Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 176. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Ulla Jelpke und Hans-Christian Ströbele 17299 A Begrüßung der neuen Abgeordneten Kathrin Rösel und Iris Ripsam 17299 B Wahl des Abgeordneten Stefan Liebich als ordentliches Mitglied des Stiftungsrates der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ 17299 B Wahl der Abgeordneten Katrin Albsteiger als Schriftführerin 17299 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 17299 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 8, 18, 27 17300 B Absetzung des Zusatzpunktes 3 17304 A Nachträgliche Ausschussüberweisung 17300 B Reaktionen auf die Armenien-Resolution 17300 C Begrüßung des Präsidenten des georgischen Parlaments, Herrn Dawit Usupaschwili 17323 D Tagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Drucksache 18/8702 17301 B Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 17301 B Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17303 A Frank Tempel (DIE LINKE) 17304 B Uli Grötsch (SPD) 17306 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17308 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 17309 B Frank Tempel (DIE LINKE) 17310 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17311 C Susanne Mittag (SPD) 17312 D Clemens Binninger (CDU/CSU) 17314 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17316 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 17316 D Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) 17317 D Frank Tempel (DIE LINKE) 17319 C Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) 17319 D Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Demokratie für alle Drucksache 18/8419 17320 A b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz) und zur Einführung eines Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid (Bundesabstimmungsgesetz) und zur Änderung weiterer Gesetze Drucksachen 18/825, 18/7972 17320 B Jan Korte (DIE LINKE) 17320 B Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) 17322 A Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17323 D Dr. Lars Castellucci (SPD) 17325 A Oswin Veith (CDU/CSU) 17327 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 17328 C Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 17329 D Jan Korte (DIE LINKE) 17330 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17331 D Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) 17332 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 17333 B Susann Rüthrich (SPD) 17334 D Barbara Woltmann (CDU/CSU) 17336 A Tagesordnungspunkt 5: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Berufsbildungsbericht 2016 Drucksache 18/8300 17337 D b) Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der beruflichen Bildung umsetzen Drucksache 18/8421 17338 A c) Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Im Jahr 2016 die Berufsbildung fit für die Zukunft machen Drucksache 18/8259 17338 A Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 17338 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 17339 C Rainer Spiering (SPD) 17341 A Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17342 C Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 17344 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 17346 A Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF 17346 B Dr. Karamba Diaby (SPD) 17346 D Uda Heller (CDU/CSU) 17347 C Martin Rabanus (SPD) 17348 D Katrin Albsteiger (CDU/CSU) 17349 D Tagesordnungspunkt 32: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze Drucksache 18/8559 17351 B b) Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Versorgung durch Heilmittelerbringer stärken – Valide Datengrundlage zur Versorgung und Einkommenssituation von Heilmittelerbringern schaffen Drucksache 18/8399 17351 B c) Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes: Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2015: – Einzelplan 20 – Drucksache 18/8460 17351 C Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes Drucksache 18/8704 17351 C b) Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen, insbesondere Flug- und Schiffsunternehmen, abschaffen Drucksache 18/8701 17351 C Tagesordnungspunkt 33: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder und des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes Drucksachen 18/8616, 18/8744 17351 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetzes und zur Änderung des BVL-Gesetzes Drucksachen 18/8335, 18/8736 17352 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Dezember 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung Drucksachen 18/8516, 18/8726 17352 C d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. September 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Ruanda über den Luftverkehr Drucksachen 18/8296, 18/8672 17352 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Martina Renner, Dr. André Hahn, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und weiterer Abgeordneter: Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses – Hilfsweise: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksachen 18/7565, 18/8683 17353 A f) Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr öffentliche Sicherheit – Für eine bessere Begrenzung und Kontrolle von Schusswaffen Drucksache 18/8710 17353 B g)–l) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 321, 322, 323, 324, 325 und 326 zu Petitionen Drucksachen 18/8635, 18/8636, 18/8637, 18/8638, 18/8639, 18/8640 17353 B Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltstatistikgesetzes und des Hochbaustatistikgesetzes Drucksachen 18/8341, 18/8734 17353 D Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen – 39. BImSchV Drucksachen 18/8340, 18/8461 Nr. 2, 18/8667 17354 A Tagesordnungspunkt 6: Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ Drucksache 18/8709 17354 B Tagesordnungspunkt 7: Bericht des Petitionsausschusses: Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag – Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2015 Drucksache 18/8370 17354 B Kersten Steinke (DIE LINKE) 17354 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) 17356 C Kerstin Kassner (DIE LINKE) 17357 C Sarah Ryglewski (SPD) 17358 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17359 B Antje Lezius (CDU/CSU) 17360 C Birgit Wöllert (DIE LINKE) 17361 D Dr. Karl Lauterbach (SPD) 17362 C Martina Stamm-Fibich (SPD) 17363 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17364 A Iris Eberl (CDU/CSU) 17364 D Heidtrud Henn (SPD) 17366 A Gero Storjohann (CDU/CSU) 17366 D Stefan Schwartze (SPD) 17368 B Kerstin Kassner (DIE LINKE) 17368 D Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17369 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte Drucksache 18/7548 17370 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17370 C Helmut Brandt (CDU/CSU) 17371 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17372 B Dr. Matthias Bartke (SPD) 17373 D Detlef Seif (CDU/CSU) 17375 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17376 A Sonja Steffen (SPD) 17377 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 17378 A Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die Aufarbeitung der SED-Diktatur konsequent fortführen Drucksache 18/8705 17379 A Marco Wanderwitz (CDU/CSU) 17379 B Stefan Liebich (DIE LINKE) 17381 B Siegmund Ehrmann (SPD) 17382 B Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17383 D Tagesordnungspunkt 10: Wahl des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Wahl 17384 D Ergebnis 17388 A Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulla Jelpke, Martina Renner, Kersten Steinke und der Fraktion DIE LINKE: Umfassendes Informations- und Transparenzgesetz schaffen Drucksache 18/7709 17385 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 17385 C Marian Wendt (CDU/CSU) 17386 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17388 B Sebastian Hartmann (SPD) 17389 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 17390 C Saskia Esken (SPD) 17391 C Tagesordnungspunkt 12: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung (Investmentsteuerreformgesetz – InvStRefG) Drucksachen 18/8045, 18/8345, 18/8461 Nr. 1.6, 18/8739 17392 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8741 17392 D Fritz Güntzler (CDU/CSU) 17392 D Richard Pitterle (DIE LINKE) 17394 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 17395 D Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17397 C Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) 17398 D Andreas Schwarz (SPD) 17399 D Tagesordnungspunkt 13: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Dr. Valerie Wilms, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nachhaltige Entwicklungsziele in Deutschland konsequent umsetzen Drucksachen 18/7649, 18/8685 17400 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Valerie Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 1 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Armut in jeder Form und überall beenden Drucksachen 18/6045, 18/7600 17401 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Dr. Valerie Wilms, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 2 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Den Hunger beenden, Ernährungssouveränität und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern Drucksachen 18/6046, 18/8680 17401 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 3 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Gesundes Leben für alle ermöglichen und fördern Drucksachen 18/6047, 18/8684 17401 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 4 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern Drucksachen 18/6048, 18/8681 17401 B f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 5 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen Drucksachen 18/6049, 18/8644 17401 B g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 6 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten Drucksachen 18/6050, 18/7633 Buchstabe a 17401 C h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Dr. Valerie Wilms, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 7 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern Drucksachen 18/6051, 18/7329 17401 C i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Valerie Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 8 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Kerstin Andreae, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 9 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 10 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten verringern Drucksachen 18/6052, 18/6053, 18/6054, 18/8437 17401 D j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Valerie Wilms, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 11 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Städte und Siedlungsflächen inklusiv, sicher, stabil und nachhaltig machen Drucksachen 18/6055, 18/6712 17402 A k) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Valerie Wilms, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 12 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen Drucksachen 18/6056, 18/6713 17402 A l) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Dr. Valerie Wilms, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 13 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen Drucksachen 18/6057, 18/8679 17402 B m) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Valerie Wilms, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 14 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen Drucksachen 18/6058, 18/6714 17402 B n) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Valerie Wilms, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 15 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Nachhaltige Nutzung terrestrischer Ökosysteme schützen, wiederherstellen und fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, die Wüstenbildung bekämpfen, die Bodendegradation aufhalten und umkehren sowie den Verlust der biologischen Vielfalt stoppen Drucksachen 18/6059, 18/7633 Buchstabe b 17402 C o) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 16 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen Drucksachen 18/6060, 18/8743 17402 C p) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Anja Hajduk, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 17 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung jetzt wiederbeleben Drucksachen 18/6061, 18/7632 Buchstabe b 17402 D Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) 17402 D Heike Hänsel (DIE LINKE) 17403 C Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 17404 C Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17405 B Andreas Jung (CDU/CSU) 17406 B Christoph Strässer (SPD) 17407 C Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung Drucksache 18/8625 17410 C b) Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Urheberinnen und Urheber stärken – Urhebervertragsrecht reformieren Drucksache 18/7518 17410 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 17410 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) 17411 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 17412 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17413 C Christian Flisek (SPD) 17414 C Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 17415 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 17417 A Tagesordnungspunkt 15: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und zur Einführung eines allgemeinen Wahlrechts für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland (Ausländerwahlrechtsgesetz) Drucksache 18/3169 17418 A b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes Drucksache 18/6877 17418 A c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 Absatz 1 – Kommunales Ausländerwahlrecht) Drucksache 18/2088 17418 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 17418 B Helmut Brandt (CDU/CSU) 17419 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17420 B Gabriele Fograscher (SPD) 17421 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) 17421 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) 17422 D Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung soldatenbeteiligungs- und personalvertretungsrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/8298, 18/8735 17424 A Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Harald Ebner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den Lebenswissenschaften stärken Drucksachen 18/6204, 18/8698 17424 B Stephan Albani (CDU/CSU) 17424 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 17425 C René Röspel (SPD) 17426 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17427 C Sybille Benning (CDU/CSU) 17428 C Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Achtung der Menschenrechte in Burundi einfordern – Friedensdialog fördern Drucksache 18/8706 17429 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula Schulz-Asche, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gewalt in Burundi stoppen – Weitere massive Menschenrechtsverletzungen verhindern Drucksachen 18/6883, 18/8738 17429 D Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Britta Haßelmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – hier: Ausschussöffentlichkeit Drucksachen 18/3045, 18/8299 17430 A Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wildtierschutz weiter verbessern – Illegalen Wildtierhandel bekämpfen Drucksache 18/8707 17430 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften Drucksache 18/8620 17430 B Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches Drucksache 18/8621 17430 C Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten Drucksachen 18/8560, 18/8660 Nr. 2.1, 18/8737 17430 D Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg-, umweltschadens- und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30 EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten Drucksache 18/8703 17431 A Nächste Sitzung 17431 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17433 A Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 10) 17433 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung soldatenbeteiligungs- und personalvertretungsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 16) 17436 A Julia Obermeier (CDU/CSU) 17436 B Henning Otte (CDU/CSU) 17437 A Gabi Weber (SPD) 17437 D Christine Buchholz (DIE LINKE) 17438 D Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17439 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Achtung der Menschenrechte in Burundi einfordern – Friedensdialog fördern – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula Schulz-Asche, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gewalt in Burundi stoppen – Weitere massive Menschenrechtsverletzungen verhindern (Tagesordnungspunkt 22 und Zusatztagesordnungspunkt 5) 17440 C Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 17440 C Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 17441 C Gabi Weber (SPD) 17443 C Inge Höger (DIE LINKE) 17444 D Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17445 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Britta Haßelmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages; hier: Ausschussöffentlichkeit (Tagesordnungspunkt 19) 17446 C Bernhard Kaster (CDU/CSU) 17446 C Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) 17447 A Sonja Steffen (SPD) 17448 B Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 17449 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17450 A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wildtierschutz weiter verbessern – Illegalen Wildtierhandel bekämpfen (Tagesordnungspunkt 23) 17450 C Gitta Connemann (CDU/CSU) 17450 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) 17451 C Christina Jantz-Herrmann (SPD) 17452 C Birgit Menz (DIE LINKE) 17453 A Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17454 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 17454 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 24) 17455 B Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU) 17455 B Gabriele Fograscher (SPD) 17456 D Jan Korte (DIE LINKE) 17457 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17458 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches (Tagesordnungspunkt 25) 17459 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 17459 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 17460 D Dirk Wiese (SPD) 17461 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 17462 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17462 D Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 17463 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (Tagesordnungspunkt 26) 17464 B Thomas Bareiß (CDU/CSU) 17464 C Johann Saathoff (SPD) 17465 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 17466 C Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17467 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg-, umweltschadens- und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten (Zusatztagesordnungspunkt 6) 17468 A Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) 17468 B Johann Saathoff (SPD) 17469 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 17469 D Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17470 C 176. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2016 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zu unserer Plenarsitzung. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich der Kollegin Ulla Jelpke zu ihrem heutigen 65. Geburtstag gratulieren (Beifall) sowie noch einmal dem Kollegen Hans-Christian Ströbele, der vorgestern seinen 77. Geburtstag gefeiert hat. (Beifall) Alle guten Wünsche des Hauses für das neue Lebensjahr! Der Kollege Reinhard Grindel und der Kollege Thomas Strobl haben ihre Bundestagsmandate niedergelegt. Für sie sind die Kollegin Kathrin Rösel und die Kollegin Iris Ripsam nachgerückt. Im Namen des Hauses begrüße ich Sie herzlich und wünsche eine gute Zusammenarbeit. (Beifall) Wir müssen schließlich ein Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wählen. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, als Nachfolger für den Kollegen Jan Korte den Kollegen Stefan Liebich als ordentliches Mitglied zu berufen. Können Sie dem zustimmen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Liebich als ordentliches Mitglied des Stiftungsrates gewählt. Schließlich haben wir noch eine Schriftführerwahl durchzuführen. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, für den Kollegen Florian Oßner die Kollegin Katrin Albsteiger als Schriftführerin zu wählen. Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Also können wir so verfahren. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unwetter in Deutschland (siehe 175. Sitzung) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 32) a) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes Drucksache 18/8704 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen, insbesondere Flug- und Schiffsunternehmen, abschaffen Drucksache 18/8701 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zur Bedrohung von Bundestagsabgeordneten infolge der Armenien-Debatte ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte Drucksache 18/7548 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula Schulz-Asche, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gewalt in Burundi stoppen – Weitere massive Menschenrechtsverletzungen verhindern Drucksachen 18/6883, 18/8738 ZP 6 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg-, umweltschadens- und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und Erdgasaktivitäten Drucksache 18/8703 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 8 – hier geht es um Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugänge – soll abgesetzt und stattdessen der Antrag auf Drucksache 18/7548 mit dem Titel „Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte“ debattiert werden. Ebenso sollen der Tagesordnungspunkt 18 – hier geht es um den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften – und der Tagesordnungspunkt 27 – hier geht es um den Antrag zum Thema „25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag“ – in dieser Woche abgesetzt werden. Die folgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken jeweils – unter Beibehaltung der vorgesehenen Redezeiten – entsprechend auf. Schließlich sollen die Tagesordnungspunkte 20 – Änderung des Umweltstatistikgesetzes und des Hochbaustatistikgesetzes – und 21 – 39. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – ohne Debatte zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 33 aufgerufen werden. Ich mache schließlich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 3. Juni 2016 (174. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss), dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) und dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (21. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Drucksache 18/8615 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Veränderungen einverstanden sind. – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider muss ich noch einmal auf die Armenien-Debatte der vergangenen Woche zurückkommen, zumal die Morddrohungen und -aufrufe insbesondere gegen türkischstämmige Kolleginnen und Kollegen sich mit unserer Entscheidung über die Resolution keineswegs erledigt haben, sondern zum Teil noch heftiger als zuvor fortgesetzt werden. Ich bin daher von den Vorsitzenden aller Fraktionen gebeten worden, unsere gemeinsame Position nochmals unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen. Ich bekräftige unsere ganz selbstverständliche Solidarität mit allen Kolleginnen und Kollegen, die im Zusammenhang mit ihrer politischen Tätigkeit bedroht oder unter Druck gesetzt werden. (Anhaltender Beifall im ganzen Hause) Wir stellen uns jeder Kritik, und wir ertragen auch persönliche Angriffe und Polemik. Doch jeder, der durch Drohungen Druck auf einzelne Abgeordnete auszuüben versucht, muss wissen: Er greift das ganze Parlament an. (Beifall im ganzen Hause) Wir werden darauf entsprechend reagieren, mit allen Möglichkeiten, die uns im Rahmen der Gesetze zur Verfügung stehen. Die zum Teil hasserfüllten Drohungen und Schmähungen sind leider auch durch Äußerungen hochrangiger türkischer Politiker befördert worden. Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als „verdorben“ bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten. (Beifall im ganzen Hause) Und die Verdächtigung von Mitgliedern dieses Parlamentes als Sprachrohr von Terroristen weise ich in aller Form zurück. (Beifall im ganzen Hause) Der Dachverband Türkische Gemeinde in Deutschland hat dies – wie die Morddrohungen gegen Abgeordnete – zu Recht als abscheulich und absolut deplatziert (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) und der Türkische Bund Berlin-Brandenburg die Reaktion auf das Abstimmungsverhalten von Abgeordneten als völlig inakzeptabel bezeichnet. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken. (Beifall im ganzen Hause) Ich würde mir wünschen, dass auch andere der zum Teil sehr großen türkischen Organisationen in Deutschland ebenso Partei für die Abgeordneten und unsere Demokratie ergreifen, (Beifall im ganzen Hause) mit ähnlich klaren und eindeutigen Stellungnahmen, wie sie bei anderen Gelegenheiten häufig sehr schnell und sehr lautstark abgegeben werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich rufe nun – – (Beifall im ganzen Hause) Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 3 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Drucksache 18/8702 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Dazu besteht offensichtlich Einvernehmen. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die Bundesregierung dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ich nach dem, was Sie, Herr Präsident, gesagt haben, der erste Redner bin, möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich – jedenfalls für mich; aber ich denke, auch im Namen vieler – für Ihre klaren Worte ganz herzlich zu bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, der internationale Terrorismus wird schon lange nicht mehr nur militärisch vor Ort oder polizeilich bekämpft. Die Durchführung der brutalen Anschläge in Paris, in Brüssel oder anderswo zeigt, dass sich die operative Verantwortung auch auf kleinere Gruppen verlagert, die vor Ort eigenständig handeln, aber international vernetzt sind oder im Auftrag morden. Nur wenn die Sicherheitsbehörden genug über solche Gruppen und deren Unterstützer wissen, können sie wirksam gegen sie vorgehen und unsere Bevölkerung wirksam schützen. Terrorismusbekämpfung ist damit heute nicht nur eine Frage militärischer Kraft, polizeilicher Strafverfolgung, sondern vor allem auch ein Wettlauf des Wissens. Die Festnahme der drei verdächtigen Terroristen in der vergangenen Woche zeigt, dass wir wachsam bleiben müssen. Unsere Aufgaben lauten: Radikalisierung verhindern, Netzwerke aufklären – auch international –, Ermittlungsverfahren führen, Anschläge verhindern, Strafverfolgung ermöglichen. Kein Land der Welt wird diese Aufgaben alleine meistern können. Sicherheit beginnt bei uns zu Hause, sie endet dort aber nicht. Meine Damen und Herren, Deutschland ist im Kampf gegen den internationalen Terrorismus inzwischen gut aufgestellt: Wir haben unser Gemeinsames Terrorabwehrzentrum. Wir haben die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern verbessert. Wir haben endlich die Vorratsdatenspeicherung eingeführt. (Zurufe des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurde die Organisation neu geordnet, und wichtige nachrichtendienstliche Befugnisse, die sonst ausgelaufen wären, wurden verlängert. Wir haben für Klarheit beim Einsatz von V-Leuten gesorgt. Wir haben neue Straftatbestände wie das Reisen in terroristischer Absicht und die Terrorismusfinanzierung geschaffen. Das ermöglicht neue Ermittlungsansätze. Wir entziehen Personalausweise und Pässe und erschweren dadurch Reisen von Verdächtigen in Kriegsgebiete wie Syrien und den Irak. Mit dem Haushalt 2015 haben wir das Bundeskriminalamt und mit dem Haushalt 2016 die Bundespolizei erheblich gestärkt. Robuste Einheiten der Bundespolizei neben der GSG 9 werden aufgestellt. Ich bin zuversichtlich, dass auch die Planungen für den Haushalt 2017 mit guten Nachrichten für mehr Sicherheit in Deutschland abgeschlossen werden können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Aufgaben beginnen bei uns, aber sie gehen in Europa und mit unseren internationalen Partnern weiter. In Europa, meine Damen und Herren, ist in den letzten Monaten im Kampf gegen den Terrorismus mehr entschieden und vorangebracht worden als in den letzten Jahren. Auch dafür nenne ich einige Beispiele: Das Smart-Border-System in der EU wird kommen – eine deutsche Initiative. Das bedeutet: Wir wollen Personen, die in den Schengen-Raum ein- und aus diesem wieder ausreisen, besser erfassen und registrieren. Die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Wir haben dafür gesorgt, dass Grenzübertritte sogenannter ausländischer Kämpfer im Schengener Informationssystem besser erkannt und verhindert werden können. Die europäische Fluggastdatenrichtlinie PNR kommt. Das bedeutet, Fluggastdaten werden von den Fluggesellschaften an die jeweiligen nationalen Stellen übermittelt, damit man Reisebewegungen von Verdächtigen besser aufklären kann. Europol hat mit dem Europäischen Zentrum für Terrorismusbekämpfung unter deutscher Mitwirkung eine neue Zentrale für den Informationsaustausch geschaffen. Das Registrierungssystem Eurodac wird unter Sicherheitsgesichtspunkten verbessert. Es soll nun auch Auskunft über die Namen der Flüchtlinge geben. Bisher werden dort nur Fingerabdrücke gespeichert, die keinen Bezug zu Namen haben. Auch außerhalb von Sicherheitsbehörden und europäischen Partnerschaften haben wir unsere Aktivitäten nochmals verstärkt; denn Sicherheit ist auch eine Frage von Prävention und politischer Bildung: Bund und Länder arbeiten massiv daran, dass Menschen gar nicht erst in den Extremismus abdriften – in den Beratungsstellen und mit den Familien der betroffenen, oft jungen Menschen zusammen. Die Bundeszentrale für politische Bildung erarbeitet neue Angebote, um junge Menschen zu erreichen, die anfällig sind für extremistisches Gedankengut. Wir drängen die großen Internetgesellschaften dazu, Hassbotschaften, Aufrufe zu Gewalt und Terror, Bombenbauanleitungen aus dem Netz zu entfernen. All das führt dazu, dass wir national und europäisch inzwischen recht gut aufgestellt sind. Deswegen und weil es oft Kritik gibt – zum Teil auch berechtigte Kritik –, will ich mich an dieser Stelle auch heute noch einmal bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Sicherheitsbehörden, in den Beratungsstellen, in den Schulen, in der politischen Bildung, bei den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten von Bund und Ländern für ihre Arbeit für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland herzlich bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist also viel geschehen, und das ist gut so. Dennoch haben wir uns trotz all dieser Maßnahmen, die wir umgesetzt oder auf den Weg gebracht haben, gefragt: Was müssen und können wir darüber hinaus noch tun, um unsere Bevölkerung besser zu schützen? Wo sehen wir noch Sicherheitslücken? Wie können wir die Sicherheitsbehörden bei ihrer immer komplizierter werdenden Aufgabe noch besser unterstützen? Der heute in erster Lesung verhandelte Gesetzentwurf ist ein Ergebnis dieser Überlegungen. Er hat drei wesentliche Bestandteile. Der erste ist: Terroristen agieren international. Sie bereiten Anschläge länder- und staatenübergreifend vor. Sie kommunizieren über Staatsgrenzen hinweg. Wenn Terroristen sich international vernetzen, dann müssen sich auch Sicherheitsbehörden international vernetzen. So einfach ist das. In Europa brauchen wir eine Sicherheitsunion, und außerhalb Europas brauchen wir Sicherheitspartnerschaften. All das fängt mit dem Austausch von Erkenntnissen zwischen den Sicherheitsbehörden und auch zwischen den Nachrichtendiensten an. Wir wollen gemeinsame europäische Dateien schaffen, in die Personen aufgenommen werden, die an Terrororganisationen beteiligt sind. Die europäischen Nachrichtendienste sollen ihre Erkenntnisse auf diese Weise teilen und noch enger zusammenarbeiten. Nun ist es so: Wenn man hier als Erster spricht, dann kann man nicht richtig debattieren, weil die Gegenargumente erst noch kommen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dann tauschen wir das nächste Mal!) Aber da ich ahne, dass ein bestimmtes Gegenargument vonseiten der Grünen kommt, will ich versuchen, es vorweg aufzugreifen und es hoffentlich zu widerlegen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr freundlich!) – Ja, das ist sehr freundlich, Herr von Notz. – Ein Argument gegen diesen Gesetzentwurf wird vermutlich lauten: Er ist uferlos, betrifft nicht nur Terroristen, er ist zwar im Ansatz richtig, aber viel zu weitreichend. – So ähnlich ist es typischerweise doch, oder? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Mann hat recht!) Deswegen will ich Ihnen den Gesetzestext vorlesen, damit das ganz klar ist. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben ihn gelesen!) Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann für die Zusammenarbeit mit ausländischen öffentlichen Stellen ... – also ausländischen Nachrichtendiensten; jetzt kommt es – zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten, die sich auf bestimmte Ereignisse oder Personenkreise beziehen, gemeinsame Dateien einrichten, wenn ... die Erforschung von erheblichem Sicherheitsinteresse für die Bundesrepublik Deutschland und den jeweils teilnehmenden Staat ist ... Das bezieht sich auf bestimmte Ereignisse und Personenkreise und auf erhebliche Sicherheitsinteressen. Das ist nicht uferlos. Das ist notwendig, geboten und sinnvoll. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Notz zu? Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Ja, gern. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man damit anfängt! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man debattieren!) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr de Maizière, vielleicht können Sie, wenn Sie das schon so antizipieren, abschließend kurz ausführen, was denn für Gründe, gemäß denen Dateien angelegt und Daten ausgetauscht werden können, ausreichend sind. Es steht zwar „Terror“ darüber, aber ich glaube, wir sind uns einig, dass es nicht nur um Terror geht. Vielleicht können Sie abschließend aufzählen, worum es gehen kann und was diese Sicherheitsbereiche umfasst, die Sie eben angesprochen haben. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Sehen Sie, ein Gesetz wird immer so formuliert, dass man in abstrakter Form Tatbestandsvoraussetzungen – so nennen wir Juristen das – bestimmt. Dann muss in der Gesetzesanwendung eine Subsumption stattfinden, also eine Erläuterung, welche Sachverhalte unter die Begriffe passen, in diesem Falle: „Bestrebungen oder Tätigkeiten, die sich auf bestimmte Ereignisse oder Personenkreise beziehen“. Das umfasst also nicht das allgemeine Spektrum der Zuständigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist das Ufer?) sondern betrifft nur bestimmte Ereignisse oder Personenkreise, also eine abgegrenzte Zahl von Personen oder Sachverhalten, zum Beispiel so etwas wie dschihadistische Bewegung in Deutschland. Dann muss das Ganze auch von erheblichem Sicherheitsinteresse sein. So schlimm Ladendiebstahl ist: Die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten zur besseren Bekämpfung von Ladendiebstählen betrifft nicht das erhebliche Sicherheitsinteresse von Deutschland; somit gibt es da auch keine gemeinsamen Dateien. – Also stecken Sie einmal Ihre Kritik weg, und überlegen Sie einmal, ob das nicht eine klug formulierte Passage ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, es kommt hinzu, dass Voraussetzung für die Teilnahme an dieser gemeinsamen Datei die Gewährleistung gemeinsamer Standards ist, zum Beispiel beim Datenschutz und bei der Erhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wissen ist Macht. Und wir wollen den Terroristen in diesem Sinne machtvoll begegnen. Dafür müssen wir in Europa und mit unseren europäischen und internationalen Partnern noch enger zusammenarbeiten. Dafür brauchen wir gemeinsame Informationen. Der zweite Punkt: Wir wollen die verschleierte Nutzung von sogenannten Prepaidkarten in kriminellen und terroristischen Strukturen verhindern. Die Regeln des Telekommunikationsgesetzes erlauben den Sicherheitsbehörden bereits jetzt – bei Verdacht auf Straftaten oder zur Gefahrenabwehr – Daten über den Urheber eines Anschlusses abzurufen – sogenannte Bestandsdaten. Beim Abruf der Daten stellt sich aber oft heraus, dass die Anschlussinhaber nur mit Fantasienamen – zum Beispiel Donald Duck – erfasst sind. Obwohl die Pflicht zur Identitätsfeststellung geltendes Recht ist, akzeptieren die entsprechenden Unternehmen oft diese Fantasienamen und machen so Strafverfolgung unmöglich. Das wollen wir beenden. Diese Sicherheitslücke muss geschlossen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sehen vor, dass wir im nächsten halben Jahr mit den Anbietern ein technikoffenes Verfahren und ein für die Kunden praktikables Verfahren für diese Identitätsfeststellung entwickeln. Es wird außerdem eine Übergangsfrist geben. Wir wahren damit das Interesse der Kunden und Unternehmen an einer einfachen Anschaffung eines Mobiltelefons; aber es muss auch möglich sein, zu ermitteln, wem ein Telefonanschluss gehört. Das ist nicht zu viel verlangt. Das ist ein vernünftiger Ausgleich, und er bringt einen spürbaren Nutzen für die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden. Bequemlichkeit ist nicht alles im Leben, wenn es um die Sicherheit der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland geht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mein dritter und letzter Punkt: Jede Landespolizei kann im Rahmen der landesgesetzlichen Befugnisse verdeckte Ermittler einsetzen – nicht V-Leute, sondern verdeckte Ermittler. Das sind Beamte, die zum Teil unter Lebensgefahr in schwierige kriminelle Netzwerke eindringen, um Straftaten zu verhüten und Strafverfolgung zu ermöglichen. Auch das Bundeskriminalamt kann solche verdeckten Ermittler einsetzen. Nur die Bundespolizei konnte das bisher nicht. Mit diesem Gesetz ermöglichen wir jetzt auch der Bundespolizei, insbesondere in internationale Schleuserorganisationen, Schlepperorganisationen einzudringen, um so diese besonders abscheuliche Form von Kriminalität besser bekämpfen zu können. Ich denke, wenigstens das müsste bei allen Zustimmung finden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, der Entwurf, den wir heute beraten, ist ein Entwurf mit Augenmaß, der den internationalen Informationsaustausch und die gemeinsame Analysefähigkeit stärkt, der die Qualität der Telekommunikationsbestandsdaten verbessert und der Bundespolizei eine zentrale Aufklärungsmöglichkeit einräumt, wie sie nahezu alle anderen Polizeien in Deutschland haben. Europa und Deutschland sind durch den internationalen Terrorismus bedroht. Das ist Ernst und kein Anlass für parteipolitische Spielchen, kein Anlass für Panikmache, kein Anlass für Aktionismus, aber auch kein Anlass für Verharmlosungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt keine Garantie, in Deutschland von einem großen Terroranschlag verschont zu werden, aber es gibt den Auftrag an uns alle, dass uns Mögliche zu tun, damit es dazu möglichst nicht kommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Sie davon unterrichten, dass die Fraktion Die Linke nach meinen einleitenden Bemerkungen ihren Antrag auf eine Aktuelle Stunde zum Thema „Bedrohung von Abgeordneten infolge der Armenien-Debatte“ zurückgezogen hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Kollege Frank Tempel hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrten Damen und Herren! Bei den Anschlägen von Paris und Brüssel ist uns noch einmal sehr bitter die Gefahr von Terroranschlägen vor Augen geführt worden. In diesen Fällen waren es Anschläge vonseiten radikaler Islamisten. Wir wissen aber auch, dass ebenso die Gefahr rechtsextremistisch motivierter Terroranschläge besteht. Für uns ergeben sich daraus zwei klare Aufgabenstellungen. Erstens. Wir müssen alles daransetzen, dass geplante Terroranschläge nicht stattfinden können. Wir müssen sie verhindern. Zweitens. Wir müssen die Ursachen des Terrorismus thematisieren und wirkungsvolle zivile Prävention dagegensetzen. (Beifall bei der LINKEN) Zur Prävention und zur Ursachenbekämpfung höre ich relativ selten etwas von Ihnen, Herr Innenminister. Das haben Sie aber heute getan, und das, was Sie dazu in Ihrer Rede gesagt haben, möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Aber gucken wir einmal, was in Ihrem Gesetzentwurf steht. Da finden wir Regelungen mit erheblichen Möglichkeiten zu Grundrechtseingriffen für Geheimdienste und Polizei, eine üppige personelle und materielle Aufrüstung des Bundesamts für Verfassungsschutz. Und: Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten wird wie mit dem BKA-Gesetz weiter ausgehöhlt. Da ist die Frage: Ist dieses Gesetz wirklich geeignet, mehr Sicherheit gegen terroristische Anschläge zu bringen? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja!) Ich behaupte, dass es das nicht ist, und werde das anhand von drei Beispielen belegen. Erstes Beispiel: die Schaffung einer gemeinsamen Datei des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit ausländischen Nachrichtendiensten. Ich darf erinnern: Es gab bisher eine Kommunikation mit ausländischen Geheimdiensten. Wir bekamen auch immer wieder Terrorwarnungen, die sich aber weitestgehend als Fehlinformationen oder als unüberprüfbar herausgestellt haben. Jetzt wollen Sie, wenn wir das richtig verstanden haben, diesen Zustand sogar noch verstetigen und den Heuhaufen, in dem Sie stochern, deutlich höher stapeln. Dafür brauchen Sie 5,8 Millionen Euro und 27 dauerhafte Planstellen. Das ist nicht schlecht. Auf diese Art tauschen Sie dann anlasslos Daten von Zehntausenden Bürgern. Zulieferung von Geheimdiensten aus autoritären und diktatorischen Staaten nehmen Sie dabei auch in Kauf. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Nein! Das ist doch ausgeschlossen! Das steht doch gar nicht im Gesetz! – Uli Grötsch [SPD]: Steht doch gar nicht im Gesetz drin! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das stimmt doch nicht!) Dann gibt es noch den Datenringtausch unter den befreundeten Geheimdiensten, Herr Binninger. Die beteiligten Geheimdienste haben damit Zugriff auf Daten, die sie nach nationaler Gesetzgebung gar nicht erheben dürfen, und das alles wieder einmal unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung. Da müssen wir Sie fragen: Ist das etwa Ihre Konsequenz aus den Skandalen um NSU und NSA? Ist das etwa Ihre Konsequenz aus dem jüngsten Versagen der Sicherheitsbehörden? Mehr Geld und Beschäftigte für den Verfassungsschutz und dafür dann erneut weniger Datenschutz? Ein Sicherheitsgewinn wird von der Linken hier jedenfalls deutlich bezweifelt. (Beifall bei der LINKEN) Zweites Beispiel: Sie wollen die umfassende Erfassung und Prüfung für Identitätsdaten der Nutzer von Prepaidkarten bzw. -telefonen. Das heißt, der normale Bürger soll sich dem Zugriff des Staates auf seine Kommunikationsdaten nicht entziehen können. Ich darf Sie erinnern: Personen mit Anschlagsabsichten können ohne größeren Aufwand den Weg über Drittpersonen oder das Ausland wählen. Das ist überhaupt nicht schwer. Unsere prinzipielle Kritik an der Vorratsdatenspeicherung gilt also auch dieser Maßnahme. Es ist Massenüberwachung, (Zuruf von der CDU/CSU: Keine Überwachung!) ohne dass ein dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechender Effekt für die Strafverfolgung erkennbar ist. Meine Damen und Herren, statt die Lehren aus den Untersuchungsausschüssen des Bundestages zu ziehen, werden diesem Nachrichtendienst reflexartig immer weitere Kompetenzen und Budgetmittel zulasten der Bürger und der Steuerzahler gewährt. Seit dem Auffliegen des NSU im Jahr 2011 wurde der Haushalt des Bundesamts für Verfassungsschutz von 187 Millionen Euro auf 261 Millionen Euro aufgestockt. 470 Personalstellen gab es allein in diesem Jahr zusätzlich im Verfassungsschutzverbund. Wieso soll jemand annehmen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Bekämpfung von islamistischem Terror erfolgreicher agiert als bei rechtsradikalem Terror? Ein dritter wesentlicher Punkt in Ihrem Gesetzentwurf ist der Einsatz von verdeckten Ermittlern bei der Polizei. Also, die Bundespolizei soll nun ebenfalls, weil alle anderen Polizeien das auch dürfen, verdeckte Ermittler einsetzen, die auch noch aus Eigenschutzgründen ihre Umgebung technisch abhören können. Als Einsatzbeispiel haben Sie auch heute die Schleusung von Flüchtlingen genannt. Mal ganz abgesehen davon, dass bisher bekanntgewordene Terroristen in Europa aufgewachsen sind und sich nur vereinzelt als Flüchtlinge getarnt haben, ist deren Enttarnung durch verdeckte Ermittler fachlich mehr als zweifelhaft. Der Terrorbekämpfung nutzt diese Maßnahme nach aller Wahrscheinlichkeit jedenfalls nicht. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, im Namen meiner Fraktion darf ich Sie noch einmal mahnen: Es gilt Demokratie für alle. Sie muss gestärkt und darf nicht bei jeder Gelegenheit durch den Abbau von Bürgerrechten geschwächt werden. (Beifall bei der LINKEN) Ihr Schwerpunkt liegt erneut bei der Stärkung der Geheimdienste. Die Linke bleibt dabei: Geheimdienste sind Fremdkörper der Demokratie, da sie qua Amt zu Desinformation und Unkontrollierbarkeit neigen. Deshalb gehören sie abgeschafft. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt, Herr Minister, nachdem wir uns damit beschäftigt haben, was wir an Ihrem Gesetzentwurf nicht gut finden, nenne ich Ihnen drei Beispiele, die unserer Meinung nach mehr Sicherheit bringen können, wenn – statt Grundrechte zu beschneiden – Gelder an der richtigen Stelle eingesetzt werden. Ich habe hier ja schon häufig etwas zum Personaldefizit bei der Bundespolizei gesagt. Ich kann es auch heute nur gebetsmühlenartig wiederholen: Machen Sie dringend eine Aufgabenkritik, und entlasten Sie die Polizei! Aufwendiges Anzeigenschreiben bei Cannabiskonsumenten, bei „illegal“ eingereisten Flüchtlingen, bei Schwarzfahrern, bei einfachen Ladendieben bindet gewaltige Ressourcen bei der Polizei. Das ist durchaus auch anders zu lösen. Weiter muss man dann natürlich definieren, wie viele Stellen zusätzlich geschaffen werden müssen, damit die Polizei ihren originären Aufgaben, also auch der Gefahrenabwehr, tatsächlich nachkommen kann. Jeder Polizist vor Ort – auf der Straße und gerade bei Menschenansammlungen – ist eine wirkungsvolle Antiterrormaßnahme. Noch wirkungsvoller ist er, wenn er gut ausgebildet ist und durch Schulungen in die Lage versetzt ist, frühzeitig spezifische Verhaltensweisen von Terroristen zu erkennen und zu identifizieren. Im Nachhinein anhand von Videoaufzeichnungen drei Personen mit großen Koffern und auffälligen Handschuhen zu erkennen, ist zumindest für diesen Terroranschlag zu spät. Wir brauchen geschulte Polizeibeamte, denen so etwas rechtzeitig auffällt und die Maßnahmen ergreifen können, bevor ein Anschlag stattfindet, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wohlgemerkt Polizeibeamte, die regelmäßig abgelöst werden können, also Pausen bekommen und konzentriert bleiben, und die eine vernünftige Ausrüstung, insbesondere eine gute Sicherheitsausrüstung, haben. Das heißt, wir brauchen hier Personal, das gut ausgestattet ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie reden viel über Kommunikation, Herr Innenminister. Kommunikation kann tatsächlich sehr entscheidend sein; das ist richtig. Aber dafür brauchen wir nicht noch mehr Daten und noch mehr Befugnisse, sondern effiziente Kommunikationsschnittstellen und eine vernünftige, kompatible IT. Ich darf erinnern: 2,3 Millionen Euro hat das Bundeskriminalamt für eine gemeinsame Ermittlungsdatei von BKA und Landeskriminalämtern ausgegeben. Zweck sind Ermittlungen im Bereich des Terrorismus. Aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage dazu geht hervor: Seit 2011 wurde diese Datei ein Mal genutzt. Ein Mal! Schnittstellen zu den EDV-Strukturen der Landeskriminalämter bestehen nicht. Dort müssen Daten über eigene Terminals eingegeben werden. Es existiert keine gemeinsame IT-Infrastruktur für den Fall eines terroristischen Anschlags oder eines anderen großen Unglücks. Daten zwischen Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern müssen noch heute per Fax oder Mail ausgetauscht werden. Das kostet einfach Zeit und birgt Reibungsverluste. Da sind Hausaufgaben zu machen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Während Nachrichtendienste immer mehr Befugnisse und Infrastruktur für den Datenaustausch weit im Vorfeld erhalten, sind unsere Polizeibehörden von einer modernen Infrastruktur weit entfernt. Tatsächliche Informationen, Hinweise und Sachverhalte müssen über schnelle und effiziente Informationswege ohne Reibungsverluste an die notwendigen Adressaten bei der Polizei kommen, damit diese auch agieren kann. Die Linke ist ganz klar kein Freund großer Datensammlungen zum Selbstzweck. Aber da, wo der Zugriff für polizeiliche Handlungen erforderlich ist, sind wir dafür, dass die moderne Technik genutzt wird, um die Daten schnell an die notwendigen Stellen zu übermitteln. Mein dritter Punkt – ich weiß, dass er bis zum Beginn der Fußballeuropameisterschaft keine Wirkung mehr entfalten wird, aber das Thema Terrorbekämpfung wird im Juli nicht verschwinden –: Was müssen wir aus Paris und Brüssel lernen? Datensammlungswut und Absenkung bürgerrechtlicher Standards haben dort kein Mehr an Sicherheit gebracht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Allerdings hat das fast vollständige Versagen der Präventionsarbeit in ganzen Stadtteilen der Radikalisierung zumeist Jugendlicher den Boden bereitet. Prävention kann den Terror nicht verhindern – das wissen wir –, wohl aber den Nährboden sehr deutlich reduzieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Sachen langfristiger und nachhaltiger Terrorbekämpfung ist Prävention mit Abstand die wirkungsvollste Maßnahme. Ich weiß, dass wir dafür Programme haben. Aber gerade die zivilen Deradikalisierungsprogramme sind bisher absolut unzureichend, setzen deutlich zu spät an und sind letztendlich in ihrer Quantität ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn ich zusammenfassen darf: Es gibt Handlungsspielräume, um besser auf die Gefahr von Terroranschlägen vorbereitet zu sein. Aber Ihre Vorschläge, Herr Minister, haben zumindest mit Terrorbekämpfung und mehr Sicherheit für den Bürger nichts zu tun. Damit sind Sie nach unserer Auffassung Ihrer Verpflichtung als Innenminister erneut nicht nachgekommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Uli Grötsch ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uli Grötsch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Tempel, der Gesetzentwurf, der heute zur ersten Beratung ansteht, ist kein Selbstzweck. Das Letzte, was man dieser Koalition im innenpolitischen Bereich vorwerfen kann, ist, dass wir die Bundespolizei nicht konsolidieren. Wir schaffen in den nächsten Jahren 3 000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei. 1 000 Stellen pro Jahr! Das ist die maximale Anzahl an neu einzustellenden und auszubildenden Bewerbern, die die Bundespolizei überhaupt schaffen kann. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fällt Ihnen aber spät ein!) Das trägt in einem enormen Maß zur Entlastung der Bundespolizei bei. Dabei nenne ich noch nicht einmal die Verbesserung der Sachausstattung, die wir darüber hinaus bei der Bundespolizei vornehmen. Was den innenpolitischen Bereich betrifft, so ist uns in dieser Koalition die Bundespolizei ein zentrales Anliegen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es geht bei diesem Gesetz auch nicht um das Datensammeln; es geht um den Datenaustausch. Es geht um die Optimierung der Verwendung der Daten und nicht darum, noch zusätzlich Daten zu sammeln; denn während wir hier reden, während wir hier debattieren, nutzen Terroristen ohne Frage soziale Medien und alle anderen Kommunikationswege, um Geld, Unterstützung und Anhänger zu gewinnen und um Anschläge zu planen. 300 Syrien-Rückkehrer alleine in Deutschland, Tendenz leider steigend. Dieser Gesetzentwurf, der hier zur ersten Beratung steht, ist eine unserer vielen guten Maßnahmen als Antwort auf diese Bedrohungslage. Wesentlicher Bestandteil des Gesetzespaketes ist es, dass wir eine Rechtsgrundlage schaffen. Wir haben schon eine Menge aus den Snowden-Enthüllungen gelernt. Wir schaffen einen klaren rechtlichen Rahmen dafür, dass unsere Nachrichtendienste mit ausländischen Partnerdiensten gemeinsame Dateien errichten können und damit wichtige Informationen über Terroristen austauschen – nicht sammeln – können. Es ist eigentlich kaum vorstellbar: Während Terroristen perfekt vernetzt sind, sind es die Nachrichtendienste eben nicht. Das werden wir mit diesem Gesetz ändern. Wir werden den Diensten somit ein zentrales Instrument im Kampf gegen den internationalen Terrorismus an die Hand geben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Weil schon Horrorszenarien kursieren: Wir wollen doch keine Informationen mit Ländern wie etwa Syrien, Nordkorea oder ähnlichen Staaten austauschen. Hier geht es um den Austausch mit den europäischen Nachbarn und um den Austausch mit NATO-Partnern. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da eben so nicht drin!) – Ich komme gleich noch darauf zu sprechen. – Es geht darum, Anschläge wie in Paris und Brüssel zu verhindern und um nichts anderes. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Machen wir uns nichts vor: Wir sind nach wie vor oder vielleicht sogar so sehr wie noch nie im Fadenkreuz von Terroristen. Erst letzte Woche ist es den Sicherheitsbehörden wieder gelungen, eine Terrorzelle, die in Düsseldorf ein Blutbad mit möglichst vielen Opfern plante, durch Festnahmen in drei Bundesländern auszuheben. Auch in diesem Fall war der Austausch zwischen Deutschland und Frankreich ein elementar wichtiger Aspekt, um zum Erfolg kommen zu können. Das zeigt: Unsere Sicherheit in Deutschland ist in den besten Händen. Auch ich schließe mich dem Dank an diejenigen an, die jeden Tag dafür sorgen, dass wir uns in Deutschland so sicher fühlen können, wie das der Fall ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Auch denen danke ich – lassen Sie mich das noch dazu sagen –, die richtigerweise im präventiven Bereich alles für unsere Sicherheit tun. Das sind nicht die, die immer im Rampenlicht stehen, das sind auch nicht die, über die in den Medien groß berichtet wird, sondern das sind diejenigen, die in diesem Bereich eine unschätzbar wichtige Arbeit leisten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die derzeitige Situation zeigt uns aber auch: Alles, was diese Koalition in den letzten Monaten zur Ertüchtigung unserer Sicherheits- und Ermittlungsbehörden gemacht hat, besteht den Praxistest. Dass sich unsere Maßnahmen bewähren, ist Fakt. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir für alle Zeiten in Deutschland einen Anschlag ausschließen können. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, nirgends auf der Welt; aber es ist unser Bestreben und wir sind auf einem wirklich guten Weg, das Maximale dafür zu tun, dass sich die Menschen auch in Deutschland in Zukunft sicher fühlen können. Sicherlich ist jede Befugniserweiterung für unsere Sicherheitsbehörden immer eine Gratwanderung: Freiheit auf der einen und Sicherheit auf der anderen Seite. Das eine schließt aber das andere nicht aus, wenn bei den Befugniserweiterungen mit Augenmaß agiert wird. Wir werden im Fortgang dieses Gesetzgebungsverfahrens darauf achten, dass auch bei diesem Gesetz mit sehr viel Augenmaß vorgegangen wird. Vieles halte ich schon in diesem Entwurf für umgesetzt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa darf zum Beispiel erst dann eine gemeinsame Datei mit einem ausländischen Nachrichtendienst einrichten, wenn das Bundesministerium des Innern zugestimmt hat. Bei Ländern, die nicht in der EU sind und die nicht NATO-Mitglied sind, muss der Bundesinnenminister persönlich zustimmen. Das heißt, der politisch Verantwortliche, also der Innenminister, ordnet die Einrichtung einer solchen Datei an und nicht etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz in Eigenregie. Ich glaube, das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Weiter noch: Der teilnehmende Staat, mit dem das Bundesamt für Verfassungsschutz eine gemeinsame Datei errichtet, muss rechtsstaatliche Prinzipien gewährleisten, und es gelten nach diesem Gesetz unsere deutschen Datenschutzbestimmungen bei der Datenweitergabe und nichts anderes. Wir haben in diesem Gesetz solche und weitere Vorkehrungen getroffen, weil wir natürlich keineswegs blauäugig sind. Wir wissen, dass man vielleicht sogar innerhalb Europas bei dem einen oder anderen Land, bei dem einen oder anderen Nachrichtendienst etwas genauer hinschauen muss. Ebendeshalb haben wir diese Regelung ins Gesetz aufgenommen. Aber ich sage Ihnen auch ganz klar: Wer glaubt, dass es zur intensiven Zusammenarbeit mit europäischen Partnerdiensten oder mit den Partnerdiensten der NATO-Staaten eine Alternative gibt, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. (Beifall der Abg. Gabriele Fograscher [SPD] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt auch niemand, den ich kenne!) Vorrangig geht es bei den gemeinsamen Dateien um die Beobachtung und die Aufklärung von dschihadistischen Strukturen und Netzwerken, die eben staatsübergreifend agieren und dynamisch sind. Um noch ein Beispiel zu nennen: Wir wollen auch Cyberangriffen wirksam entgegentreten. Ein Cyberangriff auf unsere kritischen Infrastrukturen, etwa auf unsere Wasserversorgung oder auf unsere Stromversorgung, kann mindestens genauso verheerend sein wie ein realer Terrorangriff. Damit wir entsprechende Bestrebungen aufklären und abwehren können, haben wir auch für diese und ähnliche Fälle die Errichtung gemeinsamer Dateien ermöglicht. In diesem Gesetzentwurf wollen wir aber auch weitere Sicherheitslücken in der Terrorismusbekämpfung schließen, die sich seit einiger Zeit aufgetan haben. Künftig verpflichten wir etwa die Anbieter von Telekommunikationsdiensten, die Identität von Kunden mittels Lichtbildausweis beim Kauf einer Prepaidkarte zu überprüfen. Eigentlich ist das – das war bei uns im Land auch schon einmal der Fall – eine Selbstverständlichkeit. Das ist es in diesen Tagen nicht mehr, und deshalb schließen wir auch diese Lücke. Ich weiß wohl, dass das auch mit Aufwand für die Wirtschaft verbunden ist. Aber ich denke, die Sache ist es wert. Sie ist es wert, dass auch die Telekommunikationsunternehmen ihren Beitrag zur Sicherheit in diesem Land leisten. Aber ein Problem bleibt natürlich: Wer eine anonyme Prepaidkarte haben will, der kauft sie sich etwa in Österreich oder in den Niederlanden. Deshalb wollen wir hier praktisch mit gutem Beispiel vorangehen. Aber der zweite und wichtigere Schritt des Bundesinnenministers ist es jetzt, auch die anderen EU-Staaten von einer europäischen Regelung zu überzeugen, weil uns das Ganze sonst nur in sehr beschränktem Ausmaß etwas nützt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine weitere Ergänzung, an die wir mit Besonnenheit und Augenmaß herangehen, betrifft die gemeinsamen Projektdateien von Polizeien und Nachrichtendiensten in Deutschland. Deren Zusammenarbeit und Informationsaustausch bei der Terrorbekämpfung ist unverzichtbar. Ich glaube, darauf muss man in diesem Haus nicht extra eingehen. Dass wir nun die Höchstdauer einer gemeinsamen Projektdatei um ein Jahr auf dann fünf Jahre erweitern, zeigt auch, dass wir in diesem Bereich mit sehr viel Augenmaß vorgehen. Ein Satz noch zum Thema „verdeckte Ermittler bei der Bundespolizei“. Ich bin schon der Meinung, lieber Kollege Tempel, dass illegale Migration – zumindest in diesen Tagen, eigentlich aber schon immer – mit all ihren abscheulichen Erscheinungsformen eine der schrecklichsten, zugleich aber leider auch lukrativsten Formen der organisierten Kriminalität ist. Wir tun gut daran, die Bundespolizei dagegen handlungsfähig zu machen. Ich komme zum Schluss. Wir werden diesen Gesetzentwurf natürlich im weiteren Fortgang auch mit Experten in einer Anhörung beraten; noch vor der Sommerpause wollen wir ihn verabschieden. Das ist ein straffer Zeitplan – ja –; aber ich glaube, das ist machbar. Der enormen Bedeutung der Sache würde eine schnelle Verabschiedung jedenfalls gerecht werden. Deshalb bitte ich Sie bereits jetzt sehr herzlich um Ihre Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Mihalic das Wort. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir alle sind uns darüber einig, dass die aktuelle Sicherheitslage äußerst angespannt ist und dass wir natürlich alles Rechtsstaatliche tun müssen, um die Bürgerinnen und Bürger vor Terroranschlägen zu schützen. Genau deshalb brauchen wir eines nicht: mit der heißen Nadel gestrickte Gesetzespakete, wie sie uns hier turnusmäßig vorgelegt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Hektik geben Sie dann auch noch ins parlamentarische Verfahren weiter. Vielleicht sollen wir hier im Parlament ja schon froh sein, dass uns die Gesetzentwürfe überhaupt noch vorgelegt werden. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Im Innenausschuss hat die Koalition schon längst den Vorratsbeschluss etabliert, und wir beschließen Anhörungen zu Gesetzentwürfen, noch bevor sie überhaupt ins Parlament eingebracht worden sind, so wie bei diesem Paket jetzt. Das ist nicht nur unzulässig, sondern geht auch auf Kosten der dringend gebotenen Gründlichkeit und damit auf Kosten der Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das Parlament ist doch kein Abnickgremium für die Bundesregierung; im Gegenteil. Besonders der jetzt hier vorliegende Gesetzentwurf mit weitreichenden Befugnissen für die Nachrichtendienste sollte hier im Haus doch ganz ausführlich beraten werden; denn er verfehlt das proklamierte Ziel der Terrorismusbekämpfung, greift aber massiv in die datenschutzrechtlichen Belange und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, und er vermischt vollkommen unzulässig die Terrorismusdebatte mit der Flüchtlingssituation. Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf: „Deutschland ist bevorzugtes Ziel- und Transitland illegaler Migration.“ Sagen Sie mir einmal, was die Themen „Schleuserkriminalität“ und „Flucht“ in einem Gesetzentwurf zur Verbesserung des Informationsaustauschs bei der Terrorismusbekämpfung – so steht es da an der Medienwand – zu suchen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kommen wir einmal auf den Kern dieses Gesetzentwurfs zu sprechen, auf die gemeinsamen Datenbanken mit ausländischen Nachrichtendiensten. Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt: Das ist alles nicht uferlos. – Sie konnten aber nicht deutlich machen, wo eigentlich genau das Ufer ist. Nach Ihrer Rede wissen wir: Ladendiebe werden in diesen Datenbanken nicht erfasst. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist ein Erfolg!) Aber wer da erfasst wird, das konnten Sie uns nicht erklären, und das konnte auch Herr Grötsch hier nicht sagen. Grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien – so schreiben Sie in Ihrem Gesetzentwurf – sind die Voraussetzung dafür, dass solche Datenbanken überhaupt eingerichtet werden können. Sie haben darauf hingewiesen: Es sollen Datenbanken mit EU-Ländern sein; es sollen Datenbanken mit NATO-Partnern sein. – Dann braucht man doch nicht das Szenario zu bemühen, dass der Verfassungsschutz mit Ägypten oder Syrien oder Libyen Daten austauscht. Die Türkei ist ein NATO-Partner. Da bedarf es dann nicht der Zustimmung des Bundesinnenministers, um diese Datenbank gemeinsam einzurichten. Vorhin haben wir hier noch darüber gesprochen, welche kruden Vorstellungen in der Türkei teilweise vorherrschen, was die Unterstützung von terroristischen Aktivitäten angeht. Nach der Version sind wir alle hier im Hause verdächtig. Das kann nicht im Sinne dieser Regelung sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dazu kommt, dass Sie alle Erkenntnisse, die wir in den Untersuchungsausschüssen zu den Themen NSA und NSU gewonnen haben, mal einfach so in den Wind schlagen. Anstatt illegale Praktiken der Nachrichtendienste zu beenden, wollen Sie sie legalisieren. Anstatt die Geheimdienste in ihren Kompetenzen einzuhegen und wirksame Kontrollen zu gewährleisten, machen Sie genau das Gegenteil. Sie werten die Dienste und vor allem den Verfassungsschutz massiv auf. Sie weiten Befugnisse aus und schießen Geld in diese Behörde: 2,9 Millionen Euro jährlich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rede hier von genau der Behörde mit dem Chaos in den Panzerschränken. Ich weiß nicht, was die mit der Kohle machen. Vielleicht kaufen sie neue Möbel. Das ist der Nachrichtendienst, bei dem V-Mann-Handys, Datenträger, SIM-Karten, illegale Handakten einfach mal eben so zwischen Schriftstücken und irgendwelchen persönlichen Gegenständen herumliegen, bei dem scheinbar jeder machen kann, was er will, und bei dem der Präsident das nicht in den Griff bekommt, sodass jetzt die Dienstaufsicht des Innenministeriums dort einschreiten muss. Diese Behörde soll jetzt die Kernkompetenz bei der Terrorbekämpfung haben. Diese Behörde soll eigenverantwortlich große Datenbanken auf internationaler Ebene aufbauen. Wer kontrolliert aber das Ganze? Die Dienste selber? Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein, liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Uli Grötsch [SPD]) Wir haben ganz andere Probleme, die Sie dringend anpacken sollten. Sie sollten hier zum Beispiel möglichst bald ein verfassungskonformes BKA-Gesetz vorlegen. Terrorismusbekämpfung braucht einen verbindlichen Rechtsrahmen und auch verlässliche Akteure, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber das, was Sie hier vorlegen, was Sie hier machen, stellt die Dinge auf den Kopf. Hier wird nicht die Polizei in ihrer Kompetenz gestärkt, Terrorismus zu bekämpfen. Vielmehr statten Sie die Nachrichtendienste mit der Möglichkeit aus, uferlose Datenbanken einzurichten. Das alles geht zulasten der Kontrollierbarkeit, der Transparenz und der Rechte der Bürgerinnen und Bürger und geht hart an den Erfordernissen der Terrorismusbekämpfung vorbei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr verehrte Kollegen! Ich möchte mich, liebe Frau Kollegin Mihalic, in aller Deutlichkeit gegen Ihren Vorwurf verwahren, dass dieser Gesetzentwurf, den wir heute beraten, mit heißer Nadel gestrickt ist. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal ein Argument!) Das stimmt einfach nicht. Dieser Gesetzentwurf ist gründlich und intensiv vorbereitet worden, und wir werden auch dieses Gesetzgebungsverfahren mit der erforderlichen Gründlichkeit und Seriosität durchführen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zur Wahrheit gehört auch dazu, dass wir es mit einer enorm angespannten Bedrohungssituation zu tun haben. Deutschland ist im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus, genauso wie es Belgien, Großbritannien und Frankreich sind. Um es klar zu sagen: Wir dürfen hier nicht zu viel Zeit verlieren. Wir haben es ja in den letzten Monaten erlebt: am 13. November der schreckliche Anschlag in Paris, am 12. Januar der Anschlag in Istanbul, dem elf deutsche Staatsangehörige zum Opfer gefallen sind, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie regieren seit zwölf Jahren!) am 22. März der Anschlag in Brüssel mit zahlreichen Todesopfern. Was in Brüssel, was in Paris, was in Istanbul, was in Madrid geschehen ist, kann auch jeden Tag in München, in Frankfurt oder hier in Berlin passieren. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Düsseldorf!) Wir sind in der Verantwortung und müssen deshalb für unsere Sicherheitsbehörden die adäquaten und erforderlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. Ich möchte auch deutlich dem Eindruck entgegentreten, dass wir erst heute mit dem Kampf gegen den islamistischen Terrorismus beginnen. Wir haben in den letzten 18 Monaten gesetzgeberisch vieles erheblich verbessert und deutlich vorangebracht: Wir haben die Voraussetzung geschaffen, dass im Bereich der Terrorismusfinanzierung die Strafbarkeitsgrenze wesentlich schneller überschritten ist. Auch die geplante Ausreise in den Dschihad ist wesentlich frühzeitiger strafbar. Wir haben die Möglichkeit geschaffen, dass ausreisewilligen Dschihadisten der Reisepass oder der Personalausweis entzogen werden kann. Wir haben das Bundesverfassungsschutzgesetz novelliert. Wir haben die Mindestspeicherfristen zumindest in abgeschwächter Form wieder eingeführt. Unsere Sicherheitsbehörden – um dies hier deutlich zu sagen – sind gut aufgestellt im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Man muss aber hinzufügen, dass es an der einen oder anderen Stelle durchaus noch Verbesserungsbedarf gibt. Und wenn wir jetzt darüber debattieren, unser Bundesamt für Verfassungsschutz in die Lage zu versetzen, gemeinsame Dateien mit befreundeten ausländischen Nachrichtendiensten einzurichten, dann hat dies nichts mit einer uferlosen Ausspähung und Sammlung von Daten zu tun, sondern dies gehorcht klaren rechtsstaatlichen Gesichtspunkten und Prinzipien. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie bei jedem Ihrer verfassungswidrigen Gesetze!) Um auch einem anderen Vorwurf den Wind aus den Segeln zu nehmen: Von Ihrer Seite, Herr von Notz, wurde uns ja vorgeworfen, dass diese gemeinsamen Dateien möglicherweise auch mit Schurkenstaaten geführt werden. Das stimmt einfach nicht. Schauen Sie doch bitte einmal in den Gesetzentwurf. Darin steht ausdrücklich, dass alle teilnehmenden Staaten grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien genügen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie unsere NATO-Partner! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Und die Türkei?) Das steht da ausdrücklich drin. Eine gemeinsame Datei mit Syrien, mit Libyen oder mit Ägypten gibt dieses Gesetz also nicht her. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte der Innenminister mal sagen sollen! Das hat er nicht gesagt!) Dieses Gesetz ermöglicht gemeinsame Dateien mit EU-Mitgliedsländern, mit NATO-Mitgliedsländern, mit benachbarten Ländern und darüber hinaus mit anderen Ländern, aber nur unter der Voraussetzung, dass diese grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien gewährleisten, und das Ganze steht unter dem persönlichen Genehmigungsvorbehalt des Bundesinnenministers. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Mayer, darf der Kollege Tempel eine Zwischenfrage stellen? Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Selbstverständlich, sehr gerne. Frank Tempel (DIE LINKE): Herr Kollege Mayer, da Sie das gerade ausführen – ich habe ja auch in meiner Rede darauf Bezug genommen –: Was ist denn mit dem NATO-Partner Türkei? Wie stufen Sie den ein? Sie haben hier ja NATO-Partner aufgezählt und gesagt, dass unsere Argumente nicht stimmen. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Herr Tempel, ich danke Ihnen herzlich für diese Frage, weil sie mir die Möglichkeit gibt, noch einmal klar zu konkretisieren, welche Möglichkeiten durch dieses Gesetz geschaffen werden, und festzustellen, dass aber auch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen. (Zuruf von der LINKEN: Frage beantworten!) Ihre Frage bezüglich der Türkei ist klar so zu beantworten, dass natürlich gewährleistet sein muss, dass das teilnehmende Partnerland grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien einhält. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch kleiner kann man es ja nicht formulieren!) Ob dies in der Türkei der Fall ist oder nicht, dahinter mache ich gerade auch im Lichte der Entwicklungen in den letzten Monaten ein klares Fragezeichen. Aber um eines klar zu sagen: Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist aufgrund dieser rechtlichen Befugnis nicht verpflichtet, gemeinsame Dateien mit allen NATO-Mitgliedsländern zu führen, sondern es gibt die Möglichkeit dazu. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss das ja gar nicht machen!) Ich bin der festen Überzeugung, dass die Kautelen, dass die Rahmenbedingungen, dass die Voraussetzungen ausreichend eng gestrickt sind, um klar zu verhindern, dass personenbezogene Daten in falsche Hände geraten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Einsatz von verdeckten Ermittlern. Das ist schon erwähnt worden. Insbesondere Schleuserbanden arbeiten sehr konspirativ, sehr abgeschottet. Es ist meistens nur möglich, mit verdeckten Ermittlern in diese Banden einzudringen. Deswegen ist es zeitgemäß und überfällig, dass auch die Bundespolizei in die Lage versetzt wird, verdeckte Ermittler im präventiven Bereich zur Gefahrenabwehr einzusetzen. Auch die Verschärfungen bei den Prepaidkarten sind vollkommen sachgerecht und angemessen. Die Erfahrung hat gezeigt: Wenn Terroristen im Vorfeld mit Mobilfunktelefonen telefoniert haben, dann haben sie das ausschließlich mit Prepaidkarten gemacht. Es gebietet daher die Seriosität, dass wir den Telekommunikationsdienstleistern die Verpflichtung auferlegen, dass sie sich ein Personalausweisdokument, ein Legitimationspapier von den Kunden vorlegen lassen, um zu verifizieren, wer der Kunde tatsächlich ist. Jetzt kommt der Vorwurf: Na ja, das bietet doch keine hundertprozentige Sicherheit. Man kann sich doch auch in Österreich oder in den Niederlanden eine Prepaidkarte besorgen, ohne dass die Identität festgestellt wird. – Das mag sein. Aber ich sage, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, noch einmal in aller Deutlichkeit: Wir als nationaler Gesetzgeber haben die Verantwortung und die Verpflichtung, unsere Sicherheitsbehörden so auszustatten, dass sie das Menschenmögliche unternehmen können, um einen Anschlag in Deutschland zu verhindern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es muss doch verhältnismäßig bleiben!) Deshalb ist der Hinweis, dass es Umgehungstatbestände gibt und dass man ausweichen kann, für mich noch kein sachgerechtes Argument, hier nicht entsprechend nachzubessern und die klare gesetzliche Verpflichtung aufzuerlegen, dass in Zukunft Legitimationspapiere vorzulegen sind. Seitens der Opposition ist immer wieder behauptet worden, es werde mit heißer Nadel gestrickt, es werde weit über das erforderliche Maß hinausgegangen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dies ein außerordentlich wohlüberlegter, angemessener, sachgerechter Gesetzentwurf ist, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie bei jedem Ihrer verfassungswidrigen Gesetze seit Jahren, Herr Mayer!) der die Grundlage dafür sein wird, dass unsere Sicherheitsbehörden in Zukunft noch besser auch im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus aufgestellt sind. Jetzt stellt sich die Frage: Welchen Verbesserungsbedarf gibt es vielleicht an der einen oder anderen Stelle? Hier möchte ich eines ganz deutlich ansprechen: Ende Februar hatten wir am Hauptbahnhof in Hannover einen brutalen Angriff einer 15-jährigen Dschihadistin auf zwei Bundespolizisten. Bei dieser Messerattacke ist ein Polizist lebensgefährlich verletzt worden. Es ist glücklichen Umständen zu verdanken, dass er überlebt hat, dass er sich jetzt auf dem Weg der Genesung und Besserung befindet. Aber die Ermittlungen bisher haben gezeigt, dass dieses 15-jährige Mädchen sehr frühzeitig radikalisiert wurde, dass es in die Hände von Salafisten geraten ist. Deshalb halte ich es für überlegenswert, im Bundesverfassungsschutzgesetz eine ähnliche Regelung zu schaffen, die es schon in manchen Landesgesetzen gibt, dass nämlich unter strengen datenschutzrechtlichen Voraussetzungen auch 14- bis 16-Jährige erfasst werden. Das ist aus meiner Sicht eine sachgerechte, eine notwendige Ergänzung des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Mein Wunsch wäre, dass wir uns jetzt in den parlamentarischen Beratungen offen und vorurteilsfrei mit dieser Idee auseinandersetzen. Wir müssen leider Gottes erleben, dass die Radikalisierung in Richtung Salafisten immer frühzeitiger, teilweise schon – wie in diesem Fall – von Kindesbeinen an beginnt. Deshalb ist diese maßvolle Ergänzung des Bundesverfassungsschutzgesetzes aus meiner Sicht auf jeden Fall überlegenswert. (Beifall bei der CDU/CSU) Es wird auch zu überlegen sein, ob wir die Übergangsfrist bei der Neuregelung bezüglich der Prepaidkarten nicht etwas verkürzen. Ich sage ganz persönlich: 18 Monate sind aus meiner Sicht zu lang. Wir betreiben jetzt notwendigerweise ein sehr zügiges Gesetzgebungsverfahren. Ich glaube, dass es den Telekommunikationsdienstleistern nicht zu viel abverlangt, wenn man die Übergangsfrist durchaus auf 12 Monate reduziert. Das ermöglicht auch die entsprechenden Anpassungen. Auch diese Änderung sollten wir uns jetzt im Gesetzgebungsverfahren wohl überlegen. In diesem Sinne besteht überhaupt kein Grund, jetzt gegen diesen Gesetzentwurf zu hetzen und ihn als überdimensioniert darzustellen. Aus meiner Sicht ist das – anknüpfend an das, was wir in den letzten Monaten ohnehin schon getan haben – eine maßvolle, aber notwendige Ergänzung der gesetzlichen Grundlage für die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden. In diesem Sinne freue ich mich auf eine zwar zügige, aber auch – das möchte ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit dazusagen – gründliche und seriöse Beratung im parlamentarischen Verfahren. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Ströbele erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister und auch Herr Grötsch, ich will das Selbstverständliche vorwegsagen: Niemand hier im Raum und, ich glaube, niemand in Deutschland will, dass ein Anschlag deshalb nicht verhindert werden kann, weil ein Datenaustausch nicht möglich ist, obwohl Daten vorliegen, mit denen man ihn möglicherweise verhindern könnte. Grundsätzlich ist es ja richtig, sich immer wieder zu überlegen: Wie kann man den Datenaustausch organisieren, auch mit dem Ausland? Wir haben da anlässlich des Versagens im Zusammenhang mit den Anschlägen in Paris und Brüssel natürlich Grund, darüber nachzudenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Aber wenn wir das tun, dann müssen wir doch eine Regelung schaffen, die innerhalb der Grenzen unseres Grundgesetzes funktioniert und die die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in vollem Umfange erfüllt. Wir können nicht einfach „Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ obendrüber schreiben, und dann kommt der Begriff „internationaler Terrorismus“ in dem ganzen Gesetzeswerk überhaupt nicht mehr vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) So geht es nicht. Herr Minister, an dieser Stelle will ich Ihnen noch etwas mit auf den Weg geben: Es geziemt sich nicht für einen Verfassungsminister, das Bundesverfassungsgericht, wie es nach der Entscheidung vom April geschehen ist, in der Weise anzugehen, ihm zu unterstellen, es habe nicht in ausreichendem Maße den Kampf gegen den internationalen Terrorismus im Blick. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hat er doch gar nicht! – Gegenrufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch, hat er!) Das gehört sich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!) Hier in diesem Gesetz, mit dem Sie jetzt eine gemeinsame Datei mit ausländischen Partnern in der EU und in der NATO auf den Weg bringen, fehlt die Definition, in welchen Fällen und wie eingeschränkt dieser Austausch in den anzulegenden Dateien stattfinden soll. Ich habe darauf hingewiesen: Der Begriff „internationaler Terrorismus“ fehlt im Gesetzeswerk. – Nun sagen Sie vielleicht: Er gehört nicht in das Gesetzeswerk. – Aber schauen Sie doch mal ins Grundgesetz! In Artikel 73 Absatz 9a des Grundgesetzes steht genau so etwas drin: dass die Bundespolizei zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus eingesetzt werden kann. Warum übernehmen Sie so etwas nicht in Ihr Gesetzeswerk? Dann könnten Sie sich den Vorwurf ersparen, dass wir hier ein Gesetz beschließen sollen, das uferlos ist und eine Datensammlung weit über diesen Zweck hinaus zulässt. Denn im Gesetzentwurf selber findet sich keinerlei Einschränkung, keinerlei Einhegung, sondern danach ist es zulässig, eine solche Datei einzurichten, wenn „die Erforschung von erheblichem Sicherheitsinteresse für die Bundesrepublik Deutschland“ ist. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) Was ist sind „erhebliche Sicherheitsinteressen“? Das wird nicht näher definiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie verlangen in dem Gesetzentwurf – das ist auch löblich –, dass eine solche gemeinsame Datei nur mit verlässlichen Partnern eingerichtet wird. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist das?) Das ist ja nett; aber was sind „verlässliche Partner“? Wir haben gelernt – diese Erfahrung berücksichtigen Sie in diesem Gesetzentwurf überhaupt nicht –, dass leider auch die USA keine verlässlichen Partner sind, auch Großbritannien kein verlässlicher Partner ist, sondern sie entgegen ihren Zusicherungen in Verträgen deutsches Recht brechen und Daten zweckentfremdend nutzen, die ihnen im Sicherheitsbereich übergeben worden sind. Das müssen Sie doch berücksichtigen. Sie können doch nicht so tun, als wenn da nichts gewesen wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Selbst der Europäische Gerichtshof hat das bereits zum Gegenstand einer Entscheidung gemacht und hat gesagt: Deshalb dürfen Daten nicht so ohne Weiteres an die USA weitergegeben werden. Sie verlangen eine verlässliche schriftliche Vereinbarung. Ja, aber Sie müssen auch das tun, was das Bundesverfassungsgericht erstmalig in die Entscheidung hineingeschrieben hat. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Die Vereinbarung muss auch überprüft werden. Sie haben die Verpflichtung – und das gehört in das Gesetz –, zu überprüfen, ob die Vereinbarung verlässlich ist, ob die Zweckbindung wirklich eingehalten wird oder ob die Daten nicht vielleicht doch – wie das beispielsweise im Drohnenkrieg der Fall ist oder bei anderer Gelegenheit – für ganz andere Zwecke genutzt werden. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Sie müssen hinfahren. Sie müssen alle paar Jahre nachsehen, ob eine solche Zusicherung überhaupt noch Gültigkeit hat. So verlangt es das Bundesverfassungsgericht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie berücksichtigen nicht – davon steht im Gesetzentwurf nichts –, wer eigentlich kontrollieren soll. Welche Stelle ist zuständig für die Kontrolle, dass die Daten nicht zweckentfremdend gebraucht werden? Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Ströbele, Sie berücksichtigen bitte die Redezeit. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Datenschutzbeauftragte weiß ein Lied davon zu singen, dass der Versuch, den Datenaustausch mit den USA zu kontrollieren, beispielsweise in Bad Aibling, mit ungeheuren Schwierigkeiten verbunden war. In bestimmten Bereichen konnte eine Überprüfung überhaupt nicht stattfinden. Sie wurde ganz einfach verweigert, weil die USA das nicht machen wollen und weil der BND das auch nicht zulässt. Sie müssen eine entsprechende Regelung ins Gesetz schreiben, dass der Datenschutzbeauftragte in Deutschland für die Kontrolle zuständig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich sage abschließend: So geht es nicht. Ein besserer Datenaustausch mit ausländischen Behörden ja, aber nur eingehegt auf den Bereich des internationalen Terrorismus, und zwar explizit, selbstverständlich rechtsstaatlich eingegrenzt und – ganz wichtig – unabhängig kontrolliert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie haben, Herr Kollege Ströbele, hoffentlich den üppigen Geburtstagszuschlag zu Ihrer Redezeit registriert, (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren wahrscheinlich 7,7 Minuten!) den ich anderen jetzt nicht in Aussicht stellen kann. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Mittag für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Susanne Mittag (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kleiner Themenschwenk: Wir alle haben noch die Bilder von den 71 Menschen im Kopf, die hilflos in einem alten Kühllaster in Österreich erstickt sind. Oder ist das schon zu lange her? Das waren nicht die ersten Opfer krimineller Schleuser, und es werden wahrscheinlich leider auch nicht die letzten sein. Schleuser nutzen die Not von Menschen aus. Sie versprechen ihnen eine sichere Reise mit Ankunft – der Ankunft wird sich angeblich noch vorher vergewissert – in der Europäischen Union und kassieren sie gnadenlos ab. Dass 3 000, 4 000 Euro oder 10 000 Euro, für ganze Familien bis zu 90 000 Euro gezahlt werden, ist keine Seltenheit. Von Menschen, die in ihrer Heimat alles hinter sich gelassen haben, oftmals nur ihr Leben retten konnten, werden solche Summen verlangt. Die Schleusungen sind in Streckenabschnitte aufgeteilt. Sie sind dort organisiert. Die Menschen gehen sozusagen von Hand zu Hand. Diese Erkenntnisse dürfen wir nicht tatenlos hinnehmen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Wir reden hier über ein Gesetz zur Terrorismusbekämpfung!) – Ganz entspannt. Wir müssen endlich in ganz Europa eine vernünftige Kontingentlösung für Flüchtlinge aus Kriegen und Versklavung finden. Das kann ja wohl nur zur Zustimmung führen. Wir müssen sichere Fluchtwege schaffen, um die Menschen nicht in den Händen von kriminellen Schleusern landen zu lassen. Ich bin Frank-Walter Steinmeier sehr dankbar, dass er in Verhandlungen steht, damit die Menschen in ihren Herkunftsländern noch auskömmliche Bedingungen vorfinden, dass sie dort überhaupt leben können und nicht flüchten müssen. Wir müssen aber auch bei den Kriminellen selbst ansetzen, und das – jetzt sind wir beim Thema – bewirkt der vorliegende Gesetzentwurf. Er sieht nämlich vor, dass die Bundespolizei, die innerhalb der Ermittlungsbehörden für die Bekämpfung der Schleuserkriminalität zuständig ist, endlich auch verdeckte Ermittler einsetzen darf. Das ist gut so und überfällig; denn in diesem Bereich sind internationale kriminelle Netzwerke aktiv, die bis in unser Land reichen und vollkommen abgeschottet arbeiten. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für 2015 unter der Rubrik „Einschleusen von Ausländern“ immerhin schon ungefähr 11 800 Verfahren auf. Das ist nicht gerade wenig. Nur wenn wir der Bundespolizei die Möglichkeit geben, Beamte in diesem Bereich verdeckt einzusetzen, kann es gelingen, solche Netzwerke zu erkennen und Täter zu ermitteln. Das BKA und auch viele Landespolizeien setzen verdeckte Ermittler ein – nicht häufig, aber mit Erfolg. Diesen Erfolg wünsche ich mir auch für die Ermittlungen gegen die Schleuser. Im November vergangenen Jahres hat die Bundespolizei bei einer Razzia mit fast 600 Beamten in drei Bundesländern 15 Festnahmen durchgeführt. Bei den Durchsuchungen wurde deutlich, wie gefährlich diese Gruppierungen sind. Es wurden unter anderem Macheten, Schwerter, Kampfmesser, Munition für Handfeuerwaffen und 5 Kilogramm Sprengstoff sichergestellt. Das ist eine Sammlung von Waffen, die nachdenklich stimmen kann. Ich denke, sie verdeutlicht die Gewaltbereitschaft dieser Kriminellen. Deswegen ist es beim Einsatz von verdeckten Ermittlern unverzichtbar, dass diese zur Eigensicherung auch in Wohnungen von Tatverdächtigen mit technischen Mitteln abhören und aufzeichnen dürfen. Ja, damit wird der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und damit ein Grundrecht berührt. Deshalb sind die Aufnahmen unverzüglich zu unterbrechen, sobald dies ohne Gefährdung des verdeckten Ermittlers möglich ist. Es gilt also der Grundsatz: So viel und so lange, wie für den Schutz des Ermittlers nötig, aber so wenige Daten wie möglich. Die Maßnahmen werden im Normalfall von der Spitze der Bundespolizei, also dem Präsidenten oder einem Stellvertreter angeordnet. Nur bei Gefahr im Verzug können Beamte des höheren Dienstes der Bundespolizei eine Anordnung aussprechen, die dann unverzüglich von einem Gericht bestätigt werden muss. Das ist also kein einfaches Verfahren. Wir werden in den Ausschussberatungen und der Anhörung sicher darauf zu sprechen kommen, welche Delikte und Sachverhalte diesen weitreichenden Eingriff rechtfertigen. Aber wir sind es den Bundespolizisten schuldig – ich denke, da können wir uns einig sein –, dass wir alles möglich machen, um sie bei diesem gefährlichen Einsatz zu schützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mein Kollege Uli Grötsch hat schon einiges zu den Prepaidkarten gesagt. Es ist wirklich ein schlechter Scherz, dass seitens des Innenministeriums dieses Problem erst jetzt geregelt wird. Wir hatten gehofft, dass das schon eher geregelt wird. Mein Kollege Gerold Reichenbach mahnt diesen Regelungsbedarf schon seit Jahren an. Er hat das immer wieder erwähnt. Trotzdem ist es schön, dass das jetzt passiert. Kriminelle aller Schattierungen versorgen sich nämlich in Deutschland mit SIM-Karten und müssen sich dabei nicht einmal richtig ausweisen. Dass Comicnamen zur Anmeldung genutzt werden, hat der Innenminister ja schon zur Genüge dargelegt. Darauf brauche ich nicht extra einzugehen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das müssen wir schnell noch machen, bevor es verboten wird!) Für den Verkäufer und den Käufer könnten die neuen Regelungen eventuell etwas unbequemer sein – das Gesetz sieht ja lange Umsetzungsfristen vor; es wurde schon vorgeschlagen, sie zu verkürzen –, aber das kann hier weiß Gott nicht der Maßstab sein. Kriminelle und Terroristen arbeiten nämlich ähnlich, und der Terrorismus finanziert sich unter anderem durch organisierte Kriminalität, auch in Deutschland. Die Bürgerinnen und Bürger haben großes Verständnis für kleinere Unbequemlichkeiten, wenn sie zu einem Mehr an Sicherheit führen. Viele wünschen sich ein größeres Maß an Sicherheit. Sie fühlen sich von Kriminalität und Terror bedroht und sind verunsichert. Das subjektive Gefühl der Menschen sollte auch zählen. Wir als Politik müssen die Ängste ernst nehmen und uns damit auseinandersetzen. Wir müssen die reale Faktenlage beurteilen, sei es bei Terror oder Kriminalität, unsere Schlüsse daraus ziehen und Entscheidungen fällen. Sicher sein und sicher fühlen – das muss der Maßstab für die Politik sein. Wir wollen vor der Verschlimmerung der Lage agieren und nicht später verpassten Chancen für mehr Sicherheit und Ermittlungsmöglichkeiten nachtrauern. Deswegen denke ich, dass der heute eingebrachte Gesetzentwurf ein guter Schritt in die richtige Richtung ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Clemens Binninger erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Clemens Binninger (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn meines Beitrages auf die Kritik von Herrn Ströbele am Bundesinnenminister eingehen, worin er ihm vorgehalten hat, dass er das Bundesverfassungsgericht in unzulässiger Weise kritisiert habe, weil es in seinem Urteil dem Ziel der Terrorabwehr nicht gerecht werde. Es war auch die Rede davon, dass das Urteil zum BKA-Gesetz verfassungsrechtlich überzogen sei und dass es Probleme bereiten werde, die Anforderungen in der Praxis umzusetzen, auch davon, dass es nicht in allen Aspekten dem Ziel einer Terrorabwehr gerecht werde. Ja, davon war die Rede. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber nicht vom Innenminister! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil er verloren hat, war er beleidigt!) Allerdings stammen diese Sätze von den beiden Richtern des Senates, die anderer Auffassung als die Mehrheit des Senates waren. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so! Er hat es nicht gelobt!) Diese Sätze stammen von zwei Verfassungsrichtern; Sie können sie nicht dem Minister vorhalten, wenn er sie sich zu eigen macht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat also nur aus dem Urteil zitiert, Herr Binninger! Jetzt verstehe ich das!) Da empfehle ich dann, das Urteil ganz zu lesen, auch die abweichenden Voten, und nicht nur das zu lesen, was einem gefällt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Natürlich zählt die Mehrheit. Aber wenn Richter dieses Senates diese Auffassung haben, dann darf, so glaube ich, ein Minister darauf auch hinweisen. Das ist meines Erachtens in Ordnung. (Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir reden aber heute über ein Gesetz, das wir brauchen, weil die Bedrohungslage durch den Terror ernster denn je ist. Die Zahlen machen es deutlich: 500 Gefährder alleine aus Deutschland, mehrere Tausend aus Europa. Wenn wir uns die Anschlagsplanungen oder die leider realisierten Anschläge der letzten Monate anschauen – Istanbul, Paris, Brüssel, die Pläne hier für Berlin, jetzt die Pläne für Düsseldorf –, so ist eines fast immer festzustellen, nämlich, dass ein Teil der Täter schon irgendwo in Europa bekannt war. Es gab schon Erkenntnisse über diese Leute; aber die Erkenntnisse sind nicht zusammengeflossen. Deshalb ist es meiner Meinung nach dringender denn je notwendig, dass wir alles dafür tun, damit wir wissen: Wo sind Terrorverdächtige? Wo halten sie sich auf? Wohin reisen sie? Wohin fliegen sie? Mit wem telefonieren sie? Wohin fließt das Geld? Genau das haben wir mit dem, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, getan, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) und wir ergänzen es jetzt dort, wo es noch Lücken gibt, weil wir nur so wirksam gegen den internationalen Terror vorgehen können. Darauf zu verzichten, wäre mehr als fahrlässig, und dafür stehen wir und diese Regierung nicht zur Verfügung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber nicht im Gesetz!) Jetzt zu den zwei Punkten, die mir wichtig sind, die im Gesetzentwurf stehen und auf die ich abheben will. Natürlich funktioniert dieser Zusammenfluss an Informationen nur, wenn sich Nachrichtendienste in Europa austauschen dürfen, in einem klar geregelten Rahmen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So klar ist der aber nicht!) Wir müssen doch wissen, welche Erkenntnisse die belgischen Sicherheitsbehörden haben, und sie müssen es von uns genauso wissen. Düsseldorf und Brüssel sind auch nicht so weit auseinander. Wir müssen wissen, wenn Attentäter, die in Paris aufgefallen sind, hier viermal gemeldet waren. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles unstrittig!) Dies zusammenzuführen, solche Erkenntnisse in gemeinsamen Dateien zusammenzuführen, halte ich für mehr als notwendig, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bestreitet niemand!) und anders, als heute Morgen dauernd behauptet wird, sind diese Dinge in diesem Gesetzentwurf – § 22b Bundesverfassungsschutzgesetz – klar geregelt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht!) Sie mögen darüber streiten, wie Sie ihn verstanden wissen wollen; aber geregelt ist es, nach klaren rechtsstaatlichen Prinzipien. Die Voraussetzungen müssen vorliegen, sonst sind diese Dateien nicht notwendig. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht einmal der Minister kann abschließend sagen, mit wem und mit wem nicht!) Diese Dateien sind wichtig, weil wir sonst vieles nicht erfahren. Wenn es gelingt, was wir alle nicht hoffen, dass sich einmal eine Anschlagsgefahr hier in Deutschland realisiert, wird das verheerende Wirkungen auf die Sicherheitslage haben. Darum tun wir alles, um das zu verhindern, und die gemeinsamen Dateien sind ein wichtiger Punkt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht im Gesetz etwas von Terrorismus?) – Es sind die Gefahren beschrieben, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) und Sie werden ja nicht ernsthaft abstreiten wollen, Kollege Ströbele, dass Bombenanschläge, auch wenn sie vielleicht nicht unmittelbar terroristisch motiviert sein mögen, trotzdem erhebliche Gefahren darstellen (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Gefahr!) und dass die Vorbereitung eines Bombenattentats doch ein so relevantes Ereignis ist, dass wir nicht darauf verzichten können, Informationen über Tatverdächtige zu bekommen. Es kann doch niemand ernsthaft erwarten, dass wir bei Planungen solcher Ereignisse wegsehen. Wir tun es nicht mehr; deshalb schaffen wir diese gemeinsamen Dateien – völlig zu Recht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schreiben es aber nicht rein!) Der zweite Punkt, der mir wichtig ist, weil hier meines Erachtens eine Lücke geschlossen wird, geht über das Thema Terrorismusbekämpfung hinaus und betrifft – zu Recht – auch die sonstige Kriminalität: Wir machen die Erfahrung – auch in den Untersuchungsausschüssen und gerade bei dem zu NSU –, dass für die Kommunikation unter den NSU-Terroristen Prepaidhandys eingesetzt werden. Wenn die Ermittler dann nachfragen, auf wen dieses Prepaidhandy zugelassen ist, kommt zwar nicht Donald Duck heraus, aber irgendeine Adresse, die es nicht gibt. Man würde ja schon gerne wissen: Mit wem hatte Beate Zschäpe nach dem 4. November noch Kontakt? Es gibt eine SMS an sie nach dem 4. November mit einer Adresse in Stuttgart. Nur existiert sie nicht, weil derjenige, der damals das Handy gekauft hat, eine falsche Adresse und einen falschen Namen angegeben hat (Zuruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und dies nicht überprüft wurde. Genau das verlangen wir jetzt: Zukünftig müssen diese Daten anhand des Personalausweises oder ähnlicher Papiere überprüft werden. Das ist mehr als überfällig, und Kollege Reichenbach, der schon lange dafür geworben hat, kann sich jetzt auch durch die Umsetzung bestätigt fühlen. Darauf zu verzichten, wäre wirklich Unfug. Das machen wir nicht. Deshalb regeln wir das jetzt an dieser Stelle. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gestatten Sie mir noch kurz einen Blick auf die Politik der Grünen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Mit denen regieren Sie ja in Baden-Württemberg!) Wo wären wir in diesem Land mit unseren Sicherheitsbehörden, wenn Sie allein – dieser Fall wird nicht eintreten; das ist hypothetisch – das Sagen hätten? Ich will es an drei Beispielen deutlich machen. Als wir 2014 die Antiterrordatei im zweiten Anlauf nach den Vorgaben von Karlsruhe neu konzipiert haben – dabei geht es um den Zusammenfluss von Informationen von Polizei und Verfassungsschutz in Deutschland –, waren Sie dagegen. Jedoch waren alle hochzufrieden damit. Keiner würde sie missen wollen. Wenn es aber nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir bis heute keine Antiterrordatei. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Furchtbar!) Als wir die Terrorismusbekämpfungsgesetze – sie stammen aus rot-grüner Zeit – verlängert haben, weil sie Ende des Jahres 2015 ausgelaufen wären – durch diese Gesetze erlauben wir den Nachrichtendiensten, bei Terrorverdächtigen Informationen über ihre Reisebewegungen, über die Bankbewegungen und die Telefondaten einzuholen –, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber strenger kontrolliert!) waren Sie was? Sie waren dagegen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir Änderungen eingefordert haben! Herr Binninger, so undifferenziert sind Sie doch sonst nicht!) Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir diese Gesetze heute nicht mehr. Das müssen Sie sich anhören. Man kann nicht immer dagegen sein und sich hier einen schlanken Fuß machen. Man muss sich auch einmal vorhalten lassen, wo wir dann in diesem Land wären. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das dritte Beispiel. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Binninger, darf der Kollege Ströbele Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Clemens Binninger (CDU/CSU): Ja. Dann habe ich noch eine Sekunde Redezeit. Das reicht für mein drittes Beispiel. Jetzt wird die Uhr ja angehalten. – Sie dürfen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Ströbele, bitte. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Binninger, ich weiß, dass ich nicht schon wieder darauf drängen sollte, aber ich stelle die Frage trotzdem; denn es stimmt einfach nicht. Es ist in der Tat so, dass wir – auch unter Schmerzen – Antiterrorgesetze in rot-grünen Zeiten geboren haben, aber sehr restriktiv und mit erheblichen Einschränkungen. Wir haben danach bei der Verlängerung nicht zugestimmt, weil Sie diese Restriktionen weitgehend gestrichen haben. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es!) Sollen wir Ihnen das hier im Einzelnen darlegen? Das war der Grund, warum wir das gemacht haben. Sie konnten es nicht lassen, rechtsstaatliche Garantien abzubauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen auch noch das beste Gesetz verfassungswidrig, Herr Binninger! – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Wo war die Frage?) Clemens Binninger (CDU/CSU): Bei den Terrorismusbekämpfungsgesetzen war das sicher nicht der Fall. Fakt ist: Sie haben diesem Gesetzentwurf nicht zugestimmt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie es unzulässig ausgeweitet haben! Sie müssen die Geschichte komplett erzählen!) Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wären die Gesetze Ende 2015 ausgelaufen und die Nachrichtendienste hätten ein wichtiges Instrument nicht mehr gehabt. Sie hätten auch keine Antiterrordatei gehabt. Das dritte Beispiel – ich habe noch eine Sekunde Redezeit, die der Präsident hoffentlich etwas verlängert –: Uns allen war klar, dass wir die Reisebewegungen von IS-Kämpfern von Deutschland in Krisengebiete verhindern müssen. Daher haben wir die Möglichkeit geschaffen, Personalausweise von IS-Kämpfern einzuziehen. Das wird von der Bundespolizei auch angewandt, und zwar erfolgreich. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird aber gar nicht kontrolliert!) Wer war dagegen? Die Grünen waren dagegen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Pässe sind denn eingezogen worden, Herr Binninger?) Hätten wir nach Ihrem Willen gehandelt, hätten wir auch diese Möglichkeit nicht. Die Dienste hätten weniger Befugnisse. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Personalausweise wurden eingezogen?) Wir hätten keine gemeinsame Datei, und IS-Terroristen könnten nach wie vor ungehindert durch Europa reisen. Das wäre das Ergebnis Ihrer Politik gewesen. Das müssen Sie sich heute schon vorhalten lassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb glaube ich, dass wir mit einer Reihe von Bausteinen – über diese kann man politisch streiten und über manche auch rechtlich – in dieser Großen Koalition viel zur Sicherheit beigetragen haben. Ich will auch sagen: Vieles wäre mit anderen Koalitionspartnern so nicht möglich gewesen. Darum einen herzlichen Dank an die SPD. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Frank Tempel [DIE LINKE]: Mit uns nicht!) – Das stimmt auch. – Hier haben wir einen guten Beitrag für die Sicherheit unseres Landes geleistet. Deshalb kann man diesem Gesetzentwurf nur zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Frank Tempel [DIE LINKE]: Da haben Sie recht, Herr Binninger! Mit uns wäre der Blödsinn nicht machbar!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Karl-Heinz Brunner ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren Gäste auf den Zuschauertribünen! Den Dank kann ich insoweit zurückgeben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!) Damit haben wir den Austausch von Höflichkeiten heute fürs Erste erledigt. Die Terroranschläge in Paris, in Brüssel, in Istanbul und Tel Aviv, um nur einige zu nennen, verändern schlagartig das Verhältnis zur Sicherheit, und zwar bei jedem individuell. Jeder will sicher sein. Jeder will sicher sein individuelles Leben führen – ein Leben ohne Angst, ein Leben in Freiheit, und zwar in der Freiheit, der, wenn wir es genau nehmen, die Anschläge gelten und die uns die Terroristen nehmen wollen. Der Herr Präsident hat heute Morgen, wofür ich mich herzlich bedanke, die Freiheit angesprochen: die Freiheit der Abgeordneten dieses Hauses, des Hohen Hauses, das die Freiheit hat, seine Entscheidungen frei zu treffen. Aber die gleiche individuelle Freiheit ist es, die die Terroristen den Menschen in der Europäischen Union und in Deutschland nehmen wollen. Deshalb würde ich den Entwurf eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus eigentlich gerne – das ist der einzige Punkt, in dem ich mit dem Kollegen Ströbele einer Meinung bin – mit Entwurf eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens überschreiben; denn es geht um die Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Terroristen sind nichts anderes als Verbrecher, deren Taten geahndet und die mit der Härte des Gesetzes entsprechend bestraft werden müssen. Ich möchte den Blick auf einen weiteren Aspekt, auf den es auch ankommt, richten, nämlich auf den Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit. Es ist notwendig, beides zu stärken, und beides gilt es zu bewahren. Gerade angesichts dieses Spannungsfeldes ist es verständlich, wenn nicht sofort, quasi aus der Hüfte geschossen, wie es in Talkshows ja gern geschieht, ein abgewogener, sicherheitspolitisch notwendiger, rechtspolitisch sauberer und gesellschaftspolitisch ausgewogener Vorschlag auf den Tisch gelegt wird. Der heutige Gesetzentwurf bzw. das Paket, das heute vorliegt, hält diesen Anforderungen nach meiner Auffassung sehr wohl stand. Dieser Gesetzentwurf erklärt, dieser Gesetzentwurf regelt, und dieser Gesetzentwurf beinhaltet vernünftige, abgewogene Vorschläge. Niemand, verehrte Kolleginnen und Kollegen, kann verstehen, dass Anschläge auf wehrlose Menschen schon allein deshalb nicht aufgeklärt, geschweige denn verhindert werden können, weil unterschiedliche Behörden und Dienste ihre Informationen untereinander nicht abgleichen, sie nicht verknüpfen und nicht auswerten. Gerade um dies zu ermöglichen und gleichzeitig unsere Freiheitsrechte und unsere Rechte insgesamt zu schützen, bedarf es klarer Regeln, quasi eines Korridors. Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch ganz klar sagen: Nicht alles, was technisch machbar ist, und nicht alles, was aus Sicht der Dienste schön wäre und in manchen Talkshows gewünscht wird, kann sich in diesem Gesetzentwurf wiederfinden. Es findet sich darin auch nicht wieder, dies schon allein deshalb nicht, weil nicht alle Mittel durch den Zweck geheiligt werden. Mit der Schaffung der Counter Terrorism Group und der Rechtsgrundlagen für die gemeinsame Datennutzung von EU und NATO – daran beteiligen sich im Übrigen auch das norwegische Königreich und die Schweizer Eidgenossenschaft – ist eine leistungsfähige Plattform geschaffen, eine Plattform, mit der parallel zum Schließen von Strafbarkeitslücken die Befugnisse der Bundespolizei zu Recht und mit Augenmaß ergänzt und Regelungslücken, zum Beispiel im Hinblick auf Prepaidhandys, geschlossen werden. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn ich in meinem Wahlkreis bin, gehe ich regelmäßig auf den Wochenmarkt. Wenn ich mich dort mit Menschen unterhalte und ihnen sage, dass es Terroristen bzw. Verbrechern nach derzeitiger Gesetzeslage freigestellt ist, ob sie mit ihrem Handy ermittelt werden oder nicht, fragen sich viele: Wieso schließe ich dann überhaupt einen Vertrag bei T-Mobile, Vodafone oder einem anderen Anbieter ab, wenn ich selbst darüber entscheide? Nein, es gilt: Es darf auch hier keinen rechtsfreien und schon gar keinen rechtlosen Raum in unserem Land geben. Er wird mit diesem Gesetz geschlossen. (Beifall bei der SPD) Ich begrüße das nunmehr erzielte Ergebnis ganz ausdrücklich. Ich begrüße es auch deshalb, weil sich der Einsatz auch und gerade der beiden Minister de Maizière und Maas gelohnt hat. Sie haben das Notwendige getan, ohne dabei über das Ziel hinauszuschießen, und gleichzeitig die individuellen Freiheitsrechte des Einzelnen erhalten. Der heutige Gesetzentwurf ergänzt die bereits seit 2007 und 2014 bestehenden Antiterrorgesetze sehr maßvoll und fügt sich in die Sicherheitsstruktur Europas ein. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit vertieft auf das Wort „Europa“ eingehen. Europa ist hier gefragt, und unsere Gemeinschaft ist hier gefragt. Wer Europa in diesen Tagen seine Existenzberechtigung und seine Notwendigkeit absprechen will, gerade der wird sehen, dass nur durch die Zusammenarbeit innerhalb Europas – der europäischen Dienste, der europäischen Innenminister und der europäischen Sicherheitsorgane – die Sicherheit, die wir in Europa benötigen, geschaffen werden kann. Auch hier gilt also: Wir brauchen mehr und nicht weniger Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dieser Gesetzentwurf verdeutlicht gleichzeitig den hohen Stellenwert unserer Individualrechte. Er schafft Möglichkeiten zur Terrorismusabwehr, und er schafft Möglichkeiten, uns auf den neuesten technischen Stand zu bringen, uns dort zu halten und auf neue Gefährdungslagen mit neuen Instrumentarien zu reagieren. Dies ist sinnvoll, gute Politik und auch notwendig; denn nur so kann der Staat, der Garant für Freiheit und Sicherheit, den größtmöglichen Schutz der Bürger generieren und grundgesetzlich geschützte Rechte wahren. Sicherheit und Freiheit sind zwei Seiten einer Medaille. Keine kommt ohne die andere aus – wie bei einer Münze. Keine macht ohne die andere Sinn. Das richtige Mittelmaß zu finden, das ist unsere Pflicht. Ich freue mich auf die Beratungen, die sicherlich ein gutes Ergebnis finden werden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wolfgang Bosbach ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Endlich! Setzt den Helm auf! Jetzt kommt scharfes Geschütz!) Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich brauche den Inhalt des Gesetzentwurfes nicht noch einmal in aller Ausführlichkeit zu schildern; denn das ist jetzt schon über eine Stunde lang geschehen. Ich möchte mich nur in aller Ruhe und Gelassenheit mit wenigen Gegenargumenten auseinandersetzen. Ich merke ja auch selber, dass man mit zunehmendem Alter ruhiger wird, auch wenn es, Herr Kollege Ströbele, Ausnahmen gibt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist doch ganz ruhig!) Ich versuche es einmal betont sachlich. „Erhebliche Sicherheitsinteressen“ ist angeblich ein uferloser Begriff, den wir unbedingt näher konkretisieren müssten. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Der Begriff ist nicht uferlos, und er ist Bestandteil des geltenden Rechtes, also nicht des Rechtes, das durch diesen Gesetzentwurf jetzt geschaffen werden soll; denn er steht schon im Bundesverfassungsschutzgesetz, nämlich in § 19 Absatz 3. Deswegen kann es nicht um die Allgemeinkriminalität, die Alltagskriminalität, gehen, vielmehr geht es um Gefahren, die dem Staat und der Gesellschaft drohen, um Kapitalverbrechen, um schwere Straftaten, die ausgeübt werden, um Staat und Gesellschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern. Das ist mit dieser Formulierung gemeint. Sie sagen jetzt, wir dürften in der Rechtsprechung zukünftig keine unbestimmten Rechtsbegriffe mehr benutzen. Dann könnten wir die Rechtsetzung hier im Deutschen Bundestag sofort einstellen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Genau!) Es geht in der Juristerei nicht ohne unbestimmte Rechtsbegriffe, die dann konkretisiert werden – (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht!) durch die Literatur und die Rechtsprechung. Herr Kollege Tempel, Ihre Formulierung, dass wir diesen Gesetzentwurf unter dem „Deckmantel der Terrorbekämpfung“ beschließen, war übel. Ich hoffe, sie ist Ihnen nur so herausgerutscht. „Unter dem Deckmantel“: Das heißt nichts anderes, als dass wir nur so tun, als gäbe es terroristische Gefahren, die es Ihrer Meinung nach in Wirklichkeit gar nicht gibt. Im Kern ginge es uns um die Ausforschung von Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben heute eine völlig neue Sicherheitslage, die sich fundamental von der Sicherheitslage zur Zeit des Kalten Krieges unterscheidet. Wir haben auch eine völlig andere Sicherheitslage als zur Zeit des RAF-Terrors. Über 100 Bürgerinnen und Bürger aus Deutschland sind in den letzten 15 Jahren, seit dem 11. September 2001, Opfer terroristischer Straftaten geworden, und es ist nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht, im Interesse unseres Landes, im Interesse von über 80 Millionen Menschen, erkennbare Schutzlücken, die wir haben, zu schließen, um Deutschland so gut wie möglich vor den terroristischen Gefahren zu schützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr umstritten!) Ich komme zum Austausch mit anderen Staaten. Wenn sich der Terror international vernetzt, dann muss sich auch die Terrorabwehr international vernetzen. Frau Kollegin Mihalic, Sie haben vorhin gesagt, der Gesetzentwurf sei mit heißer Nadel gestrickt. Das werfe ich Ihnen nicht vor, und ich kann es Ihnen auch nicht vorhalten. Ich war bei der Beratung der Antiterrorgesetze damals aber schon dabei – und der Kollege Ströbele auch. Wenn dieser Gesetzentwurf mit heißer Nadel gestrickt ist: Was waren dann die beiden Otto-Kataloge, die Antiterrorgesetze, riesige Gesetzespakete, die in großer Eile im Deutschen Bundestag beraten und beschlossen worden sind? Das Glück von Rot-Grün war damals, dass die Union in der Opposition konstruktiv und nicht destruktiv war. Auf die Union konnte sich Otto Schily bei der Terrorbekämpfung immer verlassen, (Beifall bei der CDU/CSU) und es wäre gut, wenn wir uns auf Sie auch so verlassen könnten. Es ist immer schmerzhaft – ich kann die Kritik dann auch verstehen –, wenn in Karlsruhe ein Gesetz ganz oder teilweise gestoppt wird. Das gilt leider auch für das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz, ohne dass Sie damals irgendwelche Kritik oder Häme von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gehört haben. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren ja auch dafür!) Das, was Karlsruhe entschieden hat, gilt übrigens nicht nur für das BKA-Gesetz, sondern für sämtliche 16 Polizeigesetze der Bundesländer, einschließlich aller Bundesländer, die rot-grün regiert werden. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, dass in diesen Bundesländern in den letzten Wochen Anstrengungen unternommen worden sind, die Landespolizeigesetze nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum BKA-Gesetz des Bundes zu ändern. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das BKA-Gesetz ist etwas weitreichender!) Prepaidkarten und Donald Duck. Die Sache mit Donald Duck ist ein prägnantes Beispiel, das es wirklich gegeben hat; der Kollege Binninger hat auf andere Fantasienamen hingewiesen. Ich nehme ein anderes Beispiel, das viel schlimmer ist. Jemand schaut ins Telefonbuch, greift sich irgendeinen Namen und eine Anschrift heraus und kauft sich unter diesem Namen eine Prepaidkarte. Anschließend wird dieser völlig unbescholtene Bürger, dessen Name genutzt wurde und den es tatsächlich gibt, von Ermittlungsmaßnahmen überzogen. Zum Schutz der unbescholtenen und der unverdächtigen Bürgerinnen und Bürger ist es dringend notwendig, dass wir diese Regelung beim Ankauf von Prepaidkarten treffen. Der redliche Bürger kann sich doch nicht ernsthaft beklagen, dass er beim Kauf seine Daten angeben muss. Es geht schließlich nur um die Anschrift und den Namen. Ich halte es aber für völlig richtig, die Frist von 18 Monaten, die der Gefahrenabwehr dient, zu verkürzen. Zwölf Monate sind dafür ein angemessener Zeitraum. Deswegen hoffe ich, dass wir diese Regelung im Gesetzgebungsverfahren korrigieren können. Letzte Bemerkung. Eine große Rolle hat in dieser Debatte der Austausch mit anderen Staaten gespielt. Dabei ist das Beispiel USA genannt worden; (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) ein legitimes Beispiel. Aber jetzt einmal aufpassen: Do ut des. Auch wir sind darauf angewiesen, dass wir von anderen Staaten Informationen bekommen, die wir zur Abwehr schwerer Gefahren für unser Land brauchen. Jetzt möchte ich gerne einen grünen Innenminister erleben, der sagt: Mir werden aus dem arabischen Raum oder was weiß ich, woher, Informationen angeboten, aber dieses Land ist nicht so demokratisch organisiert und regiert wie die Bundesrepublik Deutschland. Meine Antwort auf dieses Angebot lautet: Nein, diese Informationen könnt ihr ruhig behalten. Werdet doch erst einmal zu einer Demokratie nach unserem Vorbild. Dann könnt ihr uns die Informationen gerne geben, und dann werden wir die Terroristen dingfest machen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat keiner gesagt! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das gesagt?) – Ich sage das. – Glauben Sie denn ernsthaft, wir bekämen von anderen Staaten sicherheitsrelevante Informationen, wenn (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir denen nichts geben!) wir nicht unsererseits bereit wären, (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da liegt doch der Hase im Pfeffer!) unsere Informationen mit anderen Partnern unter Wahrung der Standards, die genannt worden sind, zu teilen? (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was die dann mit den Daten machen, das können Sie nicht kontrollieren!) Diese Maßnahme hier ist im wahrsten Sinne des Wortes notwendig; denn wir können den internationalen Terrorismus nur mit guter internationaler Zusammenarbeit erfolgreich bekämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Clemens Binninger muss jetzt leider gehen. Er ist für die letzten Minuten dieser Debatte entschuldigt. – Es war so schön, als aus den Reihen der Grünen gerade gesagt wurde: Es wäre gut, wenn wir regieren würden. – Das wäre gut für die Grünen, aber das wäre nicht gut für unser Land. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun ist es doch ein bisschen schade, dass nicht auch noch Otto Schily zu Wort kommt. (Heiterkeit) Dafür hat aber der Kollege Tempel um das Wort für eine ganz kurze Kurzintervention gebeten. Frank Tempel (DIE LINKE): Ganz kurz. – Der Herr Kollege Bosbach, vor dem ich viel Respekt habe, hat eine meiner Formulierungen als „übel“ bezeichnet. Übel fand ich den Umgang mit dem mir garantierten Recht der Meinungsfreiheit. Eine solche Formulierung muss man auch einmal so stehen lassen. Nur ein Beispiel. Die Kollegin Mittag hat hier den Einsatz verdeckter Ermittler durch die Bundespolizei angesprochen. In ihren Beispielen ging es um organisierte Kriminalität und kriminelle Schleuserstrukturen. Dabei wurden auch die Toten in einem Lkw erwähnt. Als Thema steht hier: Informationsaustausch bei Terrorismusbekämpfung. Jede der hier genannten Maßnahmen diskutieren wir unter der angegebenen Überschrift. Als ehemaliger Polizeibeamter weiß ich durchaus, dass verdeckte Ermittler durch die Polizei in vielfältigen Bereichen der organisierten Kriminalität sinnvoll eingesetzt werden. Die Frage ist, ob beim gemeinsamen Agieren zwischen Bundespolizei und Bundeskriminalamt eine Aufgabenüberschneidung oder ein Synergieeffekt vorliegt und ob diese Einsatzmöglichkeit bei der Bundespolizei tatsächlich notwendig ist. Aber lassen Sie uns das doch da diskutieren, wo es tatsächlich hingehört, nämlich beim Thema „Bekämpfung der Schleuserkriminalität“ und Ähnlichem. Wir reden heute zu Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung. Wenn wir hier aber Maßnahmen diskutieren, die dann in der Debatte völlig anders begründet werden, dann muss ich doch den Vorwurf erheben dürfen, dass diese Maßnahmen nur unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung eingebracht werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Erwiderung. Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Herr Kollege Tempel, es ist Ihr gutes Recht, das zu sagen, was Sie gesagt haben, und es ist mein gutes Recht, das zu kritisieren, weil die Maßnahmen, die wir insbesondere in den letzten 15 Jahren im Deutschen Bundestag für eine bessere, erfolgreiche Bekämpfung des internationalen Terrorismus verabschiedet haben, im wahrsten Sinne des Wortes notwendig waren und auch heute noch notwendig sind. Wenn Sie Kritik üben, üben dürfen, dürfen wir genauso kritisieren, dass Sie dem Gesetzgeber Motive unterstellen, die der Gesetzgeber nie hatte. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/8702 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Demokratie für alle Drucksache 18/8419 b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz) und zur Einführung eines Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid (Bundesabstimmungsgesetz) und zur Änderung weiterer Gesetze Drucksache 18/825 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/7972 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auch diese Aussprache 77 Minuten dauern. – Einwände sehe ich nicht. Also verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Jan Korte für die antragstellende Fraktion. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht bei diesen Tagesordnungspunkten um eine sehr grundlegende Frage, nämlich um den Zustand unserer Demokratie, und der Zustand ist nicht gut. Wir haben Zahlen, die ausweisen, dass sich mittlerweile ein Drittel der Menschen von der Demokratie abgewandt haben. Das ist nicht in Ordnung. Eine intakte Gesellschaft darf sich niemals damit abfinden, wenn ein Drittel der Bevölkerung sich abgemeldet hat. Darum muss es heute gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zu dem, was wir brauchen, haben wir eine ganze Reihe von Anträgen – vor allem durch meine Kollegin Halina Wawzyniak – zu einer Renaissance von Demokratie und Teilhabe vorgelegt. Ich will drei konkrete Punkte nennen. Bei mir im Wahlkreis in Sachsen-Anhalt gibt es ein Dorf, das heißt Quellendorf. Es gehört zu der Stadt Südliches Anhalt. Dort gibt es eine Grundschule. In dieser Grundschule gibt es allen Ernstes in jedem Klassenraum nur eine Steckdose sowie einen Essensraum für die Kinder, in dem leider nur zwölf Plätze sind. Das heißt, die Kinder müssen in drei Schichten zum Mittagessen gehen. Das ist ein inakzeptabler Zustand. Der dortige Bürgermeister, Burkhard Bresch, will das logischerweise ändern. Er braucht dafür 1,8 Millionen Euro. Im Vergleich zu dem, was wir hier oft so diskutieren, ist das nicht viel Geld. Aber er hat diese 1,8 Millionen Euro nicht. Er hat 1,8 Millionen Euro für alle Schulen in seiner Stadt. Deswegen ist es eine demokratische Grundfrage, endlich die Finanzausstattung der Kommunen auf Vordermann zu bringen, damit es in jedem Klassenraum mindestens vier Steckdosen gibt. Das ist Demokratie von unten, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) Zweites Beispiel. Es erinnern sich hier bestimmt noch einige – das war, glaube ich, im Jahr 2010 – an den Fall in Hamburg. Dort gab es einen Volksentscheid. Es gab eine Initiative – das ist ja äußerst selten – von der CDU, der SPD, den Grünen und der Linkspartei. Man stand gemeinsam auf einem Plakat. Es ging darum, ein längeres gemeinsames Lernen für diejenigen Kids zu organisieren, die aufgrund ihrer familiären Situation kaum Perspektiven haben. Was passierte? Ein völlig wildgewordenes Oberschichtsbürgertum flippte aus und sah seine Privilegien in Gefahr. Was passierte dann? Es gab dazu einen Volksentscheid – das ist sehr gut –, und was passierte? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Woran kann man das Oberschichtsbürgertum eigentlich erkennen?) Diejenigen, für die diese Initiative dagewesen ist, sind überwiegend nicht zur Abstimmung gegangen. Das muss uns umtreiben. Demokratie darf kein Projekt der Eliten werden. Sie muss für alle da sein. Deswegen hat das eine soziale Komponente. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn die demokratischen Rechte, die übrigens bitter erkämpft worden sind – vor allem von der Arbeiterbewegung –, zur Geltung kommen sollen, brauchen wir eine Grundlage, auf der diese demokratischen Rechte angewandt werden können. Dazu gehören gute Bildung, ein gutes Auskommen und vor allem ein intakter Sozialstaat. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Übersetzt gesagt: Demokratie und Gerechtigkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Deswegen fordere ich vor allem Sie von der CDU/CSU auf, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal, in welchem Land der Sozialstaat besser ist als in Deutschland!) Ihren Widerstand gegen die direkte Demokratie auf Bundesebene aufzugeben. Alle anderen Fraktionen sind dafür. Wir brauchen endlich Elemente direkter Demokratie, Volksentscheide auf Bundesebene, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will Ihnen an einem Beispiel deutlich machen, warum das extrem wichtig ist. Wenn Sie in Ihren Wahlkreisen mit den Leuten reden – was ja jeder fleißig tut –, dann lautet dort die vorherrschende Meinung: Es ist völlig egal, ob der Bürgermeister, der Landrat oder Bundestagsabgeordnete von der CDU, der SPD oder der Linkspartei ist; es ändert sich sowieso nichts. – Das hat etwas mit einer fehlenden Unmittelbarkeit von demokratischen Entscheidungsprozessen zu tun. Ein Beispiel dafür ist der Mindestlohn. Die Linke hat ihn schon 2004 gefordert, als Sie alle noch dagegen waren. (Dr. Eva Högl [SPD]: Wir waren auch dafür!) Es hat dann über zehn Jahre gedauert, ihn durchzusetzen. Es war gut und richtig, das endlich zu tun. Aber die Leute haben nur gesehen: Es dauert, dauert und dauert. (Dagmar Ziegler [SPD]: Sie haben den Mindestlohn abgelehnt! – Dr. Eva Högl [SPD]: Demokratie ist kompliziert und dauert!) Die Idee hinter der direkten Demokratie ist, dass man über ein Sachthema entscheiden kann, und am nächsten Tag gibt es dann eine substanzielle Änderung in der Politik. Deswegen ist für eine intakte Demokratie direkte Demokratie notwendig; sie bedeutet die Unmittelbarkeit von Entscheidungen. (Beifall bei der LINKEN) In einer Gesellschaft, in der die Abstiegsangst oder, besser gesagt, die Abstiegspanik grassiert, ist es nun einmal so – deswegen ist die Demokratie nicht von der sozialen Frage abzutrennen –, dass diejenigen, die diese Panik haben, die demokratischen Rechte viel weniger wahrnehmen als die, die auf der Sonnenseite sind. Das muss uns doch umtreiben, wenn wir die empirischen Befunde sehen. Deswegen gilt es natürlich auch, den Einfluss und die überbordende Macht der Konzerne zu brechen. Denn das ist doch das, was von den Menschen wahrgenommen wird. Darüber müssen wir doch reden, wenn es um Demokratie geht. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen ist TTIP nicht nur eine Frage von Verbraucherschutz und Wirtschaft. Es ist vielmehr eine elementare demokratische Frage, ob diejenigen, die ohnehin schon mächtig sind, noch mehr Instrumente in die Hand bekommen sollen, um noch mächtiger zu werden. Das bedeutet nämlich Ohnmacht der einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Deswegen muss man TTIP aus grundsätzlichen demokratischen Erwägungen ablehnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn wir über Demokratie reden, dann müssen wir auch über die Mentalität in diesem Land nachdenken. Ich will auch dazu ein Beispiel nennen. Wir kennen es wahrscheinlich alle: Jugendliche treffen sich auf öffentlichen Plätzen, und es dauert nicht lange, bis es irgendeine Initiative von Anwohnern gibt, die das stört. Wir brauchen aber ein Klima, in dem es erwünscht ist, dass sich Jugendliche treffen und von mir aus auch Dinge tun, die aus Erwachsenensicht nicht immer unbedingt sinnvoll sind. Aber Demokratie beginnt auf öffentlichen Plätzen. Deswegen brauchen wir auch eine Stimmungsänderung in diesem Land. (Beifall bei der LINKEN – Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Aber das hat doch nichts mit der Demokratie zu tun!) Man kann natürlich auch als Erwachsener auf einem Platz herumhängen. Das ist auch in Ordnung. Hauptsache, man spricht miteinander und tut etwas zusammen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Ist das jetzt Pflicht?) Ein weiterer Punkt, den ich im Zusammenhang mit dem Thema Demokratie ansprechen möchte, ist das Bildungssystem. Ohne Bildungssystem ist Demokratie nicht denkbar; denn Demokratie bedeutet einen Lernprozess. Ich will ein konkretes Beispiel nennen. Wir brauchen eine Zurückdrängung der neoliberalen Marktlogik beispielsweise aus den Universitäten, wo nur noch nach Verwertung gefragt wird und wo Studenten keine autonomen Wesen mehr sind, sondern zu Kunden degradiert werden. Gerade in Universitäten bzw. in Bildungsinstitutionen lernen doch Menschen Demokratie, indem sie sich zusammentun, sich organisieren und ihre Interessen wahrnehmen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben sie doch Mitspracherechte!) Deswegen müssen wir mit der Marktlogik in der Bildung brechen. Das ist existenziell für eine intakte Demokratie. (Beifall bei der LINKEN – Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Und dafür brauchen wir Volksentscheide? – Dagmar Ziegler [SPD]: AStA gibt es nicht, oder?) Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass wir, wenn wir direkte Demokratie einführen, gleichzeitig die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen müssen und dass wir eine Bildungsoffensive brauchen, die übrigens auch gewerkschaftliche Bildungsarbeit einschließt, die wieder viel stärker gefördert werden muss. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt eine Bildungsdebatte?) Ich will noch einen Punkt ansprechen, um das abzurunden, was die soziale Frage angeht. Den Staat gehen die intimen Verhältnisse seiner Bürger – von Ihnen allen – nichts an. Das ist grundgesetzlich so geregelt. Sobald jemand aber in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, also Hartz-IV-Empfänger ist, geht es den Staat auf einmal etwas an, wer bei ihm zu Besuch ist und dort übernachtet. Das ist eine Lücke in der Demokratie, die dringend geschlossen werden muss. Deswegen haben wir den Antrag „Demokratie für alle“ vorgelegt. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dagmar Ziegler [SPD]: Das war so schlecht! Schlechter geht es nicht! – Zuruf von der CDU/CSU: Themaverfehlung!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Tim Ostermann hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linken, wir beraten heute über Ihren Gesetzentwurf – zumindest für diese Legislaturperiode. Ich bin mir sicher, dass wir spätestens zu Beginn der neuen Legislaturperiode mit der erneuten, dann dreizehnten Einbringung rechnen dürfen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Natürlich!) und dass es auch dann keine Mehrheit für Ihren Antrag und Ihren Gesetzentwurf geben wird. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir noch abwarten! – Zuruf von der LINKEN: Sie können gleich zustimmen!) Ergänzend beraten wir über einen Antrag, der die Aufforderung an die Bundesregierung zur Vorlage eines Gesetzentwurfs enthält, der, was das Ziel angeht, genau Ihrem Gesetzentwurf entsprechen soll. Verstehen muss man das nicht. Offenbar misstrauen Sie Ihrem eigenen Gesetzentwurf. Aber es ist immerhin ein guter Anfang, dass Sie der Bundesregierung mehr vertrauen als sich selbst. (Beifall bei der CDU/CSU) Dazu passt, dass Herr Korte zu allem gesprochen hat, nur nicht zum Gesetzentwurf und zum Antrag. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] und Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neoliberale Bildungspolitik! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Es kommt noch die Kollegin Wawzyniak!) Ich will auch einige inhaltliche Bemerkungen zu Ihrem Vorhaben machen. Unser System, die repräsentative Demokratie, zeichnet sich durch große politische Stabilität aus. Viele Entscheidungen waren zu der Zeit, als sie getroffen wurden, überaus unpopulär. Ich erinnere zum Beispiel an die Entscheidung über die Westbindung, den NATO-Doppelbeschluss (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Genau!) und die Einführung des Euro. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da hättet ihr besser eine Volksabstimmung gemacht!) Das alles sind allerdings Beschlüsse, die sich recht schnell als Segen für unser Land erwiesen haben. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Haben sie nicht!) Unsere Vorgänger im Bundestag haben damals Rückgrat bewiesen und entgegen der damals vorherrschenden Meinung in der Bevölkerung richtig entschieden. Das Gesetzgebungsverfahren ist in langjähriger Praxis zu einem ausdifferenzierten Verfahren geworden. Es gibt widerstreitende Interessen, die es zu kanalisieren und aufzunehmen gilt. Es gibt mehrere Lesungen im Plenum, Ausschussberatungen und Sachverständigenanhörungen. Am Ende stehen Gesetze, die den unterschiedlichen Interessen Rechnung tragen. Dieses hohe Maß an thematischer Tiefe und Flexibilität können Plebiszite nicht bieten. Volksabstimmungen führen in vielen Fällen zu einer unangemessenen Verkürzung der Sachthemen. Sie bieten auch bei komplexen Themen als Antwort nur Ja oder Nein. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Genau, weil das Volk zu dumm ist!) Man muss aber auch „Ja, aber“ sagen können. Die Verkürzung von Sachthemen eröffnet populistischen Konstellationen viele Handlungsmöglichkeiten. Es besteht die Gefahr, dass Entscheidungen nicht auf Grundlage sachlicher Erwägungen getroffen werden, sondern eher auf Grundlage von Emotionen. Wir wären schlecht beraten, wenn wir uns in wichtigen Sachfragen von Stimmungen und Stimmungsmachern leiten ließen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, das an einem aktuellen Beispiel verdeutlichen. In den Niederlanden stand im April das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine zur Abstimmung. Der Text des Abkommens umfasst 177 Seiten. Hinzu kommen 46 Anhänge und drei Protokolle im Umfang von fast 2 000 Seiten. Unter anderem befasst sich das Abkommen mit Zöllen auf bestimmte Produkte. Das ist also eine überaus spannende Lektüre. Daher verwundert es nicht, dass fast 70 Prozent der Niederländer der Abstimmung fernblieben. Mit dieser Legitimation musste die niederländische Regierung dann das Ergebnis der Abstimmung in Brüssel vertreten. Nachhaltigkeit, Verlässlichkeit und ein starkes Mandat für eine Regierung sehen anders aus. Diese Entscheidung wurde gleichzeitig als Zeichen der Ablehnung der Europäischen Union gedeutet. Gerade dies war auch die Absicht. Den Initiatoren ging es nicht um die Frage, die konkret zur Abstimmung stand; das gaben sie sogar offen zu. Arjan van Dixhoorn, einer der Organisatoren, hat zum Beispiel in einem Interview mit einer Tageszeitung in den Niederlanden gesagt – ich zitiere ihn –: Natürlich kümmert uns die Ukraine nicht. Ein Nexit-Referendum ist aber bisher nicht möglich. Wir nutzen daher alle Möglichkeiten, um die Beziehungen zwischen den Niederlanden und der EU unter Druck zu setzen. Dieses aktuelle Beispiel sollte die Befürworter von Volksentscheiden aufhorchen lassen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Man muss bessere Argumente haben! Das ist meistens günstig!) Hinzu kommt, dass dieses Instrumentarium die Spaltung der Bevölkerung in politisch Aktive und in einen Teil, der sich nicht an Wahlen und Abstimmungen beteiligt, verschärfen könnte. Das sehe ich genau anders als Sie, Herr Korte. Ich möchte auf Michael Müller, den Regierenden Bürgermeister von Berlin – wohlgemerkt ein Sozialdemokrat, also jemand, der nicht unserem Lager angehört – verweisen, der gesagt hat, er befürchte, dass die „Instrumente der direkten Demokratie nicht ein Mehr an Demokratie für mehr Menschen bedeuten, sondern nur für einige wenige, die sich schon vorher gut artikulieren konnten“. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat auch drei Volksbegehren verloren! Deshalb! – Jan Korte [DIE LINKE]: Dazu habe ich gerade etwas gesagt!) – Genau, Demokratie darf kein Elitenprojekt werden. Sie haben dieses Argument ebenfalls verwendet. Diese Beispiele zeigen, dass genau das passieren würde, wenn wir heute Ihren Gesetzentwurf verabschieden würden. Ich wundere mich, dass gerade Sie das mit Ihrem Gesetzentwurf befördern wollen. Der Vollständigkeit halber möchte ich auf zwei weitere Änderungen eingehen, die Sie mit Ihrem Gesetzentwurf einführen möchten: die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) und die Einführung einer Wahlberechtigung für Nichtdeutsche. Das Wahlalter ist auf Bundesebene bislang an die Volljährigkeit geknüpft. Diese bringt unter anderem auch die volle Geschäftsfähigkeit mit sich. Für uns ist das eine nachvollziehbare Wahlrechtsvoraussetzung. Das Gleiche gilt für das Vorhandensein der deutschen Staatsbürgerschaft. Wer Staatsbürger mit allen sonstigen Rechten und Pflichten ist, dem steht auch das Wahlrecht zu. Wer unsere Staatsangehörigkeit noch nicht besitzt, aber auf Bundesebene wählen möchte, ist herzlich eingeladen, deutscher Staatsbürger zu werden. Wir freuen uns über jeden, der diesen Weg beschreitet und die Staatsangehörigkeit beantragt. (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht immer so einfach! Vor allem nicht unter eurer Regierung!) Ich möchte eine letzte Bemerkung, lieber Özcan Mutlu, machen. In dieser Woche hat das Planspiel „Jugend und Parlament“ stattgefunden. Dabei übernehmen bekanntlich Jugendliche die Rolle von fiktiven Abgeordneten und haben die Aufgabe, Gesetzentwürfe durch das Gesetzgebungsverfahren zu begleiten. Auf der Tagesordnung stand unter anderem der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung bundesweiter Volksabstimmungen. Dieser Gesetzentwurf weist erstaunliche Ähnlichkeiten mit Ihrem Gesetzentwurf auf. Auch unsere jungen Kollegen haben den Gesetzentwurf mit stichhaltigen Argumenten und deutlicher Mehrheit abgelehnt. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die sind schon von Ihnen versaut! Die Jugendlichen wurden schon von Ihnen versaut!) Sie sehen, um die Abgeordneten von morgen müssen wir uns keine Sorgen machen. Im Gegenteil: Wir können stolz darauf sein, wie präzise und scharfsinnig dort diskutiert worden ist. Wir folgen unseren jugendlichen Vorbildern und lehnen Ihren Gesetzentwurf und Ihren Antrag ab. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Jedenfalls ist die Veranstaltung „Jugend und Parlament“ keine Einübung in Plebiszite, sondern in den anspruchsvollen Umgang mit Repräsentation. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wie auch immer. Ich möchte, bevor ich den nächsten Redner aufrufe, auf der Ehrentribüne den Präsidenten des georgischen Parlamentes und seine Delegation herzlich begrüßen. (Beifall) Lieber Kollege Usupaschwili, seien Sie uns in Berlin herzlich willkommen. Ich bedanke mich auch sehr für die guten, konstruktiven Gespräche im europäischen Geist, die wir gestern in verschiedener Besetzung miteinander geführt haben. Wir wünschen Ihnen für Ihren Besuch in Sachsen-Anhalt noch interessante Aufschlüsse und alles Gute für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken. (Beifall) Nun erhält der Kollege Mutlu für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letzten Sonntag habe ich am Brandenburger Tor im Rahmen des Umweltfestes beim Berliner Volksbegehren „Volksentscheid Fahrrad“ unterschrieben (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und mit vielen Freunden Unterschriften gesammelt. Zahlreiche Berlinerinnen und Berliner erachten dieses Volksbegehren für bitter notwendig, weil der rot-schwarze Berliner Senat Radfahrerinnen und Radfahrer seit Jahren und Jahrzehnten wie Stiefkinder behandelt. Fahrradfahren in Berlin ist eine Mutprobe und das nicht nur wegen der vielen Baustellen. Deshalb hoffe ich, dass viele Berlinerinnen und Berliner bei dem Volksbegehren „Volksentscheid Fahrrad“ mitmachen und endlich den Berliner rot-schwarzen Senat zur Bewegung zwingen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Ich möchte heute aber nicht über Mutproben oder über die Versäumnisse des Berliner Senats sprechen. Dazu würde meine Zeit einfach nicht reichen. Ich möchte darüber sprechen, wie wichtig es ist, dass Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, sich an politischen Entscheidungen zu beteiligen und diese voranzutreiben, wenn Regierungen Fehlentscheidungen treffen, Fehlentscheidungen, die durch Bürgerbeteiligungen und Volksbegehren oder Volksentscheide verhindert oder korrigiert werden können. Wieder zwei Beispiele aus meiner Heimat Berlin: der Volksentscheid zur Offenlegung der Verträge der Berliner Wasserbetriebe oder der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld. Bei beiden haben die Berlinerinnen und Berliner den Senat erfolgreich in die Schranken gewiesen – zu Recht, wie ich finde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir Grüne sind eine Partei der Basisdemokratie und der Bürgerbeteiligung. Demokratie ist auf aktive, interessierte und verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Wer auch außerhalb von Wahlen die Möglichkeit hat, sich einzubringen, nimmt viel motivierter am politischen Geschehen teil. Nicht zuletzt sind Bürgerbeteiligungen und Volksinitiativen daher wichtige Instrumente dafür, Menschen aktiver an der politischen Willensbildung und an Entscheidungen teilhaben zu lassen, und wirken so auch der Politikverdrossenheit, die sich in unserem Land tatsächlich breitmacht, entgegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb muss unsere Demokratie durch Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie ergänzt werden, nicht nur in Städten und Kommunen, nicht nur in Ländern, sondern auch im Bund. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Aus diesem Grunde werden wir dem Antrag der Linken „Demokratie für alle“ zustimmen, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sehr gut!) aber nicht ihrem vorliegenden Gesetzentwurf. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wieder nix!) Wir Grüne haben bereits vor über zehn Jahren den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung mit Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene vorgelegt. Hätte es diese in den vergangenen Jahrzehnten schon gegeben, würden wir heute vielleicht keine Debatten mehr über die Ehe für alle führen; denn zwei Drittel der Deutschen befürworten längst die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerinnen und Lebenspartner. Das ist nur ein Beispiel, bei dem deutlich sichtbar wird, wie sehr die Bundesregierung manchmal vom Willen der Wählerinnen und Wähler entfernt ist und in konservativen Denkmustern verharrt. Auch wenn wir, liebe Kollegen von den Linken, mit Ihrem Gesetzentwurf in weiten Teilen einverstanden sind, müssen wir aber in den entscheidenden Punkten widersprechen, und deshalb enthalten wir uns. So setzen Sie zum Beispiel für eine erfolgreiche Volksinitiative 100 000 Unterschriften und für ein erfolgreiches Volksbegehren 1 Million Unterschriften in neun Monaten an. Für einen erfolgreichen Volksentscheid reicht Ihnen die Mehrheit der Abstimmenden aus; ein Quorum gibt es nicht. Diese Schwellen bzw. diese Kriterien halten wir für zu niedrig angesetzt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich erinnere hier an die Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft von Herrn Roland Koch, die uns integrationspolitisch um Jahrzehnte zurückgeworfen hat. Stellen Sie sich vor: Menschen hätten so etwas als Volksbegehren gebracht und hätten das Staatsbürgerschaftsrecht sogar noch verschärft! Sosehr wir auch Bürgerbeteiligung und Volksentscheide befürworten, möchten wir aber auch davor warnen, durch niedrige Schwellen oder durch eine Gesetzesänderung ein Einfallstor zu schaffen, was wir später in Einzelfällen vielleicht sogar bedauern. Deshalb sind wir der Meinung: Hier müssen andere Schwellen angesetzt werden: Erstens: 400 000 Unterschriften für eine Volksinitiative. Zweitens: Unterschriften von 5 Prozent der Wahlberechtigten – das wären derzeit etwa 3,2 Millionen Menschen – in sechs Monaten für ein Volksbegehren. Drittens: ein Zustimmungsquorum von 15 Prozent für Volksentscheide. So war es in unserem Gesetzentwurf vorgesehen, der leider keine Mehrheit gefunden hat. Ein solches Quorum würde nämlich auch verhindern, dass sich partikulare Interessen mancher Gruppen durchsetzen können. Ein weiterer Punkt in Ihrem Gesetzentwurf, dem wir nicht zustimmen können, ist, dass Sie verbindliche Volksabstimmungen zu sämtlichen Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union vorsehen. Als proeuropäische Partei lehnen wir diese Regelung ab, da wir die im Grundgesetz verankerte tiefere Integration von Europa wollen. Dass das auch wichtig ist, zeigt sich, wenn man bedenkt, was für eine antieuropäische Stimmung derzeit in vielen Ländern und teilweise auch in unserem Land herrscht. Um es deutlicher zu sagen: Unsere Enthaltung zum Gesetzentwurf bedeutet nicht, dass wir gegen Volksentscheide sind, sondern dass wir Kritik an der konkreten Ausgestaltung des vorliegenden Gesetzentwurfs haben. Wir halten es für problematisch, die Schranken so niedrig anzusetzen; aber ich bin trotzdem optimistisch. Ich komme zum Schluss. Hier im Hause gibt es im Grunde hinsichtlich der Einführung von Volksinitiativen durchaus eine Mehrheit. Vielleicht sollten wir uns hinsetzen und gemeinsam darüber nachdenken, wie wir diese grundsätzliche Idee der Einführung von Volksinitiativen auch in diesem Haus mehrheitsfähig machen können, um sie durchzusetzen und beschließen zu können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das Wort Dr. Lars Castellucci. (Beifall bei der SPD) Dr. Lars Castellucci (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie haben diese Vorlagen heute eingebracht. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Gute Vorlagen!) Wir halten sie inhaltlich über weite Strecken für sehr sinnvoll, und wir werden ihnen nicht zustimmen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist das ganze Dilemma der SPD!) – Auf diese Bemerkung von Herrn Korte, dass das das Dilemma sei, habe ich gewartet. Der Punkt ist: Wir waren schon für mehr Demokratie; da haben die noch den Kaiser gut gefunden. (Heiterkeit bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dass die Linke den Kaiser gut gefunden hat, daran kann ich mich gar nicht erinnern! Das ist ja interessant! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Lange her!) Das ist die Ausgangslage. Wir sind jetzt zusammen mit einem Partner in einer Regierung. Es ist Ihr gutes Recht und sogar Ihre Pflicht, Themen, die Sie für wichtig halten, hier auf die Tagesordnung zu setzen und dafür zu sorgen, dass sie im Parlament debattiert werden. Ich sage ausdrücklich Danke, weil ich es sehr wichtig finde, dass wir in diesem Parlament über Demokratie diskutieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist legitim, vielleicht auch schlau, genau die Themen hier zur Debatte zu stellen, bei denen Sie wissen: Da können wir einen Keil in diese Koalition zu treiben versuchen, weil darüber unterschiedliche Auffassungen herrschen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wieso? Wir wissen doch, dass die SPD alles mitmacht!) Aber es gibt noch etwas Drittes. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, das einmal anzusprechen. Wir alle haben einen Auftrag, nämlich mit dem, was wir hier betreiben, auch Aufklärung zu leisten. Es gibt da draußen ein Missverständnis oder ein Unverständnis, was politische Prozesse und politische Spielregeln angeht. Das hängt mit vielem von dem zusammen, was Sie in Ihrer Analyse haben: die zurückgehende Beteiligung in der Politik auf allen Ebenen und die wachsende Distanz. Jetzt ist es so, dass wir in dieser Koalition einen Vertrag geschlossen haben. In diesem Vertrag haben wir festgelegt, welche Dinge wir gemeinsam vorantreiben wollen. Darin sind Punkte, die wir Sozialdemokraten sehr gut finden; darin sind Punkte, die die Vertreter der CDU und der CSU sehr gut finden. Wir haben sie als Kompromiss zusammengefasst. Bestandteil dieses Vertrages ist, dass wir hier nicht unterschiedlich abstimmen. Wir haben gesagt: Hier kann nicht einfach jeder machen, was er will. – Ich finde, zu Verträgen zu kommen, ist ein demokratisches Prinzip. Das dürfen wir nicht diskreditieren durch falsche Debatten und durch einen falschen Zungenschlag bei Debatten in diesem Parlament. (Beifall bei der SPD – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Da klatscht aber nur die SPD und die CDU nicht! Warum nicht? – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist selbstverständlich! Koalitionsverträge hält man ein! Das kennen Sie nicht!) Kommen wir zu der Frage, ob deswegen alles so bleiben sollte, wie es ist. Da möchte ich mich an die Kolleginnen und Kollegen von der Union wenden. Lieber Herr Ostermann, wenn ich nachts um drei geweckt würde, könnte ich die Rede aufschreiben, die Sie hier zu diesem Thema halten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Tim Ostermann [CDU/CSU]: Weil unsere Argumente so gut sind! Die prägen sich ein!) Das ist jetzt kein Angebot, das einmal zu versuchen; und wenn, dann würde ich es mir sehr gut bezahlen lassen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Der amerikanische Moralpsychologe Jonathan Haidt hat nachgewiesen – nicht in einer Studie über die CDU, sondern in einer Studie, die uns alle betrifft –, dass wir – das hat etwas mit unserem Gehirn zu tun – häufig Dinge schon für richtig halten und danach nur noch nach Argumenten und Belegen suchen, die unsere moralischen oder sonstigen Einsichten, die längst schon zustande gekommen sind, stützen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das liegt aber an jedem Abgeordneten selbst!) Jetzt sind die Probleme, die wir haben, aber nicht so, dass wir immer wieder nur auf das zurückkommen können, was wir schon einmal für richtig gehalten haben oder was schon die Generationen vor uns immer gesagt haben. Wir sind in einer Situation – das ist meine feste Überzeugung –, in der es lohnt, neu nachzudenken. Vor etwa einem Jahr lief diese Debatte unter dem Thema Wahlbeteiligung. Im Frühjahr hatten wir Wahlen in drei Bundesländern. Tatsächlich ist die Wahlbeteiligung gestiegen – das habe ich mir herausgesucht –: in Baden-Württemberg von 66 Prozent auf 70 Prozent, in Rheinland-Pfalz von 61 Prozent auf 70 Prozent und in Sachsen-Anhalt von 51 Prozent auf 61 Prozent. Jetzt frage ich Sie: Ist das ein Zeichen dafür, dass alles gut ist? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schweizer Volksabstimmungen haben geringere Beteiligungen als deutsche Wahlen! Damit das klar ist!) Aus meiner Sicht nicht! In allen drei Bundesländern sind die Nichtwähler weiterhin die größte Gruppe – auch das habe ich herausgesucht –: In Baden-Württemberg waren es 2,2 Millionen Nichtwähler. Die stärkste Fraktion, die Grünen, hat 1,4 Millionen Wählerinnen und Wähler hinter sich versammelt. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Und die SPD?) In Rheinland-Pfalz sind 910 000 Menschen nicht zur Wahl gegangen. Die SPD ist stärkste Partei mit 771 000 Wählerinnen und Wählern. Weiterhin ist die Wahlbeteiligung also nicht so, dass wir sagen könnten: Damit wäre schon alles gut. Wir haben Studien ohne Ende, die besagen, dass das Zur-Wahl-Gehen regelrecht verlernt wird. Wenn eine Generation schon nicht mehr hingegangen ist, schnappen die Kinder das auf, und irgendwann ist es so, dass die jeweils nächste Generation einen Wahltag immer noch ein bisschen weniger als Feiertag der Demokratie ansieht als die Generation davor. Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Die Wahlbeteiligung droht immer weiter zu sinken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Und schließlich: Sind diejenigen, die jetzt da zur Wahl gegangen sind – was ich ja gut finde, auch wenn ich vielleicht mit dem Ergebnis nicht in allen Teilen glücklich bin –, denn dauerhaft für die Demokratie gewonnen? Glauben wir das ernsthaft? Ich glaube, die haben einmal Dampf abgelassen. Die große Gefahr ist jetzt, dass sie von denen, die sie da gewählt haben, die sie zum Teil nicht einmal kennen und deren Programme sie gar nicht gelesen haben, wieder enttäuscht werden, so wie sie über Jahrzehnte das Gefühl hatten, immer wieder von der Politik enttäuscht worden zu sein. Das heißt, wir haben hier wahrscheinlich ein Zwischenhoch an Wahlbeteiligung, werden auf die Dauer aber weiter sinkende Wahlbeteiligungen haben. Unser Kernproblem – das ist das Problem mit dem Rechtspopulismus – ist weiterhin die gefühlte Distanz zwischen uns hier in der Politik und den Menschen da draußen. Wir sind aufgerufen, diese Distanz zu überwinden. Direktdemokratische Verfahren sind ein Teil der Antwort auf dieses Problem. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt könnte man natürlich überlegen, ob man auch mehr direkte Demokratie hier im Parlament ermöglicht, indem wir beispielsweise sagen: Wir könnten doch öfter einmal frei entscheiden, ohne dass das vertraglich dann so festgezurrt ist, und für das stimmen, was wir für richtig halten. (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin zum Beispiel auch der Meinung, dass die Ehe für alle längst gelten sollte. Aber wir haben schon bei Herrn Mutlu gehört, dass er Einschränkungen in der Argumentation gemacht hat. Am Ende will man natürlich mehr Demokratie immer am liebsten da, wo man selber denkt, dass man Unterstützung bekommt. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es waren drei! Sie haben nicht richtig zugehört!) Es ist natürlich auch nicht richtig, wenn man unter „mehr Demokratie“ versteht, dass man sich aussuchen kann, was hinten rauskommt. Das heißt: Wenn wir über die Frage reden wollen, ob wir mehr Initiativen aus dem Parlament zulassen möchten, bei denen dann Abstimmungen freigestellt werden, dann müssten wir das eigentlich zu einem Paket bündeln, sodass jeder, der eine Chance sieht, seine Meinung durchzusetzen, das mit den anderen aushandeln kann. Es macht keinen Sinn, Einzelabstimmungen freizugeben, bei denen Minderheiten beispielsweise die CDU/CSU überstimmen, ohne im gleichen Atemzug auch einen Punkt zur Debatte zu stellen, der der CDU/CSU wichtig ist und der dann ebenfalls eine Chance auf Zustimmung erhalten würde. Meine feste Überzeugung ist, dass mehr Demokratie eine Antwort auf den Rechtspopulismus ist, der im Moment in ganz Europa und in Deutschland anzutreffen ist. Wir sollten keine Angst vor unserer Bevölkerung haben, sondern wir sollten sie ernst nehmen und mit ihr in einem engen Dialog sein. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass wir sie ganz intensiv beteiligen bei der Frage: Wie viel Zuwanderung trauen wir uns in diesem Land zu? Ich glaube, wir würden sehr erwachsene Debatten bekommen. In diesen Debatten würde es nicht um Abwehr gehen, sondern darum, deutlich zu machen: Wenn die Leute kommen, dann müsst ihr in der Politik aber auch dafür sorgen, dass Kindertageseinrichtungen und Schulen funktionieren und dass die Leute hier im Land, denen es auch schon nicht gut geht, weiter berücksichtigt werden. – Das wäre eine lebendige Demokratie, die wir ja nicht zuletzt denen, die zu uns gekommen sind, auch gemeinsam vorleben wollen. In diesem Sinne – es ist so, wie ich es gesagt habe –: Wir werden nicht zustimmen, aber wir werden an diesem Thema weiter dranbleiben und hoffen auf Bewegung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Oswin Veith, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Oswin Veith (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Castellucci, höhere Wahlbeteiligung erreicht und Wählerinnen und Wähler gewinnt man nicht durch permanente Verfassungsänderungen, sondern indem man den Wählerinnen und Wählern zuhört, sie ernst nimmt und ihnen zukunftsfähige Lösungen anbietet. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir diskutieren heute auf Wunsch der Linken wieder einmal den untauglichen Versuch, unsere Verfassung aus populistischen Gründen zu verändern. Das Manöver ist durchschaubar. Lieber Herr Kollege Korte, wer nichts zum eigentlichen Thema zu sagen hat, der muss so reden wie Sie. Ich kam mir stellenweise vor wie bei einer Rede zur Wiedereinführung einer sozialistischen Republik. Sie haben Ihr halbes Parteiprogramm untergebracht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt nicht zurückbleiben! So schlimm war es nicht! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Da klatschen noch nicht mal die eigenen Leute!) Seien Sie sicher: Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Ich hätte mir mehr Substanz an dieser Stelle gewünscht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich konnte bis jetzt auch keine überzeugenden Argumente in Ihrer Begründung finden, die mich dazu bringen würden, einer so weitreichenden Verfassungsänderung zuzustimmen. Lassen Sie mich wenigstens zwei Punkte ansprechen, die exemplarisch für unsere unterschiedlichen Auffassungen stehen, bevor ich Gegenargumente in der Sache vortragen werde. Erstens. Sie sprechen von „Zuschauerdemokratie“. Damit wollen Sie plakativ das Recht der Bürger auf die Parteien- und die Kandidatenwahl bei Bundestagswahlen geringschätzen. Ich kenne keinen Bürger, der sich mit der Wahl aus dem politischen Raum verabschiedet und seine Interessen und Überzeugungen nicht mehr artikuliert. Wer in kommunaler Verantwortung stand oder steht, weiß, dass die Stadtverordnetenversammlungen immer dann auseinanderbrechen, wenn es um Bebauungsplanänderungen geht und konkret das eigene Grundstück betroffen ist, wenn auch zuweilen nach dem Tagesordnungspunkt wieder alle die Sitzung verlassen. Aber es besteht ein hohes Interesse daran. Der ständige Kontakt der Wähler mit ihren Repräsentanten ist Kern unserer repräsentativen Demokratie. Ich setze voraus, dass jeder hier im Hause bereits Bürgerbriefe erhalten und hoffentlich auch beantwortet hat, dass er Sprechstunden anbietet, dass ein Büro im Wahlkreis existiert, dass man zu Vereinen oder anderen Interessenvereinigungen eingeladen wird und dort Rede und Antwort steht. Ich gehe ebenfalls davon aus, dass Sie die Anliegen der Menschen, mit denen Sie sprechen, ernst nehmen und nach bestem Wissen und Gewissen bei Ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen. Ebenso gehört es dazu, die getroffenen Entscheidungen zu erklären und dafür einzustehen, auch wenn es manchmal unangenehm ist. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört zu unseren originären Aufgaben als Abgeordnete. Ich hielte es für grundfalsch, diese Pflicht durch Volksentscheidungen einfach wegzudelegieren, gerade wenn es kontrovers wird. Wir drücken uns nicht vor der Verantwortung. Wir verstecken uns nicht hinter Plebisziten. Ich habe keine Angst vor Volkes Stimme. Das erwarte ich auch von Ihnen. Zweitens. Sie sprechen davon, Betroffene zu Beteiligten zu machen, ebenfalls eine schöne Phrase, die eine Aktivierung der sogenannten Nichtwähler über Sachthemen befördern soll. Ihre Begründung ist angesichts der Tragweite und der unabsehbaren Folgen der geforderten Verfassungsveränderung doch mehr von Populismus, von verfassungstheoretischer Träumerei und verfassungssinnstiftender Ferne geprägt, (Beifall bei der CDU/CSU) ganz im Gegensatz zur Demokratie des Grundgesetzes, die uns fast 70 Jahre gute Dienste geleistet hat und meiner Meinung nach so realistisch, so aktuell und so populär wie eh und je ist. Es gibt daher keinen sachlichen Grund, dem, was unsere Verfassungsväter 1949 niedergeschrieben haben, zu entsagen (Dr. Eva Högl [SPD]: Und Mütter!) und deren großes Zukunftswerk permanent umzukrempeln. Volksentscheide oder Volksabstimmungen sind in der Regel Sachentscheidungen zu einer bestimmten politischen Angelegenheit, üblicherweise begrenzt auf eine konkrete Fragestellung, welche mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten ist. Genau darin liegt auch die Schwäche dieses Elements der Entscheidungsfindung. Die Komplexität der Entscheidungen auf Bundesebene hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen, sodass es naiv wäre, zu glauben, man könnte derartige Fragen seriöserweise mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Machen wir ja auch nicht!) Ich möchte daran erinnern, dass, bevor wir hier über ein Gesetz abstimmen, welches weitreichende Folgen für die Bevölkerung und unser Land hat, wir jedes mögliche Risiko, jede mögliche Folge analysieren und auch debattieren. Die Beratungen erfolgen in einem komplexen Verfahren. Nur so kann man Gesetzentwürfen dieser Art auch gerecht werden. Es werden Experten befragt und auch angehört. Mit deren jeweiligen Expertisen setzen wir uns oft wochen-, wenn nicht gar monatelang auseinander. Oftmals einigen wir uns dabei auch auf einen besseren Kompromiss. Dieses wenn auch manchmal langwierige Verfahren wäre im Falle einer Volksabstimmung – so meine ich – nicht durchführbar. Vielmehr müsste man, will man einen Volksentscheid durchführen, das betroffene Sachthema unangemessen verkürzen. Dies geht zulasten einer konkreten Bewertung der Folgen. Spricht man von einem Mehr unmittelbarer Mitbestimmung auf Bundesebene, muss man fairerweise auch darüber sprechen, dass Volksentscheide in der Regel emotional aufgeladen sind und damit gut organisierte finanz- und kampagnenstarke Interessenvertretungen bei der Meinungsbildung im Vorteil sind. Das führt letztendlich zu einer Verzerrung des scheinbar reinen Volksbildes und damit zu einem Weniger an Demokratie und schlussendlich zu weniger Gerechtigkeit. (Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) Auch das gehört zur Wahrheit. Die Folge wäre, dass nicht sachbezogene Gesichtspunkte Einfluss auf die Entscheidung nehmen. Und das, so meine ich, kann nicht gewollt sein. Die Wahrheit ist, dass die heute zu treffenden Entscheidungen immer in einem Graubereich zwischen einem klaren Ja und einem klaren Nein liegen. Einer solchen Situation kann eine Volksbefragung niemals gänzlich gerecht werden. Hinzu kommt, dass in vielen Situationen schnell und entschlossen reagiert werden muss. Neben Schnelligkeit muss Politik auch die notwendige Weitsicht mitbringen. Bei Volksentscheiden – das wissen wir – besteht immer auch die Gefahr einer Emotionalisierung, sodass keine Chance besteht, mit rationalen Argumenten zu überzeugen. Menschen sollen und dürfen politische Verantwortung übernehmen, und es gibt genügend Möglichkeiten, sich an der Meinungsbildung zu beteiligen. Auf der Suche nach den besten Lösungen sind die Bürgerinnen und Bürger natürlich aufgefordert, sich einzubringen, und das tun sie zum Glück auch. Bürger können sich an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wenden. Jeden Monat gehen dort Hunderte Eingaben ein. Zur Wahrheit gehört auch: Petitionen waren in der Vergangenheit oft der ausschlaggebende Impuls für Gesetzentwürfe von uns. Churchill hat einmal formuliert: Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen. In diesem Sinne halte ich es für richtig, sich unseren Ansichten zu beugen (Heiterkeit bei der LINKEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gelegentlich! Aber nur gelegentlich! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ich finde das eine gute Idee!) und den Gesetzentwurf abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Halina Wawzyniak. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Demokratie für alle heißt, dass jede und jeder, die oder der es will, ohne Existenzangst und mit der dafür notwendigen Zeit direkt mitentscheiden kann, wie sich die Gesellschaft entwickelt. (Beifall bei der LINKEN) Demokratie für alle heißt eben auch, Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide zu ermöglichen. Ihnen liegt seit März 2014 der Gesetzentwurf der Linken vor. Wir wollen die parlamentarische Demokratie ergänzen, nicht ersetzen. Es ist im Übrigen nicht der erste Gesetzentwurf von uns dazu. (Beifall bei der LINKEN) Der Gesetzentwurf ist trotz einiger Neuerungen im Prinzip ein alter Hut, so wie auch die Argumente dafür und dagegen – das haben wir gerade wieder gemerkt. Wir könnten uns das alles sparen, wenn wir endlich direkte Demokratie einführen würden. Solange das nicht passiert, werden wir dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung setzen, bis auch der Letzte – in dem Fall die Union – begriffen hat, dass der Souverän, und zwar die hier lebenden Menschen, entscheiden können soll. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit dem Gesetzentwurf wollen wir denjenigen Menschen, die seit fünf Jahren hier leben und das 16. Lebensjahr vollendet haben, das Wahlrecht und damit auch die Möglichkeit geben, bei Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden mitzumachen. Wir lassen uns dabei von dem einfachen, aber durchaus bestechenden Gedanken leiten, dass diejenigen über die Entwicklung der Gesellschaft entscheiden sollen, die in ihr leben. Wer denn sonst, bitte schön? Wir wollen – das hat der Kollege Mutlu schon ausgeführt –, dass eine Volksinitiative erfolgreich ist, wenn 100 000 Wahlberechtigte sie unterstützen. Wir wollen regeln, dass eine Volksinitiative unter anderem dann unzulässig ist, wenn sie die in den Artikeln 1 und 20 Grundgesetz niedergelegten Grundsätze berührt oder unmittelbar das Haushaltsgesetz betrifft. Ein Volksbegehren soll zustande kommen, wenn ihm innerhalb von neun Monaten mindestens 1 Million Wahlberechtigte zugestimmt haben; bei Verfassungsänderungen sollen es 2 Millionen Wahlberechtigte sein. Ein Volksentscheid ist demnach erfolgreich, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat, für eine Verfassungsänderung sind hier zwei Drittel der abgegebenen Stimmen erforderlich. Wir haben mit dem Gesetzentwurf erstmals auch ein Abstimmungsgesetz vorgelegt, das sowohl die Information der Stimmberechtigten als auch die Kostenerstattung und die Transparenz regelt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, wir haben es gehört: An der einen oder anderen Stelle finden Sie unseren Gesetzentwurf nicht ganz so überzeugend. Das ist heute nicht mehr zu ändern. Aber vielleicht schauen wir mal, ob wir bei nächstbester Gelegenheit die Möglichkeit haben, mehr direkte Demokratie einzuführen; (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit habe ich meine Rede abgeschlossen!) denn im Grundsatz sind wir doch dafür. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn nach einer Umfrage 51 Prozent der über 50-Jährigen sagen, dass es eigentlich egal ist, wen man wählt, dann muss uns das erschrecken. Und die Haltung „Die da oben machen eh, was sie wollen!“ ist uns allen doch schon einmal begegnet. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nicht nur einmal!) – Nicht nur einmal. Das ist richtig. – Deshalb sagen wir: Demokratie für alle ist das Angebot an alle hier lebenden Menschen, selbst Verantwortung für politische Entscheidungen zu übernehmen. Wir sagen ihnen: Ihr werdet ernst genommen, eure Entscheidungen haben Konsequenzen. Es sind eben nicht die Politiker oder „die da oben“, die für euch entscheiden, sondern ihr. Das ist der Sinn, das Wesen von Demokratie. Dafür sollten wir uns alle starkmachen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nehmen Sie Ihre Wähler nicht ernst?) Mir geht es ähnlich wie dem Kollegen Castellucci: Die Gegenargumente, die hier vorgebracht worden sind, kann ich alle im Schlaf aufzählen, es sind nämlich immer dieselben. (Dr. Tim Ostermann [CDU/CSU]: Sie sind immer noch richtig!) Sie haben diesmal im Übrigen die Weimarer Republik vergessen, aber das kommt bestimmt auch noch. Sie ist übrigens nicht an Volksentscheiden gescheitert. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Im Übrigen tun wir hier im Parlament am Ende auch nichts anderes, als mit Ja oder Nein zu stimmen. Ich wüsste nicht, was wir anders machen. (Dr. Tim Ostermann [CDU/CSU]: Das Gesetzgebungsverfahren, das dahintersteht?) Ich will noch etwas zu dem Populismusargument sagen. Ich habe in den vergangenen sieben Jahren hier so viel Anfälligkeit für Populismus erlebt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass die Bevölkerung anfälliger für Populismus ist als ein Teil der hier Sitzenden. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In Ihrer Fraktion, oder wo?) Mehr direkte Demokratie, das Prinzip von Volksentscheiden und Volksbegehren, kann eine große Bildungsveranstaltung sein. Die Erfahrungen zeigen: Anfang 2014 gab es 600 Bürgerbegehren bundesweit, von denen sich nur 20 gegen Flüchtlinge richteten – das sind 20 zu viel –; parlamentarische Initiativen gegen Geflüchtete gab es hingegen viel, viel mehr. Es gab bisher zum Glück überhaupt keinen Bürgerentscheid gegen Geflüchtete. Vor diesem Hintergrund: Hören Sie von der Union auf, zu erklären, die Bevölkerung sei anfällig für Populismus. Die Bevölkerung ist nicht anfälliger als wir hier. Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns die Initiative ergreifen! Lassen Sie uns mehr Demokratie für alle ermöglichen! Lassen Sie uns Volksbegehren, Volksentscheide und Volksinitiativen zulassen! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Matthias Schmidt, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Korte, es gibt viele gute Argumente für die Einführung von Elementen der direkten Demokratie, aber in Ihrer Rede haben Sie kein einziges benannt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist es!) Ich verstehe Ihre Beispiele in diesem Zusammenhang überhaupt nicht: Steckdosen haben Sie als Synonym für Demokratie angeführt, etwa bei der Frage, ob nun eine oder vier Steckdosen in der Schule vorhanden sein sollen. In Ihrem Beispiel war das Geld sogar vorhanden. Das sind doch keine Sachverhalte, die durch direkte Demokratie geklärt werden müssten. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wenn Sie darüber nachdenken würden, würden Sie das verstehen!) Weiterhin haben Sie als Beispiel den Mindestlohn genannt, der nach Ihrer Aussage erst nach zehn Jahren Debatte eingeführt worden sei. Ja, aber Sie als Parlamentarier müssten doch wissen: Demokratie ist langsam, aber sie ist ausgewogen. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Manchmal geht es aber auch ganz schnell: Bei Hartz IV waren Sie ganz schnell!) In der Demokratie werden viele Argumente miteinbezogen, und dann kommt man zu einer sachgerechten Entscheidung. Es ist eine Illusion, zu glauben: Wenn wir direkte Demokratie hätten, dann würden alle Entscheidungen über Nacht getroffen – ich glaube, Sie haben gesagt: am nächsten Tag ist die Entscheidung da –, aber das stimmt doch gar nicht. Das wäre auch nicht sachgerecht. Es ist nicht erstrebenswert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kollegin Wawzyniak hat doch gerade erklärt, worum es geht!) Die Demokratie ist das Beste, was sich die Menschheit in den letzten zweieinhalbtausend Jahren hat einfallen lassen, um das Gemeinwohl zu organisieren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Auch der erste Satz im Antrag der Linken ist völlig richtig: Die parlamentarische Demokratie hat sich über viele Jahre bewährt. Zur parlamentarischen Demokratie gehört der Austausch der Argumente, gehört der Streit, aber dazu gehört auch die Fähigkeit zum Kompromiss. Die parlamentarische Demokratie wirkt wie eine Lupe, durch die man die unterschiedlichen Argumente sehr klar erkennen kann. Das war im Parlament bei Adenauers Westintegration so – damals heiß umstritten, heute natürlich unbestritten –, und das war bei Brandts Ostpolitik – mindestens genauso heiß umkämpft, aber heute unbestritten – so. Beides zusammen – Westintegration und Ostpolitik – haben überhaupt die Grundlagen für die deutsche Einheit gelegt. Auch Gerhard Schröders Arbeitsmarktreformen werden irgendwann von der Geschichte bewertet. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass es dazu sehr positive Stellungnahmen gibt. Aber wir wollen heute nicht über Gerhard Schröders Arbeitsmarktreformen reden, sondern wir reden über den Antrag „Demokratie für alle“ von den Linken. Ich finde, die Kanone, die Sie da ausgepackt haben, ist ein bisschen zu groß für die Spatzen, auf die Sie schießen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kriegsrhetorik!) Die Demokratie an sich ist in einem sehr guten Zustand. Die Überschrift Ihres Antrags insinuiert ja, es würden nicht alle an der Demokratie teilnehmen können. Das ist so nicht wahr. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt viele, die nicht mehr teilnehmen wollen!) Die Demokratie bundesrepublikanischer Ausprägung ist seit vielen Jahren ein Mitmachangebot für alle Bürgerinnen und Bürger. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Korte von den Linken? Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Ich habe damit gerechnet, und ich gestatte sie gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Herr Kollege Korte. Jan Korte (DIE LINKE): Meinen Sie allen Ernstes, dass der Zustand der Demokratie im Moment gut ist? Deuten nach Ihrer Kenntnis alle empirischen Untersuchungen auf eine absolute Zustimmung zum parlamentarisch-demokratischen System hin? – Das ist meine erste Frage. Bei meiner zweiten Frage geht es um etwas, was mich wirklich erschreckt hat. Sie sind ja Sozialdemokrat. Ich komme aus einer sozialdemokratischen Familie, in der immer parteiliche Bildung stattfand, zum Beispiel über die Grundlagen des demokratischen Sozialismus. Um es einmal klassisch auszudrücken: Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein. Übersetzt heißt das, dass ich, wenn ich in ökonomischer Hinsicht gut abgesichert bin und eine bestimmte Bildung habe, wenn ich also über ein gutes Einkommen und ein gutes Leben verfüge, auch mehr demokratische Freiheitsrechte wahrnehme. Ich habe versucht, das am Beispiel Hamburg deutlich zu machen. Sehen Sie als Sozialdemokrat keinen Zusammenhang zwischen der sozialen Lage auf der einen Seite und dem demokratischen Alltagsengagement auf der anderen Seite? (Beifall bei der LINKEN) Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Korte. – Ich habe es schon gesagt: Ich finde den Zustand der Demokratie insgesamt gut. Gleichwohl gibt es immer Dinge, die verbessert werden müssen, die verbessert werden können. Dafür braucht es den demokratischen Wettstreit, dafür braucht es Argumente, und dafür braucht es am Ende Entscheidungen. Selbstverständlich gibt es – Sie haben die Bildungspolitik angesprochen – immer etwas zu tun. Wenn dem nicht so wäre, bräuchte es gar keinen Bundestag. Dann hätten wir keine Existenzberechtigung. Also: Wir brauchen die Demokratie in dem Zustand, in dem sie ist; wir brauchen das Mitmachangebot der Demokratie, damit sich jeder beteiligen kann. Dieses Mitmachangebot – ich will das ausdrücklich sagen – beschränkt sich nicht auf Wahlen und Abstimmungen. Teilhabe an der Demokratie ist in vielen Bereichen möglich, und sie wird in vielen Bereichen genutzt. Ich halte das für ein gesundes System, das man an verschiedenen Stellen immer ergänzen und verbessern kann, zum Beispiel auch durch Elemente der direkten Demokratie, das aber im Grundsatz gut funktioniert und unser Allgemeinwesen ordentlich organisiert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich hatte es gesagt: Ein Wesenselement der Demokratie ist der offene und ehrliche Streit um Argumente, verbunden mit der Fähigkeit und dem Willen zum Kompromiss. Damit gehen zwei entscheidende Fragen einher, die heute zur Diskussion stehen: Erstens. Wer soll streiten, diskutieren und argumentieren? Zweitens. Wer darf und soll entscheiden? Ich glaube, wir sind uns bei der Beantwortung der ersten Frage über alle Parteigrenzen hinweg einig: In einer lebhaften Demokratie sollen grundsätzlich alle streiten; mir ist das wichtig. Jeder Bürger und jede Bürgerin soll sich zu aktuellen politischen Fragen eine Meinung bilden können und diese vertreten können. Sie müssen ihre Meinung nicht vertreten, aber sie müssen sie vertreten können. Der viel zitierte Ausspruch von der Demokratie ohne Demokraten, den wir aus der Weimarer Republik kennen, zeigt, wie wichtig es ist, dass Menschen aktiv an der Demokratie teilnehmen. Heute nennt man das Partizipation oder Teilhabe. Wir messen die aktive Teilhabe oftmals nur mit einem einzigen Parameter, der Wahlbeteiligung. Wir haben uns in Deutschland aus guten Gründen entschieden, keine Wahlpflicht einzuführen. Also gibt es auch keine Pflicht, sich einzumischen; aber wünschenswert ist Einmischung schon, und zwar auf allen Ebenen und nicht nur bei Wahlen. Schwieriger wird es bei der zweiten Frage. Wer darf entscheiden? Dazu sagen die Verfechter der reinen parlamentarischen Demokratie: Nur die gewählten Volksvertreter sollen Entscheidungen treffen können. – Ich will ein Beispiel jenseits des Parlaments nennen. Ich nehme ein Beispiel aus dem Alltag. Demokratie gibt es ja an vielen Stellen. Thema Familienurlaub: Der Sommerurlaub steht an. Die Familie will entscheiden, wo es hingehen soll. Die Eltern rufen ausdrücklich die Kinder auf, mitzuentscheiden. Die Kinder setzen sich zusammen und machen sich Gedanken über den Urlaub. Sie wollen natürlich Sonne, sie wollen Strand, sie wollen das Meer; aber sie wollen auf keinen Fall lange fahren. Also kommen die Kinder zu der sachgerechten Erkenntnis und bringen das in den Familienrat ein: Erstwunsch Ostsee, Zweitwunsch Nordsee, Drittwunsch Gardasee. – Dann kommt nach einem langen Entscheidungsprozess der Papa und sagt: Die Entscheidung ist gefallen. Wir fahren zum Wandern in die Alpen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Super!) Das führt in dieser Familie zu keiner großen Freude. Das führt auch nicht dazu, dass die Kinder in den nächsten Jahren sehr engagiert in der Familie mit debattieren wollen. Das Beispiel hinkt, ich weiß; aber ein kleines bisschen machen wir das als Bundestag ebenso, indem wir sagen: Ja, alle Menschen sollen sich beteiligen, alle sollen sich einbringen und mit argumentieren; aber die Entscheidung treffen wir hier alleine. Darum sind wir als SPD schon lange der Meinung, dass wir Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene einführen sollten, allerdings nur als Ergänzung der parlamentarischen Demokratie, die sich sehr bewährt hat. Das hatten wir auch in unserem Wahlprogramm verankert; Kollege Castellucci ist darauf eingegangen. Leider ist es uns bislang nicht gelungen, den Koalitionspartner dafür zu gewinnen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht mal die Koalition wechseln!) Aber Koalitionen leben von der Fähigkeit zum Kompromiss, und, ja, das ist zuweilen auch schmerzhaft. Wenn wir an dieser Stelle eine Verfassungsänderung vornehmen, sollten zwei andere Punkte mit geregelt werden. Ich meine, wir sollten die Wahlperiode auf fünf Jahre verlängern, wie es fast alle Landesparlamente getan haben. (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sehr guter Vorschlag!) Es bleibt noch eine zweite Fünf, von der ich meine, dass wir sie dringend im Bundestag regeln sollten. Das ist die Festschreibung der Fünfprozenthürde im Grundgesetz. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nee, nee, nee!) Ich wäre sozusagen für die Doppelfünf und hielte das für sehr erstrebenswert. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das finden die Linken auch toll!) Frau Präsidentin, ich merke, das mit meiner Zeit wird eine knappe Geschichte. Ich werde also versuchen, direkt zum Schluss zu kommen. Bei genauerer Betrachtung ist erkennbar: Das Thema „direkte Demokratie“ ist sehr komplex und braucht eine Antwort, die dem auch gerecht wird. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger stärker beteiligen – lassen Sie mich das ruhig ausdrücklich betonen –, und wir begrüßen den Wunsch vieler Menschen, sich direkter und stärker einzubringen. Das ist ganz im Sinne der Forderung, dass die Demokratie engagierte Demokratinnen und Demokraten braucht. Das kann uns als Gesellschaft nur stärken. Auch wenn es uns noch nicht gelungen ist, diese Haltung beim Koalitionspartner durchzusetzen: Wir bleiben dran. Ich danke Ihnen recht herzlich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Das war zwar ein langer Schluss, aber ausnahmsweise! – Nächste Rednerin ist Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ständig fragen wir uns, was wir tun können, um unsere parlamentarische Demokratie zu beleben, sie interessanter zu machen und die Politikverdrossenheit zu bekämpfen. Elemente direkter Demokratie wären gerade dafür hervorragend geeignet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nichts bringt den Bürgerinnen und Bürgern die Arbeit politischer Entscheidungsträger näher, als sie hin und wieder selbst entscheiden zu lassen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen wir ja!) Ich will Ihnen einmal erzählen, wie ich persönlich das in der Schweiz erlebt habe, wo ich als Jugendliche aufgewachsen bin. Auch wer nicht regelmäßig die Zeitung las oder die Nachrichten sah, wurde von den Informationen über eine anstehende Volksabstimmung auf jeden Fall erreicht. Ob auf Plakaten oder in Fernsehspots wurden die Bürgerinnen und Bürger über die Fragestellung aufgeklärt, und die jeweilige Pro- und Kontraposition wurde neutral und gut verständlich dargestellt. Wer so nach seiner Meinung gefragt wird, macht sich auch Gedanken über Themen, über die er noch nie nachgedacht hat. Es ergeben sich Gespräche und Diskussionen unter Freunden und Nachbarn und sogar in der Schule. Als minderjährige Ausländerin war ich damals nicht berechtigt, abzustimmen. Aber an meiner Schule fand 1986 zeitgleich zur Volksabstimmung eine Abstimmung unter den Schülern statt, wobei es um die Frage ging, ob die Schweiz in die UNO eintreten solle. Natürlich wurden die Hintergründe und das Für und Wider auch im Unterricht dargelegt: Was bedeutet Neutralität der Schweiz? Warum wurde die UNO gegründet? Am Ende waren wir in meiner Schule stolz, im Gegensatz zur echten Abstimmung für den UNO-Beitritt gestimmt zu haben. Das Ergebnis insgesamt war natürlich nicht erfreulich; aber die ganze Diskussion um die Abstimmung, das Werben für die eigene Position und für die UNO hat bei mir einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Darf ich einmal unterbrechen? – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grosse-Brömer? Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte sehr. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Ich gehe davon aus, dass die liebe Kollegin Keul Interesse daran hat, ihre nur vier Minuten Redezeit etwas zu verlängern. Deswegen meine kurze Zwischenfrage: Sind Sie mit mir der Auffassung, dass gerade die Volksabstimmungen in der Schweiz, auf die Sie gerade verwiesen haben, dokumentieren, dass direkte Demokratie mit weitaus weniger Zuspruch versehen ist? Wenn ich die Wahlen zum Deutschen Bundestag mit den Volksabstimmungen in der Schweiz vergleiche, dann sehe ich, dass es dort eine deutlich geringere Wahlbeteiligung gibt. Sind Sie nicht der Auffassung, dass möglicherweise auch in Deutschland bei anstehenden Entscheidungen des Deutschen Bundestages – so ist es jedenfalls in dem Kreis, in dem ich mich freundschaftlich oder auch politisch bewege – intensive Diskussionen über politische Streitfragen stattfinden? Dafür brauche ich keine Volksabstimmung in der Schweiz mit deutlich geringerer Wahlbeteiligung als in Deutschland. Dazu brauche ich nur die Bereitschaft, mich für Politik zu interessieren. Meine Erfahrung ist: Je spannender die Streitfrage ist, desto intensiver finden die Diskussionen im Bekanntenkreis statt. Wenn der Deutsche Bundestag vor einer wichtigen Entscheidung steht, sind solche Diskussionen auch in Deutschland nicht ausgeschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, vielen Dank für die Zwischenfrage. – Ich glaube Ihnen gerne, dass Sie als Erster PGF einer regierungstragenden Fraktion vor wichtigen politischen Entscheidungen in Ihrem Umfeld auch darüber diskutieren. Trotzdem ist, glaube ich, unbestritten, dass wir alle uns wünschen, dass auch in der Bevölkerung eine breite Diskussion über das, was wir hier machen, vermehrt und stärker stattfindet. Ich glaube, das können wir nicht herunterspielen. Es mag ja sein, dass die Beteiligung manchmal geringer ist. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein! Dauerhaft!) Es mag bei einer Volksabstimmung Themen geben, die mehr Leute mobilisieren, und manche Fragen, die vielleicht weniger mobilisieren. Das ist dann aber auch eine Aussage über den Wert der Frage, die zur Abstimmung steht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau! Exakt!) Ich sehe da kein Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zurück zu der Schweiz und der UNO. Ich kann Sie beruhigen: Heute ist die Schweiz Mitglied der UNO. Es hat allerdings bis 2002 gedauert, und es war bemerkenswerterweise eine Volksinitiative, die die Frage wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat. Letzte Woche gab es wieder eine Volksinitiative in der Schweiz, die es bis in unsere Medien geschafft hat. Die Abstimmung über das bedingungslose Grundeinkommen kann als echte Win-win-Situation bezeichnet werden. Die Befürworter sind zwar unterlegen, können aber für sich reklamieren, eine Debatte weit über die Grenzen der Schweiz hinaus belebt zu haben. Auf der anderen Seite hat das Volk unter Beweis gestellt, dass es sich auch über fiskalisch höchst relevante Sachverhalte sehr verantwortlich Gedanken machen kann. Niemand von uns will die repräsentative Demokratie abschaffen. Wir betonen in diesem Zusammenhang aber immer ein bisschen schnell, dass sich das bestehende System doch so lange bewährt hat. Nichtsdestotrotz können wir nicht ausblenden, dass das Volk Defizite in unserer parlamentarischen Demokratie wahrnimmt. Wir alle kennen das – es ist vorhin schon angesprochen worden –, zum Beispiel das Schimpfen über „die Politik“ als solche oder „die da oben“. Aber auch den Politikverdrossenen oder den Wutbürgern gönne ich gerne, dass sie hin und wieder einmal selbst entscheiden müssen (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) und vielleicht plötzlich merken, dass das gar nicht so einfach ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Der Respekt und die Wertschätzung für das, was wir als ihre gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter hier so den ganzen Tag tun, können am Ende dadurch nur gewinnen. Die Hürden für Verfassungsänderungen sollten wir allerdings durchaus etwas höher hängen, als es im Gesetzentwurf der Linken vorgesehen ist. Dazu hat mein Kollege schon viel gesagt. Wir werden uns wegen dieser kleinen Abweichungen enthalten. Aber der Antrag „Demokratie für alle“ findet auf jeden Fall unsere Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Korte, Ihre Rede war eigentlich ein Ostergedicht zu Weihnachten. Sie haben nicht erklärt, woher das Geld für diese fünf Steckdosen kommen soll. Sie haben auch nicht erklärt, wer es bezahlt, wenn Sie den Mindestlohn erhöhen würden. Aber das Problem Ihres Beispiels war ein ganz anderes. Es ist nämlich so, dass Sachaufwandsträger für diese Schule wahrscheinlich auch in Sachsen-Anhalt die Gemeinde ist. Die Gemeinde bekommt die Finanzausstattung vom Land. (Jan Korte [DIE LINKE]: Dazu habe ich doch gerade was gesagt!) Es gibt in Sachsen-Anhalt Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide. Deswegen verstehe ich nicht, warum das Ihr Argument für ein solches Instrument auf Bundesebene ist. Ich gebe Ihnen einen Tipp: Initiieren Sie doch einen solchen Volksentscheid in Sachsen-Anhalt. Dann wird es vielleicht etwas mit diesen fünf Steckdosen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Berechtigterweise müssen wir uns in diesem Haus die Frage stellen: Wie wecken wir bei den Bürgerinnen und Bürgern das Interesse für Politik? Wie steigern wir die Wahlbeteiligung? – Das ist richtig, Herr Castellucci. Wir müssen uns auch die Fragen stellen: Wie vermeiden wir, dass die Menschen im Land das Gefühl haben: „Die da oben entscheiden sowieso über unsere Köpfe hinweg“? Wie gelingt es uns, dafür zu sorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in den politischen Entscheidungen wiederfinden? Die spannende Frage ist aber: Ermöglicht das der vorliegende Vorschlag? – Herr Castellucci, das war ja eigentlich Ihr Ansatz; aber auch Sie sind eine Antwort auf diese Frage schuldig geblieben. Auch Sie haben manche Bundesländer benannt und die niedrige Wahlbeteiligung dort beklagt. Aber in all den Bundesländern, die Sie genannt haben, gibt es plebiszitäre Elemente. Ich möchte heute in meiner Rede auf die genauen Zahlen im Hinblick auf plebiszitäre Erfahrungen in Deutschland eingehen. Ich habe als Beispiel Bayern genommen. Sie wissen, in Bayern gibt es Volksbegehren und Volksentscheide schon seit 1946. Seither fanden 20 Volksbegehren und 19 Volksentscheide statt. Interessant sind die Eintragungszahlen bei Volksbegehren. Sie bewegen sich zwischen 2,3 und 17,2 Prozent der Stimmberechtigten. Nur 8 dieser 20 Volksbegehren wurden angenommen mit Erreichen des Eintragungsquorums von in Bayern 10 Prozent. Wenn man sich die Chronologie über die Jahre hinweg anschaut, dann muss man feststellen, dass es in den Jahren 1967 bis 1977 sieben Volksbegehren gab, von 1990 bis 2000 sechs und von 2003 bis 2014, also in elf Jahren, sieben. Das heißt, auch hier stellt man nicht fest, dass es zu einer Intensivierung, zu einer Steigerung der Anzahl kam, die – ich sage es einmal so – mit der Steigerung auch der medialen Diskussion über Politikverdrossenheit einhergeht. Auch die Wahlbeteiligung gibt zu denken. Bei Volksentscheiden liegt sie in Bayern zwischen 23,3 Prozent und 63,2 Prozent, je nach Termin. Die Wahlbeteiligung ist nämlich dann hoch, wenn wir einen Volksentscheid mit einer Landtagswahl oder einer Bundestagswahl verbinden. Das heißt, die plebiszitären Elemente haben aus sich heraus nicht die Kraft, die Leute an die Urne zu bringen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist es!) Meine Damen, meine Herren, es gibt zwei Erklärungen für diese Situation in Bayern; Sie können sie sich aussuchen. Erklärung Nummer eins ist: Bayern ist das gelobte Land. Dort ist alles so gut, dass die Menschen keinen Bedarf sehen, etwas zu ändern. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sagt Herr Seehofer! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das überzeugt mich sofort!) So gut wie ich Sie kenne, wird das aber nicht Ihr Argument sein. Dann kann es eben nur das zweite Argument sein: Plebiszitäre Elemente alleine genügen nicht, die Menschen an die Wahlurnen zu bringen. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Beides stimmt! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist nicht mein Argument! Das ist Ihr Argument!) Ähnlich sind die Erfahrungen auf kommunaler Ebene; auch das will ich an dieser Stelle einflechten. Ich habe drei Jahre das Wahlamt einer mittelgroßen Stadt in Bayern mit circa 130 000 Einwohnern geleitet. Die Wahlbeteiligung lag dort regelmäßig unter 20 Prozent. Das Zustimmungsquorum von 10 Prozent wurde regelmäßig nicht erreicht. Das beschäftigt mich deswegen bis heute, weil es doch gerade auf kommunaler Ebene um Fragen geht, die die Bürgerinnen und Bürger beschäftigen müssten. Es findet eine unmittelbare Berührung statt, weil es zum Beispiel um Entscheidungen wie den Bau einer Straßenbahn oder die Bebauung eines Parkgeländes geht. Auch mit solchen Fragen sind die Menschen dort leider nicht zu motivieren gewesen. Demgegenüber fielen in dieser Stadt mit etwa 130 000 Einwohnern regelmäßig Kosten von 100 000 Euro pro Volksentscheid an. Trotzdem glaube ich, dass wir uns auf Bundesebene durchaus Gedanken machen müssen. Aber ich sage Ihnen: Einige Fehler dürfen uns nach meiner Einschätzung dabei nicht passieren. Wir brauchen politische Stabilität. Wir müssen vermeiden, dass solche Instrumente der politischen Stimmung unterworfen werden. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, wir hätten im August 2015 eine Volksabstimmung zur Frage der Schließung der Grenzen durchgeführt, und stellen Sie sich eine Volksabstimmung über dieselbe Frage im Januar 2016 vor. Damit uns das nicht passiert – es ist angeklungen –, brauchen wir Quoren. Wenn man sich Ihren Gesetzentwurf anschaut, stellt man fest: Es besteht vor allem eine Gefahr, nämlich die, dass Minderheiten Mehrheiten regieren. Da ich Ihre sozialistische Kampfrede von vorhin noch in Erinnerung habe – Herr Korte, seien Sie mir nicht böse –, muss ich sagen: Bewahre uns Gott davor! (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Was war denn daran sozialistisch?) Nach Ihrer Auffassung soll ein Volksbegehren zustande kommen, wenn sich mindestens 1 Million der Wahlberechtigten innerhalb von neun Monaten einträgt. 1 Million, das klingt nach wahnsinnig viel. Wir haben in Deutschland circa 64 Millionen Stimmberechtigte; das sind also gerade einmal 1,56 Prozent. Hätten Sie die Zahl 1,56 Prozent in Ihren Gesetzentwurf geschrieben, wäre jedem beim ersten Durchlesen klar geworden, was für ein Instrument Sie hier etablieren wollen, nämlich eines, das dazu führt, dass am Schluss die Minderheit die Mehrheit regiert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Entschieden wird durch Volksentscheid! Das ist etwas ganz anderes! Das dürfen Sie nicht durcheinanderbringen!) Lassen Sie mich am Schluss noch etwas zum Wahlrecht ausführen. Sie wollen das Wahlrecht von der deutschen Staatsangehörigkeit trennen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja! Dazu erzähle ich Ihnen nachher noch einmal etwas!) Ich warne deshalb davor, weil wir in Deutschland einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und den staatsbürgerschaftlichen Rechten haben. (Dr. Eva Högl [SPD]: Bei den Kommunalwahlen nicht!) Den staatsbürgerlichen Rechten wie dem Wahlrecht stehen staatsbürgerliche Pflichten gegenüber. Herr Ostermann hat es vorhin schon herausgearbeitet: Welches Bestreben sollte denn noch jemand haben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen, wenn Sie ihm am Schluss eines der wesentlichen staatsbürgerlichen Rechte, nämlich das Wahlrecht, auf dem Silbertablett präsentieren? Es ist für mich – das sage ich auch ganz offen – nicht einzusehen, dass Sie, wenn Sie das schon ändern wollen, hier nicht auf das Kriterium der Gegenseitigkeit bestehen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das erzähle ich Ihnen heute Abend!) Das müsste doch mindestens davon abhängig gemacht werden, dass unsere deutschen Mitbürger im Ausland auch in den Ländern wählen dürfen, aus denen die Damen und Herren stammen, die mit ausländischer Staatsbürgerschaft bei uns wählen dürfen. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Kollege Hoffmann, TOP 15 nachher!) Mit genau diesem Eindruck darf ich schließen. Sie haben uns einen untauglichen Vorschlag präsentiert. Er macht nichts besser, sondern sehr vieles schlechter, und deswegen werden wir ihm nicht zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes spricht die Kollegin Susann Rüthrich, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zurück zur Sachlichkeit!) Susann Rüthrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 73,1 Prozent der Deutschen stimmen folgender Aussage zu: Die demokratischen Parteien zerreden alles und lösen die Probleme nicht. – Noch unangenehmer für uns ist, dass 75,6 Prozent folgendem Satz zustimmen: Politiker nehmen sich mehr Rechte heraus als normale Bürger. Wir könnten jetzt sagen: Das ist doch gar nicht so. Das erlebe ich ganz anders; so sind wir nicht. – Das nützt nur leider nichts. In der Sozialpsychologie gibt es das sogenannten Thomas-Theorem, das besagt: Jedes Handeln hat reale Folgen, auch wenn die Einschätzung, die dazu geführt hat, von einer anderen Ausgangssituation ausgegangen ist. – Die Sichtweise vieler ist nun einmal, dass sie sich nicht mitgenommen und zu wenig beteiligt fühlen. Nicht wenige stehen unserer Demokratie skeptisch gegenüber, und das wirkt. Das erleben wir an vielen Stellen. Dabei meint Demokratie doch: Diejenigen, die von einer Entscheidung betroffen sind, müssen auch das Ergebnis beeinflussen können. – Das ist der Anspruch, dem wir gerecht werden müssen, und das geht weit über die Bundesgesetzgebung hinaus; denn Demokratie findet in allen Lebensbereichen statt. Damit bin ich bei den vorliegenden Vorschlägen der Linken. Ich muss sagen: Der Titel Ihres Antrages, „Demokratie für alle“, löst in meinem Kopf ein anderes Bild aus als das, was ich in Ihrem Antrag finde. Ich hätte erwartet, dass Demokratie umfassend beschrieben wird. Einige Beispiele: In der Familie heißt Demokratie, dass der Papa eben nicht mehr automatisch das größte Stück vom Kuchen kriegt, sondern dass die Entscheidungen zum Besten für alle sind und nicht immer nur für eine oder für einen. Es geht weiter in den Kitas, Schulen, Betrieben, Hochschulen, Pflegeheimen usw. Wer entscheidet da über was in welchem Rahmen? Wie wird Mitbestimmung gelebt? Als formaler Akt, mit Widerwillen oder aus Überzeugung? In den Kommunen, in den Bundesländern, im Bund und in Europa – überall da muss Demokratie mit Leben gefüllt werden. Warum nennen Sie Ihren Antrag also „Demokratie für alle“, wenn Sie nur die Bundesgesetzgebung einbeziehen? Aber gut, schauen wir uns einmal die Bundesebene an. Wir setzen hier Rahmenbedingungen, soweit wir als Gesetzgeber dafür zuständig sind. Das alles wäre aber eine leere Hülle, wenn es bei diesen Rahmenbedingungen bliebe; die Menschen müssen diesen Rahmen mit Leben füllen können, und zwar Tag für Tag. Damit sie das können, braucht es einige Voraussetzungen. Das ist nichts, was einem einfach in die Wiege gelegt wird. Aushandeln, Kompromisse finden – das muss erlernt und erlebt werden. Viele Menschen engagieren sich genau dafür und kümmern sich darum, dass das passiert. Genau die müssen wir stärken. Wir müssen auf Augenhöhe mit ihnen reden und dann eben auch den Rahmen für die demokratische Beteiligung zur Verfügung stellen. Aber auch das reicht nicht; denn es braucht auch Bildung, Bildung, Bildung. Damit ist nicht nur das Lernen mit dem Kopf gemeint; Begreifen ist etwas Aktives. Die Menschen müssen den demokratischen Rahmen eben auch füllen können und vor allem füllen wollen. Damit das klappt, muss die demokratische Bildung weit über Institutionenkunde hinausgehen. Im Schulunterricht beispielsweise lernt man, was Bundestag und Bundesrat machen und wie Wahlen funktionieren. Das ist alles gut und richtig. Wenn aber das Recht, zu wählen, noch drei Jahre entfernt ist, weil es an das Erreichen des 18. Lebensjahrs gebunden ist, dann kann kaum ein Mensch das Gelernte mit sich in Verbindung bringen. Demokratische Bildung muss also im täglichen Leben erfahrbar sein. Was aber tun wir, um die demokratisch eingestellten Menschen zu stärken? Nun, mit „Demokratie leben!“, dem Bundesprogramm unserer Familienministerin Manuela Schwesig, tun wir genau das: die engagierten Demokratinnen und Demokraten stärken. In Modellprojekten können wir im kleinen Rahmen ausprobieren, was funktioniert. Aktuell gibt es 218 Lokale Partnerschaften für Demokratie. Dort unterstützen wir Kommunen dabei, Demokratie erlebbar zu machen, vom Jugendprojektefonds bis hin zu Netzwerkkonferenzen. In den Beratungsnetzwerken werden alle Bundesländer dabei unterstützt, Demokratieberatung in ihrem Land zu vernetzen, zu qualifizieren und flächendeckend anzubieten. Jedes Land hat dafür ein Demokratieberatungskonzept entwickelt. Daran waren viele zivilgesellschaftliche Akteure beteiligt. Alle finden sich jetzt in den gemeinsam entwickelten Ansätzen wieder. Das ist Demokratie! Auf Bundesebene fördern wir bundesweite Träger von Fortbildung und Beratung bis hin zu Vernetzung und Empowerment. In diesem Jahr können wir allein für dieses Programm 50 Millionen Euro zur Verfügung stellen; das ist nicht wenig. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das ein Argument dafür oder dagegen?) Jedoch übersteigt die Zahl der Anfragen an die Träger oft das Leistbare. Außerdem: Was in den Modellen funktioniert, wissen wir mittlerweile ganz gut. Wir müssen das Gute aber auch woanders anbieten können und auf stabile Füße stellen. Oder: Was in Kommune A passiert, wollen wir auch in Kommune B möglich machen. Kurz: Wir müssen in die Breite wirken. Das kann nicht allein das Programm „Demokratie leben!“ leisten; das ist klar. Aber was wir können, ist, überall den Anreiz zu geben, das Rad, das nun schon einmal erfunden ist, auch zu nutzen. Zudem beweisen wir mit diesem Programm: Die Aktiven für das demokratische Zusammenleben, ob in der Gemeinde, im Land, im Bund, sind nicht alleine. Wir stehen an ihrer Seite. Ab dem kommenden Haushaltsjahr soll deswegen das Programm „Demokratie leben!“ statt mit 50 Millionen Euro mit 100 Millionen Euro ausgestattet werden. Ich gehe davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie das im Herbst im zu beschließenden Haushalt mittragen werden. Aber auch mit der Verdopplung dieser Mittel ist es aus meiner Sicht noch nicht getan. Das Programm „Demokratie leben!“ läuft über fünf Jahre. Das ist eine lange Zeit; das freut mich auch. Aber auch diese fünf Jahre sind endlich. Diejenigen, die sich Tag für Tag für die Demokratie engagieren, wissen, dass sie eine Daueraufgabe haben, eine Aufgabe, die nie fertig ist. Auch wir wissen das. Eine Forderung im NSU-Abschlussbericht war – das haben wir alle bestätigt – eine langfristige Absicherung der demokratischen Arbeit. Genau das müssen wir tun. Es muss für uns Demokratinnen und Demokraten eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir denen, die die Demokratie außerhalb des Parlaments mit Leben füllen, verlässlich beistehen. Deswegen lassen Sie uns die gesetzliche Grundlage schaffen, damit die Demokratieförderung eine Zukunft hat; denn Daueraufgaben müssen dauerhaft gefördert werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Barbara Woltmann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Woltmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Antrag der Linken mit dem Titel „Demokratie für alle“, über den wir heute gemeinsam mit ihrem bereits 2014 eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und zur Einführung eines Bundesabstimmungsgesetzes heute beraten und beschließen, findet nicht unsere Zustimmung; (Jan Korte [DIE LINKE]: Überraschung!) das ist hier durch meine Vorredner schon deutlich geworden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hoffe ich!) Die von Ihnen gewünschte Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung und deren Aufnahme in das Grundgesetz suggeriert schon fast eine Art Basisdemokratie nach Schweizer Vorbild. Dies passt nicht in unser Demokratieverständnis und das Demokratieverständnis, das unserem Grundgesetz innewohnt. Durch das Schweizer Modell – Frau Keul hat es in ihrer Rede schon erwähnt – mit den Bürgerentscheiden hat es ziemlich lange gedauert, bis zum Beispiel das Frauenwahlrecht eingeführt worden ist. Das möchte ich hier nicht. Die Väter und Mütter unserer Verfassung haben nach dem Zweiten Weltkrieg ein sehr kluges und sehr weitsichtiges Grundgesetz erlassen. Sie waren geprägt von den Erfahrungen in der Weimarer Republik und auch des Dritten Reiches. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da kommt ja doch noch das Argument!) – Ja, den Gefallen wollte ich Ihnen doch noch tun, dass dieses Argument auch noch kommt. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wunderbar!) Das Grundgesetz ist aus den Erfahrungen der Vergangenheit und der Hoffnung für die Zukunft heraus im Jahr 1949 sehr klar und sehr intelligent gefasst worden. Es ist das Bekenntnis zu einer repräsentativen Demokratie. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir wollen es ergänzen!) Für mich ist das Grundgesetz das wichtigste und bedeutendste Gesetz, das wir in Deutschland haben. Es ist die Basis unserer gesamten Rechtsnormen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da steht was von Wahlen und Abstimmungen!) Es war schon damals sehr zukunftsfest und ist es auch noch heute. Während wir andere Gesetze schon einmal schnell ändern, weil sich die gesellschaftlichen oder die politischen Verhältnisse geändert haben oder auch aktuelle Ereignisse dies vermeintlich fordern, verschließt sich das Grundgesetz diesem Zeitgeist des Veränderns, den wir in der heutigen Zeit allzu schnell verspüren. Da ist das Grundgesetz dann auf einmal ganz sperrig. Ein Volksentscheid ist im Grundgesetz dennoch nicht völlig ausgeschlossen. In Artikel 29 des Grundgesetzes ist die Möglichkeit normiert, Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebiets durch ein Bundesgesetz zu regeln. Dieses Bundesgesetz muss durch Volksentscheid bestätigt werden. Aber, wie gesagt, das betrifft nur die Neugliederung des Bundesgebiets, und auch das ist nicht ganz einfach, wie wir das schon bei dem Volksentscheid zum Zusammenschluss des Landes Brandenburg mit dem Land Berlin gesehen haben. Das Ergebnis kennen Sie. Weiteres zu diesem Thema findet sich nicht im Grundgesetz, und das aus gutem Grund; denn das, was in Ländern und Kommunen möglich ist, lässt sich nicht automatisch auf die Bundesebene übertragen. Für Änderungen des Grundgesetzes muss es schon sehr gewichtige Gründe geben, und das Grundgesetz kann, wie Sie alle wissen, nur mit großer Mehrheit, nämlich mit Zweidrittelmehrheit, von Bundestag und Bundesrat geändert werden. Über die Ewigkeitsklausel des Artikels 79 Absatz 3 des Grundgesetzes können bestimmte Grundrechte gar nicht geändert werden. Da sind bewusst große Hürden aufgebaut worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, die Gründe, die Sie für eine Änderung des Grundgesetzes aufführen, reichen mir da nicht aus. Herr Kollege Korte, Ihre Beispiele – dazu ist hier schon einiges gesagt worden – reichen mir auch nicht. Aus meiner Sicht ist es auch ein Irrglaube, zu meinen, mit mehr plebiszitären Elementen auf Bundesebene ein Mehr an Demokratie zu schaffen. So einfach ist das nicht. Über welche Fälle auf Bundesebene hätten Sie denn gern durch einen Volksentscheid abstimmen lassen wollen – einige Beispiele sind von Vorrednern auch schon gebracht worden –: das Rettungspaket für Griechenland, die Euro-Einführung, die Erhöhung von Sozialhilfesätzen oder die Schließung der Grenze im Zuge der Flüchtlingswelle? Man muss die Dinge immer bis zu Ende denken. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Woltmann, darf ich Sie unterbrechen? – Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wawzyniak? Barbara Woltmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin, nein. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ich hätte Sie gern nach Artikel 20 Absatz 2 gefragt!) Für eine Volksinitiative sollen, Ihren Vorstellungen folgend, gar nur Hunderttausend Stimmen ausreichen. Auch das ist von Vorrednern schon kritisch angemerkt worden. Wir sprechen manchmal von einer gewissen Demokratieverdrossenheit. Aber ist das wirklich so? Ja, es gehen immer weniger Bürger zur Wahl – bis auf die letzten drei Landtagswahlen. Viele mögen sich wohl nicht mehr für das politische Geschehen interessieren, manch einer ist auch enttäuscht. Vielleicht kann man da von einer gewissen Politikmüdigkeit sprechen. Aber für mich sind die Lösung und die Antwort auf dieses Phänomen nicht in Ihrem Gesetzentwurf zu finden. Ich glaube, dass für viele Demokratie so selbstverständlich geworden ist, dass es sich oft vermeintlich gar nicht mehr lohnt, sich für sie einzusetzen. Das können wir nur durch eine überzeugende Politik und durch Politiker, welche die Sorgen und Vorstellungen der Menschen wahrnehmen, lösen und Antworten darauf finden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ich bestätigen!) Ein Beispiel ist die Flüchtlingswelle im letzten Jahr. Da sind in der Bevölkerung Ängste und Ablehnung aufgekommen, wurde Überfremdung befürchtet. Das müssen wir aufgreifen und müssen darauf durchdachte Antworten geben. Das haben wir auch getan. Was hätte uns da jetzt ein Volksentscheid gebracht? Wem hätte das wohl genutzt? Mir schwant bei solchen Gedanken nichts Gutes. Insofern sollten wir es belassen, wie es ist. Bundespräsident Gauck hat im Vorwort der Grundgesetzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung geschrieben: Unsere Verfassung ist – davon bin ich fest überzeugt – auch in Zukunft das sichere Fundament zur Bewältigung aktueller Herausforderungen unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens. Das Grundgesetz ist eine echte Bürgerverfassung geworden. Abzulehnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ist auch Ihr Vorschlag, das Wahlalter auf 16 Jahre zu reduzieren. Meine Vorredner haben es schon angesprochen: Die Bindung an die Volljährigkeit bei allen Entscheidungen, die die Bundesrepublik in all ihrer Tragweite betreffen, ist richtig; denn erst mit 18 entstehen auch alle Rechte und Pflichten. Völlig schleierhaft ist mir auch Ihr Regelungsvorschlag – auch das ist schon angesprochen worden –, auch Nichtdeutschen das Wahlrecht zu geben, die seit fünf Jahren in Deutschland gemeldet sind. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Tagesordnungspunkt 15 heute! Das erzähle ich Ihnen heute Abend!) Auch das lehnen wir ab. Das Wahlrecht an die deutsche Staatsbürgerschaft zu knüpfen, ist richtig. Das Staatsvolk wird, verfassungsrechtlich gesehen, nur von Deutschen gebildet. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Unsinn!) Insofern ist im Bundeswahlgesetz zu Recht geregelt, dass nur Deutsche den Bundestag wählen dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Übrigen hat mich ein bisschen gewundert – der Kollege Ostermann hat es schon angesprochen –, dass Sie neben Ihrem Gesetzentwurf noch Ihren Antrag „Demokratie für alle“ vorlegen, in dem Sie die Bundesregierung auffordern, Initiativen zu mehr Demokratie vorlegen. Ich glaube, Sie sind sich Ihres Gesetzentwurfs nicht mehr so sicher. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir wollten den Vergleich!) Sei’s drum: Auch dieser Antrag findet nicht unsere Zustimmung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8419 mit dem Titel „Demokratie für alle“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Grundgesetzes (Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz) und zur Einführung eines Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid und zur Änderung weiterer Gesetze. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7972, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/825 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2016 Drucksache 18/8300 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der beruflichen Bildung umsetzen Drucksache 18/8421 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Im Jahr 2016 die Berufsbildung fit für die Zukunft machen Drucksache 18/8259 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Thomas Feist, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in Deutschland zwei Systeme der Bildung, die sich an die Schule anschließen: Das sind die akademische und die berufliche Bildung. Beide Systeme – das ist meine tiefe Überzeugung – müssen im Gleichklang sein, weil sie gleichwertig sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir heute den Berufsbildungsbericht zur Kenntnis nehmen und debattieren, dann stellen wir fest, dass die Zahl derer, die eine berufliche Bildung beginnen, nahezu konstant geblieben ist und die Zahl derer, die eine akademische Laufbahn zumindest anfangen – ich rede nicht von vollenden – stark gestiegen ist. Das ist aus meiner Sicht etwas, wo die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung aus dem Lot zu geraten scheint. Deswegen ist es unsere Aufgabe, uns etwas stärker für die berufliche Bildung zu engagieren. Ich bin unserer Ministerin Frau Professor Wanka sehr verbunden, dass sie diesen Ansatz des Parlaments nach Kräften unterstützt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Berufliche Bildung bedeutet nicht – das kann man nicht oft genug sagen –, dass man einen Gesellenbrief macht. Das auch, aber danach geht es weiter. Man kann sich weiterbilden, zum Beispiel zum Techniker, Betriebswirt, Meister. Die berufliche Bildung bietet viele Aufstiegschancen. Wir haben einige verbessert, zum Beispiel durch ein verbessertes Meister-BAföG. Aber wir müssen dafür werben, dass der Blick für den Aufstieg in der beruflichen Bildung neu geschärft wird; das ist ein ganz wichtiger Punkt. An dem sind wir auch dran. Man muss sehen, wer eine berufliche Ausbildung anfängt. Der Berufsbildungsbericht 2016 zeigt deutlich, dass mittlerweile ein Viertel derer, die das Abitur erworben haben, der Meinung ist, dass die berufliche Bildung attraktiv ist; denn man hat nach einer beruflichen Bildung die Möglichkeit, nicht nur sich weiter- und fortzubilden, sondern auch ein Studium zu beginnen. Ich finde es wichtig, dass wir allen Schülern in allen Schulformen schon frühzeitig das Wissen um die berufliche Bildung und ihren Wert vermitteln. Das schließt die Gymnasien ein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen auch verstärkt auf die Lehrer zugehen. Die Lehrer kommen aus der Schule, gehen zum Studium und gehen wieder in die Schule. Ich möchte ihnen keinen Vorwurf daraus machen, dass sie die berufliche Bildung nicht kennen. Aber die Lehrer streben gerade in ihrer akademischen Laufbahn einen Abschluss an, der auf eine bestimmte Verwendung abzielt. Wir haben gemeinsam mit den Lehrern gute Möglichkeiten, dort anzuknüpfen und für die berufliche Bildung zu werben sowie dafür zu sorgen, dass eine flächendeckende Berufsorientierung gewährleistet ist. Mancher, der ein Studium gewählt hat, stellt erst nach ein, zwei Semestern fest, dass ein Studium der falsche Weg ist. Für Fälle, in denen so etwas passiert – das ist immer möglich –, müssen wir aber Vorsorge treffen. Das haben wir getan. Wir haben gemeinsam mit dem Ministerium die Initiative „Chance Beruf“ gestartet, um denjenigen, die nach wenigen Semestern der Meinung sind, dass eine berufliche Ausbildung vielleicht besser ist, eine entsprechende Beratung an den Hochschulen zu ermöglichen. Es ist gut, dass wir diesen Menschen eine Perspektive eröffnen. Ein abgebrochenes Studium darf nicht bedeuten, dass man gescheitert ist. Vielmehr zeigen wir, dass man den Umstieg in die berufliche Bildung wagen kann. Dafür ist es nie zu spät. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir uns den Berufsbildungsbericht 2016 genau anschauen, dann stellen wir fest, dass es immer weniger Betriebe gibt, die ausbilden. Das hängt aus meiner Sicht ganz entscheidend damit zusammen, dass wir vor mehr als zehn Jahren etwas getan haben, was man durchaus als Fehler bezeichnen kann. Wir haben damals für viele Berufe die Meisterpflicht abgeschafft, um die Mobilität zu erhöhen; das ist auch gelungen. Aber was ist denn Mobilität ohne Qualität wert? Das ist nichts wert! Ich will das beispielhaft an dem Beruf des Fliesenlegers im Baugewerbe verdeutlichen. Hier haben wir die Meisterpflicht ebenfalls abgeschafft. Damals gab es 12 000 Meisterbetriebe im Fliesenlegerhandwerk. Mittlerweile hat sich die Zahl der Fliesenlegerbetriebe in Deutschland auf 72 000 versechsfacht. Aber die Ausbildungsquote ist um 50 Prozent gesunken. Die Meisterquote – der Aufstieg – im Fliesenlegerhandwerk ist sogar um 80 Prozent zurückgegangen. Deswegen sollten wir uns gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Europäischen Parlament – denn sie entscheiden das – dafür starkmachen, diesen Schritt nach Möglichkeit zu korrigieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gestatten Sie mir abschließend noch einen Hinweis. Natürlich kann die Politik Rahmenbedingungen und gute Bedingungen für die berufliche Bildung schaffen. Dennoch schafft Politik nicht einen einzigen Ausbildungsplatz, von einigen wenigen hier im Parlament, die es auch gibt, abgesehen. Deswegen, denke ich, ist es gut und richtig, an dieser Stelle auch der Wirtschaft, dem Mittelstand und dem Handwerk dafür zu danken, dass wir die Zahlen haben, die wir im Berufsbildungsbericht nachlesen können. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wir unterstützen diese Unternehmen dabei, dass sie gute Lehrlinge finden. Ausbildungsmärkte sind regionale Märkte; da kann man auch von Sachsen lernen. Ich freue mich, dass die Vertreterin Sachsens auf der Bundesratsbank Platz genommen hat. (Rainer Spiering [SPD]: Sonst lernen wir immer nur von Sachsen!) In Sachsen haben wir die Anzahl der Auszubildenden um 2,3 Prozent erhöhen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Man sollte einmal überlegen, warum das gelungen ist. Man kann davon lernen. Abschließend noch eines. Darüber wird sich der Kollege Spiering, der gerade ein bisschen gemosert hat, besonders freuen. Auch die Länder sind in der Pflicht. Das meine ich besonders im Hinblick auf die Berufsschulen. Die Berufsschulen, die oftmals in den Kultusministerien nicht als das fünfte, sondern als das sechste oder siebente Rad angesehen werden, müssen verstärkt gefördert werden. Es geht nicht darum, dass wir die Länder auffordern, Kathedralen zu bauen, aber eine gute Ausstattung der Berufsschulen ist nötig und wichtig. Wir werden diesen Schritt nach Möglichkeit unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Dr. Rosemarie Hein. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will meine Rede mit einem Dank beginnen, einem Dank an das Bundesinstitut für Berufsbildung. Von ihm werden wir Jahr für Jahr mit verlässlichen Daten zur Entwicklung der beruflichen Bildung versorgt, Daten, die die Politik zum Handeln anregen sollten. Aber irgendwie handelt die Politik nicht, außer dass die Liste der von Bund und Ländern aufgelegten Unterstützungsprogramme, deren Namen man sich gar nicht alle merken kann, immer länger wird. Ansonsten gibt es keine wirklichen nachhaltigen Reaktionen. Auch die Ende des Jahres 2014 geschlossene Allianz für Aus- und Weiterbildung, der die Bundesregierung angehört, bringt, wie alle Pakte vor ihr, nicht die gewünschten Ergebnisse, obwohl nun auch die Gewerkschaften am Tisch sitzen. Ich will nur ein Beispiel nennen: 20 000 zusätzliche Stellen sollten gemeldet werden, aber nicht einmal die Hälfte ist erreicht. Das ist eine Bankrotterklärung. (Beifall bei der LINKEN – Rainer Spiering [SPD]: Oh!) Darum kann ich auch nicht verstehen, wieso in der Öffentlichkeit immer wieder von einer positiven Gesamtbilanz des Berichts gesprochen wird. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge geht leicht zurück, die Zahl der ausbildenden Betriebe auch. Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsverträge ist zwar leicht gestiegen – um 0,1 Prozent; das sind deutschlandweit ganze 500 Verträge mehr! Aber im Bericht wird das als ein „erfreulicher Anstieg“ bezeichnet. Dafür aber wurden 19 000 außerbetriebliche Ausbildungsplätze abgebaut. Ob das eine kluge Entscheidung war, möchte ich bezweifeln; denn wir wollen auch den vielen zugewanderten jungen Menschen eine Ausbildung ermöglichen. Vielleicht könnten wir die dann gut brauchen. Die Veränderungen – nach oben und nach unten – in diesem Bericht bewegen sich alle im Nullkommaprozentbereich. Es gibt nach wie vor 80 000 erfolglos suchende Bewerberinnen und Bewerber, darunter 20 000, die überhaupt kein Angebot erhalten haben. Das ist keine positive Gesamtentwicklung, sondern Stagnation. Das zieht sich nun schon über Jahre hin. Der einzige Posten, der wächst, ist der der unbesetzten Ausbildungsplätze. Der ist nämlich um 10 Prozent auf 41 000 gewachsen. Aber doppelt so viele haben erfolglos gesucht. In einigen Branchen und Berufen ist die Bewerberzahl doppelt so hoch wie die der angebotenen Ausbildungsplätze. In anderen Branchen bleiben Tausende Ausbildungsplätze frei. Die Bundesregierung erklärt das seit Jahren mit Passungsproblemen. Ich glaube nicht, dass sie das sind. Ich will das vielleicht einmal an einem sehr drastischen Beispiel deutlich machen. Der erfolglosen Bewerberin auf eine Stelle als Tierpflegerin kann man doch nicht ernsthaft anbieten, lieber Fleischerin zu werden, weil das irgendwie auch etwas mit Tieren zu tun habe. (Heiterkeit bei der LINKEN) Nein, dieser Zustand der offenen Plätze hat mit der Attraktivität von Berufen und der Ausbildungsqualität ebenso zu tun wie mit Erwartungshaltungen von Unternehmen. So meinte kürzlich ein gar nicht so kleines Unternehmen, alle seine Ausbildungsplätze benötigten unbedingt das Abitur als Zugangsvoraussetzung. Das Unternehmen bildet zum Beispiel Industriekaufleute, Elektronikerinnen und Elektroniker und Fachkräfte für Abwassertechnik aus. Anspruchsvolle Berufe durchaus, aber warum sind dafür die anderen Schulabschlüsse nichts wert? 270 000 Jugendliche befinden sich im Übergangssystem. Die Erhöhung soll sich aus der Zuwanderung erklären. Zahlen können das nicht belegen. Aber ich will das einmal so akzeptieren; denn anders lässt es sich fast nicht erklären. Die Jugendlichen warten im Übergangssystem alle auf eine vollwertige Ausbildung. Mehr als drei Viertel von ihnen hat einen Schulabschluss. Dass dieser Übergangsbereich ein geeignetes Mittel ist, alle jungen Menschen, die es wollen, in Ausbildung zu bringen, ist ebenfalls ein Märchen. Das kann man in diesem Bericht auch leicht sehen, nämlich wenn man die Zahlen der sogenannten Altbewerberinnen und Altbewerber betrachtet: Das waren im vergangenen Jahr 185 000. Ich möchte gerne noch mit einem anderen Märchen aufräumen: mit der vermeintlich zu hohen Studierneigung, die die Attraktivität der dualen Ausbildung gefährde. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Wer behauptet das denn?) Doch das ist ein Trugschluss, und zudem ist es weltfremd. Zum einen gehen viele junge Menschen mit Abitur den Weg einer dualen Ausbildung – mein Vorredner hat es gerade gesagt –, und zum anderen nehmen die Zahlen im dualen Studium seit Jahren zu; auch das ist im Bericht nachzulesen. Ausgeblendet wird jedoch immer, dass es noch Berufsausbildungen gibt, die nicht vom Berufsbildungsgesetz oder der Handwerksordnung erfasst werden. Das sind nicht nur die Gesundheitsberufe, sondern auch die vielen anderen nach Landesrecht geregelten schulischen Berufsausbildungen. Im vergangenen Jahr haben – auch das steht im Bericht – 234 000 junge Menschen eine solche Ausbildung begonnen. Rechnet man die zu den 520 000 Ausbildungsverträgen im dualen Bereich hinzu, dann kann man doch nicht von einer zu hohen Studierneigung reden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren weist der Berufsbildungsbericht auch aus, welche beruflichen Perspektiven Menschen mit Behinderungen in unserem Lande haben. Noch im Jahre 2008, also vor der UN-Behindertenrechtskonvention, wurden sie hauptsächlich auf die Maßnahmen des Übergangsbereiches verwiesen. Das hat sich nun geändert. Im Berufsbildungsbericht wird seitdem und immer stärker ausdrücklich darauf verwiesen, dass Menschen mit Behinderungen in allen anerkannten Ausbildungsberufen, die ihnen zur Verfügung stehen, ausgebildet werden können. Außerdem steht in diesem Bericht: Wenn ihnen das wegen des Grades ihrer Behinderung nicht möglich ist, „sollen die zuständigen Stellen … aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe besondere Ausbildungsregelungen entwickeln“. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Inklusion, allerdings ist er noch sehr mager. Einer jungen Frau im Rollstuhl wurde zum Beispiel im Rahmen der Berufsberatung geraten, statt des gewünschten Germanistikstudiums lieber eine Uhrmacherlehre anzutreten. Als sie sich weigerte, wurde sie zum Psychologischen Dienst geschickt. Wenn das das Ergebnis von Berufsberatung ist, läuft etwas falsch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Keine Sorge, die junge Frau hat sich durchgesetzt, auch dank ihrer Lehrerin. Aber wie vielen gelingt das nicht! Darum haben wir Ihnen einen Antrag zur Durchsetzung von Inklusion im Bereich der beruflichen Bildung vorgelegt. Hier ist Inklusion vielleicht schwerer umzusetzen als in anderen Bildungsbereichen; das will ich gerne zugestehen. Aber wenn es uns wichtig ist, dass jeder junge Mensch eine berufliche Zukunft in unserem Land haben soll, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass jeder junge Mensch eine entsprechende Ausbildung bekommen kann. (Beifall bei der LINKEN) Dabei dürfen nicht nur wenige Berufe für Menschen mit Handicaps zur Verfügung stehen, sondern auch hier muss die freie Berufswahl gelten. Die entsprechenden Voraussetzungen müssen geschaffen werden, und die nötigen Unterstützungsleistungen müssen dann auch gewährt werden. Das ist noch ein weiter Weg; denn darauf muss sich nicht nur das Bildungssystem, sondern auch die Arbeitswelt einstellen, die Unternehmen vor allem. Sie alle brauchen eine bestimmte Unterstützung. Weil es nicht ganz einfach ist, das durchzusetzen, fangen wir auch nicht mit der reinen Lehre und den Maximalforderungen an, sondern wir versuchen, Wege zu eröffnen, auch in der Berufsausbildung zu einer inklusiven Gesellschaft zu kommen, also zu einer Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das erfordert Maßnahmen der Weiterbildung für Lehrkräfte, des Ausbildungspersonals, auch für sachkundigere Beratung im Übrigen. Leider kann man im Moment noch nicht absehen, ob das Teilhabegesetz, das nun auf den Weg gebracht wird, hier irgendeine Verbesserung bringt. Wir sehen sie noch nicht. Ich hoffe im Zuge der Debatte, die wir noch haben werden, auf mehr Verständnis. (Beifall bei der LINKEN) Im Übrigen – das vielleicht zuletzt –: Angesichts der vielen Fehlstellen, von denen ich nur wenige nennen konnte, kann ich nicht verstehen, warum die Bundesregierung so wenig Bedarf zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes sieht. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Weil das gut ist!) Ich kann nicht verstehen, wieso das auch noch bis fast ans Ende der Wahlperiode verschoben werden soll, zumindest nach den Planungen, die uns bekannt sind. Das sieht so aus, als wollten Sie es eigentlich nicht haben. Ich halte das für falsch. Die Herausforderungen sind groß, und wir müssen sie bestehen. Das Berufsbildungsgesetz gehört dazu. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes spricht der Kollege Rainer Spiering, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rainer Spiering (SPD): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Bei aller Kritik gilt: Das Berufsbildungssystem in Deutschland ist das erfolgreichste und beste der Welt. Ihm eine Bankrotterklärung auszustellen, halte ich für sachlich falsch. Ich finde, wir sollten bei diesem wichtigen Thema verbal ein bisschen abrüsten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das System ist beweglich. Es ist zeitangepasst, veränderungswillig und atmend. Es tut dem Wirtschafts- und Sozialsystem in Deutschland gut. Frau Hein, ich kenne Ihre Neigung, unser Berufsbildungssystem so zu beschreiben, wie Sie das eben gemacht haben. Ich sage ganz deutlich: Auf den zentralistischen sozialistischen Ansatzes, das Berufsbildungssystem so zu verändern, würde ich gerne verzichten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Berufsausbildung ist nachhaltige Standortzukunftspolitik, ist vor allen Dingen Arbeitsmarktpolitik, und so sollten wir das sehen. Auch der Arbeitsmarkt ist atmend. Weil es ein atmendes System ist, braucht es auch ein atmendes Gesetz. Das Berufsbildungsgesetz ist immer wieder verändert und der Zeit angepasst worden, weil sich unsere Berufsausbildungen auch ständig verändern. Hierzu steht im Berufsbildungsbericht 2016: Das BMBF hat 2015 ... das Berufsbildungsgesetz unter Beteiligung der relevanten Berufsbildungsakteure und des Deutschen Bundestages evaluiert und prüft zurzeit gesetzliche Anpassungsnotwendigkeiten. Gut so! Wir sollten geistiger Motor und Antreiber sein. Ich möchte vier Punkte nennen, über die wir, finde ich, gut diskutieren könnten. Es geht um relativ einfache Veränderungen des Berufsbildungsgesetzes. Ich glaube, dass sie allen Beteiligten guttun würden. Wir haben einen Passus im Berufsbildungsgesetz, nach dem bei der Schulzeit zwischen unter 18-Jährigen und über 18-Jährigen unterschieden wird. Das ist nicht mehr zeitgemäß, weil viele unter 18 und sehr viele über 18 ins Berufsleben eintreten. Da im Berufsbildungsgesetz einen Unterschied zu machen, halte ich sachlich und fachlich für falsch. Das tut der Ausbildung nicht gut. (Beifall bei der SPD) Der nächste Punkt. Berufsbildung und vor allen Dingen die Prüfungen sind – ich glaube, da sind wir uns alle einig – in hohem Maße vom Ehrenamt abhängig. Willi Brase hat immer wieder auf die besondere Bedeutung des Ehrenamts hingewiesen, und er hat natürlich recht. Jetzt stellen wir uns einmal einen Handwerksmeister vor, der in einer guten konjunkturellen Situation seine besten Leute für die Prüfung abstellen muss. Er gerät in eine Bredouille. Ich kann eigentlich nicht einsehen, warum wir die Möglichkeiten des Berufsbildungsgesetzes nicht nutzen, um das Ehrenamt an zwei Stellen zu unterstützen: einmal, indem wir die Kosten, die entstehen, den entsprechenden Kammern zuordnen – das können die über die Prüfungskosten gut leisten – und zum anderen, indem wir festlegen, wie die Freistellung rechtlich abzulaufen hat. Das können wir im Einvernehmen wunderbar machen und ein Signal nach Deutschland hinausschicken: Uns ist das Ehrenamt wichtig, und Prüfungen im Rahmen der Berufsbildung sind ohne Ehrenamt nicht möglich. – Deswegen würde ich das gern anpacken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der letzte Punkt; das ist mein persönliches Anliegen. Es gibt ungefähr 50 000 junge Menschen, die in eine zweijährige Berufsausbildung eingestiegen sind. Das hat vielfältige Gründe. Im Übrigen sehe ich die zweijährige Ausbildung durchaus als große Chance für Menschen, die zu uns kommen. Wir führen aber auch eine sehr erbitterte Rentendebatte und wissen, dass die Menschen, die zu schlechten Tariflöhnen einsteigen, in Zukunft bei der Rente noch viel schlechter wegkommen. Wer eine zweijährige Ausbildung absolviert, liegt tarifmäßig ganz weit unten. Ich würde diesen jungen Menschen wirklich nicht die Chance verbauen, auf Dauer gutes Geld zu verdienen und auch eine gute Rente zu bekommen. Insofern kann ich nur dringend dazu raten, das Berufsbildungsgesetz derart zu verändern, dass man nach einer zweijährigen Ausbildung auch eine dreieinhalbjährige Ausbildung bekommen kann. (Beifall bei der SPD) Das sind drei Punkte, von denen ich mir sehr gut vorstellen könnte, dass wir sie anpacken und im Berufsbildungsgesetz verändern. Lassen Sie mich jetzt – Thomas, danke für den Hinweis – zur zweiten Säule der Berufsbildung kommen, der Berufsschule. Was mich ein bisschen wundert, ist, dass es uns nicht gelingt, den Fokus so auf die Berufsschule zu lenken, wie es sich eigentlich gehörte. Die Berufsschule ist die größte eigenständige Schulform, die wir in Deutschland haben, es ist mit die innovativste, die wir haben, und es ist mit die leistungsstärkste, die wir haben. An fast allen berufsbildenden Schulen gibt es auch die Möglichkeit, unterschiedliche Qualifikationen und Abschlüsse zu erreichen. Man findet übrigens im Berufsbildungsbericht, dass ein Großteil derer, die sich im Übergangssystem befinden, über die Berufsschulen geführt wird. Aber sie werden im Berufsbildungsbericht nur genau an dieser Stelle aufgeführt. Ich bedaure das. Warum wird nicht die Berufsschule mit der Leistungsfähigkeit dargestellt, die sie hat? Insofern kann ich hier nur an das Hohe Haus appellieren: Lassen Sie uns auf die Berufsschule den Fokus legen, der ihr gebührt. Das würde nämlich bedeuten, dass auch alle, die in ein schulisches System eintreten und Berufsschulangebote wahrnehmen, einen anderen Fokus darauf legen. Und wenn sie einen anderen Fokus darauf legen, dann nehmen sie auch die Möglichkeiten der Berufsbildung ganz anders wahr. Wir, die SPD, haben in einem Positionspapier die Möglichkeiten, die wir haben, aber auch die Aufgaben, die wir haben, beschrieben. Ich habe es an dieser Stelle schon mehrfacht gesagt: Lassen Sie uns die universitäre Lehrerausbildung massiv stärken. Mittlerweile bekommen wir deutliche Rückmeldungen, die sagen: Ja, wir können uns um das Handwerkszeug der universitären Lehrerausbildung im Bereich Methodik/Didaktik ernsthaft und deutlich mehr kümmern, aber dann brauchen wir Geldmittel dafür. (Beifall bei der SPD) Lieber Thomas, das Berufsbildungsnetz Berufsschule ist eine deutsche Angelegenheit. Ich glaube, dass man es sich zu einfach macht, wenn man den Ländern sagt: Wir wollen das. Seht mal zu, dass ihr damit klarkommt. – Ich finde das nicht richtig. Ich glaube, das ist eine bundesweite Angelegenheit, die wir bundesweit regeln müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir über Industrie 4.0 und Deutschland sprechen, dann wissen wir, dass wir diesbezüglich vor unglaublichen Herausforderungen stehen. Ich glaube, dass die kreisfreien Städte, die Kreise als Träger der berufsbildenden Schulen überfordert sind. Es gibt Regionen in Deutschland, die das können, aber es gibt in Deutschland auch Regionen, die das nicht können. Deshalb muss der Gesetzgeber, nämlich das deutsche Parlament, dafür Sorge tragen, dass diese Benachteiligung, die es übrigens nach dem Grundgesetz gar nicht geben darf, ausgeglichen wird. Lassen Sie uns also im gemeinsamen Interesse Geld in die Hand nehmen, um die technische und zukunftsorientierte Ausstattung von Berufsschulen massiv zu stärken. Auch das finden Sie in unserem Positionspapier. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich zum Ende kommen. Berufsschule ist ein Innovationsaggregat, ein integratives System und die größte eigenständige Schulform. Wir haben viele Einflussmöglichkeiten, weil Schule Staat oder Staat Schule ist. Es ist ein offenes Schulsystem. Die beruflichen Abschlüsse sind weltweit anerkannt. Wer die Berufsschule stärkt, stärkt den Standort Deutschland und sichert unsere Zukunft. Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Nie waren die Chancen auf einen … Ausbildungsplatz … so gut. Das war Ihre Botschaft an die jungen Menschen, Frau Ministerin, nachdem das Kabinett den Berufsbildungsbericht 2016 beschlossen hatte. Natürlich stimmt das für viele auch. (Beifall des Abg. Albert Rupprecht [CDU/CSU]) – Genau. – Aber ich frage mich ernsthaft, ob sich nicht trotzdem die eine oder der andere Jugendliche verwundert die Augen gerieben hat, zum Beispiel die 21 000 Jugendlichen, die bei ihrer Suche komplett leer ausgegangen sind, oder die 271 000 Jugendlichen, die statt an der Werkbank in den Warteschleifen des Übergangssystems gelandet sind. Für all diese jungen Männer und Frauen ist der Traum von einer Berufsausbildung nämlich geplatzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21 000, 41 000, 271 000: Das sind nicht nur Zahlen in einer Statistik, die Sie schönreden können. Nein, dahinter verbergen sich 21 000 junge Menschen, die enttäuscht sind, dahinter verbergen sich 41 000 Betriebe, die um ihre Zukunft fürchten, und dahinter verbergen sich 271 000 ungenutzte Chancen für junge Männer und Frauen, deren Leistungen im Übergangssystem ohne Abschluss, ohne Anschluss und ohne Anerkennung bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch diesen jungen Menschen müssen wir Perspektiven aufzeigen. Sehr geehrte Frau Ministerin, wenn Sie trotzdem glauben, alles sei in bester Ordnung, dann kann ich Ihnen nur sagen: Was Sie für den Gipfel halten, das kann nur eine Etappe auf diesem Weg sein. Nehmen wir zum Beispiel die Allianz für Aus- und Weiterbildung. Im Dezember 2014 haben Sie – sorry – mit großem Tamtam diese ins Leben gerufen. Ein Jahr später wollten Sie nicht einmal mehr die übliche Pressekonferenz dazu abhalten, vielleicht weil Sie genau wussten, dass ganz zentrale Zusagen nicht eingehalten wurden. Die Wirtschaft wollte 20 000 Ausbildungsplätze zusätzlich zur Verfügung stellen. Es wurden gerade einmal 7 300 bei der BA gemeldet. Das ist zu wenig, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie haben angekündigt, die assistierte Ausbildung zu verstetigen. Ich frage Sie: Warum läuft das immer noch als Modellprojekt? Im Koalitionsvertrag haben Sie Hunderttausenden Jugendlichen vollmundig eine Ausbildungsgarantie versprochen. Aber auch das war nicht mehr als ein Papiertiger. Sie geben ja selbst zu, dass die Ausbildungsgarantie in der Allianz zu einem Ausbildungspfad geschrumpft ist. Schaffen Sie doch endlich breite Wege und stabile Brücken für alle Jugendlichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Im Berufsbildungsbericht steht schwarz auf weiß, dass Jugendliche und Betriebe – wir haben es heute schon gehört – immer seltener zusammenfinden. Das sind in meinen Augen keine kleineren Passungsprobleme. Nein, das sind strukturelle Probleme. Daran ist auch nicht der demografische Wandel schuld. Man muss Strukturen verändern. Ich finde, das haben Sie verschlafen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dauerschlaf!) Der Übergangsbereich ist wieder angewachsen. Kaum eine Maßnahme führt zum Abschluss. Kaum eines der vielen Programme ist anschlussfähig. Die Jugendlichen sind zwar dann aus der Statistik raus, aber rein in die Betriebe kommen sie deshalb noch lange nicht. Packen Sie dieses Problem endlich an. Formen Sie aus dem Durcheinander am Übergang Schule/Beruf eine echte Ausbildungsgarantie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Fraktion hat bereits im letzten Jahr einen sehr konkreten Vorschlag dazu gemacht, wie eine solche Ausbildungsgarantie aussehen kann. Die Probleme im Übergangssystem müssen jetzt gelöst werden. Es kann nicht sein, dass Hunderttausende Jugendliche im nächsten Ausbildungsjahr im Regen stehen. In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, noch vor der Sommerpause Antworten auf die drängenden Fragen zu geben: Wie möchten Sie die Ausbildungsbereitschaft von kleinen und kleinsten Betrieben steigern? Was ist Ihr Plan für das Übergangssystem? Es kostet jedes Jahr 4 Milliarden Euro, bringt aber kaum einen Jugendlichen einem Abschluss wirklich nahe. Haben Sie denn immer noch nicht gemerkt, dass Sie da einen toten Gaul reiten? Steigen Sie ab und wagen Sie einen Neuanfang in eine andere Richtung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Rainer Spiering [SPD]) – Jetzt spreche ich. – Ich habe die Vermutung, dass sich Ihr politischer Gestaltungswille schon zu Beginn des Jahres in die Sommerpause verabschiedet hat. Das zeigt sich nicht nur an den fehlenden Konzepten zum Übergangsbereich. Auch die Reform des Berufsbildungsgesetzes erinnert ein bisschen an „Warten auf Godot“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier hätten Sie einmal die Möglichkeit, das Thema der Ausbildungsqualität starkzumachen. Die Unionsfraktion sieht dabei anscheinend keinen Handlungsbedarf mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, da Sie sich doch gerade darüber amüsieren: Das ist doch Euer Thema, Ausbildungsqualität. Es muss doch ein Herzensanliegen der SPD sein. Wenn Sie Unterstützung brauchen, dann garantiere ich: Meine Fraktion ist gerne zur Zusammenarbeit bereit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Gern!) Vor genau einer Woche haben wir hier im Plenum über eine der wahrscheinlich größten Herausforderungen der beruflichen Bildung diskutiert: die Integration der vielen Geflüchteten. Sie haben uns ein Integrationsgesetz vorgelegt, das in unseren Augen den Namen nicht verdient. Ich bestreite nicht, dass darin Verbesserungen enthalten sind und dass es auch Erleichterungen bei der Ausbildungs- und Arbeitsmarktförderung gibt. Das war auch längst überfällig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Problem ist aber, dass Sie auf halber Strecke stehen geblieben sind. Noch immer unterscheiden Sie ziemlich willkürlich zwischen Menschen mit sogenannter guter und schlechter Bleibeperspektive. Dieser Irrsinn führt dazu, dass eine große Gruppe von Geflüchteten per Definition von früher Integration und Bildung ausgeschlossen wird. Sie wissen aber doch ganz genau, dass viele Menschen aus Afghanistan oder Pakistan letztendlich ein Aufenthaltsrecht erhalten. Trotzdem verweigern Sie ihnen die frühe Teilhabe durch Bildung. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, finde ich unverantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit Ihrer kleinkarierten Differenzierung nach Aufenthaltsstatus und Bleibeperspektive beschäftigen Sie vor allem Juristen und Sozialrechtsexperten. Sie bringen aber damit kaum einen Geflüchteten in Beschäftigung. Genau das muss aber das Ziel sein. Wir Grüne halten diesem integrationspolitischen Murks eine deutliche Botschaft entgegen, nämlich: Jede und jeder hat das Recht auf eine gute Ausbildung. Dieses Recht gilt für alle, auch für Geflüchtete, egal woher sie kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uda Heller [CDU/CSU]: Wer bezahlt das?) Gewährleisten Sie das Recht auf Bildung für alle! Schaffen Sie endlich gute und frühe Integrationsangebote! Verknüpfen Sie Sprachförderung mit betrieblicher Praxis! Nur so lernen die Geflüchteten das, was sie im Betrieb brauchen. Dann nützt es auch unserem Land, und dann kommt das Geld auch wieder zurück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herkunft, sehr geehrte Damen und Herren, darf im Jahr 2016 nicht mehr über Zukunft entscheiden. Nun noch einige Worte zum Antrag der Linksfraktion. Inklusive Bildung, liebe Kollegin Hein, ist auch uns ein ganz zentrales Anliegen. Inklusion ist natürlich weit mehr als die Ausbildung von Menschen mit Behinderungen. Inklusion bedeutet Chancengerechtigkeit, sie bedeutet Stärkung von Kompetenzen statt Sanktionierung von Schwächen. Sie zielt auf offene Teilhabemöglichkeiten und fördert das Miteinander. Da geben wir Ihnen in allen Punkten recht. Über einzelne Forderungen aus Ihrem Antrag wollen wir dann aber im Ausschuss gern noch einmal diskutieren. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Gern!) Wir nehmen auch zur Kenntnis, liebe Kollegen und Kolleginnen der Koalition, dass Sie in diesem Jahr gar keinen eigenen Antrag eingebracht haben. Vielleicht lehnen Sie sich ja jetzt ganz bequem in Ihren Stühlen zurück und denken: Unsere Bundesregierung tut ja ihr Bestes. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Macht sie auch!) Ich bin überzeugt – damit bin auch am Ende meiner Rede –: Es ist sinnlos, gebetsmühlenartig zu sagen: „Wir tun unser Bestes“; es muss Ihnen gelingen, das zu tun, was erforderlich ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Spiering [SPD]: Na ja!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Bundesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Professor Dr. Johanna Wanka. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema, über das wir sprechen, ist natürlich volkswirtschaftlich wichtig: Fachkräfte, Fachkräftemangel. Alles klar! Aber ganz entscheidend ist – das sage ich jetzt auch in Richtung der jungen Leute, die heute hier sind und zuhören –: Es ist für den einzelnen Jugendlichen eine Riesenchance und es ist – das klingt jetzt vielleicht pathetisch – für sein Lebensglück entscheidend, dass er eine Ausbildung macht. Das sichert ihm zu, dass er über viele Jahre die Chance hat, in Arbeit zu sein, selbstbestimmt zu leben. Deswegen, meine Damen und Herren, ist das für uns hier in diesem Raum ein ganz zentrales Thema. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Im Berufsbildungsbericht steht: 41 000 unbesetzte Ausbildungsstellen. Sie stehen zur Verfügung; sie warten auf junge Leute, die Lust und Interesse haben. Ich muss angesichts dieser Stellen einen dezidierten Dank an die Wirtschaft richten – auch wenn das manche hier vielleicht nicht gerne hören. Man muss sich einmal vor Augen führen: Von 2006 bis jetzt ist die Zahl der Schulabgänger ohne Hochschulreife, das heißt, das Hauptklientel für die duale Ausbildung, um 22 Prozent gesunken; es sind Tausende weniger. In derselben Zeit ist die Zahl der Ausbildungsplätze um nur 9 Prozent gesunken. Das heißt, die Wirtschaft hat weit über das hinaus, was sie normalerweise macht, Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt. Klar gibt es in der Allianz für Aus- und Weiterbildung das Versprechen der Wirtschaftsseite: Wir stellen 20 000 Ausbildungsplätze mehr zur Verfügung. – Das ist im letzten Jahr noch nicht geschafft worden. Die neuen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, die Sie alle einsehen können, die öffentlich zur Verfügung stehen, zeigen, dass jetzt im Mai im Vergleich zum Mai des vorletzten Jahres 18 000 mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, sodass wir davon ausgehen, dass es in die richtige Richtung geht. Aber im letzten Jahr ist die Zahl von 20 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen noch nicht erreicht worden. Ein weiterer Punkt: Flüchtlinge. Sie von den Grünen haben mal einen Vorschlag gemacht, den ich ganz erstaunlich fand, weil er so ähnlich war, wie wir es uns vorgestellt haben. (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) – Er war keine Anregung; wir waren schon weiter. – Wir haben ein Programm geschaffen, um Flüchtlinge im Rahmen der Berufsorientierung ins Handwerk, in eine handwerkliche Ausbildung zu bringen. Wir fördern bis zu 10 000 Teilnehmerplätze. Anträge waren seit dem 20. April möglich, und schon nach einem Monat wurden 9 000 Plätze angeboten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich haben wir Probleme. Die 41 000 unbesetzten Ausbildungsplätze haben natürlich schlimme Auswirkungen auf die Betriebe, in denen nun der Nachwuchs fehlt. Aber es ist kein lächerliches Passungsproblem, es ist ein grundlegendes Problem. Ich will hier einige Punkte nennen. Wir haben gravierende regionale Unterschiede. Wir haben Bereiche im Süden Deutschlands, in denen die jungen Leute nach Ausbildungsplätzen suchen müssen, und wir haben zum Beispiel das wunderschöne Mecklenburg-Vorpommern und andere Bereiche, in denen die Betriebe keine Auszubildenden finden. Da gibt es beispielsweise den Malermeister, der jahrelang keinen Auszubildenden findet. Das heißt, hier gibt es regionale Unterschiede. Als wir mit dem Hochschulpakt begonnen haben, wollte kaum jemand aus Saarbrücken nach Frankfurt/Oder oder so. Nun ist es uns gelungen, das bestens zu regeln. Nun haben wir dort einen Anteil an Studenten aus den alten Bundesländern von 30 bis 40 Prozent. Mobilität ist für diejenigen in der beruflichen Ausbildung ganz wichtig. Natürlich muss man das anschieben, das passiert nicht von selbst, das macht auch nicht der einzelne Handwerksmeister. Deswegen haben wir mit „Jobstarter“ einen Versuch initiiert, um Mobilität zu fördern; denn die Mobilität ist bei 16-Jährigen anders als bei Studenten, die schon über 20 Jahre alt sind. Wenn man sich anschaut, wer nicht ausbildet, dann stellt man fest: Es sind vor allem die kleinen Betriebe; darauf haben wir jahrelang hingewiesen. Wir haben jetzt überlegt: Was kann man konkret machen? Wir haben eine Förderlinie, um die kleinen Betriebe wieder zu motivieren und zu unterstützen. Es können zum Beispiel drei Betriebe gemeinsam ausbilden, weil kleine Betriebe nicht alle Bereiche vorhalten können. Zum Teil wird durch geschickte Werbung für attraktive Ausbildungsberufe geworben, die kaum einer kennt. Das läuft. Das ist nichts, was man fördern muss. Wie groß die Erfolge und Effekte sind, das kann ich jetzt noch nicht sagen. Auf jeden Fall ist es ein Punkt, der uns wichtig ist. Beim Passungsproblem ist das Entscheidendste, dass man präventiv und individuell berät. Ein Element, das wir über Jahre getestet haben, waren die Bildungsketten, diese individuelle, präventive Unterstützung. Dazu gab es viele Versuche. Jetzt stellen wir – wir, das sind Frau Nahles und ich – über 1 Milliarde Euro zur Verfügung, und zwar flächendeckend. Aber wir handeln nicht alleine, sondern gemeinsam mit den Ländern. Ich habe jedem Landeskultusminister geschrieben und gefragt: Wir haben diese oder jene Möglichkeiten. Was wollt ihr in eurem Land? – Wir unterstützen, dass alle von den Bildungsketten, also Beratung in der 7./8. Klasse, profitieren. Aber die Beratung sollte allen angeboten werden. Wir möchten gerne, dass die Beratung auch im Gymnasium stattfindet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt eine Reihe von Landesministern oder Ministerpräsidenten, die entsprechende Vereinbarungen mit mir, mit Frau Nahles und mit der BA unterschrieben haben, zum Beispiel Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Da geht es nicht um Klein-Klein, sondern um ein flächendeckendes Instrument, das gut wirkt. Das ist kein kleines Problem, das ist auch finanziell kein kleines Problem. Zum Übergangssystem. Frau Hein, ich schätze, dass Sie die Vorlagen lesen und wirklich kundig sind. Umso verwunderter bin ich, wenn Sie Dinge sagen, die Sie eigentlich, weil Sie die Vorlagen lesen, besser wissen müssten und auch wissen. Um es einmal klarzustellen: Das Übergangssystem ist keine Wartehalle, in der die Jugendlichen einfach rumsitzen, kein Abschiebebahnhof. Im Übergangssystem sind zum Beispiel alle diejenigen, die Erzieherinnen oder Erzieher werden wollen und ihr Pflichtpraktikum machen. Sie zählen zum Übergangssystem. Das sind doch keine Abgeschobenen, sondern sie bekommen eine Chance; denn sie brauchen das Pflichtpraktikum, um Erzieherin zu werden. Ansonsten ist die Intention des Übergangssystems, dass man Chancen eröffnet, dass die, die in der Schule vielleicht keine Lust hatten, zu lernen, nun die Möglichkeit haben, dazuzulernen, spezielle Qualifikationen zu erwerben. 30 Prozent all jener, die im Übergangssystem sind, haben nach einer BIBB-Studie in den letzten Jahren ihren Schulabschluss entweder nachgeholt oder verbessert. Das ist der Sinn des Übergangssystems. Natürlich war das Übergangssystem über Jahre hinweg eine Wartehalle, aber davon sind wir inzwischen weit entfernt. Früher waren 420 000 junge Menschen im Übergangssystem, jetzt sind es 270 000. Das sollten Sie nicht diskreditieren. Vielmehr ist das eine Chance, und wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen in dieses Übergangssystem kommen, die es wirklich brauchen, damit sie die Chance auf eine Ausbildung haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Was die Jugendlichen mit Behinderung betrifft: Es gilt das, was im Bildungsbericht zum Thema Inklusion gesagt wurde. Es wurde eingeschätzt: Wo stehen wir in Deutschland? Was sollten wir machen? In Bezug auf manche Bildungswissenschaftler war ich skeptisch. Aber dann habe ich festgestellt, dass sie sehr behutsame Empfehlungen ausgesprochen haben. Sie haben uns eine Warnung ins Stammbuch geschrieben: Wir sollten nicht in die USA gucken und sagen: Wir müssen das so und so machen. Vielmehr sollten wir in unserem gewachsenen System schauen: Was müssen wir machen, um Inklusion zu realisieren? Wir haben das BIBB beauftragt, Ausbildungsbausteine zu entwickeln; bei den Ausbildungsbausteinen, die Sie genannt haben, sind wir jetzt bei 22. Wir bieten jenen Fachpraktikerausbildungen an, die nicht sofort einen normalen Ausbildungsplatz ausfüllen können. Aber diejenigen, die die Voraussetzungen für eine Ausbildung aufgrund der Art und Schwere der Behinderung wirklich nicht erfüllen, für die haben wir in Deutschland etwas Spezielles, und das sind die Geschützten Werkstätten. Auch wenn es diese nirgendwo sonst auf der Welt gibt: Wir als reiche Nation müssen das auch weiterhin für die jungen Menschen vorhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Natürlich geht es bei dem ganzen Thema um Professionalisierung, auch um Weiterbildung. Bezüglich des Bereichs der Berufsschullehrer bin ich ganz entschieden Ihrer Meinung, Herr Spiering. In diesen Studiengängen sind an den Hochschulen immer Plätze frei, weil das gar nicht so viele studieren wollen. Deswegen haben wir gehofft und entsprechend motiviert, dass im Zusammenhang mit dem Qualitätspakt Lehre insbesondere im Bereich der Berufsschullehrer viele Projekte entstehen. So ist es aber nicht gekommen. Es gibt zwar einige Projekte, aber nicht so viele, wie wir gehofft haben. Was den Bereich Inklusion betrifft, haben wir im März eine Forschungsförderlinie gestartet, weil in diesem Bereich viel Forschungsbedarf besteht; das wird von allen Wissenschaftlern zugestanden. Wie macht man Inklusion richtig? Man kann da vieles falsch machen. Ich erinnere an die Sprachbildung vor dem Schuleintritt. Alle haben Geld dafür ausgegeben, die Effekte waren aber gering. Man muss forschen, damit man es richtig machen kann. Im März haben wir ein großes Forschungsprogramm zur Professionalisierung der pädagogischen Fachkräfte für inklusive Bildung ausgeschrieben, und zwar bezogen auf alle Bildungsbereiche. Das ist eine ganz konkrete Leistung unseres Hauses. Ich denke, wenn man einigermaßen fair ist, muss man nicht nur sagen, dass wir in Deutschland mit der dualen Ausbildung ein besonderes System haben, um das wir beneidet werden, sondern man muss auch sagen, dass wir Probleme haben, dass manche Probleme in den letzten Jahren sogar zugenommen haben und es schwierig wird, die jungen Flüchtlinge in dieses Ausbildungssystem hineinzubekommen; denn wir wollen nicht, dass sie eine Ausbildung dritter Klasse erhalten – das würde sie lebenslang prägen –, sondern wir wollen, dass sie wirklich in diese Gesellschaft integriert werden, und Integration funktioniert insbesondere über Arbeit und damit über eine ordentliche Ausbildung. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir jetzt stehen, die wir angehen. Meine Damen und Herren, man kann aber auch einmal sagen: Wir haben eine Menge erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Kollegin Rosemarie Hein hat um die Möglichkeit zu einer Kurzintervention gebeten. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Ministerin, natürlich lese ich die Zahlen, und natürlich kenne ich die Zusammensetzung des Übergangssystems. Sie haben in einem recht: Die Pflichtpraktika für angehende Erzieherinnen gehören da nicht rein. Die müsste man möglicherweise anders verorten. Das wäre vielleicht auch gelungen, hätten wir die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern ernster genommen, auch in diesem Hause; das haben wir aber nicht. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass die Zahl derjenigen, die sich im Übergangsbereich befinden, nicht sinkt, selbst wenn man die Geflüchteten, die hinzugekommen sind und für den Anstieg gesorgt haben, herausnimmt. Von den 80 000 noch Suchenden wurden 60 000 mit einer Alternative abgefunden bzw. sie haben sie sich selber gesucht. Sie machen etwas anderes, obwohl sie eigentlich eine Ausbildung beginnen wollten. Ich glaube, das muss man ernst nehmen, genauso wie die 185 000 Menschen, die sich in den vergangenen fünf Jahren um einen Ausbildungsplatz beworben haben, manche mehrmals. Das sind Probleme, die Sie nicht vom Tisch wischen können, wenngleich mir sehr bewusst ist, dass sich das Übergangssystem aus sehr unterschiedlichen Gruppen zusammensetzt. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Ministerin? Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ja. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Frau Hein, im Übergangssystem befand sich über viele Jahre hinweg fast eine halbe Million Menschen, 460 000. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: So ist es seit Jahren!) Wir haben diese Zahl über Jahre Schritt für Schritt reduziert. Das muss man anerkennen und darf nicht so tun, als sei die Zahl konstant. Das sage ich ganz deutlich. Wir haben im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung vier Wellen vorgesehen. Man gibt die Zusicherung, dass jeder junge Mensch, der am 30. September dieses Jahres keinen Ausbildungsplatz hat, drei konkrete Angebote für eine betriebliche Ausbildung erhält. Ich glaube, Sie täten gut daran, das wertzuschätzen, weil das für den Einzelnen ganz wichtig ist. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wenn es denn stattfindet!) Da Sie mir die Möglichkeit gegeben haben, hier noch einen Satz zu sagen, möchte ich ergänzen: Was ich daneben fand, war Ihr Beispiel mit der Germanistin. Diese junge Frau kann überall in der Bundesrepublik Deutschland Germanistik studieren, an allen Hochschulen, an denen dieses Fach nicht NC-belastet ist. Es gibt kaum Hochschulen mit einem entsprechenden NC. Sie braucht dazu keine Beratung. Man braucht auch nicht den Berufsberater, den sie gefragt hat, zu diskreditieren. Sie kann das studieren. Es gibt überhaupt kein Hindernis. Der Rollstuhl hat damit überhaupt nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das hat sie sich ja auch erkämpft, aber eben erst erkämpft!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt gibt es keine Zwiegespräche. – Das Wort hat der Kollege Dr. Karamba Diaby für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Karamba Diaby (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Jugendliche! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der erste Satz im Berufsbildungsbericht 2016 lautet: Die berufliche Aus- und Weiterbildung bildet eine wesentliche Grundlage für Wirtschaftswachstum, Wohlstand und sozialen Zusammenhalt in Deutschland. Dieser Satz unterstreicht die große Bedeutung und die Potenziale des Erfolgsmodells „duale Ausbildung“ für unsere Gesellschaft. Der Bericht zeigt, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Aber zunächst das Positive: Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsverträge steigt. Wir haben insgesamt mehr Ausbildungsstellen. Die Zahl der Anfänger im Übergangssystem verringert sich seit 2005. Fazit: Weniger Jugendliche sind in der Warteschleife. Das ist gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu den Herausforderungen: Die Quote an Ausbildungsanfängern bei jugendlichen Migranten ging leicht zurück, auf 31,1 Prozent. Damit liegt sie aber 25 Prozentpunkte unter der Quote deutscher Jugendlicher; diese liegt bei 56,3 Prozent. Außerdem spiegelt sich die Zahl an Geflüchteten noch nicht auf dem Arbeitsmarkt wider. Zudem sind 50 Prozent der Geflüchteten jünger als 25. Es ist also mit einer steigenden Nachfrage nach beruflicher Orientierung und Ausbildung zu rechnen. Auch im Blick auf die Integration der Geflüchteten besteht weiterhin großer Handlungsbedarf. Das positive Signal aber ist: Die duale Ausbildung kann ihre Potenziale für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft voll entfalten. Dafür müssen wir aber die Rahmenbedingungen verbessern. Was ist aus meiner Sicht konkret zu tun? Wenn ich mich im Wahlkreis mit Eltern und mit Schülerinnen und Schülern unterhalte, geht es meist ums Studieren. Eine Berufsausbildung haben viele völlig zu Unrecht gar nicht im Blick. Deswegen muss trotz vieler Maßnahmen die Attraktivität der dualen Ausbildung gesteigert werden, und wir müssen die Potenziale für die Integration jüngerer Menschen mit Migrationshintergrund stärker in den Blick nehmen; denn ihnen gelingt der direkte Übergang in eine duale Ausbildung deutlich seltener als ihren Altersgenossen ohne Migrationshintergrund. Das liegt aber nicht nur an schlechteren Schulabschlüssen, wie das meistens behauptet wird. Die Aussichten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf einen Ausbildungsplatz sind erheblich geringer, und dies auch bei gleichen Leistungen. So bilden zum Beispiel aktuell nur rund 15 Prozent der ausbildungsaktiven Unternehmen Jugendliche mit Migrationshintergrund aus. Hier ist also Luft nach oben, und hier muss gehandelt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Ansatzpunkt ist, mit der Drei-plus-zwei-Regelung Rechtssicherheit für Unternehmen zu schaffen. Für die Gesamtdauer der Ausbildung erhalten Auszubildende in schulischer und betrieblicher Ausbildung eine Duldung. Wir dürfen ebenfalls bei der Sprachbildung nicht nachlassen. Am besten ist die Kombination aus Sprachbildung und Betriebspraktika. Die Praxis zeigt also: Das muss Hand in Hand gehen. Das Projekt „Migrant*innen in duale Ausbildung“ in meinem Bundesland Sachsen-Anhalt ist nur ein gutes Beispiel von vielen. Zwei Punkte spielen dabei für die Integration von Jugendlichen ins Berufsbildungssystem eine Rolle: Erstens. Eltern und Unternehmen werden stärker für die Potenziale einer Ausbildung für junge Migranten sensibilisiert. Zweitens. Die jungen Menschen zwischen 18 und 35 Jahren werden auf die Ausbildung vorbereitet und kontinuierlich begleitet. Abschließend spreche ich das Thema Anerkennung an. Der gestern verabschiedete Bericht hat gezeigt: Die SPD hat recht. Es bestehen Förderlücken bei den Verfahrenskosten. Mit dem geplanten Programm sichern wir Folgendes ab: Unabhängig vom Geldbeutel können vorhandene Qualifikationen anerkannt werden. Damit entfalten wir Potenziale und sorgen wir für Chancengleichheit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der dualen Ausbildung und der Anerkennung beruflicher Qualifikationen haben wir hervorragende Instrumente in der Hand. So sichern wir Teilhabe und stärken wir den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Danke schön. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Uda Heller, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Uda Heller (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Der uns vorliegende Berufsbildungsbericht 2016 beinhaltet erstmals eine Zusammenfassung der Bildungsintegration von Flüchtlingen. Vielen Dank dafür. Wir wissen, dass die Zuwanderung schutzsuchender und vor allem junger Menschen die Lage auf dem Ausbildungsmarkt verändern wird. Es ist eine Herausforderung, bei der wir aus Fehlern lernen müssen. Wir haben aber auch die Chance, es besser zu machen. Die Allianz für Aus- und Weiterbildung hat sich dieser Aufgabe als weiteren Schwerpunkt gewidmet. Bereits im September 2015 haben wir im Zuge unserer Erklärung „Gemeinsam für Perspektiven von Flüchtlingen“ erste Maßnahmen für eine erfolgreiche Integration eingeleitet. Dazu gehören beispielsweise der Ausbau der Integrationskurse oder die berufsbezogene Sprachförderung. Die zuständigen Ministerien haben spezielle Programme, aber auch die Bündnisse sowie der Arbeitskreis Integration der CDU/CSU-Fraktion haben weitere Handlungsfelder erarbeitet. So hat das Ministerium für Bildung und Forschung ein Maßnahmepaket für Flüchtlinge geschnürt. Damit investieren wir besonders in die berufliche Bildung. 130 Millionen Euro haben wir Ende 2015 für Programme und Initiativen bereitgestellt. So konnten die KAUSA-Servicestellen auf 24 Standorte erweitert werden. Sie informieren und beraten junge Asylbewerber, aber auch die Betriebe zu Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Außerdem haben wir Lernbegleiter für den Einsatz in den Einstiegskursen Deutsch beim Deutschen Volkshochschul-Verband qualifiziert, zusätzliche Bildungskoordinatoren für Flüchtlinge eingesetzt und regionale Servicebüros gegründet. Junge Flüchtlinge können so beim Übergang in das Berufsleben von uns gut begleitet werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir davon sprechen, dass im Jahr 2016 die Berufsausbildung fit für die Zukunft gemacht und dass Bildung für alle ermöglicht werden soll, müssen wir weiter an dieser Integrationsstrategie arbeiten. Das hat auch der Kollege Diaby bereits gesagt. Ein Schritt zur weiteren Rechtssicherheit ist das Integrationsgesetz, das wir bereits in erster Lesung behandelt haben. Es enthält Änderungen, die jungen Asylbewerbern und Geduldeten mit hoher Bleibeperspektive den Zugang zu den Maßnahmen „ausbildungsbegleitende Hilfen“, „Aktivierungshilfen für Jüngere“ und „Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen“ öffnen. In den Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen können sie fachspezifische Erfahrungen sammeln und gleichzeitig die deutsche Sprache lernen. Ich denke, das ist besonders wichtig. Aus diesem Grund haben wir die Mittel dafür von 270 Millionen auf etwa 560 Millionen Euro fast verdoppelt. (Beifall bei der CDU/CSU) Zusätzlich wurden mehr als 5 000 Deutschlehrer zertifiziert. Auch die Kursstunden und die Vergütung für Integrationslehrkräfte werden erhöht. Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive und auch Geduldete erhalten künftig die Sicherheit, nach erfolgreicher Ausbildung und bei einem nachfolgenden Beschäftigungsverhältnis weitere zwei Jahre in Deutschland bleiben zu können. Auch das ist vorhin gesagt worden: Das ist die Drei-plus-zwei-Regelung. Ich halte sie für gut. Sie gibt uns Planungssicherheit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrte Damen und Herren, im März wies das Institut der deutschen Wirtschaft darauf hin, dass viele Unternehmen und Betriebe bereit sind, den Flüchtlingen Ausbildungs- und Arbeitsplätze anzubieten. Das sind positive Signale an uns. Unterstützen wir die Wirtschaft und das Handwerk in ihrem Bemühen! Für meinen Wahlkreis ist die Wohnsitzauflage ein Schritt in die richtige Richtung. Denn hier verlassen etwa 70 Prozent der Personen mit einem Aufenthaltsstatus bzw. mit bewilligtem Asylantrag wieder die Region; und das ist schade. Was die Berufsausbildung aller jungen Menschen betrifft – das haben bereits mehrere Redner erwähnt; ich halte es aber für wichtig, es auch noch einmal zu sagen –, wünsche ich mir, dass zukünftig auf Länderebene und kommunaler Ebene die Belange von Berufsschulen besser wahrgenommen werden und deren Attraktivität gesteigert wird. Ich selbst habe auch einmal in einer gearbeitet. (Rainer Spiering [SPD]: Gut!) Dazu gehört nicht nur eine moderne technische Ausstattung, sondern vor allem auch eine angemessene personelle Ausstattung. Zusätzlich müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Sprachlehrer flexibel und zeitnah – ich betone besonders „zeitnah“ – in der Berufsausbildung von jungen Flüchtlingen eingesetzt werden und jede Berufsschule Förderangebote für Benachteiligte sowie Angebote für Leistungsstärkere vorhält. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Ich rufe die Länder auf, im Ranking ihrer Schullandschaft den Berufsschulen einen vorderen Platz einzuräumen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Rainer Spiering [SPD]: Und wir geben die Mittel!) Eine deutliche Qualitätssteigerung in den Berufsschulen sowie gut ausgebildete Lehrer tragen maßgeblich dazu bei, die duale Berufsausbildung in Deutschland zu stärken. Ich denke, meine Kolleginnen und Kollegen, das ist – das unterstelle ich einmal – unser aller Ziel. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Matthias, Entschuldigung, Martin Rabanus von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Martin Rabanus (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Matthias ist auch ein sehr schöner Name – zweifelsfrei. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Für mich ist es ja einfacher: Ich kann einfach „Frau Präsidentin“ sagen und muss gar nicht darauf reagieren, dass der Vorsitz gerade gewechselt hat. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Deine Zeit läuft!) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucher auf den Besuchertribünen! Ich möchte das Augenmerk im Rahmen dieser Debatte über den Berufsbildungsbericht gerne auf das Thema Weiterbildung lenken, das darin mit „Anschluss und Aufstieg“ überschrieben ist. Damit ist auch das Spektrum, über das wir dabei reden, umrissen. Denn Weiterbildung geht tatsächlich vom Erwerb von Grundkompetenzen, von Alphabetisierung, über das Nachholen erster Abschlüsse bis hin zu hochkomplexen, hochspezialisierten Weiterbildungen, die aufstiegsorientiert sind: Weiterbildung für die private und die berufliche Weiterentwicklung, Weiterbildung ein Leben lang, Weiterbildung auch für alle Menschen in unserem Land. Dieses ganze Spektrum bildet Weiterbildung ab. Diese ist anschlussorientiert und aufstiegsorientiert. Ich füge hinzu, dass natürlich gerade vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Wirtschaft 4.0 Weiterbildung die notwendige Voraussetzung ist, um sich – beruflich ebenso wie persönlich – in der zukünftigen Welt dauerhaft behaupten zu können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich finde es deswegen ausgesprochen erfreulich, dass die Weiterbildungsbeteiligung der 18- bis 64-Jährigen erstmals bei 51 Prozent lag; auch das lesen wir in dem Bericht. Das ist ein Anstieg und eine gute Entwicklung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie gehen wir also als Koalition, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Thema Weiterbildung um? Herr Dr. Feist, es ist erstens eine Frage der Grundhaltung, ja. Wir gehen davon aus, dass die berufliche Bildung, die Weiterbildung und die akademische Bildung gleichwertig sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Diese Gleichwertigkeit wird auch an den anderen Instrumenten, die wir haben, und an dem, was wir politisch umsetzen, deutlich. Formal wird sie am DQR deutlich, durch den wir die unterschiedlichen Abschlüsse vergleichbar gemacht haben. Damit wird auch Transparenz hergestellt. Diese Transparenz ist dann zweitens Grundlage für Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Systemen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Nur dann können wir drittens die Bildungsketten, von denen schon gesprochen worden ist, entwickeln, und dafür sorgen, dass die Qualifikationswege aufeinander abgestimmt sind, um Anschluss und Aufstieg sicherzustellen. So können wir es viertens zur Selbstverständlichkeit werden lassen, lebensbegleitend zu lernen und weiter zu lernen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Dezember 2014 haben wir als Koalition im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung festgelegt, dass wir in allen Bereichen von der Nachqualifizierung bis zur Aufstiegsförderung Verbesserungen erreichen wollen. Ich glaube, man kann mit einigem Selbstbewusstsein sagen: Das haben wir in den letzten Jahren auch umgesetzt. Erst in der letzten Sitzungswoche haben wir das AWStG – ein schrecklicher Name, aber ein wichtiges Instrument zur Förderung der Weiterbildung von Menschen ohne Abschluss – auf den Weg gebracht. Im Frühjahr dieses Jahres haben wir eine substanzielle Reform des Meister-BAföGs durchgeführt. Wir tun etwas für Anschluss und Aufstieg, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben in der Tat vieles gemacht und unsere Maßnahmen mit erheblichen Summen unterlegt; auch das kann man dazusagen. Der Deutsche Bundestag stellt als Haushaltsgesetzgeber diese Mittel ja bereit. Für die Förderung der beruflichen Weiterbildung gemäß SGB haben wir 2015  2,7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Für die Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener hat das BMBF 20 Millionen Euro bereitgestellt. In diesem Rahmen ist das Spätstarter-Programm WeGebAU – das Weiterbildungsprogramm für Geringqualifizierte – mit einem Volumen von 180 Millionen Euro zu erwähnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Außerdem gibt es ESF-kofinanzierte Programme in der Größenordnung von 200 Millionen Euro. Das AFBG habe ich bereits genannt. Bei der Bildungsprämie sowie den Aufstiegs- und Weiterbildungsstipendien reden wir über ein Volumen von noch einmal ungefähr 130 Millionen Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tun also etwas für Anschluss und Aufstieg. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zum Schluss möchte ich dem Bundesinstitut für Berufsbildung, dem Bundesbildungsministerium und allen beteiligten Ressorts meinen herzlichen Dank für diesen Bericht aussprechen. Ich möchte mich auch für die geleistete Arbeit im Bereich der Aus- und Weiterbildung bedanken, und ich bin mir sicher, werte Kolleginnen und Kollegen – auch der Opposition –: Wir werden auch in Zukunft muntere Debatten über die Ausbildung, über Weiterbildung führen. Damit werden wir die Dinge in unserem Land sicherlich noch weiter voranbringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Rainer Spiering [SPD]: Vielen Dank dafür! – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Schön, Matthias!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Katrin Albsteiger das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Katrin Albsteiger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat wirklich nichts mit Schlechtreden zu tun, wenn wir sagen, um die berufliche Bildung, die wir in Deutschland haben, beneiden uns andere Länder. Sie ist ein Exportschlager. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Genau!) Genauso wenig hat es etwas mit Schlechtreden zu tun, wenn wir sagen, die berufliche Bildung hat einen besonderen Mix: auf der einen Seite der an der Berufsschule stattfindende Teil, auf der anderen Seite der Teil, der in den Betrieben praktisch vor Ort stattfindet. Das ist auch der Grund dafür, warum wir hier in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern eine so geringe Jugendarbeitslosigkeit haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Leider ist das noch nicht überall angekommen, und genau deswegen sprechen wir hier auch darüber. Sie sagen, wir würden bei der Bewertung des Berufsbildungsberichtes alles einfach nur in den Himmel loben und die Probleme nicht sehen. Das ist falsch, und das haben wir im Übrigen auch in den letzten Jahren nicht getan. Der Berufsbildungsbericht ist ein wesentliches Instrument, damit wir uns selber fragen: Was müssen wir noch alles tun? Es ist bereits vieles getan worden. Wenn wir den vorliegenden Berufsbildungsbericht in Gänze nicht ernst nehmen würden, dann, glaube ich, hätten wir nicht so viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, wie es tatsächlich geschehen ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Einiges davon hat der Kollege Martin Rabanus ja schon erwähnt. Ich möchte einfach beispielgebend auch noch ein paar andere Punkte ansprechen. Erstens: die Allianz für Aus- und Weiterbildung, die wir auf den Weg gebracht haben. Es ist sicherlich so, dass darin noch viel Arbeit steckt, und es ist auch extrem wichtig, dass an dieser Stelle noch miteinander gesprochen wird. Aber an welch anderer Stelle kommen denn alle Akteure zusammen? Wenn jetzt gesagt wird, das sei alles schlecht und hier sei noch nicht das erreicht worden, was wir erreichen wollten, dann könnte das vielleicht auch daran liegen, dass das ein neues Instrument ist. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig! Das Glas ist halb voll!) Zweiter Punkt: das Anerkennungsgesetz. Auch das ist in der ganzen Diskussion noch nicht angesprochen worden. Es ist extrem erfolgreich, und – es ist ja mitunter bei uns in Deutschland einzigartig – wir haben es weiterentwickelt. (Beifall bei der CDU/CSU) Dritter Punkt: internationale Bildungskooperation. Auch für den beruflichen Bereich ist das extrem wichtig – Stichworte BAföG-Reform und Erasmus+. Hier haben wir etwas getan, und hier wird in dieser Legislaturperiode auch noch einiges geschehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist deshalb wichtig, darauf hinzuweisen, weil dadurch auch zur Gleichwertigkeit der akademischen und der beruflichen Bildung beigetragen wird. Viertens eine Maßnahme, die mir auch ganz besonders wichtig ist: Meister-BAföG. Was wir da alles an Geld hineinstecken! Zum 1. August 2016 werden die Förderleistungen deutlich erhöht und verbessert. (Marianne Schieder [SPD]: Gott sei Dank!) In den nächsten vier Jahren stecken wir 245 Millionen Euro in diesen Bereich. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Gute Entscheidung!) Wenn das nichts ist, dann weiß ich es wirklich auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Martin Rabanus [SPD]: Einen guten Gesetzentwurf haben wir da gemacht!) Im Übrigen: Taktgeber für diese historische Verbesserung der beruflichen Weiterbildung war die CSU-Landesgruppe. (Martin Rabanus [SPD]: Wie bitte?) Schon in den Kreuther Beschlüssen aus dem Januar 2015 haben wir hier einige Forderungen aufgestellt, die in den vergangenen Monaten in die Tat umgesetzt wurden. Das freut mich als CSUlerin ganz besonders. Vielen herzlichen Dank an meine Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) All diese Maßnahmen, die ich erwähnt habe – und ich könnte hier noch ganz schön lange weitermachen –, müssen aber natürlich erst noch wirken. Geben wir den neuen Dingen, die wir auf den Weg gebracht haben, doch ein bisschen Zeit. Auch das ist ganz wesentlich, und ich glaube, da tut sich auch schon einiges. Der Berufsbildungsbericht hat auch dieses Jahr wieder gezeigt – wie auch schon die Fachkräfteberichte aus den vergangenen Jahren –, dass es in einigen Branchen und in einigen Regionen besondere Herausforderungen gibt. Deswegen ist es wichtig, hier noch einmal das Stichwort „Matching“ zu erwähnen. Wir haben tatsächlich ein nicht ganz unerhebliches Problem, wenn es darum geht, alle Schulabsolventen tatsächlich in den Ausbildungsmarkt zu integrieren. Da gibt es, wie wir alle wissen – Stichwort 20 000 versus 40 000 –, ein kleines oder auch größeres Problemchen. Aber ganz besonders stark ist die berufliche Bildung beim Matching zwischen Ausbildungsmarkt und Arbeitsmarkt. Das wird an dieser Stelle immer schön unterschlagen. Dabei ist die Situation der Auszubildenden im Vergleich zu den Absolventen einer Hochschule viel besser, weil es einen direkten Link zwischen der beruflichen Ausbildung und dem Arbeitsmarkt gibt. Deswegen sage ich an dieser Stelle: Ich glaube, wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir hier nicht überspezialisieren, auch in der beruflichen Ausbildung, wenngleich ich sagen muss: Auch im studentischen Bereich ist das ein wesentlicher Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Spiering [SPD]) Was wollen wir? Wir wollen für die Ausbildung die besten Köpfe gewinnen. Da sind all diejenigen, die im Gymnasialbereich sind, wichtige Ansprechpartner. Die Studienberatung muss verbessert werden: Diejenigen, die ein Studium aus welchen Gründen auch immer nicht beenden wollen, dürfen wir nicht verlieren. Diese brauchen wir, gerade wenn es darum geht, spezialisierte Fachkräfte von morgen mit einem Leistungsniveau zu haben, das vielleicht nicht von jedem erreicht werden kann. Um diese Köpfe müssen wir uns kümmern. In diesem Zusammenhang sind schon einige Dinge angesprochen worden – Stichwort Bundeskonferenz „Chance Beruf“. Natürlich dürfen wir auch diejenigen nicht aus den Augen verlieren, die etwas bildungsschwächer sind; über die haben wir heute auch schon gesprochen. Assistierte Ausbildung, ausbildungsbegleitende Hilfen – all das sind Instrumente, die wir auf den Weg gebracht haben und die ihre Wirkung sicherlich zeigen werden bzw. das auch schon getan haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich komme zum Schluss. Das kann nicht alles gewesen sein. Wir haben viel gemacht. Aber es wird sich noch einiges bewegen müssen, sei es im Bereich – das habe ich angesprochen – Auslandsmobilität, sei es im wirklich wichtigen Bereich der Digitalisierung der beruflichen Bildung. Insofern gehen uns die Aufgaben und die Ideen sicherlich nicht aus. Wir haben ja noch ein bisschen Zeit bis zu den nächsten Wahlen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/8300, 18/8421 und 18/8259 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 c sowie Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: 32.   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze Drucksache 18/8559 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versorgung durch Heilmittelerbringer stärken – Valide Datengrundlage zur Versorgung und Einkommenssituation von Heilmittelerbringern schaffen Drucksache 18/8399 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit c) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2015 – Einzelplan 20 – Drucksache 18/8460 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ZP 2   a) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes Drucksache 18/8704 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen, insbesondere Flug- und Schiffsunternehmen, abschaffen Drucksache 18/8701 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es handelt sich hierbei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 l sowie 20 und 21 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich komme zunächst zum Tagesordnungspunkt 33 a: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder und des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes Drucksache 18/8616 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksache 18/8744 Mit diesem Gesetzentwurf wird die Frist, in der die Bundesmittel im Rahmen des Investitionsprogramms „Kinderbetreuungsfinanzierung 2015–2018“ vollständig durch die Bundesländer bewilligt sein müssen, auf Bitte der Länder um ein Jahr bis zum 30. Juni 2017 verlängert. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8744, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8616 anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Lesung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen worden. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 33 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetzes und zur Änderung des BVL-Gesetzes Drucksache 18/8335 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Drucksache 18/8736 Mit diesem Gesetzentwurf erfolgen Anpassungen an geänderte europäische Verordnungen. Tierische Nebenprodukte werden in stärkerem Maße als bisher risikobasiert kategorisiert. Des Weiteren wird geregelt, dass das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bei der Überwachung der Vorschriften durch die Länder mitwirkt. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8736, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8335 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und zur Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung einstimmig angenommen worden. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 33 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Dezember 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung Drucksache 18/8516 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/8726 Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8726, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8516 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und zur Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 d: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. September 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Ruanda über den Luftverkehr Drucksache 18/8296 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/8672 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8672, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8296 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Martina Renner, Dr. André Hahn, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und weiterer Abgeordneter Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses – Hilfsweise: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksachen 18/7565, 18/8683 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8683, den Antrag auf Drucksache 18/7565 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen worden bei Enthaltung der Koalitionsfraktionen. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 33 f: Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr öffentliche Sicherheit – Für eine bessere Begrenzung und Kontrolle von Schusswaffen Drucksache 18/8710 Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 33 g bis 33 l. Tagesordnungspunkt 33 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 321 zu Petitionen Drucksache 18/8635 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 322 zu Petitionen Drucksache 18/8636 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 323 zu Petitionen Drucksache 18/8637 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 324 zu Petitionen Drucksache 18/8638 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 325 zu Petitionen Drucksache 18/8639 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 33 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 326 zu Petitionen Drucksache 18/8640 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltstatistikgesetzes und des Hochbaustatistikgesetzes Drucksache 18/8341 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/8734 Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8734, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8341 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 21: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen – 39. BImSchV Drucksachen 18/8340, 18/8461 Nr. 2, 18/8667 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8667, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/8340 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ Drucksache 18/8709 Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvorschlag auf Drucksache 18/8709? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Wahlvorschlag einstimmig angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Berichts des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2015 Drucksache 18/8370 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Vorsitzende des Petitionsausschusses, die Kollegin Kersten Steinke. (Beifall bei der LINKEN) Kersten Steinke (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Ausschussdienstes! Ich will zunächst darauf aufmerksam machen, dass hinter den vielen Sammelübersichten, die wir gerade beschlossen haben, ganz viel Arbeit der Mitglieder des Petitionsausschusses, aber auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steckt. Dafür ein herzliches Dankeschön von dieser Stelle aus! (Beifall im ganzen Hause) Ich möchte im Vorfeld noch erwähnen, dass ich über die Leere auf der Regierungsbank bzw. darüber, wie wenig die Regierung die Arbeit des Petitionsausschusses interessiert, sehr erstaunt bin. Ich hoffe, dass es beim nächsten Mal besser wird; denn auch im Berichtsjahr 2015 haben sich erneut viele Bürgerinnen und Bürger an den Petitionsausschuss gewandt. Auch im vergangenen Jahr war der Petitionsausschuss der Seismograf für die aktuellen Sorgen und Nöte der Menschen. 13 137 Petitionen gingen beim Petitionsausschuss ein. Das waren durchschnittlich 52 Zuschriften pro Tag. Das klingt nach viel. Dennoch muss man an dieser Stelle sagen: So wenige Petitionen erreichten uns das letzte Mal 1988. Da stellt sich natürlich die Frage: Bedeuten weniger Petitionen auch weniger Probleme? Wenn man allerdings die Stimmung im Land sieht, dann muss man sagen, dass das eher unwahrscheinlich ist. Die Gründe für diesen Rückgang können sehr vielfältig sein, zum Beispiel die einfachere Mitzeichnung einer Petition auf unserem Internetportal, anstatt eine Petition selber einzureichen, oder die Konkurrenz mit privaten Internetportalen oder das nahende Ende der Legislaturperiode. Aber die Gründe bedürfen sicherlich einer genauen Analyse. Von den insgesamt eingereichten 13 137 Petitionen gingen 4 031 elektronisch über unser Internetportal ein; das sind 30 Prozent. Abschließend behandelt hat der Ausschuss im Berichtsjahr 14 765 Eingaben, wobei wieder Überhänge aus dem Vorjahr dabei waren. Die meisten Eingaben entfielen wie in jedem Jahr mit knapp 20 Prozent der Gesamteingaben auf das Ressort Arbeit und Soziales. Wenn es um Beruf und Einkommen, um gerechte Rente und angemessene Hilfe geht, kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Staat und Bürgern. Oft geht es in den Petitionen um die Grundsicherung für Arbeitsuchende, Regelbedarfsätze, Mindestlohn, Leiharbeit und Fragen betreffend die Rentenversicherung. Aber auch die Bescheinigung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Anerkennung einer Berufskrankheit fällt in dieses Ressort, wie das folgende Beispiel zeigt. Ein Petent, der mehr als sechs Jahre in den 60er- und 70er-Jahren mit einem hochgiftigen Lösungsmittel in hoher Dosis und ohne Schutzmaßnahmen Reinigungs- und Entfettungsarbeiten durchgeführt hatte, litt unter einer Krebserkrankung der Niere sowie unter Hauterkrankungen. Seine Berufsgenossenschaft war nicht gewillt, die Erkrankungen trotz mehrerer ärztlicher Gutachten als Berufskrankheiten anzuerkennen. Es bedurfte eines zähen dreijährigen Petitionsverfahrens mit vielen Gutachten und Stellungnahmen, bis der Petent endlich zu seinem Recht kam. Hier zeigt sich, dass die Hartnäckigkeit des Petitionsausschusses oft zum Erfolg führt. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Petent bedankte sich beim Petitionsausschuss und schrieb unter anderem: „Ohne Ihre Hilfe wären die Fehler, die von der Berufsgenossenschaft am Anfang des Verfahrens gemacht wurden, nicht korrigiert worden.“ Auf dem zweiten Platz der Bundesressorts mit den meisten Eingaben folgt das Bundesministerium des Innern mit 1 847 Petitionen. Hier gibt es eine wesentliche Veränderung im Vergleich zu den Vorjahren. Mit 932 Eingaben entfielen mehr als die Hälfte der Petitionen auf den Bereich Aufenthalts- und Asylrecht. In der ersten Jahreshälfte bewegten die Bürger vor allem die zahlreichen Schiffsunglücke, bei denen, wie im April 2015 vor der libyschen Küste, Hunderte von Menschen im Mittelmeer ertranken. Ab September begannen dann die Zuschriften derjenigen zuzunehmen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen Sorgen um den Anstieg der Flüchtlingszahlen, die angemessene Unterkunft und die Versorgung der Flüchtlinge oder um die Abschiebepraxis machten. Neben seinen 25 regulären Sitzungen im Jahr 2015 hat der Ausschuss 23 Berichterstattergespräche mit einzelnen Ministerien geführt, um Lösungen für schwierige Fälle zu finden. Hier wurden beispielsweise Visaangelegenheiten, die gesellschaftliche Anerkennung und Rehabilitation ehemaliger Heimkinder und die Regelungen zur Altersrente thematisiert. Sehr gut besucht und nahe am Bürger sind die öffentlichen Sitzungen des Ausschusses, die in diesem Jahr unter anderem zu folgenden Themen stattfanden: Exportverbot für Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter mit über 94 000 Unterstützerinnen und Unterstützern; es ging um eine angemessene Vergütung für Pflegekräfte mit über 60 000 Unterschriften oder um die Kostenerstattung für Medikamente auf Cannabisbasis durch die GKV mit über 48 000 Unterschriften; es ging aber auch um die Einrichtung eines oder einer Kinderbeauftragten im Deutschen Bundestag mit über 107 000 Unterstützerinnen und Unterstützern und darum, die Personalbemessung in Krankenhäusern gesetzlich zu regeln, mit über 194 000 Unterschriften. Die jeweiligen Petenten erläuterten im Beisein von Vertretern der zuständigen Ministerien ihr Anliegen den Abgeordneten sowie einer breiten Öffentlichkeit, und die Abgeordneten konnten so ihr Wissen zu den genannten Petitionen vertiefen und in die Entscheidungsfindung einbeziehen. Diese öffentlichen Sitzungen wurden durch das Parlamentsfernsehen und im Web-TV live übertragen. Alle Mitschnitte sind außerdem jederzeit über den Internetauftritt des Deutschen Bundestages abrufbar. Die Abgeordneten im Petitionsausschuss nehmen ihre Arbeit sehr ernst; denn das Petitionsrecht ist ein wichtiger Bestandteil unserer Demokratie. Mit großem Engagement ringen wir um die bestmögliche Lösung für jede Petentin und jeden Petenten und praktizieren dabei in vielen Fällen eine über Fraktionsgrenzen hinausgehende konstruktive Zusammenarbeit. Aber natürlich gibt es zu manchem Thema unterschiedliche Sichtweisen und somit auch unterschiedliche Voten der Fraktionen. Wenn auch zu Beginn jeder Wahlperiode der Run auf die Mitgliedschaft im Petitionsausschuss eher gemäßigt ist, will ich ausdrücklich sagen, dass nur ein Petitionsausschussmitglied die Wirkung von Petitionen und die Bedeutung dieses Gremiums wirklich einschätzen kann. (Beifall im ganzen Hause) Um diese Bedeutung und Wirkung weiter zu erhöhen und den Bürgerinnen und Bürgern die Chance auf demokratische Teilhabe zu eröffnen, bitte ich Sie, auch in Ihren Wahlkreisen für Petitionen beim Deutschen Bundestag zu werben. Der Petitionsausschuss hat 2015 mittlerweile den dritten Preis für seine Internetplattform erhalten. Nach der Auszeichnung mit dem Politikaward 2008 und der BIENE der „Aktion Mensch“ im Jahr 2010 für den besonders barrierefreien Zugang ist der Petitionsausschuss 2015 als Preisträger im bundesweiten Innovationswettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ für die Einbindung des neuen Personalausweises auf seinem Webportal geehrt worden. (Beifall im ganzen Hause) Damit ist es möglich, sich mit dem neuen Personalausweis im Portal zu registrieren und online eine Petition einzureichen. Nicht zuletzt aufgrund solcher Innovationen ist unser Internetportal zu einem Aushängeschild des Ausschusses geworden. Es erlaubt interessierten Menschen, sich zusammenzutun, um sich gemeinsam für ein Anliegen starkzumachen. Diese Möglichkeit wird rege genutzt. Ich freue mich sehr, dass Ende 2015 auf unserem Internetportal fast 2 Millionen Nutzerinnen und Nutzer registriert waren. Mittlerweile sind es über 2 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Auf der Internetseite des Petitionsausschusses wurden im vergangenen Jahr 384 Petitionen veröffentlicht und mit fast 500 000 Mitzeichnungen unterstützt. Unser Internetportal bleibt schon wie im vergangenen Jahr klarer Spitzenreiter, was die Seitenaufrufe des Internetangebotes des Deutschen Bundestages angeht. Dennoch muss auch gesagt werden, dass die Gesamtzahl der online eingereichten Petitionen gesunken ist. Einer der Gründe könnte sein, dass sich der Ausschuss seit einiger Zeit in einer Art Konkurrenzsituation sieht. Sogenannte Petitionsplattformen von privaten Anbietern sind nicht zuletzt durch die sozialen Netzwerke äußerst populär geworden und werden auch regelmäßig in den Medien erwähnt. Natürlich ist es immer gut, wenn sich Bürgerinnen und Bürger engagieren. Doch, so weiß ich aus Gesprächen mit Petenten, ist vielen der Unterschied zu unserer Petitionsplattform nicht klar. Hier rufe auch ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf, für Klarheit und Aufklärung in Ihren Wahlkreisen zu sorgen. Nur beim Deutschen Bundestag ist die Petition gemäß dem Grundgesetzartikel 17 mit einer Dreifachgarantie ausgestattet, nämlich für die offizielle Bestätigung und Entgegennahme, die sorgfältige Prüfung des Anliegens und eine demokratische abschließende Entscheidung, die den Petenten ebenfalls mitgeteilt wird. Alle diese Schritte finden unabhängig von der Zahl der Unterstützerinnen und Unterstützer statt; denn der Hauptteil unserer Arbeit sind und bleiben die privaten Sorgen und Nöte des einzelnen Bürgers. Die Bearbeitung von persönlichen Bitten und Einzelschicksalen, wie etwa die falsch berechnete Rente, der nicht finanzierte Rollstuhl, das abgelehnte Besuchervisum, sind wichtig; denn dies alles können für den Einzelnen existenzielle Probleme sein. Sie zeigen auf, wo Politik nicht funktioniert. Genau hier ist das Engagement aller Ausschussmitglieder gefragt, Abhilfe zu schaffen und Lösungen zu finden. Es kommt beim Lesen von Petitionen auch manchmal vor, dass wir schmunzeln müssen. Als zum Beispiel ein elfjähriger Junge im November des vergangenen Jahres anregte, den Nikolaustag am 6. Dezember zum bundeseinheitlichen Feiertag zu erklären, wollten wir zwar gern helfen, aber das Anliegen liegt nicht in der Zuständigkeit des Bundes, sondern ist Ländersache. Erfreulich ist allerdings, dass bereits ein Elfjähriger unseren Ausschuss kennt und von seinem demokratischen Recht des Einreichens einer Petition Gebrauch macht. Das stimmt mich zuversichtlich, noch dazu, weil die Petition online einging. (Beifall im ganzen Hause) Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes, der Fraktionen und der Abgeordneten, bei den Abgeordneten im Petitionsausschuss, dem Unterabteilungsleiter Herrn Dr. Paschmanns und den Referatsleiterinnen und Referatsleitern bedanken. Mein Dank geht aber auch an den inzwischen mit anderen Aufgaben betreuten ehemaligen Leiter des Petitionsausschussdienstes, Herrn Dr. Schotten, der für jede neue Idee ein offenes Ohr hatte und sachlich ausgleichend zwischen den Fraktionen managte. Darüber hinaus möchte ich dem Sekretär unseres Ausschusses, sozusagen meiner rechten Hand im Ausschussdienst, Herrn Finger, für seine langjährige Hilfe und Unterstützung danken. (Beifall im ganzen Hause) Ihnen, lieber Herr Finger, wünsche ich im bevorstehenden Ruhestand alles Gute und viel Zeit für die schönen Dinge im Leben. Vielleicht sehnen Sie sich auch bald nach uns. Ich hoffe, dass Sie die nächste Aussprache zum Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses auf Phoenix im Fernsehen oder auf der Besuchertribüne verfolgen. Vielleicht wird sie dann an einem Donnerstag um 9 Uhr beginnen. Lassen Sie mich abschließen mit den Worten eines amerikanischen Schriftstellers, der einmal sagte: Erfolg ist die Summe kleiner Anstrengungen, die man jeden Tag aufs Neue tut. Lassen Sie uns gemeinsam diese kleinen und großen Anstrengungen im Sinne der Petentinnen und Petenten weiterhin unternehmen. Ich wünsche mir eine weitere gute Zusammenarbeit. Vielen Dank. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank, Frau Steinke. – Als nächste Rednerin hat Christel Voßbeck-Kayser das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute zur Hauptkernzeit im Parlament über den Jahresbericht des Petitionsausschusses zu sprechen, zeigt, welche Bedeutung das Petitionswesen im Deutschen Bundestag hat. Es macht ferner deutlich, wie wichtig uns, dem Parlament, den Abgeordneten, diese Petitionen als Instrument der direkten Demokratie sind und dass wir die Menschen, die sich mit ihren Anliegen an uns wenden, sehr ernst nehmen. Dies zeigt sich auch in unseren Ausschusssitzungen, in denen wir sehr leidenschaftlich die vielfältigen Anliegen der Bürger und Bürgerinnen diskutieren und wo wir auch wiederholt, über die Fraktionsgrenzen hinweg, zu einer gemeinsamen Meinung und damit auch Entscheidung kommen. Die Kollegin Steinke hat es schon erwähnt: Über 13 000 Petitionen wurden im vergangenen Jahr eingereicht. Auf 252 Arbeitstage im letzten Jahr bezogen, sind dies pro Tag etwa 52 Zuschriften. Ich finde, das ist schon eine Menge. Bei den Eingaben geht es um Themen aus allen Bereichen des täglichen Lebens, wo Bürger durch Gesetze direkt betroffen sind, sich benachteiligt fühlen oder eingeschränkt sehen. Es gibt – das erwähnte die Kollegin Steinke auch schon – zwei Möglichkeiten, wie die Bürger ihre Anliegen einbringen können, entweder schriftlich oder über die Onlineplattform des Deutschen Bundestages. Leider gibt es inzwischen viele vermeintliche Petitionsplattformen im Internet. Sie suggerieren, dass die Rechte der Bürger dort vertreten werden und dass die Bürger mit einer Unterschrift dort etwas bewirken können. Aber man kann auf diesen Plattformen nichts bewirken. (Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will hier ganz klar sagen: Es gibt nur eine echte Petitionsplattform, und das ist die des Deutschen Bundestages. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Günter Baumann [CDU/CSU]: Da können die Grünen auch mitklatschen!) Nur hier werden die Anliegen parlamentarisch geprüft und bearbeitet. Nur hier können Gesetze und Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht werden. Mehr als 2 Millionen registrierte Bürgerinnen und Bürger nutzen unsere Onlinepetitionsplattform. Ich sage: Nutzen Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, auch weiterhin dieses echte Angebot; denn nur wo „Petitionsausschuss“ draufsteht, ist auch Petitionsausschuss drin. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kersten Steinke [DIE LINKE] – Günter Baumann [CDU/CSU]: Da können die Grünen mitklatschen!) Bei über 13 000 Petitionen waren die Schwerpunkte der Bereich Arbeit und Soziales, der Bereich des Innern und der Bereich Gesundheit. Ich möchte exemplarisch auf zwei Beispiele eingehen. Ein Beispiel aus dem Bereich Arbeit und Soziales: Eine Petentin forderte die Anerkennung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten in der Rentenversicherung für ihre zwei in Polen geborenen Kinder. Dies war von der Rentenversicherung Bund zunächst abgelehnt worden. Die eingeleitete Prüfung ergab, dass die Kindererziehungszeiten im Ausland in dem Fall der Petentin jedoch angerechnet werden können. Die Rentenversicherung erkannte die Zeiten rückwirkend an. Dieses Beispiel macht deutlich, dass alleine die Prüfung, die der Petitionsausschuss veranlasst hat, zu einer Änderung zugunsten der Petentin führte. Und dies war kein Einzelfall. Ein Beispiel aus dem Bereich Gesundheit will ich benennen. Hier kann man sagen, dass der Petitionsausschuss so etwas wie ein Seismograf, also ein Bewegungsmelder, für Gesetze ist. – Viele Petitionen befassten sich inhaltlich mit der Betreuung und Versorgung von pflegebedürften Menschen. Es ging um Forderungen wie eine individuellere Betrachtungsweise bei der Feststellung von Pflegebedürftigkeit oder um die bessere Absicherung von pflegenden Angehörigen bei der Rente. Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz, welches der Bundestag am 13. November 2015 beschlossen hat, wurden diese beiden Anliegen aufgegriffen, und dadurch wurde den Bedürfnissen von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen weiter Rechnung getragen. Diese zwei Beispiele zeigen: Unser Petitionswesen ist ein starkes Instrument – ein Instrument, das etwas bewirken kann, sowohl im Einzelfall als auch im Großen und Ganzen der Gesetzgebung. Und selbst wenn wir einem Bürger bei seinem Anliegen nicht helfen können, so werden ihm die Gründe dieser Entscheidung in einem persönlichen Schreiben mitgeteilt. Im Deutschen Bundestag bleibt keine Eingabe unbeantwortet. Ich sage auch Danke für die Zusammenarbeit. Ich bedanke mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes, der Fraktionen und der Abgeordnetenbüros. Lassen Sie uns diese Arbeit im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, im Sinne unseres Verständnisses von Demokratie, in der jedes Anliegen gehört wird, weiterhin gemeinsam fortsetzen! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herzlichen Dank. – Kerstin Kassner von der Fraktion Die Linke hat als nächste Rednerin das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kerstin Kassner (DIE LINKE): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. So steht es im Artikel 17 des Grundgesetzes. Das ist ein Hinweis besonders an die vielen Besucherinnen und Besucher hier im Bundestag. Es sei noch einmal ganz deutlich gesagt: Diese Möglichkeit des Petitionswesens ist eine gut praktizierte Form der Demokratie, und die sollten wir auch unbedingt nutzen; denn sie ist eine Perle, die wir pflegen müssen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Dafür, dass das so ist, möchte ich drei Gründe anführen. Es gibt natürlich noch viel mehr Gründe, die man in diesem Zusammenhang nennen könnte. Der erste Grund ist, dass die Bürger die Möglichkeit haben, direkt in das parlamentarische Geschehen einzugreifen. Meine Fraktion hat gerade in dieser Woche, am heutigen Tag sogar, einen Gesetzentwurf zu mehr demokratischer Mitbestimmung eingebracht. Bürgerbeteiligung, Bürgerbefragung und natürlich auch das Petitionswesen: Das sind Möglichkeiten, über die die Bürgerinnen und Bürger direkt in das politische Geschehen eingreifen können. Das ist gerade in der jetzigen Zeit wichtig, in der sich viele Menschen von der Politik unverstanden fühlen und wütend sind über das, was passiert. Es ist eine Möglichkeit, die Bürger mitzunehmen und für ein anderes Politikverständnis zu sorgen. Das sollten wir nutzen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Grund für die Einzigartigkeit des Petitionswesens ist, dass es sich um eine Querschnittsaufgabe handelt. Wir als Mitglieder des Petitionsausschusses sind sozusagen auf allen Politikfeldern bewandert. Wir haben uns mit vielen Dingen auseinanderzusetzen, haben uns zu kümmern und erfüllen dadurch die Funktion eines Netzwerkers, eines Querschnittsarbeiters. Das finde ich gut. Man vermeidet damit bestimmte Scheuklappen. Auch im vergangenen Jahr war das Feld Arbeit und Soziales wieder eines der wichtigsten. Wir haben über 2 600 Petitionen dazu erhalten. Daran merkt man, dass noch vieles im Argen liegt, dass wir noch vieles verändern müssen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Darüber hinaus haben wir viele andere Dinge zur Kenntnis bekommen, sozusagen ein Spiegelbild der Sorgen und Probleme der Einwohnerinnen und Einwohner unseres Landes. Das ging los mit dem Alltagsbegleiter für Menschen mit Behinderungen – ein Beispiel für das A im Alphabet –, setzte sich fort mit der Diskussion zu einer neuen Verfassung, mit der Verlängerung der Wahlperiode des Deutschen Bundestages und mit vielen anderen Sorgen und Problemen, die die Bürger haben, bis hin zum Z, der Zunahme des Fluglärmes. Gerade Lärm und Umweltprobleme treiben viele Bürger um und kommen dann bei uns auf den Tisch als etwas, worum wir uns zu kümmern haben. Dass wir das leisten können – das muss ich einmal ganz fair sagen –, ist der Tatsache zu verdanken, dass wir viel Hilfe haben. Es sind die Fachpolitikerinnen und -politiker in der Fraktion, die uns helfen, die einzelnen Politikfelder zu beackern. Es sind aber auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nicht zuletzt und ganz dick unterstrichen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschusssekretariats. Vielen Dank für Ihre Unterstützung! (Beifall im ganzen Hause) Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich den dritten Grund benennen: die Möglichkeit eines anderen Herangehens an Politik – parteiübergreifend, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, nicht nach irgendwelchen Vorgaben aus Ministerien, sondern danach, was wir als wichtig für die Bürgerinnen und Bürger erachten. Deshalb sind wir doch hier. Gehen wir es also gemeinsam an. Uns allen dafür viel Kraft und gute Verständigung! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Sarah Ryglewski von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sarah Ryglewski (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger auf der Zuschauertribüne! Für mich ist das heute eine Premiere. Ich bin jetzt bald ein Jahr Mitglied im Petitionsausschuss und Mitglied des Deutschen Bundestages. Deswegen freue ich mich sehr, dass ich hier den Jahresbericht mit vorstellen darf. Es ist eine wahnsinnig spannende und vielfältige Aufgabe, die mir sehr viel Spaß macht. In keinem anderen Ausschuss steht der Mensch so sehr im Mittelpunkt wie bei uns. Zum einen geht es darum, dass ein Petent oder eine Petentin ein Anliegen hat und möchte, dass wir uns damit befassen. Zum anderen profitieren wir als Politik ungemein von diesem Ausschuss. Es ist vorhin schon ein paarmal angeklungen: Der Petitionsausschuss ist ein wichtiger Sensor für die Frage, ob in unserem Land Dinge funktionieren oder nicht. Ich glaube, das ist etwas, was man hier heute in jeder Rede betonen darf; denn das ist eigentlich eine der wichtigsten Aufgaben dieses Petitionsausschusses. (Beifall im ganzen Hause) Denn für uns alle, die wir hier sitzen, ist es so: Politik betreiben wir nicht als Selbstzweck, sondern wir wollen konkrete Verbesserungen für Menschen. Deswegen ist es wichtig, dass der Petitionsausschuss im Einzelfall versucht, Abhilfe bei persönlichen Problemlagen zu schaffen und gleichzeitig Aufmerksamkeit auf Fehler im System zu lenken. Ich glaube, dass uns das grundsätzlich gut gelingt, aber wie jede Sache, die gut ist, kann man es noch ein bisschen besser machen. Dazu möchte ich einige Punkte sagen. Ein Punkt ist, dass wir den Bekanntheitsgrad deutlich verbessern müssen. Vorhin hat schon jemand darauf hingewiesen, dass das Petitionsrecht ein Jedermannrecht ist. Das heißt, jeder, der in Deutschland lebt, also auch der, der kein deutscher Staatsbürger ist, hat das Recht, eine Petition einzureichen – im Übrigen auch Minderjährige. Hierfür müssen wir noch viel mehr Werbung machen, damit auch Jugendliche, die viel zu sagen haben, von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Hierzu muss ich sagen, dass unsere Kommunikationswege – da bin ich auch ein bisschen selbstkritisch – manchmal ein wenig altbacken sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Viele Menschen wissen nicht, dass wir jede im Bundestag eingereichte Petition behandeln. Es ist ja nicht so, dass eine Petition, die von uns nicht zur Erwägung vorgeschlagen wird, im luftleeren Raum versandet. Wenn ich an die Mühe denke, die wir uns als Abgeordnete oft machen – hinterhertelefonieren, im Jobcenter anrufen, mit einer Behörde in Kontakt treten –, dann muss ich sagen, dass wir im konkreten Einzelfall häufig viel erreichen können, obwohl wir an grundsätzlichen Problemen vielleicht nicht immer etwas ändern können. Ein weiterer Punkt, bei dem wir eine deutliche Verbesserung schaffen müssen – das sagte ich schon –, ist der leichtere Zugang und die Verständlichkeit. Echte Partizipation gibt es doch nur, wenn wir es allen leicht machen, ihr Anliegen einzureichen. Dafür sind die Mindestvoraussetzungen Barrierefreiheit und leichte, verständliche Sprache. Die Internetseite des Petitionsausschusses – das muss man heute sagen, es tut mir leid – ist deutlich verbesserungsfähig. So, wie sie jetzt ist, bekommen die Leute keinen direkten Zugang. Dadurch geraten wir im Vergleich zu den privaten Onlineplattformen oft ins Hintertreffen. Wie gesagt, ich bin dafür, dass wir alle offen für den Petitionsausschuss werben. Ein Punkt ist mir dabei noch wichtig. Das betrifft auch die Ministerien. Wir bekommen häufig Antworten zurück, die so komplex sind, dass selbst wir Probleme haben, sie zu verstehen. Ich glaube, egal wie man am Schluss zu einem Petenten und zu einem Anliegen steht, müssen wir schauen, dass die Menschen verstehen, warum wir bestimmte Dinge nicht machen können. Bürgerfreundliche Kommunikation muss auf Augenhöhe sein. Hier hat nicht nur der Petitionsausschuss Nachholbedarf, sondern auch Politik und Verwaltung insgesamt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer Punkt, den ich noch erwähnen möchte: Leute wenden sich nicht nur mit individuellen Anliegen an uns, sondern viele Menschen machen sich auch grundsätzliche Gedanken über die Politik in unserem Land. Das können wir gar nicht hoch genug einschätzen. Ich bin auch noch Mitglied des Finanzausschusses. Das sind zum Teil sehr komplexe Sachverhalte. Wenn ich mir anschaue, wieviel Gehirnschmalz manche Leute aufwenden, dann wünsche ich mir manchmal, dass wir vielleicht ergebnisoffener diskutieren und mehr Menschen mitnehmen. Ich glaube, daran können wir arbeiten und das können wir umsetzen. Einen letzten Punkt – ich muss zum Schluss kommen – möchte ich noch erwähnen. Trotz der kritischen Punkte sollte man eines dem Bürger mitgeben. Ich bin immer wieder beeindruckt davon, dass wir uns fraktionsübergreifend darüber einig sind, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt zu nehmen und ihnen zu helfen, so gut es geht. Ich glaube, hier sind wir auf einem guten Weg, aber wir könnten uns noch weiter verbessern. Dem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Petitionsausschusses und der Abgeordneten schließe ich mich ausdrücklich an. Ohne sie könnten wir die Fülle an Petitionen nicht bearbeiten. Deren Sachkompetenz hat mich schon in mancherlei Hinsicht überrascht und beeindruckt. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Corinna Rüffer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Wir haben schon viel Lob gehört. Keine Angst, ich will mich zunächst einmal dem Lob anschließen – da ist was dran – und zwei Petitionen herausgreifen, die ich besonders gut und wichtig fand und die mir ein Stück weit ans Herz gewachsen sind. Das ist einmal die Petition ehemaliger Heimkinder, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie massiv Opfer von richtig schlimmer Gewalt geworden sind und denen bis heute – von Entschädigung kann sowieso keine Rede sein – keine Anerkennung gezollt worden ist. Wir haben es als Ausschuss fraktionsübergreifend geschafft, ein hohes Votum zu finden, um damit in Richtung der Länder und auch der Kirchen von Bundesseite aus zu signalisieren, dass da endlich etwas geschehen muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das war ein ganz wichtiges Signal. Trotzdem ist es unheimlich peinlich, dass, obwohl über ein Jahr vergangen ist, bis heute keine Lösung gefunden wurde. Das bedeutet, wir müssen hier alle gemeinsam den politischen Druck aufrechterhalten; denn langsam ist es mehr als peinlich, was da passiert. Es ist jedes Mal wieder ein Schlag ins Gesicht der Leute, die so viele Jahre lang, zum Teil jahrzehntelang, gelitten haben. Bei der zweiten Petition – von denen gibt es nicht so wenige – ging es um eine junge, kranke Jesidin aus dem Irak, die bei einem Bruder in Süddeutschland untergekommen ist. Sie ist über Schweden eingereist und sollte dorthin zurückgeführt werden, um dort ihr Asylverfahren zu durchlaufen. Das Innenministerium hat erst einmal festgestellt, dass es keine außergewöhnlichen humanitären Gründe sieht, der Frau ein Asylverfahren in Deutschland zu ermöglichen. Das ist korrigiert worden, nachdem in einem Berichterstattergespräch Überzeugungsarbeit geleistet worden war. Die Frau lebt immer noch bei ihrem Bruder und durchläuft das Asylverfahren in Deutschland. Das ist für diese Frau und für ihre Familie unheimlich wichtig. Herzlichen Dank, dass wir alle da gut zusammengearbeitet haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Von diesen Fällen gibt es durchaus einige. Aber jetzt gieße ich Wasser in den Wein; das haben Sie wahrscheinlich auch schon erwartet. (Zurufe von der CDU/CSU: Ja!) Denn meine Bilanz für 2015 fällt ziemlich nüchtern aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, ich kann Ihnen das nicht ersparen: Meiner Ansicht nach war das Motto des letzten Jahres: Verschleppen, Verschieben, Verstecken, Verdruss. (Günter Baumann [CDU/CSU]: Absolut falsch!) Sie verschleppen die Entscheidungen über Petitionen, die Ihnen nicht angenehm sind. Über Monate, ja sogar Jahre, schieben Sie die Petitionen in irgendwelchen Koalitionsrunden hin und her, und die Leute warten vergeblich auf Entscheidungen. (Günter Baumann [CDU/CSU]: Mal sehen, bei welcher Fraktion die meisten liegen!) Sie verschleppen, Sie verschieben die Auseinandersetzung mit unangenehmen Petitionen Woche für Woche im Ausschuss. Sie verstecken Petitionen vor der Öffentlichkeit, wenn Ihnen der Petent oder das Anliegen nicht passt; dazu wird Frau Müller-Gemmeke gleich noch ein bisschen mehr sagen. Das fördert den Verdruss im Ausschuss. Viel schlimmer ist: Das fördert den Verdruss in der Bevölkerung, unter den Bürgerinnen und Bürgern. Manche von ihnen warten, wie gesagt, schon seit Jahren auf Entscheidungen in ihrem Fall. So geht das einfach nicht. Überdies erschweren Sie die Arbeit des Ausschussdienstes, der wirklich eine hervorragende Arbeit macht – da will ich mich zu hundert Prozent Ihrem Lob anschließen – und sich ohnehin durch Berge von Akten wühlen muss. Jetzt muss er auch noch die Kohlen aus dem Feuer holen, damit Sie sich nicht die Füße verbrennen. Was ist mit dem Verdruss? Rita Süssmuth, ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Bundestagspräsidentin – eine kluge Frau –, hat einmal, im Jahr 1993, gesagt: Mehr Beteiligung und Übernahme von Verantwortung reduzieren den Verdruß. Ich sage Ihnen: Gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Verunsicherung – in solchen Zeiten leben wir ja –, in Zeiten großer Herausforderungen ist das demokratiefördernde Potenzial von Petitionen wirklich nicht zu unterschätzen. Insofern sollten wir daran arbeiten, dieses Instrument zu stärken und es nicht weiter zu schwächen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Martina Stamm-Fibich [SPD]) Das Parlament erfährt durch dieses Instrument ausnahmsweise einmal direkt und ungefiltert, wo den Bürgern der Schuh drückt. Dann können wir uns damit beschäftigen und unter Umständen da, wo es nötig ist, auch Gesetze ändern. Ich kann es nur wiederholen: Wir brauchen eine Stärkung des Petitionsrechtes. Wir brauchen mehr Öffentlichkeit. Grundsätzlich sollten alle Ausschusssitzungen öffentlich sein – warum denn nicht? –, wenn der Petent nicht das Gegenteil möchte oder datenschutzrechtliche Gründe entgegenstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber das Gegenteil ist doch der Fall: Die Ausschusssitzungen finden, selbst wenn Petitionen öffentlich eingereicht wurden, nichtöffentlich statt. Das ist ein Problem. Es ist auch ein Problem, wenn die SPD über Barrierefreiheit im Petitionswesen redet und es ablehnt, einen Antrag zum Behindertengleichstellungsgesetz zu diskutieren, der beinhaltet, dass das Petitionswesen barrierefrei ausgestaltet sein soll. (Sarah Ryglewski [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht!) Da können Sie sich Ihre Positionspapiere und Reden in Zukunft auch sparen – meine Meinung! Wir wollen weiterhin etwas gegen den Verdruss in unserem Land unternehmen. Wir wollen nicht, dass der Petitionsausschuss wieder zum Kummerkasten wird; denn das deutsche Petitionswesen ist eines der besten Instrumente, echte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu ermöglichen. (Günter Baumann [CDU/CSU]: Ist gut jetzt!) Damit Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit erhalten, Demokratie in unserem Land aktiv mitzugestalten, müssen wir das Petitionswesen stärken. Machen Sie bitte endlich mit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Antje Lezius von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Heidtrud Henn [SPD]) Antje Lezius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahresbericht des Petitionsausschusses zeigt die vielen Facetten der Petitionsarbeit des Deutschen Bundestages: 13 137 neue Petitionen, 14 765 Erledigungen und 780 Beratungen im Ausschuss – diese Zahlen können sich sehen lassen. Vor allem bedeutet dies eine große Herausforderung für den Ausschussdienst. Daher bedanke auch ich mich ganz herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowohl des Ausschussdienstes als auch unserer Büros. Ich bedanke mich ebenso bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Bundesministerien und -behörden, die den Anliegen nachgehen, fundierte Stellungnahmen erstellen und uns in Berichterstattergesprächen persönlich Rede und Antwort stehen. An dieser Stelle möchte ich auch meinen Respekt für meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition aussprechen, die mit deutlich weniger Man- und Womanpower die gleiche Menge an Petitionen bearbeiten müssen wie wir in der Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Leider gelingt es Ihnen nicht immer, wie du, liebe Corinna, gerade wieder unter Beweis gestellt hast, Ihre ideologische Brille abzusetzen. (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Statt die Petenten mit ihren Sorgen und Nöten anzunehmen, wird ihnen manchmal leider mindestens eine Standardforderung Ihres Parteiprogramms übergestülpt. Vielleicht können Sie daran noch etwas arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da würde ich Ihnen raten, eine Brille aufzusetzen, durch die man gucken kann!) Unser aller Anspruch ist es, dass jede Petition und jeder Petent ernstgenommen wird. Auch wenn die Menge der Eingaben im Vergleich zu 2014 zurückgegangen ist, zeigt die dennoch hohe Zahl der Petitionen, dass die Menschen darauf vertrauen, dass sie gehört werden und dass ihnen geholfen wird. Wie jedes Jahr waren viele meiner Kollegen und Kolleginnen aller Fraktionen und auch ich wieder unterwegs, um unsere Arbeit vorzustellen – das ist ganz wichtig –, so auf öffentlichen Messen wie der Frankfurter Buchmesse, dem Mannheimer Maimarkt oder beim Tag der Ein- und Ausblicke des Bundestages. Was eine Petition ist und wie das Petitionsrecht funktioniert, das ist leider immer noch viel zu wenig bekannt. Selbst in vielen Medien wird der Eindruck vermittelt, es müsse eine gewisse Anzahl an Mitzeichnern gewonnen werden, damit eine Petition überhaupt behandelt wird. Daher kann ich es nicht deutlich genug sagen: Nicht die Zahl der Unterstützer oder die Person des Petenten ist entscheidend, sondern das jeweilige Sachanliegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Erschwert wird die Bekanntheit des „echten“ Petitionswesens noch durch die vielen Onlineplattformen wie bereits mehrfach hier erwähnt. Diese suggerieren teilweise, es handle sich um eine offizielle Petition oder gar um Abstimmungen mit gesetzesänderndem Charakter. Bei den Petitionsplattformen ist vieles fragwürdig: beispielsweise der Umgang mit den Daten der Unterstützer, fehlende Rückmeldung auf die Petitionen und zweifelhafte Erfolgsaussichten. Nur hier beim Bundestag gibt es die Garantie, dass jedes Anliegen bearbeitet, beantwortet und schließlich – und das ist das Wesentliche – auch beschieden wird. Es lohnt sich, sich jede Petition sehr genau anzuschauen, wie ein Beispiel aus dem Jahresbericht zeigt. Ein Ehepaar hatte sich an den Deutschen Bundestag gewandt, weil ihnen die Förderung für ihre Solaranlage vom zuständigen Bundesamt versagt wurde. Die Behörde beharrte darauf, dass der Antrag auf Förderzuschuss nicht fristgerecht innerhalb der ersten sechs Monate gestellt und auch der Widerspruch gegen den Bescheid nicht fristgerecht eingegangen worden war. Das klingt zunächst wie ein ganz klarer Fall; denn schließlich sind Fristen einzuhalten. Doch meine Meinung änderte sich, als ich mir die Unterlagen, die die Petenten eingereicht hatten, genauer ansah. Tatsächlich hatte der Petent seinen Antrag nicht nur fristgerecht eingereicht, sondern er konnte dies auch mit einem Einsendebescheid der Post belegen. Dies war tatsächlich niemandem in der Behörde aufgefallen. Nach dem entsprechenden Hinweis durch den Petitionsausschuss konnte sich das Petenten-Ehepaar schließlich doch noch über 2 470 Euro Zuschuss freuen. Solche Erfolge motivieren und sollten Motivation für Bürgerinnen und Bürger sein, sich an den Petitionsausschuss zu wenden. Sehr wichtig finde ich auch eine Petition des Dachverbandes Clowns in Medizin und Pflege, der sogenannten Klinikclowns. Kerngedanke ist: Lachen macht gesund. Genau das haben sich 200 Clowns, die in 240 Einrichtungen in ganz Deutschland tätig sind, auf die Fahne geschrieben. Sie besuchen kranke Kinder und Senioren, gehen in Krankenhäuser und Hospize und verbreiten Freude, und das bei professioneller Ausbildung und einem sehr hohen Standard weitgehend ehrenamtlich und unentgeltlich. In der Petition wurde gefordert, diese wertvolle Arbeit zu unterstützen. Ich freue mich, dass der Ausschuss die Petition einstimmig an das Bundesgesundheitsministerium und an die Fraktionen des Deutschen Bundestages überwiesen hat. Damit hat das Anliegen eine breite Unterstützung gefunden. Das ist eine wirklich gute Sache, wie ich finde. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich selbst habe die Petition zum Anlass genommen, einen Praxistag bei den Klinikclowns zu machen. Ich habe den Clown „Dr. Schienbein“ beim Besuch einer Kinderstation begleitet. Für die tapferen Kinder mache ich mich gern zum Clown. Es freut mich immer besonders, wenn gute Vorschläge aus meinem Wahlkreis kommen. Eine Petition, die vom Stadtverband sowie vom Gemeindeverband der CDU Birkenfeld, also aus meinem Wahlkreis eingebracht wurde, betrifft uns alle hier. Sie fordert, dass der Bundestag zukünftig auf fünf Jahre gewählt wird. Nicht nur der Petitionsausschuss hat diese Forderung einstimmig unterstützt, auch andere prominente Fürsprecher haben diese Idee immer wieder aufgegriffen, so unser Bundestagspräsident Norbert Lammert. Daher will ich hier im Plenum noch einmal dafür werben, über diesen Vorschlag nachzudenken. Fast alle deutschen Landtage und unser Europaparlament haben eine Wahlperiode von fünf Jahren. Eine längere Legislatur verschafft mehr Zeit, um sich nach der Koalitionsbildung und vor allem vor dem Wahlkampf den immer komplexer werdenden politischen Themen noch intensiver zu widmen. Auch uns im Petitionsausschuss würde das mehr Luft verschaffen, um noch mehr für die Anliegen der Petenten einzutreten. Ich freue mich darauf, genau das in der verbleibenden Zeit dieser Wahlperiode gemeinsam mit meinen Ausschusskollegen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu tun. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Birgit Wöllert von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Wöllert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an den Fernsehern und hier im Hause! Meine Kollegen haben es schon gesagt: Das Petitionsrecht ist ein hohes Gut. Es hat Grundgesetzcharakter. Es ist in Artikel 17 des Grundgesetzes verankert. Jede und jeder darf sich beschweren. Das ist ein Ausdruck lebendiger Demokratie. Ich glaube, wer dieses Beschwerderecht in Anspruch nimmt und sich an der lebendigen Demokratie beteiligt, möchte erleben, dass seine Hinweise Berücksichtigung finden; denn ansonsten bleibt das ein Kummerkasten, wie Corinna Rüffer hier gesagt hat. Das heißt, die Anliegen müssen ernst genommen werden, und das müssen die Petenten auch spüren. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass der Bereich Soziales hinsichtlich der Anzahl der Beschwerden an erster Stelle liegt, und das seit Jahren, muss uns im Bundestag als Gesetzgeber sehr zu denken geben. Wir haben noch wichtige Gesetzesvorhaben vor uns. Die Referentenentwürfe liegen vor – ich denke an das Bundesteilhabegesetz –, und schon jetzt gibt es seitens der Vereine und Verbände große Kritik daran. Behandeln wir alle diese Kritik doch einmal so wie berechtigte Petitionen. (Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich wünsche mir sehr, dass das alle Abgeordneten so handhaben und diese Beschwerden bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs, der uns vorgelegt wird, berücksichtigt werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das wäre ein echter Beitrag für eine lebendige Demokratie. Auf dem dritten Platz, was die Anzahl der Beschwerden angeht, liegt das Bundesministerium für Gesundheit. Wir verzeichnen hier zwar einen leichten Rückgang an Einzelpetitionen, aber die höchste Beteiligung an öffentlichen Petitionen. Da es sich hier nicht um Beschwerden über ärztliche Tätigkeiten handelt, fällt eigentlich auch dieser Beschwerdeteil in den Bereich Soziales. Dabei geht es um alles, was mit Gesundheit und Pflege zu tun hat. Einige Beispiele dazu: 194 226 Menschen forderten ein Gesetz zur Personalbemessung in Krankenhäusern. Das ist eine riesengroße Anzahl von Menschen, denen es auf der Seele brennt, welche Zustände im Pflegebereich in Krankenhäusern nach wie vor herrschen. Leider haben entsprechende Anträge der Opposition, auch von uns Linken, die ein solches Gesetz zur Personalbemessung gefordert haben, nicht die notwendige Berücksichtigung gefunden. Das Gleiche galt für eine Petition für eine angemessene Vergütung für Pflegekräfte. Auch da sollte uns nachdenklich machen, dass dies einen großen Teil der Bevölkerung tatsächlich sehr interessiert. In beiden Bereichen zeigt die Praxis, dass weiter Handlungsbedarf besteht. Dem sollten wir hier auch Rechnung tragen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Wöllert, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lauterbach zu? Birgit Wöllert (DIE LINKE): Ja, gern. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Frau Wöllert, Sie wissen aber schon, dass wir beschlossen haben, dass wir in dieser Legislaturperiode sowohl das Anliegen, dass es einen Personalbemessungsschlüssel geben soll, als auch, dass es eine entsprechende Vergütung in der Pflege geben soll, angehen und dass wir dafür eine gemeinsame Kommission eingesetzt haben, an der beispielsweise die Gewerkschaft Verdi, die Sie ja in anderen Zusammenhängen schon häufiger zitiert haben, aber auch die Repräsentanten der Fraktionen und des Bundesgesundheitsministeriums beteiligt sind? Das ist Ihnen doch bekannt? Birgit Wöllert (DIE LINKE): Das ist mir bekannt, Kollege Lauterbach. (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Dann verstehe ich das nicht!) Ihnen hingegen ist aber sicherlich auch bekannt, dass Sie den Antrag auf Personalbemessung hier mit deutlicher Mehrheit abgelehnt haben, mit der Begründung, das sei eigentlich so gar nicht möglich. Wir haben es übrigens auch im Petitionsausschuss in einer öffentlichen Sitzung diskutiert. Ihnen ist ja auch bekannt, dass die Gesetze, die wir hier zur Aufstockung des Personals in den Krankenhäusern verabschiedet haben, auch von den Betroffenen selbst als Tropfen auf den heißen Stein angesehen werden. (Beifall bei der LINKEN) Bei der Bearbeitung der Petitionen fällt auf, dass es vor allen Dingen um Petitionen zu Beiträgen zur gesetzlichen und zur privaten Krankenversicherung geht. 204 Beschwerden betrafen allein dieses Gebiet. Weiter fällt auf, dass viele Menschen, wenn sie das Renteneintrittsalter erreicht haben, aus der privaten Krankenversicherung wieder zurück in die gesetzliche Versicherung wollen, weil sie gar nicht mehr in der Lage sind, von ihrer Rente die Beiträge zu bezahlen. Diese Hinweise ernst zu nehmen, ist eigentlich das Gebot der Stunde. Alle, die sich auf eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung berufen, sollten das auch tun. Diese Mehrheit kann es nämlich geben. Auch hier zeigt sich, ob man wirklich gewillt ist, politischen Willen auch in gesetzgeberisches Handeln umzusetzen. Das ist es, was die Menschen, die sich beschweren, letztendlich auch von uns erwarten. Ich hoffe, dass wir da einen Schritt weiterkommen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fazit von mir: Einmischen lohnt sich. Es gab eine Petition, die hier heute schon einmal benannt wurde, bei der sich gezeigt hat, dass das auch etwas bewirkt. Sie betraf den Bereich Cannabis als Medizin. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Birgit Wöllert (DIE LINKE): Auch hierzu gab es eine öffentliche Ausschusssitzung. Ich hoffe, dass sich die Betroffenen darauf verlassen können, dass die Therapie mit Cannabis ab 2017 dann auch ärztlich verordnet werden kann. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen. Birgit Wöllert (DIE LINKE): Ich kann nur alle auffordern: Mischen Sie sich weiter ein! Das brauchen wir alle, Sie auch. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Martina Stamm-Fibich das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Martina Stamm-Fibich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Als Petitionsausschuss sind wir eine Art Stimmungsbarometer der Bürger. Sorgen, Ängste und Probleme der Bürgerinnen und Bürger landen tagtäglich auf unserem Schreibtisch, und es sind vor allem die greifbaren, realen Probleme und Sorgen, die uns beschäftigen. Das ist ein großer Unterschied zu unserem sonstigen politischen Alltag; denn dort begleiten uns oft nur die großen Themen. Gerade weil der Petitionsausschuss des Bundestages das Stimmungsbarometer der Bevölkerung ist, ist er meiner Meinung nach von so großer Bedeutung. Denn hier spüren wir direkt, wo der Schuh drückt. Wir sprechen oft von Politikverdrossenheit. Wir sprechen davon, dass die Themen zu komplex werden, und davon, dass sich die Fronten zwischen Bürgern und Politik immer mehr verhärten. Das Politikverständnis vieler Menschen hat sich verändert. Bürgerbeteiligung ist die Gegenbewegung zur Politikverdrossenheit geworden. Viele Bürger warten nicht mehr darauf, dass die Politik ihre Sorgen löst, sie krempeln einfach selbst die Ärmel hoch und bringen sich ein. Das ist gut so. Denn Demokratie braucht Bürger, die sich einbringen, Menschen, die nicht nur zuhören, sondern selbst mitreden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die SPD will die Bürgerbeteiligung stärken. Wir wollen die Möglichkeiten der politischen Teilhabe ausbauen. Wir haben in der eigenen Partei damit angefangen und gute Erfahrungen gemacht. Mit dem Petitionsausschuss haben wir ein verfassungsrechtlich verankertes Beteiligungsinstrument, das es jeder Bürgerin und jedem Bürger ermöglicht, sich an den Deutschen Bundestag zu wenden. Genau deshalb ist der Petitionsausschuss kein Nullachtfünfzehn-Ausschuss, sondern ein ernstzunehmender Bestandteil einer lebendigen Demokratie. Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir die einzelnen Bürger in den Vordergrund unserer Arbeit stellen. Wir haben es schon gehört: Dabei helfen Parteiprogramme oder der Koalitionsvertrag nicht. Es darf dabei auch nicht um unsere eigenen politischen Interessen gehen. Es geht im Petitionsausschuss in erster Linie um den Bürger und um die Frage, wie wir Demokratie leben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Teil dieser Demokratie sind seit einigen Jahren auch private Petitionsplattformen, wie sie sich selbst nennen. Kampagnenplattformen nenne ich sie. Sie sammeln Stimmen, und vielleicht tragen die Initiatoren diese Stimmen dann in ein Ministerium und bringen ihr Anliegen dort vor. Ein parlamentarisches Verfahren schließt sich dem aber nicht zwingend an. Es ist einfach, im Internet einen Aufruf zu unterzeichnen. Es ist nicht ganz so einfach, im Bundestag ein Ziel zu erreichen. Demokratie heißt eben nicht nur, dass man seine eigene Meinung sagt, Demokratie bedeutet auch, zuzuhören. Ich glaube, hier müssen wir als Petitionsausschuss noch Aufklärungsarbeit leisten. Denn Petitionen sind für mich weit mehr als Meckern per Mausklick. Petitionen brauchen Lösungen, und wir alle arbeiten daran. Das zeigt zum Beispiel eine Petition, die im Jahr 2012 eingereicht wurde. Die Tochter eines Petenten ist verstorben, und seine Enkel beziehen seit dem Tod ihrer Mutter Halbwaisenrente. Weil sie damit aber als Rentner gelten, müssen sie freiwillige Beiträge zur Krankenversicherung zahlen. Den meisten Waisen- und Halbwaisenrentnern bleibt mit dieser Regelung nicht allzu viel von ihrer Waisenrente. Der Petent hat uns auf ein Problem aufmerksam gemacht, das in der Praxis zu Ungerechtigkeit führt. Wir haben diese Petition an das Bundesministerium für Gesundheit überwiesen. Das Ministerium hat die Kritik angenommen und geregelt, dass Waisen- und Halbwaisenrentner ab dem 1. Januar 2017 in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind. Ihnen steht also ab dem nächsten Jahr die Familienversicherung offen. Das Beispiel macht deutlich: Wir brauchen den Petitionsausschuss, weil wir die Meinungen der Bürgerinnen und Bürger brauchen. Wir müssen wissen, ob ein Gesetz in der Praxis funktioniert und ob wir damit das erreichen, was wir wollen. Ohne dieses Stimmungsbarometer würde unserer Demokratie ein großes Stück Lebendigkeit fehlen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch ich schließe mich dem Dank an den Ausschussdienst an und möchte nicht vergessen, unseren Mitarbeitern – ich danke hier ganz explizit meinen Mitarbeitern – zu danken. Ohne sie würden wir die viele Arbeit, die wir im Petitionsausschuss haben, nicht bewältigen. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Beate Müller-Gemmeke von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei manchen Petitionen geht es ja um ganz private Anliegen. Kommen Menschen alleine nicht weiter, dann ist die Petition ihre letzte Hoffnung. Eine Frau versuchte beispielsweise jahrelang vergeblich, wieder eingebürgert zu werden. Jetzt ist sie wieder deutsche Staatsbürgerin. Hier war die Zusammenarbeit mit dem Kollegen Günter Baumann richtig gut. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die ist immer gut!) Wir haben an einem Strang gezogen, und zwar mit Erfolg. Herzlichen Dank dafür! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Doch nicht alles läuft so rund, gerade wenn es um politische Anliegen geht, insbesondere bei sozialen Themen wie Befristungen, Arbeitslosengeld II, Leiharbeit, Mobbing, Pflege oder Rente. Wenn Petitionen auf Ungerechtigkeiten und Gesetzeslücken aufmerksam machen, werden viel zu viele Petitionen flugs abgeschlossen. Sinn und Zweck von Petitionen ist aber, eine Einschätzung zu erhalten, ob und wie Gesetze tatsächlich funktionieren. Wenn wir eine Petition überweisen, dann sagen wir ja nicht: Das muss genau in dieser Form umgesetzt werden. – Nein, wir drücken vielmehr aus: Hier stimmt etwas nicht; hier besteht Handlungsbedarf. – Petitionen sind ein Fingerzeig, ein Impuls, eine Anregung. Sie hingegen stellen viel zu häufig den Koalitionsvertrag über die Anliegen der Menschen. Das ist für uns, gerade im Petitionsausschuss, nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Günter Baumann [CDU/CSU]: Ach, das stimmt doch gar nicht! Sie haben so gut angefangen!) – Das stimmt schon. Eine öffentliche Petition muss ich ansprechen, und zwar die Telekom-Petition; denn hier geht es einfach nicht weiter. Diese Verdi-Petition kritisiert die gewerkschaftsfeindliche Haltung von T-Mobile in den USA und wendet sich deshalb an die Bundesregierung. Das macht durchaus Sinn. Denn T-Mobile gehört zu 67 Prozent der Deutschen Telekom, und die Bundesrepublik Deutschland ist wiederum mit über 30 Prozent an der Telekom beteiligt. Die Bundesregierung soll also Einfluss nehmen. Das wäre auch bitter nötig. Denn die Beschäftigten bei T-Mobile werden ausgespäht, eingeschüchtert, abgemahnt und sogar gekündigt, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren wollen. Die ILO-Kernarbeitsnormen gelten aber weltweit. Deshalb müssen sich die Telekom-Beteiligungen, auch die im Ausland, anständig verhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Mittlerweile unterstützen rund 50 000 Menschen diese Petition; das sind genug für eine öffentliche Anhörung. Die Opposition ist dafür, die SPD eigentlich auch, doch die Union sperrt sich vehement dagegen. Als Konsequenz setzen wir, die Oppositionsfraktionen, jetzt jede Woche das Thema der öffentlichen Anhörung auf die Tagesordnung. Sitzungswoche für Sitzungswoche, jetzt schon sechs Mal, verschieben die Regierungsfraktionen diese Entscheidung, weil sie sich nicht einigen können. Das ist ein absurdes Theater. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das missachtet vor allem die vielen Menschen, die diese Petition unterstützen. Das kritisieren wir aufs Schärfste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber keine Sorge: Wir werden weiter streiten und Petitionen auch weiterhin als das betrachten, was sie sind: eine Rückmeldung an die Politik. Wir nehmen sie ernst. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Iris Eberl von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Iris Eberl (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bitte um die Einführung eines achten Wochentages, denn nur so kann ich einmal pro Woche meine Seele baumeln lassen! Das war der Inhalt einer Petition vor einigen Jahren. Auch sie landete nicht einfach im Papierkorb. Der Ausschuss beriet den Bürger: Entspannen Sie sich. Nutzen Sie einen der sieben existierenden Wochentage. (Heiterkeit) Aber Spaß beiseite. Ist es nicht ein Privileg für uns Bürger, in einer funktionierenden Demokratie zu leben, das eigene Parlament kritisieren zu dürfen: „Hier ist etwas falsch; macht es besser“? Artikel 17 des Grundgesetzes garantiert das Petitionsrecht für jedermann. Kein Petent hat anschließend Repressalien zu befürchten. Das ist großartig und bei weitem nicht in allen Staaten selbstverständlich. Ich habe nun vor, Ihnen und der Öffentlichkeit einen Livebericht aus dem Werkstattraum dieses etwas anderen Parlamentsausschusses zu geben. Ich beginne mit einer Petition, bei der uns die Entscheidung leicht fiel. Ein Petent bat den Deutschen Bundestag, er möge beschließen, die monatliche Zuwendung für Haftopfer der politischen Verfolgung in der DDR gemäß § 17a des Strafrechtlichen Rehabilitationsgesetzes entsprechend der Inflationsrate zu erhöhen. Er selbst erhielt eine monatliche Zuwendung von 250 Euro und wies darauf hin, die Inflationsrate betrage seit 2011 bereits 6 Prozent. Tatsächlich waren die Opferpensionen seit 2007 nicht mehr erhöht worden. Es ging dabei um fast 45 000 Fälle. Der Ausschuss beschloss, die Petition dem Bundesjustizministerium als Material zu überweisen und den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben. Das Ergebnis war eine Erhöhung von 250 Euro auf 300 Euro, also sogar eine Erhöhung um 20 Prozent. Wesentlich schwieriger gestaltete sich die Entscheidungsfindung im folgenden Beispiel: Beim An- und Verkauf von Aktien können erzielte Gewinne und erlittene Verluste einkommensteuerrechtlich gegengerechnet werden. Ein Petent – ein Kleinaktionär wohlgemerkt – beklagt, dass er Erspartes in Aktien einer AG angelegt hatte, diese Insolvenz anmelden musste, woraufhin seine Aktien nichts mehr wert waren und aus seinem Depot verschwanden. Sie wurden zwangsausgebucht und existierten für ihn nicht mehr. Also konnte er sie auch nicht verkaufen. Das Steuerrecht sagt: Wenn kein Verkauf getätigt wird, kann steuerrechtlich auch kein Verlust entstehen. Der Schuldige hierfür ist der § 20 im Einkommensteuergesetz, der ein Veräußerungsgeschäft voraussetzt, damit ein Gewinn oder aber ein Verlust entsteht. Das Veräußerungsgeschäft verlangt zwei Teile: die Anschaffung und die Veräußerung von ein und derselben Aktie. Was aber nicht mehr existiert, kann vom Petenten auch nicht veräußert werden – und ohne Veräußerung kein einkommensteuerrechtlicher Verlust. Für unseren Kleinanleger bedeutete das aber einen Totalverlust; denn der Untergang einer Sache zählt hier nicht. Ich hoffe, Sie sind gedanklich noch alle dabei. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hätte der Petent seine Aktien vor ihrem Verschwinden für 1 Cent verkauft, dann hätte er seinen Verlust, nämlich Kaufpreis minus 1 Cent, steuermindernd ansetzen können. So konnte er gar nichts ansetzen. Der Petent beklagt sich meines Erachtens zu Recht über diese Ungerechtigkeit. Wäre er Großanleger, so hätte er einen Portfolio-Betreuer, und er wäre nie in diese Situation geraten. Er hätte die Chance des steuerlich bedeutsamen Verkaufs für ein paar Cent nie verpasst. Der Petent ist aber Kleinanleger. Da derzeit viele Experten raten, die eigene Rente frühzeitig durch Anlagen im Aktienbereich aufzubessern, und so immer mehr Kleinaktionäre in die beschriebene Falle tappen werden, sehe ich es als Pflicht dieses Hauses an, die Bürger davor zu schützen. Dazu ist nur eine kleine Ergänzung in § 20 Einkommensteuergesetz nötig. Diese Petition wurde dem Bundesministerium für Finanzen überwiesen und den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis gegeben. Ein abschließendes Ergebnis steht noch aus. An einem letzten Beispiel will ich zeigen, dass der Petitionsausschuss nicht jede Petition unterstützt, selbst dann nicht, wenn es emotional sehr schwer fällt: Eine NGO forderte vom Deutschen Bundestag, die Massen- und Intensivtierhaltung bis zum Jahr 2020 abzuschließen. Ihre Begründung war § 1 Satz 2 Tierschutzgesetz: Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Wer wollte diese Petition nicht sofort unterstützen! Bei praktischen Überlegungen kommen jedoch schnell Bedenken, ob das Problem wirklich so einfach zu lösen ist. Ein Beispiel: Die deutsche Gesetzgebung gilt nur in der Bundesrepublik. Wie sieht es aber mit dem Tierschutz in den anderen Ländern aus, gerade in den Ländern, die uns mit noch mehr Fleisch beliefern, wenn wir weniger Tiere auf der gleichen Fläche halten? (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es reicht ja, wenn man es erst einmal hier richtig macht!) Also müssen wir die EU unbedingt mit im Auge behalten. So folgte der Ausschuss mehrheitlich dem Vorschlag des Berichterstatters, meines Kollegen Hermann Färber. Die Petition wurde an das Landwirtschaftsministerium überwiesen und, weil sie nur Sinn macht, wenn sie sich auch auf die Haltungsbedingungen in den anderen EU-Ländern bezieht, dem Europäischen Parlament zugeleitet. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wird sie jetzt beerdigt!) Von Europa kommen so viele Verordnungen. Eine Rückmeldung von den Bürgern kann nicht schaden. Meine Damen und Herren, der Petitionsausschuss nimmt seine Arbeit sehr ernst. Manchmal diskutiert und ringt er um die richtige Entscheidung. Erstaunlicherweise sind die Ansichten darüber, was dem Wohle des Bürgers am meisten dient, zwischen den Fraktionen oft grundverschieden. Das ist eben Demokratie, wie sie leibt und lebt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Heidtrud Henn von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Heidtrud Henn (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes! Ein herzliches Dankeschön an Sie, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes. Ich danke Ihnen ganz besonders für Ihre wichtige Arbeit für all die Menschen, die sich mit ihren Sorgen, Nöten, Wünschen und Anregungen an diesen Ausschuss wenden. Der Petitionsausschuss ist ein besonderer Ausschuss. Er unterscheidet sich in vielen Dingen von den übrigen Ausschüssen. Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. So steht es in Artikel 17 des Grundgesetzes. Das Petitionsrecht gibt allen Menschen, unabhängig von Staatszugehörigkeit, Alter oder Geldbeutel, die Möglichkeit, die Themen im Parlament mitzubestimmen. Mit einer Petition können Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, uns Abgeordnete sogar zwingen, uns mit ihren Themen zu beschäftigen. Das ist besonders. Ich danke allen Petentinnen und Petenten, die den Mut aufgebracht und sich die Mühe gemacht haben, ihre ganz persönlichen Probleme oder auch ihre Wünsche aufzuschreiben und uns anzuvertrauen. Sie alle helfen uns Abgeordneten, besser zu erkennen, an welchen Stellen es Probleme gibt, wo der Schuh drückt und wo wir nachbessern müssen. Dafür können wir Abgeordnete uns nur bedanken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir, dass jeder und jede Abgeordnete einmal im Petitionsausschuss arbeitet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Kersten Steinke [DIE LINKE]) Der Petitionsausschuss erdet. Wer als Abgeordnete oder Abgeordneter den großen Auftritt sucht, der ist im Petitionsausschuss falsch. Der Ausschuss mit seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und auch wir Abgeordnete stehen selten im Rampenlicht. Der größte Teil der Arbeit des Petitionsausschusses findet in der Regel im Stillen und ohne großes öffentliches Trara statt. Das ist gut so; denn im Petitionsausschuss steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt, nicht abstrakt und verborgen hinter Statistiken und Zahlen, sondern ganz konkret und persönlich. Im Zentrum unserer Arbeit stehen diejenigen Menschen, die mit ihren ganz persönlichen Sorgen und Nöten an uns herantreten. Oft sind das Menschen, die keine andere Hoffnung mehr auf Hilfe sehen. Sie wenden sich an den Petitionsausschuss, weil sie wissen, dass hier jedes Anliegen, unabhängig vom Thema oder von der Anzahl der Unterstützerinnen und Unterstützer, gewissenhaft parlamentarisch geprüft wird und dass sie ernst genommen werden. Diesen engen und direkten Draht zwischen Petenten, Parlament und Regierung gibt es nur beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Ich möchte noch kurz auf die öffentlichen Sitzungen des Petitionsausschusses eingehen. Ich habe Ihnen gesagt: Die Arbeit des Petitionsausschusses steht selten im Rampenlicht. Bei den einzelnen Petitionen stimmt dies. Bei öffentlichen Sitzungen des Ausschusses ist das anders. Aber auch hier geht es nicht um uns Abgeordnete, sondern um Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger. Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, haben nämlich die Möglichkeit, ob klassisch auf Papier oder online beim E-Petitionsportal des Bundestages, öffentliche Petitionen einzureichen und Unterstützerinnen und Unterstützer für Ihre Anliegen zu sammeln. Wenn Sie innerhalb von vier Wochen 50 000 Unterstützerinnen und Unterstützer gewonnen haben, gibt es eine öffentliche Sitzung. Sie selbst können dann im Ausschuss uns Abgeordneten, Regierungsvertreterinnen und vertretern oder sogar Regierungsmitgliedern Ihr Anliegen vortragen und mit uns in den öffentlichen Dialog treten. Ein besseres Forum für Ihr Anliegen gibt es nicht. Ich bitte Sie, liebe Bürger und Bürgerinnen: Machen Sie Gebrauch von Ihrem Petitionsrecht direkt beim Deutschen Bundestag. Schreiben Sie Ihre Petition, und machen Sie sich für Ihre Anliegen stark. Sie werden gehört. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Gottes Segen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kersten Steinke [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Gero Storjohann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Gero Storjohann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der jährliche Bericht des Petitionsausschusses wird diskutiert, und ich glaube, wir hatten noch nie so ein harmonisches Zusammentreffen. Wir haben ihn schon einmal härter diskutiert. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, schön wäre es!) Das vorweg. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass es härter zugeht. Ich möchte einmal den Begriff „ernst nehmen“ aufgreifen. Alle sprechen davon, wir sollen den Petenten ernst nehmen. Was sollen wir denn sonst machen? Also die Petition kommt herein. Ich habe dann eine schöne Akte zu bearbeiten, meistens irgendwann nachts, 22  Uhr, und stelle fest: Da ist etwas dran. Man macht sich seine Gedanken, geht vielleicht sogar über die Empfehlung des Ausschussdienstes hinaus, und die Petition geht wieder zurück zur Opposition. Irgendwann kommt sie dann wieder, und wir müssen sie in der Arbeitsgruppe beraten. Plötzlich stellt man fest, dass das, was man sich nachts um 22 Uhr ausgedacht hat, in der Arbeitsgruppe keine Mehrheit findet. (Günter Baumann [CDU/CSU]: Das sind Ausnahmen, ja! – Heiterkeit) Man merkt, die nehmen die Petition ganz anders ernst als man selbst. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann verbünden Sie sich doch mit der Opposition!) Nun haben wir eine gemeinsame Position gefunden, und dann geht die Petition an den Referenten. Dieser geht zur SPD und versucht, auch mit der SPD eine gemeinsame Position zu finden und auf die Ernsthaftigkeit des Anliegens hinzuweisen. Dann kann es auch passieren, dass da keine Übereinstimmung erzielt wird, sondern vielleicht ein Dissens besteht, den man aber später womöglich wieder ausräumen kann. Also, Sie sehen, die Bearbeitung einer Petition kann manchmal ganz einfach sein, aber manchmal auch etwas kompliziert. Ernsthaft wird sie aber immer betrieben. Das wollte ich zum Ausdruck bringen. Wenn wir Fragen haben, haben wir aber auch die Möglichkeit, ein Berichterstattergespräch anzuberaumen, um also auch einmal ernsthaft die Haltung der Regierung zu prüfen, ob deren Position noch sachgerecht ist oder ob man vielleicht bei einer Verordnung einen Fakt übersehen hat. Auch im Berichterstattergespräch gibt es meistens einen Erkenntnisgewinn – manchmal auf unserer Seite, manchmal auf der Regierungsseite. Auch das ist eine spannende Arbeit. Deswegen sind wir auch alle gern im Petitionsausschuss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schließlich haben wir noch die Möglichkeit der öffentlichen Sitzung. Nun müssen wir wissen, in der jetzigen Situation mit zwölf Abgeordneten der Union, acht der SPD, drei der Grünen und drei der Linken ist das Verhältnis von Koalitionsfraktionen zu Oppositionsfraktionen sehr ungleich. Das kann man beklagen oder begrüßen – die Arbeit jedenfalls ist ungleich verteilt. Deswegen sehen wir schon: Es ist wichtig, dass die Arbeit gemacht wird, dass sie gewissenhaft gemacht wird. Ich würde mir manchmal wünschen, dass aus der Opposition nicht Fundamentalopposition käme. Es kann ja immer einmal sein, dass man wieder in den Status einer Regierungsfraktion wechselt. Gerade die Übergänge von Wahlperiode zu Wahlperiode erfordern es dann, dass man seine Haltung zu einer Petition überdenken muss. Das haben hier schon viele Kollegen erlebt, und das ist auch für uns, Frau Präsidentin, ein Problem: der Übergang der Wahlperioden. Denn wir haben einen Überhang an Petitionen. Das ist in Japan nicht so. Wir sind ja vor kurzem mit einer Delegation nach Japan gereist. Da macht man das anders. Da gilt auch bei Petitionen die Diskontinuität. Das heißt, Petitionen verfallen. Das wollen wir bewusst nicht. Deshalb suchen wir zurzeit nach Lösungen, wie wir den Petenten gerecht werden können, wie wir die Petitionen zeitnah bearbeiten können. Nun hat die Kollegin Rüffer ja gesagt, dass es hier ganz viele Petitionen gibt, die aus taktischen und politischen Gründen zurückgelegt und nicht bearbeitet werden. Was habe ich mich über die Petition „Ortsumgehung Tübingen“, Frau Widmann-Mauz, ärgern können, weil sie von den grünen Kollegen zurückgehalten wurde, die immer Beratungsbedarf hatten. (Günter Baumann [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Jetzt haben wir da eine neue Koalition; jetzt muss das ja so flutschen mit der Ortsumgehung in Tübingen. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Petition gewesen! Sie haben Hunderte!) – Eine, ja. Wir können gern einmal prüfen, wie viele Petitionen zurzeit von den Grünen zurückgehalten werden, weil es Beratungsbedarf gibt, weil man noch prüft. Den Ablauf in der Großen Koalition habe ich schon dargestellt. Es ist nicht immer einfach, über seinen Schatten zu springen. Ich bitte deshalb um gelegentliches Verständnis. Wir haben dieses Jahr in den öffentlichen Sitzungen hohen Besuch gehabt. Ich möchte ausdrücklich erwähnen, dass die Bundesminister Gabriel und Gröhe den Ausschuss besucht haben. Wir tagen morgens schon um 8 Uhr. Das ist für sie erfrischend, und für uns ist es schön, sie einmal bei uns zu haben. (Zuruf der Abg. Kersten Steinke [DIE LINKE]) – Stimmt, die öffentlichen Sitzungen beginnen später. Ich möchte jedenfalls betonen, dass die Petitionen uns auch Anregungen geben. Ich arbeite im Bereich Verkehr und freue mich natürlich, wenn Einzelfälle vorgetragen werden, die uns voranbringen. Besonders gefreut hat mich der Hinweis eines Bürgers aus meinem Wahlkreis, der ein Wohnmobil besitzt und sich fragt, warum er sich in den Kasseler Bergen immer rechts bei den Lkws einordnen muss. Sie quälen sich mit 40 oder 50 Stundenkilometern die Berge hoch, und er muss sich mit seinem starken Wohnmobil zwischen ihnen einreihen. Das macht die Schlange länger und ist für den Verkehrsfluss nicht optimal. Er fragte, ob es möglich ist, das Überholverbot für solche großen Wohnmobile aufzuheben, wie es im europäischen Ausland der Fall ist. Das Ministerium hat erst einmal gesagt: Es bleibt alles so, wie es ist; das hat sich bewährt. – Wir sind froh, dass wir auf den Weg bringen konnten, dass Wohnmobile mit einem Gesamtgewicht von 3,5 bis 7,5 Tonnen ausnahmsweise andere Fahrzeuge überholen dürfen, wenn das vor Ort angeordnet wird. Ich finde, das ist eine tolle Sache. Jedenfalls freuen sich alle Wohnmobilfreunde, dass diese Anregung über den Petitionsausschuss vorangetrieben wurde. Wer schon ein bisschen länger hier ist, weiß, dass Verkehrspolitiker sich gerne über Countdown-Ampeln informieren. Diese Ampeln zeigen an, wie viele Sekunden es noch dauert, bis die Ampel von Rot auf Grün springt oder umgekehrt. Diese Ampeln sind weltweit zu finden. Im Verkehrsministerium sieht man aber keinen Grund dafür, sie einzuführen und sagt: Das bringt keinen Nutzen für die Verkehrssicherheit und ist nur mit Kosten verbunden. Wir waren vor kurzem in Bolivien. Dort gibt es nicht nur Countdown-Ampeln für Fußgänger, sondern auch für Autofahrer. Ich finde sie sehr hilfreich und geradezu entspannend. Wir werden an diesem Thema dranbleiben. Wir haben bereits in Berlin, wo es einige Versuche mit diesen Ampeln für Fußgänger gibt, ein Berichterstattergespräch geführt. Ich kann nur versprechen: Wir werden dranbleiben. Wir sind dem Petenten dankbar, dass er dieses Thema aufgegriffen hat. Jetzt ist meine Redezeit um. Bekomme ich noch etwas, Frau Präsidentin? Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Nein. Gero Storjohann (CDU/CSU): Die eigentliche Redezeit ist um. Aber den anderen Rednern haben Sie eine Minute zusätzlich gegeben. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Es bleibt beim Nein. Gero Storjohann (CDU/CSU): Frau Präsidentin, ich habe Verständnis dafür. Ich möchte Ihrer Sitzungsleitung gerne entgegenkommen. Ich bin gerne im Petitionsausschuss und schon seit 2002 dabei. Ich glaube, das ist der einzige Ausschuss, in dem die Kollegialität im Vordergrund steht. Es macht richtig Spaß, in diesem Ausschuss zu arbeiten. Das kann ich den anderen Kollegen versichern. Lieber Helmut Brandt, du kommst demnächst in den Petitionsausschuss; das merke ich schon. Herzlichen Dank für das Zuhören und viel Spaß für die nächste Zeit. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Stefan Schwartze von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Stefan Schwartze (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Petentinnen und Petenten! Ich möchte mit einem Dank an den Ausschussdienst beginnen, der einen ganz hervorragenden Job erledigt und ohne den viele Petentinnen und Petenten nicht den richtigen Weg finden würden. Sie sind ein sehr, sehr guter Lotse. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein Lotse für den ganzen Ausschuss wird uns demnächst verlassen. Das ist Herr Finger. Herr Finger, ich möchte mich bei Ihnen für Ihre Arbeit und auch dafür bedanken, dass Sie immer eine klare Haltung zu einem guten, zeitgemäßen und bürgernahen Petitionsrecht hatten. Vielen, vielen Dank! Ihre Arbeit wird uns fehlen. (Beifall im ganzen Hause) Wir haben gehört, dass nicht alle Petitionen sofort auf den Weg gebracht werden. Das hat manchmal sehr gute Gründe. Wenn man einen Koalitionspartner hat – Herr Storjohann hat das eben wunderbar dargelegt –, dann muss man auch über Inhalte diskutieren und darum ringen. Es ist keinem Petenten geholfen, wenn wir seine Petition mit irgendeinem Votum auf den Weg bringen und dann gar nichts passiert. Man muss also über Inhalte diskutieren und um sie ringen. Sonst hilft alles Gutgemeinte nichts. Das heißt, wir müssen die Inhalte der Petitionen und die Bürgeranliegen sehr ernst nehmen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kassner zu? Stefan Schwartze (SPD): Ja. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin Kassner. Kerstin Kassner (DIE LINKE): Ganz herzlichen Dank, Frau Präsidentin, und lieben Dank, Kollege Schwartze. – Ich möchte nur wissen, wie Sie dazu stehen, dass nun im neuen baden-württembergischen Koalitionsvertrag festgelegt ist, dass die Abstimmungen im Petitionsausschuss der Koalitionsräson zu unterwerfen sind. Das kritisiert insbesondere Ihr Parteikollege, der scheidende Innenminister Gall. Wie ist Ihre Meinung dazu? Vielleicht könnte man dann manches Problem schneller lösen. Stefan Schwartze (SPD): Man könnte vielleicht schneller über die jeweilige Petition entscheiden. Wenn eine gesetzgeberische Umsetzung erfolgen muss, wir uns aber über das Anliegen nicht einig sind, dann ist dem Petenten mit dem Votum des Petitionsausschusses allein nicht geholfen. Mit dem, auf das Sie verweisen, erwecken wir nur den Anschein, dass etwas passiert. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es gibt Punkte, über die werden Sie sich nicht einig!) Auf die von Ihnen geschilderte Weise würden wir zwar dafür sorgen, dass der Petitionsausschuss schnell entscheidet. Aber dem Petenten würde nicht die notwendige Hilfe zuteil. Es ist ein Unterschied – so habe ich das in der letzten Legislaturperiode erlebt –, ob man sich in der Opposition nur in der Arbeitsgruppe und der Fraktion einig werden muss oder ob man sich mit zwei Partnern – in diesem Fall mit der CDU und der CSU – einig werden muss. In letzterem Fall muss man um Inhalte ringen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Was bei uns sehr harmonisch ist!) 1979 wunderte sich der damals junge Abgeordnete Franz Müntefering als Mitglied des Petitionsausschusses darüber, dass sich Abgeordnete im Parlament nur so selten über das Petitionswesen austauschen, dass nur einmal im Jahr, also genauso wie heute, die Möglichkeit zur Debatte über die Arbeit des Ausschussdienstes besteht. Wir müssen uns fragen, ob wir eigentlich dem Anspruch, ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie in unserem Land zu sein, gerecht werden. Das Petitionswesen hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Die Onlinepetition war ein Quantensprung. Die öffentlichen Petitionen und die öffentlichen Beratungen haben das Petitionswesen bürgernäher und politischer gemacht. Inzwischen – das durften wir bei den öffentlichen Beratungen erleben – haben die Minister Gabriel und Gröhe Maßstäbe gesetzt, indem sie selbst an den Sitzungen des Petitionsausschusses teilgenommen haben. An diesen Maßstäben wollen wir gerne festhalten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Mal!) Wir öffnen nun das Petitionswesen für die sozialen Netzwerke und geben den Petenten damit ein Werkzeug in die Hand, für ihre Anliegen zu werben, ein wichtiger Schritt, der in Kürze erfolgt. Wir bauen Hürden ab, um das Petitionswesen inklusiver zu machen. Wie wichtig das ist, hat eine Petition aus meinem Wahlkreis und den umliegenden Wahlkreisen gezeigt. Dort haben Werkstatträte eine Petition für bessere Arbeitsbedingungen in den Werkstätten gestartet. Bei den Gesprächen, die ich dort geführt habe, konnte ich feststellen, dass nicht jeder Zugang zum Petitionsrecht hat. Man muss hier für vernünftige Erklärungen in leichter Sprache sorgen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben eine entsprechende Broschüre auf den Weg gebracht. Umso schöner ist, dass der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages nun ebenfalls eine solche Broschüre in leichter Sprache erarbeitet. Sie wird in Kürze erscheinen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu, eine Frage der Kollegin Rüffer? Stefan Schwartze (SPD): Gerne. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe das gerade in meiner Rede schon angesprochen: In anderen Ausschüssen ist es üblich, dass man über Anträge mit berät, die den eigenen Ausschuss betreffen. Das kommt im Petitionsausschuss sehr selten vor. In dieser Legislaturperiode war das nur ein einziges Mal der Fall, und zwar im Rahmen der Verhandlungen über das Behindertengleichstellungsgesetz, das sich mit dem Komplex der Barrierefreiheit befasst. Nun hatten wir einen Antrag zu diesem Gesetzentwurf gestellt, der explizit zum Inhalt hatte, im Rahmen des Behindertengleichstellungsgesetzes das Petitionswesen barrierefrei auszugestalten. Sie wissen, dass wir diesen Antrag nicht inhaltlich beraten haben, und Sie wissen auch, dass die SPD gegen den Antrag gestimmt hat. Ich wüsste jetzt gerne, warum. Broschüren in die Welt zu setzen, ist gut, aber die Gelegenheit zu nutzen, über ein Gesetz, das ohnehin im Verfahren ist, eine saubere Lösung, und zwar nicht nur für eine Personengruppe, sondern für alle, die bestimmte Bedarfe haben, zu finden, wäre doch gut gewesen. Wie stehen Sie dazu? Stefan Schwartze (SPD): Liebe Kollegin, wir als Petitionsausschuss sind doch dabei, genau diesen Bereich aufzugreifen. Die Barrierefreiheit unserer Homepage wurde heute schon erwähnt, es wurde darüber gesprochen, dass wir jetzt solche Informationen in leichter Sprache haben. Wir als Abgeordnete können selbst jederzeit beantragen, dass Antworten oder Ausführungen an die Petenten in leichter Sprache erfolgen. All das können wir bereits tun. Wir als Ausschuss kämpfen gemeinsam dafür, dass die Debatten, die wir führen, bzw. unsere öffentlichen Beratungen von einem Gebärdendolmetscher übersetzt werden. Einmal ist uns das in einer öffentlichen Anhörung gelungen. Leider haben wir da bisher auf Granit gebissen. Aber ich nutze die Gelegenheit hier ganz ausdrücklich, um diese Forderung zu erneuern: Wir brauchen einen Gebärdendolmetscher für die öffentlichen Beratungen des Petitionsausschusses. Wenn wir uns um Bürgeranliegen kümmern, dann um die Anliegen aller Bürger. Jeder muss das verstehen können, und jeder muss Zugang dazu haben. Für uns Sozialdemokraten ist der Petitionsausschuss mehr als nur ein Kummerkasten. Er ist wesentlicher Bestandteil dieser Demokratie, und er muss das Tor zum Parlament noch weiter öffnen, er muss bürgernäher und er muss transparenter werden. Es geht darum, in Zeiten, in denen immer mehr Menschen die Demokratie anzweifeln, mehr Demokratie zu wagen. Mit diesem Motto und mit diesem Selbstverständnis sollten wir als Petitionsausschuss arbeiten. (Beifall bei der SPD) Wir haben in diesem Jahr zehn Jahre Onlinepetition gefeiert. Wir haben inzwischen eine ganze Reihe von Kampagnenplattformen, die das nachahmen, was wir als Petitionsausschuss auf den Weg gebracht haben. Onlinepetitionen waren damals alles andere als selbstverständlich. Die rot-grüne Koalition hat diese gegen erheblichen Widerstand der Opposition auf den Weg gebracht. Aber ich muss noch ein Wort zu den Kampagnenplattformen sagen. Auch wenn sie uns nachahmen, so gewährleisten sie nicht, dass das Anliegen derjenigen, die dort eine Petition starten, auch im Parlament landet. Das gewährleistet nur der Petitionsausschuss. Wenn man wirklich etwas ändern will, dann hilft es nicht, nur eine Kampagne zu starten, sondern dann muss man erreichen, dass sich das Parlament damit auseinandersetzt. Wir sind die Gewähr dafür, dass das geschieht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zum Schluss. Auch wenn wir manchmal inhaltlich streiten, haben wir doch eine gute Zusammenarbeit miteinander. Für die möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Ich möchte mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen und in den Büros ganz herzlich bedanken. Ganz besonders bedanken möchte ich mich bei den Petentinnen und Petenten, die dafür sorgen, dass manches Thema, das ihnen auf den Nägeln brennt, auch hier zum Thema wird. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war bei dieser Debatte großzügig; Herr Storjohann, das haben Sie zu Recht bemerkt. Das gilt nicht für die folgende Debatte. Ich war großzügig, und das hat einen Grund: Der Petitionsausschuss hat wirklich nur einmal im Jahr die Möglichkeit, seine Arbeit darzustellen. Man kann die Arbeit des Petitionsausschusses kurz so beschreiben: viel Arbeit, wenig Ruhm, aber große Bedeutung – für die Petenten, für viele Bürgerinnen und Bürger und im Übrigen auch für uns, weil seine Arbeit uns den kritischen Blick auf unser Handeln ermöglicht. (Beifall im ganzen Hause) Auch deshalb möchte ich stellvertretend für uns alle den Mitgliedern des Petitionsausschusses – es wurde zu Recht den Mitarbeitern des Sekretariats ganz herzlich gedankt; dem schließe ich mich an – ganz herzlich danken, weil sie für uns alle eine ganz wichtige Arbeit leisten. Ihnen also ganz herzlichen Dank! (Beifall im ganzen Hause) Damit schließe ich die Aussprache. Bevor ich den Vorsitz an meine Kollegin weitergebe, rufe ich noch den Zusatzpunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte Drucksache 18/7548 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich grüße Sie herzlich. – Ich warte noch, bis die Plätze eingenommen sind. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für Bündnis 90/Die Grünen Katja Keul. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir möchten heute mit Ihnen eine Debatte um die Reform der Bundesrichterwahl führen; denn das bisherige Verfahren ist an Intransparenz nicht zu überbieten und verliert dadurch zunehmend an Akzeptanz, was sich unter anderem immer häufiger in Konkurrentenklagen niederschlägt. Es geht hier um den Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, das Bundesarbeitsgericht, das Bundessozialgericht und den Bundesfinanzhof. Die Bundesrichterinnen und Bundesrichter an diesen Gerichtshöfen stellen in unserem Rechtsstaat als oberste Instanz die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicher und sind daher von zentraler Bedeutung an der Spitze der dritten Gewalt. Artikel 95 Absatz 2 Grundgesetz legt fest, dass die Berufung dieser Richterinnen und Richter durch den Richterwahlausschuss erfolgt, der aus den 16 Justizministerinnen und Justizministern bzw. den Arbeitsministerinnen und Arbeitsministern der Länder und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern des Deutschen Bundestages besteht. Vorschläge, die auf eine Änderung der Zusammensetzung des Ausschusses zielen, wie zum Beispiel die Einbeziehung der Präsidialräte, würden also eine Grundgesetzänderung voraussetzen. Darüber lässt sich mit guten Argumenten diskutieren. Wir schlagen Ihnen mit unserem Antrag aber ausschließlich Änderungen auf der einfachgesetzlichen Ebene vor, die keiner Grundgesetzänderung bedürfen. Wir sehen, dass die Wahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Spannungsfeld zwischen politischer Wahl gemäß Artikel 95 Grundgesetz einerseits und dem Grundsatz der Bestenauslese nach Artikel 33 Absatz 2 andererseits steht. Beides muss daher Berücksichtigung finden. Die Wahl durch ein politisches Gremium kann per se nicht in gleichem Umfang justiziabel, also gerichtlich überprüfbar, sein, wie die Beförderung eines Beamten durch seinen Dienstherrn. Auf der anderen Seite muss aber das Auswahlverfahren wenigstens Mindestvoraussetzungen an eine Nachvollziehbarkeit auch im Sinne der Bestenauslese erfüllen, um die für dieses höchste Amt erforderliche Würde und Akzeptanz zu finden. Die jetzigen Verfahrensabläufe erfüllen diese Mindestvoraussetzungen nicht. Vor dem eigentlichen Wahlakt wird eine Kandidatenliste erstellt durch Vorschläge der Mitglieder des Wahlausschusses. Für diese Liste kann sich niemand bewerben, und niemand darf sie einsehen. Die Richterinnen und Richter können auch nicht wissen, wo und wann Stellen an den obersten Bundesgerichten zu besetzen sind, für die sie in Betracht kommen könnten. Unser erster Vorschlag zielt daher zunächst darauf, die zu besetzenden Stellen an den Bundesgerichten bekannt zu machen und entweder auszuschreiben oder zumindest ein sogenanntes Interessenbekundungsverfahren in den Ländern verpflichtend vorzusehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Ministerinnen und Minister der Länder entscheiden dann jeweils, wen sie für die Vorschlagsliste benennen. Damit Interessenten erkennen können, ob sie das erforderliche Profil für das infragestehende Bundesgericht erfüllen, braucht es zwangsläufig auch ein bundesweit einheitliches Anforderungsprofil. Damit sollen mindestens gewisse Grundanforderungen festgelegt werden, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Solange Männer und Frauen nicht gleichermaßen an den obersten Gerichten vertreten sind, sollten die Vorschlagslisten quotiert werden, und die Gleichstellungsbeauftragten der Landes- und der Bundesministerien sollten jeweils auf allen Ebenen beteiligt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer für die Liste vorgeschlagen ist, wird von einem Präsidialrat des jeweiligen Bundesgerichts auf seine Geeignetheit hin bewertet. Bislang gab es vier verschiedene Stufen: von „hervorragend geeignet“ bis „nicht geeignet“. Da diese Bewertungen häufig Anknüpfungspunkt für Konkurrentenklagen waren, hat man sich nun entschieden, nur noch die Bewertungen „geeignet“ oder „nicht geeignet“ zu vergeben. Das ist aber keine Lösung des eigentlichen Problems, sondern nur dessen Verschleierung. Für mich als Abgeordnete im Wahlausschuss war die differenzierte Bewertung durch die Präsidialräte bislang immer ein wichtiges Entscheidungskriterium. In der Praxis läuft der Auswahlprozess allerdings so, dass die Obleute der beiden größten Fraktionen zusammen mit den Justiz- oder Arbeitsministerinnen bzw. ministern der beiden größten Parteien gemeinsam ein Paket schnüren und die Richterstellen unter sich verteilen, wobei der Länderproporz eine erhebliche Rolle spielt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!) Wenn ich als Obfrau der Opposition die Personalakten der neuen Kandidatinnen und Kandidaten vom Ministerium zugesandt bekomme und mich mit den Beurteilungen auseinandersetze, ist die Entscheidung auf der Mehrheitsebene meist längst gefallen. Ich bin auf der Vorschlagsliste zwar als Berichterstatterin für diverse Kandidatinnen und Kandidaten benannt; da im Ausschuss aber keine Berichterstattung stattfindet, ist dies eine reine Formalie ohne jede Bedeutung. Man kann nachvollziehen, dass ein solches Verfahren wenig Akzeptanz bei den unterlegenen Kandidatinnen und Kandidaten erfährt. Wir schlagen daher vor, zukünftig eine echte Berichterstattung innerhalb des Wahlausschusses im Vorfeld der eigentlichen Wahlsitzung durchzuführen. Zuvor sollten mindestens die jeweiligen Berichterstatter die ihnen zugeteilten Kandidatinnen und Kandidaten einmal persönlich gesprochen haben. Bei Bedarf könnten die Kandidatinnen und Kandidaten gegebenenfalls auch im Ausschuss angehört werden. Am Ende steht auf diesem Weg nach wie vor ein politischer Wahlakt, bei dem aber nachvollziehbar wird, dass auch die Kriterien von Qualifikation und Leistung ausreichend erörtert und mit einbezogen worden sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zustimmung des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Der Zeitaufwand wäre erheblich höher als die bislang erforderlichen zehn Minuten pro Bundesgericht, aber letztlich geht es bei dem Auswahlverfahren nicht nur um Akzeptanz, sondern auch um Angemessenheit und Würde; denn immerhin reden wir hier über unsere höchsten Richterinnen und Richter. Ihr Vorschlag, einfach den Instanzenzug für Konkurrentenklagen zu verkürzen, um mit diesen unangenehmen Problemen schneller durchzukommen, löst das Problem wahrlich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sinnvoll wäre eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts am Sitz des jeweiligen Bundesgerichts. Ein Instanzenzug muss im Streitfall aber auch für diejenigen zur Verfügung stehen, die in unserem Rechtsstaat an der Spitze aller Instanzenzüge stehen. Unser Anspruch sollte es sein, die Bundesrichterwahl künftig transparenter zu machen und den Konkurrentenklagen so den Boden zu entziehen. Ich habe nämlich nicht den Eindruck, dass die Richterschaft in diesem Land aus lauter Freude am Querulantentum solche Klagen erhebt. Ein solcher Schritt ist meist eher von erheblichem Leidensdruck begleitet und von einem Gerechtigkeitsempfinden, das wir uns von unseren Richterinnen und Richtern gegebenenfalls selbst am meisten wünschen. Lassen Sie uns also gemeinsam überlegen, wie wir unseren verfassungsgemäßen Verpflichtungen nachkommen und mit einer transparenteren Richterwahl unserem Rechtsstaat die erforderliche Wertschätzung zukommen lassen! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katja Keul. – Nächster Redner in der Debatte: Helmut Brandt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD] und Sonja Steffen [SPD]) Helmut Brandt (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörer und Zuschauer! Wir befassen uns heute – Frau Keul hat es gerade vorgestellt – mit einem Antrag der Grünen, der aus durchsichtigen Gründen, denke ich, heute als Zusatzpunkt auf die Tagesordnung gesetzt wurde; denn im Grunde genommen ging es Ihnen, glaube ich, gar nicht so sehr um das, was Sie hier vorgetragen haben, sondern eher um ein Verfahren, das derzeit beim Bundesverfassungsgericht schwebt und das eine von Ihnen unterstützte Kandidatin, die bei der Bundesrichterwahl 2015 nicht gewählt wurde, angestrengt hat. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist absurd! Das ist wirklich absurd, Herr Kollege!) – Da regen Sie sich zu Recht oder Unrecht auf. Ich sehe an Ihrer Reaktion, dass ich nicht ganz danebenliege. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist wirklich absurd!) Dieses von jener Kandidatin angestrengte Verfahren steht demnächst an. Ich erwarte schon, dass das Bundesverfassungsgericht den einen oder anderen Hinweis gibt. Es hätte also keiner Eile bedurft, diesen von Ihnen eingebrachten Antrag zu debattieren. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Frage von Frau Keul? Helmut Brandt (CDU/CSU): Bitte schön. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie das zulassen. – Ich muss sagen: Ich bin, ehrlich gesagt, erstaunt. Ich glaube, ich habe sachlich unser Anliegen vorgetragen, und würde Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir an diesen Vorschlägen seit über einem Jahr arbeiten, mehrere Fachgespräche in unserer Fraktion dazu durchgeführt haben, mit Richtern, mit Fachleuten gesprochen haben und all dies stattgefunden hat, bevor die Verfassungsbeschwerde, über die Sie jetzt sprechen, überhaupt eingereicht worden ist. Helmut Brandt (CDU/CSU): Zum einen: Auch ein sachlicher Vortrag kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass vielleicht ein anderer Hintergrund besteht. Zum anderen: Möglicherweise ist es so, dass Sie schon länger darüber nachdenken. Aber der Zeitpunkt, an dem dieser Zusatzpunkt auf die Tagesordnung kommt, nämlich heute, ist aus den Gründen gewählt, die ich dargestellt habe. (Beifall bei der CDU/CSU) Die von dieser Kandidatin vorgetragene Kritik soll im Grunde genommen durch die Reformüberlegungen der Grünen, denke ich, unterstützt werden. Es gibt ja auch ein weiteres Indiz, Frau Keul: Die Justizministerkonferenz, die in der vergangenen Woche getagt hat und die überwiegend mit grünen Landesministern bzw. -ministerinnen besetzt ist, hat ja ähnliche Vorstellungen geäußert. Ich denke, auch dieser Zeitpunkt ist bewusst gewählt worden. Wir halten jedenfalls nichts davon, mit Verfahrenstricks und Falschbehauptungen ohne Not ein an sich bewährtes Verfahren umzukrempeln. Gewonnen und verbessert wird jedenfalls mit Ihren Vorschlägen nichts. Verlierer wären allerdings wir, die Bundestagsabgeordneten, die als Mitglieder des Richterwahlausschusses die Wahlen durchführen. Wir müssen uns doch zunächst die Frage stellen, warum das Richterwahlverfahren so ist, wie es ist. Für die Wahl der Bundesrichter gilt nicht nur Artikel 33 Absatz 2 Grundgesetz, das sogenannte Prinzip der Bestenauslese, sondern auch die von Ihnen genannte Vorschrift aus Artikel 95 Absatz 2 Grundgesetz, wonach die obersten Bundesrichter von einem aus Mitgliedern des Deutschen Bundestages und den zuständigen Landesministern bestehenden Wahlausschuss gewählt werden. Dieser Wahlakt ist, glaube ich, nicht hoch genug einzuschätzen. Denn der Verfassungsgeber hat sich im Hinblick auf den prägenden Einfluss oberster Richter auf die gesamte Rechtsordnung und die demokratische und föderale Legitimation der Richter für ein Mischsystem entschieden, das die Exekutive auf Bundes- und Landesebene sowie die Legislative bei der Berufungsentscheidung gleichermaßen beteiligt. Diese Entscheidung ist, glaube ich, nach wie vor richtig. Die Berufung von Bundesrichtern soll gerade keine sozusagen beamtenrechtliche Entscheidung sein. Vielmehr geht es darum, die beiden Vorschriften der Artikel 33 und 95 in ein Verhältnis der praktischen Konkordanz zu bringen. Das Wahlelement soll genauso Berücksichtigung finden wie das Prinzip der Bestenauslese. Das ist mit dem Richterwahlgesetz in seiner jetzigen Form gut gelungen. Bei Ihren Vorschlägen wäre das nach meiner festen Überzeugung nicht mehr der Fall. Das Ganze wäre auch gar nicht mehr handhabbar. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Ich möchte noch auf einige andere Punkte eingehen. Sie wollen, dass freie Stellen an den Bundesgerichten ausgeschrieben werden und dass es ein Interessenbekundungsverfahren gibt. Über die Auswahl der Kandidaten und die Aufnahme in eine Vorschlagsliste sollen dann merkwürdigerweise aber nur die Landesministerien entscheiden. Dass es um die Besetzung von Stellen an Bundesgerichten geht, scheint bei Ihnen keine Rolle zu spielen. Ebenso werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die Mitglieder im Richterwahlausschuss sind, ihres Vorschlagsrechtes, das sie jetzt haben, beraubt. Sie sollen die Bundesrichter zwar wählen, aber ausschließlich Kandidaten, die von den Ländern vorgeschlagen wurden. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie falsch verstanden, Herr Kollege! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]: Ich habe es auch so verstanden!) Da entsteht eine Unwucht, die offensichtlich nicht mit den Intentionen des Grundgesetzes in Einklang steht. (Beifall bei der CDU/CSU) Ebenso ist offensichtlich, dass das von Ihnen vorgeschlagene Verfahren bei Konkurrentenstreitigkeiten praktisch nicht mehr händelbar wäre. So ein offenes Bewerbungsverfahren würde ja dazu führen, dass sich jeder Jurist mit zweitem Staatsexamen bewerben könnte. Jeder, der dann nicht in die Vorschlagsliste aufgenommen würde, könnte schon auf dieser Stufe eine Konkurrentenklage erheben (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) – ja, selbstverständlich – mit der Folge, dass das ganze Verfahren dadurch nicht mehr weiter fortgeführt werden könnte. Es würde also zu einer Nichtbesetzung auf unbestimmte Zeit kommen. Das Chaos wäre vorprogrammiert. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!) Es stellt sich auch die Frage, welche Folgerungen sich aus den angestrebten Änderungen für den Wahlakt ergeben sollen. Soll der Wahlausschuss verpflichtet werden, bestimmte Kandidatinnen und Kandidaten zu wählen? Kann nach Ihrem Vorschlag die Wahl überhaupt geheim bleiben? Die Verpflichtung zur Wahl einer bestimmten Kandidatin oder eines bestimmten Kandidaten würde den Charakter der Wahl natürlich absolut entwerten. Auch der geheime Charakter der Wahl sollte nach meiner Auffassung unbedingt erhalten bleiben und geschützt werden, weil nur so verhindert werden kann, dass Druck von dritter Seite auf die Wählenden ausgeübt wird. Die Geheimheit der Wahl schützt die gleiche Entscheidungsfreiheit aller Mitglieder des Richterwahlausschusses. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran wollen wir auch nichts ändern!) Schließlich stellt sich die Frage, ob die einzelne Wahlentscheidung dann nicht konsequenterweise auch begründet werden müsste, was dem Charakter einer Wahl diametral entgegenstehen würde. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu haben wir nichts, aber auch gar nichts gesagt!) Wie soll man das bei einer Wahl machen, die geheim durchgeführt wird, mit unterschiedlichen Mehrheiten? Wer soll dann die Begründung liefern? Es ist einfach nicht ausgegoren. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben keine Begründung gefordert, Herr Kollege!) Sie hätten vorher vielleicht mit mehr Leuten sprechen sollen, als Sie es tatsächlich getan haben. Es hat den Eindruck, dass die Qualifikation nach Ihrem Modell keine Rolle mehr spielen soll. Auch ich bin dafür, dass mehr Frauen als Bundesrichterinnen gewählt werden. Aber Ihr Vorschlag führt dazu, dass ein Mann und eine Frau als Kandidaten gegenübergestellt werden. Was passiert mit dem Kandidaten oder der Kandidatin, die oder der nicht gewählt wird? Nimmt sie oder er dann an weiteren Wahlakten nicht mehr teil? Es ist jedenfalls ein Irrweg. Ich bestreite schließlich, dass in dieser Hinsicht der von Ihnen behauptete Reformbedarf überhaupt besteht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da gehen Sie fehl!) Wir haben – das rührt aus der Vergangenheit – sicherlich noch, Frau Künast, ein Defizit an weiblichen Bundesrichtern. Wir haben aber gerade im letzten Jahr – die Tendenz ist klar erkennbar – mehr Frauen zu Bundesrichterinnen gewählt – jedenfalls beim BGH – als Männer zu Bundesrichtern. Das zeigt: Wir wollen das in der Vergangenheit entstandene Defizit sukzessive bereinigen. Frappierend ist bei Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen, der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ich will hier und heute nicht das Jahr 2001 in das Bewusstsein rufen. Aber: Damals wurde ein von Ihnen protegierter Kandidat, der als ungeeignet bezeichnet wurde, zum Bundesrichter gewählt; sicherlich kein Ruhmesblatt. Ich komme zum Ausgangspunkt meiner Ausführungen zurück. Mit Ihrem Antrag soll offenbar Stimmung gemacht werden für das anhängige Verfassungsbeschwerdeverfahren. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch einmal: Das ist wirklich absurd!) Aber ich bin mir sicher, dass sich das Bundesverfassungsgericht von so einem vordergründigen Versuch nicht wird beeinflussen lassen. Die Auswahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter in den vergangenen 60 Jahren hat deutlich gemacht, dass das bestehende Richterwahlgesetz zu einer hohen Qualität des Richterpersonals führt. Aus all dem folgt für mich ganz klar: Ihre Vorschläge sind untauglich. Wir sollten es bei dem bewährten Verfahren belassen. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Helmut Brandt. – Der nächste Redner in der Debatte: Dr. Matthias Bartke für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Bartke (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, Sie greifen mit Ihrem Antrag eine Diskussion auf, die seit längerem geführt wird. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht!) Vor kurzem haben wir uns bei einer interessanten Veranstaltung zu diesem Thema in der Thüringer Landesvertretung gesehen. Die Stichworte in dieser Diskussion lauten: mehr Transparenz, mehr Chancengleichheit. Ihr Antrag ist daher ein guter Anlass, dass wir auch hier im Deutschen Bundestag über das Verfahren der Wahl von Bundesrichtern sprechen. Die Reformvorschläge, die Sie uns hier auf den Tisch legen, überzeugen leider nicht wirklich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Metin Hakverdi [SPD]) Das Gleiche gilt für einen ähnlichen, nicht ganz so weit reichenden Antrag, der vergangene Woche von der Justizministerkonferenz behandelt wurde. Der Antrag wurde von der JuMiKo abgelehnt. Meine Damen und Herren, Grundlage des Verfahrens der Richterwahl ist Artikel 95 Absatz 2 Grundgesetz. Über die Berufung der Richter der obersten Gerichte des Bundes entscheidet danach – ich zitiere mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin – der zuständige Bundesminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß, der aus den für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Ministern der Länder und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die vom Bundestage gewählt werden. Fest steht also: Die Bundesrichter werden gewählt, und zwar von einem 32-köpfigen Gremium. Sie wollen – das ist Ihre erste Forderung –, dass sich nach Stellenausschreibung alle Richterinnen und Richter bewerben können. Ich finde, darüber kann man reden. Dann sollen die zuständigen Landesminister über ihre Vorschlagsliste entscheiden. Jeder Landesminister soll dafür eine Kommission einsetzen können. Spätestens da fangen allerdings die Probleme an. Mitglieder dieser Kommission sollen etwa Richter der Oberlandesgerichte, Staatsanwälte und Gleichstellungsbeauftragte sein. Ich frage mich – Sie lassen das ja offen –: Wer entscheidet denn am Ende? Kann der Minister von seiner Kommission überstimmt werden? Wer ist am Ende für den Wahlvorschlag verantwortlich? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo genau steht das in unserem Antrag?) Nach meiner Überzeugung kann es nur der Minister sein; denn nur er ist demokratisch legitimiert. Die in der Verfassung vorgesehenen Mitglieder des Richterwahlausschusses dürfen sich nicht entmachten und bei ihren Vorschlägen nicht von anderen Personen abhängig machen. Die vom Bundestag gewählten Mitglieder des Richterwahlausschusses sollen wie bisher ein Vorschlagsrecht haben. Sie bräuchten nach Ihrem Antrag keine Auswahlkommission. Das ist erfreulich, offenbart aber eine Unausgewogenheit Ihres Vorschlags. Herr Brandt hat darauf hingewiesen; ich habe Ihren Antrag genauso verstanden. Bei den Ministervorschlägen soll nach ihren Wunschvorstellungen die Richterschaft mitsprechen, bei den Abgeordnetenvorschlägen geht das nicht. Sie wollen ein gesetzliches Grundanforderungsprofil für Bundesrichter vorgeben, zum Beispiel vertiefte Fachkenntnisse und soziale Kompetenzen. Vertiefte Fachkenntnisse – so schreiben Sie – „können durch wissenschaftliche Publikationen, Kommentierungen oder Praxiserfahrung nachgewiesen werden.“ Damit wollen Sie dem Prinzip der Bestenauslese Rechnung tragen. Aber was bedeutet das konkret? Muss ein Richter neben seiner Richtertätigkeit publizieren, oder genügt es, dass er ein vorbildlicher und erfahrener Richter ist, dessen Urteile überzeugen? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht „können“! Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung, Herr Bartke!) Ich fürchte, wir kommen mit Ihrem Grundanforderungsprofil nicht wirklich weiter. Wer entscheidet darüber, ob die Vorschläge der Bundestagsabgeordneten diesem – angeblich objektiven – Anforderungsprofil entsprechen oder nicht? Und was ist, wenn ein exzellenter Richter gewählt wird, der weder an einem Kommentar mitgearbeitet noch wissenschaftlich publiziert hat? Soll diese Wahl dann deshalb im Konkurrentenstreit von einem Gericht aufgehoben werden können? Ein weiterer Vorschlag von Ihnen: Sie wollen, dass für jede zu besetzende Stelle jeweils ein Mann und eine Frau vorgeschlagen werden. Wie kommen wir aber zu diesem Zweiervorschlag, wenn 16 Minister und 16 Bundestagsabgeordnete Vorschläge einreichen können? Selbst wenn wir nun, auf welchem Weg auch immer, zu diesen Zweiervorschlägen kommen, bleibt unklar, wie das Verfahren konkret ablaufen soll. Was geschieht, wenn mehrere Richterstellen zu besetzen sind und bei der ersten Wahl die Frau gewählt wird? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das regeln Sie dann in der Verfahrensordnung, Herr Bartke!) Kann dann der Mann bei der Besetzung der nächsten Richterstelle wieder als Vorschlag gelten? Dann stünden bei der nächsten Wahl zwei Männer und eine Frau zur Wahl. Hier täuschen Sie ein geschlechtergerechtes Verfahren vor, ein Verfahren, das aber nicht zu Ende gedacht ist. Insgesamt: Fragen über Fragen! (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die wollen wir ja mit Ihnen diskutieren!) Meine Damen und Herren, ich bin dafür, dass wir offen über das Verfahren der Bundesrichterwahl nachdenken. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah!) Ich habe auch ein Problem damit, dass interessierte Richterinnen und Richter sich nicht auf die Position eines Bundesrichters bewerben können. Sie müssen in einer passiven Rolle verbleiben und darauf warten, dass sie vorgeschlagen werden. Das gefällt mir nicht. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uns auch nicht!) Auch die SPD wünscht sich ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis bei den obersten Gerichten. Aber bei allen Überlegungen, die wir dazu anstellen: Es bleibt dabei – am Ende findet eine geheime Wahl statt. Das Grundgesetz selbst macht klar, dass es bei der Wahl der Bundesrichter auch um eine politische Wahl geht. Die fachliche Qualität hat eine politische Komponente. Die Mitglieder des Richterwahlausschusses haben deswegen einen weiten Beurteilungsspielraum, und das muss auch so bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Grundgesetz schreibt eine Richterwahl vor. Deshalb stoßen alle Wünsche nach Transparenz und Gerechtigkeit an Grenzen. Geheime Wahlen sind eben nicht transparent. Ihr Ergebnis kann und muss nicht begründet werden. Und – lassen Sie mich das am Ende sagen – das Ergebnis ist auch nicht immer gerecht. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Bartke. – Nächster Redner: Detlef Seif für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Detlef Seif (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit Artikel 95 des Grundgesetzes wollte der Parlamentarische Rat nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus ein ganz bestimmtes Wahlverfahren auf den Weg bringen, an dem nicht nur die Richter beteiligt sind, an dem nicht nur die Exekutive beteiligt ist. Es sollte ein Mischsystem werden. Das Vertrauen in eine effektive Justiz war durch die Erfahrung im Nationalsozialismus völlig erschüttert. Erstes Ziel war deshalb, die Unabhängigkeit der Justiz und die Qualität in der Rechtsprechung wiederherzustellen. Bei dem Konzept der Richterberufung nach dem Grundgesetz handelt es sich – Kollege Brandt hat das schon unter Hinweis auf die anderslautenden Regelungen des Beamtenrechts dargelegt – gerade nicht um ein typisches Auswahlverfahren mit einer typischen Bewertung, mit einer vorhergehenden Bewerbung und mit einer abschließenden einheitlichen Verwaltungsentscheidung. Vielmehr legt das Grundgesetz fest: Es ist eine echte Wahlentscheidung. Hier hat man die Wahl zwischen verschiedenen Bewerbern, und das muss man sich immer wieder vor Augen halten. Die Berücksichtigung von Interessenten bei der Wahl zum Bundesrichter setzt voraus – das ist gesagt worden –, dass ein entsprechender Vorschlag von einem Mitglied des Bundesrichterwahlausschusses oder auch vom zuständigen Bundesminister vorliegt; soweit besteht Klarheit. Das Bundesjustizministerium, Frau Keul, übermittelt den Mitgliedern aber auch – und das muss man dazusagen – erarbeitete Wahlvorschlagsbögen, die verschiedenste Rubriken enthalten: Dienststellung, Beruf, Zeitpunkt und Ergebnis der juristischen Staatsprüfung, Laufbahn, Ernennungen, Beförderungen, Eingruppierungen, bisherige berufliche Tätigkeit – auch die Nachweisung möglicher wissenschaftlicher Betätigung und Veröffentlichungen, was Sie jetzt fordern, ist Praxis – sowie Hauptämter und Nebentätigkeiten. Dazu kommen sämtliche Beurteilungen und auch die Stellungnahme – dass sie abgegeben wird, ist der Regelfall – des zuständigen Präsidialrats. Aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen Artikel 95 Grundgesetz – noch einmal: echte Wahl – und des individuellen Anspruchs eines Bewerbers, eines Deutschen, berücksichtigt zu werden, wenn Eignung, Befähigung und fachliche Leistungen entsprechend vorliegen und die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen mitgebracht werden, haben wir es mit einer ganz besonderen und sicherlich auch nicht einfachen Entscheidung zu tun. Der Richterwahlausschuss hat ein weites Bewertungs- und Auswahlermessen. Er kann insbesondere auch – und das findet sich in keinem Katalog, in keinem Schema wieder – die Persönlichkeit des Betroffenen mit einbeziehen. Immerhin handelt es sich um Ämter bei den höchsten Gerichten in der Bundesrepublik Deutschland. Da sind Persönlichkeit und Charakter ein ganz wichtiges Merkmal. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) – Frau Keul, Sie rufen: „Genau!“, aber ich bin noch nicht fertig mit meinen Ausführungen. – Der Hauptgesichtspunkt, der auch historisch begründet war, war der, dass man in diesem Mischsystem die Beteiligung der Politik einbauen wollte, weil man gesagt hat: Durch die Beteiligung demokratisch legitimierter Politiker erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit der positiven Einstellung der Richter zum Gesamtsystem. Nun ist es traurig, Frau Keul, wenn Minderheiten nicht in jedem Fall berücksichtigt werden. Aber das nennt man Demokratie, wenn die Mehrheit, auch im Richterwahlausschuss, entscheidet, welche Personen nun gewählt werden. Sie haben das sehr negativ und nachteilig dargestellt, aber genau das ist schon bei der Entstehung dieser Vorschrift Absicht gewesen. Eine verbindliche Ausschreibung ist im Übrigen auch gar nicht erforderlich. Was Sie schildern, ist reine Theorie; denn der Bundesminister der Justiz gibt vor einem entsprechenden Wahltermin erstens die freien Stellen und zweitens das Datum bekannt. Wer noch nicht einmal in der Lage ist, auf die Homepage des Ministeriums zu gucken, und auch kommunikativ nicht in der Lage ist, sich bei einem der bekannten Mitglieder des Richterwahlausschusses zu melden und zu zeigen, dass er die Befähigung und die Eignung hat, dass er Interesse hat, dass er brennt für dieses Amt, der ist, ehrlich gesagt, auch nicht geeignet, dieses Amt auszuüben. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr praxisorientiert, was Sie da sagen!) Bereits heute besteht die Möglichkeit für jeden, der Interesse hat, sich an geeigneter Stelle zu bewerben; ob er berücksichtigt wird, das ist eine andere Frage. Insoweit sind Ihre Ausführungen nicht zutreffend. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie fordern ein einheitliches Anforderungsprofil, ich nenne das einmal „Schema“. Ich habe schon gesagt, dass man Charakter und Persönlichkeit im Wahlvorgang eben nicht objektiv bewerten kann. Entscheidend ist der subjektive Eindruck der Mitglieder des Richterwahlausschusses, und den können Sie nicht in ein Schema pressen. Genau hier liegt das Problem: Einerseits haben die Mitglieder des Richterwahlausschusses aufgrund ihres subjektiven Eindrucks über Charakter und Persönlichkeit zu entscheiden, andererseits muss natürlich auch all das, was in der Personalakte und den Begleitunterlagen enthalten ist, berücksichtigt werden. – Frau Keul hat wohl eine Zwischenfrage. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Seif ist so groß, dass ich Frau Keul nicht gesehen habe. – Sie erlauben also die Zwischenfrage. – Frau Keul, bitte. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank für die Erlaubnis zur Zwischenfrage. – Sie haben betont, wie wichtig die Persönlichkeit, der Charakter des Menschen ist, der sich bewirbt. Aber wie soll dies einfließen, wenn dieser Mensch niemals die Gelegenheit hat, sich dem Wahlausschuss vorzustellen oder mit den Berichterstattern zu sprechen? Das findet ja alles nicht statt. Wir würden das ja gerne fördern. Natürlich entscheidet am Ende die Mehrheit – das haben wir gar nicht infrage gestellt –; wir würden nur gerne im Vorfeld mit Ihnen über die Kandidaten reden. Das kann doch nicht zu viel verlangt sein. Detlef Seif (CDU/CSU): Frau Keul, wir befinden uns im Zeitalter der Kommunikation. Wir haben soziale Netzwerke; wir sprechen miteinander. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soziale Netzwerke?) Ich erwarte von jemandem, der Bundesrichter werden will – ein Bundesrichter muss kommunikativ sein und sich mit der Materie vernünftig auseinandersetzen –, dass er in der Lage ist, herauszufinden – das ist veröffentlicht –, wer Mitglied des Richterwahlausschusses ist. Er kann gerne 32-mal anrufen und sich persönlich vorstellen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die schicken wir alle zu Ihnen! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll jetzt praxisnah sein?) Machen wir uns doch nichts vor: Die Verfahrensvorschriften verbieten es nicht, dass Gespräche geführt werden, um sich bekannt zu machen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde, das hört sich sehr demokratisch an!) Es ist doch bei jedem Wahlvorgang so, dass der Bewerber, dass derjenige, der etwas erreichen möchte, auch kommunikativ tätig ist. Das ist die Praxis. Wer sich bekannt machen will, wer seine Leistung, Eignung und Befähigung vermitteln will und für das Amt brennt, der hat jede Möglichkeit dieser Welt; (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch nicht im Ernst!) aber Eigeninitiative wird vorausgesetzt. Es ist nicht so, dass wir Personen mit der Bahre zur Kandidatur tragen. Wer Bundesrichter werden will, muss eine entsprechende Persönlichkeit und entsprechende Fähigkeiten mitbringen und geeignete Wege finden, sich ins Gespräch zu bringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei der Entscheidung des Richterwahlausschusses handelt es sich um den Wahlvorgang eines Gremiums. Daran sind mehrere Personen beteiligt, die nicht einheitlich und in geheimer Wahl entscheiden. Es ist klar, dass jedes einzelne Mitglied des Richterwahlausschusses andere Gründe für seine Entscheidung hat, dass die subjektiven Einschätzungen unterschiedlich sind. Das ist auch der Grund, warum bei einer Wahl mit Ja und Nein abgestimmt werden kann. Das ist so gewollt. Wenn wir bei diesen Konkurrenzstreitverfahren aber eine verwaltungsgerichtliche Praxis vorfinden, die die Ausführungen der Präsidialräte mehr oder weniger wie in Stein gemeißelt berücksichtigt, aber das gesamte Abwägungsmaterial, das in der geheimen Wahl berücksichtigt wurde, nicht heranzieht, weil es nicht herangezogen werden kann, dann liegt es in der Natur der Sache, dass die Entscheidungen der Gerichte bei Konkurrentenklagen oftmals falsch sind. Ich bin froh, dass das jetzt beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Ich wünsche mir klare Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Spannungsverhältnis zwischen Artikel 95 und Artikel 33 des Grundgesetzes. Wir haben jetzt über die Richterauslese gesprochen. Da kann man unterschiedlicher Meinung sein – es gibt auch die unterschiedlichsten Verfahren –; aber so schlecht kann die Auslese in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten nicht gewesen sein. Die obersten Gerichtshöfe des Bundes – Frau Keul, Sie haben die einzelnen Gerichte benannt; ich möchte das gerne wiederholen –, also der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht, genießen ein hohes Ansehen nicht nur in Deutschland, sondern auch international bezogen auf Unabhängigkeit und Qualität der Rechtsprechung. Ich glaube, einen großen Anteil an dieser Qualität haben die Richter, die bei diesen obersten Gerichtshöfen arbeiten. An dieser Stelle sei es erlaubt, diesen Richtern ausdrücklich Dank für die qualitativ hochwertige Arbeit auszusprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Rednerin ist Sonja Steffen für die SPD. (Beifall bei der SPD) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Besuchertribüne! Es gab in der Tat noch nie so viele Konkurrentenklagen gegen die Entscheidung des Richterwahlausschusses wie gegenwärtig. Wenn ich richtig informiert bin, sind es derzeit sieben. Das klingt zwar nicht so viel; aber es ist eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass wir nicht so viele Richter an Bundesgerichten haben. Die Verfahrensdauer bei diesen Konkurrentenklagen beträgt zwei Jahre und mehr, und die Besonderheit ist, dass in dieser Zeit der Posten nicht besetzt werden kann. Das führt natürlich dazu, dass Richterstellen blockiert werden. Es führt zu einer erhöhten Arbeitsbelastung der Gerichte, und die Prozessdauer nimmt zu. Es gab Bestrebungen der Länder – das haben wir schon gehört; es waren Hamburg und Schleswig-Holstein – für eine Reform; man konnte sich in der Justizministerkonferenz aber nicht durchsetzen. Auch der Deutsche Juristinnenbund fordert eine Reform, vor allem im Hinblick auf die Frauenquote. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt nun einen entsprechenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, über den wir heute diskutieren. Meines Erachtens können wir festhalten, dass es grundsätzlich drei Gründe für Reformwünsche gibt: Zum einen gibt es den Vorwurf der Intransparenz. Der zweite Grund ist die Funktionsfähigkeit der Gerichte, der dritte Grund die Chancengleichheit von Richterinnen und Richtern. Lassen Sie mich kurz etwas zur Intransparenz sagen. Es ist vorhin schon mehrmals betont worden, dass eine Besonderheit besteht – deshalb gibt es den Richterwahlausschuss –, was die Einsetzung der Bundesrichter betrifft. Ich zitiere einmal – mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin – den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Voßkuhle. Er hat in einem Kommentar gesagt: Die Berufung der Richterinnen und Richter der Bundesgerichte hat die Besonderheit, dass den Gewählten eine besondere bundesstaatliche und demokratische Legitimation verliehen werden soll. Es gilt, die Besonderheiten des Amtes eines Richters, einer Richterin an einem obersten Gerichtshof des Bundes zu beachten. Im Klartext heißt das: Bundesgerichte betreiben nicht nur letztinstanzliche Rechtsprechung, sondern auch Rechtsfortbildung. Das steht auch so in einigen Gesetzen, beispielsweise in der VwGO. Damit rückt die Rechtsprechung der Bundesgerichte in die Nähe der Gesetzgebung. Richterliche Rechtsfortbildung ist in der Bindung an Recht und Gesetz sachlich Rechtspolitik. Als solche kann die Berufung der Richterinnen und Richter der Bundesgerichte nicht aus dem Medium der Politik herausgelöst werden. Das, meine Damen und Herren, unterscheidet eben das Amt der Bundesrichter und der Bundesrichterinnen von dem der Richter der unteren Instanzen. Deshalb gibt es das besondere Verfahren des Richterwahlausschusses. Die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses – das haben wir schon gehört – garantiert, zumindest grundsätzlich, politische Vielfalt. Es ist natürlich im Moment so, Frau Keul, dass dieses Gremium im Augenblick recht koalitionslastig besetzt ist. Aber – das müssen auch Sie zugestehen – das liegt allein an den Wahlergebnissen, weil die Zahl der Abgeordneten des Bundestages nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren bestimmt wird. Eine weitere Besonderheit ist schon genannt worden. Sie besteht darin, dass der Richterwahlausschuss einen breiteren Beurteilungsspielraum bei der Auswahl der Bewerber hat, als es sonst der Fall ist. Wir haben schon über die Präsidialräte gesprochen, die im Übrigen eine Stellungnahme über die persönliche und fachliche Eignung abgeben, die in die Entscheidung mit einfließt. Aber dies kann eben nicht so weit gehen, dass sie die Entscheidung maßgeblich beeinflusst. Zum Thema Funktionsfähigkeit habe ich eingangs schon erwähnt, dass Konkurrentenklagen dazu führen, dass keine Nachbesetzungen erfolgen können. Ich meine, wir sollten darüber nachdenken, ob es hier andere Möglichkeiten gibt. Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, die örtliche Zuständigkeit am Sitz der jeweiligen Bundesgerichte zu bündeln. Es gibt einen anderen Vorschlag – Sie hatten ihn kurz erwähnt –, nämlich einen besonderen Senat beim Bundesverwaltungsgericht zu bilden, der dann quasi in dieser Instanz entscheidet, was ich an sich für einen guten Vorschlag halte, weil man die Verfahrensdauer so erheblich verkürzen könnte. Ich meine, darüber könnten wir alle nachdenken. Zur Chancengleichheit ist schon etwas gesagt worden. Es ist im Moment leider immer noch so, dass wir relativ wenige Frauen an Bundesgerichtshöfen haben. Dabei, glaube ich, sind wir uns alle einig, dass wir mit Sicherheit ganz viele hochqualifizierte Frauen in Richterämtern haben. Es gibt eine Unterrepräsentanz. Wenn ich richtig informiert bin, liegt der Anteil der Frauen bei 22 bis 28 Prozent. Das ist wirklich zu wenig. Ich appelliere an den Richterwahlausschuss, zukünftig besser auf die Frauenquote zu achten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt ist meine Redezeit fast zu Ende. Vizepräsidentin Claudia Roth: Am Ende. Sonja Steffen (SPD): Ja, am Ende. – Ich will jedenfalls den Antrag nicht in Gänze vom Tisch fegen, weil ich finde, dass er gute Ansätze bietet. Auch ich finde zum Beispiel die persönliche Anhörung – ich glaube, da bin ich mit meiner Fraktion auf Augenhöhe – der jeweiligen Bewerberinnen und Bewerber wichtig. Man sollte auch darüber nachdenken, das Verfahren an einem Gericht zu bündeln; es sollte also über die Zuständigkeit nachgedacht werden. Der Antrag bietet gute Ansätze. Es gibt im Übrigen beim Justizministerium schon eine Arbeitsgruppe, die sich damit beschäftigt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Dabei kommt ja wieder nichts heraus!) Ich freue mich nun auf die weiteren politischen Beratungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Steffen. – Der Letzte in dieser Debatte: Jörn Wunderlich für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorgelegten Antrag streben die Grünen eine Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte an. Es ist schon gesagt worden: Oberste Bundesgerichte sind der Bundesgerichtshof, das Bundesarbeitsgericht, das Bundessozialgericht, das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesfinanzhof. Dass diese Gerichte für das Zusammenleben in der Gesellschaft und auch für die Rechtsfortbildung von besonderer Bedeutung sind, bestreitet wohl niemand. Es ist daher zu begrüßen, wenn die Debatte aufgemacht wird, wie die Wahl dieser Richterinnen und Richter reformiert werden kann. Wir teilen die Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen, dass eine Balance zwischen Bestenauswahl und demokratischer Legitimation gewahrt werden muss. Wenn wir nur die Bestenauswahl hätten, hätten wir ja nur noch Richterinnen. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aus unserer Sicht ist im Hinblick auf Demokratie für alle noch erheblicher Spielraum. Das fängt damit an – in dem Antrag wird zu Recht darauf hingewiesen –, dass nicht jede oder jeder zur Richterin oder zum Richter gewählt werden kann, da eine Eigenbewerbung ausgeschlossen ist. Es geht weiter mit der ebenfalls zu Recht angesprochenen Intransparenz des Verfahrens, also welche Kriterien für die Aufnahme in die Vorschlagsliste gelten. Zu Recht wird in dem Antrag auch darauf hingewiesen, dass allein die Tatsache, dass Frauen auf den Vorschlagslisten deutlich unterrepräsentiert sind, dazu führt, dass Frauen als Richterinnen an den obersten Bundesgerichten einen Anteil von unter 30 Prozent ausmachen; dies wurde schon gesagt. Die von Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagenen acht Punkte können wir als Linke im Wesentlichen mittragen. Die Idee von verpflichtenden Ausschreibungen oder mindestens Interessenbekundungsverfahren ist der richtige Weg, um mehr Transparenz in die Verfahren zu bringen. Ob nun zwingend die Landesministerien oder eine durch sie eingesetzte Kommission die Entscheidungen über die Vorschlagslisten treffen müssen, ist eine Frage, über die man im Detail noch sprechen kann. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Wir können uns aber durchaus vorstellen, die Landesparlamente hier intensiver einzubeziehen. Die Festlegung verbindlicher Grundanforderungen im Rahmen eines Anforderungsprofils sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Eine quotierte Vorschlagsliste finden wir aus vorgenannten Gründen sehr gut. Gleiches gilt für ein einheitliches Bewertungssystem. Bei dem Gerichtsstand der Konkurrentenklagen ist nicht ganz klar, ob sich dieser auch auf die erste Auswahlphase bezieht; denn nach der Logik des Antrags müssten, da die Landesministerien beteiligt sind, auch in dieser Phase schon Konkurrentenklagen möglich sein, was nach meiner Überzeugung nicht gerade zu einer Beschleunigung der Auswahlverfahren führen dürfte. Deshalb würden wir als Linke das von den Grünen aufgeworfene Problem der sogenannten Konkurrentenklagen – gegenwärtig laufen sieben; auch das ist schon gesagt worden – gern von der Debatte über die Wahl der Richter trennen. Es gibt auch bei der Linken Debatten darüber, inwiefern im Hinblick auf eine Wahlentscheidung eine Konkurrentenklage ein angemessenes Mittel ist; denn es handelt sich bei der Wahl eben nicht ausschließlich um eine Bestenauslese – das habe ich ja schon gesagt –, bei der eine Konkurrentenklage ein selbstverständliches Mittel ist, sondern eben um eine Mischung aus Bestenauslese und Wahlentscheidung. Wir würden allerdings noch einen Vorschlag in die Debatte werfen wollen, der aus unserer Sicht zumindest diskussionswürdig ist. Wir haben hier im Hohen Haus schon darüber debattiert, ob die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts vom Richterwahlausschuss und dem Bundesrat auf das Plenum des Bundestages übertragen werden sollte. Ich meine, mich zu erinnern, dass es dazu vor Jahren schon einmal einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf gab. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das schon beschlossen! An dem Tag waren Sie nicht da!) – Ja? Ach so. Das ist ja schön. Das ist ja noch besser. Großartig! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Man kann ja nicht immer da sein. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Aus Sicht der Linken könnte man überlegen – das ist ja eine schöne Steilvorlage –, ob man das nicht auch auf die Richter der obersten Bundesgerichte übertragen kann, um damit die Legitimation der Richterinnen und Richter auf eine breitere Grundlage zu stellen. (Beifall bei der LINKEN) Ob der Richterwahlausschuss dem Plenum einen Vorschlag unterbreitet oder ein weiter gehendes Vorschlagsrecht gegeben sein soll, darüber kann man dann streiten. Zum Schluss will ich darauf hinweisen, dass wir nicht bei einer Reform der Wahl der Richter der obersten Bundesgerichte stehen bleiben dürfen. Wir sollten diese Debatte nutzen, um die Selbstverwaltung der Justiz wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Die Linke ist dazu bereit; sie wird sich gern in die entsprechenden Debatten einbringen; denn nur eine unabhängige Justiz – da schließe ich die Staatsanwaltschaften ausdrücklich ein – stärkt den Rechtsstaat. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Wunderlich. – Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7548 an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Die Aufarbeitung der SED-Diktatur konsequent fortführen Drucksache 18/8705 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Marco Wanderwitz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im September 1990, einen Monat vor der Wiedervereinigung, erkämpften Bürgerrechtler eine Zusatzklausel im Einigungsvertrag, die den Deutschen Bundestag aufforderte, eine gesetzliche Regelung für den Zugang zu den Akten des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zu schaffen. Dem vorausgegangen war unter anderem die Erstürmung der Bezirksverwaltungen der Stasi seit Dezember 1989, auch deshalb, weil dort offenkundig bereits Akten vernichtet wurden. 111 Kilometer laufende Akten konnten am Ende sichergestellt werden, Akten der Staatssicherheit, die den Menschen im Auftrag der SED in der ehemaligen DDR willkürlich Verfolgung und Unterdrückung hat angedeihen lassen, zuletzt mit 91 000 hauptamtlichen und 180 000 inoffiziellen Mitarbeitern in einem Land mit knapp 20 Millionen Einwohnern. Die Sicherung der Stasiakten ist nicht nur beispiellos, sondern auch ein Stück weit zumindest eines der Vermächtnisse der friedlichen Revolution von 1989/1990. Wir sind hier im Haus bisher immer sehr sorgsam und sorgfältig damit umgegangen. Das muss und soll auch so bleiben. Aufarbeitung hat kein Ende; Aufarbeitung darf kein Ende haben. Wir haben hier im Bundestag öffentlich und auch nichtöffentlich in den Gremien und Ausschüssen mittlerweile unzählige Gespräche und Debatten über das Thema „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ geführt. Wir haben allein das Stasi-Unterlagen-Gesetz achtmal novelliert, damit auch ein Stück weit seine Anpassungsfähigkeit bewiesen und deutlich gemacht, dass es dem Grunde nach ein gutes Gesetz ist. Die Stasi-Unterlagen-Behörde hat in zwölf Tätigkeitsberichten Rechenschaft über ihre Arbeit abgelegt und sich stets – ich sage es einmal so – atmend weiterentwickelt, auch personell. Am Anfang hatte die Behörde 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in einer Hochphase dann 2 400, und jetzt sind wir bei 1 600, also wieder ein Stück weiter unten, angekommen, immer auch den Aufgaben folgend. Noch immer werden Monat für Monat rund 5 000 Anträge auf Akteneinsicht bei der Stasi-Unterlagen-Behörde gestellt. Insgesamt haben bereits über 7 Millionen Menschen ihr Recht auf Akteneinsicht in Anspruch genommen. In den letzten vier Jahren wurden über 30 000 Anträge allein aus dem Bereich „Forschung und Medien“ gestellt. Die Aufgaben der Stasi-Unterlagen-Behörde sind – das sieht man ganz deutlich, allein an diesen Zahlen – nicht beendet, sondern bestehen fort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gleichwohl haben wir als Deutscher Bundestag im Juli 2014 auf Antrag von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Expertenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde eingesetzt, weil wir gesagt haben: Was gut ist, kann man ja noch besser machen. Man kann zukunftsfähige, effizientere Strukturen suchen, um zum einen dauerhaft archivgerecht zu sichern und zum anderen Qualitätsgewinne zu generieren, insbesondere bei den Themen Wartezeiten und Forschung. – Vor zwei Monaten nun hat die Expertenkommission ihren Abschlussbericht, ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorgelegt. Ich für meinen Teil möchte an dieser Stelle noch einmal sagen, dass ich der Kommission und allen ihren Mitgliedern für die Arbeit danke, die sie geleistet haben. Der Vorsitzende, Professor Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident a. D., hat mit viel politischer Erfahrung einen konsensorientierten Austausch innerhalb der Kommission möglich gemacht. Dafür sage ich ihm herzlich Dank. Dass 13 der 14 Kommissionsmitglieder den Abschlussbericht getragen haben, zeigt ja auch, dass es mit dem Konsens ganz gut funktioniert hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die an uns gerichteten Handlungsempfehlungen sind für mich und meine Fraktion wichtige Grundlagen für die Entscheidungen zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde im Gefüge der Gedenkstättenlandschaft. Wir haben in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien zu diesem Thema am 27. April 2016 bei Teilen der Vorschläge aber auch viel Gegenwind erfahren. Unsere Fraktion hat im Nachgang viele Gespräche geführt und gehört, dass es viel Verunsicherung und sehr viele Sorgen gibt, zum Beispiel über das für die angelegten Reformvorschläge gewählte Zeitfenster bis 2021. Wir haben von den direkt betroffenen Institutionen gehört, dass sie sich nicht hinreichend eingebunden gefühlt haben, und wir haben auch gehört, dass viele Opfer sehr unglücklich darüber und unzufrieden damit gewesen sind, wie wir mit der Wiederwahl von Roland Jahn zum Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen verfahren sind. Das alles hat uns dazu gebracht, zu sagen: Wir müssen behutsamer und langsamer vorgehen, als man sich das hätte vorstellen können. Wir wollen von dem Stasi-Unterlagen-Beauftragten und dem Präsidenten des Bundesarchivs ein Konzept erarbeitet wissen – so ist auch der heute vorliegende Antrag angelegt –, das breiter und tiefer ist und uns besser in die Lage versetzt, abschätzen zu können, wie groß der Zeitraum sein muss, bis das Stasi-Unterlagen-Archiv und das Bundesarchiv zusammenkommen können. Dieses Konzept wollen wir mit den Opfern und den Verbänden breit diskutieren. Es ist aus unserer Sicht Aufgabe, in der nächsten Legislaturperiode – nicht in dieser – hier zu Entscheidungen zu kommen. Nun sagen manche schon, damit würde man das wieder auf die lange Bank schieben. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Genau!) Wir reden ja schon relativ lange darüber, was man verändern kann. (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Acht Jahre!) Allerdings haben wir von Anfang an gesagt: Veränderungen müssen Verbesserungen sein. Diese Verbesserungen – beispielsweise in Bezug auf die archivgerechte Aktenlagerung und die Wartezeiten – müssen so auf der Hand liegen, dass wir eben sicher sein können, dass es sie auch gibt. Ich glaube, dafür bedarf es einer größeren und vertieften Kooperation zwischen dem BStU und dem Bundesarchiv. Wir als Fraktion sind noch nicht an dem Punkt angekommen, mit gutem Gewissen sagen zu können, dass wir uns sicher sind, dass das funktioniert; denn auch fast drei Jahrzehnte nach der friedlichen Revolution müssen wir die Anliegen, Sorgen und Ängste der SED-Opfer ernst nehmen. Es ist ja nicht so, dass mit der Freiheit automatisch die Wunden verheilt sind. Im Gegenteil: Viele Wunden sind erst aufgebrochen, weil man frei darüber reden konnte. Jedem, der davon überzeugt werden muss, empfehle ich die Lektüre des Buches von Kerstin Gueffroy mit dem Titel Die Hölle von Torgau: Wie ich die Heim-Erziehung der DDR überlebte. Das ist kein Einzelschicksal, sondern eines von über 300 000 Heimkindern. Das Buch ist im Übrigen im September 2015 erschienen, 26 Jahre nach der erlangten Freiheit. Das war der Zeitpunkt, zu dem es geschrieben werden konnte. Das illustriert ganz gut, worüber wir hier sprechen. Die Zeit heilt Wunden. Aber die Bestimmung des Zeitpunkts liegt bei den Verwundeten, nicht bei denen, die die Wunde verursacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viele Opfer und Betroffene brauchen einen zeitlichen Abstand zur Auseinandersetzung mit der persönlichen Vergangenheit, von Verarbeitung nicht zu sprechen. Die juristische Aufarbeitung ist mittlerweile weitestgehend abgeschlossen. Dabei zeigte sich leider sehr oft, dass der freiheitlich-demokratisch verfasste Rechtsstaat bei der Aufarbeitung der Diktatur an seine Grenzen kommt. Vielfach empfinden Opfer das, was juristische Aufarbeitung ausgemacht hat, nicht als Gerechtigkeit. Ich kann das in vielen Fällen gut verstehen. Ich glaube, das geht vielen hier im Hause so. Was aber bleibt, ist die gesellschaftliche Aufarbeitung. Da haben wir noch eine ganze Menge Spielräume, beispielsweise bei der Verbesserung von Opferrechten, beispielsweise bei Renten und Entschädigungsleistungen für erlittenes Unrecht. Ich möchte Dieter Dombrowski, den Vorsitzenden der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, auf der Tribüne herzlich begrüßen (Beifall im ganzen Hause) und seine Stellungnahme im Fachgespräch zitieren: ... was wir, die Opfer von SED und Stasi verlangen, ist nicht nur die Förderung des Gedenkens der Bildungsarbeit, sondern wir verlangen Respekt vor dem Leid und den Leistungen der Opfer der zweiten deutschen Diktatur. Dies sind 250 000 politische Gefangene, dies sind die Mütter von zwangsadoptierten Kindern, dies sind Tausende Opfer von ungerechtfertigten Heimeinweisungen, dies sind Hunderttausende gebrochene Lebensbiografien und seelische Verletzungen, die nicht heilbar sind. Wenn man das verinnerlicht, dann ist uns allen, glaube ich, bewusst, dass wir noch eine weitere Aufgabe vor uns haben. Wir wollen uns viele der Vorschläge, die Sie unter anderem in der Anhörung unterbreitet haben und uns nun teilweise seit Monaten und Jahren immer wieder ins Stammbuch bzw. Geschichtsbuch schreiben, noch einmal sehr genau anschauen. Das will ich Ihnen an dieser Stelle versprechen und zusagen. Ein letzter Punkt. Wir werden unmittelbar im Anschluss die Wahl des Stasi-Unterlagen-Beauftragten durchführen. Roland Jahn sitzt auch auf der Tribüne. Auch Ihnen ein herzliches Willkommen! (Beifall) Ich für meinen Teil will sagen, dass wir uns sehr freuen, dass Sie für eine zweite Amtszeit zur Verfügung stehen, dass wir glauben, dass wir in Ihnen einen international und vor allen Dingen auch in Deutschland über die Parteigrenzen hinweg anerkannten Stasi-Unterlagen-Beauftragten haben. Ich freue mich, dass Sie die Arbeit der Kommission und den Reformprozess grundsätzlich positiv begleiten und auch dafür zur Verfügung stehen, den Prozess der Zusammenlegung von Bundesarchiv und Stasi-Unterlagen-Behörde, wie wir es in unserem Antrag niedergelegt haben, zu begleiten. Unsere Stimmen haben Sie dafür. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir freuen uns, wenn Sie an Ihre Redezeit denken. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Meine Redezeit ist zu Ende; das ist mir klar. Vizepräsidentin Claudia Roth: Schon lange, ja. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Ich wünsche mir – das soll mein letzter Satz sein –, dass wir eine ähnlich breite parlamentarische Mehrheit haben wie beim letzten Mal, weil das, glaube ich, ein erster großer Schritt einer vertrauensbildenden Maßnahme bei den Opfern wäre. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich möchte die Kollegen und Kolleginnen bitten, wenn Ihnen klar ist, dass die Redezeit zu Ende ist, dann auch zum Ende der Rede zu kommen. Vielen Dank. Nächster Redner: Stefan Liebich für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Stefan Liebich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Aktenverwaltungsbehörde als Symbol der Revolution? Das kann doch nicht ernst gemeint sein. Das ist ein Zitat von Richard Schröder, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Expertenkommission, die hier gerade gelobt wurde und der man gerade gedankt hat. Wenn man den Antrag von der Koalition liest, dann hat man den Eindruck, Sie meinen das wirklich ernst. Es wurde hier darüber gesprochen, dass wir ein bisschen Zeit brauchen. Ich will die Zeit, in der wir über dieses Thema diskutieren, kurz Revue passieren lassen: Vor acht Jahren, im Juni 2008, hat die damalige Große Koalition dem Bundestag die Einsetzung einer Expertenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde versprochen. Damals hat man gesagt, losgehen solle es im Jahr 2009, die Behörde sei schließlich als eine zeitlich begrenzte Einrichtung konzipiert. Das wurde damals von der damaligen Beauftragten, Marianne Birthler, begrüßt, und dann ist sechs Jahre lang, Herr Wanderwitz, genau gar nichts passiert. Keine Kommission, keine Debatte. Es gab hier im Haus einfach kein Interesse. Dann hatte sich wieder eine Große Koalition gebildet, und die musste zur Kenntnis nehmen, dass dieses Weiterwurschteln in der Zwischenzeit keine Lösung war. Es gibt marode Außenstellen mit schimmelbefallenen Akten, es gab leblose Pläne zur Zukunft der Normannenstraße, unklare Perspektiven für das Oppositionsarchiv der Robert-Havemann-Gesellschaft. Dann hat man sich gesagt: Na gut, dann starten wir noch einmal neu. Wir setzen eine Expertenkommission ein. – Das ist im Jahr 2014 passiert. Wir haben damals gesagt: Binden Sie doch die Öffentlichkeit mit ein, lassen Sie solch ein Gremium nicht geheim tagen, das die Öffentlichkeit nicht mitnimmt. – Sie wussten es besser. Sie haben eine Kommission mit externen Experten, klugen Leuten, zusammengesetzt. Es waren keine Leute hier aus dem Haus dabei. Man tagte weitgehend geschlossen. Die Kommission legt ein Ergebnis vor, und nun wundern Sie sich, dass dieses Ergebnis nicht von allen begrüßt wird. Mit Ihrem Antrag droht eine Wiederholung des unwürdigen Schauspiels, das ich am Anfang skizziert habe. Es ist, als würde jemand mit besonders schwarzem Humor auf einen Resetknopf drücken, und alles passiert noch einmal. Wir haben ein nahezu einstimmig beschlossenes Ergebnis der Expertenkommission, und Sie sagen: Dieses Ergebnis legen wir zur Seite. In dieser Wahlperiode passiert gar nichts mehr. In der nächsten Wahlperiode – wer dann hier auch immer eine Koalition bildet und was der Bundestag dann auch immer macht – wird vielleicht noch einmal darüber diskutiert. Besonders absurd finde ich die Idee, dass die Federführung für diesen Vorschlag nicht mehr der Bundestag haben soll, sondern die Stasi-Unterlagen-Behörde selbst. Es ist eine sehr interessante Idee, dass eine Behörde sich selbst reformieren soll. Absurder geht es kaum. (Beifall bei der LINKEN) Warum haben Sie die Expertenkommission eigentlich überhaupt eingerichtet? Das ist ja nett, hier den Expertinnen und Experten zu danken, wenn man gleichzeitig ihre Vorschläge einer Beerdigung erster Klasse übergibt. Der Kommissionsvorsitzende, Professor Böhmer, hat das ja schon gesagt: Das sei ja nicht das erste Mal, dass man für den Papierkorb arbeite. Ich finde es schade, dass Sie die vielen guten Vorschläge aus dieser Kommission einfach zu den Akten legen. Ich möchte Professor Böhmer, Professor Schröder, Frau Professor Satjukow und allen anderen, die dort mitgearbeitet haben, ganz herzlich danken und sagen, dass wir ihre Vorschläge sehr ernst nehmen. (Beifall bei der LINKEN) Selbst wenn Sie sagen, die SED-Opfer seien dagegen, stimmt das ja so nicht. SED-Opfer – Surprise, Surprise! – haben unterschiedliche Auffassungen. Ein prominentes SED-Opfer, nämlich der Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, Roland Jahn, hat selbst gesagt, dass die Vorschläge eine solide Grundlage für die parlamentarische Arbeit sind. Vielleich haben Sie gehört, was heute früh unser ehemaliger Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gesagt hat: Wenn das jetzt in den Papierkorb geworfen wird oder in die Schublade und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird, dann ist das traurig, traurig, traurig. Da hat Wolfgang Thierse einfach recht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Apropos Roland Jahn: Roland Jahn ist beim letzten Mal auch mit Stimmen aus unserer Fraktion gewählt worden. Das wird diesmal auch der Fall sein. Er hat sich sehr engagiert für die Opfer eingesetzt. Es gibt auch Kritik. So ist das, wenn man arbeitet. Wir fanden die Prioritätensetzung bei der Auseinandersetzung mit den Wachschützern mit Stasivergangenheit nicht die geeignetste. Aber so ist das: Wer arbeitet, setzt sich auch Kritik aus. Ich möchte abschließend Roland Jahn für seine Arbeit in den letzten Jahren danken und Ihnen für die Aufmerksamkeit. Ich hoffe, dass einige hier im Hause auch in der nächsten Wahlperiode weiter daran arbeiten werden, dass die Vorschläge der Expertenkommission nicht in Vergessenheit geraten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Liebich. – Dürfte ich das werte Haus darauf hinweisen, dass wir in einer Debatte sind und noch nicht bei der Wahl des Beauftragten für die Stasiunterlagen? Bei der Debatte bietet es sich an, den Rednern und Rednerinnen zuzuhören. Also, ich bitte Sie herzlich, Gespräche draußen zu führen und ansonsten Platz zu nehmen, um den zwei Kollegen, die noch das Wort zu dieser Debatte haben werden, zuzuhören. In diesem Sinne – ich meine es ernst – gebe ich Siegmund Ehrmann für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Siegmund Ehrmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Lassen Sie mich persönlich anmerken: Seit 1990 haben sich in meiner Fraktion mit dem Thema „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ federführend vornehmlich Kolleginnen und Kollegen befasst, die aus Ostdeutschland stammten. Bei mir, als dem heute zuständigen Berichterstatter, ist das anders. Ich komme aus NRW. Trotzdem kenne ich durch vielfältige private, aber auch familiäre Bezüge – private insbesondere zu Gleichaltrigen aus der Jungen Gemeinde – viele Menschen und Lebensbiografien, die von SED- und Stasiunrecht geprägt, zum Teil auch gebrochen wurden. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist kein Ostthema. Es ist ein Thema für alle in unserem Land, und es ist auch mein persönliches Thema. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Antrag. Es mutet in der Tat merkwürdig an, dass wir darin etwas beteuern, das wir selbst nie in Zweifel gezogen haben. Ja, die Aufarbeitung der SED-Diktatur bleibt eine Daueraufgabe. Ja, der Aktenzugang für die Bürgerinnen und Bürger – insbesondere für die Opfer – sowie für Forschung, Bildung und Medien bleibt garantiert. Dass wir die Expertenkommission eingesetzt haben, die jetzt Ergebnisse vorgelegt hat, hat nichts mit einem Schlussstrich, dem Ende der Aufarbeitung oder einem Schlag ins Gesicht der Opfer zu tun. Über das Ob der Aufarbeitung bestand zu keiner Zeit Zweifel. Die Kernfrage lautete aber, wie wir es besser machen können, hatte doch die Stasi-Unterlagen-Behörde als Sonderbehörde nie eine Ewigkeitsgarantie. Ihre Stellenausstattung ist in all den Jahren von insgesamt 3 400 Beschäftigten auf 1 600 Stellen zurückgegangen. Seit mehr als zehn Jahren – nicht erst seit 2008 – wird um den richtigen Ansatz einer verbesserten Arbeit bei der Auskunftserteilung im Archiv und in den Außenstellen sowie in der Forschung und der historisch-politischen Bildung gerungen. Ich erinnere an die heftige Kontroverse um die Ergebnisse der noch von Rot-Grün eingesetzten sogenannten Sabrow-Kommission im Jahre 2006. Im Gedenkstättenkonzept 2008 – darauf wurde verwiesen – fixierte die Bundesregierung ausdrücklich die BStU als zeitlich begrenzte Institution und hoffte auf die kommende Legislaturperiode, in der eine dann einzurichtende Expertenkommission Handlungsempfehlungen erarbeiten sollte. Die schwarz-gelbe Koalition hat sich das im Koalitionsvertrag vorgenommen; sie kam allerdings nicht an den Start. Wir haben das dann in der zweiten Großen Koalition ab 2013 ebenfalls vereinbart und diese Expertenkommission eingesetzt. Die von der Kommission mit 13:1 beschlossenen Handlungsempfehlungen kennen wir seit dem 12. April 2016, als die Kommission dem Bundestagspräsidenten ihre Ergebnisse überreichte. Auch ich will der Expertenkommission für die anderthalb Jahre währende anstrengende, auf Konsens zielende Arbeit ausdrücklich danken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wem bewusst ist – damit möchte ich auf Herrn Liebich eingehen – welche Kontroversen Akteure, die jetzt mitgearbeitet haben, sich vor zehn Jahren geliefert haben, weiß: Sie waren meilenweit auseinander. Von daher ist es ein guter Weg, in einem nichtöffentlichen Verfahren, gleichzeitig aber auch bei Anhörung aller Beteiligten einen Weg zu finden. Es ist unter der Leitung von Professor Böhmer und Professor Schröder gelungen, sich anzunähern. Deshalb sind diese Handlungsempfehlungen nach wie vor ein wichtiger Meilenstein und Maßstab. Wir meinen, dass diese Arbeit weiter aufgegriffen werden muss. Wir müssen uns auf sie stützen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das erfordert allerdings – diese Kritik lasse ich durchaus auch gegenüber der Koalition gelten –, dass wir uns mit den Handlungsempfehlungen seriös auseinandersetzen und das Für und Wider abwägen. Der Kulturausschuss hat das in einem öffentlichen Fachgespräch Ende April gemacht. Wie nicht anders zu erwarten – das musste sein –, sind die bekannten Kontroversen noch einmal zutage getreten. Ich habe dort im Kern nichts Neues gehört. Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, die Kommissionsempfehlungen in der Koalition und im Parlament insgesamt zu bewerten, selbstverständlich unter Einbeziehung der kritischen Stimmen. Schließlich hatten wir uns im Einsetzungsbeschluss darauf verständigt, noch in dieser Wahlperiode zu belastbaren Ergebnissen zu kommen. Sie finden sich letztendlich im Bundesgesetzblatt wieder. Meine Damen und Herren, ich will und kann nicht verhehlen, dass es auch in meiner Fraktion und in meiner Partei kritische Stimmen zu den Kommissionsempfehlungen gibt. Natürlich gibt es Diskussionsbedarf. Aber überhaupt keine Debatte zu führen, ist wenig souverän und dient nicht der Sache. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für meine Fraktion sind die Vorschläge der Expertenkommission beileibe nicht vom Tisch. Da wir nun allerdings feststellen müssen, dass wir bei der Reform der BStU in dieser Legislaturperiode nicht entscheidend weiterkommen, muss an der Spitze der BStU Klarheit geschaffen werden. Deshalb steht gleich die Wahl von Herrn Jahn als Bundesbeauftragter an. – Ich begrüße Herrn Jahn hier im Saal. Meine Fraktion wird ihn unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Entschuldigung. – Darf ich die Kollegen noch einmal bitten, den Kollegen Ehrmann zu Wort kommen zu lassen? Er hat nämlich das Wort. Das meine ich wirklich ernst. Ich bitte die Kollegen hinten im Saal, ihre Gespräche einzustellen oder draußen zu führen. Es ist absolut nicht angemessen, dass man in dieser Debatte so dazwischenredet, dass sogar wir hier im Präsidium Herrn Ehrmann kaum verstehen. Bitte hören Sie ihm zu genauso wie dem letzten Kollegen, der in dieser wichtigen Debatte redet. (Beifall) So, Siggi Ehrmann, weiter geht’s. Siegmund Ehrmann (SPD): Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Tat ist die Geschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes die Geschichte eines Gesetzes aus dem Parlament heraus. Alle Veränderungen und Ziele wurden gemeinsam erarbeitet und weitestgehend im Konsens erreicht. Wir setzen mit dem Antrag, der Ihnen vorliegt, nun auf einen anderen Weg, nämlich auf den Transformationsprozess aus dem Amt heraus, indem der Beauftragte für die Stasiunterlagen gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesarchivs den Übergang der Stasiunterlagenakten in das Bundesarchiv vorbereitet. Die Ziele, an denen sich die BStU und das Bundesarchiv bei der Entwicklung eines gemeinsamen Konzepts orientieren sollen, haben wir in diesem Antrag fixiert. Die konkrete Ausgestaltung sollte sich an den Handlungsempfehlungen der Expertenkommission orientieren. Ich werbe nachdrücklich dafür, dass wir uns weiterhin mit den Kommissionempfehlungen auseinandersetzen. Dann wären diese nicht für den Papierkorb gewesen. Zum Schluss noch eine grundlegende Bemerkung. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur umfasst mehr als die Themen Ministerium für Staatssicherheit und BStU. Die SED verantwortete den durchherrschten Alltag. Die Wirkungsmechanismen kommunistischer Systeme und ihre Transformation vergleichend zu erforschen und für die politische Bildung zu erschließen, steht auch mit Verweis auf ein Jubiläum an, mit dem wir uns im Jahre 2017 befassen werden, nämlich der Oktoberrevolution. Lassen Sie uns auch hierüber in einen Dialog eintreten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Siegmund Ehrmann. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Dr. Harald Terpe für die Grünen. Auch er hat das Recht, dass ihm zugehört wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Gäste, insbesondere Herr Dombrowski und Herr Jahn! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich am Anfang keinen Hehl daraus machen, dass ich über den vorgelegten Antrag enttäuscht bin. Ich bin in erster Linie enttäuscht darüber, dass von dem bisherigen Weg Abstand genommen wird, nach überfraktioneller Diskussion gemeinsam Anträge zur Thematik Stasi-Unterlagen-Gesetz zu erarbeiten. Von diesem Weg wird nun abgewichen. Das halte ich für ein schlechtes Signal, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) für ein schlechtes Signal an die Opferverbände und die Kollegenschaft des Bundestages sowohl in dieser als auch in der nächsten Legislaturperiode. Wenn wir das bisherige Verfahren nicht fortsetzen, spalten wir uns auf. Das ist nicht gut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun zum Antrag. Warum ist es notwendig, dass man gemeinsam versucht, einen solchen Antrag zu erarbeiten? Weil der vorliegende Antrag Schwächen hat. Herr Ehrmann hat am Ende seiner Rede auf diese Schwächen hingewiesen. Sie wollen aus dem Amt heraus transformieren und geben dem Bundesbeauftragten einen Antrag an die Hand, der hinter bestimmten Empfehlungen – auch der Expertenkommission – zurücksteht. Wie soll denn so eine Transformation geschehen? Da gebe ich Herrn Liebich recht, der sagt, dass das Parlament diese begleiten muss, und zwar noch in dieser Legislaturperiode. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben doch den Schwung mit der Einsetzung der Expertenkommission aufgenommen. Wir haben bereits diskutiert, wir alle haben Fachkompetenz erworben. Die sollten wir jetzt nutzen, um zumindest in dieser Legislaturperiode schon bestimmte Handlungsempfehlungen zu geben und Konzepte zu fordern und die Transformation schon in dieser Legislaturperiode einzuleiten. Da geht es beispielsweise auch um Gelder, die man dringend braucht, um die Archivierung zu verbessern. Das sind doch Maßnahmen, über die wir in dieser Legislaturperiode bereits entscheiden können. Wissen Sie denn, aus welchen Abgeordneten sich das Parlament in der nächsten Legislaturperiode zusammensetzt, die sich wieder einarbeiten müssen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann dauert es zwei oder drei Jahre, und die Akten faulen vor sich hin. Es ist doch leeres Gerede, zu sagen: „Wir wollen die Akten im Gesamtbestand erhalten“, wenn sie uns sozusagen unter dem Hintern wegfaulen. Ich war in allen Außenstellen und war – das habe ich mir sagen lassen – der Einzige, der sich das überall angeschaut hat, überall. Das ist mein Eindruck gewesen. Jetzt möchte ich zu den Punkten unter I. kommen. Natürlich brauchen wir einen dauerhaften Erhalt des Gesamtbestandes. Aber wo ist unsere gemeinsame Anregung geblieben, diese Aktenbestände auch dezentral zur Verfügung zu stellen? Sind wir davon jetzt abgekommen? Wie soll denn jetzt gehandelt werden? Ich finde, auch das bleibt hinter dem zurück, was wir bereits im Einsetzungsbeschluss gesagt haben. Ein weiteres Thema. Es geht um die Nutzung der Akten zur Forschung. Dazu sind vernünftige Vorschläge auf den Tisch gelegt worden. Jetzt steht in dem Antrag, dass die Stiftung Aufarbeitung im Wesentlichen für die Forschung zuständig sein soll. Das ist vom Prinzip her nicht verkehrt, aber wir müssen doch erkennen, dass bisher die Unterlagenbehörde Forschungskapazitäten hatte. Was wird denn mit diesen Forschungskapazitäten? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dabei geht es darum, dass man beispielsweise ein Forschungsnetzwerk bildet, in das dezentrale Forschungsstandorte, zum Beispiel unsere Universitäten, eingebaut werden können und müssen. Deswegen ist dieser Antrag stark verbesserungsfähig. Eigentlich wünschte ich mir – jetzt dämpfe ich meine Empathie ein bisschen – von Ihnen von der CDU/CSU und auch der SPD: Wir haben heute über den Antrag diskutiert; lassen Sie uns doch den Antrag im Verfahren behalten und noch einmal verbessern, damit wir verbesserte Handlungsanweisungen auch für den Transformationsprozess in der Unterlagenbehörde bekommen. Es wäre ein Einfaches, ihn in den Ausschuss zu überweisen und kurzfristig zu verbessern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Terpe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8705 mit dem Titel „Die Aufarbeitung der SED-Diktatur konsequent fortführen“. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Abstimmung in der Sache. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Überweisung an den Ausschuss für Kultur und Medien. Wir stimmen nun nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Deswegen frage ich Sie: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Überweisung ist abgelehnt. Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, abgelehnt CDU/CSU und SPD. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 18/8705. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist angenommen. CDU/CSU und SPD haben zugestimmt, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke haben dagegengestimmt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf: Wahl des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Die Bundesregierung hat Herrn Roland Jahn vorgeschlagen, den wir jetzt, nachdem er schon einzeln begrüßt worden ist, auch noch einmal auf der Besuchertribüne des Deutschen Bundestages begrüßen. (Beifall) Ich gebe Ihnen zunächst Hinweise zum Wahlverfahren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wunderbar!) – Es wird sich lohnen, zuzuhören. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) – Ja, Herr Kauder, ich frage Sie nachher ab, ob Sie es verstanden haben. Nach § 35 Absatz 2 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wird der Bundesbeauftragte auf Vorschlag der Bundesregierung vom Deutschen Bundestag mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder gewählt. Zur Wahl sind also mindestens 316 Stimmen erforderlich. Die blauen Stimmkarten für die Wahl wurden verteilt. Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Parlamentsassistenten oder Parlamentsassistentinnen zu erhalten. Außerdem benötigen Sie Ihren blauen Wahlausweis aus Ihrem Stammkartenfach. Bitte achten Sie unbedingt darauf, dass der Wahlausweis auch wirklich Ihren Namen trägt. Es wäre schlecht, wenn es anders wäre. Die Wahl findet offen statt. Sie können die Stimmkarten also durchaus an Ihrem Platz ankreuzen. Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz oder die gar kein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis einer der Schriftführerinnen oder einem der Schriftführer an den Wahlurnen. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch Abgabe des Wahlausweises erbracht werden. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, darauf zu achten, dass vor der Stimmabgabe der Wahlausweis übergeben wird. Jetzt bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Wahl. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf fragen: Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? – Nein, das ist nicht der Fall. Ich darf noch einmal fragen: Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer und Schriftführerinnen, ihre Stimmkarte abgegeben? Kann ich entsprechende Zeichen bekommen? – Gut. Offenbar haben alle ihre Stimmkarte abgegeben. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1 Um in der Tagesordnung weitermachen zu können, bitte ich diejenigen, die beim nächsten Tagesordnungspunkt, dem Tagesordnungspunkt 11, nicht aktiv teilnehmen wollen, den Raum möglichst schnell zu verlassen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulla Jelpke, Martina Renner, Kersten Steinke und der Fraktion DIE LINKE Umfassendes Informations- und Transparenzgesetz schaffen Drucksache 18/7709 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache aber erst dann, wenn alle die, die an dieser Debatte teilnehmen wollen, sich hingesetzt und alle anderen den Raum verlassen haben. – Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Halina Wawzyniak von der Linken. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Demokratie für alle ist, wenn alle hier lebenden Menschen nicht nur ein Anhängsel des Staates und seiner Verwaltung sind. Stattdessen sollen der Staat und seine Verwaltung alle notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Bürgerinnen und Bürger all jene Informationen erhalten, auf deren Grundlage sie die Gesellschaft mitgestalten können. Die Menschen haben ein Recht darauf, Politik und Verwaltung zu kontrollieren. Dieses Recht können sie nur wahrnehmen, wenn sie ausreichend informiert sind und jederzeit die Informationen erhalten können, die sie für die Ausübung des Rechts brauchen. 2005 wurde, um genau das zu erreichen, ein Schritt in die richtige Richtung getan. Aber das damals beschlossene Informationsfreiheitsgesetz reicht nicht aus. Es baut zu viele Hürden auf, um das gegebene Versprechen zu halten. Zwar ist der Zugang zu Informationen erleichtert worden, aber mit der Gebührenpflicht ist dieser Zugang nicht voraussetzungslos und somit auch nicht allgemein. Zugleich haben die vielen Ausnahmeregelungen zahlreiche Möglichkeiten eröffnet, den Menschen, die Auskünfte haben wollen, die Herausgabe dieser Informationen zu verweigern. Ein Mindestmaß an Transparenz – darüber waren wir uns 2005 mehrheitlich einig – ist notwendige Voraussetzung für Demokratie. Gut zehn Jahre später sage ich: Nur ein Höchstmaß an Transparenz wird uns ermöglichen, die Demokratie zu demokratisieren und vor Anfeindungen und Angriffen zu schützen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da geht es nicht an, dass die Bürgerin und der Bürger um Auskunft über wichtige öffentliche Angelegenheiten ersuchen müssen. Es geht nicht an, dass die Menschen hierzulande Bittsteller sind, wenn sie wissen wollen, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo das SED-Vermögen ist, wollen wir wissen!) was in den Parlamenten auf kommunaler, Landes- und Bundesebene jenseits öffentlicher Sitzungen beraten wird. Es geht nicht an, wenn Entscheidungshintergründe, Protokolle, Gutachten, Kalkulationen, Planungsberichte oder Informationen aus öffentlichen Verwaltungen nur auf Anfrage und gegen Gebühren zu erhalten sind. (Beifall bei der LINKEN) Es ist nicht zeitgemäß und es schadet der Demokratie, wenn Auskunftsbegehren massenhaft mit der Begründung, hier wiege der Schutz öffentlicher Belange oder der von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen stärker als das Interesse der Bürgerin oder des Bürgers, abgelehnt werden. Genau diese Berufungsmöglichkeiten im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes sind in der Vergangenheit weidlich ausgenutzt worden – zulasten der Bürgerinnen und Bürger. Das darf so nicht stehen bleiben, es muss geändert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der freie Zugang zu Informationen ist nicht nur notwendig für Mitbestimmung und Mitgestaltung, sondern er ist ebenso notwendig für den Erhalt der Pressefreiheit. Der freie Zugang zu Informationen kann dazu beitragen, dass sich wieder mehr Menschen in die Gesellschaft einbringen. Er kann dazu beitragen, dass Verwaltungen reformiert und weniger Steuergelder verschwendet werden. Er kann die Kluft zwischen Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite, Politik, Behörden und Verwaltungen auf der anderen Seite verkleinern. In den vergangenen Jahren ist diese Kluft leider größer geworden. 2010 hat der damalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, kritisiert: Ich stelle fest, dass wir weit entfernt sind von einer Kultur der Offenheit. Behörden legten eine grundlegende Haltung gegen die Herausgabe von Informationen an den Tag, sagte er. Das ist auch sechs Jahre später noch immer nicht die Ausnahme und kommt viel zu häufig vor. Wir fordern nun mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, den Entwurf für ein umfassendes Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz vorzulegen. Wir wollen einen Vorschlag, der geeignet ist, das geltende Gesetz mit dem Umweltinformationsgesetz und dem Verbraucherinformationsgesetz zu vereinen. Wir wollen, dass der anfrageorientierte Ansatz um eine proaktive Informationspolitik ergänzt wird – das heißt, proaktiv sollen Daten eingestellt werden – und dass sich dieser an den Open-Data-Prinzipien orientiert: Gebührenfreiheit, Barrierefreiheit, Weiterverbreitung und Möglichkeit zur freien Weiterverwendung. Es muss möglich sein, die öffentlich zugänglich gemachten Daten auch für andere nutzbar zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Wir lassen das Argument, das sicherlich kommen wird, infolge eines solchen Informationsfreiheitsgesetzes würden Behörden unzumutbar belastet, nicht gelten. Die proaktive Informationsbereitstellung vermindert im Gegenteil die Anzahl der Anträge. Und jenen, die jetzt behaupten, die Behörden seien doch auch ohne ein solches Gesetz so unglaublich transparent, entgegnen wir: Dann schadet es auch nicht, das in ein Gesetz zu schreiben. Wir wissen allerdings, dass es bis zu diesem Punkt, an dem wir wirklich Transparenz haben, noch ein weites Stück Weg ist. Wir wollen mit unserem Antrag für ein umfassendes Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz diesen Weg verkürzen, weil wir finden, ein solches Gesetz wäre ein Beitrag zu mehr Demokratie für alle. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Wawzyniak. – Nächster Redner in der Debatte: Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Mann hat heute Geburtstag!) – Er hat Geburtstag? (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Steht im Kürschner!) Wollen Sie singen? – Dann wünschen wir Ihnen von ganzem Herzen alles Gute zum Geburtstag. (Beifall) Marian Wendt (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Geburtstagsgrüße. Was gibt es Schöneres, als an so einem Tag über offene Daten, über Open Data, zu sprechen? (Heiterkeit) Vizepräsidentin Claudia Roth: Da fällt mir schon etwas ein. Aber das ist etwas anderes. – Entschuldigen Sie. Marian Wendt (CDU/CSU): Zum Thema. „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ So klingt es, wenn Sie als Linkspartei den Zielkonflikt zwischen Datenschutz und Informationsfreiheit betrachten. Sie fordern stets mehr, mehr und mehr beim Datenschutz, ganz egal, ob sinnvoll oder nicht. Damit wollen Sie möglichst jede Verarbeitung von Daten, auch anonymisierter oder pseudonymisierter, unmöglich machen. Das geht aber nicht Hand in Hand mit Ihrer Forderung, wie im Antrag, nach völliger Offenlegung aller Informationen. Zum konkreten Antrag. Ihr Antrag ist abzulehnen; denn Sie gehen grundsätzlich von zwei falschen Prämissen aus. Erstens ist das Ziel des Informationsfreiheitsgesetzes keine Recherchevergünstigung. Zielsetzung ist es, das Verwaltungshandeln des Bundes transparenter zu gestalten, indem ein Zugang zu amtlichen Informationen geschaffen wird. Sie beschreiben es hier als ein zentrales Problem, dass die im Gesetz vorgesehenen Anfragen an Behörden zu teuer seien. Dem ist im Informationsfreiheitsgesetz schon Genüge getan. Einfache Auskünfte werden dem Gesetzestext nach ohnehin nicht in Rechnung gestellt. Die entsprechende Rechtsverordnung dazu sieht vor, dass aus Gründen der Billigkeit Gebühren erlassen oder ermäßigt werden können. Hiervon wird auch Gebrauch gemacht. Zum Zweiten geht es Ihnen um die Ausnahmetatbestände, wenn Informationen geliefert werden sollen. Der Staat ist aus unserer Sicht nicht mehr der ferne Verwalter und Entscheider mit Herrschaftswissen, sondern er muss grundsätzlich Verwaltungsinformationen öffentlich zur Verfügung stellen. Die Entscheidungsgrundlagen sollen öffentlich, transparent und nachvollziehbar sein. Nur in Ausnahmefällen, nämlich wenn berechtigte Gründe dagegen stehen, wie beispielsweise Fragen der inneren Sicherheit oder der Schutz persönlicher Daten, müssen diese nicht öffentlich sein. Aber das ist bisher auch im Informationsfreiheitsgesetz so festgelegt. § 3 des IFG nennt den Schutz öffentlicher Belange, darunter sicherheitsempfindliche Informationen. § 5 IFG schützt die personenbezogenen Daten. Über diesen Datenschutz müssen wir gar nicht diskutieren. § 6 IFG schützt geistiges Eigentum. Eine Aufhebung käme sonst einer teilweisen Enteignung und einem Markteingriff gleich. Diese Einschränkungen sind nichts Besonderes. Sie sind für die Sicherheit unseres Landes und den Schutz persönlicher Daten absolut notwendig. Länder mit sehr viel offenerer Informationspolitik, die Sie und auch ich als Vorbild im Bereich Open Data nehmen, haben ähnliche oder noch weitreichendere Einschränkungen, wie beispielsweise Großbritannien. Ihre beiden Hauptkritikpunkte am Informationsfreiheitsgesetz in der bestehenden Form gehen also fehl. Offene Daten und Informationsfreiheit – um den Ball einmal aufzugreifen und über den Tellerrand zu schauen – sind für uns, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wichtige Zukunftsthemen. Endlich gibt es eine Technologie, mit der sich der berechtigte Anspruch der Menschen nach Transparenz erfüllen lässt. Endlich gibt es eine Technologie, mit der sich die Datenberge, die unsere Verwaltungen in aller Gründlichkeit sammeln, in Wertschöpfung und somit in eine Mehrung des Wohlstandes umwandeln lassen. Bisher waren Kosten und Aufwand für Sammlung und Bereitstellung dieser Daten astronomisch hoch. Für die Nichtöffentlichkeit von Verwaltungsinformationen war das ein ganz praktischer Grund. Das ist vorbei. Es gibt in Deutschland große Datensätze, die äußerst vielversprechend sind, wie zum Beispiel die Daten der Maut, die innovative Unternehmen für intelligente Verkehrssteuerung nutzen könnten. Das ist zum Beispiel wichtig für das autonome Fahren oder für den Abbau von Staus. Diese bereits jetzt viel genutzten Geodaten sind ein wahrer echter Schatz, den wir haben. Die Offenlegung dieser Daten birgt ein hohes Potenzial für den Breitbandausbau. Wer weiß, wann und wo die Straße aufgemacht wird, der kann auch gleich ein Glasfaserkabel einbuddeln lassen. Dies spart eine Menge Geld. Meine Damen und Herren, den Wert offener Daten haben die Bundesregierung und die CDU/CSU-Fraktion erkannt. Mit dem Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Open-Data-Charta der G-8-Staaten ist das entsprechend aufgegriffen. Die fünf wichtigsten Punkte lassen Sie mich hier einmal zusammenfassen. Wir brauchen eine Kultur standardmäßig offener Daten. Diese sollten in hoher Qualität und Quantität zur Verfügung stehen. Sie sollten von allen nach einheitlichen Maßstäben verwendbar sein. Davon erwarten wir ein besseres staatliches Handeln und vor allem wirtschaftliche Innovationen. Bezeichnend zum letzten Punkt finde ich, dass Sie auf denjenigen Nutzen für die Menschen nicht eingehen, der sich durch die wirtschaftliche Verwaltung dieser Daten ergibt. Der genannte Punkt der Transparenz ist aber wichtig. Sie ist eine der Grundlagen demokratischer Staatsformen. Aber mit dieser Transparenz kann man zusätzlich noch etwas befeuern. In unserem Land mit seinem hohen Innovationspotenzial kann sie dafür sorgen, dass Menschen in Arbeit kommen und es uns allen besser geht. Das ist ein Umstand, den man nicht ignorieren kann. Das Potenzial, das Open Data hier birgt, ist unermesslich hoch und übertrifft regelmäßig die geltenden Erwartungen. Vermeintlich wenig interessante Informationen, auch solche, die unter Transparenzgesichtspunkten sogar irrelevant scheinen, können höchsten Nutzen stiften, so zum Beispiel die Lage aller öffentlichen Toiletten in Wien. Für sich gesehen ist es eine recht langweilige Liste, aber in der richtigen App (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wenn man mal pinkeln muss!) ist es eine höchst wertvolle Information für jeden Gast einer Stadt. Das ist vielleicht gerade der Vorteil bei Open Data: die Unvorhersehbarkeit. Die Frage ist: Wo hat jemand eine Idee und kann vielleicht zur Verfügung gestellte anonymisierte und pseudonymisierte Daten nutzen? Datengetriebene Innovation hat in Neuseeland einen drastischen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum geleistet. Die neuseeländische Regierung spricht von 3 Milliarden Euro an zusätzlicher Wertschöpfung bei Dienstleistungen und in der Produktion in den kommenden fünf Jahren. Deutschland hat etwa die 20-fache Wirtschaftsleistung. Das Potenzial ist also immens. Andere Länder erkennen das auch und fangen bereits an – bzw. sind schon mittendrin –, die Daten nutzbar zu machen. Großbritannien hat eine umfassende Kampagne gestartet, die Erfolge zeigt. Meine Kollegen aus dem Bereich Digitale Agenda und ich haben dazu vor kurzem Gespräche mit britischen Vertretern von data.gov.uk geführt. Auch das ist eine beeindruckende Geschichte und sicherlich ein Vorbild. Taiwan, Dänemark und Finnland sind weitere Länder, die auf Open Data setzen und hier Erfolge vorweisen können. Der angestrebte Beitritt zur Open Government Partnership, den die Bundesregierung angekündigt hat, offenbart ihren Willen und die Überzeugung, dass es in diesem Bereich weitergehen muss und weitergehen wird. Ich bin zuversichtlich, dass uns das Thema Informationsfreiheit weiter begleiten wird, beispielsweise (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch Anträge der Linken!) im Zusammenhang mit einem Open-Data-Gesetz, mit dem wir eine starke Basis für Innovation schaffen wollen. Die hat auch der CDU-Bundesvorstand in seiner Mainzer Erklärung entsprechend formuliert. Wir werden auch in Zukunft in diesem Hause viel darüber debattieren, wie Open Data und die Informationsfreiheit auszugestalten sind und wie wir vor allem die entsprechenden Maßnahmen zügig umsetzen können. Ich hoffe auch, dass wir darüber sprechen werden, welchen Nutzen die Menschen, also wir alle, daraus schöpfen können. Dafür werden wir uns gemeinsam starkmachen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und Ihre Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sebastian Hartmann [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, lieber Marian Wendt, und noch einen schönen restlichen Geburtstag, mit oder ohne Daten – wie Sie es am liebsten haben. Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich möchte Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl zum Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik kundtun: abgegebene Stimmen 570, ungültige Stimmen keine, gültige Stimmen 570; das ist ja logisch. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Eigentlich schon!) – Eigentlich ist das logisch. – Mit Ja haben gestimmt 511 Abgeordnete, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) mit Nein haben gestimmt 39 Abgeordnete, enthalten haben sich 202. Herr Roland Jahn hat damit die erforderliche absolute Mehrheit deutlich erreicht. Er ist damit zum Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gewählt. Wir gratulieren von Herzen, lieber Roland Jahn, und wünschen viel Kraft für das wichtige Amt. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir kommen zurück zur Debatte. Der nächste Redner in der Debatte: Dr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebes Geburtstagskind Marian Wendt, was irgendwie nicht geht, ist, dass man hier minutenlang das Hohelied auf die Informationsfreiheit singt, aber jahrelang nichts macht. Das ist hoch widersprüchlich. So geht es eben leider nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die von Rot-Grün vorangetriebene Informationsfreiheit ist zweifellos eine Erfolgsgeschichte. Bürgerinnen und Bürger haben seither die Möglichkeit, sich über Verwaltungshandeln und bei Behörden vorliegende Daten und Informationen zu erkundigen. Das nützt der Nachvollziehbarkeit politischer Prozesse. Das erhöht ihre politische Legitimation. Aber – und das ist der Status quo seit bald 15 Jahren – klar ist: Die Weiterentwicklung des bestehenden Informationsfreiheitsgesetzes von Bund und Ländern ist seit langem überfällig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Fortentwicklung ist nicht nur notwendig, um den bestehenden Flickenteppich unterschiedlichster Informationsfreiheitsgesetze auf Bundes- und Landesebene zu vereinheitlichen. Sie ist auch nötig, da uns allen doch eigentlich sehr klar ist, dass die bestehenden Regelungen den eigentlichen Anforderungen an ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2016 nicht mehr gerecht werden. Die bestehenden Regelungen haben erkennbare Defizite. So führt zum Beispiel die Tatsache, dass dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen noch immer ein höherer verfassungsrechtlicher Stellenwert eingeräumt wird, dazu, dass die Informationsfreiheit selbst sehr häufig nicht durchträgt und die Anfragen abschlägig beschieden werden. Deswegen sage ich: Die bisherigen Ausnahmeregelungen sind zu weit gefasst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist nur ein Punkt. Nach all den Diskussionen, die wir in den letzten Jahren hier geführt haben, müssen wir die Informationsfreiheit ganz grundsätzlich weiterentwickeln und die enormen Chancen von Internet und Digitalisierung zur Vitalisierung unserer Demokratie und unseres Staates endlich nutzen. Das hat der Kollege Wendt völlig zutreffend beschrieben, nur: Man muss eben auch etwas machen. Der Ansatz, die Informationsfreiheit um den Gedanken von Open Data weiterzuentwickeln, ist nicht neu. Wir müssen das Vorhaben nun endlich angehen; denn gerade hier liegen die enormen wirtschaftlichen Potenziale, die durch die Bereitstellung der offenen Daten endlich freigesetzt werden können. Gerade deswegen ist es so unverständlich, dass seit Jahren nichts passiert. Wir haben das alles aufgeschrieben, auch in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Ein Handeln ist überfällig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das interessiert keinen mehr!) Jetzt sagt die Bundesregierung: Man ist inzwischen immerhin dem Open Government Partnership beigetreten. Das ist großartig, aber eine völlige Selbstverständlichkeit. Das haben wir sehr lange angemahnt. Das ist kein entscheidender Schritt, um voranzukommen. Ob die Versprechungen, die Sie im Koalitionsvertrag gemacht haben, nämlich ein Open-Data-Gesetz auf den Weg zu bringen, doch noch erfüllt werden? Wir haben angesichts des Stillstands und der Probleme, die angesprochen wurden, starke Zweifel, dass das noch kommt. Das liegt natürlich auch daran, Herr Staatssekretär Krings, dass die Verantwortung in Ihrem Ministerium liegt. Das Innenministerium steht seit Jahren auf der Bremse; die SPD ist ausnahmsweise einmal nicht schuld, (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wir sind doch nie schuld!) sondern das Innenministerium. Umso erstaunlicher ist, dass sich das Wirtschaftsministerium diesen Bereich nicht zur Profilierung heraussucht; denn die enormen Potenziale, die hier beschrieben wurden, sind da. Völlig ohne Not lässt sich Deutschland in diesem wesentlichen Bereich der Digitalisierung international den Rang ablaufen. Wir verlieren den Anschluss. Das ist sehr unerfreulich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Derzeit sind es vor allen Dingen die Länder, die voranschreiten und das Thema weiter voranbringen. Sie zeigen, dass wir ein zupackendes Vorgehen, eine echte Open-Data-Strategie brauchen. Ein Herzstück einer solchen Strategie wäre ein Gesetz, das endlich kommen muss. Die Bundespolitik muss hier nachziehen, aber das verweigern Sie seit vielen Jahren. Von echtem Fortschritt sind wir weit entfernt. Deswegen kann man nur sagen: Es ist gut, dass die Linke dieses Thema heute setzt, wie ich übrigens auch gut finde, dass es heute diesen Themenschwerpunkt gibt. Das ist ein gutes parlamentarisches Zeichen. Vielen Dank dafür. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vieles – das ist mein letzter Punkt –, was Sie von der Linken in Ihrem Antrag fordern, ist nicht gänzlich neu. Wir Grüne haben im Jahr 2010 – übrigens haben wir schon vor sechs Jahren über ein Open-Source-Beteiligungstool diskutiert – eine sogenannte grüne Transparenzoffensive gestartet. Seitdem liegen unsere Vorschläge dazu vor. Deswegen kann ich in Richtung GroKo nur sagen: Sollten Sie hier tatsächlich noch handeln wollen, dann wissen Sie uns, aber vor allen Dingen auch eine extrem engagierte Zivilgesellschaft, die Open Knowledge Foundation – das sind die Macherinnen und Macher von „Frag Den Staat“ – und die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit an Ihrer Seite. Handeln Sie endlich! Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Konstantin von Notz. – Der nächste Redner: Sebastian Hartmann für die SPD. (Beifall bei der SPD) Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Wendt, zu Ihrem Geburtstag. Wenn der Freiheitsbegriff nicht entleert werden soll, muß er – die parlamentarische Demokratie ergänzend – seine Konkretisierung nicht nur in den Institutionen des Staates, sondern auch vor Ort und in den Unternehmen finden ... Nicht in bürokratischen Wucherungen und in der Machtvollkommenheit von Apparaten kann die Zukunft liegen, sondern sie muß liegen in der Mitentscheidung der Arbeitenden, der Verbraucher, zumal der Gemeindebürger. Willy Brandt schloss 1987 seine Redepassage mit: ... im Zweifel für die Freiheit! Meine Damen und Herren, diese Maßgabe, sehr prophetisch vorgetragen 1987, hilft uns, in der aktuellen Fragestellung das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen den Bürgern und dem Staat auszutarieren. Herr Kollege von Notz, auch Sie haben einen Blick in die Vergangenheit geworfen und auf Ihre Ansätze verwiesen. Wir können noch weiter zurückblicken. An dieser Stelle ergänze ich die Ausführungen der Kollegin der Linken: Sie verlangen mit Ihrem Antrag die Vorlage eines Gesetzentwurfs und greifen dabei auf das zurück, was die SPD-Bundestagsfraktion schon in der letzten Legislaturperiode gefordert hat. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Es war nicht alles schlecht!) – Nicht alles war schlecht. (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Sehr gut war das!) Damals haben wir den Entwurf eines umfassenden Informationsfreiheits- und Transparenzgesetzes eingebracht. Wir können uns an dieser Linie gut orientieren. Wir würden in bestimmten Punkten natürlich gerne weitergehen. Wir glauben, dass es für unsere Gemeinschaft und den Industriestaat Deutschland eine große Chance ist, mit Daten anders umzugehen. Die Zurverfügungstellung von Daten wird uns helfen, voranzukommen. Deswegen freuen wir uns, dass Sie sich auf unseren Gesetzentwurf aus dem Jahr 2013 bezogen haben, dass Sie ihn noch einmal aufrufen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das stimmt!) Ich kann Ihnen versichern: Die SPD wird nicht hinter das zurückgehen, was sie damals gefordert hat. Das ist unsere Linie, und das bleibt unsere Linie. Ich möchte auf die grundlegende Bedeutung des Open-Data-Ansatzes eingehen. Wir leben heute in einer Informationsgesellschaft. Dementsprechend müssen wir als Gemeinschaft Daten verfügbar machen. Es geht darum, dass diese Daten dem Bürger einfach zur Verfügung gestellt werden. Daher versprechen wir uns einen proaktiven Ansatz. Wir zeigen auf, welche Daten vorhanden sind. Die Lkw-Maut ist eben angesprochen worden. Als Mitglied des Verkehrsausschusses kann ich sagen: Auch diesbezüglich hat die Große Koalition nicht zuletzt auf unsere Initiative hin gehandelt. Wir haben gesagt: Wir wollen diese Daten anonymisiert, aber frei verfügbar halten, um Verkehrsflüsse entsprechend zu gestalten. Die Wertschöpfung durch Open Data nennt die Technologiestiftung Berlin „Digitales Gold“. Wenn wir uns an dieser Linie orientieren, können wir sagen: Alles, was nicht geheim ist, muss öffentlich sein. Mit Open Data schaffen wir so neue Geschäftsfelder, neue Anwendungen. Die Wertschöpfung wird auf allen Ebenen stattfinden, weil wir dann auch die durch die öffentliche Verwaltung und alle weiteren Beteiligten erhobenen Daten zur Nutzung bereitstellen. Darin sehen wir die weitere Entwicklung des Industriestandorts Deutschland, die wir auf den Weg bringen wollen. Unser wirtschaftlicher Erfolg wird zukünftig noch viel stärker von der Verfügbarmachung dieser Daten abhängen. Die Linie ist aufgezeigt. Wir wollen nicht, dass irgendjemand diese Daten zur Verfügung stellt – ich glaube, das ist in dem Prozess sehr wichtig –, sondern wir wollen, dass diese Daten durch öffentliche Institutionen zur Verfügung gestellt werden, nicht durch private Dritte oder irgendwelche Datenkraken, sondern wir als Staat müssen diese Daten zur Verfügung stellen. Manche Bundesländer sind dem guten Beispiel, das wir auf Bundesebene gegeben haben, gefolgt und haben eigene Gesetze verabschiedet. Ich glaube – das sage ich für die SPD-Fraktion sehr deutlich –, dass man, nachdem wir 2004/2005 mit dem von Rot-Grün vorgelegten Gesetzentwurf etwas sehr Ordentliches vorgelegt haben, auf diesem Gebiet weiter vorgehen darf und muss. Wir versprechen uns viel von dem Open-Data-Ansatz, zu dem seitens der Regierung nun etwas vorzulegen ist, weil wir das im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir müssen irgendwann aber auch dazu kommen, die einzelnen Informations- und Freiheitsgesetze sowie die in weiteren Gesetzen enthaltenen Rechte, zum Beispiel hinsichtlich der Umweltinformationen, zusammenführen. Auch das ist etwas, was wir 2013 eingefordert haben. Wir glauben, dass dieser Schritt zu gehen ist, und wir versprechen uns davon, dass wir das zukünftig mit dem Koalitionspartner noch deutlich nicht nur proaktiver, sondern progressiver machen können, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Die Open-Data-Charta der G-8-Staaten ist angesprochen worden. Ich erinnere allerdings daran – da gucke ich einmal den Koalitionspartner an –, dass wir dies gemeinsam gefordert und gemeinsam beschlossen haben. Es ist nicht eine alleinige Initiative der CDU/CSU-Fraktion. Da haben wir sehr deutlich gesagt, dass offene Daten als Standard die Grundlage des weiteren Handelns sind. Open Data ist die Maßgabe, wenn wir zum Beispiel über Prozesse wie EGovernment reden, dass wir das, was wir an Daten verfügbar haben, auch entsprechend dieser Charta nutzen, wie es andere Industriestaaten und moderne Gesellschaften in Europa auch tun. Das wird die höchste Maßgabe sein, die wir dann entsprechend in Deutschland auch bringen werden. Die SPD drängt daher entsprechend dem Koalitionsvertrag auf zügige Umsetzung. Die Legislaturperiode dauert noch an. Wir sind bereit dazu, hier zu handeln, und ich darf die Bundesregierung zitieren, die auf eine Kleine Anfrage gesagt hat: Mit Blick auf traditionelle Verwaltungsstrukturen bedarf es eines weiter voranschreitenden Wandels im Denken und Handeln, um den Prinzipien eines offenen, transparenten Staates zu genügen. Dem ist doch wenig hinzuzufügen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Lassen Sie es uns anpacken! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Kollege Hartmann. – Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU, Augsburg. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Informationsfreiheitsgesetz ist zehn Jahre alt und hat in der Tat einen wichtigen und richtigen Paradigmenwechsel eingeleitet. Es hat dafür gesorgt, dass Bürger die Möglichkeit haben, ohne ein rechtliches Interesse vorbringen zu müssen, Zugang zu staatlichen Informationen zu bekommen. Damit ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgedreht worden. Hat es bis 2005 noch geheißen, grundsätzlich ist alles vertraulich, und nur in einigen Ausnahmen hat man Zugang zu Informationen, so ist dies umgedreht worden. Jetzt ist dem Grunde nach zunächst einmal alles offen und für denjenigen, der es bekommen möchte, erreichbar, und nur in Ausnahmefällen kann die Information versagt werden. Ich meine, dass zehn Jahre Informationsfreiheitsgesetz dazu beigetragen haben, dass die Bürger Vertrauen in diesen Staat festigen, weil er offen und transparent ist. (Beifall des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Diese Informationsgeschichte sollten wir auf alle Fälle würdigen. Dennoch können wir diesem Antrag heute nicht Folge leisten. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wusste ich doch, dass das kommt!) Das liegt darin begründet, dass er in einigen Punkten gut gemeint ist; aber er ist eben in einigen Aspekten nicht gut gemacht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es besser!) Ich darf zunächst einmal auf die Frage der Ausnahmetatbestände kommen. Der Schutz öffentlicher Belange ist ein hohes Gut, wenn es um die interpersonellen Beziehungen, um Fragen der inneren und äußeren Sicherheit, aber auch um laufende Gerichtsverfahren geht, und es ist richtig, dass Vertrauliches auch vertraulich bleiben muss, damit der Staat in diesem Bereich handlungsfähig ist. Davon sollten und dürfen wir keine Ausnahme machen. Wir dürfen auch keine Ausnahme bei Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen machen, weil die Regelung, so wie sie derzeit im Gesetz steht, die richtige ist. Sie sagt nämlich: Wenn derjenige, der Inhaber des Geheimnisses ist, der Veröffentlichung zustimmt, kann die Information herausgegeben werden, wenn nicht, muss es geheim bleiben. Warum? Weil Grundrechte betroffen sind, weil es um Eigentumsgrundrechte von Dritten geht und weil wir bei der Frage der Informationsgewinnung letzten Endes auch diese Grundrechte gegeneinander abwägen müssen. Wir dürfen die berechtigten Interessen Dritter nicht ohne Weiteres bloßstellen. Deswegen sind die jetzigen Regelungen die richtigen, und wenn Sie sagen, es gebe zu wenig Informationen, die durch den Staat preisgegeben würden, dann darf ich Ihnen zurufen, dass auch das jetzige Gesetz bereits eine Rechtsweggarantie vorsieht. Wenn jemand, der gerne eine Information hätte, diese aber nicht bekommt, der Ansicht ist, dass dies widerrechtlich ist, dann kann er den Klageweg beschreiten. Ich glaube, das ist das richtige Verfahren. Wir werden an diesem Verfahren festhalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der zweite Punkt betrifft die Frage der Gebührenfreiheit. Bereits jetzt sind einfache Anfragen gebührenfrei bzw. können gebührenfrei gestellt werden. Sie müssen aber auch sehen, dass im Bereich des Bundes Tätigkeiten der Behörden zunächst einmal dem Kostendeckungsprinzip unterliegen und damit staatliches und Verwaltungshandeln nicht allein zum Nulltarif angeboten werden kann. Vielmehr wird die spezifische Arbeit von vielen Stunden zum Teil durch die Gebühren vergütet. Deswegen ist es richtig, dass für besonders komplizierte Auskünfte maßvolle Gebühren erhoben werden; zudem sind diese Gebühren durch die Gebührenordnung des Bundes gedeckelt. Deswegen ist es ein bisschen populistisch, zu sagen: Wir geben die Informationen preis, ohne dafür Gebühren zu verlangen. – Ich glaube, so wie es in allen anderen Rechtsordnungen des Bundes ein Kostendeckungs- und ein Gebührenprinzip gibt, sollten wir auch hier daran festhalten. Zuletzt schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass es um Kontrolle staatlichen Handelns geht. Da haben Sie zum Teil nicht unrecht. Nur ein Bürger, der informiert ist, kann Rechte wahrnehmen und sich selbst so fortbilden, dass er sich in den politischen Prozess einbringen kann. Wir sollten aber nicht den Fehler machen, Dinge zu verwechseln, die in keinem Zusammenhang stehen. Die Kontrolle von Verwaltungshandeln obliegt zunächst einmal der Verwaltung selbst durch die Gesetzesbindung der Verwaltung. Sie obliegt der Rechts- und der Fachaufsicht, und sie obliegt letzten Endes auch der politischen Verantwortung von gewählten oder ernannten Vertretern. Deswegen ist die Kontrolle staatlichen Handelns nicht eine Aufgabe, die man allein durch ein Informationsfreiheitsgesetz bewerkstelligen kann. Dies ist vielmehr eine umfassende Aufgabe. Deswegen sagen wir: Das entsprechende Gesetz ist nur ein Mosaikstein, aber nicht die Quelle der Kontrolle staatlichen Handelns. Meine Damen und Herren, wir werden, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben, das Informationsfreiheitsgesetz und damit die Fragen der Transparenz und der Informationsfreiheit sehr sorgsam fortentwickeln. Wir werden bei der Fortentwicklung aber auch die Grundrechte und grundlegende Ansprüche des Staates auf den Schutz vertraulicher Informationen nicht vergessen. Wir werden klug abwägen und eine Lösung finden, mit der wir, glaube ich, in diesem Hause leben können. In diesem Sinne werden wir Ihren Antrag ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Saskia Esken von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Saskia Esken (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Titel nach will der Antrag der Linken, dass wir ein umfassendes Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz schaffen. Im Kern geht es im Antrag also darum, Handeln und Daten von Politik und öffentlicher Verwaltung so weit wie möglich offen und transparent zu machen. Als Zielsetzung können wir das nur befürworten. In einem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion aus dem Jahr 2013 – da waren wir noch in der Opposition – heißt es – ich muss mich bei allen Gästen auf der Tribüne dafür entschuldigen, dass das so gedrechselt klingt –: Transparenz ist konstitutiv für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Transparenz stärkt die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger, erleichtert Planungsentscheidungen, wirkt Staatsverdrossenheit entgegen und erschwert Manipulationen und Korruption. Anders gesagt: Wenn alle draufschauen können, dann wächst die Qualität staatlichen Handelns und damit dessen Akzeptanz. Ich will gerne etwas zu unserer Motivation sagen, das Informationsfreiheitsgesetz, das Umweltinformationsgesetz und das Verbraucherinformationsgesetz zusammenzuführen und zu einem Transparenzgesetz weiterzuentwickeln, wie wir es 2013 bereits beantragt haben. Nach dem 2005 von Rot-Grün initiierten und beschlossenen Informationsfreiheitsgesetz sind öffentliche Verwaltungen – so viel zur Information – verpflichtet, einem Antragsteller Akten und Daten zugänglich zu machen – von einigen Ausnahmetatbeständen einmal abgesehen. Dieses Gesetz war ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung. Aber man ist, wie so oft im Leben, im ersten Anlauf zu kurz gesprungen. Zehn Jahre später könnte man schon über eine Novelle nachdenken. Dieses Recht der Bürger auf Akteneinsicht auf Antrag ist für die Bürgerin und den Bürger aufwendig – womöglich auch gebührenpflichtig –, für die Verwaltung erst recht. Denn sie prüft erst einmal, ob nicht ein Ausnahmetatbestand vorliegt, die Daten also aus einem der zahlreichen Gründe schützenswert sind. Erst wenn es sich gar nicht abwenden lässt, gibt sie sie heraus. Wenn ein halbes Jahr später noch einmal jemand danach fragt, dann geht die ganze Prüfung wieder von vorne los. Nein, dieser kastrierte Rechtsanspruch ist nicht der Weisheit letzter Schluss; das muss man einräumen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch wir wollen deshalb dieses Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Informationsherausgabe weiterentwickeln. Wir wollen, dass die Verwaltung ihr Wissen nicht auf Anfrage, sondern proaktiv, also von sich aus, öffentlich macht, sodass jeder und jede darauf zugreifen kann, und zwar lesbar für Menschen und für Maschinen. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf offene Daten, auf Open Data. Das ist für die Öffentlichkeit, die keinen Antrag mehr stellen muss, besser. Es ist aber auch für die Verwaltung viel einfacher. Denn sie muss nur einmal überlegen: Eignet sich diese Information zur Veröffentlichung, oder unterliegt sie einem Ausnahmetatbestand, zum Beispiel dem Datenschutz? – Wenn nicht, dann raus damit! Wer weiß, wer etwas damit anfangen kann. Wenn mit der neuen Offenheit, mit dem Zugang zum Wissen der Verwaltung dann noch ein bisschen geworben wird, entstehen aus diesem Wissen vielleicht ganz neue, richtig nützliche Sachen: ein Stadtplan, der Pollenkonzentrationen anzeigt, oder eine Zusammenführung der Wartelisten aller Kitas in einem Bezirk. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt – ebenso wenig wie dem gesellschaftlichen Mehrwert. Wir konnten uns mit dem Koalitionspartner zwar nicht auf die in unseren Augen durchaus notwendige Zusammenführung der Informationsgesetze einigen. Ein Open-Data-Gesetz ist dagegen durchaus Inhalt des Koalitionsvertrages. Mit der Ankündigung der Bundesregierung, der Open Government Partnership – einem Verein von Ländern, die sich der Offenheit und Transparenz in Regierung und Verwaltung verschrieben haben – beitreten zu wollen, ist ja ein erster Schritt gemacht. Der Antrag der Fraktion Die Linke verfolgt also ein zwar durchaus begrüßenswertes Anliegen. In der Ausgestaltung ist er aber leider – das haben auch andere schon gesagt – eher dünn. Ja, er nennt alle Schwächen des bestehenden Gesetzes. Er macht aber nicht wirklich konkrete Vorschläge zu deren Behebung. In seiner Kürze wird der Antrag der Komplexität der Materie nicht gerecht. Wir können dem Antrag Ihrer Fraktion deswegen leider nicht zustimmen. Stattdessen freuen wir uns jetzt auf den Beitritt Deutschlands zur Open Government Partnership, und wir freuen uns darauf, einen Gesetzentwurf des zuständigen Ministeriums des Innern für ein Open-Data-Gesetz noch in dieser Legislaturperiode beraten zu dürfen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Wir laden die antragstellende Fraktion ebenso wie die Grünen dazu ein, diesen Gesetzentwurf dann konstruktiv mit uns zu beraten und als weiteren Schritt in die richtige Richtung am Ende einfach zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7709 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung (Investmentsteuerreformgesetz – InvStRefG) Drucksachen 18/8045, 18/8345, 18/8461 Nr. 1.6 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/8739 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/8741 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Fritz Güntzler von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute eine grundlegende Reform der Investmentbesteuerung. Dieses Thema hat uns lange beschäftigt. Bereits im Jahre 2012 hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein Ergebnis vorgelegt. Dann gab es ein Gutachten über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen Investmentbesteuerungsreform durch Copenhagen Economics. Wir hatten zwei Diskussionsentwürfe: den Referentenentwurf und den Regierungsentwurf. Wir haben immer umfassend diskutiert. Der Gesetzentwurf wurde, wie ich finde, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens kontinuierlich verbessert. Wir sind also einen langen Weg gegangen, der sich meines Erachtens aber gelohnt hat. Der Grundsatz „Sorgfalt vor Eile“ wurde hier eingehalten. Es handelt sich also nicht um einen Schnellschuss. Dennoch will ich schon jetzt sagen: Wir werden uns ansehen müssen, wie die gesetzlichen Gegebenheiten, die wir hier beschließen, wirken und ob alles so zielgenau ist, wie wir uns das vorstellen. Ich glaube aber, wir sind hier auf einem guten Weg. Jedenfalls haben wir breite Zustimmung aller bisherigen Rechtsanwender erfahren. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein gutes Zeichen!) Ich finde es auch sehr gut, wie ernsthaft wir uns in der Anhörung und in einem informellen nichtöffentlichen Fachgespräch im Ausschuss diesem Thema gewidmet haben. Das ist ja nicht ganz einfach. Ich habe schon im Ausschuss gesagt, dass das Steuerrecht für Feinschmecker ist. Nicht allen passen die Zutaten, wie ich von Herrn Pitterle erfahren habe, aber, um im Bild zu bleiben, es ist angerichtet. Warum regeln wir die Investmentbesteuerung neu? Erstens. Das wesentliche Ziel ist, dass wir ein europarechtskonformes Recht bekommen und die europarechtlichen Risiken ausgeräumt werden. Derzeit ist es so, dass die inländischen und die ausländischen Fonds ungleich besteuert werden. Da gibt es ein gewisses Risiko, weil die inländischen Fonds steuerbefreit und die ausländischen Fonds durch die Kapitalertragsteuer belastet sind. Wir wissen nicht, ob das aufgegriffen werden könnte. Hier ist die Frage der Kohärenz zu beantworten. Dabei muss in den Blick genommen werden, dass wir auf der Anlegerebene ja eine weitere Besteuerung vornehmen. Das Risiko jedoch, dass man damit vor dem Europäischen Gerichtshof verliert, ist sehr groß. Das würde bedeuten, dass Milliardenforderungen auf den deutschen Fiskus zukommen könnten. Von daher ist es wichtig, dass wir hier handeln. Zweitens. Wir wollen Steuergestaltungen verhindern und das Gestaltungspotenzial, das dem Investmentsteuerrecht derzeit immanent ist, senken. Daneben wollen wir das Investmentsteuerrecht vereinfachen, da der Administrationsaufwand derzeit sehr hoch ist. Für die Betriebsprüfung ist es nicht einfach, entsprechende Prüfungen durchzuführen. Allein über 30 Besteuerungsmerkmale sind zu erfassen, um die Besteuerung eines Publikumsfonds durchzuführen. Drittens. Daneben wollen wir das Investmentsteuerrecht im Ergebnis verständlicher machen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das in allen Teilen gelungen ist; denn es bleibt nach wie vor kompliziert. (Heiterkeit des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Neben dem originären Investmentsteuerrecht beschäftigen wir uns auch mit den Cum/Cum-Geschäften. Darauf komme ich gleich noch. Im Investmentsteuerrecht werden wir jetzt zwei verschiedene Regime einführen. Bei den sogenannten Publikumsfonds wird es eine Abkehr vom transparenten Verfahren hin zum intransparenten Verfahren geben. Die Belastung auf Fondsebene wird 15 Prozent betragen. Damit der Anleger nicht zusätzlich belastet wird, werden je nach Kategorie des Fonds – es kommt darauf an, ob es ein Aktienfonds, ein Immobilienfonds oder ein Mischfonds ist – unterschiedliche Freistellungen gewährt, sodass wir zur gleichen Belastung kommen werden, wie sie jetzt gegeben ist. Auch hier werden wir uns den Ablauf genau ansehen und prüfen müssen, ob die Freistellungsquoten, die wir dort gefunden haben, zielführend sind. Bei den Spezialfonds bleiben wir beim bisherigen Recht. Das kann man auch machen. Das ist auch einfacher zu administrieren, weil es bei den Spezialfonds höchstens 100 Anleger und in Zukunft auch keine natürlichen Personen als Anleger mehr geben darf. Von den Linken ist im Ausschuss vorgetragen worden – Herr Pitterle wird das gleich wahrscheinlich wieder tun –, dass die Tatsache, dass es zwei Regime geben wird, dazu führen könnte, dass es zu entsprechenden Gestaltungen kommt. Diese sollten Sie in Ihrer Rede dann bitte auch einmal genau beschreiben. Ich habe vergeblich versucht, mir vorzustellen, wo wirklich große Unterschiede sein könnten. Das können Sie hier dann ja ausführen, statt nur allgemeine Zweifel zu benennen. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren ganz zum Schluss noch einige Veränderungen vorgenommen. Ich glaube, eine wichtige Veränderung war, dass es in Zukunft bei Immobilienfonds die Spekulationsfrist, die es beim Privatvermögen und beim Immobilienvermögen gibt – es geht um die Steuerfreiheit nach zehn Jahren Behaltensfrist –, nicht mehr geben wird. Wir werden durch eine gesetzliche Änderung aber gewährleisten, dass die stillen Reserven, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 31. Dezember 2017 entstanden sind, steuerfrei gestellt werden. Ich glaube, es ist nur gerecht, dass wir nicht nachträglich etwas besteuern. Daneben haben wir die Möglichkeiten der Spezialfonds durch einen weiteren Verweis in ihren Anlagebedingungen ausgeweitet, aber nicht so weit, dass es dort zu steuerlichem Missbrauch kommen könnte, wie auch das von den Linken wieder vermutet wurde. Das könnten Sie hier dann ja auch noch einmal konkretisieren, sodass wir das dann zur Kenntnis nehmen können. Ein zweiter Punkt neben dem originären Investmentsteuerrecht ist die Bekämpfung der sogenannten Cum/Cum-Geschäfte. Was sind Cum/Cum-Geschäfte? Im Ergebnis kommt es zu einer unberechtigten Erstattung der Kapitalertragsteuer. Ich nenne ein einfaches Beispiel: Ein ausländischer Aktionär hat letztendlich eine Definitivbelastung durch seine Kapitalertragsteuer. Er bringt die Aktie kurz vor der Dividendenausschüttung ins Inland. Dem dortigen Halter wird die Kapitalertragsteuer, die er auf die Dividende zahlen muss, erstattet. Den sich daraus ergebenden entsprechenden Vorteil – meistens sind es 15 Prozent – wird man sich dann irgendwie teilen. Wir schieben diesen Gestaltungen – ob sie nun illegitim oder illegal sind – einen Riegel vor, sodass das nicht mehr stattfinden kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist ein ganz wichtiger Punkt!) Ich bin auch froh, dass wir diese Regelung im Finanzausschuss, wenn ich das richtig gesehen habe, einstimmig beschlossen haben. Es wird so sein, dass der Aktionär eine Mindesthaltedauer einhalten muss. Also 45 Tage vor dem Bilanzstichtag und 45 Tage nach dem Bilanzstichtag muss er wirtschaftlicher Eigentümer sein. Was auch wichtig ist: Er muss ein Mindestwertveränderungsrisiko von 70 Prozent tragen. Ursprünglich waren im Gesetzentwurf 30 Prozent vorgesehen. Das war uns ein bisschen zu wenig. Deswegen sind wir auf 70 Prozent gegangen. Andere wollten, dass 100 Prozent Risiko getragen würden. Aber das haben wir für wenig praktikabel gehalten. Ich glaube, dass wir hier einen guten Kompromiss gefunden haben. Wir haben die Umgehungsmöglichkeiten aufgegriffen, die es in Konzernstrukturen gibt, und damit sozusagen dafür gesorgt, dass sie bekämpft werden können. Wir haben eine Umkehr der Beweislast eingeführt. Was ich auch wichtig fand: Wir haben den Betrag der nicht anrechenbaren Kapitalertragsteuer auf 15 Prozent reduziert. Im Gesetzentwurf waren 25 Prozent vorgesehen. Das ist keine Vergünstigung, wie man annehmen könnte, sondern wir wollen mit der Missbrauchsbekämpfungsvorschrift den Zustand herstellen, der eingetreten wäre, wenn man keine Gestaltung gewählt hätte. In den meisten Fällen, wie bei dem geschilderten Inlandsfall oder im Fall eines Doppelbesteuerungsabkommens, hat man eben nur eine Kapitalertragsteuerbelastung von 15 Prozent. Von daher ist auch das richtig. Ansonsten hätten wir für unsere Kreditinstitute einen Wettbewerbsnachteil gehabt. Diesen wollten wir vermeiden. Von daher können wir auch mit dieser Lösung leben. Ich hatte schon gesagt, dass es ein Anliegen aller Fraktionen war, dass wir diese Cum/Cum-Geschäfte stilllegen. Ich bin froh, dass dem alle zugestimmt haben. Ich möchte hier klarstellend sagen, weil uns das in der Anhörung beschäftigt hat, dass wir damit keine Aussage darüber treffen, wie die Cum/Cum-Geschäfte, die bisher gelaufen sind, rechtlich zu beurteilen sind, ob sie illegitim bzw. illegal waren. Vielmehr wollen wir für die Zukunft ganz sichergehen. Alles andere wird anders aufzuarbeiten sein, nämlich durch die Strafverfolgungsbehörden und die Finanzbehörden. Hier ist zu prüfen, ob es sich um Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO oder noch viel schlimmere Dinge handelte. Das wird man sehen. Man muss auch sehen, dass es da sehr unterschiedliche Geschäfte gibt, sodass man das nicht pauschal beurteilen kann. Von daher, glaube ich, ist es gut, dass wir gemeinsam klargestellt haben, dass sich hier keiner damit exkulpieren kann, dass der Gesetzgeber jetzt etwas gemacht hat. Wir erleben derzeit bei den Cum/Ex-Geschäften, dass mit einer Gesetzesbegründung versucht wird, etwas zu legitimieren, was wohl definitiv illegal war. Das kann man hinsichtlich der Cum/Ex-Geschäfte wohl schon feststellen. Wir haben auch vereinbart, dass wir uns die beschränkte Steuerpflicht für die sogenannten Kompensationszahlungen bei einer Wertpapierleihe genauer ansehen. Wir hätten gerne schon jetzt eine Regelung umgesetzt. Aber dabei sind noch einige steuerrechtliche Fallstricke zu beachten. Von daher haben wir uns das auf die Agenda gesetzt und die Bundesregierung gebeten, zügig und zeitnah einen Vorschlag zu machen, um diesen § 36a des Einkommensteuergesetzes noch weiter zu ergänzen und das Netz so eng zu machen, dass es solche Gestaltungen nicht mehr geben kann. Daran wird deutlich, dass wir alle sehr dabei sind, nichtgewollte Steuergestaltungen zu verhindern. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können heute ein gutes Gesetz beschließen. Ich bedauere, dass ich die Restzweifel von Herrn Pitterle noch nicht ausräumen konnte, wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig deute. (Heiterkeit des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]) Aber vielleicht gibt es ja doch noch einen Ruck, sodass Sie zustimmen können. Wie gesagt, es ist ein gutes Gesetz. Ich sage aber auch: Wir werden genau hinschauen, wie die Rechtsanwender mit diesem Gesetz umgehen. Wenn es dort Probleme gibt, wenn es Dinge gibt, die wir nicht wollen, werden wir schnell nachjustieren; denn wir wollen in Deutschland eine gerechte Besteuerung. Dafür steht die CDU/CSU, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die SPD auch! – Christine Lambrecht [SPD]: Die SPD sowieso!) und die SPD sowieso. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ganz herzlichen Dank. – Als nächster Redner hat Richard Pitterle von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Richard Pitterle (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Lieber Herr Güntzler, Sie haben angeregt, dass ich Ihnen in fünf Minuten das erkläre, was Fachleute in zwei Stunden nicht haben erklären können. (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Haben Sie es denn verstanden?) Deswegen lasse ich das und halte mich an mein Konzept. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU –Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das ist sicher!) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Investmentbesteuerung haben Sie vor allem drei Ziele verfolgt. Sie wollten die EU-rechtlichen Risiken beseitigen, eine Steuervereinfachung schaffen und die Gestaltungsanfälligkeit reduzieren. Nach Anhörung und zusätzlichem Fachgespräch bezweifle ich, dass Sie eines der drei genannten Ziele erreicht haben. Kollege Güntzler hat uns hier wieder einmal erklärt, die Investmentbesteuerung sei so etwas wie eine Steuer für Feinschmecker. – Genau das ist der Kern des Problems. Wir brauchen im Steuerrecht endlich Hausmannskost und keine Haute Cuisine. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Damen und Herren der Regierungskoalition, die EU-Risiken beseitigen Sie zwar an einer Stelle, auch wenn die Sachverständigen die Notwendigkeit dieser Regelung in Zweifel gezogen haben, aber Sie schaffen an einer anderen Stelle durch die Beibehaltung der Fondsprivilegien nach dem Systemwechsel bei der Besteuerung von Publikumsfonds neue unionsrechtliche Risiken, da unklar ist, ob die Regelung mit dem europäischen Beihilferecht vereinbar ist. Zum Thema „Vereinfachung und weniger Anfälligkeit für Steuergestaltungen“: Sie haben uns eine Steuervereinfachung versprochen, aber das Versprechen nicht gehalten. (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!) Uns allen ist bekannt, dass mit der Komplexität des Steuerrechts die Attraktivität für Steuergestaltung steigt. Ein paar bekannte Gestaltungsmodelle werden zwar eingedämmt, aber dafür werden zahlreiche neue Möglichkeiten geschaffen. Selbst bei den bekannten Modellen sind Sie nicht alle angegangen. Als Beispiel sei hier nur auf die versäumte Beseitigung der Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitz hingewiesen. Sie haben es tatsächlich geschafft, die Investmentbesteuerung noch komplizierter als bisher zu machen. (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das ist aber eine kühne These!) Herzlichen Glückwunsch dazu! Die Meinung der von uns gehörten Fachleute ist, dass das Gesetz, das Sie hier heute feiern und verabschieden werden, zu weiteren Steuergestaltungen zum Nachteil des Fiskus geradezu einlädt. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch abenteuerlich!) In Zukunft gibt es durch zwei Besteuerungssysteme für Investmentvermögen eine zusätzliche Wahlmöglichkeit. Beide Systeme haben ihre steuerlichen Vor- und Nachteile. (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Welche denn?) Es sind diese Vor- und Nachteile, die von hochbezahlten Beratern abgewogen und für ihre gut betuchte Klientel zur Steuerminimierung auf Maß zurechtgeschnitten und ausgenutzt werden. Die Schwachstellen des Gesetzes sind schon längst auf den Radarschirmen der Beratungsindustrie, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die heißen alle Pitterle, oder wie?) die schon das nächste Steuervermeidungspaket schnürt. Und wieder einmal ist das alles dank der Großen Koalition legal. Steuergewinne für Feinschmecker eben. Ich weiß, dass die Finanzbeamtinnen und Finanzbeamten mit großem Fachwissen und persönlichem Einsatz jeden Tag ihr Bestes geben. Aber es fehlt an allen Ecken und Enden an Personal und Sachmitteln, um es mit einer Beraterbranche aufzunehmen, die keine Kosten und Mühen scheuen muss, um auch noch den letzten Euro Steuern zu sparen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das können Sie im Landtag erzählen!) Steuern sollen Geldleistungen ohne Gegenleistung sein, die dem Staat Einnahmen verschaffen und allen auferlegt sind. Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, dass diejenigen, die viel haben, auch viel zum Gemeinwesen beitragen. Punkt. (Beifall bei der LINKEN) Die Komplexität des Steuerrechts verhindert das. Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu Cum/Cum-Geschäften sagen. Wir wissen nicht erst seit dem Untersuchungsausschuss Cum/Ex, dass Geschäfte um den Dividendenstichtag schon seit Jahrzehnten zum Schaden des Staates stattfinden. Daher haben wir als Linke in den Beratungen die unterbreitete Regelung zu Cum/Cum-Gestaltungen unterstützt, auch wenn sie uns nicht weitgehend genug war. Wir bedauern, dass sich die Koalition nicht durchringen konnte, als Bedingung für eine Steuererstattung eine vollständige Risikoübernahme festzulegen, deren Vollzug für die Finanzbehörden auch besser zu handhaben wäre. Trotz der Regelung zu Cum/Cum, die wir begrüßen, werden wir das Gesetz als Ganzes ablehnen, (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Oh!) weil zu einem Gesetz, das weiterhin die Anfälligkeit für Steuergestaltungen zulässt, einem Gesetz, das die notwendige Reform der Kapitaleinkommensbesteuerung nicht angeht, eine Enthaltung nicht gerechtfertigt ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Lothar Binding von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Lieber Richard Pitterle, das Gesetz ist objektiv sehr kompliziert – darauf werde ich noch einmal zurückkommen –, aber dass wir es komplizierter gemacht haben, als es die Wirklichkeit erfordert, das ist falsch. Und die Wirklichkeit ist im Verlauf der letzten 150 Jahre auch deshalb dermaßen komplex geworden, weil sich die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger komplex gestalten. Die haben ja ein Interesse, in gewisse Investmentfonds zu investieren. Daraus folgt hohe Komplexität. Deshalb können wir nicht immer ganz einfache Gesetze machen. Ich denke, das muss man verstehen. Bevor ich gleich zu meiner eigentlichen Rede kommen werde, möchte ich erst einmal Herrn Dr. Meister zum Geburtstag gratulieren. Er hat nämlich heute Geburtstag. (Beifall) Wir schenken ihm dann die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf, an dem Sie, Herr Dr. Meister, sehr stark beteiligt sind, übrigens auch Ihr Haus und die entsprechenden Abteilungen. Wir glauben, sie haben eine exzellente Arbeit gemacht. Übrigens auch die Mitarbeiter bei uns – also in meinem Fall Herr Steininger – und die Kollegen bei Ihnen. Die hatten richtig viel Arbeit. Sie mussten den komplexen Gesetzentwurf erst einmal durchdringen, um ihn auf ein Niveau zu heben, auf dem wir ihn dann politisch bearbeiten können. Das ist keine ganz leichte Angelegenheit. Deshalb danke ich auch den Berichterstatterkollegen. Das war, glaube ich, eine sehr gute Arbeit. Was ist eigentlich ein Investmentfonds? Ich habe ein paar Mitarbeiter gefragt. Sie haben gesagt: Davon habe ich schon mal gehört. Eigentlich ist ein Investmentfonds ein Topf, in den viele kleine Leute, wie man so sagt – wir meinen damit Leute mit niedrigem Einkommen –, einen kleineren Betrag geben können. Das Geld wird in diesem Topf gesammelt, und mit dem gesammelten Geld können dann Fachleute eine große Investition tätigen, zum Beispiel bei Daimler, Coca-Cola oder wo immer man möchte. Deshalb, weil man sein Geld Fachleuten gibt, denkt man, das ist gut. Man sollte aber immer daran denken: Wenn ich mein Geld weggebe, habe ich das Risiko, während jemand anders das Geld hat. Es sind zwar Fachleute, nämlich Fondsmanager; man muss aber wissen: Mit der höheren Ertragserwartung geht auch ein höheres Risiko einher. Das muss sich jeder überlegen. Die Idee vor 150 Jahren war jedenfalls: Viele kleine Leute geben Geld, damit sie bei Großen investieren können. Das war eine gute Idee. Inzwischen gibt es Immobilienfonds. Mit denen kann man in Gewerbeimmobilien investieren wie Bürogebäude, Hotels und Einkaufszentren. Es gibt auch nachhaltige Fonds, mit denen man in soziale und ökologische Projekte investieren kann. Und es gibt Rentenfonds. An denen sind viele beteiligt – vielleicht auch einige der Anwesenden –, die gar nicht wissen, dass sie daran beteiligt sind. Wir geben jedenfalls unser Geld an Geldsammelstellen, damit es angelegt wird. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Dabei spielen Fonds eine wichtige Rolle. Es gibt des Weiteren Aktienfonds, es gibt Mischfonds, die alles kombinieren, es gibt auch Garantiefonds, bei denen man davon ausgeht, dass es eine garantierte Auszahlung gibt. Ich will damit sagen: Es sind extrem viele Bürgerinnen und Bürger beteiligt, und eigentlich sollten sie verstehen, was im Gesetzentwurf steht. Aber ich behaupte, dass selbst die einfachen Formulierungen, an die wir uns gewöhnt haben, nicht verständlich sind. Ich zitiere aus § 18, um eine kleine Kostprobe zu geben: Die Vorabpauschale – das ist ein wichtiger Begriff – ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahres den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten. Der Basisertrag wird ermittelt durch Multiplikation des Rücknahmepreises des Investmentanteils zu Beginn des Kalenderjahres mit 70 Prozent des Basiszinses nach § 203 Absatz 2 des Bewertungsgesetzes. Der Basisertrag ist auf den Mehrbetrag begrenzt, der sich zwischen dem ersten und dem letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis zuzüglich der Ausschüttungen innerhalb des Kalenderjahres ergibt. Ich denke, bis hierhin ist jetzt alles klar. Jetzt kommt aber noch ein kleiner Appendix: Wird kein Rücknahmepreis festgesetzt, so tritt der Börsen- oder Marktpreis an die Stelle des Rücknahmepreises. Ich glaube, Ihnen ist jetzt klar, worum es in dem Gesetzentwurf geht. Man merkt: Selbst einfache Formulierungen nur mit deutschen Wörtern sind so komplex, dass ich jetzt gewissermaßen große Mühe habe, das in den vier Minuten Redezeit, die ich habe, verständlich zu machen. Wir sehen aber auch: Hinsichtlich der sprachlichen Möglichkeiten haben wir nicht alles ausgenutzt. Deshalb will ich noch einmal an einen Punkt erinnern, den wir seit ein paar Jahren im Blick haben, aber nicht regelmäßig verfolgen. Wir werden ja von der Gesellschaft für deutsche Sprache dabei unterstützt, die Gesetzgebungssprache zu vereinfachen. Dummerweise war unsere Fristenplanung so, dass wir Frau Hallik wieder nicht in Anspruch nehmen konnten. Dies war aufgrund unserer Zeitplanung nicht mehr möglich. Das ist sehr schade. Wir sollten uns wieder verstärkt dieser Gesellschaft bedienen, um die Gesetzessprache zu vereinfachen. Das Ziel der Investmentsteuerreform, die wir heute beschließen wollen, ist – das wurde schon gesagt – erstens die Vereinfachung. Dabei merkt man: Die Welt ist noch komplizierter, als wir sie jetzt beschreiben. Wir wollen sie zweitens europarechtskonform und damit rechtssicher machen, und wir wollen sie drittens aufkommensneutral machen. Das heißt immer: nicht mehr Steuern erheben als zuvor. Das, was wir uns vorgenommen haben, haben wir hier nun erreicht: Wir machen die Investmentbesteuerung gerechter, einfacher und europarechtskonform, ohne mehr Steuern einzunehmen. Das ist nicht immer ganz leicht. Viele kleine Leute geben ihr Geld ja in Fonds, in denen dann richtig viel Geld ist. Oft ist es auch so, dass die Fondsmanager davon mehr als profitieren. Deshalb muss man aufpassen, dass es dabei gerecht zugeht, und deshalb ist es auch klug, darauf zu achten, wie das besteuert wird. Ich hätte manchmal auch gerne ein paar mehr Steuern, (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das ist bei euch in den Genen!) aber das können wir in einem anderen Kontext diskutieren. Am wichtigsten für uns war, Schlupflöcher zu schließen. Ich bekomme viel Post. Darin steht insbesondere seit den Panama Papers drin: Macht etwas! Immer wieder entdecken die Leute Schlupflöcher. – Ich muss denen, die mir schreiben, sagen: Auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes wird es Schlupflöcher geben. Die kennen wir noch gar nicht. Deshalb müssen wir aufpassen, sie entdecken und sie dann schließen. Beim Spezialfonds bleibt im Prinzip alles, wie es ist. Hinsichtlich des Publikumsfonds möchte ich Folgendes sagen: Wenn jemand als Deutscher einem solchen Fonds Geld gibt und dann eine Dividende erhält, wird ihm die gezahlte Steuer angerechnet. Wenn der Betreffende aber Ausländer ist, erhält er die gezahlte Steuer nicht zurück. Das ist europarechtswidrig; denn der Ausländer wird schlechter behandelt als der Inländer. Es gibt auch Fälle, in denen es umgekehrt ist. Jedenfalls mussten wir hier etwas machen. Deshalb führen wir ein neues System ein, das nach dem Prinzip der Intransparenz funktioniert. Ich will zuerst etwas zum Transparenzbegriff sagen. Ein Unternehmen ist transparent, wenn der Finanzminister es nicht sieht. Er schaut quasi durch das Unternehmen hindurch. Weil er es nicht sieht, kann er keine Steuer erheben. Nun machen wir es intransparent. Der Fonds wird vom Fiskus, also von Herrn Dr. Meister, gesehen, der dann sagt: Ich sehe den Fonds; dort gibt es Gewinne. Ich will Steuern! Nun werden auf Fondsebene Steuern erhoben. Wenn der Fonds Dividenden ausschüttet, muss der Anteilseigner noch einmal Steuern zahlen. Hier müssen wir darauf achten, dass es keine Doppelbelastung gibt; denn es soll fair bleiben. Das ist der Hintergrund der Überlegungen. Ich bemerke, dass mir die Präsidentin das Zeichen gibt, zum Ende zu kommen. Das ist sehr schade. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich will zum letzten Punkt kommen. Wir haben uns auf etwas Gutes verständigt. Wir haben im Finanzausschuss sechs protokollarische Erklärungen abgegeben, um in einigen Jahren eine Evaluierung durchzuführen; denn wir können noch nicht genau ermessen, wie das Gesetz hinsichtlich der Gestaltung durch die Bürger funktioniert. Das Wichtigste ist: Häufig entstehen die sogenannten Cum/Cum-Geschäfte durch eine Wertpapierleihe. Wenn die Steuerpflicht mithilfe einer Leihgebühr umgangen wird, dann wollen wir diese Leihgebühr besteuern. Ich glaube, zu diesem Thema wird Andreas Schwarz noch etwas sagen. Insofern kann ich dann an dieser Stelle schließen. Schönen Dank und alles Gute. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Schönen Dank. – Manchmal bedauert es auch die Präsidentin, dass die Redezeit abgelaufen ist. Nichtsdestotrotz muss einmal ein Ende sein. Dr. Gerhard Schick hat als nächster Redner das Wort. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zuerst etwas zu den sogenannten Cum/Cum-Geschäften sagen. Das ist ein Punkt, der an dieses Gesetzesverfahren quasi angehängt wurde, obwohl er eigentlich nicht direkt zur Investmentbesteuerung gehört. Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das man, wenn man den Markt beobachtet, sehr schnell sehen kann. 360 Tage im Jahr – abzüglich der Sonntage – werden etwa gleich viele Aktien gehandelt. Seit Jahrzehnten kann man aber beobachten, dass immer dann, wenn die Dividende ausgezahlt wird, wenn also ein Teil aus dem Ertrag des Unternehmens ausgeschüttet wird, massiv mehr Aktien gehandelt werden. Das ist fast ausschließlich steuergetrieben, und das seit Jahrzehnten. Wir haben es hier mit einer Hydra der Steuergestaltung zu tun. Seit Jahren versucht der Gesetzgeber – genauso wie Herkules –, immer wieder einzelne Köpfe abzuschlagen. Aber egal was er tut, immer wieder taucht dieses Phänomen auf. Das Seltsame ist, dass man im Ministerium jedes Mal aufs Neue überrascht ist, wenn dieses Phänomen auftaucht. Aber es ist schon so, dass diese Geschäfte, die, seit 1978 getätigt, wir heute zu verhindern versuchen, vom Bundesministerium der Finanzen als missbräuchlich und illegal dargestellt worden sind. Heute bemühen wir uns erneut, dieses Loch zu schließen, weil diese Sache immer wieder hochkommt. Im konkreten Fall ist man verwundert, warum man, nachdem die Cum/Ex-Geschäfte geschlossen wurden, nicht nachgeschaut hat, ob es etwas Ähnliches gibt. Damit werden wir uns noch im Untersuchungsausschuss befassen. Es hat zu lange gedauert, bis wir an diesen Kopf der Hydra herangegangen sind. Gut ist zumindest, dass wir als Parlament aufgrund der Veröffentlichungen der Cum/Cum-Geschäfte der Commerzbank genug Druck entwickeln konnten, um den Gesetzentwurf des Ministeriums nachzuschärfen. Wir stimmen dem Teil des Gesetzentwurfs betreffend die Cum/Cum-Geschäfte zu, weil wir hoffen, dass sich damit die bisherige Praxis beschränken lässt. Aber es bleibt die Frage: Warum war der Entwurf des Ministeriums an dieser Stelle so schwach, dass wir ihn deutlich nachschärfen mussten? Warum ist bei der Begründung erneut der Fehler unterlaufen, der schon 2007 gemacht wurde? Das kann man nicht als zufriedenstellend bezeichnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine Sache ist jetzt extrem wichtig, weil wir wissen, dass die Probleme immer wieder von vorne anfangen. Es bedarf jetzt einer gezielten Marktbeobachtung durch das Bundesministerium der Finanzen und die nachgelagerten Behörden, die Finanzaufsicht, das Bundeszentralamt für Steuern und die Finanzverwaltungen der Länder. Diese müssen vom ersten Tag an gezielt schauen, ob dieses Gesetz greift oder ob nachgesteuert werden muss. Wir können es nicht zulassen, dass erneut rein steuergetriebene Geschäfte gemacht werden, mit denen uns allen das Geld aus der Tasche gezogen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Ich will zum Hauptteil noch etwas sagen; die Zeit ist kurz. Die erste Bemerkung ist: Komplexität kann man nicht mit Komplexität bekämpfen. Ein großer Teil der Komplexität, lieber Lothar Binding, kommt nicht daher, dass die Bürgerinnen und Bürger sich ganz komplexe Sachen ausdenken, sondern daher, dass ausgehend von der Komplexität des Gesetzes komplexe Gestaltungen erfolgen, wir wieder mit komplexen Regelungen nachsteuern und daraus noch komplexere Gestaltungen entstehen. (Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Das ist etwas, was wir aus der Finanzaufsicht kennen: Komplexität lässt sich nicht mit Komplexität bekämpfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das ist in der Anhörung sehr deutlich geworden. Das ist unsere Hauptkritik und ist der Grund dafür, weshalb wir diesem Gesetz nicht zustimmen. Obwohl man jetzt seit fünf Jahren an diesem Thema arbeitet, mit langer Vorbereitungszeit, ist es nicht gelungen, die grundlegende Problematik anzugehen; man bleibt vielmehr in der Welt der Investmentbesteuerung. Diese Welt ist deswegen so komplex, weil die zugrundeliegende Besteuerung von Kapitalerträgen bei Veräußerungsgewinnen, bei Dividenden und bei Zinsen so unterschiedlich ist. Man versucht immer wieder, von der einen Einkunftsart etwas in die andere zu schieben, um das Ergebnis optimal zu gestalten. Solange wir bei der Kapitalertragsbesteuerung keine Vereinfachung erreichen, wird man das Problem nicht in den Griff bekommen. Das aber wäre eigentlich die Aufgabe gewesen, die in einem fünfjährigen Gesetzgebungsprozess hätte geleistet werden können und müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es gab keine Lösung, ohne die Start-ups zu gefährden! Das ist die Aufgabe, die hier zu leisten ist!) Es bleiben viele Detailprobleme, die ich aus Zeitmangel nicht ansprechen kann. Eine Grundfrage will ich aber noch nennen. Warum wird die Anlage über Fonds gegenüber der Direktanlage begünstigt? Warum entsteht für den Kleinanleger eine, wenn auch kleine, Mehrbelastung im Vergleich zu anderen Anlegerinnen und Anlegern? Hier sind noch einige Probleme, die Sie nicht überzeugend gelöst haben. Zum Schluss möchte ich mir noch eine persönliche Bemerkung erlauben. Wir haben es hier inzwischen mit einer Komplexität zu tun, bei der ich als Abgeordneter, der sich wirklich mit vielen diesbezüglichen Fragen und intensiv mit diesem Gesetz beschäftigt hat, nicht mehr erfassen kann, was wir da tun. Wir übernehmen Verantwortung in einem Bereich, in dem wir als Gesetzgeber die zugrundeliegende Wirklichkeit und ihre Interaktion mit dem Gesetz nicht mehr durchschauen können. Da muss etwas getan werden. Ich habe den Wissenschaftlichen Dienst um Unterstützung gebeten. Er hat die Segel gestrichen und gesagt: Da können wir Ihnen nicht helfen. Da haben wir keine Expertise. – Ich meine, da müssen wir uns schon fragen, ob wir diese Art von Gesetzgebung verantworten können. Oder: Wie bekommen wir es hin, dass der Gesetzgeber wieder in der Lage ist, die Wirklichkeit zu durchdringen und so zu gestalten, dass Gesetze herauskommen, die im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sind und nicht im Interesse der wenigen Spezialisten, die das, was hier läuft, noch verstehen? Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Herr Kollege Hans Michelbach hat als nächster Redner für die CDU/CSU das Wort. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetz zur Reform der Investmentbesteuerung setzen wir einen weiteren Punkt zur Verbesserung unseres Besteuerungssystems um. Dieses Gesetz ist für mich der klare Beweis, dass es eben keinen Stillstand in unserer Steuergesetzgebung gibt. Wir werden heute die Besteuerung gerechter, einfacher, leichter administrierbar und gestaltungssicherer machen. Das ist ein Erfolg. Das ist generell unser Ziel, und das ist eine Etappe, die wir heute erreichen. Das muss festgehalten werden. (Beifall bei der CDU/CSU) In Deutschland gibt es etwa 50 Millionen Anleger in Investmentfonds. Immerhin 15 Millionen Deutsche besitzen Investmentanteile, viele durch ihre private Altersvorsorge. Wir sprechen hier von einer Größenordnung von etwa 2 Billionen Euro. Das zeigt zum einen die Dimension dieses Gesetzes, zum anderen aber auch die Bedeutung; denn wir leisten damit einen wichtigen Beitrag zu einer sicheren und stabilen Altersvorsorge. Im parlamentarischen Verfahren kam es zu immerhin 24 Änderungsanträgen. Das zeigt zum einen, welch großen Einfluss wir als Parlamentarier, insbesondere unsere Berichterstatter, auf den Gesetzentwurf genommen haben; wir haben ihn verbessert. Zum anderen zeigt das Lob aller Fachleute, dass wir in den parlamentarischen Verfahren offensichtlich vieles richtig gemacht haben, um die vorgegebenen Ziele zu erreichen. Ich möchte mich ausdrücklich auch bei den Mitarbeitern des Bundesfinanzministeriums bedanken. Allen voran danke ich dem Staatssekretär Dr. Michael Meister für die gute Zusammenarbeit. Betrachte es, lieber Michael Meister, geradezu als ein Geburtstagsgeschenk, dass wir diesen Gesetzentwurf heute verabschieden. Herzlichen Glückwunsch an Michael Meister! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ja, wir haben einiges erreicht, worauf wir zu Recht stolz sein können. Ich nenne hier nur kurz etwa das Thema Immobilienfonds. Wir schaffen hier eine Übergangsfrist, in der die Steuerfreiheit von Wertänderungen einer Immobilie bis zur Inkraftsetzung des Gesetzes erweitert wird. Das gilt allerdings nur, wenn zwischen Erwerb und Veräußerung der Immobilie zehn Jahre liegen. Durch das Investmentsteuerreformgesetz werden wir unter Einhaltung von Steuerneutralität auf drei Gebieten wesentliche Verbesserungen erreichen. Zum Ersten auf der rechtlichen Seite. Durch die unterschiedliche Behandlung von in- und ausländischen Fonds und bei der Besteuerung von Dividenden bestehen akute europarechtliche Risiken, die wir mithilfe dieses Gesetzes beseitigen. In Zukunft werden inländische Dividenden bei in- und ausländischen Investmentfonds gleichermaßen auf Fondsebene besteuert. Dadurch schließen wir aus, dass gegen den Fiskus, also den Steuerzahler, Forderungen in Milliardenhöhe geltend gemacht werden können. Als Ausgleich für die Besteuerung auf Fondsebene werden dafür auf der Ebene des Anlegers Teile der Erträge von der Besteuerung freigestellt. Damit wird gesichert, dass es zu keiner Doppelbesteuerung kommt. Zum Zweiten nehmen wir bei Publikumsfonds einen Systemwechsel vor. Wir senken hier durch ein neues Besteuerungssystem die sehr komplexen Anforderungen an Publikumsfonds. Statt wie bisher über 30 Besteuerungsmerkmale abzufragen, werden wir diese auf 4 senken. Dadurch vereinfachen wir im Sinne aller Beteiligten – für die Anleger, für die Steuerzahler und auch für die Finanzverwaltung – die bis heute äußerst aufwendigen sogenannten Massenverfahren. Denn wir senken auf der einen Seite den Aufwand der Wirtschaft zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, auf der anderen Seite verringern wir damit aber auch den Kontrollaufwand der Verwaltung erheblich. Auch damit leisten wir wie schon vor etwa einem Monat, als wir das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens verabschiedet haben, einen weiteren Beitrag zur Entbürokratisierung und Steuervereinfachung in Deutschland. Wir treten damit immer neuen aggressiven Steuergestaltungen entgegen, sodass wir eine gleichmäßige, an der Leistungsfähigkeit orientierte Besteuerung erreichen. Drittens und letztens. Das Gesetz wendet sich an Spezialfonds, also an die institutionellen Anleger, die etwa zwei Drittel aller Anleger ausmachen. Hier ist bis heute der Gestaltungsspielraum sehr groß. Leider hat das dazu geführt, dass es dadurch zu großen Missbräuchen kam; es wurde angesprochen. Diese werden nun weiter eingeschränkt. Der Gesetzentwurf beabsichtigt, die Umgehung der Dividendenbesteuerung durch Cum/Cum-Geschäfte zu unterbinden. (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Wir werden dies erreichen, indem wir die Anrechenbarkeit der Kapitalertragsteuer auf Dividenden an eine Mindesthaltefrist knüpfen. Künftig muss der Steuerpflichtige die Aktie für einen Mindestzeitraum von 45 Tagen halten und zudem ein Mindestmaß an wirtschaftlichem Risiko tragen, um die Kapitelertragsteuer steuerlich anrechnen zu können. Konkret bedeutet dies, dass der Entleiher einer Aktie einen Anteil des Wertänderungsrisikos übernehmen muss. Wir führen damit Haftung und Risiko wieder zusammen. Das ist ein wichtiger Bestandteil des Gesetzes, und für das Funktionieren der Märkte ist dies unerlässlich. Zudem verbessern wir die Anlagebedingungen für Spezialfonds, sodass sie in Infrastrukturprojekte investieren können. Dadurch leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung unserer in einigen Teilen maroden Infrastruktur. Zum Schluss, meine Damen und Herren, lassen Sie mich Folgendes noch einmal verdeutlichen: Mit dem vorliegenden Gesetz werden natürlich nicht alle Gestaltungen ausgeräumt. Das ist ein immer laufender Prozess. Wir haben aber mit der BEPS-Initiative und ähnlichen Vorhaben schon vieles vorangebracht. Wir sind uns bewusst, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt, den wir aber gezielt beschreiten wollen. Ansonsten wird durch aggressive Steuergestaltung und findige Steuertricks letztlich unser gesamtes Gesellschaftssystem gefährdet. Das wollen wir nicht. Das will diese Regierungskoalition nicht. Deswegen: Lassen Sie uns den heutigen Tag als guten Tag sehen! Aber wir werden weiter an der Sache arbeiten – gemeinsam mit unserem Partner in der Regierungskoalition. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster und letzter Redner in dieser Debatte hat Andreas Schwarz von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Andreas Schwarz (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Komplexe Fragen erfordern natürlich auch komplexe Antworten. Das ist sicherlich auch der globalen Welt geschuldet. Aber wir beschließen heute ein gutes Gesetz. Es ist deshalb gut, weil wir damit im Kampf gegen Steuerhinterziehung deutlich vorankommen. Schade ist nur, dass es offenbar erst schärferer Gesetze bedarf, um dem Treiben diverser Jongleure der Finanzindustrie Einhalt zu gebieten. Von Reue, Selbsterkenntnis oder gar Bedauern, wenn man ertappt wird, ist in dieser Branche eher selten die Rede. Dabei würde es doch schon reichen, wenn das Prinzip des ehrbaren Kaufmanns auch in der Finanzindustrie wieder für alle Akteure gelten würde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) An dieser Stelle wird man als Politiker gern bestenfalls als naiv tituliert. Da heißt es oft: Ihr seid selber schuld, wenn wir all das machen, was nicht direkt verboten, aber eben auch nicht wirklich erlaubt zu sein scheint. – Das heute zu beschließende Gesetz gibt die richtigen Antworten. Zur Klarstellung und noch einmal für alle zum Mitschreiben: Steuerhinterziehung ist, war und bleibt illegal. In einem Bild-Interview vom 11. Mai 2016 ließ ein Vorstand der Commerzbank, Michael Reuther, die Öffentlichkeit wissen, dass seine Bank Cum/Cum-Transaktionen künftig nicht mehr anbieten werde. Ich zitiere: Wir ziehen uns aus diesem legalen Geschäft zurück, weil es gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert ist. Da frage ich mich schon, wie man darauf kommen kann, dass das jemals akzeptiert war. Nein, Herr Reuther! Ein Geschäft, bei dem der Staat, die Allgemeinheit, um hohe Steuereinnahmen betrogen wird, ist weder legal noch gesellschaftlich akzeptiert. Das ist ein Skandal, das ist kriminell, lieber Herr Reuther. (Beifall bei der SPD) Banken haben ausländischen Investoren über viele Jahre geholfen, bei Aktiengeschäften rund um den Dividendenstichtag, wie wir es gerade gehört haben, die Steuerpflicht zu umgehen. Das kann und das darf sicherlich nicht folgenlos bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber sind wir uns mit dem BMF völlig einig, und deswegen machen wir dieses Gesetz. In Medienberichten wird das BMF mit den Worten zitiert, Cum/Cum-Geschäfte seien nicht kriminell, gleichwohl aber illegitim. In der rechtlichen Bewertung hierzu würde ich mir ein bisschen mehr Mut unseres Ministeriums wünschen. Ich unterstütze in diesem Zusammenhang aber ausdrücklich das, was Kollege Dr. Michelbach am 4. Mai 2016 dem BR über das Geschäftsgebaren der Commerzbank sagte – ich zitiere auch ihn –: Deswegen kann ich den Managern der Commerzbank und den anderen Bankmanagern nur zur Selbstanzeige raten, weil sie nach meiner Ansicht straffällig geworden sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Offenbar laufen aktuell in mehreren Bundesländern Ermittlungen der Finanzbehörden gegen Betreiber von Cum/Cum-Geschäften. Man sieht: Auch die Strafverfolgungsbehörden sind an dem Thema dran, und das ist auch gut so. Lieber Kollege Güntzler, Sie haben am Mittwoch im Finanzausschuss den Gesetzentwurf als Steuerrecht für Feinschmecker bezeichnet. Wenn man sich beispielsweise die Neufassung mit der Mindesthaltedauer von 45 Tagen, der Umkehrung der Beweislast oder der 70-Prozent-Regelung beim Wertänderungsrisiko anschaut, dann muss man sagen, dass wir in diesem Gesetzgebungsverfahren die Zutaten sicherlich erheblich verfeinert und neu abgeschmeckt haben. Sollte der Finanzindustrie das Essen noch nicht genug abgeschmeckt sein, werden wir mit Sicherheit noch schärfere Gewürze und Zutaten finden und auch hinzugeben. In diesem Sinne, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Es ist angerichtet. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform der Investmentbesteuerung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8739, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/8045 und 18/8345 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir zu den nächsten Tagesordnungspunkten, den Tagesordnungspunkten 13 a bis 13 p: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Dr. Valerie Wilms, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nachhaltige Entwicklungsziele in Deutschland konsequent umsetzen Drucksachen 18/7649, 18/8685 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Valerie Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 1 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Armut in jeder Form und überall beenden Drucksachen 18/6045, 18/7600 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Dr. Valerie Wilms, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 2 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Den Hunger beenden, Ernährungssouveränität und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern Drucksachen 18/6046, 18/8680 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 3 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Gesundes Leben für alle ermöglichen und fördern Drucksachen 18/6047, 18/8684 e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 4 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern Drucksachen 18/6048, 18/8681 f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 5 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen Drucksachen 18/6049, 18/8644 g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 6 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten Drucksachen 18/6050, 18/7633 Buchstabe a h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Dr. Valerie Wilms, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 7 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern Drucksachen 18/6051, 18/7329 i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Valerie Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 8 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Kerstin Andreae, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 9 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 10 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten verringern Drucksachen 18/6052, 18/6053, 18/6054, 18/8437 j) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Valerie Wilms, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 11 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Städte und Siedlungsflächen inklusiv, sicher, stabil und nachhaltig machen Drucksachen 18/6055, 18/6712 k) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Valerie Wilms, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 12 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen Drucksachen 18/6056, 18/6713 l) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Dr. Valerie Wilms, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 13 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen Drucksachen 18/6057, 18/8679 m) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Valerie Wilms, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 14 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen Drucksachen 18/6058, 18/6714 n) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr. Valerie Wilms, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 15 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Nachhaltige Nutzung terrestrischer Ökosysteme schützen, wiederherstellen und fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, die Wüstenbildung bekämpfen, die Bodendegradation aufhalten und umkehren sowie den Verlust der biologischen Vielfalt stoppen Drucksachen 18/6059, 18/7633 Buchstabe b o) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 16 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen Drucksachen 18/6060, 18/8743 p) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Anja Hajduk, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN-Nachhaltigkeitsziel 17 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung jetzt wiederbeleben Drucksachen 18/6061, 18/7632 Buchstabe b Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Debatte hat der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel für die Bundesregierung das Wort. Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte gibt auch der Bundesregierung die Möglichkeit, ihre Strategie zur Umsetzung der SDGs in kurzen Worten darzustellen. Eines ist uns allen klar: So, wie es bisher war, kann es nicht weitergehen. Ich sage ganz bewusst: nirgends auf der Welt und auch nicht hier in Deutschland. Ich nenne ein paar Beispiele. Deutschland verbraucht im Jahr fast genauso viel Strom wie ganz Afrika. Pro Kopf und Jahr stoßen wir in Deutschland fast 10 Tonnen CO2 aus, die Menschen in Bangladesch beispielsweise nur 1 Tonne. Wir in den Industrieländern stellen 20 Prozent der Menschheit und verbrauchen 80 Prozent der Ressourcen. Deswegen haben wir seit der Verabschiedung der SDGs in New York – das war im Herbst des letzten Jahres – bis zum heutigen Tag – das ist der 9. Juni 2016 – sehr intensiv an der Frage gearbeitet, wie diese doch sehr vielschichtige Materie für die Zukunft in Formate gebracht werden kann, mit denen wir vorankommen. Meine Damen und Herren, wir haben bereits seit längerer Zeit eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Wir haben uns vorgenommen, diese total umzubauen, sie praktisch auf völlig neue Füße zu stellen und daraus eine neue deutsche Nachhaltigkeitsstrategie zu machen. Die Bundeskanzlerin selbst hat in der letzten Woche die Gelegenheit wahrgenommen, den Entwurf dazu vorzustellen, um die Bedeutung zu unterstreichen, die diese Nachhaltigkeitsstrategie für die Bundesrepublik Deutschland hat und künftig haben wird. Wir stellen uns den großen internationalen Herausforderungen. Wir halten unsere Verpflichtungen aus der Agenda 2030 ein, und wir übernehmen unseren Teil der Verantwortung für nachhaltige Entwicklung – weltweit. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Braunkohleverfeuerung!) Als Zwischenergebnis zeichnet sich ab – das ist jetzt sehr wichtig zu sagen –: Deutschland hat damit als einer der ersten Staaten die globalen 17 Ziele aus der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung konsequent in nationale Politik übersetzt. (Beifall bei der CDU/CSU – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es aber präzisiert! Die Details, bitte!) – Sie bringen nur ein bisschen Papier ein und wiederholen Ihre Anträge, die Sie schon länger gestellt haben. Wir gehen neue Wege. Das ist der Unterschied. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsicht!) Meine Damen und Herren, die Nachhaltigkeitsstrategie ist das Bekenntnis der Bundesregierung zum SDG-Prozess. Ich betone: Es ist das gemeinsame Ergebnis der gesamten Bundesregierung. Uns ist ganz besonders wichtig, dass wir die Zivilgesellschaft in einen Dialogprozess einbinden; denn wir wollen uns gemeinsam mit der gesamten Gesellschaft auf den Weg machen, die nationale Strategie und die internationale Strategie umzusetzen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatscht nicht einmal die CDU/CSU!) Wir passen unser Handeln überall dort an, wo es Folgen für andere hat. Natürlich gibt es noch viel zu tun. Wir werden überall dort, wo es notwendig ist, die nachhaltige Entwicklung unterstützen. Ich nenne hier nur zwei Beispiele: Umwelt- und Klimaschutz. Wir werden die Mittel für den Klimaschutz bis 2020 verdoppeln, auf dann veritable 4 Milliarden Euro. Ich betone: Wir möchten auch in Deutschland nicht nachlassen. 2014 haben wir es zum allerersten Mal geschafft, dass die Wirtschaft wächst und der CO2-Ausstoß sinkt. In diese Richtung müssen wir weiterarbeiten. Ich nenne noch ein weiteres Beispiel: Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards entlang der gesamten Lieferketten, eine neue Toolbox für Entwicklungspolitik der Zukunft. Hier nenne ich das Textilbündnis, mit dem wir immerhin schon 60 Prozent des Marktes abdecken. Wir wollen in anderen Branchen weiterarbeiten, zusammen mit Unternehmen, Gewerkschaften und mit der Zivilgesellschaft. Wir sagen an unsere eigene Adresse: Wir müssen hier ein Beispiel geben. Die öffentliche Beschaffung umfasst jedes Jahr insgesamt 300 Milliarden Euro. Wir haben uns vorgenommen, dass bis zum Jahre 2020 mindestens die Hälfte der öffentlich beschafften Textilien aus fairer Produktion stammen soll. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, das sind Wege, die ganzheitliche Ansätze beinhalten. Ich denke, das sind die erfolgreichen Wege der Zukunft. Ich lade Sie alle ein, daran mitzuwirken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Fuchtel, Sie haben gesagt, Sie würden jetzt fundamental umdenken und hier eine ganz neue Politik entwerfen. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja!) Ehrlich gesagt, haben wir in den letzten Minuten überhaupt nichts davon gehört. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Zuhören!) Wenn man sich diese überarbeitete Nachhaltigkeitsstrategie anschaut, dann findet man darin genau dasselbe wieder, was Sie in den letzten drei Jahren erzählt haben. Es fehlt an einem Politikwechsel, der überfällig wäre. Sehen wir uns die Situation in der Welt an: 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht, weil sie keine Perspektiven haben, weil sie vor Krieg und Krisen, vor Klimafolgen fliehen müssen. Es braucht einen Politikwechsel, und den haben Sie bisher nicht geliefert. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich muss schon sagen: Dass Sie alles anders machen, fängt schon einmal damit an, dass die Überarbeitung der nun vorgelegten Nachhaltigkeitsstrategie eigentlich unter weitgehendem Ausschluss des Parlaments stattgefunden hat. Ich weiß nicht, wer von Ihnen an der Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie beteiligt war. Ein paar wenige? Obwohl wir gesagt haben, dass die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele eine Menschheitsaufgabe ist, die mit möglichst breiter Beteiligung der Parlamente, der Zivilgesellschaft, der Bewegungen angegangen werden sollte – das muss doch ein Ziel von uns allen sein –, stellen Sie lediglich die Strategie auf die Webseite, die man sich jetzt herunterladen kann und zu der man dann vielleicht noch ein paar Kommentare verfassen kann. Aber im Grunde müssen wir doch von Anfang an viel umfassender in die Entwicklung der entsprechenden Politik einbezogen sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn ich mir die Strategie anschaue, dann erkenne ich: Von den 250 Seiten beziehen sich ganze vier Seiten auf die Friedens- und Außenpolitik, und das vor dem Hintergrund, dass wir so viele Kriege und Krisen in der Welt haben wie nie zuvor, vor dem Hintergrund, dass im Moment eines der größten NATO-Manöver seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges läuft – Anaconda –, das eigentlich nur dazu beiträgt, dass wir eine Politik der Aufrüstung, der Abschreckung, der Aggression vorantreiben, die viele neue Mittel für Rüstung und Aufrüstung binden wird – Frau von der Leyen hat es bereits angekündigt: 130 Milliarden Euro für die Ausrüstung des Militärs –, die wir jedoch für die soziale und zivile Entwicklung, für den Klimaschutz, für die regenerativen Energien, für all das bräuchten, was unser Leben ausmacht. Diese Mittel wollen Sie für eine zerstörerische Politik von Krieg und Aufrüstung binden, und das lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN) Die zweite große Herausforderung ist die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit, die uns die Vereinten Nationen aufgegeben haben. Es geht um die Bekämpfung der großen sozialen Ungleichheit in der Welt, auch hier in Europa und in Deutschland. Was findet man hierzu in der Nachhaltigkeitsstrategie? So gut wie nichts. Es fehlt vor allem der entscheidende Punkt, dass wir den vorhandenen Reichtum endlich umverteilen müssen. Das wäre übrigens auch ein guter Beitrag zur ökologischen Nutzung unserer Ressourcen, weil dieser Reichtum bereits erwirtschaftet ist; da bräuchte man gar keine neuen Ressourcen zu verbrauchen. Umverteilung ist eine höchst soziale und ökologische Antwort auf die große, schreiende soziale Ungerechtigkeit weltweit. Deshalb fordern wir: Wir brauchen endlich eine gerechte Besteuerung des unglaublichen Reichtums, den es weltweit und auch hier in Deutschland gibt. Wir brauchen eine Bekämpfung der systematischen Steuervermeidung. All das sind Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung, wie sie die Vereinten Nationen einfordern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch die Frage eines gerechten Handels haben Sie nur ganz bescheiden am Rande erwähnt. Sie haben das Textilbündnis genannt. Sie schreiben in Ihrer Strategie weiterhin von der „Förderung von nachhaltigen Lieferketten durch globale Partnerschaften mit Wirtschaft“ usw. Das ist alles so unverbindlich. Wir haben es doch in den letzten Jahren erlebt: Diese unverbindlichen Bündnisse führen nicht dazu, dass sich substanziell etwas verändert. Wir müssen dazu richtige Gesetze entwickeln, die die Möglichkeit von Sanktionen vorsehen. Die sozialen Rechte müssen endlich in den Handelsverträgen verankert werden, und die Regelungen müssen sanktionsfähig sein. Vor dieser Form der Handelspolitik drücken Sie sich seit Jahren. Sie machen weiter wie bisher. Sie wollen die Märkte der Länder des Südens öffnen, anstatt endlich zu sagen: Wir setzen auf einen gerechten Handel. – Wir werden das weiterhin einfordern. Sie sind noch weit davon entfernt, dass es endlich zu einer neuen Politik kommt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Transformation hin zu einer nachhaltigen, klima- und umweltverträglichen und sozial inklusiven Entwicklung ist ein schwieriger und langer Weg. Wir müssen sie gemeinsam entschlossen angehen. Es ist erstmals gelungen, die Entwicklungsziele systematisch mit Umweltzielen und guten Lebensbedingungen zu verknüpfen. Das hat die Weltgemeinschaft im vergangenen Jahr beim Gipfel in New York und auch in Paris, bei der Unterzeichnung des Klimaabkommens, sehr wohl deutlich gemacht. Das Umsteuern hin zu einem Strukturwandel, der dazu führt, dass wir weniger Ressourcen und weniger Energie verbrauchen, bei dem wir den Ressourcenverbrauch von der wirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln und unseren ökologischen Fußabdruck verkleinern, bei dem wir die bestehenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten reduzieren, ist die Aufgabe, die wir in den nächsten Jahren miteinander angehen müssen. Nur wenn uns das gelingt, werden wir das Anliegen der Agenda, niemanden zurückzulassen und unseren Planeten zu schützen, erreichen können. Ich will den Fokus auf den Klimaschutz legen. Die G-7-Staaten haben im vergangenen Jahr beschlossen, die Welt bis zum Ende des Jahrhunderts zu dekarbonisieren – wir haben also noch eine ganz schöne Wegstrecke vor uns –, und das beinhaltet nachhaltiges Leben und Wirtschaften und den bewussten Umgang mit natürlichen Ressourcen. Dabei müssen wir alle mitnehmen, nicht nur international, sondern auch national. Wir brauchen nachhaltige Produktions- und Konsummuster; das ist keine einfache Aufgabe. Wir müssen entsprechende Anreize setzen. Wir müssen die Effizienz fortlaufend steigern. Wir müssen die Inanspruchnahme der Ressourcen entsprechend reduzieren. Wir sind nun einmal ein Industriestaat, der umsteuern muss. Ich möchte in den Vordergrund stellen, dass die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht klein sind, aber eine riesige Chance bieten. Progressive Unternehmen haben bereits sehr wohl erkannt, dass eine Nachhaltigkeitsagenda auch eine Modernisierungsagenda sein kann und dass man diese nutzen muss. Deswegen gibt es viele Unterstützer auch im Bereich der großen Wirtschaftsunternehmen. Man muss nur die Benefits ins Schaufenster stellen, um zu zeigen, dass wir die Unternehmen tatsächlich mitnehmen. Wir müssen die 17 SDGs klug miteinander verknüpfen und dabei auch die Zivilgesellschaft mitnehmen. Ja, die Bundesregierung hat die neue Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt; sie steht jetzt im Internet. Die Zivilgesellschaft ist eingeladen, breit mitzudiskutieren. Mein Kollege Herr Silberhorn und ich reisen im Juli nach New York, um unseren ersten Bericht zur SDG-Umsetzung vor der UN vorzustellen. Bisher haben wir es immer so gehalten, sowohl Vertreter der Zivilgesellschaft, der Gewerkschaften, vor allem Jungdelegierte mitzunehmen – darum geht es nämlich: die Welt für die nächsten Generationen lebenswert zu erhalten –, als auch Vertreter der Wirtschaft mitzunehmen. In diesem Sinne wollen wir den Dialog führen und miteinander weiter vorangehen, und das wird uns auch gelingen. Es nützt uns nichts, wenn wir dauernd nur darauf hinweisen, wie schlimm und wie furchtbar alles ist und dass das Glas halb leer ist. (Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielmehr müssen wir gemeinsam die Chancen, die sich uns bieten, in den Mittelpunkt und ins Schaufenster stellen, und zwar nicht nur die Chancen, die sich für uns als Industriestaat bieten. Es geht vor allem darum, die Entwicklungsländer zu befähigen, zum Beispiel im Bereich erneuerbare Energien, ihre Energieversorgung zukunftsfähig zu machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Claudia Roth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Agenda 2030 ist ein Bekenntnis der Welt zur Interdependenz. Weltweite nachhaltige Entwicklung ist nur zu erreichen, wenn jedes Land Maßnahmen ergreift, die nicht nur dem eigenen Land, sondern auch der gesamten Weltgemeinschaft zugutekommen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dieser Satz stammt nicht von mir. Er steht in einem Bericht, den die Bundesregierung im Juli auf dem High-level Political Forum der UNO in New York vorstellen möchte und der aufzeigen soll, wie weit wir in Deutschland bei der Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele bereits gekommen sind. Das ist der eine Punkt. Schaue ich mir dann aber den Entwurf der neuen deutschen Nachhaltigkeitsstrategie an, die ja das Hauptinstrument zur Umsetzung der Agenda 2030 bilden soll, dann habe ich erhebliche Schwierigkeiten, die konkrete Umsetzung dieses klugen Satzes auch nur im Ansatz zu finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Bundesregierung bekennt sich zum Beispiel dazu, die Armutsbekämpfung gemäß SDG 1 zum obersten Ziel deutscher Entwicklungsarbeit zu erheben und den Kampf gegen Hunger gemäß SDG 2 mit jährlich 1,5 Milliarden Euro Entwicklungsgeldern zu unterstützen. Aber nicht Gerd Müller und die Entwicklungspolitik allein werden Armut und Hunger beenden können. Vielmehr braucht es dazu eine grundlegende Reform der europäischen Agrarpolitik, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) einen längst überfälligen Paradigmenwechsel im globalen Handelssystem – Frau Hänsel hat eben darauf hingewiesen –, den Sie, werte Bundesregierung, auf satten 249 Seiten nicht einmal im Ansatz zu skizzieren wagen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Skandal!) Außerdem: Wie wollen Sie im Juli in New York ernsthaft vermitteln, dass sich Deutschland mit aller Kraft für die Bekämpfung des Klimawandels gemäß SDG 13 starkmacht, wenn das Wort „Kohle“ in der Nachhaltigkeitsstrategie nicht ein einziges Mal vorkommt? Ist das glaubwürdig? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Wie wollen Sie den deutschen Beitrag zum globalen Frieden – SDG 16 – glaubwürdig bewerben, ohne gleichzeitig ein Ende von Rüstungsexporten an Autokraten und in Krisengebiete zu verkünden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meinen Sie es wirklich ernst, wenn Sie zur Bekämpfung der Ungleichheit in und zwischen den Ländern – SDG 10 – voller Stolz ankündigen, sich auch weiterhin für den Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse einsetzen zu wollen? Gerade diese Art der unterschiedslosen Liberalisierungspolitik hat den Entwicklungsländern doch erst jede Möglichkeit zur Regulierung genommen und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergehen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stellen heute ein ganzes SDG-Paket zur Abstimmung. Wir, die ganze Fraktion, und zwar alle Bereiche, haben uns die Mühe gemacht, in 17 Anträgen genau diese 17 Ziele herunterzudeklinieren, zu definieren, was jedes einzelne Ziel der Nachhaltigkeitsagenda für uns in Deutschland bedeutet. Herr Fuchtel, das ist kein Papierhaufen – so ähnlich haben Sie es genannt –, sondern das ist ein klarer Handlungsauftrag für die Politik, diese Ziele bei uns zu Hause umzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben einen weiteren Antrag vorgelegt – das ist unser 18. Antrag –, mit dem wir aufzeigen, welche strukturellen und kohärenzschaffenden Reformen umgesetzt werden müssen, damit nicht jedes einzelne Ministerium alleine vor sich hin arbeitet – irgendwo, irgendwann, irgendwie – und der Bundestag bestenfalls zuschaut, wie übrigens auch bei den Vorbereitungen für die Konferenz in New York, weil er nicht aktiv einbezogen worden ist. Wenn Sie es also ernst meinen mit der Agenda 2030 – das nehme ich jetzt einmal an –, wäre es vielleicht ein Anfang, dieses SDG-Paket zur Abwechslung einmal nicht reflexartig abzuschmettern, nur weil es von der Opposition kommt, sondern sich unsere Vorschläge einmal wirklich in Ruhe anzusehen. Glauben Sie mir, es lohnt sich. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas Jung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich unterstreichen, dass der Deutsche Bundestag zu jedem Zeitpunkt, in jedem Stadium der Erarbeitung, der Weiterentwicklung dieser Nachhaltigkeitsstrategie aufs Engste eingebunden war und eingebunden bleibt, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Arbeits- und Sozialausschuss war nichts! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine kühne Behauptung! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Vielleicht die Koalitionsabgeordneten!) und zwar auf mehrere Arten und Weisen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht in den relevanten Ausschüssen!) Wir haben zum einen den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen aus diesem Gremium sind auch hier mit dabei. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden über die Ausschüsse des Bundestages!) – Der Nachhaltigkeitsbeirat ist ein Gremium des Bundestages, und genau dieses Gremium ist von uns als Bundestag damit beauftragt worden, die Nachhaltigkeitsstrategie zu begleiten. Das haben Sie mit dem Einsetzungsbeschluss mit entschieden. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Müssen wir uns alle in den Beirat setzen?) – Sie sind bei den Sitzungen immer herzlich willkommen. Frau Roth war schon einmal dabei. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ich war auch schon einmal da!) Alle Kolleginnen und Kollegen sind eingeladen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ministerien müssen daran arbeiten! Die sind gar nicht da!) Wir stehen in einem ständigen Dialog mit dem Bundeskanzleramt, das federführend ist. Wir sind in die Veranstaltung in der nächsten Woche, in der die ersten Stellungnahmen gesammelt werden, eingebunden. Selbstverständlich werden wir auch bei der Tagung in New York im Juli dabei sein. Das heißt, wir sind aufs Engste eingebunden. Wir bringen uns mit starken Stellungnahmen, übrigens fraktionsübergreifend, ein. Das ist das Erste. Das Zweite ist, dass die Anträge, die Sie zu den 17 SDGs gestellt haben, in den unterschiedlichen Ausschüssen – das kann ich für meinen Ausschuss, für den Ausschuss für Wirtschaft und Energie, sagen – beraten werden, und wir beraten sie auch hier im Parlament. (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich finde, wir sollten uns nicht kleiner machen, als wir sind. Wir als Parlament haben eine treibende Rolle in Sachen Nachhaltigkeit, und die nehmen wir auf vielfältige Weise wahr. Zur Sache. Sie fordern, dass das, was in New York beschlossen wurde, hier beherzt umgesetzt wird. Genau das wird mit der Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie getan. Die Bundesregierung hat mit unserer Begleitung die 17 SDGs an die jeweiligen Arbeitsbereiche in entsprechender Zuständigkeit der Ministerien weitergeleitet. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber nicht an die Ausschüsse!) Dadurch wird die Strategie weiterentwickelt, und zwar so, dass auch inhaltlich Neues angestoßen wird. Ich meine, wir haben allen Grund, auf diesem Weg weiterzugehen. Deutschland wird das erste Land sein, das im Juli auf internationaler Ebene diesen Prozess darstellen wird, auch ein Stück weit als Vorbild für andere, um zu zeigen, wie man das tun kann. Da sind gute Ideen immer richtig, und Engagement ist angezeigt. Aber meines Erachtens können wir ein Stück weit eben auch auf die Art und Weise stolz sein, wie wir das hier gemeinsam mit Regierung, Parlament und Zivilgesellschaft angehen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Nein!) Das ist ein breiter Prozess, der die Nachhaltigkeitsstrategie insgesamt voranbringen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich meine aber, dass wir als Parlament durchaus den Anspruch haben müssen, dies noch mehr ins Zentrum zu rücken. Deshalb ist es übrigens gut, dass wir auch einmal zu solcher Stunde über Nachhaltigkeit diskutieren. Das war manchmal in der Vergangenheit nur zu späterer Stunde im Parlament. Schon das ist ein erstes Zeichen. Unsere Auffassung als Nachhaltigkeitsbeirat ist, dass es jedes Jahr eine Grundsatzdebatte im Parlament geben sollte – das haben wir selber in der Hand –, um zu diskutieren, welche Fortschritte es denn bei der Nachhaltigkeitsstrategie gibt, wo es noch Dinge zu tun gibt und wo das Ganze schon auf einem guten Weg ist. Das haben wir selber in der Hand und sollten wir als Parlamentarier auch tatsächlich angehen. Zudem sollten wir unsere Stimme in der EU einbringen. Das will ich deutlich sagen, im Übrigen auch für alle Mitglieder des Nachhaltigkeitsbeirats. Es macht uns Sorgen, dass die EU noch immer nicht darüber entschieden hat, ob sie ihre Nachhaltigkeitsstrategie überhaupt fortführen möchte. Wenn wir international doch eine Rolle spielen können, dann als Europäer gemeinsam. Unsere Vorreiterrolle würde infrage gestellt werden, wenn diese europäische Nachhaltigkeitsstrategie eingestampft würde. Deshalb ist unser gemeinsames Eintreten, ist unser gemeinsamer Kampf notwendig, dass auch die EU hier beherzt vorangeht und diese Signale setzt. Dann, so glaube ich, können wir als Europäer uns in diesen internationalen Prozess stark einbringen. Dass dies notwendig ist, ist meines Erachtens gar keine Frage. Staatssekretär Fuchtel hat es eingangs gesagt: Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher. Die SDGs, der Weltzukunftsvertrag, müssen jetzt mit Leben gefüllt werden. – Das tun wir national wie auf der internationalen Ebene. Aber wir müssen auch die bilateralen Anstrengungen, die Zusammenarbeit mit den Partnerländern und auch mit den Entwicklungsländern verstärken. Da ist das Textilbündnis, das er ebenfalls erwähnt hat, ein besonders gutes Beispiel dafür, wie aus einer Initiative aus Deutschland heraus ganz konkret Verbesserungen auf den Weg gebracht werden. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf die Ergebnisse warten wir noch! Noch ist ja nichts entschieden!) Daran müssen wir weiter arbeiten, und auf diese gemeinsame Arbeit freue ich mich. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte hat Christoph Strässer für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sollten ein bisschen herunterfahren: Wir sind am Beginn eines Prozesses, der ein ganz massives Umdenken in unseren Köpfen, aber auch in den Köpfen unserer Partnerinnen und Partner, von Ländern des globalen Südens, wie wir es immer so schön sagen, erfordert. Deswegen bin ich ganz froh darüber – das sage ich ganz offen –, dass wir heute 17 Anträge – (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! 17 plus 1! 18!) eigentlich sind es ja nur 16; zwei Ziele sind ja in der Behandlung nicht mehr vorgekommen – vorliegen haben. Deshalb kann ich Ihnen auch sagen: Das, was darin steht, wird bei den weiteren Beratungen sicherlich eine wichtige Rolle spielen. Sie können aber, bitte schön, nicht erwarten, dass wir zu Beginn des Prozesses über 17 oder 16 Anträge entscheiden, die dann Bindungswirkung entfalten, obgleich der Prozess auf der nationalen Ebene gerade erst begonnen hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb sage ich ganz klar und ganz deutlich: Ich bin mit dem, was da im Moment prozessual auf den Weg gebracht worden ist, inhaltlich in vielen Punkten nicht einverstanden. Aber genau deshalb ist es doch so wichtig, dass wir frühzeitig über diesen Entwurf der neuen Nachhaltigkeitsstrategie reden können. Insofern ist dies auch eine Werbeveranstaltung, um den Menschen, die hier oben auf den Tribünen sitzen, deutlich zu machen, dass es die Möglichkeit gibt, den Entwurf zu kommentieren. Das kann man jetzt belächeln, aber ich meine schon, dass wir damit das ganz wichtige Signal aussenden, dass jeder Mensch in dieser Republik, der sich mit diesem Thema ernsthaft auseinandersetzt, dazu etwas sagen kann, und dass wir letztendlich diejenigen sind, die über diesen Prozess und die Bürgerbeteiligung zu wachen haben. Das können wir heute zusagen und versprechen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich glaube im Übrigen auch, dass wir in diesem Prozess noch etwas anderes tun müssen. Ich habe es schon gesagt: Es ist ein Prozess des Umdenkens. Die SDGs stellen für das Verhältnis zwischen den Staaten dieser Welt einen Paradigmenwechsel dar. Es gibt nicht mehr dieses Wohlfühlgefühl, dass wir sagen: Wir schauen jetzt, dass die Menschen nicht mehr in Armut leben. Wir schauen jetzt, wie das mit der Bildung und wie die Situation der Frauen dort ist. Nein, in den SDGs – das ist das Neue – sind Ziele formuliert, die für alle Staaten verbindlich sind. Das heißt also, wir schauen nicht nur nach Afrika, nach Südostasien und nach Lateinamerika, sondern wir schauen auch ins eigene Land. Ich werde gleich noch zwei Beispiele nennen, wo wir, wenn wir nach außen glaubwürdig arbeiten wollen, das eine oder andere bei uns noch tun müssen. Gerade was SDG 10 und SDG 5 angeht, Gleichstellung innerhalb von Gesellschaften, Verteilung von Armut und Reichtum in Gesellschaften, müssen wir auch unsere eigenen Hausaufgaben machen. Ich bin gespannt, welche Positionen wir zur Besserstellung von Frauen in ganz vielen Gesellschaften formulieren werden, wenn wir zum Beispiel im Rahmen der SDGs über Gleichstellung in den Gesellschaften reden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist aus meiner Sicht eine ganz zentrale Aufgabe, weil wir sehen, dass Frauen in vielen Staaten, die sich entwickeln, die Lastenträgerinnen sind und dass sie immer noch benachteiligt sind. Wir können etwas dazu beitragen, um an dieser Stelle glaubwürdig sagen zu können: Wir fördern die Frauen in diesen Gesellschaften. Das werden dann starke Gesellschaften. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich schaue noch einmal ins eigene Land. Ich will niemanden ärgern, aber ich sage ganz bewusst an dieser Stelle: Wenn wir engagiert in diesem Prozess nach außen treten und sagen, dass wir Gleichstellung in allen Lebensbereichen wollen, insbesondere für Frauen, dann werden die Menschen uns fragen: Wie ist das denn eigentlich bei Ihnen? Ich denke hier an die Themen Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt und Lohngleichheit. Ich finde, das gehört zusammen. Das scheint jetzt weit weg zu sein, aber solange wir diese Frage nicht positiv beantworten können, fehlt uns unsere Glaubwürdigkeit nach außen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr regiert übrigens! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können die beantworten!) Deshalb finde ich, dass wir hier einen ganz wichtigen Prozess angestoßen haben. Ich glaube, dass wir in diesem Parlament eine Menge in dieser Hinsicht tun können. Deshalb stimme ich Ihnen, Herr Jung, komplett zu. Wir sollten nach der umfassenden Anhörung im November zu diesem Thema hier im Plenum des Deutschen Bundestags eine länger dauernde, ein- bis zweistündige Aussprache in der Kernzeit machen, (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Zwei Stunden!) um zu sagen, in welche Richtung der Deutsche Bundestag mit der Zivilgesellschaft, mit den Ländern und den Kommunen auf diesem Weg gehen will. Das nutzt unserer Glaubwürdigkeit. Dann können wir auch unsere Rolle, die wir in der Welt in Anspruch nehmen, erfüllen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb lehnt ihr jetzt unsere Anträge ab!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache, und wir kommen zu den Abstimmungen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Nachhaltige Entwicklungsziele in Deutschland konsequent umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8685, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7649 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen verschiedener Ausschüsse zu Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, mit denen schon jetzt die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele 1 bis 17 in Deutschland gefordert wird. Aufgrund der hohen Anzahl der Anträge werde ich jeweils nur eine Kurzfassung des Antragstitels nennen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir ergänzen das dann!) – Ich kann versichern, dass jeder wissen wird, worum es geht, auch bei der Kurzfassung; denn sie ist so gewählt worden, dass jeder weiß, worum es geht. Keine Sorge. Tagesordnungspunkt 13 b. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7600 die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 1 auf der Drucksache 18/6045 mit dem Titel „Armut in jeder Form und überall beenden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einigen Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung des größeren Anteils der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 13 c. Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8680 die Ablehnung des Antrags zu UN-Nachhaltigkeitsziel 2 auf Drucksache 18/6046 mit dem Titel „Den Hunger beenden, Ernährungssouveränität und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 13 d. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8684 die Ablehnung des Antrags zu UN-Nachhaltigkeitsziel 3 auf Drucksache 18/6047 mit dem Titel „Gesundes Leben für alle ermöglichen und fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 13 e. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8681 die Ablehnung des Antrags zu UN-Nachhaltigkeitsziel 4 auf Drucksache 18/6048 mit dem Titel „Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zweier Abgeordneter aus der Fraktion Die Linke bei Enthaltung aller anderen Mitglieder der Fraktion der Linken angenommen worden. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 13 f. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8644 die Ablehnung des Antrags zu UN-Nachhaltigkeitsziel 5 auf Drucksache 18/6049 mit dem Titel „Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthält? – Nein. Damit ist diese Beschlussempfehlung mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke sowie mehrerer Kollegen der SPD-Fraktion angenommen worden. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 13 g. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7633 die Ablehnung des Antrags zu UN-Nachhaltigkeitsziel 6 auf Drucksache 18/6050 mit dem Titel „Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 13 h. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7329 die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 7 auf Drucksache 18/6051 mit dem Titel „Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 13 i. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8437 die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 8 auf Drucksache 18/6052 mit dem Titel „Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 9 auf Drucksache 18/6053 mit dem Titel „Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages zum UN-Nachhaltigkeitsziel 10 auf Drucksache 18/6054 mit dem Titel „Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten verringern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen nun zu fünf Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Tagesordnungspunkt 13 j. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6712 die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 11 auf Drucksache 18/6055 mit dem Titel „Städte und Siedlungsflächen inklusiv, sicher, stabil und nachhaltig machen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 13 k. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6713 die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 12 auf Drucksache 18/6056 mit dem Titel „Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 13 l. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8679 die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 13 auf Drucksache 18/6057 mit dem Titel „Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 13 m. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6714 die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 14 auf Drucksache 18/6058 mit dem Titel „Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 13 n. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7633 die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 15 auf Drucksache 18/6059 mit dem Titel „Nachhaltige Nutzung terrestrischer Ökosysteme schützen, wiederherstellen und fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, die Wüstenbildung bekämpfen, die Bodendegradation aufhalten und umkehren sowie den Verlust der biologischen Vielfalt stoppen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 13 o. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8743 die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 16 auf der Drucksache 18/6060 mit dem Titel „Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 13 p. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7632 die Ablehnung des Antrags zum UN-Nachhaltigkeitsziel 17 auf Drucksache 18/6061 mit dem Titel „Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung jetzt wiederbeleben“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung Drucksache 18/8625 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea Rößner, Renate Künast, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Urheberinnen und Urheber stärken – Urhebervertragsrecht reformieren Drucksache 18/7518 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich kann die Aussprache eröffnen. Als erster Redner hat für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Urheberrecht geht es Schlag auf Schlag. Nachdem erst Anfang des Monats das Verwertungsgesellschaftengesetz in Kraft getreten ist, beschäftigt sich der nun vorliegende Entwurf der Bundesregierung mit dem Urhebervertragsrecht. Urhebervertragsrecht, liebe Kolleginnen und Kollegen, das klingt juristisch, das klingt technisch, das klingt vielleicht sogar langweilig. Aber eins kann ich Ihnen versichern: Langweilig ist es auf gar keinen Fall. Es geht dabei nämlich um das Recht der Vertragsbeziehungen zwischen Kreativen und Verwertern, also zum Beispiel zwischen Journalisten und Zeitungsverlegern oder zwischen Schauspielern und Filmproduzenten. Vor allem aber geht es dabei um die Sicherung einer angemessenen Vergütung für diejenigen, die unsere Kultur prägen, die Kunst schaffen, die uns zum Nachdenken bringen, zum Lachen, die uns informieren, die uns irritieren. Und es geht dabei auch um Gerechtigkeit, darum, Gerechtigkeit herzustellen in einem Bereich, in dem noch viel zu oft das Recht des Stärkeren herrscht, wo sich derjenige durchsetzt, der wirtschaftlich am längeren Hebel sitzt und letztlich einen Preis diktiert, der oft unangemessen niedrig ist. Wir wollen also mit unserem Gesetzesvorhaben die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wieder auf Augenhöhe verhandelt werden kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen ganz kurz die wesentlichen Neuregelungen des Entwurfs nennen. Der Urheber, der dem Verwerter gegen eine pauschale Vergütung ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt hat, darf sein Werk nach Ablauf von zehn Jahren auch anderweitig vermarkten. Der erste Vertragspartner kann aber weiterhin verwerten. Von der Regelung nicht betroffen sind Branchen, die nach dem Beteiligungsprinzip vergüten, also etwa die Buchbranche, in der sich das Honorar üblicherweise nach den abgesetzten Stückzahlen richtet. Die Kreativen erhalten ein ausdrücklich geregeltes gesetzliches Recht auf Auskunft über erfolgte Nutzungen. Das ist in vielen Fällen zwar schon heute der Standard, aber nicht überall. Die entsprechende Regelung steht künftig ausdrücklich im Gesetz. Der Grundsatz der angemessenen Vergütung auch für mehrfache Nutzung eines Werks oder einer künstlerischen Darbietung wird gestärkt. Das ist nötig; denn gerade im digitalen Umfeld vervielfachen sich die Verbreitungswege. Das soll künftig bei der Vergütung stärker berücksichtigt werden. Diese Grundsätze schützen den Urheber. Von ihnen kann nur über Tarifverträge oder Vergütungsregelungen, die von Verbänden der Kreativen und der Verwerter auf gleicher Augenhöhe fair ausgehandelt worden sind, zum Nachteil der Kreativen abgewichen werden, also – mit anderen Worten – dann, wenn sich die zuständigen Verbände zum Beispiel darüber verständigen, in welchen Fällen auch Pauschalvergütungen oder zeitlich unbegrenzte Rechtseinräumungen gegen faire Bezahlung in Ordnung sind. Die Reform führt zudem eine Verbandsklage ein. Urheberverbände können Unternehmen auf Unterlassung in Anspruch nehmen, wenn diese sich nicht an ausgehandelte Absprachen – etwa über Honorare – halten. Das ist wichtig; denn so wird der einzelne Kreative aus der Schusslinie genommen. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, der Regierungsentwurf ist – so meine ich – ausgewogen und durchdacht, aber er ist natürlich nicht in allen Einzelheiten in Stein gemeißelt. Ich weiß, dass der Entwurf und seine Auswirkungen auch hier in diesem Hohen Haus sorgfältig geprüft werden. Lassen Sie uns gern über Einzelheiten der Regelungen streiten. Aber aus meiner Sicht ist eines klar: Die Situation der Urheber und ausübenden Künstler muss verbessert werden. Genau dazu leistet dieser Entwurf einen wichtigen Beitrag. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Sigrid Hupach das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon sehr erstaunlich, wie Sie sich heute hierhinstellen und den vorliegenden Entwurf für eine Neugestaltung des Urhebervertragsrechts als Erfolg und Fortschritt verkaufen wollen, ohne dabei rot zu werden. Sie behaupten wider besseres Wissen, dass mit dem Gesetz die Position der Urheberinnen und Urheber und der ausübenden Künstlerinnen und Künstler gestärkt wird, sodass sie ihren Anspruch auf eine angemessene Vergütung besser durchsetzen können. Der Gesetzentwurf hält aber bei weitem nicht, was er verspricht. Noch schlimmer: Er bringt denen, die unter der fehlenden Vertragsparität bisher zu leiden hatten, überhaupt gar nichts. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Haben Sie nicht zugehört?) – Ich werde Ihnen das gleich noch im Detail sagen. Die Aktion „Auf Augenhöhe“, zu der unter anderem der Journalistenverband aufgerufen hatte und an der sich viele namhafte kulturschaffende Künstlerinnen und Künstler und Urheberinnen und Urheber letzten Mittwoch vor dem Reichstag beteiligten, hat das noch einmal ganz deutlich gemacht. Zentrale Aussage war: So richtig die Reformziele sind, so wenig taugen die Vorschläge, um sie zu erreichen. – So ist es. Der vorgelegte Gesetzentwurf schwächt die Position derer, denen er zu helfen vorgibt. Das, was nötig wäre, stand in Ansätzen im Referentenentwurf aus Ihrem Haus. Sie wissen eigentlich, was zu tun ist, aber Sie sind vor der Verwerterseite und vor Ihrem Koalitionspartner eingeknickt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verheerend ist das vor allem, weil viele Kreative dringend auf wirksame Regelungen warten, damit sich ihre zum Teil erschreckend prekäre Lage endlich verbessert. Meine Fraktion hat bereits in der letzten Legislatur einen Gesetzentwurf vorgelegt, der echte und weitgehende Lösungsvorschläge für den dringenden Reformbedarf unterbreitet hat. Es geht um faire Vergütung bzw. um ein gutes Einkommen, damit man von einer kreativen, schöpferischen Arbeit leben kann, und damit man für den Krankheitsfall, für Zeiten ohne Aufträge und für das Alter vorsorgen kann. Das Urhebervertragsrecht ist ein zentrales Instrument, um die Rahmenbedingungen genau dafür auszugestalten. Ein wirklicher Fortschritt wäre das Gesetz, wenn sich darin der Grundsatz wiederfinden würde, jede Leistung zu vergüten. Der Gesetzentwurf versteckt sich stattdessen hinter der schwammigen Formulierung der Häufigkeit und fördert den Abschluss von Pauschalverträgen, statt sie zu unterbinden. Ein Fortschritt wäre es auch dann, wenn darin eine Auskunftspflicht für die Werknutzer festgeschrieben würde. Der Gesetzentwurf beschränkt sich stattdessen auf einen nebulös formulierten und von verschiedenen Ausnahmen begleiteten Auskunftsanspruch, der zudem nur für Pauschalvergütungen über circa 100 Euro gilt, wie der Minister im März im Plenum zugeben musste. Damit wären aber fast alle freien Journalistinnen und Journalisten oder Fotografinnen und Fotografen ausgeschlossen, für die gerade die Auskunftspflicht wichtig gewesen wäre. Einen Fortschritt gäbe es auch, wenn ein Rückruf- oder Kündigungsrecht gesetzlich verankert würde. Im Gesetzentwurf gibt es jedoch nur ein Zweitverwertungsrecht nach zehn Jahren, das zudem nur bei Pauschalvergütungen wirksam wird. Ein Fortschritt wäre auch, wenn ein starkes Verbandsklagerecht sichergestellt und Schlichtungsergebnisse für verbindlich erklärt würden. Aber auch hier laufen die Vorschläge im Gesetzentwurf ins Leere. Angesichts der Debatte der letzten Monate muss man vielleicht auch mit einem Missverständnis aufräumen. Die Regelungen im Urhebervertragsrecht sollen als wirksame Druckmittel gestaltet sein, sodass die Verwerter genötigt sind, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, gemeinsame Vergütungsregeln auszuhandeln und sich dann auch daran zu halten. Darin können die Rückruf- und Auskunftsrechte usw. anders und ganz bereichsspezifisch geregelt werden. Sicher, man kann darin einen Eingriff in die Vertragsfreiheit sehen. Aber dieser Eingriff ist nötig, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) um der strukturellen Ungleichheit und den zum Teil wirklich sittenwidrigen Verhältnissen entgegenzuwirken. Es stehen sich eben nicht gleichberechtigte Verhandlungspartner gegenüber, sondern auf der einen Seite die häufig einzeln agierenden Kreativen – freie Schriftsteller, Journalistinnen, Filmemacher, Drehbuchautorinnen und andere – und auf der anderen Seite verhandlungsstarke Labels, Internetvertriebsformen, Sendeanstalten oder international agierende Verlagskonzerne, die den Print- wie den Onlinebereich zugleich bespielen. Von Vertragsparität kann dabei überhaupt nicht die Rede sein. Zu unterschiedlich sind die Kräfteverhältnisse. Dies zeigte schon die bisherige Debatte um den Referentenentwurf. Die Verwerterseite hat sich einmal mehr durchgesetzt. Die Urheberinnen und Urheber und die ausübenden Künstlerinnen und Künstler haben das Nachsehen. Das kann und darf nicht so bleiben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Elisabeth Winkelmeier-Becker von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben erst vor wenigen Wochen über ein anderes wichtiges Projekt des Urheberrechts gesprochen, nämlich über die Regelung des Rechts der Verwertungsgesellschaften. Jetzt folgt der nächste Schritt. Ich denke, wir halten uns ran, um unseren Koalitionsvertrag an dieser Stelle Schritt für Schritt abzuarbeiten. Es ist gut für ein Land der Dichter und Denker, dass wir uns um gute Regeln im Bereich des Urheberrechts kümmern. Beim Urheberrecht geht es jetzt um den Interessengegensatz zwischen Verwertern auf der einen Seite und Künstlern auf der anderen Seite. Aber ich denke, man muss den Blick darauf richten, dass eigentlich beide im selben Boot sitzen. Beide haben ein Interesse daran, dass das gemeinsame Werk gut verkauft wird und wirtschaftlich ein Erfolg ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gegen die teilweise vorhandene Gratismentalität gerade im Internet wenden. Es ist auch gut, dass mit dem Verschwinden der Piratenpartei von der politischen Plattform auch diese ein Stück weit verschwunden ist. Wir dürfen uns nichts vormachen: Gute kreative Leistungen haben ihren Preis. Die Kunden bzw. die Nutzer müssen bereit sein, diesen zu zahlen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich darf sagen, dass wir gerade aufseiten der Rechtspolitiker mit gewissen Sorgen auf die weitreichenden Regeln bei der Haftung für privates WLAN schauen. Die weitgehende Beschränkung der Haftung an dieser Stelle darf nicht von Plattformen ausgenutzt werden, die ein Geschäftsmodell daraus machen, illegale Nutzungen zu ermöglichen, und selber daran verdienen, ohne dass die Kreativen einen gerechten Anteil bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Urheberrecht selber hat nun die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das eingenommene Geld zwischen den verschiedenen Beteiligten fair verteilt wird. Darüber wird in einer Marktwirtschaft verhandelt. Nicht alles wird per Gesetz vorgegeben. Aber mein Eindruck nach Gesprächen, die ich mit verschiedenen Gruppen geführt habe, ist, dass es hier – das wurde schon angesprochen – keine Vertragsparität auf Augenhöhe gibt. In den verschiedenen Branchen ist die Situation sehr unterschiedlich. Es geht hier um Regeln, die für Musiker, Autoren, Journalisten, Drehbuchautoren und viele andere gelten sollen. Das beste Mittel, um hier zu fairen Regelungen zu kommen, sind gemeinsame Vergütungsregeln, damit die Branche weiß, wie die Kriterien aussehen, nach denen das Geld verteilt wird. Das ist der richtige Weg, zu dem dieses Gesetz neue Anreize geben soll. Es soll die Stellung der Kreativen stärken. Mehrfachvergütung, Auskunftsanspruch und das Recht auf anderweitige Verwertung sind genauso wichtig wie gemeinsame Vergütungsregeln, die einen gerechten und fairen Ausgleich ermöglichen. Ähnliche Erwartungen waren schon an die vorherige Reform des Urheberrechts geknüpft. Sie haben sich aber nicht ganz erfüllt. Wir müssen schauen, woran das lag. Hier sind beide Seiten aufgerufen, mehr aufeinander zuzugehen und dieses Instrument zu nutzen. Bei den Künstlern liegt es häufig an der fehlenden Bereitschaft, sich zu organisieren und Mitglied eines Verbands zu werden. Auf der anderen Seite gibt es eine zu große Zurückhaltung. Es ist deshalb richtig, dass im Gesetz festgelegt ist, dass grundsätzlich der Verband, der die meisten Mitglieder in einer Branche hat, aufgerufen ist, eine gemeinsame Vergütungsregel zu verhandeln und zu vereinbaren. Die gemeinsamen Vergütungsregeln geben mehr Möglichkeiten. Nur im Rahmen gemeinsamer Vergütungsregeln kann man von einigen gesetzlichen Vorgaben abweichen. All das soll dazu führen, dass von diesem Instrument mehr Gebrauch gemacht wird. Der Gesetzentwurf sieht darüber hinaus die Möglichkeit der Verbandsklage vor, die es ermöglichen soll, Vereinbarungen umzusetzen. Wir sind zwar nicht gerade die besten Freunde von Verbandsklagen. Aber wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass wir hier ein gravierendes Problem, genannt Blacklisting, haben. Es besteht darin, dass der Name desjenigen, der seine Rechte geltend macht, von den Auftragslisten gestrichen wird. Dass das ausgerechnet auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreitet ist, ist beschämend. Das darf nicht sein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sichere Einnahmen aus Gebühren und kann daraus die Künstler gerecht und fair bezahlen. Wir müssen zu einer Lösung dieses Problems kommen. Hier sind diejenigen aufgerufen, die in den Selbstverwaltungsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mitwirken. Diese Praxis dürfen wir nicht weiter hinnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wichtig ist aus meiner Sicht zudem, dass wir nun in den anstehenden parlamentarischen Beratungen noch einmal die Grundlage der Verwertungsgesellschaften in den Blick nehmen. Hier hat die europäische Rechtsprechung dazu geführt, dass die Verleger nicht mehr beteiligt werden können. Wir denken, dass wir jeden Spielraum nutzen müssen, den uns das europäische Recht gibt, auch in dem anstehenden Verfahren zu einer besseren und dauerhaften Grundlage für die Praxis der Verwertungsgesellschaften zu kommen. Einiges liegt vor uns. Ich freue mich auf die Beratungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Tabea Rößner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jetzt das Wort. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Leider ist der Justizminister nicht da. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Die Vorsitzende des Rechtsausschusses ist auch nicht da!) – Das ist richtig. Aber es wäre schön, mit dem Justizminister direkt darüber zu diskutieren, aber egal. Eine Reform des Urhebervertragsrechts – das musste der Bundesjustizminister in den vergangenen Wochen und Monaten erleben – ist eine ziemlich knifflige Angelegenheit. Dabei hat er sich eine ganz schön blutige Nase geholt; denn letztlich ist niemand mehr so richtig mit dem Entwurf zufrieden. Erst hat der Minister den großen Retter aller Urheberinnen und Urheber gegeben, um dann in der letzten Sekunde eine Kehrtwende zu vollziehen, sodass von den hehren Ankündigungen kaum noch etwas übrig blieb. Rückrufrecht, Verbot von Total Buy-out oder Auskunftsrecht sind bis zur Unkenntlichkeit gestutzt worden. Eine ganz ähnliche Situation hat es schon einmal gegeben, bei der Reform vor 14 Jahren. Auch damals ging es darum, Urheber zu stärken, damit sie ihren Anspruch auf angemessene Vergütung durchsetzen können. Damals hat man gegenüber den Verwertern gekniffen, und heute, da Sie den Fehler endlich beheben könnten, kneifen Sie auch. Ein Trauerspiel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) So ist mir völlig unverständlich, warum Sie die Verbindlichkeit des Schiedsverfahrens zur Aufstellung gemeinsamer Vergütungsregeln nicht aufgenommen haben. Sie, Frau Winkelmeier-Becker, heben hervor, dass die gemeinsamen Vergütungsregeln so wichtig sind; genau diese Verbindlichkeit wäre doch notwendig, weil genau das einer der Knackpunkte ist, an denen die angemessene Vergütung scheitert. Es gibt keine Verbindlichkeit. Jeder kann zu jedem Zeitpunkt aus dem Verfahren aussteigen. Dabei wäre das doch ein sinnvoller Hebel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Übrigen waren wir vor vier Jahren schon viel weiter, nämlich als die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ fraktionsübergreifend und einstimmig – das war bei nur ganz wenigen Punkten überhaupt der Fall – genau dies empfohlen hat. Da erwarte ich von einem Minister, dass er nicht hinter die bereits beschlossenen Empfehlungen zurückfällt. Ja, es gibt sie, die schlecht vergüteten Urheberinnen und Urheber – Kollegin Hupach hat das eben schon erwähnt –, und das sind nicht nur einige wenige. Es gibt die Branchen, in denen Machtverhältnisse zulasten der Kreativen maßlos ausgenutzt werden. Das sind keine Ammenmärchen, sondern das zeigen Studien, Umfragen und Gerichtsverfahren. Hier gibt es ganz klaren Handlungsbedarf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Allerdings: Eine Regelung mit einem Eine-für-alles-Ansatz werden wir nicht finden. Dafür funktionieren diese unterschiedlichen kreativen Branchen zu verschieden. Von der Autorin zum Designer, von Software über Film bis zum Hörfunk, Buch- und Drehbuchautoren, Übersetzer, Journalisten – die Kette ist lang. Radikale Lösungen, die die Missstände nur einzelner Branchen im Fokus haben, sind vielleicht gut gemeint, können aber in einem anderen Umfeld ganz schnell das Gegenteil bewirken. Es ist Ihnen zuzugestehen, dass Sie wenigstens dies erkannt zu haben scheinen. Ihr Gesetzentwurf ist aber am Ende nicht konsequent. Viele Urheberinnen und Urheber sind von diesem halbherzigen Wurf deshalb zu Recht enttäuscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aus einem Recht zum Rückruf der Rechte nach fünf Jahren ist nun ein nicht exklusives Zweitverwertungsrecht nach zehn Jahren geworden. Das ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Damit helfen Sie weder denjenigen, für die ein Rückrufrecht von Vorteil wäre, noch beseitigen Sie die mit dem Rückruf verbundenen negativen Folgen; denn in den Branchen, in denen eine exklusive Verwertung besonders wichtig ist, geht das meist über den Zeitraum von zehn Jahren hinaus. So kann man dann nicht mehr kalkulieren. Beim Auskunftsrecht sehen Sie jetzt so viele Ausnahmen vor, dass seine Anwendung ziemlich schwammig wird. Andererseits soll es weiterhin gegenüber jedem Werknutzer gelten. Angesichts all dieser Lizenzierungsketten und digitalen Massennutzungen geht das an der Realität komplett vorbei. Ich will noch einmal daran erinnern, worum es hier eigentlich geht: Es geht um die angemessene Vergütung von Urheberinnen und Urhebern. Sie machen neue Fässer auf. Dabei könnten wir viel einfacher die vorhandenen Regelungen anpassen. Es ist ja bereits so, dass Verwerter die Nutzungsrechte nicht brachliegen lassen dürfen. Sie sollen die Urheber dafür angemessen vergüten, und sie sollen sie an zusätzlichen Erträgen beteiligen. Das alles ist bereits jetzt im Urhebervertragsrecht geregelt. Dass das in manchen Branchen weniger funktioniert als in anderen, dass ungleiche Machtverhältnisse zulasten der Urheber ausgespielt werden, da müssen wir ran, und das ziemlich dringend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen Instrumente, die aufzeigen, was wofür wie oft mindestens gezahlt werden sollte, und dies muss man dann auch durchsetzbar machen. Die effiziente Gestaltung des Verfahrens zur Aufstellung branchenspezifischer gemeinsamer Vergütungsregeln, Verbandsklage- und Auskunftsrechte sind für dieses Ziel ganz wesentlich. Mit Ihrem Gesetzentwurf wollten Sie ursprünglich einmal viel Gutes. Dann aber haben Sie das Ziel leider aus den Augen verloren. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Rößner. – Schönen guten Abend! – Der nächste Redner ist Christian Flisek für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Flisek (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Lange, ich bin froh, dass wir heute hier das zweite große urheberrechtliche Reformprojekt dieser Koalition in erster Lesung verhandeln. Es ist ein gutes Zeichen. Ich betone noch einmal: Die Lethargie im Urheberrecht ist vorbei. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frau Kollegin Rößner, wo gearbeitet wird, da fallen nun einmal auch Späne, da wird diskutiert. Man holt sich deswegen nicht gleich eine blutige Nase, sondern man ist mittendrin in intensiven Debatten. Und es ist auch gut für das Urheberrecht, dass man all diese Debatten führt. Nur wer nichts tut, holt sich keine blutige Nase, weil eben auch nicht diskutiert werden kann mangels irgendwelcher gesetzgeberischen Aktivitäten. Das ist jetzt vorbei. Wir sind mittendrin im Reformprozess. Wenn insbesondere über das Urhebervertragsrecht und über das Urheberrecht geredet wird, dann hört man immer ganz gerne Formeln wie: Na ja, da geht es um einen fairen und angemessenen Ausgleich zwischen Nutzern, Verwertern und Kreativen. – Dann gibt es in der Regel Applaus – momentan nicht. Sie wissen schon: Ich bin kein Freund von solchen wolkigen Formulierungen, weil sie eines verdecken: Man muss irgendwo mal Farbe bekennen. Wir haben im Koalitionsvertrag Farbe bekannt. Wir haben gesagt: Wir wollen beim Urhebervertragsrecht etwas für die Urheber tun. Wir wollen die Position der Kreativen in diesem Land stärken, weil wir in der Praxis mittlerweile einige Exzesse – das kann man durchaus sagen – erleben, die dazu führen, dass Urheber und Verwerter nicht auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Die sogenannte Vertragsparität ist gestört. Deswegen sagen wir, die Koalition, und insbesondere wir, die SPD-Bundestagsfraktion: Wir wollen die Position der Urheber hier stärken. (Beifall bei der SPD) Wenn wir das Urheberrecht verhandeln, verhandeln wir nichts anderes als die Lohnbedingungen unzähliger kreativ tätiger Menschen in diesem Land, und das ist aller Mühe und Anstrengungen wert. In den Reden ist schon angesprochen worden, welche Kräfte und welche unterschiedlichen Interessen im Urheberrecht schalten und walten. Sie müssen in der Tat nur den Referentenentwurf und den Kabinettsentwurf gegenüberstellen, um zu sehen, was das Ergebnis ist. Ich sage es deutlich: Der Referentenentwurf, das war Justizministerium pur. Nachdem dieser Entwurf im Kabinett war, haben wir jetzt halt eine etwas andere Situation. Ich kann hier nur sagen: Wir befinden uns in der ersten Lesung. Wir werden ein intensives parlamentarisches Verfahren durchführen. Wir werden diesen Reformprozess intensiv begleiten. Wir werden uns um viele Dinge kümmern, und wir werden sie uns genau anschauen. Das betrifft die Mehrfachvergütung. Das betrifft die Reichweite des Auskunftsanspruchs, die Frage des Zweitverwertungsrechts. Wir werden uns mit der Situation der Total Buy-outs beschäftigen, und wir werden uns die Frage stellen, ob die Regelungen hierzu derzeit nicht tatsächlich dazu führen, dass Menschen in solche Buy-outs getrieben werden. Das soll nicht heißen, dass manche es wollen. Aber wir werden es sicherlich nicht komplett verbieten. Die Option muss offen bleiben. Aber sie sollen nicht hineingetrieben werden. Wir werden uns auch intensiv mit der Frage beschäftigen, wie die kollektiven Vergütungsregelungen – sie sind wichtig – zustande kommen. (Beifall bei der SPD) Ich bin Herrn Staatssekretär Lange ausdrücklich dankbar dafür, dass er in seiner Rede hier noch einmal deutlich gemacht hat, dass das Ganze nicht in Stein gemeißelt ist, dass wir auch in enger Kooperation mit der Expertise Ihres Hauses, Herr Staatssekretär, dieses Verfahren hier im Parlament offen führen können. Das werden wir auch tun. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, der rote Faden, wenn Sie so wollen, aus meiner Sicht ist der, dass wir den einzelnen Urheber bei allem, was er verhandelt, ein wenig aus der Schusslinie nehmen wollen. Der einzelne Kreative, der sich einem großen Verwerter gegenübersieht, einem Verlag, einem Filmproduzenten, der einzelne Drehbuchautor, der einzelne Kameramann – ich denke an all die Menschen, die zu dem Gelingen eines kreativen Werkes beitragen –, hat nicht die Position – es sei denn, er ist einer der großen Stars; aber das ist ein ganz anderes Thema; um die brauchen wir uns nicht zu kümmern –, Bedingungen zu verhandeln, sondern bekommt sie vorgesetzt. Er muss sie akzeptieren, oder er ist aus dem Geschäft. In der Praxis in einigen Branchen ist es so, dass oft noch nicht einmal die Rechtsprechung des BGH, des Bundesgerichtshofs, eingehalten wird. Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen, dass die einzelnen Kreativen gestärkt werden, dass sie in der Lage sind, die Bedingungen gemeinsam über ihre Verbände zu verhandeln. Dazu gehört auch, ehrlich gesagt – das an die Adresse all der Kreativen, die uns jetzt vielleicht zuhören –, dass sie sich in Zukunft stärker organisieren. Das ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Funktionieren kollektiver Vergütungsregelungen. Wir werden dafür sorgen, dass dort, wo diese Regelungen verletzt werden, nicht der Einzelne klagen muss, sondern seine Rechte über seinen Verband geltend machen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn Sie so wollen: Das, was im Arbeitsrecht seit vielen Jahren gut und vernünftig funktioniert, soll auf die Kreativbranche übertragen werden. Ich persönlich verspreche mir davon auch einen Schritt hin zu einem branchenspezifisch ausdifferenzierten Urheberrecht. Das werden wir positivrechtlich gar nicht regeln können. Ich bin überzeugt: Das würde jeden Gesetzgeber überfordern. Wer, wenn nicht diejenigen aus der jeweiligen Branche, die sich da gegenübersitzen, weiß am besten, was Sache ist? Ich habe große Hoffnung, dass uns das gelingt. Ein letzter Satz. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ein allerletzter Satz. Christian Flisek (SPD): Ein allerletzter Satz, Frau Präsidentin. – Wir werden bei dem Reformprojekt auch im Auge behalten, wie es um die Einnahmen aus der Geräteabgabe in Zukunft bestellt ist. Sie kennen das Thema: Reprobel, Vogel. Es geht um die Frage: Wie ist zwischen Urhebern und Verlagen zu verteilen? Das hat zu einer enormen Schieflage in der deutschen Verlagslandschaft geführt. Wir werden das intensiv im Auge behalten. Wenn nationale Lösungen möglich sind, werden wir uns sicherlich nicht scheuen, diese anzugehen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Flisek. – Nächster Redner: Dr. Stefan Heck für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten im Rechtsausschuss sehr viele Themen, auch sehr viele Themen, die für das gesellschaftliche Zusammenleben in unserem Land wichtig sind. Aber darunter ist das Urheberrecht schon ein besonderes Thema. In keinem anderen Rechtsgebiet ist der Gegenstand, den wir als Gesetzgeber regeln, der durch Verträge geregelt wird, so eng mit der Persönlichkeit der Betroffenen verbunden wie im Bereich des Urheberrechts. Dieses Rechtsgebiet hat in der Zwischenzeit eine ganz enorme wirtschaftliche Bedeutung erlangt; wir als Gesetzgeber sollten hier ganz besonders sensibel vorgehen. Es ist nicht nur Eigentumsrecht, sondern es ist immer auch Persönlichkeitsrecht, das hier betroffen ist. Bei einem Blick auf die Branche stellt man aus meiner Sicht zweierlei fest: Erstens. Die Branche – das haben wir schon gehört – ist unglaublich vielfältig. Es beginnt mit den klassischen Ausdrucksformen, etwa dem Buch; da geht es um Autor und Verleger. Es geht weiter mit Musik, Fernsehen, Film und geht bis hin zu unglaublich komplexen Gewerken in Computerspielen und vielen anderen Dingen. Alle die müssen wir am Ende mit einem Vertragswerk, dem Urheberrecht, regeln. All diesen individuellen Erscheinungsformen muss das Urheberrecht gerecht werden. Zweitens kann man feststellen, dass das Miteinander in diesen Branchen zumeist gut, fair und partnerschaftlich ist. Ausdruck davon ist nicht selten eine oft jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen Autoren auf der einen und Verlagen auf der anderen Seite. Trotzdem – auch das haben wir schon gehört – gibt es Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten in diesem System, die wir beseitigen wollen. Durch die Digitalisierung, die wir erleben, ist die Verhandlungsmacht der Verwerter noch weiter gestiegen. Dadurch ist auch das Schutzbedürfnis der Urheber gestiegen. Deshalb ist es gut, dass wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt haben, die Rechte der Urheber weiter zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU) Das haben wir bereits getan, und zwar im Verwertungsgesellschaftengesetz, das wir vor wenigen Wochen hier miteinander beraten haben. Damals haben die Redner der Union – ich glaube, auch der ganzen Koalition – das Justizministerium sehr gelobt. Es war ein guter Referentenentwurf, es war ein guter Kabinettsentwurf. Ich glaube, wir können für uns in Anspruch nehmen, dass wir im Laufe des parlamentarischen Verfahrens aus dieser Grundlage etwas noch Besseres gemacht haben. Dieses Lob – so gern ich das getan hätte, Herr Staatssekretär – kann ich heute leider nicht wiederholen. Der Referentenentwurf war unausgewogen. Er hat die individuellen Bedürfnisse der Branche gerade nicht berücksichtigt. Er hätte zu einer Überregulierung und einem ganz erheblichen Bürokratieaufwand geführt. Das hätte am Ende Geld aus dem System genommen, das den Urhebern zusteht. Es ist gut, dass die Bundesregierung davon Abstand genommen hat. Trotzdem kann ich die Enttäuschung vieler Kreativer über diesen Prozess gut verstehen. Sie haben Hoffnungen geweckt, die Sie im Ministerium, die wir alle im Parlament am Ende nicht halten können. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das werden wir sehen!) Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt klug vorgehen. Das, was wir jetzt vorliegen haben, ist eine gute Beratungsgrundlage. Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die wir noch intensiv miteinander besprechen müssen. Mir macht große Sorgen, wenn uns Urheber jetzt vortragen, dass die Rechte, die sie im Moment schon haben, beispielsweise beim Auskunftsanspruch, durch diesen Kabinettsentwurf nicht gestärkt, sondern eher geschwächt werden. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir am Ende nicht mitmachen. Uns ist wichtig, dass wir die Rechte der Urheber durch dieses Gesetz tatsächlich stärken und nicht schwächen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe, um diesen Punkt noch zu nennen, große Sorgen, ob das, was vollmundig als Verbandsklagerecht angekündigt worden ist, am Ende wirklich praxistauglich ist. Wir haben in einer ganzen Reihe von Rechtsgebieten inzwischen ein Verbandsklagerecht: im AGB-Recht, im Bereich des Datenschutzes. Dort ist die typische Ausgangssituation die, dass der Rechtseingriff bei dem Einzelnen so gering ist, dass er sich berechtigterweise scheut, ein Prozesskostenrisiko einzugehen, das dazu in keinem Verhältnis steht. Deshalb gibt es an dieser Stelle die Möglichkeit, dass nicht der Einzelne gegen diese Rechtsverletzung vorgeht, sondern ein Verband in seinem Auftrag. Das hat dort seine Berechtigung. Das, was wir hier erleben, ist, dass es offenbar gerade im öffentlich-rechtlichen Bereich Praxis ist, dass gemeinsame Vergütungsregeln vereinbart worden sind und trotzdem weit unterhalb dieser bezahlt wird. Dass derjenige Urheber, der dagegen vor Gericht vorgehen möchte, am Ende auf einer schwarzen Liste – deswegen heißt das Blacklisting – landet und dadurch keine Aufträge mehr bekommt, werden wir nicht hinnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben es angesprochen: Wir haben eine weitere Diskussion, die uns im Rahmen dieser Gesetzesberatungen erreicht, nämlich die Frage, wie wir künftig mit der Verlegerbeteiligung umgehen. Es gibt dazu Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs, die ich in der Sache gar nicht kritisieren will. Sicherlich kann man auf der Grundlage der Gesetze, die wir haben, zu den Ergebnissen kommen, die diese Richter gefunden haben. Trotzdem, finde ich, sollten wir als Parlament ganz selbstbewusst sagen: Das, was in diesen beiden Urteilen steht, hätte niemals ein Deutscher Bundestag, in welcher Zusammensetzung auch immer, sehenden Auges so beschlossen. Für uns war immer klar, dass am Ende ein Gemeinschaftswerk entsteht, an dem jeder – der Autor auf der einen Seite und der Verlag auf der anderen Seite – seinen Anteil hat, und dass das am Ende auch in den Vergütungen seinen Ausgleich finden muss. Das muss gemeinschaftlich vergütet werden. Wir wollen dafür sorgen, dass dieses partnerschaftliche Miteinander von Autoren und Verlagen auch weiterhin Gültigkeit hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Diesen Rechtszustand, den wir für richtig halten, müssen wir jetzt im Zuge dieser Gesetzesberatungen umsetzen. Wir wissen, dass es eine endgültige Regelung nur auf europäischer Ebene geben wird. Trotzdem glauben wir, dass es richtig ist, dass wir uns auch als nationaler Gesetzgeber mit dieser Frage beschäftigen, dass wir Abhilfe schaffen und die Verlage aus dieser teilweise dramatischen existenzbedrohenden Situation befreien. Die Lösung dafür ist nicht trivial, sie ist europarechtlich eher anspruchsvoll. Aber ich glaube, wir sollten uns hier nicht hinter irgendwelchen Ausreden verstecken, sondern dieses Gesetzgebungsverfahren nutzen, um eine Lösung zu finden, die allen Interessen gerecht wird. Ich freue mich auf die Beratung zu diesem Punkt und zum Urhebervertragsrecht insgesamt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Dr. Heck. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion und – wie Sie schon wissen – aus Augsburg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Urheberrecht ist Ausprägung des Schutzes des geistigen Eigentums und der Suche nach der fairen und richtigen Vergütung für Kreative. Beginnen möchte ich mit einem Fall, der vorige Woche vom Landgericht München verhandelt wurde. Es geht um den Kameramann des Kinofilms Das Boot, der mit seinen Bildern dafür gesorgt hat, dass einer der erfolgreichsten deutschen Filme entstehen konnte. In dem über zehn Jahre langen Rechtsstreit hat der Kameramann erwirkt, dass er über die ursprünglich rein pauschal vereinbarte Vergütung hinaus zusätzlich am großen Erfolg des Filmes beteiligt wurde. Ich meine, zu Recht. Urheber werden häufig mit einer viel zu geringen Pauschalvergütung abgespeist und geben ihre Rechte gegen eine einmalige Geldzahlung aus der Hand. Das ist nicht fair und widerspricht dem Gedanken eines fairen Ausgleichs. Das werden wir in Zukunft ändern. (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, der Kameramann hat durch den Rechtsstreit Erlöse in einer Höhe erzielt, von der die allermeisten Kreativen in diesem Land nur träumen können. Das will ich nicht bestreiten. Viele andere Kreative in Deutschland erzielen durch ihre Werke nur sehr geringe Einkünfte und fürchten um ihre Zukunft und ihre Folgeaufträge. Deswegen kann es auch nicht sein, dass sie davor zurückschrecken, ihre fairen Vergütungsansprüche einzufordern, weil sie Angst haben, auf einer Liste von Personen zu landen, die keine Aufträge mehr erhalten. Auch das werden wir ändern. Wer sein Recht einfordert, darf nicht darunter leiden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden auch, meine Damen und Herren, über das Rückrufrecht für Urheber und Autoren reden. Der ursprüngliche Vorschlag sah ein Rückrufrecht bereits nach fünf Jahren vor. Das wird der Lebensrealität, gerade auch im Bereich des Buchhandels, nicht gerecht. Gerade kleinere Verlage leben davon, dass sie viele Autoren unter Vertrag nehmen. Es ist natürlich eine Mischkalkulation, die darin besteht, dass ein Roman, ein Gedichtband nicht so gut läuft und ein anderer gut läuft. Aber unabhängig von der Auflage tragen die Autoren zu einem reichen literarischen Leben bei. Deswegen sollten wir auch auf ihre Belange Rücksicht nehmen. Daher wollen wir das Rückrufrecht nicht nach fünf Jahren vorsehen. Es ist gut, dass wir über zehn Jahre reden. Das ist auch eine faire Verteilung der Risiken und der Chancen. Wir werden mit der Reform des Urhebervertragsrechts erstmals ein jährliches Auskunftsrecht für Urheber einführen und gesetzlich verankern; denn nur wer weiß, wie häufig sein Werk tatsächlich genutzt wird, kann auch seine Rechte geltend machen. Das ist der entscheidende Punkt. Wir stärken die Inhaber der Rechte und setzen dabei auf einen fairen Ausgleich. Es ist nicht in unserem Sinne, wenn wir Verleger und Intermediäre gegeneinander ausspielen; vielmehr wissen wir, dass beispielsweise Verlage und Autoren letzten Endes im gleichen Boot sitzen, dass Verlage die Autoren brauchen, die die kreativen Werke entstehen lassen, dass aber auch die Autoren darauf angewiesen sind, dass es Verlage gibt, die ihre Werke verbreiten. Diese Kooperation ist der beste Weg, um den Preis fair und gerecht zu verhandeln. Deswegen werden wir daran festhalten. Wir wollen durch das Gesetzgebungsverfahren die Hoffnung von vielen Kreativen erfüllen, dass sich ihre Rechte verbessern und dass sich ihre Mühen auch lohnen; denn Kreative müssen von ihrer Arbeit leben können. Insofern sei mir zum Schluss der Debatte noch ein grundsätzlicher Gedanke gestattet. Egal, ob Musik beispielsweise auf Schallplatte, auf CD, auf Kassette oder über Streaming verbreitet wird, egal, ob Sie ein literarisches Werk auf Ihrem iPad oder in gedruckter Form lesen, egal, ob Sie einen Film auf dem iPad, am Fernseher oder im Kino sehen – Kunst und Kultur, Werke von Kreativen, sind in diesem Land nicht allein an den Kategorien von Kosten und Nutzen zu messen. Sie haben für die Gesellschaft insgesamt einen sinnstiftenden Wert. Deswegen müssen Kreative, die für diese Gesellschaft einen Mehrwert schaffen, auch von ihrer Arbeit leben können. Wenn man sich als Kulturnation begreift und das lebt, muss man das Urheberrecht sehr klug und sehr bedacht regeln. Das werden wir tun. Ich freue mich auf die Beratungen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sonja Steffen [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Volker Ullrich. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/8625 und 18/7518 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 c auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und zur Einführung eines allgemeinen Wahlrechts für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland (Ausländerwahlrechtsgesetz) Drucksache 18/3169 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes Drucksache 18/6877 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 Absatz 1 – Kommunales Ausländerwahlrecht) Drucksache 18/2088 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich warte mit der Eröffnung, bis sich die Kollegen entschieden haben, ob sie hierbleiben oder nicht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Halina Wawzyniak für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Demokratie für alle ist, wenn alle hier lebenden Menschen die gleichen Rechte haben. Wir als Linke haben neben den heute bereits debattierten Initiativen für mehr direkte Demokratie und ein umfassendes Informations- und Transparenzgesetz auch zwei Initiativen vorgelegt, die diesen Ansatz von Demokratie für alle zum Inhalt haben. Wir wollen, dass alle hier seit fünf Jahren lebenden Menschen auch das Wahlrecht erhalten. Ich habe es heute Morgen schon einmal gesagt: Wir lassen uns von dem einfachen, aber bestechenden Gedanken leiten, dass diejenigen über die Entwicklung der Gesellschaft mitentscheiden sollen, die in ihr leben. Wer denn sonst? (Beifall bei der LINKEN) Wir wissen, dass es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990 gibt, die „Volk“ im Sinne des Artikels 20 Absatz 2 Grundgesetz als „deutsches Volk“ definiert. Aber zum einen sind wir jetzt im Jahr 2016 – die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung hat sich glücklicherweise massiv verändert –, zum anderen ist das Urteil selbst nicht unwidersprochen geblieben, und schließlich hat sich nicht bewahrheitet, was das Bundesverfassungsgericht angenommen hat, nämlich dass sich die Durchsetzung des Freiheitsgedankens im Hinblick auf die Wahl durch Einbürgerungen realisieren lässt. Die Einbürgerungsquote ist deutlich geringer, als damals vom Bundesverfassungsgericht angenommen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber daran sollten wir was ändern!) Schließlich lässt sich auch noch ein juristisches Argument anführen: Weder in Artikel 28 Absatz 1 noch in Artikel 38 oder gar in Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz ist vom „deutschen Volk“ die Rede. Kurz und gut: Wir finden, es gibt ausreichend Gründe, endlich allen hier seit fünf Jahren lebenden Menschen das Wahlrecht zu geben. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen aber, dass neben dem Wahlrecht auch die Grundrechte für alle hier lebenden Menschen gelten. Unseres Erachtens ist der Gesetzentwurf, mit dem die bislang Deutschen vorbehaltenen Grundrechte allen hier lebenden Menschen zugesprochen werden sollen, der erste Gesetzentwurf überhaupt, der hier zu diesem Thema behandelt wird. Es gibt aus unserer Sicht keinen Grund, die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, auf Freizügigkeit und auf Berufsfreiheit nur auf Deutsche zu beschränken. Demokratie für alle heißt eben auch Grundrechte für alle. (Beifall bei der LINKEN) Die benannten Grundrechte und Freiheiten sind Menschenrechte. Sie sind in der UN-Menschenrechtscharta und auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention als Menschenrechte ausgestaltet. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Aber kein Wahlrecht!) Wir finden, dass das Grundgesetz nicht dahinter zurückbleiben sollte. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Bleibt es ja nicht!) Wir finden: Um dem Gleichheitsgebot und dem Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes gerecht zu werden, sollten die benannten Grundrechte für alle hier lebenden Menschen gelten. Wir haben in unserem Gesetzentwurf einen kleinen historischen Diskurs aufgemacht, um zu zeigen, dass es für die Einschränkung der benannten Grundrechte auf Deutsche durch den Parlamentarischen Rat – im Gegensatz zum ursprünglichen Herrenchiemseer Entwurf – keine sachlichen Argumente gibt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit der Entscheidung vom Juli 2011 klargestellt hat, dass der im Grundgesetz durch die Grundrechte gewährleistete Schutz wegen des Diskriminierungsverbotes aus Artikel 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auch für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der EU gilt, und zwar auch im Hinblick auf die sogenannten deutschen Grundrechte, sollte uns dies Anlass sein, diese künstliche Unterscheidung aufzuheben. (Beifall bei der LINKEN) Die auch in der juristischen Literatur – ich empfehle diesbezüglich ausdrücklich die Lektüre unseres Gesetzentwurfes – vorgebrachten Argumente für die Einschränkung der benannten Grundrechte und Freiheiten sind an vielen Stellen erschreckend fremdenfeindlich. Da wird von einer ethnisch-kulturell homogenen Gesellschaft ausgegangen. Wir finden, dass ein solcher Gesetzentwurf auch im Hinblick auf die Jedermann-Grundrechte ein deutliches Signal gegen Ausgrenzung und Diskriminierung ist. Deswegen fordere ich Sie alle auf: Reden Sie mit uns gerne über die Details, aber lassen Sie uns ein Signal setzen für Demokratie für alle, gegen Rassismus und Ausgrenzung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Halina Wawzyniak. – Der nächste Redner in der Debatte: Helmut Brandt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Helmut Brandt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörer! Man kann sagen: Alle Jahre wieder – jedenfalls alle vier Jahre wieder – erleben wir die gleiche Debatte. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, weil Sie nichts machen! – Gegenruf des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Nee, weil er recht hat! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die Grundrechte hatten wir noch nicht!) – Hören Sie doch einfach einmal zu. Vielleicht kapieren Sie nach vier Jahren meine Argumente. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nee, garantiert nicht!) Es geht darum – Sie haben es dargestellt, Frau Wawzyniak –: Sie wollen Ausländern, die fünf Jahre hier leben, gleich welchen Status sie haben, das volle Wahlrecht geben. (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Die Grünen beschränken sich darauf, in Bezug auf das Kommunalwahlrecht entsprechende Forderungen zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben das Thema hier schon öfter diskutiert. Neben den verfassungsrechtlichen Hindernissen – wie im Rahmen von Anhörungen und im Plenum bereits mehrfach diskutiert worden ist – bestehen eben auch, Herr Beck, erhebliche politische Bedenken gegen die Einführung eines Wahlrechts für Ausländer. Wir von der CDU/CSU sind der Auffassung, dass das Wahlrecht am Ende eines Integrationsprozesses stehen sollte, während Sie offensichtlich davon ausgehen, dass allein die Möglichkeit, sich an Wahlen zu beteiligen, automatisch die Bereitschaft, sich zu integrieren, nach sich zieht. Ich halte das, mit Verlaub, für naiv. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben in dieser Legislaturperiode vielen hier lebenden Türken die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglicht. Wir haben das getan, um gerade jungen Menschen den Konflikt zu ersparen, zwischen zwei Staatsbürgerschaften wählen zu müssen. Das war eine vertretbare Entscheidung; wenngleich ich zugebe, dass ich dabei Bauchschmerzen hatte. Dass dieses Gefühl, das ich und andere hatten, nicht unbegründet war, das haben gerade die letzten Wochen gezeigt. Die teils heftigen Reaktionen hier lebender Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Sachen Böhmermann, aber auch auf die gerade verabschiedete Armenien-Resolution zeigen doch, dass die von mir befürchteten Loyalitätskonflikte durchaus existieren. Die Gefahr einer Instrumentalisierung durch ausländische Politiker ist nach den jüngsten Ereignissen wohl kaum von der Hand zu weisen. Es gibt in meinen Augen aber noch zwei wichtige Aspekte, die dafür sprechen, Menschen, die nicht eingebürgert sind, Menschen, die unsere Staatsbürgerschaft nicht angenommen haben, das Wahlrecht zu verweigern. Man muss sich einmal vorstellen, welche Ungleichheit dadurch entstehen würde. Wir haben die Wehrpflicht zwar ausgesetzt; aber man kann ja nicht sagen, ob es nicht irgendwann doch einmal eine Situation gibt – gerade in dieser Zeit drängt sich der Gedanke manchmal auf –, in der sie wieder eingeführt wird. Dann müssten die Deutschen als Wehrpflichtige einrücken, und die anderen hätten ohne jede Verpflichtung das Wahlrecht. Das führt doch automatisch zu Ungleichbehandlungen, die wir nicht wollen. (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Das Gleiche gilt für die Fragen der Versammlungsfreiheit, der Freizügigkeit usw. usf., die Sie, Frau Wawzyniak, aufgeworfen haben. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich finde die Forderungen, die Sie stellen, und die Behauptungen, die Sie aufstellen – Sie sprechen von Diskriminierung und anderen Dingen –, im Grunde genommen absurd. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine Änderung von Artikel 11 Grundgesetz – Recht auf Freizügigkeit – hätte doch ganz gravierende Auswirkungen auch auf das Aufenthaltsrecht von Ausländern. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Genau!) – Ja, aber unbeabsichtigte, nicht gewünschte Auswirkungen. – Als Begründung für diese Forderung – das haben Sie heute wiederholt – berufen Sie sich auf die UN-Menschenrechtscharta. Dabei wissen Sie, dass, angefangen bei Artikel 12 Absatz 1 des UN-Zivilpaktes, die Garantie der Freizügigkeit auch dort nicht mehr uneingeschränkt vorgesehen ist, sondern im Gegenteil unter dem Vorbehalt der allgemeinen Ausländergesetze des betreffenden Staates steht. Ich sehe, dass meine Redezeit zu Ende geht. Deshalb will ich nur noch ganz kurz etwas zu dem Gesetzentwurf der Grünen sagen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung klargestellt, dass sich die kommunale Ebene nicht von den Staatsebenen Land und Bund unterscheidet. Deshalb wollen wir hier keinen Unterschied machen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den macht ihr doch schon!) Es gilt gleiches Recht für alle, gleiches Recht für die, die es zu Recht beanspruchen können. Wir hoffen mit Ihnen, Herr Beck, dass es in Zukunft mehr Einbürgerungen gibt. Das ist für uns der Anreiz. Wir wollen aber nicht die umgekehrte Reihenfolge. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Petra Ernstberger [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Helmut Brandt. – Der nächste Redner ist schon auf dem Weg zum Rednerpult, Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war nicht alles falsch, was Sie gesagt haben, Herr Brandt, aber leider vieles. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das war doch alles richtig!) Integration lebt davon, dass alle Menschen hier gleiche Rechte haben, dass sie diskriminierungsfrei leben können, dass sie teilhaben und mitgestalten können, und außerdem von Ausbildung und Spracherwerb. Nur zusammen wird uns das gelingen. Dafür müssen wir die Menschen mitnehmen und sie einladen, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Diesbezüglich ist das kommunale Wahlrecht ein erster Schritt, ein wichtiger Schritt. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist zu kurz gesprungen!) Herr Brandt, es ist falsch, wenn Sie sagen, wir würden da überall nur Deutschenrechte machen. Das Kommunalwahlrecht haben heute zu Recht alle EU-Ausländer. Jetzt haben wir Ausländer zweierlei Recht: Die einen dürfen wählen, die anderen nicht. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das liegt an der Unionsbürgerschaft!) Wir haben schon heute in den Kommunen Stadtteile, in denen die Ausländer in der Mehrheit sind. Diese Stadtteile entwickeln sich zu einer demokratiefreien Zone, wenn die Menschen, die dort leben, an der Ausgestaltung ihres unmittelbaren Lebensraumes nicht politisch mitwirken können. Das ist fatal für die Integrationspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das führt auch dazu, dass sich die Leute nicht verantwortlich fühlen, weil sie nicht gefragt werden, weil sie keinen Einfluss haben, weil sie nur zu Bittstellern gemacht werden. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Reduzieren Sie die Menschen doch nicht auf die Bittstellerfunktion!) Deshalb ist es ein ganz wichtiger Schritt, dass wir die Menschen einladen, in ihrem unmittelbaren Nahraum, in der Kommune, ihre Umgebung mitzugestalten, politisch mitzubestimmen und aktiv mitzuwirken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Demokratie geht alle Gewalt von denjenigen aus, die ihr dauerhaft unterworfen sind. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Alle Gewalt geht vom Volk aus, vom Staatsvolk!) Es ist ein Unterschied, ob es sich um die Kommune handelt oder um den Landtag oder um den Bundestag. Diesbezüglich haben Sie, Herr Brandt, eher recht. Natürlich entscheidet der Bundestag über die Rechte und Pflichten der Deutschen und der Ausländer in unterschiedlichen Gesetzen. Wer hierüber entscheiden will, muss diesen Rechten und Pflichten am Ende selbst unterworfen sein. Das wäre nicht der Fall, wenn wir Ausländern, egal ob Drittstaatsangehörigen oder EU-Bürgern, das Recht zur Teilnahme an der Wahl zum Bundestag und zum Landtag eröffneten. Meine Antwort darauf, liebe Freundinnen und Freunde von der Linken, ist, an dem richtigen Punkt zu kämpfen. Zu einer Grundgesetzänderung ist es ein weiter Weg. Dafür müssten wir Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat bekommen. Aber das Staatsangehörigkeitsrecht könnten wir mit einer Mehrheit hier im Hohen Haus jederzeit ändern. Wir brauchen kürzere Fristen. Wir brauchen endlich ein Abgehen von der Ideologie des Kampfes gegen die doppelte Staatsangehörigkeit. Stattdessen müssten wir sagen: Ja, wir laden die Leute ein, Staatsbürger zu werden, ohne von ihnen zu verlangen, dass sie die Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes aufgeben. – Das passt auch zu einer internationalen, mobilen Arbeitswelt, in der Menschen von Land zu Land migrieren, weil sie ihre Karriere weiterentwickeln. Das Bild, in ein Land zu gehen und da für immer zu bleiben, ohne nach links oder rechts zu gucken, entspricht dem 19. Jahrhundert, aber nicht dem 21. Jahrhundert mit Internet und Mobilität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, was Sie zu den weiteren Artikeln, zu den Deutschenrechten aufgeschrieben haben, sollten wir im Ausschuss intensiv diskutieren. Ich glaube, man muss sich jedes Grundrecht einzeln anschauen, und man sollte auch einmal überlegen, inwieweit die Europäische Menschenrechtskonvention und der UN-Zivilpakt nicht ohnehin eine solche Auslegung erzwingen. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass wir zur Versammlungsfreiheit sagen – das kenne ich aus der Rechtspraxis auch nicht –, Ausländer dürften nicht demonstrieren, womöglich für Freiheit in ihrem Heimatland, für Demokratie und gegen den Staatschef, der hier zu Besuch ist. Es ist noch keine Versammlungsbehörde in der Praxis auf eine solche Idee verfallen. Trotzdem könnte man meinen, im Grundgesetz stehe, dass sie dieses Recht nicht hätten. Ich glaube, sie haben das Recht. Deshalb lassen Sie uns darüber reden, erstens, ob wir die Rechtsänderung überhaupt brauchen, und zweitens, bei welchen Grundrechten das erforderlich ist. Aber den Grundgedanken, dass alle Menschen Menschenrechte haben und diese in Deutschland auch ausüben können müssen, teile ich in Ihrem Ansatz auf jeden Fall. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Na immerhin!) Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Volker Beck. – Die nächste Rednerin ist Gabriele Fograscher für die SPD. (Beifall bei der SPD) Gabriele Fograscher (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche jetzt zum kommunalen Ausländerwahlrecht, der Kollege Karl-Heinz Brunner wird dann noch über die Jedermann-Grundrechte sprechen. Allein im letzten Jahr haben fast 500 000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Auch dieses Jahr und in den nächsten Jahren werden immer wieder Menschen zu uns kommen. Manche wollen oder dürfen nur vorübergehend hier bleiben, andere werden dauerhaft hier leben. Das Integrationsgesetz, das wir letzte Woche auf den Weg gebracht haben, schafft klare und verbindliche Regeln für die Integration. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es ein wichtiger Schritt hin zu einem Einwanderungsgesetz. Im vergangenen Jahr lebten mehr als 9 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, darunter etwa 4 Millionen Menschen aus EU-Staaten. Die überwiegende Anzahl dieser Bürgerinnen und Bürger ausländischer Herkunft ist in Deutschland gut integriert; sie arbeiten, zahlen Steuern, nehmen am gesellschaftlichen Leben teil und bringen sich vor Ort in den Städten und Kommunen ein. Sie sind Mitglied in Vereinen, Bürgerinitiativen oder engagieren sich auf andere Art und Weise vor Ort und für die Gesellschaft. Doch mitreden dürfen nur die EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, und dies auch nur bei Kommunalwahlen. Die weiteren mehr als 5 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Drittstaaten dürfen nicht mitbestimmen, ob in ihrer Kommune eine neue Schule oder Kita gebaut wird und in welche Projekte die Kommune investiert. Es ist ja kein Geheimnis, dass die SPD das kommunale Wahlrecht für alle Ausländerinnen und Ausländer will. Das haben wir bereits im Grundsatzprogramm von 1989 gefordert. Im Rahmen der Gemeinsamen Verfassungskommission 1993 ist es den SPD-Mitgliedern gegen den Widerstand von CDU/CSU nicht gelungen, hier eine Änderung herbeizuführen. Auch in unserem Regierungsprogramm von 2013 heißt es: Wir werden uns darum bemühen, eine verfassungsändernde Mehrheit im Bundestag zu erreichen, damit jede Frau und jeder Mann das kommunale Wahlrecht nach einem fünfjährigen legalen Aufenthalt in Anspruch nehmen kann. Wir konnten uns mit dieser Forderung bislang nicht durchsetzen, und so fand sie auch keinen Eingang in den Koalitionsvertrag. Am besten wäre es natürlich, wenn die Zahl der Einbürgerungen steigen würde. Sie pendelte sich bis 2014 bei circa 100 000 Einbürgerungen pro Jahr ein. Mit der Abschaffung der Optionspflicht Ende 2014 könnte die Zahl der Einbürgerungen wieder steigen; es liegen leider noch keine aktuellen Zahlen vor. Für uns wäre das kommunale Wahlrecht ein Angebot zur Integration, ein Baustein einer Willkommenskultur und ein deutliches Signal, dass alle, die hier leben, auch Verantwortung für eine demokratische Entwicklung und ein friedliches Zusammenleben tragen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und spannende Beratungen im Ausschuss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Gabriele Fograscher. – Nächste Rednerin: Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor über 100 Jahren erhielt das jüdische Familienunternehmen Loevy einen historischen Auftrag. Die Kunstgießerei sollte zwei französische Kanonen einschmelzen und daraus drei Worte gießen, die bis heute über dem Westportal des Reichstagsgebäudes zu lesen sind: „Dem deutschen Volke“. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dort drüben heißt es: „Der Bevölkerung“!) Der Kaiser gab diesem Schriftzug 1916 nur widerwillig seine Zustimmung. Er fürchtete um die Strahlkraft dieser Worte; denn sie symbolisieren das Fundament unserer Demokratie, die Volkssouveränität. Heute steht dieses Demokratieprinzip vor neuen Herausforderungen. Die Globalisierung, die Integration in Deutschland und Europa und die Zuwanderung – sie verändern die Entscheidungsmechanismen und unsere Gesellschaftsstruktur. 2015 wurden 9,1 Millionen Ausländer in Deutschland gezählt. Viele von ihnen zahlen Steuern, sie stützen den Sozialstaat, und sie zahlen in die Rente ein. Zu Recht stellt sich die Frage: Was ist mit dem Wahlrecht für Ausländer? Auf kommunaler Ebene wurde bereits ein Mitsprache- und Wahlrecht für EU-Bürger verankert, auch im Grundgesetz. Die Grünen fordern jetzt aber ein passives und aktives Wahlrecht auf kommunaler Ebene pauschal für alle Ausländer mit ständigem Wohnsitz in Deutschland. Die Linken gehen noch weiter und fordern ein volles Wahlrecht im Land, im Bund und auf EU-Ebene pauschal für alle Ausländer, die seit fünf Jahren in Deutschland leben. Die speziellen deutschen Grundrechte in den Artikeln 8, 9, 11 und 12 unseres Grundgesetzes sollen zu Grundrechten für jedermann umgewandelt werden. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Gute Sache!) Wir als Union lehnen diese Gesetzentwürfe entschieden ab. (Beifall bei der CDU/CSU) Widmen wir uns zunächst einmal dem klar definierten Volksbegriff. Das Wahlvolk in Deutschland, von dem gemäß Artikel 20 Absatz 2 unseres Grundgesetzes alle Staatsgewalt ausgeht, wird aus deutschen Staatsangehörigen und ihnen gleichgestellten Personen gebildet. (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Das ist an vielen Stellen im Grundgesetz und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes festgelegt, unter anderem auch in Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz, den man natürlich nicht isoliert von Artikel 20 Absatz 1 bis 3, sehr geehrte Frau Kollegin, sehen darf. Deswegen müssten wir also zunächst einmal in unserer Verfassung den Volksbegriff ändern. Dazu muss man wissen, ob man das will. Wir wollen das nicht; denn auch das Völkerrecht stellt aus gutem Grund auf die Staatsangehörigkeit ab. Eine Demokratie ist eine auf Dauer angelegte politische Gemeinschaft und keine flüchtige, durch zufällige persönliche Entscheidungen zusammengewürfelte Ansammlung von Menschen. Wollen wir das Volk künftig definieren als Gesamtheit aller Menschen, die in einem Staat leben, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!) unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft und ihrer Integrationsbereitschaft? Sie, liebe Frau Kollegin, sagen Ja. Ich sage für die Unionsfraktion Nein. Ich will das auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Dann ist der Unterschied klar! Das ist doch gut so!) – Eben, das ist auch gut so. Das sehe ich genauso. Deutschland ist eine politische Schicksals- und Verantwortungsgemeinschaft. Wer vollwertiges Mitglied dieser Gemeinschaft werden möchte, der kann die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und damit auch ein volles Wahlrecht. Diesen Ordnungsrahmen dürfen wir nicht vorschnell aufweichen. Ebenso sollten wir an den Staatsbürgerrechten in den Artikeln 8, 9, 11 und 12, das heißt der Versammlungsfreiheit, der Vereinigungsfreiheit, der Freizügigkeit und der Berufsfreiheit, festhalten; denn in diesen Artikeln wird auf unsere demokratische Willensbildung und die Volkssouveränität ganz klar Bezug genommen. Deshalb ist auch der Begriff des Deutschen dort enthalten. Derjenige, der davon nicht betroffen ist, wird bei uns durch Artikel 2 unseres Grundgesetzes, die allgemeine Handlungsfreiheit, aufgefangen, steht also gerade nicht rechtlos da und wird somit auch nicht ausgegrenzt. Für EU-Bürger gelten im Übrigen alle unsere Grundrechte, somit auch diese vier Artikel. Das ergibt sich unter anderem aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Insofern besteht auch an dieser Stelle für uns kein Handlungsbedarf. Das Kommunalwahlrecht für EU-Bürger wurde ganz klar nur als punktuelle Unterbrechung der nationalen Volkssouveränität ausgestaltet. Es knüpft nämlich an die Privilegierung einer bestimmten Staatsangehörigkeit an, nämlich an die Unionsbürgerschaft, und ist damit nicht mit jedem anderen Drittstaatler gleichzusetzen. Das, sehr geehrte Frau Kollegin Fograscher, ist die für uns maßgebliche Unterscheidung, die hier vorgenommen worden ist. Wir lehnen an dieser Stelle ebenfalls eine allgemeine Änderung unseres Grundgesetzes ab. (Beifall bei der CDU/CSU) An einer Stelle sehe auch ich im Hinblick auf mehr Mitbestimmungsrechte Handlungsbedarf, und zwar bei der EU-Staatsbürgerschaft. Hieran sollten wir weiterarbeiten; denn eine Verfassung, auch unsere, beinhaltet immer auch den Auftrag an das Gemeinwesen, sie fortlaufend zu gestalten. Das kann man im Hinblick auf die Unionsbürger und das Grundgesetz sehr wohl andenken. Insofern ist das für mich die einzige Stelle, an der ich sage: Hier besteht in der Europäischen Union in Zukunft vielleicht gemeinsam Handlungsbedarf. Alles andere ist aus unserer Sicht nicht erforderlich und abzulehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollegin Lindholz. – Der letzte Redner in dieser Debatte: aus Illertissen Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Lindholz, eigentlich hatte ich zu dem Gesetzentwurf der Grünen, zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, überhaupt keine gute Beziehung. Nach Ihren Ausführungen allerdings könnte ich selbst der Argumentation der Linken eine gewisse Sympathie entgegenbringen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Oje, oje! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das war sehr klug von der Kollegin!) Ich sage das deshalb, weil die Auslegung des Begriffes „deutsches Volk“ außer in Artikel 1 unseres Grundgesetzes nach meiner Kenntnis nirgendwo in der vorgetragenen Interpretation zu finden ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, in Deutschland sind wir in der Diskussion, wie wir mit Menschen in diesem Land umgehen, schon weiter. Ich habe mich fast an eine Diskussion erinnert gefühlt, die zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, als ich dem Hohen Hause noch nicht angehört habe. Damals hat man leidenschaftlich darüber debattiert, wie das Kunstwerk dort unten heißt und ob es der deutschen Bevölkerung oder dem deutschen Volke gewidmet ist. Dieses Haus hat entschieden: der Bevölkerung. Diese Bevölkerung sollte auch im Mittelpunkt stehen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Der deutschen Bevölkerung!) – Ja. Zur deutschen Bevölkerung gehören die Menschen, die in Deutschland leben, und zwar alle. Meine sehr verehrten Damen und Herren, beim flüchtigen Drüberlesen könnte man sogar zu dem Ergebnis kommen, durch den Ersatz des Begriffes „Deutscher“ durch „Mensch“ könne man – quasi im Schnelldurchgang – die Europäische Menschenrechtskonvention, den UN-Zivilpakt und den UN-Sozialpakt implementieren: Wir ändern mal schnell das Grundgesetz und schaffen eine neue Willkommenskultur; dann sind wir – nach Auffassung der Antragsteller – endlich auf einem guten Weg. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist richtig in Bezug auf die Grundrechte! Aber es geht um das Wahlrecht!) Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hierfür jemals eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag geben wird; die Debatte hat das gezeigt. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Trotzdem möchte ich mich mit Ihrem Gesetzentwurf, Kolleginnen und Kollegen der Linken, auseinandersetzen, auch um aufzuzeigen, dass ich ihm inhaltlich nicht zustimmen kann. Inhaltlich kann ich ihm deshalb nicht zustimmen, weil Artikel 8 des Grundgesetzes, die Versammlungsfreiheit, längst durch die Rechtsprechung zu Artikel 2 des Grundgesetzes – der Kollege Beck hat das angesprochen – garantiert ist. Also: erledigt. „Haken dahinter“, könnte man sagen. Die Vereinigungsfreiheit ist gleichermaßen durch die Rechtsprechung zu Artikel 2 des Grundgesetzes und die Tatsache, dass diese Rechte auch EU-Bürgern und anderen Bürgern des Landes zukommen, geklärt. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Steht so in unserem Gesetzentwurf!) Die Berufsfreiheit steht nicht mehr zur Diskussion. Auch hier gilt eigentlich der Hinweis auf Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das ist geklärt. Wir brauchen dazu keine Entscheidung. Es bleibt also Artikel 11 des Grundgesetzes, die Freizügigkeit. Die Freizügigkeit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, kommt aus einem anderen Kontext. Sie ist von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes eingefügt worden, als Deutschland geteilt war und viele Deutsche aus ihrer Heimat vertrieben waren. Ihnen sollte über Artikel 11 des Grundgesetzes im deutschen Bundesgebiet ein Heimatrecht verschafft werden. Es handelt sich also um das ausdrücklich den damaligen Deutschen zustehende Recht, jederzeit in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen und hier einen Wohnsitz zu nehmen. Die Kollegin Fograscher hat es trefflich ausgeführt: Wir haben uns bereits sehr intensiv mit dem Integrationsgesetz beschäftigt. Wir wollen den Menschen, die ein Asylrecht haben, auch Asyl gewähren. Wir wollen sie in unserem Land integrieren und die Menschenrechtskonvention und die Flüchtlingskonvention entsprechend berücksichtigen, aber nicht jedem Menschen, gleich welcher Nationalität, ohne ein ordentliches Verfahren und ohne Integration ein Residenzrecht in Deutschland einräumen. Ich meine, ohne eine ordentliche Regelung des Artikels 11 Grundgesetz können wir in unseren Behörden und in unserem Staatsapparat die Zuwanderung nicht ordentlich regeln. Allein dies zeigt, dass dieser Gesetzentwurf eher unter der Rubrik „Spaß“ als unter der Rubrik „Ernst“ zu werten ist. (Beifall des Abg. Gerold Reichenbach [SPD]) Ich bin gespannt, wie Sie in den anstehenden Beratungen noch die Kurve kriegen wollen, sodass wir ein vernünftiges Ergebnis erreichen, durch das die Menschen und die Integration in diesem Land in den Mittelpunkt gestellt werden und keine Wortklauberei betrieben wird. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Brunner. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/3169, 18/6877 und 18/2088 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung soldatenbeteiligungs- und personalvertretungsrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/8298 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) Drucksache 18/8735 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.3 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8735, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8298 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen war niemand, enthalten hat sich die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Harald Ebner, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den Lebenswissenschaften stärken Drucksachen 18/6204, 18/8698 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte teilnehmen, Platz zu nehmen. Die anderen bitte ich, die Gespräche anderswo fortzusetzen. Ich eröffne die Aussprache. Wir beginnen mit Stephan Albani von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Stephan Albani (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Wir beraten hier heute ein Thema, das mir als Wissenschaftler persönlich ein wichtiges Anliegen ist. Sicherheitsrelevante Forschung unterliegt in der Wissenschaft stets einem Dilemma und liegt im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Verantwortung einerseits und der notwendigen Forschungsfreiheit andererseits. Wir sprechen hier von dem sogenannten Dual-Use-Dilemma. Das heißt, dass Forschung infolge eines doppelten Verwendungszweckes sowohl Segen als auch Fluch sein kann, dem sogenannten Dual Use Research of Concern. Im positiven Sinne bedeutet dies, dass Forschungsergebnisse der Lebenswissenschaften, die nicht zuletzt für die Bekämpfung von Krankheiten, Infektionen und Viren dringend benötigt werden, zugleich auch das Potenzial bieten, großen Schaden anzurichten; denn die gewonnenen Erkenntnisse bergen in sich zugleich Nutzen und Gefahr und sind daher untrennbar. Im negativen Sinne kann dies aber auch das Risiko beinhalten, dass die Erkenntnisse für kriminelle Absichten missbraucht werden. Lassen Sie mich folgende Beispiele von dual-use-relevanten allgemeinen Wissenschaftsthemen benennen: Ja, es ist richtig, dass es die Forschung an autonomen Flugkörpern zum einen ermöglicht, dass wir Dinge in Bereiche bringen, in denen Patienten liegen, die dann entsprechend an Fahrzeuge zurückfunken, was vor Ort notwendig ist. Aber man kann aus diesen Flugkörpern natürlich auch Drohnen machen, die hässliche Dinge tun; keine Frage. – Wir können Retroviren nutzen und sie an Stellen des Körpers bringen, wo sie segensreich tätig werden. Wir können aus ihnen natürlich genauso biologische Kampfmittel machen; überhaupt keine Frage. Das ist aber weniger eine Frage der Wissenschaft und Forschung. Das ist vielmehr eine Frage der Anwendung dieser Techniken im Nachgang. Die Bundesregierung hat dieses Dilemma bereits im Jahre 2012 erkannt und eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Biosicherheit und Forschungsfreiheit in Auftrag gegeben. Im September 2013 sind die interdisziplinär forschenden Institutionen in Deutschland in Arbeitsgruppen, angeleitet durch die Leopoldina und die DFG, zum Abschluss gekommen und haben die Ergebnisse vorgestellt. Uns ist spätestens seit der Veröffentlichung der Ergebnisse des Deutschen Ethikrates in 2014 bewusst, dass ein Missbrauch von Forschungsergebnissen reduziert werden muss; das ist völlig logisch. Ein öffentliches Fachgespräch im November 2015 zum Thema „Wissenschaftliche Verantwortung“ zeigt darüber ebenfalls eingehende Einigkeit. Klar wurde aber auch, dass bei einer sorgfältigen Abwägung der Risiken und Chancen Antworten auf wichtige gesellschaftliche Herausforderungen der Zukunft durch ebendiese Forschung gegeben werden können. Schließlich und endlich wurde im März 2015 ein Gemeinsamer Ausschuss zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung von der DFG und der Leopoldina mit dem Ziel berufen, bis 2017 an allen deutschen Forschungseinrichtungen Kommissionen für Ethik in der Forschung einzurichten. Wir stellen also fest, dass sich die wissenschaftliche Forschungslandschaft ihrer Verantwortung sehr bewusst ist und sich diesem wichtigen Thema zügig angenommen hat. In dem jetzt vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen von Ende September letzten Jahres wird gefordert, Gesetze zum Umgang mit biosicherheitsrelevanten Forschungsvorhaben auf den Weg zu bringen. Sie fordern die umfassende Verschärfung gesetzlicher Auflagen mit sehr detailliertem und festgelegtem Geltungsbereich. Eine weitere Verschärfung der gesetzlichen Regelungen würde aber zugleich die Forschungsfreiheit in erheblichem Maße einschränken. Dies gefährdet die Flexibilität im Sinne der segensreichen wissenschaftlichen Selbstbestimmung des Forschenden in nicht unerheblichem Maße. Daher lehnen wir dies ab. Wir unterstützen den begonnenen Weg der Forschungscommunity in Form der wesentlichen Elemente Kommission für Ethik und Forschung und dem Gemeinsamen Ausschuss zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung. Diesen werden wir weiter verfolgen. Dies ist aus unserer Sicht der beste Weg: eine Selbstverpflichtung der Wissenschaft ohne Überregulierung und zusätzliche Gesetze. Wir wollen erreichen, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrer Verantwortung in der Forschung bewusst sind. Zudem würden die gesetzlichen Regelungen, die Sie fordern, die Forschung blocken und hemmen. Das beträfe dann die gesamte Forschung; denn Ihre neuen Regulierungswünsche in der Biowissenschaft würden langfristig ausufernde Regulierungen in allen Forschungsbereichen zur Folge haben. Es wird klar: Eine einheitliche Regelung seitens der Politik, also von außerhalb der Wissenschaft, ist hier nicht der richtige Weg. Wir begrüßen daher die Aktivität der Wissenschaftsgemeinschaft in Deutschland in Form einer Selbstregulierung und Selbstverpflichtung, um den komplexen und häufig unberechenbaren Risiken von Forschung gerecht zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Denn wie Goethe – den ich sehr mag und an dieser Stelle immer wieder gern zitiere – einst bemerkte: Der Wissenschaftler muss durch sein Tun und Handeln immer wieder kundtun, dass er zum humanen Teil der Menschheit gehört. Daher begrüßen wir die Schritte nicht blind, sondern werden sie weiter eng begleiten, kritisch begleiten. Aber sie sind der richtige Weg, Forschungsfreiheit und ethische Verantwortung in der Forschung miteinander zu kombinieren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner: Ralph Lenkert für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Techniker habe ich jahrelang in der Technologieentwicklung gearbeitet. Als Qualitätsmanager musste ich komplexe Fertigungen überblicken. Aber auch mir fällt es schwer, den Umfang der Möglichkeiten der Biotechnologie zu erfassen. Stellen Sie sich folgendes Katastrophenszenario vor: Ein Hobbyforscher setzt in das Erbgut von Herpesviren erfolgreich die Gene des Bakteriums Clostridium botulinum ein. Die sich gut verbreitenden Herpesviren produzieren dann das starke Gift Botulinum direkt im menschlichen Körper. Leider war das Heimlabor nicht so sicher, und er infiziert sich, seine Familie und seine Bekannten. Monate später ist aus der Epidemie eine Pandemie geworden. Der Freizeitforscher war nicht einmal Terrorist oder kriminell, er war einfach angetrieben von Neugier und Wissensdrang. Was ich hier als Möglichkeit skizzierte, kann jeden Tag Wirklichkeit werden. Zurück zur Realität: Von 1918 bis 1920 wütete die Spanische Grippe weltweit. Mehr als 30 Millionen Tote gab es. Das waren 1,5 bis 2 Prozent der damaligen Weltbevölkerung. 2005 rekonstruierten amerikanische Forscher des CDC, der amerikanischen Gesundheitsbehörde, im Hochsicherheitslabor den Erreger der Spanischen Grippe. Was wäre passiert, wenn dieser Erreger das Labor verlassen hätte? Einhundert Prozent Sicherheit gibt es nicht. Gesetze und Regeln und auch das gesellschaftliche Bewusstsein für Gefahren halten nicht Schritt mit dem wissenschaftlichen Fortschritt bei den Biotechnologien. Die Förderung der Biotechnologien war von unions- und SPD-geführten Regierungen größtenteils fokussiert auf die Entwicklung neuer Geschäftsfelder. Dies gelang wie bei der Entwicklung von Gene Editing. Beim Gene Editing werden mithilfe spezieller Nukleinsäuren DNA-Stränge gespalten, und Teilstücke können so gezielt ausgetauscht werden. Auf diese Art werden Zellen und Bakterien komplett verändert. Damit könnte eine Heilung von HIV möglich werden. Man könnte genetische Defekte reparieren, aber eben auch tödlichere Krankheitserreger erschaffen. Diese Dual-Use-Problematik, also eine Forschung sowohl zum Wohle als auch zum Schaden der Menschheit, hat gerade bei Biotechnologien eine große Relevanz. Deshalb danke ich den Grünen für ihren Antrag „Biosicherheit bei Hochtechnologieforschung in den Lebenswissenschaften stärken“. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Bundestag muss neben den Chancen auch die Risiken der synthetischen Biologie betrachten. Es ist richtig, die Empfehlung des Ethikrates für einen Bioethikkodex für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler umzusetzen und Beratungsgremien für Risiko-Nutzen-Analysen einzuführen. Aber auch die Forderung nach internationalen Abkommen für eine verantwortungsvolle Forschung bei riskanten Biotechnologien ist richtig. Aber dies alles reicht aus unserer Sicht, aus Sicht der Linken, nicht aus. Öffentliche Förderung an Beratungspflichten zu koppeln, ist zu wenig. Jede Forschung in diesem Bereich muss den Anforderungen der Bioethik gerecht werden, ansonsten ist diese Forschung zu untersagen. (Beifall bei der LINKEN) Ethische Fragen müssen verpflichtend Bestandteil der Aus- und Weiterbildung für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden. Anlagen und Labormittel, die speziell für riskante Technologien wie Gene Editing benötigt werden, müssen – genau wie Waffen – registriert werden. Ihr Erwerb und ihre Nutzung sind an eine abgeschlossene Befähigungsprüfung zu koppeln. Der Export und Vertrieb solcher Anlagen muss wenigstens den Bedingungen von Waffenexporten entsprechen. Aus Sicht der Linken ist es zwingend erforderlich, die unkontrollierte Verbreitung der Anlagen und Technologien für diese Techniken zu verhindern. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die Wissenschaftschancen erhalten und die Risiken so weit wie möglich minimieren! Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ralph Lenkert. – Der nächste Redner ist René Röspel für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) René Röspel (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Erst einmal will ich den Grünen ganz herzlich dafür danken, dass wir dieses wichtige Thema, wie wir mit Hochrisikoforschung umgehen, diskutieren. Ich glaube, das ist auch kein politischer Diskurs, sondern ich verstehe diese Diskussion als ein Ringen um den besten Weg und die Lösung für ein Problem, das entstehen kann oder das wir von vornherein zu vermeiden versuchen müssen. Wie ist die Diskussion entstanden? Vor etwa viereinhalb Jahren haben zwei Forschergruppen in Holland und in den USA das Vogelgrippevirus H5N1 untersucht. In China hat es sogar einige Todesfälle gegeben. Es befällt in der Regel Flugtiere, und offenbar nur bei engem Kontakt ist es ein Problem für Säugetiere. Diese beiden Forschergruppen haben sich die Erbinformationen dieses Virus angesehen und nach den Stellen gesucht, die möglicherweise dafür entscheidend sind oder dabei eine Rolle spielen, dass dieses Virus, das normalerweise nur Vögel befällt, auf den Menschen oder auf Säugetiere übertragbar ist. Tatsächlich haben sie zwei oder mehrere Mutationen, also Veränderungen, dieser Gensequenz gefunden, die dazu führten, dass erstens das Virus auf Frettchen, eine Marderart, Säugetiere, übertragbar war und zweitens nicht über engen Kontakt, sondern über den Luftweg. Das hat für Besorgnis und Nachdenken darüber gesorgt, ob man dieses Ergebnis veröffentlichen, also in Fachzeitschriften publizieren kann. Am Ende haben sich die Weltgesundheitsorganisation und auch die amerikanische Aufsichtsbehörde entschlossen, den, wie ich finde, richtigen Weg zu gehen, Transparenz herzustellen und das Ergebnis zu veröffentlichen. Damit sind zwei Möglichkeiten des Umgangs verbunden. Die erste Möglichkeit ist die Gefahr des Missbrauchs. Die zweite Möglichkeit ist das Nutzen solcher Ergebnisse. Die Gefahr besteht zum Beispiel darin, dass man solche veränderten Viren, die Säugetiere oder Menschen befallen könnten, aus Laboren entweichen lassen kann, durch Zufall oder schlechte Arbeit. Ich glaube, dass diese Gefahr relativ gering ist, jedenfalls in den westlichen Laboren, wo es Kontrollen und hohe Sicherheitsstandards gibt; das will ich ausdrücklich sagen. Da haben wir eine Verantwortung, andere Länder zu unterstützen, bei denen die Wissenschaftskapazitäten und damit möglicherweise auch das Geld zurückgehen, ihre Wissenschaftler zu halten. Der Gefahr begegnen wir in der Regel dadurch, dass wir unsere hohen Sicherheitsstandards aufrechterhalten und dafür sorgen, dass solche Substanzen oder Viren nicht entweichen können. Bei solchen Fragen schwingt immer mit, dass die große Gefahr eher im Bioterrorismus bzw. darin besteht, dass Menschen unter üblen Voraussetzungen und mit üblen Gedanken veränderte Viren dazu nutzen könnten, terroristische Anschläge zu begehen. Dieses Gefahrenpotenzial besteht. Aber wenn man sich einmal ernsthaft damit befasst – der Deutsche Ethikrat hat das in einer sehr guten und lesbaren Stellungnahme veröffentlicht –, ist das Gefährdungspotenzial – das muss man deutlich sagen – relativ gering. Erstens reicht es nicht aus, eine Gensequenz zu haben und sie sozusagen nachzubauen. Um das mit einem Vergleich deutlich zu machen: Wenn Sie zehn Leute das gleiche Rezept aus einem Kochbuch nachkochen lassen, dann wird es jeweils unterschiedlich schmecken. Das heißt, es braucht nicht nur die veröffentlichte Information, sondern auch viel Erfahrung im Umgang mit solchen Substanzen, um das handhabbar zu machen. Man braucht zweitens die technische Infrastruktur und die Möglichkeit, so etwas zu verbreiten. Das hatten wir Anfang der 2000er-Jahre, als in den USA, in Deutschland und Wien die Diskussion um die Verbreitung des Milzbranderregers, Anthrax, durch die Medien geisterte und mehrere Anschläge tatsächlich zur Gefährdung geführt haben. Es braucht eine gute Infrastruktur, um so etwas verbreiten zu können. Es reicht nicht, dieses Virus herzustellen und einfach zu verbreiten, sondern man muss das technisch sehr geschickt machen und braucht entsprechendes Know-how, das in der Regel nicht Terroristen haben, sondern häufig Staaten. Das ist eine andere Ebene. Damit sind wir im Bereich des Zusatzprotokolls zur Biowaffenkonvention; da geht es darum, sicherzustellen, dass die fünf Länder, die noch nicht beigetreten sind, das Protokoll noch unterzeichnen. Das ist die Gefahr, die bei einem solchen veränderten Virus entstehen kann. Aber es gibt auch Nutzen, wie eben schon im Zusammenhang mit der Spanischen Grippe erwähnt worden ist. Wenn man nämlich weiß, an welchen Stellen ein Virus so verändert ist, dass es für den Menschen gefährlich ist, dann weiß man möglicherweise auch, welchen Weg man einschlagen muss, um ein Gegenmittel oder einen Impfstoff zu entwickeln. Das ist die nutzbare Seite. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Abwägung zwischen Nutzen und Risiken ist sehr schwierig. Man weiß am Anfang noch zu wenig. Viele Tausend Menschen in Deutschland sterben an der „normalen“ Grippe. Wenn man wüsste, an welchen Stellen man sie in den Griff bekommen könnte, das veröffentlichen würde und dann daran forschen würde, wäre das ein großer Fortschritt. Man forschte beispielsweise schon jahrelang an der Bekämpfung von Ebola. Wie wir vor anderthalb Jahren in den Medien leider sehen mussten, hat diese Krankheit zu großen Verlusten gerade in Afrika geführt. Es handelt sich hier um einen hochsensiblen und tödlichen Erreger, an dem trotzdem und leider viel zu wenig geforscht wird, und zwar mit der Zielsetzung, auf eine Ebolaepidemie gefasst zu sein und Impfstoffe zu entwickeln. Diese hat man im letzten Jahr ganz schnell entwickeln müssen, ohne wirklich vorbereitet gewesen zu sein. Der Nutzen einer rechtzeitigen Forschung an solchen Erregern ist, Menschen und Gesundheit zu schützen. Aber die Abwägung zwischen Nutzen und Risiko ist sehr kompliziert. Die Idee der Grünen entspricht dem, was der Deutsche Ethikrat vorschlägt: Wissenschaftler sollen ihre besorgniserregenden, biosicherheitsrelevanten Forschungsvorhaben einer Kommission vorlegen, damit diese entscheidet, ob sie forschen dürfen oder nicht. Das setzt zweierlei voraus: dass Wissenschaftler ausreichend sensibilisiert sind, abzusehen, welche Gefahren ihre Forschungen in sich bergen können, und dass eine Kommission die sehr schwierige Abwägung zwischen Nutzen und Risiko treffen kann. Beides ist kompliziert. Der eigentliche Ansatzpunkt ist nach meiner Überzeugung, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst verantworten müssen, was sie tun können und was sie tun dürfen. Das ist der Punkt, an dem wir und die deutschen Forschungsorganisationen ansetzen. Die Philipps-Universität Marburg hat den ersten Kodex für das Verhalten bei riskanten Forschungen auf den Weg gebracht. Wir müssen die Wissenschaftler schulen, damit sie besser vorbereitet sind und erkennen, an welchen Stellen ihre Forschungen Gefahren bergen und an welchen nicht. Ich möchte – genauso wie es in der Anhörung vorgeschlagen wurde – der Wissenschaft und den Wissenschaftlern ausreichend Zeit geben, damit verantwortungsvoll umzugehen. Wir werden in einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren – auch unter Mithilfe der Bundesregierung – genau beobachten, was geschieht. Wenn dann die deutsche Wissenschaft und die verantwortungsvollen Forscher nicht in der Lage sind, zu agieren, dann müssen wir über die Einsetzung einer entsprechenden Kommission reden. Das wäre aber der ungünstigste und schlechteste Weg. Über ihn sollten wir in vielleicht ein bis zwei Jahren als Notreserve diskutieren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, René Röspel. – Nächster Redner: Kai Gehring für die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass wir heute über den Antrag der Grünen diskutieren, den ersten parlamentarischen Vorstoß und Vorschlag zu dem wichtigen Thema der Biosicherheit. Biosicherheit ist sicherlich kein Thema, das ständig im Fokus des öffentlichen Interesses steht. Das liegt vor allem daran, dass Entweichen und Entwenden oder der krasse Missbrauch jüngster Forschungsergebnisse durch Kriminelle oder Terroristen bisher nicht stattfanden. Dazu kann man nur sagen: Gott sei Dank! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dennoch stehen Bedrohungen etwa für Luft und Trinkwasser durch Krankheitserreger im Raum. Dramatisieren wäre hier genauso falsch wie Bagatellisieren. Wir müssen politisch Vorsorge treffen, damit diese Bedrohungen und Sicherheitsrisiken nicht zur Realität werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Techniken zur Herstellung oder Veränderung von Bakterien und Viren werden immer kostengünstiger und einfacher. Dadurch wachsen auch Missbrauchsrisiken. Denen müssen wir entschlossen entgegenwirken. Ein dafür geeignetes Instrument und der beste Weg ist aus unserer Sicht eine Kommission auf gesetzlicher Grundlage, wie wir sie heute beantragen und wie es auch der Deutsche Ethikrat vorschlägt. Sie soll sich lediglich mit hoch riskanten Projekten der Lebenswissenschaften befassen, deren Missbrauch bzw. Dual Use ein hohes Schadensrisiko für Gesundheit und Leben bergen. Die Bundesregierung hat sich zu den Empfehlungen des Deutschen Ethikrates, den sie selber beauftragt hat, bis heute nicht klar positioniert. Das bedauern wir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Andere Staaten sind hier längst weiter. So haben die USA seit zehn Jahren eine Beratungskommission für Biosecurity-Fragen. Keiner hätte Zweifel daran, dass die Wissenschaftsfreiheit in den USA groß geschrieben wird. Der Aufwand in Deutschland wäre übrigens überschaubar. Laut Ethikrat handelt es sich in Deutschland um maximal zehn Fälle pro Jahr, die dort zur Prüfung anstünden. Die Forschenden werden durch diese Expertise der Kommission definitiv entlastet, und zwar weit über individuelle Haftungsfragen hinaus. Biosecurity-Fragen erfordern dringend eine interdisziplinäre Perspektive und Expertise, die einzelne Universitäten oder auch einzelne Forschungslabore nicht immer vorhalten können. Ebenso wichtig ist die Einbindung auch der Zivilgesellschaft; denn Wissenschaftsethik, gerade in den Life Sciences, berührt elementare Fragen, die nicht allein innerwissenschaftlich geklärt werden sollten. Wenn die Kommission von einem Vorhaben abrät, weil sie das Risiko für nicht verantwortbar hält, soll das Vorhaben eben nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Es geht dabei also um ein wissenschaftsgestütztes Beratungsverfahren, definitiv nicht um Forschungsverbote, und diese smarte DURC-Kommission hilft, Wissenschaftsfreiheit und ethische Verantwortung abzusichern und auszubalancieren. Das ist notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich bliebe auch mit dieser DURC-Kommission die Wissenschaftscommunity selbst in der Verantwortung. Sie hat sich auf den Weg gemacht, um per Selbstverpflichtung Gefahren von Forschung zu minimieren. Das wurde schon geschildert. 