sich glücklicherweise erledigt zu haben. Die Umsiedlung der Abteilung III des BMF, zuständig für Zoll und Verbrauchsteuern, von Bonn nach Berlin ist überfällig. Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese als einzige Abteilung nicht in Berlin angesiedelt war. Genauso bleibt die Frage offen, nach welchen -Kriterien die Entscheidung für den Standort der Oberbehörde getroffen wurde. Auch das wird sich vielleicht im Rahmen der Anhörung klären. Abschließend lässt sich festhalten, dass wir einer sinnvollen Neuorganisation der Zollverwaltung nicht im Wege stehen werden. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Der Zoll stellt seine Leistungsfähigkeit seit Jahrzehnten erfolgreich unter Beweis als Einnahmeverwaltung des Bundes, als Ansprechpartner und für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie als Partner der Wirtschaft. Sein Aufgabenspektrum ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Zuletzt hat der Zoll die Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer von den Ländern und die Überprüfung des gesetzlichen Mindestlohns übernommen. Der vom Bundeskabinett am 6. Mai 2015 beschlossene Gesetzentwurf zur Neuorganisation der Zollverwaltung schafft die Rahmenbedingungen, unter denen die Zollverwaltung ihre künftigen Aufgaben weiter erfolgreich und mit hoher Effizienz erfüllen kann. Die Erfahrungen bisheriger Reformschritte werden genutzt, um die Strukturen der Zollverwaltung auch für die Zukunft optimal zukunftsorientiert zu gestalten. Mit den zu beteiligenden Verbänden und Gewerkschaften gab es im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen einen breiten Konsens. Wesentliches Element der Neuorganisation der Zollverwaltung ist die Einrichtung einer Generalzolldirektion als neue Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn zum 1. Januar 2016. In der Generalzolldirektion werden die Aufgaben der bisherigen Mittelbehörden der Zollverwaltung sowie die nicht zum unmittelbaren ministeriellen Kernbereich gehörenden Aufgaben der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung des Bundesministeriums der Finanzen zusammengeführt. Hierzu werden die derzeit fünf Bundesfinanzdirektionen sowie das Zollkriminalamt in die Generalzolldirektion integriert. Die Generalzolldirektion soll aus neun Direktionen bestehen, einschließlich des Zollkriminalamtes und des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung. Das Zollkriminalamt bleibt dabei – innerhalb der Generalzolldirektion – als funktionale Einheit mit seiner gesetzlich normierten Stellung im Verbund der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden erhalten. Das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung wird als Einheit ebenfalls organisatorisch in die Struktur der Generalzolldirektion eingegliedert. Die besondere Stellung des Fachbereichs Finanzen als integraler Bestandteil der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung bleibt dabei unberührt. Die Standorte der bisherigen Mittelbehörden – Hamburg, Potsdam, Köln, Neustadt an der Weinstraße und Nürnberg – sowie des Zollkriminalamtes – Köln – und des Bildungs- und Wissenschaftszentrums – Münster – bleiben bestehen. Sie sind Dienstsitze der Generalzolldirektion – neben dem Hauptdienstsitz in Bonn. Der Generalzolldirektion werden rund 7 000 Beschäftigte angehören. Mit der Einrichtung der Generaldirektion geht kein Stellenabbau bei der Zollverwaltung einher. Die durch Synergien zu erzielenden Effizienzgewinne sollen vielmehr der Ortsebene zugutekommen. Bereits kurzfristig lässt sich eine Rendite von rund 90 Dienstposten aufgrund der konsequenten Zentralisierung der Verwaltungssteuerung realisieren. In einzelnen Bereichen konnte darüber hinaus bereits Potenzial zur weiteren Abschichtung von Aufgaben auf die Ortsebene identifiziert werden – zum Beispiel Aufhebung von Zustimmungs- und Genehmigungsvorbehalten, Sachbearbeitung im Marktordnungsbereich, Zulassung von Steuerbürgen. Angestrebt wird mittelfristig eine Effizienzrendite von weiteren gut 300 Dienstposten. Die Leitung der Generalzolldirektion soll mit B 9 – politisches Amt –, die Stellvertretung mit B 7 bewertet werden. Die Direktionspräsidenten sind mit B 6 bewertet – analog zu den Präsidenten der bisherigen Mittelbehörden. Die neu zu schaffenden Leitungsdienstposten sind im Haushaltsvoranschlag für die Zollverwaltung stellenwirtschaftlich kompensiert. Die Ortsebene der Zollverwaltung mit ihren 43 Hauptzollämtern, acht Zollfahndungsämtern und 271 Zollämtern bleibt den Bürgerinnen und Bürgern, den Wirtschaftsbeteiligten und den Länderverwaltungen als kompetenter Ansprech- und Kooperationspartner vollständig erhalten. Die Präsenz der Zollverwaltung in der Fläche soll künftig durch die erwähnten Effizienzgewinne noch weiter gestärkt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält die zur Umsetzung der skizzierten Neuorganisation notwendigen Änderungen von Bundesgesetzen und Rechtsverordnungen. Das sind im Wesentlichen: Änderungen im Finanzverwaltungsgesetz zur Einrichtung der Generalzolldirektion sowie zur Auflösung und Integration der behördlichen Mittelebene der Zollverwaltung in die Generalzolldirektion; Änderungen des Bundesbeamten- und des Bundesbesoldungsgesetzes; Änderungen von Fachgesetzen – Zollfahndungsdienstgesetz, Abgabenordnung, Marktordnungsgesetz und Außenwirtschaftsgesetz; Anpassungen sonstigen Bundesrechts. Die Verwaltungsstrukturen der Länder werden durch das Gesetz nicht berührt. Das Gesetz betrifft ausschließlich die Bundesverwaltung. Im Vorfeld der für den 10. Juli 2015 vorgesehenen ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Bundesrat haben der federführende Finanzausschuss, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Ausschuss für Kulturfragen am 26. Juni 2015 jeweils die Empfehlung ausgesprochen, keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf zu erheben. Auf Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg sprach sich der mitberatende Wirtschaftsausschuss für eine differenziertere Stellungnahme des Bundesrates aus. Die Empfehlung des Wirtschaftsausschusses zielt im Wesentlichen auf den Fortbestand des Dienstleistungsangebots der Zollverwaltung in der Fläche und auf eine gute Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsbeteiligten ab. Zusammenfassend ist festzustellen: Die Präsenz der Zollverwaltung in der Fläche ist und bleibt gewährleistet. Die Ortsebene der Zollverwaltung wird – wie ausgeführt – nicht berührt. Durch die Beibehaltung der Standorte der bisherigen Mittelbehörden sowie des Zollkriminalamtes bleiben zudem regionale Kompetenz und Erfahrung auf Ebene der Generalzolldirektion erhalten. Ich bin daher überzeugt, dass auch in der neuen Struktur der bislang sehr gute Dialog mit der Wirtschaft und das gemeinsame Streben nach praxisorientierten Lösungen weiterhin fortgesetzt und ausgebaut wird. Das Gesetz hat keine negativen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte. Dem Bund entsteht im Finanzplanungszeitraum, bis 2019, ein einmaliger Umstellungsaufwand von rund 28 Millionen Euro. Der Erfüllungsaufwand entsteht im Wesentlichen durch die Anpassung zahlreicher IT-Verfahren und die Ausstattung der Liegenschaften im gesamten Bundesgebiet mit geeigneter Kommunikationstechnik. Parallel zur Einrichtung der Generalzolldirektion wird die bisherige Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung des Bundesministeriums der Finanzen auf ihren ministeriellen Kernbereich reduziert und schrittweise bis Ende 2019 nach Berlin umziehen. Als verwaltungsinterne Maßnahme des BMF ist der Umzug nicht Gegenstand des Gesetzentwurfs zur Neuorganisation der Zollverwaltung. Die Vorteile der Neuorganisation liegen auf der Hand: Wir erhalten Bewährtes und entwickeln es in einem neuen organisatorischen Rahmen fort, der das Arbeiten hinsichtlich Effizienz und Effektivität optimiert. Kurze Entscheidungswege gewährleisten schnelles und zielgerichtetes Verwaltungshandeln bei der Lösung der fachlichen Aufgaben. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit der Einrichtung der Generalzolldirektion als Kernstück der Neuorganisation die Erfolgsgeschichte der Zollverwaltung fortschreiben werden. Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (Tagesordnungspunkt 27) Uwe Feiler (CDU/CSU): Heute beraten und beschließen wir in zweiter und dritter Lesung zu einem Thema, dessen Umsetzung ein großer Fortschritt für den Vollzug der Besteuerung in einer globalisierten -Finanzwelt darstellt. 