Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 177. Sitzung Berlin, Freitag, den 10. Juni 2016 Inhalt: Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung Drucksache 18/8486 17473 A Heiko Maas, Bundesminister BMJV 17473 B Karin Binder (DIE LINKE) 17474 D Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) 17476 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17478 D Dr. Johannes Fechner (SPD) 17480 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 17482 A Sabine Poschmann (SPD) 17483 C Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) 17484 A Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutsch-indische Bildungs- und Wissenschaftskooperation ausbauen Drucksache 18/8708 17485 C Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) 17485 D Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 17487 A Dr. Simone Raatz (SPD) 17488 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17489 B Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 17490 C Swen Schulz (Spandau) (SPD) 17491 D Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) 17492 D Tagesordnungspunkt 29: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG) Drucksache 18/7616 17494 A b) Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens erleichtern – Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG) Drucksache 18/7617 17494 A c) Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – hier: Umsetzung des Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG) Drucksache 18/7618 17494 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17494 B Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) 17495 B Frank Tempel (DIE LINKE) 17496 D Günter Baumann (CDU/CSU) 17497 D Wolfgang Gunkel (SPD) 17498 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 17500 C Tagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Transparenz herstellen – Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen Drucksachen 18/3842, 18/3920, 18/8742 17501 C Bernhard Kaster (CDU/CSU) 17501 C Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 17503 B Sonja Steffen (SPD) 17504 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 17505 D Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 17506 D Dagmar Ziegler (SPD) 17508 D Nächste Sitzung 17509 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17511 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 17511 D 177. Sitzung Berlin, Freitag, den 10. Juni 2016 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsident Peter Hintze: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung Drucksache 18/8486 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erstem erteile ich das Wort für die Bundesregierung Bundesminister Heiko Maas. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Traum von den eigenen vier Wänden haben viele Menschen. Für 30 Millionen Deutsche ist er Realität: Sie wohnen im eigenen Haus. Auch die ökonomische Bedeutung der Bauwirtschaft ist enorm: 175 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr im Wohnungsbau investiert. Weil das Bauwesen sowohl für den Einzelnen als auch für unsere Wirtschaft so wichtig ist, brauchen wir hier Gesetze, die vor allen Dingen transparent und fair sind. Deshalb wollen wir zwei große Reformen angehen. Erstens. Wir wollen die Regelungen für den Bauvertrag in das Bürgerliche Gesetzbuch aufnehmen. Das kommt dann allen Bauherren und Unternehmern zugute. Zweitens. Wir wollen das Kaufrecht verbessern für den Fall, dass Handwerker mangelhaftes Material kaufen und bei ihren Kunden einbauen. Meine Damen und Herren, für die große Mehrheit der Menschen ist der Bau eines eigenen Hauses die größte finanzielle Investition ihres Lebens. Der Hausbau ist für sie oft mit Risiken verbunden. Verzögerungen oder unerwartete Mehrkosten können bis an ihre finanzielle Existenz gehen. Trotz dieser Bedeutung gibt es im geltenden Recht nur ganz vereinzelt Vorschriften, die den Bauherrn als Verbraucher schützen. Unser Werkvertragsrecht fällt da weit hinter andere Rechtsgebiete zurück, in denen es einen viel umfassenderen Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher gibt. Außerdem sind die Regelungen, die wir haben, auch nicht sehr detailliert. Das BGB soll für alle Arten von Werkverträgen passen. Aber der Bau eines Wohnhauses ist nun einmal komplexer als die Reparatur eines Fahrrades. Das führt dazu, dass wichtige Fragen im Gesetz eben nicht ausreichend geregelt sind. Die Lücken haben die Gerichte in der Vergangenheit durch die Rechtsprechung gefüllt. Aber was ist die die Folge davon? Das Bauvertragsrecht ist nicht mehr transparent. Es ergibt sich nicht mehr aus dem Gesetz, was ist und was nicht ist. Das ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher dann auch nicht mehr zu überblicken. Wir wollen deshalb mit der Reform mehr Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher erreichen, und wir wollen auch mehr Übersichtlichkeit und Genauigkeit im Bauvertragsrecht schaffen. Wir fügen dazu ein neues Kapitel zum Verbraucherschutz in das Werkvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches ein. Es enthält vor allen Dingen vier große Neuerungen. Erstens. Wer einen Bauvertrag abschließt, soll über seine Entscheidung noch einmal nachdenken können, so wie in anderen Rechts- und Vertragsgebieten auch. Unser Gesetzentwurf gibt den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein Widerrufsrecht. 14 Tage lang können sie dann auch die finanziellen Folgen ihres Tuns noch einmal sorgfältig abwägen. Zweitens. Wir verpflichten die Unternehmer dazu, sich verbindlich auf eine Bauzeit festzulegen. Damit Verbraucherinnen und Verbraucher mehr Planungssicherheit haben, muss in Bauverträgen künftig verbindlich geregelt werden, wann der Bau fertiggestellt wird. Drittens. Unternehmer sind zukünftig verpflichtet, Unterlagen über das Bauvorhaben zu erstellen und diese dann herauszugeben. Wer einen Förderkredit beantragen will, muss schwarz auf weiß haben, dass er die Förderbedingungen seiner Bank auch einhält. Nach Ende der Bauarbeiten muss der Bauherr belegen können, dass so gebaut wurde, wie geplant worden war. Viertens. Wir wollen das Recht flexibler machen. Ein Hausbau dauert Monate, manchmal sogar Jahre. In dieser Zeit können sich die Wünsche und Bedürfnisse aller Beteiligten ändern. Deshalb treffen wir faire Regelungen, wie die Vertragspartner mit neuen Entwicklungen umgehen können. Meine Damen und Herren, all diese Punkte bedeuten nicht nur mehr Verbraucherschutz, sie schaffen auch mehr Rechtssicherheit. Das ist wichtig für die Unternehmen. Bislang werden Bauunternehmer oft unnötig stark belastet. Das gilt etwa, wenn Änderungen angeordnet werden, die zu Mehrkosten führen. Für solche Fälle haben wir in unserem Entwurf die Berechnungsgrundlagen überarbeitet, damit Unternehmer auch dann noch zu einer angemessenen Vergütung kommen. Das gilt aber auch, wenn der Bauherr Mängel reklamiert. In Zukunft dürfen Abschlagszahlungen wegen Mängeln nicht mehr komplett verweigert werden, sondern nur noch teilweise. Mit der Reform des Bauvertragsrechtes erreichen wir also beides: mehr Verbraucherschutz für den Bauherrn, aber auch mehr Fairness für den Bauunternehmer. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, um einen fairen Interessenausgleich geht es auch im zweiten Teil unseres Gesetzes. Wir wollen den Handwerkern gegenüber ihren Zulieferern mehr Rechte geben. Manchmal verursachen bereits kleine Mängel große Kosten, etwa bei einem Unterputzventil. Das Produkt selbst kostet nur wenige Euro. Aber wenn ein mangelhaftes Ventil erst einmal eingebaut ist, dann kann der Aufwand, den Mangel zu beheben, enorm sein. Der Handwerker, der das kaputte Ventil bei seinem Baustoffhändler gekauft hat, kann natürlich ein neues, fehlerfreies Ventil verlangen. Wenn er aber das kaputte Ventil bereits verbaut hat, bringt dem Handwerker dieses Recht nur wenig; denn er selbst schuldet dem Bauherrn ein mangelfreies Werk, und das bedeutet: Er muss die Wand aufstemmen, das Ventil austauschen und das Ganze neu verputzen. Bislang musste die Kosten der Handwerker selbst tragen; denn häufig traf den Baustoffhändler für den Produktmangel keine Schuld, zum Beispiel weil es einen nicht erkennbaren Fehler in der Produktion gab. Wenn der Handwerker aber alle Kosten für den Einbau selber tragen muss, dann kann das für einen Mittelständler eine enorme Belastung sein. Und deshalb wollen wir an diesem Punkt etwas für viele Handwerker tun. Wir schlagen vor, dass der Handwerker künftig von seinem Händler auch die Kosten für den Aus- und Einbau des Ventils verlangen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber wir wollen den Schwarzen Peter nicht einfach zum Baustoffhändler weiterschieben. Wir sorgen zugleich dafür, dass dieser leichter bei seinem eigenen Lieferanten Rückgriff nehmen kann. In der Lieferkette kann also die Regressforderung künftig bis zu demjenigen weitergereicht werden, der den Fehler tatsächlich verursacht hat, das heißt bei Produktionsfehlern bis zum Hersteller. Meine Damen und Herren, mit diesem Entwurf machen wir also etwas, was oft als unvereinbar galt. Wir stärken den Verbraucherschutz, und wir entlasten den Mittelstand. Das geht, weil sich durch diesen Entwurf ein roter Faden zieht: die gerechte Verteilung von Verantwortung. Gerade jetzt, da wir wegen großer Diskussionen und wegen der Wohnungsnot in Ballungsräumen Wohnraum brauchen, ist unser Gesetzentwurf ein wichtiges Signal an Eigentümer und Unternehmer. Ihr baut, und wir sorgen dafür, dass es dabei fair zugeht. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Karin Binder, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Zwei Legislaturperioden hat die Bundesregierung gebraucht, um endlich eine Reform des Bauvertragsrechts vorzulegen, um damit Verbraucherinnen und Verbraucher besser zu schützen. Menschen, die mit ihrem eigenen Zuhause für ihr Alter vorsorgen, hat man bisher im Regen stehen lassen. Das ist unverantwortlich. Gerade beim Baurecht ist der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern besonders wichtig. In der Regel fehlt hier die notwendige Fachkenntnis, um auf Augenhöhe mit Bauträgern und Baufirmen auch künftige Verträge auszuhandeln. Der Bezug der eigenen Wohnung oder des eigenen Hauses ist für die meisten Menschen mit der größten Investition ihres Lebens verbunden. Über die Hälfte der Familien hat ein bescheidenes Haushaltseinkommen zwischen 2 500 und 3 500 Euro im Monat. Sie geben für 20 bis 30 Jahre einen Großteil dieses Einkommens in die Finanzierung der eigenen Wohnung oder des Häuschens. Das ist für diese Familien mit hohen Risiken und auch mit Verzicht verbunden. Durch Baumängel entstehen nicht selten unerwartete Mehrkosten, oder der Einzug wird durch eine längere Bauzeit verzögert. Eine Insolvenz des Bauunternehmens kann die ganze Existenzgrundlage der Häuslebauer vernichten. Bis heute gibt es in unserem Baurecht keine allgemeinen Regeln zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher. Eine Gesetzesreform ist daher dringend notwendig. (Beifall bei der LINKEN) Laut Experten gehört Pfusch am Bau heute leider zum Alltag und ist mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme. Immer öfter geht es auch um Betrug. Durch schlechte Planung und Bauausführungen bleiben Häuslebauer jährlich auf Schäden von etwa 5 Milliarden Euro sitzen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!) Etwa 45 000 Bauvorhaben enden pro Jahr im Gerichtssaal. Viele Betroffene werden durch fehlende rechtliche Regelungen in den Ruin getrieben. Statt in die eigene Wohnung zu ziehen, müssen sie Kreditraten für eine Bauruine zahlen und wohnen weiter zur Miete. Das muss ein Ende haben; das müssen wir ändern. (Beifall bei der LINKEN) Nun zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Der Gesetzentwurf greift zahlreiche Empfehlungen der Runde der Experten für Bauvertragsrecht auf. Bauunternehmer werden zu einer Baubeschreibung verpflichtet. Es soll verbindliche Vereinbarungen zur Bauzeit geben. Auch ein zweiwöchiges Widerrufsrecht für die Verbraucherinnen und Verbraucher soll es geben. Außerdem sollen Obergrenzen für die Abschlagszahlungen eingeführt werden. Das begrüßen wir ausdrücklich. Die Bauunternehmen werden auch verpflichtet, Bauunterlagen an die Bauherren herauszugeben. All das ist in Ordnung. Wir unterstützen außerdem, dass ein Bauunternehmer den Aufwand für den Austausch fehlerhafter Produkte von den Herstellern erstattet bekommt. Beispielsweise wird der beim Austausch eines defekten Heizkörpers entstehende Aufwand erstattet, den der Handwerker bisher allein zu tragen hatte. Gute Sache! Aber leider hat der Gesetzentwurf auch einige Baumängel zum Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher. Der Bundesrat und auch der Baugerichtstag haben bereits darauf hingewiesen. Die Stellung der Verbraucherinnen und Verbraucher wird dadurch gegenüber dem bisherigen Gesetzeszustand sogar verschlechtert. So ist völlig unzureichend beschrieben, was eigentlich der sogenannte Verbrauchervertrag ist. Es ist auch völlig inakzeptabel, dass Verbraucherschutzregelungen nur bei erheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude greifen sollen. Was ist denn dann zum Beispiel mit Terrassen, Hofanlagen, Garagen, Carports oder Nebengebäuden? Auch übliche Einzelleistungen wie der Rohbau eines Hauses oder der Einbau von Fenstern und Türen werden nicht in das neue Gesetzeswerk einbezogen. Die Folge wird sein, dass Unternehmer die Bauvorhaben in zahlreiche Einzelverträge für jeden Bauabschnitt aufsplitten. Wollen Sie das wirklich? Der Gesetzentwurf schweigt zu weiteren wichtigen Aspekten des Sachverständigenverfahrens, zum Beispiel zu der Frage: Wer darf als Sachverständiger tätig werden, und wann muss ein Gutachten erstellt sein? Bei Rechtsstreitigkeiten sind das wichtige Faktoren. Wir haben das zu klären. (Beifall bei der LINKEN) Auch die Regelungen zu Nachtragsforderungen reichen nicht aus, um die Verbraucher angemessen zu schützen. Durch eine unvollständige oder bewusst ungenaue Beschreibung kann das Bauunternehmen weiterhin nachträglich den Preis erhöhen. Das treibt Familien in die Pleite. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) Die weitverbreitete Praxis, dass Unternehmen vom Verbraucher Abschlagszahlungen und zusätzlich noch eine Sicherheit von 100 Prozent des Werklohns verlangen, ohne dass eine Fertigstellungsgarantie gegeben wird, muss unterbunden werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Höhe der Sicherheitsleistung muss, wie im Referentenentwurf vorgesehen war, bei höchstens 20 Prozent gedeckelt werden. Zwingend erforderlich ist außerdem, dass die Vorleistungspflicht des Kunden ausgeschlossen wird. Häufig werden Verbraucherinnen und Verbraucher vertraglich genötigt, vor der Schlüsselübergabe 100 Prozent des Vergütungsanspruchs an die Werkunternehmer auszuzahlen. Damit bringen sie eine risikoreiche Vorleistung und können später berechtigte Mängelansprüche kaum noch durchsetzen. Das darf so nicht bleiben. (Beifall bei der LINKEN) Bauchschmerzen bereitet mir auch die Regelung zur Abnahme des Bauwerks. Problematisch ist, dass der Bauunternehmer unter bestimmten Umständen alleine den Zustand des Bauwerkes beurteilen kann. Nach § 650f des neuen Gesetzentwurfs soll der unkundige Verbraucher gemeinsam mit dem Bauunternehmer, dem Fachkundigen, das Haus abnehmen. Baumängel, die er bei dieser Gelegenheit nicht angibt, kann er danach kaum noch geltend machen. Weiter fordert die Linke: Die Insolvenzversicherung des Bauunternehmers sollte von 5 auf 10 Prozent der Bausumme erhöht werden; denn das Risiko einer Firmeninsolvenz ist nicht unerheblich und stellt für die Verbraucherinnen und Verbraucher, für die Familien eine existenzgefährdende Situation dar. Ferner sollten auch die Bauträgerverträge gemäß § 650t, bei denen neben der Einrichtung des Hauses auch ein Grundstück geschuldet wird, mit einem außerordentlichen Kündigungsrecht zum Schutze der Familien und Häuslebauer versehen werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der im Gesetz vorgesehene Ausschluss der Kündigung nimmt dem Bauherren die letzte Möglichkeit, sich in Fällen von grob vertragswidrigem Verhalten vom Bauunternehmen zu trennen. Dringend erforderlich ist außerdem ein Kündigungsrecht der Verbraucherinnen und Verbraucher bei Insolvenz des Bauunternehmens. Das muss gesetzlich geregelt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn bei der Insolvenz erhöhen sich die finanziellen und zeitlichen Risiken für die Eigenheimbauer erheblich. Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass weitere wichtige Regelungen fehlen. Wie beim gewerblichen Bau bereits üblich, sollte der sogenannte Gewährleistungseinbehalt von 5 Prozent der Bausumme gesetzlich geregelt werden. Das ist notwendig wegen möglicher später auftretender Mängel. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Die Uhr! Karin Binder (DIE LINKE): Zusammenfassend stelle ich fest: Mit dem hier vorliegenden Entwurf zum Bauvertragsrecht planen Sie ein Haus – das Dach ist allerdings undicht, und die Fenster und Türen schließen nicht. Da sollte noch dringend nachgebessert werden. Lassen Sie uns diese Mängel ausräumen, bevor das Gesetz verabschiedet wird. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Hendrik Hoppenstedt, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befassen uns heute Morgen mit einer zugegebenermaßen relativ komplexen Materie, nämlich dem Bauvertragsrecht und der kaufrechtlichen Mängelgewährleistung. Beide Themen haben strenggenommen nichts miteinander zu tun. Allerdings besteht im Hinblick auf den Adressatenkreis doch ein sachlicher Zusammenhang zwischen beiden Regelungsmaterien: Es sind jeweils Werkunternehmer beteiligt, die durch das eine Vorhaben begünstigt und durch das andere Vorhaben belastet werden; möglicherweise hilft das, die Kompromissfähigkeit zu erhöhen. Sie gestatten mir zu Beginn einige Bemerkungen zur Reform des Bauvertragsrechtes, bevor ich zu den geplanten Änderungen der Gewährleistung im Kaufrecht komme. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, den Verbraucherschutz bei Bau- und Dienstleistungen für Bauherren und Immobilieneigentümer auszubauen, insbesondere im Bauvertragsrecht. Mit der Reform des Bauvertragsrechtes stellt die Koalition die rechtlichen Rahmenbedingungen für Bauvorhaben insgesamt auf ein neues und stabiles Fundament. Zugebenermaßen rechtsästhetisch eher unschön, aber wohl unvermeidbar, ist die Nummerierung der Paragrafen von 650a bis 650u. Wer des Alphabets mächtig ist, wird feststellen, dass nach „u“ nur noch eine Handvoll Buchstaben verbleibt, dann sind wir mit dem Alphabet durch. Lassen Sie mich zu Beginn auf den Reformbedarf eingehen. Das Werkvertragsrecht des BGB ist bislang in erster Linie auf den kurzfristigen, punktuellen Austausch von Leistung und Gegenleistung angelegt. Nicht zuletzt die Arbeitsgruppe Bauvertragsrecht in der letzten Wahlperiode und der Baugerichtstag haben gezeigt, dass das Werkvertragsrecht nicht geeignet ist, die Durchführung eines komplexen, auf längere Zeit angelegten Bauvorhabens abzubilden. Deshalb wird das Bauvertragsrecht jetzt erstmals ausführlich im BGB geregelt. Für den Bauvertrag, den Verbraucherbauvertrag, für den Architekten- und Ingenieurvertrag werden spezielle Regelungen in das Werkvertragsrecht eingefügt. Das ist die größte Änderung des BGB seit der Schuldrechtsreform 2002 und setzt die Anpassung des BGB an eine immer komplexere Lebenswirklichkeit erfolgreich fort. Meine Damen und Herren, ein Kernpunkt der Reform ist die deutliche Erhöhung des Verbraucherschutzes bei Bauverträgen; der Minister hat es schon angesprochen. Weil die meisten Verbraucher nur ein einziges Mal in ihrem Leben ein Haus bauen und sich dafür zumeist hoch verschulden müssen, sind sie auch besonders schutzbedürftig. Sie bekommen deshalb ein 14-tägiges Widerrufsrecht, wir begrenzen die Höhe der Abschlagszahlungen, und wir fordern detaillierte Baubeschreibungen, damit Verbraucher realistisch vergleichen und sich für das qualitativ beste Angebot entscheiden können. Das führt im Interesse der Verbraucher zu einem fairen Wettbewerb, der über die Qualität statt über den Preis geführt wird. Davon profitieren übrigens auch insbesondere die solide kalkulierenden Bauunternehmen. Alle Bauverträge, unabhängig davon, ob ein Verbraucher Bauherr ist oder nicht, haben gemeinsam, dass sie auf eine längere Erfüllungszeit angelegt sind. Dieser Tatsache soll vor allem durch die Einführung eines einseitigen Anordnungsrechts des Bestellers Rechnung getragen werden, mit dem zugleich Regelungen zur Preisanpassung und zur rechtlichen Durchsetzung verbunden sind. Wir brauchen einen Dreiklang aus Anordnung, Vergütungsanspruch und zügiger Rechtsdurchsetzung. Zum größten Knackpunkt, dem Anordnungsrecht: Kaum ein Bauprojekt wird so gebaut, wie es geplant wird. Während der Bauausführung können sich Wünsche und Bedürfnisse verändern. Die geplanten Neuregelungen erleichtern es dem Bauherrn, den Vertragsinhalt – idealerweise im Einvernehmen mit dem Bauunternehmen – an den sich ändernden Bedarf anzupassen. Da eine Einigung nicht immer gelingt, wird das einseitige Anordnungsrecht des Bauherrn eingeführt. Dabei ist völlig klar, dass das Anordnungsrecht ein scharfes Schwert und auch ein massiver Eingriff in die Vertragsfreiheit ist, und aus diesem Grund äußert die Bauwirtschaft auch deutliche Kritik. Im Interesse der zügigen Abwicklung von Bauvorhaben ist das Anordnungsrecht meines Erachtens jedoch sinnvoll und gerade noch verhältnismäßig. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass gar nicht das einseitige Anordnungsrecht an sich so problematisch gesehen wird – nicht ohne Grund wird es ja in der VOB/B bereits seit vielen Jahren so praktiziert –; vielmehr steht hinter der Kritik die verständliche Befürchtung der Bauunternehmer, für ihre Leistungen nicht schnell und ordentlich bezahlt zu werden oder im Streitfall keine zügige Rechtsentscheidung zu bekommen. Damit komme ich zum zweiten Knackpunkt, zur Frage der Vergütung. Damit der Unternehmer die infolge der Änderung gegebenenfalls geschuldete Mehrleistung nicht ohne Vergütung erbringen muss und um ihn vor Liquiditätsengpässen zu schützen, kann er eine 80-prozentige Abschlagszahlung, basierend auf seinem ursprünglichen Angebot, fordern. Dahinter steht die Idee, dass der Unternehmer zumindest einen Teil der geschuldeten Mehrvergütung auf jeden Fall zügig erhalten soll. Allerdings stellt sich die Frage, wie erreicht werden kann, dass das ursprüngliche Angebot des Unternehmers angemessen ist. Der vorangegangene Einigungsversuch ist ja gerade deswegen gescheitert, weil dem Bauherrn die Preisvorstellung des Unternehmers zu hoch war. Hier müssen wir noch Regelungen finden, die zu einem angemessenen interessengerechten Ausgleich führen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet. (Heiterkeit bei der LINKEN) Aber Sie sind stets eingeladen, zu applaudieren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Herr Kollege Hoppenstedt, jetzt haben wir ein Problem!) Schönen Dank! (Zuruf von der CDU/CSU: Die Linke ist aufgewacht! – Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN) – Das sollten Sie öfter tun, bei der Union zu applaudieren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Das war nicht fair!) Dritter Diskussionspunkt ist die Frage der zügigen Streitbeilegung. Jeder Tag Stillstand auf der Baustelle kostet viel Geld. Längere Streitigkeiten sind für private Häuslebauer kaum finanzierbar. Aber auch für kleine und mittelständische Bauunternehmen und Bauhandwerker sind langwierige und kostenintensive Streitigkeiten ein Insolvenzrisiko. Deswegen muss die Rechtsdurchsetzung schneller werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Aufgewacht!) Ich bin skeptisch, ob der im Gesetzentwurf geübte Verzicht auf die Erforderlichkeit der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes in einer einstweiligen Verfügung nun so unbedingt der große Wurf ist. Hinzu kommt: Verfahren in Bau- und Architektensachen sind extrem komplex. Selbstverständlich sind alle unsere Richterinnen und Richter exzellente Juristen. Aber nicht alle können logischerweise automatisch Bauvertragsrechtsexperten sein; wie auch? Es bleibt damit unsicher, ob der Richter am Landgericht, bei dem der Antrag auf einstweilige Verfügung landet, in kurzer Zeit den Streitgegenstand sachgerecht entscheiden kann, insbesondere dann, wenn das Landgericht gar keine Baukammern eingeführt hat. Die Arbeitsgruppe Bauvertragsrecht hat deshalb zur schnellen und effizienten Streitbeilegung die Einführung einer sogenannten Bauverfügung empfohlen. In einem beschleunigten vorläufigen gerichtlichen Erkenntnisverfahren würden die Streitigkeiten kurzfristig geklärt. Zur Entscheidung berufen wären in jedem OLG-Bezirk besonders qualifizierte Richterinnen und Richter. Ich halte diese Idee zumindest für bedenkenswert. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich komme nun zum zweiten Teil des Gesetzentwurfs, zur kaufrechtlichen Mängelgewährleistung. Mit dem Gesetzentwurf verbessern wir die Rechtsstellung der Handwerker und der sonstigen Werkunternehmer. Der Verkäufer einer mangelhaften Sache, die bestimmungsgemäß verbaut worden ist, ist künftig im Rahmen der Nacherfüllung verpflichtet, entweder deren Ausbau sowie den Einbau einer mangelfreien Sache selbst vorzunehmen oder die entsprechenden Kosten zu tragen. Da der Verkäufer den betreffenden Produktfehler regelmäßig ebenfalls nicht zu vertreten hat, bekommt er eine Regressmöglichkeit gegenüber seinem Vorlieferanten. Ziel meiner Fraktion ist es, die ungerechte Haftungsfalle für Handwerker zu beseitigen, aber zugleich auch den berechtigten Interessen anderer Branchen, insbesondere des Handels, des produzierenden Mittelstandes sowie der Industrie, Rechnung zu tragen. Bei dieser Zuweisung von Haftungsrisiken geht es darum, dass im Regelfall derjenige die Kosten zu tragen hat, der für den Produktmangel verantwortlich ist. Deshalb legen wir im Hinblick auf abweichende Vertragsklauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen fest, dass ein Ausschluss oder eine Begrenzung dieser Haftung gegenüber Verbrauchern unwirksam ist. Dies wird aufgrund der Indizwirkung des § 309 BGB grundsätzlich auch für allgemeine Geschäftsbedingungen gelten, die gegenüber Unternehmern verwendet werden. Dem Handwerk geht das aber nicht weit genug. Es möchte darüber hinaus die vorgeschlagene Regelung zusätzlich AGB-fest machen, das heißt, eine ausdrückliche Regelung haben, nach der der Verkäufer auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr keine Klausel in seine AGB aufnehmen darf, die seine Nacherfüllungspflicht auf die Lieferung einer mangelfreien Sache begrenzt. Unser Koalitionspartner steht laut einer Pressemitteilung vom 31. Mai dieses Jahres, also vor kurzer Zeit, diesem Anliegen aufgeschlossen gegenüber und stellt sich somit gegen den Gesetzentwurf des eigenen Bundesministers. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Soll vorkommen! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schämt euch!) So viel fast schon revolutionäres Eigenleben sind wir in letzter Zeit von Ihnen gar nicht gewohnt gewesen. Das kommt nicht unbedingt jeden Tag vor. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Bundesrat hat sich übrigens Ihrer Forderung angeschlossen. Heiko Maas hat diese Forderung in seiner Stellungnahme und Erwiderung abgelehnt. Ich muss sagen: Wo der Mann recht hat, hat er recht. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Welcher? Er oder ich?) Auch der Handel, der produzierende Mittelstand und die Industrie sprechen sich dagegen aus, die Forderung des Handwerkes und des Bundesrates aufzugreifen. Nachdem die Beseitigung der Haftungsfalle für Handwerker ein Anliegen ist, das auf Initiative der Union in den Koalitionsvertrag hineingekommen ist – das darf ich in aller Bescheidenheit anmerken –, (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das habe ich aber anders in Erinnerung!) verstehen wir ganz gut, dass die Kollegen von der SPD versuchen, beim Handwerk wieder Boden gutzumachen, und sich deswegen der Forderung nach AGB-Festigkeit anschließen. Aber das ist rechtsdogmatisch leider der falsche Weg und rechtspolitisch überflüssig. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ihre eigenen Leute wollen das doch!) Das ist spätestens dann zu erkennen, wenn man sich das von Sigmar Gabriels Wirtschaftsministerium herausgegebene Ergebnispapier der AG „Rechtliche Rahmenbedingungen“ der Plattform Industrie 4.0 anschaut. Darin steht, dass die ausufernde Anwendung von AGB-rechtlichen Restriktionen im B2B-Bereich, also innerhalb der Wirtschaft, kritisiert wird. Die Industrie erwartet deshalb negative Auswirkungen auf die Attraktivität des deutschen Rechts im grenzüberschreitenden unternehmerischen Geschäftsverkehr und damit Schaden für den deutschen Wirtschaftsstandort insgesamt. Meine Damen und Herren, im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, dass Handwerker nicht pauschal auf den Folgekosten von Produktmängeln sitzen bleiben sollen. Das heißt umgekehrt aber nicht, dass Unternehmer und auch Handwerker Verbrauchern pauschal gleichgestellt werden sollten. Es gibt zweifelsfrei viele schutzwürdige Unternehmen. Für die gilt die Indizwirkung. Wegen der besonderen Interessen und Bedürfnisse des unternehmerischen Geschäftsverkehrs kann eine entsprechende Klausel zwischen Unternehmern jedoch im Einzelfall ausnahmsweise als angemessen angesehen werden und zulässig sein. Mit der geplanten Regelung wird der kleine Handwerksbetrieb ausreichend geschützt. Es müssen aber bei der Bewertung der AGB-Klauseln die besonderen Verhältnisse des unternehmerischen Geschäftsverkehrs zumindest im Einzelfall möglich bleiben. Es wäre doch beispielsweise absurd, wenn ein Restpostenhändler, der Fliesen aus Insolvenzmassen zu einem Spottpreis verkauft, die Übernahme der Aus- und Einbaukosten nicht abbedingen und von seinem Käufer in Regress genommen werden könnte, obwohl er selbst aufgrund der Insolvenz seines Lieferanten diese Regresskette ja nicht nutzen kann. Deswegen setzt sich die Union dafür ein, dass zumindest ein gewisses Maß an Gestaltungsspielraum, das heißt Vertragsfreiheit, erhalten bleibt. Zugleich halten wir gegenüber den Handwerkern Wort und lassen sie bei den Aus- und Einbaukosten nicht im Stich. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Doch, genau das machen Sie!) Alles in allem ist der von Ihnen, Herr Minister Maas, vorgelegte Gesetzentwurf eine gute Diskussionsgrundlage. Ich möchte den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses, die dafür gearbeitet haben, einmal danken. Jetzt kommt es darauf an, dass wir in diesem Hohen Haus ein gutes Gesetz daraus machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Christian Kühn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Heiko Maas, ich finde es erst einmal schön, dass Sie zur Kernzeitdebatte hier im Plenum anwesend sind. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist selbstverständlich!) Das ist in den letzten Wochen nicht bei allen Ministerinnen und Ministern so gewesen. Und jetzt möchte ich nicht, dass Sie erschrecken; denn hier ist heute ja schon Einiges passiert, was nicht alltäglich ist. Auch meine Rede beginnt heute nicht alltäglich – zumindest in Zeiten der Großen Koalition. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was?) Wo Sie sich ja in der Großen Koalition eher durch Gezänk und Streit auszeichnen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt aber!) möchte ich Sie persönlich – nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses, sondern Sie persönlich – heute hier loben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der SPD: Oh! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Weiter so!) Ich will Sie loben, weil Sie dieses Lob auch verdient haben – und das ist ernst gemeint –, (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Auch das noch!) weil Sie das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts zwar langsam und sicherlich nicht in allen Detailregelungen in der Form, die man sich wünschen würde, aber eben doch auf den Weg gebracht haben, und das ist ein Fortschritt im Verbraucherschutz. Ich glaube, das muss auch Opposition einmal anerkennen, dass diese Regierung zwar nicht alles und nicht vieles, aber manchmal ein bisschen was ganz gut macht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Reicht jetzt!) Ich fände es schön, wenn auch der eine oder andere Kollege aus der Union und auch der SPD jetzt hier klatschen würde, wenn die Opposition einmal etwas Positives über diese Regierung sagt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!) Und dennoch: (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Aha!) Der politische Prozess zum Bauvertragsrecht war lang, und das ist eigentlich symptomatisch, wie ich finde, für die Themen Bauen und Wohnen, für das Thema Verbraucherschutz sowie das Thema Immobilien. Ich finde, bei diesen Themen hat Ihre Regierung die Entdeckung der Langsamkeit zu einem Prinzip gemacht. Diese Entdeckung der Langsamkeit, die Sie da sozusagen zelebrieren, haben Sie bühnenreif umgesetzt. Sie bewegen sich einmal in die eine Richtung, dann wieder in die andere. (Zurufe von der CDU/CSU) Sie wanken hin und her, gehen ein bisschen vor, dann gibt es eine Wortmeldung von Herrn Luczak zu irgendeinem Thema, dann gibt es eine Pressemitteilung oder ein Positionspapier der SPD oder des SPD-Ministers. Aber an sich kommen Sie eigentlich bei fast allen Themen nicht richtig vorwärts. Sie sollten mit diesen Trippelschritten vielleicht eher bei Let’s Dance auftreten, als vorzugeben, dass Sie wirklich etwas für Verbraucherinnen und Verbraucher auf den Weg bringen. Ich glaube, das muss man an dieser Stelle schon auch festhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darum hoffe ich jetzt inständig, dass mein Lob auch etwas bewirkt, nämlich, dass Sie sich jetzt nicht beirren lassen von denjenigen, die versuchen, dieses gute Verbraucherschutzgesetz, das zukünftige Eigentümerinnen und Eigentümer in Deutschland schützen soll, zu durchlöchern, dass Sie das nicht verzögern und nicht auf die lange Bank schieben, sodass es dann vielleicht doch nicht mehr in dieser Legislaturperiode zustande kommt. Bleiben Sie als Koalition hier standhaft, verfahren Sie hier nicht nach Art von Let’s Dance, sondern halten Sie Kurs – sowohl im parlamentarischen Verfahren als auch in den Wortmeldungen in der Presse. Ich glaube, das wäre ganz gut. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich glaube, hier müssen Sie auch aufpassen. Sie dürfen sich hier, auch wenn die Worte jetzt ganz schön klingen, nicht über den Tisch ziehen lassen, wie das in der Vergangenheit zum Beispiel bei der Mietpreisbremse (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Funktioniert doch! Was wollen Sie denn? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nun mischen Sie sich mal nicht ein!) oder bei anderen Gesetzen der Fall war. Wir brauchen ein starkes Bauvertragsrecht. Bleiben Sie deshalb auch hier standhaft! (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Na, logo!) Ich habe nicht nur die heutige Debatte, sondern den ganzen Prozess der Reform des Bauvertragsrechts so verstanden, dass sich eigentlich alle Experten einig sind: Es ist ein gutes Gesetz, es bringt Klarheit und Schutz für Verbraucher, und es schützt Handwerker vor Regressforderungen. Deswegen sollten wir es in einem schnellen Verfahren einvernehmlich durch das Parlament bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 2015 wurden in Deutschland Baugenehmigungen für 115 000 Ein- und Zweifamilienhäuser und 66 000 für Eigentumswohnungen erteilt. Und das ist – das ist heute schon mehrfach hier gesagt worden – für viele Menschen das Investment ihres Lebens. Ich glaube, hier braucht es einen besonderen Schutz. Gerade in der derzeitigen Niedrigzinsphase, in einer Zeit, in der die Immobilienmärkte überhitzt sind und das Bauen immer teurer wird, muss der Staat einen besonderen Schutz vorsehen. Ich glaube, dass wir das mit diesem Gesetz ein Stück weit hinbekommen. Doch es fehlt noch relativ viel. Damit sind wir wieder bei der Politik. Sie machen zwar einen kleinen Schritt nach vorne, aber er hätte eigentlich viel größer sein müssen. Die Aktivitäten von Bauträgern auf den überhitzten Immobilienmärkten in Baden-Württemberg und anderswo zurzeit erinnern mich nicht an die soziale Marktwirtschaft; (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Da muss der Ministerpräsident in Baden-Württemberg etwas machen!) sie legen vielmehr eine Wildwestmanier an den Tag, bei der auch Verbraucher über den Tisch gezogen werden. Hier bedarf es endlich einer Änderung beim Bauträgerrecht. Wir brauchen ein eigenständiges Bauträgerrecht, das Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland effektiv schützt. Hier haben wir eine Gesetzeslücke, und diese muss endlich geschlossen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir über Eigentümer in Deutschland reden, dann müssen wir auch diejenigen miteinbeziehen, die bereits eine Eigentumswohnung haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) Ich warte im Augenblick nicht nur darauf, dass wir das Verfahren auf den Weg bringen, um Qualifizierungsvoraussetzungen für WEG-Verwalter festzulegen, sondern auch darauf, dass endlich das WEG-Recht angepackt wird. In einer Niedrigzinsphase mit überhitzten Märkten muss es doch mehr Informationsrechte und mehr Transparenz geben, wenn man eine Eigentumswohnung als Bestandsimmobilie kauft. All das findet nicht statt. Deswegen muss, glaube ich, auch beim WEG-Recht deutlich nachgebessert werden. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Darüber reden wir heute Morgen aber nicht!) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Sie schütteln gerade den Kopf. Hier könnten Sie etwas für Eigentümer in Deutschland tun. Es reicht nicht, nur über die Wiedereinführung der Eigenheimzulage zu philosophieren, sondern der Verbraucherschutz muss beim Thema Eigentum endlich richtig durchdekliniert werden. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das machen wir ständig!) Sie sollten hier nicht nur einen kleinen Schritt vorangehen, sondern wirklich einmal ein paar Schritte; denn das ist absolut notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir über Verbraucherschutz bei den Themen Wohnen und Immobilieneigentum reden, dann muss man auf jeden Fall auch das Mietrecht miteinbeziehen. Gerade in einer Kernzeitdebatte gehört das dazu. Mieterinnen und Mieter sind Verbraucher, und Mietrecht ist letztlich auch ein Recht, das Mieterinnen und Mieter schützt, und damit auch Teil des Verbraucherschutzes. Wann kommt eigentlich die von Ihnen versprochene Reduzierung der Modernisierungsumlage, die Sie im Koalitionsvertrag gemeinsam beschlossen haben? Wann kommt das endlich? Ich sehe es leider nicht. Die Union blockiert das. Ich glaube, wenn man in Großstädten Wahlen gewinnen will, dann muss man sich auch Gedanken darüber machen, wie man die Probleme der Menschen dort aufgreift. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es geht aber nicht nur um Wahlkampfgeschenke, sondern um vernünftige Politik!) Deswegen rate ich Ihnen: Machen Sie sich darüber Gedanken, wie Sie die Modernisierungsumlage so reformieren, dass niemand mehr von dieser asozialen Praxis des Heraussanierens betroffen ist – weder in Berlin noch anderswo! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Da haben Sie recht! Das wollen wir auch nicht!) Nun zur Union: Ihr zentrales Wahlkampfversprechen beim Thema Mieten und Wohnen in Deutschland war die Mietpreisbremse. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Die haben wir auch eingeführt, Herr Kollege!) Die Kanzlerin selbst hat versprochen, dass sie die Mietsteigerungen in Deutschland bremsen wird. Die Studien zur Mietpreisbremse zeigen aber klar: Sie haben die Mietpreisbremse verzögert und durchlöchert. Deswegen funktioniert sie nicht. Erinnern Sie sich an die Worte der Kanzlerin vom Sommer 2013, dass sie die Mietsteigerungen in Deutschland bremsen will! Gehen Sie in einer zweiten Mietrechtsnovelle gemeinsam mit der SPD den Weg, endlich zu einer funktionsfähigen Mietpreisbremse in Deutschland zu kommen. Dabei werden wir Sie unterstützen; denn das brauchen wir, damit die Immobilienmärkte nicht weiter aus dem Ruder laufen und damit weder zukünftige Eigentümer und Eigentümerinnen noch die Mieterinnen und Mieter belastet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU) Ich hoffe, dass Sie bei dem vorliegenden Gesetz nicht versagen. Es ist ein guter Anfang. Sie müssen jetzt standhaft bleiben. Ich hoffe, dass Sie das Prinzip der Langsamkeit, das Sie auszeichnet, und den Streit, für den Sie stehen, beim Thema Bauen, Wohnen und Verbraucherschutz abstreifen können. Fangen Sie endlich an, zu handeln! Ich finde, der Druck ist enorm. Lösen Sie endlich Ihr Versprechen bei den Verbrauchern und beim Mieterschutz ein! Dann gibt es vielleicht öfter ein Lob der Opposition, sowohl Applaus von der Linken als auch von hier vorne am Rednerpult. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Johannes Fechner, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Tribünen! Nach in der Tat intensiven Vorbereitungen und Gesprächen in den verschiedensten Gremien können wir heute in erster Lesung über den Entwurf eines Gesetzes beraten, das für Verbraucher, Handwerker, Bauunternehmer und vor allem für Bauherren viele Verbesserungen bringen wird, und zwar so viele, dass ich mich in meiner Rede auf einige wenige beschränken muss. Wir geben mit diesem Gesetz Verbrauchern, die Baumaterial verbauen, das sich hinterher als mangelhaft erweist, endlich einen Rechtsanspruch, dass sie vom Verkäufer des mangelhaften Materials nicht nur neues, mangelfreies Material fordern können, sondern auch den Ersatz der Kosten für Aus- und Wiedereinbau. Das ist nur recht und billig; denn es ist, wie ich finde, Sache des Verkäufers, dafür zu sorgen, dass seine gelieferte Ware keine Mängel hat. Wie sieht es nun aber aus, wenn ein Handwerker die mangelhafte Ware bei einem Verbraucher eingebaut hat? Bislang bleibt der Handwerker auf seinen Aus- und Einbaukosten sitzen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll das nun geändert werden, und nicht nur dem Verbraucher, sondern gerade auch dem Handwerker – uns als SPD ist das besonders wichtig – wird gegenüber seinem Baustofflieferanten ein Anspruch auf Ersatz dieser Kosten eingeräumt. Das ist nur gerecht. Deswegen sollten wir das so machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In der Tat sieht der Gesetzentwurf zu unserem Missfallen vor – Kollege Hoppenstedt hat es angesprochen –, dass der Baustofflieferant gegenüber dem Handwerker die Haftung für die genannten Kosten abbedingen kann. Das ist wiederum nicht gerecht; denn gerade kleine und mittlere Betriebe haben oft nicht die Stellung und die Position, um entsprechende Klauseln in den AGBs ihrer Lieferanten wegverhandeln zu können. Der Gesetzentwurf geht zwar davon aus, dass Gerichte zu dem Ergebnis kommen mögen, dass entsprechende AGB-Gestaltungen unwirksam sind. Aber das müssen die Handwerker erst in langwierigen und oft teuren Prozessen erstreiten. Ich finde, wir können es nicht zulassen, dass aufgrund einer solchen Regelung gerade kleine und mittlere Betriebe ihrem Geld hinterherrennen müssen. Das kann ja, wenn die Forderung eine gewisse Höhe erreicht, wirklich existenzbedrohend sein. Ich finde es deshalb gut, dass Herr Billen schon angedeutet hat, für einvernehmliche Vorschläge aus den Fraktionen offen zu sein. Ich habe auch mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie, Frau Kollegin Strothmann, unsere Position teilen und sich dafür offensichtlich einsetzen. So falsch, Herr Kollege Hoppenstedt, können wir also da nicht liegen. Abschließend zu diesem Punkt: Wir brauchen letztlich für das Handwerk die klare Regelung, dass Ein- und Ausbaukosten vom Lieferanten der mangelhaften Ware zu tragen sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Im Bauvertragsrecht schaffen wir wesentliche Verbesserungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Kernstück ist das Anordnungsrecht des Bauherrn. Gelegentlich wird bezweifelt, dass wir so etwas brauchen. Ich möchte Ihnen anhand eines Beispiels aus meiner eigenen Bautätigkeit den Grund nennen, warum wir ein solches Anordnungsrecht brauchen. Meine Gattin und ich haben im letzten Februar einen Bauvertrag unterschrieben. Wenige Wochen danach hat sie, als ich in einer Sitzungswoche in Berlin war, Tine Wittlers Baushow Einsatz in 4 Wänden, eine dem Fachpublikum bekannte Sendung, angesehen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dort sah sie ein Treppenhaus, das sie unbedingt haben wollte. Ich erhielt sofort den Auftrag von ihr, mit dem Bauunternehmer nachzuverhandeln und eine Änderung durchzusetzen. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Klare Rollenverteilung!) Wir haben das dann einvernehmlich hinbekommen. Aber in der Praxis ist es oft so, dass ein solcher Änderungswunsch nicht einvernehmlich umgesetzt wird. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir eine gesetzliche Grundlage, um von dem eigentlich geltenden Grundsatz „Verträge sind einzuhalten“ – pacta sunt servanda – abzuweichen. (Beifall bei der SPD) Immobilien nutzt man ja Jahrzehnte bzw. ein Leben lang. Deswegen muss es möglich sein, auch nach dem Bauvertragsabschluss solche Änderungswünsche umzusetzen. Im Sinne der Bauunternehmen haben wir die Regelung vorgesehen, dass ein Rechtsanspruch auf Umsetzung eines Änderungswunschs nur dann besteht, wenn es für den Bauunternehmer zumutbar ist und wenn er eine entsprechende Mehrvergütung bekommt. Diese Regelung ist also sinnvoll. Wir sollten die Erfüllung von Änderungswünschen auch nach Bauvertragsabschluss ermöglichen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Gerade im Bauvertragsrecht haben alle Beteiligten ein großes Interesse daran, dass es nicht zu Bauverzögerungen kommt. Gut ist deshalb am vorliegenden Gesetzentwurf, dass wir ausdrücklich Regelungen zur Beschleunigung und zur Lösung von Streitigkeiten vorsehen. Wir haben erstmals eine Definition, was überhaupt ein Werkvertrag ist. Verbraucher bekommen einen Rechtsanspruch auf Übersendung einer Baubeschreibung. Es wird das Widerrufsrecht – genauso wie bei vielen anderen Vertragstypen – geregelt. Und es muss zudem eine verbindliche Angabe zur Bauzeit geben. Das sind wichtige Verbesserungen, die wir hiermit vornehmen. Wenn selbst die Linke hier zustimmend nickt, dann muss es ja wohl ein guter Gesetzentwurf sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist ein Gütesiegel! – Zuruf von der CDU/CSU): Welche Logik!) Wichtig ist, dass wir praktikable Regelungen finden. Ich finde, wir sollten prüfen, ob es nicht sinnvoll ist, eine Schriftform für den Änderungswunsch zu festzulegen, klare Fristen für die Abgabe und die Annahme der Änderungswünsche zu setzen und sich anzuschauen, ob wir das System zur Berechnung der Mehrvergütung klarer regeln. Insgesamt, meine Damen und Herren, enthält dieser Gesetzentwurf also zahlreiche Verbesserungen für Verbraucher, für Handwerker, für Bauunternehmen und für die Bauherren. Jetzt gilt es, diesen Entwurf an einigen wenigen Stellen noch zu verbessern. Für mich und die SPD gehören hierzu ganz eindeutig die AGB-feste Regelung, dass Handwerker ihre Ein- und Ausbaukosten auch im B2B-Verhältnis umsetzen können, und die Präzisierung des Genehmigungsrechts an manchen Stellen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Dr. Johannes Fechner (SPD): Insgesamt ist es ein gelungener Gesetzentwurf. Herzlichen Dank an das Justizministerium und an alle, die in den verschiedensten Gremien dazu Vorarbeit geleistet haben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Kühn, Sie haben zu sehr vielem gesprochen – ich würde sagen, es war eher ein bisschen Wahlkampf –: etwa zum Wohnungseigentumsgesetz und zum Mietpreismarkt. Ich habe an dieser Stelle etwas ganz Verrücktes vor. Ich will nämlich tatsächlich zum vorliegenden Gesetzentwurf sprechen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen den Satz: Das Handwerk hat goldenen Boden. Damit dieser Satz Geltung beanspruchen kann, brauchen wir zwei Dinge: Wir brauchen eine prosperierende Wirtschafts- und Marktlage, und wir brauchen praxistaugliche gesetzliche Rahmenbedingungen. Gerade für Letzteres sind hier im Hause die Rechtspolitiker zuständig. Nach der Schuldrechtsreform im Jahr 2000 gilt es, zwei Handlungsfelder zu beleuchten und uns für die dort vorhandenen Probleme Lösungen zu überlegen. Handlungsfeld Nummer eins ist das Werkvertragsrecht. Wenn man genauer hinschaut, muss man feststellen, dass das Werkvertragsrecht – es ist heute schon angeklungen – noch nicht tauglich ist für die speziellen Anforderungen im Baubereich. Das liegt vor allem an vier Komponenten. Erstens ist es so, dass die Werkerbringung im Baubereich oftmals über einen längeren Zeitraum stattfindet. Zweitens ist die Erbringung oftmals gegliedert in eine Vielzahl von Abschnitten. Drittens ist es nicht nur im Hause Fechner so, dass im Rahmen der Bauerbringung dem Auftraggeber oder der Auftraggeberin immer wieder neue Ideen kommen, was man noch alles machen könnte. Viertens dreht es sich – das ist, glaube ich, ganz wichtig – vor allem für Bauherren immer um eine Rahmengröße, die letztendlich ein existenzielles Ausmaß annimmt. Viele Menschen bauen nur einmal im Leben und wenden dafür dann einen Großteil ihres Vermögens auf. Handlungsfeld Nummer zwei ist das Kaufrecht. Die dort vorhandene Lücke geht seit Jahren zulasten des Handwerks. Stellen Sie sich folgenden Fall vor – diese Konstellation ist vorhin schon dargestellt worden –: Eine Trockenbaufirma hat den Auftrag, ein Dachgeschoss zu dämmen und auszubauen. Der Auftrag wird erledigt, und die Trockenbaufirma bezieht eine Dampfsperre, die fehlerhaft ist. Sie hat Löcher, ist damit luftdurchlässig, sodass Feuchtigkeit in die Dämmung eindringen kann. Das wird entdeckt, nachdem eingebaut worden ist. Dann hat der Bauherr gegen die Trockenbaufirma Anspruch auf Lieferung einer neuen Dampfsperre, aber auch auf Aus- und Einbau und Tragung der Kosten. Das Problem ist, dass dann kein Rückgriff möglich ist. Die Trockenbaufirma hat gegen den Lieferanten nur Anspruch auf Lieferung einer mangelfreien Dampfsperre. Das ist eine Lücke, die es zu schließen gilt. Ich freue mich, dass die Forderung der Union, diese Lücke zu schließen – Kollege Hoppenstedt hat es vorhin schon dargestellt –, durch unseren Impuls Niederschlag im Koalitionsvertrag gefunden hat. Heute können wir, wenn wir den vorliegenden Gesetzentwurf anschauen, sagen: Jawohl, wir liefern. Wir regeln hier die Rechtsverhältnisse ähnlich wie im Verbrauchsgüterkauf. Es gibt eine eigene Anspruchsgrundlage, ein echtes Rückgriffsrecht. Deswegen sage ich: Allein die Vorlage dieses Gesetzentwurfs macht diesen Tag zu einem guten Tag für die Handwerker. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sollten das parlamentarische Verfahren selbstverständlich nutzen, um uns noch einmal gründlich das Für und Wider vor Augen zu führen, inwieweit hier nun noch eine AGB-Festigkeit erforderlich ist oder die Rechtsprechung in diesem Bereich, insbesondere die Indizwirkung von § 307 BGB – Sie haben es vorhin angesprochen –, ausreichend ist. Nun zurück zum ersten Themenfeld: die bessere Anpassung des Werkvertragsrechts an die Erfordernisse im Baubereich. Ich will auf zwei Themen eingehen, zunächst auf die Abschlagszahlungen, § 632a BGB. Bisher ist es so, dass sich die Höhe der Abschlagszahlungen am Wertzuwachs orientiert, den der Auftraggeber durch die Lieferung und den Einbau der Sache erlangt. Das ist im Einzelfall bisweilen schwierig zu beurteilen, weil natürlich gerade der Verbindungs- oder Einbauvorgang eine ganz andere Wertentwicklung mit sich bringen kann. Deswegen, glaube ich, ist die vorgeschlagene Neuregelung ein guter Schritt. Jetzt soll sich die Abschlagszahlung an dem Wert der erbrachten Leistung orientieren. Das ist im Einzelfall zweifelsfrei festzustellen; denn es ergibt sich letztendlich aus dem Leistungsverzeichnis. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister, wir sollten eine Stelle der Neuregelung unbedingt hinterfragen und uns überlegen, ob wir sie so beibehalten wollen. In der Neufassung ist die frühere Regelung gestrichen, dass die Verweigerung einer Abschlagszahlung wegen unwesentlicher Mängel nicht möglich sein soll. Das war in der Vergangenheit eine ganz wichtige Klarstellung. Ich bekomme aus meinem Wahlkreis und gerade auch aus der Handwerkerschaft in Bayern sehr viele Rückmeldungen. Dort besteht die große Angst, dass man, wenn man diese Klarstellung streicht, dem Missbrauch Tür und Tor öffnet, dass dann nämlich wegen unwesentlicher Mängel Abschlagszahlungen verweigert werden. Das sollten wir dringend überdenken. Das zweite Thema, auf das ich im Bereich des Werkvertragsrechts noch eingehen will, ist die Abnahme, geregelt in § 640 BGB. Bisher ist es so, dass die Fälligkeit der Werklohnforderung dann hinausgeschoben wurde, wenn der Auftraggeber fristgerecht die Verweigerung der Abnahme erklärt hat. Dafür brauchte er in der Vergangenheit aber keine Gründe anzugeben. Deswegen finde ich es im Interesse der Handwerkerschaft sehr gut, dass die Neuregelung fordert, dass die Verweigerung auch die Benennung der Gründe beinhalten muss. Damit können wir letztendlich, ich sage jetzt mal, bestimmte Winkelzüge, bestimmte Missbräuche, die nur dazu dienen, am Schluss die Fälligkeit der Werklohnforderung hinauszuzögern, verhindern. Noch eine Ergänzung: Wenn die Verweigerung der Abnahme mit der Benennung der Mängel formuliert ist, dann – das halte ich für sehr gelungen – findet ein, ich sage jetzt mal, Wechselspiel statt. Der Handwerker hat nämlich dann einen Anspruch auf Zustandsfeststellung. Ich glaube, das ist für die Praxis ein ganz wichtiger Punkt. Es wird der Zustand, der Status quo, draußen auf der Baustelle festgestellt. Das schafft letztendlich Klarheit für den Fall, dass später die Diskussion aufkommt: Wer trägt die Verantwortung für später entdeckte Mängel? Ich glaube, das ist ein weiteres wirklich praxistaugliches Instrument. Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich am Ende zusammenfassen: Ich glaube, wir haben mit diesem Entwurf eine gute Arbeitsgrundlage. Er bringt vor allem für die Handwerkerschaft viele Pluspunkte. Es gibt den Rückgriffsanspruch. Es gibt die Begründungspflicht bei der Abnahmeverweigerung. Es gibt den Anspruch auf Zustandsfeststellung. Es gibt darüber hinaus noch die Sicherungshypothek und die Bauhandwerkersicherung. Daneben bekommt aber auch der Kunde als Verbraucher viele Schutzkomponenten neu eingeräumt. Zu nennen ist die umfassende Informationspflicht in der Baubeschreibung. Es gibt das Widerrufsrecht; das ist schon angeklungen. Und es gibt den Mindestinhalt beim Bauvertrag. Als Mindestinhalt müssen zukünftig der Zeitplan und der Fertigstellungstermin aufgenommen werden. Ich glaube, auch das ist eine praxistaugliche Ergänzung, die am Schluss den Verbraucherinnen und Verbrauchern in unserem Land hilft. Alles in allem, meine Damen, meine Herren, ein guter Anfang! Bringen wir es im vor uns liegenden parlamentarischen Verfahren gut voran und gut zu Ende! Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sabine Poschmann ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sabine Poschmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Als Mittelstandsbeauftragte der SPD-Bundestagfraktion begrüße ich den Gesetzentwurf ausdrücklich. Auf vielen Veranstaltungen, die ich besuchte, wurde gerade der Punkt „Wer übernimmt die Folgekosten bei Produktmängeln?“ als Problem dargestellt. Aus meiner Aussage auf den Veranstaltungen „Wir arbeiten daran“ ist heute ein „Wir haben fertig“ geworden. So ganz fertig sind wir jedoch meiner Meinung nach nicht. Denn wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen, dass zum Beispiel der Handwerker nicht mehr auf den Folgekosten für den Ein- und Ausbau fehlerhafter Produkte sitzen bleibt, dürfen wir keine abweichenden Regelungen zulassen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Unternehmen untereinander haben bisher die Möglichkeit, in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen abweichende Regelungen zu treffen. Für sie gilt das sogenannte Klauselverbot nicht. Die Marktmacht größerer Unternehmen birgt damit die Gefahr, dass diese sich ihrer Verantwortung entziehen und der Kleine auf den Kosten sitzen bleibt. Wenn zum Beispiel ein Handwerker Parkett verlegen soll, muss er Dämmmaterial und Parkett kaufen; klar. Dabei wird er den Geschäftsbedingungen des Händlers zustimmen. Stellt der Kunde später fest, dass die unter dem Parkett verlegte Dämmung keinerlei Wirkung zeigt, wird er Nachbesserung verlangen. Das zu ersetzende Material ist relativ günstig; der zeitliche Aufwand, das Ganze wieder herauszureißen, ist relativ hoch. Deshalb ist es richtig, dass der Handwerker eine Erstattung des Materials und der Ein- und Ausbaukosten vom Händler verlangen kann. Hat der Händler in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Erstattung der Kosten für den Ein- und Ausbau ausgeschlossen, bleibt dem Handwerker im besten Fall eine Kulanzregelung oder der Klageweg. Aber, meine Damen und Herren: Kann sich der Handwerker in diesem Fall gegenüber dem Händler durchsetzen? Bleiben wir beim Beispiel Parkettverleger. Ein durchschnittlicher Betrieb erwirtschaftet einen Jahresumsatz von rund 250 000 Euro. Der Marktführer unter den Baumärkten machte 2015 in Deutschland rund 3,9 Milliarden Euro Umsatz. Die Verteilung der Kräfte zwischen den Vertragspartnern könnte folglich nicht größer sein. Wir haben jetzt die Gelegenheit, mit einer AGB-festen Regelung Rechtssicherheit zu schaffen. In diesem Punkt würden wir auch die Position des Bundesrates stützen. Ich lade Sie ein, gemeinsam an einer Formulierung zu arbeiten, sodass wir im weiteren Verfahren noch zu entsprechenden Änderungen kommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Volkmar Vogel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Baupolitiker, der die Debatte eben sehr intensiv verfolgt hat, kann ich sagen: Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Die Feinjustierung, die noch notwendig ist, werden wir hinbekommen. Wir sprechen ja über die Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung und die Reform des Bauvertragsrechts. Das sind zwei wesentliche Punkte, die zum einen mit dem Verbraucherschutz und zum anderen natürlich auch mit der Rechtssicherheit in der Bauwirtschaft zu tun haben. Lassen Sie mich als Baupolitiker sagen: Die Bauwirtschaft ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, den wir in unserem Land haben. Die Bauwirtschaft ist die Konjunkturlokomotive in unserem Land oder – wenn wir hier die falschen Entscheidungen treffen – eben auch nicht. Die Diskussionen über die Mietpreisbremse und die Modernisierungsumlage, die wir geführt haben, sind sicherlich wichtig und richtig. Aber diese Instrumente dienen nur dazu, die Symptome, die wir spüren, zu mildern. Am Ende ist es wichtig, dass wir bauen, bauen, bauen und dafür Sorge tragen, dass sich der Markt entspannt und auf ihm tatsächlich auch alle Akteure arbeiten können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD]) Natürlich gehören zum Bauen Auftraggeber. Sie müssen wir besonders schützen. Verbraucherschutz hat für uns oberste Priorität. Gerade im Baubereich, in dem es um langfristige Investitionsentscheidungen geht, viel Geld in die Hand genommen wird und die Bauherren, gerade Familien, ein hohes Risiko eingehen, kommt es darauf an, sie zu schützen und ihnen dabei zu helfen, dieses Risiko zu minimieren. Oft ist es so, dass Familien an Mehrkosten verzweifeln oder der Bauträger bzw. das Bauunternehmen in die Insolvenz geht. In solchen Fällen benötigen sie unsere Hilfe. Deswegen ist es auch richtig, dass wir diese beiden Vorhaben – die Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung und die Reform des Bauvertragsrechts – miteinander verknüpft haben. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir uns in der jetzt anstehenden Debatte und in den Diskussionen in den Fachgremien miteinander auf einige Prinzipien, auf die ich im Folgenden eingehe, verständigen sollten. Die Vertragsfreiheit ist in unserer Gesetzgebung ein wichtiges Gut. Wir sollten also nur das regeln, was notwendig ist, und nichts überzogen regeln. Vielmehr sollten wir, soweit es geht, die Möglichkeit geben, dass Partner ihren Vertrag frei miteinander regeln können. Aber es gibt natürlich Dinge, die wir regeln müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir gleiches Recht für alle gelten lassen. Das gilt für den Auftraggeber, also für den Bauherrn, genauso wie für das Bauunternehmen, das in den allermeisten Fällen sorgfältig und termingerecht den Bau ausführt. Wir sollten darauf achten, dass wir den Grundsatz des Verbindenden zwischen den beiden Vertragspartnern herausstellen und nicht zwingend das Trennende. Genauso gehört dazu, möglichst dafür Sorge zu tragen, dass die Einigung der Vertragspartner ohne Rechtsstreit und ohne andere Auseinandersetzungen im Mittelpunkt stehen muss. Risiken bestehen auf beiden Seiten: Einerseits steht vielleicht die Existenz des Verbrauchers, des Auftraggebers auf dem Spiel, wenn man unfair miteinander umgeht. Andererseits muss man vor allen Dingen auch die vielen kleinen Handwerker, die kleinen Bauunternehmen sehen und nicht zuletzt auch die Mitarbeiter, die 2, 3, 5, 10 oder 20 Mitarbeiter eines Bauunternehmens, deren Existenz, wenn es zu unbilligen Härten kommt, unter Umständen auch auf dem Spiel stehen kann. Deswegen sind die Verbesserungen bei den Ein- und Ausbaukosten für die Handwerker und für die kleinen Bauunternehmen so wichtig und existenziell. Meine Bitte an uns alle, so, wie wir hier zusammen sind, ist, dass wir dieses Gesetzesvorhaben, das jetzt in die Ausschüsse geht, nicht verzögern, sondern es zügig zum Abschluss bringen. Das hilft den Unternehmen. Es ist richtig und gut, dass wir mit den Änderungen im Bereich der Ein- und Ausbaukosten die Geschäftsbeziehung – ich sage jetzt nicht Business, denn wir sind ja hier im Deutschen Bundestag – zwischen dem gewerblichen Bereich und den Endkunden, aber auch zwischen den Gewerblichen untereinander geregelt haben, und zwar innerhalb der gesamten Lieferkette bis hin zu den Verursachern. Natürlich ist es so – auch wenn ich sage, dass wir das nicht in die Länge ziehen, sondern zügig zum Abschluss bringen sollten –, dass wir sicherlich noch Feinjustierungs- und Diskussionsbedarf im Bereich des Bauvertragsrechts haben. Es ist erst einmal richtig, dass wir dort Regelungen treffen. Denn – einer meiner Vorredner hat es gesagt – wir haben zwar das Werkvertragsrecht, aber das ist ja eher terminlich, punktuell ausgelegt, wohingegen das Bauvertragsrecht den gesamten Zeitablauf, der im Baubereich ja nun einmal über einen längeren Zeitraum geht, besser abbildet. Daher ist es sinnvoll, die Regelungen dort zu treffen. Aus meiner Sicht ist weitgehend unstrittig – natürlich kam dazu Kritik aus der Bauindustrie –, dass wir Festlegungen zu Mindestanforderungen treffen müssen, auch zu terminlichen. Ich glaube, das hilft allen und am Ende auch dem Bauunternehmer, weil mehr Rechtssicherheit gegeben ist. Dies bildet die Grundlage, auf der man sich fair untereinander einigen kann, ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt. (Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin auch der Meinung, dass es ein Anordnungsrecht geben muss. Das ist ganz unstrittig. Wer das Risiko auf sich nimmt und eine Investition tätigt, muss auch die Möglichkeit haben, Änderungen durchzusetzen. Aber es muss auf der anderen Seite – das meine ich mit fairem Ausgleich – für denjenigen, der es umsetzen muss, verhältnismäßig bleiben. Das heißt, er muss tatsächlich auch die Befähigung haben. Er muss die notwendige Technik dafür haben. Er muss vielleicht auch das Personal dafür haben. Es muss auch in seinen sonstigen Bauablauf hineinpassen. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass man an der Stelle genau hinschaut, sodass eine sinnvolle Regelung für beide Seiten herauskommt. Wir reden in der Baukostensenkungskommission natürlich auch über die Senkung der Baukosten. Ein großer Teil sind Vorfinanzierungskosten, die letztendlich der Bauunternehmer tragen muss. Das kann man nicht überziehen. Da muss es einen fairen Ausgleich untereinander geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Was ich noch ein bisschen kritisch sehe, gerade wenn es um das Anordnungsrecht geht – ich glaube, Kollege Hoffmann hat es schon angesprochen –, ist, dass trotz alledem Abschlagszahlungen in sinnvoller Art und Weise möglich sein müssen; die vorher vereinbarte Möglichkeit der Abschlagszahlung darf nicht über die einseitige Anordnungserlaubnis ausgehebelt werden. Hier muss also auch eine Regelung her, die für beide Seiten vernünftig und vertretbar ist. Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch eines sagen: Wir haben auf der einen Seite marktstarke Auftragnehmer, also Bauunternehmen, die das vielleicht ausnutzen wollen, auf der anderen Seite haben wir unter Umständen aber auch sehr marktstarke Auftraggeber, die das natürlich auch in ihrem Sinne ausnutzen wollen. Deswegen ist es unsere Aufgabe als Gesetzgeber, hier dafür zu sorgen, dass es sowohl für die Verbraucher, den Endkunden, als auch für die vielen seriösen, fleißigen Bauunternehmen, die jeden Tag in Deutschland tätig sind und für uns arbeiten, fair und gerecht zugeht. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/8486 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 30: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutsch-indische Bildungs- und Wissenschaftskooperation ausbauen Drucksache 18/8708 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss All denen, die sich jetzt auf dem Umweg über das Büro auf den Weg ins Wochenende begeben, wünsche ich ein sonniges und gemütliches Wochenende. Nachdem diejenigen, die an der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt teilnehmen wollen, die wenigen noch freien Plätze eingenommen haben, eröffne ich nun die Aussprache, für die nach einer interfraktionellen Vereinbarung 38 Minuten vorgesehen sind. – Einwände höre ich keine. Also können wir so verfahren. Ich erteile das Wort dem Kollegen Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Aus aktuellem Anlass darf ich als Obmann zunächst dem Sprecher der CDU/CSU-Fraktion für Bildung und Forschung ganz herzlich zum heutigen Geburtstag gratulieren. Lieber Albert, ich denke, das tue ich auch im Namen des ganzen Hauses. (Beifall) Indien ist ein Land der Extreme, aber auch extrem spannend. Auf der einen Seite ist es ein Hightechland auf Weltniveau mit erfolgreichen Raketensystemen, einer eigenen Raumfahrtagentur und rund 700 000 ITlern in einer Stadt wie Bangalore, auf der anderen Seite finden sich dort Armut – 30 Prozent der Menschen in Indien leben von weniger als 1,25 Dollar pro Tag –, Schmutz und heilige Kühe auf den Straßen. Dritte Welt! Es ist also ein Land der zwei Geschwindigkeiten. Das ist meine Kurzbeschreibung unserer sehr harmonischen Delegationsreise nach Indien im letzten Jahr, die unserem Antrag heute ja auch zugrunde liegt. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Erkenntnisse!) Wie viel Potenzial in diesem Land steckt, kann man sehr gut an einer Zahl ablesen: Weniger als 5 Prozent aller Personen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, verfügen nach Regierungsangaben über eine berufliche Qualifikation. Für die jährlich rund 12 Millionen jungen Menschen, die neu auf den Arbeitsmarkt kommen, gibt es bisher lediglich rund 4,5 Millionen Ausbildungsangebote, die zumeist von äußerst geringer Qualität sind. Genau hier kommen wir ins Spiel, Deutschland als Land des Mittelstandes. So heißt denn auch die neue Strategie der indischen Regierung „MIIM“, also „Make in India Mittelstand“. Warum ist Deutschland als Partner so wichtig für Indien? Deutschland ist der größte Handelspartner Indiens innerhalb der EU, doch gewünscht ist von indischer Seite noch viel mehr, wenn es nach der Regierung Modi geht. Das wurde auch vorgestern beim Deutsch-Indischen Wirtschaftsdialog noch einmal deutlich. Deshalb gibt es seit dem Frühjahr speziell für deutsche Unternehmen einen sogenannten „Fast track to India“. Es gibt in Indien sechs Goethe-Institute. Derzeit nehmen dort jährlich etwa 17 000 Personen an Deutschkursen teil, und außerdem wird an zahlreichen Schulen in Indien die deutsche Sprache unterrichtet. Im Wintersemester 2014/15 waren rund 11 860 indische Studierende an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Das entspricht einer Steigerung um 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl deutscher Studierender an indischen Hochschuleinrichtungen wird auf etwa 1 000 geschätzt. In Deutschland bilden über 1 000 indische Doktoranden die zweitgrößte Gruppe ausländischer Promotionsstudenten direkt nach der chinesischen. Das Potenzial für den Ausbau der Zusammenarbeit ist also riesig. In einem Bereich sind die Beziehungen zu Indien besonders eng, nämlich in der Forschung. Für Indien ist Deutschland weltweit der zweitwichtigste Forschungspartner hinter den USA. Die indische Wissenschaft genießt auch in Deutschland einen exzellenten Ruf. Ich darf nur den Bereich Biotechnologie nennen. Im Jahr 2014 haben beispielsweise über 800 indische Wissenschaftler an Forschungsaufenthalten an Max-Planck-Instituten teilgenommen. Die Max-Planck-Gesellschaft unterhält gleich zwei deutsch-indische Forschungseinrichtungen, das Indo-German Max Planck Center for Computer Science und das Max Planck Center on Lipid Research am National Center of Biological Sciences in Bangalore. Das Erstere haben wir übrigens auf unserer Delegationsreise besucht. Dann gibt es dort seit 2012 das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus in Delhi. 