2015 wurde der Ausschuss von DFG und Leopoldina gegründet. Die größten Schwächen dieses Konstrukts sind aus unserer Sicht, dass es zu unverbindlich bleibt. Es ist für die Hochrisikoforschung zu unspezifisch, und der Kodex ist eben nicht auf Biosicherheit zugeschnitten. Deswegen reicht uns eine Selbstverpflichtung nicht aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Hochrisikoforschung ist immer mit ganz schwierigen Abwägungen zwischen Forschungsfreiheit, gesellschaftlichem Nutzen und der Sicherheit der Bevölkerung, mit Leben, mit Umwelt und Gesundheit verbunden. Diese Abwägungen sind aber dann auch irgendwann zu treffen. Erst eine Kommission auf gesetzlicher Grundlage, die wir hier im Bundestag schaffen würden, ist dafür ausreichend demokratisch legitimiert und gewährleistet dann auch, dass in schwierigen Fragen wissenschaftlich einheitlich geurteilt wird. Wenn Deutschland das Thema Biosecurity anpacken würde, könnte dies übrigens positiv auf internationaler Ebene ausstrahlen. Dann wären wir Vorbild. Die Bundesregierung muss sich dort und auf europäischer Ebene für einen völkerrechtlichen Vertrag über Grundlagen und Grenzen verantwortlicher biosecurityrelevanter Forschung starkmachen. Das ist notwendig, dazu sollten wir in Deutschland erst einmal anfangen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der globale Zugang zu Wissen wächst ständig. Biologische Sicherheitsrisiken machen an den Grenzen definitiv nicht halt. Durch internationalen Terrorismus kommen neue Bedrohungen hinzu. Deshalb sind kluge und klare Regelungen hierzulande und international in diesem Bereich wichtiger denn je. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. Das bringt uns, der Gesellschaft und der Wissenschaft einen deutlichen Sicherheitsgewinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kai Gehring. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Sybille Benning für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sybille Benning (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, wir sind uns alle einig, dass das Risiko eines Missbrauchs von Forschungsergebnissen so gering wie möglich bleiben sollte. Ich bin dem Deutschen Ethikrat sehr dankbar für seine umfassende Arbeit „Biosicherheit – Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft“, in der er die Dual-Use-Gefahren im Bereich der Lebenswissenschaften untersucht und darauf aufbauend seine Empfehlungen abgegeben hat. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, und die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, haben den Impuls gemeinsam aufgenommen und unter der Überschrift „Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung“ ihre Empfehlungen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung verfasst. Darin weisen sie darauf hin, dass Dual-Use-Gefahren nicht nur in Lebenswissenschaften, sondern auch in anderen Wissenschaftsbereichen liegen, beispielsweise der Materialforschung, der Informatik oder auch den Sozialwissenschaften. Der meiner Ansicht nach ganz zentrale Punkt in beiden Stellungnahmen ist, dass sich die Wissenschaftler stärker als bisher der Möglichkeit bewusst werden sollten, dass ihre Forschung missbraucht werden kann. Beide Ansätze fordern, Kommissionen einzurichten, die die Wissenschaftler bei Fragen des Dual Use Research of Concern unterstützen und beraten können. Jetzt ist die Frage, wie dies bestmöglich gelingt: mit einer zentralen Kommission für Zweifelsfälle in den Lebenswissenschaften oder mit einem dezentralen Ansatz, der alle Forschungsfelder umfasst? Letzteres ist das Konzept der DFG und der Leopoldina. Es bezieht alle fraglichen Forschungseinrichtungen in Deutschland mit ein. Vieles ist in kurzer Zeit passiert. DFG und Leopoldina haben einen gemeinsamen Ausschuss eingerichtet, der, soweit ich es gezählt habe, über 90 Forschungsinstitute angesprochen hat. Es gibt eine Mustersatzung, auf die die Institute zurückgreifen können, wenn sie eigene Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung aufbauen. Das ist wohl schon angefragt worden; es wurde auch eben erwähnt. Damit wurde ein Prozess der Selbstregulierung in der Wissenschaft angestoßen, dessen Ziel es ist, bis 2017 in allen deutschen Forschungseinrichtungen belastbare Strukturen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung zu schaffen. Ganz selbstverständlich werden wir uns dann anschauen, wie weit die Umsetzung dieses großen und wichtigen Vorhabens gelungen ist, und daraus Konsequenzen ziehen. Liebe Zuhörer, die Freiheit der Forschung ist durch das Grundgesetz geschützt, Artikel 5 Absatz 3; wir wissen es alle. Dieses Gesetz gilt für die gesamte Wissenschaft. Jegliche Reglementierung – und sei es eine Beratungspflicht – ist ein Eingriff. Gesetzliche Regelungen können die Risiken freier Forschung nur in begrenztem Umfang erfassen und sind wenig flexibel. Sie sollen das Ziel haben, bestimmten Gefahren vorzubeugen. Ich fürchte allerdings, dass mit Gesetzen beispielsweise einem absichtlichen, insbesondere terroristischen Missbrauch nur bedingt entgegengewirkt werden kann. Ich komme zurück auf die Verantwortung der Wissenschaftler. Forschende haben eine besondere ethische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, die auch über bereits existierende gesetzliche Verpflichtungen hinausgeht. Ihre Aufgabe besteht darin, mögliche Risiken und Chancen verantwortlich gegeneinander abzuwägen. Dazu gehört auch, dass die Unterlassung von Forschung bedeutsame Risiken nach sich ziehen kann. Die Forschung an Viren ist so ein Forschungsfeld. Am Ebolavirus – das wurde eben auch erwähnt – muss geforscht werden, wenn wir einen Impfstoff haben wollen, der die Menschen schützt. Bei Gefahren des Missbrauchs geht es um Wissen, Technologien und Produkte, die nicht nur für nützliche, sondern auch für schädliche Zwecke angewendet werden können. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Forschungsergebnisse in falsche Hände geraten. Ich glaube, ganz entscheidend sind Ausbildungsmaßnahmen für Nachwuchswissenschaftler. Wissenschaftler müssen sensibilisiert werden für mögliche Risiken ihrer Forschung, und sie müssen informiert werden über bereits existierende rechtliche Auflagen im gesamten Wissenschaftsbereich. Umfragen unter den Wissenschaftler haben ja ergeben, dass dies bislang noch wenig der Fall war. Hier sehe ich eine entscheidende Aufgabe für die Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung in den einzelnen Instituten. Sie sollen sicherstellen, dass das Problembewusstsein existiert und wachgehalten wird, und so dazu beitragen, eine Kultur der Verantwortung fest zu verankern. Materialien dazu gibt es genug. Notwendig ist, das entsprechende Bewusstsein in den Curricula der Studierenden nachhaltig anzusprechen, über Bachelor und Master zu vertiefen und auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Institute zu tragen. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass in Ihrem Antrag, liebe Kollegen von den Grünen, solche entscheidenden Maßnahmen zur sachgerechten Aus- und Fortbildung der verantwortlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler komplett fehlen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir sind auch nicht dagegen!) Ich halte Ihren Ansatz daher nicht für zielführend. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Benning. – Damit schließe ich die wirklich spannende Aussprache. Ich habe viel gelernt. Danke schön. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den Lebenswissenschaften stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8698, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6204 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegengestimmt haben die Grünen. Enthalten hat sich die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 5 auf: 22. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Achtung der Menschenrechte in Burundi einfordern – Friedensdialog fördern Drucksache 18/8706 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula Schulz-Asche, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gewalt in Burundi stoppen – Weitere massive Menschenrechtsverletzungen verhindern Drucksachen 18/6883, 18/8738 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Damit sind alle einverstanden.4 Tagesordnungspunkt 22. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8706 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Zusatzpunkt 5. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Gewalt in Burundi stoppen – Weitere massive Menschenrechtsverletzungen verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8738, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6883 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit Zustimmung von CDU/CSU, SPD und der Linken bei Gegenstimmen von den Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Britta Haßelmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: Ausschussöffentlichkeit Drucksachen 18/3045, 18/8299 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind einverstanden.5 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8299, den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3045 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit Zustimmung von CDU/CSU und SPD sowie Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Wildtierschutz weiter verbessern – Illegalen Wildtierhandel bekämpfen Drucksache 18/8707 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Einverstanden.6 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8707 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften Drucksache 18/8620 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.7 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8620 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Keine weiteren Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches Drucksache 18/8621 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Einverstanden.8 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8621 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Keine weiteren Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten Drucksachen 18/8560, 18/8660 Nr. 2.1, 18/8737 (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Können Sie uns mal erklären, um was es da geht?) – Das müssen Sie mir erklären. – Weiß das jemand hier? – Gut. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.9 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8737, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/8560 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegengestimmt hat niemand. Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linken. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg-, umweltschadens- und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten Drucksache 18/8703 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind einverstanden.10 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8703 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Keine weiteren Vorschläge? – Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 10. Juni 2016, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 20.30 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 09.06.2016 Beckmeyer, Uwe SPD 09.06.2016 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 09.06.2016 Bülow, Marco SPD 09.06.2016 Felgentreu, Dr. Fritz SPD 09.06.2016 Ferner, Elke SPD 09.06.2016 Gröhe, Hermann CDU/CSU 09.06.2016 Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 09.06.2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 09.06.2016 Leutert, Michael DIE LINKE 09.06.2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 09.06.2016 Malecha-Nissen, Dr. Birgit SPD 09.06.2016 Murmann, Dr. Philipp CDU/CSU 09.06.2016 Özoğuz, Aydan SPD 09.06.2016 Petzold, Ulrich CDU/CSU 09.06.2016 Rawert, Mechthild SPD 09.06.2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 09.06.2016 Scho-Antwerpes, Elfi SPD) 09.06.2016 Schulz-Asche, Kordula BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 09.06.2016 Spahn, Jens CDU/CSU 09.06.2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 09.06.2016 Tack, Kerstin SPD 09.06.2016 Veit, Rüdiger SPD 09.06.2016 Wicklein, Andrea SPD 09.06.2016 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 09.06.2016 Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 10) CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE. Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung soldatenbeteiligungs- und personalvertretungsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 16) Julia Obermeier (CDU/CSU): Wenn jemand seinem Arbeitgeber schwört, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, muss das ein besonderer Arbeitgeber sein. Dieser Arbeitgeber ist mit seinen circa 240 000 Mitarbeitern einer der größten in Deutschland. Dieser Arbeitgeber ist die Bundeswehr. In den vergangenen 60 Jahren hat die Bundeswehr eine bewegte Geschichte durchlebt. Sie hat sich von einer Armee der ausschließlichen Landes- und Bündnisverteidigung zu einer Armee der Einheit und weltweiten Einsätze gewandelt. Die Veränderungen haben unseren Soldatinnen und Soldaten insbesondere in den vergangenen Jahren viel abverlangt. Hier sind vor allem die Aussetzung der Wehrpflicht, die Strukturreform im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr und die steigende Zahl an Auslandseinsätzen zu nennen. Diese Veränderungsprozesse aktiv zu begleiten und sich an den Entwicklungen zu beteiligen, ist für die Soldatinnen und Soldaten von herausragender Bedeutung. Denn Mitbestimmung, so weiß man aus zahlreichen Studien, erhöht die Akzeptanz von Veränderungen. In Zeiten des Umbruchs sind Personalräte und Vertrauenspersonen nicht nur wichtige Mittler, um neue Strukturen durchzusetzen und Zustimmung für neue Aufgaben zu schaffen. Sie sind auch von großer Bedeutung, um soldatische Beteiligung an Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. Neben persönlichen Gesprächen mit Vorgesetzten, Anträgen und Meldungen sind sie hierfür zentrale Vermittler. Durch Mitbestimmung wird auch die Mitarbeitermotivation gesteigert und die Aufgabenerfüllung verbessert. Darüber hinaus wird die Zufriedenheit erhöht. Daher möchte ich an dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten danken, die sich als Vertrauenspersonen oder als Personalräte engagieren. Ihre Arbeit stärkt unsere Bundeswehr. Heute stimmen wir über die Modernisierung des gesetzlichen Rahmens der Soldatenbeteiligung ab. Es werden unter anderem drei wichtige Anpassungen vorgenommen: Erstens wird das Soldatenbeteiligungsgesetz an die Neuausrichtung der Bundeswehr angepasst: In den neuen Führungsebenen der Teilstreitkräfte und der militärischen Organisationsbereiche werden zukünftig Personalräte eingerichtet. Zweitens wird die Soldatenbeteiligung in den Auslandseinsätzen gestärkt. Und drittens werden die Aufgaben und Befugnisse der Vertrauenspersonen an den Zielen der Bundeswehr als moderner Freiwilligenarmee ausgerichtet. Hierzu wird ihre Stellung gestärkt und ihre Ausstattung verbessert. Darüber hinaus wird ihre Zuständigkeit erweitert: Beispielsweise haben sie mehr Mitbestimmungsrechte bei der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst, der Gleichstellung und Gleichbehandlung von Soldatinnen und Soldaten sowie der Gestaltung der Dienstunterkünfte. Die genannten Änderungen erhöhen – wir haben es in der ersten Lesung von der Ministerin gehört – die Attraktivität der Bundeswehr als flexibler, moderner und offener Arbeitgeber. Attraktivität heißt auch, Menschen ernst zu nehmen. Dies ist von großer Bedeutung. Denn es werden sich mehr gut qualifizierte und selbstbewusste junge Menschen für eine Karriere bei der Bundeswehr entscheiden, wenn sie wissen, ihre Stimme wird gehört, und sie dringen mit berechtigten Beschwerden oder auch innovativen Anregungen zu den Verantwortlichen durch. Die Modernisierung des Soldatenbeteiligungsgesetzes ist der richtige Schritt. Die Bundeswehr ist mehr als eine Armee, die auf klaren hierarchischen Befehlsstrukturen beruht. Sie ist eine Armee, in der Soldatinnen und Soldaten an demokratischen Prozessen innerhalb der Bundeswehr teilhaben und sie aktiv gestalten. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf – damit auch in Zukunft viele junge Männer und Frauen der Bundeswehr als Arbeitgeber schwören, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Henning Otte (CDU/CSU): Heute beschließen wir das Gesetz zur Änderung soldatenbeteiligungs- und personalvertretungsrechtlicher Vorschriften. Das vielleicht herausragendste Merkmal, welches die Bundeswehr einzigartig macht, ist das Prinzip der Inneren Führung. Dadurch unterscheidet sich die Bundeswehr von vielen anderen Streitkräften auf der Welt. Vor allem aber unterscheidet sie sich von undemokratischen Armeen der Vergangenheit. Ich habe mal mit einem ausländischen Soldaten gesprochen, der in den 80erJahren in einer Armee des Warschauer Paktes sozialisiert wurde und in den 90erJahren den deutschen Generalstablehrgang besucht hat. Er erzählte mir, dass er sich anfänglich schwer tat mit den offenen Diskussionen, die in der Bundeswehr gepflegt werden. Aber im Laufe der Zeit habe er erkannt, dass seine Heimatarmee ihn zu einem unkritischen Befehlsempfänger erzogen habe und die Zeit bei der Bundeswehr ihm geholfen habe zu denken wie ein freier Bürger. Wahrscheinlich gibt es kein schöneres Zeugnis, das man dem Prinzip der Inneren Führung ausstellen kann. Beteiligungsrechte der Soldaten, etwa durch die Wahl von Vertrauenspersonen und Soldatenvertretern, die wirksames Mitspracherecht bei der Gestaltung des Dienstes haben, das ist ein ganz wesentliches Kernelement der Inneren Führung. Hier werden demokratische Prozesse im Truppenalltag erfahrbar. Das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform ist manchmal abstrakt. In den Gremien der Vertrauenspersonen oder Personalvertretungen ist es ganz konkret. Die Bundeswehr ist eine Armee im stetigen Wandel. Es gilt, sich laufend auf die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen einzustellen. Gerade weil die einzelnen Elemente der Inneren Führung so eine große Bedeutung für die Identität und das Wesen der Bundeswehr haben, ist es wichtig, dass wir sie zeitgemäß halten und damit wirksam halten. Mit den aktuellen Veränderungen im Soldatenbeteiligungsgesetz haben wir genau das getan. Die bei den Kommandos der Teilstreitkräfte eingerichteten Vertrauenspersonenausschüsse werden gesetzlich verankert. Die Position der Vertrauenspersonen wird deutlich gestärkt. Ihre Amtszeiten werden von zwei auf vier Jahre verlängert. Ihre Ausstattung wird verbessert, und wir schaffen zusätzliche Weiterbildungsmöglichkeiten. Beteiligungsrechte werden fortentwickelt, insbesondere im Hinblick auf die Mitbestimmung bei der Festlegung der Arbeitszeiten, bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bei Maßnahmen der Berufsförderung sowie bei der Gestaltung der dienstlichen Unterkünfte. Bei den Beratungen im Verteidigungsausschuss haben wir außerdem noch weitere Verbesserungen am Gesetz vorgenommen: Wenn geprüft wird, ob Ersatzansprüche gegen einen Soldaten geltend gemacht werden – etwa beim Verlust von Ausrüstung –, kann die Vertrauensperson hinzugezogen werden, die ein Mitsprachrecht hat. Dieses Recht galt ab einer Schwelle von 500 Euro. Wir haben das auf 250 Euro abgesenkt. Gerade vor dem Hintergrund der Besoldung junger Dienstgrade scheint das fair. Bei der Frage, wie viele Personen in den Vertrauenspersonenausschüssen bei den Kommandos der Teilstreitkräfte und Organisationsbereichen sitzen können, haben wir die Anzahl im Falle des Heeres von elf auf 13 erhöht. Für die Luftwaffe sind es sieben, bei Marine und Zentralem Sanitätsdienst je fünf. Mit dieser Anpassung werden wir der personellen Stärke des Heeres besser gerecht. Diese Änderungen haben wir als CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit der SPD und den Grünen eingebracht. Dieses gemeinsame Vorgehen unterstreicht die breite politische Unterstützung dieses wichtigen Themas. Die Innere Führung ist das Prinzip, durch welches die Notwendigkeiten der militärischen Auftragserfüllung und freiheitlich-demokratischen Grundordnung aneinander gebunden werden. In diesem Spannungsverhältnis zu vermitteln, ist ein wesentliches Merkmal der Mitbestimmungsrechte der Soldaten. Mit der heutigen Verabschiedung des Soldatenbeteiligungsgesetzes legen wir eine wichtige Grundlage dafür, dass die Bundeswehr auch zukünftig eine demokratische, leistungsfähige und attraktive Armee ist. Vielen Dank für Ihre Zustimmung. Gabi Weber (SPD): Mit der Novellierung des SBG erfolgt eine Anpassung an die neu eingenommenen Strukturen infolge der Neuorganisation der Bundeswehr. Auch das veränderte, einsatzorientierte Aufgabenspektrum macht eine Anpassung nötig. Zudem ist sie ein Beitrag zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber, indem stärkere Einflussmöglichkeiten der soldatischen Interessenvertretungen geschaffen werden. Insbesondere die Vertrauenspersonen erhalten eine kraftvollere Stellung durch eine Erweiterung der Beteiligungstatbestände. So bestimmen Vertrauenspersonen erstmals bei der Festlegung der täglichen Arbeitszeiten und der Verteilung auf die Wochentage mit; vorher wurden sie lediglich angehört. Im Sinne einer familienfreundlicheren und attraktiveren Ausrichtung des Dienstes bestimmen sie außerdem bei Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst mit. Auch statt lediglich Vorschläge zur Berufsförderung zu machen, hat die Vertrauensperson nun bei der Entscheidung darüber ein Mitbestimmungsrecht. Daneben wird die Vertrauensperson zusätzlich angehört bei der Genehmigung von Telearbeit und – mit Vorschlagsrecht – der Gestaltung der dienstlichen Unterkünfte. Diese Änderungen unterstützen wir, und ich danke den Beteiligten im Ministerium und in der Verwaltung für ihre insgesamt recht ausgewogene Arbeit bei der Anpassung des Gesetzes an die veränderten Realitäten. Im Ausschuss haben wir uns den vorgelegten Entwurf nochmals angeschaut und an einigen Stellen Änderungsbedarf erkannt. Mein Dank geht daher auch an die Kolleginnen und Kollegen im Verteidigungsausschuss, die konstruktiv und kollegial für die Soldatinnen und Soldaten wichtige Änderungen unterstützt und umgesetzt haben. Dazu gehört erstens die Absenkung der Summe bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Soldaten, ab der die Vertrauensperson mitbestimmen darf, von 500 auf immerhin 250 Euro. Hier hätten wir uns eine weitere Absenkung gewünscht, da es vor der Novellierung keine Untergrenze gab und die Vertrauensperson noch grundsätzlich beteiligt wurde. Auch 250 Euro ist viel Geld, wenn Teile der Ausstattung unverschuldet abhandenkommen. Wenigstens eine Anhörung sollte hier stattfinden. Vielleicht lässt sich das ja im täglichen Dienst und Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen gewohnheitsrechtlich etablieren, um es dann später auch gesetzlich wieder einzuführen. Zweitens erhöhen wir die Zahl der Vertrauenspersonen im Gesamtvertrauenspersonenausschuss für das Kommando Heer von elf auf 13. Damit wird einerseits die Bewältigung der Fülle an Aufgaben erleichtert und andererseits eine repräsentativere Vertretung des Heeres in diesem Gremium erreicht, ohne eine zu dominante Stellung gegenüber den anderen Teilstreitkräften zu schaffen. Diskutiert haben wir einen weiteren Vorschlag. Die Disziplinarvorgesetzten sollten zu regelmäßigen Fortbildungen über das SBG sowie Formen und Verfahren der Beteiligung von Soldatinnen und Soldaten verpflichtet werden. Das Ziel ist allerdings auch erreichbar, indem in alle Offizierslehrgänge eine entsprechende Lehreinheit aufgenommen wird. Entsprechend rufen wir die Ministerin auf, das Thema soldatische Beteiligungsrechte in die Offiziersausbildung aufzunehmen. Hinweisen möchte ich auf einen weiteren Punkt, den ich bereits in der ersten Lesung angesprochen habe und der leider weiterhin problematisch bleibt. Die Bundeswehr ist nach den Artikeln 87a und 87b des Grundgesetzes strikt in einen zivilen und einen militärischen Bereich getrennt. Diese Trennung ist gut und sinnvoll, denn sie sorgt dafür, dass das Militär nicht allein über seine gegebenenfalls kostspielige Ausstattung entscheiden kann, sondern der zivile Teil unserer Gesellschaft in die Entscheidungen einbezogen wird. Allerdings hat die Zahl der Soldatinnen und Soldaten, die zivile Dienstposten beispielsweise im für die Rüstung zuständigen Beschaffungsamt oder auch im Verteidigungsministerium einnehmen, deutlich zugenommen; teils übersteigt sie sogar die Zahl der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in eigentlich zivilen Bereichen. Diese schleichende Entwicklung vorbei an unserer Verfassung ist nicht wünschenswert. Ihr sollte langfristig entgegengewirkt werden, indem sich das militärische Personal wieder auf seine Kernaufgabe konzentrieren kann, was sich im Rahmenplan zur Trendwende Personal sicher umsetzen lassen sollte. § 60 ermöglicht wie bisher schon Soldatinnen und Soldaten in Kommandos und Stäben mit Führungsaufgaben und Aufgaben der militärischen Grundorganisation sowie Stäben und Dienststellen der Korps, keine Vertrauenspersonen, sondern eigene Personalvertretungen nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) zu wählen. Wenn das militärische Personal schon so umfangreich ist, ist dies grundsätzlich zu begrüßen, um ein Nebenher von zwei Vertretungssystemen in ein und demselben Bereich zu vermeiden und dennoch alle Betroffenen angemessen zu beteiligen. Problematisch wird es in gemischten Dienststellen, wenn nach dem neuen Absatz 2 zivile und militärische Wahlberechtigte eine gemeinsame Vertretung wählen. Nach den Regeln des BPersVG erfolgt bei weniger als fünf Beschäftigten eine Zuordnung zur nächsten Dienststelle. Durch die militärischen Kolleginnen und Kollegen ergibt sich nun die Möglichkeit, dass in kleinen Dienststellen die Mindestzahl für einen eigenen Personalrat erreicht wird. Im extremen Fall kann dadurch eine militärische Dominanz der zivilen Angestellten erfolgen, beispielsweise bei einem Verhältnis von einem zivilen zu vier militärischen Wahlberechtigten. So lassen sich die negativen Effekte langfristig nur verhindern, indem, wie gerade gefordert, die Zahl der Soldatinnen und Soldaten auf zivilen Dienstposten deutlich reduziert und unserem Grundgesetz entsprechend gehandelt wird. Nichtsdestotrotz haben wir mit dem nun vorliegenden Text ein gutes Ergebnis erzielt, mit dem auch die beteiligten Verbände leben können. Wo es Nachbesserungsbedarf gibt, werden wir uns für laufende Verbesserungen einsetzen. Gemeinsam mit Vertrauenspersonen, Personalräten, aber auch den Gleichstellungsbeauftragten setzen wir uns für weitergehende Verbesserungen, stärkere und sinnvolle Beteiligung sowie den Abbau von Hindernissen und Diskriminierung ein. Die nächste Novellierung kommt bestimmt. Sollte es notwendig sein, werden wir darauf dringen, die bis dahin untergesetzlich vereinbarten Maßnahmen und Verbesserungen dann gesetzlich zu verankern. Christine Buchholz (DIE LINKE): Die Änderungen der soldatenbeteiligungs- und personalvertretungsrechtlichen Regelungen unterstützen wir im Grundsatz, denn als Linke ist uns auch die Interessenvertretung der Soldatinnen und Soldaten als Beschäftigte ein wichtiges Anliegen. Die Linke sieht viele der neuen Regelungen positiv, so die gesetzliche Verankerung der Vertrauenspersonenausschüsse für die einzelnen militärischen Organisationsbereiche und der von Vertrauenspersonen anberaumten Versammlungen. Auch die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte der Vertrauenspersonen bei der Gestaltung des Dienstbetriebs in § 25 ist zu begrüßen, wie auch die bessere materielle Absicherung der Tätigkeit von Vertrauenspersonen. In Bezug auf die Änderungen im Bundespersonalvertretungsgesetz begrüßen wir, dass nun nach mehr als 50 Jahren die gewerkschaftliche Interessenvertretung in den Geheimdiensten erstmals im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, wenn auch in § 86, Nr. 11 noch immer die Zulassung bestimmter Gewerkschaftsmitglieder unter dem Vorwand von Geheimhaltungsgesichtspunkten in das Belieben des Leiters des BND gestellt ist. Wir haben aber auch Kritik. Nach § 16 ist es möglich, dass Vertrauenspersonen aus „unvermeidbaren dienstlichen Gründen“ gegen ihren Willen versetzt werden dürfen. Das Ministerium sagt, die Hürden dafür seien hoch. Das reicht uns nicht. Des Weiteren zur Soldatenbeteiligung im Bereich des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG): Wir als Linke haben uns schon in der Debatte um das Bundeswehrreformgesetz dagegen ausgesprochen, dass immer mehr Soldaten auf Dienststellen eingesetzt werden, auf denen eigentlich zivile Beschäftigte eingesetzt werden müssen. Die neuen Regelungen verstärken diese Entwicklung: Es soll jetzt möglich sein, dass bereits beim Vorhandensein eines oder einer zivilen Beschäftigten in einer Dienststelle von dieser Person und bis zu vier Soldatinnen und Soldaten ein Personalrat gewählt werden kann. Das kann zu einer Dominanz der Soldatinnen und Soldaten in den Strukturen der Personalvertretung führen. Überdies bleibt die Frage wieder einmal ungeklärt, warum nicht die Bestimmungen des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG) auf die gesamte Bundeswehr im Grundbetrieb ausgedehnt werden. Der Schritt hin zur vollen Gleichberechtigung auch der Soldatenvertretungen in den beweglichen Einheiten ist nicht gegangen worden: Die Besonderheiten des militärischen Dienstes würden eine vollkommene Gleichstellung im Sinne des BPersVG nicht zulassen, wie uns im Ausschuss erklärt wurde. Aber worin diese Besonderheiten denn im Grundbetrieb liegen, wurde uns nicht erklärt. Die Begründung für das Gesetz ist durchsichtig. Die Mitbestimmung wird nicht als selbstverständliches Recht gesehen, sondern als Mittel zum Zweck, um die Bundeswehr zu einem attraktiven Arbeitgeber zu machen. Die Bundeswehr als Arbeitgeberin hat weiterhin große Probleme mit der Akzeptanz unter den jungen Leuten. Und das mit Recht: Denn was passiert, wenn Auslandseinsatzzwang und Soldatenbeteiligung aufeinanderprallen, kann man u. a. in Kapitel 4 sehen, das alle Formen der Mitbestimmung explizit unter den Vorrang der Auftragserfüllung stellt. Damit wird der Willkür von Vorgesetzten im Auslandseinsatz Tür und Tor geöffnet. In § 57 werden die Mitbestimmungsrechte bei der Dienstplanung, die in § 25 neu gewährt wurden, gleich wieder kassiert. Aus diesen Gründen wird Die Linke dieser Novelle trotz der durchaus begrüßenswerten Aspekte nicht zustimmen. Ursprünglich hatten die Grünen einen Änderungsantrag eingereicht, der vorsieht, Dienstvorgesetzte in Fragen der Soldatenvertretung zu schulen. Das war offensichtlich zu viel des Guten für das Ministerium und die Koalition. Diese Schulungen sollen jetzt untergesetzlich geregelt werden, wie die SPD im Ausschuss zusicherte. Wir hoffen sehr, dass sich die SPD an dieses Versprechen auch hält! Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Verteidigungsausschuss bietet ja leider viel zu selten die Gelegenheit, die Politik der Bundesregierung zu verbessern. Denn bei den meisten „großen“ Themen, etwa bei Fragen der Rüstung oder der sicherheitspolitischen Strategie, zeigt sich die Regierungskoalition immer wieder erstaunlich beratungsresistent. Umso erfreulicher sind deshalb jene Momente, in denen sich der Ausschuss mit weniger abstrakten Problemen befasst – mit Problemen, die den Alltag der Soldatinnen und Soldaten prägen. Dann kommt die Stunde der Sachpolitik. Ich glaube, man kann sagen: Im Falle des Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetzes haben wir diese Stunde der Sachpolitik gut genutzt. Denn wir haben auf Initiative meiner Fraktion nicht in allen, aber doch in entscheidenden Punkten echte Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten erreicht. Erstens: Wir haben die Bagatellgrenze bei den Schadensersatzforderungen gegen Soldatinnen und Soldaten erheblich abgesenkt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah vor, dass die Vertrauenspersonen erst dann in das Verfahren einbezogen werden müssen, wenn der Soldat oder die Soldatin mindestens 500 Euro Schadensersatz leisten soll. Ich habe hier schon vor vier Wochen gesagt: Diese Grenze ist viel zu hoch. Denn dass Soldaten und Soldatinnen verloren gegangene Ausrüstungsgegenstände ersetzen sollen, kommt durchaus häufiger vor. Zu Beginn ihrer Ausbildung erhalten die Rekrutinnen und Rekruten mehrere Dutzend Kleidungsstücke und technische Hilfsmittel ausgehändigt. Vieles davon – wie etwa der Tropenhut oder die Zeltbahn – kommt selten bis überhaupt nicht zum Einsatz. Kein Wunder, dass hier und da etwas verschwindet. Dann wird Schadensersatz fällig. Und dann ist es wichtig, dass die Soldatinnen und Soldaten in der Vertrauensperson einen Anwalt an ihrer Seite haben. Meine Fraktion hat deshalb vorgeschlagen, die Schadensschwelle, ab der die Vertrauensperson einbezogen werden muss, auf 100 Euro abzusenken. 100 Euro sind für die Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten viel Geld. Leider wollten die Koalitionsfraktionen so weit nicht gehen. Aber ich bin froh, dass wir uns nun auf 250 Euro verständigt haben. Denn damit zeigen wir: Wir lassen die Soldatinnen und Soldaten in kritischen Situationen nicht im Regen stehen. Ein zweiter Triumpf der Sachpolitik ist unser Kompromiss zum Vertrauenspersonenausschuss beim Kommando Heer. Von bisher 17 auf nur elf Vertrauenspersonen wollte die Bundesregierung dieses Gremium verkleinern. Das erschien uns doch sehr radikal. Das Heer stellt mit knapp 60 000 Soldatinnen und Soldaten die größte Teilstreitkraft. Dementsprechend hat der VPA beim Kommando Heer ziemlich viel zu tun. Wir haben es gemeinsam geschafft, die Zahl der Mitglieder des Ausschusses auf künftig 13 zu erhöhen. Das ist nicht ganz so viel, wie meine Fraktion sich erhofft hatte. Aber damit sollte gewährleistet sein, dass der VPA die Interessen der Soldatinnen und Soldaten auch weiterhin vernünftig vertreten kann. Und darauf kommt es an. Eine wirksame Mitsprache und Mitgestaltung ist wichtig – nicht nur für die Zufriedenheit der Soldatinnen und Soldaten. Sie ist auch unverzichtbar, wenn Innere Führung mehr sein soll als nur ein Lippenbekenntnis. Leider haben insbesondere die Kolleginnen und Kollegen aus der Union diesen Zusammenhang noch nicht völlig verinnerlicht. Sonst hätten wir das Gesetz sicherlich noch in zwei weiteren Punkten verbessern können. Eine echte Erschwernis für die praktische Umsetzung der Soldatinnen- und Soldatenbeteiligung besteht nämlich darin, dass viele Vorgesetzte nicht ausreichend über Umfang und Verfahren der Soldatinnen- und Soldatenbeteiligung Bescheid wissen. Meine Fraktion hat deshalb vorgeschlagen, im Gesetz festzuschreiben, dass Disziplinarvorgesetzte entsprechende Seminare und Schulungen zur Soldatenbeteiligung besuchen sollen. Leider hat die Union diesen Vorschlag abgelehnt – und so werden die Vertrauenspersonen an vielen Standorten wohl weiterhin für ihre Einbindung und ihre Rechte kämpfen müssen. Eine zweite Änderung, die wir sehr begrüßt hätten, betrifft die Wahl des Personalrats in gemischten Dienststellen: Das neue Gesetz sieht vor, dass in personalratsfähigen Dienststellen, in denen weniger als fünf zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorhanden sind, künftig auch Soldatinnen und Soldaten zu den Wahlberechtigten hinzugezählt werden. Die zunehmende Vermischung von zivilen und militärischen Strukturen ist nicht zuletzt unter verfassungsrechtlichen Aspekten sehr fragwürdig. Und deshalb hätten wir gerne auf diese neue Regelung verzichtet. Ich hoffe sehr, dass wir in einem anderen Zusammenhang einmal die Gelegenheit haben werden, uns grundsätzlich über das Verhältnis von Streitkräften und Bundeswehrverwaltung zu unterhalten, werte Kolleginnen und Kollegen aus der Union. Für heute gilt: Ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, auf unsere Änderungsanträge einzugehen. Und ich bin sicher, die Soldatinnen und Soldaten werden unsere Arbeit sehr zu schätzen wissen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Achtung der Menschenrechte in Burundi einfordern – Friedensdialog fördern – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Kordula Schulz-Asche, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gewalt in Burundi stoppen – Weitere massive Menschenrechtsverletzungen verhindern (Tagesordnungspunkt 22 und Zusatztagesordnungspunkt 5) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Burundi ist ein Staat mit einer unruhigen Vergangenheit. Seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1962 gab es immer wieder Machtkämpfe und Konflikte, die oftmals auch bewaffnet ausgetragen wurden. Leidtragende war immer die Bevölkerung. Wir sprechen über ein Land, das in nahezu sämtlichen Indizes am unteren Ende rangiert. Nach dem hart verhandelten Friedensvertrag von Arusha im Jahr 2000 kam Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf. Die Menschenrechtslage verbesserte sich, wenn auch sehr langsam. Es bildeten sich Ansätze einer aktiven Zivilgesellschaft heraus und die Presse begann, freier und kritischer zu agieren. Mit der Ankündigung vom Frühjahr 2015, entgegen der Friedensvereinbarung von Arusha nun doch für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, hat Burundis Präsident Pierre Nkurunziza die Fortschritte der letzten Jahre mit einem Schlag wieder zunichte gemacht. Und so befindet sich das Land seit nunmehr über einem Jahr erneut in der Krise, und seine Bürger leiden unter immer wieder aufflammenden Gewaltwellen. In dieser Zeit ist Burundi – um doch noch einen Index zu zitieren – im Human Development Index von Platz 180 auf 184 abgerutscht, wohlgemerkt von 188 insgesamt. 260 000 Menschen sind bereits in die Nachbarländer geflüchtet. Die Situation ist also dramatisch, und das Ruder muss dringend herumgerissen werden. Was den Antrag der Grünen anbelangt, möchte ich davor warnen, die heutigen Ereignisse in Burundi mit Völkermord in einem Atemzug zu nennen. Völkermord ist ein klar definierter Tatbestand, der zum Glück aktuell nicht erfüllt ist. Das macht das dortige Geschehen keinen Deut besser. Aber der Sinn eines solchen Begriffes ist es ja gerade, schwerste Vergehen gegen die Menschlichkeit in ihrer Gesamtheit präzise einordnen zu können. Da ist es nicht hilfreich, alle begangenen Kollektivverbrechen reflexartig gleich in die Nähe des Völkermords zu rücken. Gleichwohl ist es absolut richtig und wichtig, wachsam zu sein und die Augen offen zu halten. Nie wieder darf es zu Tragödien wie 1994 in Ruanda kommen, und auch in Burundi haben sich die Volksgruppen der Hutu und Tutsi in der Vergangenheit viel Gewalt angetan. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der gegenwärtige Konflikt eben nicht entlang ethnischer Zugehörigkeiten geführt wird. Es handelt sich um politische Spannungen, und Mitglieder aller Ethnien streiten sowohl auf Seite der Regierung als auch auf Seite der Opposition. Diese Erkenntnis macht die Situation vor Ort nicht weniger kompliziert. Zwar laufen aktuell Friedensgespräche, die auch dieses Mal im für Burundi schon symbolträchtigen Arusha stattfinden. Die Verhandlungen im Nachbarland Tansania verlaufen jedoch zäh. Die Regierung ist kaum zu Zugeständnissen bereit; das wichtigste Oppositionsbündnis bezeichnete die Gespräche als – Zitat – „Zeitverschwendung“. Für die Lösung einer so diffizilen und zugleich gefährlichen Situation gibt es kein Patentrezept. Die internationale Gemeinschaft hat mit intensiven diplomatischen Bemühungen versucht, Druck auf die Regierung Burundis auszuüben. Darüber hinaus haben alle großen Geberländer ihre regierungsnahe Entwicklungszusammenarbeit ausgesetzt, so auch Deutschland und die EU. Zumindest nach außen hin gibt sich der burundische Präsident davon bislang unbeeindruckt, und in den Friedensgesprächen behält er seine harte Linie bei. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass Nkurunziza seine Haltung sehr schnell ändern würde, wenn die Afrikanische Union endlich an einem Strang ziehen und ihm ganz klar seine Grenzen aufzeigen würde. Die Afrikanische Union ist vor allen andern internationalen Organisationen gefragt, sich um eine nachhaltige Lösung des Konflikts in ihrem Mitgliedsland zu bemühen. Die Signale aus Addis Abeba sind jedoch seit Monaten zwiespältig. Es steht der Verdacht im Raum, dass manch verbliebener Potentat einen Präzedenzfall vermeiden möchte, der eines Tages auch auf ihn selbst zurückfallen könnte. Es ist mir unbegreiflich, dass der AU-Ausschuss für Frieden und Sicherheit in der vergangenen Woche seinen Vorsitz an Burundi vergeben hat. Burundi leitet nun also das entscheidende Gremium der Afrikanischen Union, welches federführend mit der Lösung der Krise im eigenen Land beauftragt ist. Das ist in der Tat ein deutliches Zeichen der Afrikanischen Union an die Machthaber in Bujumbura – aber leider genau das falsche. Damit liegen die Hoffnungen nun wohl alleine auf den fragilen Friedensgesprächen in Arusha, die in den kommenden Wochen fortgesetzt werden sollen. Deutschland kann diese Gespräche unterstützen, indem es den Druck auf die burundische Regierung aufrechterhält und sich im Einklang mit der EU eindeutig gegenüber Präsident Nkurunziza positioniert. Darüber hinaus sollten wir zur Verbesserung der Menschenrechtssituation auch weiterhin bevölkerungsnahe Hilfsprojekte fortführen und die in die Nachbarstaaten geflohenen Menschen unterstützen. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): In der englischen Version des UNHCR Tracks von Mai 2016 können wir folgende Aussagen finden – ich zitiere frei –: Nicoles Reise durch die Hölle begann mit den täglichen Runden der brutalen Milizen der Regierungspartei, der Imbonerakure, von Tür zu Tür. Sie sah, was passierte, als ihr Vermieter 10 000 burundische Franc den Milizen nicht bezahlen konnte. Er wurde am Kopf aufgeschlitzt und in die Seiten sowie in den Bauch gestochen. Seiner Frau wurden die Brüste abgeschnitten, und sie wurde von den Genitalien bis zum Kopf aufgeschlitzt. Den Kindern wurden die Kehlen durchgeschnitten. Nicole wusste in diesem Moment, sie muss ihre drei Söhne einsammeln und weglaufen. Sie waren fast an der tansanischen Grenze, als eine Gruppe von Polizisten, Imbonerakure und lokalen Offizieren sie einfing. Ihre Befehle lauteten, jeden zu töten oder zu verprügeln, der versuchte, die Grenze zu überwinden. Es gab sogar eine Frau, die ihr Baby auf dem Rücken trug, und sie schlugen sie, bis das Baby starb (indirekt zitiert nach: UNHCR Tracks, Mai 2016, http://tracks.unhcr.org/2016/05/running-from-rape-in-burundi/). Nicole wurde verprügelt und im Gefängnis von einem Polizisten vergewaltigt. Danach wurde sie aus der Polizeistation rausgeworfen. Seitdem hat sie ihre Kinder nicht mehr gesehen. Nicole gehört zu den 265 000 burundischen Bürgern, die geflohen sind, seitdem Präsident Pierre Nkurunziza für eine dritte Amtszeit kandidierte. Der Ankündigung folgten Proteste, schärferes Durchgreifen von der Sicherheitsbehörden und Milizengewalt. Das burundische Verfassungsgericht bestätigte die Rechtmäßigkeit der Kandidatur von Pierre Nkurunziza, der als Präsident am 21. Juli 2015 wiedergewählt wurde. Seither setzen sich Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in unverminderter Intensität fort. Friedliche Demonstrationen wurden gewaltsam unterdrückt, bürgerliche und politische Freiheiten massiv eingeschränkt. Im Dezember sollten die burundischen Sicherheitskräfte mindestens 87 Menschen getötet haben. Es sollte sich bei vielen dieser Tötungen wohl um willkürliche Hinrichtungen gehandelt haben. Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Zeid Ra’ad Al Hussein, alarmierte die internationale Gemeinschaft über die mutmaßliche Existenz von Massengräbern, von Fällen sexueller Gewalt, von willkürlichen Verhaftungen, verschwundenen Personen, Folter und Massenhinrichtungen. Sowohl die Regierung als auch Teile der Opposition setzen gezielt Gewalt ein, um ihre Interessen durchzusetzen. Letzten Dezember verurteilte das Europäische Parlament in einer Entschließung „die Gewalttaten und Zunahme von Menschenrechtsverstößen und -verletzungen, einschließlich Ermordungen, außergerichtlicher Hinrichtungen, Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit von Menschen, Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und/oder erniedrigender Behandlung, willkürlichen Festnahmen und rechtswidrigen Inhaftierungen, auch von Kindern, und die Besetzung von Schulen durch das Militär und die Polizei sowie die Verletzungen der Presse- und Meinungsfreiheit und die bestehende Straflosigkeit“ und forderte „eine gründliche und unabhängige Untersuchung der Tötungen und Verstöße sowie die strafrechtliche Verfolgung der Täter“. In Burundi sind die Menschen nicht mehr frei. Ein Pfarrer aus dem Wahlkreis unseres Kollegen Uwe Schummer wies mich heute Morgen auf einen Beitrag der Deutschen Welle hin, wonach elf burundische Schüler festgenommen wurden, weil sie in ihren Schulbüchern Fotos von Präsident Pierre Nkurunziza bekritzelt haben. Jetzt drohen ihnen bis zu fünf Jahre Haft. Eine Präsenz der Vereinten Nationen, um die Sicherheitslage zu überwachen und die Einhaltung der Menschenrechte zu fördern, sollte möglichst schnell organisiert werden. Am 1. April 2016 votierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig für die Resolution 2279 (2016), die Optionen für die Entsendung einer Polizeimission der Vereinten Nationen darlegt. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Bemühungen, gegenüber der burundischen Regierung auf Rechtsstaatlichkeit sowie die Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zu drängen, fortzusetzen. Vor Ort hat sich die deutsche Botschaft in Bujumbura unter anderem bei zahlreichen Gelegenheiten für die Durchsetzung der Versammlungs- und Pressefreiheit eingesetzt. So wurden zum Beispiel der Menschenrechtsaktivist Pierre Claver Mbonimpa sowie der Journalist Bob Rugurika nach ihrer jeweiligen Verhaftung mehrmals in der Haft besucht. Letzterer wurde dann im Februar 2015 freigelassen. Er war für die Berichterstattung über die Ermordung dreier italienischer Nonnen im Zusammenhang mit der Ausbildung der Imbonerakure inhaftiert worden. Wir fordern die Bundesregierung auch auf, sich weiterhin für einen innerburundischen inklusiven politischen Dialog einzusetzen. Nur ein inklusiver politischer Dialog unter internationaler Vermittlung, der das Abkommen von Arusha und die Verfassung Burundis achtet, wird zu einer Lösung der Krise führen. Die Menschen in Burundi zählen zu den ersten Opfern dieser Krise. Mehr als 400 Menschen wurden schon getötet und Tausende verletzt. Über 260 000 Menschen, insbesondere junge Frauen und Kinder, sind in die Nachbarländer geflohen. Laut der Vereinten Nationen sind 4,6 Millionen Menschen – gesamte Bevölkerung: 10,8 Millionen – von Ernährungsunsicherheit betroffen. Es ist daher unabdingbar, den Zugang der Bevölkerung zu grundlegenden Diensten sicherzustellen. Die burundische Zivilgesellschaft muss weiterhin humanitär versorgt werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, bei der Unterstützung der in die Nachbarländer Burundis geflohenen Menschen nicht nachzulassen und dabei Projekten, die Jugendliche im Hinblick auf ihre Bildung und Ausbildung fördern, besondere Beachtung zu schenken und sich für den ungehinderten Zugang internationaler und regionaler Hilfsorganisationen zu allen Flüchtlingslagern der Region einzusetzen. Im März 2016 hat die EU die direkte finanzielle Unterstützung der burundischen Behörden im Rahmen des EU-AKP-Partnerschaftsabkommens (Cotonou-Abkommen) zwar ausgesetzt, die finanzielle Unterstützung für die Bevölkerung und die humanitäre Hilfe wird aber in vollem Umfang aufrechterhalten. Deutschland gehört mit seinem 2016 geleisteten Beitrag von 20 Millionen Euro zu den wichtigsten Gebern im Rahmen des Zentralen Nothilfe-Fonds der VN, der allein im Monat März 2016 zwei Millionen US-Dollar für burundische Flüchtlinge in Tansania bereitstellte. Deutschland hat dem UNHCR im vergangenen Jahr 3,5 Millionen Euro aus den Mitteln der Humanitären Hilfe zur Verfügung gestellt und dem Welternährungsprogramm für die Flüchtlingslager in Tansania weitere 14 Millionen Euro aus der bilateralen finanziellen Zusammenarbeit. Die Teilsuspendierung der deutschen Entwicklungshilfe bezieht sich ausschließlich auf die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit des BMZ. Die Arbeit privater Träger und privates Engagement ist hiervon nicht berührt. Im Gegenteil: Es ist sehr wichtig, dass insbesondere in diesen für Burundi sehr schwierigen Zeiten deutlich wird, dass die Menschen nicht vergessen werden und dass Deutschland und seine Bürger mit den Burundiern solidarisch sind. In diesem Sinne ist anhaltendes privates Engagement ein starkes Zeichen internationaler Solidarität. Die Gefahr eines Bürgerkrieges mit potenzieller Ethnisierung der Auseinandersetzungen und Destabilisierung der gesamten Region besteht weiterhin, zumal der elfjährige Bürgerkrieg, der mit dem Frieden von Arusha 2005 endete, noch keine Vergangenheit ist. In den letzten zehn Jahren sind rund 500 000 Burundier, die während der Flüchtlingswellen 1972 und 1993 in die Nachbarländer geflohen waren, zurückgekehrt. Die jüngsten unter ihnen lebten in dritter Generation im Ausland mit wenig Beziehung zu ihrem Heimatland. Die Kommission „Nationale des Terres et autres Biens“ (CNTB) wurde 2006 eingerichtet, um Landkonflikte, die im Zusammenhang mit der Rückkehr von Flüchtlingen nach dem Bürgerkrieg standen, zu regeln. Aber durch eine Gesetzesänderung Anfang 2014 wurde die Unabhängigkeit dieser Kommission infrage gestellt, und es gab Berichte über Enteignungen und gewaltsames Vorgehen. Letztlich geht es bei der Flüchtlings- und Landproblematik um politische Machtkämpfe zwischen aktueller und ehemaliger Regierungspartei. Sie bergen die Gefahr, dass ethnische Ressentiments in der Bevölkerung wieder aufflammen. Die meisten Familien Burundis sind von den Jahrzehnten des Völkermordes gezeichnet, wie beispielsweise Erzbischof Simom Ntamwana, einer der wichtigsten Köpfe der afrikanischen Kirche. 1972, als Tutsis Hutus jagten, starben mehr als 60 Menschen aus seiner Familie. Sein Leben hat er der Versöhnung gewidmet. „Nur Versöhnung, nicht Rache, hilft“, sagt er. Pater Maruhukiro aus Burundi, der vor ein paar Wochen hier zu Gast war, berichtete über eine bestehende Völkermordideologie. Die Instrumentalisierung der Ethnie berge die Gefahr einer ethnischen Eskalation. Er forderte außerdem unabhängige Untersuchungen des Massakers, das am 11. und 12. Dezember 2015 von den Polizeieinheiten und dem Geheimdienst in Bujumbura begangen wurde. In einem Hilferuf der Überlebenden letzten Januar schrieb er: „Die Angehörigen der Verschwundenen – und wahrscheinlich Ermordeten – möchten wissen, wo ihre Kinder begraben werden. Es ist meines Erachtens nach eine Schande für die internationale Gemeinschaft, dass solch eine Barbarei noch im Jahr 2015 vor unseren Augen passieren darf und quasi in Echtzeit über die sozialen Netzwerke begleitet werden kann. Und das, ohne dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden können?“ Ein wiederholter Völkermord muss um jeden Preis verhindert werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihr Engagement für die Ausgestaltung des Konzeptes der Schutzverantwortung auf internationaler Ebene aktiv fortzusetzen und dabei der Stärkung ihrer präventiven Säule weiterhin besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Einen Beitrag leistet in diesem Zusammenhang der im Jahr 2012 geschaffene Focal Point für die Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) beim Auswärtigen Amt. Die Schutzverantwortung ist darüber hinaus fest in die Arbeit der VN und der EU integriert. Die Bundesregierung unterstützt das Büro des Sonderbeauftragten für die Schutzverantwortung finanziell und setzte sich auch für die nun erfolgte Benennung eines Focal Points der EU ein. Auch innerhalb der Entwicklungszusammenarbeit werden konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der Schutzverantwortung umgesetzt, insbesondere bei der Weiterentwicklung der afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur. Die zivile Krisenprävention ist zudem ein fester Bestandteil der Arbeit der Bundesregierung, die mit einem Ressortkreis die mit Krisenprävention befassten Bundesministerien integriert und ein Forum für den Austausch über Verfahren zu Krisenprävention und Krisenfrüherkennung bietet. Ein paar wenige Worte möchte ich nur zum dritten Mandat von Präsident Nkurunziza sagen. Denn eine dritte – von der Verfassung ursprünglich nicht vorgesehene – Amtszeit ist keine Seltenheit in Afrika. Viele Staats- und Regierungschefs missachten die mittlerweile weitgehend kodifizierten Amtszeitbeschränkungen nicht einfach, sondern wählen den Prozess einer Verfassungsreform über das Parlament, ein Referendum oder eine Auslegung zugunsten des Präsidenten. Laut Wissenschaftlern lassen sich demnach viele politische Regime in Subsahara-Afrika als elektorale Autokratien charakterisieren. Amtszeitbeschränkungen sind deshalb bedeutsam, weil der wichtigste Mechanismus zur Durchsetzung von Regierungskontrolle – Wahlen – in vielen afrikanischen Staaten nicht funktioniert. Präsidenten, die sich zur Wiederwahl stellen, gewinnen diese in 85 Prozent der Fälle auch. Die Begrenzung von Amtsperioden soll die Vorteile der Amtsinhaberschaft korrigieren. Regierungswechsel – und sei es nur innerhalb der regierenden Partei – haben positive Auswirkungen auf das politische System: Sie stärken dessen Legitimität, Stabilität und Leistungsfähigkeit. Ist es so, dass Macht in Afrika oft etwas Zirkuläres hat? Dass angenommen wird, dass jemand, der es ganz nach oben geschafft hat, offenbar über eine besondere Kraft verfügt? Und Macht würde sich solcherart selbst legitimieren? Aber an niemandem geht Macht spurlos vorüber. Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut. Kaum jemand ist davor gefeit. Nach einigen Jahren absoluter Macht werden oft selbst integerste Menschen zu Tyrannen. Stürzt ein solcher Autokrat dann, bricht oft das Chaos aus, nicht weil der Despot unersetzbar ist, sondern weil er alles politische und gesellschaftliche Leben außerhalb seiner Herrlichkeit in Schutt und Asche gelegt hat. Ich schwärme oft von Afrika als unserem großen Bruder oder unserer großen Schwester. Einem Afrika, von dem wir viel zu lernen haben. Einem Afrika, mit dem wir eine bessere Zukunft zusammen aufbauen können. Zu diesem Afrika gehört aber auch eine freie und starke Zivilgesellschaft. Gabi Weber (SPD): Als ich im Februar 2015 Burundi im Rahmen einer Parlamentariergruppenreise das erste Mal besuchte, erlebte ich bereits ein Land, welches von innerer Unruhe und politischen Zerwürfnissen geprägt war. Die Auseinandersetzung über eine dritte Kandidatur des Präsidenten Nkurunziza war bereits deutlich zu spüren. Was sich dann in den nächsten Monaten in diesem Land ereignete, machte und macht mich traurig. Es entwickelte sich eine politische Krise, in deren Folge sich nicht nur die Wirtschaftslage und die Sicherheit Burundis, sondern insbesondere die Situation der Menschenrechte zunehmend verschlechtert hat. Wir sehen ein Land, das in Gewalt und politischer Instabilität versinkt und scheinbar keinen Weg zu einer friedlichen Beilegung des Konfliktes findet. Und das, obwohl es bis vor nicht allzu langer Zeit noch als ein Beispiel für eine gelungene Post-Konfliktstabilisierung nach dem Friedensvertrag von Arusha aus dem Jahr 2000 galt. Hier müssen wir uns selbstkritisch fragen, wo unsere Frühwarnsysteme nicht richtig funktioniert haben beziehungsweise wie Burundis Weg zu einer stabilen Demokratie nach dem verheerenden Bürgerkrieg hätte besser begleitet werden müssen. Die politisch festgefahrene Situation in Burundi beschäftigt uns hier in Deutschland, wie ich es seit einem Jahr erleben kann: politisch in Berlin, in Exilgruppen, im Bereich der Nichtregierungsorganisationen und auch sich für die Region engagierende Bürgerinnen und Bürger. An dieser Stelle möchte ich auch dem Auswärtigen Amt danken, das mit anderen EU-Partnern vor Ort und von Berlin aus beharrlich und mit diplomatischem Feingefühl an einer Verbesserung der Lage arbeitet. Herzlichen Dank dafür. Ich bin dem Menschenrechtsausschuss aus diesem Grund sehr dankbar, dass er mit dem vorliegenden Koalitionsantrag „Achtung der Menschenrechte in Burundi einfordern – Friedensdialog fördern“ ein Zeichen setzt, dass wir im Deutschen Bundestag neben den medial beherrschenden Großkrisen in der Welt auch die scheinbar kleinen Konfliktgebiete nicht vergessen. Das dürfen wir auch nicht. Burundi befindet sich in der politisch nicht wirklich stabilen Region der Großen Seen. Sollte der Konflikt in dem Land außer Kontrolle geraten, dann hat das gravierende Auswirkungen auf Nachbarländer wie den Kongo, Ruanda oder Tansania. Allein seit April 2015 haben über 260 000 Menschen in den Nachbarländern Zuflucht gesucht. Das ist für die diese Länder eine große Herausforderung. Was können wir von Deutschland aus tun? Ich gebe zu, auch mich befällt nach über einem Jahr oft eine gewisse Ratlosigkeit, wenn ich sehe, wie sich vor Ort scheinbar nichts zum Guten wendet. Aber dieser Konflikt ist ein komplizierter und bedarf zu seiner Lösung eines langen Atems. Wir haben es mit Verteilungskämpfen zwischen Bevölkerung und herrschender Elite zu tun, es geht also um soziale und politische Teilhabe. Ich möchte auch noch einmal betonen – es ist kein ethnischer Konflikt, bis jetzt, und das ist eine gute Nachricht. Unser Antrag fordert die Bundesregierung dazu auf, – gegenüber der burundischen Regierung weiterhin auf Rechtsstaatlichkeit sowie die Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zu dringen, um die Sicherheit der burundischen Bevölkerung zu gewährleisten; – auf Einhaltung der internationalen Verpflichtungen im Rahmen des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte durch Burundi zu bestehen. Dazu gehört insbesondere die Achtung der Grundfreiheiten und die Freiheit der Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit; – sich weiterhin für einen innerburundischen und inklusiven politischen Dialog unter internationaler Vermittlung und unter Beachtung des Abkommens von Arusha und der Achtung der Verfassung Burundis einzusetzen; – im Sinne der VN-Resolution 1325 dafür zu sorgen, dass spezielle Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt, insbesondere vor Vergewaltigung und anderen Formen des sexuellen Missbrauchs, ergriffen werden; – im Lichte dieser VN-Resolution sich dafür einzusetzen, dass Frauen in Verhandlungen in Burundi einbezogen werden, denn sie sind einerseits oft besonders Leidtragende des Konflikts, verfügen aber andererseits auch über wertvolle Fähigkeiten und Einfluss, um in Konflikten zu vermitteln und zu tragfähigen Verhandlungslösungen zu gelangen; – sich auch nach der Aussetzung regierungsnaher Programme mit unserem entwicklungspolitischen Instrumentarium sowohl bilateral als auch im EU-Kontext für die weitere Unterstützung der Zivilgesellschaft durch bevölkerungsnahe und grundbedürfnisbefriedigende Projekte einzusetzen; – die Eindämmung des Handels mit Konfliktrohstoffen weiterhin zu unterstützen, um diese wesentliche Finanzierungsquelle von bewaffneten Gruppen in der Region auszutrocknen. Hier unterstütze ich die von der Bundesregierung auf EU-Ebene vertretene Haltung für eine verantwortungsvolle und verpflichtende Zertifizierung bei der Beschaffung von Mineralien aus Konfliktgebieten. Das muss weiter vorangetrieben werden. Unser starkes Engagement für die Ausgestaltung des Konzeptes der Schutzverantwortung auf internationaler Ebene müssen wir aktiv fortsetzen und dabei der Stärkung ihrer präventiven Säule weiterhin besondere Aufmerksamkeit widmen. Bei der Unterstützung der in die Nachbarländer Burundis geflohenen Menschen ist nicht nachzulassen. Projekten, die Jugendliche im Hinblick auf ihre Bildung und Ausbildung zugutekommen, ist besondere Beachtung zu schenken. Der ungehinderte Zugang internationaler und regionaler Hilfsorganisationen zu allen Flüchtlingslagern der Region ist enorm wichtig und muss gewährleistet werden. Nur so kann die Versorgung der Geflüchteten bedarfsgerecht verbessert werden. Außerdem ließen sich so Meldungen glaubhaft überprüfen, nach denen einige Flüchtlingslager als Anwerbeorte für und von Rebellenbewegungen genutzt werden. Das darf nicht passieren, egal von welcher Seite. Ich bedauere sehr, dass es nicht zu einem fraktionsübergreifenden Antrag gekommen ist, hoffe aber, dass wir in der Ausschussberatung vielleicht doch noch zueinanderfinden können. Lassen Sie uns gemeinsam ein starkes Signal nach Burundi senden, dass Deutschland sich weiterhin in der Region engagiert und dieses Land und seine Menschen nicht vergisst. In diesem Sinne hoffe ich auf eine zielführende Beratung des Antrages in den Ausschüssen. Inge Höger (DIE LINKE): Am letzten Freitag wurden in Burundi elf Schülerinnen und Schüler verhaftet. Angeblich sollen sie in ihren Schulbüchern auf das Bild des Präsidenten Nkurunziza gekritzelt haben. Ihnen drohen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren Gefängnis. Mehr als 300 weitere junge Menschen wurden aus ihren Schulen ausgeschlossen. Seit der Kandidatur von Nkurunziza für eine dritte Amtszeit vor einem Jahr versinkt das Land immer mehr in politischen Unruhen und steht kurz vor einem Bürgerkrieg. 260 000 Menschen sind bereits außer Landes geflohen, und 25 000 sind Binnenvertriebene. Was in Burundi in den letzten Jahren passiert ist, ist leider typisch für die kurzsichtige Außenpolitik der EU und Deutschlands. Bereits im Laufe der zweiten Amtszeit agierte Präsident Nkurunziza immer autoritärer und verabschiedete sich immer mehr von der Grundlagen des Friedens, die mit den Verträgen von Arusha im Jahr 2000 gelegt wurden. Auch die wichtigen internationalen Kooperationspartner von Burundi haben nicht signalisiert, dass sie diese Basis für einen Frieden politisch ernst nehmen. Stattdessen haben sie die ökonomische, militärische und politische Kooperation intensiviert. Die Erhaltung von Demokratie und Frieden hatte für die Außenpolitiker in Berlin und Brüssel keine Priorität, solange die Kooperation in anderen Bereichen stabil funktionierte. Erst nachdem im Vorfeld der Wahlen für die dritte Amtszeit klar wurde, wie stark der Widerstand in der Bevölkerung auf diesen Angriff auf die Demokratie Burundis ist und wie brutal der Protest niedergeschlagen wurde, nahmen westliche Staaten die Problematik überhaupt ernst. Seit Jahren schon arbeitet die Bundeswehr eng mit der burundischen Armee zusammen. Diese Strategie ist extrem kurzsichtig. Um burundische Soldaten für die Intervention in Somalia zu haben, werden diese gezielt unterstützt. Dabei ist doch klar, dass es keine Garantien gibt und auch nicht geben kann, dass diese Soldaten und deren Waffen nicht auch in Burundi gegen die eigene Bevölkerung zu Einsatz kommen können. Wir können auch nicht ignorieren, dass die burundische Armee im Moment systematisch unterwandert wird. Die Mitglieder der Jugendliga der Regierungspartei werden offensichtlich gezielt angeworben, ausgebildet und dann in die Armee und die Polizei integriert. Diese Jugendliga wird von den Experten der UN als Jugendmiliz eingestuft. Dass die Kooperation mit der burundischen Armee dennoch weitergeht, ist ein echter Skandal. Die große Mehrheit der Bevölkerung in Burundi will eine politische Lösung für die akuten politischen Probleme. Sie haben sich trotz zahlreicher Versuche, vor allem vonseiten der Regierung, den Hass zwischen den Ethnien zu schüren, bisher nicht aufwiegeln lassen. Dennoch liegen die Nerven blank, deswegen ist internationale Hilfe beim Suchen nach einer diplomatischen Lösung dringend nötig. Die Afrikanische Union und die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) bemühen sich bereits um eine intensive Pendeldiplomatie. Das braucht politische Anstrengung und personelle Kontinuität. Durch die Ernennung von Sondervertretern der UN, der Europäischen Union und Deutschlands kann der Friedensprozess substanziell unterstützt werden. Hilfreich ist auch die Entsendung und Finanzierung von mehr Menschenrechtsbeobachtern, als dies bisher der Fall ist. Alles, was der Vertrauensbildung dient, muss unterstützt werden. Dazu gehört auch, dass Friedensgespräche ohne die Opposition wenig Sinn machen. Es ist sonderbar, von einer „Verantwortung zum Schutz“ zu reden, wie es in den Anträgen von Grünen und der Regierungsfraktionen der Fall ist, aber gleichzeitig nicht in ausreichendem Maße Mittel zur Verfügung zu stellen, um in den Flüchtlingslagern rund um Burundi die Menschen mit dem Lebensnotwendigen versorgen zu können. Dazu gehört übrigens auch eine Investition in Bildungsangebote in diesen Lagern. Dort ist jeweils über die Hälfte der Bewohner unter 18 Jahre alt. Wenn diese keine Bildung bekommen, dann nimmt man ihnen die Zukunft. So entstehen neue humanitäre Katstrophen und noch mehr Nährboden für Bürgerkriege. Das Welternährungsprogramm braucht allein für die nächsten sechs Monate 57 Millionen Dollar in den Flüchtlingslagern. Die im Regierungsantrag genannten Summen reichen für diese Aufgabe bei weitem nicht aus. Zudem sind infolge der politischen Krise fast 600 000 Menschen in Burundi auf Nahrungsmittel angewiesen, und die Ernährungssicherheit etwa der Hälfte der Bevölkerung ist gefährdet. Anstatt die „Verantwortung zum Schutz“ als ein Einfallstor für militärische Interventionen auszubauen, die dann häufig die Grundlagen für weitere Bürgerkriege legen, müssen wir ganz konkret dafür sorgen, dass politische Lösungen ernsthaft verfolgt und humanitäre Krisen umfassend beantwortet werden. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Situation in Burundi hat sich seit unserem Antrag zur Menschenrechtslage in diesem Land, den wir im Dezember 2015 in den Bundestag eingebracht haben, nicht verbessert. Nach wie vor verschwinden Oppositionelle und Menschenrechtsverteidiger, werden Menschen willkürlich verhaftet, gefoltert und ermordet. Die Vereinten Nationen berichten von knapp 500 Toten im vergangenen Jahr; neuere Daten legen nahe, dass bis zu 1 500 Menschen im Konflikt zwischen Regierung und Regimegegnern zwischen April 2015 und April 2016 umgekommen sein könnten, davon 690 Zivilisten. Die privaten Radiostationen Burundis bleiben geschlossen, viele der noch lebenden burundischen Journalisten, Oppositionellen und Mitglieder der Zivilgesellschaft sind im Exil. Die Angst geht um in der Bevölkerung, Burundi entwickelt sich mehr und mehr zur Diktatur. Versuche der Vereinten Nationen, eine Polizeimission nach Burundi zu bringen, um Zivilisten zu schützen und zumindest die Sicherheitslage zu verbessern, haben noch keine Ergebnisse gebracht. Sie scheitern am Widerstand der Regierung, die schon seit Jahren daran arbeitet, den Grad ausländischer Einmischung auf ein Minimum zu reduzieren. Sie scheitern aber auch am mangelnden Engagement der Mitgliedstaaten, die einer solchen Mission schon vor ihrer Entsendung den Wind aus den Segeln nehmen, indem sie nicht das notwendige Personal bereitstellen. Die Afrikanische Union hat von Plänen, eine Friedenstruppe zu schicken, wieder Abstand genommen, zu groß war das Tabu, gegen den Willen eines Mitgliedstaates zu intervenieren. Die meisten ausländischen Botschaften und Organisationen haben ihr Personal aus Burundi abgezogen, Entwicklungsgelder wurden eingefroren, Sanktionen verhängt. So befindet sich das Land in einem unheimlichen Stillstand. Die Isolation wächst, Ratlosigkeit scheint sich breitzumachen. Dabei hat sich die internationale Gemeinschaft Jahrzehnte in Burundi engagiert. Mit Hilfe seiner Nachbarn, der Afrikanischen Union, der Vereinten Nationen und der EU war es Burundi gelungen, aus dem Zyklus der Gewalt auszusteigen und in Arusha im Jahr 2000 ein inklusives, fortschrittliches Friedensabkommen zu verhandeln. Auf dem steinigen Weg der Umsetzung wurde es von eben diesen internationalen und regionalen Partnern begleitet. Wie konnte dieser Erfolg der Friedenssicherung so schnell zum Misserfolg werden? Diese Frage muss sich auch die Bundesregierung stellen. Die aktuellen Entwicklungen in Burundi zeigen, dass das Friedensabkommen, das zugleich die Grundlage der burundischen Verfassung ist, nie wirklich bei der burundischen Regierung angekommen ist. Immer wieder wurden wesentliche Vorgaben nicht umgesetzt, wie zum Beispiel bei der Berufung der Wahrheits- und Versöhnungskommission, oder eben den Regeln zur dritten Amtszeit des Präsidenten. Die internationale Gemeinschaft hat die Risse, die sich zeigten, immer wieder ignoriert. Menschenrechtsverletzungen wurden nur leise angesprochen, Korruption wurde toleriert. Vor allem nach den Wahlen von 2010, die die Opposition boykottierte, wurde das Land mit der heraufziehenden politischen Krise fast allein gelassen. Auch die Bundesregierung hätte sich früher und in aller Öffentlichkeit zur Frage des dritten Mandats positionieren können. Man hätte dem Präsidenten gleich nach der letzten Wahl 2010 deutlich machen können, dass die internationale Gemeinschaft ein drittes Mandat nicht mitträgt. Man hätte die mutigen Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger vor Ort und die Menschenrechtsarbeit der Vereinten Nationen tatkräftiger und vor allem öffentlicher unterstützen können. Man hätte die Menschenrechtsverletzungen, die schon 2010, 2011, 2012 geschahen, anprangern und die burundische Regierung auf die Menschenrechte verpflichten können. Stattdessen hat man gehofft, dass sich die Sache schon irgendwie lösen würde, man hat weiter Entwicklungshilfe gezahlt – die ja auch dringend benötigt wurde –, und man hat sich mit wenig bis gar keiner Rhetorik zufrieden gegeben. Diese Zurückhaltung spiegelt sich auch im Antrag der Koalitionsfraktionen, der uns heute vorliegt. Die Forderungen sind richtig, aber vage, vor allem da, wo die Bundesregierung selbst aktiv werden müsste. Gerade jetzt, wo die Bundesregierung den Aktionsplan Zivile Krisenprävention überarbeiten möchte, muss man aber aus der Situation in Burundi lernen. Unsere Forderungen vom Dezember bleiben daher aktuell. Umso unverständlicher ist es, dass die Koalition sich einer gemeinsamen Resolution zu Burundi, die in den vergangenen Monaten diskutiert wurde, verweigert und unseren Antrag gestern im Menschenrechtsausschuss abgelehnt hat. Wir wollen, dass die Bundesregierung die Schutzverantwortung ernst nimmt. Die Amerikaner haben mit ihrem Atrocity Prevention Board eine Struktur geschaffen, die die Frühwarnung erleichtert und dafür sorgt, dass Konfliktherde innerhalb der Administration frühzeitig wahr- und ernstgenommen werden, sodass andere Ressorts darauf entsprechend reagieren und wirksam handeln können. So etwas brauchen wir auch für Deutschland. Wenn Sie heute mit Burundern sprechen, werden sie Ihnen sagen, dass sie von der internationalen Gemeinschaft enttäuscht sind. Sie fühlen sich im Stich gelassen vom Rest der Welt, zu Recht. Der Einsatz für die Menschenrechte ist in diesem Fall keine ungewollte Einmischung von außen, es ist eine Hilfe für diejenigen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um die Menschenrechte zu verteidigen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Britta Haßelmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages; hier: Ausschussöffentlichkeit (Tagesordnungspunkt 19) Bernhard Kaster (CDU/CSU): Ja, es ist richtig: Transparenz, Öffentlichkeit, Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen sind wichtig und richtig, gerade in der parlamentarischen Demokratie. Der Deutsche Bundestag, so steht es im Grundgesetz, tagt öffentlich. Jedes Gesetz, jeder Antrag wird in öffentlicher Sitzung in erster, zweiter und gegebenenfalls dritter Lesung debattiert. Alle Anhörungen werden öffentlich durchgeführt, alle Anträge und Ausschussberichte sind öffentlich für jedermann und jederzeit abrufbar. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Die Beratungsergebnisse nichtöffentlicher Ausschusssitzungen sind ebenfalls öffentlich. Jeder Ausschuss kann nach unserer Geschäftsordnung beschließen, ob er öffentlich tagt. Über was streiten wir hier überhaupt? Transparenz ist leider zum Kampfbegriff geworden. Totale Transparenz soll ein Maximum an Demokratie verheißen. Unser Grundgesetz verlangt zu Recht keine totale Transparenz der Meinungs- und Willensbildung der Abgeordneten. Es verlangt zu Recht ausdrücklich nicht, dass alle parlamentarischen Gespräche oder alle Gremiensitzungen öffentlich zu machen sind. Nichtöffentliche Ausschusssitzungen – und das darf nicht verwechselt werden – sind keine geheimen Ausschusssitzungen, oder wie Sie es im Antrag benennen: Da findet etwas im Verborgenen statt. Das freie Mandat braucht schlichtweg auch geschützte Denk- und Kommunikationsbereiche. Und deshalb sieht unsere Geschäftsordnung die nichtöffentliche Beratung als Regelfall einer Ausschusssitzung vor. Wie oft habe ich hier schon den Satz von Peter Struck gehört: „Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingegangen ist.“ Da klingt zu Recht immer ein wenig Stolz mit, da wir uns von unserem Selbstverständnis als Arbeitsparlament verstehen. Ich will es gerne an einem Beispiel deutlich machen: Demnächst debattieren wir im Deutschen Bundestag und dann auch in den Ausschüssen über ein neues Bundesteilhabegesetz. Schon der Gesetzentwurf, der jetzt veröffentlicht ist, bringt es mit sich, dass sowohl von zahlreichen Behindertenverbänden, aber auch den kommunalen Spitzenverbänden viele Meinungen und Stellungnahmen eingehen, die sehr unterschiedlich, ja gegensätzlich sind. Und da hat es sich eben bewährt – und das hat dem Parlament bisher gut getan – dass dann nach einer wiederum öffentlichen Anhörung im Ausschuss ohne öffentlichen Druck verschiedenster Seiten diskutiert und beraten werden kann, wobei die Interessen in Ruhe und ohne Schaufensterreden gegeneinander abgewogen werden. Es muss möglich bleiben, dass auch bei hochemotionalen, strittigen politischen Themen nicht nur wohl abgewogene, vorgefertigte Reden gehalten werden, sondern wie bisher mit spontanen Diskussionsbeiträgen Kompromisslösungen angestrebt oder Änderungsanträge spontan gestellt oder auch zurückgezogen werden. Ihr Antrag suggeriert, wie ich finde, in fataler Weise, dass jeder Form vertraulicher Beratung ein Generalverdacht der Unrechtmäßigkeit beiwohnt. Der repräsentativen Demokratie wohnt auch der Gedanke inne, dass Abgeordnete personale Verantwortung übernehmen. Ihr Antrag, davon bin ich voll überzeugt, wird letztlich zu einer Schwächung des einzelnen Abgeordneten führen. Denn, da seien Sie doch ehrlich, es werden dann zumindest mehr Diskussionsprozesse in die Fraktionen verlagert. Der gute Charakter unserer Ausschusssitzungen, der Arbeitscharakter, hat sich über Jahre bewährt. Jeder Ausschuss ist frei in seiner Entscheidung, auch öffentliche Sitzungen durchzuführen. Es besteht kein Anlass, diese bewährte Regel in der Geschäftsordnung zu ändern und dann letztlich nichtöffentliche Beratungen in andere Gremien zu verlagern. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat sich mit dem Antrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen befasst. Dazu führte der Ausschuss auch eine Anhörung von Sachverständigen durch. Im Kern des Antrages geht es um den § 69 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. In Absatz 1 Satz 1 und 2 des Paragrafen wird festgelegt, dass die „Beratungen der Ausschüsse … grundsätzlich nicht öffentlich (sind). Der Ausschuss kann beschließen, für einen bestimmten Verhandlungsgegenstand oder Teile desselben die Öffentlichkeit zuzulassen.“ Es gilt folglich für Ausschusssitzungen der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit, in Ausnahmefällen kann die Öffentlichkeit zugelassen werden. Der Antrag der beiden Fraktionen sieht vor, dieses Ausnahmeverhältnis umzukehren. Demnach würden Ausschusssitzungen grundsätzlich öffentlich sein, es sei denn, der Ausschuss beschließt punktuell etwas anderes. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt, dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen nicht zuzustimmen. Zur Begründung dieser Position möchte ich einen verfassungsrechtlichen und einen politischen Blickwinkel erläutern. Verfassungsrechtlich verweise ich auf Artikel 42 Absatz 1 Satz des Grundgesetzes. Dort wird festgelegt: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“ Das Grundgesetz legt also ausdrücklich Wert darauf, dass politische Entscheidungen transparent ablaufen. „Der Bundestag verhandelt öffentlich“ heißt aber nicht, dass jedes Gremium des Bundestages öffentlich verhandeln muss. Mit anderen Worten: Aus Artikel 42 des Grundgesetzes leitet sich keine Pflicht ab, Ausschusssitzungen öffentlich durchzuführen. Gleiches gilt für Artikel 20 des Grundgesetzes. Auch hier kann ein Transparenzgebot aus dem Demokratieprinzip nicht auf die Ausschüsse abgeleitet werden. Darüber hinaus sieht Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes vor, dass Abgeordnete nicht „an Aufträge und Weisungen“ gebunden seien und „nur ihrem Gewissen unterworfen“. Es bleibt letztendlich aber eine Frage des Vertrauens in gewählte Volksvertreter, was das Gewissen des Einzelnen prägt und beeinflusst. Darüber kann keine Öffentlichkeit hergestellt werden. Verfassungsrechtlich kann also keine zwingende Verpflichtung zur Herstellung von Öffentlichkeit bei Ausschusssitzungen abgeleitet werden. Auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt diese Position. Öffentlichkeit ist keine Pflicht. Die Befürworter des Antrages können dem nun entgegenstellen, dass öffentliche Ausschusssitzungen auch dann sinnvoll sind, wenn die juristische Argumentation es nicht zwingend vorsieht. Der Bundestag ist eine Mischung aus Rede- und Arbeitsparlament. Redeparlamente, beispielsweise das britische Unterhaus, stimmen über Gesetzentwürfe nach einer Debatte lediglich ab, ohne sie zu verändern. Als Arbeitsparlament hat der Bundestag die Chance, Gesetzentwürfe zu gestalten und zu beeinflussen. Dafür braucht es Kompromisse. Wir alle wissen, dass Politik oft als die Kunst des Kompromisses bezeichnet wird. Weil wir tagtäglich hier im Hohen Haus Kompromisse schließen, werden viel mehr Gesetze streitlos und im Konsens verabschiedet als in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Wir alle mögen unterschiedliche parteipolitische Zugehörigkeiten haben. Aber über allen Streit eint uns der Wille, für unser Land die besten Lösungen zu finden. Kompromisse schließen heißt daher auch, dass man aufeinander zugehen muss. Manchmal muss man ein Stück zurückstecken, manchmal auch auf einer Haltung beharren. Die Nichtöffentlichkeit dieser Aushandlungsprozesse erlaubt es jedem, bei einer Kompromissfindung das Gesicht nicht zu verlieren. Dieser Effekt ist für die Arbeit des Parlaments eindeutig positiv. Es zeigt sich, dass auch das öffentliche Parlament geschützte Räume braucht. Dieser Charakter der Ausschusssitzungen ginge verloren, wenn die Abgeordneten unter dem ständigen Druck der öffentlichen Darstellung stehen würden. Oft und gern wird der Eindruck erweckt, im Parlament, insbesondere in den Ausschusssitzungen, finde Hintergrundarbeit statt. Sogenannte Lobbyisten würden Einfluss auf die Ausschussarbeit nehmen. Richtig ist, dass in den Ausschüssen Experten- und Sachverständigenanhörungen stattfinden. Dafür werden themenbezogen Personen mit entsprechender Expertise eingeladen. Hier haben aber alle Fraktionen die Möglichkeit, entsprechende Sachverständige zu benennen. Gerade da Abgeordnete nach Artikel 38 des Grundgesetzes allein ihrem Gewissen unterworfen sind, haben sie das Recht, sich zu treffen, wann und mit wem sie möchten. Das ist Ausdruck des freien Mandats. Die Herstellung einer grundsätzlichen Öffentlichkeit bei Ausschusssitzungen könnte dieses Recht nicht beschränken. Offene und nicht für die Öffentlichkeit gedachte Gespräche würden sich aus den Ausschusssitzungen lediglich in den informellen Bereich verlagern. Im Übrigen könnte die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses sogar den gegenteiligen Effekt von Transparenz erzielen. Wenn alle Ausschusssitzungen im Grundsatz öffentlich wären und der Ausschuss eine nichtöffentliche Tagung beschließt, würde er sich in eine Begründungspflicht begeben. Wer es dann so deuten will, könnte dann erst recht behaupten, es gäbe etwas zu verbergen. Zudem stellt sich die Frage, was öffentlich letztendlich heißt. Sollen Sitzungen im Internet oder im Fernsehen übertragen werden? Sollen Bürgerinnen und Bürger an Ausschusssitzungen teilnehmen können? Auch da wären ja Grenzen gesetzt. Es ist gut, dass Phönix häufig wichtige Debatten im Fernsehen überträgt. Früher allerdings wurden Bundestagsdebatten unabhängig vom Thema oder von der Relevanz in voller Länge im Fernsehen übertragen. Damit war der Bundestag für die Menschen präsent. Ich würde mir wünschen, dass wir diese Möglichkeit wieder haben. Abschließend fasse ich noch einmal zusammen. Das Grundgesetz erwartet vom Bundestag, öffentlich zu tagen. Daraus ergibt sich keine zwingende Pflicht, dass auch alle Gremien des Bundestages öffentlich tagen müssen. Gerade für ein Arbeitsparlament, das an der Gesetzgebung aktiv mitwirkt, ist es wichtig, in einem geschützten Raum Kompromisse zu finden. Es ist im Übrigen durchaus nicht selbstverständlich im Vergleich zu anderen europäischen Parlamenten, dass zu den Ausschussberatungen begründete Beschlussempfehlungen und Berichte veröffentlicht werden. Jeder Abgeordnete hat zudem das Recht, eine persönliche Erklärung zu einer Ausschusssitzung oder einer Beschlussempfehlung abzugeben. Er hat zudem die Möglichkeit, das Wort auch im Plenum zu ergreifen. Wichtig ist, dass wir ergebnisorientiert letztendlich zu einem Gesetz kommen und dieses Gesetz transparent zustande gekommen ist. Zu dieser Transparenz ist zu sagen: Gesetzentwürfe, die in den Bundestag eingebracht werden, sind öffentlich. Dann gibt es eine erste Lesung im Bundestag, sie ist öffentlich. Danach beschäftigen sich die Bundestagsausschüsse mit dem Gesetz, in diesem Fall nichtöffentlich. Öffentlich ist aber die vom Ausschuss abgegebene Beschlussempfehlung an das Plenum. Die zweite und die zur Abstimmung führende dritte Lesung im Parlament finden wiederum öffentlich statt. Jeder Abgeordnete kann sich zusätzlich öffentlich äußern. Abgeordnete können sich über Ereignisse nichtöffentlicher Sitzungen öffentlich äußern. Definitiv gibt es im Bundestag keine geheimen Vorhaben, keine Geheimgesetze und keine Geheimanträge, und wir sollten diesen Eindruck auch nicht erwecken. Sonja Steffen (SPD): „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ Dieses Zitat aus Willy Brandts erster Regierungserklärung im Oktober 1969 kennen wir alle. Interessant ist aber auch, wie das Zitat weitergeht: „Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, daß nicht nur durch Anhörungen im Bundestag, sondern auch durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken.“ Dieses Zitat zeigt, dass sich die SPD seit über 45 Jahren für mehr öffentliche Beteiligung, Interessenvertretung und mehr Transparenz im politischen Verfahren einsetzt! In diesen Jahren haben wir viel erreicht. Allein die Bilanz dieser Legislaturperiode kann sich sehen lassen: Wir haben die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung geregelt, eine Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder eingeführt und die Zahl der Bundestagshausausweise begrenzt. In anderen Bereichen wie beispielsweise der Einführung eines verbindlichen Lobbyregisters konnten wir uns gegenüber unserem Koalitionspartner bisher leider nicht durchsetzen. Die SPD-Bundestagsfraktion steht aber weiterhin für mehr Demokratie und Transparenz. Mit der von Linken und Grünen eingebrachten Änderung der Geschäftsordnung zur Ausschussöffentlichkeit soll das demokratische Öffentlichkeitsprinzip gestärkt werden. Dies soll dadurch erreicht werden, dass Ausschussberatungen grundsätzlich öffentlich stattfinden und nur in Ausnahmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit getagt wird. Es sollen Regelungen zur Echtzeitübertragung (Livestream) eingeführt sowie Ausschussprotokolle und Ausschussdrucksachen grundsätzlich veröffentlicht werden. Ich habe schon in meiner ersten Rede zu dem Änderungsantrag betont, dass meine Fraktion dem Wunsch nach mehr Transparenz, mehr öffentlichen Ausschusssitzungen und der Einführung von Livestreams grundsätzlich offen gegenübersteht. Und die Stoßrichtung Ihres Antrages ist meiner Meinung nach auch nicht verkehrt, aber Sie schießen damit über das Ziel hinaus. Das Öffentlichkeitsprinzip ist in Artikel 42 GG verankert: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“ Dieses Gebot der Sitzungsöffentlichkeit erstreckt sich nach Meinung der meisten Verfassungsrechtler jedoch nur auf das Plenum des Deutschen Bundestages, die Ausschüsse sind hiervon ausgenommen. Auch Dr. Lars Brocker und Dr. Dieter Wiefelspütz, die beide als Sachverständige zu der öffentlichen Anhörung zu dem Änderungsantrag eingeladen waren, betonten, dass sich der Öffentlichkeitsgrundsatz auf die Plenaröffentlichkeit bezieht und sich hieraus kein allgemeines Transparenzgebot ableiten lässt. Ich würde es begrüßen, wenn sich die Abgeordneten in den einzelnen Ausschüssen öfter darauf verständigen würden, öffentlich zu tagen. Andererseits bin ich froh, dass diese Entscheidung bei den betroffenen Abgeordneten liegt. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Ausschussöffentlichkeit in der GO-BT umzudrehen, ist nicht der richtige Weg. Denn es stellt sich die Frage, warum das Gebot der Sitzungsöffentlichkeit dann nur auf die Ausschusssitzungen ausgedehnt werden sollte. Müsste dieser Grundsatz, wenn man ihn weiter fasst, um die politischen Abläufe so transparent wie möglich zu gestalten, nicht auch auf andere Gremien ausgedehnt werden – Fraktionssitzungen, fraktions- oder koalitionsinterne Arbeitsgruppensitzungen? Ich bin mir auch nicht sicher, ob durch das öffentliche Tagen der Ausschüsse wirklich mehr Transparenz und damit Vertrauen geschaffen wird. Die Oppositionsfraktionen stellen in der Begründung ihres Antrags selbst fest: „Kompromisse und deren Gründe werden durch den Ausschussbericht an das Plenum, der den wesentlichen Gang der Beratungen wiedergibt, schon jetzt der Öffentlichkeit preisgegeben.“ Laut Duden bedeutet der Begriff „Transparenz“ Durchschaubarkeit oder Nachvollziehbarkeit. Transparenz wird nicht allein dadurch erreicht, dass die Öffentlichkeit zugelassen ist. Politische Verfahren werden dadurch transparent, dass man sie versteht. Ob die Öffnung aller Ausschusssitzungen für ein breites Publikum dazu beiträgt, Politik verständlicher zu machen, wage ich aber zu bezweifeln. Es sind viel Hintergrundwissen sowie Kenntnisse über die parlamentarischen Abläufe notwendig, um eine reguläre Ausschusssitzung zu verstehen. Und die eigentliche Kunst ist es, diese komplexen Abläufe und Inhalte auch nach außen hin verständlich zu erklären. Es liegt an uns Abgeordneten, in einem engen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern Politik erlebbar und verständlich zu machen. Wir müssen die parlamentarischen Verfahren und Inhalte erklären, unser Abstimmungsverhalten mit Argumenten hinterlegen und Entscheidungen hinterfragen. Wir sind diejenigen, die Politik greifbar machen können. Ein paar mehr öffentliche Ausschusssitzungen könnten hierbei hilfreich sein, werden aber alleine nicht ausreichen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Was haben Bayern, Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, andere europäische Länder und die Europäische Union gemeinsam? Die Fachausschüsse der Parlamente tagen öffentlich. Neun von sechzehn Bundesländern und das wichtigste Gremium der Europäischen Union lassen Bürgerinnen und Bürger an den Beratungen ihrer Fachgremien teilhaben. Nichts deutet darauf hin, dass der politische Prozess in diesen neun Bundesländern, aber auch im Europäischen Parlament an seiner Qualität verloren hätte – im Gegenteil. Sind es doch häufig gerade die Fachöffentlichkeiten, die Interesse an vertieften Debatten zeigen und die Entscheidungsfindung zu „ihren“ ganz speziellen Themen nachverfolgen wollen. Und wenn Fachleute ihre Ideen und Hinweise, ja natürlich auch ihre Interessen in einen solchen Prozess einspeisen, dann kann ihm das nur guttun. Im Grundgesetz steht im Artikel 42 ein einfacher Satz: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“ Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben den Grundsatz der Öffentlichkeit als konstituierendes Element des parlamentarischen Prozesses in der Verfassung verankert. Wir sind dafür, diesen Grundsatz auf den Bundestag als Institution, nicht nur auf das Plenum des Bundestags zu beziehen. Bereits im Satz 3 des genannten Artikels wird auf öffentliche Sitzungen der Ausschüsse verwiesen. Auch das Bundesverfassungsgericht geht selbstverständlich davon aus, dass Bürgerinnen und Bürger Einblick in die Arbeit der Ausschüsse nehmen können müssen. Aber natürlich müssen wir die Frage, ob wir die Öffentlichkeit als Regelfall für unsere Ausschusssitzungen formulieren, am Ende politisch entscheiden. Bereits zu Beginn dieser Legislatur hat sich unsere Fraktion bei der Konstituierung der einzelnen Ausschüsse dafür eingesetzt, dass diese in der Regel öffentlich tagen. Dieses wurde von der Koalition in allen Ausschüssen abgelehnt – auch in einem Ausschuss wie dem für die Digitale Agenda. Das immer wieder vorgebrachte Argument, nur hinter verschlossenen Türen sei eine unvoreingenommene Meinungsfindung des Parlaments möglich, trägt angesichts der jahrelangen, erprobten Praxis in anderen Parlamenten nicht. Es ist auch einfach realitätsfremd: Positionen der Fraktionen werden in der Regel vor den Ausschussberatungen in entsprechenden internen Fraktionsrunden erarbeitet und bei den parlamentarischen Beratungen nicht mehr grundlegend verändert. Falls mir eine Kollegin oder ein Kollege der Koalitionsfraktion aus dem Stand ein Beispiel nennen kann, bei dem er oder sie zwanglos dem besseren Argument der Opposition gefolgt wäre und sich im Ausschuss hatte umstimmen lassen, melde er oder sie sich jetzt! Das zweite zentrale Argument der Koalition, nur in geschlossen tagenden Ausschüssen sei eine Kompromissfindung quer über die Parteigrenzen hinweg leichter möglich, trägt aus unserer Sicht ebenfalls nicht. Dieses Argument geht von einer Dualität von Regierung und Parlament aus. Faktisch arbeiten die Regierung und die sie tragenden Fraktionen sehr eng zusammen. Oppositionsinitiativen werden so gut wie nie angenommen – auch nicht in Ausschüssen. Es sind eben nicht die Ergebnisse unserer Entscheidungsfindung, die Widersprüche kenntlich machen, sondern der Beratungsverlauf. Das Vertrauen in politische Prozesse sinkt. Uns Politiker und Politikerinnen werden allzu oft Mauschelei und das Handeln aus sachfremden Motivationen, etwa Eigen- oder auch Parteiinteressen, unterstellt. Wenn wir eine neue Legitimation für das Parlament, für unsere Entscheidungen als Abgeordnete finden wollen, dann sollten wir Bürgerinnen und Bürger mehr als bisher an diesen Entscheidungen beteiligen. Dazu gehört das Nachvollziehen des Beratungsverlaufs; dazu gehören aber auch all die vertieften Informationen, die die Regierung nur den Ausschüssen zur Verfügung stellt. Gutachten, Stellungnahmen, Berichte der Bundesregierung für die Fachausschüsse – all dies war bisher zumeist nicht öffentlich, obwohl es maßgeblich zur Entscheidungsfindung beitrug. Auch diese Dokumente wollen wir in die Freiheit entlassen, damit sie zur Aufklärung und zur Kontrolle unserer Arbeit und der der Bundesregierung beitragen können. Angesichts des Umfangs an Ausschussberatungen samt Vorlagen und Protokollen kam in den Debatten auch das Argument auf, diese Fülle überfordere die Bürger. Ich antworte mit einem Zitat des Sachverständigen Professor Bernhard Wegener aus unserer Anhörung: „Ich denke, wir können und müssen dritten Personen die Ausschussöffentlichkeit zumuten. Soweit ich weiß, gibt es ja keine Pflicht, hier zu erscheinen.“ Nein, es ist ein Angebot der Transparenz an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Annehmen müssen sie es dann selbst. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Zeiten, in denen die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung einen Höhepunkt erreicht und das Vertrauen vor allem in die Parteien abnimmt, werden die Schattenseiten einer großen Koalition in einer parlamentarischen Demokratie offensichtlich. Die Scheu vor Transparenz und Öffentlichkeit ist dieser Regierungskonstellation eingebaut: Wenn 80 Prozent der Abgeordneten einer Drei-Parteien-Koalition angehören, die sich untereinander in aller Regel nicht einig ist, dann verlagert sich die politische Auseinandersetzung oft in den vorparlamentarischen Raum. Das tut der parlamentarischen Demokratie nicht gut. Der richtige Ort aber, um die unterschiedlichen politischen Positionen darzulegen, zu argumentieren und darüber öffentlich zu debattieren und zu streiten, ist das Parlament. Denn die parlamentarische Demokratie lebt von einer lebendigen Debatte, von einem öffentlich erkennbaren Austausch und Streit um die besseren Argumente und einer transparenten Entscheidungsfindung. Gerade in einer repräsentativen Demokratie ist es essenziell wichtig, dass die Wählerinnen und Wähler die Abwägungs- und Entscheidungsprozesse vor allem des Gesetzgebers, also des Parlamentes, nachvollziehen können. Wollen wir, dass die Bevölkerung wieder mehr Vertrauen in ihre gewählten Abgeordneten zurückgewinnt, wäre es von zentraler Bedeutung, den Streit um die besseren Argumente, die Debatten und die Entscheidungsfindungsprozesse transparenter zu machen. Und diese Transparenz geschieht durch mehr Öffentlichkeit. Gemeinsam mit der der Linken setzt sich die grüne Bundestagsfraktion dafür ein, dass Ausschusssitzungen in Zukunft grundsätzlich öffentlich sein sollen. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein; ist es hier aber leider nicht. In unserem Grundgesetz steht festgeschrieben: „Der Bundestag verhandelt öffentlich“. Doch die Geschäftsordnung des Bundestages schränkt diesen Grundsatz ein. Ausschusssitzungen tagen danach grundsätzlich nichtöffentlich und nur im absoluten Einzelfall öffentlich. Und mehr noch: Union und SPD haben in dieser Legislaturperiode dafür gesorgt, dass Ausschüsse, die zuvor im Einvernehmen aller öffentlich getagt haben, nun für die generelle Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich sind. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder betont, dass Demokratie ohne eine Öffentlichkeit undenkbar ist. Wenn wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger die demokratischen Prozesse und Entscheidungen besser nachvollziehen und bewerten können, dann sind verschlossene Türen der Ausschusssitzungen falsch. Denn die Ausschüsse sind der Ort, an dem wesentliche Teile des demokratischen Prozesses der Gesetzgebung ablaufen: Hier werden die Gesetzvorlagen inhaltlich beraten, hier findet das Verhandeln von Argumenten und Gegenargumenten statt, auch über Fraktionsgrenzen hinweg. Die Logik des gemeinsamen Antrags von Linken und der grünen Bundestagsfraktion ist, dass das, was vertraulich ist, auch vertraulich bleiben muss. Was nicht vertraulich beraten werden muss, das ist öffentlich. Und wer die Nichtöffentlichkeit einer Ausschusssitzung fordert, der muss erklären können, warum. Wer das Herstellen der Öffentlichkeit als „Showveranstaltung“ abtut, der hat nicht verstanden, worum es uns mit dieser Initiative geht. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wildtierschutz weiter verbessern – Illegalen Wildtierhandel bekämpfen (Tagesordnungspunkt 23) Gitta Connemann (CDU/CSU): Flamingos leben in der Karibik, in Chile. Nicht in einem nebligen Moor in Nordrhein-Westfalen. Das klingt nach einer fabelhaften Geschichte. Die Heimat der subtropischen Vögel stellt man sich nun wahrlich anders vor. Allerdings ist es Tatsache: Eine Herde Flamingos lebt genau dort im Zwillbrocker Venn. Direkt an der Grenze zu Holland können Besucher die rosa Wasservögel beobachten. Dass das Münsterland nicht die ursprüngliche Heimat der Vögel ist, liegt auf der Hand. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Was hat die Flamingos in den norddeutschen Sumpf verschlagen? Der natürliche Weg wohl kaum. Sind sie aus Tierparks ausgebrochen, wurden sie ausgesetzt? Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um Vögel aus Zoos und Privathaltung handelt. Diese Tiere haben es geschafft. Sie haben außerhalb ihres ursprünglichen Lebensraums überlebt – ohne Hilfe. Aber das ist die Ausnahme. Die traurige Regel ist: Jeden Tag werden Wildtiere aus ihrer Welt gerissen. Sie werden eingesperrt, unter schlimmsten Verhältnissen um den halben Globus gezerrt, verkauft. Viele der neuen Besitzer wissen nicht, wie diese Lebewesen behandelt werden müssen und was sie brauchen. Ihr Leben ist bedroht. Der illegale Handel mit Wildtieren wächst ebenso wie der legale Import von Wildfängen. Der Markt ist wirtschaftlich interessant. Denn das Interesse wächst. Ein Panterchamäleon aus Madagaskar im eigenen Wohnzimmer findet immer mehr Anhänger. Die Burmesische Python im Keller scheint faszinierend. Aber viele Halter sind damit auch überfordert. Sie ernähren ihr Tier falsch oder verlieren das Interesse an ihrem spontan gekauften „Spielzeug“. Das Tier wird vernachlässigt. Es stirbt langsam einen grausamen Tod oder wird einfach ausgesetzt – in einen Lebensraum, an den es nicht angepasst ist. Das können und dürfen wir nicht hinnehmen. Wir haben bereits gehandelt. Bei der letzten Änderung des Tierschutzgesetzes haben wir vorgeschrieben, dass der Händler den Käufer schriftlich aufklären muss. Wir haben den Nachweis ausreichender Sachkunde für diejenigen zur Pflicht gemacht, die eine Tierbörse durchführen wollen. Darüber hinaus hat die Bundesregierung ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben. Ziel ist es, vertiefte Informationen über die Haltung von exotischen Tieren und Wildtieren in Privathand zu erhalten. Die Ursachen für mögliche Tierschutzprobleme sollen erforscht werden. Damit haben wir wichtige Maßnahmen zum Schutz von Tier und Käufer auf den Weg gebracht. Über welche Dimensionen reden wir eigentlich? Der illegale Handel mit Exoten und Wildtieren hat sich mit einem geschätzten Jahresumsatz von rund 19 Milliarden US-Dollar zu einem der lukrativsten Schwarzmärkte der Welt entwickelt. So makaber es auch klingt: Noch lukrativer sind nur der Drogen- und Menschenhandel sowie die Produktpiraterie. Der illegale Handel mit Wildtieren und Exoten findet nicht nur in dunklen schmuddeligen Seitengassen statt. Weit gefehlt. Häufig findet er direkt in unserer Nachbarschaft statt. Zum Beispiel im Rahmen von Tierbörsen, die zuweilen eine Art „Flohmarkt-Charakter“ haben. Hierbei denke ich ausdrücklich nicht an die Kaninchen- oder Taubenbörsen auf dem Dorffest, sondern an Reptilienbörsen und Ähnliches. Deshalb fordern wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bundesregierung auf, durch Einwirkung auf die Länder die Überwachung von Tierbörsen bundesweit zu intensivieren. Auch die Leitlinien zur Durchführung von solchen Veranstaltungen müssen aktualisiert werden. So wollen wir einen Weg aufzeigen, wie eine Rechtsverbindlichkeit für gewerbliche Anbieter gerichtsfest hergestellt werden kann. Außerdem wollen wir, dass die Bundesregierung ein Verkaufsverbot von exotischen Tieren auf gewerblichen Tierbörsen prüft, da vor allem beim Kauf von Exoten eine qualifizierte fachliche Beratung nötig ist. Besonders bedenklich sind die Importe von Arten, die in ihrem Herkunftsland bereits nationalen Schutzbestimmungen unterliegen, aber nicht international geschützt sind. Dies kann zur Ausrottung weiterer Tierarten führen. Deshalb fordern wir, auf EU-Ebene eine Regelung nach Vorbild des in den USA geltenden „Lacey Act“ einzuführen. Demnach dürften Arten, für die in deren Ursprungsländern ein Exportverbot gilt, nicht in die EU eingeführt werden. Im Sinne der Tiere und auch der Halter müssen wir für mehr Sicherheit beim Kauf und im Umgang mit Wildtieren und Exoten sorgen. Nicht nur Krokodile oder Würgeschlangen können gefährlich werden. Es gibt unzählige weitere Sicherheitsrisiken, die bei der Haltung von Wildtieren entstehen können. Völlig unterschätzt wird zum Beispiel die Ansteckungsgefahr durch Infektionskrankheiten. Eine Vielzahl an Krankheiten, auch Parasiten können von Schildkröten, Leguanen, Affen und Fledermäusen auf den Menschen übertragen werden. Hepatitis, Tuberkulose, Tollwut sind nur drei Beispiele für schwere Erkrankungen. Rosa Flamingos im Münsterland. Ein traumhaftes Bild. Aber eben auch irreal. Denn ihre Heimat ist Tausende Kilometer entfernt. Freiwillig wären die exotischen Vögel nicht nach Deutschland gekommen. Wie schwer muss es für sie gewesen sein, sich an den neuen fremden Lebensraum anzupassen? Lassen wir nicht zu, dass sich das Tag für Tag wiederholt. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein, dass der Schutz von wilden Tieren und Exoten wie diesen wunderschönen Wasservögeln verbessert wird. Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu. Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Der illegale Handel mit Wildtieren ist zu einem lukrativen Geschäft für Akteure geworden, die sonst im Bereich internationaler Verbrechen wie dem Drogen-, Waffen- und Menschenhandel operieren und an der Finanzierung ziviler Konflikte beteiligt sind. Während diese mitunter organisierten Banden Jahr für Jahr Milliardengewinne machen, stehen zahlreiche Tierarten vor der Ausrottung. So töten Wilderer in Afrika mehr als 30 000 Elefanten pro Jahr. Wie organisiert beim Wildtierhandel vorgegangen wird, zeigt sich am Beispiel des Borneo-Taubwarans. Diese seltene Art galt als ausgestorben, da sie in Malaysia und Indonesien mehrere Jahrzehnte nicht mehr gesichtet worden war. Im Jahr 2012 berichteten Forscher in einer Studie über die Wiederentdeckung dieser Art auf Borneo. Bereits im April 2014 wurde die Tier- und Naturschutzorganisation ProWildlife darüber informiert, dass sich Händler aus Deutschland auf den Weg gemacht hatten, um die seltenen Tiere einzusammeln. Nur zwei Monate später gab es die ersten Inserate im Internet und wurden Borneo-Taubwarane auf der Messe Terraristika in Hamm für 10 000 Euro angeboten. Der Handel mit Wildtieren hat in den letzten Jahren immer weiter zugenommen – mit weitreichenden Folgen für die Wildbestände und Ökosysteme sowohl in den Herkunfts- als auch in den Importländern. Ich möchte an dieser Stelle in Bezug auf Deutschland einige Zahlen anführen, welche die Dimension dieser Problematik hierzulande verdeutlichen: Jährlich werden 440 000 bis 850 000 lebende Reptilien und bis zu 380 000 Süßwasser-Zierfische nach Deutschland importiert. Es muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass bei vielen Arten bis zu 50 Prozent bereits während des Transports sterben. Somit ist die absolute Zahl der Tiere, die mit Blick auf Deutschland vom Wildtierhandel betroffen sind, sogar weitaus höher. Der illegale Wildtierhandel stellt somit eine große Gefahr für den Erhalt der Artenvielfalt dar, und die sich aus ihm finanzierenden kriminellen Vereinigungen gefährden die Entwicklung der Herkunftsländer. Es sind allerdings nicht nur die Quellländer, die unter den Folgen des Handels mit Wildtieren leiden. Auch für die Zielländer führt der massenhafte Import von Wildtieren, bei denen es sich – wenngleich anders deklariert – auch um Wildfänge handelt, zu weitreichenden Problemen. Eines dieser Probleme ist die Einschleppung potenziell invasiver Arten. Es kommt leider häufig vor, dass die Besitzer überfordert sind oder das Interesse an ihrem exotischen Haustier verlieren und das Tier aussetzen oder dem Tier der Ausbruch aus dem Gehege gelingt. Ist die betreffende Art in der Lage, sich schnell an die vorherrschenden Bedingungen anzupassen, so kann dies zur Verdrängung ansässiger Arten und zur Schädigung ganzer Ökosysteme führen. Als prominente Beispiele sind hier die Rotwangenschmuckschildkröte sowie Guppys, Goldfische und die Agakröte zu nennen. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Gesundheitsrisiken, die durch Import und Haltung von Wildtieren entstehen – Stichwort Zoonosen. Zwischen 2011 und 2013 starben drei Züchter von Bunthörnchen in Sachsen-Anhalt an einer Gehirnentzündung. Auslöser war ein neuartiger Bornavirus, mit dem sich die Züchter sehr wahrscheinlich bei ihren Bunthörnchen infiziert hatten. Daneben gilt der Flughund als potenzieller Überträger von Ebola. Mit Blick auf die Haltung von Reptilien sind Salmonellosen die häufigsten auf den Menschen übertragenen Zoonosen. Doch nicht nur der Mensch ist dem Risiko von Krankheitsübertragungen durch Wildtiere ausgesetzt. Die einheimischen Tierarten sind es ebenfalls. Ein besonders schwerwiegender Fall ist der sogenannte Salamanderpilz. Es handelt sich hierbei um einen tödlichen Hautpilz, der ursprünglich in Asien vorkommt und über den Lebendtierhandel nach Europa eingeschleppt wurde. In den Niederlanden haben sich seit 2008  99,9 Prozent der Feuersalamander-Populationen mit dem Pilz infiziert und sind gestorben. Neben Salamandern sind Molche ebenfalls anfällig für eine Infektion. Aus diesem Grund haben die Schweiz und die USA bereits einen Importstopp für Schwanzlurche beschlossen. Die Europäische Union ist Zielregion für eine Vielzahl an illegal und legal gehandelten Wildtieren. Sie kann demnach eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den illegalen Artenhandel einnehmen, der sowohl in den Herkunftsländern entlang der Handelswege als auch in den Nachfrageländern geführt werden muss. Ein erster Schritt soll dahin gehend auf der kommenden 17. CITES-Vertragsstaatenkonferenz in Südafrika gemacht werden. Die Europäische Union will sich auf dieser Konferenz dafür einsetzen, dass Tier- und Pflanzenarten, für die in den Herkunftsländern nationale Entnahme- und Handelsverbote bestehen, von den betreffenden Staaten in den Anhang III des CITES-Abkommens aufnehmen zu lassen. Im Anschluss soll durch eine Höherqualifizierung der betreffenden Arten in Anhang A und B eine Einfuhrbeschränkung in die Europäische Union geprüft werden. Als ein äußerst wirksames Instrument im Kampf gegen den illegalen Wildtierhandel hat sich in den USA der sogenannte Lacey-Act erwiesen. Gemäß diesem US-Bundesgesetz ist der Handel mit Fischen, Wildtieren und Pflanzen untersagt, deren Import, Export, Kauf, Verkauf und Transport in irgendeinem Land der Erde verboten ist. Diese Regelung unterbindet den Handel mit Wildtieren bereits, bevor sie durch das Washingtoner Artenschutzabkommen geschützt sind. Wie wichtig ein solcher Mechanismus sein kann, offenbart sich am Beispiel des Türkis-Zwerggeckos. Obwohl er auf die Roten Listen der Weltnaturschutzunion (IUCN) gesetzt wurde und obwohl Tansania ein Ausfuhrverbot verhängte, war seine Einfuhr in Europa weder registrierungs- noch genehmigungspflichtig. Dieser schiefen Rechtslage würde eine Regelung wie der Lacey-Act einen Riegel vorschieben. Leider ist die Etablierung allein auf nationaler Ebene nicht möglich, sondern muss von der gesamten Europäischen Union getragen werden. In aktuellen Diskussionen wurde darauf hingewiesen, dass die in dem Antrag vermerkten Definitionen von Haus- und Wildtieren in ihrer Formulierung noch genauer sein könnten. Dennoch schafft der vorliegende Antrag wichtige Grundlagen, um den genannten Herausforderungen entgegenzutreten. Christina Jantz-Herrmann (SPD): „Reptilien im Wohnzimmer“, „Wilderei-Krise von biblischen Ausmaßen“, oder „Stinktier auf dem Sofa“. So lauten einige Überschriften rund um den Wildtierschutz. Die vielen und regelmäßigen Medienberichte untermauern, wie groß der Handlungsdruck in diesem Bereich ist. Auch bei uns vor Ort hier in Deutschland spüren wir den Handlungsdruck, wenn Tierheime und Auffangstationen aufgrund zunehmender Aufnahme exotischer Arten an den Rand ihrer Aufnahmekapazitäten und ihrer finanziellen Möglichkeiten kommen oder wir unhaltbare Zustände auf gewerblichen Wildtier-Börsen beobachten müssen. Der Antrag „Wildtierschutz weiter verbessern – illegalen Wildtierhandel bekämpfen“, den meine Fraktion gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion einbracht hat, kommt daher zur rechten Zeit. Nicht nur setzen wir damit den Koalitionsvertrag in diesem Bereich bestmöglich um, sondern wir gehen die Missstände rund um den Wildtierschutz auch aktiv an. Das Thema Wildtierschutz umfasst hier im Wesentlichen drei Elemente: Element 1 ist der Aspekt der Wildfänge. Eine beträchtliche Anzahl von Wildfängen, also Naturentnahmen, werden jährlich legal nach Deutschland importiert. Element 2 ist der Aspekt des illegalen Wildtierhandels. Der illegale Wildtierhandel beläuft sich nach Angaben des WWF inzwischen auf 19 Milliarden US-Dollar und ist zu einer Gefahr für den Erhalt der Artenvielfalt geworden. Element 3 schließlich ist die Haltung von Wildtieren in Deutschland. Was zeigt uns diese Aufgliederung nun? Sie zeigt, dass Artenschutz, also der Erhalt einer Art als Ganzes, und Tierschutz, also die individuelle tiergerechte Haltung von Wildtieren, untrennbar miteinander verknüpft sind. Entsprechend war es das richtige Vorgehen, dass der Antrag gemeinsam von Tierschutz- und Umweltpolitikern entwickelt wurde. Und was wollen wir nun mit unserem Antrag zum Wildtierschutz erreichen? Nun, wir setzen entlang der drei Elemente Regulierung der legalen Naturentnahme, Bekämpfung des illegalen Wildtierhandels und Verbesserung der Haltungsbedingungen von Wildtieren in Deutschland an. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle insbesondere die Punkte, die wir bezüglich der Verbesserung der Haltungsbedingungen von Wildtieren in Deutschland anstreben. So gehen wir das Problem der Exotentierbörsen an. Wir fordern die Bundesregierung auf, ein Verkaufsverbot für exotische Tiere auf gewerblichen Tierbörsen zu prüfen, und wir fordern die Bundesregierung gleichzeitig auf, die Leitlinien zur Durchführung von Tierbörsen zu aktualisieren und einen Weg aufzuzeigen, wie eine Rechtsverbindlichkeit für gewerbliche Anbieter gerichtsfest hergestellt werden kann. Auch gehen wir die Sachkunde an. Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen bundeseinheitlichen Vorschlag vorzulegen, in welcher Form private Tierhalter einen Fach- bzw. Sachkundenachweis zur artgerechten Haltung von Wildtieren zu erbringen haben. Fach- bzw. Sachkunde sind zentral, um eine artgerechte Haltung sicherzustellen. Sowohl mit den Zielen des Antrags als auch mit den vorgesehenen Maßnahmen zur Umsetzung sollte sich auch die Opposition identifizieren können, wenngleich ihre Absichten in einigen Bereichen radikaler sein mögen. Nichtsdestotrotz bitte ich um Ihre Unterstützung im weiteren Verfahren. Birgit Menz (DIE LINKE): Wilderei und illegaler Wildtierhandel sind ein globales Problem mit vielen Facetten und Faktoren, die es bei der Bekämpfung zu beachten gilt. Bei der Stärkung des Wildtierschutzes und der Beseitigung des illegalen Wildtierhandels geht es im Wesentlichen um die Erhaltung und den Schutz der Artenvielfalt als eine der drei Ebenen der Biodiversität – sprich, der Vielfalt des Lebens. Zu den Hauptgefährdungsursachen für die Artenvielfalt gehören die „Übernutzung“ wildlebender Tier-, aber auch Pflanzenarten, der Bedarf an ihren „Produkten“ und den daraus resultierende Handel. Deutschland ist EU-weit der größte Importeur und Absatzmarkt für lebende Wildtiere. Während es innerhalb Deutschlands, wie auch in anderen europäischen Staaten, grundsätzlich verboten ist, heimische Wildtiere einzufangen, dürfen Tierbestände in Asien, Afrika und Lateinamerika für den Heimtiermarkt in Deutschland immer noch geplündert werden. Die Nachfrage in Deutschland, in den eigenen vier Wänden ein exotisches Tier zu halten, ist riesig. Laut Statistischem Bundesamt werden beispielsweise zwischen 440 000 und 840 000 lebende Reptilien pro Jahr nach Deutschland eingeführt – Tendenz steigend! Deutschland und die EU sind Dreh- und Angelpunkt für den Schmuggel und den Handel mit exotischen Tieren und zum anderen ein großer Absatzmarkt für legal und illegal gehandelte Tiere sowie Produkte aus Tieren und Pflanzen. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD heißt es beispielsweise – und ich zitiere – „Wir verbessern den Wildtierschutz und gehen gegen Wilderei sowie den illegalen Wildtierhandel und deren Produkte vor; Handel mit und private Haltung von exotischen Wildtieren wird bundeseinheitlich geregelt. Importe von Wildfängen in die EU sollen grundsätzlich verboten und gewerbliche Tierbörsen für exotische Tiere untersagt werden.“ Es ist nun an der Zeit, dass den Worten auch Taten folgen und die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Vereinbarungen so schnell wie möglich umgesetzt werden. Zu diesem Thema liegt uns nun ein Antrag der Großen Koalition vor. Einige Forderungen erinnern an die Anträge der Grünen und der Linken aus den Jahren 2014 und 2015, und leider hat das eben zitierte Vorhaben zu gewerblichen Tierbörsen an Deutlichkeit verloren. So ist jetzt nur noch die Rede davon, lediglich ein Verkaufsverbot für exotische Tiere auf gewerblichen Tierbörsen zu prüfen. Tiere sind Lebewesen und keine gewöhnlich zu handelnde Ware! Gerade bei importierten exotischen Tieren handelt es sich in vielen Fällen um Wildfänge. Wobei es in der Regel schwer nachzuvollziehen ist, wo genau und wie sie gefangen wurden. Auf diese Weise wird auch mit dem Import von exotischen Wildtieren dem illegalen Fang, der ökologische und soziale Systeme gefährdet, Tür und Tor geöffnet. Allein aus Gründen des Tierschutzes ist ein Importverbot exotischer Tiere aus Wildfängen unbedingt erforderlich. Einmal gefangen landen Tiere beispielsweise über das Internet oder Tierbörsen in Privathand, ohne dass die Käuferinnen und Käufer über die unbedingt notwendige Sachkunde verfügen. Viele Wildtiere haben besonders hohe Ansprüche an Futter und Klima, die im Privathaushalt kaum erfüllt werden können. Dies führt zur Überforderung der Halterinnen und Halter und in der Folge oftmals zum Aussetzen der Tiere und somit auch zu steigenden finanziellen und organisatorischen Herausforderungen der Tierheime. Hier sehen wir Bund und Länder in der Pflicht, sich an den entstehenden Kosten und einer artgerechten Unterbringung der ausgesetzten Tiere im Sinne des Tierschutzes zu beteiligen. Zu Beginn meiner Rede sprach ich von den vielen Faktoren, die Ursachen für Wilderei und illegalen Wildtierhandel darstellen. Mit einem Umsatz von bis zu 19 Milliarden US-Dollar pro Jahr stellt der illegale Wildtierhandel – nach Drogenhandel, Produktpiraterie und Menschenhandel – den viertgrößten illegalen Handel weltweit dar. Es sind unter anderem kriminelle Banden und terroristische Bewegungen, die sich durch die Erlöse aus dem illegalen Wildtierhandel finanzieren. In mehreren zentralafrikanischen Staaten trägt somit dieser Handel auch zur Destabilisierung ganzer Regionen bei. Im Umgang mit illegalem Wildtierhandel geht es also nicht nur um die einfache Beschränkung des Handels mit geschützten Tieren und den Erhalt wertvoller Lebensräume – es geht auch um soziale und gesellschaftliche Dynamiken in anderen Ländern, für die es sinnvolle Lösungen braucht. Um aus unserer Sicht den Schutz der Artenvielfalt zu gewährleisten und den illegalen Handel mit Wildtieren einzudämmen, ist es unabdingbar, erstens sich auf nationaler – so wie es der Koalitionsvertrag vorsieht – und EU-Ebene für ein generelles Importverbot von Wildfängen für kommerzielle Zwecke einzusetzen und gegen Wilderei, illegalen Wildtierhandel und deren Produkte konsequent vorzugehen, zweitens gewerbliche Anbieter von Tierbörsen auszuschließen und den Verkauf von Tieren zu verbieten, die in der freien Natur eingefangen wurden und drittens den kommerziellen Handel sowie die Haltung von Wildtieren nur für Arten zu gestatten, die Privatpersonen auf Dauer nicht überfordern. Es braucht eine Bundesregierung, die sich für den Erhalt der biologischen Vielfalt und den Tierschutz auf nationaler, europäischer und globaler Ebene und vor allem für eine nachhaltige Lösung der Probleme einsetzt. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor ziemlich genau zwei Jahren haben wir zu ähnlich später Stunde den Antrag zu „Elefanten und Nashörnern“ debattiert. Ich bin froh, dass uns dieser interfraktionelle Antrag auf unsere Initiative hin gelungen ist. Es zeigt sich aber, dass sich das Umweltministerium gerne auf seinem internationalen Wirken in Bezug auf Wilderei ausruht, wenn es aber darum geht, national etwas umzusetzen, kaum etwas vorzuweisen hat. Wir haben bereits am 2. Juni 2015 einen Antrag eingebracht. Und nun, ein Jahr später hat die Große Koalition selber einen Antrag vorgelegt. Leider ist dieser Antrag der Großen Koalition eine Riesenenttäuschung. Die Enttäuschung ist vor allem deswegen so groß, weil im Koalitionsvertrag von 2013 große Erwartungen geschürt wurden. Dort steht: Erstens den Handel mit und die private Haltung von exotischen und Wildtieren bundeseinheitlich regeln, zweitens Importe von Wildfängen in die EU grundsätzlich verbieten und drittens gewerbliche Tierbörsen für exotische Tiere untersagen. Diese drei Punkte zeigten, dass die Koalition die massiven Probleme in Bezug auf Wildtierhandel anerkennt und sich mit richtigen Maßnahmen der Probleme annehmen wollte. Leider muss man hier – nach Vorlage dieses Antrags – in der Vergangenheit reden. Die Hoffnung war groß, dass die Bundesregierung dem illegalen Artenhandel im Sinne des Vorsorgeprinzips einen Riegel vorschieben wird – doch leider findet sich keine der Forderungen aus dem Koalitionsvertrag in dem vorgelegten Antrag wieder. Die Große Koalition sieht den Problemen weiterhin wissentlich zu und versagt beim Wildtierschutz auf ganzer Linie. Statt den Koalitionsvertrag umzusetzen, hat das Bundeslandwirtschaftsministerium eine Studie in Auftrag gegeben, die über eineinhalb Jahre, also bis mindestens April 2017, untersuchen soll, ob es überhaupt ein Problem gibt. Interessanterweise wird die Studie ohne Beteiligung von Tier- und Naturschutzorganisationen durchgeführt und beruht auf einer Befragung der Tierhalter, wie wir letzte Woche in einem öffentlichen Fachgespräch im Umweltausschuss zum Thema Wildtierhandel gehört haben. Es ist offensichtlich, dass das Landwirtschaftsministerium damit die Umsetzung des Koalitionsvertrages ausbremst. Deutschland ist sowohl Dreh- und Angelkreuz für den Schmuggel von Afrika nach Asien als auch Absatzmarkt für legal und illegal gehandelte Produkte von Tieren und lebende Tiere, wobei der Anteil von Wildfängen hoch ist. Gerade Wildfänge schwächen aber in vielen Fällen Ökosysteme, die ohnehin schon bedroht sind. Ganze Populationen werden oftmals bis an den Rand des Aussterbens gebracht. Vor allem gewerbliche Tierbörsen sind dabei ein Problem. Auf diesen regelrechten „Tier-Flohmärkten“ kann man oft problemlos sogar bedrohte Arten oder in ihrer Heimat streng geschützte Tiere kaufen. Dabei werden die Tiere zum einen oft nicht artgerecht transportiert und gehalten, und zudem werden künftige Halterinnen und Halter auch nicht umfassend über die Ansprüche der Tiere aufgeklärt. Insbesondere bei gefährlichen Tieren stellt dies ein großes Risiko für Halterinnen und Halter und ihre Umwelt dar. Da die Große Koalition diesem Problem weder mit einem Verbot der gewerblichen Tierbörsen noch mit Positivlisten reagiert, werden die Zahlen von Fund- und Abgabetieren an Tierheime und Auffangstationen weiterhin steigen und es zur Überforderung dieser Einrichtungen kommen. Am 20. Mai 2016 wurden am Flughafen Schönefeld 625 Kilogramm Elfenbein beschlagnahmt – das wäre ein guter Anlass für die Ministerin gewesen, öffentlich Position zu beziehen, um dem Thema Aufmerksamkeit zu verschaffen und zu zeigen, dass auch Deutschland als Exporteur nach Asien Teil des Elfenbeinschmuggels ist. Es ist gut, dass es den Zollbeamten in diesem Fall gelungen ist, diese kriminellen Machenschaften aufzudecken. Diese größte Beschlagnahme von Elfenbein in Deutschland wäre ein erneuter Anlass gewesen, alle deutschen Elfenbeinbestände endlich zu zerstören: Wenn Elfenbein öffentlichkeitswirksam zerstört wird, trägt das dazu bei, die Nachfrage zu drosseln, Absatzmärkte zu schließen und so die Wilderei einzudämmen. Zuletzt wurden im April dieses Jahres in Kenia 105 Tonnen beschlagnahmtes Elfenbein verbrannt. Das bedeutet mehr als 8 000 tote Elefanten. Mit der weltweit größten Verbrennung von Elfenbein hat Kenia damit erneut ein deutliches Zeichen gegen illegalen Elfenbeinhandel gesetzt und auf das dramatische Ausmaß der Wilderei von Elefanten aufmerksam gemacht. Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Auch ich bin besorgt über die vielen exotischen Tiere, die im Zuge der Globalisierung für die private Heimtierhaltung importiert werden. Deshalb müssen wir gefährdete Arten besser schützen. Naturentnahmen sollten nur erfolgen dürfen, wenn dies nachhaltig ist. Arten, die durch den internationalen Handel gefährdet sind, sollten also vor allem in Anhang II CITES des Washingtoner Artenschutzübereinkommens gelistet werden. Das bedeutet, dass der Handel nur dann stattfinden darf, wenn freilebende Populationen an Tieren und Pflanzen nicht beeinträchtigt werden. Wir arbeiten dazu eng mit den betroffenen Ursprungsländern zusammen. Für die nächste Vertragsstaatenkonferenz des Artenschutzabkommens (CITES COP) im September in Südafrika hat die Europäische Union eine Vielzahl von Listungs- und anderen Anträgen eingereicht. Viele davon gehen auf deutsche Initiative zurück, zum Beispiel exotische Geckos, die für den deutschen Heimtierhandel importiert werden, oder eine afrikanische Holzart, die unter anderem in der EU, vor allem aber in China so stark nachgefragt wird, dass die Art nun stark gefährdet ist. Auch fordert die EU die Ursprungsländer dazu auf, von Anhang III CITES stärker Gebrauch zu machen. Wenn sie diese Arten in diesem Anhang listen lassen, dürfen Tiere und Pflanzen aus diesem Land nur mit einer Ausfuhrgenehmigung international gehandelt werden. Damit kann die Weltgemeinschaft dem betroffenen Ursprungsland helfen, seine Exporte besser zu kontrollieren. Und die EU setzt sich dafür ein, dass der Handel mit Jagdtrophäen eingeschränkt wird. Wir schulen Naturschutzbehörden und Bundeszoll, damit die Mitarbeiter vor Ort zwischen gezüchteten und wilden Tieren besser unterscheiden können. Schließlich bekämpfen wir den illegalen Artenhandel im Internet. Wir schulen, beraten und unterstützen die Beschäftigten von Internet-Plattformen. Zuletzt möchte ich nochmals, wie schon so oft, betonen, dass wir uns aber auch in Afrika und Asien engagieren müssen, denn dort sind die Probleme am größten. Daher spielt die Bundesregierung bei der Bekämpfung der weltweiten Wilderei und des illegalen Artenhandels eine führende Rolle, die sich sehen lassen kann. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 24) Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU): Heute sprechen wir über die erste Änderung des Bundesmeldegesetzes. Das ist eine gute Reaktion auf die praktischen Erfahrungen, die wir in den vergangenen Monaten seit der Einführung sammeln konnten. Wir sind also nah dran an der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger. Wir bewegen uns in einer sich stetig wandelnden Informationsgesellschaft. Viele wichtige Entscheidungen unserer Behörden basieren auf dem zuverlässigen Austausch und Abruf von Informationen. Besonders im Hinblick auf unsere Sicherheitsbehörden wird immer wieder deutlich, wie wichtig der schnelle und zuverlässige Austausch von Informationen ist. Ich werde nicht müde, dies immer wieder zu betonen. Wie in so vielen Lebenslagen werden neue Chancen eröffnet. Wir müssen in unserer Gesellschaft, die so abhängig von sensiblen Daten ist, aber auch unheimlich vorsichtig sein, wenn es um unsere persönlichsten Daten geht. Den Wandel mit dem Umgang unserer Daten kann man schon an einem einfachen Beispiel erkennen: Früher musste man im dörflichen, aber auch im städtischen Bereich viele Kilometer fahren, um dringend benötigte Dokumente zu beantragen. Heute ist das nicht mehr notwendig. Wir haben heute die Möglichkeit, an fast jeder Verwaltungsstelle unsere Dokumente zu beantragen und abzuholen. Die Voraussetzung für ein solch modernes Meldewesen ist, dass wir mit einem einheitlichen System arbeiten und die Daten untereinander verständlich ausgetauscht werden können. Früher, als es noch gar kein Internet gab, war das ein Problem. Schwierig wurde es, wenn ein Mitarbeiter aus Schleswig-Holstein mit einem Mitarbeiter aus Bayern sprechen durfte und beide sich nicht richtig verstanden haben. Aber selbst das haben die Beteiligten meist irgendwie hinbekommen. Beim Datenaustausch kann das schwieriger sein. Wenn eine Behörde ein anderes System und ein anderes Datenformat nutzt als eine andere Behörde, dann kann das zu unheimlichen Schwierigkeiten führen. Die Leidtragenden sind dann vor allem die Bürgerinnen und Bürger. Am Ende des vergangenen Jahres ist das Bundesmeldegesetz in Kraft getreten. Das passierte ohne das große Bohei, das so oft bei anderen Themen gemacht wird, obwohl wir alle davon betroffen sind. Es geht jeden von uns an. Wir haben bei diesem wichtigen Gesetz lange um einen Kompromiss gerungen, weil wir die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen wollten. Wir müssen aber auch die Interessen der Unternehmen im Auge haben. Sie haben selbstverständlich eher die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Arbeitsprozesse im Blick. Und natürlich haben auch die Verwaltungen Interessen, an denen wir nicht vorbeigehen dürfen, wenn es darum geht, ein gutes Gesetz auf den Weg zu bringen. Wir wollen viele der bestehenden Abläufe vereinheitlichen, vereinfachen und digitalisieren. Wir wollen einen modernen Standard schaffen, der das Meldegesetz auf einen modernen Stand bringt und der uns kurze Wege bereitet. Dazu gehörte auch die Zusammenführung des Melderechtsrahmengesetzes mit den Landesmeldegesetzen. Daten und Datenspeicherung, Schutzrechte, Meldepflichten, Datenübermittlungen zwischen öffentlichen Stellen, Melderegisterauskünfte, Zeugenschutz und Ordnungswidrigkeiten laufen nun unter einem bundeseinheitlichen Melderecht für alle Bürger. Dank der Einführung des Bundesmeldegesetzes sind wir unseren Zielen einen großen Schritt näher gekommen. Wir haben sie noch nicht ganz erreicht, das sage ich ganz ehrlich. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Die Verfahrenswege für alle Beteiligten sind kürzer geworden, insbesondere für Bürgerinnen und Bürger. Hier gewinnen wir Bürgernähe durch technische Entwicklung. Das Gleiche trifft auch auf die Meldebehörden zu. Diesen wird durch das Gesetz ermöglicht, effizienter miteinander zu kommunizieren. Profiteure sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen die Entbürokratisierung für alle Beteiligten vorantreiben, um ihnen das Leben zu erleichtern. Und genau das schaffen wir mit diesem Gesetz. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass das bisherige Bundesmeldegesetz noch durch weitere Regelungen vereinfacht werden kann: Wir sorgen in Zukunft dafür, dass die Abmeldepflicht für Personen, die ins Ausland ziehen, erleichtert wird. Der Vermieter, der bisher den Auszug seines Mieters schriftlich bestätigt hat, wird von dieser Mitwirkung befreit. Die Abmeldung in diesem Fall kann elektronisch bei der Meldebehörde vom Mieter selbst unternommen werden. Das ist eine unheimliche Erleichterung für die Vermieter, die nicht mehr dem Verzogenen hinterherlaufen müssen. Schon lange sind wir der Überzeugung, dass viele Abläufe und Abfragen auf elektronischem Wege erfolgen können. Dies ist ein richtungsweisender Schritt in eine sich stetig mehr digitalisierende Gesellschaft. Wir müssen dabei natürlich auch bedenken, dass die Wege sicher sein müssen. Dieser Grundsatz gilt: Wir müssen alles können, aber wir müssen nicht alles machen, nur weil wir es können. Sensible Daten müssen sensibel gehandhabt werden. Sicherheit hat hier den Vorrang vor der Einfachheit. Wir haben es aber jetzt geschafft, beide Aspekte zusammenzubringen. Das möchte ich an dieser Stelle betonen. Durch die Einführung der elektronischen Abmeldung wird die jährliche Bearbeitungszeit der Bürgerinnen und Bürger um rund 100 000 Stunden reduziert. Durch den Verzicht der Mitwirkungspflicht des Vermieters bei der Abmeldung sparen wir knapp 1,184 Millionen Euro pro Jahr an Bürokratiekosten ein. Das ist der finanzielle Aspekt. Dazu kommt noch die Zeitersparnis. Allein die Zeitersparnis, die wir hier gewinnen, ist enorm. Der bisherige Abmeldevorgang bei der Meldebehörde dauert im Moment im Schnitt sieben Minuten. Bei der elektronischen Bearbeitung sprechen wir von lediglich fünf Minuten. Nicht zu vergessen, dass die Vermieter und Mieter mit dieser Lösung vermutlich sehr zufrieden sein werden. Wir sorgen in Zukunft dafür, dass Behördengänge weiter vereinfacht werden. Deshalb wollen wir heute beschließen, dass die bisher allein zuständigen Landesbehörden andere Behörden für einfache Melderechtsauskünfte bestimmen können. Wir sorgen in Zukunft dafür, dass das Datum „Geschlecht“ wieder in der Melderegisterauskunft eingeführt wird. In unserer vielfältigen Gesellschaft ist es Realität, dass Meldebehörden zunehmend Schwierigkeiten haben, Namen unterschiedlichster Herkunft dem richtigen Geschlecht zuzuordnen. Die Ableitung des Geschlechtes aufgrund des Namens ist in vielen Fällen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich und deshalb in den Datenbanken häufig falsch hinterlegt. Jeder von uns kennt doch eine Joyce oder einen Joyce, eine Jules oder einen Jules, eine Robin oder einen Robin. Es gibt dafür ja sogar einen schönen Ausdruck: Unisex-Namen. Selbst mein Mitarbeiter aus Dortmund, er heißt Salih, wird oft als Frau angeschrieben. Aus diesem ganz pragmatischen Grund soll das Geschlecht wieder als Suchmerkmal in den Datenbanken eingeführt werden. Das Thema der inneren Sicherheit habe ich bereits angesprochen und betone noch einmal: Das Bundesmeldegesetz ist ein weiteres Mittel in einem Strauß von vielen Möglichkeiten, um vor die Lage zu kommen. Das Meldewesen gewinnt auch im Sicherheitsbereich immer mehr an Bedeutung. Gerne erinnere ich an dieser Stelle an die richtige Entscheidung, den Ersatz-Personalausweis einzuführen. Er verhindert die Ausreise von Personen, die unsere innere und äußere Sicherheit durch die Vorbereitung von schweren Gewalttaten in Terrorcamps im Ausland gefährden. Mit dem Personalausweis war die Ausreise, trotz Passentzug, damals noch möglich. Die Ausreise haben wir so unmöglich gemacht. Für unsere Sicherheit ist es unerlässlich, dass die Information über den Reisepassentzug und die Ausstellung des Ersatz-Personalausweises im Meldewesen hinterlegt ist. Eine weitere Anpassung des Bundesmeldegesetzes ist durch die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft notwendig geworden. Kinder ausländischer Eltern können durch die Geburt hier in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Für sie entfällt die Optionspflicht. Die Standesämter übermitteln den Meldebehörden den Erwerb dieses Ius-Soli-Titels. Für die Durchführung des Optionsverfahrens müssen die Meldebehörden und die Staatsangehörigkeitsbehörden zusammenarbeiten und die Möglichkeit haben, sich bestimmte Daten zu übermitteln. Sie haben nun die Möglichkeit, die Angaben zur Staatsangehörigkeit der gemeldeten Personen zu prüfen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Sie sehen, ist die Änderung des Bundesmeldegesetzes vernünftig und notwendig. Aus diesem Grunde bitte ich um Ihre Zustimmung. Gabriele Fograscher (SPD): Früher gab es ein Melderechtsrahmengesetz, innerhalb dessen Vorgaben die Länder eigene Meldegesetze erließen. Seit der Föderalismuskommission I wurde 2006 dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz übertragen. Deshalb haben wir im Frühjahr 2013 das Bundesmeldegesetz beschlossen, das überwiegend zum 1. November 2015 in Kraft getreten ist. Nach einem guten halben Jahr Praxiserfahrung hat sich nun gezeigt, dass das Gesetz an einigen Stellen nachjustiert werden muss. Bisher regelt das Meldegesetz, dass der, der aus einer Wohnung auszieht und keine neue Wohnung im Inland bezieht, verpflichtet ist, sich bei der Meldebehörde abzumelden und den Auszug vom Wohnungsgeber bestätigen zu lassen. Dieses Verfahren ist sehr aufwendig und bürokratisch. Deshalb soll künftig die Abmeldung auch elektronisch möglich sein. Auf die Wohnungsgeberbestätigung bei der Abmeldung, egal ob der Meldepflichtige innerhalb Deutschlands umzieht oder ins Ausland, wird gänzlich verzichtet. Die Wohnungsgeberbestätigung, die 2002 im Melderechtsrahmengesetz abgeschafft wurde, wurde im Bundesmeldegesetz wieder eingeführt. Die Begründung war, dass man damit Scheinanmeldungen verhindern wollte. Inzwischen hat sich aber herausgestellt, dass die Bestätigung des Wohnungsgebers mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden ist. Dieser kann, so die Begründung des Gesetzentwurfes, nicht damit gerechtfertigt werden, Scheinanmeldungen zu verhindern. Ob dieses Instrument Scheinanmeldungen überhaupt verhindern kann, ist fraglich. Seit der Verabschiedung des Bundesmeldegesetzes 2013 haben sich andere Gesetze geändert, die Folgen haben für das Meldewesen. Wir haben das Personalausweisgesetz ergänzt, indem wir den Ersatz-Personalausweis eingeführt haben. Dieses muss in § 23 Absatz 1 BMG – Erfüllung der allgemeinen Meldepflicht – und in § 38 Absatz 3 Nummer 5 BMG – automatisierter Abruf – nachvollzogen werden. Ebenso ist nach Verabschiedung des BMG das Staatsangehörigkeitsgesetz im November 2014 geändert worden. Die Neuregelung der Optionspflicht in § 29 Staatsangehörigkeitsrecht wird in § 3 Absatz 2 Nummer 5 BMG – Speicherung von Daten – nachvollzogen. Daraus ergeben sich wiederum Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht, die ebenfalls mit diesem Gesetzentwurf geregelt werden sollen. Wenn im Rahmen des Optionsverfahrens Daten der Meldebehörden an die Staatsangehörigkeitsbehörden übermittelt werden, werden auch die Auskunftssperren übermittelt. Für die Länder wird es möglich, nicht nur die oberste Landesbehörde, sondern auch eine andere Behörde als Zulassungsbehörde für privatrechtlich betriebene Portale zur Durchführung einfacher Melderegisterauskünfte über das Internet zu bestimmen. Damit wird die Flexibilität bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben erhöht. Das Bundesamt für Justiz soll in den Katalog der Behörden des § 34 Absatz 4 Satz 1 aufgenommen werden, die grundsätzlich Daten bei den Meldebehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben abfragen können. Dies ist notwendig, weil das Bundesamt Aufgaben der Vollstreckungshilfe sowie Aufgaben des Strafnachrichtenaustausches aufgrund von europäischen Rahmenbeschlüssen wahrnimmt. Das Datum „Geschlecht“ soll als weiteres Datum bei der Registrierung im Melderegister festgelegt werden. Dieses dürfen Behörden beim automatischen Verfahren abrufen. Diese Maßnahme wird damit begründet, dass es nicht sachgerecht sei, auf dieses Datum zu verzichten, da die Bestimmung des Geschlechts aufgrund ausländischer Vornamen von Meldepflichtigen oft nicht möglich sei. Dieses Datum sollen die Behörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben im automatisierten Verfahren des § 38 Absatz 1 BMG abrufen können. Seit Wegfall dieses Datums habe sich, so die Begründung des Gesetzentwurfes, die Erfolgsquote automatisierter Melderegisterauskünfte deutlich verschlechtert. Diese Begründung für die Einführung des Geschlechts als abrufbares Datum ist für mich nicht ausreichend. Ich erwarte eine konkretere Begründung in den anstehenden Gesprächen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme noch zwei Ergänzungen vorgeschlagen, die § 18 Absatz 2 BMG – Meldebescheinigung – und § 49 Absatz 4 BMG – automatisierte Melderegisterauskunft – betreffen. Diesen Vorschlägen folgen wir. Auch wenn es noch einige wenige Fragen zu klären gibt, halten wir die praxisgerechten Ergänzungen für sinnvoll, sie gestalten das Bundesmeldegesetz bürgerfreundlicher. Jan Korte (DIE LINKE): Ab und an lohnt es, sich die Geschichte von Gesetzentwürfen genauer anzusehen. Beim hier zur Debatte stehenden Gesetzentwurf sieht man dann, dass Sie jetzt, offenbar angesichts der ersten Praxiserfahrungen, Ihre am 1. November 2015, also vor gerade einmal etwas mehr als einem halben Jahr, in Kraft getretenen Änderungen im Bundesmeldegesetz (BMG) bereits nachjustieren müssen. Der Grund: Ihr damaliges Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens war handwerklich einfach nicht gut gemacht. So weit, so schlecht. Aber man kann es auch positiv betrachten und sagen, dass Sie dies diesmal immerhin schon recht frühzeitig gemerkt haben. Und einige Punkte in Ihrem Gesetzentwurf gehen auch tatsächlich in die richtige Richtung. Die Erkenntnis, dass der damalige Gesetzentwurf nicht gut gemacht war, kommt allerdings für diejenigen, die zum Beispiel den Sachverständigen in der Ausschussanhörung zugehört hatten, nicht wirklich überraschend. Schon vor zwei Jahren haben uns die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder bereits im Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf des Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens umfassend Empfehlungen gegeben, die dann aufgrund ihrer Abneigung gegen den Datenschutz keinen oder nur zum Teil Eingang in das Gesetz fanden. Schon damals rieten die Datenschützer, die Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei der An- und Abmeldung ersatzlos zu streichen. § 19 BMG ist nur in den allerwenigsten Fällen geeignet, Scheinanmeldungen zu verhindern, für die Mieterinnen und Mieter und die Wohnungsgeber jedoch ein enormer bürokratischer Mehraufwand. Aber anstatt § 19 in Gänze zu streichen, sieht Ihr Gesetzentwurf nur die Streichung der Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers vor, wenn der Mieter ins Ausland verzieht. Und Sie springen nicht nur hier zu kurz: An die Hotelmeldepflicht, die nichts anderes als eine umfangreiche, verdachtslose Datenerhebung auf Vorrat ist, wagen Sie sich auch diesmal nicht heran. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben die Hotelmeldepflicht seit jeher als unverhältnismäßig kritisiert und gefordert, dass Hotelgäste nicht pauschal als Gefahrenquellen oder potenzielle Straftäter angesehen werden dürfen. Meine Fraktion ist deshalb der Meinung, dass die §§ 29 bis 31 des BMG abgeschafft werden sollten. Was sind denn aber nun die positiven Seiten Ihres Gesetzentwurfs? Das Bundesamt für Justiz wird in die Liste nach § 34 Absatz 4 Satz 1 der abrufberechtigten Stellen aufgenommen, um seinen Aufgaben im Rahmen der EU-Rechtshilfe nachkommen zu können. Auch die Klarstellung zum bedingten Sperrvermerk (§ 52 BMG), wonach die Speicherung nicht personenbezogen, sondern zur Anschrift der betroffenen Person erfolgt, erscheint mir richtig. Dass bei der Durchführung des Optionsverfahrens im Staatsangehörigkeitsgesetz die Übermittlung von Auskunftssperren auch bei vorzunehmenden Datenübermittlungen der Meldebehörden an die zuständigen Behörden aufgenommen wird, ist zu begrüßen. Das war es dann aber auch schon. Einzelne datenschutzrechtliche Klarstellungen müssen ja nur erfolgen, weil Sie wieder einmal den Umfang der zu speichernden Daten erhöhen oder wie in § 33 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) die im Register staatsangehörigkeitsrechtlicher Entscheidungen zu speichernden Daten ergänzen. Ihre Begründung, warum in die im automatisierten Verfahren abrufbaren Daten auch das Merkmal „Geschlecht“ wieder aufgenommen werden muss, da es im Zusammenhang mit der steigenden Zahl ausländischer Namen zu Identifizierungsschwierigkeiten gekommen sei, überzeugt mich nicht. Warum hat sich bei der automatisierten Melderegisterauskunft nach § 38 Absatz 1 BMG die Erteilungsquote deutlich verschlechtert, weil die abfragenden Stellen das Geschlecht nicht angeben dürfen? Darauf hätte ich gerne im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine nachvollziehbare und auf Fakten basierende Erklärung. Neben diesen sehr überschaubaren Verbesserungen beinhaltet Ihr Gesetzentwurf aber mit der Privatisierung der Melderegisterauskunft noch eine extrem problematische Verschlechterung, die meine Fraktion auf keinen Fall mittragen kann: Denn um nichts anderes handelt es sich bei der von Ihnen geplanten Möglichkeit zur „Beauftragung“ von Privatunternehmen zur Führung des Auskunftsregisters durch Änderung des § 49 Absatz 3 BMG. Wenn die Daten außerhalb der Behörden noch ein zweites Mal gespeichert werden, erhöht das selbstverständlich das Risiko für die Datensicherheit. Zudem erschließt sich der Sinn nicht, denn die öffentliche Hand kann die Verwaltungskosten für die Registerauskünfte ja über entsprechende angemessene Gebühren ausgleichen, während Privatunternehmen selbstverständlich mit Profitinteresse an so etwas rangehen. Unsicherheiten könnten zusätzlich entstehen, wenn ein solches Unternehmen pleitegehen sollte. Die ganzen Daten, die ja einen enormen Wert darstellen können, wären weiterhin irgendwo gespeichert, aber die Zugriffsrechte würden unklar. Sollen diese dann Gegenstand eines Insolvenzverfahrens werden, oder wie haben Sie sich das gedacht? Die Linke begrüßt hingegen einige Änderungsvorschläge des Bundesrates. Der Innenausschuss des Bundesrates empfiehlt in seiner Stellungnahme, eine Möglichkeit zur Auswahl der Daten in einer Meldebescheinigung für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, die damit nur genau die erforderlichen Daten preisgeben müssen, und zugleich die möglichen Angaben gegenüber der derzeitigen Rechtslage zu erweitern. Zweitens soll ein Missbrauch der Melderegisterauskunft an Private durch präzisere Regelungen verhindert werden. Diese Vorschläge sind sehr sinnvoll und finden unsere Unterstützung. Fazit: Die Chance, die Macken des Ausgangsgesetzes auszuräumen, wurde einmal mehr nicht genutzt. Neben einigen Verbesserungen wurde im gleichen Zug an anderer Stelle verschlechtert oder neue Probleme geschaffen. Der grundsätzliche Trend zum Aufhäufen und Austauschen von immer mehr Daten, den Sie mit Ihrer Politik nun schon seit vielen Jahren verfolgen, wird auch mit diesem Gesetzentwurf weiterverfolgt. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf den Webseiten des BMI lässt es sich nachlesen: „Die Mitwirkungspflicht des Vermieters bei der Anmeldung von Mietern wird wieder eingeführt, um Scheinanmeldungen und damit häufig verbundenen Formen der Kriminalität wirksamer zu begegnen.“ Das war 2013. Gegen unseren ausdrücklichen Rat wurde damals so verfahren. Ebenso wie wir gegen die Wiedereinführung der Hotelmeldepflicht sowie gegen Melderegisterauskünfte an den Adresshandel als Default-Regelung gestritten haben, die die damalige schwarz-gelbe Koalition in einer Nacht-und-Nebel-Aktion während eines Fußball-WM-Spiels der Deutschen Mannschaft terminiert hatte. Heute, knapp drei Jahre später, tritt erneut eine Merkel-Regierung mit Hoheit über das Bundesinnenministerium wieder den Rückzug an: „Die Mitwirkungspflicht des Wohnungsgebers bei der Abmeldung wird unter dem Gesichtspunkt der Entbürokratisierung wieder abgeschafft“ (Seite 15 des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 18/8620.). Aber was bedeutet denn die halbe Rolle rückwärts? Weiterhin sollen Wohnungsgeber und Behörden aufwendigste „Spurensicherung“ hinsichtlich der Identität von Mieterinnen und Mietern bei der Anmietung betreiben. Diese Indienstnahme Privater für polizeiliche Zwecke, die für das BMI in vielen Bereichen inzwischen ganz unhinterfragt zum Mittel der Wahl avancierte, bleibt also erhalten. Und damit wohl auch im Wesentlichen der Bürokratieaufwand. Nur die Mitwirkung bei der Abmeldung entfällt. Als grüne Bundestagsfraktion appellieren wir erneut an Sie, diese bürokratischen und kleinlichen Meldepflichten gleich ganz abzuschaffen. Sie stehen in keinem Verhältnis zu den angeblichen Vorteilen bei der Kriminalitätsbekämpfung, zu denen Sie weder willens noch in der Lage sein dürften, eine entsprechende Statistik auch nur vorzuhalten. Scheinanmeldungen sind auch durch Mitwirkungspflichten letztlich nicht wirksam zu verhindern. Sicherheit bedeutet, sich auf wesentliche und effektive Linien zu konzentrieren und nicht, auch noch die Meldebehörden mit gewaltigen Datenbergen von Vermietern in ihrer Aufgabenerfüllung zu behindern. Bei der Gelegenheit, das wiederholen wir an dieser Stelle, fordern wir Sie erneut auf, die Hotelmeldepflicht zu streichen, deren „ortspolizeiliche“ Funktion aus dem vorigen Jahrhundert nicht allen Ernstes ein relevantes Mittel der Kriminalitätsbekämpfung darstellen kann. Sie ist vielmehr eine verdachtslose Datenerhebung und Datenspeicherung auf Vorrat. Zutreffend ist allerdings, dass das Melderecht eine immer größere Bedeutung für die Informationsordnung gewonnen hat, nicht allein für die Verwaltung, sondern auch für die Wirtschaft. Man muss das Bundesmelderecht nicht gleich zum informationellen Rückgrat einer modernen bürgerorientierten Verwaltung stilisieren, um gleichwohl die gewachsene Anzahl der Zugriffsmöglichkeiten und damit der Vernetzung der Meldedatenbestände mit anderen öffentlichen Stellen und Entscheidungsprozessen zu erkennen. Ein aktuelles Beispiel sind die umfangreichen Abruf- als auch Einmeldemöglichkeiten seitens aller mit Flüchtlingsfragen befassten Behörden nach dem sogenannten Datenaustauschverbesserungsgesetz. Während diese Regelung aus rein datenschutzpolitischer Sicht eine ganze Reihe fragwürdiger Regelungen enthält, zeigt sie doch zugleich auch die Bedeutung des Meldedatensystems. Die mithilfe der Auskunftspflicht von Bürgerinnen und Bürgern gewonnenen Meldedaten werden genutzt, um sehr unterschiedliche staatliche Aufgaben zu erleichtern, zu optimieren und zu ermöglichen. Durch die Vernetzung der Behörden wird es möglich, Aufgaben zu erledigen, ohne die betroffenen Bürger für die Durchführung der jeweiligen Aufgaben erneut in Anspruch nehmen zu müssen. Diese Effizienz, Kosteneinsparung und Bürgerfreundlichkeit ist natürlich ein Riesengewinn, wird mittlerweile von vielen als selbstverständlich erachtet und stellt beispielsweise im Umgang mit den zu uns kommenden Flüchtlingen auch einen wichtigen Faktor dar, um deren rasche Integration mit zu ermöglichen. Gleichwohl kann und wird es mit dem Melderecht keinen multifunktionalen Informationspool geben dürfen, bei dem sich die Behörden oder auch die Wirtschaft nach Belieben ohne Beteiligung der Betroffenen selbst bedienen können. Die weiteren Vorschläge Ihres Entwurfes mögen in einer Abwägung auch mit den Grundsätzen der Datensparsamkeit vertretbar erscheinen, so etwa die Wiederaufnahme des Geschlechts in die Suchfunktion bei der automatisierten Meldeauskunft zur Erhöhung der Treffsicherheit. Auch für die Öffnung des Betriebs der Landesportale zur einfachen Melderegisterauskunft auch durch andere Behörden als oberste Landesbehörden mögen Praxiserfahrungen sprechen. Diese sowie die Übermittlung der Auskunftssperren an die Staatsangehörigkeitsbehörden sind zu begrüßen. Noch wichtiger hingegen bleibt es weiterhin, ganz praktisch die Bürgerinnen und Bürger – gemeinsam mit den völlig unterbesetzten Datenschutzbehörden – auf ihre eigenen Betroffenenrechte und Gestaltungsmöglichkeiten im Melderecht immer wieder hinzuweisen: So können sie weiterhin Widerspruchsrechte geltend machen, gegen Wahlwerbebriefe, gegen die Adressweitergabe an Adressbuchverlage oder bei Alters- oder Ehejubiläen an Mandatsträger. Und die Weitergabe von Meldedaten für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels ist weiterhin nur mit Einwilligung möglich. Und eine solche Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden. Schließlich können alle Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer gebührenfreien Selbstauskunft gegenüber der Meldebehörde erfahren, welche Daten über sie gespeichert sind, woher diese Daten stammen und wer Empfänger regelmäßiger Datenübermittlungen sind. Auch die Nutzung dieser Betroffenenrechte trägt mit dazu bei, dass die Melderegister keine uferlosen Allzweckdatenbanken werden. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches (Tagesordnungspunkt 25) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Heute findet die erste Lesung zum Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches statt. Dieser Gesetzentwurf dient der Ratifizierung der Vereinbarungen, die auf der Konferenz in Kampala getroffen wurden. Vom 31. Mai bis 11. Juni 2010 fand in Kampala in Uganda die erste Überprüfungskonferenz zum Statut des Internationalen Strafgerichtshofs statt. Auf dieser Konferenz gelang es den Vertragsstaaten des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, sich auf eine Definition des Tatbestandes der Aggression zu verständigen. Gleichzeitig soll der vorliegende Gesetzentwurf der Verwirklichung des Grundsatzes der Komplementarität nach dem Römischen Statut dienen. Der Grundsatz der Komplementarität besagt, dass die Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen Aufgabe des Staates ist, in dem diese Verbrechen stattfinden. Dieser Grundsatz ist in Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe a des Römischen Status festgehalten und besagt, dass der Gerichtshof entscheidet „dass eine Sache nicht zulässig ist, wenn in der Sache von einem Staat, der Gerichtsbarkeit darüber hat, Ermittlungen oder eine Strafverfolgung durchgeführt werden, es sei denn, der Staat ist nicht willens oder nicht in der Lage, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen“. Das Prinzip der Komplementarität stellt ein relativ neues Instrument im Völkerrecht dar, um völkerrechtliche und nationale Bestimmungen miteinander zu verzahnen mit dem Ziel, die strafrechtliche Verfolgung von besonders schwerwiegenden Verbrechen sicherzustellen. Der Internationale Strafgerichtshof kann nur dann tätig werden, wenn der betroffene Staat „nicht willens oder nicht in der Lage“ ist. Ansonsten soll eine effektive Strafverfolgung in den Mitgliedstaaten stattfinden. Der vorliegende Gesetzentwurf schlägt mithin eine Möglichkeit vor, mit der es gelingen kann, den Tatbestand des Verbrechens der Aggression in das deutsche Recht zu implementieren. Bislang regelten § 80 StGB – Vorbereitung eines Angriffskrieges – und § 80a StGB – Aufstacheln zum Angriffskrieg – die Strafbarkeitstatbestände im Zusammenhang mit einem Angriffskrieg in Deutschland. Diese Vorschriften sollen nun durch einen neuen, eigenständigen Straftatbestand des Verbrechens der Aggression, der in das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) eingefügt wird, ersetzt werden. Es wird mithin ein neuer § 13 VStGB „Verbrechen der Aggression“ geschaffen. Ich werde im Folgenden einige Kritikpunkte an der dort vorgeschlagenen Formulierung darstellen. Im Vorlauf zu den jetzt beginnenden parlamentarischen Beratungen erfolgte eine Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern zu dem Entwurf. Auf diese Stellungnahme hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz geantwortet. Schließlich hat das Bundesministerium des Innern hierauf noch einmal erneut Stellung genommen. Die zu diskutierenden drei Hauptkritikpunkte wurden auch bereits in diesen Schreiben erörtert, sodass man erkennt, dass intensiv an einer sehr guten Regelung gearbeitet wurde. Im nun beginnenden parlamentarischen Verfahren werden vor allem drei Punkte zu diskutieren sein. Dies ist erstens die Frage, ob es wirklich der Schaffung eines minderschweren Falls des Verbrechens der Aggression bedarf. Zweitens muss geprüft werden, ob die Abschaffung des § 80a StGB durch die neue Regelung des § 13 VStGB ausreichend abgefangen werden kann. Drittens ist zu prüfen, ob der Tatbestand der Aggression im deutschen Strafrecht auch Handlungen durch nichtstaatliche Akteure erfassen soll. In § 13 Absatz 5 VStGB soll nun ein minderschwerer Fall geregelt werden. In der Begründung wird hierzu ausgeführt, dass es nur so umsetzbar sei, den abstrakten Unrechtsabstufungen angemessen Rechnung zu tragen, die sich aus den verschiedenen Begehungsvarianten des Artikels 8 bis Absatz 2 Satz 2 IStGH-Statut ergeben. Zu diskutieren wird nun im weiteren parlamentarischen Verfahren sein, ob dieses Argument überzeugt. Zwar sind zahlreiche Situationen denkbar, in denen von sehr unterschiedlicher Tatschwere ausgegangen werden muss. Der vorliegende Gesetzentwurf bezieht sich aber auf den Wortlaut des IStGH-Statuts. Im IStGH-Statut selbst wird nicht zwischen einer völkerrechtswidrigen Angriffshandlung und dem Verbrechen der Aggression unterschieden. Es wäre somit also auch darstellbar, jede einschlägige Handlung, die unter § 13 VStGB subsumiert werden kann, auch gemäß einem „normalen“ Fall zu bestrafen. Es bedarf dann keiner Sonderregelung zu einem minderschweren Fall. Hier ist also zu prüfen, ob eine Regelung geschaffen werden muss oder ob sie sich als zumindest nicht notwendig herausstellt. Durch die Streichung des § 80a StGB werden in Zukunft alle Fälle, in denen ein Aufstacheln zum Angriffskrieg vorliegt, unter § 111 StGB geprüft werden müssen. § 111 StGB normiert aber die Strafbarkeit des „Aufforderns“ und nicht des „Aufstachelns“. Es wird mithin Unterschiede bei der Subsumtion geben, und dies kann dazu führen, dass bisher strafbares Verhalten „Aufstacheln“ in Zukunft straflos „Auffordern“ wird. Auch ist die Mindestfreiheitsstrafe bei § 80a StGB immer drei Monate. Der Fall des erfolglosen Aufforderns nach § 111 Absatz 2 StGB beinhaltet jedoch keine Mindeststrafe. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf gilt in Zukunft in diesen Fällen also ein geringeres Strafmaß. Hierüber wird im parlamentarischen Verfahren noch zu diskutieren sein. Eine Strafmilderung sollte durch das vorliegende Gesetz unter keinen Umständen geschaffen werden. In der bereits angesprochenen Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern wird hierzu ausgeführt: Durch § 13 Absatz 3 VStGB werden im Einklang mit dem Völkerrecht nur Angriffshandlungen erfasst, die einem Staat nach den Regeln des Völkerrechts zugerechnet werden können. Der nationale Gesetzgeber kann im Rahmen seiner Jurisdiktion aber weiter gehen, als dies die völkerrechtliche Umsetzungspflicht verlangt. Es besteht ein rechtspolitisches Interesse daran, auch nichtstaatliche Akteure (wie zum Beispiel Terrormilizen) in den Anwendungsbereich von § 13 VStGB mit einzubeziehen. Dies gilt zumindest, sofern deren Handlungen mit Aggressionshandlungen vergleichbar sind. Rechtstechnisch wäre eine Erweiterung des § 13 VStGB um Handlungen bewaffneter nichtstaatlicher Terrorgruppen, die Anschläge in Deutschland verüben bzw. solche Handlungen planen, denkbar. Alternativ könnten §§ 129a, b StGB um einen solchen Tatbestand ergänzt werden. Dem Vorschlag des Bundesministeriums des Innern, an dieser Stelle eine Erweiterung vorzunehmen, ist zuzustimmen. Allerdings sollte eine entsprechende Regelung nicht in § 13 VStGB eingefügt werden. Vielmehr sollten die §§ 129a, b StGB ergänzt werden. Bei einer Erweiterung des § 13 VStGB auf nichtstaatliche Akteure könnte man nach einem Terroranschlag im Innern zu der Auffassung gelangen, dass bereits ein Angriffskrieg vorliegt und diesen dann dem Staat, von dem die Terroristen kommen, zurechnen. Dies würde zu einer nicht hinnehmbaren völkerrechtlichen Gefahr für den Frieden führen und muss deshalb abgelehnt werden. Eine Verschärfung der §§ 129a, b StGB ist aber zu begrüßen, um terroristische Angriffe gezielter verfolgen zu können. Der nun vorliegende Gesetzentwurf enthält bereits viele begrüßenswerte Regelungen. Es wird uns sicher gelingen, im parlamentarischen Verfahren noch einige wichtige Verbesserungen anzubringen. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit in den anstehenden Beratungen. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Das Völkerstrafrecht erfasst schwere Verbrechen. Verbrechen des Völkermords, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression stellen die gravierendsten Verbrechen nach dem Völkerrecht dar. Dabei wirkt nicht nur die Schuld des einzelnen Täters schwer. Völkerrechtsverbrechen betreffen die internationale Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit. Für Völkerrechtsverbrechen besteht ein internationales Interesse an der Verfolgung und Aburteilung. Aus diesem Grund wurde im Jahr 1998 durch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs eine Gerichtsbarkeit geschaffen. Für die Aburteilung der Völkerrechtsverbrechen von Individuen ist seit 2002 der Internationale Strafgerichtshof berufen. Für eine einheitliche Strafbarkeit auf internationaler Ebene und im Interesse der Staatengemeinschaft werden die Tatbestände des Völkerstrafrechts von den Vertragsstaaten des Römischen Statuts gemeinsam festgelegt. Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit finden sich seither im Römischen Statut definiert. Das Verbrechen der Aggression fand sich bisher nicht darunter. Auf der Konferenz von Kampala gelangen schließlich der Durchbruch und eine wesentliche Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts. Nach intensiven Beratungen und Verhandlungen wurde eine einheitliche Definition des Verbrechens der Aggression geschaffen. Wie ist der Begriff des Verbrechens der Aggression nun definiert? Nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wird dies als Planung bis zur Ausführung einer schweren Angriffshandlung gegen die Souveränität eines Staates verstanden. Zugleich muss es sich um eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen handeln. Als konkretes Beispiel findet sich bereits heute im Strafgesetzbuch der Straftatbestand der Vorbereitung eines Angriffskrieges, an dem die Bundesrepublik beteiligt werden soll. Der Straftatbestand wendet sich als Führungsverbrechen gegen Personen eines Staates, die tatsächlich in der Lage sind, das politische oder militärische Handeln zu kontrollieren und zu lenken. Es gilt der Grundsatz der Komplementarität. Die Verfolgungszuständigkeit für das Verbrechen der Aggression wird vom Internationalen Strafgerichtshof nur ausgeübt, wenn die nationalen Behörden und Gerichte hierzu nicht in der Lage sind. Dies wird vor allem in labilen Staaten ohne eine unabhängige Justiz der Fall sein. Wir können mit Stolz sagen, dass wir in Deutschland nicht betroffen sind. Wir haben einen funktionierenden Rechtsstaat mit unabhängigen Gerichten zur Aburteilung dieser Völkerrechtsverbrechen. Mit dem heutigen Änderungsgesetz zum Völkerstrafgesetzbuch schaffen wir die materiell-rechtliche Grundlage zur Verfolgung. Die Ergebnisse der Konferenz von Kampala finden sich nun als neuer Straftatbestand des Verbrechens der Aggression im Binnenrecht umgesetzt. Zugleich erfährt das Völkerstrafrecht seine Vervollständigung. Der richtige Ort ist das Völkerstrafgesetzbuch. Dort finden sich auch die anderen aufgezählten völkerrechtlichen Kernverbrechen. Damit kommt das Verbrechen der Aggression als schwere Völkerstraftat zur Geltung. In diesem Zusammenhang findet sich der erwähnte Straftatbestand der Vorbereitung eines Angriffskrieges nun auch in der Definition des Verbrechens der Aggression im Völkerstrafgesetzbuch wieder. Gleichwohl können wir uns glücklich schätzen, dass der bisherige Tatbestand der Vorbereitung eines Angriffskrieges nur wenig praktische Relevanz hat. Anzeigevorgänge führten regelmäßig schon zu keiner Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Dies zeigt, dass die Bundesrepublik Deutschland sich derzeit keinen Gefahren durch solche Straftaten ausgesetzt sieht. Dirk Wiese (SPD): Die Idee eines unabhängigen ständigen Internationalen Strafgerichtshofs zur Aufklärung und Aburteilung völkerrechtswidriger Verbrechen reicht zurück bis in das Jahr 1872, in dem Gustave Moynier, als Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, den ersten förmlichen Vorschlag zur Errichtung eines derartigen Gerichtshofs vorlegte. Die langjährigen Bestrebungen, einen Internationalen Strafgerichtshof einzuführen, führten schließlich mit dem sogenannten Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 zum Erfolg. Nach diesem Statut verständigen sich die inzwischen 140 unterzeichnenden Staaten darauf, einen unabhängigen ständigen Internationalen Gerichtshof als Gerichtsbarkeit über die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, zu errichten. Die Beschlüsse von Kampala, die im Jahr 2010 gefasst worden sind, ergänzen das Römische Statut des Internationalen als vertragliche Grundlage des IStGH in Den Haag. Mit Gesetz vom 3. Juni 2013 hat Deutschland – neben bislang weiteren 27 Staaten – die Beschlüsse von Kampala ratifiziert. Damit fehlen die Ratifikation von lediglich zwei Vertragsstaaten sowie ein Beschluss der Vertragsstaaten mit Zweidrittel-Mehrheit nach dem 1. Januar 2017, um die Gerichtsbarkeit des IStGH aktivieren zu können. Der vorliegende Gesetzentwurf ist zu begrüßen, da so weitere Voraussetzungen dafür geschaffen werden, unser nationales Strafrecht an die internationale Rechtslage anzupassen. Damit wird sichergestellt, dass Deutschland stets in der Lage ist, in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zu verfolgen. Somit trägt der Gesetzentwurf dem Grundsatz der Komplementarität Rechnung, nach dem in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen auch durch nationale Behörden verfolgt werden sollen. Der Entwurf verbindet auf der Grundlage des gesicherten Völkergewohnheitsrechts die historischen und verfassungsrechtlichen Gegebenheiten Deutschlands und seine Rechtstradition mit möglichst großer Nähe zu den Beschlüssen von Kampala. Gleichzeitig hat er zum Ziel, den Bedürfnissen der Praxis, namentlich des für die Verfolgung von Aggressionsverbrechen zuständigen Generalbundesanwalts, Rechnung zu tragen, ohne falsche Erwartungen der Öffentlichkeit zu wecken. Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung der Beschlüsse der Überprüfungskonferenz der Vertragsstaaten des IStGH-Statuts in Kampala, die den Begriff des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges definieren. Kernstück ist die Einführung eines neuen § 13 in das Völkerstrafgesetzbuch unter Aufhebung des bisherigen § 80 StGB (Vorbereitung eines Angriffskrieges). Dabei wird neben der Vorbereitung erstmals auch die tatsächliche Durchführung eines Angriffskrieges unter Strafe gestellt. Gleichzeitig werden zum Schutz von „einfachen“ Soldaten der Täterkreis auf Führungspersonen – politische und militärische Machthaber – beschränkt und völkerrechtlich umstrittene Fälle durch eine Schwellenklausel ausgeklammert. Anders als für die bereits im VStGB geregelten Verbrechen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen) enthält der Entwurf eine Einschränkung des sogenannten Weltrechtsprinzips. Danach kommt das deutsche Recht nur bei einem eindeutigen Bezug der Tat zu Deutschland zur Anwendung. Das Gesetz soll am 1. Januar 2017 in Kraft treten, um einen Gleichlauf mit der Gerichtsbarkeit des IStGH zu gewährleisten. Die Gerichtsbarkeit des IStGH kann frühestens nach dem 1. Januar 2017 aktiviert werden. Voraussetzung ist, dass 30 der 122 Vertragsstaaten die Änderung des Römischen Statuts ratifiziert haben und mindestens zwei Drittel der Vertragsstaaten der Ausübung der Gerichtsbarkeit zustimmen. Jetzt stehen erst einmal die parlamentarischen Beratungen an. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Mittelpunkt der heutigen Debatte ist der zukünftige neue Straftatbestand der Aggression im Völkerstrafgesetzbuch. Grundsätzlich beschlossen und definiert wurde dieser Straftatbestand bereits im Jahr 2010 auf einer Konferenz der Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs in Kampala. Der Gesetzentwurf heute soll das Verbrechen der Aggression nun auch in das deutsche Strafrecht einführen. Als Ziel der Neuregelung wird der Schutz der Souveränität, der territorialen Unversehrtheit und der politischen Unabhängigkeit von Staaten genannt. Bislang war in Deutschland nur das Vorbereiten eines Angriffskrieges und das Aufstacheln dazu als Straftat erfasst, nicht aber das Führen eines solchen Angriffskrieges. Das ist natürlich ein inkonsequenter Zustand, der jetzt zu Recht korrigiert werden soll. Es ist – nicht nur aus historischer Sicht – richtig und überfällig, dass es endlich eine Definition des Verbrechens der Aggression gibt und dass dieser Straftatbestand Eingang in das internationale und nun auch in das nationale Recht finden soll. Die kritische Frage ist allerdings: Was genau ist unter dem Verbrechen der Aggression zu verstehen? Der Gesetzentwurf nennt etwa die dauerhafte Annektierung eines fremden Staatsgebietes oder aber die Unterwerfung eines anderen Staates. Blockaden von Häfen oder Küsten durch fremde Streitkräfte, die Bombardierung oder Beschießung fremden Hoheitsgebiets oder auch Fälle des gezielten Entsendens bewaffneter Banden oder Söldner in einen anderen Staat sollen künftig als Aggressionsverbrechen verfolgbar sein. Allerdings zeigt die Gesetzesbegründung auch, dass lange nicht jedes gewaltsame Eingreifen von außen ein Aggressionsverbrechen darstellen soll. Das gilt zum Beispiel für kleinere Grenzscharmützel. Auch die Linke hält es für sinnvoll, solche nicht gleich unter den Aggressionstatbestand fallen zu lassen. Doch im Gesetzentwurf heißt es auch – ich zitiere – „dass etwa eine humanitäre Intervention oder die präventive Selbstverteidigung in Anbetracht eines bevorstehenden bewaffneten Angriffs tatbestandlich nicht erfasst“ werde. Und das sollte uns aufhorchen lassen; denn hier geht es ans Eingemachte. Als humanitäre Intervention, die vorgeblich dem Schutz der Zivilbevölkerung vor drohenden Massakern oder gar Genoziden dient, wird doch heute nahezu jeder Kriegseinsatz bezeichnet. Auch der brutalste Diktator lässt sich für einen Überfall auf ein anderes Land eine humanitäre Begründung einfallen oder behauptet, er sei einem Angriff durch seine Nachbarn nur rechtzeitig zuvorgekommen. Ich erinnere nur daran, dass der Jugoslawien-Krieg, bei dem die Bundeswehr bei der Bombardierung der zivilen Infrastruktur des Landes mitmachte, als eine solche humanitäre Intervention gerechtfertigt wurde. Dazu wurden vom damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping die bekannten Kriegslügen von angeblichen Konzentrationslagern in Fußballstadien bemüht. Und beim Luftkrieg gegen Libyen stützten sich die Aggressoren sogar auf eine UN-Sicherheitsratsresolution zur Herstellung einer Flugverbotszone. Und da sagt die Linke: Sogenannte humanitäre Militärinterventionen dürfen nicht von vornherein einer völkerstrafrechtlichen Überprüfung entzogen werden – und das darf auch in einer Gesetzbegründung nicht suggeriert werden. Wir erleben es heute viel zu oft, dass Kriegstreiber sich hinter humanitären Phrasen verstecken. Sogenannte humanitäre Militäreinsätze in Krisenländern sind meist nichts anderes als eine Beteiligung oder ein Vorantreiben von Kriegen und gehen nicht zuletzt zulasten der Zivilbevölkerung, deren Opfer dann als „Kollateralschäden“ verbucht werden. Vor diesem Punkt dürfen wir nicht die Augen verschließen, wenn wir über das Verbrechen der Aggression sprechen. Täter in diesem Bereich sind auch die Bundesrepublik, die USA, die NATO und die EU, und auch diese Täter dürfen nicht straffrei davonkommen! Das Völkerstrafrecht muss für alle gleichermaßen gelten. Das möchte ich Ihnen für die weitere Behandlung des Gesetzentwurfes mit auf den Weg geben und noch einmal klarstellen: Die Linke befürwortet die Einführung des Aggressionsstraftatbestandes in das Völkerstrafgesetzbuch und die damit einhergehende Verurteilung gewaltsamer Eingriffe in Staaten durch andere Staaten. Jede Handlung, die unter diesen Tatbestand fallen könnte, muss entsprechend kritisch geprüft werden. Und das muss unabhängig davon gelten, ob eine Aggression von einem despotischen Diktator, einem finsteren Warlord, der NATO oder westlichen Staaten ausgeht. Ein Zweiklassenstrafrecht, welches das Völkerstrafgesetz zur neokolonialen Siegerjustiz missbraucht, darf es da nicht geben. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) von 2002 stellt die schlimmsten Menschenrechtsverbrechen unter Strafe: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Was bislang fehlt, ist das Verbrechen der Aggression oder auch der „Angriffskrieg“. Diese Ergänzung unseres Völkerstrafrechts durch den vorliegenden Gesetzentwurf ist gut und wichtig, denn der Angriffskrieg ist eines der gefährlichsten Verbrechen überhaupt. Dass wir nicht bereits bei der Einführung des Völkerstrafgesetzbuches das Verbrechen der Aggression mit aufgenommen haben, liegt daran, dass sich die Staaten nicht einig waren, was eigentlich das Aggressionsverbrechen ausmacht. Dies wurde in der Internationalen Konferenz von Kampala 2010 endlich geklärt. Das „Verbrechen der Aggression“ ist seitdem im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs definiert als die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt. Die Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs kann allerdings noch nicht ausgeübt werden, da die entsprechende Änderung des Statuts erst ratifiziert und auf einer Folgekonferenz mit einer Mehrheit von zwei Dritteln aktiviert werden muss. Umso wichtiger, dass wir die indirekte Umsetzung des Völkerstrafrechts auf Grundlage nationaler Strafgesetze jetzt ermöglichen. Leider enthält ihr Vorschlag für den neuen § 13 VStGB drei ganz erhebliche Einschränkungen: Zum einen ist die Planung, Vorbereitung oder Einleitung eines Angriffskrieges nur dann strafbar, wenn der Angriffskrieg anschließend tatsächlich stattgefunden hat oder zumindest die Gefahr eines Angriffskrieges herbeigeführt wurde. Damit ist der Tatbestand bei uns enger gefasst als im Statut des internationalen Gerichtshofs. Enger, aber nicht klarer. So wird nicht klar, wie die Gefahr auszusehen hat, welches Stadium sie erreicht haben muss und wie konkret sie sein muss. Die zweite Einschränkung betrifft die Ausgestaltung des § 13 VStGB als sogenanntes Führungsdelikt: Täter kann nur sein, wer die tatsächliche Kontrolle über das politische oder militärische Handeln ausüben kann. Handeln von nichtstaatlichen Akteuren ist damit nur erfasst, wenn sie tatsächliche Hoheitsgewalt ausüben und der Angriff einem Staat völkerrechtlich zugerechnet werden kann. Die dritte Einschränkung des Anwendungsbereichs ist allerdings noch viel gravierender und dafür erst auf den zweiten Blick erkennbar: Nach § 1 VStGB soll der Tatbestand des Angriffskrieges nur in den Fällen gelten, in denen der Täter Deutscher ist oder die Tat sich gegen Deutschland richtet. Bisher beinhaltet § 1 VStGB das uneingeschränkte Weltrechtsprinzip. Danach kann das Völkerstrafgesetzbuch auf alle völkerstrafrechtlich relevanten Sachverhalte weltweit angewendet werden, unabhängig von Tatort und Nationalität der beteiligten Personen. Das „Korrektiv“ für diesen weiten Anwendungsbereich liegt in einer prozessrechtlichen Begleitnorm. Nach § 153f Strafprozessordnung kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen, wenn Völkerstraftaten ohne Bezug zu Deutschland erfolgen. Das Ermessen, ob eine Strafverfolgung stattfinden soll, liegt in den Fällen bei der Staatsanwaltschaft. Das war bisher schon eine erhebliche Abweichung von unserem für andere Straftaten geltenden Legalitätsprinzip, nach dem die Staatsanwaltschaft zur Verfolgung verpflichtet ist. Für das Aggressionsverbrechen gehen Sie jetzt aber noch einen Schritt weiter: Die prozessrechtliche Einschränkung durch § 153f StPO reicht Ihnen nicht aus, Sie zementieren die Voraussetzung des Deutschlandbezugs für die Tat direkt im Tatbestand. Damit liegt es nicht mal mehr im Ermessen der Staatsanwaltschaft, ob das Verbrechen verfolgt werden soll oder nicht. Ist der Täter kein Deutscher oder ist die Tat nicht gegen Deutschland gerichtet, gilt schlicht der Tatbestand des Angriffskrieges nicht. Nach ihrem neuen Vorschlag könnte auch derjenige nicht wegen eines Angriffskrieges verfolgt werden, der zum Beispiel dauerhaften Aufenthalt in Deutschland hat. Wer hier in Deutschland lebt und von hier aus einen Angriffskrieg plant, wäre kein Täter nach dem VStGB, wenn er nicht gleichzeitig einen deutschen Pass hat oder sich die Tat gegen Deutschland richtet. Nach Ihrer Vorstellung soll sich in Fällen von besonderer außenpolitischer Relevanz der Internationale Gerichtshof des Sachverhaltes annehmen. Das wäre natürlich wünschenswert, aber es ist keine Lösung, in Anbetracht der Tatsache, dass einige der mächtigsten Staaten der Welt die Kompetenz des Internationalen Gerichts nicht anerkennen. Der Verdacht liegt nahe, dass Sie also hier nicht agieren, um den Internationalen Strafgerichtshof zu stärken, sondern um Ihren Bündnispartnern nicht auf die Füße zu treten. Bereits jetzt können die Fälle des Völkerstrafgesetzbuches von höchster außenpolitischer Relevanz sein. Die Anzeige ausländischer Führungspersönlichkeiten wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommt in Deutschland durchaus vor. Dass solche Verfahren nicht weit kommen, lässt jetzt schon Rückschlüsse auf das Verhältnis von Rechtsstaatsprinzip und Diplomatie zu. Der Erhalt des Weltrechtsprinzips in unserer Rechtsordnung für die Verfolgung der schwersten Menschenrechtsverbrechen ist unverzichtbar. Schade, dass Sie sich nicht so wirklich trauen, mit der notwendigen Ergänzung des Völkerstrafrechts der Straflosigkeit des Angriffskrieges den Kampf anzusagen. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Die im Jahr 2010 in Kampala gefassten Beschlüsse zum Verbrechen der Aggression waren ein weiterer Meilenstein bei der Fortentwicklung eines globalen Völkerstrafrechts. Sie schließen eine wesentliche Lücke im Kampf gegen die Straflosigkeit schwerster Verbrechen gegen die internationale Gemeinschaft als Ganzes. Ein Blick auf die aktuellen Krisen und Konfliktherde in nahezu allen Teilen der Welt ruft die große Bedeutung des Völkerstrafrechts in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die Beschlüsse von Kampala verfolgen das Ziel, auch beim Verbrechen der Aggression, also der gezielten Verletzung der territorialen Integrität eines anderen Staates durch Einsatz militärischer Gewalt und damit einem der schwersten Völkerrechtsverbrechen überhaupt, Gerechtigkeit herzustellen. Deutschland hat sich in besonderer Weise bei der mühevollen Ausarbeitung der Kompromisse von Kampala engagiert. Als einer der ersten Staaten hat Deutschland am 3. Juni 2013 die Urkunde zur Ratifizierung der Beschlüsse bei den Vereinten Nationen hinterlegt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir dieses Engagement fort, indem wir vor allem unter dem Gesichtspunkt der Komplementarität die Voraussetzungen dafür schaffen, unser nationales Strafrecht an die internationale Rechtslage anzupassen. Damit ermöglichen wir die Strafverfolgung von Verbrechen der Aggression auch durch deutsche Behörden. Wir haben den Entwurf behutsam und sorgfältig unter breiter Einbindung der völkerstrafrechtlichen Wissenschaft und Praxis vorbereitet. Es ist uns, wie ich meine, eine ausgewogene und für alle Beteiligten tragfähige Lösung gelungen. Kernstück des Entwurfs ist die Einführung eines neuen § 13 in das Völkerstrafgesetzbuch. Damit verdeutlichen wir den Charakter des Verbrechens der Aggression als Völkerstraftat und heben zugleich die Verbindung zu den anderen völkerrechtlichen Kernverbrechen wie etwa dem Völkermord und dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit hervor. Wir haben uns bei der Umsetzung von den folgenden Grundentscheidungen leiten lassen: erstens der umfassenden Kriminalisierung von der Planung bis zur Ausführung – damit bestrafen wir erstmals auch die tatsächliche Durchführung eines Angriffskrieges –, zweitens der Ausgestaltung als Führungsdelikt, um sich auf die wirklich Verantwortlichen, also die politischen und militärischen Machthaber, konzentrieren zu können, drittens der Beschränkung der Strafbarkeit auf offensichtliche Völkerrechtsverletzungen, viertens der engen Orientierung an Kampala bei gleichzeitiger Berücksichtigung unserer bisherigen Rechtstradition, der vor allem die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Artikel 26 unseres Grundgesetzes zugrunde liegen. Damit werden wir in besonderer Weise der historischen Verantwortung Deutschlands aus zwei verheerenden Weltkriegen für das friedliche Zusammenleben der Völker gerecht. Ein weiteres Anliegen war es, den Bedürfnissen der Praxis, namentlich des für die Verfolgung von Aggressionsverbrechen zuständigen Generalbundesanwalts, Rechnung zu tragen, indem wir – abweichend vom sogenannten Weltrechtsprinzip – seine Verfolgungszuständigkeit auf Fälle mit Bezug zu Deutschland beschränken. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die neuen Regelungen zum 1. Januar 2017 in Kraft treten. Damit gewährleisten wir einen Gleichlauf mit der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichthofs in Den Haag, der nach den Beschlüssen von Kampala über Verbrechen der Aggression frühestens nach dem 1. Januar 2017 urteilen kann. Gerade mit Blick auf unsere historische Verantwortung sollten wir dem völkerrechtlichen Grundsatz der Komplementarität sorgsam Rechnung tragen und sicherstellen, dass Deutschland rechtzeitig in der Lage ist, in die Zuständigkeit des IStGH fallende Völkerrechtsverbrechen auch selbst innerstaatlich zu verfolgen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (Tagesordnungspunkt 26) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Die zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten bildet die Grundlage, um noch in diesem Jahr einen weiteren wichtigen Schritt zu gehen, das Energiesystem auf erneuerbare Energien umzustellen und zugleich gerade Verbrauchern eine Möglichkeit zu geben, einen Beitrag zur Flexibilisierung zu leisten. Positiv ist: Der Zubau an erneuerbaren Energien nimmt immer weiter an Fahrt auf, sie sind aus den Kinderschuhen erwachsen und müssen sich nun dem Markt stellen. Negativ ist: Der Netzausbau hält mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien nicht Schritt. Niedersachsen hat als eines der windreichsten Länder bisher keinen einzigen Kilometer der EnLAG-Leitung genehmigt. Die großen Stromtrassen sollen erst 2029 fertig werden. Deshalb muss der Netzausbau zusätzlich durch intelligente Lösungen, wie zum Beispiel Smart Meter, und weitere flexible Maßnahmen flankiert werden, um die Netzstabilität aufrechterhalten zu können. Aus diesem Grund gibt es seit 2013 die Verordnung zu abschaltbaren Lasten. Sie adressiert die Nachfrageseite und bietet einen Anreiz für große Stromabnehmer, einen Teil ihrer Nachfrage kurzfristig zurückzufahren. Wir haben somit ein Instrument geschaffen, das zusätzliche Flexibilitäten auf Verbraucherseite in Ergänzung zu den erneuerbaren Energien ermöglicht. Die Erfahrung aus den letzten Jahren hat gezeigt, dass die Industrie einen entscheidenden Beitrag zur Netzstabilität leisten kann. So stehen aktuell 465 Megawatt als sofort abschaltbare Lasten und 979 Megawatt als schnell abschaltbare Lasten zur Verfügung. Alleine bis Mitte September 2015 wurde die Abschalt-Option durch die Übertragungsnetzbetreiber ganze 89-mal gezogen. Damit wird gezeigt, dass unser Energiesystem schon heute die Mobilisierung der großen industriellen Lasten benötigt. Doch lassen Sie uns nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft blicken. Durch die fluktuierenden erneuerbaren Energien sind wir auf die abschaltbaren Lasten aus der Industrie angewiesen. Der Bedarf wird im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien sogar noch steigen. Aus diesem Grund schaffen wir heute die Voraussetzung für das Inkrafttreten der Weiterentwicklung und die Novelle der abschaltbaren Lasten, nämlich die Ermächtigungsgrundlage im Energiewirtschaftsgesetz, welche mit dem aktuellen Strommarktgesetz umgesetzt werden soll. Unternehmen und die Menschen im Land müssen nicht nur Planungs-, sondern auch Finanzierungssicherheit haben. Das ist die Grundlage für das Vertrauen in die Politik. Deshalb ist es heute notwendig, im Sinne verlässlicher Rahmenbedingungen für alle Beteiligten eine Regelungslücke zu vermeiden. Die CDU/CSU-Fraktion hat 2013 sehr großen Wert darauf gelegt, dass die Verordnung auf drei Jahre angelegt ist. Es war uns immer wichtig, keinen festen Mechanismus zu installieren, sondern ein Instrument zu schaffen, welches sich an die Veränderungen im Energiesystem anpassen kann. Die Überprüfung der abschaltbaren Lasten hat die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode durchgeführt. Die neue Verordnung steht in den Startlöchern. Die Bundesregierung hat sie am 25. Mai 2016 beschlossen. Netzstabilität ist das A und O einer sicheren und zuverlässigen Stromversorgung. Die stark schwankenden erneuerbaren Energien machen in Zukunft die Versorgungssicherheit zu einer noch größeren Herausforderung. Deshalb ist es richtig, dass wir Vorsorge treffen und heute die Verordnung zu den abschaltbaren Lasten bis maximal 1. Oktober 2016 weiterlaufen und entsprechend die neue Verordnung nahtlos anschließen lassen. Die Option, eine große Last kurzfristig und durch den Netzbetreiber gesteuert abschalten zu können, ist ein wertvolles Gut. Die Verordnung zu den abschaltbaren Lasten hat sich zu einem wichtigen Bestandteil der neuen Energiewelt entwickelt, und sie wird in Zukunft noch wichtiger. Ohne die aktuelle Verordnung würden die Netzbetreiber nicht freiwillig auf das Potential der industriellen Lasten zurückgreifen. Sie würden im Falle der Fahrlässigkeit mit einer Pönale von lediglich 5 000 Euro pro Schadensfall haften. Zusätzlich würden sie im Rahmen des fünfstufigen Abschaltplans ohnehin ohne Vergütung zuerst die industriellen Lasten abschalten. In diesen Umstand würden wir also ohne Verlängerung reinlaufen. Wenn wir einmal einen Blick nach Europa wagen, dann sehen wir auch, was sich andere europäische Länder vergleichbare Systeme der abschaltbaren Lasten kosten lassen. Beispielsweise zahlen Niederlande, Frankreich und Spanien eine weitaus höhere Vergütung als Deutschland. Sie sehen also, unsere europäische Konkurrenz nimmt das Thema Netzstabilität sehr ernst, und das Instrument hat sich bewährt. Wir müssen also Vorsorge treffen. Dafür verlängern wir heute die Laufzeit der Verordnung. Würden wir diesen Schritt heute im Deutschen Bundestag nicht gemeinsam gehen, hätte das nicht nur negative Auswirkungen auf die Industrie und Wirtschaft mit großen Lasten, sondern wir würden unsere Spitzenposition bei der Versorgungssicherheit in Europa verlieren. Für den Industriestandort Deutschland ist die hohe Stromversorgungsqualität ein entscheidender Standortvorteil. Ein Blackout würde nicht nur unmittelbar Kosten im mehrstelligen Milliardenbereich auslösen, sondern auch die Attraktivität des Industriestandorts gefährden. Dies gilt es zu vermeiden! Das hat für die CDU/CSU-Fraktion oberste Priorität. Wir wollen durch die Novelle der Verordnung mehr Unternehmen zum Zuge kommen lassen – beispielsweise müssen stromintensive Betriebe künftig nicht mehr mindestens 50 Megawatt Abschaltleistung anbieten, 10 Megawatt reichen aus. Somit können auch Unternehmen mit Mittelspannungsanschluss künftig abschaltbare Lasten anbieten. Die vorgesehene Kompensation ist angemessen, da es hier um Flexibilitäten insbesondere in der industriellen Güterproduktion geht, die ihren Preis infolge des Wertes ihrer technischen Bereitstellung und der entgangenen Produktion haben. Andere netzstabilisierende Maßnahmen sind weitaus teurere Optionen. Auch schaffen wir heute die Grundlage dafür, dass mit der Novelle in diesem Jahr ein Instrument in Kraft tritt, das die Transparenz bei den abschaltbaren Lasten erhöht. In der neuen Verordnung sind Transparenzpflichten vorgesehen, die beispielsweise die Ergebnisse der Ausschreibungen sowie die erfolgten Abrufe öffentlich machen. Deshalb ist es richtig, dass wir heute mit der Verlängerung der Verordnung einen ersten Schritt in Richtung Novelle der abschaltbaren Lasten gehen. Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Wirtschaftlichkeit ist das Zieldreieck unserer Energiepolitik. Das wollen wir für unsere Bürger und Wirtschaft gewährleisten. Mit der vorliegenden Verordnung leisten wir einen weiteren Beitrag dazu. Mit der Verlängerung der Verordnung der abschaltbaren Lasten und der damit verbundenen Novelle in diesem Jahr sind wir auf dem richtigen Weg, die Energiewende erfolgreich anzupacken und die dafür nötige Netzstabilität sowie Flexibilität im Energiesystem zu gewährleisten. Lassen Sie uns den Weg konsequent gemeinsam weitergehen! Johann Saathoff (SPD): In Kürze werden wir das Strommarktgesetz verabschieden. Mit dem Strommarktgesetz wollen wir den Strommarkt deregulieren bzw. die Strompreisbildung dem freien Spiel der Kräfte am Markt übergeben. Akteure sollen an einem Markt aktiv sein, bei dem Flexibilitäten einen Marktwert haben und bei dem es Leistungspreise für Kapazitäten nicht mehr geben soll. Ein Drittel des in Deutschland verbrauchten Stroms kommt aus erneuerbaren Energien. In zehn Jahren soll es fast die Hälfte sein. Mit dem Strommarktgesetz wollen wir Flexibilitäten anreizen, für mehr Bilanzkreistreue sorgen, eine Netz- und eine Kapazitätsreserve aufbauen und viele weitere Maßnahmen vollziehen, die für ein Funktionieren des Strommarktes 2.0 sorgen sollen. Kurz: Wir wollen den Strommarkt fit für die Energiewende machen. Und wir wollen und werden natürlich die Energiewende fortführen. Das bedeutet nicht nur, dass wir unseren Strom zunehmend und irgendwann komplett mit erneuerbaren Energien produzieren wollen. Das bedeutet auch, dass wir stets die Versorgungssicherheit gewährleisten wollen. Je mehr Erneuerbare wir im Netz haben, eine desto größere Herausforderung stellt diese Aufgabe dar. Wir agieren heute in einem europaweit verbundenen Stromnetz. Wir müssen und wollen deshalb die Versorgungssicherheit europaweit monitoren. Denn wie wir im November 2006 gesehen haben, kann ein Leitungsausfall in Deutschland auch schon mal halb Europa lahmlegen. Deswegen ist es richtig, dass wir weg von einer nationalen Leistungsbilanz hin zu einer europäischen Betrachtung gehen. Für die Versorgungssicherheit reicht es aber nicht, die Erzeugung im Auge zu behalten. Man muss auch auf den Verbrauch schauen, um am Ende zu jedem Zeitpunkt die richtige Spannung im Stromnetz zu haben. Das ist gemeint mit: Wir wollen Flexibilitäten anreizen. Flexibilitäten gibt es in diesem Zusammenhang verschiedene, ob angebots- oder nachfrageseitig: Speicher, einen flexiblen Kraftwerkspark, verschiebbare Lasten, den Netzausbau oder die Sektorkopplung. Den Lasten kommt in diesem Zusammenhang eine immer größere Bedeutung zu. Mit der EnWG-Novelle Ende 2012 haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass auch Anbieter abschaltbarer Lasten für Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Netz- und Systemsicherheit vertraglich verpflichtet werden konnten. Mittlerweile sind die abschaltbaren Lasten ein etabliertes Instrument, das wir nun aber, auch auf Basis des Evaluierungsberichts der Bundesnetzagentur, angemessen weiterentwickeln wollen. Wir wissen jetzt, welche Mengen derzeit in den beiden Segmenten an schnell und sofort abschaltbaren Lasten verfügbar sind, und wir wollen mit der Novelle die Anbieter näher an eine Wettbewerbssituation heranführen. Dafür werden wir die Regularien zu Mengen, Preisen, Ausschreibungszeiträumen und technischen Voraussetzungen anpassen und dieses Instrument dadurch gleichsam wirksam und effizient gestalten. Dadurch können mehr Industriebetriebe einen Beitrag für die Sicherheit des deutschen Stromsystems leisten. Das ist es doch, was wir wollen. Wir wollen, dass Verbraucher nicht nur Strich fahren, wir wollen, dass Verbraucher ihr Verhalten immer mehr an den Bedürfnissen des Strommarktes orientieren. Dafür gibt es unterschiedliche Instrumente. Demand Side Management oder Demand Response ist eines dieser Instrumente. Der Unterschied zu den abschaltbaren Lasten liegt hier vor allem in der Größe der beteiligten Unternehmen. Volkswirtschaftlich ist das äußerst sinnvoll, und ich bin mir sicher, immer mehr Betriebe werden auch den betriebswirtschaftlichen Nutzen erkennen. Dafür müssen wir aber noch viel trommeln, denn diese Signale kommen in den Betrieben bislang nur unzureichend an. Allerdings bestehen hier auch regulatorische Hemmnisse, denn die industriellen Netzentgelte reizen geradezu ein Strichfahren an – hier besteht also weiterer Handlungsbedarf. Bevor diese neue Verordnung zu abschaltbaren Lasten aber in Kraft treten kann, müssen wir übergangsweise aber noch mal die geltende Verordnung um drei Monate verlängern, um die betroffenen Unternehmen nicht unverschuldeten Härten auszusetzen. „Mutt wieede gaan“ sagt man in Ostfriesland – es muss eben weitergehen, um auch bei den abschaltbaren Lasten keinen Fadenriss zu verursachen. Ein solcher Fadenriss ist übrigens auch und gerade bei der Offshore-Windenergie unbedingt zu vermeiden. Ich bedaure außerordentlich, dass es bislang im parlamentarischen Verfahren nicht gelungen ist, Einigungen zu vielen wichtigen Gesetzgebungsvorhaben zu erzielen. Neben dem Strommarktgesetz sind das vor allem das EEG, aber auch das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende oder auch die Novelle des § 46. Ich bin aber zuversichtlich, dass bald auch die novellierte AbLaV in Kraft treten können wird. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Zunächst einmal möchte ich unsere Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, dass die Bundesregierung es nicht geschafft hat, nach der ersten Verlängerung der alten Verordnung rechtzeitig den Entwurf für die Novelle vorzulegen. Nun muss die erste Verlängerung bis zum 30. September verlängert werden, weil die eigentliche Novelle, die wir heute ebenfalls beraten, zu spät in Kraft treten wird. Viel stärker stellt sich allerdings die Frage, warum das Instrument einer Lastabschalt-Verordnung nicht einfach beerdigt wird? Selbstverständlich brauchen wir in einem immer stärker von schwankender Einspeisung geprägten Energiesystem irgendwann auch die Möglichkeit, den Stromverbrauch zeitweise abrupt und gesteuert zu reduzieren. Aber ist diese Verordnung dafür der geeignete Weg, und brauchen wir abschaltbare Lasten schon jetzt? Die Bundesregierung schreibt zwar in der Verordnungs-Begründung, in einem dem Bundeswirtschaftsministerium vorgelegten Bericht von Ende Juni 2015 habe die Bundesnetzagentur festgestellt, abschaltbare Lasten seien sowohl für das Systembilanzmanagement als auch für das Netzengpassmanagement geeignet. Unterschlagen hat die Bundesregierung aber die Aussagen der Bundesnetzagentur, die in der Unterrichtung der Bundesregierung an den Bundestag drei Monate später angeführt werden. Und da steht unmissverständlich, die Bundesnetzagentur empfiehlt, die Verordnung auslaufen zu lassen, da im Berichtszeitraum kein Bedarf an abschaltbaren Lasten bestand! Mit anderen Worten: Diese Verordnung ist bedeutungslos, wie die Bundesnetzagentur bestätigt. Weiter schreibt die Agentur: „Die derzeitige Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten ist darüber hinaus nicht ausreichend geeignet, zusätzliche Potenziale an abschaltbaren Lasten für den Strom- und Regelenergiemarkt zu erschließen.“ Sie empfiehlt weiter, abschaltbare Lasten sollten ihre Abschaltleistung ordnungsgemäß am Regelenergiemarkt anbieten – also dort, wo die Schwankungen zwischen Erzeugung und Verbrauch ausgeglichen werden. Damit stelle man die Liquidität des Regelleistungsmarkts sicher und verhindere eine „Kannibalisierung“ des Regelenergiemarktes wie sie durch eine solche Verordnung eintreten könnte, so schreibt die Bundesnetzagentur. Hier wird also offenbar sogar befürchtet, dass die Verordnung einen gewissen Schaden für den Regelenergiemarkt anrichten könnte. Nach informellen Informationen gilt insbesondere der Bereich der so genannten schnell abschaltbaren Lasten als völlig überflüssig in der Verordnung angesiedelt. Denn genau dafür könnte man deutlich preiswerter und bedarfsgerechter ähnliche Dienstleistungen einkaufen. Nun wollen Sie mit der Novelle die Mindestpreise, die offensichtlich überhöht waren, abschaffen. Damit soll das Ganze marktnäher werden. Während de facto bislang nur wenige Aluminiumhütten überhaupt Leistung anbieten konnten, wollen Sie jetzt den Kreis der Unternehmen, die anbieten können, Lasten gegen Vergütung abzuschalten, erweitern. Es bleibt dennoch die Frage, inwiefern hier nicht ein Parallelmarkt zum Regelenergiemarkt geschaffen wird, und wofür das sinnvoll sein soll. Keine Frage, abschaltbare Lasten werden wir irgendwann brauchen, sie sind ein wichtiges Element eines regenerativen Energiesystems. Gegenwärtig brauchen wir sie aber kaum, und für den geringen Bedarf gibt es bereits einen Markt. Darum fragen wir uns, was sie mit der Verordnung eigentlich vorhaben. Vielleicht bringt die Anhörung etwas Licht in das Thema. Vielleicht können uns aber Bundesregierung und Koalition schon einmal vorab erklären, wozu wir diese Verordnung eigentlich brauchen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gemeinsam beraten wir heute über die Verlängerung der Verordnung der Bundesregierung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten. Für uns Grüne ist dabei klar: Bei der Energiewende spielen große Stromverbraucher in der Industrie und dem Gewerbe eine entscheidende Rolle. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass energieintensive Unternehmen gegen eine angemessene Entschädigung am Lastmanagement beteiligt werden. In den USA wird dies schon seit Jahren praktiziert. So gehen etwa Rechenzentren großer Internetkonzerne oder Kühlhäuser von Supermarktketten temporär vom Netz. Durch diese minuten- oder stundenweise Abschaltung von großen Stromverbrauchern bei Industrie und Gewerbe kann das Stromnetz gerade in Zeiten der Höchstlast oder bei wenig Wind oder Sonne stabil gehalten werden. Damit ist Lastmanagement eine Win-win-Situation für die Unternehmen und die Netzstabilität. Doch dieser wichtige Pfeiler auf dem Weg zu einer erfolgreichen Energiewende wird von Ihnen – sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD – nur halbherzig angegangen. Es ist zwar zu begrüßen, dass nun durch den Zusammenschluss einzelner Unternehmen zu einem Anbieter „gepoolt“ werden darf und die Eintrittsschwelle von 50 Megawatt auf 10 herabgesetzt wird, doch Sie verpassen es wieder einmal, diese Form des Lastmanagements in ein neues und zukunftsfähiges Strommarktdesign zu integrieren. Wir brauchen keine Winterreserve, Redispatch-Vereinbarung, Kohlereserve oder Lastabschalt-Verordnung, sondern ein Strommarktgesetz, was all diese losen Stränge zu einem wirksamen Instrument auf dem Weg hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien vereint. Doch da versagen Sie kläglich. Wir Grünen haben Ihnen im Rahmen der Debatte des Strommarktgesetzes vor wenigen Monaten mit unserem ökologischen Flexibilitätsmarkt konkrete Vorschläge für ein neues Strommarktdesign gemacht. Doch statt unsere Vorschläge aufzugreifen, verzichten Sie bei Ihrem Strommarktgesetz auf das Potenzial von Lastmanagement und subventionieren stattdessen mit Milliarden Euro klimaschädliche Kohlekraftwerke. Eine Energiepolitik der Zukunft sieht anders aus. Die im Jahr 2013 in Kraft getretene Lastabschalt-Verordnung sollte eigentlich nur bis Ende 2015 laufen, wurde aber gegen das Versprechen der Großen Koalition, bis Ende Juni eine neue Verordnung vorzulegen, um sechs Monate verlängert. Sie läuft zum 1. Juli aus, soll jetzt aber erneut bis September verlängert werden. Dann soll endlich die neue Lastabschalt-Verordnung in Kraft treten. Aufgrund der Ausgestaltung, die wir schon damals kritisiert hatten, nahmen nur vier Unternehmen aus der chemischen und der Aluminiumindustrie teil. Wettbewerb sieht anders aus. Doch wir waren nicht alleine. Selbst die dem Bundeswirtschaftsministerium untergeordnete Behörde – die Bundesnetzagentur – hat die alte Verordnung Ende 2015 massiv kritisiert. Es besteht „kein Bedarf an abschaltbaren Lasten“, und sie empfiehlt, die Verordnung auslaufen zu lassen. Doch weder auf die Vorschläge aus der Opposition noch auf die Ratschläge Ihrer eigenen Experten hören Sie. Nun legen Sie dem Deutschen Bundestag also eine neue Verordnung zur Fortsetzung von abschaltbaren Lasten vor. Neuerungen betreffen nun unter anderem die Höhe der Vergütung. Dabei ist sie in Leistungs- (maximal 500 Euro/MW) und Arbeitspreis (400 Euro/MWh) gegliedert und soll wettbewerblich ausgeschrieben werden. Statt 1 000 MW sollen zukünftig 1 500 MW kontrahiert werden, und Unternehmen mit abschaltbaren Leistungen ab 10 MW – statt bisher 50 MW – können mitbieten. Neuerungen betreffen eine wöchentliche (statt monatliche) Ausschreibung der Abschaltleistungen, zudem können einzelne Unternehmen „poolen“. An der Ausschreibung dürfen nur Anbieter teilnehmen, die schnell (das heißt innerhalb von 15 Minuten) und sofort abschaltbare Lasten anbieten können. Die Abschaltung muss vom Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) durch Fernsteuerung oder automatisch frequenzgesteuert bei Unterschreiten einer vorgegebenen Netzfrequenz herbeigeführt werden können. Die jährlichen Mehrkosten gegenüber der Vorgängerregelung – circa 30 Millionen Euro im Jahr – entstehen in Höhe von 5 Millionen Euro, was für einen Durchschnittshaushalt eine jährliche Mehrbelastung von 4 Cent auf dann 29 Cent pro Jahr bedeutet. Doch mit diesen Neuerungen produzieren Sie Stückwerk und kein einheitliches Konzept. Lastmanagement ist für uns Grüne ein wichtiges Mittel zur Stabilisierung und Flexibilisierung einer Stromversorgung, die immer stärker auf schwankender Wind- und Sonnenstromerzeugung basiert. Insofern unterstützen wir die grundsätzliche Zielrichtung der Verordnung. Doch die alte Lastabschalt-Verordnung führte nie zu den gewünschten Effekten, sondern entpuppte sich als ein Geschenk für einige wenige Industriebetriebe. Jetzt kommt mit einiger Verzögerung endlich ein neuer Verordnungsentwurf. Dieser weist angesichts der großen Kritik an der alten Verordnung erstaunlich wenige Veränderungen auf. Die Zielsetzung einer Marktentwicklung für Lastmanagement-Leistung wird so niemals erreicht. Wie schon bei der alten Verordnung können Sie die konkrete Berechnungsgrundlage für Leistungs- und Arbeitspreis nicht benennen. Damit bleibt das eigentlich gut gemeinte Instrument weiter intransparent und wird wohlmöglich nur für große Unternehmen eine zusätzliche Finanzspritze sein. Daher ist für uns klar: Die geplante Lastabschalt-Verordnung wirkt wie alter Wein in neuen Schläuchen. Aber Sie scheinen nicht mehr die Kraft zu haben, die Energiewende endlich wieder in die Spur zu bringen. So bleibt es wie bei der alten Verordnung leider wieder bei Stückwerk und Flickschusterei, statt mit ganzheitlichem Ansatz die Energiewende voranzutreiben. Wir hoffen darauf, dass im Rahmen der Beratungen im Ausschuss sowie der Anhörung Änderungen aufgenommen werden. In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen dazu. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung berg-, umweltschadens- und wasserrechtlicher Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten (Zusatztagesordnungspunkt 6) Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): Die „Deepwater Horizon“-Havarie am 20. April 2010 war eine schreckliche Katastrophe. Elf Menschen kamen dabei ums Leben. Laut Berechnungen eines US-Gerichtes liefen 19 Millionen Barrel Öl ins Meer. Es bedurfte mehrerer Anläufe, um die Leckage abzudichten. Mehr als 2 000 Kilometer Küste wurden verschmutzt. Es handelte sich um eine der schwersten Umweltkatastrophen dieser Art in der Geschichte. „Deepwater Horizon“ war für die Welt ein Wendepunkt. Und selbstverständlich hat auch die Europäische Gemeinschaft umfassend reagiert. Obwohl ein derartiges Unglück in europäischen Gewässern bisher nicht vorgekommen ist, wurden die Rahmenbedingungen für die Aufsuchung und Gewinnung von Erdöl und Erdgas im Offshore-Bereich intensiv überprüft. Eine solche Katastrophe darf nirgendwo wieder passieren. Mit der Richtlinie 2013/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten und zur Änderung der Richtlinie 2004/35/EG wurden auf EU-Ebene einheitliche Standards für die Erdöl- und Erdgasförderung festgesetzt. Die Richtlinie soll dazu dienen, Unfälle im Zusammenhang mit Offshore-Erdöl- und Erdgasaktivitäten zu verhindern, den Umweltschutz zu erhöhen und die Notfallmechanismen im Falle einen Unfalls zu verbessern. Nur so kann vergleichbaren schweren Unfällen vorgebeugt beziehungsweise können die Auswirkungen gemindert werden. Deutschland hat seit Jahrzehnten eine sehr fortschrittliche und nachhaltige Umweltpolitik. Wir sind seit Jahrzehnten forerunner. Im Bereich der Erdöl- und Erdgasförderung haben wir daher bereits sehr strenge Auflagen. Das deutsche Bergrecht folgt beispielsweise der Systematik, dass die Verantwortung beim Unternehmen gebündelt wird. Daher entspricht unser deutsches Recht bereits jetzt in vielen Teilen der europäischen Richtlinie. In Deutschland wird aufgrund der geringen Tiefe unserer Meere nur Flachwassertechnik angewendet. Diese gilt in Fachkreisen als risikoarm. Im deutschen Hoheitsgebiet befinden sich aktuell zwei Erdöl- und Erdgasplattformen, in europäischen Gewässern insgesamt aber 600 Plattformen. Auch wenn es in Europa, wie bereits eingangs erwähnt, derartige Havarien wie die der „Deepwater Horizon“ nicht gegeben hat, haben wir uns nach dem Unfall im Golf von Mexiko im Jahr 2010 intensiv für den Erlass der EU-Offshore-Richtlinie eingesetzt. Denn einheitliche Standards für Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten zu definieren, muss ein internationales Interesse sein. Dieses Thema geht uns alle an! Die nationale Umsetzung der europäischen Richtlinie über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten wird größtenteils in einer neuen Offshore-Bergverordnung umgesetzt. Die darin enthaltenen Regelungen betreffen vornehmlich das Risikomanagement, Sicherheits- und Umwelterwägungen in Bezug auf die Genehmigungsverfahren sowie die Aufgaben der zuständigen Behörden und das Berichtswesen. Um Parallelstrukturen zu vermeiden, gehen die bisherigen Regelungen zu Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten, welche in der Festlandsockel-Bergverordnung und im Anhang 3 der Allgemeinen Bundesbergverordnung festgelegt waren, in der neuen Offshore-Verordnung auf. Dadurch werden die Bereiche Risikomanagement, Arbeits- und Gesundheits- und Umweltschutz zusammen in einer Verordnung gebündelt, was in der in der betrieblichen Praxis hilfreich ist. Denn da alle Aspekte gemeinsam betrachtet werden müssen, können wir das Risiko für schwere Unfälle minimieren. Selbstverständlich vereinfacht es auch die die Rechtsanwendung Im Rahmen der Arbeiten an dieser nationalen Offshore-Verordnung hat sich jedoch ergeben, dass es für die Umsetzung einer Vorgabe der europäischen Richtlinie an einer eindeutigen Ermächtigungsgrundlage im Bundesberggesetz fehlt. Die europäische Richtlinie sieht vor, dass Unternehmen eine Vorsorge zur Deckung von Haftungsverbindlichkeiten zu treffen und die technische und finanzielle Leistungsfähigkeit nachzuweisen haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir nun in § 66 des Bundesberggesetzes mit einer Ergänzung diese Ermächtigungsgrundlage. Aufgrund der Rechtssystematik erfolgen außerdem Anpassungen im Wasserhaushaltsgesetz, im Umweltschadensgesetz sowie in der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben. Die europäische Richtlinie über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten erhöht den Schutz der Meeresumwelt und verbessert entscheidend die Notfallmechanismen im Falle eines Unfalls oder einer Havarie. Unser heute zu beratender Gesetzentwurf schafft Rechtssicherheit bei der nationalen Umsetzung. Ich hoffe dabei auf ihre Unterstützung. Johann Saathoff (SPD): Bei dem vorgelegten Gesetzentwurf geht es um die Schaffung eindeutiger und europaweit einheitlicher Sicherheitsstandards im Bereich der Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten. Der Gesetzentwurf setzt einen Teil der dazu im Juli 2013 beschlossenen EU-Richtlinie um. Die Umsetzung dieser Richtlinie ist aus meiner Sicht aus vielerlei Gründen zu begrüßen. Mehr als 90 Prozent des in Europa geförderten Erdöls und mehr als 60 Prozent des geförderten Erdgases kommen aus der Offshore-Produktion. Das sind beachtliche Zahlen, besonders vor dem Hintergrund, dass im Jahre 2015 noch immer mehr als 50 Prozent des Primärenergieverbrauchs durch Erdöl und Erdgas gedeckt wurde. Diese Zahlen machen die Bedeutung der Offshore-Förderung von Erdöl und Erdgas deutlich, insbesondere auch im Hinblick auf die Frage der Energieversorgungssicherheit. Im gleichen Atemzug sollte dann allerdings auch immer auf die Frage der Sicherheit der Meeresumwelt und der Küstenregionen eingegangen werden. Diese Frage ist selbstverständlich immer prioritär zu behandeln und gerade im Bereich der Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten besteht ein Interesse daran, besonders hohe Sicherheitsstandards zu setzen und einzuhalten. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir deshalb dazu beitragen, dass der Schutz und die Erhaltung der Umwelt gewährleistet werden können und dass ein vernünftiger Umgang mit den natürlichen Ressourcen sichergestellt ist. Denn die ersten Assoziationen mit der Offshore-Gewinnung von Erdöl und Erdgas sind leider allzu häufig Bilder von Katastrophen und Ölteppichen auf See. Bilder, die in diesem Zusammenhang hängen geblieben sind, sind beispielsweise die vom Unfall 2010 im Golf von Mexiko als die Bohrinsel „Deepwater Horizon“ explodierte und damit eine der bislang schwersten Umweltkatastrophen in den USA ausgelöst wurde. In direkter Konsequenz dieser Explosion auf der Bohrinsel kamen elf Menschen ums Leben, und die in den folgenden Wochen und Monaten ausgetretene Ölmenge wird auf circa 800 Millionen Liter geschätzt. Dies bedeutete und bedeutet auch heute noch eine enorme Belastung für die Umwelt und die Menschen im Golf von Mexiko. Das Öl tötete Hunderttausende Vögel, Fische und Meerestiere im Golf. Die Folgen waren so verheerend, dass der Fischereibetrieb im Sommer 2010 in weiten Teilen eingestellt werden musste. Das macht auch die wirtschaftlichen Folgen für die Menschen der Region deutlich, in der ein Großteil von der Fischerei lebt. Genau solche schrecklichen Ereignisse gilt es zu verhindern. Mit diesem Gesetz und der Verabschiedung der EU-Richtlinie insgesamt wollen wir also dazu beitragen, dass sich solche Ereignisse nicht wiederholen und in der Nord- und Ostsee möglichst ausgeschlossen werden. Der Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt dafür zu sorgen, die Zahl der Unfälle bei der Förderung von Offshore-Erdöl und –Erdgas soweit wie möglich zu verringern. Denn stellen Sie sich mal die Auswirkungen eines solchen Ereignisses beispielsweise auf Norderney oder insgesamt an der Nordseeküste vor. Für eine Region, die insbesondere vom Tourismus lebt, würde das einen Schaden auf Jahre bedeuten. Nicht zu vergessen, dass es sich beim Wattenmeer auch um ein Weltnaturerbe handelt. Dabei möchte ich aber auch deutlich machen, dass es nicht darum geht, die Offshore-Förderung von Erdöl und Erdgas an sich zu verteufeln oder an den Pranger zu stellen. Unfälle wie im Golf von Mexiko sind glücklicherweise die sehr seltene Ausnahme. Im Regelfall, insbesondere auch auf den beiden deutschen Offshore-Anlagen, der Bohr- und Förderinsel Mittelplate und der Gasförderplattform A6-A, gelten bereits heute sehr hohe Sicherheitsstandards, sodass ich keine Bedenken hege, dass sich ein vergleichbarer Unfall vor unseren Küsten ereignen wird. Aber man „mutt d’n Alltied n’Oog an hemm’ “ würde man in Ostfriesland sagen, also stets wachsam bleiben. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass nun einheitliche europäische Rahmenbedingungen und höchste Umwelt- und Sicherheitsstandards geschaffen werden, die sowohl die Meeresumwelt als auch die Wirtschaft in Küstenregionen beschützen. Ich bin zuversichtlich, dass uns das mit diesem Gesetzentwurf gelingen wird. Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Heute diskutieren wir über die Richtlinie 2013/30/EU über die Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten, die das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union am 12. Juni 2013 auf Vorschlag der Europäischen Kommission erlassen hatten. Ziel ist es – so heißt es in der Richtlinie –, „die Häufigkeit von schweren Unfällen im Zusammenhang mit Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten so weit wie möglich zu verringern und ihre Folgen zu begrenzen …“ Die Richtlinie hätte bereits zum 19. Juli 2015 in deutsches Recht umgesetzt sein müssen, und insofern kommt ihre Umsetzung gerade angesichts der Gefahren und Risiken von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten und den erfolgten Ereignissen viel zu spät – man denke nur an die Explosion und Öl- und Gasfreisetzung bei der BP-Erdölplattform „Deepwater Horizon“ 2010 im Golf von Mexiko . Der heute vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen ist handwerklich korrekt formuliert, geht aber an den Problemen der Offshore-Förderung weit vorbei. Ein Problem ist, dass die erforderliche Umsetzung der EU-Richtlinie eben nicht gesetzlich erfolgt, sondern größtenteils auf dem Weg von Verordnungen. Grundsätzlich ist Die Linke der Meinung: Allgemeine Anforderungen müssen im Bundesberggesetz klar festgelegt werden und dürfen nicht in Verordnungen geschoben werden. Doch eine entsprechend notwendige und grundsätzliche Novellierung des Bundeberggesetzes wird von der Großen Koalition systematisch verhindert. Und selbst wenn man den Weg der Verordnungen geht, sind hier die falschen Verordnungen gewählt. Hätte die Bundesregierung wirklich einen hohen Standard bei der Anlagensicherheit gewollt, hätte sie die Anforderungen der EU-Offshore-Richtlinie in die Störfallverordnung integrieren müssen und so die Tätigkeiten auf Öl- und Gasplattformen unter den Anwendungsbereich der Störfallverordnung fallen lassen. Es ist offensichtlich, warum die Koalition das nicht macht: Einmal mehr sollen Öl- und Gaskonzerne privilegiert werden. Denn die an sie gestellten Sicherheitsanforderungen sind bedeutend geringer als im üblichen Recht der Anlagensicherheit. Erst vor knapp zwei Wochen, am 25. Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung die Änderungsverordnung zu bergrechtlichen Vorschriften beschlossen. Sie liegt jetzt dem Bundesrat zur Beschlussfassung vor. Diese Verordnung hat es in sich: So wird beispielsweise im § 40 der neuen Offshore-Bergverordnung festgelegt, dass nicht das potenzielle Schadensausmaß, sondern lediglich das Risiko Maßstab für eine Verhinderung schwerer Unfälle sein soll. Da das Risiko zentral von Eintrittswahrscheinlichkeiten abhängt, können so große Schadensereignisse mit angeblich geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten als unbeachtlich erklärt werden. Zudem wird der Begriff des „vertretbaren Risikos“ verwendet. Da es in Deutschland jedoch keine Risikogrenzwerte gibt, werden die Öl- und Gaskonzerne selbst bestimmen, was sie für vertretbar halten und welchen Gefahren sie Mensch und Umwelt aussetzen. Darüber hinaus klammert die Bundesregierung in ihren beschlossenen Verordnungsentwürfen einen zentralen Bereich der Offshore-Gas- und -Ölförderung vollkommen aus: Das Offshore-Fracking. Fracking ist bereits an Land unverantwortbar. Noch weniger beherrschbar sind die Folgen von Offshore-Fracking, denn es kombiniert die Gefahren des Frackings an Land mit den klassischen Gefahren der Öl- und Gasgewinnung im Meer. Durch die eingesetzten Frackflüssigkeiten, deren Zusammensetzungen nicht veröffentlicht werden, kann es zu Wasserkontaminationen kommen. Das Aufbrechen des Untergrundgesteins und das Wiederverpressen des Flowbacks kann Erdbeben hervorrufen. Und durch Leckagen kann in erheblichem Maß das klimaschädliche Treibhausgas Methan entweichen. Während der Sondierungs-, Förder- und Außerbetriebnahmeaktivitäten kann es außerdem zu schweren Unfällen kommen. Dazu gehören Öl- und Chemikalienfreisetzungen im Falle einer Schiffskollision oder von Pipelineleckagen. Größere Gasfreisetzungen können aufgrund eines Blow-outs erfolgen. Eine mögliche größere Ölpest hätte erhebliche negative Auswirkungen auf das empfindliche marine Ökosystem. Angesichts dieser möglichen Folgen ist Offshore-Fracking nicht verantwortbar. Fracking auf hoher See muss auf jeden Fall verboten werden. Das und vieles mehr, was dringend notwendig ist, sieht die Bundesregierung im vorliegenden Offshore-Regelungspaket gar nicht vor. Aus den genannten Gründen fordert die Linke, dass die Bundesregierung dieses Paket zurückzieht und grundlegend überarbeitet. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung möchte mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Umsetzung einer europäischen Richtlinie zur Sicherheit von Offshore-Plattformen im Meer, die bei der Förderung von Erdöl oder Erdgas zum Einsatz kommen, regeln. Der Auslöser für die europäische Initiative war der Unfall der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko. Wir erinnern uns alle noch an die dramatischen Folgen der Explosion auf der Ölbohrinsel, infolge deren ungehindert Tonnen an Erdöl ins Meer flossen. Offiziellen Angaben zufolge handelte es sich um rund 380 Millionen Liter. Umweltpolitisch war dies ein Super-GAU, der weltweit nach Maßnahmen rief, wie so ein Vorfall in Zukunft zu verhindern wäre. Wir hatten die Hoffnung, dass sich nach dem Unglück einiges verbessern und man aus den Fehlern lernen würde. Es bleibt aber noch viel zu tun. Doch eines steht fest: Ein solches Unglück darf sich nirgendwo wiederholen. Regelungen, die die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solches Ereignisses verringern würden, sind seitdem nur schleppend verschärft worden. Ob diese tatsächlich auch solche Unfälle verhindern können, ist unklar. Was wir brauchen, sind internationale Standards. Alles andere als verständlich sind daher Bestrebungen, in der Arktis nach Öl zu bohren oder andere Rohstoffe in der Tiefsee vor Madagaskar oder im Pazifik zu fördern. Die Bundesregierung will hier ja groß mitmischen. Die Auswirkungen der Aktivitäten sind hier wie dort unklar. Die Gefahr zusätzlicher Umweltkatastrophen wird sich noch deutlich vergrößern. Dort geht es dann nicht nur um Erdöl oder Erdgas, sondern um den Abbau von Erzen und weiterer Rohstoffe. Dadurch wird langfristig vielen Meereslebewesen der Lebensraum genommen. Das heißt: Die Meere brauchen internationalen Meeresschutz. Das muss die Bundesregierung auf internationaler Ebene dringend konsequent weiterverfolgen. Noch sechs Jahre nach dem Unglück im Golf von Mexiko sind die Schäden im Meer und an den Stränden sichtbar. Hinweise des Ölkonzerns BP wie „heute sei alles wieder in Ordnung“ sind nicht nachvollziehbar. Man kann Fischer nach einem solchen Unfall zwar finanziell entschädigen. Aber viele Tiere sind danach ausgestorben oder Arbeitsplätze von Fischern vernichtet. Es gibt unter anderem Hinweise auf die Vervielfachung der Anzahl toter Delphine nach der Ölpest. Warum legt uns also die Bundesregierung den Gesetzentwurf mit einer solch derartigen Verspätung von drei Jahren vor? Das Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie aus 2013 hätte schon spätestens vor einem Jahr verabschiedet werden müssen. Meine Vermutung für die Schlamperei: Die Bundesregierung scheint eindeutig andere Prioritäten zu setzen. Der Maritime Koordinator koordiniert nicht, und der Verkehrsminister beschäftigt sich lieber mit dem CSU-Steckenpferd Ausländermaut. Verantwortliche Politik für unsere Meere sieht anders aus. Es bleibt festzuhalten: Nach Regelungen für Offshore-Anlagen fehlen weiterhin internationale Regelungen für Rohstoffabbau in den Meeren, vor allem für drohenden verstärkten Rohstoffabbau in der Tiefsee. Hier sind internationale Standards erforderlich. Denn mit Nachhaltigkeit haben die Tiefsee-Bestrebungen des Wirtschaftsministeriums nichts zu tun. Der Maritime Koordinator im Wirtschaftsministerium müsste hier eingreifen. Dem Rohstoffabbau im Meer lässt er aber auf allen Ebenen freie Bahn. 1)  Ergebnis 17433 B 2)  Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 3)  Anlage 3 4)  Anlage 4 5)  Anlage 5 6)  Anlage 6 7)  Anlage 7 8)  Anlage 8 9)  Anlage 9 10)  Anlage 10 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 176. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 176. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 9. Juni 2016 V Plenarprotokoll 18/176