51 Staaten haben sich im Oktober letzten Jahres auf Initiative von Bundesfinanzminister Schäuble in Berlin darauf verständigt, zukünftig durch einen gemeinsamen Informationsaustausch in Steuersachen die Zusammenarbeit zu intensivieren und Schlupflöcher zu schließen. Sie knüpft damit an den Foreign Account Tax Compliance Act, FATCA, mit den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Übereinkommen zur Amtshilfe in Steuersachen von 1988 an. Diese Vereinbarung stellt aber auch sicher, dass Ungleichbehandlungen und Doppelbesteuerungen vermieden werden. Von daher ist dieser Gesetzentwurf das Resultat zwischen dem Erfordernis, dass kein Steuerpflichtiger seiner Verantwortung durch Steuerhinterziehung und Vermeidung ausweichen kann, und dem -Bekenntnis der teilnehmenden Staaten, dass die Besteuerung nach feststehenden Regeln erfolgt. Die im Titel dieses Gesetzes enthaltene Jahreszahl 1988 macht aber auch deutlich, dass dringender Handlungsbedarf bestand, um die Vereinbarung den Erfordernissen der heutigen Zeit anzupassen. Gleichzeitig galt es sicherzustellen, dass mit den Möglichkeiten der automatisierten Übertragung von Steuerdaten auch dem Datenschutz zur Sicherstellung des Steuergeheimnisses besondere Bedeutung zukommt. Dies wird durch die Vereinbarung sichergestellt, dass die Staaten nur dann Informationen erteilen sollen, wenn dies im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht steht. In dem Gesetz ist deshalb sehr detailliert festgelegt, welche Übermittlungspflichten bestehen und wie die Finanzinstitute die Daten entsprechend aufzubereiten haben. Aber auch auf das Bundeszentralamt für Steuern kommen Aufgaben zu. Da aus guten Gründen die Übermittlung nicht zwischen den Finanzinstituten direkt erfolgt, sondern über staatliche Institutionen, die einer besonderen Aufsicht unterliegen, abgewickelt wird, sind zum einen die Datensätze an die teilnehmenden Staaten zu übermitteln und zum anderen die ankommenden Datensätze anzunehmen und an die Landesfinanzverwaltungen weiterzuleiten, die Daten für 15 Jahre zu speichern – die Löschung ist sicherzustellen – und die Melde- und Sorgfaltspflichten der Finanzinstitute zu überprüfen. Das Übereinkommen umfasst deshalb auch die Durchführung gleichzeitiger Steuerprüfungen sowie die Teilnahme deutscher Finanzbeamter an Steuerprüfungen im Ausland. Mit dem heutigen Beschluss wird sichergestellt, dass die Ende 2014 getroffenen Vereinbarungen in der EU-Amtshilferichtlinie in nationales Recht übertragen werden und zum 30. Juni 2017 der Austausch der Steuer-daten ab dem Jahr 2016 erfolgen kann. Nur mit dieser Vorlaufzeit ist es den Finanzinstituten und Behörden möglich, entsprechende Vorbereitungen für die Umsetzung zu treffen. Nicht verschweigen will ich, dass für die Wirtschaft, aber auch für unsere Finanzverwaltung auch finanzielle Mehrbelastungen bestehen. In diesem Fall halte ich das jedoch für gut investiertes Geld, da die Maßnahmen maßgeblich zur Steuergerechtigkeit beitragen und sicherstellen, dass niemand nur aufgrund besonderer Kenntnisse im Bereich der Steuergestaltung über Auslandskonten bevorteilt wird. Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz gehen wir wieder einen weiteren Schritt zu einer vollständigen Erfassung steuerlicher Sachverhalte im internationalen Bereich. Im Herbst 2014 fand eine Konferenz mit Vertretern von 50 Staaten statt, auf der mit der Unterzeichnung globaler Standards ein wichtiges Signal gesetzt wurde. Diese Vereinbarung basiert auf dem Übereinkommen zur gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen aus dem Jahr 1988 sowie dem Abkommen „Foreign Account Tax Compliance Act“ mit den USA. Laut dieser Vereinbarung vom 24. Oktober 2014 ergibt sich für die deutschen Steuerbehörden die Verpflichtung, Namen, Anschrift, Steueridentifikationsnummer, Kontonummern etc. an die anderen Vertragsstaaten zu übermitteln. Die Steuerbehörden der Vertragsstaaten werden ab 2017 die entscheidenden und notwendigen Daten von im Staat ansässigen Finanzdienstleistern und Banken erhalten und diese einmal jährlich austauschen. Mit diesem heute zu verabschiedenden Gesetz setzen wir das Abkommen bzw. die EU-Richtlinie in nationales Recht um. Damit wird ein einheitlicher Rechtsrahmen für die Amtshilfe in Steuersachen geschaffen. Neben dem Informationsaustausch werden auch die gleichzeitige Steuerprüfung und die Teilnahme an Steuerprüfungen im Ausland geregelt. Dies alles verfolgt letztendlich das Ziel einer ordnungsgemäßen und umfassenden Ermittlung der Steuerpflicht und damit auch der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Die Steuerpflichtigen werden aber damit auch bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt, insbesondere im Hinblick auf ein einheitliches ordnungsgemäßes rechtliches Verfahren für Steuersachen in allen Vertragsstaaten sowie im Hinblick auf den Schutz vor Ungleichbehandlung und Doppelbesteuerung. Mit dem Gesetz wird das Bundesfinanzministerium auch ermächtigt, Änderungen und Ergänzungen der in Anlage A zum Übereinkommen aufgeführten Steuern durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates vorzunehmen. Die Steuerpflichtigen müssen in diesem Zusammenhang auch hinsichtlich ihrer personenbezogenen Daten geschützt bleiben. Hierzu wird eine entsprechende Erklärung zur Wahrung des Datenschutzes abgegeben werden. Wesentlich ist aber auch, dass durch die ausdrückliche Nennung der Schutzbestimmungen nach Artikel 22 Absatz 1 des Abkommens der Bezug zu deutschen und europäischen Grund- und Menschenrechtsstandards hergestellt wird. Damit wird jedwede Nutzung von Steuerdaten in Strafverfahren ausgeschlossen, die zu einer Verletzung der grundgesetzlich garantierten Menschenrechte führen könnte. Mit diesem Gesetz gehen wir einen großen Schritt nach vorne zu einer größeren Steuergerechtigkeit. Es wird in Zukunft nicht mehr so leicht sein, Steuern zu hinterziehen oder zu vermeiden, indem man sich ausländischer Banken und Finanzdienstleister bedient. Natürlich gibt es immer noch vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, um die Steuerlast so gering wie möglich zu halten. Große internationale Konzerne machen uns das ebenso vor wie erfolgreiche Fernsehmoderatoren, die sich von im Ausland liegenden eigenen Produktionsfirmen anstellen lassen, um hohe Gewinne aus ihren eigenen Auftritten im deutschen Fernsehen in niedrigbesteuerte Nachbarländer zu verschieben. Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen, mich heute beim Bundesfinanzminister und seinen Mitarbeitern ausdrücklich zu bedanken, dass ein weiterer wichtiger Schritt zur umfassenden Erfassung steuerlicher Sachverhalte im Ausland gemacht wurde. Dieses Gesetz ist vernünftig und notwendig, und deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung. Andreas Schwarz (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf legen wir die Basis für eine konsequente Weiterentwicklung der gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen. Endlich werden die von uns unterzeichneten Abkommen zum Datenaustausch in Steuersachen auch in nationales Recht umgesetzt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass den Steuerbehörden mit dieser Ratifizierung in Zukunft deutlich bessere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, Steuerkriminalität noch wirksamer zu bekämpfen. Die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs wird den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung erheblich verbessern. Diese verstärkte internationale Zusammenarbeit vor allem auch in Steuersachen liegt im Interesse unseres Landes und unserer Bürgerinnen und Bürger. Es ist gerecht, wenn wir Steuerbetrug noch härter bekämpfen, weil jeder und jede seinen gerechten Anteil an der Finanzierung des Staates leisten muss. Wenn das nicht der Fall ist, gerät die Finanzierung des Staates in Schieflage. Das können wir nicht länger hinnehmen, und deshalb handeln wir. Ich kann mich noch sehr gut an die Debatte über das deutsch-schweizerische Steuerabkommen vor drei Jahren erinnern. Damals hat Rot-Grün im Bundesrat dieses Abkommen zu Fall gebracht. Einer der Hauptgründe: Das deutsch-schweizerische Steuerabkommen hätte Steuerhinterzieher geschützt und somit quasi eine Legalisierung von Steuerkriminalität bei fortbestehender Anonymität bedeutet. Es war inakzeptabel, dass Steuerbetrüger in die -Anonymität hätten abtauchen bzw. sich weiter in ihr verstecken können – und das auch noch legalisiert durch dieses Abkommen! Wir hätten als Bundesrepublik überhaupt keine Handhabe beispielsweise gegenüber der Schweiz gehabt, um an Informationen zu deutschen Staatsbürgern mit Vermögen in der Schweiz zu gelangen. Wer sich der Steuerpflicht und damit der Solidarität dem Staat und seinen Bürgern gegenüber entzieht, der darf dafür weder belohnt noch nachträglich geschützt werden! Die damalige Ablehnung des Steuerabkommens war eine weise Entscheidung, wie sich nicht nur im Nach-hinein herausstellt. Mit der Aufdeckung prominenter Fälle von Steuerhinterziehung und dem Ankauf von Steuer-CDs aus dem Ausland ist in den letzten Jahren nämlich zweierlei erreicht worden: Erstens. Es hat unzweifelhaft dazu geführt, dass sich immer mehr Steuerflüchtlinge selbst angezeigt und den Steuerbehörden offenbart haben. Zweitens. Wir haben das Institut der strafbefreienden Selbstanzeige im vergangenen Jahr erheblich verschärft und dafür gesorgt, dass sich Steuerbetrug nicht mehr lohnt. Nationale Gesetzgebung gegen Steuerhinterziehung ist unverzichtbar, um effektiv gegen Steuervermeidung und -betrug vorzugehen. Genauso klar ist aber auch, dass wir letzten Endes nur erfolgreich sein werden, wenn wir das Problem global angehen. Mit anderen Worten: Ohne eine verstärkte internationale Zusammenarbeit kommen wir hier nicht weiter. Und hier hat sich seit der Ablehnung des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens viel getan. Wer hätte es für möglich gehalten, dass Abkommen mit Staaten verabredet werden konnten, die einem verstärkten internationalen Datenaustausch, sagen wir mal, von jeher eher skeptisch gegenüberstanden? Es ist nicht hoch genug einzuschätzen, dass es gelungen ist, auch befreundete Länder wie zum Beispiel die Schweiz und Liechtenstein mit ins Boot zu holen, um mit ihnen gemeinsam im Kampf gegen Steuerhinterziehung voranzukommen. Das alles hätte vor drei Jahren kaum jemand für möglich gehalten. Wenn der automatische Datenaustausch nach dem Common Reporting Standard, CRS, der OECD jetzt endlich nationaler und internationaler Standard wird, wird dies zusätzlichen Druck auf Steuersünder auslösen und sich hoffentlich positiv auf deren Steuermoral auswirken. Dafür spricht die SPD-Bundestagsfraktion allen Beteiligten ihren besonderen Dank aus. Der Gesetzentwurf bietet gleichzeitig auch praktische Verbesserungen für Steuerpflichtige, nämlich Schutz vor Ungleichbehandlung und Doppelbesteuerung. Freuen dürfen sich übrigens auch diejenigen, die seit jeher dem Ankauf von Steuer-CDs ablehnend gegenüberstehen, denn je konkreter der Datenaustausch zwischen den Staaten geregelt ist, desto überflüssiger wird irgendwann