15 Konsortialpartner werden dort unter einem Dach zusammengeführt. Sie erleichtern indischen und deutschen Wissenschaftlern sowie Studierenden den Aufbau von Kontakten und erhöhen vor allem die Sichtbarkeit Deutschlands als Wissenschafts- und Forschungsstandort. Seit 2012 fanden laut eigenen Angaben des DWIH rund 50 000 direkte Kontakte mit Wissenschaftlern und Studierenden dort statt. Weltweit gibt es im Übrigen nur sechs dieser DWIHs. Auch dies unterstreicht den großen Stellenwert der Forschungszusammenarbeit zwischen Deutschland und Indien. Weiterhin unterhält Deutschland sein weltweit einziges bilaterales Forschungsförderzentrum, das Indo-German Science and Technology Centre in Gurgaon – das ist in der Nähe von Delhi –, das wir auch in unserem Antrag explizit erwähnen. Es wird von Deutschland und Indien zu gleichen Teilen mit bisher jährlich 2 Millionen Euro und ab dem nächsten Jahr mit 4 Millionen Euro finanziert. Es fördert bilaterale, anwendungsorientierte Forschungsprojekte unter Einbeziehung von Unternehmen auf beiden Seiten und ist deshalb, so finden wir, ein vorbildliches Projekt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Umgekehrt ist Indien auch an mehreren Großforschungseinrichtungen in Deutschland maßgeblich beteiligt; Sie wissen das. Der indische Beitrag zum multinationalen Teilchenbeschleuniger FAIR in Darmstadt beträgt rund 30 Millionen Euro. Das ist ein stattlicher Betrag. Auch in Nutzungsrechte des Teilchenbeschleunigers DESY in Hamburg hat Indien erheblich investiert. Schließlich ist Indien an ITER als einer von sieben Partnern mit 9 Prozent maßgeblich beteiligt. Im November 2012 hat das Fraunhofer-Institut ein erfolgreiches Marketing-Office in Bangalore eröffnet, das Projekte in Millionenhöhe für die deutsche Wirtschaft akquiriert. Übrigens gibt es in Bangalore – deshalb waren wir dort gewesen – etliche große Forschungszentren deutscher Konzerne. Bei unserem Besuch konnten wir uns von der hohen Qualität von Wissenschaft und Forschung persönlich überzeugen. Sie sehen, meine Damen und Herren, wie eng die Forschungszusammenarbeit mit dem Subkontinent ist und vor allem auch wie wichtig sie ist. Deshalb möchte ich jetzt nur drei Forderungen aus unserem Antrag hervorheben, die mir besonders wichtig sind. Erstens. Wir müssen alles daransetzen, dass wir den Studierenden- und Wissenschaftleraustausch mit Indien weiter intensivieren. Da sind DFG, AvH und DAAD gefordert. Dies ist schon deshalb erfolgsträchtig, weil die Unterrichts- und Landessprache Englisch ist und damit auch die Verständigung im Alltag unkompliziert ist. Zweitens. Ich habe die Zahlen bereits genannt: Wenn nur etwa 5 Prozent der Bevölkerung über eine berufliche Qualifikation verfügen, ergibt sich hier ein enormes Potenzial. Dementsprechend müssen wir die duale Ausbildung in Indien insgesamt und besonders die Ausbildung von Facharbeitern fördern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Regierung Modi will bis 2022  500 Millionen Inder beruflich qualifizieren, ein wirklich gigantisches Projekt. Mein Kollege Thomas Feist wird mit Sicherheit zu diesem Aspekt im Detail noch etwas sagen. Drittens. Wir sollten für eine ausreichende räumliche Ausstattung der deutschen Schule in Neu Delhi sorgen. Denn was bringt die Finanzierung von Lehrkräften und auch das enorm wachsende Interesse an der deutschen Sprache, wenn die Räume nicht da sind, um die jungen Menschen zu unterrichten? (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zusammenfassend bin ich davon überzeugt, dass der indische Subkontinent als größte Demokratie der Welt mit seiner demografischen Entwicklung, seinem enormen Potenzial und auch dem großen Hunger auf Bildung und Fortschritt ein besonders enger Partner für Deutschland sein muss. Das hat übrigens auch die Bundesregierung richtig erkannt, wie erst jüngst bei den Regierungskonsultationen gezeigt wurde. Wissenschaft und Forschung spielen dabei eine ganz zentrale Rolle. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam weitergehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und vielen Dank auch an die Kollegen, dass wir diesen Antrag hier gemeinsam geschrieben haben und auch die Reise so harmonisch verlaufen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Rosemarie Hein das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Oktober 2011 in Neu-Delhi, Nachmittag: Besuch eines indischen Grabmals mit Säulenhalle aus dem 17. Jahrhundert, eines von unzähligen wertvollen Objekten des indischen Kulturerbes, das restauriert werden soll. Am Boden sitzt eine Handvoll Männer mit Schutzbrille und Mundschutz, die unter Anleitung eines Fachmannes für Denkmalpflege Steinmetzarbeiten verrichten. Sie erhalten im Zuge dieser Restaurierungsarbeiten eine Ausbildung als Handwerker – ganz praktisch, ohne Schule. Zwei Tage später: Besuch in einer PASCH-Schule, also einer Schule aus dem Programm „Partner der Zukunft“, von denen es weltweit 1 800 gibt – nicht alle in Indien – und die eine verstärkte Vermittlung der deutschen Sprache anbieten. Die jungen Leute zeigen uns engagiert ihre Schule. Natürlich sprechen sie Deutsch. Wir erleben ein trotz Schulferien eingeübtes Programm, eine Kurzfassung indischer Geschichte – auch in Deutsch. Es ist klar, dass bei einem solchen Besuch von Mitgliedern des Deutschen Bundestages uns vor allem die Vorzüge eines Landes gezeigt werden. Beeindruckend war das schon. Aber wir haben auch von den unbeschreiblichen Schwierigkeiten erfahren, von der sozialen Spaltung Indiens, die man überwinden möchte und von der man sich nur ein Bild machen kann, wenn man überhaupt einmal da war. Indien ist ein Land mit jetzt 1,3 Milliarden Menschen, und es hat das Ziel, seinen Menschen viel Bildung mit auf den Weg zu geben. Das Ziel „Erziehung für alle“ ist in der Verfassung festgeschrieben. So etwas haben wir nicht einmal im Grundgesetz, obwohl ich mir da lieber „Bildung für alle“ wünschen würde. Seit 2010 gibt es das gesetzlich verankerte Recht auf staatlich geförderte Bildung – nicht auf kostenlose. Doch das staatliche Schulsystem ist schlecht ausgestattet, und es ist eine Mammutaufgabe für die indische Regierung. Was in großen Städten langsam Gestalt annimmt, ist in den ländlichen Gebieten sehr viel schwerer umzusetzen. Aber Indien hat das ehrgeizige Ziel, 400 Millionen Menschen – das ist etwa ein Drittel der Bevölkerung – in den nächsten Jahren beruflich zu qualifizieren und 40 Millionen Studienplätze zu schaffen. Was für ein Ziel angesichts der Zahlen, mit denen wir uns hier herumschlagen und die wir gestern im Rahmen der Debatte des Berufsbildungsberichts benannt haben. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Trotzdem ist dies angesichts der Zahl der Menschen, die in Indien leben, erst ein Anfang. Darum ist es ein richtiges Anliegen, die Wissenschaftskooperation und die Bildungszusammenarbeit zu intensivieren. Allerdings darf es uns dabei nicht nur darum gehen, die Fachkräftesituation für deutsche Unternehmen in Indien zu verbessern, sondern es muss auch um eine Kooperation auf Augenhöhe gehen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin mir nicht sicher, ob das bei der Erstellung des Antrags immer im Blick war. Es geht mir vor allem um gegenseitigen Respekt und nicht um die missionarische Verbreitung unserer Weisheiten. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage das insbesondere mit Blick auf den Ausbau der beruflichen Bildung. So wichtig uns das duale System ist: Indien muss in Sachen beruflicher Bildung seinen Weg, der möglicherweise ein anderer ist, gehen. Wir sind immer schnell dabei, anderen Ländern aufzuschwatzen, was wir für gut befunden haben. (Zurufe von der CDU/CSU: Ui! Ui!) Andere Länder nehmen das angesichts der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands auch ganz gerne an. Ich finde, wir täten gut daran, mit etwas mehr Vorsicht und Demut in die Welt zu schauen. (Beifall bei der LINKEN) Dabei sind Beratung und Zusammenarbeit ganz sicher richtig und wichtig, Copy and Paste nicht. Ich wundere mich schon, dass die Grünen hier so wenig kritisches Gespür haben; denn Sie haben ja diesen Antrag mitgezeichnet. Überhaupt müssen wir ein Auge darauf haben, dass die großen Entwicklungsbedarfe in Indien nicht dazu verleiten, dass deutsche Firmen nur den eigenen Mehrwert sehen. Zum Beispiel ist Indien ein Land, in dem gerne Arzneimittelstudien durchgeführt werden. Wir müssen sehr peinlich darauf achten, dass dabei keine schlechteren Standards zugelassen werden, als sie in Europa gelten. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]) Und schließlich – auch da schaue ich die Grünen fragend an –: Wieso findet man eigentlich in dem Antrag an mehreren Stellen Förderangebote für profitorientierte private Bildungsdienstleister, aber kein Wort zu den Möglichkeiten von NGOs? Standen die nicht auf dem Besuchsprogramm? Möglicherweise wollen Sie mit dem Antrag auch nur die famosen Kooperationsbemühungen der Bundesregierung unterstützen und ins öffentliche Bewusstsein bringen. Das ist sicher gut. Mir allerdings würde das nicht reichen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Simone Raatz hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Simone Raatz (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn Frau Hein einige kritische Worte gesagt hat, so ist es ganz wichtig, festzuhalten: Alles, was die Kooperation betrifft, insbesondere im Bereich Bildung und Forschung, muss auf Augenhöhe stattfinden. Wir sollten nicht – das haben Sie schon angesprochen – Copy-and-paste machen. Darum geht es uns in unserem Antrag auch nicht. Wichtig ist – das wurde auch bei Ihnen, Frau Hein, und auch bei meinem Kollegen, Herrn Kaufmann, deutlich –, festzuhalten: In der internationalen Zusammenarbeit ist die Kooperation im Bereich Bildung und Forschung ein ganz wichtiges Element. Ich glaube, das wird manchmal in den Debatten vergessen. Hier macht Deutschland enorm viel. Wir leisten viel, ohne immer darauf zu sehen, welchen Mehrwert es für uns hat, sondern es geht darum, den interkulturellen Austausch und im Endeffekt die gegenseitige Zusammenarbeit zu festigen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht bei den Kooperationen nicht nur um den Austausch von Wissen, Ideen und Erkenntnissen – natürlich steht das im Fokus –, sondern es geht auch darum, den interkulturellen Austausch zu stärken, bestehende Netzwerke zu festigen und neue zu knüpfen. Deswegen war eine kleine Delegation unseres Ausschusses für Bildung und Forschung vor einigen Monaten in Indien, um zu sehen, wie unsere Mittel wirken, wohin unsere Mittel fließen, die wir jährlich in den Haushalt einstellen. Natürlich darf man dann auch Fragen stellen, nämlich: Welche Programme laufen gut? Wo ist es sinnvoll, in der Kooperation neue und andere Wege zu gehen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Ergebnis dieser Reise ist der vorliegende Antrag „Deutsch-indische Bildungs- und Wissenschaftskooperation ausbauen“ – das kann man auch an der Medienwand lesen – als gemeinsame Initiative von Union, SPD und Grünen entstanden. Ich muss sagen: Ich bin besonders unseren Kollegen von den Grünen dankbar, dass sie diesen Antrag inhaltlich mitgestaltet und mitgetragen haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dank an alle, die sich hier beteiligt haben. Das waren nicht nur die Mitglieder der Delegation, sondern auch viele andere Kollegen, auch wenn sich das hier in den Reihen nicht so widerspiegelt. Es haben sich Kollegen aus unserem Ausschuss, dem Wirtschaftsausschuss und Kollegen, die sich mit auswärtiger Bildungsarbeit beschäftigen, beteiligt. Im Endeffekt ist hier eine runde Sache entstanden. Darum, wie gesagt: Danke an alle Beteiligten und Danke an unsere Fraktionsspitzen, die uns bei unserem Projekt ganz rege unterstützt haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Diese große Übereinstimmung in den Inhalten des Antrags ist gut für unser parlamentarisches System. Man sollte das nicht immer negativ sehen. Es ist doch auch schön, wenn man einmal Anträge verabschiedet, bei denen wir uns weitestgehend einig sind. Natürlich kann man Kritik üben. Wenn man aber sagt, die Mehrheit der Punkte tragen wir gemeinsam, dann, denke ich, ist das gut und wichtig für die Sache selbst, insbesondere für die weitere Stärkung der Zusammenarbeit mit Indien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kaum ein anderes Schwellenland – ich glaube, Herr Kaufmann ist auch schon darauf eingegangen – investiert so viel in Bildung und Forschung wie Indien. Als weltweit größte Demokratie ist Indien auch für uns ein verlässlicher Partner mit einem vielfältigen Potenzial zur Kooperation. Allein bei Betrachtung des indischen Hochschulsystems wird die rasante Entwicklung des Landes deutlich: Die Zahl der Studierenden ist zwischen 2009 und 2015 von 12 Millionen auf knapp 30 Millionen gestiegen. In dieser Zeit hat sich auch die Zahl der indischen Studierenden in Deutschland mehr als verdoppelt. Damit bildet gerade diese Gruppe eine der größten Gruppen ausländischer Studierender hinter China und Russland. Es ist aber auch festzustellen – mein Kollege Herr Kaufmann hat es eher positiv gesehen; ich würde sagen, hier können wir vielleicht noch einen Tacken zulegen –, dass Deutschland für indische Bachelor-Studierende bisher kaum attraktiv ist. Um hier den Austausch zu verbessern, fordern wir in unserem Antrag, das erfolgreiche Programm „Working Internships in Science and Engineering“ weiter auszubauen. Ziel ist es dabei, den Bachelorstudierenden ein Stipendium zugutekommen zu lassen, damit sie ein Praktikum an einer unserer Forschungseinrichtungen oder einer Hochschule machen können. Genauso – darauf müssen wir gemeinsam mit dem DAAD hinwirken – muss es mehr deutsche Studierende geben, die sich für einen Studienaufenthalt in Indien interessieren. Während – Sie haben die Zahlen genannt – 2014  9 200 indische Studierende an unseren Hochschulen eingeschrieben waren, waren nur 730 deutsche Studenten – wir haben es im Antrag auf 1 000 aufgerundet – in Indien. Das ist nicht einmal ein Zehntel. Ziel muss sein, dass der Austausch in beide Richtungen etwa gleich hoch ist. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]) Natürlich müssen die Hochschulsysteme auch attraktiv sein. Ich glaube, dass Indien auf einem sehr guten Weg ist. Gerade im Bereich Mathematik und Informatik könnte der Austausch wesentlich besser sein. Bereits heute besteht in Deutschland ein Fachkräftemangel. Wir wissen, dass der Fachkräftemangel im Zuge der Digitalisierung weiter zunehmen wird. Schon jetzt fehlen rund 40 000 IT-Experten. Ich habe gehört, dass derzeit bei uns 17 000 Menschen Informatik studieren. Das ist viel zu wenig. Da merkt man ja schon, dass hier eine Lücke klafft. Damit sind wir im Moment auf die Ressourcen solcher Länder wie Indien angewiesen. Das haben wir auch deutlich gesehen, als wir in Bangalore, der IT-Hochburg, waren, wo über 200 deutsche Unternehmen wie Siemens, Allianz und Infineon, also die großen, bereits mit Tochterunternehmen und Vertretungen unterwegs sind, um von den indischen IT-Spezialisten zu profitieren. Die Zahl der Spezialisten, auf die wir da bauen, ist nicht im Hunderterbereich, sondern im Tausenderbereich. Umso wichtiger ist es, dass wir den Studierenden- und Wissenschaftleraustausch im MINT-Bereich intensivieren. Das muss in enger Zusammenarbeit – es wurde schon gesagt – mit der DFG, dem DAAD und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung erfolgen; denn wir müssen international wettbewerbsfähig bleiben. Das ist, wie gesagt, ein wichtiger Punkt unseres Antrags. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Gerade in Zeiten, in denen populistische Parteien an Zuspruch gewinnen und in denen Vorurteile gegenüber anderen Kulturen zunehmen, ist es umso wichtiger, dass wir in allen Bereichen, auch im Bildungs- und Wissenschaftsbereich, den Austausch mit anderen Nationen verstetigen und intensiv pflegen. Das tun wir heute mit dem Antrag zur deutsch-indischen Kooperation. Ich denke, das ist ein wichtiges Zeichen. Wir werden daran arbeiten, dass gerade die Kooperationen im Bereich Bildung und Forschung weiter aktiviert und intensiviert werden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kai Gehring erhält das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Indien wird bisweilen unterschätzt, und das völlig zu Unrecht. Das Land steht an der Schwelle, ein richtig wirkungsmächtiger Global Player zu werden. Es ist darum ein ganz wichtiges Signal, dass wir diese Debatte der deutsch-indischen Zusammenarbeit in Bildung und Forschung widmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Sehr viele Projekte und Initiativen gibt es bereits, wie unser gemeinsamer Antrag deutlich macht. Danke an Simone Raatz für den Anstoß, danke den anderen Berichterstattern für das sehr konstruktive Miteinander. Es ist gut, dass wir uns interfraktionell einig sind, Kooperationen zu verstetigen und Positives auszubauen. Das Interesse an mehr Kooperationen in Bildung und Forschung ist riesengroß; das haben unsere indischen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, von NGOs bis hin zu Spitzenforschern, während der Delegationsfahrt unseres Ausschusses klar an uns herangetragen. Dieses Angebot nehmen wir gerne an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Indien ist ein dynamisches und quirliges Land – aufstrebend, bildungsaffin, wissbegierig, innovativ und mit immensen Potenzialen bei Technologie, Talenten und Kreativität. Soziale Spaltung, eklatante Armut und Defizite bei Good Governance sind als Probleme erkannt und müssen in Indien mit Nachdruck beackert werden. Als aufstrebendes Schwellenland setzt Indien auf Wachstum und Wohlstand und braucht vor allem in den Millionenmetropolen dringend mehr Umwelt- und Klimaschutz für mehr Lebensqualität. Indien ist die größte Demokratie der Welt – auch ein sehr wichtiger Faktor. Damit schützt Indien demokratische Rechte und Werte, die zum Beispiel in China fehlen und in Russland und der Türkei massiv unter Druck stehen, Werte wie Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit, die auch wir leben und unterstützen. Auch deshalb ist dieser Antrag so wichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Denn diese Werte bilden den fruchtbaren Boden für eine lebendige Zivilgesellschaft. Die Vielfalt und die immense Mehrsprachigkeit in Indien fördern kreatives Denken und selbstbewusste Bürgerschaft. Dieser Weg wird sich langfristig als viel erfolgreicher erweisen als der Weg einer Diktatur. Das macht den Austausch auch in der Außenwissenschaftspolitik umso wertvoller. Auch deswegen ist diese Antragsinitiative so wichtig, auch deswegen haben wir sie gerne aktiv mitgestaltet. Deutschland möchte ein verlässlicher Partner Indiens sein. Wir bieten unsere Unterstützung bei der Bewältigung der großen Herausforderungen an, vor denen dieses Land steht. Eine Herausforderung ist die große Nachfrage nach Energie. Über 300 Millionen Menschen in Indien haben keinen zuverlässigen Zugang zu Strom. Das ist so, als wenn in den gesamten USA das Licht ausginge. Im Kampf gegen diese Energiearmut setzt Indien leider vor allem auf Kohlekraft, obwohl die Regierung weiß, dass dies zu noch mehr Smog und noch mehr Treibhausgasen führt. Auch die Atomkraft ist wegen der Sicherheitsrisiken und der ungeklärten Frage der Endlagerung problematisch. Umso erfreulicher und umso unterstützenswerter ist es aber für uns als deutsches Parlament, dass die indische Regierung zunehmend auch auf erneuerbare Energien setzt. Bis 2022 will die indische Regierung Solaranlagen mit einer Leistung von 100 Gigawatt aufbauen. Deutschland hat bereits einen bedeutenden Anteil an Erneuerbaren. Unsere Erfahrung mit der Energiewende und mit verantwortlicher Energieforschung teilen wir gerne. Ein Green New Deal wäre für die indische Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt ein großer Gewinn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Eine weitere Herausforderung sind neue Jobs. Pro Jahr kommen 12 bis 13 Millionen Jugendliche auf den indischen Arbeitsmarkt; das muss man sich einmal vorstellen. Um die unterzubringen, um diesen jungen Menschen Perspektiven zu geben, ist das duale System unserer Berufsausbildung mit seiner Verknüpfung aus Theorie und Praxis ein sinnvoller Weg, zumal es in Indien so viele kleinste, kleine und mittlere Unternehmen gibt. Das duale System kann helfen, kann Vorbild sein, eine flexible und innovative Facharbeiterschaft auszubilden. Hierbei bringen wir unsere Erfahrungen sehr gerne weiter ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Eine etablierte stabile Säule der deutsch-indischen Freundschaft ist der Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern, und die Zahlen steigen. Mittlerweile sind Inder die drittgrößte Gruppe unter den internationalen Studierenden hierzulande. Das ist überraschend und beeindruckend. Umgekehrt geht noch etwas: Mehr Deutsche sollten in Indien studieren. Zahlreiche Hochschulen sowie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sind in Indien aktiv. Das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus in Neu-Delhi ist eine sehr wichtige Adresse für den Austausch, dessen Finanzierung wir auch künftig sicherstellen wollen. Gleiches gilt für die Ausstattung der deutschen Schule in Neu-Delhi. Zusammen mit der Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“, PASCH, und dem Programm „Deutsch an 1 000 Schulen“ wecken wir Interesse am modernen Deutschland, das sich weltoffen und vielfältig präsentiert. Danke daher an alle Mittlerorganisationen, die hervorragend arbeiten und unser Bild als Wissensnation dort prägen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir wollen Freunde Deutschlands in der Welt gewinnen. Wir wollen die deutsch-indische Kooperation in Bildung und Forschung ausbauen. Gemeinsam sind unsere beiden Demokratien stärker, Lösungen für die soziale und ökologische Modernisierung unserer Welt und unserer Länder zu finden und zu etablieren. Unser Antrag unterstreicht das breite bildungs- und forschungspolitische Fundament hierfür. Die erfreuliche Botschaft ist: Regierung und Parlament sind sich einig, dass wir das noch verbreitern wollen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Thomas Feist für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Genauso verstehe ich parlamentarische Arbeit: Wir haben angeregt, die deutsch-indische Kooperation auszubauen, die Bundesregierung hat das übernommen und nach einiger Zeit schauen wir: Wo stehen wir? Was können wir vielleicht noch besser machen? Wo sollten wir neue Schwerpunkte setzen? – Genau das ist das Ziel unseres vorliegenden Antrages, in dem es nicht nur um Wissenschaftskooperationen geht, sondern vor allen Dingen auch um Bildungskooperationen. Auf diese möchte ich kurz eingehen. Die Zahlen sind schon mehrfach genannt worden, aber es ist trotzdem immer wieder erstaunlich: Monat für Monat drängen 1 Million junge Menschen in Indien auf den Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt. Es ist wichtig, diesen jungen Menschen Perspektiven zu geben. Frau Hein, natürlich machen wir das auf Augenhöhe; denn auch wir können aus der beruflichen Bildung dort etwas lernen. Die Regierung in Indien hat zum Beispiel ein eigenes Ministerium für die Kompetenzentwicklung und die berufliche Bildung eingerichtet. Das heißt, dass der Stellenwert der beruflichen Bildung in Indien sehr hoch angesiedelt ist. Dass dieser Stellenwert der beruflichen Bildung so wichtig ist, das haben wir gestern im Zusammenhang mit dem Berufsbildungsbericht diskutiert. An Indien sollten wir uns durchaus ein Beispiel nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Zweite ist: Wie macht die indische Regierung das? Die indische Regierung hat dafür gesorgt, dass das zuständige Ministerium eine Kampagne über den Wert einer dualen Berufsausbildung initiiert; denn anders als bei uns oder in anderen deutschsprachigen Staaten hier in Europa ist es so, dass die Arbeit mit den Händen und mit dem Kopf – das möchte ich hinzufügen – in Indien keine Selbstverständlichkeit ist; vielmehr versucht man, durch ein akademisches Studium einen bestimmten Status zu erreichen. Diese Idee ist in Deutschland mittlerweile nicht mehr ganz fremd, aber in Indien sehr verbreitet. Dort setzt man auf authentische Vorbilder. Authentische Vorbilder heißt – das konnten wir uns vor Ort in Indien anschauen –, dass man diejenigen Auszubildenden mit besonderen Ergebnissen, mit besonderen Leistungen oder auch mit besonderen Biografien herausstellt, die belegen, dass man eben auch aus einer unteren Kaste heraus den Aufstieg erreichen und damit für sich und seine Familie ein sicheres Fundament des Lebens in Indien schaffen kann. Diese guten Beispiele werden also besonders herausgehoben. Ich denke, davon können wir lernen: Wir brauchen auch in Deutschland authentische junge Leute, die davon reden, was duale Berufsausbildung für sie und ihr Leben bedeutet. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht bei Kooperationen immer um Gegenseitigkeit. Wir haben das in Bangalore gesehen. Gerade im IT-Bereich – Kollegin Raatz ist darauf eingegangen – sind dort viele große deutsche Unternehmen vor Ort präsent, und man sieht, was im Bereich IT möglich ist, nämlich wirklich die globalisierte Welt zu erfahren. Ich habe das an einem Beispiel gesehen. Wir waren dort bei einer Firma, deren Namen ich jetzt nicht nenne, weil ich sonst alle anderen auch nennen müsste, die sich darauf spezialisiert hat, Messinstrumente zu entwickeln und damit technische Überwachungen von Prozessen zu übernehmen. Dort habe ich auf einem Monitor ein Bild gesehen, das mir recht bekannt vorkam. Es hatte etwas mit einem Auto zu tun, das in Leipzig produziert wird. Ich habe den jungen Mann gefragt, was er denn da mache, und er sagte: Ja, ich kontrolliere hier die Endfertigung dieses Wagens der gehobenen Klasse, der in Leipzig produziert wird. – Das ist wirklich erstaunlich. Wichtig ist bei der Kooperation nicht nur, dass deutsche Firmen davon profitieren, wenn sie in Indien investieren. Vielmehr ist für mich auch ganz entscheidend, dass wir – wie dieses Beispiel zeigt – den jungen Leuten in Indien eine Perspektive geben; denn darauf kommt es an. Es kommt nicht nur auf den Mehrwert für die deutsche Wirtschaft an, sondern auch darauf, dass wir jungen Leuten in Indien und anderswo eine Perspektive geben, und dafür ist das ein gutes Beispiel. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist angesprochen worden, welche Schwerpunkte wir setzen. Ich halte es auch für sehr gut, dass wir in diesem interfraktionellen Antrag, den wir mit den Grünen gemeinsam eingebracht haben, Punkte herausgearbeitet haben, die nicht nur für Deutschland, sondern auch für Indien ganz besonders wichtig sind. Zwei wichtige Themen möchte ich am Schluss noch herausgreifen. Eines davon ist die Infrastruktur. Wenn man in Indien unterwegs ist, so erlebt man etwas, wogegen der größte Berliner Stau wirklich lachhaft ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir überlegen: Welche Mobilitätskonzepte brauchen diese Städte dort, aber auch welche Infrastrukturkonzepte? – Da kommt wieder die duale Ausbildung ins Spiel, weil man in einer dualen Ausbildung natürlich nicht nur einen Arbeitsgang erlernt, sondern auch etwas über Arbeitsschutz, Umweltschutz und Nachhaltigkeit lernt. Deswegen ist es wichtig, dass wir dies auch in unserer bilateralen Kooperation verstärken. Wie tun wir das? Wir können natürlich jetzt nicht die Hälfte der 1 Million junger Inder, die jeden Monat auf den Arbeits- und auf den Ausbildungsmarkt drängen, nach Deutschland holen und sie hier ausbilden. Das würde überhaupt gar keinen Sinn ergeben. Deswegen müssen wir effektiv und zielgerichtet vorgehen. Zielgerichtet vorzugehen heißt, dass wir das Programm „Train the Trainer“ besonders unterstützen. „Train the Trainer“ heißt, dass wir besonders gute Ausbilder nach Deutschland holen oder sie auch vor Ort fortbilden, und zwar nach deutschen Kriterien, und auch mit einem deutschen Zertifikat ausstatten; denn damit können wir auch etwas für das Image der beruflichen Bildung tun. Ein deutsches Zertifikat ist in Indien viel wert, und wenn wir dies noch verstärken können, wäre das eine gute Sache – für Deutschland und für Indien. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Swen Schulz ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Swen Schulz (Spandau) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Internationale Zusammenarbeit ist von elementarer Bedeutung, auch und gerade in der Wissenschaft. Das hier zu betonen, kommt mir fast schon etwas merkwürdig vor; schließlich handelt es sich um eine Binsenweisheit, eine Selbstverständlichkeit. Doch vor dem Hintergrund so mancher Debatte in Deutschland gerade in den letzten Monaten betone ich: Wir sind auf internationale Zusammenarbeit angewiesen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nur so können wir globale Probleme lösen, nur so sichern wir Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, nur so werden wir unserer Verantwortung für die Menschheit gerecht. Dass wir als Bundestagsdelegation in Indien waren, ist im Internet verschiedentlich kritisiert worden. Ich will hier klar sagen: Wer meint, die Abgeordneten sollten in Deutschland bleiben und sich um deutsche Wissenschaft kümmern, der hat nichts kapiert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wer sich nur auf Deutschland bezieht, ist geistig arm, verpasst den Anschluss und wird aus seiner nationalen Träumerei böse erwachen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung hat das schon lange erkannt und einen Aktionsplan „Internationale Kooperation“ aufgelegt. Ein Partnerland ist Indien. Das kann schon angesichts der schieren Größe und des Bevölkerungsreichtums dieses Landes auch gar nicht anders sein. Wir wollen mit dem vorgelegten Antrag einen Impuls geben, die deutsch-indische Kooperation weiter auszubauen. Gerade was die Entwicklung Indiens anbetrifft – das ist vor Ort tatsächlich sehr deutlich zu spüren –, gibt es gewaltige Chancen, aber auch riesige Herausforderungen. Dieses Land ist in einigen Bereichen wissenschaftlich führend und bekommt doch anscheinend einfache und grundlegende Dinge wie die Müllentsorgung nicht hin. Indien ist wichtiger Exporteur von Hochtechnologieprodukten, aber auch ein Land, bei dem es nicht viel Fantasie braucht, um sich vorzustellen, dass sich 100 oder 200 Millionen Menschen auf den Weg nach Europa machen. Umso wichtiger ist es, dass wir auch im Bereich Bildung und Wissenschaft die Zusammenarbeit forcieren. Ich will an einem Beispiel illustrieren, was das konkret heißt. Kai Gehring hat schon auf die Energiethematik abgehoben. Deutschland gehört in Sachen Sonnenenergienutzung tatsächlich zu den führenden Nationen. Um dieses Wissen für die Energieerzeugung in Indien optimal zu nutzen, ist eine Anpassung an die besonderen klimatischen Bedingungen sinnvoll. In einem gemeinsamen Projekt haben das Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme und die Schott Solar AG aus Mainz gemeinsam mit indischen Partnern angepasste technische Lösungen entwickelt. Wenn das am Ende so funktioniert wie erhofft, gibt es lauter Gewinner: Erstens wird in Indien konkret geholfen. Zweitens wird die Umwelt geschützt. Drittens lernen auch die deutschen Partner. Viertens wird Werbung für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland betrieben. Fünftens ergibt sich ein großes Marktpotenzial für das deutsche Unternehmen. Besser geht es doch nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei allem Positiven will ich auch nicht verschweigen, dass es die eine oder andere Verbesserungsmöglichkeit gibt. Lassen Sie mich drei Punkte aus dem Antrag ansprechen: Erstens. Es muss klar sein, dass das DWIH, das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus, in Neu-Delhi seine Arbeit fortsetzen kann. Diese Häuser gibt es auch in anderen Metropolen. Sie funktionieren vielleicht nicht überall gleich gut, von dem Haus in Indien haben wir jedenfalls einen ausgesprochen starken Eindruck erhalten. Es wäre ein Rückschlag, wenn das DWIH seine Arbeit aufgrund von Schwierigkeiten andernorts einstellen müsste. Also, wie immer es mit diesen Häusern weitergeht: Mit dem DWIH in Indien soll es weitergehen. Zweitens. Wir haben Hinweise erhalten, dass bei der Ausgestaltung der Hochschulkooperationen die Fachhochschulen strukturell das Nachsehen haben könnten. Diese Sorge nehmen wir ernst. Internationale Kooperation ist nicht nur etwas für Universitäten. Vielmehr haben auch die Fachhochschulen ganz besondere Fähigkeiten, die im Ausland gebraucht werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Drittens. Die Kooperation kann sich nicht nur auf den technisch-naturwissenschaftlichen Bereich erstrecken. Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind ebenso bedeutend. Wir haben das in Indien bei jeder möglichen und auch unmöglichen Gelegenheit angesprochen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!) Es ist klar, dass unsere indischen Partner da nicht so enthusiastisch sind und das BMBF immer wieder vor Probleme stellen. Natürlich können wir auch nicht eine Art Zwangsbeglückung durchführen. Aber wir ermutigen das BMBF, immer wieder und kontinuierlich auf den Ausbau der gemeinsamen geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung zu drängen; denn ohne wird die deutsch-indische Kooperation unvollständig bleiben und entscheidende Fortschrittspotenziale werden nicht erschlossen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so sind wir unserer Meinung nach auf einem guten Weg. Wenn nun bald die versprochene Evaluierung der Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung kommt, werden wir die Diskussion auch über Kooperationen mit anderen Länder führen und diese auch noch intensivieren können. Darauf freue ich mich. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Claudia Lücking-Michel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! „A New Passage to India“ – damit war ursprünglich die Schiffsroute gemeint, zu der im 15. Jahrhundert Vasco da Gama aufgebrochen ist. Heute ist dies der anschauliche Name eines DAAD-Förderprogramms. Wir haben es gehört: Im 21. Jahrhundert reisen wir nicht mehr mit dem Segelschiff, sondern – Beispiele gab es ja viele – wir finanzieren Stipendien für Studierende und Wissenschaftler, wir fördern bilaterale Kontakte in Wissenschaft und Wirtschaft, wir fördern das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus und engagieren uns in der Berufsbildung. Warum sind internationale Kooperationen gerade in Bildung, Wissenschaft und Forschung so wichtig und gerade und besonders mit aufsteigenden Wissenschaftsnationen wie Indien? Am Ende der Debatte will ich versuchen, das etwas grundsätzlicher zu beantworten oder zusammenzufassen. Drei Gedanken: Erstens. Kollege Schulz hat es gerade als Binsenweisheit bezeichnet, aber man kann es nicht häufig genug wiederholen: Wissenschaft lebt vom Austausch verschiedener Denkweisen und neuer Ideen. Wissenschaftlicher Fortschritt und echte Spitzenforschung sind überhaupt nur möglich, wenn sie international aufgestellt sind. Nur wer sich mit Neugier auf die Reise über nationale Grenzen hinaus begibt, gelangt zu Spitzenergebnissen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit zunehmender Globalisierung findet Wissenschaft aber auch in einer zunehmenden Dualität statt: Der Wettstreit um innovative Ideen erfolgt auf der einen Seite in Konkurrenz und auf der anderen Seite in Kooperation zwischen den Nationen der Welt. Gute Wissenschaftspolitik tut gut daran, dazwischen eine Balance zu suchen. So wollen wir unseren Wissenschaftsstandort hier bei uns stärken und müssen gerade deswegen immer nach neuen Partnern für internationale Zusammenarbeit suchen. Ein zweiter Gedanke. Internationaler Austausch ist so wichtig, weil er nicht nur zu akademischer Qualifikation, sondern zur Persönlichkeitsbildung insgesamt beiträgt. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen, dass Studierende nach Auslandsaufenthalten offener sind für weitere neue Erfahrungen. Altruismus, Vertrauen und Entgegenkommen sind bei ihnen stärker ausgeprägt. Sie haben in dieser Zeit nicht nur länderspezifische Kompetenzen erworben, sondern sind junge Menschen, die gelernt haben, mit Gegensätzen umzugehen, mit Gegensätzen, die einem begegnen, wenn Kulturen, Traditionen, Werte in einer globalisierten Welt aufeinandertreffen. Oder man kann auch sagen, es sind junge Menschen, die Differenzerfahrung gemacht haben, das heißt, die ihre eigene Herkunft auch von einer Außenperspektive betrachtet haben, ihre eigenen Sichtweisen infrage stellen lassen und den Dialog mit anderen dann hoffentlich respektvoll führen können. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An Bord unseres Schiffes heute brauchen wir mehr denn je eine solche Mannschaft, die in einem globalen Horizont denken und handeln kann. Umgekehrt besetzen viele der Deutschland-Alumni der Förderorganisationen DAAD oder Humboldt-Stiftung heute Schlüsselpositionen in Verwaltung und Wissenschaft ihrer Heimatländer. Das ist natürlich auch ein gutes Potenzial für tragfähige Zusammenarbeit. Darum ist es so wichtig, wenn das Programm „A New Passage to India“ fortgeführt wird, mit dem das Interesse auf beiden Seiten, in Indien und in Deutschland, ja gerade besonders gefördert wurde, mit dem wir Brücken zwischen Deutschland und Indien bauen. Drittens. Wir wissen es alle, Wissenschaft spielt bei der Formulierung zukunftsfähiger Lösungen für unsere Welt eine zentrale Rolle. Antworten auf die globalen Herausforderungen können wir nur in internationaler Zusammenarbeit und gemeinsamer Verantwortung finden. Das Ziel der Reise ist damit klar: Es geht nicht um einen Nord-Süd-Transfer von wissenschaftlichem Know-how, nicht um Nachhilfe, nein, es geht um gemeinsamen Erkenntnisgewinn. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Internationale Forschungskooperation ist nicht reiner Eigennutz, aber auch nicht uneigennützige Aufbauhilfe für andere, sondern hier geht es um gemeinsamen Nutzen für alle. Wir brauchen natur- und ingenieurwissenschaftliche Forschung für die drängenden Probleme. Die Stichworte sind gefallen. Das Spektrum reicht von Abfallwirtschaft über erneuerbare Energien und hört bei nachhaltiger Stadtentwicklung noch lange nicht auf. Mir ist aber wichtig, zu betonen: Wir brauchen auch und gerade die Geisteswissenschaften. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sind wichtig; denn sie deuten die Herkunft aus, bieten Orientierung und reflektieren Kriterien und Maßstäbe von Modernisierungsprozessen. Darum begrüße ich ganz besonders das deutsch-indische Projekt des „M. S. Merian – R. Tagore Centre“ für sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag zeigt: Wir segeln auf der „New Passage“ mit einem seetüchtigen Schiff, einer starken Mannschaft und viel Proviant. Mit unserem Antrag wollen wir jetzt unsere Segel noch stärker am Wind ausrichten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 18/8708 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Nach der großen Einmütigkeit in der Debatte vermute ich stark, dass auch diese Überweisung nicht auf heftigen Widerstand stößt. – Das ist so. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann kommen wir jetzt zu den Tagesordnungspunkten 29 a bis 29 c: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG) Drucksache 18/7616 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens erleichtern – Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG) Drucksache 18/7617 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: Umsetzung des Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG) Drucksache 18/7618 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Auch hier ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine Aussprache von 38 Minuten vorgesehen. – Allgemeines Einvernehmen. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile der Kollegin Mihalic das Wort. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor 60 Jahren wurde im Zuge der Gründung der Bundeswehr auch die Position eines Wehrbeauftragten beim Deutschen Bundestag verankert. Damals ging die Initiative von der SPD aus, genauer gesagt vom Abgeordneten Ernst Paul. Natürlich gab es anfangs auch kritische Stimmen – das ist ja völlig klar – von allen Seiten, unter anderem aus der Union, aber auch von einigen Generälen, der Wehrbeauftragte sei ein Ausdruck des tiefen Misstrauens gegenüber dem Militär; er sei ein unnützes Institut und würde den ohnehin vorhandenen Papierkrieg noch weiter verstärken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Zusammenhang mit einem Polizeibeauftragten kommen mir diese Argumente irgendwie bekannt vor. Natürlich steht der Wehrbeauftragte – das ist unstrittig – historisch in einem völlig anderen Kontext. Aber ich denke, heute herrscht große Einigkeit darüber, dass der Wehrbeauftragte eine bundesrepublikanische Erfolgsgeschichte ist. Es ging von Anfang an ein wichtiges Signal von dieser Institution aus: Bei der Bundeswehr zählen nicht nur Befehl und Gehorsam, sondern sie ist Teil dieser Gesellschaft, und Soldatinnen und Soldaten sind Bürgerinnen und Bürger, wenn auch in Uniform. Eine solche vertrauensstiftende Maßnahme wünschen wir uns auch für die Polizei. Aber es fehlt im Bund ein Äquivalent zum Wehrbeauftragten für die Kontrolle des Gewaltmonopols im Innern. Genau deshalb schlagen wir Grünen die Schaffung der Stelle eines Polizeibeauftragten beim Deutschen Bundestag vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Als die Ergebnisse des ersten NSU-Untersuchungsausschusses vorgelegt wurden, wurde in diesem Hause mit großer Geschlossenheit eine mangelnde Fehlerkultur auch bei den Polizeibehörden festgestellt. Dabei sind wir uns sicher einig, dass die pure Forderung „Steht zu euren Fehlern!“ de facto nichts verändern wird. Nein, wir brauchen dazu Instrumente, die einen angemessenen Umgang mit Fehlern ermöglichen, um auch für die Zukunft daraus zu lernen. Deshalb brauchen wir eine unabhängige Instanz außerhalb polizeilicher Hierarchien, bei der sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Polizistinnen und Polizisten Hinweise und Kritik, gegebenenfalls auch vertraulich, vorbringen können. Der Polizeibeauftragte hat dann die Möglichkeit, die Eingaben völlig unabhängig zu prüfen. Er arbeitet dabei selbstverständlich immer eng mit den Personalvertretungen zusammen, die schon heute eine enorm wichtige Arbeit leisten, und vor dem Bundestag soll er regelmäßig über seine Arbeit berichten, sodass wir im Parlament die Gelegenheit haben, wenn es nötig ist, politisch nachzusteuern. Wie wichtig ein solcher unabhängiger Polizeibeauftragter wäre, sehen wir in der aktuell angespannten Sicherheitslage immer wieder. Ich erinnere zum Beispiel an die Vorfälle bei der Bundespolizeidirektion in Hannover, bei denen es um Folter- und Nötigungsvorwürfe ging. Diese sollen nun zum Glück aufgeklärt sein. Aber hier erfolgten viel zu spät Hinweise eines Polizisten, vermutlich aus Angst vor Konsequenzen für die eigene Berufslaufbahn. Oder nehmen wir die Kölner Silvesternacht als Beispiel, wo sich Beamte der Bundespolizei aus Mangel an unabhängigen Ansprechpartnern mit ihrer Einsatzkritik lieber gleich an die Bild-Zeitung gewandt haben. Es fällt mir schwer, diese Leerstelle in der Sicherheitsarchitektur zu akzeptieren. Das sage ich auch und gerade als ehemalige Polizistin. Ich weiß, dass fraktionsübergreifend einige Kolleginnen und Kollegen ähnlich denken und dass viele Polizistinnen und Polizisten, mit denen ich in den letzten Jahren gesprochen habe, das genauso sehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Sowohl die Linke als auch die SPD-Fraktion bewerten eine solche Institution schon länger als grundsätzlich positiv, auch wenn es im Detail sicherlich noch einige Differenzen gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie haben sich zwar bisher eher skeptisch gegeben. Aber in Baden-Württemberg richten wir nun eine solche Stelle gemeinsam ein. Von der Union in Niedersachsen kam bereits eine ähnliche Forderung. Ich denke, Sie unterstellen nicht, dass Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen kein Vertrauen zur Polizei haben. Der Polizeibeauftragte jedenfalls schafft Vertrauen sowohl bei der Polizei als auch bei den Bürgerinnen und Bürgern. Heute ist die erste Lesung unseres Gesetzentwurfs. Wir wollen uns Zeit nehmen, diese Vorlage ordentlich zu beraten. Wir wollen eine gute Expertenanhörung durchführen sowie alle Details und mögliche Differenzen ganz genau besprechen. Ich wünsche mir, dass daraus am Ende eine gemeinsame Initiative wird und dass wir einen interfraktionellen Antrag oder Gesetzentwurf daraus entwickeln, der hier im Haus eine breite Zustimmung findet. Es wäre doch ein starkes Signal des Parlaments, wenn wir noch vor Ende der 18. Legislaturperiode – 60 Jahre nach Einsetzen des Wehrbeauftragten – gemeinsam die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten auf den Weg bringen. Ich freue mich auf einen konstruktiven Beratungsprozess. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Armin Schuster ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben den vorliegenden Gesetzentwurf natürlich intensiv gelesen. Ich habe ihn geradezu studiert. Für mich als ehemaligen Polizisten ist das ein hochinteressantes Thema. Es gibt allerdings nicht gerade wenige handwerkliche Mängel. Auf diese werden meine Kollegen später wahrscheinlich noch gebührend eingehen. Ich möchte eher ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu dieser Idee machen. Der Umgang mit Beschwerden von Bürgern oder internen Beschwerden ist ein sehr relevantes Thema; das gestehe ich zu. Ich möchte dazu folgende Punkte anmerken. Frau Mihalic, Sie haben gesagt, dass wir eine Kontrolle des Gewaltmonopols brauchen, und haben einen Vergleich mit dem Wehrbeauftragten gezogen. Dieser hatte und hat eine völlig andere Funktion. Die Stelle des Wehrbeauftragten ist aus einer Innenperspektive heraus eingerichtet worden, sozusagen als Anwalt der Soldatinnen und Soldaten, die verpflichtend Wehrdienst leisten mussten, ob sie wollten oder nicht. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: So ist es! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So soll der Polizeibeauftragte auch verstanden werden!) Das war nach innen gerichtet. Der Wehrbeauftragte nimmt gar keine externen Beschwerden zur Kenntnis; das ist nicht seine Aufgabe. Deshalb hinkt der von Ihnen gezogene Vergleich völlig. Er ist fast irreführend. Das ist Ihrerseits kein gutes Argument. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ein schlechtes Argument!) Wenn wir untersuchen, ob wir eine solche Stelle einrichten sollen, müssen wir die Frage beantworten: Brauchen wir ihn wirklich, und welche anderen Beauftragten gibt es schon? Ich habe mir die Mühe gemacht, das einmal aufzulisten: Erstens, die Personalvertretung. Sie ist sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag ansprechbar; so habe ich es selbst erlebt. Frau Mihalic, aufgrund Ihrer Nähe zur Bundespolizeigewerkschaft nach den letzten Wahlen verstehe ich nicht, dass Sie so misstrauisch sind und offenbar glauben, dass diese ihren Auftrag nicht wahrnehmen können. Die Vertretungen glauben jedenfalls, dass sie das sehr gut können. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können das auch gut!) Zweitens gibt es den Dienstweg mit dem Remonstrationsrecht, drittens den Beschwerdeweg, der heute in allen Bundespolizeibehörden an einer eingerichteten Beschwerdestelle endet, viertens Petitionsausschüsse, die es in Land und Bund gibt – ich vermute, dass Günter Baumann noch etwas dazu sagen wird –, fünftens die Innenrevision, über die heutzutage jede Behörde selbstverständlich verfügt, sechstens den Sozialmedizinischen Dienst, siebtens die katholische und evangelische Seelsorge, die es in der Bundespolizei gibt, und zwar sogar sehr breit angelegt, achtens die Gleichstellungsbeauftragte, neuntens die Beauftragte für gleichgeschlechtliche Lebenspartner oder Lebensweisen. Zehntens. Die Bundespolizei hat 2015 eine Vertrauensstelle eingerichtet exklusiv für die Bearbeitung interner und externer Beschwerden. Frage: Braucht es jetzt einen elften Beauftragten, oder brauchen wir eher einen Lotsen, um bei den zehn Beauftragten durchzublicken? (Beifall bei der CDU/CSU) Ich mag mich gar nicht in die Rolle eines Präsidenten versetzen, der das managt. Insofern: Ein Blick in die Realität hilft immer. Es gibt unter 200 Beschwerden pro Jahr bei der Bundespolizei – diese Zahl entnehme ich bewusst Ihrem Gesetzentwurf; ich glaube, Sie schreiben dort von 182 Beschwerden – bei – jetzt nehme ich wieder eine für Sie günstige Zahl – 2,5 Millionen Kontrollen, bei denen in jedem Fall ein Bürger betroffen ist. Wenn Sie, wie es die Profis tun, 200 Beschwerden und 2,5 Millionen Kontrollen, also Bürgerkontakte, ins Verhältnis setzen, dann kommen Sie auf eine Zahl von 0,00014 Prozent Beschwerden. Jede Organisation in Deutschland wäre begeistert, wenn sie eine solche Beschwerdequote hätte. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist ein unglaublich guter Wert. Die vor einem Jahr eingerichtete Vertrauensstelle bei der Bundespolizei hat bis jetzt 40 Fälle – Sie haben mit dem, was Sie in dieser Diskussion gesagt haben, nicht unrecht – bekommen, 10 davon mit strafrechtlicher Relevanz, einige davon mit Disziplinar- und Folgemaßnahmen. Auch das hat sich bereits bewährt. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erfährt niemand!) Mein Fazit. Im Ziel sind wir uns einig: bürgernahe Polizei, rechtskonforme hohe Qualität, vor allem bei Eingriffen. Im Weg sind wir uns nicht einig, vielleicht kann man auch sagen: noch nicht einig. Wir haben keinen Beschwerdenotstand. Wir haben keine überbordenden Missstände in den Behörden. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon spricht auch keiner!) Wir haben eher das Gegenteil, und trotzdem wählen Sie eher den Weg des Misstrauens. Ich zitiere einmal aus Ihrem Gesetzentwurf: Gerade in angespannten Situationen kann es dazu kommen, dass im Bürgerkontakt gesetzliche Grenzen überschritten, unverhältnismäßige Gewalt ausgeübt, Menschenrechte verletzt oder einzelne Bürgerinnen und Bürger – häufig im öffentlichen Raum – diskriminiert oder unangemessen behandelt werden. Ich würde Ihnen gerade in dieser Zeit nicht empfehlen, so über Polizeibeamte in Deutschland zu reden. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben gerade jetzt angesichts dieser geringen Beschwerdezahlen viel mehr Vertrauen und viel mehr Zuspruch verdient, gerade aus diesem Haus heraus. Deswegen wähle ich eigentlich lieber den Weg des Vertrauens. Jetzt muss ich fachlich werden – ich will gar nicht politisch argumentieren –: Qualität – die zu wollen, darin sind wir uns so etwas von einig; das können Sie sich gar nicht vorstellen – erzeugt man immer von innen heraus. Qualität kann man nie von außen „erprüfen“. Deshalb lassen Sie uns die 2 Millionen Euro, die Ihr Vorhaben kostet – diese Zahl wird in Ihrem Gesetzentwurf genannt –, lieber dafür investieren, dass sich unsere Behörden aus ihrer inneren Kraft heraus so aufstellen, dass Beschwerden von Bürgern und Beschwerden von Polizeibeamten in den Arbeitsprozessen der Behörden systematisch und professionell behandelt werden. Ich sage Ihnen auch, wo ich eine Lücke sehe: Wir haben noch keine Beschwerdestimulation – richtig. Der Prozessschritt – wie stimuliert man eigentlich so, dass sich Bürger beschweren? – fehlt. Aber ich möchte, dass die Behörden selbst diesen Schritt einleiten. Ich möchte nicht, dass er von Fremden vollzogen wird. Das würde nicht mehr Qualität erzeugen. Folglich lehnen wir den Gesetzentwurf ab, finden aber die Diskussion, die Sie damit angestoßen haben – sie kann von mir aus gerne öfter geführt werden –, richtig. Wir müssen in jedem Fall die Kontrolle darüber behalten, wie es mit den Beschwerden aussieht. Im Moment sieht es auf jeden Fall gut aus, weil sie so gering sind. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Frank Tempel, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Grünen haben einen Vorschlag der Humanistischen Union aufgegriffen, der die Einsetzung eines parlamentarischen Polizeibeauftragten als unabhängige Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger und für Polizistinnen und Polizisten gleichermaßen vorsieht. Auch die Linke hat den Vorschlag der Humanistischen Union aufgegriffen und die Arbeit an einem solchen Gesetzentwurf aufgenommen. Er ist übrigens im Wesentlichen fertig. Dazu komme ich gleich noch. Die entscheidende Frage ist – Herr Schuster, Sie haben sie auch gestellt –: Brauchen wir so etwas? Braucht der Bürger eine Beschwerdestelle, wo er doch zum Beispiel die Möglichkeit einer Dienstaufsichtsbeschwerde oder auch einer Strafanzeige gegen Polizeibeamte bei möglichem Fehlverhalten hat? Auch berechtigt ist die Frage: Was bedeutet eine solche Stelle für Polizeibeamte? Bedeutet die Einrichtung einer solchen Stelle grundsätzliches Misstrauen, wie es die Polizeigewerkschaft und auch Herr Schuster vermuten, oder nutzt diese Stelle Polizeibeamten sogar? Meine Damen und Herren, ich bin selbst Polizist, und ich weiß, dass Polizeibeamte in unserem Land einen anstrengenden und verantwortungsvollen Dienst verrichten. Ihnen wird ein hoher Ausbildungsstandard vermittelt, und ihnen wird im Rahmen ihrer Einsätze eine erhebliche Belastung abverlangt. Im Verhältnis zum Bürger stehen sie aber auch in einer ganz besonderen Verantwortung. Ihnen wurde das innerstaatliche Gewaltmonopol übertragen, und dieser ganz besonderen Verantwortung muss auch in einer ganz besonderen Art und Weise Rechnung getragen werden, (Beifall bei der LINKEN) insbesondere wenn wir davon ausgehen, dass da, wo Menschen ihren Dienst versehen, auch menschliches Fehlverhalten auftreten wird – auftreten wird, Herr Schuster; nicht: auftreten kann. Es muss einfach im Interesse der Polizeibeamten sein, das Vertrauen der Bürger in die Polizei zu stärken. Deswegen muss der Bürger folgende Gewissheit haben: Wenn er sich von der Polizei falsch oder ungerecht behandelt fühlt, kann er im Zweifel auch auf eine unabhängige Stelle zurückgreifen, die sich des Problems annimmt. Er muss sich nicht bei der Polizei über die Polizei beschweren. – Für viele Menschen, Herr Schuster, ist es nun mal keine angenehme Vorstellung, sich bei der Polizei über die Polizei zu beschweren. Das führt nicht selten dazu, dass Beschwerden erst gar nicht erfolgen. Missstände können dann auch nicht abgestellt werden. Das ist der Blick in die Realität. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mir als ehemaligem Polizeibeamten wird niemand den großen Respekt vor der Arbeit meiner Kollegen absprechen können. Ein Generalverdacht gegen Polizeibeamte liegt mir völlig fern. Aber die Bilder vom Vorgehen gegen die Proteste bei Stuttgart 21, Berichte über die Misshandlung von Flüchtlingen durch Bundespolizisten in Hannover und auch viele kleine Vorfälle zwischen Bürgern und Polizisten sagen mir sehr deutlich, dass es auch keinen generellen Heiligenschein für Polizeibeamte gibt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mir schreibt zum Beispiel ein chronisch kranker Mann, der die Erlaubnis hat, Cannabis medizinisch zu verwenden, dass er von der Polizei monatlich mehrfach kontrolliert wird, seit diese das weiß. Er fühlt sich von der Polizei drangsaliert. Für eine Strafanzeige reicht es nicht. Er schreibt mir und erhofft sich Hilfe. Besser wäre es aber, es gäbe eine unabhängige Stelle, die diese Umstände klären und dann auch abstellen kann. (Beifall bei der LINKEN) Stattdessen verschließt man die Augen davor und sagt: Es ist immer alles gut. Ganz nebenbei: Als Reaktion auf die Misshandlung von Flüchtlingen durch die Bundespolizisten in Hannover hat Bundespolizeipräsident Romann in seiner Behörde 2015 eine solche Vertrauensstelle eingerichtet. Das ist wahrscheinlich sogar sehr ehrlich gemeint. Aber Bundespolizisten, die mir geschrieben haben, haben mich gewarnt, einer solchen Stelle, die direkt beim Präsidenten angesiedelt ist, zuzustimmen; wenn Polizeibeamte den Mut aufbringen sollen, interne Missstände aufzudecken, sei dies nur über eine unabhängige Stelle denkbar. – Das, Herr Schuster, haben mir, wie gesagt, Bundespolizisten geschrieben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Sehr geehrte Damen und Herren, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, das ist für uns alle im Bundestag ein gemeinsamer Anspruch. Ich denke, mit einer klugen, produktiven und vor allen Dingen offenen Debatte ist das Ende eines jahrzehntelangen Diskussionsprozesses durchaus möglich. Aber nun zum Entwurf meiner Fraktion. Meine Fraktion hat trotz einiger Unterschiede darauf verzichtet, ihren eigenen, sehr ähnlichen Entwurf hier dazuzulegen. Wir möchten zum Beispiel die Tätigkeit des Beauftragten beim Zoll nur auf polizeilich agierende Zöllner, die auch in Grundrechte eingreifen, beschränken. Nach unserer Auffassung soll der Polizeibeauftragte auch bei internationaler Zusammenarbeit der Polizei zum Tragen kommen. Die Selbstbeschränkung bei Aussagen des Polizeibeauftragten als Zeugen sehen wir ebenfalls kritisch. Aber über all das können wir ergebnisoffen reden, ohne dass wir gleich unseren Entwurf als Konkurrenz zum Entwurf der Grünen dazulegen müssen. Wir können demokratisch auch mal einen Prozess hier beginnen, der zu einem Ergebnis führt (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und an dessen Ende steht, dass der Bundestag die Einsetzung eines parlamentarischen Polizeibeauftragten als unabhängige Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger und für Polizisten und Polizistinnen gleichermaßen beschließt. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt spricht der Kollege Günter Baumann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Günter Baumann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir heute über die Bundespolizei, über Misstrauen und Beschwerden sprechen, möchte ich als Erstes Danke sagen. Ich danke den Bundespolizisten in unserem Land, die täglich eine riesengroße Aufgabe erfüllen. Die Zahl der Einsätze nimmt zu, und die Einsätze werden schwieriger und komplizierter; es geht dabei nicht nur um Terrorismus, sondern auch um Fußballchaoten und Demonstrationen. Überall sind sie unterwegs, um für unser aller Sicherheit zu sorgen. Dafür als Allererstes einen ganz herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, für uns Politiker muss es eigentlich oberste Aufgabe sein, sich die Frage zu stellen: Was können wir tun, um die Bundespolizei in Deutschland zu stärken? Dazu gehört als Erstes die personelle und finanzielle Ausstattung; ich denke, da sind wir auf einem ganz guten Weg. Aber genauso wichtig ist für uns, dafür zu sorgen, dass in der Bundespolizei und im Verhältnis zwischen Bevölkerung und Bundespolizei ein gutes Klima herrscht, dass die Bundespolizei in Deutschland also voll akzeptiert wird. Es stellt sich natürlich auch die Frage: Was ist zu tun, wenn es einzelne Probleme, Verfehlungen oder Schwierigkeiten gibt? Armin Schuster hat einen Teil meiner Rede vorweggenommen, weil er aufgezählt hat, welche anderen Beauftragten es schon gibt. Er ist dabei bis zur Zahl zehn gekommen. Als Punkt elf folgt das Wichtigste: das Petitionswesen. Wir haben erst gestern im Plenum unseren Tätigkeitsbericht für das Jahr 2015 vorgestellt. Lieber Frank Tempel, es gibt eine unabhängige Stelle, und zwar den Petitionsausschuss. Im letzten Jahr wurden circa 13 000 Petitionen an den Deutschen Bundestag gerichtet. Wir hatten eine Erfolgsquote von etwa 45 Prozent. In so vielen Fällen konnten wir den Bürgern bei ihren konkreten Anliegen helfen. Das ist eine riesige Erfolgsquote. Das Petitionswesen ist ein Grundrecht. Nach Artikel 17 des Grundgesetzes hat jedermann das Recht, sich an die Volksvertretung zu wenden. Die Bürger machen davon auch Gebrauch. Das heißt, sie kommen mit allen möglichen Anliegen, die man sich vorstellen kann, zu uns und sagen: Bitte helft uns; wir kommen hier nicht weiter. Bei uns geht es um alle möglichen Themen: von Hartz IV über die Verkehrsanbindung bis zur Rente. Es gibt auch Petitionen von Bundespolizisten und über Bundespolizisten. Dabei ist es nicht etwa so, dass sich Bürger in der Mehrzahl der Eingaben beschweren, dass Bundespolizisten bei Demonstrationen zu hart zugegriffen hätten; nein, überhaupt nicht. In den Beschwerden von Bundespolizisten geht es um Themen, die innerhalb der Bundespolizei eine Rolle spielen. Zum Beispiel hat ein Dienstherr eine Beförderung versagt, es gab eine Beschwerde über die unzureichende Ausstattung mit Schutzwesten, und ein genehmigter Sonderurlaub zu Bildungszwecken wurde nicht gewährt. Die meisten Fälle haben wir nach einer Stellungnahme des BMI positiv bescheiden und dem betroffenen Polizisten ganz konkret helfen können. Wir haben aber auch Petitionen von Bürgern quer durch das Land erhalten, die sich Sorgen um die Sicherheit machen; auch das ist hochinteressant. In ihren Petitionen schreiben sie zum Beispiel: „Sorgt bitte für eine bessere Ausstattung der Bundespolizei, sorgt für mehr Bundespolizei auf Bahnhöfen, sorgt für mehr Bundespolizei im Vorfeld von Fußballspielen“ usw. usf. Das heißt, die Bürger – auch die Bundespolizisten sind ja Bürger – nutzen die Möglichkeit, sich an uns zu wenden und uns bei ihren Anliegen um Hilfe zu bitten. Insofern stellt sich die Frage, Frau Mihalic: Brauchen wir die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten? Ich möchte Ihnen im Hinblick auf den Begriff „Leerstelle“ widersprechen. Wir haben keine Leerstelle. Wir haben unheimlich viele Stellen und Möglichkeiten. Die Frage ist: Gibt es weiteren Bedarf? Die entscheidenden Fragen lauten für mich: Was können wir tun, um das Ansehen der Bundespolizei und das Verhältnis innerhalb der Bundespolizei, also das Klima, zu verbessern? Wie können wir Einzelprobleme vielleicht noch besser lösen? Wir müssen in Ruhe darüber debattieren, ob wir eine derartige Stelle brauchen. Dabei müssen wir wissen: Sie kostet Geld. Das wird also nicht ganz einfach; Kollege Schuster sprach bereits davon. Sie haben bei den Kosten einen Betrag von 1,85 Millionen Euro angesetzt. Wenn man sich an den Haushaltsausgaben für den Wehrbeauftragten orientiert, ist man schon bei 4 Millionen Euro oder sogar etwas darüber. Insofern müssen wir über dieses Thema nachdenken. Wenn wir auf die Länder schauen, können wir über zwei konkrete Fälle sprechen: Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Andere Länder denken darüber nach, eine solche Stelle einzurichten. Deshalb wollen wir uns die Wirkungsweise dieser Polizeistellen in den Ländern in Ruhe anschauen: Was kommt dabei heraus? Bringt das eine Verbesserung, oder ist das einfach nur eine zusätzliche Stelle, die nicht genutzt wird? Nach einiger Zeit würde ich mir gerne auch einmal die Vertrauensstelle beim Bundespolizeipräsidenten anschauen: Was geht dort ein? Welchen Erfolg bringt diese Stelle? Diese Varianten sollten wir näher betrachten. Den heute vorliegenden Gesetzentwurf, den Sie, Frau Mihalic, eingebracht haben, kann man aufgrund des Wortlauts und Ihrer Ausführungen dazu nur ablehnen. Wir sind aber bereit, über die Idee miteinander zu diskutieren. Wir müssen das gesamte Thema sehen: Was können wir für unsere Polizei leisten? Zu allen Gesprächen darüber sind wir gern bereit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nett!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das Wort der Kollege Wolfgang Gunkel. (Beifall bei der SPD) Wolfgang Gunkel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich recht schwer, hier als Polizist zu sprechen, wenn sich zuvor bereits drei Polizisten geäußert haben. Ich kann nahtlos an das anschließen, was ich in der Debatte über einen Vorschlag der Linksfraktion, den sie vor einem Jahr eingebracht hat, gesagt habe. Damals kam ich zu dem Ergebnis, dass der Vorschlag sehr diskussionswürdig ist, dass man darüber parteiübergreifend reden sollte. Das ist auch heute noch meine Meinung. Wie ist das Ganze entstanden? Wir alle wissen, dass der NSU-Untersuchungsausschuss zu dem katastrophalen Ergebnis kam, dass bei der polizeilichen Arbeit erhebliche Fehler gemacht worden sind. Aus diesem Grund hat meine Fraktion ein Sondervotum abgegeben und genau das gefordert, worüber wir heute diskutieren, eine unabhängige Beschwerdestelle, die als Ombudsstelle für die Bürger fungieren soll, aber auch als interne Beschwerdestelle zur Aufarbeitung polizeilicher Beschwerden. Dies entspricht im Wesentlichen dem, was hier vorgelegt worden ist. Einige Punkte, die angeführt werden, sind wirklich diskussionswürdig. Zu dieser Diskussion kann ich etwas beitragen. Zunächst einmal will ich aber sagen, dass die Anregung, die von den Vorlagen ausgeht, unbedingt notwendig ist. Kollege Baumann, in Rheinland-Pfalz gibt es seit 2014 eine entsprechende Stelle. Die Zahl der dort auflaufenden Fälle beträgt etwa 2 000. Davon hat der Beauftragte 300 zurückgewiesen. Es gibt also auch die Möglichkeit, Fälle zurückzuweisen, die nicht in die Kompetenz des Beauftragten fallen. Das gilt beispielsweise für Fälle, um die sich ein Petitionsausschuss kümmern kann. Diese Fälle muss der Polizeibeauftragte bzw. der Bürgerbeauftragte nicht abarbeiten, sondern in diesen Fällen kann er den Bürger beispielsweise an die Petitionsausschüsse verweisen. Darum geht es in diesem Zusammenhang aber nicht. Hier geht es um ein Hilfsorgan, ein Hilfsinstrument des Bundestages, um einen Beauftragten, der mehr Befugnisse haben soll als ein normaler Beschwerdebearbeiter, der in einer Polizeidienststelle tätig ist. Dahinter steht ein ganz spezieller Auftrag, nämlich auch bei schwerwiegenden Vorkommnissen Ermittlungsarbeit zu übernehmen, Akteneinsicht zu nehmen und Ähnliches mehr. Seine Befugnisse würden also ein bisschen weiter reichen. Von dieser Warte aus betrachtet, muss man sagen, dass es notwendig ist, diese Stelle einzurichten. Eine unabhängige Stelle wird gebraucht, weil bestimmte Beziehungen unter den Kollegen beispielsweise bei Großeinsätzen dazu führen, dass recht unterschiedliche Meinungen über die Rechtmäßigkeit einer Handlung zustande kommen. Was will ich damit sagen? Ich möchte ein kleines Beispiel geben. Vor einigen Jahren ist Folgendes passiert – ich glaube, es ist denkbar, dass es so etwas auch heute noch gibt –: Es geht um einen Einsatz, bei dem ein Haus geräumt werden soll, die Hochschule der Künste. Die Polizei muss nach langen Auseinandersetzungen, die recht heftig verlaufen, über das Dach einsteigen und dieses Haus räumen. Sechs Etagen sind geräumt – ich fasse mich kurz –, und in dem Rondell vor dem Haus bildet sich eine Gruppe. Ein Mensch tritt auf einen Beamten zu und sagt, dass er die Rechtmäßigkeit überprüfen wolle, und fragt, welche Rechtsgrundlage die Polizei für ihren Einsatz habe. Der Polizeibeamte holt aus, schlägt ihm mit der Hand ins Gesicht und sagt: Das ist die Antwort. – Durch das Tohuwabohu, das entsteht, und den neuen Auftrag an die Gruppe verläuft sich das Ganze, und die Sache ist zunächst einmal erledigt. Was passierte danach? Es wurde selbstverständlich Anzeige erstattet. Am nächsten Tag erfuhren wir von dem Beamten, dass darüber sicherlich nachgedacht wurde. Dann tauchte eine Liste mit acht oder neun Leuten auf, die in der Gruppe dort tätig gewesen sein sollen, und sie sollten unterschreiben, dass sie eine Straftat nicht haben feststellen können. Ein Beamter, der dort betroffen war, sagte, dass er das nicht unterschreibt. Der Vorgesetzte sagte zu ihm: Dann warten wir einmal, bis der Chef kommt, und dann wirst du ja schon sehen. Der Chef war nicht da und erschien erst drei Tage später. Der Beamte ging dorthin, und der erfahrene Chef sagte ihm gleich: Überlegen Sie sich ganz genau, was Sie hier sagen. Sie wissen, dass Ihnen ein Verfahren wegen Strafvereitelung im Amt droht, wenn Sie etwas gesehen und es nicht zur Anzeige gebracht haben. Das ist eine sehr schwierige Situation, und das wollte ich einmal so drastisch deutlich machen. Was machte er nun? Er überlegte: Entweder gebe ich zu, dass ich da etwas gesehen habe, aber dann bekomme ich eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt, oder ich sage, dass ich nichts gesehen habe, wodurch ich eventuell heil aus der Situation herauskomme. Er entschied sich für Letzteres und wurde gefragt: Warum konnten Sie es dann nicht unterschreiben? Die Antwort war: Wenn ich nichts gesehen habe, kann ich auch nichts unterschreiben. So ist das gewesen. Man kann also sagen: Glück gehabt, dass der Vorgesetzte das auch so akzeptiert hat. Wie ist das Verfahren weitergegangen? Es interessiert ja auch noch der Abschluss. – Der Betroffene ist identifiziert worden, weil jemand eine Kamera hat mitlaufen lassen, und da es ein sehr warmer Tag war, war sein Visier hochgeklappt, sodass er eindeutig zu identifizieren war. Er ist dann seiner entsprechenden Strafverfolgung zugeführt worden. Warum erwähne ich das? Ich will damit deutlich machen, wie schwierig es für die Kollegen in solchen Fällen mitunter ist, all das „durchzuziehen“, was normalerweise erforderlich ist. Deshalb finde ich es besonders gut, dass in dem Gesetzentwurf der Grünen steht, dass die Frist, die für jeden gelten soll, der mit einer solchen Sache konfrontiert worden ist, drei Wochen betragen soll. Man kann darüber reden, ob es zwei oder drei Wochen sind, aber das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass die Beamten eine Karenzzeit haben, während der es ihnen möglich ist, sich auch nachträglich entsprechend zu äußern, ohne sich der Gefahr einer Strafverfolgung auszusetzen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte auch noch auf Folgendes hinweisen: Es gibt interne und externe Beschwerdestellen; Rheinland-Pfalz hatte ich in diesem Zusammenhang schon erwähnt. Die Berliner Beschwerdestelle erhält zum Beispiel über 2 000 Beschwerden pro Jahr. Das ist schon eine große Zahl an Beschwerden, die zu bearbeiten sind. Die Zahl der Beschwerden, die die Beschwerdestelle der Bundespolizei erhält – und um sie geht es hier ja; da haben Sie völlig recht –, liegt weitaus darunter. Ein Grund dafür ist zum Beispiel, dass Unterstützungskräfte natürlich immer erst in zweiter Linie ins Blickfeld geraten. So war es auch in Köln und Stuttgart. Somit sind die Fallzahlen dort recht gering. Das kann sich aber jederzeit ändern. Der Bundespolizeipräsident hat also dankenswerterweise eine interne Beschwerdestelle eingerichtet. Das ist löblich und auch zu begrüßen. Sie erfüllt aber nicht die Aufgabe, die hier vorgesehen ist und die ich auch für dringend notwendig halte. Ich möchte jetzt noch ein paar Worte zu einer anderen enthaltenen Bestimmung sagen: Ich habe ein Problem mit § 13 Absatz 2 des Gesetzentwurfs, in dem die parallele Ermittlungszuständigkeit für Strafverfahren, Disziplinarverfahren und die Verfahren, die der Bundespolizeibeauftragte führen soll, vorgesehen ist. Man müsste noch einmal darüber sprechen, wie das ausgestaltet werden soll. Das müsste für meine Begriffe klarer geregelt werden. Insofern kann ich nur sagen: Es wäre schön, wenn wir eine intensive Debatte darüber führen könnten. Ich bin ganz und gar der Meinung, dass man noch einmal alle Beteiligten anhören sollte – die Bundespolizei, die Gewerkschaften, den Landesbeauftragten in Rheinland-Pfalz und ähnliche Personen, die zur Sache etwas sagen können –, um noch einmal über diesen ganzen Vorgang zu reden. Ich glaube, dann könnte man von einem vernünftigen Ergebnis ausgehen. Heute haben wir die erste Lesung. Es ist üblich, dass danach das Ganze an die Ausschüsse überwiesen wird. Das wird auch jetzt der Fall sein. Die SPD jedenfalls begrüßt diesen Vorschlag. Ich hoffe, wir werden uns dann in den folgenden Wochen damit tiefer auseinandersetzen können. Ich möchte zum Schluss noch sagen, damit keiner glaubt, ich erhöbe hier einen Generalverdacht gegen Handlungen der Bundespolizei, dass ich meine Kollegen sehr schätze und sehr wohl weiß, wie auch Kollege Baumann schon gesagt hat, was von der Polizei, gerade auch von der Bundespolizei, geleistet wird. Ich erinnere an Millionen von Überstunden durch die Entwicklung der letzten Monate. Auch das muss entsprechend honoriert werden. Mir liegt es fern, darüber zu philosophieren, ob die Polizei rechtsstaatlich handelt oder nicht. Sie ist ein Rechtsstaatselement. Wenn man die Zahlen betrachtet, die immer wieder erhoben werden, um das Vertrauen in Berufsgruppen anzugeben, dann muss man feststellen, dass Feuerwehrleute, Ärzte und Polizisten bei der Bevölkerung zu 80 Prozent Vertrauen genießen – das ist schon einmal ein ganz erheblicher Wert und das schon seit Jahren –, während es andere Gruppen wie Politiker und Gewerkschafter gibt, die bei 30 Prozent herumdümpeln. Das nur zum Vergleich. Man kann daran sehen: Die Polizei hat ihren Stellenwert, und der Bürger hat keinerlei Zweifel an ihrer Arbeit. Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf ist insgesamt diskussionswürdig. Nach der Überweisung an die Ausschüsse wird man sehen, ob etwas daraus zu machen ist. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal sehen, was der Herr Ullrich jetzt dazu sagt!) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute den Gesetzentwurf der Grünen zur Einrichtung eines Bundespolizeibeauftragten. Ja, wir sind in diesem Land nicht arm an Beauftragten. Wir haben den Bundesbeauftragten für den Datenschutz, wir haben gestern den Beauftragten für die Stasi-Unterlagen wiedergewählt, und es gibt auch seit vielen Jahrzehnten den Wehrbeauftragten. Gerade der Vergleich des Wehrbeauftragten mit dem von Ihnen geforderten Bundespolizeibeauftragten zeigt, dass hier zwei Positionen verglichen werden, die nicht vergleichbar sind. Der Wehrbeauftragte ist für Eingaben von Soldaten zuständig, die einem besonderen Grundrechtsverhältnis unterliegen, und der Wehrbeauftragte soll die Grundsätze der Inneren Führung innerhalb der Bundeswehr überprüfen. Sie schlagen einen Bundespolizeibeauftragten vor, der Fehlverhalten von Polizeibeamten gegenüber den Bürgern im Rahmen des Einsatzes überprüfen soll. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur!) Da muss ich Ihnen sagen: Es gibt in diesem Land bereits genügend rechtliche und rechtsstaatlich abgesicherte Verfahren, um Fehlverhalten zu überprüfen. Ja, es gibt Fehlverhalten von Polizeibeamten. Das wollen wir nicht wegdiskutieren. Gerade wenn der Staat das Gewaltmonopol hat, wirkt das Fehlverhalten von Polizisten besonders schwer. Aber der Rechtsstaat hat dagegen sehr taugliche Instrumente entwickelt. Es gibt innerhalb des Beamtenrechts das Instrumentarium des Disziplinarverfahrens. Bei Gewaltdelikten und anderen Straftaten gilt das Legalitätsprinzip. Der Staatsanwalt muss von sich aus ermitteln; er hat gar kein Ermessen. Darüber hinaus gibt es für Bürger auch die Möglichkeit, polizeiliches Handeln vor den Verwaltungsgerichten zu überprüfen. Wir meinen, dieses Instrumentarium ist rechtsstaatlich ausgewogen, und wir sollten es nicht durch die Möglichkeit aufweichen, ein rechtsstaatlich fragwürdiges Verfahren einzuführen. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, Sie sprechen in Ihrem Gesetzentwurf – ich zitiere – von „exzessiver Polizeigewalt“, von „strukturellen Problemen“ und von „kaum vorhandener Fehlerkultur“. Da muss ich Ihnen ehrlich sagen: Das sind nicht unsere Worte. Wir setzen dem Misstrauen, das Sie in die Polizei haben, das Vertrauen in die Polizei entgegen. Das Vertrauen in die Polizei ist wichtig, damit dieser Rechtsstaat die ihm übertragenen Aufgaben gewissenhaft erfüllen kann. Deswegen, meine Damen und Herren, lassen Sie uns auch über Dinge sprechen, die ebenso wichtig sind und die man im Rahmen dieser Debatte ansprechen muss. Das ist nicht nur das Fehlverhalten einzelner Polizeibeamter, sondern das ist auch die besondere Situation, der sich Polizeibeamte ausgesetzt sehen. Ich möchte sprechen über die unerträgliche Zunahme der Gewalt gegen Polizeibeamte und gegen Einsatzkräfte. Allein im Jahr 2014 sind über 60 000 Polizeibeamte angegriffen worden. Die Zahl hat sich gegenüber dem Vorjahr um 6,3 Prozent erhöht. Es gab über 22 000 Widerstände gegen Polizeibeamte. Ich sage Ihnen ehrlich: Wer jeden Tag auf unseren Straßen und Plätzen seinen Kopf dafür hinhält, dass unser Land sicher ist, der hat unsere Solidarität verdient. (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Was hat das jetzt mit dem Antrag zu tun?) Diese Bundesregierung hat gehandelt. Sie hat ein Programm aufgelegt, um die Ausrüstung von Polizeibeamten zu verbessern. Wir werden in den nächsten Jahren 3 000 neue Stellen bei der Bundespolizei schaffen, damit unsere Bahnhöfe, Flughäfen und Plätze noch sicherer werden. Deswegen von unserer Seite heute ein Dank an unsere Polizeibeamten für ihren Einsatz und dafür, dass sie unser Land sicher machen. Daran, dass die Bürger Vertrauen in diesen Rechtsstaat und diese Polizei haben, werden wir uns messen lassen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorlagen auf den Drucksachen 18/7616, 18/7617 und 18/7618 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Transparenz herstellen – Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen Drucksachen 18/3842, 18/3920, 18/8742 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Bernhard Kaster, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sonja Steffen [SPD] und Dagmar Ziegler [SPD]) Bernhard Kaster (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich drei Punkte voranstellen. Erster Punkt. Seit 1972 gibt es öffentliche Anhörungen im Deutschen Bundestag, und seitdem wird im Bundestag eine öffentliche Verbändeliste geführt. Dort sind über 2 200 Interessenvertretungen registriert, immer aktualisiert, transparent sortiert nach Lobbybereichen. Diese Liste ist auch die Grundlage für öffentliche Anhörungen. Der zweite Punkt, den ich voranstellen will, ist folgender: Transparency International hat bereits im Integritätsbericht 2012 festgestellt – ich zitiere –: „Die Transparenz des Bundestags kann als sehr hoch eingestuft werden.“ Damit komme ich zum dritten Punkt, der im gleichen Zusammenhang steht. Wir haben ja am 11. Mai eine Anhörung zu diesem Thema durchgeführt. Das Ergebnis dieser öffentlichen Anhörung war, dass es im Bundestag kein Transparenzdefizit gibt. Das haben sogar die Experten, die Sachverständigen bestätigt, die von der Opposition selbst eingeladen wurden. Ich muss feststellen, dass die Anhörung zu diesem Antrag für Sie letztendlich verheerend war. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Da waren Sie auf einer anderen Anhörung!) Ich konnte den Unmut der Experten verstehen, die bereits öfter zu diesem Thema zu einer Anhörung eingeladen waren und die die Frage gestellt haben: Warum wird in jeder Legislaturperiode über fast identische Anträge diskutiert, ohne dass bei der x-ten Auflage nicht einmal längst bekannte Kritik auch in juristischer Weise aufgearbeitet wird? – Es sind immer die gleichen Anträge. Jetzt debattieren wir wieder – das sage ich bewusst – diese modrigen Anträge, die niemals aktualisiert worden sind, weil das zur Inszenierung einer Veranstaltung der Fraktion Die Linke gehört. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Unmöglich!) Lassen Sie mich sagen: Sie bedienen sich einer Mischung gängiger Schlagworte. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Gängige Vorurteile!) Sie malen das Bild eines undurchsichtigen Parlamentes mit von Lobbyisten gesteuerten Abgeordneten. Das ist – das wissen Sie alle – vollkommener Unsinn. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Desinformation ist das!) Das Fatale dabei ist auch, dass Sie ganz genau wissen, dass das Bild mit der Parlamentswirklichkeit hier im Deutschen Bundestag mit seinen frei gewählten Abgeordneten nichts zu tun hat. Das ist ein Zerrbild, das Sie zeichnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Letztendlich ist es so, dass Sie nur für den Applaus einschlägiger Internetplattformen verschiedener linker Netzwerke solche Anträge stellen. Denn dort wird dieses Bild auch ständig gemalt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen bei jedem politischen Projekt den öffentlichen Diskurs, die öffentlich zugänglichen Beratungsergebnisse, Drucksachen, Anhörungen, den Diskurs in den Medien. Es geht darum: Wie findet hier Interessensabwägung statt? Das kann man dann auch kritisch beleuchten. Aber wir werden nie zulassen, dass der frei gewählte Abgeordnete, dem der Bürger sein Vertrauen geschenkt hat, öffentlich Rechenschaft darüber ablegen muss, mit wem er wann und wie über was gesprochen hat. Das widerspricht unserem Grundgesetz total und unserem Selbstverständnis als Abgeordnete. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Lassen Sie mich an diesem Punkt darauf eingehen, was uns in unseren Auffassungen unterscheidet. Hier komme ich zu der Frage: Welches Selbstverständnis haben wir vom Abgeordneten, von der parlamentarischen Arbeit? Die Garantie des freien Mandates ist Kernbestandteil unseres Grundgesetzes. Ich bin fest davon überzeugt: Es gibt kein freies Mandat ohne Vertrauen in die Mandatsträger. Das muss Grundlage sein. Welches Bild wird hier gezeichnet? Welches Bild vermitteln wir den Menschen, wenn wir beständig selbst öffentlich suggerieren, ohne ein Lobbyregister gäbe es im Parlament Andeutungen von Korruption, Klüngelwirtschaft usw.? Sie bedienen damit Klischees. Aber Sie schüren auch Vorurteile und stellen die Unabhängigkeit der Kolleginnen und Kollegen infrage. Das geht nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Meine Damen und Herren, ich finde es schlimm, dass wir immer intensiver darüber reden, wie die Abgeordneten noch lückenloser in ihrer Arbeit beobachtet, reglementiert werden können. Der Begriff „Abgeordnetenwatch“, übersetzt: Abgeordnetenbeobachtung, das führt das freie Mandat in das Absurde. Es geht nicht um Beobachtung und Reglementierung von Abgeordneten. Vielmehr sollten wir auf den Kern unserer Tätigkeit hinweisen: Es geht um die Kontrolle der Regierung durch das Parlament. Hier sind die Begriffe „Kontrolle“ und „Beobachtung“ angebracht. Aber die anderen Dinge führen zu einer Schwächung der Legislative im Verhältnis zur Exekutive. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sind gewählt, um für die Bürgerinnen und Bürger die Abwägung verschiedenster Interessen vorzunehmen, Interessen, die auf die unterschiedlichste Art und Weise an uns herangetragen werden: Bei mir und den meisten Kollegen fängt das im Regelfall im Wahlkreis an. Dort vor Ort sind Gespräche: mit der Kreishandwerkerschaft, mit einem Unternehmen, mit Gewerkschaftsvertretern. Die nächste Ebene ist das Bundesland. Da bittet zum Beispiel der Landesverband der Steuerberater um ein Gespräch mit den Abgeordneten aus Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen. Hier in Berlin ist es unsere tägliche Arbeit. Bei Telefonaten, Mails und Gesprächen geht es immer um Politik, das heißt um die Wahrnehmung und um die Abwägung von Interessen. Da frage ich einfach: Trauen Sie dabei wirklich den Kollegen und Kolleginnen nicht zu, dass sie jeweils wissen, wer ihr Gesprächspartner ist? Bei der Anhörung ist zudem deutlich geworden, dass schon allein die Abgrenzung, wer denn in diesem Register überhaupt erfasst würde – wenn man es tatsächlich schaffen würde –, ein Riesenproblem wäre. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Jahren unser Mandat schon sehr weit reguliert, man kann auch sagen: eng reguliert. Ich gebe mal Stichworte: Verhaltensregeln, Nebentätigkeiten, Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung. Für all die Einzelmaßnahmen, die wir beschlossen haben, gab es jeweils gute Gründe, oder es gab Einzelfälle, die uns dazu veranlasst haben. Aber lassen Sie mich auch fragen – das gebe ich ganz persönlich zu bedenken –: Wie ist die Wirkung in der Summe? In gut einem Jahr wird wieder ein Deutscher Bundestag gewählt. Da steht in verschiedenen Wahlkreisen wieder die Frage an: Wer ist künftig bereit, seine persönliche Lebens- und Berufsbiografie für vier, acht oder zwölf Jahre zu unterbrechen, um dem eigenen Land, der eigenen Heimat zu dienen und sich zu engagieren? Auf welche Arbeitsbedingungen trifft er denn hier im Deutschen Bundestag? (Frank Tempel [DIE LINKE]: Sie können einem ja richtig leidtun!) Es geht um die Frage, welche Vorstellung man von einem Parlament hat: Wen möchte man hier sitzen haben? Ich könnte jetzt viel dazu sagen, wie unterschiedlich die Berufsstrukturen in den verschiedenen Fraktionen sind. Wir stellen uns schon die Frage: Welche Arbeitsbedingungen finden wir vor? Wieweit ist Vertrauen da? Wieweit sind Reglementierungen notwendig? Das hat etwas mit dem Selbstverständnis des Abgeordnetenmandates zu tun. Da kann durchaus die Frage gestellt werden, was zum Beispiel einen Selbstständigen motiviert – oder andere Menschen, die fest im Berufsleben stehen –, das Wagnis einer Wahl und des freien Mandates auf sich zu nehmen, wenn er beispielsweise weiß, dass er in der Konsequenz Ihres Antrages künftig ständig Gesprächsnotizen festzuhalten hat – mit wem er wo über was gesprochen hat. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Das steht doch gar nicht im Antrag!) – Das steht nicht im Antrag. Es ist aber die Konsequenz daraus. Darüber wurde auch so in der Anhörung gesprochen. Es gibt ja bei Ihnen Kolleginnen und Kollegen, die das so praktizieren, was nicht zu kritisieren ist. Aber Sie möchten das als Zielrichtung für das Parlament vorgeben. – Ein weiteres Beispiel: Ein Abgeordneter muss damit rechnen, dass er aufgrund des Bruttoumsatzes auf seinem Bauernhof als Topverdiener angeprangert wird. All das sind Regelungen, die wir schon haben und die alle ihren Sinn machen; aber ihre Wirkung ist manchmal fraglich. Lassen Sie mich abschließend sagen: In den letzten Wahlperioden hat jeder Bundestag das Mandat ein Stück weiter reglementiert. Lassen Sie mich die Sorge äußern: Zumindest mir macht das im Hinblick auf die Entwicklung des Parlamentes durchaus Sorgen. Wir sollten das bitte in Gänze im Auge behalten. Auch Ihr Antrag, Ihre Initiative würden weiter in eine solche Richtung führen. Haben wir Vertrauen ins freie Mandat! (Frank Tempel [DIE LINKE]: Aber kein blindes!) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dr. Petra Sitte ist jetzt die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mensch, Herr Kaster, ich wusste gar nicht, dass es ein Opfer ist, im Bundestag zu sitzen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das hat er gar nicht gesagt! Das war eine sehr gute Rede von ihm!) Noch eine kleine Vorbemerkung möchte ich gerne machen: Die Opposition, sowohl die Grünen als auch wir Linken, hat Konzepte für eine umfassende Transparenzoffensive vorgelegt. Diese gehen selbstverständlich über das Lobbyistenregister, das wir jetzt diskutieren, hinaus. Wir wollen schon, dass der Einfluss von Interessengruppen im politischen Prozess insgesamt sichtbarer und nachvollziehbar wird, und, Herr Kaster, wir reden nicht nur über den Bundestag. Transparenz ist natürlich kein Selbstzweck. Da muss ich dem Sachverständigen, den Sie von der CDU/CSU bestellt hatten, Professor Schliesky, widersprechen. Er kam in der Anhörung – für die Zuhörer ist das vielleicht interessant – doch allen Ernstes auf die Idee, der Opposition vorzuhalten, totale Transparenz schade der Demokratie. Ich zitiere wörtlich: Totalitäre Forderungen verheißen … in der Regel wenig Gutes und sind selten demokratisch – so verhält es sich auch mit der Forderung nach totaler Transparenz. Noch einmal zur Klarstellung: Es ging in den Anträgen überhaupt nicht um Totalität. (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE] – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Auf dem Auge sind Sie blind! Das ist bekannt!) Die Vorschläge geben überhaupt nicht her, was dort unterstellt wurde. Aber worum es sehr wohl ging, war: Demokratie für alle. (Beifall bei der LINKEN) Jeder bzw. jede soll wissen können, wie Entscheidungen, die unter anderem auch sie betreffen, zustande gekommen sind. Abgeordnete wurden gewählt, das stimmt; Interessenvertreter dagegen nicht. Oft genug hinterlassen Lobbyisten ihren Fußabdruck nämlich gar nicht nur im Bundestag, sondern vor allem auf der Ebene der Ministerien. Sie arbeiten mit an der Problemdefinition, sie arbeiten mit an Gesetzentwürfen und bei der Ausrichtung von Förderprogrammen, und das alles lange vor den Abgeordneten. Das ist von uns auch gemeint und mit einbezogen. Deshalb habe ich gesagt: Wir reden hier nicht nur über den Bundestag. Kommen Vorlagen ins Parlament, dann waschen die Lobbyisten noch einmal nach. Sie haben es doch selber erlebt: Sie haben gewissermaßen eine zweite Chance, die Interessen ihrer Auftraggeber einzuspülen. Und natürlich bleibt das nicht ohne Rückwirkung auf die Unterstützung von Parteien bzw. nicht ohne Wirkung auf Wahlkämpfe. Ich darf Sie daran erinnern: Es gab hier schon massiven Druck, beispielsweise von der Springer-Verlagsgruppe, als es um das Leistungsschutzrecht ging. Da hat man sich ein Geschäftsmodell vom Bundestag gesetzlich schaffen lassen. Damit wurde dann eben auch gleich mal die innovative mittelständische Konkurrenz, nämlich kleine und mittelständische Unternehmen, in dieser Branche zur Seite gedrängt. Das Gleiche droht jetzt bei der Netzneutralität. Machen wir uns doch nichts vor: Natürlich weiß ich, dass jeder von uns ein mündiger Bürger ist und dass man gelegentlich sehr fest im Glauben sein muss. Aber Big Player haben doch eine ganz andere Möglichkeit, in diesen Bundestag – in Anführungsstrichen – „hineinzuregieren“. Sie wissen genauso gut wie ich, dass sie in der Politik bestens vernetzt sind. Selbstverständlich können Medienkonzerne wie Springer für oder gegen Parteien Wahlkämpfe machen. Andere Beispiele waren und sind der Einfluss der Automobilindustrie auf die Bundesregierung bei der Festlegung von Schadstoffgrenzwerten oder der Einfluss der Energieriesen auf die Regularien des Atomausstiegs. Umweltverbände hatten nicht annähernd die gleichen Möglichkeiten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dieser Chancenungleichheit zwischen den Interessengruppen sollen unsere Vorschläge ebenfalls entgegenwirken. Sie merken: Wir sind gar keine „Lobbyistenfresser“, wie uns unterstellt wird. Wir halten es für völlig normal, dass in einer modernen Demokratie vielfältig Interessen vertreten werden: von Wirtschaftsunternehmen, von Verbänden, von Nichtregierungsorganisationen, von Gewerkschaften, von Forschungseinrichtungen, von Bürgerinitiativen oder eben auch von Bundesländern; das ist doch völlig klar. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Der Bundesrat arbeitet mit! Der ist Verfassungsorgan! Lesen Sie das Grundgesetz!) Politik muss sich aber am Gemeinwohl orientieren, und in diesem Sinne ist es notwendig und sinnvoll, wenn wir in der Gesetzgebung oder in der Antragsberatung die verschiedenen Perspektiven aufnehmen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Entscheidungen sind seit 1972 ein wenig komplexer geworden, Herr Kaster. Der Beratungsbedarf ist gewachsen. Schließlich entstehen die meisten Gesetze nicht hier im Haus, sondern zu 75 Prozent bei der Bundesregierung. Wir als Abgeordnete müssen uns oftmals, so wie Sie es beschrieben haben, selbstständig mit einer Materie beschäftigen. Dazu gehören nicht nur öffentliche Anhörungen, dazu gehören eben auch vielfältige Einzelgespräche. Das ist völlig legitim. Wir verurteilen das auch gar nicht. Wir wollen nur, dass solche Vorgänge nachvollziehbar und transparent sind. Deshalb haben wir mit unserer Offensive auch in der Verwaltung angesetzt. Nach einer Studie von Transparency International ist Deutschland in Sachen Korruption auf Platz 16 gelandet – es wurden 19 Länder und 3 Einrichtungen der EU untersucht. Auf EU-Ebene haben alle Einrichtungen ein Lobbyistenregister. Mit den von uns vorgeschlagenen Maßnahmen können wir nicht nur unsere Platzierung aufhübschen, sondern wir können vor allem ein gutes demokratisches Werk tun. Herr Kaster, solange Sie Ihre modrige Meinung nicht verändern, werden wir solche Anträge stellen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Unglaublich! Was soll denn das?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Sonja Steffen. (Beifall bei der SPD) Sonja Steffen (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Mal eben was im Bundestag regeln? Kurz beim zuständigen Ausschussvorsitzenden anklopfen und ein Anliegen vorbringen? So beginnt ein Artikel der Süddeutschen Zeitung aus dem Februar 2016 mit der Überschrift „Durch die Hintertür“. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Lesen Sie lieber die Welt!) Zahl und Namen der Lobbyisten hat die Bundestagsverwaltung nach einem entsprechenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vor einiger Zeit veröffentlicht, und im Februar 2016 hat der Ältestenrat des Deutschen Bundestages beschlossen, dass Unternehmensvertreter zukünftig keine Hausausweise mehr bekommen. So einfach durch die Hintertür sind die Dinge heute nicht mehr. Das bedeutet, dass die Ausgabe von Dauerausweisen, mit denen man sich früher im Bundestag frei bewegen konnte, inzwischen sehr stark eingeschränkt worden ist. Man muss sich in ein offizielles Lobbyistenregister eintragen lassen, und man muss einem Verband angehören. Ich zitiere jetzt mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, Herrn Hackmack, den Geschäftsführer von abgeordnetenwatch.de. Er ist nicht unbedingt immer ein Befürworter der Arbeit des Deutschen Bundestages und schaut sehr kritisch auf die Dinge. Er sagt zu dieser Entscheidung des Ältestenrates: Dass die Lobbyisten von Rüstungs- und Autokonzernen zukünftig nicht mehr nach Belieben im Bundestag ein und aus gehen können, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer transparenten und sauberen Politik. Die SPD-Fraktion begrüßt diesen Beschluss des Ältestenrates daher ausdrücklich. (Beifall bei der SPD) Damit ist jedoch der Forderung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen noch nicht entsprochen. Wir diskutieren ja heute über Anträge zur Einführung eines verbindlichen Lobbyistenregisters, und hierbei geht es eben nicht nur um Dauerausweise; denn egal ob mit oder ohne Hausausweis, es wird immer Lobbygespräche geben. Sie sind uns übrigens – das haben Herr Kaster und übrigens auch Frau Sitte schon gesagt – sehr wichtig, und sie sind im Übrigen für alle Abgeordneten wichtig. Das Grundgesetz erlaubt jedem, seine Interessen zu vertreten. Kein Interesse wird ausgeklammert. Ob es um die Position der Umweltorganisationen geht, um wirtschaftliche Standpunkte von Unternehmen oder um Auffassungen von Sozialträgern, spielt aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Rolle. Unsere Demokratie lebt vom freien Austausch der Gedanken und vom Interessenausgleich, und das gilt für diesen Bundestag erst recht. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernhard Kaster [CDU/CSU]) Mir ging es in den letzten Tagen genauso wie Ihnen allen: Ich habe verschiedene Gespräche geführt; ich lege sie hier gerne offen. Meine Gesprächspartner kamen von der IHK Mecklenburg-Vorpommern, von Verdi, von der Impfallianz Gavi. Glauben Sie mir, diese Gespräche und der Austausch, den sie ermöglichen, sind extrem wichtig, sowohl für diejenigen, die etwas von uns erwarten bzw. ihre Anliegen vorbringen wollen, als auch umgekehrt für uns. Wir informieren uns in dieser Hinsicht gerne. Daher wird sich über Sinn und Zweck dieser Gespräche niemand große Sorgen machen müssen. Im Übrigen finde ich es ganz schade, dass der Begriff des Lobbyisten und des Lobbyismus so sehr verbrannt ist. Das meinen übrigens auch die sogenannten Lobbyisten selber. Auch ich war in der Anhörung am 11. Mai, und wir haben alle gehört, dass auch die Lobbyverbände dort gesagt haben, sie wünschen sich ein verbindliches Lobbyistenregister. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Denn mit einem verbindlichen Lobbyistenregister, Herr Kaster, wäre unserer Meinung nach viel getan. Dann käme nämlich endlich der Lobbyismus aus seiner Schmuddelecke heraus. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht nun einmal um nichts Geringeres als das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das staatliche Handeln und um Transparenz als wichtiges Argument dazu. Ich meine, das tut uns im Übrigen überhaupt nicht weh. Im Gegensatz zu dem, was unsere Koalitionskollegen äußern, geht es nicht darum, dass wir sozusagen die Hosen runterlassen, dass wir uns für alle Gespräche, die wir führen, öffentlich rechtfertigen müssen, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich!) sondern es geht genau um die andere Seite: Es geht nur darum, dass die Lobbyverbände ihre Anliegen und ihre Hintergründe offenlegen müssen. Das hat also mit einem Nackigmachen des Parlamentariers wirklich nichts zu tun. Aber ich gebe zu, es gab auch kritische Stimmen in der Anhörung. Ich habe die Wucht nicht so empfunden wie Sie; Sie hatten vorhin gesagt, das war verheerend für das Team, das für ein verbindliches Lobbyistenregister ist. Ich habe es anders vernommen, aber wir haben auch die kritischen Stimmen gehört, und ich kann mir vorstellen, dass meine Kollegin gleich auch auf einen solchen Punkt eingehen wird. Das betrifft beispielsweise die Offenlegung von finanziellen Dingen. Da, denke ich, müsste man wirklich noch einmal schauen, ob das möglicherweise zu sehr in das Recht der informationellen Selbstbestimmung eingreift. Dass das freie Mandat an dieser Stelle betroffen sein soll, sehe ich wirklich nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber die kritischen Argumente gegen ein verbindliches Lobbyistenregister dominieren derzeit – derzeit; man weiß ja nie – noch bei den Koalitionskollegen der CDU/CSU und hindern uns von der SPD-Fraktion, Ihrem Antrag zuzustimmen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Das ist schade, aber es gibt eine Koalitionstreue, und an die halten wir uns. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Eine ganz arme Argumentation ist das! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Freies Mandat!) Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal ausdrücklich erwähnen, dass sich die Bilanz der Erfolge der Koalition – jetzt lobe ich uns – doch sehen lassen kann. Es ist zwar schon gesagt worden, aber vielleicht noch nicht so deutlich: Wir haben in dieser Legislatur die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung neu eingeführt. Wir haben eingeführt, dass es eine gesetzliche Karenzzeit für den Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft gibt. Ich habe eingangs schon gesagt, dass wir die Erteilung von Hausausweisen sehr reglementiert und ihre Zahl sehr stark verringert haben. Ich will an dieser Stelle noch ausdrücklich betonen: Wir von der SPD-Fraktion werden unser Ziel eines verbindlichen Lobbyistenregisters nicht aus den Augen verlieren. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wie lange wollen Sie sich eigentlich noch von der Linkspartei binden lassen?) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Britta Haßelmann ist jetzt die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Der Austausch von Politik und Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern ist für eine funktionierende Demokratie wichtig. Lobbyistinnen und Lobbyisten bringen wichtige Erfahrungen aus ihrer Praxis in den Prozess der politischen Meinungsbildung ein; so ist es. Gleichwohl hat aber der Einfluss von organisierten Vertreterinnen und Vertretern auf Entstehungs- oder Entscheidungsprozesse von Gesetzen in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Daher muss Lobbytätigkeit im Bereich der politischen Entscheidung für die Öffentlichkeit transparent sein. Das sollte uns allen doch eine Selbstverständlichkeit sein, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir als deutsches Parlament sind in diesem Selbstverständnis eben nicht ganz weit vorn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion. Ich frage mich nach der Rede von Herrn Kaster wirklich: Was bauen Sie hier in der Abwehr gegen ein solches Transparenz- und Lobbyistenregister eigentlich für einen Popanz auf? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wissen Sie eigentlich nicht, dass nicht nur wir im Parlament dafür streiten, sondern dass längst viele Verbände, viele Unternehmen und Institutionen, deren Vertreter nicht nur hier im Bundestag, sondern auch im Europaparlament und in der Kommission ein und aus gehen, sich dort den Regeln eines Transparenz- und Lobbyistenregisters selbstverständlich unterziehen? Sie empfinden das nämlich als hilfreich; denn dann steht man nicht mehr in einer Ecke nach dem Motto: Gibt es da einen Einfluss, den keiner kennt und den keiner beurteilen kann? Wann kommen Sie endlich zu dieser Einsicht? Reden Sie doch einmal mit den Unternehmen und den Verbänden, die nicht nur im deutschen Parlament und bei der Regierung ein und aus gehen, sondern auch auf europäischer Ebene. Deren Vertreter unterziehen sich alle einer solchen Registrierung, wie wir Grüne oder auch die Linken das in den entsprechenden Anträgen fordern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Da sollten Sie doch ein bisschen auf der Höhe der Zeit sein und nicht immer auf die Verbändeliste von 1972 verweisen. Seitdem haben wir doch ganz andere Transparenzanforderungen, sowohl an die deutsche Gesetzgebung als auch an das Parlament und an die Bundesregierung. Denken Sie nur an das Informationsfreiheitsgesetz. Warum bauen Sie hier einen solchen Popanz auch im Hinblick auf das freie Mandat auf? (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Der Vorschlag der Linken zum Informationsfreiheitsgesetz war einfach schlecht!) Niemand stellt das freie Mandat infrage, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Doch!) auch in meiner Fraktion nicht. Das ist ganz bedeutend. Das wissen wir gerade in diesen Tagen, in denen wir diese massiven Auseinandersetzungen mit Herrn Erdogan haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Daher wissen wir das freie Mandat zu schätzen und wissen es auch zu verteidigen. Also, kommen Sie mir nicht mit solchen Sachen. Im Jahr 2015 hat Transparency International die Studie „Lobbying in Europe“ veröffentlicht, in der 19 EU-Staaten und 3 EU-Institutionen untersucht wurden. Wissen Sie, auf welchem Platz Deutschland darin gelandet ist? Auf Platz 16. Das heißt, wir haben hier erheblichen Nachholbedarf. Inzwischen haben acht europäische Länder und europäische Institutionen ein solches Lobbyregister. In Kanada und den USA gibt es seit Jahrzehnten verpflichtende Lobby- und Transparenzregister. Was also veranlasst Sie, bei diesem alten Hut zu bleiben und gebetsmühlenartig davon abzulenken, dass mehr Transparenz in unser aller Interesse ist, nicht nur im Interesse des Parlaments, meine Damen und Herren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich will zum Schluss noch ein Beispiel nennen, den legislativen Fußabdruck. Schon einmal etwas davon gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union? Wäre es nicht für uns Parlamentarier, aber auch für die Öffentlichkeit wichtig, ganz deutlich und unmissverständlich dargelegt zu bekommen, und zwar ohne entsprechende Fragen an die Bundesregierung, wie viele Großkanzleien, wie viele Interessenverbände, wie viele Unternehmen möglicherweise auf einen Gesetzentwurf, der dem Parlament vorliegt und hier beraten wird, Einfluss genommen haben? Das wäre doch für uns alle wichtig zu wissen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird man doch mal wissen dürfen!) für uns Abgeordnete und für die Öffentlichkeit. Warum sträuben Sie sich dagegen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Durch die von uns vorgeschlagene Registrierung würde auch der legislative Fußabdruck ganz deutlich gemacht werden. Von daher, meine Damen und Herren, führen Sie doch nicht diese Old-fashion-Debatten in Abwehrschlachten, sondern nähern Sie sich einmal sachlichen Argumenten an! Herr Uhl, ich bin gespannt, ob Sie gleich über die Anhörung reden werden, bei der Sie bei der Beantwortung Ihrer Frage noch nicht einmal mehr da waren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dazu hätte der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl jetzt Gelegenheit; denn er ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Haßelmann, nach Ihrer aufgeregten Sprache (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!) und der Art und Weise, mit diesem Thema umzugehen, dass Sie vom legislativen Fußabdruck sprechen, also in der Sprache der Kriminalpolizei, als müssten Sie auf Spurensuche gehen, wo hier im Haus zwischen den Abgeordneten Straftaten begangen worden sind, frage ich mich schon: Was sind das für verwirrte Geister, die hier am Rednerpult stehen? (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es sind undurchdachte Anträge, die Sie hier vorgelegt haben. Es ist immer ärgerlich, wenn man sich mit solchen Anträgen herumschlagen muss, vor allem dann, wenn sie von den Linken und den Grünen in bürgernaher Attitüde vorgetragen worden sind. Nach den Vorschlägen der Antragsteller ist Lobbyismus offensichtlich etwas ganz Schlimmes. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein!) – Doch. – Lobby, das war und ist teilweise noch die Wandelhalle im englischen und im amerikanischen Parlament, in der den Abgeordneten Meinungen und Ansichten von Bürgern vorgetragen worden sind. Daher kommen die Wörter „Lobby“ und „Lobbyisten“. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist so!) Schon im Altertum kam in der Politik vor dem „parlare“, dem Reden, Frau Haßelmann, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, man kann auch engagiert reden!) das „audire“, das Hören. Von „audio“ kommt übrigens das Wort „Audienz“. Der Gedanke „erst hören, dann reden“ gilt auch für die heutige Demokratie. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt lassen Sie doch mal Ihre Arroganz!) Das freie Mandat – das haben wir in der Anhörung gelernt; Sie hätten da zuhören sollen – hat grundrechtsgleichen Charakter, Artikel 38 Grundgesetz, und ist der Mittelpunkt der gelebten parlamentarischen Demokratie. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zu Ihnen war ich die ganze Zeit bei der Anhörung anwesend!) Wir Abgeordnete, vom Volk gewählt, genießen das Vertrauen der Mehrheit des Volkes. Diesem Vertrauen sollten wir gerecht werden; wir sollten uns nicht kleiner machen, als wir sind. Das Volk hat Vertrauen in uns. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Wir sollten uns auch nicht ohne Not „kriminell“ machen, indem wir vom Fußabdruck reden, den wir oder andere eventuell in den Zimmern hinterlassen haben. Das ist alles dummes Zeug. Die Linken und die Grünen meinen, dass der Abgeordnete, der von uns wohlverstandene Abgeordnete im Sinne des Grundgesetzes, das ihm Vorgetragene nicht selber einordnen und beurteilen kann. Ich verstehe mein Amt so, dass man mir das Vertrauen gegeben hat, aus den vielfältigen Meinungen, die mir vorgetragen werden – immer aus Partikularinteresse heraus –, das Gemeinwohl herauszuarbeiten und dieses abstrakt in Regelungen und Gesetzen zu formulieren. Das ist unsere Aufgabe, und dafür werden wir bezahlt. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU wurde auch für anderes bezahlt!) Die Menschen haben Vertrauen darin. Das sollte nicht kriminalisiert werden. Deswegen müssen wir die Partikularinteressen aufnehmen, anhören und etwas Vernünftiges daraus machen. Wenn Sie diese Gespräche, dieses Vortragen von Partikularinteressen durch Interessenvertreter, kriminalisieren, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das will doch niemand!) mit Misstrauen überziehen und „Fußabdrücke“ entdecken wollen, dann wollen Sie Misstrauen säen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absurd!) Sie wollen, dass die Gesprächspartner online an den Pranger gestellt werden. Das ist Ihre Absicht. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ist das Old School! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absurd!) Das Wesensmerkmal der Demokratie heißt Interessenvertretung. Das Wesensmerkmal der Demokratie ist der Wettbewerb der Meinungen. Möglichst viele Interessen und Stimmungen der Gesellschaft sollen aufgenommen werden, und zwar von uns, von niemand anderem, weil wir daraus Gesetze machen sollen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie die Spenderliste nicht endlich offenlegen?) Das nennt man responsive Demokratie. Haben Sie davon schon gehört, Frau Sitte? (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja! Aber Sie haben noch nichts vom legislativen Fußabdruck gehört!) Wer den Prozess der responsiven Demokratie bürokratisch reglementieren will, der sorgt nicht für mehr, sondern für weniger Demokratie. (Beifall bei der CDU/CSU) Neben so anmaßenden Einrichtungen wie Abgeordnetenwatch soll es jetzt also eine Informations- und Gesprächswatch geben. Das ist Ihre Absicht. Der Fähigkeit des Abgeordneten zur Einordnung und Abwägung wird nicht vertraut. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ – dieses Schlagwort, das Lenin zugeschrieben wird, wird heute eher scherzhaft benutzt. Es hat aber im Lauf der Geschichte der Unfreiheit, Regulierung und Bevormundung Tür und Tor geöffnet. Das wollen wir nicht. Meine Fraktion und ich haben Vertrauen in die Urteilskraft der Abgeordneten und Ministerialbeamten. Wir sind auch nicht bereit, an einer Diskriminierung und Stigmatisierung der Menschen mitzuwirken, die für sich, ihre Unternehmen, ihre privaten Interessen oder für ihre NGOs Gedanken, Konzepte und Anliegen vortragen. Das darf nicht diskreditiert werden. Interessant war in der Anhörung die Antwort auf unsere Frage (Dagmar Ziegler [SPD]: Auf meine! Das war meine Frage!) – Ihre Frage; das gebe ich gerne zu –, wer von den Anhörpersonen bei den Anträgen der Grünen und der Linken mitgewirkt haben. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn da enttarnt, Herr Staatsanwalt?) Die angehörten Personen von Transparency International haben gesagt: Ja, wir haben die Anträge mitgeschrieben. – Dann habe ich gefragt: Halten Sie sich denn für Interessenvertreter, für Lobbyisten? Da mussten sie kleinlaut zugeben: Ja, wir sind insoweit auch Lobbyisten. – Ich wollte schon sagen: Wenn Sie das jetzt nicht zugeben, dann müssten Sie eigentlich zum Psychiater gehen. – Denn ein Mensch, der keine Interessen hat, sollte sich in Behandlung begeben. Jeder Mensch hat Interessen und sollte sie auch offen vortragen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Unterste Schublade!) Die Antragsteller wollen sich die volksnahe Deutung von Lobbyisten als Negativurteil zunutze machen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Irgendwie wirkt das alles ziemlich hilflos!) Das Wort „Lobbyist“ hat schon einen schmutzigen Beiklang und kommt fast einer Beleidigung gleich. Auf dieser Klaviatur spielen Sie mit diesen beiden Anträgen. Natürlich kann die Grenze zwischen legitimer demokratischer Interessenvertretung und illegitimer Einflussnahme überschritten werden; das ist völlig unbestritten. Missbrauch gibt es überall, wo Menschen unterwegs sind. Solche Missstände – zum Beispiel gab es in der Europäischen Kommission Zeiten, wo Vertreter des Bankenverbandes Berater der Kommission waren und ihre Bankenrichtlinie gleich selbst geschrieben haben – muss man offen ansprechen und abstellen; das ist selbstverständlich. Missstände muss man erkennen, und man muss ihnen entgegentreten. Dafür haben wir aber schon Gesetze und Regelungen. Ich nenne stellvertretend § 108e Strafgesetzbuch, in dem wir geregelt haben, dass der Stimmenkauf und -verkauf bei Wahlen und Abstimmungen strafbar ist. Das ist doch selbstverständlich, und dies sollten wir auch offen ansprechen. Eine Registrierungsbürokratie führt aber keinen Schritt weiter. Sie ist ein Bürokratiemonster und zwingt die Parlamentsverwaltung, die typischerweise eine Serviceverwaltung für uns Abgeordnete ist, zu einer Behörde zur Kontrolle von Abgeordneten zu werden. Das wollen wir nicht, und die Parlamentsverwaltung will es auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das ist auch verfassungswidrig! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu welchem Antrag sprechen Sie gerade?) Das alles ist leerer Aktionismus. Was soll geschehen, wenn sich ein Abgeordneter mit einem Lobbyisten statt im Abgeordnetenbüro in einem Café auf der anderen Straßenseite trifft? Das ist nicht geregelt und auch nicht regelbar. An diesem kleinen Beispiel sehen Sie schon die Unsinnigkeit eines solchen Lobbyistenregisters. Nein, es handelt sich um ein Bürokratiemonster und ist nichts anderes als Aktionismus. Ein solches Register schadet der Demokratie und nutzt ihr nicht. Deswegen lehnen wir die beiden vorliegenden Anträge strikt ab. Frau Steffen, Sie haben allen Ernstes gesagt – das hat mich verwundert –, dass Sie den Anträgen gerne zustimmen, aber vom Koalitionspartner CDU/CSU daran gehindert würden. Eine Sozialdemokratin, die so spricht, wird bei ihren Wählern Stirnrunzeln verursachen. Die Wähler werden sagen: Dann wählen wir doch gleich lieber die Linke – das ist das Original – statt die SPD. – Lassen Sie in Zukunft solche Anmerkungen. Sie schaden Ihnen mehr, als dass sie nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt die Kollegin Dagmar Ziegler, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Ziegler (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Machen Sie etwas daraus!) – Genau, daraus mache ich jetzt etwas. – Bestimmte Lobbyisten wollen, dass wir ein Lobbyistenregister einführen. Das haben wir heute gelernt. Ja, die SPD-Fraktion steht dem offen gegenüber. Auch wir wollen ein solches Register. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist gut, wenn Bürgerinnen und Bürger – genauso wie in den Gelben Seiten – nachlesen können, welche Interessenvertreter Kontakte zu den Parlamentariern und der Verwaltung pflegen. Es ist auch gut, wenn Parlamentarier und Verwaltung wissen, wen sie zur Bereicherung ihres Wissens und für die Abwägung bei ihrer Meinungsbildung hinzuziehen können. Wir alle sind uns einig – weil durch Osmose nicht möglich –, dass Kontaktpflege und Inanspruchnahme des Fachwissens anderer notwendig sind, um als Verwaltung gute Gesetzentwürfe erarbeiten und als Abgeordnete gute Entscheidungen treffen zu können; das ist unbestritten. Aber das war es dann auch schon. Gemeinsam vermeiden sollten wir solche Unterstellungen wie die im Antrag der Linken formulierten, dass Lobbyarbeit auch illegale Einflussnahme bis hin zu Korruption sein kann. Natürlich ist im Leben alles möglich. Wenn das aber immer als Erklärungsgrund dient, warum es ein Lobbyistenregister geben muss, dann hat Herr Uhl zu Recht gesagt, dass man das auch im Café nebenan erledigen kann. Um das zu vermeiden, bedarf es eines solchen Registers nicht. Sie sollten diesen Zusammenhang so nicht herstellen. (Beifall bei der SPD) Denn damit machen Sie das Parlament und die Parlamentarier klein. Nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes gibt es nun einmal das Recht auf vertrauliche Kommunikation mit Interessenvertretern zur Entwicklung und gegebenenfalls zur Verwerfung neuer Ideen. Die Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages und das Strafgesetzbuch legen hier die Grenzen eindeutig fest. Ziehen Sie das also bitte nicht als Begründung eines Lobbyistenregisters heran! Wir sagen Ja zu einem Lobbyistenregister, wenn ein Koalitionsvertrag das hergibt, aber ein klares Nein zu einer Strategie der Unterstellungen und Verdächtigungen, die der demokratischen Willensbildung am Ende Schaden zufügen. Herr Monath vom Tagesspiegel bringt es auf den Punkt – ich darf zitieren, Frau Präsidentin –: Mehr Transparenz kann sicher Korruption oder Menschenrechtsverletzungen erschweren und auch Teilhabe ermöglichen. Als Allheilmittel, um Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen, taugt sie nicht. Denn Grenzen gegen „Transparenzterror“ (so der Berliner Philosoph Byung-Chul Han) bleiben weiter notwendig. Viele politische Entscheidungsprozesse, gerade in Demokratien, brauchen einen geschützten Raum, wenn sie gute Ergebnisse bringen sollen. Allein das ist Grund genug, mit mehr Selbstbewusstsein dem Generalverdacht entgegenzutreten, wonach Intransparenz das neue Böse schlechthin sein soll. Dem ist, glaube ich, nichts hinzuzufügen. Danke und ein schönes Wochenende. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 18/8742. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3842 mit dem Titel „Transparenz herstellen – Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3920 mit dem Titel „Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 22. Juni 2016, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise und hoffentlich etwas Zeit am Wochenende. (Schluss: 12.16 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.06.2016 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 10.06.2016 Bülow, Marco SPD 10.06.2016 Felgentreu, Dr. Fritz SPD 10.06.2016 Ferner, Elke SPD 10.06.2016 Flachsbarth, Dr. Maria CDU/CSU 10.06.2016 Gröhe, Hermann CDU/CSU 10.06.2016 Grötsch, Uli SPD 10.06.2016 Heck, Dr. Stefan CDU/CSU 10.06.2016 Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 10.06.2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 10.06.2016 Leutert, Michael DIE LINKE 10.06.2016 Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU 10.06.2016 Liebing, Ingbert CDU/CSU 10.06.2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.06.2016 Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU 10.06.2016 Malecha-Nissen, Dr. Birgit SPD 10.06.2016 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 10.06.2016 Petzold, Ulrich CDU/CSU 10.06.2016 Rawert, Mechthild SPD 10.06.2016 Riesenhuber, Dr. Heinz CDU/CSU 10.06.2016 Scho-Antwerpes, Elfi SPD) 10.06.2016 Schulz-Asche, Kordula BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.06.2016 Spahn, Jens CDU/CSU 10.06.2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 10.06.2016 Steinbrück, Peer SPD 10.06.2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 10.06.2016 Tack, Kerstin SPD 10.06.2016 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10.06.2016 Veit, Rüdiger SPD 10.06.2016 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 10.06.2016 Weinberg, Harald DIE LINKE 10.06.2016 Werner, Katrin DIE LINKE 10.06.2016 Wicklein, Andrea SPD 10.06.2016 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Energieforschung 2016 Forschungsförderung für die Energiewende Drucksachen 18/8200, 18/8461 Nr. 1.2 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Deutschlandstipendium über die Ergebnisse der Evaluation nach § 15 des Stipendienprogramm-Gesetzes und der Begleitforschung Drucksache 18/7890 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 18/7612 Nr. A.1 EP P8_TA-PROV(2016)0021 Innenausschuss Drucksache 18/6855 Nr. A.1 EP P8_TA-PROV(2015)0388 Drucksache 18/7286 Nr. A.3 Ratsdokument 13819/15 Drucksache 18/8293 Nr. A.1 Ratsdokument 6651/16 Drucksache 18/8668 Nr. A.14 Ratsdokument 8491/16 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/8293 Nr. A.14 Ratsdokument 7571/16 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/3618 Nr. A.4 Ratsdokument 16115/14 Drucksache 18/3962 Nr. A.1 Ratsdokument 5112/15 Drucksache 18/6855 Nr. A.17 Ratsdokument 13669/15 Drucksache 18/7286 Nr. A.25 Ratsdokument 14270/15 Drucksache 18/7286 Nr. A.26 Ratsdokument 14272/15 Drucksache 18/7422 Nr. A.31 Ratsdokument 15362/15 Drucksache 18/7934 Nr. A.30 EP P8_TA-PROV(2016)0050 Drucksache 18/8140 Nr. A.25 EP P8_TA-PROV(2016)0058 Drucksache 18/8470 Nr. A.31 EP P8_TA-PROV(2016)0133 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 177. Sitzung, Berlin, Freitag, den 10. Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 177. Sitzung, Berlin, Freitag, den 10. Juni 2016 17473 Plenarprotokoll 18/177