Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 207. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Inhalt: Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes Drucksachen 18/9523, 18/9853, 18/10102 Nr. 3, 18/10524 20697 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes Drucksachen 18/9524, 18/9953, 18/10102 Nr. 15, 18/10513 (neu) 20697 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes Drucksachen 18/9527, 18/9952, 18/10102 Nr. 14, 18/10516 20697 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückziehen – Klimaschutz- und sozialökologische Nachhaltigkeitsziele umsetzen Drucksachen 18/8075, 18/10514 Buchstabe a 20697 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesverkehrswegeplanung richtig stellen Drucksachen 18/7554, 18/10515 20697 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundesnetzplan weiterentwickeln Drucksachen 18/8083, 18/10514 Buchstabe b 20697 D Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI 20698 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 20700 D Sören Bartol (SPD) 20702 A Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20703 C Patrick Schnieder (CDU/CSU) 20705 B Herbert Behrens (DIE LINKE) 20707 B Christian Pegel, Minister (Mecklenburg- Vorpommern) 20708 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20710 A Ulrich Lange (CDU/CSU) 20710 D Gustav Herzog (SPD) 20712 A Arnold Vaatz (CDU/CSU) 20713 D Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Familien stärken – Kinder fördern Drucksache 18/10473 20716 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20716 D Martin Patzelt (CDU/CSU) 20717 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 20718 C Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20719 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 20721 A Susann Rüthrich (SPD) 20723 A Markus Koob (CDU/CSU) 20724 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 20726 D Gülistan Yüksel (SPD) 20728 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 20729 A Paul Lehrieder (CDU/CSU) 20730 B Birgit Kömpel (SPD) 20732 B Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) 20733 A Ulrike Bahr (SPD) 20734 D Sönke Rix (SPD) 20735 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 20736 C Tagesordnungspunkt 11: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 19. Mai 2016 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt Montenegros Drucksachen 18/9989, 18/10332 20737 B Josip Juratovic (SPD) 20737 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 20738 C Peter Beyer (CDU/CSU) 20739 C Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20740 C Julia Obermeier (CDU/CSU) 20741 C Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes Drucksache 18/10459 20742 C Christian Schmidt, Bundesminister BMEL 20742 D Karin Binder (DIE LINKE) 20744 A Elvira Drobinski-Weiß (SPD) 20745 A Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20746 A Kees de Vries (CDU/CSU) 20747 A Dr. Matthias Miersch (SPD) 20748 C Stephan Albani (CDU/CSU) 20749 D Tagesordnungspunkt 34: a) Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Katja Kipping, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alleinerziehende entlasten – Umgangsmehrbedarf anerkennen Drucksache 18/10283 20751 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebenssituation von Alleinerziehenden deutlich verbessern Drucksachen 18/6651, 18/10106 20751 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 20751 B Gudrun Zollner (CDU/CSU) 20752 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 20754 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 20755 C Jutta Eckenbach (CDU/CSU) 20756 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) 20758 B Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 20759 C Nächste Sitzung 20760 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 20761 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 30 a) 20762 A Heike Baehrens (SPD) 20762 A Michael Groß (SPD) 20762 B Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) 20762 C Christian Lange (Backnang) (SPD) 20762 D Annette Sawade (SPD) 20763 A Dr. Dorothee Schlegel (SPD) 20763 C Ute Vogt (SPD) 20763 D Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 30 b) 20764 B Maik Beermann (CDU/CSU) 20764 B Achim Post (Minden) (SPD) 20764 C Albert Rupprecht (CDU/CSU) 20765 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Brehmer (CDU/CSU) zu den Abstimmungen über – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückziehen – Klimaschutz- und sozialökologische Nachhaltigkeitsziele umsetzen – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesverkehrswegeplanung richtig stellen – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundesnetzplan weiterentwickeln (Tagesordnungspunkte 30 a bis f) 20765 C Anlage 5 Amtliche Mitteilungen 20766 C 207. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zur letzten Plenarsitzung dieser Sitzungswoche. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 f auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes Drucksachen 18/9523, 18/9853, 18/10102 Nr. 3 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/10524 b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes Drucksachen 18/9524, 18/9953, 18/10102 Nr. 15 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/10513 (neu) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes Drucksachen 18/9527, 18/9952, 18/10102 Nr. 14 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/10516 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückziehen – Klimaschutz- und sozialökologische Nachhaltigkeitsziele umsetzen Drucksachen 18/8075, 18/10514 Buchstabe a e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesverkehrswegeplanung richtig stellen Drucksachen 18/7554, 18/10515 f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundesnetzplan weiterentwickeln Drucksachen 18/8083, 18/10514 Buchstabe b Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Außerdem liegt zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll darüber 77 Minuten debattiert werden. – Einwände dagegen sind nicht zu erkennen. Also verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister Alexander Dobrindt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir starten heute das größte Investitionsprogramm für die Infrastruktur, das es je gegeben hat, mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030, mit über 270 Milliarden Euro, mit mehr als 1 000 Projekten und erstmalig mit einer klaren Finanzierungsperspektive. Der neue Bundesverkehrswegeplan stärkt das, was unser Land starkmacht: Infrastruktur und Mobilität in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutschland ist hier Vorreiter in Europa. Daran werden auch die einen oder anderen schrillen Zwischenrufe der Verkehrspessimisten nichts ändern. Es ist eine Tatsache, die alle Studien belegen. Beim Best Countries Ranking, vorgestellt beim Weltwirtschaftsforum in Davos, ist Deutschland das beste Land der Welt mit zehn von zehn Punkten für die Infrastruktur. Beim Logistics Performance Index der Weltbank ist Deutschland Logistikweltmeister und erreicht weltweit den höchsten Wert bei der Infrastruktur. Das ist die Grundlage für Wachstum, Wohlstand und Arbeit, für Wirtschaftskraft, Lebensqualität und Wertschöpfung. Deswegen war es natürlich falsch, in der Vergangenheit zu wenig dafür getan zu haben, zu wenig in die Infrastruktur investiert zu haben, zu wenig für den Erhalt aufgewendet zu haben. Besonders in den Millenniumsjahren wurden dringend notwendige Investitionen verschleppt und die Infrastruktur auf Verschleiß gefahren. Ich sage klar: Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen. Deswegen haben wir zu Beginn unserer Wahlperiode mit dem Investitionshochlauf die notwendige Grundlage für ein umfassendes Infrastruktur-Upgrade gestartet. Das, was wir jetzt mit dem Bundesverkehrswegeplan umsetzen, ist die Realisierung dessen, was wir an finanziellen Mitteln im Haushalt zur Verfügung gestellt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die vergangenen Tage übrigens waren auf diesem Weg der Verwirklichung einer optimierten Infrastruktur so etwas wie ein regelrechter Ziellauf, mit dem wir eine ganze Reihe von historischen Meilensteinen erreicht haben. Wir haben letzten Freitag den größten Investitionshaushalt für die Infrastruktur gestartet, der jemals im Deutschen Bundestag beschlossen worden ist, mit über 14 Milliarden Euro für 2017 und 2018 und mit einer Investitionsquote im Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur von über 60 Prozent. Wir haben das Regionalisierungsgesetz abgeschlossen und geben in den nächsten 15 Jahren eine Rekordsumme von 150 Milliarden Euro für einen leistungsfähigen Regionalverkehr auf der Schiene aus. Wir haben gestern im Deutschen Bundestag die Ausweitung der Lkw-Maut auf allen Bundesstraßen beschlossen und damit auch den Systemwechsel zur Nutzerfinanzierung weiter vorangetrieben. Wir haben uns außerdem mit der EU-Kommission geeinigt. Es steht fest: Auch die Pkw-Maut kommt. Damit kann man zügig alle Voraussetzungen dafür schaffen, dass Gerechtigkeit auf unseren Straßen herrscht und dass der Grundsatz gilt: Wer nutzt, der zahlt auch. Aber keiner zahlt doppelt, kein inländischer Autofahrer wird mehr belastet, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Da müsst ihr schon allein klatschen!) Wir erreichen damit in einer Wahlperiode 2 Milliarden Euro an Mehreinnahmen. Ich bin an dieser Stelle schon ein bisschen überrascht, dass, wie man heute lesen kann, Geld und diese finanziellen Summen in der Diskussion offensichtlich keine Rolle mehr spielen. Meine Damen und Herren, wir haben ganze Wahlperioden damit bestritten, Kommissionen über die Frage tagen zu lassen: Wie viel mehr Geld braucht die Infrastruktur, und woher kann dieses Geld kommen? Die Kommissionen haben getagt, getagt, getagt. Aber kein Euro mehr kam in die Kasse. 100 Millionen Euro wurden stückweise Haushalt um Haushalt zur Verfügung gestellt, um vielleicht etwas Bewegung in die Investitionen zu bekommen. Jetzt, da wir Milliardenbeträge mehr an Einnahmen schaffen, wird darauf hingewiesen, dass dies vielleicht nur ein kleiner Teil wäre, um die Infrastruktur zu stärken. Im Investitionshochlauf haben wir es geschafft, zu sichern, dass die Lkw-Maut mit 4 Milliarden Euro weiter zur Verfügung steht, dass sie durch die Ausweitung auf alle Bundesstraßen 2 Milliarden Euro zusätzlich einbringt und dass die Infrastrukturabgabe jährlich 4 Milliarden Euro zweckgebunden an Einnahmen bringt. Das sind zusammen 10 Milliarden Euro für Investitionen in die Straße, langfristig gesichert. Sie wären doch über Jahre hinweg froh gewesen, wenn Sie nur einen Bruchteil davon hätten schaffen können, was wir jetzt ermöglicht haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Rekordinvestitionen sind aber kein Selbstzweck, sondern sie müssen zielgerichtet eingesetzt werden. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt? Seit wann das?) Mit dem Bundesverkehrswegeplan und seinen Ausbaugesetzen für die Infrastruktur gelingt das. Mit den 270 Milliarden Euro und den über 1 000 Projekten machen wir die Infrastruktur in Deutschland fit für das globale digitale Zeitalter. Wir bringen übrigens zum ersten Mal Ökonomie und Ökologie zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie ja selber lachen!) Ja, ich weiß, dass das für die Verkehrspessimisten von den Grünen unglaublich schwer zu ertragen ist. Schauen Sie, wir haben einen eigenen Umweltbericht zu allen Projekten des Bundesverkehrswegeplans erstellt. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den haben Sie ja gar nicht eingehalten!) Sie wollen natürlich nicht wahrhaben, dass ein großer Bericht darüber gemacht worden ist, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keinerlei umweltpolitische Ziele!) weil Sie selber zu Ihrem Bundesverkehrswegeplan vor 15 Jahren einen Umweltbericht von nur mageren sechs Seiten hatten. Das ist doch die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Ihr Bundesverkehrswegeplan von 2003, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, fällt doch im Ökocheck gnadenlos durch. Was wir in der Großen Koalition heute machen, ist in allen Bereichen deutlich besser als das, was Sie damals auf den Weg gebracht haben. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind immer noch grottenschlecht! Grottenschlecht!) Wir investieren einen Rekordanteil von 70 Prozent der Mittel in den Erhalt und in die Modernisierung. Sie haben damals nur 56 Prozent geschafft. Wir investieren über die Hälfte der Mittel in die Schiene und die Wasserstraße. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schienenprojekte sind noch nicht bewertet worden!) Sie haben die Mehrheit der Mittel damals in die Straße investiert. Wir investieren heute 112 Milliarden Euro in die Schiene, mehr als doppelt so viel als das, was Sie damals auf den Weg gebracht haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Lesen Sie es einfach nach! Ihre Empörung ist pure Heuchelei, liebe Freunde von den Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Grottenschlecht wart ihr in eurer Regierungszeit! Grottenschlecht wart ihr!) – Volker Kauder hat recht, ihr wart grottenschlecht, als ihr regiert habt. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das rechtfertigt, dass Sie es noch schlechter machen?) Wir haben zum ersten Mal mit diesen Rekordmitteln eine klare und realistische Finanzierungsperspektive gegeben. Auch das gab es in Ihrer Zeit nicht. Ich weiß, dass natürlich auch die Tatsache, dass wir jetzt eine echte Finanzierungsperspektive für die über 1 000 Projekte haben, ist natürlich für die Grünen alles andere als eine gute Nachricht. Sie wollen in Wahrheit überhaupt keine Straßen bauen, Sie wollen die Mobilität verhindern. Sie fordern doch bei jeder wiederkehrenden Bundestagswahl einen Stopp des Straßenbaus. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen die Staus nur breiter! Das ist Ihr Problem!) Jetzt sage ich Ihnen: Schon 1980 haben Sie darauf hingewiesen, man dürfe die Autobahnen nicht weiter ausbauen. Damals hatten wir 9 000 Kilometer, jetzt haben wir 13 000 Kilometer Autobahnen. Wir haben eine Steigerung des Verkehrs auf den Straßen um 70 Prozent. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau dafür bauen Sie die Infrastruktur!) Hätten wir damals auf Sie gehört, hätten Sie sich mit Ihrer Politik damals durchgesetzt, dann wären wir bei der Infrastruktur heute ein Dritte-Welt-Land. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Schlimmste dabei ist übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass Sie sich in den letzten 30 Jahren bei diesem Thema keinen Millimeter weiterentwickelt haben. Sie fordern jetzt noch – ich denke an Ihre Kollegen Kindler und Kuhn – ein Neubaumoratorium. Sie haben auf Ihrem Parteitag vor wenigen Wochen beschlossen, man müsse aufhören, dem Wachstum hinterherzubauen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Sie sind heute die gleiche straßenfeindliche Entmobilisierungspartei wie noch vor 30 Jahren. Daran hat sich nichts geändert. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das funktioniert seit 50 Jahren nicht, was Sie machen!) Die Menschen (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Politik ist seit 50 Jahren gescheitert!) – Sie können so laut schreien, wie Sie wollen – gehen Ihre strikte Investitionsverweigerung, was den Verkehr betrifft, nicht mit. Die Menschen in unserem Land wollen mobil sein, sie wollen Investitionen in die Infrastruktur. Sie wollen, dass Deutschland bei der Mobilität Spitze bleibt. Der aktuelle ARD-Deutschlandtrend sagt das eindeutig. Da wurden die Menschen gefragt, wofür Mehreinnahmen des Staates verwendet werden sollen. Die absolute Mehrheit, nämlich 60 Prozent, sagt ganz klar: für Investitionen in die Infrastruktur. Das heißt, die Menschen vertrauen uns, die Menschen vertrauen der Großen Koalition, dass das Geld gut investiert wird, (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sie setzen auf den Erfolg unserer Verkehrspolitik und sind gegen Ihre Entmobilisierungspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD] – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) Wir beenden mit unseren Rekordinvestitionen in der Tat auch einen jahrelangen Missstand in Deutschland. Wir beenden das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Ländern und Bund, bei dem immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass die Länder in den Regionen gerne bauen würden, aber es fehlten das Geld, die Perspektive und die Zusage vom Bund. All das ist beendet. Das Nadelöhr sind nicht mehr die Finanzen, sondern das Nadelöhr sind die Planungen. Meine Baufreigaberunde hat es auch dieses Jahr gezeigt: Es gibt inzwischen sehr große Unterschiede zwischen den Regionen in Deutschland, was die Möglichkeit des Schaffens von Baurecht anbelangt. Das ist übrigens auch ein Befund, den die Bodewig-Kommission II uns mit auf den Weg gegeben hat. Sie hat deutlich formuliert: Einige Länder haben Schwierigkeiten, baureife Projekte anzumelden. – Das kann auf Dauer auch nicht so bleiben. Wir müssen das dringend ändern. Da stehen auch wir in der Verantwortung. Deswegen habe ich eine Kommission eingesetzt, mit der wir bis zum Frühjahr nächsten Jahres eine klare Strategie zur Planungsbeschleunigung erarbeiten. Auch dabei gibt es keine Denkverbote. Alle Vorschläge kommen auf den Tisch. Wir haben diesbezüglich schon drei Maßnahmen beschlossen: Mit dem Brückenmodernisierungsprogramm haben wir dafür gesorgt, dass der Klageweg bei besonders dringlichen Projekten auf eine Instanz konzentriert wird. Wir machen das digitale Planen und Bauen bis 2020 zum Standard bei allen Verkehrsinfrastrukturprojekten des Bundes; wir erproben digitale Methoden bereits heute. Und mit der Gründung einer Autobahngesellschaft sorgen wir dafür, dass die zwischen Bund und Ländern geteilten Kompetenzen gebündelt werden und in eine alleinige Verantwortung kommen. All das ist jetzt notwendig, um den Investitionshochlauf und den Bundesverkehrswegeplan mit seinen Projekten erfolgreich umzusetzen. Meine Damen und Herren, der Bundesverkehrswegeplan ist kein Plan, den man in jeder Wahlperiode macht. Alle 15 Jahre wird ein neuer Bundesverkehrswegeplan im Parlament beraten und umgesetzt. Viele von den Kolleginnen und Kollegen haben Verkehrswegepläne der Vergangenheit mit erarbeitet, begleitet und auch deren Auswirkungen verfolgt. Ich möchte mich bei all denen bedanken, die beim Bundesverkehrswegeplan 2030 in den letzten Monaten so aktiv mitgearbeitet haben, dass ein großes Projekt entstanden ist. Allen voran möchte ich mich bedanken bei den Kolleginnen und Kollegen des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, bei den Kollegen, die sich damit intensiv auseinandergesetzt haben, bei den Kollegen Bartol und Lange, bei Frau Lühmann, bei Herrn Vaatz, bei Herrn Herzog und bei Herrn Schnieder, die die Verantwortung dafür getragen haben, dass dieser Bundesverkehrswegeplan erfolgreich durch die Ausschussberatungen im Deutschen Bundestag gekommen ist, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) bei meinen Staatssekretären, bei der Kollegin Bär, bei Herrn Ferlemann, bei Herrn Barthle und bei all denen, die jetzt erfolgreich daran mitarbeiten, dass der Bundesverkehrswegeplan ein Garant dafür ist, dass die Infrastruktur in Deutschland in gutem Zustand bleibt und Wachstum, Wohlstand und Arbeit für die Zukunft sichert. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sabine Leidig ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Dieser Bundesverkehrswegeplan (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist super!) zielt auf noch mehr Verkehr und lässt umweltverträgliche Alternativen auf der Strecke. Deshalb lehnt die Linke ihn ab. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Minister Dobrindt behauptet, dass mehr Verkehr auch mehr Wohlstand bringt. Aber das ist reine Propaganda, und das wissen Sie natürlich. Es gibt schon viel zu viel Verkehr, zu viel Lärm, Abgase und Unfälle, zu viele Lkws in den Ortschaften, zu viele stehende Autos in den Städten, zu viel zerstörte Naturräume. Der Kampf um den Treibstoff für diesen Verkehr ist der wichtigste Grund für Kriege und Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Ölkonzerne und der Klimawandel zerstören Lebensräume und treiben Millionen Menschen in die Flucht. Wir brauchen endlich einen Einstieg in eine sozial-ökologische Verkehrswende. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie wollen noch 15 Jahre vom zerstörerischen Weiter-so und Mehr-davon, werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von der CDU/CSU, und haben noch zusätzliche Straßenbauprojekte für Hunderte Millionen Euro in den Entwurf hineinverhandelt. So etwas machen wir nicht mit. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen Mobilität für alle – ja! –, aber mit weniger Verkehr. Niemand darf aufs eigene Auto angewiesen sein. Dafür braucht es aber deutlich mehr öffentlichen Nahverkehr, den Bahnausbau in der Fläche und überall sichere Fahrradwege. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben eine ganze Liste mit sinnvollen Eisenbahnprojekten vorgeschlagen, die einem solchen Konzept folgen. Die haben Sie – bis auf ein einziges, nämlich die Gäubahn, die schon längst in der Debatte ist – alle abgelehnt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaublich!) Sie haben überhaupt alle Schienenprojekte abgelehnt, die von regionaler Bedeutung sind. Warum? (Sören Bartol [SPD]: Weil es ein Bundesverkehrswegeplan ist! Sie haben es immer noch nicht verstanden! Sie werden es auch nie verstehen!) Ein Viertel aller beschlossen Straßen hat überhaupt keine überregionale Bedeutung. – Sie brauchen hier gar nicht so herumzutönen; Sie wissen ganz genau, dass das ein eklatanter Widerspruch ist. (Beifall bei der LINKEN – Gustav Herzog [SPD]: Er tönt nicht, er spricht Argumente aus!) Der Kollege Herzog hat dann auch noch behauptet, man könne gar nicht so viele Bahnprojekte durchführen, weil gar nicht alle gleichzeitig gebaut werden könnten. Ja, aber wollen, dass es passiert, planen und das Geld dafür bereitstellen, wäre möglich. Das machen Sie bei den 1 300 Straßenbauprojekten, die Sie beschließen, ja auch. Die hat das Ministerium übrigens alle akribisch und so berechnet, dass sie sich angeblich alle lohnen. Für die Bahn ist das bisher überhaupt nicht passiert. Sie haben es abgelehnt, dass auf der Schienenstrecke elektrifiziert wird. Sie haben nicht beschlossen, dass das 740-Meter-Netz realisiert wird, damit europaweit auf langen Strecken lange Güterzüge fahren können. Alles dies ist wirklich nichts, was in die richtige Richtung geht. Ich will noch ein Thema ansprechen, das wirklich brennt. Landauf, landab haben sich viele engagierte Menschen im Rahmen Ihrer sogenannten Bürgerbeteiligung eingebracht. Sie reden ja immer davon, wie großartig Sie das gemacht haben. Es sind Tausende Vorschläge dazu gekommen, wie man unnütze Straßenbauprojekte vermeiden und Geld sparen kann, wie sinnvollere Lösungen gefunden werden können. Was ist passiert? Alle diese Einwendungen sind in einer Blackbox gelandet, und es ist nichts dabei herausgekommen. Nirgendwo ist zu erkennen, dass die Einwände und Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger irgendeine Wirkung gehabt hätten. Das ist nicht akzeptabel! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte ein Beispiel skizzieren, das zeigt, wie vernünftig die Alternativvorschläge sind. Das Bürgerforum Gladbeck fordert, dass auf den Bau der durchgehenden A 52 verzichtet wird, der übrigens schon bei einem Ratsbürgerentscheid 2012 mehrheitlich abgelehnt worden ist. (Sören Bartol [SPD]: Das stimmt nicht! Falsch!) Stattdessen schlagen sie sehr konkrete Maßnahmen vor, um die Verkehrsprobleme auf der Nord-Süd-Verbindung im Ruhrgebiet – Gladbeck–Bottrop–Essen – zu lösen und die Situation der regionalen Unternehmen zu verbessern: Umgestaltung der Bundesstraße, Verbesserung des Bahnverkehrs, bessere Radwege usw. (Gustav Herzog [SPD]: Auf dem Radweg transportieren Sie dann die Container?) bis hin zu geänderten Ampelphasen. Das ist doch viel sinnvoller, als noch mehr Geld in noch mehr Asphalt zu stecken. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben sich bisher geweigert, Alternativen zu akzeptieren oder auch nur zu prüfen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Damit machen Sie Bürgerbeteiligung zur Farce, und das ist wirklich beschämend. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Fraktion stellt heute noch einmal zur Abstimmung, dass mehr Demokratie in die Projektplanung kommt. Bei den großen, umstrittenen Straßenprojekten – das sind ganz konkret 50 – sollen, bevor wir hier selbstherrlich beschließen: „So wird es gemacht“, (Gustav Herzog [SPD]: Wir beschließen demokratisch, nicht selbstherrlich! Was haben Sie für ein Demokratieverständnis! Unglaublich! Das ist vielleicht der Zustand Ihrer Fraktion und Partei!) vor Ort faire Dialogverfahren mit unabhängigen Gutachtern und neutraler Moderation stattfinden. So steht es übrigens in diesem sogenannten Handbuch für Bürgerbeteiligung, das Herr Ramsauer in der letzten Legislatur als Minister mit großem Brimborium öffentlich vorgestellt hat. Die Alternativen müssen unabhängig vom Verkehrsträger geprüft und bewertet werden. Danach kann das Parlament entscheiden – das ist völlig in Ordnung. Aber das ist das Mindeste, was Sie im Rahmen dieser abschließenden Beratung noch besser machen können. Sorgen Sie für ein Mindestmaß an politischer Korrektheit und demokratischer Haltung in diesem Punkt! Nicht mehr und nicht weniger fordern wir an dieser Stelle. (Beifall bei der LINKEN – Sören Bartol [SPD]: Das ist Demokratie!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Sören Bartol für die SPD. (Beifall bei der SPD) Sören Bartol (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Leidig, wer Ihre Rede gehört hat, wird sagen: Sie sollten erst einmal an Ihrem Demokratieverständnis arbeiten. Wenn etwas Demokratie ist, dann die Beratung und die Beschlussfassung in diesem Hohen Hause. (Zurufe von der LINKEN) So zu tun, als ob das nichts mit Demokratie zu tun hat, das ist wirklich eine Unverschämtheit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutschland braucht gute Straßen, Schienen- und Wasserwege. Sie sichern unsere Mobilität. Sie sorgen dafür, dass Mittelstand und Industrie wachsen können. Sie sorgen für persönliche Freiheit und gute Arbeit in den Unternehmen. Ein Land, das im Stau steht, bleibt zurück. Ein Land, das baut, bleibt in Fahrt. (Gustav Herzog [SPD]: Sehr gut!) In dieser Woche treffen wir wichtige verkehrspolitische Entscheidungen. Gestern Abend haben wir bereits die Ausdehnung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen beschlossen. Dadurch werden 2018 bis zu 2 Milliarden Euro Mauteinnahmen erwirtschaftet, die wir wieder in die Straßen investieren wollen. Heute werden wir darüber entscheiden, in welchen Bereichen wir das Geld der Steuer- und Mautzahler investieren wollen und welche Prioritäten wir setzen. Wir werden für ganz Deutschland festlegen, welche Ausbauprojekte in den kommenden 15 Jahren gebaut werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gemeinsam intensiv über die drei Ausbaugesetze für die Straße, die Schiene und die Wasserstraße diskutiert. Zu keinem Gesetz haben wir in dieser Legislaturperiode so viele Fachexpertinnen und Fachexperten gehört wie hierzu. Zu keinem Gesetz haben in den letzten drei Jahren so viele Sitzungen der Fachausschüsse stattgefunden wie hierzu. Dabei haben wir Kurs gehalten. Die Wünsche aller einzelnen Wahlkreisabgeordneten waren groß. Aber die Summe aller Wünsche macht in der Gesamtheit keinen guten Plan. Wir haben uns an die Grundsätze gehalten, die wir zuvor in der Koalition vereinbart hatten. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das sind die falschen!) Wir investieren vorrangig in das bestehende Netz. Wir werden über 70 Prozent aller Mittel in die bestehenden Verkehrswege investieren und sie sanieren. Wir denken Bedarf und Finanzierung zusammen. „Wünsch dir was“ gibt es nicht! (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jedes Projekt, dessen Bedarf als prioritär festgelegt worden ist, hat eine Chance, bis 2030 gebaut zu werden. Wir setzen auf die überregionalen Projekte (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen Hunderte von Umgehungsstraßen!) und bauen dort, wo Pendlerinnen und Pendler tagtäglich im Stau stehen. Das Bauen nach Himmelsrichtungen gehört der Vergangenheit an. Klar ist: Kein Gesetz geht so aus dem Bundestag heraus, wie es hineingekommen ist. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht schlecht rein und kommt noch schlechter raus!) Nach den Diskussionen mit den Fachexpertinnen und -experten hat der Verkehrsausschuss bei einzelnen Projekten die Prioritäten verändert. Anders, als es die Kommentierung mancher in diesem Hause vermuten lässt, sind bei nur 1 Prozent der Projekte Veränderungen vorgenommen worden. Sie sind fachlich sinnvoll. Politisch halten wir damit Maß und Mitte. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an dieser Stelle auf einen Punkt eingehen, der oft negativ diskutiert und kommentiert wird: den Bau von Ortsumgehungen. Offensichtlich verstehen Abgeordnete mit einem klaren Wahlkreisbezug besser, welche Bedeutung Ortsumgehungen haben. Sie sorgen dafür, dass die Anwohner nicht mehr den Eindruck haben, dass die Lkw nachts quer durch ihr Wohnzimmer fahren. Teilweise kommen die Leute nachts vor Erschütterungen nicht mehr in den Schlaf. Die Kaffeetassen vibrieren im Wohnzimmerschrank. Die Laster verpesten die Innenstädte und Dörfer mit schlechter Luft. Häufig wohnen genau dort die Menschen, die sich woanders keine Wohnung leisten können. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ignorieren die Bedürfnisse der Anwohnerinnen und Anwohner vor Ort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bauen doch Straßen, die vor Ort keiner wollte!) Außerdem – ich muss das so sagen, auch wenn ich selbst betroffen bin – ist Ihre Kritik doppelzüngig: Den alten Bundesverkehrswegeplan haben wir als SPD und Grüne gemeinsam verabschiedet. Damals waren es über 700 Ortsumgehungen. Jetzt haben wir die Anzahl auf 500 reduziert. Damit wird auch klar: Wir setzen neue Prioritäten, ohne den Bedarf in den Regionen zu vernachlässigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Deutschland nicht im Stau stecken bleiben will, brauchen wir am Ende mehr Verkehr auf der Schiene. Unser Ziel ist die Verdopplung der Kapazität im Schienennetz bis 2030. Wir haben erreicht, dass das Bundesverkehrsministerium bis Ende 2017 für alle bisher nicht gerechneten Projekte die Kosten-Nutzen-Rechnung vorlegen wird. Projekte, bei denen der Nutzen am Ende größer als die Kosten ist, werden wir entsprechend einstufen und bauen. (Beifall bei der SPD) Klar ist: Der Ausbau der Schiene wird nur mit einer starken Bürgerbeteiligung und mehr Lärmschutz gehen. (Beifall bei der SPD) Daher wollen wir den Dialog, der mit der Erarbeitung des Bundesverkehrswegeplans begonnen wurde, bei jedem einzelnen Projekt fortführen. Alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier sollten sich an diesem Dialog beteiligen. Wir sollten uns dabei aber auch daran erinnern, dass wir heute fraktionsübergreifend und einvernehmlich den weiteren Ausbau der Schiene fordern. Denn – ich sage das einmal deutlich – wir können nicht hier in Berlin immer die Verkehrswende fordern und dann vor Ort zur Speerspitze der Bürgerproteste werden. (Beifall bei der SPD) Unsere Aufgabe ist es, Kompromisse zwischen Ausbaunotwendigkeit und Lärmschutz zu finden und dann am Ende im Bundestag gemeinsam die Mehrkosten auch für den Lärmschutz bereitzustellen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam haben wir einen großen Konsens erreicht, der von vielen in unserem Lande mitgetragen wird. Das war nur möglich, weil wir seit über einem Jahr in der Koalition sehr vertrauensvoll an diesem wichtigsten verkehrspolitischen Projekt in dieser Legislaturperiode gearbeitet haben. Dies wurde vor allem auch durch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ermöglicht. Dafür herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Entscheidend ist jedoch, was der Deutsche Bundestag am Ende beschließt. Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, die in den letzten Wochen sehr intensiv an den Ausbaugesetzen gearbeitet haben. Dazu gehören insbesondere die Kollegin Kirsten Lühmann, die Kollegen Vaatz, Lange, Gustav Herzog und Patrick Schnieder. Vielen Dank für die Mühe, die Sie sich gemacht haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Außerdem freue ich mich besonders, dass Landesverkehrsminister Christian Pegel aus Mecklenburg-Vorpommern heute hier anwesend ist und auch zum Bundesverkehrswegeplan reden wird. Er hat uns als Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz der Länder konstruktiv begleitet, als wir gemeinsam den neuen und modernen Bundesverkehrswegeplan erarbeitet haben. Vielen Dank dafür. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt entscheiden wir, welche Projekte bis 2030 gebaut werden sollen. Und dann heißt es am Ende: planen, planen, planen. Lassen Sie uns alle gemeinsam daran arbeiten, dass die Planungen schnell, vielleicht auch ein bisschen schneller als bisher vorankommen, damit am Ende die Bauwirtschaft in Deutschland ordentlich etwas zu tun hat. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie beschließen das!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun die Kollegin Valerie Wilms das Wort. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ja, zum Schluss haben wir gehört, was Sie wollen, Kollege Bartol: (Sören Bartol [SPD]: Wir wollen bauen!) Beton, Beton, Beton. Das steht im Vordergrund. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Insofern haben Sie sich richtig entpuppt. (Sören Bartol [SPD]: Es gibt doch ganz moderne Materialien! Das haben Sie noch nicht mitgekriegt! Die Schiene wird auf Sand gebaut? Und im Wasserweg ist auch Beton?) Jetzt wollen wir uns mit dem Bundesverkehrswegeplan ernsthaft beschäftigen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Also statt Beton kommt jetzt die Strecke!) Dieses Ding, genannt Bundesverkehrswegeplan, ist gescheitert. So klar und eindeutig muss man das sagen. Er ist schlecht für Umwelt und Klima. Er ist keine Antwort für die Mobilität in der Zukunft – für die gestrige vielleicht, Herr Dobrindt. Er ist schlicht nicht bezahlbar. Es gibt so etwas wie eine Schleppe, die das auf ewige Zeiten verteilt. Jeder, der etwas anderes erzählt, macht den Menschen etwas vor, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!) der verspricht etwas, was nicht zu halten ist. Dieser Bundesverkehrswegeplan, Herr Dobrindt – auch wenn Sie gerade aus Brüssel mit einem Lächeln zurückgekommen sind –, ist ein Paradebeispiel für das Scheitern dieser großen Stillstandskoalition an den wichtigen echten Zukunftsfragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das tut weh! – Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren auch schon mal besser!) Es ging der Koalition nicht darum, den Verkehr in der Zukunft so umweltfreundlich wie möglich zu organisieren. Es ging nicht um ein stimmiges Netz aus Straßen-, Schienen- und Wasserwegen. (Willi Brase [SPD]: Doch!) Auch beim Klimaschutz, Kolleginnen und Kollegen: Fehlanzeige. (Sören Bartol [SPD]: Wo fährt denn eigentlich das Elektroauto? Wo fährt das lang?) Es ging vor allem darum, möglichst vielen aus dieser Koalition ein Geschenk für den Wahlkreis zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Das ist so billig und so bitter und so peinlich!) Viele Abgeordnete der Koalition werden sich feiern lassen, weil es irgendeine Ortsumgehung in ihrem Wahlkreis in den Plan geschafft hat. Aber jeder muss wissen: Es bedeutet gar nichts, wenn man irgendetwas in den Bundesverkehrswegeplan hineinschreibt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn man keinen Wahlkreis hat, kann man so daherschwätzen!) Mit dem Bundesverkehrswegeplan fließt noch kein einziger Euro. (Beifall des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der SPD: Genau!) Das kommt erst später. Der Bundesverkehrswegeplan ist nur eine grobe Empfehlung. Was wirklich daraus wird, kann keiner sagen; (Max Straubinger [CDU/CSU]: Er ist aber die Grundlage, dass ein Euro fließt!) denn es steht viel zu viel im Plan drin. Darum werden wir in der nächsten Wahlperiode Schluss machen mit diesem Unfug. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Allein für Straßen im Vordringlichen Bedarf wird eine Fläche gebraucht, die etwa drei Vierteln der Größe Münchens entspricht – um die lauten CSUler entsprechend einzunorden. (Lachen bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Einsüden!) Das alles soll letztlich zubetoniert werden. Das ist völlig gaga in einem modernen Land, das ein dichtes Verkehrsnetz hat, Herr Dobrindt. Deutschland ist kein Entwicklungsland. Vielleicht wollen Sie es dazu machen; ich weiß es nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zwangsläufig wird das Geld für eine ganze Reihe von Projekten fehlen. Viele werden sich fragen, warum manches gebaut wird und anderes hinten runterfällt. (Gustav Herzog [SPD]: Sie haben eben gesagt, es wird nichts gebaut!) Ich kann Ihnen sagen, worauf es nicht ankommt. Es ist letztendlich bedeutungslos, in welcher Bedarfskategorie ein Projekt steht. Es kommt nicht darauf an, ob besonders viele Fahrzeuge unterwegs sind. Es kommt auch nicht darauf an, ob damit ein Engpass im gesamten Netz aufgelöst wird. All das spielt keine Rolle. (Sören Bartol [SPD]: Das stimmt doch nicht! Ihr habt es immer noch nicht verstanden!) Denn Bundesregierung und Koalition haben bewusst darauf verzichtet, eindeutige und nachvollziehbare Kriterien festzulegen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal über die Bahn!) So bleibt selbst die umweltschädlichste Ortsumgehung im Spiel. Erst hinter verschlossenen Türen wird ausgekungelt, wohin das Geld tatsächlich geht. Mauscheleien statt klarer Fakten: Das ist die Wahrheit, Herr Minister. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit! Frechheit!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hätten uns die ganze Arbeit sparen können. Der Bundesverkehrswegeplan ist ein Instrument der Vergangenheit. Er war gut für den Aufbau in Ost und West, aber er ist nicht mehr brauchbar für ein modernes Land, das schon ein dichtes Verkehrsnetz hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Antwort für die Zukunft heißt: kluge Vernetzung. Wir müssen wirkliche Engpässe auflösen, und immer zuerst auf die Verbesserung vorhandener Wege setzen, statt mit Neubauten einmalige Natur einfach zuzubetonieren. Wir brauchen ein Netz, das Verkehr auf die umweltfreundlichen Verkehrsmittel Schiene und Wasserstraße verlagert, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Rimkus [SPD]: 60 zu 40, Schiene und Wasser!) aber nur dort, wo die Wasserstraße wirklich vernünftig anwendbar ist; wir brauchen keine goldenen Schleusentore am Elbe-Lübeck-Kanal, über die sogar der entsprechende Wirtschaftsverband sagt: Das Ding brauchen wir nicht. Wir müssen die Projekte in eine echte Rangfolge bringen und nach verfügbaren Mitteln abarbeiten. Es muss Schluss sein mit der Willkür. Das Geld darf nicht dorthin gehen, wo der Wahlkreisabgeordnete den besten Draht ins Ministerium hat. (Sören Bartol [SPD]: So ein Quatsch!) Es muss darauf ankommen, die drängendsten Verkehrsprobleme zu lösen und das Klima zu schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen uns in der nächsten Wahlperiode von dem Mammutprojekt Bundesverkehrswegeplan verabschieden. Wir müssen stattdessen ein Zielnetz entwickeln, das wir in kurzen Abständen regelmäßig fortschreiben müssen. Das haben uns auch die Fachleute in den Sachverständigenanhörungen gesagt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mehrheit in diesem Hause ist an einer wichtigen Zukunftsfrage gescheitert. Meine Fraktion hat über 200 Änderungen vorgeschlagen, die das Schlimmste verhindern sollten. (Beifall des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der CDU/CSU: Nur noch streichen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die Leute im Stau ersticken lassen! – Michael Donth [CDU/CSU]: Stau! Stau! Stau!) Die Koalition hat jedoch alles wider besseres Wissen abgelehnt. Ich danke allen meinen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion und ihren Mitarbeitern, die in vielen Überstunden wirkliche Alternativen zum Betonwahn entwickelt haben. (Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Mehrheit wird heute anders entscheiden. Aber es ist klar, dass das, was Sie heute verabschieden, keine Zukunft hat. Dieser Bundesverkehrswegeplan ist eine einzige Aufforderung, es besser zu machen. Dafür werden wir Grüne kämpfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident, gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung. Ich hoffe, dass ich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen sprechen darf, wenn ich meinen Dank an das Ausschusssekretariat richte. Sie haben uns mit erheblichem persönlichem Zeitaufwand souverän durch die Tiefen des Abstimmungsmarathons im Verkehrsausschuss geführt und das Ergebnis zügig und sauber dokumentiert. Dafür gilt Ihnen der Dank von uns allen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Das war das Beste Ihrer ganzen Rede!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Patrick Schnieder ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sehe mich, nach dem Beitrag der Kollegin Wilms und angesichts dessen, was die Grünen in den letzten Wochen in der Vorberichterstattung in der Zeitung platziert hatten, zu einer Vorbemerkung veranlasst. Es geht um den Vorwurf, hier würden sich Abgeordnete der Großen Koalition die Projekte in den Wahlkreisen zuschanzen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, so ist es ja auch!) Ich will hier gar nicht groß darüber reden, dass das unhaltbare Unterstellungen sind. Ich will auch gar nicht darüber reden, dass Sie die Sache in den Berichterstattungen völlig falsch dargestellt haben. Projekte, die gar nicht im Vordringlichen Bedarf sind, haben Sie mit Hunderten von Millionen dort angesetzt. Ich will Sie einmal ernst nehmen und hinterfragen, was Sie sich dabei gedacht haben: Über 1 000 Projekte enthält dieser Bundesverkehrswegeplan; betroffen sind 299 Wahlkreise. Da liegt es doch auf der Hand, dass wir flächendeckend in Deutschland, in allen Wahlkreisen Projekte haben. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber nur Straßen!) Sie, die Grünen, haben ein Problem; denn Sie haben nur ein einziges Direktmandat gewonnen. Sie vertreten nicht einmal 20 Prozent der Wahlkreise. Deshalb können Sie bei der Frage überhaupt nicht mitreden. Das ist Ihr großes Problem. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, dass Sie den Sinn dieser Straßen nicht nachweisen konnten!) Wenn man Ihren Gedanken zu Ende denkt, dann wäre ein guter Bundesverkehrswegeplan einer, der insbesondere im Bereich Straße flächendeckend überhaupt keine Projekte vorsieht. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Projekte müssen nachweisbar einen Sinn machen! Das ist die Voraussetzung!) Das ist in der Tat entlarvend. Es ist gut, dass Sie das klargemacht haben: Sie sind weiterhin die Dagegenpartei. Sie wollen Mobilität verhindern. Wir wollen Mobilität ermöglichen, und das tun wir mit diesem Bundesverkehrswegeplan. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen ja nicht einmal, was Mobilität ist!) Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, meine Regionalzeitung, der Trierische Volksfreund, schreibt heute in einer Vorberichterstattung, der heutige Tag sei ein Feiertag für die Verkehrspolitiker, insbesondere für die in der Region. Ich muss sagen: Genau so ist das. Heute ist ein Feiertag, nicht nur für meinen Wahlkreis, für die Region Trier mit dem A-1-Lückenschluss und dem Moselaufstieg – das sind ganz wichtige Projekte für Rheinland-Pfalz –, sondern für ganz Deutschland, weil wir die Weichen für eine vernünftige, für eine zukunftsgerichtete Verkehrspolitik bis 2030 stellen, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weichen stellen Sie schon mal gar nicht! Die Schiene kommt nicht vor!) die uns Wohlstand, Wachstum, Mobilität und damit Arbeit in Deutschland gewährleistet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben uns im Vorfeld ambitionierte Ziele gesetzt. Wir haben uns nicht nur das Ziel gesetzt, auf die Umwelt zu achten. Das haben wir getan. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Was? Wo denn?) Wir haben uns auch nicht nur das Ziel gesetzt, die Öffentlichkeit zu beteiligen. Auch das haben wir in einer beispielhaften Art und Weise getan. (Sören Bartol [SPD]: So ist es! Das hat es noch nie gegeben! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Die ganzen Umweltkriterien sind überhaupt nicht dabei!) Wir haben Prioritäten gesetzt. Am Anfang hat keiner geglaubt, dass wir sie einhalten würden. Aber wir haben uns an dem ausgerichtet, was wir vorher gesagt haben, und wir lassen uns gerne daran messen. 70 Prozent der Investitionen fließen in den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur. Das Prinzip „Erhalt vor Neubau“ haben wir also eingehalten. Wir haben durchgehend priorisiert. Auch das ist die Wahrheit. 75 Prozent der Projekte, die im Bundesverkehrswegeplan stehen, beziehen sich auf überregional bedeutsame Verbindungen. Sie haben von Anfang an bezweifelt, dass wir das hinbekommen; wir haben es aber hinbekommen. Dabei vernachlässigen wir die ländlichen Räume nicht. Deshalb sind auch die Ortsumgehungen wichtig. Wenn wir über 75 Prozent, wenn wir über drei Viertel in überregional bedeutsame Vorhaben stecken, dann ist es richtig, dass wir die Anbindung der ländlichen Räume an die Metropolen nicht vernachlässigen. Deshalb sind Ortsumgehungen, deshalb sind die örtlich wichtigen Projekte, die auch Raumbedeutsamkeit für die jeweilige Region haben, außerordentlich wichtig. Ich bin stolz darauf, dass wir es geschafft haben, diesen wichtigen Bereich nicht auszuklammern, dass wir auch für diese Räume Mobilität für die Zukunft schaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schließlich haben wir es auch geschafft, den Bundesverkehrswegeplan hinsichtlich der Verteilung der Mittel auf die Verkehrsträger ausgewogen und modern auszugestalten. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Schauen wir mal! Die Schiene ist ja noch gar nicht fertig!) Sie bejammern immer, dass angeblich zu wenig in den Bereich Schiene fließen würde. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja auch so! Die meisten Projekte sind noch gar nicht bewertet!) Das Gegenteil ist der Fall, Herr Gastel. Lassen Sie sich doch an dem Bundesverkehrswegeplan messen, den Sie 2003 vorgelegt haben. Wir haben das Verhältnis verbessert: Die Straße macht 49 Prozent aus, die Schiene 42 Prozent, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie wollen es nicht besser machen!) die Wasserstraße 9 Prozent. Dabei hat die Schiene nur eine Transportleistung von nicht einmal 20 Prozent. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja das Problem! Mit Ihnen wird es auch nicht mehr!) Wir stecken also im Verhältnis viel mehr in diesen Verkehrsträger, als er an Transportleistung erbringt. Das ist doch ein Nachweis, ein Zeichen dafür, dass wir das ernst nehmen und für eine ausgewogene Mischung sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nein, eben nicht!) Das hat übrigens auch etwas mit den Umweltauswirkungen dieses Planes zu tun. Es ist doch vollkommener Humbug, zu sagen, damit würde man den Umweltzielen nicht gerecht werden. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn! Kompletter Unsinn!) Schauen Sie sich die Bilanzen an: Wir sparen nachweislich CO2 ein. Entscheidend ist doch, dass es hier um den Bau von Infrastruktur geht. Die wirklichen CO2-Einsparpotenziale hängen doch nicht mit der Schaffung einer Infrastruktur zusammen, sondern mit modernen Antrieben. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Infrastruktur gehört dazu!) Der Effekt liegt doch darin, dass wir Staus beseitigen, dass die Lkw nicht mehr durch die Orte fahren. Das ist ein komisches Umweltverständnis, das Sie an den Tag legen, wenn Sie bemängeln, dass wir die Menschen in den Städten und Gemeinden vor Emissionen, vor Lärm und vor Staub, schützen. Ich glaube, dass wir da genau die richtigen Schwerpunkte setzen. Wir haben den Umweltschutz als wichtiges Ziel erkannt. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es verkannt!) Wir werden dem, was wir uns vorgenommen haben, vollkommen gerecht. Lassen Sie mich ein letztes Wort zur Öffentlichkeitsbeteiligung sagen. Wir hatten ja nicht nur eine Öffentlichkeitsbeteiligung, sondern wir hatten zwei. Es gab schon 2013 bei der Aufstellung der Grundkonzeption eine Öffentlichkeitsbeteiligung. Bei der Aufstellung des Bundesverkehrswegeplanes in diesem Jahr gab eine zweite große Öffentlichkeitsbeteiligung. Fast 40 000 Eingaben wurden gemacht. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne jede Folge!) – Das war nicht ohne jede Folge. – Sie sind geprüft und ernst genommen worden. Da muss ich fragen, welches Verständnis von Öffentlichkeitsbeteiligung Sie haben. Es kann doch nicht sein, dass jede Eingabe automatisch zu dem Ergebnis führt, das gewünscht wird, sondern natürlich müssen wir es abwägen. Das haben wir getan. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wo denn? – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Automatisch nicht, aber wenn es besser ist!) Mein Büro hat Hunderte von Briefen von Bürgern und von Organisationen beantwortet. Es hat einen regen Dialog gegeben. Auch das Ministerium hat sich dankenswerterweise damit befasst. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es ist alles beim Alten geblieben!) Deshalb kann ich das folgende Fazit ziehen: Wir haben hier wirklich ein tolles Werk vorliegen. Es ist ein großer Wurf für die Infrastruktur in den nächsten 15 Jahren. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Das ist zukunftsfähige Politik. Damit schaffen wir weiterhin die Voraussetzungen für Wohlstand, für wirtschaftliche Prosperität, für Mobilität, für Arbeit in Deutschland. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer heute über Verkehrspolitik spricht, der kann über den angeblichen Kompromiss bei der Pkw-Maut nicht schweigen. Wir müssen feststellen, dass ein weiterer Vorhang aufgegangen ist für die Fortsetzung einer unendlichen Geschichte, einer ungeheuerlichen Geschichte. Sie hatte ihren Anfang genommen, als der CSU-Stammtisch meinte, mit der österreichischen Pkw-Maut ein Ärgernis zu haben, und sich deshalb überlegt hat, wie man es hinbekommt, dass auch die Österreicher zahlen müssen. Das hat der damalige Generalsekretär der CSU – Dobrindt mit Namen – in ein parteipolitisches und wahlkampfpolitisches Konzept umgesetzt; dieses hat er in den Bundestag hineingetragen. Es wurde Bestandteil des Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD. Es hat nach einem über Jahre dauernden unsäglichen und quälenden Prozess das Ergebnis, dass am Ende keiner zufrieden ist: weder die, die es richtig wollten, noch die, die es schon immer abgelehnt haben. Wenn jetzt die Nachricht kommt, man habe sich in Brüssel geeinigt, dann müssen wir sehr genau hinschauen, auf was man sich da wirklich geeinigt hat. Wir haben gesehen, dass wir weiterhin ein Bürokratiemonster vor uns haben. Dieses Bürokratiemonster wächst sogar noch. Es wird künftig nicht nur drei Staffelungen bei der Maut geben, sondern fünf. Es wird weiteren Bearbeitungsaufwand geben, um genau abwickeln zu können, wer eigentlich welche Vignette kaufen muss. Der Ertrag wird noch kleiner. (Gustav Herzog [SPD]: Ich dachte, Sie sind für Vielfalt!) – Ja, die Vielfalt muss aber bewirken, dass die Leute mehr davon haben und möglicherweise auch der Staat mehr davon hat. – Wir haben nichts davon. Wir haben Belastungen für die Bürger, und wir haben weniger Einnahmen für den Staat. Wer in der Koalition kann eigentlich damit zufrieden sein? Das ist mir völlig unverständlich. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Beziehung zu unseren Nachbarstaaten in Europa schwer gefährdet ist. Es hat großen Schaden angerichtet, so brachial vorzugehen. Das wird sicherlich noch Folgen haben, die wir alle nicht wollen. Dieses Projekt muss sofort gestoppt werden. (Beifall bei der LINKEN) Meine Forderung an die SPD lautet: Nehmen Sie sich selber ernst, und tun Sie jetzt im Zuge dieses Verfahrens wirklich etwas dafür, dass die Maut blockiert werden kann, so wie es der Verkehrsminister in Niedersachsen gefordert hat. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind dabei. Zur Verkehrspolitik gehört Weitsicht. Die haben Sie bei der Pkw-Maut nicht gezeigt. Sie haben sie beim Bundesverkehrswegeplan nicht gezeigt. Sie haben sie auch bei den Ausbaugesetzen nicht gezeigt. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Auch bei den übrigen nicht!) Zur Weitsicht in der Verkehrspolitik gehört, dass wir uns darüber klar sein müssen: Ein Bundesverkehrswegeplan legt die Schwerpunkte für die nächsten 15 Jahre Verkehrspolitik fest. Was heute dort hineingeschrieben wird, wird uns, wird die Bürgerinnen und Bürger die nächsten 15 Jahre begleiten. Entweder sie bekommen versprochen, dass eine Entlastung gebaut wird, oder sie haben die Chance, dass es relativ schnell durchgesetzt wird. Dieses Hinhängen an eine lange Frist – Leute, beruhigt euch, wir kommen mit dem Projekt in dem einen oder anderen Jahr zu euch – führt dazu, dass in der Zwischenzeit keine Alternative überlegt wird, nicht weiter geplant werden darf, immer mit dem Hinweis: Aber es steht doch im Bundesverkehrswegeplan, setzt euch wieder hin, wir lösen das schon. – Das ist keine Politik mit Blick auf die gegenwärtigen Probleme, und schon gar keine Verkehrspolitik mit Weitsicht, in die Zukunft. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog [SPD]: Die Leute lassen sich nicht vertrösten! Die suchen nach Alternativen!) – Die Leute lassen sich nicht vertrösten, sagt der Kollege Herzog – in der Tat. Darum sind sie vielfach in Bürgerinitiativen aktiv geworden. Sie haben eingefordert, in diesen Verfahren beteiligt zu werden, und haben vor Ort ihre Alternativen eingebracht. Das hat nicht nur etwas mit Blockadepolitik zu tun, das hat etwas mit kreativen verkehrspolitischen Vorstellungen zu tun, die wir an allen Stellen gesehen haben. Ich nenne das Beispiel A 39. Dort haben sich die Bürgerinnen und Bürger an verschiedenen Orten entlang der Trasse über Jahre zusammengesetzt und Pläne für Alternativen geschmiedet. Dabei kommt heraus: Die A 39 ist verzichtbar (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist sie mit Sicherheit nicht!) durch kleine Maßnahmen, durch Ausbaumaßnahmen und teilweise durch Neubaumaßnahmen, wenn ein Ort dringend umgangen werden muss. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die A 39 ist dringend erforderlich!) Das ist Planungsfantasie bei den Bürgerinnen und Bürgern. Sie ist aber nicht im Bundesverkehrsministerium zu finden. Das muss auf jeden Fall ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Herr Minister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Pegel, Minister (Mecklenburg-Vorpommern): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich mich aus Sicht eines Landes und als derzeitiger Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz auch ein Stück weit für diese herzlich dafür bedanken, hier einen Blick auf den neuen Bundesverkehrswegeplan werfen zu dürfen. Ich nehme meinen wichtigsten Eindruck vorweg, auch wenn er nicht allen gefallen mag. Die Länder freuen sich, dass ein längerer Diskussionsprozess jetzt auf der Zielgeraden ist und sie damit Planungssicherheit für die kommenden 15 Jahre bekommen. Wir Länder können – entgegen der Aussage in dem letzten Vortrag hier – nicht auf ihn verzichten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben uns in der Verkehrsministerkonferenz der vergangenen sieben Jahre mehrfach mit den Planungen und dem Prozess befasst. Das Urteil war über alle Ländergrenzen und über alle Parteifarben hinweg weitgehend identisch: Die Länder können dem eingeschlagenen Weg gut folgen. Unbenommen des einen oder anderen Einzelwunsches werden die Inhalte ausdrücklich geteilt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dies gilt umso mehr, als sich darin in wesentlichen Punkten die Ergebnisse vor allem der ersten Bodewig-Kommission wiederfinden. Das Ziel „Erhalt vor Neubau“ gehört ausdrücklich in den Zielkanon der Bodewig-Kommission I. Erlauben Sie mir einen spezifisch ostdeutschen Blick darauf. Angesichts der erheblichen Investitionen in den vergangenen 25 Jahren in Ostdeutschland gibt es bei uns ein ganz dringendes Anliegen, nämlich Fehler im Osten nicht zu wiederholen und die Infrastruktur rechtzeitig und regelmäßig in ausreichendem Maße fit zu halten. Deshalb gilt bei uns im Osten umso mehr der Schwerpunkt „Erhalt vor Neubau“. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch die restriktive Haltung des Bundes, keine Wünsch-dir-was-Enzyklopädie zu erstellen, sondern den Plan realistischer zu gestalten, als das in der Vergangenheit zuweilen der Fall gewesen sein mag, wird auf Länderseite ausdrücklich geteilt, auch wenn das bei jedem Einzelnen von uns in den Ländern hier oder da nicht unerheblichen Schmerz ausgelöst hat. (Gustav Herzog [SPD]: Das ist ehrlich!) Die Diskussion kenne ich bei mir daheim in Mecklenburg-Vorpommern sehr gut. In den Regionen mit den in unserem landesinternen Vorauswahlprozess nicht weiterverfolgten Projekten – das waren bei uns ein Drittel, die wir beim Bundesverkehrsministerium gar nicht für den Bundesverkehrswegeplan angemeldet haben – (Gustav Herzog [SPD]: Ich darf anmerken: Im Unterschied zu Bayern!) werden Sie als Minister nicht mit Rosen empfangen, und wenn Ihnen Rosen zugeworfen werden, hängt der Topf leider meist noch dran. Ich habe übrigens spannende Debatten erlebt, als wir den Entwurf des Bundesverkehrswegeplans vorgelegt haben. Tenor der Diskussion in unserem Land hier und da war: Kriegen wir eigentlich prozentual, verglichen mit anderen Regionen in Deutschland, genug ab oder doch vielleicht zu wenig? Ich habe in diesen Debatten immer dafür geworben, dass das nicht ernsthaft unser Weg sein kann. Infrastrukturprojekte sind volkswirtschaftlich auszuwählen. Proporz und Himmelsrichtung sind eben keine volkswirtschaftlich sinnvollen Kategorien, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will aber auch sagen: Ich bin dabei ausdrücklich dafür dankbar, dass Sie trotz dieser richtigen und eben genannten wichtigen Prämissen die Belange vor Ort nicht aus dem Blick verloren haben. Natürlich gibt es Ortsumgehungen, die weiterhin benötigt werden. Das gilt – erlauben Sie mir bitte, auch hier einen spezifisch ostdeutschen Blick in die Debatte einzubringen – insbesondere in den fünf ostdeutschen Bundesländern. Wenn solche Projekte mehrere Jahrzehnte nicht denkbar waren, wenn sie seit 1990 zum Teil durchgängig vor Ort in Verkehrswegeplänen versprochen werden und wenn an dieser Stelle die westdeutschen Nachbarländer – ich bin geborener Hamburger – vier Jahrzehnte Vorsprung haben und dort deshalb viele Gemeinden schon in den vergangenen Jahrzehnten Durchgangsverkehrsbefreiungen erhielten, dann brauchen wir für hochbelastete Ortslagen auch in den kommenden 15 Jahren weiterhin die Möglichkeit, dringend benötigte Entlastung vor Ort zu schaffen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Arnold Vaatz (CDU/CSU): Sehr gut!) Wenn ich vor allen Dingen zu diesem Punkt Vorschlagslisten für beinahe orgiengleiche Streichkonzerte gerade im Osten sehe, wäre ich dankbar, wenn Sie bei Ihren Entscheidungen heute gerade diese besondere Situation des Ostens im Blick behalten. Ich darf nur das mir sehr gut vertraute Beispiel der Ortsumgehung Wolgast aufrufen. (Beifall der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) Dort quälen sich in der gesamten Sommersaison nahezu alle Usedom-Urlauber, wenn sie nicht mit der Bahn anreisen, durch die historische Altstadt zu mehr als 5 Millionen Übernachtungen. Wenn Sie dort die Umgehung für wirkungslos erklären wollen, können Sie das den Menschen vor Ort, aber, wie ich glaube, auch den vielen Gästen, die dort im Sommer stau- und ampelentschleunigt stehen, auf keinen Fall erklären. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Sie werden den Menschen das nicht vermitteln können. Die Ideengeber für diese Streichung sollten im Übrigen unbedingt den Eindruck vermeiden, dass sie im Ergebnis bereit sind, dem wirtschaftlichen Aufholprozess im Osten leichtfertig schweren Schaden zuzufügen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die A 14 als neuer Nord-Süd-Korridor, der Häfen und Magdeburg verbinden wird, ist ebenfalls ein Beispiel für solche Projekte. Das Gleiche gilt für den B-96-Ausbau. Ich werbe deutlich dafür, ihn nicht auf Streichlisten zu setzen. Wenn Sie sich – um vorherige Beiträge aufzugreifen – Karten mit dem deutschen Verkehrsnetz anschauen, werden Sie an diesen Stellen richtiggehende Löcher im Verkehrsnetz entdecken – keine Betonlöcher, sondern Mobilitätslöcher, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese zu schließen, das ist die originäre Aufgabe eines Bundesverkehrswegeplans. Die viel beschworene Netzfunktion, die ja zitiert wurde, wird gerade hier exemplarisch erfüllt. Dafür mein herzlicher Dank! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade diesem rationalisierten Verfahren haben sich die Länder über alle Länder- und Parteigrenzen hinweg in den vergangenen Monaten und Jahren sehr bewusst angeschlossen. Ganz ohne Wermutstropfen sind die Länder dabei allerdings nicht. Sorgen bereitet uns weiterhin – zum Teil auch gemeinsam mit Ihnen – die Bedarfsplanung für die Schiene. Die Vorarbeiten haben leider an vielen Stellen eine mit Straßen und Wasserwegen vergleichbare Bewertung nicht zugelassen. Der jetzt beschrittene Weg einer Art Auffangkategorie ist daher – wohlgemerkt: aus der Not geboren – ein besserer Weg, als viele der darin vorgesehenen Projekte gar nicht in den Plan aufzunehmen. Jetzt wird es darum gehen, sie möglichst schnell zu qualifizieren und in die nächste Liga aufsteigen zu lassen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Länder haben im Oktober dieses Jahres auf der Verkehrsministerkonferenz in Stuttgart noch einmal um eine Prüfung gebeten, wie wir im Nahverkehr Schienenwege finanzieren wollen, wenn dieser Bereich aus Ihrer Sicht nicht in den Bundesverkehrswegeplan hineingehört, weil er den Schienennahverkehr betrifft. Ich selbst kenne zwei Beispiele: die Karniner Brücke und den Schienenverkehr auf dem Darß. Beides sind Dinge, die wir für die Menschen in irgendeiner Weise wirtschaftlich abwägen müssen. (Martin Burkert [SPD]: Stimmt!) Dass See- und Schifffahrtswege für die Exportnation Deutschland und den hiesigen Wirtschaftsstandort zentral sind, bildet der Bundesverkehrswegeplan dankenswerterweise ebenso ab. Denn der Wirtschaftsstandort Deutschland lebt im Im- und Export von diesen Häfen und dem dort stattfindenden Umschlag, der ein Stück weit die Lebensader der deutschen Wirtschaft darstellt. Auch diese Schwerpunktsetzung ist daher im Länderkreis ausdrücklich begrüßt worden. Wenn dabei jetzt im Hinblick auf einige Projekte Sorgen und Bedenken geäußert werden, bitte ich, folgenden Vergleich zu ziehen: Ist – um unser Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern zu nehmen – eine vertiefte Zufahrt zum Wismarer oder Rostocker Hafen ökologisch wertloser oder aber der Transport all dieser Güter auf Tausenden von Lkws um die halbe Ostsee herum? (Sören Bartol [SPD]: So ist es!) Das ist nämlich die Alternative, über die wir reden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Bundesverkehrswegeplan ist gelebte Wirtschaftspolitik, für viele staugeplagte Gemeinden ist er gelebter Gesundheitsschutz, und er bietet in der Perspektive eine vollkommen neue Lebensqualität. Er wird uns entscheidende Schritte voranbringen. Dafür herzlichen Dank all denen, die an dem Prozess mitgewirkt haben. Ihnen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Viel Erfolg! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Matthias Gastel ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Sören Bartol [SPD]: Und immer an die Stellungnahme von Winne Hermann denken!) Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich mache Bundespolitik, lieber Kollege. (Sören Bartol [SPD]: Ich sag’s nur!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Klimakatastrophe auf diesem Planeten wird immer offensichtlicher, und es ist gut und richtig, dass Deutschland sich zu Klimazielen bekannt und klar gesagt hat, in welchem Ausmaß bis zu welchem Zeitpunkt die Treibhausgase reduziert werden müssen. Leider müssen wir aber feststellen, dass der Verkehrssektor seinen Beitrag zum Klimaschutz bisher überhaupt noch nicht geleistet hat. Der Anteil des Schienengüterverkehrs stagniert bei 17 Prozent. Im Schienenpersonenfernverkehr sieht es auch nicht nach einem Wachstum von Verkehrsanteilen aus. Lkw und Auto sind die Marktführer. Klimaziele sind aber nur dann erreichbar, wenn die Schiene aufholt und Marktanteile gewinnt. Wir müssen das Schienennetz modernisieren, wir müssen Engpässe beseitigen, und wir müssen die Infrastruktur an Fahrplänen ausrichten und nicht umgekehrt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Bundesverkehrswegeplan und das Bundesschienenwegeausbaugesetz leisten dazu aber leider keinen Beitrag. Ganz im Gegenteil: Statt die Schiene aufs Überholgleis zu bringen, wird sie aufs Abstellgleis gesetzt. Schon methodisch ist die Schiene im Bundesverkehrswegeplan benachteiligt. Alle angemeldeten Straßenprojekte sind bewertet und eingestuft worden. Bei der Schiene sind gerade einmal 27 von 73 Projekten bewertet worden. Das heißt, bei 63 Prozent der Schienenprojekte ist noch unklar, ob und wie sie eingestuft werden. Bei der Straße gibt es eine stundengenaue Engpassanalyse. Bei der Schiene hat man längere Zeiträume gemittelt analysiert. Das führt am Ende dazu, dass bei der Straße ein höherer Ausbaubedarf ermittelt wurde als bei der Schiene. (Gustav Herzog [SPD]: Das ist Unfug!) Bei der Straße sind Hunderte von Straßen hoch priorisiert worden, die nur lokal bedeutsam sind. Bei der Schiene stellen sich die Bundesregierung und die Große Koalition auf den Standpunkt, dass sie für Schienenwege, die überwiegend lokale Verkehre abwickeln, nicht zuständig sind – also ein Widerspruch zwischen den Systemen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Schiene wird systematisch benachteiligt. Man kann auch davon sprechen, dass hier Schienenmobbing betrieben wird. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zentrale Projekte fehlen in Ihrem Ausbaugesetz, beispielsweise der Ausbau des 740-Meter-Netzes, der notwendig ist, um mehr Schienengüterverkehr zu organisieren und wirtschaftlich gegenüber der Straße und dem Lkw abwickeln zu können. Es fehlt der Deutschland-Takt, mit dem die Fahrgäste attraktive Umsteigeverbindungen in den Knotenbahnhöfen hätten bekommen können. Obwohl diese Punkte hier im Hause unstrittig sind, haben Sie unsere Anträge, beides hochzustufen, ohne jegliche Begründung abgelehnt. (Gustav Herzog [SPD]: Wir haben begründet!) Stattdessen haben Sie kurzerhand noch einmal etwa zwei Dutzend Straßenprojekte im Umfang von 1,4 Milliarden Euro hochgestuft. Bei den Schienenprojekten ist lediglich ein Projekt höhergestuft worden, nämlich die Gäubahn, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) und das auch nur deshalb, weil das Land Baden-Württemberg ein Gutachten vorgelegt und damit die Hausaufgaben erledigt hat, die die Große Koalition nicht gemacht hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Ergebnis haben wir viele Straßen und wenig Schiene. Bei den Straßen sind die Pläne völlig überzeichnet. Bei der Schiene wird das meiste im Ungewissen gelassen. Sie bauen dem wachsenden Auto- und vor allem Lkw-Verkehr hinterher. Die Schiene ist ohne Chance, ihr Potenzial auszuschöpfen. Sie stellen sich damit ein Armutszeugnis aus. Das können wir nicht unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD]) Ulrich Lange (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, ein langandauernder, intensiver, aber sehr guter Abstimmungsprozess innerhalb der Koalition mit den Ländern und mit den Behörden vor Ort geht zu Ende. Heute können wir die drei Ausbaugesetze, deren Entwürfe auf dem Tisch liegen, verabschieden. Ich möchte das Ganze wirklich als einen großen Tag für die Verkehrspolitik und mit als einen der größten dieser Koalition bezeichnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich schließe mich natürlich dem Dank an den Bundesminister an, aber insbesondere auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haus, die uns auf jede Frage, auch wenn sie sich wiederholt hat, immer geduldig Antwort gegeben und alles erklärt haben. Ich sage ein Dankeschön auch den Berichterstattern, ebenso den Länderberichterstattern, die in jedem einzelnen Bundesland dafür Sorge tragen mussten, dass man wirklich abschichtete. Und genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, haben wir getan. Wir haben uns nämlich Leitlinien und eine Grundkonzeption gegeben, die Sie einfach ignorieren bzw. nicht wahrnehmen wollen, nämlich Erhalt vor Neubau und Engpassbeseitigung; hierzu haben wir noch die Kategorie „Vordringlicher Bedarf – Engpassbeseitigung“ eingeführt. Eine so klare Priorisierung wie dieses Mal gab es noch nie. Zum Netzzusammenhang, liebe Kollegin Wilms, von Bundesstraßen gehören nun einmal auch Ortsumfahrungen in Bundesländern. Sie werden das nicht glauben, aber es ist so. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlef Müller [Chemnitz] [SPD] – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie irgendwo in Bayern mit Ihrem grünen Helikopterblick einfliegen und mit einem kleinen Grüppchen die Leute schalu machen, dann glauben Sie doch nicht wirklich, dass Sie verstanden haben, was vor Ort los ist. Genau das haben Sie nämlich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dann haben wir natürlich das Kriterium der städtebaulichen Notwendigkeit und der Verkehrssicherheit. Genau Ihre Bürgerinitiativen stehen nämlich an den Straßen in den Städten und Gemeinden und fragen: Warum müssen hier Tausende von Schwerlast-Lkws durch unsere Gemeinde donnern? Auf genau diese Menschen nehmen Sie keine Rücksicht. Zum Ausbau der Schiene, lieber Kollege Gastel, kann ich Ihnen nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Wir wollen beim Ausbau der Schiene Taten sehen, aber vor Ort sind Sie dagegen, während Sie hier große Reden halten. Das ist einfach unglaubwürdig und unseriös. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Völlig richtig gesagt! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? Was ist denn das für ein Quatsch, den Sie erzählen? So ein Unfug!) Liebe Kollegen der Grünen – Sören Bartol hat es auch schon gesagt –, dieser Verkehrswegeplan hat, weil er dieser strikten verkehrspolitischen Leitlinie folgt, insgesamt fast 900 Straßenprojekte weniger als der, den Sie zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung mit zu verantworten hatten. An Ihrer Stelle wäre ich einmal ganz ruhig, liebe Beton-Valerie-Wilms. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD) Dafür, dass Sie keine Wahlkreise gewonnen haben, können wir ja nichts. (Beifall des Abg. Gustav Herzog [SPD]) Irgendwie kommen Sie bei den Wählerinnen und Wählern nicht so an, um Wahlkreise zu gewinnen. Aber das Vertreten von Wahlkreisinteressen – das sage ich ganz offen – erdet die Politik vor Ort. Das ist genau unser Anspruch: Wir sind vor Ort greifbar und kommen nicht irgendwie und von irgendwoher angeflogen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlef Müller [Chemnitz] [SPD] – Widerspruch der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE]) Wenn Sie dann im Stil eines amerikanischen Wahlkampfes auf der Grundlage von Halbwahrheiten Listen ins Internet stellen, (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje, oje, oje!) wenn Sie Ortsumfahrungen benennen, die nicht einmal in den Wahlkreisen der Kollegen liegen, wenn Sie das NKV und die Verkehrszahlen verschweigen, dann sieht man, auf welche Art und Weise und mit welcher Methode Sie in das Wahljahr 2017 gehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ist das der neue Geist einer so moralisierenden Partei? Nein, Sie sorgen am Ende für eine Zweiklassenrepublik, eine Aufteilung nämlich in diejenigen, denen Sie etwas zukommen lassen wollen, und in diejenigen, die Sie abhängen, weil Sie über Land keine Verkehre mehr organisiert haben wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einen Satz zum Schienenverkehr sagen. Ja, lieber Kollege Gastel, wir haben Nahverkehrsprojekte nicht aufgenommen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei den Straßen!) – Nein, eben nicht. Hier gibt es einen Netzzusammenhang. Sie können das noch fünfmal sagen; es wird nicht richtiger, weil Sie es nicht kapieren oder nicht kapieren wollen und deswegen weiterhin die Unwahrheit sagen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bei den Schienenprojekten haben wir zwischen Fernverkehr und Nahverkehr unterschieden. Und es war die Große Koalition, die in diesem Jahr die Regionalisierungsmittel auf 8,2 Milliarden Euro erhöht hat – genau für diesen Nahverkehr und für die entsprechende Vernetzung. (Zurufe der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Niemand anderes! Wir waren es! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht: Wir haben einen guten Verkehrswegeplan. Wir haben sehr gute Ausbaugesetze. Jetzt geht es darum, dass wir zur Umsetzung kommen. Hier drehe ich mich schon auch in Richtung Länderbank um; denn es liegen große Herausforderungen bei den Bundesländern. Ich sage nur: „Planen, planen, planen“, damit es für die von uns finanzierten Projekte auch Baurecht gibt. Das Geld ist da. Der Investitionshochlauf steht. Wir stehen für Mobilität und Modernität. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Gustav Herzog. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gustav Herzog (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Dank beginnen – ich werde auch mit einem Dank enden –, und zwar an die Kolleginnen und Kollegen, die gestern Abend um 23 Uhr dem Gesetzentwurf zur Ausdehnung der Lkw-Maut auf die Bundesstraßen zugestimmt haben, weil wir damit in den nächsten Jahren 2 Milliarden Euro pro Jahr mehr im Pott haben werden, um das, was wir anschließend hier beschließen, auch wirklich realisieren zu können. Vielen Dank also an diejenigen, die auch auf der Einnahmenseite kräftig mithelfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Nachrichtenmagazin hat den Bundesverkehrswegeplan als das Hochamt für Verkehrspolitiker bezeichnet. Mir fehlt diese Spiritualität, aber es ist schon eine besondere Verantwortung, an einem Werk mitzuarbeiten – und heute darüber zu entscheiden –, das über die nächsten drei, vier Wahlperioden hinaus die Arbeit des Deutschen Bundestages mitbestimmen wird, wenn es darum geht, die Pläne zu realisieren. Wir haben ja schon in der letzten Wahlperiode mit der Grundkonzeption begonnen und einen Berg von wissenschaftlichen Studien in Auftrag gegeben und auch gelesen. Wir haben den riesigen Prozess aus Anmeldungen, Bewertungen und Priorisierungen bewältigt und zu allem eine öffentliche Erörterung durchgeführt. Das war eine riesige Aufgabe. Ich will in Bezug auf die Anmeldungen nur kurz einmal in Richtung Grüne darauf hinweisen: Über die Hälfte der von den Ländern angemeldeten Straßenbauprojekte – nicht alle Länder waren so diszipliniert wie Ihres, Herr Landesminister Pegel – haben wir zurückgewiesen. Sie sind nicht im Vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans gelandet, weil wir schon sehr sorgfältig auf die Vorgaben geachtet haben. All das geschah mit Öffentlichkeitsbeteiligung, und ich will mich hier bei all denjenigen bedanken, die den Kontakt mit uns gesucht und deren Kontakt wir gesucht haben: den Verbänden, den Bürgern, den Vereinen und auch den Lobbyisten. Ich sage mal: Es wird auch dann eine gute Sitzungswoche, wenn ich am Mittwoch vor der Ausschusssitzung nicht bei einem vom BUND ausgerichteten Arbeitsfrühstück sein muss. All das hat dazu beigetragen, dass wir als Arbeitsparlament unserer Verantwortung nachkommen konnten. In fünf Ausschusssitzungen – zusammen waren es weit über 20 Stunden – haben wir viele Tausend Projekte beraten, und es wurde auch eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Danach kam es zum Abstimmungsmarathon. Ich sage hier für die SPD-Fraktion und, wie ich hoffe, auch für das ganze Parlament: Lieber Martin Burkert, du hast als Ausschussvorsitzender in großer Souveränität durch die Sitzungen geführt. Herzlichen Dank dafür und auch ganz herzlichen Dank an das Sekretariat für die geleistete Arbeit. Das war hervorragend. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Es wurden einige Tausend Seiten produziert, die heute zur Abstimmung stehen. Das alles war sehr transparent. Da wurde nicht gemauschelt. Frau Kollegin Wilms, wir gingen von einem Volumen von 270 Milliarden Euro aus; jetzt sind es 1 bis 2 Milliarden Euro mehr geworden. Ich sage Ihnen: Wenn ich mauschele, dann ist das wesentlich effektiver, als nur Zehntel Prozente draufzusatteln. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Alles, was wir da gemacht haben, war transparent. Da hat keiner seinen eigenen Wahlkreis bedient. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen? Wir haben uns an die Leitplanken, die wir uns gegeben haben, gehalten. Es ist einfach, fromme Wünsche zu äußern. Wir aber halten uns an die Leitplanken. – Viel schwieriger ist es in der Realität. Ich sage offen, dass ich manchmal den Eindruck hatte, der unbeliebteste Abgeordnete meiner Fraktion zu sein, weil ich vielen, die mit Wünschen zu mir gekommen sind, sagen musste: Das geht nicht nach den Kriterien, die wir uns selbst gegeben haben. In dem Prozess, der nach der Kabinettsbefassung kam, haben wir uns auch an die Verabredungen gehalten und weiterhin ein klares Prä für die Schiene abgegeben. Es wurde bereits mehrfach gesagt: Die Schiene bekommt ein Mehrfaches dessen, was ihrer Verkehrsleistung bei der Güter- und der Personenbeförderung entspricht. (Zuruf des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist unsere Politik. Wir machen nicht viele Worte, sondern lassen Taten sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In Richtung Linke sage ich: Wo führen Sie denn den Dialog vor Ort? Die Grünen haben mich im Zusammenhang mit drei Ortsumgehungen in meinem Wahlkreis erwähnt. Ich habe Ihren linken Abgeordneten noch bei keiner Diskussion um eine Ortsumgehung gesehen, bei der er sich vor Ort den Bürgerinnen und Bürgern hätte stellen können. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Weil Sie blind sind!) Sie führen hier das große Wort, aber vor Ort schlagen Sie sich in die Büsche. So kann man keine Politik machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu den Ausschussberatungen kann ich nur sagen: Wunsch und Wolke. Man muss sich nur vor Augen führen, wie viele Anträge zur Schiene Sie zur Hochstufung aus dem Potenziellen Bedarf gestellt haben. Natürlich wollen auch wir so viel wie möglich umsetzen; aber der volkswirtschaftliche Nutzen muss zuerst nachgewiesen werden. Sie jedoch wollten pauschal eine Reihe von Projekten in den Vordringlichen Bedarf hochstufen. Wissen Sie, woran mich das erinnert hat? Dafür muss ich nun zur rechten Seite dieses Hauses schauen: 2003 haben Union und FDP ebenfalls in unverantwortlicher Weise Anträge zum Bundesverkehrswegeplan gestellt, um möglichst viele Projekte in den Vordinglichen Bedarf zu bringen. Wissen Sie, warum der Plan dann trotzdem gut war? Weil verantwortliche Sozialdemokraten – damals wie heute – solche Wunschkataloge abgelehnt haben. (Beifall bei der SPD – Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Nun zu Ihrem Lippenbekenntnis, mehr Güter auf die Wasserstraße zu verlagern. Mich als Rheinland-Pfälzer treibt Folgendes um – das gilt sicherlich auch für die Hessen, die Baden-Württemberger und die Nordrhein-Westfalen –: Wie man zur Fahrrinnenanpassung im Mittelrheintal sagen kann, dass man das nicht wolle, wie man sich bei einer der wichtigsten, wenn nicht sogar bei der wichtigsten Wasserstraße in Deutschland verweigern und Nein zu einer deutlichen Erhöhung der Verlässlichkeit dieses Verkehrsträgers sagen kann, das will mir nicht in den Kopf. Damit verleugnen Sie Ihre eigene Politik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Gute Ansage!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab viele Dialoge und Diskurse, auch heftige Debatten. Aber was ich am Mittwoch in der Zeitung lesen musste, war wirklich der traurige Höhepunkt von dem, was Sie geliefert haben. Dort stand: Die Grünen sind empört. Die GroKo schiebt sich Straßenbauprojekte zu. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Wir haben von Ihnen auch heute wieder nur wenige, dünne Argumente gehört. Also greifen Sie einzelne Personen an. Da schreiben Sie, dass dem Exminister Ramsauer, dem Exminister Friedrich, dem Exminister Röttgen und dem amtierenden Minister Steinmeier Projekte zugeschoben würden. Wissen Sie, wenn ich jemanden bedienen will, dann halte ich nicht nach Exministern Ausschau, sondern nach denen, die Zukunft haben und darüber entscheiden, wie es weitergeht. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Weiteres: Ich kenne jetzt nicht die Feinheiten bei der CSU, aber ich bezweifle sehr, dass der Kollege Dobrindt, auch wenn bald Weihnachten ist, dem Kollegen Ramsauer auch nur einen Quadratmeter Asphalt mehr schenkt, als diesem zusteht. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein guter Plan. Ich werbe um Zustimmung. Wir werden das alles in dieser und in der nächsten Legislaturperiode umsetzen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzter Redner möchte ich das sagen, was mir am meisten am Herzen liegt. Wir hätten den Bundesverkehrswegeplan, dieses große Werk, und die Ausbaugesetze niemals auf den Weg gebracht, wenn wir nicht überparteilich zusammengearbeitet hätten und wenn wir nicht hervorragende Kontakte insbesondere auf der Mitarbeiterebene gehabt hätten. Demzufolge möchte ich auch einmal den persönlichen Mitarbeitern der Abgeordneten, die sich hier ins Zeug gelegt haben, ganz herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ohne sie wären wir oftmals aufgeschmissen gewesen. Da dies noch nicht gesagt worden ist, ist es meines Erachtens sehr wichtig, das zu tun. Einen ganz persönlichen Dank möchte ich auch noch in Richtung Alexander Dobrindt richten, und zwar aus folgendem Grund: Alexander, du hast in dieser ganzen, oftmals heftigen Auseinandersetzung eine bewundernswerte Ruhe und Übersicht bewahrt. Du hast mit Beharrlichkeit, Konzentration und Konsequenz mehr geschafft, als viele am Anfang gedacht haben. Also ganz herzlichen Dank dafür (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) und auch für die ständige Offenheit deines Ministeriums und für die Bereitschaft, uns Informationen zu überlassen. Ich danke dir auch dafür, dass du immer für die Einwendungen und Vorschläge, die aus unseren Reihen gekommen sind, offen warst. Das ist meines Erachtens so, wie man sich das vorstellt. Vielen Dank! Gleichzeitig möchte ich mich auch bei Wolfgang Schäuble bedanken. Durch Wolfgang Schäubles überlegte und weitsichtige Finanzpolitik ist es möglich gewesen, endlich aus diesem Schwitzkasten ständig mangelnder finanzieller Mittel herauszukommen und schließlich eine Perspektive vorzulegen, die auf lange Jahre gewährleistet, dass die finanziellen Grundlagen für die Erfüllung unserer Infrastrukturaufgaben gegeben sind. Das ist ein ganz wichtiger Schritt nach vorne. Ganz herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) All das, was jetzt geschehen ist, wäre ohne eine beharrliche Vorarbeit, die hier stattgefunden hat, nicht denkbar gewesen. An dieser Stelle muss ich an die langjährige Arbeit von Karl-Heinz Daehre und Kurt Bodewig erinnern, (Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!) die es in einer zunächst nahezu vernagelt erscheinenden Situation tatsächlich geschafft haben, sauber zu formulieren und zu begründen, wie der wirkliche Finanzbedarf für unsere Infrastruktur ist, herauszuarbeiten, was an Erneuerung und an Bestandspflege für die Zukunft notwendig ist. Das war eine Kärrnerarbeit, die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden ist. Herzlichen Dank, Karl-Heinz Daehre, herzlichen Dank Kurt Bodewig! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte ein paar Sachen zu meinen Vorrednern sagen. Frau Wilms, Sie haben gesagt, das, was wir uns vorgenommen hätten, sei zu viel. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!) Ich muss Ihnen dann recht geben, wenn die zukünftige Strategie von Ihnen weiterhin ist, alle möglichen Dinge zu instrumentalisieren, um Infrastruktur zu verhindern. Dann wird es in der Tat sehr schwer, das umzusetzen. Aber ich habe die Hoffnung, dass es uns dieses Mal gelingt, die Endlosschleifen, die Sie uns in den letzten Jahren verordnet haben, mit Prozessen, die nicht zu Ende gegangen sind, und Einspruchsverfahren, die nicht zu Ende gegangen sind, zu überwinden und dass wir tatsächlich ans Bauen kommen. Das erwarten die Menschen, und das werden wir mit aller Kraft versuchen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Minister Pegel, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie das Ganze einmal aus der Sicht der ostdeutschen Länder, insbesondere aus der Sicht des von starken Saisonverkehren geplagten, infrastrukturell dafür noch nicht ausgerüsteten Mecklenburg-Vorpommerns, beleuchtet haben. Ich halte das für einen ganz wichtigen Hinweis. Seien Sie sicher: Wir werden alles unternehmen, damit sich die Situation bei Ihnen entschärft und dass es tatsächlich eine Mobilität gibt, die dem Land angemessen ist. Das soll für ganz Ostdeutschland gelten. Sie haben uns in dieser Frage hundertprozentig auf Ihrer Seite. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu den Streichorgien, von denen Sie gesprochen haben, muss man meines Erachtens noch etwas klarstellen. Die Antragsteller für dieses mehr an Projekten waren Linke und Grüne. Man muss einmal zur Kenntnis nehmen: Das, was beide Parteien in den letzten Jahren hier in Deutschland geboten haben, ist in der Tat ein Anschlag auf die Mobilität. Ich sage Ihnen, Frau Leidig und Herr Behrens: Wir werden im nächsten Jahr im Wahlkampf stehen. In meinem Wahlkreis und in ganz Ostdeutschland gibt es sehr viele, die aus alter Verbundenheit links wählen. Sie haben mir heute sehr geholfen. Ich werde Ihre Reden nur eins zu eins abdrucken und verteilen. Das genügt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beifall der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] – Gustav Herzog [SPD]: Es gibt ein Copyright!) Dies wird dazu führen, dass viele von Ihren eingefleischten Anhängern zum Nachdenken kommen, worauf sie sich einlassen, (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Täuschen Sie sich nicht!) wenn Sie derartig destruktive Politikansätze noch fördern. Das kommt für die meisten nicht infrage. Die meisten täuschen sich nur darüber, dass eigentlich Sie die Feinde der Infrastruktur sind und nicht die Grünen. Den Herrschaften kann geholfen werden. Ich glaube, wir schaffen das. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Hoffen wir, dass Sie das so machen, dass Sie wirklich verbreiten, was ich gesagt habe, und nicht Propaganda machen! – Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, mit den heute zu verabschiedenden Ausbaugesetzen sind wir natürlich noch nicht am Ziel. Immer noch ist es so, dass wir langwierige Verfahren zur Erlangung des Baurechts haben und dass wir teilweise in den Verwaltungen nicht die richtige Ressourcenkonfiguration haben, um die Dinge schnell umzusetzen. Deshalb kann es mit den heute vorliegenden Ausbaugesetzen nicht sein Bewenden haben. Wir müssen in dieser Angelegenheit noch wesentlich mehr tun. Wir müssen den Ausbaugesetzen auch ein Verkehrswegesplanungsbeschleunigungsgesetz oder etwas in diesem Sinne beifügen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) damit wir in der Lage sind, tatsächlich zügig zu bauen. Leider ist es so, dass wir im Augenblick gerade wieder in die entgegengesetzte Richtung gehen. Ich nenne nur das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz. Da soll zum Beispiel die Präklusionsklausel gestrichen werden. Wenn das stattfindet, dann können Einwendungen, die im Verfahren bis zu dem Zeitpunkt nicht geäußert worden sind, zu dem die Präklusionsfrist abgelaufen ist, im Zuge des weiteren Verfahrens wieder eingebracht werden und müssen gar in die Abwägung einfließen. Das heißt, da deuten sich wieder Endlosschleifen an. Das darf natürlich nicht sein. Deshalb muss auch hier etwas passieren. Ich glaube, wir müssen auch darüber nachdenken, was wir gegen die fortwährende Instrumentalisierung von Tierschutz zur Verhinderung von Infrastrukturprojekten tun können. Das Schlimmste, was man dem Naturschutz antun kann, ist, dass man ihn für sachfremde Zwecke instrumentalisiert und damit von den Menschen entfremdet. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer tatsächlich dafür ist, dass Natur und Umwelt geschützt werden, der darf nicht fortwährend den Natur- und Umweltschutz gegen Mobilität und gegen Bedürfnisse der Gesellschaft ausspielen. Wir müssen beides zusammenführen, und das bedeutet: Wir brauchen Naturschutz, wir brauchen Umweltschutz, aber wir brauchen auch eine vernünftige Infrastruktur. Wenn wir das nicht haben, ist beides nicht mehr in Ordnung. Dann gibt es keinen Naturschutz mehr, und es gibt auch keine wirtschaftliche Entwicklung mehr. Genau das wollen wir nicht haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir brauchen einen Gang nach vorne und keinen Stillstand. Dafür haben wir heute einen guten Anfang gesetzt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu den Abstimmungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes. Dazu liegen mir zahlreiche persönliche Erklärungen zur Abstimmung vor, mit denen an der einen oder anderen Stelle besondere Wünsche, die nicht berücksichtigt werden konnten, oder Projekte, die realisiert werden, obwohl man dafür keinen Bedarf sieht, noch einmal ausdrücklich im Protokoll des Bundestages festgehalten werden.1 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10524, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9523 und 18/9853 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/10534. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist umgekehrt der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer ist dagegen? – Möchte sich jemand der Stimme enthalten? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition bei einer Enthaltung angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/10535 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Tagesordnungspunkt 30 b. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10513 (neu), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9524 und 18/9953 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10536. Wer möchte diesem Änderungsantrag zustimmen? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mehrheitlich bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen möchten, bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 30 c. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10516, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/9527 und 18/9952 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition in zweiter Beratung angenommen. Auch hier kommen wir jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, erheben sich bitte. – Wer möchte dagegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 30 d. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf der Drucksache 18/10514. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung eines Antrags der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/8075 mit dem Titel „Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückziehen – Klimaschutz- und sozialökologische Nachhaltigkeitsziele umsetzen“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt gegen diese Beschlussempfehlung? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition mehrheitlich angenommen. Tagesordnungspunkt 30 e. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesverkehrswegeplanung richtig stellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10515, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7554 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 30 f. Wir kommen zurück zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf Drucksache 18/10514. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/8083 mit dem Titel „Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundesnetzplan weiterentwickeln“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Damit haben wir dieses große Paket jedenfalls für heute abgeschlossen. – Denjenigen, die alle übrigen Punkte der Tagesordnung nicht annähernd so spannend finden, wünsche ich noch eine gedeihliche Arbeit im Büro und anschließend ein hoffentlich halbwegs ruhiges Adventswochenende. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Familien stärken – Kinder fördern Drucksache 18/10473 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen sehe ich nicht. Also verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Franziska Brantner für die Antragsteller das Wort. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben den Titel unseres Antrags gerade vorgelesen: Wir wollen Familien stärken und Kinder fördern. Familien brauchen unsere Unterstützung, und Kinder gehören stärker gefördert. Familie ist für uns klar dort, wo Menschen kontinuierlich Verantwortung füreinander übernehmen. Familie ist da, wo Kinder sind – egal, ob die Eltern verheiratet oder getrennt sind, noch nie zusammen waren oder im Regenbogen zusammenleben. Kinder machen Familie aus. Deshalb muss sich auch die Förderung von Familie daran orientieren, wo Kinder sind. Das ist unsere zentrale Aussage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben ein drängendes Problem in Deutschland: Mehr als 2,5 Millionen Kinder wachsen in Deutschland in einer Familie auf, die von Armut bedroht ist oder SGB-II-Leistungen für sich und ihre Kinder bezieht. Das sind fast 20 Prozent. Fast jedes fünfte Kind ist also betroffen. Diese Kinder sind nicht dabei, wenn die Freundinnen zusammen ins Kino gehen. Sie spüren die Blicke der anderen, wenn zu Beginn des neuen Schuljahres der Ranzen noch der aus der ersten Klasse ist. Wir wissen aus Studien, dass bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien ein größeres Risiko besteht, dass sie erkranken, dass diese Kinder häufiger unter psychischen Auffälligkeiten leiden oder Opfer von Gewalt werden. Armut grenzt aus und tut weh; sie beeinflusst das Leben von Kindern und auch ihr späteres Erwachsenenleben nachhaltig. Das müssen wir ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das können wir auch ändern. An diese Aufgabe müssen wir uns endlich machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Bekämpfung von Kinderarmut ist daher ein prioritäres Ziel grüner Familien- und Sozialpolitik. Dabei geht es uns um drei Bereiche: Kinder brauchen gute Bildung, gute gesellschaftliche Teilhabe und auch genügend Geld. Mit Blick auf den ersten Aspekt, die Bildung, kämpfen wir – das wissen Sie; das brauche ich hier nicht weiter auszuführen – schon lange dafür, dass der Bund mehr Geld zur Verfügung stellt, auch um die Qualität der Kitas zu steigern. Zum zweiten Aspekt, der gesellschaftlichen Teilhabe: Wir alle wissen, dass das Bildungs- und Teilhabepaket nicht bei den Kindern ankommt. Denn die Inanspruchnahme ist so gering: Die Möglichkeit der Nachhilfe nehmen nur 9 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder wahr. Die Möglichkeit, ein Musikinstrument zu erlernen oder in einen Verein zu gehen, nehmen nur 21 Prozent der Kinder in Anspruch. Dieses Teilhabepaket kommt bei den Kindern also nicht an. Wir können es uns in diesem Land aber nicht leisten, dass diese Kinder ausgeschlossen werden und nicht das bekommen, was ihnen eigentlich zusteht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir wollen deswegen die Angebote dorthin bringen, wo sich die Kinder aufhalten: in die Kitas und Schulen. Die Debatten über das Kooperationsverbot bieten uns da eigentlich eine ganz gute Chance. Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Frau Brantner, darf der Kollege Patzelt eine Zwischenfrage stellen? Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerne. Martin Patzelt (CDU/CSU): Frau Dr. Brantner, danke schön, dass ich die Frage stellen kann, auch wenn Sie im Text inzwischen schon etwas weiter waren. Ich war sehr verwirrt darüber, dass gerade Sie als Grüne, die hier für die grüne Fraktion mit entscheidender Stimme sprechen, materielle Statussymbole sozusagen als Kriterium oder Maßstab für den Wert von Kindern sehen. Die Sache mit dem Ranzen hat mich sehr erschüttert. Ich habe meine Kinder so erzogen: Einen Ranzen, der noch gut funktioniert, tragt ihr mit Selbstbewusstsein. – Sie sagen jetzt: Es wird zu einer Verunsicherung der Kinder führen, wenn es keinen neuen Ranzen gibt. – Könnten Sie sich dazu noch einmal äußern? Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Patzelt, das erste Beispiel, das ich genannt habe, war: zusammen ins Kino gehen. Das ist für mich kein Statussymbol, sondern klassische Kultur. Das gehört eindeutig dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zum zweiten Beispiel, das Sie jetzt angesprochen haben. Ja, es ist für Kinder eine entscheidende Frage, wie sie in ihrem sozialen Umfeld auftreten können und was sie haben. Wir wissen, dass Armut relativ ist. Es ist eine tief gehende Debatte, die wir in diesem Land haben. Wir müssen anerkennen, dass sich ein Kind zurückgesetzt fühlen kann, auch wenn es nicht hungern muss. Wir als Grüne sind zutiefst davon überzeugt, dass Armut auch davon abhängt, was im jeweiligen sozialen Umfeld möglich ist. Daran macht sich das fest. Armut ist relativ, und deswegen sind solche Aspekte für Kinder in unserer deutschen Gesellschaft eine Frage der Teilhabe und des Dazugehörens. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Susann Rüthrich [SPD] – Martin Patzelt [CDU/CSU]: Danke für die Antwort! Ich merke, dass Sie, was materielle Nachhaltigkeit angeht, Kompromisse eingehen, die ich von Ihnen nicht erwartet habe!) – Wir haben nie gesagt, dass Familien kein Geld brauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Susann Rüthrich [SPD]) Von daher: Natürlich braucht man auch eine materielle Absicherung. Wir wären die letzten, die das verneinen würden. Der dritte Aspekt – jetzt komme ich zum Geld, Herr Patzelt –: Die beste Armutsbekämpfung besteht weiterhin in der Erwerbstätigkeit beider Eltern. Wenn ein ausreichendes Einkommen nicht möglich ist, weil die Eltern keinen Job finden, weil sie trotz Vollzeitjob zu wenig verdienen oder auch mit mehreren Jobs zu wenig haben oder weil nur ein Elternteil für die Familie sorgen kann, müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Kinder nicht die Leidtragenden sind. Wir wollen, dass diejenigen, die heute zu wenig haben, endlich mehr bekommen, nämlich das, was sie brauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das bedeutet für uns zweierlei: dass erstens die Regelsätze zu erhöhen sind und dass zweitens Familien mit geringem Einkommen verlässlich unterstützt werden und das Existenzminimum gesichert bekommen. Erstens zu den Regelsätzen. Darüber haben wir in dieser Woche schon eine Debatte geführt; mein Kollege Wolfgang Strengmann-Kuhn hat dazu etwas ausgeführt. Kinder brauchen ihre tatsächlichen Bedarfe gedeckt. Da ist eben auch mal ein Eis im Sommer mit dabei. Dazu gehören die Sachen, die andere Kinder in diesem Land auch haben. Zum zweiten Punkt. Viele Familien arbeiten – vielleicht nur Teilzeit, vielleicht auch Vollzeit –, und es reicht nicht, dass sie nicht in Armut leben. Dafür gibt es eigentlich den Kinderzuschlag. Aber wir alle wissen: Der kommt nicht an. Nur ein Drittel der Berechtigten hat den am Ende des Monats wirklich auf dem Konto. 70 Prozent schaffen diese Hürde nicht. Sie leben de facto in verdeckter Armut. Selbst der Kinderzuschlag deckt nicht das sächliche Existenzminimum. Sehr geehrte Damen und Herren, der Bund definiert regelmäßig das Mindeste, was Kinder zum Leben brauchen. Das ist das Existenzminimum. Das ist im Steuerrecht freigestellt, aber das bekommen diese Kinder nicht. Warum ist es so, dass es bei den einen im Steuerrecht freigestellt wird, es bei den anderen finanziell aber nicht ankommt? Das ist eine große Ungerechtigkeit, und die müssen wir endlich beenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir wollen deswegen, dass alle Kinder das bekommen, was sie brauchen, nämlich mindestens das Existenzminimum – das auch automatisch und ohne Antrag, genauso wie es bei den Freibeträgen ist. Wir wollen für jedes Kind, das in einem Alleinerziehendenhaushalt aufwächst und dessen Elternteil nicht genügend oder gar keinen Unterhalt bekommt, erreichen, dass man nicht mehr permanent von Amt zu Amt laufen muss, dass es nicht mehr die zeitliche Begrenzung gibt, die keiner mehr nachvollziehen kann. Deswegen wollen wir das umstellen, sodass dieses Kind und der Elternteil das Geld direkt bekommen, ohne große Anträge, und dass die Einkommensanrechnung beim unterhaltspflichtigen Elternteil stattfindet. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist eine Sozialleistung!) Das würde Alleinerziehende echt entlasten, sowohl wenn es um das Materielle geht, als auch wenn es um die psychische Belastung geht, um die Klagen, um den Streit. Wir müssen da rauskommen und sagen: Wir sichern euch eure Existenz, das gute Aufwachsen für eure Kinder. Das ist die Verantwortung dieses Staates. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann kommen wir endlich, hoffentlich, zu einer besseren Bekämpfung der Kinderarmut. Das ist unser Ziel. Lassen Sie es uns gemeinsam angehen. Ich freue mich auf die Beratungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Brantner, es ist jetzt schon beginnender Wahlkampf. Die Verkehrspolitiker haben vorhin schon die ersten Vergleiche mit Weihnachten gezogen. Das wäre auch hier passend. Ich sage einmal: Im Dezember 2016 die ersten Anträge mit Blick auf den Wahlkampf zu stellen, ist so wie mit den Lebkuchen im Juni. Sie sehen an meiner Figur: Ich mag Lebkuchen im Juni. Bei Ihrem Antrag bin ich allerdings nicht so euphorisch. Was das Verpacken angeht, wissen wir, dass auch eine schöne Verpackung einen schlechten Inhalt haben kann. Wir werden uns dennoch jetzt mit dem Thema befassen, weil wir bei gewissen Positionen und Zielsetzungen etwas Ähnliches definieren. Natürlich ist das Thema „Kinderarmut in Deutschland“ ein Thema, das uns alle bedrückt, fraktionsübergreifend. Deswegen arbeiten wir gemeinsam daran, die Situation aller Kinder zu verbessern. Familienpolitik muss sich nachhaltig alle Bereiche anschauen. Solange nur ein Kind in Deutschland missbraucht, misshandelt oder vernachlässigt wird, so lange haben wir einen klaren Arbeitsauftrag. Solange Kinder in Armut leben, haben wir als Familienpolitiker einen Arbeitsauftrag hier im Plenum. Das soll ein Ziel sein, gegen die Kinderarmut gemeinsam zu kämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aber die Wege sind durchaus unterschiedlich. Das sieht man auch bei dem Antrag. Bekämpfung von Armut: Was ist das Hauptziel bei der Bekämpfung von Armut? Das Hauptziel muss doch sein, dass Eltern in die Lage versetzt werden, ihr Leben eigenständig zu organisieren. Das heißt, wir müssen Arbeitsplätze schaffen, und dazu brauchen wir eine starke Wirtschaft. Das stärkt die Familien in diesem Land und damit auch die Kinder und sorgt dafür, dass die Eltern ihre Kinder nicht nur materiell versorgen können, sondern auch psychologisch. Sie haben das Beispiel mit dem Ranzen angesprochen. Ja, es ist für ein Kind wichtig, dass es auch einmal einen neuen Ranzen bekommt. Aber viel wichtiger ist für das Kind, dass die Eltern in der Lage sind, diesen Ranzen zu kaufen. Deswegen müssen wir gesamtwirtschaftlich schauen, dass wir mit einer guten Wirtschafts- und Finanzpolitik die Voraussetzungen schaffen, um die Eltern zu stärken. (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Darauf habe ich förmlich gewartet. Präsident Dr. Norbert Lammert: Na ja, das lässt mich natürlich eher zögern. (Heiterkeit) Aber wollen wir einmal nicht so sein. Bitte schön. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Weinberg, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gesagt: Wir müssen in erster Linie dafür sorgen, dass die Eltern ein existenzsicherndes Einkommen haben. Können Sie zur Kenntnis nehmen, dass bei einem großen Teil der armen Kinder die Eltern durchaus ein ausreichendes Einkommen haben und diese Kinder trotzdem Hartz-IV-Leistungen beziehen und in Armut leben? Dies ist doch das eigentliche Problem, das wir angehen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Kinder, deren Eltern eigentlich genug Einkommen haben, nicht in die Grundsicherung rutschen. Das müssen wir doch im Auge behalten. Dafür ist unser Vorschlag die richtige Antwort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Das ist das Thema Kindergrundsicherung. Ich komme gleich zu Ihrer Frage. – Nehmen Sie bitte zunächst einmal zur Kenntnis, dass wir vor ungefähr zehn, elf Jahren eine Situation in Deutschland hatten, in der fast 6 Millionen Menschen arbeitslos waren. Ich habe gestern von dem wahrscheinlichen Kanzlerkandidaten der SPD – vielleicht wird er es, man weiß es nicht – gehört, dass er gesagt hat, es sei das wichtigste Ziel gewesen, dass wir diese Menschen in den letzten Jahren wieder in Arbeit gebracht haben. Mit einer Arbeitslosenzahl von 2,5 Millionen ist das deutlich besser geworden. Damit komme ich zur Kindergrundsicherung, die ja in Ihrem Antrag gefordert wird. Das wirft die Frage auf: Ist sie sinnvoll, zielführend und sogar effizient? Ist sie oberflächlich und etwas, was das Problem nur kaschiert, oder ist sie tiefgehender, also etwas, was wir politisch unterstützen sollten? Wir sagen ganz klar: Es muss doch einen Grundsatz in diesem Land geben. Die Lebenslage eines Kindes ist untrennbar mit der Einkommenssituation der Eltern verbunden. Wir sollten nicht die Situation von Eltern auf der einen Seite und die von Kindern auf der anderen Seite voneinander trennen. Deswegen glaube ich: Wenn wir darauf achten, dass die finanzielle Situation der ganzen Familie stabil ist, ist das zum Wohlsein des Kindes. Eine solche Leistung nur für das Kind, wenn es den Eltern gleichzeitig finanziell schlecht geht, ist schlicht der falsche Weg. Noch einmal: Viele Kinder warten auf einen neuen Ranzen, aber es ist wichtig, dass die Eltern ihn auch bezahlen. Die Idee, durch die Einführung einer Kindergrundsicherung die Entwicklungschancen von Kindern vom sozialen Status ihrer Eltern abzukoppeln, ist eher trügerisch. Das werden wir nicht unterstützen. Ein weiterer Punkt – hier stimmen wir Ihnen zu – ist die Kernforderung, die Wirtschaft zu stärken; denn das ist die Voraussetzung für die Stärkung von Kindern. Es geht um den Zugang zu Bildung, zu Ausbildung sowie um den Zugang zu soziokultureller Teilhabe. Bestehende Kinderarmut verschärft sich langfristig dadurch – auch das wissen wir –, dass Kinder zunehmend in bildungsschwachen Haushalten aufwachsen. Zur Bekämpfung von Kinderarmut reicht es deshalb nicht aus, den Familien nur mehr Geld in die Hand zu geben; vielmehr müssen wir Bildungschancen eröffnen. Lassen Sie mich einen Blick auf die Arbeit der Großen Koalition in den letzten Jahren werfen. Was haben wir denn gemacht? (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kinderarmut erhöht!) Der Etat des Bildungsministeriums beträgt inzwischen über 17,5 Milliarden Euro. Die Bereiche Familie und Bildung sind finanziell gestärkt worden, der Etat ist aufgestockt worden. Das ist ein Ergebnis der Arbeit der Großen Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt die Programme „Frühe Bildung: gleiche Chancen“ und „Haus der kleinen Forscher“. Wir als Bund haben deutlich gesagt: Wir wollen, um die Bildungschancen von Kindern gezielt zu erhöhen, diese Programme weiter ausbauen. Wir als Bund haben Verantwortung übernommen, und wir sehen mit Blick auf den PISA-Schock von 2001, dass die Ergebnisse langsam besser geworden sind. Daran haben auch die Länder und Kommunen gearbeitet, auch wenn sie noch etwas mehr tun könnten. Wir müssen in diesem Zusammenhang den Lehrern, den Erziehern und all jenen, die im Bildungsbereich aktiv sind, danken. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem hat sich die Kinderarmut erhöht!) Insgesamt ist festzustellen: Die Situation in Deutschland ist besser geworden, weil wir die Probleme vor vielen Jahren erkannt haben. Zum Thema Unterhaltsvorschuss und zur Frage, wann die Ausweitung kommt. Dazu drei ganz klare Botschaften von der Union: Erstens. Die Ausweitung, so wie im Koalitionsausschuss und auf der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen – Frau Brantner, ich komme gleich darauf zurück –, wird kommen. Zweitens. Beim Unterhaltsvorschuss handelt es sich um die zielgerichtetste Maßnahme im Bereich der Familienpolitik. Wir alle sind optimistisch, dass die Ministerin Schwesig es schaffen wird, konkrete Finanzierungsvereinbarungen mit den Ländern zu treffen. Drittens. Ich bin weiterhin optimistisch, dass all diejenigen, die in den Ländern Verantwortung tragen, die jeweiligen Ministerpräsidenten daran erinnern, dass sie eine Zusage gegeben haben. Frau Brantner, Sie regieren in zehn Ländern mit; Sie stellen sogar einen Ministerpräsidenten. Deswegen stelle ich Ihnen die Frage: Was haben Sie innerhalb Ihrer grünen Fraktion dafür getan, um dafür zu sorgen, dass sich Ihre Regierungsmitglieder in den Ländern – von Hamburg bis in den Süden hinein – bereit erklären, die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses zu unterstützen? (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir arbeiten dran!) Ich finde es etwas schwierig, wenn man sich hier hinstellt und sagt: „Das muss aber kommen“, und der Bundesregierung den Schwarzen Peter zuschiebt, aber selbst Verantwortung in den Ländern trägt. Da sollten Sie etwas mehr tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben immer gesagt – und das ist das Letzte, was ich zu diesem Thema sagen möchte –: Die Voraussetzung ist, dass die Finanzierung stimmt, und auch die Umsetzung in den Kommunen muss stimmen. Frau Hajduk, wir wissen beide aus Hamburg, wie viele Stellen das bedeuten wird. Das muss geregelt werden; denn nichts ist schlimmer, als wenn Politik etwas verspricht, aber dieses Versprechen später nicht halten kann. Richtig ist, dass wir uns überlegen müssen – und auch da haben Sie uns an Ihrer Seite –, wie wir längerfristig mit der Schnittstellenproblematik umgehen, um ineffiziente Leistungen abzustellen. Wir müssen jeden Euro investieren, je früher desto besser. Wir müssen investieren, statt später nur zu reparieren, gerade bei Kindern. Wir müssen überlegen: Wie können Eltern gestärkt werden? Was ist, wenn sie ein zusätzliches Einkommen haben? Nimmt man ihnen das auf der anderen Seite gleich wieder weg? Jeder Mensch, der ein höheres Einkommen bezieht, muss dafür sorgen, dass das Geld auch bei den Kindern ankommt. Deshalb wird man sich genau anschauen müssen: Wo gibt es noch Schnittstellenproblematiken, die wir im Sinne der Familien noch auflösen müssen, um die Freiheit der Familien zu stärken? Das Gleiche betrifft die ineffizienten Leistungen. Wir wollen Familien mit Kindern stärken, und wir wollen Kinder in Familien stärken. Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Darüber wird man die Debatte führen müssen, insbesondere mit Blick auf die nächsten fünf bis zehn Jahre. Wie muss ich in den verschiedenen Systemen umsteuern, damit ich ganz gezielt Kinder und Familien mit Kindern stärke? In diesem Zusammenhang muss man über steuerliche Leistungen debattieren. Man muss darüber nachdenken: Wie können wir Veränderungen bei der Einkommensteuer herbeiführen, sodass Kinder in Familien gestärkt werden? Das machen wir. Wir befinden uns in einem intensiven Diskurs, auch mit Blick auf den Wahlkampf, selbstverständlich. Sie fordern allerdings, dass das Ehegattensplitting abgeschafft wird. Dazu sagen wir ganz deutlich: Das ist mit der Union nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was wir überlegen, ist Folgendes: Wie können wir das Ehegattensplitting von heute weiterentwickeln zu einem Familienentlastungssplitting oder zu einem Familiensplitting? Kernaufgabe muss es sein, Familien mit Kindern zu stärken. Ich glaube, das wird in den nächsten Jahren eines der Hauptthemen sein, und zwar mit Blick auf die Einkommensteuer, mit Blick auf die Freibeträge und auch mit Blick auf die Sozialversicherungsbeiträge. Ich denke zum Beispiel an die Pflegeversicherung, bei der schon jetzt diejenigen, die keine Kinder haben, 0,25 Prozent mehr zahlen. Man wird schauen müssen, wie man das Ziel „Stärkung von Familien mit Kindern“ erreichen kann. Man wird über viele Dinge diskutieren müssen – ich will das nur kurz anreißen –, wenn es um die Frage geht, wie wir Familien stärken können, wie wir sie vor Armut schützen können. Armut drückt sich auch in den Lebensverhältnissen von Kindern aus, in den Wohnungen. Wir wissen, welch hohe Mieten man gerade in urbanen Gebieten zahlen muss. Wir müssen überlegen, wie wir Familien in eine Situation versetzen können, dass sie Eigentum, dass sie eine selbstgenutzte Immobilie erwerben können. Eine heute 30-jährige Frau mit einem 32-jährigen Mann kann momentan kaum eine Immobilie erwerben. Wenn die Familien in der Lage wären, Eigentum zu erwerben, wäre das gut für die Familien, übrigens auch für die Alterssicherung; denn die selbstgenutzte Immobilie, die nach 30 Jahren abbezahlt ist, kann eine Säule der Alterssicherung sein. Ich glaube, hier haben wir noch viel Potenzial, das wir in den nächsten Jahren heben sollten. CDU/CSU und SPD diskutieren ja gerade sehr intensiv über ein Baukindergeld und Ähnliches. Da wird man noch einiges machen. Ein weiteres Thema wird sein, wie Familien ihre Zeit, diese neue goldene Ressource, besser einteilen können. Wir werden in Zukunft sehr viel über Geld reden, über materielle Werte. Ich verweise immer darauf, dass es auch ideelle Werte gibt, über die wir mit unseren Kindern sprechen müssen und die sich nicht an gewissen Zahlen festmachen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei geht es um die Einstellung zur Gesellschaft, zur Demokratie, auch zu Themen wie Gleichberechtigung. Vielleicht sollten wir auch im Deutschen Bundestag einmal einen Diskurs darüber führen, was unsere gemeinsamen Werte sind und wie wir sie stärken können, statt, so wichtig das auch sein mag, in erster Linie über das Geld zu sprechen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schreiben Sie doch mal einen Antrag!) Dann werden wir gemeinsam feststellen, dass wir die Freiheiten der Familien stärken wollen. Die Freiheiten zu stärken, heißt, Zeit zu bekommen, Zeit für Familie, aber auch Zeit für Erwerbstätigkeit. Fazit: Denken Sie bitte daran, dass bekanntermaßen alles mit allem zusammenhängt. Es wird darauf ankommen, dass wir in diesem Land unsere wirtschaftliche Stärke ausbauen; denn das ist die Voraussetzung für familienpolitische Leistungen. Wir brauchen wirtschaftliche Stärke; denn sie schafft finanziellen Spielraum. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Herr Präsident, ich komme gern zum Schluss. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein, nicht gerne, aber unvermeidlicherweise, nicht wahr? Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Finanzieller Spielraum schafft auch Möglichkeiten für die Familienpolitik. Deswegen sage ich – ich komme zu den Lebkuchen zurück –: Für Ihren Antrag, Ihren Wahlkampfantrag, ist es noch ein bisschen früh. Trotzdem eröffnen wir gerne die Diskussion. Wir machen es wie mit den Lebkuchen und beenden die Sache schnell. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Norbert Müller ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Franziska Brantner hat es gesagt: Arme Kinder werden diskriminiert, sie werden ausgeschlossen, sie haben eine schlechtere Gesundheit, sie werden häufig schlechter ernährt, sie haben schlechtere Bildungschancen, sie haben weniger Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe – das ist nicht nur der Kinobesuch –, und sie bleiben oft lebenslang arm. Wer lebenslang arm bleibt, der stirbt auch früher, der hat eine geringere Lebenserwartung, der ist auch im Alter arm. Das haben die Grünen im Feststellungsteil ihres Antrages alles sehr vorbildlich – wir könnten das fast nicht besser – beschrieben. Ich finde die Beschreibung völlig angemessen. Ich weiß, dass das alles so ist. Die Grünen wissen, dass das so ist. Sie wissen, dass das so ist. Die Bundesregierung weiß, dass das so ist. Das Bemerkenswerte an dieser Debatte ist, dass wir über Kinderarmut nur reden, wenn die Opposition das beantragt. Das zeigt, Herr Kollege Weinberg, welchen Stellenwert das für die Bundesregierung hat. Im Koalitionsvertrag gibt es keine einzige Bezugnahme auf dieses Problem, und in dieser Wahlperiode fand nicht eine Debatte hier im Bundestag dazu statt, bei der die Koalition eigene Vorschläge eingebracht hat, wie sie Kinderarmut – das ist in erster Linie immer materielle Armut – beseitigen will. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nein, das haben Sie nicht getan. Über Kinderarmut reden wir hier nur, wenn Grüne und Linke es beantragen. Die Wahrheit ist – der Eindruck drängt sich doch auf –: Ihnen ist Kinderarmut im Grunde egal. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist Unsinn, kompletter Unsinn und eine Unterstellung!) Warum ist Ihnen Kinderarmut im Grunde egal? Weil: Wenn man über materielle Armut in den Familien reden will, dann muss man am Ende auch über den unermesslichen Reichtum in diesem Lande, der in immer weniger Händen konzentriert ist, reden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir Armut beseitigen wollen, dann müssen wir darüber reden, wie wir an die unermesslichen Reichtümer von einigen wenigen rangehen. Auch das gehört zur Wahrheit. Das heißt, wir müssen über eine Umverteilung großer Vermögen reden, wenn wir Kinderarmut nachhaltig beseitigen wollen. (Beifall bei der LINKEN) Der Antrag der Grünen hat einen guten Feststellungsteil. Er verbleibt bei den vier Beschlusspunkten dann aber leider häufig auf der Überschriftenebene. Das finde ich sehr bedauerlich. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass Sie versuchen, sich möglichst wenig festzulegen. Man weiß ja nicht, ob man im nächsten Jahr möglicherweise neue Partner hat, die sich bei der Frage, wie man Kinderarmut zurückdrängt, auch nicht festlegen wollen. Sie fordern: Regelsätze für Kinder und Erwachsene in der Grundsicherung müssen so ermittelt werden, dass sie das Existenzminimum tatsächlich decken. Dann machen Sie das doch an Zahlen fest! Dazu gibt es diverse Vorschläge, unter anderem die Vorschläge der Diakonie. Diese haben wir übernommen. Folgende Beträge werden vorgeschlagen – ich möchte sie hier nennen –: Kinder bis 6 Jahre 326 Euro, zwischen 7 und 13 Jahren 366 Euro und zwischen 14 und 18 Jahren 401 Euro. Das sind fast 100 Euro für jedes Kind mehr, und das würde unmittelbar helfen, aus der Armut herauszukommen. Ich fordere Sie auf: Machen Sie Vorschläge, wie Sie das sächliche Existenzminimum der Kinder verlässlich sichern wollen. (Beifall bei der LINKEN) Ihr zweiter Punkt. Sie wollen Familien mit niedrigem Einkommen gezielt und bedarfsdeckend unterstützen. Dafür haben wir mit dem Kinderzuschlag bereits ein gutes Instrument, (Sönke Rix [SPD]: Wer hat das denn eingeführt?) das entbürokratisiert werden muss und deutlich ausgebaut werden müsste. Kollege Rix, Sie haben völlig recht, das haben Sie eingeführt. Aber es ist unzureichend. (Dagmar Ziegler [SPD]: Genau! Irgendwas ist immer!) Der Kinderzuschlag ist in den letzten Jahren erhöht worden, aber viel, viel zu wenig. Wir wissen: Der Kinderzuschlag ist das zentrale Instrument, mit dem wir relativ einfach Familien, die Einkommen aus eigener Arbeit haben, vor Hartz IV bewahren. Ich will es noch einmal sagen: 900 000 Kinder in Deutschland leben in Familien, in denen die Eltern aufstocken müssen. Sie gehen arbeiten – dadurch haben sie auch nicht so viel Zeit für ihre Kinder, Kollege Weinberg –, aber sie müssen aufstocken. Die Kinder sind deswegen arm. Den vierten Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, verstehe ich nicht so ganz. Sie wollen das Ehegattensplitting vielleicht ein bisschen abschaffen, aber Sie wollen es für diejenigen offenhalten, die besonders davon profitieren. Sie schlagen dann eine Kindergrundsicherung vor, die man wahlweise durch die alten familienpolitischen Leistungen, durch das Ehegattensplitting, ersetzen kann. Das Absurde an dem Ehegattensplitting, das ja Ehen fördern soll, ist, dass es folgende Wirkung hat: Je mehr Kinder in einer Ehe geboren werden, desto geringer ist die steuerliche Entlastung aus dem Ehegattensplitting. Das Ehegattensplitting ist ein zentrales Instrument, um zu verhindern, dass in Ehen Kinder geboren werden. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Ich erkläre es Ihnen gerne noch einmal! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden!) Denn die steuerliche Entlastungswirkung wird geringer, je mehr Kinder in Familien, deren Eltern verheiratet sind, geboren werden. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist verkehrt!) Das ist als familienpolitische Leistung doch völlig irre. Auch ich bin dafür, dass wir das beseitigen und durch eine sinnvolle Kindergrundsicherung ersetzen. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will zu den Forderungen der Linken kommen, weil wir nicht nur meckern wollen, sondern auch Vorschläge unterbreiten, die wir für finanzierbar und für sinnvoll halten. Erstens. Die Grünen haben angesprochen – das finde ich auch richtig –, dass die Leistungen für alle Kinder gleich hoch sein sollen. Das heißt, die steuerliche Entlastungswirkung für jemanden, der von Kinderfreibeträgen profitiert, also wir zum Beispiel, die wir Kinder haben, muss mindestens genauso deutlich ausfallen wie das Kindergeld. Demnach ist ein Kindergeld von etwas mehr als 190 Euro für das erste Kind zu niedrig. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ab 1. Januar 2017 würde das angesichts der aktuellen Kinderfreibeträge 328 Euro Kindergeld bedeuten. Das klingt nach fürchterlich viel mehr, aber das hilft unmittelbar allen Familien, die durchschnittliche und geringe Einkommen haben. Selbst Familien mit etwas überdurchschnittlichen Einkommen hilft dies deutlich. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Wir müssen die Regelbedarfssätze sofort und deutlich erhöhen. Die Zahlen habe ich Ihnen genannt. Vor allen Dingen muss Schluss sein mit den Manipulationen bei den Regelbedarfssätzen. (Sönke Rix [SPD]: Manipulationen?) Es sind noch drei Wochen bis Weihnachten. Dass man Kindern, die von Hartz IV leben, bei der Berechnung der Regelbedarfssätze auch noch den Weihnachtsbaum herausrechnet, ist keine besonders christliche Politik. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese Kritik müssen Sie sich gefallen lassen. Die Manipulation der Kinderregelbedarfssätze muss aufhören. Es kann nicht sein, dass man alle möglichen Punkte von den Malstiften über das Eis im Sommer bis zum Weihnachtsbaum im Dezember herausrechnet. Wir wollen den Unterhaltsvorschuss ausweiten. Das will auch die Bundesregierung. Es scheitert an der CDU/CSU-Fraktion. Wir wollen den Kinderzuschlag entbürokratisieren, und wir wollen, dass Leistungen aus einer Hand gewährt werden. Wir werden in der nächsten Sitzungswoche einen konkreten Vorschlag unterbreiten, wie das praktisch aussehen kann. Denn es ist für die Familien eine Zumutung, für das Kindergeld zu den Arbeitsämtern zu gehen, für die Grundsicherung zu den Jobcentern zu gehen und für Sonderbedarfe zu anderen Ämtern zu gehen usw. usf. Das überfordert Familien, und das hilft am Ende auch nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Schluss. Ich will noch einen letzten Gedanken ansprechen. Herr Kollege Patzelt, es hat mich wirklich betroffen gemacht, wie Sie das Thema vorhin angesprochen haben. Sie waren Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder. Das ist eine Stadt in Brandenburg, in der unglaublich viele Menschen ziemlich arm sind, vor allen Dingen Kinder. In Schleswig-Holstein – auch dort gibt es solche Städte – wurde vor nicht allzu langer Zeit eine Studie durchgeführt. Man hat geschaut, was Familien für den Schulbedarf ausgeben. Die durchschnittliche Summe, die eine durchschnittliche Familie für ein Schuljahr ausgibt, lag bei 1 500 Euro. Eine Familie, die von Hartz IV lebt, bekommt für ihr Kind 100 Euro für den Schulbedarf als Sonderbedarf: 70 Euro zu Beginn des Schuljahres und 30 Euro zum Halbjahr. Familien, die ein etwas besseres Einkommen haben, geben aber durchschnittlich 1 500 Euro aus; denn es ist nötig. Das zeigt, wie Bildungsungerechtigkeit funktioniert. In diesem Bereich können wir auf Bundesebene unmittelbar wirken. Wir müssen auch nicht auf die Länder warten, um sicherzustellen, dass die Kinder, die in die Schule gehen, für die die Schulpflicht gilt, gleichgestellt werden. Sie sollten die gleichen Möglichkeiten haben, guten Unterricht zu erhalten, aber auch die Unterrichtsausstattung, die sie von zu Hause mitbringen, muss gleich gut sein. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat die Kollegin Susann Rüthrich für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Susann Rüthrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir von Kindern und Familien sprechen, haben wir meistens Bilder im Kopf, naheliegenderweise der eigenen Familie. Wir alle, die wir hier sitzen, betrachten Familien oft aus unserem Blickwinkel. Das ist der Blickwinkel von Erwachsenen: von Eltern, von Großeltern, von Tanten und Onkeln – nicht der von Kindern. Das ist das Grundproblem dabei, wenn es darum geht, Kinder wirklich zu stärken: über Kinder sprechen, aber nicht mit ihnen, von der eigenen Perspektive ausgehen statt von der der Kinder, von Kindern nur als „unsere Zukunft“ zu sprechen und dabei zu übersehen, dass sie jetzt schon da sind und jetzt eigene Rechte und Bedürfnisse haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten. Wir wollen ihre Rechte endlich verbindlich und einklagbar festschreiben, und zwar im Grundgesetz. (Beifall der Abg. Sönke Rix [SPD] und Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Dafür hat sich die Justizministerkonferenz erst vor wenigen Tagen ausgesprochen. Lieber Herr Lehrieder, ich freue mich sehr darüber, dass sich jetzt auch Herr Seehofer – genau wie andere prominente Menschen aus der Union – offen dafür zeigt; denn es liegt nur noch an Ihrer Fraktion, die die Mehrheit dafür blockiert. Sie sagen aber auch: Nur davon wird sich das Leben der Kinder in Deutschland noch nicht ändern. – Stimmt. Aber wir haben dann die Verpflichtung, die notwendigen Veränderungen umzusetzen, die Perspektive zu wechseln und so die Kinder selbst bei den Dingen, die sie betreffen, in den Mittelpunkt zu stellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der vorliegende Antrag geht auf einen Teilaspekt ein, nämlich den der Kinderarmut. Blicken wir also einmal nur auf die materielle Seite. Es gibt zweifelsohne viel zu tun. Ein reiches Land, in dem Kinder arm sind, das ist – um es deutlich zu sagen – peinlich. Es ist vor allem unnötig. Doch auch in diesem Antrag steht nicht das Kind im Zentrum, sondern es sind wiederum die Eltern. Das lese ich aus Sätzen wie: „Das beste Mittel gegen Kinderarmut bleibt nach wie vor die Erwerbstätigkeit beider Eltern.