auch der Ankauf dieser CDs. Ich komme zum Schluss. Die Amtshilfe der Staaten untereinander ist unverzichtbar, um Steuerbetrug und Steuervermeidung wirksam zu bekämpfen. Hier kommen wir mit diesem Gesetzentwurf einen großen Schritt voran. Richard Pitterle (DIE LINKE): Die Regierungskoalition wird wieder einmal den heutigen Tag zum guten Tag erklären. Nicht wegen des heute sonnigen Wetters, sondern weil sie versucht, uns weiszumachen, dass hier große Schritte bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung gemacht würden. Der vorliegende Gesetzentwurf hat aber gerade einmal Symbolcharakter, mehr nicht! Ich kann Ihnen deshalb schon jetzt verraten, dass die Linke sich der Stimme enthalten wird. Aber nun zum Inhalt. Mit dem Gesetz wird dem Übereinkommen über gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen zugestimmt. Dieses bereits im Jahr 1988 erarbeitete Übereinkommen soll der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung dienen. Es beinhaltet Regelungen zum Informationsaustausch zwischen den jeweiligen Steuerbehörden, zu gleichzeitigen Steuerprüfungen sowie zu Teilnahmen an Steuerprüfungen im Ausland. Durch diese Zusammenarbeit der Behörden soll also den schwarzen Schafen, die ihr Geld auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im Ausland verstecken, das Leben schwer gemacht werden. Das hört sich so weit ja ganz nett an, aber bei genauerem Hinsehen ist das leider wieder einmal nur heiße Luft. Es wird kaum etwas Verbindliches festgeschrieben; das meiste ist optional oder kann durch Vorbehalte durch die einzelnen Staaten umgangen werden. Das Übereinkommen mag zwar 1988 wegweisend gewesen sein; heute ist es das jedoch definitiv nicht mehr. Das Ende letzten Jahres unterzeichnete Abkommen über den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen ist da bereits ein ganzes Stück weiter, obwohl auch das immer noch Schlupflöcher für Steuervermeidung lässt. Ich will Ihnen ja zugestehen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, dass es immer schwierig ist, bei internationalen Abkommen alle Interessen unter einen Hut zu bringen. Aber gerade deshalb müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn Sie es mit der Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung wirklich ernst meinen, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, beginnen Sie vor der eigenen Haustür, und lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir den schwarzen Schafen schon hierzulande, auf nationaler Ebene, das Leben schwer machen. Es gibt diverse Maßnahmen, die wir längst hätten umsetzen können. Die Behörden sind chronisch unterbesetzt, und die Bundesländer agieren beim Steuervollzug uneinheitlich. Die Linke fordert deswegen schon seit langem mehr Personal und eine stärkere Zuständigkeit des Bundes beim Steuervollzug hin zu einer Bundessteuerverwaltung samt einer Bundesfinanzpolizei. Hier hat die Große Koalition bisher nichts zustande gebracht. Oder nehmen wir den Bereich der Unternehmensteuern: Hier blocken Sie alles ab, meine Damen und Herren von Union und SPD, was es Unternehmen erschweren würde, ihre Gewinne durch Schlupflöcher im Steuersystem ins Ausland zu schleusen. Erst kürzlich haben Sie einen Antrag der Linken zur Beseitigung von Konzernprivilegien bei der Bilanzveröffentlichung abgelehnt, obwohl wir dort dringend mehr Transparenz brauchen. Und auch das Country-by-Country-Reporting, welches Unternehmen dazu zwingen würde, offenzulegen, welche Umsätze sie in welchem Land erzielen, lehnen Sie ab. Dabei hatten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, im Wahlkampf sogar noch damit geworben. Mit solchen Gesetzen wie dem vorliegenden, die letztlich lediglich Symbolcharakter haben, ändern wir kaum etwas. Um den internationalen Kampf gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung wirklich voranzubringen, müssen wir erst einmal unsere eigenen Hausaufgaben machen und auf innerstaatlicher Ebene mit gutem Beispiel vorangehen. Die Linke steht dafür in jedem Fall bereit. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir bekommen heute ein Gesetz zur Abstimmung vorgelegt, das ein fast 30 Jahre altes internationales Übereinkommen zur Amtshilfe in Steuersachen in nationales Recht umsetzt. Diese Amtshilfe umfasst Informationsaustausch, gleichzeitige Steuerprüfungen und die Teilnahme an Steuerprüfungen im Ausland. Dies sind wichtige Instrumente zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Gleichzeitig dient das Gesetz als völkerrechtliche Grundlage für den automatischen Informationsaustausch, den wir Grüne seit vielen Jahren fordern. Wir werden diesem Gesetz daher zustimmen. Nun preisen die Koalitionsfraktionen diesen Schritt beim Kampf gegen Steuerhinterziehung. Hier müssen wir jedoch genauer hinsehen: Wir stellen fest, dass die Bundesregierung die Ratifizierung dieses Abkommens um viele Jahre verschleppt hat. Das Abkommen von 1988 hat die Bundesregierung 2008 unterzeichnet. Im Jahr 2010 gab es ein Änderungsprotokoll zur Verbesserung des Abkommens, dies hat die Bundesregierung 2011 unterzeichnet. Beide Dokumente werden aber erst jetzt, im Jahr 2015, ratifiziert und können somit auch erst jetzt in Kraft treten. Das macht deutlich, dass die Bundesregierung international dem Kampf gegen Steuerhinterziehung eher die kalte Schulter gezeigt hat. Sie hat dem Thema in der Vergangenheit offenbar keine Priorität beigemessen. Deutschland kann so kein Vorbild bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -gestaltung sein, was ich sehr bedauere. Es liegt sogar nahe, dass bestimmte Instrumente der gegenseitigen Amtshilfe für Deutschland versperrt geblieben sind, da das Abkommen bisher de facto nicht genutzt werden konnte. Der internationale Prozess in Sachen Informationstausch ist mittlerweile viel weiter fortgeschritten. Ende Oktober letzten Jahres unterzeichneten rund 50 Länder einen Standard zum globalen automatischen Informationsaustausch – ein großer Durchbruch. Denn bisher wurden nur auf Anfrage Informationen ausgetauscht, was Steuerhinterziehung nicht effektiv verhindern kann. Die Bundesregierung wurde vom Saulus zum Paulus – einige Jahre zuvor wollte sie mit der Schweiz noch ein anonymes Abgeltungsteuer-Abkommen vereinbaren. Dies hätte nach Meinung vieler Experten den internationalen Prozess zu einem automatischen Informationsaustausch um Jahre zurückgeworfen. Ich bin froh, dass die rot-grünen Länder im Bundesrat dieses unsägliche Deutsch-Schweizer Steuerabkommen damals stoppen konnten. Als nächster Schritt steht nun die Umsetzung des automatischen Informationsaustausches in Deutschland an. Die Referentenentwürfe liegen bereits vor. Dies werden wir aufmerksam und intensiv begleiten. So entscheidend der automatische Informationsaustausch für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung ist, für die Eindämmung der Steuergestaltung multinationaler Unternehmen brauchen wir noch ein weiteres Instrument: Transparenz. Es waren erst die Berichte in der Öffentlichkeit und eben nicht die Initiativen der nationalen Gesetzgeber, die die Steuergestaltung international agierender Unternehmen sichtbar gemacht haben. Dabei geht es nicht nur um die Einnahmeverluste von einzelnen Staaten, sondern es geht vor allem auch um die Wettbewerbsverzerrung zwischen einzelnen Ländern und um die Wettbewerbsverzerrung zwischen national und international tätigen Unternehmen. Ein geordneter Wettbewerb, die Schaffung eines „level playing field“ ist die Voraussetzung für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, und genau diese zu fördern, ist der Auftrag der Regierung. Auf europäischer Ebene konnten zumindest für Banken und rohstoffextrahierende Industrien länderbezogene Offenlegungspflichten vereinbart werden, und nationale – auch der deutsche – Gesetzgeber mussten diese Offenlegungspflichten in ihr Recht umsetzen. Um aber Steuergestaltung der Konzerne auch in anderen Branchen transparent zu machen und entsprechende Gegenmaßnahmen nicht nur einzuleiten, sondern vor allem in ihrer Wirksamkeit zu überwachen, brauchen wir länderbezogene Offenlegungspflichten für alle Branchen. Und dies ist möglich, wie Berichtspflichten in anderen Ländern beweisen. Selbstverständlich wird man dabei beachten müssen, mit Augenmaß vorzugehen und kleine und mittlere Unternehmen auszunehmen bzw. nicht übermäßig zu belasten. Ich appelliere an die Regierungsfraktionen: Lassen Sie uns nicht nur den Austausch von Finanzverwaltungen verbessern, sondern Transparenz schaffen bei der Steuergestaltung multinationaler Unternehmen! Denn um die Wirksamkeit der entsprechenden nationalen Steuergesetzgebung überwachen zu können, brauchen wir Transparenz in Form eines öffentlichen Country-by-Country-Reportings. Hier muss die Bundesregierung ihre Verweigerungshaltung endlich aufgeben. Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Bürokratieentlastungsgesetz) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Bürokratie gezielt abbauen statt Stillstand manifestieren (Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b) Helmut Nowak (CDU/CSU): Diese Koalition hat es sich zum Ziel gesetzt, unsere Wirtschaft und Bevölkerung von Bürokratie und Bürokratiekosten zu entlasten. Hierzu wurden bereits am 11. Dezember 2014 Eckpunkte für eine Bürokratieentlastungsstrategie von der Bundesregierung beschlossen. Diese Strategie wird nun im Verlaufe dieser Wahlperiode Schritt für Schritt umgesetzt. Es ist insbesondere die Absicht, vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen eine spürbare Absenkung der bürokratischen Hürden zu realisieren. Vornehmlich Existenzgründer müssen unserer Ansicht nach deutlich von zahlreichen Aufzeichnungs-, Berichtsund Aufbewahrungspflichten sowie steuerlichen Anzeigepflichten entlastet werden, wenn wir vor allem auch die Gründungsdynamik in Deutschland verbessern wollen. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität ist es wichtig, die Markteintrittsbarrieren nicht bereits aufgrund staatlicher Regelungsdichte für junge Unternehmerinnen und Unternehmer zu erhöhen und so Menschen davon abzuhalten, sich eine selbstständige Existenz aufzubauen. Wir müssen auch in Zukunft alles daransetzen, Unternehmertum und unternehmerische Selbstständigkeit in Deutschland zu fördern; denn jede Neugründung schafft erfahrungsgemäß durchschnittlich vier bis fünf Arbeitsplätze. Schaut man sich jüngst veröffentlichte Zahlen zu der Entwicklung der Existenzgründungen in Deutschland an, so muss man ernüchternd feststellen, dass die Zahl der Gründungen von 572 500 im Jahr 2004 auf 309 900 im Jahr 2014 zurückgegangen ist. Natürlich ist dies eine Entwicklung, die auch auf die derzeitige Stärke unserer Wirtschaft und auf die dementsprechende Attraktivität abhängiger Beschäftigung zurückzuführen ist. Diese Attraktivität steigt allerdings umso mehr, als selbstständige Arbeit und Unternehmertum durch eine immer mehr um sich greifende Regelungsdichte unattraktiv werden. Unternehmer wollen etwas unternehmen und nicht verwalten. Als Gesetzgeber haben wir dementsprechend die Aufgabe, die Bedingungen für Unternehmertum so optimal zu gestalten, dass möglichst viele Menschen in diesem Land sich selbst und andere durch ihre Selbstständigkeit beschäftigen. Insbesondere unnötige oder nicht nachvollziehbare bürokratische Regelungen behindern dies zunehmend. Dem Bürokratieabbau kommt daher eine durchaus sehr wichtige Rolle zu: Auf der einen Seite benötigen wir selbstverständlich eine leistungsfähige, transparente und auch serviceorientierte Verwaltung für das Funktionieren unseres Gemeinwesens. Allerdings muss hier gelten: So viel Verwaltung und damit Bürokratie wie nötig, aber auch so wenig wie möglich! Bürokratie darf sich nicht verselbstständigen und damit zum Selbstzweck werden. Wir müssen uns daher fragen, ob beispielsweise wirklich alle Daten benötigt werden, die Firmen und Selbstständige regelmäßig zu übermitteln haben. Vielfach wird man zu dem Schluss kommen, dass auf viele verzichtet werden kann, weil keine zusätzlich relevanten Informationen zu erwarten sind. Genau hier setzt auch der heute von uns zu beschließende Entwurf eines Bürokratieentlastungsgesetzes an. Es handelt sich zunächst im Wesentlichen um rasch umsetzbare Maßnahmen, die insbesondere auf kleine und mittelständische Unternehmen sowie Selbstständige abzielen. Erstmals werden wir etwa Existenzgründer von Meldepflichten zur Umweltstatistik befreien; durch die Anhebung der Grenzwerte für Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten im Handelsgesetzbuch und in der Abgabenordnung von 500 000 Euro auf 600 000 Euro sowie eine Anhebung der Meldeschwellen in der Intrahandelsstatistik von 500 000 Euro auf 800 000 Euro werden deutlich mehr und insbesondere kleinere Firmen als bisher profitieren. Gerade hier sind Entlastungen notwendig und auch effektiv, und daher freue ich mich besonders, dass für diesen Kreis spürbare Entlastungen vorgenommen werden. Auch durch die Reduzierung bestimmter Mitteilungspflichten über den Kirchensteuerabzug reduzieren wir unnötige Bürokratie erheblich. Das Entlastungsvolumen dieses Gesetzes beträgt insgesamt immerhin circa 750 Millionen Euro pro Jahr. Einen weiteren wichtigen Schritt in die richtige Richtung geht die Bundesregierung auch mit der Einführung der „One in, one out“-Regelung; man könnte auch sagen: Es ist die erstmalige Einführung einer Bürokratiebremse. Ein Verfahren, das bereits in einigen europäischen Ländern existiert oder sich in der Einführungsphase befindet: Frankreich, Spanien, Litauen und Portugal haben die „One in, one out“-Regel schon übernommen. Großbritannien will sogar für jedes neue Gesetz zwei alte abschaffen. Kern dieser „One in, one out“-Regelung ist, in gleichem Maße gesetzgeberische Belastungen dauerhaft abzubauen, wie durch neue Regelungsvorhaben zusätzliche Belastungen entstehen, ohne politisch gewollte Maßnahmen zu behindern. Bereits vorgestern, zum 1. Juli 2015, wurde mit der Bilanzierung begonnen. Die Ergebnisse werden ab 2016 jährlich veröffentlicht. Aufpassen müssen wir allerdings hier, dass wir die jetzige Regelungsdichte nun nicht zementieren, sondern vielmehr auch in Zukunft verstärkt an einer Reduzierung bürokratischer Altlasten arbeiten. Auch Umgehungen der „One in, one out“-Regelung beispielsweise durch untergesetzliche Normierungen stellen eine Versuchung dar, der nicht nachgegeben werden darf. Festzuhalten ist, dass die Einführung einer solchen Selbstverpflichtung der Regierung, die Bürokratie nicht noch weiter anwachsen zu lassen, einen wirklichen Meilenstein darstellt. Dieser klare Mentalitätswechsel nahm seinen Anfang mit der Gründung des Nationalen Normenkontrollrates 2006. Seitdem hat der NKR unter Führung von Herrn Dr. Ludewig diesen Prozess mit hoher Kompetenz und Engagement begleitet und hat daher unseren Respekt und Dank verdient. Über die quantitative Kostenerfassung zur Zeit des Kabinettsbeschlusses hinaus wäre es meines Erachtens erforderlich, dass ein möglicher zusätzlicher Erfüllungsaufwand, der durch das parlamentarische Verfahren verursacht wird, rechtzeitig benannt wird. Erst hierdurch wäre der tatsächliche Aufwand eines Gesetzes sichtbar, der womöglich durch zusätzliche Forderungen in der parlamentarischen Befassung die von der Bundesregierung ursprünglich genannten Kosten deutlich übersteigen könnte. Dadurch ist es bei späterer Überprüfung möglich, auf den wirklichen Erfüllungsaufwand eines Gesetzes Bezug zu nehmen. Das Bürokratieentlastungsgesetz kann nur als ein erster Schritt auf dem Weg zum Abbau unnötiger bürokratischer Lasten angesehen werden. Weitere Anstrengungen im Hinblick auf eine Verschlankung und Vereinfachung für mehr Entbürokratisierung und Wettbewerbsfähigkeit sind auch in den kommenden Wochen und Monaten notwendig. Dies ist eine für die Zukunft ständig erforderliche Aufgabe für Regierungen und Parlamentarier. Entbürokratisierung gilt im Übrigen nicht nur für die Wirtschaft, sondern genauso für viele Lebenslagen in unserem privaten Alltag. Im Vordergrund muss beispielsweise eine bessere Vernetzung von Behörden untereinander stehen, sodass etwa Unternehmen Daten nicht mehrmals abgeben müssen und somit bei Meldepflichten deutlich und effektiv entlastet werden. Wir dürfen dabei auch nicht übersehen, dass nahezu alle Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft vehement Reformen in diesem Bereich anmahnen. Hierzu gehören beispielsweise die Rücknahme der sogenannten Vorfälligkeit und eine Verringerung der Anforderungen an Aufbewahrungspflichten und vieles mehr. Ganz eindeutig möchte ich mich in diesem Zusammenhang auch noch einmal für eine Anhebung des Schwellenwertes für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter aussprechen. Eine Anpassung ist nach über einem halben Jahrhundert dringend geboten. Bei einer signifikanten Erhöhung, etwa auf 1 000 Euro, und einer gleichzeitigen und vollständigen Abschaffung der Poolabschreibung wäre dies nicht nur ein deutliches Signal für alle Unternehmen in Deutschland, sondern es würde auch den Verwaltungsaufwand für die Wirtschaft und insbesondere für den Mittelstand erheblich reduzieren. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dieses Ziel, neben anderem Wichtigen, bereits in diesem Herbst gemeinsam angehen können, wenn wir uns mit dem Abbau bürokratischer Belastungen aus finanzieller und steuerlicher Perspektive beschäftigen. Denn die hohe Dichte an bürokratischen Regelungen und der damit verbundene Kostenaufwand stellen eine zunehmend größer werdende Herausforderung an die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb dar. Zusammenfassend können wir feststellen, dass das uns von der Bundesregierung vorgelegte Bürokratieentlastungsgesetz als ein erster Aufschlag zu einer umfassenden Überprüfung und Reduzierung bürokratischer Hemmnisse unserer Volkswirtschaft zu verstehen ist. Viele der Maßnahmen können bereits 2016 umgesetzt werden und reduzieren die tagtägliche Belastung in vielen, besonders kleinen und mittelständischen Unternehmen. Wir sind hier auf dem richtigen Weg, und daher bitte ich um Ihre Zustimmung. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Bürokratie bedeutet die Herrschaft von Regeln und festgelegten Verfahren. Eine solche Vorherrschaft behindert Menschen und Unternehmen in ihrer Entwicklung. Wichtige Ressourcen werden durch die Einhaltung bürokratischer Regeln gebunden und stehen nicht mehr für Innovationen und Wachstum zur Verfügung. Wir müssen deshalb das Dickicht bürokratischer Regeln und Vorgaben immer wieder durchforsten und möglichst durchgreifend lichten. Bürokratieabbau ist eine Daueraufgabe. Heute befasse ich mich mit den steuerrechtlichen Vereinfachungen. Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz heben wir die Grenzbeträge für Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten im Handelsgesetzbuch und in der Abgabenordnung an. Wir stellen damit sicher, dass kleine Unternehmen weiterhin von Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten befreit bleiben. Wir erhöhen die Grenze für die Lohnsteuerpauschalierung für kurzfristig Beschäftigte. Die Verdienstgrenze für die Pauschalierung steigt von 62 Euro auf 68 Euro pro Arbeitstag. Damit können Arbeitgeber auch nach Einführung des Mindestlohns (8,50 Euro, acht Arbeitsstunden) weiterhin kurzfristig Aushilfen beschäftigen und die Lohnsteuer pauschal erheben. Die jährliche Informationspflicht aller Kirchensteuerabzugsverpflichteten, dass ein Abruf des Religionsmerkmals beim Bundeszentralamt für Steuern erfolgt und dass ein Widerspruchsrecht zum Abruf des Kunden besteht, ersetzen wir durch eine einmalige und gezielte individuelle Information während des Bestehens der Geschäftsbeziehung. Dies erspart vielen kleinen Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, die eben auch zu den Kirchensteuerabzugsverpflichteten gehören, überflüssige Meldungen ohne praktischen Nutzen. Schließlich vereinfachen wir das Faktorverfahren. Durch das Faktorverfahren werden bei jedem Ehegatten oder Lebenspartner steuerentlastende Vorschriften, wie der Grundfreibetrag oder die Wirkung des Splittingverfahrens, beim Lohnsteuerabzug berücksichtigt. Das Faktorverfahren führt damit zu einer Lohnsteuerbelastung, die recht nahe an der endgültigen Steuerbelastung liegt. Leider standen bisher hohe bürokratische Hürden einer größeren Verbreitung des Faktorverfahrens im Wege. Bisher mussten die Ehegatten oder Lebenspartner jährlich einen gemeinsamen Antrag auf den Faktor beim Finanzamt stellen. Um das Faktorverfahren attraktiver zu machen, muss dieser Antrag künftig nur noch alle zwei Jahre gestellt werden. Ein zentrales Anliegen der Wirtschafts- und Finanzpolitiker der SPD, die Anhebung des Schwellenwertes für die Sofortabschreibung von geringwertigen Wirtschaftsgütern, konnte dagegen noch nicht umgesetzt werden. Angesichts der unbestrittenen Notwendigkeit der Anhebung der GWG-Grenze ist dies nur schwer hinnehmbar, geschweige denn zu verstehen. Die Grenze liegt seit 1962 bei 410 Euro. Von einer Anhebung würden nach Schätzung des DIHK wenigstens 3 Millionen Unternehmen profitieren. Eine Anhebung der Grenze hätte mehrere Vereinfachungseffekte: Die nicht buchführungspflichtigen Unternehmen, also Gewerbetreibende mit einem Gewinn bis nunmehr 60 000 Euro jährlich bzw. einem Umsatz bis maximal 600 000 Euro, und Freiberufler könnten bei den Aufzeichnungspflichten entlastet werden. Eine Ermittlung der Nutzungsdauer könnte nach der Anhebung des Schwellenwertes für eine viel größere Anzahl von Wirtschaftsgütern entfallen. Ein Anlagenverzeichnis bräuchte in diesen Fällen nicht mehr geführt zu werden. Die höhere GWG-Grenze würde auch eine Vielzahl an Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung über Nutzungsdauer und etwaige Aktivierungspflicht von Wirtschaftsgütern vermeiden. In die Betrachtung müssen natürlich auch die Steuerausfälle durch die höheren Abschreibungen in den ersten Jahren einbezogen werden. Diese fallen durchaus ins Gewicht. Auf die zunächst höheren Abschreibungen folgen dann aber niedrigere Abschreibungen in den Folgejahren. Angesichts der überfälligen Bürokratieentlastung und der zu erwartenden Investitionsimpulse halte ich diese Haushaltsbelastungen aber für gut investiertes Geld. Der Einsicht in die Notwendigkeit einer Erhöhung der GWG-Grenze können sich natürlich auch die Wirtschafts- und Finanzpolitiker der Union nicht entziehen. Dennoch konnten sie bisher nicht über ihren Schatten springen. Eine höhere GWG-Grenze soll es erst später, wahrscheinlich im Rahmen eines unter der Federführung des Bundesfinanzministeriums eingebrachten Gesetzgebungsvorhabens, geben. Nicht, dass Sie nun denken, Partei- und Ressortinteressen würde offensichtlich der Vorzug vor der ökonomischen Vernunft gegeben. All den enttäuschten Mittelständlern versichere ich aber, dass sich die Wirtschafts- und Finanzpolitiker der SPD weiterhin für eine Anhebung der GWG-Grenze einsetzen werden. Nun kommt die sitzungsfreie Zeit, und wir sind seltener in Berlin; die meisten von uns sind in dieser Zeit zwei oder drei Wochen im Urlaub. Ich wünsche allen einen schönen Urlaub und gute Erholung. Das gilt besonders für all jene, die sich hier im Hintergrund um alles kümmern und ohne die ein demokratisches Parlament überhaupt nicht arbeitsfähig wäre. Andrea Wicklein (SPD): Heute beschließen wir das Bürokratieentlastungsgesetz und reduzieren den Erfüllungsaufwand der Wirtschaft um circa 744 Millionen Euro jährlich. Mit diesem Gesetz werden wir die Schwellenwerte für Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten sowie für Meldepflichten für Existenzgründer und junge Unternehmen anheben und den Aufwand für rund 150 000 Unternehmen reduzieren. Wir werden den Lohnsteuerabzug für Ehegatten bzw. Lebenspartner vereinfachen und die Pauschalierungsgrenze für kurzfristig Beschäftigte anheben. Und wir werden die Mitteilungspflichten für Kirchensteuerabzugsverpflichtete deutlich reduzieren. Die Öffentliche Anhörung zum Bürokratieentlastungsgesetz hat einmal mehr gezeigt, dass die Regierungskoalition auf dem richtigen Weg ist. Für die fünf Spitzenverbände der deutschen gewerblichen Wirtschaft sind bürokratische Lasten eines der maßgeblichen Hindernisse für mehr Wettbewerb und Innovationen. Alle Expertinnen und Experten, ob vom Deutschen Gewerkschaftsbund, vom Industrie- und Handelskammertag oder vom Bundesverband der Deutschen Industrie, haben bestätigt, dass überflüssige Bürokratie und bessere Rechtssetzung ganz zentrale Themen sind. Neben den im Gesetz verankerten Entlastungs-maßnahmen hat die Bundesregierung weitere Schritte -beschlossen, die in unterschiedlichen Gesetzgebungs-verfahren wie dem Bundesstatistikgesetz, dem Vergabegesetz oder bei der Novellierung der Energiestatistik umgesetzt werden. Bereits seit 1. Juli ist die „One in, one out“-Regelung in Kraft, die die Bundesregierung verpflichtet, durch neue Regelungen für die Wirtschaft entstehende Belastungen an anderer Stelle abzubauen. Das baut Druck in den Ressorts auf, die eigene Regelungsdichte kritisch zu beobachten. Ich bin sehr gespannt, wie die Bundesregierung damit umgeht. Ich finde, wir haben mit dieser sogenannten „One in, one out“-Regelung einen guten Weg eingeschlagen, der allerdings nicht dazu führen darf, dass wir uns auf dem erreichten Stand ausruhen. Ich möchte auf einen Punkt des Antrags der Fraktion der Grünen besonders eingehen, und zwar auf Ihren -Vorschlag, den Nationalen Normenkontrollrat unabhängiger von der Bundesregierung zu machen. Hierbei schließe ich mich der kritischen Bewertung des DGB an, der das bei der Expertenanhörung abgelehnt hat. Auch aus meiner Sicht ist eine Veränderung der derzeitigen Praxis in diesem Zusammenhang nicht notwendig. Die Aufgaben und die Stellung des NKR sind im NKR--Gesetz klar und eindeutig geregelt. Der NKR hat danach die Aufgabe, die Bundesregierung bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen auf den Gebieten des Bürokratieabbaus und der besseren Rechtssetzung zu unterstützen. Er prüft den Erfüllungsaufwand neuer Regelungen für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und öffentliche Verwaltung auf ihre Nachvollziehbarkeit und Methodengerechtigkeit. Aber die Ziele und Zwecke der Regelungen hat er nicht zu prüfen. Das ist Sache des Gesetzgebers. Ich finde, diese Aufgabenbeschreibung des NKR hat sich bewährt. Auch aus diesem Grund lehnt die SPD-Fraktion den Antrag der Grünen ab. Bereits bei der Einbringung des Gesetzes und auch bei der Anhörung wurde deutlich, dass der Vorstoß der SPD-Fraktion, den Schwellenwert bei der Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter deutlich anzuheben, breite Zustimmung findet. Leider ist es uns bis zum heutigen Tag trotz intensiver Bemühungen nicht -gelungen, unseren Koalitionspartner davon zu überzeugen, die Höhersetzung des Schwellenwertes mit diesem Gesetz auf den Weg zu bringen. Das bedaure ich sehr. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht bei der Anpassung der Schwellenwerte weiterhin einen dringenden, längst überfälligen Handlungsbedarf. Es ist nun wirklich nicht mehr zu rechtfertigen, dass seit 1965 – also seit nunmehr 50 Jahren – der Schwellenwert bei 410 Euro netto liegt. Allein inflationsbereinigt müsste der Wert heute bereits bei rund 1 200 Euro liegen. Die SPD-Fraktion bleibt deshalb dabei, dass wir eine deutliche Anhebung der Schwellenwerte für die sofortige Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter -brauchen. Das wäre sowohl ein steuerliches Vereinfachungsprogramm als auch gleichzeitig ein enormer Investitionsanreiz für die Unternehmen. Ich bin dennoch froh, dass wir heute mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vor allem die Mittelständler und Existenzgründer von überflüssiger Bürokratie entlasten. Michael Schlecht (DIE LINKE): Es ist bemerkenswert, mit welcher Geschwindigkeit dieses Gesetz hier durch das Parlament gebracht wird. Bemerkenswert ist auch, dass das wichtigste Vorhaben der Bundesregierung zum Bürokratieabbau zwar im Quasivorwort des Gesetzes auftaucht, aber gar nicht im Gesetz selbst steht, sondern das Kabinett dieses nur als untergesetzliche Regelung umgesetzt hat, welche gestern, also zum 1. Juli, in Kraft getreten ist. Es geht um die sogennante „One in, one out“-Regelung, nach der bei einer zusätzlichen bürokratischen Belastung eine zwingende Entlastung für Unternehmen vorzusehen ist. Es kann nicht sein, dass unter Umgehung des Parlaments eine so weitreichende Norm geschaffen wird. Mit der „One in, one out“-Regelung entscheidet nicht mehr die Sach- und Fachpolitik über Sinnhaftigkeit von gesetzlichen Regelungen, sondern entscheidend ist, dass die Kostenbelastung der Unternehmen nicht erhöht wird. Man muss davon ausgehen, dass etwa die Einführung des Equal-pay-Grundsatzes für die Leiharbeit, das Entgeltgleichheitsgesetz oder die Revision der Arbeitsstättenverordnung damit wohl beerdigt sind. Denn sinnvoll gemacht würden sie zu mehr Erfüllungsaufwand für die Unternehmen führen. Da es kaum eine Möglichkeit zur Kompensation gibt, wird mit der „One in, one out“-Regelung das Ende jeglicher Reformpolitik in der Arbeitswelt durch die Regierung faktisch verkündet. Hätte es diese Regelung bereits vor der Einführung des Mindestlohnes gegeben, dann wäre er wahrscheinlich nicht eingeführt worden. Denn der Erfüllungsaufwand wurde auf etwa 9,6 Milliarden Euro geschätzt, Ausgleich fast unmöglich. Die Bundesregierung will mit diesem Gesetz gerade kleinen und mittleren Unternehmen helfen. Die Absicht ist löblich. Aber sie kommt über ein paar Verzierungen nicht hinaus. Auch noch so viele gestrichene Vorschriften bringen keine neuen Aufträge für kleine und mittelständische Unternehmen. Tun Sie was für die Binnennachfrage! Legen Sie ein groß dimensioniertes Zukunftsinvestitionsprogramm von 100 Milliarden Euro jährlich auf! Dann bekommen auch viele kleine und mittlere Unternehmen wieder ihre Aufträge. Wir bleiben dabei: Sorgen Sie endlich dafür, dass Löhne in Deutschland wieder steigen können. Gegenüber dem Jahr 2000 gibt es noch eine Lohnlücke von mindestens 14 Prozent. Die muss geschlossen werden. Dann können viele auch wieder ihre Handwerker bezahlen. Die größte Entlastung mit geschätzt 500 Millionen Euro schafft das Gesetz, indem in Zukunft eine ordentliche Buchführung erst ab einem Umsatz von 600 000 Euro gegenüber heute von 500 000 Euro gefordert wird. Das finde ich abstrus. Jeder Unternehmer mit mindestens 500 000 Euro Umsatz macht schon als ordentlicher Kaufmann eine Rechnungslegung mit Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung. Und wer es nicht freiwillig macht, sollte ruhig dazu angehalten werden. Schon aus Fürsorgepflicht! Bürokratieabbau ist sinnvoll, wenn er im Interesse der Menschen ist. Bürokratieabbau mit ein paar Verzierungen, der zum Stopp staatlicher Reformpolitik führt, lehnen wir jedoch ab. Und in Richtung der Grünen will ich noch sagen, dass wir die von Ihnen in Ihrem Antrag geforderten Maßnahmen mehrheitlich durchaus für sinnvoll erachten; doch Ihre grundsätzlich positive Haltung zur „One in, one out“-Regelung, die sich in Ihrem Antrag widerspiegelt, können wir nicht nachvollziehen. Auch für sinnvolle ökologische Regelungen werden durch die „One in, one out“-Regelung Sperren hochgezogen. Wir sind sehr gespannt, wo Sie da den Erfüllungsaufwand kompensieren wollen. Ein bisschen mehr Ökologie gegen ein bisschen weniger Beschäftigtenschutz? Daher können wir uns bei Ihrem Antrag auch nur enthalten. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese Debatte heute ist eine der groteskesten und, ich finde, auch unbefriedigendsten, die ich bisher in -meiner Zeit im Bundestag erlebt habe. Ich will erklären, warum. Bis auf die Fraktion Die Linke sind wir uns im Prinzip einig, dass der Bürokratieabbau ein wichtiges, für kleine und mittlere Unternehmen fast zentrales Thema ist. Die Bundesregierung in Person von Minister Gabriel sagt das auch selber. Aus dieser Erkenntnis ist bei der Koalition der vorliegende Entwurf des Bürokratieentlastungsgesetzes entstanden. Dieser greift richtige Punkte auf und regelt diese neu im Sinne eines Abbaus von -Bürokratie. So weit, so gut. Aber: Diesem Gesetzentwurf muss und kann unmittelbar und heute deutlich mehr Substanz hinzugefügt werden. Dazu haben wir einen eigenen Antrag eingebracht und an einer zentralen Stelle, zu den geringwertigen Wirtschaftsgütern, einen Änderungsantrag gestellt. Wir wollen die Sofortabschreibungsgrenze für diese GWG von aktuell 410 Euro auf 1 000 Euro anheben und die sogenannte Pool-abschreibung abschaffen. Genau hier komme ich zu dem Punkt, der mich so stört. Lesen Sie das Protokoll der ersten – übrigens in der Kernzeit gehaltenen – Debatte. Nahezu jeder Redner der Koalition hat uns an dem zentralen Punkt der Erhöhung dieser GWG-Grenze zugestimmt. Je nach neuer Grenze, hat der DIHK berechnet, würde so circa 300 Millionen Euro Bürokratieentlastung möglich werden. Für eine kleine Maßnahme eine sehr große und positive Wirkung, die vor allem Selbstständigen und kleinen und mittleren Unternehmen helfen würde. Zudem würde die Anhebung der Abschreibungsgrenze von geringwertigen Wirtschaftsgütern zusätzliche Liquidität gerade für kleine und mittlere Unternehmen zur Verfügung stellen – ein weiteres starkes Argument für diese Maßnahme. Lesen Sie das Protokoll der Anhörung, die meine Fraktion erst durchsetzen musste, womit sie einen Beschluss des Gesetzentwurfes ohne weitere Debatte, wie von der Koalition erwünscht, verhindert hat. Die Koalition hat das Thema GWG rauf und runter abgefragt, immer mit der Erkenntnis: Es spricht sehr viel für und fast nichts gegen eine Erhöhung der Abschreibungsgrenze für GWG. Die Koalition hat sogar ihren unsinnigen Plan fallengelassen, direkt nach der Anhörung den Gesetzentwurf im Ausschuss beschließen zu lassen. So bestand zumindest die Möglichkeit, Ergebnisse aus der Anhörung zu prüfen, zu bewerten und in den Gesetzentwurf aufzunehmen. Leider heißt das bei der Großen Koalition, dass wir einfach ein bisschen länger warten müssen, bis dann ohne weitere Änderung dieser richtige, aber in den Maßnahmen ausbaubare Gesetzentwurf beschlossen werden soll. Übrigens auch das erst auf Antrag der Grünen mit einer Debatte. Aber die Koalition kann die -Tagesordnung festlegen, und so ist diese Debatte für 2.45 Uhr anberaumt worden – mitten in der Nacht. Die Koalition weiß, dass ihr Gesetzentwurf ganz nett, das Gesetzgebungsverfahren aber eine Katastrophe war und ist. Im Handelsblatt war zu lesen, dass die Union der SPD die Erhöhung der GWG-Grenze nicht gönnt und man lieber auf einen Gesetzentwurf von Minister Schäuble wartet. Ich sage dazu ganz klar: Diese groß-koalitionäre Kleingeistigkeit geht voll auf Kosten insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen. Und es gibt noch einen anderen Grund: Wie den Einlassungen von einzelnen Unionsabgeordneten zu entnehmen war, haben die Haushälter in der Union immer noch das Sagen. Das bedeutet, dass der Unterschied von -Liquidität und Einnahmen zwar zur Kenntnis genommen wird, aber dennoch einfach negiert wird. Die schwarze Null wird zum Mantra gegen Bürger und gegen die Wirtschaft. Damit werden alle Verlautbarungen der Großen Koalition zur Bedeutung von kleinen und mittleren Unternehmen und des Mittelstandes zur reinen Sonntagsrede. Die Union muss nebenbei erklären, was der Mehrwert eines Schäuble-Gesetzes gegenüber einem Gabriel--Gesetz ist. Die betroffenen Unternehmen, auf deren -Rücken Sie dieses unwürdige Schauspiel abliefern, werden diese Erklärung sehr genau notieren. Aber es gibt ja noch viele andere Baustellen, die wir auch in unserem Antrag aufzeigen, für die Sie aber nicht die Courage haben. Genau jetzt wäre der richtige -Zeitpunkt, Anmeldung und Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen wieder zusammenzuführen. Die Sozialkassen sind gefüllt und könnten ohne Verwerfungen diese Maßnahme mittragen. Die bürokratische Entlastung wäre enorm. Nehmen Sie das Beispiel Umsatzsteuer: Diese für Unternehmen wohl arbeitsintensivste Steuer muss endlich vereinfacht werden, sei es durch weniger Ausnahmen à la Ermäßigung für Rennpferde nein, aber für Holzrückpferde ja. Und Unternehmen brauchen hier mehr Rechtssicherheit, die sie durch eine rechtsverbindliche Auskunft auch bekommen könnten. Nehmen Sie das Beispiel verbessertes E-Government: Mit einer Anerkennung und wirklichen Umsetzung von elektronisch gespeicherten Rechnungen könnte das Thema „Zehn Jahre Aufbewahrungspflicht für steuerlich relevante Unterlagen“ kurzfristig erledigt werden. Bei Umsetzung einer reinen elektronischen Archivierung wäre eine Bürokratiekostensenkung deutlich über 1 Milliarde Euro zu erwarten; so versichern es zumindest betroffene Unternehmen. Und stärken Sie den Normenkontrollrat. Wir brauchen eine unabhängige Institution, die sich Regierungshandeln genau anschaut, damit bürokratische Monster wie die Dobrindt-Maut schon im Gesetzgebungsprozess gestoppt werden können und vorhandene bürokratische Prozesse wie die bereits erwähnte vorgezogene Abführung der Sozialversicherungsbeiträge wieder korrigiert werden können. Sie sehen, es gibt noch viel Bürokratie abzubauen. Lassen Sie das nicht an Ihren Kindergartenstreitereien in der Koalition scheitern, und erfüllen Sie den eigenen Anspruch. Springen Sie über die Hürden der Kameralistik, und bewerten Sie endlich die Situation aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft. Legen Sie mehr als diesen Gesetzentwurf vor, damit klar wird, dass der Abbau von Bürokratie wirklich eines Ihrer zentralen Themen und kein PR-Gag ist. Ich würde mich freuen, wenn Sie doch noch unsere Vorschläge und Anregungen annähmen. Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Herstellung des Einvernehmens des Deutschen Bundestages mit der Bestellung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg als wissenschaftlicher Sachverständiger im Rahmen der Evaluierung der Gefahrenabwehrbefugnisse nach den §§ 4 a, 20 j und 20 k des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) (Tagesordnungspunkt 29) Clemens Binninger (CDU/CSU): Der Deutsche Bundestag hat durch eine Verfassungsänderung dem Bund die Aufgabe übertragen, Gefahren des internationalen Terrorismus abzuwehren. Um dieser wichtigen Aufgabe nachzukommen, haben wir die Befugnisse des Bundeskriminalamtes erweitert. Es hat erstmals in seiner Geschichte präventive Befugnisse zur Gefahrenabwehr erhalten. Diese präventiven Befugnisse waren bis dahin den Polizeibehörden der Länder vorbehalten. Viele Regelungen fanden sich bereits in den Polizeigesetzen der Länder und hatten sich daher über Jahrzehnte bewährt. Andere Regelungen waren neu und müssen nun evaluiert werden, nachdem man erste Erfahrungen mit ihnen sammeln konnte. Weil sich Terroristen zunehmend moderner Technik und des Internets als Kommunikationsmittel bedienen, müssen auch die Ermittlungsbehörden mit der technischen Entwicklung Schritt halten. Deshalb haben wir dem Bundeskriminalamt mit dem Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus auch das neue Ermittlungsinstrument der Onlinedurchsuchung an die Hand gegeben. Zudem haben wir eine neue