“ Das klingt logischer, als es ist. Wenn wir Kinderarmut wirklich abschaffen wollen, gilt es, die vielen Stellschrauben in den Blick zu nehmen. Sie sind alle benannt worden. Jede Verbesserung in jedem der Bereiche freut uns. Mein Problem dabei ist folgendes: Nach all den mühsam erkämpften Verbesserungen im Einzelnen sind die meisten der armen Kinder immer noch arm – und deren Familien auch. Um es ganz offen zu sagen: 2 Euro Kindergelderhöhung kosten eine ganze Menge Geld, aber die armen Kinder sind danach immer noch arm. Ich finde, kein Kind in Deutschland darf arm sein, und keine Familie darf durch ihre Kinder arm werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Genau hier setzt das Konzept der Kindergrundsicherung an. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Grünenfraktion, nennen den Begriff, meinen damit aber nur die finanziellen Leistungen, die dann anders an Familien ausgereicht werden. Das ist zu kurz gesprungen. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein guter Anfang!) Die SPD Sachsen, aus der ich komme, hat sich für den Ansatz ausgesprochen, wie er von vielen Verbänden im Bündnis Kindergrundsicherung vorgeschlagen wird. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus guten Gründen!) Kurz gefasst: Jedes Kind bekommt die Leistungen, die es automatisch über die Armutsschwelle hebt. Die Situation der Eltern zu verbessern, Mindestlohn, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Elterngeld – all das ist weiter nötig. Aber alles, was das Kind selbst braucht, um nicht in Armut zu leben, bekommt es auch. Der derzeitige Wert der Armutsschwelle liegt bei etwas unter 800 Euro. Das ist das Mindestniveau der Kindergrundsicherung. Der Clou daran ist: Das Geld wird zur einen Hälfte als Einkommen an die Familien gegeben und fließt zur anderen Hälfte in Strukturen, die ein Kind braucht, um gut aufzuwachsen. Das hilft jedem Kind und jeder Familie – jeder. Die Einkommensseite hilft vor allem den Einkommensschwachen mehr, da sie durch weniger Steuern mehr oder alles behalten. Die strukturelle Seite würde bedeuten: Kein Kind ist darauf angewiesen, dass seine Eltern etwas beantragen und Behörden dies bewilligen, sondern ein Kind geht zum Mittagessen in die Schule, nutzt den Bus, geht in den Sportverein, nimmt Nachhilfe in Anspruch – alles das können sich bedürftige Familien auch jetzt einzeln fördern lassen, dann aber rechnet der Anbieter die erbrachte Leistung ab –, fertig. So weit die Idee. Ich höre schon die Einwände. Es fängt beim Begriff an: „Grundsicherung“ klingt wie „Grundeinkommen“. – Nein, das heißt es für mich nicht. Der Unterschied ist: Kinder können eben nicht selbst aus ihrer Armut herauskommen. Deren Armut kann nie durch eigene Leistung behoben werden. Das ist für mich der zentrale Aspekt, wenn es darum geht, wirklich vom Kind aus zu denken. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht etwas verloren!) Ein weiterer Einwand lautet: Ja, aber was soll denn das kosten? – Stimmt, das müsste man einmal durchrechnen, aber bitte unter Beachtung dessen, dass auch Kinderarmut kostet: die Kinder Lebenschancen und die Familien Kraft und Zeit. Die Folgen dessen schultern wir dann alle. Ja, das wäre ein Systemwechsel. So etwas geht nie von heute auf morgen. Er könnte aber jetzt anfangen, und zwar mit einem anderen Verständnis davon, was wir Kinderarmut nennen und wie wir sie bekämpfen, nämlich bei den Kindern direkt. Wir können bereits jetzt in Strukturen investieren und diese jedem – wirklich jedem – Kind zur Verfügung stellen. Wir können schon jetzt ein gestaffeltes – und damit für die Ärmsten ein höheres – Kindergeld einführen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie das doch!) Dann ist der Sprung, das System der Leistungen für die Kinder umzustellen, gar nicht mehr so groß. Ob es dann „Kindergrundsicherung“ oder anders heißt, soll mir egal sein. Hauptsache, kein Kind in Deutschland ist mehr arm. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Markus Koob für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Markus Koob (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! „Familien stärken – Kinder fördern“, das ist eine Aussage, die sicherlich jeder hier in diesem Haus gerne unterschreibt. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) Dennoch hätte es aus unserer Sicht, aus Sicht der Union, dieses Antrags nicht bedurft. Ich möchte Ihnen auch gerne inhaltlich sagen, warum wir dieser Meinung sind. Auch ohne die Grünen wurde der Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit dem Amtsantritt unserer Bundeskanzlerin im Jahr 2005 um knapp 100 Prozent erhöht, also nahezu verdoppelt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut steigt trotzdem! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Wegen des Elterngeldes!) Er beläuft sich dank der unionsgeführten Bundesregierung auf mittlerweile 9,5 Milliarden Euro. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für ein Text?) Diese beeindruckende Steigerung beruht wesentlich darauf, dass wir neue Leistungen für die Familien in unserem Land eingeführt haben, die sich großer Beliebtheit erfreuen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut steigt trotzdem!) Die Einführung des Elterngeldes und des Elterngeldes Plus hilft den Eltern, intensiver und vor allem abgesicherter als zuvor die ersten Lebensmonate ihrer Kinder aktiv mitzuerleben. Die stetig steigenden Mittel – im kommenden Haushalt belaufen sie sich auf 6,4 Milliarden Euro – zeigen die Beliebtheit des Elterngeldes und vor allem, dass die bestehenden Familienleistungen wirken. Die Familien werden entlastet. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Und was hat das mit der Kinderarmut zu tun? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut steigt trotzdem!) In Deutschland kommen wieder mehr Kinder zur Welt. Durch die Partnerschaftsmonate lassen sich sukzessive auch mehr Männer in die Pflicht nehmen, das eigene Familienleben genießen zu dürfen. Das ist ein absoluter Erfolg und eine große Entlastung für die Familien in unserem Land. Dafür hat die Koalition gerne die Verantwortung getragen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut steigt trotzdem! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Und jetzt noch was zum Thema!) Darüber hinaus gibt es weitere Verbesserungen, die wir als Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben und die explizit auch Familien mit niedrigem Einkommen zugutekommen. So haben wir bereits vor einigen Wochen den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende deutlich, um ein Drittel, auf 1 908 Euro erhöht. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war letztes Jahr, und bislang haben Sie ihn nicht erhöht! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit der Kinderarmut zu tun?) Dieser Umstand kommt auf keiner der sieben Seiten Ihres Antrages auch nur mit einer Silbe vor. Ihre Aussage: „Doch seit Jahren tut sich nichts“, ist deshalb schlicht falsch. Sie stimmt aber auch in anderen Bereichen nicht. Erst gestern haben wir das Kindergeld, den Kinderzuschlag und den Kinderfreibetrag erneut angepasst. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Aber nicht den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende!) Niemand in diesem Haus wird dabei eine Erhöhung des Kindergeldes um 2 Euro – isoliert betrachtet – als einen großen Wurf ansehen; auch wir in der AG Familie sehen hier deutlich Luft nach oben. Aber das ist ja auch nur eine der Leistungen, die wir erhöht haben. Gemeinsam mit dem Ausgleich der kalten Progression haben wir die Familien in Deutschland in dieser Wahlperiode um fast 25 Milliarden Euro bis zum Jahr 2018 entlastet. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem gibt man noch mehr!) Der Unterhaltsvorschuss wird in dieser Legislatur ebenfalls ausgebaut werden, wenn auch die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung – ich habe hier die Zahl elf stehen; Markus Weinberg sprach von zehn – (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Ich schaue schon mal voraus! – Gegenruf von der SPD: Das fängt ja gut an bei euch!) – da müssen wir vielleicht noch einmal nachzählen – zu ihrer finanziellen Verantwortung stehen. Denn es liegt nicht, wie von Ihnen behauptet, an der Bundesregierung, die die Finanzierung nicht geklärt hätte, sondern an den Bundesländern, die sich plötzlich nicht mehr an ihre Zusagen erinnern können oder wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Anders als in Ihrem Antrag behauptet, liegt dieses Vorhaben meiner Bundestagsfraktion sehr am Herzen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ach!) Wir wissen um die bemerkenswerte Leistung von Alleinerziehenden. Auch ich habe in meinem Freundes- und Bekanntenkreis eine ganze Reihe alleinerziehender Mütter, vor denen ich meinen Hut ziehe. Alleinerziehende sind in vielfacher Hinsicht Leistungsträger in unserer Gesellschaft. Neben Kindererziehung und Haushalt gehen sie häufig noch einer zeitintensiven Erwerbsbeschäftigung nach und versuchen, die eigene Familie damit selbst zu versorgen. Das ist eine alltägliche Höchstleistung. Deshalb werden wir den Unterhaltsvorschuss ausbauen, wenn alle Beteiligten die Verantwortung für ihren Anteil übernehmen. Der Bund steht zu seiner Zusage. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Die von mir genannten familienstärkenden Maßnahmen alleine sind nicht die einzig relevanten. Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie eine konsequentere und intensivere Auseinandersetzung mit der Evaluation der ehe- und familienpolitischen Leistungen fordern. Aber eine Forderung daraus wurde sehr konsequent in politisches Handeln umgesetzt: der Ausbau der Kinderbetreuung. Die Unterstützung der Länder beim Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen hat den Bund trotz eigentlicher Länderkompetenz ein Vermögen gekostet; es ist zwar sehr gut angelegt, aber es ist dennoch ein Vermögen. Der Bund hat sich mit knapp 6 Milliarden Euro am Ausbau beteiligt. Ab 2017 beteiligt er sich zudem mit knapp 1 Milliarde Euro an den Betriebskosten dieser Kindertageseinrichtungen. Davon profitieren nicht nur die Kinder erwerbstätiger Eltern, sondern auch Kinder erwerbsloser Eltern. Sie kreieren daher in Ihrem Antrag meiner Meinung nach ein vollkommen falsches und darüber hinaus düsteres Bild der deutschen Familienpolitik und tragen damit auch zur Verunsicherung in unseren deutschen Familien bei. Hören Sie auf, Errungenschaften, die es durch die Union in den vergangenen elf Jahren in der deutschen Familienpolitik gegeben hat, kleinzureden und Reformen als überfällig zu brandmarken! Noch nie wurde so viel Geld in Familien investiert wie heute. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig richtig! Die Frage ist, wie!) Das sollten Sie zunächst einmal anerkennen, bevor Sie nach immer mehr rufen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sicher gibt es Stellschrauben, an denen gedreht werden kann. Die Notwendigkeit milliardenträchtiger Reformen zu sehen, ist grundsätzlich legitim. Aber dann müssen Sie auch sagen, wer diese Milliarden finanzieren soll. Das tun Sie an keiner Stelle. Das ist nicht seriös und trägt nicht zur Umsetzung einer bedarfsorientierten Familienpolitik bei. Auch insgesamt war nicht jede Debatte, die in der Vergangenheit dazu geführt wurde, der Sache dienlich. Es hilft weder, die Probleme von Armut und Armutsgefährdung zu verneinen – denn es gibt sie –, noch hilft es, vorhandene Maßnahmen zu deren Vermeidung zu verschweigen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Koob, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Müller zu? Markus Koob (CDU/CSU): Nein. – Wenn Sie in Ihrem Antrag von einem alten Schulranzen oder nicht finanzierbaren Malstiften schreiben, dann verschweigen Sie, dass es genau hierfür das Bildungs- und Teilhabepaket gibt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keine Ahnung!) Über die Frage, ob wir es besser und weniger bürokratisch gestalten können, können wir gerne reden. Da reiche ich Ihnen die Hand. Sie aber bringen das Kunststück fertig, es in Ihrem Antrag mit keinem Wort zu erwähnen. Deswegen ist es gut, dass Sie es wenigstens in Ihrer Rede erwähnt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben in dieser Woche auch viel über das Existenzminimum und dessen Berechnung im Deutschen Bundestag debattiert, vor allem in der gestrigen Debatte zur Berechnung der Regelsätze. Die Einschätzung von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken dazu kann man teilen; man muss es aber nicht. Überhaupt werden viele sehr real bestehende Ungleichheiten in unserem Land durch eine Umverteilung mindestens verringert. So vergessen Sie zu erwähnen, dass Deutschland unter den G-20-Staaten die geringste gesellschaftliche Ungleichheit hat. Denn bereits heute sorgen zahlreiche sozialpolitische Maßnahmen dafür, dass Ungleichheit durch monetäre Umverteilung stark reduziert wird. Das ist ein Erfolg, und es ist auch notwendig. Wenn wir über die Förderung von Familien und Kindern reden, dann dürfen wir aber nicht nur über die finanzielle Förderung reden. In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, gehen Sie nur kurz, aber völlig zu Recht auch auf die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen ein. Sie sprechen von den nicht ausreichenden, aber sichtbaren Verbesserungen seit der PISA-Studie im Jahr 2000. Tatsächlich sind bessere Bildungschancen für Kinder und Jugendliche gerade aus einem sozial schwierigen Umfeld eine Aufgabe für uns alle, an der wir arbeiten müssen. Ich hoffe daher auch, dass Sie die richtigen Schlüsse daraus ziehen, dass der grünen Bildungspolitik in Baden-Württemberg, Ihrem Stammland, jüngst ein desaströses Zeugnis ausgestellt worden ist. Vom – im wahrsten Sinne des Wortes – Musterschüler Deutschlands ist nach wenigen Jahren nicht mehr viel übrig. Aber ich bin mir sicher, dass dieser Trend nun gemeinsam mit der baden-württembergischen CDU wieder umgekehrt werden kann. Ich sage das ohne Häme; denn ich komme selbst aus einem Bundesland, in dem CDU und Grüne sehr erfolgreich regieren, und ich glaube, das ist wirklich eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da werden wir aber genau hinschauen!) Auch auf einem anderen Feld wollen wir als Union in den nächsten Jahren Familien stärken. Vor allem kinderreiche Familien haben zunehmend Schwierigkeiten, geeigneten Wohnraum zu finden. Gleichzeitig haben wir in Deutschland eine sehr viel niedrigere Quote von Wohneigentümern als andere europäische Länder. Wir wollen beide Aspekte zum Anlass nehmen, um Familien den Erwerb von Eigentum zu erleichtern, um damit auch einen wichtigen Beitrag zu einer breit aufgestellten Altersvorsorge zu leisten. Wir haben daher in der AG Familie beschlossen, dass wir uns für ein Baukindergeld einsetzen werden, um Familien mit einer starken finanziellen Unterstützung seitens des Staates die Chance zu eröffnen, Wohneigentum zu erwerben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, ich weiß, dass Sie es in Ihrem Antrag mit den Kindern, den Eltern und den ganzen Familien in Deutschland gut meinen. Das wäre auch vonseiten der Unionsfraktion durchaus unterstützenswert, wäre da nicht der Haken, dass Sie mit keiner Silbe erwähnen, wer für die Verwirklichung Ihrer Wünsche zahlen muss. Man kann dieser Koalition aus Oppositionssicht vielleicht so einiges vorhalten, aber ihr vorzuwerfen, dass sie bei der Unterstützung von Familien und der Förderung von Kindern untätig geblieben wäre, ist nicht fair: (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Kindergeld, Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, Kitaausbau, Unterhaltsvorschuss – das sind nur einige Maßnahmen. All diese kosten sehr viele Milliarden Euro, von denen wir der Meinung sind, dass sie notwendig sind und dass sie wirken. Vielleicht sind das für Sie noch nicht genügend Milliarden Euro. Es ist durchaus legitim, dass Sie fordern, hier mehr Geld einzusetzen. Dann müssen Sie aber auch sagen, woher es kommen soll. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Kein Problem!) Wir würden mit Zitronen handeln, wenn wir den Kindern und Jugendlichen von heute in der Zukunft höhere Zahlungen aufbürden würden. Das wäre aber der Fall, wenn wir keine gemeinsame Lösung fänden, um das zu finanzieren. Ich glaube, das wäre für Familien in keiner Weise nachhaltig. Das ist aber der Ansatz, den wir als Union verfolgen. Deshalb können wir als Union den Weg, den Sie in Ihrem Antrag aufzeigen, nicht mitgehen. Ich freue mich aber dennoch auf die Beratungen im Ausschuss; denn viele Punkte sind durchaus diskussionswürdig und auch von unserer Seite zu unterstützen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke hat als Nächster das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der vorliegende Antrag ist im Grunde erforderlich. Das heißt, eigentlich brauchen wir den Antrag nicht, aber auf der anderen Seite muss man sagen: Wir brauchen solche Anträge, um das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, weil es hier sonst nicht debattiert wird. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt. Ich hab mir den Antrag durchgelesen und gedacht: Der Feststellungsteil ist sehr schön – Frau Brantner, auch Sie haben es hier dargestellt –, etwa die Sache mit dem Schulranzen, dem Kinobesuch und der Darstellung der Situation im Land. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat ja Ihr Kollege Müller auch schon wortwörtlich so gesagt!) – Mein Gott, hören Sie doch einmal zu. Sie müssen nicht immer gleich reingrätschen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen doch nicht alles wortwörtlich so wiederholen! Das ist doch langweilig!) Aber was ist mit den Forderungen? Sie sind nicht konkret. Den Teil mit den Forderungen könnte man in einem Satz zusammenfassen: Wir wollen die Teilhabe von allen Kindern und ihren Eltern sicherstellen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum lesen Sie die Rede von Herrn Müller noch mal vor? – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Punkt eins! Es gibt drei weitere!) Sie sollen das bekommen, was sie brauchen. – Dabei benennen Sie keine konkreten Lösungen, die wir brauchen. Herr Müller hat schon richtig gesagt: Das ist alles ein bisschen schwammig. Das gilt besonders im Hinblick auf mögliche Koalitionen, die bisher aber noch nicht konkret sind. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wirklich wortwörtlich!) Herr Weinberg, Sie sagen: Kinderarmut muss gemeinsam bekämpft werden, und wir müssen für ein gutes Einkommen der Eltern sorgen. – Es ist richtig: Kinderarmut hängt mit der Armut der Eltern zusammen. Aber warum macht die Regierung dann nichts in dieser Richtung? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Mindestlohn ist nach wie vor zu gering. Es heißt bei Ihnen immer: Wir haben die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse gesteigert. (Markus Koob [CDU/CSU]: Sehr gut!) – „Sehr gut“, da kommt es schon wieder. – Aber Sie begreifen das nicht. In manchen Familien hat der eine Elternteil zwei oder drei Jobs, weil die Familie mit dem Einkommen von einem Job nicht über die Runden käme; denn die Zahl der Lohnleistungen im Land ist nicht gestiegen. Schauen wir uns das an: Seit 2005 regiert die CDU. Es heißt ja immer: die CDU-geführte Koalition. Seit 2005 – CDU-geführte Koalition! – ist die Zahl der armen Kinder nicht gesunken. Jetzt sagen Sie – Herr Koob, auch Sie haben hier eine wunderbare Liste vorgelesen –, was Sie alles geleistet und gemacht haben, um Kinderarmut zu bekämpfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Da habt ihr nichts gemacht!) Da kann man nur sagen: Wenn die Regierung in elf Jahren so viel leistet, aber die Zahl der armen Kinder steigt, statt zu sinken, dann ist das absolutes Regierungsversagen. Das, was Sie gemacht haben, ist völlig in die Hose gegangen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 900 000 Kinder in Deutschland leben in Familien, die aufstockende Leistungen beziehen: 900 000 Kinder. Es ist schon gesagt worden: Der Kinderzuschlag ist ein wichtiges Mittel. Das muss ausgebaut werden, das kann effektiver gestaltet werden, das muss vereinfacht werden. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht ja so auch im Antrag drin! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht im Antrag!) Nur ein Drittel der Berechtigten macht ihre Ansprüche geltend. Die Beantragung muss viel einfacher geregelt werden. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Automatisieren und erhöhen!) Dann heißt es von Ihnen: Wir, die CDU-geführte Koalition, haben die Mittel im Bildungsetat erhöht. – Toll! Das ist ein Forschungsetat. Das hat mit Kinderarmut weiß Gott nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Wort zur Reform des Unterhaltsvorschussgesetzes. In diesem Zusammenhang werden schwere Vorwürfe gegenüber der Regierung erhoben, weil das Verfahren mit den Ländern nicht abgesprochen sei. Auf das Thema Unterhaltsvorschuss kommen wir noch im Laufe des Tages zu sprechen, aber hier ist zu sagen: Der Vorwurf ist nicht an die Regierung zu richten. Nein, er ist an die Koalition zu richten, an die CDU-geführte Koalition, und zwar ausschließlich an den CDU-Teil, der das Ganze ausbremst. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das wäre gerade im Hinblick auf die 900 000 Kinder, die in Familien leben, die aufstockende Leistungen beziehen, ein wichtiges Instrument, um sie aus dieser HartzIV-Falle wieder herauszuholen; dazu sage ich nachher noch etwas. Aber daran sieht man wieder einmal, wie wichtig Ihnen das Thema ist. Jetzt kann Herr Weinberg wieder „Eierkopp“ wie das letzte Mal rufen. Das ist mir egal. Herr Weinberg, solche Zwischenrufe ändern nichts an den Fakten und Tatsachen, auch wenn Sie postfaktisch leben wollen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Seit 2005 hat sich an der Kinderarmut hier in diesem Land nichts verbessert. Darauf kann die CDU-geführte Regierung – egal ob mit SPD oder FDP – nicht stolz sein. Im Koalitionsvertrag mit der FDP stand damals noch: „Wir werden“ den Unterhaltsvorschuss ausbauen, und zwar auf 14 Jahre. – Dort steht also nicht: „Wir wollen“, oder: „Wir möchten“. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Machen wir doch jetzt!) – Sie bremsen im Moment doch nur! Hören Sie doch auf! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Wir sind doch dabei!) Damals haben Sie nichts umgesetzt. Wir werden? Wir wollen? Wir möchten noch nicht einmal: Das ist doch Tatsache! Danke für die Aufmerksamkeit. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Nicht gut, aber lustig!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Gülistan Yüksel hat als nächste Sprecherin für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gülistan Yüksel (SPD): Danke schön. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Eine glückliche Kindheit ist eines der schönsten Geschenke, die wir zu vergeben haben. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Also, früher war Herr Wunderlich irgendwie gemäßigter! – Gegenruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist seine Form der Nettigkeit!) – Es wäre schön, wenn Sie mir auch zuhören würden, Herr Lehrieder. Danke. – Damit Eltern ihren Kindern dieses Geschenk machen können, müssen Staat und Gesellschaft auf ihre Bedürfnisse eingehen. Familien brauchen Zeit: Zeit für sich, ihre Kinder, aber auch für ihren Beruf oder die Pflege von Angehörigen. Familien brauchen auch Angebote. Sie brauchen eine gut funktionierende, verlässliche und flexible Infrastruktur an Bildungs- und Betreuungsangeboten, (Michaela Noll [CDU/CSU]: Tja!) die ihren individuellen Bedürfnissen gerecht wird. Familien brauchen finanzielle Absicherung, Stabilität und Sicherheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt immer etwas zu tun. Wir sind nie fertig mit unserer Arbeit für ein besseres und gerechteres Leben in unserem Land, für ein solidarisches und gleichberechtigtes Miteinander, für ein gutes Aufwachsen und gesellschaftliche Teilhabe, für Chancengleichheit bei der Bildung. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen die Familien in ihrem Alltag unterstützen und ihnen die Freiheit ermöglichen, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. (Beifall bei der SPD) Das ist das Ziel unserer modernen Familienpolitik. Wir haben in den letzten Jahren bereits viel für die Familien und ihre Kinder in unserem Land auf den Weg gebracht. Wir bieten Zeit, zum Beispiel mit der Familienpflegezeit, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördert und zudem ermöglicht, sich mehr um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern, oder mit dem Elterngeld Plus, welches es Eltern erlaubt, sich partnerschaftlich um Haushalt, Kinder und Beruf zu kümmern. Wir machen Angebote, indem wir mehr in den Ausbau und die Qualität der Kinderbetreuung investieren. So setzen wir als Bund 2017 und 2018 rund 2,5 Milliarden Euro ein, zum Beispiel für Investitionsprogramme, Programme wie „KitaPlus“ und „Sprach-Kitas“. Damit schaffen wir gute Startbedingungen und befördern wir Chancengleichheit von Beginn an. (Beifall bei der SPD) Wir sorgen dafür, dass kein Kind zurückgelassen wird. Wir unterstützen finanziell: mit Elterngeld, Kindergeld und Kinderzuschlag – Geld, das direkt bei den Familien und den Kindern ankommt. Trotzdem können Notlagen entstehen. Wenn der Partner oder die Partnerin keinen Unterhalt zahlt, reicht das Einkommen für die Familie oft nicht aus. Genau hier muss der Staat besondere Unterstützung leisten. Deshalb weiten wir den Unterhaltsvorschuss aus. Die bisherige Höchstbezugsdauer wird aufgehoben, und der Vorschuss wird nun bis zur Volljährigkeit gezahlt. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Darüber reden wir nachher noch!) Dafür haben wir uns lange eingesetzt; denn gerade Alleinerziehende sind oft – Sie haben es ja erwähnt – von Armut betroffen. Nun sind wir auf der Zielgeraden. Bei der Umsetzung dürfen wir jetzt nicht vor administrativen oder finanziellen Hürden kapitulieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich finde, Hürden, die einem guten Familienleben im Weg stehen, müssen aus dem Weg geräumt werden. Wichtig ist, dass wir alle an einem Strang ziehen – für die Familien und die Kinder. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind auf einem guten Weg, aber dieser Weg ist noch lange nicht zu Ende. Wir als SPD werden uns auch weiterhin für die Familienarbeitszeit einsetzen. Mütter und Väter sollen sich Familien- und Erwerbsarbeit besser als bisher partnerschaftlich aufteilen können. Wir wollen eine gerechtere Besteuerung von Familien. Steuerliche Entlastungen sollten weniger einen Trauschein, sondern vielmehr das Zusammenleben mit Kindern berücksichtigen. Was wir neben all den Leistungen und Angeboten brauchen, ist eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft, eine Gesellschaft, in der Familie und Kinder nicht als zeitliches Problem oder Störfaktor, sondern immer als eine Bereicherung für unsere gesamte Gesellschaft wahrgenommen werden. Lassen Sie uns nicht vergessen: Glückliche Kinder sind eines der schönsten Geschenke für die Eltern und für die Gesellschaft. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich bin heute Morgen wie immer mit meinem Sohn – er ist sieben Jahre alt – zur Kiezschule gelaufen. Wir haben über den Tag gequatscht, seine Freunde, darüber, was sie gerade spielen und was sie sich zu Weihnachten wünschen. Stellen Sie sich vor: Alle Jungen und Lucy spielen gerne Fußball – was für eine Überraschung –, und alle Kinder wünschen sich etwas von Lego. Vom Staat haben sich die Kinder nichts gewünscht. Aber ich bin mir ganz sicher: Sie wünschen sich vom Staat genau das Gleiche wie von der Lehrerin, nämlich dass sie gleich und fair behandelt werden. (Beifall des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Wenn die Kinder wüssten, was wir gestern Abend hier im Bundestag beschlossen haben – und zwar gegen die Stimmen der Grünen –, dann würden sie protestieren; da bin ich mir ganz sicher. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Was wurde beschlossen? Die Koalition hat gestern beschlossen, dass die Mutter des Freundes meines Sohnes – sie ist Ausbilderin in der Pflege – ab Januar nächsten Jahres 192 Euro und damit 2 Euro mehr Kindergeld im Monat bekommt. So weit, so gut. Aber Sie haben auch beschlossen, dass ich, obwohl ich als Bundestagsabgeordnete mehr verdiene als sie, ab Januar 2017 das Doppelte bekomme, nämlich 4 Euro mehr pro Monat. Das fänden die Kinder schon sehr ungerecht. Wenn sie aber dann noch wüssten, dass ich schon jetzt für meinen Sohn jeden Monat fast 100 Euro mehr bekomme als die Mutter seines Freundes – nämlich 291 Euro statt 192 Euro –, weil ich bei meiner Einkommensteuer vom Kinderfreibetrag profitiere, dann würden die Kinder – da bin ich mir sicher – lauthals protestieren, wie ich finde, zu Recht. Das kann man keinem Kind und auch sonst niemandem erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Behandlung der Familien in diesem Land nach dem Matthäus-Prinzip – wer hat, dem wird gegeben – muss endlich aufhören. Jedes Kind ist gleich viel wert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb fordern seit Jahren zahlreiche Organisationen wie der Kinderschutzbund, die Arbeiterwohlfahrt, Pro Familia oder die Diakonie eine Kindergrundsicherung, die unabhängig vom Einkommen der Eltern den Grundbedarf jedes Kindes deckt. Das Hauptargument dagegen ist wie immer – das wurde schon genannt – das Geld. Eine Kindergrundsicherung sei zu teuer. Deutschland gebe schon sehr viel für die Familienförderung aus. Das ist auch nicht ganz falsch. Allein 20 Milliarden Euro jährlich gehen zum Beispiel in das Ehegattensplitting. Das kommt zweifellos vielen Familien zugute. Aber leider lässt es auch immer mehr Familien außen vor: die Familien ohne Trauschein, die Patchworkfamilien, die Alleinerziehenden. In Berlin, meinem Wahlkreis, sind die Verheirateten inzwischen in der Minderheit. Das heißt, eine zentrale familienpolitische Leistung geht damit an der Mehrheit der Familien in dieser Stadt vorbei. Das ist nicht in Ordnung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Hinzu kommt: Das Ehegattensplitting verstärkt noch die Ungerechtigkeit in der staatlichen Kinderförderung, die ich eben geschildert habe; denn am stärksten profitiert davon die Alleinverdienerehe mit einem hohen Einkommen, und zwar auch, wenn die Ehe kinderlos ist. Das Ehegattensplitting fördert dagegen die ärmsten Familien, die Alleinerziehenden, überhaupt nicht. Das Ehegattensplitting verteilt von unten nach oben und auch von Ost nach West. Es ist schlicht so: Diese Familienförderung aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts passt einfach nicht mehr zur Realität der Familienvielfalt in Deutschland im Jahr 2016. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Wir brauchen eine einkommensunabhängige Förderung, die jedes Kind direkt erreicht. Sie ist angesichts der Familienvielfalt von heute die beste Form der finanziellen Familienförderung. Sie entlastet insbesondere Familien mit kleinen und mittleren Einkommen unbürokratisch. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass eigentlich alle von Ihnen innerlich dem Satz zustimmen: Jedes Kind ist gleich viel wert. – Aber ich kenne Ihre Bedenken: Das Ehegattensplitting mit Kinderfreibetrag und Kindergeld ist doch das eingeführte System; Eheleute haben sich darauf eingestellt; Sie misstrauen einem Wechsel zu einem ganz neuen System wie der Kindergrundsicherung. Das stimmt. Deswegen möchte ich Ihnen sagen: Niemand muss wechseln. Wir garantieren Ihnen einen umfassenden Bestandsschutz; den stellen wir sicher. Das heißt, für bereits Verheiratete und Verpartnerte wird sich nichts ändern. Niemand wird schlechtergestellt. Wir wollen in Zukunft wieder alle Familien erreichen. Wir wollen damit auch viele Familien finanziell besserstellen als heute. Dafür brauchen wir in Zukunft einen Systemwechsel durch die Einführung einer Kindergrundsicherung mit Wahlrecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was ist die Idee dieser Kindergrundsicherung? Unverheiratete Familien, Alleinerziehende und zukünftig heiratende Paare mit Kindern bekommen die Kindergrundsicherung und werden individuell mit einem übertragbaren Grundfreibetrag besteuert. Familien, bei denen die Eltern bereits verheiratet sind, dürfen das Ehegattensplitting mit Kindergeld und Kinderfreibetrag behalten. Sie haben einen ganz klaren Bestandsschutz. Aber wenn sie wollen, können sie zur Kindergrundsicherung wechseln, wenn sie sich zum Beispiel dadurch besserstellen. Das Finanzamt macht für jeden eine Günstigerprüfung, stellt also fest, was steuerlich für sie persönlich günstiger ist, das alte Recht oder das neue mit Kindergrundsicherung. Bei einem Betrag von über 300 Euro pro Kind würden viele Familien gegenüber heute bessergestellt. Das wäre eine zielgenaue Entlastung von Familien in Milliardenhöhe, teilweise durch den Wegfall des Splittingvorteils gegenfinanziert. Diese einkommensunabhängige Kindergrundsicherung wäre außerdem ein Beitrag zum Bürokratieabbau; denn sie würde Kinderregelsatz, Kindergeld und Kinderfreibetrag zu einer Leistung zusammenführen. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Bürgerinnen und Bürger, kann ich dann auch wieder meinem Sohn und seinen Freunden erklären. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir hatten schon einen Bundespräsidenten, der mit seiner Patchworkfamilie im Schloss Bellevue einzog. Wir haben derzeit einen Bundespräsidenten, der in wilder Ehe dort residiert. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Wie das klingt!) Lassen Sie uns endlich auch eine Familienförderung beschließen, die quer durch alle Einkommensschichten zu der Familienvielfalt im Jahr 2016 passt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Paul Lehrieder hat als nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, insbesondere liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen! Beim Durchblättern des blauen Planes dieser Woche habe ich mich über den von Ihnen eingebrachten Antrag mit der Überschrift „Familien stärken – Kinder fördern“ ganz besonders gefreut; denn über dieses wichtige Thema – hierauf haben schon einige Kolleginnen und Kollegen hingewiesen – kann man meiner Meinung nach gar nicht genug sprechen. Die Debatten der letzten Wochen und Monate haben gezeigt, dass auch das öffentliche Interesse am Thema „Familienpolitik und Familienförderung“ ungebrochen ist. Sie brauchen nicht nur mit Ihrem Sohn oder mit seinen Kumpels im Kindergarten darüber zu sprechen; denn es ist ein großes, ein breites gesellschaftliches Thema: Wie erreichen wir die Familien richtig? Wie erreichen wir das, was die Familien aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Ansätzen heraus benötigen? Hierbei beschränkt sich die Diskussion nicht nur auf familienpolitische Leistungen im Allgemeinen, sondern sie rückt auch eine bestmögliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Fokus. Die Vorredner haben bereits zum Teil darauf hingewiesen. Allen jenen Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit verbessern, kommt die größte Bedeutung zu. Sie tragen nicht nur zur wirtschaftlichen Absicherung von Familien bei, sondern sie fördern auch andere familienpolitische Ziele. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht daher im Mittelpunkt der Familienpolitik. All das wissen Sie. In den vergangenen Jahren sind die diesbezüglichen Leistungen und Maßnahmen von uns stets weiterentwickelt und differenziert worden, um auf gesellschaftliche Veränderungen und Bedürfnisse von Familien zu reagieren. Familien wachsen, wo Menschen Vertrauen in die eigene Zukunft besitzen und die persönliche und gesellschaftliche Umgebung Familien und Kindern mit Wertschätzung begegnet. So heißt es in dem Bericht der Kommission „Familie und demographischer Wandel“. Das oberste Ziel unserer Familienpolitik ist daher, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Entscheidung für das Leben mit Kindern in der Familie erleichtern. Die Entwicklung familienfreundlicher Lebens- und Arbeitsbedingungen steht dabei im Vordergrund. Zu dem umfangreichen Maßnahmenpaket gehört beispielsweise – auch hierauf haben die Vorredner bereits hingewiesen – der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen für unter Dreijährige. Seit drei Jahren gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder im Alter von einem Jahr. Auch das hat es früher nicht gegeben. Das heißt, man kann sich darauf einstellen – wenn man sich dafür entscheidet –, wieder berufstätig, zumindest in Teilzeit berufstätig zu sein, wenn das Kind ein Jahr alt ist. All dies ist neu. Wir haben die Flexibilisierung der Elternzeit, das Elterngeld Plus und einen Partnerschaftsbonus für alle Eltern, die zusätzlich zur Erziehung der Kinder 25 bis 30 Wochenstunden arbeiten. Ein weiterer Fokus unserer Familienpolitik liegt auf der besonderen Unterstützung Alleinerziehender und der Verankerung familienfreundlicher Bedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Frau Kollegin Rüthrich hat darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit für beide Eltern eine wesentliche Entscheidung dafür ist, Kinder zu bekommen. Frau Kollegin Yüksel hat die glücklichen Kinder in ihrem Schlusswort angesprochen. Ja, glückliche Kinder definieren sich aber nicht nur über den Ranzen und den Kinobesuch, sondern glückliche Kinder definieren sich auch über das Verhältnis zu ihren Eltern. (Gülistan Yüksel [SPD]: Das habe ich auch gesagt!) Bei der Diskussion über Armut bei Kindern möchte ich ganz bewusst darauf hinweisen, dass wir eine Gruppe von Kindern in unserer Gesellschaft haben, die eigentlich keine Lobby hat. Im Zusammenhang mit der Diskussion über Kinderarmut sollte man gelegentlich auch über sie sprechen. Das sind Kinder in Familien mit psychischen Belastungen. Wir müssen schon hinschauen, wie wir diesen Kindern helfen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir schätzen, dass zwischen 2,4 Millionen und 3,8 Millionen Kinder in einer derartigen Situation sind. Ich würde es begrüßen – ich weiß, dass bei Ihnen Frau Kollegin Walter-Rosenheimer sich sehr für dieses Thema engagiert; ich weiß, dass bei uns Marcus Weinberg und Eckhard Pols sich leidenschaftlich damit beschäftigen –, dass wir diese in den Fokus rücken und uns fragen, wie wir diesen Kindern helfen können, die nicht durch ihre Eltern vertreten werden können, weil die Eltern selber als Anwalt der Kinder in vielen Bereichen leider ausfallen. Vielleicht können wir uns in den nächsten Monaten darüber verständigen. Die Wertschätzung für Familien in unserem Lande spiegelt sich auch im neuen Bundeshaushalt wider, den wir dieser Tage verabschiedet haben. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben bereits bilanziert, dass bei den Verhandlungen rund um den Einzelplan 17 wichtige Impulse gesetzt worden sind. Dem Etat des Bundesfamilienministeriums stehen im neuen Jahr 9,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind über 2 Milliarden Euro mehr als zu Beginn dieser Legislaturperiode. Somit wird es künftig auch deutlich mehr Geld für Familien geben. So werden die Familien in unserem Land mit unzähligen familienpolitischen Leistungen unterstützt, die Eltern ein solides Auskommen sichern und Kinderarmut bekämpfen. Ja, es ist auch richtig, dass Familien mit Kindern bei der Schaffung von Wohneigentum unterstützt werden sollen. Was jetzt der Familie hilft, ein sicheres Nest, ein sicheres Heim zu bauen, wird später, in 30, 40 Jahren, die Altersarmut bekämpfen können. Da sollten wir gemeinsam hinschauen. Ich bin froh, dass die Frau Wohnungsbauministerin gesagt hat: Jawohl, wir wollen in Ballungsgebieten Wohneigentum fördern. – Ich bin der Meinung, wir sollten Familienwohneigentum landauf, landab fördern. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gibt hierzu einen kreativen, richtungsweisenden Vorschlag, natürlich aus Bayern: 1 200 Euro Wohnbauprämie pro Jahr für Familien. Ich bin auch der Auffassung, dass wir überlegen müssen, ob wir einer Familie mit zu wenig Eigenkapital zu Beginn des Hausbaus oder des Erwerbs einer Wohnung eine gewisse Eigenkapitalabsicherung über ein Bürgschaftsprogramm der KfW anbieten können. Wir sollten überlegen, wie es eine Familie schaffen kann, tatsächlich in den eigenen vier Wänden zu wohnen; denn der Verzicht auf Mietzinszahlungen eröffnet den Eltern finanzielle Spielräume, die diese als liebevolle Eltern in fast allen Fällen ausschließlich zugunsten der Kinder nutzen. So hängt alles mit allem zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Baukindergeld habe ich angesprochen. Der Kinderzuschlag unterstützt die Eltern im Niedrigeinkommensbereich, die im ergänzenden ALG-II-Bezug überdurchschnittlich oft vertreten sind. Besonders Familien mit mehreren Kindern können trotz einer Vollzeiterwerbstätigkeit nur mit großer Anstrengung ein Einkommen erzielen, das oberhalb des existenzsichernden Arbeitslosengeld-II-Bedarfs der ganzen Familie liegt. Durch den Kinderzuschlag – auch hierauf wurde bereits von Vorrednern hingewiesen – kann der Bezug von Arbeitslosengeld II vermieden werden. Der Kinderzuschlag wurde bereits in diesem Jahr um 20 Euro erhöht. Auch das, Herr Kollege Müller, gehört zur Wahrheit. Er wird zum 1. Januar 2017 auf maximal 170 Euro erhöht. Damit sind wir von Ihrer Kindergrundsicherung in Höhe von 300 Euro entfernt, aber zumindest haben wir da deutlich nachgelegt, überdurchschnittlich im Übrigen. Im kommenden Jahr werden wir das neue Elterngeld Plus und das klassische Elterngeld mit 6,4 Milliarden Euro im Haushalt etatisieren. Diese Summe hängt auch mit der erhöhten Geburtenrate zusammen. Darüber sind wir sehr froh. Der Mut zum Kind in unserer Gesellschaft ist gewachsen. Ich glaube, auch das muss in einer solchen Diskussion gesagt werden. Im vergangenen Jahr sind erfreulicherweise so viele Kinder zur Welt gekommen wie seit den letzten 15 Jahren nicht mehr, insgesamt 738 000. Jetzt will ich nicht sagen, dass das ausschließlich die Leistung der Großen Koalition ist – jetzt habe ich Applaus erwartet –, aber zumindest geben die Rahmenbedingungen der Familienpolitik, die in den letzten zehn Jahre geschaffen worden sind, den Familien wieder mehr Mut. (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) – Bitte? Stell eine Zwischenfrage, Jörn, dann habe ich mehr Zeit. Für das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ stehen im nächsten Jahr insgesamt 446 Millionen Euro zur Verfügung. Eine qualitativ hochwertige Betreuung verhilft den Kindern zu einer guten frühkindlichen Bildung und legt den Grundstein für die späteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Den wichtigsten Beitrag zu einer modernen Familienpolitik leisten daher auch weiterhin der weitere Ausbau der Kindertagesbetreuung und die notwendigen Regelungen der Qualität dieser Betreuungseinrichtungen. Ich glaube, man sollte in diesem Zusammenhang auf eine bestimmte Gruppe hinweisen – auf die Tagesmütter –, die neben der institutionalisierten Betreuung wie durch Kitas ein ergänzendes Leistungsspektrum anbieten. Auch diese Gruppe sollten wir einmal mit ihren wirtschaftlichen Problemen und ihren Arbeitsbedingungen in den Fokus rücken. (Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD] – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch! Da hindert Sie keiner dran!) Gerade in dieser Zeit, in der wir sehr viele neu zugezogene Kinder aus Asylbewerberfamilien in den Kitas unterbringen müssen, sind wir froh über die engagierten, tatkräftigen Tagesmütter, die sicherstellen, dass wir für jede Nachfrage ein angemessenes Angebot an Kindertagesbetreuung herstellen können. Dafür an dieser Stelle einmal ein herzliches Wort des Dankes. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch dies führt dazu, dass gut betreute, gut ausgebildete, motivierte Kinder später in der Schule und im Beruf bessere Chancen haben und, prophylaktisch gesehen, in 10 oder 20 Jahren weitaus weniger Gefahr laufen, in Armut zu geraten. Ich bedanke mich für den Antrag. Ich freue mich auf die Beratungen des Antrags im Ausschuss. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Birgit Kömpel das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Birgit Kömpel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Thema Kinderarmut wurden bereits viele Dinge gesagt, denen ich hier und jetzt gar nicht widersprechen möchte und kann. Ich möchte den Fokus auf unsere Familien und ein Stück weit auch auf unsere Frauen richten; denn Kinderarmut ist in erster Linie Familien- und Frauenarmut. Ja – da haben die Grünen recht –, Erwerbstätigkeit beider Elternteile ist der beste Schutz vor Kinderarmut. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Gemeinsame Erwerbstätigkeit setzt aber Partnerschaftlichkeit voraus, also das Aufteilen von Arbeit und Kindererziehung zwischen Mutter und Vater. Seien wir doch einmal ehrlich: Noch immer sind es die berufstätigen Frauen, die sich hauptsächlich um die Hausarbeit und die Kindererziehung kümmern. Aber wir stellen Gott sei Dank fest: In unserer Gesellschaft ändert sich etwas. Immer mehr junge Väter wünschen sich mehr Zeit für ihre Kinder, und das ist sehr gut so. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hier haben wir bereits in den Koalitionsverhandlungen angesetzt und die Belange von unseren Familien und Kindern ganz oben auf die Agenda gesetzt. Die Voraussetzungen für gelebte Partnerschaftlichkeit haben sich daher in dieser Legislatur fortlaufend verbessert. Ich möchte als Beispiel nur das Elterngeld Plus und den weiteren Betreuungsausbau nennen. Daneben haben wir mit dem gesetzlichen Mindestlohn endlich die Grundlage für gute Löhne geschaffen. Auch damit sind wir einen entscheidenden Schritt in der Bekämpfung der Kinderarmut gegangen. In puncto Frauenförderung werden wir auch nicht nachlassen; denn auch sie hat ein großes Potenzial, um Kinderarmut in Deutschland zu verringern. Rund 20 Prozent der Kinder in Deutschland wachsen mit nur einem Elternteil auf, und rund 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. Diese Frauen brauchen unsere Unterstützung, wenn wir Kinderarmut eindämmen wollen. Alleinerziehende Erwerbstätige sind nun einmal doppelt belastet. Sie arbeiten aufgrund ihrer Kinder in der Regel eben nicht Vollzeit. Und sagt dann der Vater zwar A, aber zahlt keine Alimente, ist Kinderarmut einfach vorprogrammiert. Hier ist es ganz wichtig, dass wir – es wurde schon mehrfach erwähnt – vor allem die Regelungen zum Unterhaltsvorschuss reformieren. Unterhalt für volle 18 Jahre fordern wir als SPD, und wir kämpfen mit Hochdruck dafür. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wir auch!) – Na ja. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Mit dem Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen in Führungspositionen haben wir Präsenzkultur und männlich dominierte Netzwerke infrage gestellt und auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen aufmerksam gemacht. Meine Damen und Herren, wir müssen weg von der Präsenzkultur und hin zu einer Ergebniskultur. Wenn Mütter nämlich auch in Teilzeit Führungspositionen ausüben können, dann schützt das viele Kinder wirksam vor Armut. Ich wünsche mir auch ein gesellschaftliches Umdenken. Menschen mit Kindern verfügen über viele wertvolle Fähigkeiten im Bereich der sogenannten Soft Skills, die jedem Team und jedem Unternehmen guttun. Wir von der SPD gehen sogar noch weiter: Wir möchten, dass Frauenberufe besser bezahlt werden und Frauen durch das Lohngerechtigkeitsgesetz endlich das bekommen, was sie schon lange verdienen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Unsere Unternehmen sollten im Kampf um die besten Köpfe darauf achten, ihre Arbeitszeiten den Bedürfnissen von Familien anzupassen. Ich bin überzeugt: Nur ein Bündel aufeinander abgestimmter Maßnahmen wird helfen, die Kinderarmut in Deutschland zu verringern. Ich freue mich auf die Beratungen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Ingrid Pahlmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag ruft ein absolut wichtiges Thema auf die Tagesordnung. Da sind wir uns – davon gehe ich ganz fest aus – nicht nur hier im Hohen Hause einig. Es muss uns gemeinsam gelingen, Kinder vor Armut zu beschützen. Wir als Regierungsfraktionen nehmen dieses Thema ernst; das wurde bereits von meinen Vorrednern deutlich gemacht. Wir haben viel Geld in die Hand genommen, sowohl für direkte Förderung von Kindern und Familien als auch für die Förderung von Infrastruktur. Die Schlagworte sind und bleiben: die Erhöhung des Kindergeldes, die Erhöhung des Kinderzuschlages, die Erhöhung des Kinderfreibetrags, die Einführung von Elterngeld Plus, weitere Milliarden für den Ausbau der Kinderbetreuung und vor allem auch die Steigerung der Qualität in Kitas. Aber eins muss uns auch klar sein: Mit Geld allein werden wir unsere Kinder nicht stark machen und vor Armut schützen. Einmal Hand aufs Herz: Wenn Sie in Ihrem Antrag von den Blicken sprechen, die ein Kind zu spüren hat, wenn der Ranzen zu Beginn eines neuen Schuljahres noch der alte vom Vorjahr ist, dann sprechen Sie nicht von zu wenig finanziellen Mittel, sondern von ganz anderen Herausforderungen, die wohl eher in unserem menschlichen Wertesystem zu suchen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber zurück zu Ihrem Antrag mit der scheinbar simplen Gleichung: mehr Geld gleich mehr Gerechtigkeit und starke Familien. So einfach ist es aber nun einmal leider nicht. Es ist vielmehr auch eine gesellschaftliche Haltung notwendig, die klar zeigt: Ja, wir wollen Kinder! Ja, wir wollen Familien dabei unterstützen, ihren Nachwuchs gut ins Leben zu bringen! Man kann an der Stelle immer wieder das afrikanische Sprichwort „Um ein Kind großzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf“ zitieren. Wir brauchen eine Gesellschaft, die hinschaut, die sich einmischt, die Kinder und Familien unterstützt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nicht nur bei mir im Wahlkreis haben sich in den vergangenen Jahren engagierte Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, die ihre soziale Verantwortung ernst nehmen, Kirchen und Wohlfahrtsverbände zusammengeschlossen, um ganz gezielt für mehr Gerechtigkeit für unsere Kinder zu sorgen. Im Jahr 2008 hat sich in meiner Heimatstadt Gifhorn eine Initiative unter dem Motto „Kleine Kinder immer satt“ gebildet. Ihr Ziel war es damals, allen Kindern in den Kindertagesstätten und Ganztagsschulen ein warmes Mittagessen zu ermöglichen. Und richtig, ich sagte: Es war ihr Ziel. – Mittlerweile wurde dieses Ziel auch durch das von Ihnen, liebe Opposition, gerne kritisierte Bildungs- und Teilhabepaket erreicht. Natürlich kann man sagen: Es ist eine Schande, dass wir in unserem Land überhaupt engagierte Menschen benötigen, um allen Kindern ein warmes Mittagessen ermöglichen. Und ich sage Ihnen als Berichterstatterin meiner Fraktion für bürgerschaftliches Engagement auch, dass wir in unserem Land natürlich nicht jedes Problem über freiwilliges Engagement lösen können und es auch die eine oder andere Tendenz diesbezüglich einzufangen gilt. Doch wir müssen uns auf der anderen Seite auch klarmachen: Der Staat alleine kann nicht alles richten, und er hat auch nicht immer für alles die beste Lösung. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Geschichte des Gifhorner Kinderfonds geht nämlich noch weiter. Man hat sich immer neue Ziele gesteckt. Mittlerweile unterstützt man beispielsweise auch den Besuch kultureller Veranstaltungen, ist man in die Hausaufgabenhilfe eingestiegen, bietet man Sportprogramme in Kooperation mit örtlichen Sportvereinen an, setzt man Projekte zur Gewaltprävention und Selbstbewusstseinsförderung der Kinder und vieles mehr um. Kurzum: Aus „Kleine Kinder immer satt“ wurde: Kleine Kinder immer satt hinsichtlich Ernährung, Bildung, Bewegung und sozialer Teilhabe. Noch viel wichtiger ist: Der Fokus hat sich erweitert. Es profitieren – anders als es nach Ihrem Antrag sein würde – nicht mehr ausschließlich benachteiligte Kinder, sondern alle Kinder völlig unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem sozialen oder finanziellen Hintergrund. Es werden mit dem Projekt alle Kinder gestärkt und nicht mehr einzelne stigmatisiert. Eine starke Zivilgesellschaft kann mehr leisten, als wir mit jedem neuen Gesetz schaffen können. Vor allem ist sie in der Lage, zielsichere Lösungen zu entwickeln. Allein in meiner Heimat, dem Landkreis Gifhorn, liegt der Anteil von Kindern in SGB-II-Bezug je nach Gemeinde zwischen unter 1 Prozent und über 15 Prozent. Dass pauschale Lösungen hier nicht die besten sind, denke ich, liegt absolut auf der Hand. Eine starke Zivilgesellschaft mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern erzeugt veränderte Blickwinkel, sieht, wo etwas fehlt, setzt neue Anreize und kann Probleme vor Ort anders angehen als wir mit unserer doch immer etwas weit entfernten Sicht der Berliner Politik. Sie können mir glauben: Ein Austausch mit diesen engagierten Menschen, deren Arbeit ich wirklich sehr schätze, ist immer wieder eine Herausforderung, und, am Rande, kann manchmal ziemlich anstrengend sein. Dennoch profitieren alle von diesen Gesprächen. Die Mitglieder des Kinderfonds sind zu starken Vertretern der Kinder geworden. Sie fordern beispielsweise – in den ersten Jahren war das wohl auch nicht ganz zu Unrecht – weitere Vereinfachungen bei der Beantragung, Bewilligung und Auszahlung der Leistungen für Bildung und Teilhabe. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!) Da hat sich aber in den letzten Jahren einiges verbessert; Klammer auf: auch weil die zuständigen Kommunen mittlerweile ausreichend Zeit hatten und sich gut auf ihre neuen Aufgaben einstellen konnten; Klammer zu. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie es den Kommunen nicht einfacher machen?) Es gibt selbstverständlich auch bei anderen Programmen immer wieder Möglichkeiten für eine bessere Handhabung der bürokratischen Anforderungen. Darauf müssen wir natürlich achten. Anders als das in Ihrem Antrag der Fall ist, fordern die Menschen, die sich tagtäglich mit dem Thema auseinandersetzen, nicht ein Mehr an pauschalen Geldleistungen an die Eltern, sondern ein Mehr an Direktzahlungen zum Wohl der Kinder – ohne den Umweg über das Konto der Eltern. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir beim Bildungs- und Teilhabepaket auch!) Ganz sicher gibt es noch vieles zu verbessern. Gerade bei Alleinerziehenden müssen wir noch mehr tun, um ihr meist unverschuldetes Armutsrisiko zu senken. Der Ausbau der Kinderbetreuung ist hier ein wichtiger Beitrag, ebenso das „KitaPlus“-Programm; wir haben es schon gehört. Wie ich in meiner Rede vor ziemlich genau einem Jahr bereits gesagt habe, sind auch Unternehmen in der Pflicht; darauf müssen wir immer wieder hinweisen. Sie müssen Alleinerziehenden flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten. Dafür möchte ich allerdings keine staatlichen Zwangsmaßnahmen. Ich bin der Überzeugung, dass es beim sich abzeichnenden Fachkräftemangel auch im Interesse der Unternehmen ist, Alleinerziehenden gute Rahmenbedingungen und Verdienstmöglichkeiten zu bieten. Damit wäre der Wirtschaft, den Alleinerziehenden, aber vor allen den Kindern geholfen. Grundsätzlich möchte ich an dieser Stelle einmal ganz klar sagen: Ich finde das Thema zu wichtig, um es parteipolitisch auszureizen. Sie wissen doch ganz genau – anders als Sie es in Ihrem Antrag schreiben –, dass die Unionsfraktion hinter der wichtigen Ausweitung des Unterhaltsvorschusses steht und das Vorhaben in den letzten Monaten auch vorangetrieben hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie wissen aber auch ganz genau, dass eine überstürzte und vor allem schlecht geregelte Umsetzung des Vorhabens unsere Kommunen vor große Probleme stellt, dass die Bundesländer in der Finanzierung mitzureden haben – die stehen zum Teil auf der Bremse – und dass am Ende schlichtweg niemandem geholfen ist und Frust aufgebaut wird, wenn sich die Auszahlung durch diese Probleme womöglich verzögert. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]:Deshalb lieber gar nichts machen! Super!) – Reden Sie nicht immer alles schlecht – das möchte ich vor allen Dingen an die linke Ecke des Hauses richten –, was wir in diesem Hause anpacken! Sicherlich kann und muss man alles weiterentwickeln; aber das, was wir geschafft haben, darf man auch einmal benennen und als gut anerkennen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Denn das Aufreißen neuer Gräben stärkt nicht die linke Seite dieses Hauses, sondern wird dafür sorgen, dass auf der rechten Seite etwas Einzug hält, was uns allen hier im Haus nicht gefallen wird und was die Schwächsten in unserem Land weiter schwächen würde. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abschließend bleibt mir noch zu sagen: Wir brauchen kluge, durchdachte Konzepte, um unsere Familien und Kinder wirklich zu stärken. Die finde ich trotz vieler Worte in Ihrem Antrag leider nicht. Deshalb kann ich dem Antrag trotz des guten Ansinnens nicht zustimmen. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Müssen Sie heute auch nicht!) Aber ich freue mich wie viele meiner Kollegen auf gute weitere Beratungen. Dann werden wir auch zu Lösungen kommen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Ulrike Bahr für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ulrike Bahr (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Kind darf verloren gehen. – Das ist unser sozialdemokratisches Leitbild. Dazu gehört natürlich auch die wirtschaftliche Absicherung von Familien, und zwar von allen Familien. Dazu gehören auch Alleinerziehende, Patchworkfamilien und alle, die Sie genannt haben. Aber aus meiner beruflichen Erfahrung heraus weiß ich, dass die Investition in direkte Unterstützungsleistungen nicht ausreicht und nicht immer der beste Weg ist, um Kinder zu fördern, um ihnen Bildung und echte Teilhabe zu eröffnen. Teilhabe braucht zweifellos Geld, aber darüber hinaus noch viel mehr. Wir brauchen Geld, Zeit und Infrastruktur und müssen immer vom Kind aus denken, egal wie es im Geldbeutel der Eltern aussieht. (Beifall bei der SPD) Neben direkten finanziellen Hilfen müssen wir strukturell ansetzen, um Armutskarrieren zu durchbrechen und die soziale Spaltung der Gesellschaft nicht weiter voranzutreiben. Die Armut in zweiter, dritter und vierter Generation ist es, die in allen Berichten über Familienarmut vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband bis hin zur Bertelsmann-Stiftung besonders alarmierend wirkt. Gegen solche über Generationen hinweg verfestigte Armut brauchen wir an allererster Stelle nach meiner Überzeugung von klein an gute und kostenfreie Angebote für Bildung, Kultur und Sport. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in ihrem Zukunftsprojekt für beitragsfreie Ganztagskitas ausgesprochen. Dies fördert und integriert Kinder und entlastet gleichzeitig Eltern und besonders Alleinerziehende enorm, weil sie dann auch Zeit für Arbeit oder Aus- und Weiterbildung haben, und zwar ohne entwürdigende Antragstellung und Bedürftigkeitsprüfung. Einige sozialdemokratisch geführte Bundesländer wie Rheinland-Pfalz oder Berlin gehen hier mit gutem Beispiel voran. In meinem Heimatland Bayern ist man davon leider noch weit entfernt. In dieser Wahlperiode haben wir eine ganze Reihe von Anstrengungen unternommen, um in der frühen Bildung auch qualitativ gute Angebote zu schaffen, zum Beispiel, wie erwähnt, mit dem Ausbau der erfolgreichen Sprachkitas, in denen Kinder mit Schwierigkeiten in der Schlüsselkompetenz Sprache die nötige Unterstützung erhalten, ohne dass die Eltern etwas beantragen müssen; denn Sprache ist der Schlüssel zu jeder Form von Bildung und damit zur Selbstermächtigung, neudeutsch: „Empowerment“. (Beifall bei der SPD) Zur Stärkung von Kindern und ihren Eltern gehört in jedem Fall eine gute niedrigschwellige Beratung über Unterstützungsansprüche wie zum Beispiel den Kinderzuschlag, aber auch über die Bildungs- und Unterstützungsangebote vor Ort. Die Zivilgesellschaft engagiert sich hier zahlreich in Initiativen, die wir unterstützen sollten. Auch viele Mehrgenerationenhäuser leisten in der Beratung und in der Vernetzung von Familienangeboten eine hervorragende Arbeit. Auch sie haben wir mit unseren letzten Haushaltsbeschlüssen gestärkt. Denn gerade Familien mit wenig Geld, Eltern wie Kinder, profitieren besonders von kostenfreien Treffpunkten, Vernetzung, Tauschbörsen, offenen Angeboten und den damit verbundenen Kontakten. Zur Stärkung von Familien gehört es auch, wenn Kinder, Jugendliche und Eltern einen Anspruch auf gute und einfache Lösungen bei Konflikten haben. In unserer geplanten SGB-VIII-Reform müssen wir deshalb auch unabhängige Ombudsstellen verankern. Sie unterstützen Kinder, Jugendliche und ihre Familien dabei, Probleme mit den Jugendämtern und Trägern zu klären und auszuräumen. Und schließlich: Zum Anspruch „Kein Kind zurücklassen!“ gehören auch Teilhabeangebote und Unterstützung für Kinder, die bisher vollkommen durchs Raster fallen und die, wie ich finde, Helden des Alltags sind. Betroffen sind geschätzt 2 bis 3 Millionen. Ich meine, wie schon erwähnt, Kinder psychisch kranker Eltern oder Kinder, deren Eltern im Strafvollzug sitzen. Hier haben wir noch viel Arbeit und sollten uns möglichst pragmatisch und fraktionsübergreifend auf die Suche nach tragfähigen Lösungen mit aufsuchenden Beratungsstrukturen und vernetzten Hilfen machen. Unsere Kinder haben einen Anspruch darauf. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Mit Ausnahme der Passage über Bayern war es passabel!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sönke Rix hat als letzter Redner in dieser Aussprache das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Natürlich haben wir in dieser Großen Koalition viel erreicht, um Familien zu entlasten und zu fördern. Natürlich dürfen die Fraktionen der Opposition auch kritisieren und mehr fordern. Das gehört zu ihrer Aufgabe. Aber ich will gleich eine Sache vorwegnehmen: Es kommt immer darauf an, wie wir diese zusätzlichen Förderungen, diese zusätzlichen Mittel und diese zusätzlichen Forderungen finanzieren. Das kommt bei dem vorliegenden Antrag – auch wenn ich weiß: es gibt parallel dazu andere Finanzierungsvorstellungen – leider zu kurz. Aber wir dürfen auch stolz darauf sein, was wir in unserer Koalitionszeit für Familien erreicht haben. (Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]) – Doch, das darf man durchaus machen. Denn wir haben Dinge angestoßen, die auch Sie fordern und die auch die Grünen fordern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vielleicht nicht in dem geforderten großen Maße, aber wir machen es. Wir haben zum Beispiel den Kinderzuschlag erweitert und ausgebaut. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir wissen ja, wo bei euch die Bremser sitzen!) Das sind Forderungen, die von Grünen und von Linken kommen. Man kann mehr machen, gar keine Frage – es ist immer die Frage, wie viel Geld Herr Schäuble zur Verfügung stellt –, aber wir haben es getan. Ich finde, das kann man durchaus lobend erwähnen. Sie führen immer an, wenn es um Familienarmut geht, dass eine gute und vernünftige Bezahlung für die Menschen notwendig ist. Sie sagen, dass der Mindestlohn, der eingeführt worden ist, als Grundlage viel zu niedrig ist. Aber wir haben ihn immerhin eingeführt, liebe Kolleginnen und Kollegen, und damit einen großen und wichtigen Schritt gemacht, um Familien zu entlasten und um Kinderarmut zu bekämpfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Gleiche gilt für die Entlastung von Alleinerziehenden. Jahrelang ist dieses Thema nicht angefasst worden. Wir haben in der Großen Koalition für eine Erhöhung des Freibetrags für Alleinerziehende gesorgt und so Familien entlastet. Das hilft auch gegen Kinderarmut. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Natürlich kann man weitergehen. Koalitionen stellen immer auch – das wissen Sie aus Hessen, das wissen Sie aus rot-grünen Koalitionen, das wissen Sie aus Brandenburg; Sie werden es auch in Berlin erfahren und in Thüringen – Kompromisse dar, und man freut sich, wenn man nach Wahlen andere Mehrheiten bekommt oder wenn man Koalitionspartner auch mal überzeugen kann. Das ist durchaus der Fall. – Wir als Sozialdemokraten sind bei Ihnen und sagen: Das Ehegattensplitting ist eine ungerechte Maßnahme. Auch wir wollen das Ehegattensplitting Schritt für Schritt abschaffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Moment kommen wir da mit unserem Koalitionspartner nicht zusammen, (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Gut erkannt!) aber als eigenständige Fraktion darf man das durchaus sagen. (Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD]) Das Gleiche gilt übrigens für das, was meine Kollegin Uli Bahr gerade zum Schluss angesprochen hat. Armutsbekämpfung bedeutet, Menschen, insbesondere Kinder, in die Lage zu versetzen, teilhaben zu können. Das fängt damit an, dass wir sagen: Bildung und Betreuung müssen vom ersten Lebensjahr an beitragsfrei sein. (Beifall bei der SPD) Und es sind sozialdemokratische Bundesländer, die gemeinsam mit Grünen, beispielsweise in Rheinland-Pfalz oder auch in Hamburg, genau diese Beitragsfreiheit Schritt für Schritt einführen. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Oh! Oh! Oh!) Das ist eine vernünftige und richtige Entlastung, die den Familien zugutekommt. Schleswig-Holstein wird sich diesem guten Beispiel im Übrigen anschließen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Rix, der Kollege Weinberg wünscht eine Zwischenfrage. Sönke Rix (SPD): Aber jetzt keine Koalitionsverhandlungen, lieber Marcus. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Doch! Doch! Macht mal so weiter wie Mittwoch im Ausschuss! Dann haben wir alle was davon!) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Danke schön. – Lieber Sönke Rix, keine Angst, ich habe nur eine kurze Zwischenfrage; wenn du Hamburg erwähnst, dann muss ich mich einfach zu Wort melden. Ich will nur daran erinnern, dass in Hamburg die Eltern für die fünfstündige Betreuung ihres Kindes von den Gebühren freigestellt sind. Vielen Dank, davon profitiere ich persönlich, auch mit meinem Einkommen. Ich will aber auch daran erinnern: Hamburg hat den mit Abstand schlechtesten Betreuungsschlüssel, was die Relation von Erzieherinnen und Kindern angeht, in Westdeutschland. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, das Geld in Qualitätssteigerung zu investieren, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absolut!) damit die Kinder endlich vernünftig betreut werden, statt den Eltern, die ohnehin viel Geld verdienen, noch eine Entlastung zu schenken? (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Es gibt nicht nur reiche Hamburger!) Sönke Rix (SPD): Wenn ich dieser Begründung folge: Dann bist du, lieber Marcus Weinberg, wahrscheinlich auch dafür, dass du für deine schulpflichtigen Kinder irgendwann Gebühren zahlen musst, weil man nicht genügend Mittel für die Verbesserung der Infrastruktur in den Schulen zur Verfügung hat. (Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD]) Nein, es bleibt bei dem Grundsatz: Gebührenfreiheit für Bildung und Betreuung von Anfang an. Ich warne davor, die Entlastungen von Familien gegen Infrastrukturausbau und gegen Beitragsfreiheit auszuspielen, lieber Kollege Marcus Weinberg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, es ist zum Schluss der Debatte richtigerweise angesprochen worden, dass wir eine starke Zivilgesellschaft brauchen. Die Zivilgesellschaft wird im Übrigen immer sehr stark von Kommunen unterstützt, und somit ist jede kommunale Entlastung, die wir vornehmen, eine Entlastung zugunsten von Familien. Das betrifft unter anderem das Thema Beitragsfreiheit, aber auch das sehr gute Beispiel, das Sie vorhin, Frau Pahlmann, in Ihrer Rede angesprochen haben. Natürlich ist Zivilgesellschaft wichtig, und alles, was Zivilgesellschaft selbst erreichen kann, ist wichtig. Aber wenn wir die Infrastruktur von Zivilgesellschaft nicht unterstützen – was wir im Übrigen jetzt im Bundeshaushalt viel besser tun als vorher –, dann werden aus guten Projekten keine wirklich guten Projekte. Deshalb ist es richtig und notwendig, die Zivilgesellschaft zu unterstützen, damit auch die Zivilgesellschaft Familienarmut bekämpfen und Familien fördern kann. (Beifall bei der SPD) Ich will einen allerletzten Punkt ansprechen, weil es zu Beginn der Debatte um gute Bezahlung ging, insbesondere um die Frage, ab wann eine Familie in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen. Ein Kollege hat vorhin in einer Zwischenfrage gesagt, dass es viele Eltern gibt, die eigentlich ein auskömmliches Einkommen haben, aufgrund ihrer familiären Situation aber trotzdem Hartz IV beziehen bzw. deren Kinder Hartz IV beziehen. Ich finde, dann haben sie kein ausreichendes Einkommen, lieber Kollege. (Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD]) Für mich ist es so: Ein ausreichendes und gutes Einkommen muss dazu beitragen, dass sich eine Familie, auch unabhängig von staatlicher Förderung, eine Existenz sichern kann. Daran müssen wir arbeiten: dass durch eine entsprechende Lohnentwicklung dieses Problem behoben wird. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat die SPD dazu vor?) Ich danke Ihnen für den Antrag, auch weil er zu dieser Debatte geführt hat; denn wir müssen immer mal wieder über Familien- und Kinderarmut sprechen. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und weitere Vorschläge. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10473 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 19. Mai 2016 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt Montenegros Drucksache 18/9989 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) Drucksache 18/10332 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Debatte hat Josip Juratovic für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern früh kam die parlamentarische Freundschaftsgruppe für Südosteuropa zusammen. Zu Gast waren Forscher und Aktivisten aus dem Bereich der Pressefreiheit. Unser Thema war die Freiheit der Medien auf dem Westbalkan. Das Urteil der Experten fiel sehr schlecht aus. Das ist kein gutes Zeichen. Gestern Nachmittag saß ich im Gesprächskreis Südosteuropa. Der Direktor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Pristina und ein Wissenschaftler aus dem Kosovo berichteten über den zunehmenden Einfluss der Türkei auf dem Westbalkan. Das ist ebenfalls kein gutes Zeichen. Dieser Tage durfte ich auch mit oppositionellen Abgeordneten aus Podgorica sprechen. Dabei musste ich feststellen, dass die Bedeutung der repräsentativen Demokratie und der Respekt vor der parlamentarischen Arbeit dort von unserem Verständnis leider um einiges entfernt sind. Auch dies ist für mich kein gutes Zeichen. Vor einer Stunde kamen wir mit dem montenegrinischen Staatssekretär für Europa zusammen. Seine Vision – eine Annäherung an die EU – wird in der Praxis leider nicht so umgesetzt, wie wir uns das wünschen würden. Ein viertes Mal muss ich sagen: Kein gutes Zeichen. Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag wird heute darüber entscheiden, ob wir unsere europäischen Nachbarn aus Montenegro in die nordatlantische Gemeinschaft der NATO aufnehmen wollen. Die soeben beschriebenen Gespräche hinterlassen bei mir eine gemischte Gefühlslage. Ich frage mich: Ist es wirklich richtig, Montenegro angesichts der immer noch vorhandenen Herausforderungen in die NATO aufzunehmen? Warum werben wir für die Mitgliedschaft eines nicht immer einfachen Partners in einem Bündnis, das selbst bei nicht allen von uns unumstritten ist? Jenen, die sich hierbei angesprochen fühlen, möchte ich drei Antworten mit auf den Weg geben: Es geht um uns. Genauer gesagt, es geht um unsere guten sicherheitspolitischen Erfahrungen mit dem Bündnis NATO, um die strategischen Interessen unseres Landes und vor allem um die Werte der deutschen Außenpolitik. Kolleginnen und Kollegen, unsere Erfahrung zeigt uns: Deutschland und die anderen NATO-Mitglieder profitieren seit über einem halben Jahrhundert vom gegenseitigen Beistand. Die NATO ist eine jener Organisationen, die uns neben der EU seit 70 Jahren Frieden sichert, genau jenen Frieden, den Deutschland und Europa davor über Generationen nicht hatten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die NATO hat das Leben ihrer aktuell 920 Millionen Einwohner sicherer gemacht. Sicherheit im Frieden ist das wichtigste Gut, das wir haben. Wenn wir Montenegro in die NATO aufnehmen, ist dies ein Weg, unsere ureigenen Interessen zu verfolgen. Zu unseren Interessen gehört zunächst die eben beschriebene Sicherheit. Zu unseren Interessen gehört aber auch ein zusammenhängendes Bündnisgebiet. Wir wollen Partner einbinden, die sich sonst womöglich für andere Wege entscheiden. Um es deutlich zu sagen: Der Westbalkan ist bereits Spielball unterschiedlicher globaler und regionaler Mächte – auf einem Spielfeld direkt vor unserer Tür. Wir wollen jene Staaten in unsere sicherheitspolitischen Bündnisse einbeziehen, die sich ohnehin auf den Weg Richtung EU gemacht haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Denn zu unseren Interessen gehört auch ein starkes Europa. Wenn wir ein Europa haben möchten, das auf globaler Ebene auf Augenhöhe agieren kann, müssen wir geschlossen sein. Wenn wir geschlossen sein wollen, können wir uns keine Insel der Instabilität mitten in Europa leisten. Instabilität macht Europa angreifbar. In der Gesetzesbegründung heißt es: Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass der NATO-Beitritt Montenegros einen Beitrag zu Sicherheit und Stabilität im euro-atlantischen Raum leisten wird. Genau diese Überzeugung teilen wir Sozialdemokraten. Bei allen Zwängen und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten basiert unsere Außenpolitik vor allem auf Werten. Dabei ist das Nordatlantische Bündnis einerseits Wert an sich, weil es für Kooperation steht. Darüber hinaus geht es um die großen demokratischen Werte. Es ist richtig: Gewaltenteilung, aber auch Pressefreiheit sind in Montenegro noch sehr ausbaufähig. Doch Montenegro ist bereits im Prozess des Beitritts zur EU. Die dazugehörige Demokratisierung kann sich in Montenegro umso besser entwickeln, wenn sich das Land der schwarzen Berge im Rahmen der NATO sicher fühlen kann. Das gemeinsame Sicherheitssystem erleichtert Demokratisierung und EU-Annäherung. Es stimmt: Montenegro ist kein lupenreiner demokratischer Staat. Aber um es mit den Worten eines großen Sozialdemokraten zu sagen: Wir wollen den Wandel durch Annäherung. (Beifall bei der SPD) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehen auf dem Westbalkan die Chance, in unserer Nachbarschaft Frieden und Stabilität zu bewahren. Das ist im Interesse der Menschen vor Ort und in unserem eigenen Interesse. Wichtig ist auch: Wir sind 25 Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens. Irgendwann – am besten so bald wie möglich – müssen die geschundenen Völker des Westbalkans ihre Ruhe bekommen. Sie sollen sich zugehörig fühlen. Keine gute Entwicklung wäre es, weiterhin ohne feste Perspektive zwischen unterschiedlichen globalen und regionalen Einflüssen hin- und hergerissen zu sein. Der Westbalkan gehört in die NATO, weil der Westbalkan zu Europa gehört. Der Beitritt Montenegros zur NATO ist ein weiterer Schritt bei der Heranführung des Westbalkans an Europa. Daher bitte ich um Ihre Zustimmung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Alexander Neu für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Montenegro soll also der NATO beitreten. Damit wird die NATO ein weiteres Mal ihren Einfluss- und Kontrollbereich erweitern, hier um ein Balkanland. Die NATO-Erweiterung insgesamt ist einem politischen Ansatz geschuldet, der davon ausgeht, dass Sicherheit in Europa ohne Russland oder vielleicht auch gegen Russland möglich und wünschenswert ist. Es ist ein konfrontatives Sicherheitskonzept. Es geht aber auch anders, und zwar mit einem kooperativen Sicherheitskonzept, das vorsieht, Sicherheit in Europa mit Russland herzustellen. Das ist nachhaltiger. (Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Ukraine!) Nach den Verlautbarungen der CDU oder der SPD, also der Regierungsparteien, favorisieren sie sogar das kooperative Sicherheitskonzept, (Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Das sieht man an der Ukraine!) zumindest verbal. So heißt es beispielsweise in dem außenpolitischen Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion vom Juli 2016 – ich zitiere –: „Stärke zeigen allein genügt nicht“. – Was für eine Einsicht! – „Für eine glaubwürdige und kooperative Sicherheits- und Friedenspolitik in und für Europa“. Auch Kanzlerin Merkel steht dem nicht hinterher. In ihrer Regierungserklärung vor dem NATO-Gipfel in Warschau sagte sie – ich zitiere –: Wir als NATO-Partner sind uns einig, dass dauerhafte Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen Russland zu erreichen ist. Schöne Worte. Die Wirklichkeit sieht anders aus, sehr geehrte Damen und Herren. Da tun Sie genau das Gegenteil. Statt einer friedensichernden, statt einer sicherheitspolitischen Kooperation bauen Sie den NATO-Einflussraum aus, zum Beispiel mit Hilfe der NATO-Osterweiterung. Sehr geehrte Damen und Herren, das ist nichts anderes als primitive Geo- und Machtpolitik, die Sie hier betreiben. (Beifall bei der LINKEN – Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Warum überlassen Sie die Entscheidung nicht einfach Montenegro? Das ist ein souveräner Staat!) – Hören Sie einfach einmal zu! – Montenegro ist ein Staat mit der Einwohnerzahl von Düsseldorf. Ich bin im Sommer dieses Jahres mit der Kollegin Höger nach Montenegro geflogen. Wir haben uns dort mit politischen Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen. Ergebnis: Montenegro ist ein zutiefst zerrissenes Land zwischen NATO-Gegnern und NATO-Befürwortern. Die Oppositionsparteien und auch zivilgesellschaftliche Gruppen haben uns erklärt, dass die Mehrheit der Menschen gegen einen NATO-Beitritt und für die Neutralität Montenegros sei. Aber einen Volksentscheid darüber lehnt das autoritäre Djukanovic-Regime ab – er ist zwar jetzt nicht mehr Ministerpräsident, aber das Regime ist nach wie vor an der Macht –, wohl wissend, dass dieses Referendum in einer Niederlage enden würde und ein NATO-Beitritt passé wäre. Die parlamentarische und die außerparlamentarische Opposition gegen den NATO-Beitritt sind Repressionen ausgesetzt. Der Sprecher der NGO „Nicht in die NATO“ – so heißt diese Organisation – wurde von der Polizei misshandelt. Andere werden willkürlich verhaftet. Was sagt der Westen? Was sagt Berlin dazu? Man drückt wieder einmal alle Augen zu. Die „Bewegung für Neutralität“ Montenegros – auch eine NGO – verfügt über Informationen von WikiLeaks, (Niels Annen [SPD]: WikiLeaks: Das ist sehr seriös!) nach denen klare Anweisungen aus Washington, Brüssel und Berlin kommen, wie eine effektive Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden kann, um die Stimmung in Montenegro zugunsten der NATO umzudrehen. So soll die Bevölkerung, die noch vor 17 Jahren von der NATO bombardiert wurde, jetzt dazu gebracht werden, die NATO lieb zu haben. Das ist unfassbar, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Unser Fazit ist: Die Äußerungen der CDU und der SPD zur kooperativen Sicherheitspolitik bleiben Lippenbekenntnisse; denn die NATO-Osterweiterung ist ein geo- und sicherpolitisches Konfrontationsprojekt, das weiter vorangetrieben wird. Montenegro fehlt als letzter Staat der europäischen Mittelmeeranrainer, um das nördliche Mittelmeer zum NATO-Meer zu machen. Dafür schaut man auch großzügig über die Verletzung westlicher Werte hinweg – wie so häufig, wenn es um Interessen und Machtpolitik geht, siehe Türkei. Wir als Linke fordern ein Umdenken. Beenden Sie die NATO-Osterweiterung, und fangen Sie endlich mit einem Kurswechsel an! Beginnen Sie mit einer ehrlichen sicherheitspolitischen Kooperation für den gesamten europäischen Kontinent! Danke. (Beifall bei der LINKEN – Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Die Rede wäre besser zu Protokoll gegangen!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Peter Beyer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Beyer (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Debattenthema jetzt lautet: NATO-Mitgliedschaft Montenegros. Das ist das wichtigste außenpolitische Ziel dieses Landes in den vergangenen Jahrzehnten, so muss man es sagen. Es ist nun erreicht. Es ist ein langer Weg, an dessen Ende aus ehemaligen Feinden Verbündete werden. Insgesamt ist dieser Prozess in die Westannäherung des Landes eingebettet. Dabei stehen auch die EU-Beitrittsverhandlungen im Zentrum. Bei allen Herausforderungen, die das Land noch zu bestreiten hat, ist Montenegro auf einem richtigen Weg und auf einem guten Kurs hin zur Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union. Man kann sich durchaus die Frage stellen: Was kann ein sehr kleines Land wie Montenegro – wir haben es gerade gehört: ich habe es nicht nachgezählt, mit der Einwohnerzahl Düsseldorfs; – zum Bündnis, zur NATO beitragen? Wir müssen uns vor Augen halten, dass Montenegro bereits dabei ist, beizutragen, ohne NATO-Mitglied zu sein, und zwar beim Afghanistan-Einsatz ISAF und bei der Nachfolgemission Resolute Support Mission. Darüber hinaus hat Montenegro angekündigt, sich im Rahmen des KFOR-Einsatzes zu beteiligen. Das zeigt, dass Montenegro bereit ist, seine sicherheitspolitische Verantwortung mit großer Ernsthaftigkeit wahrzunehmen. Es ist natürlich auch klar, dass für das Bündnis, für die NATO selbst, die Aufnahme von Montenegro symbolischen Charakter hat. Die NATO gibt damit aber auch ein Statement ab. Zum Beispiel unterstreicht die NATO damit die Relevanz des Balkans für den Westen, und sie bekennt sich zur Politik der offenen Tür. Man muss sich auch vor Augen halten, dass der östliche Teil der Adriaküste mit der Aufnahme Montenegros und der schon im Jahre 2009 erfolgten Aufnahme Albaniens und Kroatiens geschlossenes NATO-Gebiet ist. Herr Kollege Neu, es mag Sie erzürnen, dass Montenegro – aus meiner Sicht: richtigerweise – das Ansinnen der russischen Regierung abgelehnt hat, die Bucht von Kotor für die russische Marine zu nutzen. Dass sie jetzt geschlossen ist, ist, glaube ich, eine richtige Entscheidung. Es ist in diesem Zusammenhang auch wichtig, zu sagen, dass es darum geht, Stabilität zu schaffen und die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens bei ihrer Westanbindung zu unterstützen. Es geht darüber hinaus um die Zugehörigkeit zur transatlantischen Wertegemeinschaft, zu der sich Montenegro – übrigens nicht gezwungenermaßen, sondern in freier Selbstbestimmung – bekannt hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist ein gutes, wichtiges, aber auch notwendiges Zeichen, dass sich auch die neue, gerade frisch ins Amt gekommene Regierung Montenegros zu dieser Wertegemeinschaft bekannt und zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land dazugehören will, dass es weiterhin den Weg der Reformen beschreiten will, wie es namentlich durch den Premierminister Dusko Markovic geschehen ist. Es ist aber auch richtig, dass wir in unserem Appell nicht nachlassen dürfen, die Regierung in Montenegro dabei zu bestärken, dass man den einmal beschrittenen Weg der Reformen nicht verlassen darf und dass es jetzt darauf ankommt, dabei nicht nachzulassen. Es müssen über den Zeitpunkt der Aufnahme in die NATO hinaus – sie kommt ja erst noch, vielleicht im Frühjahr nächsten Jahres – alle Anstrengungen unternommen werden, den Weg von Reformen und Stabilität beherzt und ernsthaft weiter zu beschreiten. Vielleicht sogar wichtiger als der Beitritt zur NATO war letztlich der Vorbereitungsprozess. Denn er hat zum Beispiel dazu geführt, dass deutliche Schritte unternommen wurden, um politisch unbelastete Nachrichtendienste zu schaffen. Dies war – neben der Schaffung von demokratischen Strukturen und von Rechtsstaatlichkeit – eine der zentralen Forderungen und Voraussetzungen für die NATO-Mitgliedschaft. Durch die jetzt umgesetzten Reformen hat Montenegro seine Bündnisfähigkeit unter Beweis gestellt. Die vollständige Anpassung der eigenen Strukturen an NATO-Standards braucht aber noch Zeit, übrigens auch, was die Schließung von durchaus noch vorhandenen Fähigkeitslücken anbelangt. Eine Regierung kann keine Politik an der eigenen Bevölkerung vorbei machen. Deswegen ist es wichtig, dass die neue Regierung nicht nachlässt, die eigene Bevölkerung mit guten Argumenten zu überzeugen – Herr Kollege Neu hat es beschrieben: in dem Punkt gibt es eine Spaltung in der Gesellschaft –, dass es richtig war, den Weg in die NATO und damit zur Stabilität weiter zu beschreiten. Meine Damen und Herren, ich möchte mit einem Punkt, der vorhin schon angeklungen ist, schließen. Sowohl in der letzten Wahlperiode als auch und gerade in der neuen Wahlperiode des montenegrinischen Parlaments zeigte sich, dass die Opposition, zumindest weite Teile der Opposition, die Plenarsitzungen boykottiert. Ich würde mir wünschen – dies vielleicht als Appell von Parlamentarier zu Parlamentarier –, dass die Kollegen der Opposition in Montenegro den politischen Diskurs dorthin verlagern, wo er hingehört, nämlich in einen solchen Saal, ins Parlament. Denn dort findet der demokratische und parlamentarische Wettstreit der Ideen und der politischen Überzeugungen statt, und nicht auf der Straße. Ich glaube, dann kann man konstruktiv zum Wohle des Landes beitragen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Tobias Lindner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Montenegro nehmen wir ein Land in die NATO auf, das kleiner ist als Schleswig-Holstein. Die Armee von Montenegro ist gerade einmal 2 000 Soldaten stark. Wenn sich die NATO dadurch gestärkt fühlen würde, dann wäre das genauso albern, als würde sich Russland dadurch bedroht fühlen. (Niels Annen [SPD]: Das stimmt!) Genauso albern ist es, Herr Kollege Neu, wenn Sie hier sagen, das würde die Sicherheitsarchitektur in Europa signifikant verändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Applaus von der CDU!) Es geht bei diesem Beitritt natürlich um Symbolik. Es geht auch darum – da hätten Sie vielleicht auf Ihren Genossen Michail Sergejewitsch Gorbatschow hören sollen, als er von freier Bündniswahl gesprochen hat –, dass wir uns die Beitrittsbedingungen nicht diktieren lassen. Jedes Land in Europa hat das Recht auf freie Bündniswahl, (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Pariser Verträge!) und jedes Bündnis entscheidet souverän darüber, wer bei ihm Mitglied sein darf und wer nicht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) Montenegro hat sich für die NATO entschieden, und heute stimmen wir darüber ab, Montenegro in die NATO aufzunehmen. Aber gerade weil Montenegro dann NATO-Mitglied sein wird, müssen wir genau hinschauen und dürfen nicht schweigen. Wir mussten in diesen Tagen schmerzlich erfahren: Eine NATO-Mitgliedschaft ist keine Garantie für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. (Zuruf von der SPD: Das stimmt!) Wer gedacht hatte, dass die Zeiten einer Militärdiktatur in Griechenland oder des Franquismus in Spanien vorüber sind und unter den NATO-Mitgliedern nur Demokratien sind, der wird in diesen Tagen von Herrn Erdogan eines Schlechteren belehrt. Wenn die NATO es ernst damit meint, eine Wertegemeinschaft zu sein, dann darf sie nicht so leisetreterisch auftreten wie ihr Generalsekretär kürzlich in Istanbul. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein NATO-Generalsekretär, der dazu schweigt, dass die Türkei zurzeit im Nordirak das Völkerrecht bricht, der dazu schweigt, dass die Türkei Soldaten des NATO-Partners USA militärisch attackiert, der dazu schweigt, dass türkische NATO-Offiziere so verfolgt werden, dass sie in anderen NATO-Ländern – auch in Deutschland – um Asyl bitten müssen, der macht nicht seinen Job, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wer die Wertegemeinschaft NATO ernst nimmt, der darf an dieser Stelle nicht schweigen. Man muss sagen: Montenegro ist nicht die Türkei. Aber mit seinem Beitritt sind wir natürlich nicht aus der Verantwortung entlassen. In Montenegro herrscht – das wurde angesprochen – massive Korruption. Die Strafverfolgung ist ineffektiv. Auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen nimmt das Land den unrühmlichen Rang 106 von 180 ein. Im letzten Jahr gab es 19 Übergriffe auf Journalisten. Auch der Mord an Dusko Jovanovic, dem Eigentümer der größten regimekritischen Zeitung, im Jahr 2004 ist bis heute nicht aufgeklärt. Es kann nicht sein, dass wir von der Idee ausgehen: Was im Bündnis passiert, bleibt im Bündnis. – Im Gegenteil: Wir müssen Missstände klar und deutlich ansprechen und Montenegro dabei unterstützen, Korruption zu bekämpfen und die Rechtsstaatlichkeit im Land zu verbessern. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) Lassen Sie mich zum Schluss noch drei Bemerkungen machen: Erstens. Wenn es Russland ernsthaft an einer vernünftigen Sicherheitspartnerschaft in Europa gelegen ist, dann sollte Herr Putin hier keinen Pappkameraden aufstellen. Sein Land ist durch diesen Beitritt in keiner Weise bedroht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zweitens muss man sagen: Dieser Beitritt ist kein Präjudiz für die Länder Georgien und die Ukraine. Deren Beitritt steht kurz- und mittelfristig nicht auf der Agenda. Man kann aus dem Beitritt Montenegros nichts ableiten. Drittens – das ist der letzte Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen –: Das alles befreit die NATO nicht aus der Verantwortung, wenn sie von Abschreckung und Dialog spricht, den Dialog ernst zu nehmen. Wir müssen weitere Anstrengungen zeigen, was beispielsweise den NATO-Russland-Rat und Instrumente der Rüstungskontrolle anbetrifft. Da ist die NATO meiner Meinung nach in der Bringschuld, jede Mühe an den Tag zu legen, um Russland zu Gesprächen darüber zu zwingen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das war eine Hoffnungsrede!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Obermeier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1949 haben sich zwölf Staaten zur Nordatlantischen Allianz zusammengeschlossen. Sie eint nach wie vor der Wunsch, gemeinsam eine friedliche, freie und sichere Welt zu gestalten. Zudem versichern sie sich gegenseitigen Beistand. Das Bündnis verstand und versteht sich auch als Wertegemeinschaft der freien demokratischen Staaten. Die NATO ist als Werte- und Verteidigungsgemeinschaft so attraktiv, dass sich mittlerweile 14 weitere Staaten souverän und aus freien Stücken dem Bündnis angeschlossen haben. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Gegen den Volkswillen!) So war es auch bei den zwölf Staaten aus Osteuropa. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie alle haben ihre Freiheit der Bündniswahl in Anspruch genommen. Das tut nun auch Montenegro, das im Mai dieses Jahres das NATO-Beitrittsprotokoll unterzeichnet hat. Warum nimmt die NATO Montenegro auf? Militärisch hat das kleine Land mit etwa 620 000 Einwohnern nur überschaubare Fähigkeiten und Ressourcen. Die Armee, bestehend aus Heer, Marine und Luftwaffe, umfasst etwa 2 000 Soldaten, verfügt über 16 Transportpanzer, 15 Mehrzweckhubschrauber und 5 Patrouillenboote. Der Verteidigungsetat beträgt 42 Millionen Euro. Auch kämpft Montenegro mit wirtschaftlichen Problemen, mit Korruption und organisierter Kriminalität. Allerdings ist das Land ein wichtiger Stabilitätsfaktor in der Region. Montenegro bekräftigt mit dem NATO-Beitritt, dass es zur Gemeinschaft der rechtsstaatlichen und pluralistischen Demokratien des Westens gehört. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Gott, was für eine Selbstglorifizierung! Widerlich!) Dieser Kurs wurde durch die Parlamentswahl in Montenegro im Oktober dieses Jahres bestätigt. Die Demokratische Partei der Sozialisten des prowestlichen Regierungschefs Milo Djukanovic hat mit 41 Prozent zwar die absolute Mehrheit verfehlt, ist aber als eindeutiger Sieger aus der Wahl hervorgegangen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Seit 25 Jahren!) Die größte Oppositionspartei, die prorussische Demokratische Front, kam auf lediglich 20 Prozent. Gerade angesichts der langwierigen Annäherung des Westbalkans an die EU ist die Aufnahme Montenegros in die NATO ein wichtiges politisches Signal. Wir machen damit deutlich: „Wer sich zu unseren Werten bekennt, kann Teil der Gemeinschaft werden“ und „Der Westbalkan gehört zur euro-atlantischen Gemeinschaft“. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Josip Juratovic [SPD] – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist aber traurig! Idealismus pur!) Dieses Signal schwächt zugleich auch ein Stück weit den langen Arm Putins, der sich mehr und mehr nach den vermeintlichen Bruderstaaten des Westbalkans auszustrecken versucht. Insgesamt bedroht die aggressive Politik Russlands durchaus die europäische Friedensordnung. Die dramatischen Entwicklungen im Nahen Osten und in Nordafrika zeigen die massiven sicherheitspolitischen Veränderungen. Die Bedrohungen haben insgesamt zugenommen. Meine Damen und Herren, gerade in diesen Zeiten ist die Stärke der NATO gefordert – nach außen, aber auch nach innen. Die NATO ist, wie ich eingangs sagte, auch eine Wertegemeinschaft. Die Grundlagen für die NATO-Mitgliedschaft sind der Respekt vor der Verfassung, dem Rechtsstaat und den Grundfreiheiten. Wir als Parlamentarier des Deutschen Bundestages werden nicht müde, daran immer wieder zu erinnern, auch aktuell gegenüber der Türkei, wie wir dies vor zwei Wochen auf der NATO-Tagung in Istanbul deutlich getan haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: War beeindruckend! Sehr beeindruckend!) – Sie waren ja nicht dabei. Kommende Woche tagt das NATO-Parlament in Washington. Aber unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA müssen wir uns in Europa unserer internationalen Verantwortung stellen und bereit sein, mehr Lasten zu übernehmen. Wir müssen hier nicht nur mehr Geld investieren, sondern unsere Mittel auch wirksamer einsetzen, als wir das bisher getan haben. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik steht keinesfalls im Widerspruch, sondern in Ergänzung zur NATO. Angesichts der vielen internationalen Krisen und Konflikte brauchen wir ein starkes Europa und eine starke NATO. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Josip Juratovic [SPD]) Mit Montenegro erhält die NATO ihr 29. Mitglied. Dass die NATO wächst und ihre Tür offenbleibt, stärkt die NATO und stärkt auch die Werte, auf denen die NATO aufbaut. Das fördert Friede, Freiheit und Sicherheit in unserer Welt. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 19. Mai 2016 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt Montenegros. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10332, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9989 anzunehmen. Ich weise darauf hin, dass es sich hier um ein Vertragsgesetz handelt. Deshalb gibt es nur eine zweite Lesung, also keine dritte. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes Drucksache 18/10459 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben, beginnen wir mit der Aussprache. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Bundesminister Christian Schmidt für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land lehnt den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ab. Deshalb haben wir in unsere Koalitionsvereinbarung geschrieben – ich zitiere –: Wir erkennen die Vorbehalte des Großteils der Bevölkerung gegenüber der grünen Gentechnik an. Die Konsequenz, die ich als Bundeslandwirtschaftsminister aus dem Auftrag der Koalitionsvereinbarung ziehe, lautet: Ich will und werde den kommerziellen Anbau Grüner Gentechnik auf unseren Äckern rechtsstaatlich organisiert und rechtsstaatlich strukturiert unterbinden; ich will keinen kommerziellen Anbau. Schon heute bauen deutsche Landwirte keine gentechnisch veränderten Pflanzen an, und das ist nach meiner Kenntnis auch nicht geplant. Ich will, dass das so bleibt. – Dazu nutze ich die Verbotsmöglichkeiten, die uns nunmehr die sogenannte Opt-out-Regelung auf europäischer Ebene eröffnet. Insofern freue ich mich, heute den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes in die Beratungen des Hohen Hauses einzubringen. Denn nur damit können wir den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutschland rechtssicher und flächendeckend untersagen – jenseits der Frage, wie der Einzelne zu diesen Vorstellungen steht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines voran: Es handelt sich um schwierige Rechtsfragen, weil wir bei dieser Problematik auf verschiedenen Ebenen, die ineinander verknüpft sind, arbeiten, handeln und entscheiden müssen. Aber wenn wir Rechtssicherheit haben wollen, dann müssen wir eine nationale Regelung treffen, die vor Gericht auch standhält. Genau deshalb müssen Bund und Länder beim Anbauverbot für Grüne Gentechnik gemeinsam Verantwortung tragen. Wir nehmen unsere Verantwortung für den Bund auch wahr, weil wir den Ländern helfen wollen, die bei Fehlen einer Bundesregelung das Anbauverbot alleine umsetzen müssten; die rechtsstaatliche Möglichkeit dazu haben sie. Dieses Prinzip der gemeinsamen politischen Verantwortung ist das zentrale Element des Gesetzentwurfs, und es ist auch die gemeinsame Linie der Länder und sogar der Umweltminister- und Agrarministerkonferenz. Wie genau sieht das Bund-Länder-Zusammenspiel nach meinem Gesetzentwurf aus? Grundsätzlich soll der Bund die Anbauverbote flächendeckend für ganz Deutschland verhängen. Die zwingenden Gründe, die hierfür nach europäischer Verordnung angeführt werden müssen, werden von Bund und Ländern gemeinsam zusammengetragen, weil sie regional unterschiedlich bewertet und gewichtet werden können. Wir haben kein einheitliches Land, was die Ökologie und die Topografie betrifft. (Karin Binder [DIE LINKE]: Und woran liegt das?) – Ja, so ist es. Flach ist es mehr bei euch im Norden, während es bei anderen eher bergig ist. Diese Unterschiede bedingen auch andere Arten. (Beifall des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) Wenn man Ökologiepolitik betreiben will, muss man sich schon die Mühe machen, auf die Details zu schauen, und darf keinen großen Überflug machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich freue mich – darin bin ich mir auch sicher –, dass die Länder gerne mithelfen. Die Länder müssen im eigenen Interesse eine gemeinsame Regelung erarbeiten. Das Gesetz gibt dem Bund in allen Verfahrensstufen eine klare Richtung vor. Sofern alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, soll der Bund tätig werden, wenn sich die Länder mehrheitlich dafür aussprechen. Die Voraussetzungen sind unter anderem zwingende Verbotsgründe für das gesamte Bundesgebiet sowie ein Verbot im Einklang mit dem EU-Recht und dem WTO-Recht, und zwar begründet, verhältnismäßig und nicht diskriminierend, also so, wie Gesetze bei uns gemacht werden müssen. Von dieser vorgegebenen Entscheidung für ein Handeln des Bundes kann nur in Ausnahmefällen abgewichen werden. Mit den sogenannten Sollvorschriften geht der Entwurf sogar noch über die Eckpunkte der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die ich angeregt hatte und die getagt hat, hinaus, die auch eine Kannregelung zugelassen hätte. Doch das wichtigste Argument für den hier vorgelegten Entwurf ist: Wir schaffen dadurch Rechtssicherheit, dass wir die Verbotsgründe sorgfältig zusammentragen und nicht darauf warten, dass ein Gericht uns das Verbot aus den Händen schlägt. Noch ein Wort zu einem aktuellen Thema, den Maissorten, weil ich spüre, dass die eine oder andere Diskussion kommt, die nicht immer von vertiefter Sachkenntnis geprägt ist, wie ich aufgrund meiner Erfahrungen leider vermuten muss. Sie werden ab und zu sicherlich ebenfalls Anfragen zu den drei bekannten Maislinien 1507, Bt 11 und MON 810, die in diesem Haus sehr gut bekannt sind, bekommen. Wie Sie wissen, hat Ilse Aigner den Anbau der Maissorte MON 810 gestoppt. Wenn es um rechtssichere Anbauverbote geht, sind wir sehr aufmerksam. Deswegen habe ich in der ersten Phase der Opt-out-Regelung erreicht, dass zu den bereits gestoppten Sorten kein erneuter Antrag gestellt werden kann. Das heißt, aktuell besteht – Gott sei Dank – keine Notwendigkeit, sozusagen ein Krisengentechnikverbot zu erlassen. Wir haben nämlich Vorsorge getroffen, sodass heutzutage faktisch kein gentechnisch veränderter Mais angebaut werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Weil ein weiterer Punkt immer wieder von Kritikern vorgetragen wird, möchte ich auch dazu Stellung nehmen. Es geht um den Anbau von genveränderten Organismen zu Forschungszwecken. Wir haben den Forschungsanbau von der auf den kommerziellen Anbau ausgerichteten Opt-out-Regelung ausgenommen. (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Genau!) Das ist aber kein Einfallstor für die Gentechnik, sondern gerade das Gegenteil; denn der Forschungsanbau ist zentral, um uns die Kompetenz für eine eigene Bewertung von Chancen und Risiken gentechnisch veränderter Organismen in Deutschland zu erhalten. Vor zwei Jahren, als in Brüssel noch über die Opt-out-Richtlinie verhandelt wurde, hat der Deutsche Bundestag in einem Antrag die Bundesregierung aufgefordert – ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin –, „Möglichkeiten zum nationalen Ausstieg aus dem GVO-Anbau rechtssicher zu verankern“. Dieser sehr berechtigten und fundierten Forderung des Parlaments kommen wir mit diesem Gesetzentwurf nach. Das Ergebnis liegt Ihnen vor. Wir müssen den Begriff der Rechtssicherheit im Blick behalten. Deklamation ist das eine, Dauerhaftigkeit das andere. Dauerhaftigkeit muss hier Vorrang haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Karin Binder für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber reden wir heute? Wir reden über ein gefährliches Bürokratiemonster. Mit einem Eingriff in die DNA der Verwaltung von Bund und Ländern schafft Minister Schmidt dieses Monstrum, das er dann das Vierte Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes nennt. Nach meinem Dafürhalten versucht er, mit allen Mitteln Gentechnik in der deutschen Landwirtschaft durchzusetzen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit stellt er sich gegen den ausdrücklichen Wunsch der Bundesländer, die ein Anbauverbot von Gentechnik mit einer einfachen, unbürokratischen Regelung flächendeckend bundesweit haben wollten. Herr Minister Schmidt stellt sich gegen die Verbraucherinnen und Verbraucher. Eine überwiegende Mehrheit der Menschen lehnt, wie Sie es gesagt haben, Gentechnik auf dem Feld, im Stall und auf ihrem Teller ab. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Er sieht sich offensichtlich in einer Zwickmühle. Der Gesetzentwurf soll eine EU-Richtlinie umsetzen und regeln, wie Deutschland als EU-Mitgliedstaat den Anbau von genmanipulierten Pflanzen einschränken oder verbieten kann. Da das Bundeslandwirtschaftsministerium die Umsetzung von EU-Recht nicht verweigern und verhindern kann, hat man sich folgende absurde Regelungen ausgedacht: Erstens. Sechs Bundesministerien müssen in kürzester Zeit nach dem Antrag eines Saatgutkonzerns im Einvernehmen entscheiden, ob der Anbau einer Genpflanze in Deutschland zugelassen werden soll. Zweitens. In derselben Zeit soll die Mehrheit der Bundesländer zwingende Gründe benennen, um ein Anbauverbot durchzusetzen. Drittens. Alle Beteiligten müssen sich innerhalb von knapp sechs Wochen einigen – wie das gehen soll, ist mir absolut unklar –: (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Einvernehmen mit Bildung und Forschung, mit Wirtschaft und Energie, mit Arbeit und Soziales, mit Gesundheit und letztendlich auch mit Umwelt, Naturschutz und Bauen. Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Wenn in dieser Zeit keine Einigung erzielt wird – was man mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen kann –, müsste jedes der 16 Bundesländer selbst ein Anbauverbot erlassen. Das alles gilt für jeden einzelnen Antrag und für jede neue Gentech-Pflanze der Konzerne. Das ist ein absurdes Arbeitsbeschaffungsprogramm, nicht nur für die Landwirtschafts- und Umweltministerinnen und -minister der Länder. Die Folgen sind gravierend: Deutschland wird zu einem Gentech-Flickenteppich. Einzelne Bundesländer erlassen ein Anbauverbot, andere möglicherweise nicht. Das Problem ist: Wind und Bienen interessiert das nicht. Sie tragen die manipulierten Pollen trotzdem über die Ländergrenzen hinweg. Ein gentechnikfreier Anbau wird damit unmöglich. Eine saubere Ernte ist nicht mehr gewährleistet. Der ökologische Landbau, bei dem Gentechnik ausgeschlossen bzw. verboten ist, kann nicht mehr für saubere Erzeugnisse garantieren. Die Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“ ist damit für die Katz’. Hier wird Verbraucherinnen und Verbrauchern der Genuss von Gentechnik über bürokratische Winkelzüge aufgezwungen. Das macht die Linke nicht mit, Herr Schmidt. (Beifall bei der LINKEN) Herr Minister, wenn Sie die Grüne Gentechnik unbedingt haben wollen, dann sagen Sie es auch. Sagen Sie es vor allem Ihren Bauern in Bayern. Ich kenne kein Bundesland, in dem es schon seit vielen Jahren so viele gentechnikfreie Regionen gibt wie im schönen Bayern. (Christian Schmidt, Bundesminister: Es gibt nur gentechnikfreie Regionen! Sagen Sie die Wahrheit!) Aus gutem Grund: Die Menschen wissen um die Gefahren, die mit solchen Eingriffen in die Natur verbunden sind. Nur zur Erinnerung: Gentechnik in der Landwirtschaft schafft Probleme; sie löst sie nicht. Gentechnik lohnt sich nur auf großen Anbauflächen. Monokulturen werden gefördert. Das führt erfahrungsgemäß zu einem höheren Einsatz von Pestiziden. Das krebsverdächtige Glyphosat gefährdet nicht nur Mensch und Umwelt; auch die Vielfalt von Insekten und Kleinstlebewesen geht zurück. Wenige gentechnisch hochgezüchtete Pflanzen verdrängen viele alte robuste Sorten. Dadurch wird die Vielfalt der Nutzpflanzen reduziert. Das gefährdet auch langfristig die Ernährungs- und Versorgungssicherheit der Bevölkerung. Nach wie vor sind die Risiken der Grünen Gentechnik nicht abschließend und ausreichend erforscht. Letztendlich geraten Bauern durch diese patentierten Genpflanzen in die Abhängigkeit von Agrarkonzernen, die mit Knebelverträgen die Existenzen kleinbäuerlicher Landwirte gefährden. Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, so etwas mitmachen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir fordern deshalb, dass die einfache Mehrheit der Bundesländer für ein deutschlandweites Anbauverbot gentechnisch manipulierter Pflanzen ausreicht. Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Elvira Drobinski-Weiß hat als nächste Rednerin für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Vor etwas mehr als einem Monat habe ich hier das letzte Mal zum Thema Gentechnik gesprochen. Damals habe ich gesagt: Wir werden den Gesetzentwurf genau prüfen. – Inzwischen haben wir genau geprüft. Eines kann ich ganz sicher sagen: So wie das Gesetz jetzt aussieht, wird es mit uns nicht durchgehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Wir – das gilt bestimmt auch für den Minister und den Koalitionspartner – wollen ein rechtssicheres bundesweites Verbot von Gentechnik auf den Weg bringen. (Beifall bei der SPD) Was wir nicht wollen, ist ein Flickenteppich, in dem einige Bundesländer Anbauverbote erlassen und andere eben nicht, sei es aus politischen Gründen, weil der Prozess zu kompliziert ist, sei es, weil die Behörden mit Klagen von Gentechnikkonzernen überzogen werden, denen sie nicht standhalten können; denn Pollen machen schließlich nicht an der Landesgrenze halt. Herr Minister Schmidt, Sie haben immer wieder und auch gerade zu Beginn Ihrer Rede betont, dass Sie das Gesetz für die Länder und mit den Ländern machen wollen. Gegen diesen Entwurf aber laufen die Länder Sturm. Sie werden die zahllosen Änderungsanträge aus dem Bundesrat wohl kennen. Ein Gesetz, das so sehr auf die Mitwirkung der Länder baut, muss deren Bedenken berücksichtigen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bedenken Nummer eins: In Phase 1, in der das BMEL die Saatgutkonzerne bitten soll, Deutschland von Anbauanträgen auszunehmen, müssen sechs Ministerien ein Einvernehmen herstellen. Das ist kompliziert, das ist zeitaufwendig und störanfällig. Keines der Bundesländer, egal in welcher Regierungskoalition, will diese Regelung. Das Landwirtschafts- und das Umweltministerium daran zu beteiligen, das reicht völlig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Warum um Himmels willen soll zum Beispiel das Forschungsministerium eingebunden werden? Die Forschung ist doch vom Verbot überhaupt nicht betroffen. Im Gegenteil: Sie ist ausdrücklich ausgenommen. Ich finde es reichlich befremdlich, wenn so getan wird, als bedeute ein Verbot des kommerziellen Anbaus für gentechnisch verändertes Saatgut auf freiem Feld, das die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land will, das Ende des Forschungsstandorts Deutschland. Das ist einfach Unfug. Wer so argumentiert und gleichzeitig immens hohe Hürden für Anbauverbote ins Gesetz schreibt, ist offenbar gar nicht wirklich bemüht, für gentechnikfreie Äcker zu sorgen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn in der Kabinettssitzung dem Vorsorgeprinzip dann noch mal eben ein Innovationsprinzip in der Gesetzesbegründung an die Seite gestellt wird, etwas, was sich unter anderem die großen Chemie- und Saatgutkonzerne ausgedacht haben, dann frage ich mich schon, wohin das Landwirtschaftsministerium bzw. das Forschungsministerium eigentlich will. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo es seine Texte herbekommt!) Geht es hin zu einer Aufweichung des Vorsorgeprinzips? Das kann wohl nicht allen Ernstes das Ziel sein. Für die SPD gilt: Der Schutz der Umwelt, der Ökosysteme und der Gesundheit der Menschen und Tiere hat oberste Priorität. Sie, Herr Minister, haben selbst immer betont, Phase 1 solle der Regelfall sein; denn sie bietet hohe Rechtssicherheit. Ich sehe es deshalb als unsere Pflicht an, Phase 1 so praktikabel zu machen, dass sie überhaupt angewendet werden kann. Wir brauchen eine schlanke, eine unbürokratische, eine klare und eine schnell umsetzbare Regelung. (Beifall bei der SPD) Das zweite große Problem in diesem Entwurf ist die Aufgabenverteilung bei der Formulierung der Begründungen für die Anbauverbote. Die Länder sagen ganz klar, dass sie damit überfordert sind. Ja, kein Wunder, in den Landesministerien ist in der Regel ein einziger Referent dafür zuständig, der meist auch noch andere Aufgaben hat. Der soll dann im Zweifelsfall gegen Monsanto oder Bayer antreten und darlegen, warum die Begründung nicht wasserdicht ist. Das Bundesministerium und die Bundesbehörden haben einen großen Personalstab und ganz andere Ressourcen. Deshalb muss im Gesetzestext unmissverständlich klargestellt werden: Die Länder müssen nur die wesentlichen Punkte ihrer Entscheidung zuliefern, und in Phase 2, dem gesetzlichen Verbotsverfahren, trägt der Bund die Verantwortung für die Begründung. Die Länder werden vom Bund unterstützt. Das, denke ich, ist doch in unser aller Interesse, wenn wir tatsächlich gentechnikfreie Äcker in Deutschland haben wollen. Ich hoffe sehr, dass wir gemeinsam noch zu einer guten Lösung kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Ich möchte an das erinnern, was im Koalitionsvertrag steht – auch der Minister hat vorhin daran erinnert –: Wir nehmen die Bedenken der Menschen gegenüber der Grünen Gentechnik ernst. (Beifall bei der SPD) Wenn wir es wirklich ernst meinen, müssen wir jetzt auch liefern. Dazu braucht es noch ein paar Änderungen, über die wir sicher konstruktiv sprechen werden. Wie hat es unser Kollege Peter Struck früher so treffend formuliert: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es eingebracht worden ist. In diesem Sinne: Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schmidt, das Loblied, das Sie gerade auf Ihr Gesetz gesungen haben, hat sich schön angehört. Es freut uns auch, dass Sie sich heute so freuen – aber es gibt dazu leider keinen Anlass. Denn gut findet dieses Gesetz außer Ihnen wirklich niemand – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir nicht – das wundert Sie nicht –, auch die SPD angeblich nicht – wo war eigentlich Ministerin Hendricks beim Kabinettsbeschluss? –, die Bundesländer genauso wenig wie die Umwelt- und Bioverbände und sogar der Deutsche Bauernverband nicht. Niemand hält dieses Gesetz also für gelungen, Herr Minister. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das stimmt allerdings nicht ganz; denn die Industrie freut sich. Von der haben Sie sich ja – wir haben es schon gehört – ganz neue Begriffe ins Gesetz diktieren lassen. Auf deren ausdrücklichen Wunsch wollen Sie mit einem nicht definierten „Innovationsprinzip“ das Vorsorgeprinzip abschießen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben Sie einen Abschnitt zur neuen Gentechnik in letzter Minute vor der Kabinettsabstimmung in das Gesetz geschmuggelt. Die Nadel, mit der das gestrickt wurde, war so heiß, dass Sie dann auch noch den falschen Text an den Bundesrat übermittelt haben. Das ist ja wirklich oberpeinlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was steht in dem Abschnitt, den auch die Verbände und Ihr Koalitionspartner offenbar lieber nicht zu Gesicht bekommen sollten? Sie wollen tatsächlich neue Gentechnikverfahren nicht wie Gentechnik behandeln. Sie wollen tatsächlich neue Gentechnikpflanzen unkontrolliert auf unsere Äcker und Teller lassen. Aber auch neue Gentechnik ist Gentechnik; da gibt es kein Vertun. Das haben juristische Gutachten auch im Auftrag der Bundesregierung schon längst klargestellt. Und wo Gentechnik drin ist, muss auch „Gentechnik“ draufstehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dass Bayer und Monsanto das nicht wollen, konnten wir diese Woche in einem großen taz-Interview mit Bayer-Vorstand Condon lesen. Die wollen Gentechnik ohne Regulierung und Auflagen anwenden, und Sie, Herr Minister, machen das mit und schreiben es gleich dienstbeflissen in Ihr Gesetz. Aber auch ohne diesen Coup ist Ihr Gesetz schlicht untauglich. Ein derart vorsätzlich dysfunktionales Gesetz ist eine Zumutung für jeden Gesetzgeber. Sie haben die Eckpunkte aus den Verhandlungen mit den Ländern eben nicht berücksichtigt. Das hat auch der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz des Bundesrates am Montag eindrucksvoll klargestellt. Sie haben Schikanen ins Gesetz eingebaut, die Anbauverbote effektiv verhindern, und stattdessen die Einfallstore für Gentechnik weit geöffnet. Sage und schreibe sechs Bundesministerien müssen sich in kurzer Frist über Gründe für Anbauverbote einigen, und da schaffen Sie ein explizites Vetorecht für einzelne Ministerien, obwohl ein Handeln der Bundesregierung reichen würde. Wie soll das denn klappen, wenn man sich schon über Einzelregelungen für dieses Gesetz über ein Jahr nicht einigen kann? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) Außerdem wollen Sie den Bundesländern die ganze Last der juristischen Begründung aufbürden. In Phase 1, wo das nach EU-Recht überhaupt nicht erforderlich ist, satteln Sie ohne Not auf EU-Recht drauf und erschweren das Verfahren. Aber zum Ausstieg aus dem Ausstieg reicht schon ein einzelnes Bundesland, und schwups wird ein bestehendes nationales Anbauverbot wieder aufgehoben. Dieses Verbot wurde zunächst mühsam auf den Weg gebracht, einer schert aus, und ein Land kippt das ganze Verbot. Das ist kein Anbauverbot. Das ist doch ein Pseudogesetz. Verbot geht nimmer, Anbau immer. Da hilft es auch nicht, dass aktuell drei Genmaissorten bereits in Phase 1 vom Anbau in Deutschland ausgenommen sind. Der Gentechnik-Flickenteppich ist damit vorprogrammiert. Das kritisiert auch der Deutsche Bauernverband. (Christian Schmidt, Bundesminister: Hören Sie doch auf mit dem Quatsch!) Herr Schmidt, Sie wollten doch von Anfang an nicht, dass es rechtssichere, flächendeckende Anbauverbote auf Bundesebene gibt. Ihr Credo ist doch ohnehin: Soll doch jeder machen, was er will! Außerhalb Bayerns die Sintflut! Die Anbauverbote sollen ja – das hat die SPD gerade schon gesagt – ganz offensichtlich nicht funktionieren. Mit den Worten „mehr Murks als Kompromiss“ oder „Angst vor Konzernen“ haben die Medien Ihr Gesetz kommentiert. Diesen Murks braucht außer Bayern, Bayer und Monsanto wirklich niemand. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihr Koalitionspartner kämpft ganz offensichtlich für Gentechnikanbau in Deutschland. (Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämte Aussage!) Befreien Sie sich spätestens jetzt aus der großen Gentechnik-Koalition. Besser gar kein Gesetz als dieses schlechte Gesetz. Dieses Gesetz darf – frei nach Struck – den Bundestag gar nicht erst verlassen. Die bessere Alternative gibt es ja schon. Es gibt den Gesetzentwurf des Bundesrates. Den haben Sie einfach liegen lassen. Beenden Sie doch endlich diesen Affront gegenüber den Bundesländern! Lassen Sie uns zusammen diesen vernünftigen und im Übrigen funktionsfähigen Gesetzentwurf für dauerhaft gentechnikfreie Äcker in Deutschland umsetzen, und schreddern Sie Ihr verschwurbeltes Machwerk, Herr Minister! Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege de Vries für die Fraktion der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Kees de Vries (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Zuhörer auf den Tribünen! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Ich habe hier einen wunderbaren Vortrag liegen, den ich jetzt in die Tonne kloppen kann. Ich habe mich einfach geirrt. Ich habe gedacht, dass man, wenn eine Koalition einen Gesetzentwurf beschlossen hat, darauf vertrauen kann. Offenbar ist das nicht der Fall. (Widerspruch bei der SPD – Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Wir sind das Parlament!) – Natürlich sind wir das Parlament. Aber ich kann doch davon ausgehen, dass auch die SPD in Abstimmung mit ihrem Minister ist. Aber anscheinend ist das nicht der Fall. (Zuruf von der SPD: Das ist ja nicht unser Minister! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja gleich die Koalition aufkündigen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es spricht der Parlamentsvertreter der chemischen Industrie!) Frau Binder hat gefragt, worüber wir hier eigentlich reden. Ich will mal versuchen, klarzustellen, worüber wir hier eigentlich reden. Wir reden hier über ein Verbot, das fachlich eigentlich nicht zu begründen ist. Ich hätte das hier in einem anderen Zusammenhang nennen wollen, aber auch Sie alle haben diesen Prospekt bekommen. Da steht: „Eine Blockade der Gentechnik ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh!) Unterschrieben, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das inzwischen von mehr als 140 Nobelpreisträgern. Darin gipfelt diese Problematik jetzt. Zum Glück gibt es in Europa noch vernünftige Leute. Das, was wir eigentlich wollten, nämlich ein Totalverbot in Europa, ist nicht zu handhaben. Da haben wir es. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also Sie wollen die Gentechnik haben?) – Ja, Herr Ebner, ich sehe die Gentechnik nicht als dieses gefährliche Schreckgespenst, das Sie immer an die Wand malen und womit Sie offenbar auch Erfolg haben. – Sogar die SPD hat sich irreführen lassen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist mit Ihrem Minister?) Was soll das hier eigentlich? Frau Drobinski-Weiß, nehmen Sie es mir nicht übel, aber: Wenn Sie Ihren Verstand und Ihre Vernunft, die Sie, glaube ich, doch haben, genutzt hätten, dann hätten Sie hier heute etwas anderes vorgetragen. Wir müssen anscheinend damit leben, dass wir diese Diskussion heute noch nicht abschließen können. Das wollte ich eigentlich vortragen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Tun Sie das!) Wir werden wahrscheinlich noch einmal über etwas diskutieren müssen, was nach wie vor fachlich eigentlich nicht zu begründen ist. Aber wir haben der Opt-out-Regelung zusammen zugestimmt. Lassen Sie mich das auch klar sagen: Wir haben das hier beschlossen, und zwar nicht aus fachlichen Gründen. Wir haben nur gesagt: Wenn 88 Prozent unserer Bevölkerung dagegen ist, dann müssen wir darauf eingehen. Das ist keine fachliche Begründung. Jetzt sind wir in der Verlegenheit, einen Beschluss, den wir nicht fachlich begründen können, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie vielleicht nicht, wir schon!) fachlich begründen zu müssen. Da kommt es. Da hat unser Minister einen sehr vernünftigen Kompromiss gefunden. Er sagt: Okay, wir übernehmen jetzt die Verantwortung. Aber ich sehe das Problem, dass wir die Begründung nicht liefern können. Liebe Länder – ich wiederhole: 88 Prozent der Bevölkerung sind dagegen –, wir müssen das aber territorial begründen. Also gebe ich Ihnen die Chance, das noch zu machen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die beschweren sich!) Herr Ebner, Sie sagen: Affront gegen die Länder. Gleichzeitig sagen Sie: Wir bekommen die Einheitlichkeit in den Ländern nicht hin. – Was ist denn eigentlich mit den Ländern? Sind die nun für oder gegen Gentechnik? Wenn 88 Prozent gegen Gentechnik sind, wo liegt dann das Problem mit dieser Gesetzgebung? Ich verstehe das nicht. Wenn das einmal kippt – das ist wahrscheinlich das, wovor Sie Angst haben, nämlich dass die Menschen irgendwann einmal zur Vernunft kommen und anders nachzudenken anfangen –, dann wäre es angebracht, noch einmal neu zu diskutieren. (Mechthild Rawert [SPD]: Nichts gegen meine Berlinerinnen und Berliner!) Wo liegt das Problem? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einer reicht! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie dann keinen großflächigen Versuchsanbau in Sachsen-Anhalt?) Ich habe Ihnen immer wieder gesagt: Ich bin nicht für die Herbizidresistenz. Ich sehe zurzeit kein GVO-Produkt, das ich als Landwirt anbauen will. Aber ich sage auch: Diese Grüne Gentechnik bietet uns Chancen. Irgendwo in meinem Vortrag sage ich auch immer: Deutschland war immer führend. Über Jahrhunderte war Deutschland bei der Entwicklung moderner Landwirtschaft führend. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles altmodische Landwirtschaft aus dem letzten Jahrhundert!) Dazu haben unter anderem Gregor Mendel und Justus von Liebig wesentlich beigetragen. Jetzt wollen Sie diese Position, diese Ausnahmeposition Deutschlands einfach hinwegfegen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Technologiegläubig!) Ich habe gedacht, dass wir diese eigentlich schon überholte Diskussion hier nicht mehr führen. Die konventionelle Grüne Gentechnik – so nenne ich sie jetzt einmal – ist eigentlich schon vorbei. Wir reden eigentlich schon über die neue Gentechnik und über die neuen Züchtungstechniken. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Da haben Sie ja was ins Gesetz geschmuggelt!) – Genau. CRISPR/Cas9, ohne Artensprung, Herr Ebner! Aber auch das wollen Sie schon verbieten. Ich verstehe die Welt hier nicht mehr. (Mechthild Rawert [SPD]: Das passiert manchmal!) Wir leben immer noch in einer Demokratie. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut so, und das soll auch so bleiben!) Wenn es dann notwendig ist, dass wir noch einmal diskutieren, dann soll es eben so sein. Meine Aussage ist: Das von unserem Minister vorgelegte Gesetz ist ausgewogen und sicher. Es ist das Resultat eines demokratischen Prozesses, wie er zu führen ist, wenn in diesem Hohen Hause unterschiedliche Meinungen herrschen. Ich dachte: Wir haben einen Beschluss. – Ich stehe zu diesem Beschluss. (Dagmar Ziegler [SPD]: Es ist ein Entwurf!) Ich bitte hier immer noch um Zustimmung zu diesem Beschluss. Alles andere muss ich jetzt abwarten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen wir fast auch noch applaudieren! Das war so schön klar pro Gentechnik!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Matthias Miersch (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist doch wieder eine Sternstunde der Demokratie. Die Zuschauerinnen und Zuschauer können sehen, wie unterschiedlich die Meinungen sind. Nur, Herr De Vries, für Ihre vielen Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU will ich in Anspruch nehmen: Es sind ganz wenige, die über Grüne Gentechnik so denken wie Sie. Viele, glaube ich, die in diesem Raum sitzen, haben genau die gleiche Kritik, die wir hier auf dem linken Spektrum geäußert haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ganz viele in diesem Haus haben ein großes Selbstbewusstsein und sagen: Wenn die Regierung einen Gesetzentwurf vorlegt, dann fängt die Arbeit des Parlaments erst an. Wir sind hier doch nicht ein Abnickverein, sondern wir beschäftigen uns mit Gesetzen; das ist unsere Aufgabe. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre doch mal schön!) Um Ihnen noch ein bisschen Orientierungsmöglichkeit zu geben – Sie haben von Spickzetteln gesprochen –: Einen Spickzettel sollten Sie sich immer vornehmen, und zwar ganz am Anfang einer Legislaturperiode, und das ist der Koalitionsvertrag. (Sybille Benning [CDU/CSU]: Genau!) In diesem Koalitionsvertrag steht eindeutig, dass wir die Sorgen und Ängste ernst nehmen. Insofern passt Ihre Rede überhaupt nicht zu dem, was wir am Anfang dieser Legislaturperiode miteinander vereinbart haben, Herr De Vries. (Beifall bei der SPD) Nun zu dem Gesetzentwurf. Elvira Drobinski-Weiß hat das Notwendige in Sachen Durchsetzungsfähigkeit bereits gesagt. Herr Schmidt, als Kollege von Ihnen, als Jurist, sage ich Ihnen: Ich werde immer ein bisschen misstrauisch, wenn das Argument kommt: Es muss rechtssicher sein. (Christian Schmidt, Bundesminister: Ach so?) Rechtssicherheit würde ich mir in der Form wünschen, dass Sie zum Beispiel da, wo Sie feststellen können, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen Gesetze verstößt, aus Ihrem Hause heraus ganz schnell Abhilfe schaffen. Warum machen wir nichts gegen das Vertragsverletzungsverfahren, bei dem es um die Nitratbelastung des Grundwassers geht? (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn man dem Recht anhängt, müsste man als Minister doch ganz schnell tätig werden, oder nicht? Insofern glaube ich: Wir müssen schon ein bisschen Mumm haben miteinander; denn hier – da haben Sie vollkommen recht – betreten wir teilweise juristisches Neuland. Aber warum, Herr Minister Schmidt, machen Sie sich so klein? Es fehlt irgendwie nur noch, dass Sie auch die Verteidigungsministerin noch fragen, wenn Sie ein Anbauverbot durchsetzen wollen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pollen fliegen über Grenzen! Gute Idee!) Eine Einvernehmensregelung mit sechs Ministerien! Warum haben Sie nicht den Mumm und sagen: „Wir sind das federführende Ministerium. Wir wollen Landwirte vor Kontaminationen schützen. Deswegen machen wir das selbst“? Wir brauchen doch kein Einvernehmen. Dann fragen Sie vielleicht auch noch den Verkehrsminister, weil Sie Rapspflanzen an den entsprechenden Grünflächen feststellen können. Das kann doch kein wirkungsvoller Vorschlag sein, Herr Minister Schmidt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Harald Ebner, jetzt lass mich doch erst einmal reden. Wenn du eine Frage hast, dann frage. (Heiterkeit bei der SPD) Ich beantworte sie dir auch, ich brauche noch ein paar Minuten. (Heiterkeit bei der SPD) Aber eine Sache, Herr Minister Schmidt, müssen wir miteinander sehr genau besprechen. Der Kollege Ebner hat in der Tat recht. Es ist in einer, soweit ich recherchiert habe, Nacht-und-Nebel-Aktion eine Begrifflichkeit in den Begründungstext gekommen, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) die lautet, dass wir neben dem Vorsorgegrundsatz plötzlich das sogenannte Innovationsprinzip berücksichtigen sollen. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss ich sagen, gehen alle Alarmglocken an. Dann sehen wir uns einmal an, was das eigentlich soll. Wir haben gerade im Rahmen der Debatten um Freihandelsabkommen immer wieder rauf und runter betont, wie wichtig das Vorsorgeprinzip der Bundesrepublik Deutschland ist. Das Bundesverfassungsgericht hat ein hervorragendes Urteil in Sachen Grüne Gentechnik gefällt, wo es vor allem mit dem Vorsorgeprinzip, also mit dem Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, operiert. Wie kommt es nun zu dem „Innovationsprinzip“? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wüssten wir auch gerne!) Elvira Drobinski-Weiß und ich haben den Wissenschaftlichen Diensten einen Auftrag gegeben. Das Ergebnis ist sehr spannend zu lesen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die Quelle! VCI!) Es fängt offenkundig mit einem Brief der Wirtschaft vom 24. Oktober 2013 an die EU-Institution an, wo man sagt, es muss so etwas wie ein Innovationsprinzip neben das Vorsorgeprinzip gestellt werden, um Innovationen walten zu lassen. Da haben sie auf Granit gebissen. Dann haben sie am 4. November 2014 einen weiteren Brief geschrieben. Dann gibt es ein sogenanntes European Risk Forum. Auch dort wird immer wieder lobbyiert. Bis jetzt habe ich keine gesetzliche Grundlage gefunden, die das im Rahmen der EU aufgreift. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es auch nicht!) Das deutsche Bundeslandwirtschaftsministerium macht als Erstes überhaupt – wir werden das erforschen; ich habe erst gestern das Gutachten bekommen – den Versuch, indem sie in diesem Gentechnikgesetz neben dem verfassungsrechtlich verbrieften Vorsorgegrundsatz das „Innovationsprinzip“ benennt. Herr Minister Schmidt, wir werden viel miteinander aufzuklären haben, was Sie damit machen. (Beifall bei der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da ist eine Erklärung nötig!) Ich sage Ihnen allerdings, die SPD-Bundestagsfraktion wird Ihnen das nicht durchgehen lassen. Der Vorsorgegrundsatz ist für uns unverrückbar. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön! Dann klatschen wir doch auch einmal! Die Opposition in der Großen Koalition!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Stephan Albani hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Albani (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ein Forschungspolitiker verirrt sich unter die Landwirte. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir ahnen schon, was kommt!) – Alles gut. – Den Forschern ist zu eigen, dass sie zwar genauso leidenschaftlich, aber in der Regel wesentlich ruhiger sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!) Ich möchte an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt im Jahr einen Vorschlag für zwei Unworte machen. Das eine ist „postantibiotisch“, und das andere ist „postfaktisch“. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um es einmal deutlich zu machen: Wer diese Worte führt, verniedlicht zwei Dinge, die uns große Angst machen sollten. „Postantibiotisch“ bedeutet, dass wir an dieser Stelle keine Antibiotika, keine Möglichkeiten mehr haben. Wir kapitulieren vor den Resistenzen. Das darf nicht sein. (Beifall der Abg. Kordula Kovac [CDU/CSU]) Das heißt, an dieser Stelle müssen wir vonseiten der Forschung in Zukunft neue Wirkstoffe entwickeln. Wir haben mit diesem Haushalt erste Schritte in die richtige Richtung gemacht. Das zweite Wort macht mir viel größere Sorge. „Postfaktisch“ bedeutet, dass wir uns mehr von Emotionen, mehr von Sorgen und Ängsten leiten lassen als von den Fakten, die wir in aller Gemütsruhe bewerten. (Beifall bei der CDU/CSU) Den Gesetzentwurf, der hier vorliegt, fasse ich so zusammen, dass er auf der einen Seite die Gentechnikskepsis innerhalb der Bevölkerung bewertet und berücksichtigt, auf der anderen Seite aber die föderale Zuständigkeit in Deutschland weiterhin wahrt und zu guter Letzt die breiten Ressortkompetenzen der Bundesregierung vom Bundesministerium für Ernährung für Landwirtschaft bis hin zum BMBF mit in die Entscheidung einfließen lässt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das ist wichtig!) Ob das dann sechs sein müssen oder nicht, darüber kann man diskutieren, aber mir ist es insbesondere wichtig, dass die Forschung mit ihrer Kompetenz in diesem Zusammenhang gewahrt bleibt. Das ist wichtig, und das ist richtig so. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um kommerziellen Anbau und nicht um Forschung!) Wir wollen auch über die Zukunft der Landwirtschaft und der Pflanzenzüchtung reden. Anders als Rote und Weiße Gentechnik hat die Grüne Gentechnik ein erhebliches Problem; das wissen wir alle nur zu gut. Früher war es bei Innovationen in der Roten Gentechnik ähnlich. Ein Beispiel aus der Geschichte zeigt ein typisch deutsches Problem: Synthetisch hergestelltes Insulin war in den 1980er- und 1990er-Jahren eine Biotech-Innovation. Frankfurter Forscher entwickelten 1982 die massenproduktionstaugliche Insulinsynthese mit Mikroorganismen. Damals gab es Ressentiments, und zwei Jahre später verbot das hessische Umweltministerium den Betrieb einer ersten Versuchsanlage. Erst 1999 kam das neue Humaninsulin schließlich zum Patienten, allerdings zunächst aus den USA. – Chance verpasst, könnte man an dieser Stelle sagen. Heute genießt das synthetische Humaninsulin breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Kaum ein Patient würde es ablehnen und auf Rinder- und Schweineinsulin bestehen. Warum? Weil es einen gewaltigen Nutzen hat: Kein Tier muss für die Herstellung sterben, es kommt zu keinen Versorgungsengpässen, es ist verträglicher und bioidentisch zum natürlichen Humaninsulin. Genau darum geht es: GVO-Produkte müssen einen klaren Mehrwert für die Endverbraucher haben. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, es geht nicht um Insulin, es geht um Pflanzen!) – Das habe ich doch gerade gesagt; hätten Sie einmal den nächsten Satz abgewartet. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entweder Sie haben es gesagt oder nicht!) Das ist das große Defizit, das wir momentan bei GVO-Innovationen im Bereich der Landwirtschaft haben. Gentechnik aus Menschenhand als Eingriff in die DNA von Pflanzen und damit von Nahrungsmitteln und Ähnlichem ist nicht prinzipiell ein Eingriff in den göttlichen Bauplan, der etwas Dramatisches darstellt. Pflanzenzüchtungen beruhen auf der Tatsache, dass man spontane Mutationen abwartet, selektiert und beobachtet: Was ist nützlich, was ist risikoarm usw. usf.? Wir provozieren diese Mutationen mit Chemie und mit Strahlung, um auf diese Art und Weise schneller voranzukommen. Und was wir jetzt mit CRISPR/Cas9 und anderen Methoden haben ist gezielt und keine Genomlotterie mehr. Wir können Genome direkt ändern, das heißt aber nicht, dass wir die Risiken an dieser Stelle, wie wir sie im Medikationsbereich und in anderen Bereichen genau im Fokus haben, nicht berücksichtigen müssen. Das ist eine elementare Grundvoraussetzung! Denn: Man sollte es nur tun, wenn wir wissen, was wir tun. Und es ist notwendig, dass wir Forschung dabei berücksichtigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich schließe mich, wie bereits einer meiner Vorredner, der Meinung von 113 Nobelpreisträgern an – bei mir sind es 113, vielleicht sind es jetzt mehr geworden –, die sagen, dass eine Blockade der Gentechnik auf Dauer nicht sinnvoll ist und die Menschlichkeit an dieser Stelle dahin gehend gewahrt bleiben muss, dass wir die Chancen, die diese Techniken bieten, auch in der Zukunft wahrnehmen können. Es ist unsere Verantwortung, das Verhältnis zwischen Chancen und Risiken, Forschung und Folgenabschätzung, Hoffnung und Sorgen wieder ins Lot zu bringen – auf der Basis von Fakten. Bei einem Expertengespräch in dieser Woche brachte es Herr Dr. Rehberger vom Forum Grüne Vernunft auf den Punkt, als er die Motivation für sein Engagement für die Gentechnik erläuterte. Er sagte: Nicht für mich als 78-Jährigen wird dies noch Nutzen bringen, aber für die zukünftigen Generationen ist es eine Verpflichtung. Dieser Verantwortung und dem notwendigen Gleichgewicht wird der Entwurf des Vierten Gentechnikänderungsgesetzes aus meiner Sicht gerecht. Er ermöglicht die Anwendungsforschung, aber auch Anbauverbote, wenn die Risiken zu groß erscheinen oder nicht absehbar sind. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt Vernebelungstaktik!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10459 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a und 34 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Katja Kipping, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Alleinerziehende entlasten – Umgangsmehrbedarf anerkennen Drucksache 18/10283 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Lebenssituation von Alleinerziehenden deutlich verbessern Drucksachen 18/6651, 18/10106 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bereden heute zwei Anträge. Zu dem Antrag zum Mehrbedarf beim Umgang wird nachher meine Genossin Hupach sprechen. Ich rede zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu unserem Antrag. Dieser Antrag ist ein bunter Strauß von familienpolitischen Maßnahmen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ein wohlduftender Strauß!) – „Ein wohlduftender bunter Strauß“, vielen Dank, Herr Vorsitzender des Familienausschusses. – Dieser Antrag ist schon über ein Jahr alt. Wir wollten der Bundesregierung Gelegenheit geben, zu zeigen, dass sie Vorschläge umsetzen kann, dass sie unsere Anregungen aufnimmt und umsetzt. Das hat sie partiell auch getan: Beim Kitaausbau ist die Bundesregierung zumindest partiell in die Spur gekommen, und die Kürzungen im Bereich Jugendhilfe sind zurückgenommen worden; dahin gehend hat sich der Antrag sogar erledigt. In dem Antrag geht es auch um das Gender Pay Gap, also darum, Lohnlücken zu schließen. Es geht ferner um Rahmenbedingungen für die berufliche Orientierung und die Verbesserung der Qualifikation von Alleinerziehenden. (Unruhe bei der CDU/CSU) – Die Union quatscht wieder. Sie scheint das nicht zu interessieren; aber das wundert mich nicht. Darauf komme ich gleich zurück. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Doch, ich lausche!) Außerdem geht es darum, das Elterngeld nicht auf Transferleistungen anzurechnen, und um den Unterhaltsvorschuss. Aufgrund der Kürze meiner Redezeit will ich mich auf ein Thema fokussieren, nämlich auf das Unterhaltsvorschussgesetz. In der letzten Woche haben wir in der Haushaltsdebatte hier im Haus über dieses Thema gesprochen. Die Debatte, die hier dazu stattgefunden hat, ist mir nicht aus dem Kopf gegangen. Mir ging immer wieder durch den Kopf, was dazu gesagt worden ist – das wurde auch heute gesagt –: Alle wollen das ändern. Als ich vor elf Jahren frisch vom Familiengericht als Familienrichter hier in den Bundestag kam, lautete mein allererster Antrag, das Unterhaltsvorschussgesetz zu ändern, die Altersgrenze auf 18 Jahre heraufzusetzen und die Bezugsdauer zu entfristen. Seit elf Jahren wird das permanent abgelehnt. Die Grünen wollen das, auch die CDU will das. Letzte Woche hat Herr Weinberg gesagt, das sei schon lange Programm bei der CDU. (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Ja!) Frau Pahlmann von der CDU hat heute Mittag gesagt: Das haben wir in den letzten acht Monaten vorangetrieben. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wo sie recht hat, hat sie recht! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt muss die Ministerin liefern, und dann machen wir das!) Die SPD hat einen Gesetzentwurf erarbeitet. Der Koalitionsausschuss hat sich darauf verständigt, und die Ministerpräsidenten aller Länder haben das im Rahmen der Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzausgleichsregelungen einstimmig beschlossen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die wollen es nur nicht zahlen! Aber das kommt noch!) Dann brachte Frau Schwesig den Gesetzentwurf dazu im Kabinett ein. Man kann sagen: Das Kindergeld wird noch immer voll angerechnet, das ist ein Mangel; aber das ist auch der einzige Mangel. – Im Kabinett wurde der Gesetzentwurf beschlossen. Dann sollte er hier auf die Tagesordnung, doch er wurde wieder zurückgenommen. Und warum? Weil die CDU blockt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein! Falsch!) Die CDU blockt. Kauder sagt: Ich bringe den Gesetzentwurf nicht ein, solange die Finanzierung nicht steht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! So ist es!) Auf der anderen Seite sagt die CDU: Seit acht Monaten treiben wir das voran. – Jetzt steht die Finanzierung nicht, die Länder sagen: Wir haben dafür nicht das Personal. Wer soll das bezahlen? – Schäuble zieht sich aus der Verantwortung zurück. (Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Und wo ist die Verantwortung der Länder, bitte schön? Das ist doch eine Frechheit!) Er hat zwar 18 Milliarden Euro Überschuss, sagt aber: Ach Gottchen, dafür haben wir kein Geld. – Vorher hat er gesagt: Wir haben Spielraum. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eigentlich sind die Länder und Kommunen zuständig!) – Die Länder und Kommunen, ja, natürlich. Aber wissen Sie, das ist ein Argument, das vor fünf Jahren – blöd, dass ich mich so gut erinnern kann – nicht galt. Da wurde die Zahl der Amtsmündel auf 50 reduziert und eine Garantie der Amtsvormünder für das gedeihliche Fortkommen ihrer Mündel eingeführt. Damals habe ich gesagt, als das sofort umgesetzt werden sollte: Dafür haben die Jugendämter überhaupt nicht das Personal. – Da hieß es: Wir müssen das jetzt machen; denn wenn wir so ein Gesetz nicht haben, dann machen die Länder nichts. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es muss nur finanziert werden!) Das scheint ja auch so zu sein. Es wurde gesagt, dass der Gesetzentwurf zum Unterhaltsvorschuss seit acht Monaten vorangetrieben wird. Aber in den Ländern ist nichts passiert. Also brauchen wir dieses Gesetz, damit in den Ländern endlich was passiert. (Beifall bei der LINKEN) Am 8. Dezember, also in sechs Tagen (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Deine Redezeit!) – ja, ich bin sofort fertig – trifft sich Finanzminister Schäuble wieder mit den Ländervertretern. Ich hoffe, dass ihr von der CDU ihm einen ordentlichen Schubs gebt, damit er nicht wie Gollum auf seinem Geldberg sitzt, sondern endlich sein Portemonnaie aufmacht und das finanziert – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr müsst den Ländern einen Schubs geben! Die Länder brauchen einen Schubs! Zahlt Thüringen mit?) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Wunderlich. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): – im Interesse der betroffenen Kinder. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Gudrun Zollner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorliegenden Anträge der Fraktion Die Linke vom November 2015 und November 2016 geben mir heute die Gelegenheit, aufzuzeigen, dass die Bundesregierung bei der Unterstützung und Entlastung von Alleinerziehenden keineswegs versagt hat, wie Sie in Ihren Anträgen unterstellen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Doch!) Vielmehr schafft die Regierung im Rahmen einer modernen und zukunftsweisenden Familienpolitik kontinuierlich Bedingungen, um den sorgenden Eltern die nötige Anerkennung zukommen zu lassen und ihnen eine Perspektive für die eigenständige Gestaltung ihres Lebens zu geben. Wir investieren massiv in unsere Familien. Ich nenne hier nur den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige sowie das Programm „KitaPlus“ für erweiterte Öffnungszeiten. Wir haben den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende erhöht. Gleiches gilt für den Kinderzuschlag, den wir 2017 nochmals aufstocken werden. Insgesamt macht der Familienetat im nächsten Jahr 9,5 Milliarden Euro aus (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist das!) und liegt damit vor den Etats des Bundesinnenministeriums, des Wirtschafts- und des Finanzministeriums. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer da auf die Idee kommt, wir würden zu wenig zahlen, hat die Zahlen nicht im Kopf!) Sie sprechen in Ihrem Antrag auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an. Natürlich haben die Alleinerziehenden besondere Bedürfnisse. Dabei profitieren alle Familien von der verbesserten Betreuungsinfrastruktur. Da die Unternehmen sehr wohl wissen, was sie an gut ausgebildeten Frauen haben, bieten sie längst eine flexible Arbeitszeitgestaltung an, was im Übrigen auch den Vätern zugutekommt. Die von Ihnen geforderte Teilzeitausbildung gibt es längst, und die bestehende Lohnlücke wird durch das Entgeltgleichheitsgesetz geschlossen, wenn Familienministerin Schwesig ihren Gesetzentwurf vorlegt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) Am Anfang dieser Wahlperiode wurde der gesetzliche Mindestlohn eingeführt. Auch das ist eine Verbesserung für Alleinerziehende. Ihre Forderung, den gesetzlichen Mindestlohn unverzüglich auf 10 Euro anzuheben, sollten Sie besser in einem anderen Antrag stellen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann kommen Hunderttausende Kinder möglicherweise aus Hartz IV heraus!) Da ich bei jeder familienpolitischen Debatte hören muss, dass die Union angeblich den Unterhaltsvorschuss blockiert, möchte ich hier klarstellen: Im Juli 2016 haben wir Familienpolitiker der CDU/CSU uns schriftlich an den Bundesfinanzminister gewandt, um die Erhöhung des Bezugsalters von 12 auf 18 Jahre sowie den Wegfall der Bezugsdauer von 72 Monaten voranzutreiben. Auch ich benutze jetzt dieses Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! So sind wir!) Danach hat auch das Familienministerium unsere Forderung unterstützt. Keine andere Maßnahme kommt den Alleinerziehenden so zugute wie diese. Es ist mir völlig unverständlich – das ist auch nicht hinnehmbar –, dass sich 50 Prozent aller Unterhaltspflichtigen der finanziellen Unterstützung ihrer Kinder entziehen und gar nichts zahlen und weitere 25 Prozent nur unregelmäßig und nicht in voller Höhe zahlen. Das müssen wir ändern, und das werden wir ändern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu gibt es einen Kabinettsbeschluss. Bei der Konferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern im Oktober dieses Jahres wurde das bei der Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems auch so beschlossen. Aber eines muss uns auch klar sein: Wir können nicht im Dezember ein Gesetz verabschieden, das bereits im Januar umgesetzt werden soll. Damit würden wir die Kommunen administrativ überfordern. Wir von der Union nehmen die Anliegen der Kommunen ernst. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Habt ihr vor fünf Jahren nicht gemacht!) Diese müssten erheblich mehr Personal einstellen, um die steigende Anzahl an Anträgen bearbeiten zu können. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Habt ihr genau andersrum gemacht!) Meine Kollegin Christina Schwarzer hat vergangene Woche an dieser Stelle die Zahlen ihrer Kommune Neukölln vorgerechnet, wonach sich die Mitarbeiterzahl verdoppeln würde. Verdoppeln und erhöhen sollten die Länder auch die Rückholquoten. Bayern liegt mit 36 Prozent weit an der Spitze, (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das war klar!) wogegen zum Beispiel Bremen mit nur 11 Prozent dauerhaft das Schlusslicht bildet. Dabei bleibt aber immer noch das Hauptproblem. Sie wissen so gut wie ich, dass der Bund nicht alleine in Vorleistung geht. Der Bund zahlt nur ein Drittel der Kosten, die Länder zahlen zwei Drittel. Bei den Ländern regt sich Unmut über die Finanzierung. Familienministerin Schwesig konnte hier leider noch keine Einigung erzielen. Deshalb bitte ich Sie, wehrte Kolleginnen und Kollegen, einmal ein Wörtchen mit ihren Vertretern im Bundesrat zu reden. (Beifall bei der CDU/CSU) In elf Bundesländern sind die Grünen, in drei Bundesländern die Linke an der Regierung beteiligt, beide Parteien stellen je einen Ministerpräsidenten. Warum stellen Sie Ihre Forderungen nicht einmal nachdrücklich an Ihre Landesvertreter? (Beifall bei der CDU/CSU) Noch einmal: Nicht die CDU/CSU blockiert hier, sondern die Verantwortlichen der anderen Parteien. Beschließen und Ankündigen allein reicht nicht. Man muss schon dafür sorgen, dass die Umsetzung und die Finanzierung gesichert sind. Das ist mein Verständnis von verantwortungsvoller Politik. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Geht es Ihnen darum, Frau Schwesig zu beschädigen?) Deshalb ist es vernünftig, wenn das Gesetz zur Ausweitung des Unterhaltsvorschusses zum 1. April oder 1. Juli mit Rückwirkung zum 1. Januar beschlossen wird. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, für vieles, was von Ihnen gefordert wird, ist der Bund nicht zuständig. Dort, wo Sie in Verantwortung sind, hindert Sie niemand daran, Ihre Forderungen umzusetzen. Deshalb lehnen wir, wie aus der Beschlussempfehlung ersichtlich ist, Ihren Antrag ab. Sie schreiben immer wieder Anträge, ohne die Finanzierung mit einem Wort zu erläutern. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Alles durchfinanziert!) Im Gegensatz dazu bringen wir Unionspolitiker Gesetze ein, die umgesetzt werden und – wichtig – finanzierbar sind. Wir reden nicht nur, wir handeln. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Seit elf Jahren ist die Kinderarmut nicht gesunken! Ergebnis eures CDU-Handelns!) Weil wir Familienpolitiker der CSU nicht nur an die Alleinerziehenden von heute denken, sondern auch an die, die vor 1992 Kinder zur Welt gebracht haben, fordern wir die Gleichstellung aller Mütter bei der Rente. (Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, was alleinerziehende Mütter und Väter im Alltag an Herausforderungen bewältigen, um neben allem anderen für ihre Kinder da zu sein und sie bestmöglich zu unterstützen, weiß ich aus eigener Erfahrung. Deshalb sehe ich es als meinen größten Arbeitsauftrag hier im Deutschen Bundestag, so viel wie möglich für die Einelternfamilien zu ermöglichen. Seien Sie versichert: Dafür werde ich mich auch künftig voll und ganz einsetzen. Ich wünsche Ihnen allen noch einen gesegneten zweiten Advent und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Alleinerziehende sind die am schnellsten wachsende Familienform, aber leider auch die ärmste. Viele Alleinerziehende rutschen in die Armut, da drei Viertel von ihnen keinen oder keinen ausreichenden Kindesunterhalt vom anderen Elternteil bekommen. Hier springt der Staat mit dem Unterhaltsvorschuss ein – wir haben es heute gehört –, bisher für maximal sechs Jahre und nur bis zum zwölften Lebensjahr des Kindes. Diese Absurdität wurde zum Glück mittlerweile von allen erkannt. Seit dem Sommer haben wir ein Zickzack, ein Hin und Her. Erst wurde von der Ministerin verkündet, das Alter werde auf 14 angehoben, ein paar Wochen später, auf 16. Dann mischte sich Herr Gabriel ein und sagte: auf 18. Dann sagte Frau Schwesig: Ach, doch, auch auf 18. Irgendwann kündigte Frau Schwesig auch noch an, man würde den säumigen Vätern den Führerschein entziehen. – Das war Teil dieser ganzen Debatte. Dann kam das Versprechen: Ab dem 1. Januar 2017 fallen alle Beschränkungen. Dann kam es ins Kabinett – wir haben es gehört –, aber ohne eine finanzielle Einigung mit den Ländern. Sehr geehrte Damen und Herren, das nennt man klassischerweise einen ungedeckten Scheck. Es ist ein leeres Versprechen, wenn das Geld dafür nicht gesichert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abgg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Jetzt haben wir die Situation, dass sich CDU und SPD gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben. Frau Schwesig sagt: Es sind die Länder. Das machen Teile von Ihnen auch und sagen: Er war’s, er war’s, sie war’s, sie war’s! – Das ist doch kein konstruktives Politikmachen und Regieren, sondern ein verantwortungsloses Handeln auf dem Rücken der Alleinerziehenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es bleibt festzuhalten: Frau Schwesig hat spät agiert und zweifelhafte Zahlen für die Länder vorgelegt. Diese haben gesagt, die stimmten nicht. Die Vereinbarungen wurden nicht genügend schriftlich festgehalten. Jetzt haben wir das Chaos. Wir wollen keine Engel der Alleinerziehenden, sondern gutes Regieren. Das können wir von Ihnen erwarten. Das haben wir in diesem Fall leider nicht gesehen. (Mechthild Rawert [SPD]: Ei, ei, ei!) Jetzt gibt es in diesem Chaos weitere Vorschläge aus den Ländern, zum Beispiel: Einsparungen durch die Abschaffung der Vorrangigkeit des Unterhaltsvorschusses. Das ist die aktuelle Debatte. Man sagt: Wir sparen das Geld bei Kommunen und Ländern, indem der Bund das alles einfach aus dem SGB II zahlt. – Unserer Meinung nach ist das ein falsches Signal. Den Unterhaltsvorschuss bekommen Alleinerziehende nämlich nicht, weil sie arm sind, sondern weil sich der andere Elternteil nicht an der Existenzsicherung des Kindes beteiligt. Das ist ein großer Unterschied. An ihm sollten wir auch weiterhin festhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE]) Außerdem: Wer prüft denn dann wirklich, ob der Unterhaltsvorschuss nicht reicht, um aus dem SGBII-Bezug herauszukommen? Das muss doch unser Ziel sein. Dafür braucht es diese Prüfungen. Wenn wir über die Rückholquote sprechen, muss ich sagen: Wir alle wissen, dass es da falsche Anreize gibt. Die Kommunen machen sozusagen die Arbeit vor Ort, müssen dafür Gelder zur Verfügung stellen und haben eigentlich nichts davon. Jedes Jugendamt sagt: Dann gehe ich lieber direkt in die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. – Das ist vor Ort nachvollziehbar. Wenn wir jetzt noch sagen: „Das Geld kommt eh aus dem SGBII-Topf“, welche Kommune wird denn dann noch in die Rückholung investieren? Keine Kommune! Das Signal an die Elternteile, die nicht zahlen, wäre: Macht euch keine Sorgen, liebe Damen und Herren, ihr braucht nicht zu zahlen. Der Staat zahlt schon. Es gibt ja das SGB II. – Das ist unserer Meinung nach ein komplett falsches Signal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es sei denn, sie dürften das Geld behalten! Dann hätten sie einen Anreiz!) Es gibt Vorschläge, zu sagen: Statt „zwei Drittel, ein Drittel“ machen wir „fifty-fifty“. – Solche Vorschläge halten wir für besser. Wir sind da auch in Verhandlungen mit den Bundesländern; denn ich glaube, das geht uns alle an. Das ist jetzt kein Appell an eine bestimmte Partei, sondern an uns alle: Wir müssen dafür kämpfen, dass diese Leistung nicht einfach ins SGB II abgeschoben wird, sondern eine eigenständige Leistung bleibt. Dafür sollten wir gemeinsam kämpfen. Ich finde, das wäre ein gutes Ziel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der Umgangsmehrbedarf. Wir haben dieses Jahr schon viele Debatten darüber geführt: Was bedeutet es, wenn Eltern getrennt leben und vielleicht sogar beide das Elternsein leben und ihre Zeit gemeinsam mit ihren Kindern verbringen wollen? Wie geht der Staat damit um? Gibt es dafür eher Anreize, oder wird das sogar noch bestraft, indem dann zum Beispiel das Sozialgeld aufgeteilt wird? Wir waren uns hier eigentlich alle einig: Das soll nicht bestraft werden. Es gab hier im Haus sogar eine Zeit – ich erinnere mich an die Debatten –, in der wir gesagt haben: Das soll belohnt werden; das ist ja eigentlich im Sinne des Kindes. – Dann hat die SPD richtigerweise den Vorschlag zum Umgangsmehrbedarf vorangetrieben. Jetzt hören wir: An 60 Millionen Euro scheitert es. – Das kann doch wirklich nicht sein. Es muss doch möglich sein, hier die richtigen Anreize zu setzen, damit sich Eltern gemeinsam um ihre Kinder kümmern können. Diese 60 Millionen Euro müssen drin sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist ein falscher Anreiz!) Ich fände es sehr wichtig, dass wir gemeinsam das Signal an Herrn Schäuble senden: 60 Millionen Euro für Eltern, die ihre Kinder gemeinsam erziehen wollen, müssen möglich sein. Existenzsicherung geht vor. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, alleinerziehende Eltern müssen entlastet werden; denn sie sind ohne Wenn und Aber die Heldinnen und Helden des Alltags. (Beifall bei der SPD) Glauben Sie mir: Ich weiß, wovon ich rede. Die Linke fordert in beiden vorliegenden Anträgen weitere Verbesserungen für Alleinerziehende. Ich werde mich auf den Antrag zum Umgangsmehrbedarf beschränken. Es ist gut, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, dass Sie sich mit diesem Thema befassen. Es ist richtig, dass wir hier im Bundestagsplenum darüber debattieren. Es ist ganz wichtig, dass wir uns für Alleinerziehende und deren Kinder starkmachen; denn sie sind in ihren Lebenschancen immer noch stark benachteiligt. (Birgit Kömpel [SPD]: Richtig!) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir ändern. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Eltern – Mütter, Väter – und Kinder gut leben können. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist ganz wichtig, dass sich Eltern die Verantwortung für ihre Kinder teilen, egal ob sie als Paar oder getrennt leben. (Birgit Kömpel [SPD]: Ja!) Das muss für alle möglich sein und natürlich auch für Eltern gelten, die Sozialleistungen erhalten, also auch für arme Eltern. Alleinerziehende Eltern müssen finanziell so ausgestattet sein, dass die Kinder bei beiden Eltern leben und bei ihnen zu Besuch sein können. Es ist ganz wichtig, dass das für die Kinder möglich ist. Ich finde, das ist eine Selbstverständlichkeit, und das darf nicht am Geld scheitern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Linken zum Umgangsmehrbedarf geht in die richtige Richtung. Auch wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wünschen uns einen finanziellen Ausgleich für den Mehrbedarf, der bei alleinerziehenden Eltern, die Hartz IV beziehen, durch die wechselseitige Betreuung der Kinder anfällt. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die haben doch sowieso schon mehr Geld!) Derzeit ist es so, dass die Sozialleistungen für die Kinder genau abgerechnet und dem Elternteil zugeschlagen werden, bei dem sich das Kind gerade aufhält. Wenn das Kind also normalerweise bei der Mutter lebt und nur am Wochenende beim Vater ist, wird der Mutter das Geld für die Wochenendtage von den Hartz-IV-Leistungen abgezogen. Das ist eine wirklich schlechte Lösung; denn die Mutter hat weiterhin Kosten für das Kind, auch dann, wenn es beim Vater zu Besuch ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese Regelung ist ungerecht und verhindert oft sogar den Kontakt der Kinder zu beiden Elternteilen. Das finden wir schlecht. Hier brauchen wir also eine Lösung, die gut für die Eltern und gut für die Kinder ist. eine Lösung, die obendrein den Amtsschimmel entlastet, den die derzeitige bürokratische Last der tage- und stundenweisen Abrechnungen schon jetzt fast zusammenbrechen lässt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider haben wir bei dieser wichtigen Forderung unseren Koalitionspartner nicht – ich möchte sagen: noch nicht – an unserer Seite. Das ist wirklich schade; denn hier könnten wir gemeinsam mehr Gerechtigkeit für Menschen schaffen, die ganz dringend auf unsere Unterstützung angewiesen sind. (Beifall bei der SPD) Wir werden aber nicht lockerlassen, und vielleicht gelingt es uns, in diesem Punkt noch etwas auf die Beine zu stellen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nein! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gerechtigkeit ist so eine Sache!) Dass dies nicht unmöglich ist, zeigen die letzten drei gemeinsamen Regierungsjahre. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die zeigen eher das Gegenteil!) Mit der CDU/CSU haben wir als treibende Kraft viel auf die Beine gestellt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die SPD ist wieder erfolgreich!) So haben wir erreicht, dass berufstätige alleinerziehende Eltern steuerlich deutlich entlastet werden. Wir haben durchgesetzt, dass der Kinderzuschlag für Alleinerziehende um 20 Euro auf 160 Euro angehoben wurde und damit viele Mütter aus Hartz IV herauskommen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da haben wir doch Alleinerziehende bessergestellt!) Wir investieren weiter in den Ausbau von Kitas. Mit dem Bundesprogramm „KitaPlus“ haben wir ein Förderprogramm entwickelt, mit dem Kitas längere Öffnungszeiten in den Morgen- und Abendstunden sowie an den Wochenenden anbieten können. Ich wäre froh gewesen, wenn es das schon vor 20 Jahren gegeben hätte. Denn ich bin selber alleinerziehende Mutter, und es war wirklich ein Spagat, bei den damaligen Öffnungszeiten der Kindertagesstätten die Berufstätigkeit mit guter Kinderbetreuung zu vereinbaren. Da gibt es dringenden Handlungsbedarf, und ich finde es gut, dass wir dieses Programm auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der SPD) Denken Sie zum Beispiel an eine alleinerziehende Kellnerin. Sie ist auf erweiterte Öffnungszeiten angewiesen, um überhaupt berufstätig sein zu können. Deshalb müssen wir hier flexible Möglichkeiten schaffen. Mit dem geplanten Unterhaltsvorschussgesetz wollen wir eine weitere wichtige Verbesserung für Alleinerziehende durchsetzen. Ich hoffe, dass uns das gelingen wird. Ganz wichtig ist uns auch, dass wir in dieser Regierungszeit noch hinbekommen, dass Eltern bessere Möglichkeiten und Rechte haben, wenn sie Teilzeit oder Vollzeit arbeiten wollen. Dafür wollen wir einen Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit schaffen, die ein Recht auf Rückkehr in Vollzeit bzw. in die frühere Arbeitszeit für die betroffenen Frauen beinhaltet. (Beifall bei der SPD) Ein großer Erfolg wäre es, wenn wir endlich auch ein Lohngerechtigkeitsgesetz auf den Weg bringen, um die Lohnlücke und damit die Ungerechtigkeit zwischen Männer- und Frauenlöhnen zu beseitigen. (Beifall bei der SPD) Wir haben es im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich hoffe, wir können das noch auf die Beine stellen. Das wäre wirklich prima. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir haben viel auf den Weg gebracht, und das ist gut. Aber wir haben immer noch großen Handlungsbedarf. Deshalb müssen wir an diesem Thema weiter arbeiten, um die Benachteiligung vor allem von alleinerziehenden Müttern in diesem Land endlich zu beseitigen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Jutta Eckenbach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jutta Eckenbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alleinerziehend in Deutschland zu sein, ist nicht mit einem prekären Schicksal am wirtschaftlichen Ende der Gesellschaft gleichzusetzen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Finde ich schon!) Es ist zwar richtig, dass Alleinerziehende bestimmte Ausgaben im Zusammenhang mit der Versorgung eines Kindes oder mehrerer Kinder allein zu tragen haben; das liegt nun einmal in der Natur der Sache. Aber man kann doch nicht sagen, dass alle Alleinerziehenden vom SGBII-Bezug leben. Ich bin sehr froh, dass ein großer Teil der Alleinerziehenden in Vollzeit oder in Teilzeit ihren Lebensunterhalt bestreiten kann und nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist. Auch an sie sollten wir einmal denken. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Förderung von Alleinerziehenden, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, erfolgt im Wesentlichen an drei Stellen; das ist gerade schon genannt worden. Es gibt erst einmal den grundsätzlichen Mehrbedarf. Darüber hinaus werden die Alleinerziehenden im Rahmen der sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft entlastet. Auch werden die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung ermittelt und gegebenenfalls erstattet. Letztendlich bedeutet das, dass Alleinerziehende, die Leistungen nach dem SGB II erhalten, 50 Prozent mehr als Paare bekommen. Wir fördern sie also schon heute. Insofern verstehe ich vieles von dem, was gesagt worden ist, nicht. Es ist nicht so, als würden wir dieses Problem in dieser Legislaturperiode nicht angehen. Wir haben hier einen guten Ansatz, den wir auch bezahlen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Eines ist fragwürdig in der Diskussion, die wir führen – darüber haben wir noch nicht debattiert –: Diese 50 Prozent mehr an Leistungen gehen an die Eltern, die getrennt leben. Bei einem Familienverbund oder bei Lebensgemeinschaften werden diese 50 Prozent an Mehrbedarfskosten nicht gezahlt. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Eben! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben diesen Mehrbedarf auch nicht!) Wir sollten uns darüber Gedanken machen, dass wir an dieser Stelle eine Ungleichgewichtung haben. Ich wäre eher für die Förderung von Gemeinschaften, als nur auf die Unterstützung von Menschen zu setzen, die eine gewisse Mitverantwortung für ihre Situation tragen, wenn ihre Lebensplanung nicht funktioniert hat. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man dafür Anreize schaffen!) Diese Verantwortung kann nicht auf den Staat abgewälzt werden. Auch hier werden wir darauf verweisen können, was wir alles schon gemacht haben. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber darunter dürfen die Kinder doch nicht leiden! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dafür können doch die Kinder nichts! Die Kinder sollen darunter leiden? Was ist das denn für eine Lebensphilosophie?) Es ist heute von mehreren Rednern schon ausgeführt worden, dass Alleinerziehende im SGB-II-Bezug einen zusätzlichen Anspruch bei Einrichtungsgegenständen für das Kind bei einem temporären Aufenthalt haben. Wir erstatten die zusätzlichen, durch das Umgangsrecht bedingten Fahrtkosten. Wir erstatten höhere Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wenn das Kind zu Besuch ist, plus andere Bedarfe, je nach Besonderheit des Einzelfalls. Meine Damen und Herren, wir sollten uns vergegenwärtigen, was der Sinn und Zweck des SGB II ist. Zu unterscheiden ist davon der allgemeine Unterhaltsanspruch aus dem Familienrecht. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein – darauf habe ich schon einmal hingewiesen –, mit einer zusätzlichen Leistung den Streit der Eltern zu befrieden. Das kann nicht unser Anspruch sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Gegenwärtig drehen wir uns hier im Kreis, wenn wir immer nur von der Bedürftigkeitssicht der Eltern ausgehen. Mit der Berechnung von Pauschalen, so wie es die Linke fordert, schaffen wir Ungerechtigkeiten gegenüber anderen Bedarfsgemeinschaften mit Kindern. Eine auf den Tag genaue Abrechnung des Regelsatzes für ein Kind führt schon heute zu einem riesigen Verwaltungsaufwand für die Jobcenter vor Ort. (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Den wollen wir ja gerade abschaffen! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Deswegen müssen wir weg davon!) Nicht nur die Mehrkosten für die Berechnung sind unverhältnismäßig, auch die Personalbindung innerhalb der Jobcenter ist enorm. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Deswegen müssen wir weg davon! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb wollen wir das ändern!) Deswegen haben wir bereits im Rahmen der Beratungen zum 9. SGB-II-Änderungsgesetz einen Vorschlag seitens des BMAS für eine Vereinfachung der Aufteilung des Kinderregelbedarfes diskutiert. Dabei ging es ganz und gar nicht um eine Verringerung des Regelbedarfes, wie es in der Öffentlichkeit fälschlicherweise behauptet worden ist. Das führte schließlich dazu, dass das Bundesministerium einen neuen Regulierungsvorschlag erarbeiten musste. Dieser Regulierungsvorschlag stellte aber im Ergebnis eine erneute finanzielle Bevorteilung für getrennt lebende Eltern dar. Ergebnis: Die bisherige Rechtslage blieb bestehen. Nach meiner persönlichen Ansicht wäre es durchaus wichtig, die Bedarfe für Kinder auch aus deren Sicht zu sehen. Ich denke, das wäre etwas, worüber wir uns wirklich noch einmal unterhalten sollten. Ansätze, wie sich eine veränderte Sicht auswirken kann, zeigen die Regelungen beim Bildungs- und Teilhabepaket. Allerdings bin ich der Meinung, dass wir hier auch noch einmal über das Bildungs- und Teilhabepaket reden müssen, (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Abschaffen!) damit es noch verbessert werden kann. Aber es folgt dem Ansatz, vom Kind aus zu denken. Ich denke, das ist ein vernünftiger Ansatz, den wir weiter verfolgen sollten. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wie eingangs gesagt, sehe ich auch die Notwendigkeit, Alleinerziehende noch mehr zu entlasten, hier aber nicht nur Alleinerziehende im Leistungsbezug. Wichtig sind für mich vor allem die Väter und Mütter, die morgens allein ihr Kind versorgen, es zur Kita oder zur Schule bringen, dann zur Arbeit hechten, um rechtzeitig fertig zu sein, damit sie wieder fürs Kind da sind, wenn die Kita schließt oder die Schule aus ist. Dabei habe ich noch nicht genannt, dass es auch noch zu pflegende Angehörige geben kann, dass das bisschen Haushalt erledigt werden muss und der eigene Freundeskreis aufrechterhalten werden möchte. Schwerpunkt unserer politischen Arbeit wird daher weiterhin sein, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken. Ich werde auch nicht müde, immer wieder an die Wirtschaft und an die Unternehmen zu appellieren, dass sie uns dabei unterstützen müssen. Aus meinem eigenen Wahlkreis, aus Essen, weiß ich, dass Evonik hier ganz viel macht und ganz flexibel ist, dass es also auch schon Arbeitgeber gibt, die sich auf diesem Wege befinden. Aber es wird nicht gehen, dass wir Alleinerziehende nur im SGB-II-Bezug unterstützen, sondern wir müssen sie aus der Sozialhilfe herausholen. Wir müssen ganz viele Wege finden, damit uns das gelingt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir als Parlament sollten diese Ansätze unterstützen. So kann ein guter beruflicher Werdegang trotz der Fülle an Aufgaben im Privaten auch für Alleinerziehende ermöglicht werden. Das sollte letztendlich unser Ziel sein, nicht die Spaltung der Gesellschaft, so wie es die Linke mit ihrem Antrag offensichtlich vorhat. Dem können und wollen wir heute nicht zustimmen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen wir auch nicht!) Ich darf Ihnen 1 Minute und 40 Sekunden von meiner Redezeit schenken, einen schönen zweiten Advent wünschen und mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es war ja auch schon alles Wichtige gesagt! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So sind wir!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der Debatte nun schon einiges darüber gehört, wie die Lebenssituation von Alleinerziehenden aussieht und wie schwierig diese ist. Mit unserem Antrag „Alleinerziehende entlasten – Umgangsmehrbedarf anerkennen“ sprechen wir eine ganz konkrete Baustelle an und machen einen Lösungsvorschlag, der eine erhebliche Verbesserung für die Betroffenen bringt. In Deutschland leben inzwischen 2,2 Millionen Kinder in den 1,7 Millionen Familien mit einem Elternteil. Alleinerziehend zu sein, gehört noch immer zu einem der größten Armutsrisiken in Deutschland. 39 Prozent der Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern beziehen Leistungen nach dem SBG II. Diese Menschen haben es – und das wissen wir alle – schon schwer genug, den Lebensalltag zu bewältigen. Und gerade jene, die versuchen, dem Kind auch einen Umgang mit dem anderen Elternteil zu ermöglichen, werden in vielen Fällen von den Jobcentern bestraft. Zu Recht haben umgangsberechtigte Elternteile, die im SGB-Il-Bezug stehen, einen Mehrbedarf für ihr Kind geltend gemacht. Dies darf aber doch nicht dazu führen, dass genau dieser Anteil bei dem anderen Elternteil abgezogen wird, bei dem sich das Kind hauptsächlich aufhält. Wie lebensfremd ist das denn? (Beifall bei der LINKEN) Jeder weiß doch, dass Fixkosten so heißen, weil sie eben fix, fest, konstant, also unveränderlich, sind. Die Miete fürs Kinderzimmer muss man schließlich auch bezahlen, (Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Wird auch bezahlt!) wenn sich das Kind jedes zweite Wochenende beim anderen Elternteil aufhält. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist doch im Regelbedarfssatz 1! Was ist denn das? Das ist doch Quatsch! – Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Wollte ich doch gerade sagen! Ist doch drin!) – Es geht darum, dass ihnen nichts abgezogen wird. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist doch was anderes! Das ist doch ein anderes Portemonnaie!) Jobcenter ziehen den Anteil ab, wenn der andere Elternteil einen Mehrbedarf geltend macht. Das wird praktiziert. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die kriegen doch sowieso schon mehr!) Der Mitgliedsbeitrag für den Sportverein, die Musikschule und Ähnliches – all das bleibt konstant und reduziert sich leider nicht entsprechend, nur weil das Kind am Wochenende mal gerade beim anderen Elternteil ist. Zum Glück wurde im Frühjahr dank einer Petition von Anna-Maria Petri-Satter und des großen öffentlichen Protestes auf die geplante Gesetzesänderung verzichtet, die den Regelsatz strikt nach den einzelnen Aufenthaltstagen aufteilen sollte. Das war richtig. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber die damalige Debatte hat dazu geführt, dass manche Jobcenter jetzt erst recht die unklare Gesetzeslage ausnutzen und dass sich die Situation für alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerinnen oder -Empfänger sogar noch verschärft hat. Leider geht dieses Feilschen immer zulasten der Kinder. Wir sollten doch eigentlich alles unterstützen, was Kindern ermöglicht, in regelmäßigem Kontakt mit beiden Elternteilen aufzuwachsen, auch wenn die Eltern getrennt leben. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das Versagen der Eltern ist für Sie eine Entschuldigung, dass wir mehr Geld ausgeben! Unglaublich!) Deswegen brauchen wir hier eine klare gesetzliche Regelung, damit kein Elternteil finanzielle Einbußen befürchten muss, wenn sich das Kind einige Tage woanders aufhält. Wir schlagen mit unserem Antrag eine klare Lösung vor: voller Regelsatz für den Elternteil, in dessen Haushalt das Kind überwiegend lebt, und halber Regelsatz für den Elternteil, der umgangsberechtigt ist. Zugleich muss dies auch bei den Kosten der Unterkunft und der Heizung entsprechend berücksichtigt werden. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das werden sie doch!) Dies bringt nicht nur Rechtssicherheit für die Alleinerziehenden wie für die umgangsberechtigten Elternteile, sondern entlastet auch entscheidend die Bürokratie und vor allem: Es hilft den Kindern. Die Zahl der Alleinerziehenden wird weiter wachsen, einfach weil die Lebensformen anders sind als früher, und sie werden sich auch weiterhin ändern. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und der Staat bezahlt dafür!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Hupach, auch wenn es ein Zeitgeschenk aus der Unionsfraktion gegeben hat, müssen Sie jetzt zum Schluss kommen. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das war nicht für Sie gedacht, Frau Hupach!) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Dem müssen wir auch in Zukunft gerecht werden und zum Beispiel auch die Tatsache berücksichtigen, dass sich Menschen bewusst entscheiden, allein zu erziehen. Alle diese Lebensformen müssen wir endlich auch in der Politik akzeptieren und deren Realität in den gesetzlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und die Kohle dafür soll der Staat bereitstellen! So sieht es aus!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich bitte Sie jetzt wirklich, zum Schluss zu kommen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt ist auch gut!) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Ich höre auf, Frau Präsidentin. – Eigentlich brauchen wir dafür einen Systemwechsel, nämlich weg von Hartz IV. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, nächste Rede! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nächste Wahlperiode!) Wir machen Ihnen hier den Vorschlag, wenigstens eine Baustelle zu erledigen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Fritz Felgentreu hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Fraktionen des Bundestages – wir haben es gemerkt – sind sich einig: Wir wollen nicht hinnehmen, dass Alleinerziehende und ihre Kinder ein höheres Risiko tragen, in Armut zu leben. Für die Koalition ist die Verbesserung der Lebensbedingungen für solche Familien ein zentrales Thema. Und das beste Mittel gegen Armut ist Arbeit. Deshalb war es uns besonders wichtig, die Bedingungen zu verbessern, damit Alleinerziehende die Betreuung ihrer Kinder mit einer Berufstätigkeit vereinbaren können. Wir haben den Ländern und Kommunen zusätzliche Milliarden zur Verfügung gestellt, damit sie mehr Kitas und Horte bauen und sie besser ausstatten. Mehr und bessere Betreuung für Kinder hilft allen Eltern, aber den Alleinerziehenden natürlich am meisten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben den Anspruch auf Teilzeitarbeit gestärkt und erweitert, und wir haben das Elterngeld Plus eingeführt. Wir haben den Mindestlohn eingeführt und den Kinderzuschlag erhöht, damit Eltern mit niedrigem Einkommen nicht als Aufstocker zum Jobcenter gehen müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Liste ließe sich fortsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber ich möchte Sie nicht mit Dingen langweilen, die Sie alle kennen. Ein bisschen Anerkennung für die vielen Fortschritte in den letzten drei Jahren stünde aber auch der Opposition einmal ganz gut zu Gesicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nicht geschimpft ist schon genug gelobt!) Die Linksfraktion, lieber Herr Wunderlich, hat jetzt ein Sammelsurium von weiteren Verbesserungsvorschlägen vorgelegt. All das lässt sich so nicht umsetzen, schon gar nicht sofort. Aber es sind durchaus Denkanstöße dabei, über die wir weiter diskutieren können. Ich möchte mich nun auf den Punkt konzentrieren, bei dem wir einen Durchbruch erreicht haben, den Unterhaltsvorschuss. Einen Unterhaltsvorschuss zahlt der Staat Alleinerziehenden – in der Regel alleinerziehenden Müttern – dann aus, wenn in der Regel die Väter aus welchen Gründen auch immer nicht zahlen, wozu sie verpflichtet sind. Der Vorschuss ist überall eine große Hilfe. Allein in meinem Wahlkreis Berlin-Neukölln profitieren davon 2 300 Kinder. In den Fällen, in denen die Mütter ein niedriges Arbeitseinkommen haben, kann der Vorschuss der Grund sein, warum es ihnen erspart bleibt, als Aufstocker Arbeitslosengeld II zu beantragen. Deswegen wollen wir auch nicht, dass diese Leistung in das SGB II kommt. (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Geld ist nicht geschenkt, sondern der Staat versucht, sich den Vorschuss von den Vätern zurückzuholen. Im Schnitt können aber nur etwa ein Viertel der Kosten eingetrieben werden. Deshalb kostet der Unterhaltsvorschuss Geld, das zu einem Drittel vom Bund und zu zwei Dritteln von den Ländern kommt. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sollten wir darüber neu nachdenken!) Fachleute und Politik kritisieren schon lange, dass der Unterhaltsvorschuss bisher nur maximal sechs Jahre lang und nur bis zum zwölften Lebensjahr gezahlt wird; denn Kinder kosten nun einmal länger als sechs Jahre etwas, und Jugendliche kosten in der Regel mehr als kleine Kinder. (Beifall bei der SPD) Aber bisher sind sich Bund und Länder über die sinnvolle und notwendige Ausweitung nie einig geworden. Der Grund dafür: das Geld. Umso größer die Freude, dass am 14. Oktober zusammen mit der Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern auch entschieden wurde, vom 1. Januar an ohne zeitliche Befristung bis zur Volljährigkeit Unterhaltsvorschuss zu zahlen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da haben wir uns alle gefreut!) Mit diesem gemeinsamen Beschluss von Bund und Ländern ist aus unserer Sicht die Entscheidung gefallen. Aber sie muss jetzt auch umgesetzt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Eine Formulierungshilfe des Familienministeriums liegt vor. Wir können das Gesetz also unverzüglich beschließen. Meine Damen und Herren, lieber Herr Wunderlich, ich wundere mich, dass es in dieser Situation noch Bundesländer gibt – ich sage offen: auch SPD-geführte Bundesländer –, die jetzt die Gesetzgebung verzögern, (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) weil Finanzierungs- und Verwaltungsfragen noch geklärt werden müssen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wundert mich auch!) Alle Beteiligten wussten schon am 14. Oktober, als sie die Beschlüsse gefasst haben, dass der Unterhaltsvorschuss Geld kostet und Arbeit macht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Damals hätten die Bedenken vorgetragen werden müssen, nicht jetzt, da Tausende Familien die dringend benötigte und zugesagte Unterstützung erwarten. Vor diesem Hintergrund habe ich noch weniger Verständnis für die Haltung der Unionsfraktion, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau!) die auch hier im Bundestag die Gesetzgebung blockiert. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird durch Wiederholen nicht richtiger! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns steht doch nichts im Wege, das umzusetzen, was in größter Eindeutigkeit verabredet worden ist. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben den Alleinerziehenden in Deutschland gemeinsam ein Versprechen gegeben. Helfen Sie mit, dass wir es auch halten! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10283 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Lebenssituation von Alleinerziehenden deutlich verbessern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz schlechte Beschlussempfehlung!) auf Drucksache 18/10106, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6651 abzulehnen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt könnt ihr es korrigieren!) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. Dezember 2016, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und für alle, die ihn feiern, natürlich einen gesegneten zweiten Advent. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das wünschen wir auch, Frau Präsidentin!) Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 14.08 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 02.12.2016 Barthle, Norbert CDU/CSU 02.12.2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Böhmer, Dr. Maria CDU/CSU 02.12.2016 Bülow, Marco SPD 02.12.2016 Dinges-Dierig, Alexandra CDU/CSU 02.12.2016 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Ernstberger, Petra SPD 02.12.2016 Ferner, Elke SPD 02.12.2016 Gehring, Kai BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Gottschalck, Ulrike SPD 02.12.2016 Groth, Annette DIE LINKE 02.12.2016 Haßelmann, Britta BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Hendricks, Dr. Barbara SPD 02.12.2016 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Kipping, Katja DIE LINKE 02.12.2016 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Kolbe, Daniela SPD 02.12.2016 Korte, Jan DIE LINKE 02.12.2016 Kühn-Mengel, Helga SPD 02.12.2016 Kunert, Katrin DIE LINKE 02.12.2016 Kurth, Markus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 02.12.2016 Leutert, Michael DIE LINKE 02.12.2016 Lühmann, Kirsten SPD 02.12.2016 Lutze, Thomas DIE LINKE 02.12.2016 Möhring, Cornelia DIE LINKE 02.12.2016 Müller, Dr. Gerd CDU/CSU 02.12.2016 Nahles, Andrea SPD 02.12.2016 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Pilger, Detlev SPD 02.12.2016 Ramsauer, Dr. Peter CDU/CSU 02.12.2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 02.12.2016 Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Schulte, Ursula SPD 02.12.2016 Schulz-Asche, Kordula BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 02.12.2016 Schulze, Dr. Klaus-Peter CDU/CSU 02.12.2016 Schwartze, Stefan SPD 02.12.2016 Steffen, Sonja SPD 02.12.2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 02.12.2016 Steinmeier, Dr. Frank-Walter SPD 02.12.2016 Strebl, Matthäus CDU/CSU 02.12.2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 02.12.2016 Tank, Azize DIE LINKE 02.12.2016 Thönnes, Franz SPD 02.12.2016 Ulrich, Alexander DIE LINKE 02.12.2016 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 02.12.2016 Whittaker, Kai CDU/CSU 02.12.2016 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 02.12.2016 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 02.12.2016 Zeulner, Emmi* CDU/CSU 02.12.2016 Zypries, Brigitte SPD 02.12.2016 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 30 a) Heike Baehrens (SPD): Der parlamentarische Prozess, der zu den hier vorliegenden Ausbaugesetzen und Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum Teil schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialdemokratin aus Baden-Württemberg und als Abgeordnete für den Landkreis Göppingen, dass der Ausbau der A 8 am Albaufstieg endlich als fest disponierte Maßnahme bestätigt wurde. Ebenso begrüße ich sehr, dass der Abschnitt Gingen-Ost nach Geislingen-Mitte nun zum Vordringlichen Bedarf zählt. Ich halte es jedoch für sachlich nicht richtig, dass der daran anschließende Bauabschnitt Geislingen-Mitte bis Geislingen-Ost lediglich als Weiterer Bedarf mit Planungsrecht aufgenommen wurde. Diese Einstufung entspricht dem Status Bundesverkehrswegplan 2003 und stellt insofern keine Verbesserung dar. Ebenso wie der Abschnitt davor gehört dieser Bauabschnitt in den Vordringlichen Bedarf, um das Projekt bis 2030 realisieren zu können. Auf diese Weise könnten beide Bauabschnitte zusammen geplant und realisiert werden, um eine weitere Belastung der Wohnbevölkerung in Geislingen zu vermeiden und diese wichtige Bundesstraße ihrer Bedeutung entsprechend zu ertüchtigen. Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ablehnung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre nach sorgfältiger Abwägung meiner Ansicht nach nicht vertretbar. Michael Groß (SPD): Alle guten Argumente und Gespräche haben nichts genützt. Die Verhandlungsführer von CDU und CSU zum Bundesverkehrswegeplan waren nicht bereit, die im Entwurf für ein Fernstraßenausbaugesetz gelistete Ortsumfahrung Alt-Marl mit ihrer 1,4 km langen Strecke aus dem Vordringlichen Bedarf zu nehmen. Weder der parteiübergreifend gefasste Beschluss des Marler Stadtrates noch zahlreiche Einwendungen von mir in Zusammenarbeit mit der Landesgruppe NRW der SPD-Bundestagsfraktion konnten den Koalitionspartner umstimmen. Ich bin sehr verärgert, dass man eine Straße, die so kein Mensch will, gegen die in der bestehenden Form die besten verkehrspolitischen und raumordnerischen Argumente vorgetragen wurden, verabschiedet wurde. Dies ist der erste Bundesverkehrswegeplan, der vor Verabschiedung im Parlament einen sechswöchigen Prozess der Bürgerbeteiligung durchlaufen musste. Das ist begrüßenswert. Auch viele Marler haben daran teilgenommen. Ich hatte als MdB aber keine Möglichkeit, die Einwendungen kennenzulernen. Ich frage mich allerdings: Was bringt die Beteiligung der Menschen vor Ort, wenn die Änderungsbegehren nicht aufgenommen werden? Diese Art der Bürgerbeteiligung wird ihrem eigentlichen Anspruch nicht gerecht. Weil mein Wahlkreis direkt betroffen ist und ich die fehlende Berücksichtigung der Bürgereinwände stark kritisiere, habe ich dem Gesetz über den Fernstraßenausbau heute nicht zugestimmt. Ich habe die Bürgerinitiative B 225 bereits zu einem weiteren Abstimmungstermin eingeladen. Darüber hinaus führe ich bereits Gespräche mit dem NRW-Verkehrsminister und der Stadt Marl, um einen anderen Streckenverlauf zu finden. Klar ist: Wir brauchen in Marl eine Entlastung durch eine Ortsumfahrung. Diese muss aber wesentlich anders verlaufen. Jahrzehntealte Planungen helfen hier nicht weiter. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Meine Zustimmung zum Bundesverkehrswegeplan 2030 verbinde ich – im Einklang mit dem Ratsbeschluss der Stadt Wesel vom 20. September 2016 – mit der Forderung, die Planungen in der vorliegenden Form nicht voranzutreiben. Die Pläne und die Trassenführung sind jahrzehntealt und berücksichtigen weder die heutigen Siedlungsstrukturen noch sind sie mit den Belangen von Natur- und Umweltschutz zu vereinbaren. Auf Weseler Gebiet wird der Ortsteil Lippedorf zerschnitten. Die veröffentliche Linie einer möglichen Trasse geht ohne Rücksicht über Häuser und Grundstücke. Es ist den dort lebenden Menschen nicht vermittelbar, dass eine Trasse, deren Planung jahrzehntealt und völlig überholt ist, nun realisiert werden soll. Der Ansatz einer solchen Planung ist meines Erachtens grundlegend falsch. Ich erwarte daher, die alte Trassenplanung nicht weiter voranzutreiben, sondern Lösungen auf bestehenden Straßen zu erarbeiten. Eine sich anbietende Lösung wäre der sechsspurige Ausbau der A 3 bis Wesel. Eine weitere Lösung wäre eine vernünftige Anbindung der Südumgehung an die L 396 (Frankfurter Straße) durch einen Brückenneubau über die Lippe an gleicher Stelle, sowie auf der bestehenden B-8-Trasse durch eine optimierte Anbindung an die neue K 12n. Des Weiteren erwarte ich eine signifikante Verbesserung der Verkehrstrassen um Wesel, wenn die Südumgehung und die zusätzliche Auf- und Abfahrt an der A 3 in Brünen realisiert wird. Christian Lange (Backnang) (SPD): Der parlamentarische Prozess, der zu den hier vorliegenden Ausbaugesetzen und Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum Teil schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialdemokrat aus Baden-Württemberg, dass die Beratungen, trotz einiger Differenzen, konstruktiv verliefen. Das Gesamtpaket ist ein guter Kompromiss – deshalb stimme ich dem zu. Jedoch gibt es auch einzelne Vorhaben, die ich persönlich und als Vertreter der baden-württembergischen SPD ablehne. So ist der Nordostring-Stuttgart weiterhin im Weiteren Bedarf mit Planungsrecht des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) enthalten, obwohl ich mich stets für dessen Abstufung eingesetzt habe. Mit dem Koalitionspartner CDU/CSU war jedoch keine gemeinsame Linie zu erzielen. Dass der Nordostring-Stuttgart im BVWP enthalten ist, bedeutet jedoch nicht, dass es keine Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Denn das sogenannte Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) des Nordostrings, das jetzt besonders hoch ist, muss vor der konkreten Planungsaufnahme neu berechnet werden. Wenn aber wiederum der vom Land vorgeschlagene Ausbau des Autobahnzubringers L 1115 zwischen Backnang-West und Mundelsheim vorankommt, ist davon auszugehen, dass das NKV durch die neue Entlastungsstraße nach unten korrigiert wird.  Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ablehnung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre, nach sorgfältiger Abwägung, meiner Ansicht nach nicht vertretbar. Annette Sawade (SPD): Der parlamentarische Prozess, der zu den hier vorliegenden Ausbaugesetzen und Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum Teil schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialdemokratin aus Baden-Württemberg und als Mitglied des Verkehrsausschusses, dass die Beratungen, trotz einiger Differenzen, konstruktiv verliefen. Das Gesamtpaket ist ein guter Kompromiss – deshalb stimme ich dem zu. Jedoch gibt es auch einzelne Vorhaben, die ich persönlich und als Vertreterin der Baden-Württembergischen SPD ablehne. So ist der Nordostring-Stuttgart weiterhin im Weiteren Bedarf mit Planungsrecht des BVWP enthalten, obwohl ich mich stets für dessen Abstufung eingesetzt habe. Mit dem Koalitionspartner CDU/CSU war jedoch keine gemeinsame Linie zu erzielen. Dass der Nordostring-Stuttgart im BVWP enthalten ist, bedeutet jedoch nicht, dass es keine Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Denn das sogenannte Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) des Nordostrings, das jetzt besonders hoch ist, muss vor der konkreten Planungsaufnahme neu berechnet werden. Wenn aber wiederum der vom Land vorgeschlagene Ausbau des Autobahnzubringers L 1115 zwischen Backnang-West und Mundelsheim vorankommt, ist davon auszugehen, dass das NKV durch die neue Entlastungsstraße nach unten korrigiert wird.  Ein weiteres Straßenprojekt ist besonders umstritten: Dabei geht es um die B 29 neu Röttinger Höhe nach Nördlingen. Ich habe bei den Beratungen immer wieder die hohe Umweltproblematik der favorisierten Süd-Variante angesprochen, die schützenswerten Naturraum im Härtsfeld zerschneiden würde. Das BMVI sicherte zu, dass es noch keine Festlegung auf eine Trasse gebe. Dies gelte im Übrigen für alle Projekte im BVWP. Dies lässt mich also hoffen, dass dieses Projekt noch ergebnisoffen ist – auch wenn ich es persönlich im Weiteren Bedarf favorisiert hätte. Aber auch hier war keine Einigung mit der Union möglich. Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ablehnung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre, nach sorgfältiger Abwägung, meiner Ansicht nach nicht vertretbar. Dr. Dorothee Schlegel (SPD): Der parlamentarische Prozess, der zu den hier vorliegenden Ausbaugesetzen und Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum Teil schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialdemokratin aus Baden-Württemberg, dass die Beratungen, trotz einiger Differenzen, konstruktiv verliefen. Das Gesamtpaket ist ein guter Kompromiss – deshalb stimme ich dem zu. Jedoch gibt es auch einzelne Vorhaben, die ich als Vertreterin der Baden-Württembergischen SPD ablehne. So ist der Nordostring-Stuttgart weiterhin im Weiteren Bedarf mit Planungsrecht des BVWP enthalten. Mit dem Koalitionspartner CDU/CSU war jedoch keine gemeinsame Linie zu erzielen. Dass der Nordostring-Stuttgart im BVWP enthalten ist, bedeutet jedoch nicht, dass es keine Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Denn das sogenannte Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) des Nordostrings, das jetzt besonders hoch ist, muss vor der konkreten Planungsaufnahme neu berechnet werden. Wenn aber wiederum der vom Land vorgeschlagene Ausbau des Autobahnzubringers L 1115 zwischen Backnang-West und Mundelsheim vorankommt, ist davon auszugehen, dass das NKV durch die neue Entlastungsstraße nach unten korrigiert wird.  Ein weiteres Straßenprojekt ist besonders umstritten: Dabei geht es um die B 29 neu Röttinger Höhe nach Nördlingen. Bei den Beratungen wurde immer wieder die hohe Umweltproblematik der favorisierten Süd-Variante angesprochen, die schützenswerten Naturraum im Härtsfeld zerschneiden würde. Das BMVI sicherte zu, dass es noch keine Festlegung auf eine Trasse gebe. Dies gelte im Übrigen für alle Projekte im BVWP. Dies lässt mich also hoffen, dass dieses Projekt noch ergebnisoffen ist – auch wenn ich es im Weiteren Bedarf favorisiert hätte. Aber auch hier war keine Einigung mit der Union möglich. Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ablehnung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre, nach sorgfältiger Abwägung, meiner Ansicht nach nicht vertretbar. Ute Vogt (SPD): Der Deutsche Bundestag beschließt heute das Fernstraßenausbaugesetz zur Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans. Die darin enthaltene Aufnahme des Vorhabens B 29 Nordostring Stuttgart in den weiteren Bedarf mit Planungsrecht lehne ich entschieden ab. Der Nordostring ist eine unnötige und sehr umstrittene Maßnahme. Das Projekt trägt weder zur Entlastung der Stadt Stuttgart und ihrer Innenstadt bei noch löst es die Verkehrsprobleme in der Region. Eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik sieht anders aus. Daher lehnt auch die SPD in Stuttgart und in der Region das Projekt ganz klar ab. Auch die hohen ökologischen Risiken sprechen eindeutig gegen den Nordostring. Unverantwortbar ist das Vorhaben wegen der massiven Eingriffe in die Landschaft und der negativen Auswirkungen auf die gesamte Region, so zum Beispiel beim Natur- und Artenschutz und in der Landwirtschaft. Das Projekt zerstört zudem den letzten großen Frei- und Erholungsraum im Nordosten von Stuttgart. Die Unterlagen und Daten, die der aktuellen Einstufung und Bewertung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zugrunde liegen, sind teils veraltet bzw. nicht belastbar. Von daher ist die gesamtwirtschaftliche Bewertung des Projektes nicht nachvollziehbar. Die Art und Weise der Wiederaufnahme des Nordostrings in den Bundesverkehrswegeplan ist mehr als befremdlich. Das Land Baden-Württemberg hat seine Aufnahme nicht beantragt und lehnt das Projekt ab. Abgelehnt wird das Projekt auch von der Mehrheit der betroffenen Kommunen in der Region. Gemeinsam mit den Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitikern der SPD-Bundestagfraktion habe ich mich gegen die Wiederaufnahme des Nordostrings in den Bundesverkehrswegeplan ausgesprochen. Allerdings hat das BMVI offenbar im Vorfeld nur Gespräche mit den wenigen Mandatsträgern und Vertretern der Region Stuttgart geführt, die dieses Projekt unterstützen. Ein solches Projekt kann aber nicht gegen den Widerstand der Betroffenen verwirklicht werden. Insofern habe ich kein Verständnis dafür, dass das Projekt auf Betreiben einiger weniger CDU-Abgeordneten aus Stuttgart und der Region wieder in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wurde. Es ist mir wichtig, mit dieser persönlichen Erklärung nochmals zu unterstreichen, dass ich die Wiederaufnahme des Nordostrings in den Bundesverkehrswegeplan ablehne. Die im Bundesverkehrswegeplan enthaltenen Maßnahmen werden entlang ihrer Priorität, ihres Verfahrensstandes bei der Planung und anhand weiterer Faktoren zunächst in Fünfjahrespläne aufgenommen. Erst in den jährlichen Haushaltsberatungen werden nach Erlangung der planerischen Baureife die Finanzierung und damit die Baufreigabe erteilt. Ich werde mich daher weiterhin nachdrücklich gegen einen Bau des Vorhabens einsetzen. Eine Abstimmung über ein einzelnes Vorhaben ist im Rahmen der zweiten und dritten Lesung des Fernstraßenausbaugesetzes im Bundestag leider nicht möglich. Das Gesetz enthält zudem eine Vielzahl sinnvoller und wichtiger Verkehrsprojekte, insbesondere in Bereichen des Erhalts und der Engpassbeseitigung, die vor Ort dringend benötigt werden. Daher werde ich dem Gesetz als Ganzes heute zustimmen. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 30 b) Maik Beermann (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf werde ich zustimmen und möchte nachfolgend meine Position zur Sache wie folgt erklären: Meine Notwendigkeit zur persönlichen Erklärung beruht auf der Maßnahme ABS/NBS Hannover–Bielefeld, die ich in der gefassten Form ablehne. Ich bin ein Befürworter der trassennahen Ausbauvariante Löhne–Haste, statt einer Neubauvariante mit einem möglichen Tunnel durch den Jakobsberg und einer Streckenführung durch die Bückeburger Niederungen. Dies ist ebenso der gesetzte Wille der Bevölkerung im Schaumburger Land, den ich an dieser Stelle vertrete. Neben diesem Projekt enthält das Bundesschienenwegeausbaugesetz jedoch mehrheitlich Projekte, die ich befürworten kann und die in den Regionen von den Menschen erwünscht sind und unser Land voranbringen. Ich hätte mit einem Nein ebenso gegen diese Projekte stimmen müssen und auch wenn mir das bisherige Ergebnis der Diskussion des oben genannten Projektes für meinen Wahlkreis Nienburg II – Schaumburg nicht gefällt und es ein Zeichen hätte sein können, trotzdem mit Nein zu stimmen, wäre es aus demokratischen Gesichtspunkten und auch der bundespolitischen Verantwortung den Menschen im gesamten Land gegenüber unfair, auch deren Projekte pauschal mit abzulehnen. Achim Post (Minden) (SPD): Der vorliegende Gesetzentwurf sieht im „Bedarfsplan für die Bundesschienenwege“ (Anlage 1 zu § 1 des BSWAG) als Maßnahme des Vordringlichen Bedarfs das Vorhaben Nr. 13 „ABS/NBS Hannover–Bielefeld“ (ABS = Ausbaustrecke / NBS = Neubaustrecke) vor. Eine ergänzende Fußnote soll den Einwendungen, insbesondere aus der Region Ostwestfalen-Lippe, Rechnung tragen. Durch die Formulierung „ohne Querung Seelze-Süd und ohne Tunnel Jakobsberg unter der Maßgabe, dass die für einen Deutschland-Takt erforderliche Fahrzeitverkürzung von voraussichtlich acht Minuten erreicht wird“ sollen die Befürchtungen der Städte Minden und Porta Westfalica sowie der Kommunen entlang einer potenziellen Tunnelstrecke ausgeräumt werden. Die betroffenen Kommunen und Kreise in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie der Regionalrat Detmold sprechen sich schon seit Jahren übereinstimmend für eine Engpassbeseitigung auf der Bahnstrecke Bielefeld–Hannover durch den Ausbau der vorhandenen zweigleisigen Schienentrasse auf vier Gleise im Streckenabschnitt Lindhorst–Löhne aus. Auch die Verkehrsministerien Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens haben sich im Verfahren zum Bundesverkehrswegeplan und zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) deutlich für den Ausbau der bestehenden Strecke eingesetzt. Gleichwohl bliebe es trotz der Fußnote im neuen BSWAG möglich, die vorhandene Strecke nicht auszubauen und stattdessen eine Neubaustrecke zwischen der Landesgrenze Niedersachsen/NRW und Porta Westfalica umzusetzen. Eine Neubaustrecke ist aber meiner Meinung nach vor allem aus landschaftlichen, städtebaulichen, verkehrs- und umweltpolitischen Gründen untragbar. Auch die bislang angesetzten Kosten von rund 1,885 Milliarden Euro sind aufgrund der massiven Eingriffe in die Landschaft so hoch, dass der Ausbau statt eines Neubaus keine höheren Kosten erwarten lässt, sondern eher zu einer Kostenverringerung führen wird. Allein eine geänderte Vorhabenbeschreibung als Vorhaben Nr. 13 „ABS/NBS Hannover–Lindhorst / ABS Lindhorst–Löhne“ hätte zwingende Bindungswirkung für die Bundesregierung und den Vorhabenträger Deutsche Bahn. Auch wenn das Gesetz eines der wichtigsten verkehrspolitischen Projekte des Parlaments in dieser Legislaturperiode ist, ist es mir als Abgeordneter aus der Region Ostwestfalen-Lippe aus den zuvor genannten Gründen und nach Abwägung aller Aspekte nicht möglich, den zur Abstimmung stehenden Entwurf zu unterstützen. Deshalb stimme ich gegen diesen Gesetzentwurf. Albert Rupprecht (CDU/CSU): Zu dem Dritten Gesetz zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes gebe ich folgende Erklärung ab: Ich stimme diesem Gesetz unter der Annahme zu, dass die im Bedarfsplan für die Bundesschienengesetze (Abschnitt 2, Unterabschnitt 1) genannte Einzelmaßnahme mit der laufenden Nummer 16 ABS Hof–Marktredwitz–Regensburg–Obertraubling (Ostkorridor Süd) Lärmvorsorgemaßnahmen nach sich zieht. Der Lärmschutz für die Anlieger muss durch den im Gesetz geregelten Rechtsanspruch auf Lärmvorsorge oder eine für die betroffenen Anlieger adäquate Rechtsgrundlage und entsprechende Lärmschutzmaßnahmen sichergestellt werden. Eine adäquate Rechtsgrundlage befindet sich im Beschluss des Deutschen Bundestages vom 26. Januar 2016 – Drucksache 18/7365 – mit dem Titel „Menschen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze“. Darin beschloss der Deutsche Bundestag, „bei der Realisierung von Schienengütertrassen im Rahmen der Verkehrskorridore des TEN-Verkehr-Kernnetzes die rechtliche Gleichstellung von Ausbaustrecken an Neubaustrecken sicherzustellen“. Einen Rechtsanspruch auf Schutz vor Verkehrslärm gewährt das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) in Verbindung mit der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV). Als sogenannte Lärmvorsorge ist beim Neubau oder bei einer wesentlichen baulichen Änderung eines Verkehrsweges Vorsorge gegen Verkehrslärm zu treffen, der als Folge der Baumaßnahme für die Zukunft prognostiziert ist. Die erwähnte Strecke ist Teil des TEN-Kernnetzes Güterverkehr. In der Conclusio ist somit festgestellt, dass der Ausbau der TEN-Strecke Hof–Regensburg als Neubaustrecke behandelt wird und somit die im Bundes-Immissionsschutzgesetz genannten, strengeren Grenzwerte der Lärmvorsorge eingehalten werden müssen. Darüber hinaus geht aus den TEN-Beschlüssen hervor, dass hier über das gesetzlich festgelegte rechtliche Schutzniveau ein höheres Schutzniveau im Sinne der Lärmvorsorge gefordert wird. Ich gehe selbstverständlich davon aus, dass ein Beschluss des Deutschen Bundestages bindend ist und der erwähnte Beschluss im zugrundeliegenden Regelwerk Anwendung findet – zum Beispiel Regularien zum Immissionsschutz – und umgesetzt wird. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Brehmer (CDU/CSU) zu den Abstimmungen über – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückziehen – Klimaschutz- und sozialökologische Nachhaltigkeitsziele umsetzen – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesverkehrswegeplanung richtig stellen – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundesnetzplan weiterentwickeln (Tagesordnungspunkte 30 a bis f) Der Bundesverkehrswegeplan 2030 ist mit einem Gesamtvolumen von fast 270 Milliarden Euro das stärkste Investitionsprogramm in die Infrastruktur, das es je gegeben hat. Von den rund 133 Milliarden Euro, die für Erhalt und Neubau des Straßennetzes zur Verfügung stehen, werden das Land Sachsen-Anhalt sowie die Landkreise Harz und Salzland in erheblichem Umfang profitieren. Aus diesen Gründen werde ich den von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfen zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes, des Bundesschienenwegeausbaugesetzes und des Bundeswasserstraßengesetzes zustimmen. Für mich nicht zufriedenstellend ist, dass das Projekt B 81 Ortsumfahrung Blankenburg (B81-G10-ST / laufende Nr. 1210 im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen [Drucksache 18/9523]) trotz Neuberechnung im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung nur in die Kategorie „Weiterer Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans mit einem Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) von 1,0 eingeordnet worden ist. Die schlechte Bewertung und die Einstufung in die Kategorie „Weiterer Bedarf“ sind für mich in keiner Weise fachlich nachvollziehbar. Die B 81 ist durch ihre zentrale Lage in Sachsen-Anhalt eine wichtige Verkehrsachse nach Thüringen und Niedersachsen. Ebenfalls unverständlich ist die zur Berechnung des NKV zugrunde gelegte Verkehrsbelastung. Diese wurde in der Projektanmeldung des Landes Sachsen-Anhalt mit 15 563 Kfz/24 h (im Planfall 2030) angegeben. Das PRINS-System weist die zukünftige mittlere Verkehrsbelastung aber nur mit 5 000 Kfz/24 h aus. Eingereichte Unterlagen und fachliche Stellungnahmen seitens der Kommune, des Landkreises und von Trägern öffentlicher Belange wurden nicht berücksichtigt! Das Projekt TOU Hüttenrode (B27-G10-ST) wurde im Bundesverkehrswegeplan in die Kategorie „Weiterer Bedarf mit Planungsrecht“ eingestuft. Mit der möglichen Realisierung der B 27 TOU Hüttenrode sind jedoch auch die verkehrlichen Wirkungen dieses Vorhabens im umliegenden Straßennetz zu berücksichtigen. Dies betrifft insbesondere die Auswirkungen auf den Streckenzug der B 81 nördlich des Knotenpunktes Almsfeld bis Blankenburg. Aufgrund der vorhandenen netzstrukturellen Zusammenhänge ist davon auszugehen, dass der gesamte Verkehr auf der TOU Hüttenrode den benannten Streckenabschnitt der B 81 in Richtung Blankenburg befahren wird. Gemäß den Angaben des BMVI-Projektdossiers für die B 27 TOU Hüttenrode ist hier im Planfall mit 2 000 Kfz/24 h zu rechnen (die projektspezifische Verkehrsuntersuchung im Rahmen der Entwurfsplanung weist hier etwa 4 000 Kfz/24 h aus). Demnach sind bei der Beurteilung des durch das Land Sachsen-Anhalt ebenfalls angemeldeten Vorhabens der B 81 OU Blankenburg zumindest die im Projektdossier für die B 27 TOU Hüttenrode ausgewiesenen Verkehrszahlen zusätzlich zu berücksichtigen. Folglich ist die Verkehrsbelastung auf der B 81 OU Blankenburg (anstatt mit den im Projektdossier ausgewiesenen 5 000 Kfz/24 h) mit circa 7 000 Kfz/24 h anzunehmen (die projektspezifische Verkehrsuntersuchung im Rahmen der Entwurfsplanung weist hier 9 760 Kfz/24 h aus). Die Korrektur der Verkehrsbelastungszahlen hat einen erheblichen Einfluss auf die Berechnung des Nutzens der Ortsumgehung, sodass eine Überprüfung und Neuberechnung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses für die Entscheidung der Einordnung in die Kategorien Vordringlicher Bedarf oder WB* aufgrund der beschriebenen Veränderungen der prognostizierten Verkehrsdaten für die Maßnahme B 81 OU Blankenburg zwingend geboten gewesen wäre! Die Unterlagen für das Projekt B 81 OU Blankenburg liegen dem Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bereits seit März 2015 für den „Gesehen-Vermerk“ vor. Zumindest dieser Vermerk sollte erteilt werden, damit die Planungen fortgesetzt werden können und die bisher vom Land Sachsen-Anhalt geleisteten Planungsinvestitionen in Höhe von 1,2 Millionen Euro nicht umsonst waren. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 951. Sitzung am 25. November 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze – Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, eine dauerhafte Regelung zu schaffen, nach der Aufwandsentschädigungen, die ehrenamtlich Tätige erhalten, nicht als Hinzuverdienst bei vorgezogenen Altersrenten und Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen sind. Aufwandsentschädigungen, die kommunale Ehrenbeamte und Ehrenbeamtinnen, ehrenamtlich in kommunalen Vertretungskörperschaften Tätige oder Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, Versichertenälteste oder Vertrauenspersonen der Sozialversicherungsträger erhalten, werden bisher auf Grund einer Übergangsregelung bis zum 30. September 2017 nicht als Hinzuverdienst bei einer vorzeitigen Altersrente und bei einer Rente wegen Erwerbsminderung berücksichtigt, soweit kein konkreter Verdienstausfall ersetzt wird. Diese Regelung stellt keine befriedigende Lösung dar. Nach Ablauf der Übergangsfrist würde es wieder zu einer Einkommensanrechnung kommen und damit zu einer unzumutbaren Kürzung von vorzeitigen Alters- und Erwerbsminderungsrenten ehrenamtlich Tätiger. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Ehrenamtes für die Gesellschaft muss eine dauerhafte Regelung geschaffen werden, um Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich Tätige von einer Hinzuverdienstanrechnung auszunehmen. Bei einer Berücksichtigung von Aufwandsentschädigungen als Hinzuverdienst würde zukünftig die Bereitschaft, ein Ehrenamt zu übernehmen, zurückgehen. Im Interesse einer Gleichbehandlung soll diese Regelung für alle ehrenamtlich Tätigen gelten. – Gesetz zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften über das Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch (Landwirtschaftserzeugnisse-Schulprogrammgesetz – LwErzgSchulproG) – Gesetz zur Beendigung der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes – Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) – Gesetz zur Neuregelung des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Statistikgesetze – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates – Viertes Gesetz zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes – Gesetz zur Änderung von Vorschriften zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erdgas – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017) – Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten und über die Finanzierung des Terrorismus – Gesetz zu dem Strafrechtsübereinkommen des Europarats vom 27. Januar 1999 über Korruption und dem Zusatzprotokoll vom 15. Mai 2003 zum Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption – Gesetz zur Beteiligung des Bundes an den Kosten der Integration und zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesverkehrswegeplan 2030 Drucksache 18/9350 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2014 Drucksachen 18/9600 (neu), 18/9733 Nr. 1.4 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/10311 Nr. A.1 Ratsdokument 12384/16 Drucksache 18/10311 Nr. A.2 Ratsdokument 12386/16 Drucksache 18/10311 Nr. A.3 Ratsdokument 12899/16 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 18/9605 Nr. A.56 Ratsdokument 11680/16 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 18/9605 Nr. A.71 Ratsdokument 10082/16 Drucksache 18/9746 Nr. A.9 Ratsdokument 11856/16 1)  Anlagen 2 bis 4 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 20774 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung, Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung, Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20773 Plenarprotokoll 18/207