Rechtsgrundlage für die sogenannte Rasterfahndung geschaffen. Ich bin davon überzeugt, dass dies die richtige Entscheidung war, weil das Bundeskriminalamt diese Ermittlungsinstrumente angesichts der Bedrohungslage benötigt. Genau das wird auch die anstehende Evaluation belegen. Als wir hier im Deutschen Bundestag das neue BKA-Gesetz verabschiedeten, standen wir noch unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten. Hinzu kamen die Anschläge von Madrid 2004 und London 2005. Sie machten uns auf brutale Weise deutlich, dass die Gefährdungslage auch hier in Europa ernst ist. Und das gilt auch jetzt noch. Während wir heute im Deutschen Bundestag über die Evaluation des BKA-Gesetzes beraten, stehen wir unter dem Eindruck der schrecklichen Anschläge von Brüssel, Paris und – erst vor einer Woche – Lyon und Sousse. Hinzu kommt das Wissen, dass mehrere Tausend europäische Staatsangehörige in den Reihen des sogenannten „Islamischen Staates“ kämpfen und jederzeit nach Europa zurückkehren können. Wir sind deshalb heute mehr denn je auf unsere Sicherheitsbehörden und ihre Arbeit angewiesen. Zugleich sind wir gefordert, die Wirksamkeit der bestehenden Ermittlungsinstrumente kritisch zu prüfen. Auch dem dient die angestrebte Evaluation des BKA-Gesetzes. Ich erinnere mich aber auch ganz lebhaft an die lautstarke Kritik an dem BKA-Gesetz, die uns damals während der Beratungen aus den Reihen der Opposition entgegenschlug. Von unseren Sicherheitsbehörden wurde ein Zerrbild gezeichnet, das nichts mit der Realität zu tun hatte und hat. Es wurde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, dass der Bundesinnenminister am liebsten jeden einzelnen Computer in Deutschland per Onlinedurchsuchung überwachen möchte. Das Wort „Überwachungsstaat“ machte die Runde. Solche Befürchtungen und Mutmaßungen über unsere Sicherheitsbehörden haben sich wieder einmal als falsch herausgestellt. Denn das Bundeskriminalamt setzt seine neuen Befugnisse mit Augenmaß und Verstand ein. Das wird auch die Evaluation durch unabhängige Dritte belegen, über die wir heute debattieren. Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz aus gutem Grund mit einer Evaluationsklausel versehen, damit die neuen Regelungen nach einer angemessenen Zeitspanne überprüft werden. Eine solche Rückkopplung ist wichtig, damit wir als Gesetzgeber unsere eigene Arbeit kritisch bewerten können. Die Evaluation soll das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg durchführen. Das Institut soll prüfen, ob die neuen gesetzlichen Regelungen effektiv umgesetzt wurden und ihren Zweck erfüllen. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob die neuen Regelungen unerwünschte Nebenwirkungen entfaltet haben oder sich die ursprünglichen Rahmenbedingungen geändert haben. Mithilfe des wissenschaftlichen Sachverstands des Max-Planck-Instituts werden wir die Folgen des Gesetzes in der Retrospektive abschätzen und seine Wirkung bewerten können. Das ist sinnvoll und notwendig. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf eingehen, dass in der kommenden Woche die mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über das BKA-Gesetz ansteht. Ich bin mir sicher, dass unser Gesetz auch dort Bestand haben wird. Wir haben uns im Gesetzgebungsverfahren ausführlich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt und insbesondere auch die jüngsten Entscheidungen zum Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung berücksichtigt. Deshalb haben wir insbesondere den Einsatz des Ermittlungsinstruments der Onlinedurchsuchung an sehr hohe Hürden geknüpft. Unser Gesetz entspricht Punkt für Punkt den Vorgaben, die wir dafür aus Karlsruhe erhalten haben. Es wird deshalb auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben. Alle Experten bestätigen, dass die Gefährdungslage nach wie vor ernst ist. Wir sollten deshalb nicht zur Hysterie neigen, aber wir sollten tun, was wir tun können. Genau so verfahren wir, Schritt für Schritt und mit Bedacht. Wenn wir aber Misstrauen gegen unsere Sicherheitsbehörden schüren und ihnen den Missbrauch ihrer Befugnisse unterstellen, macht das weder unser Land sicherer noch unsere Freiheit größer. Die Menschen beim Bundeskriminalamt und den anderen Sicherheitsbehörden verdienen unser Vertrauen, denn sie schützen die Menschen in unserem Land. Uli Grötsch (SPD): Mit dem heutigen Antrag gibt der Deutsche Bundestag sein Einverständnis, dass das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht als Sachverständiger bestellt wird, um bestimmte Gefahrenabwehrbefugnisse des Bundeskriminalamtes zu evaluieren. Es geht um das BKA-Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus, das vor fünf Jahren in Kraft getreten ist. Das BKA ist seitdem bei der Terrorismusbekämpfung nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch für die Gefahrenabwehr zuständig. Dafür sind dem BKA polizeiliche Befugnisse wie die Rasterfahndung und die Onlinedurchsuchung übertragen worden, die in dieser Form neu waren. Aus diesem Grund ist eine wissenschaftliche Überprüfung im damaligen Gesetzgebungsverfahren ganz bewusst verankert worden. Die Gefahrenabwehr beim BKA anzusiedeln, war zweifelsohne erforderlich. Aber einzelne Befugnisse wie die Onlinedurchsuchung sind nicht unumstritten. Deshalb ist es gut, dass wir die Auswirkung dessen nun nach einer angemessenen Zeit einer wissenschaftlichen Überprüfung unterziehen. Klar ist dabei: Eine solche Untersuchung muss natürlich von unabhängiger Seite erfolgen. Klar ist auch: Nicht das gesamte BKA-Gesetz wird auf den Kopf gestellt, sondern der Fokus liegt auf den genannten neuen Befugnissen. Ich denke, es besteht kein Zweifel, dass das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht für diese Aufgabe bestens geeignet ist. Das Institut bündelt wissenschaftliche Expertise zu Strafrecht und Kriminologie in einem Haus und ist parteiübergreifend anerkannt. Zuletzt hat das MPI den Gesetzgeber zum Beispiel bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Terrorismusfinanzierung sehr fundiert beraten. Und die Wissenschaftler haben sich selbstverständlich nicht gescheut, rechtliche Bedenken offen vorzutragen. Über den Inhalt des heutigen Antrages der Regierungskoalition kann also kaum gestritten werden. Ich möchte die Gelegenheit daher auch gerne nutzen, um über einige Mythen des BKA-Gesetzes aufzuklären. Bei der Verabschiedung des Gesetzes hieß es, das BKA erhalte im Antiterrorkampf vollkommen ungerechtfertigte Kompetenzen und es entstehe ein Art „deutsches FBI“. Hierzu möchte ich in Erinnerung rufen, dass bei Instrumenten wie der Onlinedurchsuchung oder der -Rasterfahndung ein klarer Richtervorbehalt im Gesetz steht. Zudem wird stets der Datenschutzbeauftragte des BKA hinzugezogen. Zum Vergleich: In vielen Polizeigesetzen in den Ländern ist der Richtervorbehalt nicht so klar geregelt wie im BKA-Gesetz. Und Instrumente wie die Rasterfahndung gab es in den Ländern bereits viele Jahre zuvor. Nein, das BKA ist durch das Gesetz kein „deutsches FBI“ geworden. Dazu haben wir in Deutschland ganz bewusst gar nicht die personellen und finanziellen Mittel bereitgestellt. Außerdem haben wir in Deutschland unsere bewährte föderale und eben nicht eine zentral organisierte Sicherheitsstruktur. Aber klar ist auch: Der Bekämpfung von Terrorismus in einer immer stärker vernetzten Gesellschaft sind die einzelnen Landeskriminalämter alleine nicht gewachsen. Deshalb kann kaum jemand ernsthaft bestreiten, dass wir eine gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern brauchen und dass dafür einige Kompetenzen in den letzten Jahren an Bundesbehörden wie das BKA übertragen werden mussten. Natürlich kann an einigen Stellen Verbesserungs-bedarf bestehen. Unsere Gesetze zur inneren Sicherheit sollten stets kritisch hinterfragt werden. Das ist genau der Grund, warum das MPI das BKA-Gesetz genau prüfen soll. Ich denke, dies können wir besten Gewissens heute hier beschließen. Zu einer guten rechtsstaatlichen Überprüfung gehört nicht zuletzt auch der Weg zum Bundesverfassungsgericht, der damals von einigen Kritikern eingeschlagen wurde. Hier ist, wie wir alle wissen, bald mit einem -Urteil zu rechnen, und das haben wir als Parlamentarier natürlich im Blick. Sowohl bei der wissenschaftlichen als auch bei der juristischen Überprüfung bin ich schon gespannt auf die Ergebnisse. Und ich freue mich schon, auf dieser Grundlage gemeinsam mit allen Fraktionen sachlich über mögliche Verbesserungen zu diskutieren. Frank Tempel (DIE LINKE): Diese Evaluation der Gefahrenabwehrbefugnisse des BKA ist schon lange überfällig. Nach dem Wortlaut des Änderungsgesetzes sollte die Evaluation fünf Jahre nach Inkrafttreten vorgenommen werden; das wäre Ende 2013 gewesen, selbst bei großzügiger Auslegung Ende 2014. Ausweislich des Zeitplans wird sie nun Mitte 2016 vorliegen. Vor einem halben Jahr wurde das Angebot des Max-Planck-Instituts vom BMI befürwortet, und das Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag hätte schon lange hergestellt werden können. Die Koalition hat nun kurz vor Sitzungsbeginn den Antrag eingebracht, der jetzt auch noch zur Sofortabstimmung steht. Für die Opposition besteht keine Möglichkeit, noch Änderungen einzubringen. Beim Antrag zur Evaluation der Sicherheitsgesetze durch das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer Anfang dieser Legislatur gab es noch die Möglichkeit für die Opposition, Stellungnahmen abzugeben. Die parlamentarischen Sitten verfallen zusehends! Hätte die Evaluation fristgerecht vorgelegen, hätte sie außerdem auch in die Entscheidungsfindung des Bundesverfassungsgerichtes, BVerfG, zur nächste Woche verhandelten Klage einfließen können. Diese Chance ist nun vertan; ein Jahr wird das BVerfG mit seiner Entscheidung sicherlich nicht warten wollen. Sehr geehrte Kollegen von der Koalition, der Ansatz für die Evaluation greift viel zu kurz. Hier stehen zwei tief in die Persönlichkeitsrechte eingreifende Befugnisse zur Bewertung. Es handelt sich dabei um die Rasterfahndung, also den Abruf von Datensätzen aus verschiedenen Datenbeständen und deren Zusammenführung, sowie um den verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme. Bei beiden bestehen Zweifel, ob sie überhaupt erforderlich und geeignet sind. Sie stehen aber in einer Reihe von weiteren Befugnissen nach § 20 a bis § 20 x des Bundeskriminalamtsgesetzes, BKAG. Es bringt daher nichts, nur bei einzelnen Befugnissen zu prüfen, ob dort die Regelungen zum Schutz des Kernbereiches privater Lebensgestaltung ausreichend und effektiv sind. Die Gesamtheit sich ergänzender Überwachungsmaßnahmen erzeugt die Gefahr, zum Objekt staatlicher Ausforschung zu werden. Auch das müsste Gegenstand einer Evaluation sein. Völlig außerhalb dieser Evaluation steht zudem, dass die Befugnisse des BKA durch die tiefe Vernetzung und den Erkenntnisaustausch mit den Landeskriminalämtern und den Geheimdiensten eine Eingriffstiefe haben oder gewinnen können, die für die Bürgerinnen und Bürger allein aus dem Gesetzestext nicht ersichtlich ist. Die Befugnisse zur Übermittlung von Daten, nach Ansicht des BVerfG ein eigener Grundrechtseingriff, sind schon von vornherein verfassungsrechtlich unzureichend. Die Übermittlung an ausländische Stellen ist nicht besonders geregelt, was angesichts jüngster Entwicklungen sehr zu denken gibt. Ebenfalls nicht überprüft wird die Eilfallregelung bei den Befugnissen. Der Großen Koalition war es wichtiger, das Gesetz für das BKA praktisch handhabbar zu machen, als Vorkehrungen für einen effektiven Rechtsschutz zu schaffen. Bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen ist nur durch den Richtervorbehalt ein effektiver Rechtsschutz sicherzustellen. Doch gerade der wird im vermeintlichen Eilfall ausgehebelt! Die Erweiterung der Befugnisse des BKA weit in das Vorfeld konkreter Straftaten lässt die Abgrenzung zu den Nachrichtendiensten verschwimmen. Das an sich ist schon problematisch. Wenn man das aber macht, dann muss neben die richterliche Kontrolle auch, wie üblich bei nachrichtendienstlichen Befugnissen, eine parlamentarische Kontrolle treten. Eine Evaluation durch externen Sachverstand, selbst wenn es sich um das renommierte Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht handelt, der im Wesentlichen auf die Angaben aus den befugnisnutzenden Behörden angewiesen ist, kann eine effektive parlamentarisch-politische Kontrolle nicht ersetzen. Das Evaluationsdesign an sich ist das bislang beste im Bereich der Evaluation von Sicherheitsgesetzen in der Bundesrepublik. Es werden auch Normen in den Blick genommen, die zur Bewertung der „Eingriffstiefe und Eingriffsbreite“ herangezogen werden müssen. Das Evaluationsdesign nimmt auch in den Blick, dass im Bereich der Terrorismusbekämpfung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung keine scharfe Trennlinie besteht und Maßnahmen der Gefahrenabwehr unmittelbar zu Maßnahmen der Strafverfolgung führen können. Unverständlich ist es, wenn die Bieter selbst davon ausgehen, dass bisher keine Anwendung der Befugnisse im präventiven Bereich stattgefunden habe. Die Untersuchung wird sich also somit auf Fälle beziehen müssen, bei denen solche Maßnahmen gegebenenfalls diskutiert und vorbereitet wurden. Gegenstand sind auch die Probleme, die aus der „Übernahmebefugnis“ des BKA in Fällen von internationalem Terrorismus nach § 4 a bestehen, insbesondere zur doch weiterhin möglichen Mehrfacherhebung von Daten, zu den Benachrichtigungsregeln und zur Übernahme von Fällen durch die Länder. In diesem Zusammenhang soll dann geklärt werden, wie der Begriff des „internationalen Terrorismus“ in der Praxis überhaupt angewendet wird. In der Anhörung zum Gesetz war bereits die unpräzise Begrifflichkeit kritisiert worden. Weiterhin soll geprüft werden, ob bei der Rasterfahndung und dem verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme die bisher nicht vorhandene Eilkompetenz des BKA geschaffen werden sollte. Die Linke fordert eindringlich, dass im Gegensatz zur oft geübten Regierungspraxis der Evaluationsbericht dem Parlament vollständig vorgelegt wird. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir stimmen dem Antrag der Koalition zu, das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, hier insbesondere die Herren Professoren Hans-Jörg Albrecht und Ralf Poscher, als Sachverständige für die Unterstützung der Evaluation des BKA-Gesetzes zu bestellen. Die Gefahrenabwehrbefugnisse des BKA sind ja nicht mehr ganz neu. Dem Bundeskriminalamt als Polizei wurde mit der Novelle des BKA-Gesetzes geheimdienstähnliche Befugnisse weit im Gefahrenvorfeld gegeben. Deshalb ist es richtig und es ist auch überfällig, dass diese Befugnisse nun endlich evaluiert werden. Schließlich sollte der Bericht schon seit zwei Jahren vorliegen. Ach ja, nur nebenbei: Wo bleibt eigentlich der Evaluierungsbericht zum Terrorismusbekämpfungsgesetz? Der ist auch längst fällig. Gut ist es auch, sehr gut sogar, dass wir mit dem Angebot des MPI – vielleicht erstmals – ein Konzept für die Evaluierung eines Sicherheitsgesetzes aufgrund einer gesetzlichen Evaluierungsklausel auf dem Tisch haben, das eine adäquate Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema verspricht. Mit dem Evaluierungsbericht wird uns als Gesetzgeber die Expertise an die Hand gegeben, die wir brauchen, um entscheiden zu können, ob die untersuchten Vorschriften zur Terrorismusbekämpfung, zur Rasterfahndung und zur Onlinedurchsuchung den Grundrechten entsprechen, ob sie tatsächlich mehr Sicherheit bringen oder vielleicht doch mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen. Deshalb bin ich wirklich froh, dass alle Fraktionen es mitgetragen haben, dass der Innenausschuss des Deutschen Bundestages die Evaluierungsprozesse kritisch begleitet. Damit am Ende des Prozesses nicht – auch das hat es schon gegeben – eine Werbebroschüre für das Bundesministerium des Innern als Auftraggeber steht, sondern ein aussagekräftiger Evaluierungsbericht. Und Sie sind dem Antrag von uns Grünen und dem Wortlaut der Evaluierungsklausel gefolgt, die Bestellung des wissenschaftlichen Sachverständigen im Plenum öffentlich zu debattieren. Beides ist nötig, damit wir in dem schwierigen Feld der inneren Sicherheit unserer Pflicht nachkommen, die Anwendung der von uns erlassenen Gesetze im Verhältnis zu den Grundrechten immer und immer wieder zu beobachten und gegebenenfalls nachzubessern. Aber obwohl ich froh bin, dass das BKA-Gesetz nun endlich evaluiert wird, habe ich auch ein paar Zweifel. Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2008 – gegen die Stimmen meiner Fraktion und gegen den Rat einer Reihe von hochkompetenten Sachverständigen – das BKA-Gesetz in der jetzt geltenden Fassung erlassen. Jetzt, sieben Jahre danach, hat die Praxis gezeigt, dass die von den Sachverständigen angeführten Bedenken berechtigt waren. Der Chaos Computer Club hat aufgedeckt, dass der Staatstrojaner mehr konnte, als er verfassungsrechtlich darf, und nun bestellen wir einen der besonders kritischen Sachverständigen von damals zum wissenschaftlichen Sachverständigen für die Evaluation. Und wie Sie wissen, wird am kommenden Dienstag in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerden meiner Abgeordnetenkollegen Wieland, Ströbele, Terpe, Roth, Nachtwei, Trittin, Müller, Künast und Beck verhandelt, die sich durch dieses weitreichende und unbestimmte BKA-Gesetz in ihren Grundrechten verletzt sehen. Also müssen wir wieder einmal das Bundesverfassungsgericht mit einem Sicherheitsgesetz beschäftigen, das der Deutsche Bundestag wider besseres Wissen erlassen hat. So war es beim Antiterrordateigesetz, und so wird es auch – das prophezeie ich Ihnen – bei der Novelle des Bundesverfassungsschutzgesetzes sein, welches Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, morgen verabschieden wollen. Das ist nicht richtig so. Das ist populistische Politik ohne Sicherheitsgewinn, aber dafür zulasten der Grundrechte. Zudem bin ich mir nicht ganz sicher, ob das, was das MPI zu Recht für eine grundrechtsorientierte Evaluierung für nötig hält, so auch durchgeführt werden kann. Ob das alles funktioniert, liegt maßgeblich am auftraggebenden Ministerium und an der Mitarbeit der Sicherheitsbehörden. Wenn das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter den umfassenden Einblick in das Fallmaterial verweigern oder es an Dokumentationen fehlt, wird eine sinnvolle Evaluation nicht möglich sein. Es geht hier um heimliche Überwachungsmaßnahmen und Datenanalysen. Von deren Praxis wissen wir kaum etwas – eben weil sie heimlich sind. Die Evaluation steht und fällt daher damit, dass die Evaluatoren umfassenden Einblick bekommen und dass die Praxis auch dokumentiert wurde. Wir Grüne werden nicht nur den Erlass neuer Sicherheitsgesetze, sondern auch diesen Evaluierungsprozess kritisch begleiten und genau darauf achten, dass die Grundrechte nicht für einen zweifelhaften Sicherheitsgewinn ausgehöhlt werden. Anlagen 1Anlage 2 2Ergebnis Seite 11165 A 3Ergebnis Seite 11167 B 4Anlagen 5 bis 8 5Anlage 9 6Anlage 10 7Ergebnis Seite 11172 C 8Anlagen 11 bis 14 9Ergebnis Seite 11181 D 10Ergebnis Seite 11184 A 11Anlage 15 12Anlage 16 13Anlage 17 14Anlage 18 15Anlage 19 16Anlage 20 17Anlage 21 18Anlage 22 19Anlage 23 20Anlage 24 21Anlage 25 22Anlage 26 23Anlage 27 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11059 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 11304 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 115. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 2. Juli 2015 11303