Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 215. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2017 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Rainer Hajek, Jutta Eckenbach, Siegmund Ehrmann und Barbara Woltmann 21459 A Wahl des Abgeordneten Matthias Gastel als Schriftführer 21459 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 21459 B Die Tagesordnungspunkte 10, 13 und 17 werden abgesetzt 21460 A Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Für inklusives Wachstum in Deutschland und Europa b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2017 der Bundesregierung Drucksache 18/10990 21460 B c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 2016/2017 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 18/10230 21460 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jahreswohlstandsbericht einführen Drucksachen 18/7368, 18/7599 21460 D Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi 21461 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 21465 C Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) 21466 D Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21468 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) 21470 C Klaus Ernst (DIE LINKE) 21472 B Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) 21474 A Thomas Lutze (DIE LINKE) 21475 D Bernd Westphal (SPD) 21476 C Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21477 D Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 21478 D Gabriele Katzmarek (SPD) 21480 B Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) 21481 A Axel Knoerig (CDU/CSU) 21482 A Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz) Drucksache 18/10935 21483 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 21483 D Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 21485 B Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär BMJV 21486 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21487 C Antje Tillmann (CDU/CSU) 21488 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21490 A Manfred Zöllmer (SPD) 21490 D Matthias Hauer (CDU/CSU) 21492 A Sarah Ryglewski (SPD) 21493 B Alexander Radwan (CDU/CSU) 21494 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21495 A Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung – Wirksame Sanktionen bei Rechtsverstößen von Unternehmen Drucksache 18/10038 21496 B b) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katja Keul, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung – Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im deutschen Recht verankern Drucksache 18/10255 21496 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21496 C Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) 21497 C Niema Movassat (DIE LINKE) 21499 D Dr. Johannes Fechner (SPD) 21501 C Jürgen Klimke (CDU/CSU) 21503 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21504 D Stefan Rebmann (SPD) 21505 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 21506 D Christoph Strässer (SPD) 21508 B Tagesordnungspunkt 33: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes (Hochwasserschutzgesetz II) Drucksache 18/10879 21509 C b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/10883 21509 C c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts zur Sicherstellung der Ernährung in einer Versorgungskrise Drucksache 18/10943 21509 D d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes Drucksache 18/10944 21509 D e) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Halina Wawzyniak, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein – Polizei und Justiz entlasten Drucksache 18/7374 21509 D f) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt erlassen Drucksache 18/10892 21510 A g) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Tätigkeit der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft im Jahr 2015 Drucksache 18/9545 21510 A h) Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Absatz 3 des ERP-Verwaltungsgesetzes Drucksache 18/10825 21510 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klare CO2-Reduktionen im Flugverkehr schaffen Drucksache 18/9801 21510 B Tagesordnungspunkt 34: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes Drucksachen 18/10183, 18/11007 21510 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Energiestatistikgesetzes (EnStatG) Drucksachen 18/10350, 18/10999 21510 D c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Regierung von Kanada über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts im Namen der Europäischen Union und zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Regierung von Kanada über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts Drucksachen 18/10808, 18/11002 21511 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2014/99/EU und zur Änderung und Anpassung weiterer immissionsschutzrechtlicher Verordnungen Drucksachen 18/10756, 18/10924 Nr. 2.1, 18/10998 21511 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung zur Änderung der Chemikalien-Klimaschutzverordnung Drucksachen 18/10837, 18/10924 Nr. 2.3, 18/10997 21511 C f)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 400, 401, 402, 403 und 404 zu Petitionen Drucksachen 18/10885, 18/10886, 18/10887, 18/10888, 18/10889 21511 D Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes Drucksachen 18/10455, 18/10821, 18/10924 Nr. 1.18, 18/11005 21512 B Tagesordnungspunkt 7: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolutionen 2100 (2013), 2164 (2014), 2227 (2015) und 2295 (2016) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014, 29. Juni 2015 und 29. Juni 2016 Drucksachen 18/10819, 18/10967 21512 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung: Drucksache 18/10988 21512 C Petra Ernstberger (SPD) 21512 D Niema Movassat (DIE LINKE) 21513 C Henning Otte (CDU/CSU) 21514 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21516 A Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 21517 A Dirk Vöpel (SPD) 21518 A Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) 21518 D Namentliche Abstimmung 21519 C Ergebnis 21523 C Tagesordnungspunkt 6: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte Drucksachen 18/10820, 18/10968 21520 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10989 21520 A Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA 21520 B Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn 21522 C Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi 21522 D Christine Buchholz (DIE LINKE) 21526 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) 21527 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21528 A Wilfried Lorenz (CDU/CSU) 21529 A Julia Obermeier (CDU/CSU) 21530 A Christine Buchholz (DIE LINKE) 21530 D Julia Obermeier (CDU/CSU) 21531 A Namentliche Abstimmung 21531 B Ergebnis 21533 C Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom Drucksachen 18/3050, 18/3749 21531 C Florian Post (SPD) 21531 D Roland Claus (DIE LINKE) 21532 C Thomas Bareiß (CDU/CSU) 21536 A Roland Claus (DIE LINKE) 21537 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21538 C Thomas Jurk (SPD) 21539 C Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 21540 C Ulrich Freese (SPD) 21541 B Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Zweite Verordnung zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung Drucksachen 18/10483, 18/10696 Nr. 2, 18/11006 21542 A b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Dr. Franziska Brantner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Drucksachen 18/10859, 18/11006 21542 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen Drucksachen 18/4329, 18/11006 21542 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 21542 C Birgit Menz (DIE LINKE) 21543 B Karsten Möring (CDU/CSU) 21544 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21545 D Ulli Nissen (SPD) 21546 D Johannes Steiniger (CDU/CSU) 21547 D Michaela Engelmeier (SPD) 21549 A Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016, SANTE/10704/2016, SANTE/10703/2016) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/10976 21550 B Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21550 B Kees de Vries (CDU/CSU) 21551 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 21552 B Ute Vogt (SPD) 21553 B Rita Stockhofe (CDU/CSU) 21554 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21554 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) 21556 B Zur Geschäftsordnung Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21557 A Ute Vogt (SPD) 21558 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 21559 A Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushaltsgesetz 2016) Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924 Nr. 1.16 21560 A Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) 21560 B Roland Claus (DIE LINKE) 21561 B Johannes Kahrs (SPD) 21562 A Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21563 C Alois Rainer (CDU/CSU) 21564 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Erfahrungen aus 14 Jahren „Krieg gegen den Terror“ – Eine Bilanz in Irak, Afghanistan, Pakistan Drucksachen 18/7991, 18/10364 21565 C Inge Höger (DIE LINKE) 21565 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 21566 C Inge Höger (DIE LINKE) 21566 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21568 B Niels Annen (SPD) 21569 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) 21570 C Niels Annen (SPD) 21571 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 21571 C Peter Beyer (CDU/CSU) 21572 A Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) Drucksache 18/10936 21573 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 21573 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 21574 C Christian Petry (SPD) 21575 B Matthias Hauer (CDU/CSU) 21576 B Sarah Ryglewski (SPD) 21577 B Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn (Tübingen), Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen – Bundesweite Statistik einführen Drucksachen 18/7547, 18/11000 21578 A Daniela Kolbe (SPD) 21578 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 21579 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) 21580 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21581 A Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) 21582 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SoKaSiG) Drucksache 18/10631, 18/11001 21583 B Bernd Rützel (SPD) 21583 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 21584 B Karl Schiewerling (CDU/CSU) 21585 B Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21586 A Wilfried Oellers (CDU/CSU) 21587 A Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenberatung unabhängig und gemeinnützig ausgestalten Drucksachen 18/7042, 18/9979 21588 B Reiner Meier (CDU/CSU) 21588 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) 21589 A Helga Kühn-Mengel (SPD) 21590 A Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21591 A Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) 21592 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21593 A Tagesordnungspunkt 19: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) Drucksachen 18/10605, 18/10817, 18/10924 Nr. 1.17, 18/11009 21594 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Versicherten sorgsam umgehen – Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Drucksachen 18/10630, 18/8394, 18/11009 21594 C Tagesordnungspunkt 18: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Ausbildung – Gute Arbeit – Gute Pflege Drucksachen 18/7414, 18/11003 21595 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Integrative Pflegeausbildung – Pflegeberuf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten Drucksachen 18/7880, 18/11004 21595 A Erich Irlstorfer (CDU/CSU) 21595 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) 21596 B Bettina Müller (SPD) 21597 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21598 D Erwin Rüddel (CDU/CSU) 21599 C Heike Baehrens (SPD) 21600 B Petra Crone (SPD) 21601 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von Standpunkten der Union in den Stabilitäts- und Assoziationsräten EU – Republik Albanien sowie EU – Republik Serbien im Hinblick auf die Beteiligung der Republik Albanien sowie der Republik Serbien als Beobachter an den Arbeiten der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und die entsprechenden Modalitäten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates Drucksachen 18/9990, 18/10966 21602 D Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Angleichung der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer Drucksache 18/10969 21603 A Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Biodiversität schützen – Taxonomische Forschung ausbauen Drucksache 18/10971 21603 B Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirkstoffoffensive starten Drucksache 18/10972 21603 C Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/10937 21603 D Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes Drucksache 18/10882 21604 A Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten Drucksache 18/10938 21604 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits Drucksachen 18/8297, 18/10950 21604 C Nächste Sitzung 21604 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 21605 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tagesordnungspunkt 6) 21606 A Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21606 A Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) 21606 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz  – 2. FiMaNoG) (Tagesordnungspunkt 15) 21607 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21607 B Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SoKaSiG) (Zusatztagesordnungspunkt 3) 21608 B Veronika Bellmann (CDU/CSU) 21608 B Klaus Brähmig (CDU/CSU) 21609 A Jens Koeppen (CDU/CSU) 21609 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit: – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Versicherten sorgsam umgehen – Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen (Tagesordnungspunkt 19 a und b) 21609 D Reiner Meier (CDU/CSU) 21610 A Dietrich Monstadt (CDU/CSU) 21610 C Bärbel Bas (SPD) 21611 C Harald Weinberg (DIE LINKE) 21612 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21613 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von Standpunkten der Union in den Stabilitäts- und Assoziationsräten EU-Republik Albanien sowie EU-Republik Serbien im Hinblick auf die Beteiligung der Republik Albanien sowie der Republik Serbien als Beobachter an den Arbeiten der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und die entsprechenden Modalitäten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates (Tagesordnungspunkt 22) 21614 A Thorsten Frei (CDU/CSU) 21614 B Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) 21615 B Norbert Spinrath (SPD) 21616 A Andrej Hunko (DIE LINKE) 21616 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21617 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Angleichung der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer (Tagesordnungspunkt 20) 21617 D Dr. André Berghegger (CDU/CSU) 21618 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 21618 D Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) 21619 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 21620 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21621 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Biodiversität schützen – Taxonomische Forschung ausbauen (Tagesordnungspunkt 23) 21622 C Sybille Benning (CDU/CSU) 21622 C Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) 21623 B René Röspel (SPD) 21624 A Birgit Menz (DIE LINKE) 21625 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21626 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirkstoffoffensive starten (Tagesordnungspunkt 24) 21627 A Stephan Albani (CDU/CSU) 21627 A Patricia Lips (CDU/CSU) 21628 B René Röspel (SPD) 21629 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) 21630 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21631 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 25) 21631 D Patrick Schnieder (CDU/CSU) 21631 D Stefan Zierke (SPD) 21633 D Thomas Lutze (DIE LINKE) 21634 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21635 B Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin BMVI 21636 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes (Tagesordnungspunkt 26) 21636 C Oliver Wittke (CDU/CSU) 21636 C Udo Schiefner (SPD) 21637 A Herbert Behrens (DIE LINKE) 21638 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21639 A Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin BMVI 21639 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten (Tagesordnungspunkt 27) 21640 C Rudolf Henke (CDU/CSU) 21640 C Sabine Dittmar (SPD) 21641 C Birgit Wöllert (DIE LINKE) 21642 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21643 B Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG 21644 A Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Zusatztagesordnungspunkt 4) 21644 D Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) 21644 D Dr. Sascha Raabe (SPD) 21645 C Heike Hänsel (DIE LINKE) 21647 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 21648 A 215. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2017 Beginn: 9.02 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung. Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich nachträglich einigen Kolleginnen und Kollegen zu ihren Geburtstagen gratulieren. Der Kollege Rainer Hajek hat gestern seinen 72. Geburtstag gefeiert. Außerdem haben seit der letzten Sitzungswoche die Kollegin Jutta Eckenbach und der Kollege Siegmund Ehrmann ihren 65. und die Kollegin Barbara Woltmann ihren 60. Geburtstag begangen. (Beifall) Alle guten Wünsche des ganzen Hauses für das neue Lebensjahr! Wir müssen noch eine Schriftführerwahl durchführen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt vor, für die Kollegin Katharina Dröge den Kollegen Matthias Gastel als Schriftführer zu wählen. Können Sie sich das vorstellen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe: Ja!) – Aha, der Kollege weiß das offenbar noch gar nicht. Er ist aber von der überwältigenden Zustimmung quer durch das ganze Haus beeindruckt, hingerissen und offenkundig hinreichend überzeugt. Ich bedanke mich. Damit ist der Kollege Gastel als neuer Schriftführer gewählt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 33) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klare CO2-Reduktionen im Flugverkehr schaffen Drucksache 18/9801 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016, SANTE/10704/2016, SANTE/10703/2016) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/10976 ZP 3 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SoKaSiG) Drucksache 18/10631 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/11001 ZP 4 Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits Drucksache 18/8297 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) Drucksache 18/10950 ZP 5 Eidesleistung der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie Dem einen oder anderen wird aufgefallen sein, dass in diesem Zusammenhang morgen auch eine Vereidigung stattfindet. Ich mache darauf aufmerksam, auch was die Veränderungen dann im Ablauf der Tagesordnung betrifft. Wie immer soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 6 und 7 tauschen unter Beibehaltung der vorgesehenen Debattenzeiten ihre Plätze. Der Tagesordnungspunkt 10 – hier geht es um eine Beschlussempfehlung zum Thema „gentechnisch veränderte Maislinien“ – soll abgesetzt werden, stattdessen der Antrag auf Drucksache 18/10976 bei unveränderter Debattenzeit aufgerufen werden. Da geht es um das gleiche Thema. Der Tagesordnungspunkt 13 wird abgesetzt. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken entsprechend vor. Der Tagesordnungspunkt 17 – da geht es um den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie – soll abgesetzt und stattdessen der Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe auf den Drucksachen 18/10631 und 18/11001 mit einer Debattenzeit von 25 Minuten abschließend beraten werden. Schließlich soll der Tagesordnungspunkt 21 – hier geht es um die Änderung des Sprengstoffgesetzes – nunmehr ohne Debatte zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 34 aufgerufen werden. Offenkundig gibt es dagegen keine Einwände. Dann ist das so beschlossen, und wir verfahren so. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie Für inklusives Wachstum in Deutschland und Europa b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2017 der Bundesregierung Drucksache 18/10990 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2016/2017 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 18/10230 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahreswohlstandsbericht einführen Drucksachen 18/7368, 18/7599 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen. – Auch das ist offensichtlich einvernehmlich. Dann können wir so verfahren. Bevor ich jetzt dem Bundeswirtschaftsminister das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung gebe, möchte ich Ihnen, Herr Minister, ganz persönlich, sicher aber auch im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen unseren Respekt für die Entscheidung zum Ausdruck bringen, die Sie getroffen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, auf gar keinen Fall!) Das kann Ihnen nicht ganz leichtgefallen sein. Weil diese Entscheidung erwartungsgemäß auch einige Kritik und manche Häme nach sich gezogen hat, will ich Ihnen ausdrücklich zu der Souveränität gratulieren, mit der Sie sie getroffen haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) Sie haben das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident, ich gebe zu, dass mich das eben berührt hat. Auf der anderen Seite sage ich Ihnen: Manchmal ist man irritiert, wie viele Leute klatschen, wenn man zurücktritt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch eine gewisse Erlösung ist zu spüren – auf beiden Seiten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist in der Tat nicht meine letzte Rede hier, aber meine letzte Rede im Amt des Bundeswirtschaftsministers vor dem Deutschen Bundestag. Ich will deswegen die Gelegenheit nutzen, Ihnen hier zu danken. Sie waren intensiv und auch streitbar mit mir hier unterwegs. Von Ihrer Seite, aber auch – das gebe ich zu – von meiner Seite gab es viel Lust an Debatten. Ich glaube, wir haben hier gezeigt, wie eine ordentliche parlamentarische Debattenkultur aussehen kann – und das, obwohl die Mehrheit der Großen Koalition im Hause doch relativ groß ist. Trotzdem finde ich, haben wir der Opposition, vor allen Dingen der Linkspartei, mal gezeigt, dass es inhaltlich gut ist, aber auch Spaß machen kann, wie wir hier unterwegs sind. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir wollen hier mal nicht übertreiben!) Ich finde, auch bei schwierigen Debatten muss der Humor nicht völlig verloren gehen. Im zukünftigen Amt darf ich nicht mehr so humorvoll sein, hat mir Herr Steinmeier gesagt; (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) da muss ich diplomatischer werden. Dann müssen wir uns einfach außerhalb des Hauses treffen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das machen Sie sowieso schon!) – Herr Kauder, das war jetzt gar nicht als politische Drohung gemeint. Ich habe das gerne gemacht und will das auch gerne so fortsetzen. Ich finde zwar, die parlamentarische Debattenkultur wird weniger, als wir es uns wünschen, im Fernsehen gezeigt und in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Aber im Kern ist es das, was Demokratie ausmacht. Nur in Rede und Gegenrede schärfen sich das Argument und auch die Fähigkeit, das, was man will und ausdrücken will, besser und plausibler zu erklären. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, wir haben im Deutschen Bundestag und, wie ich glaube, auch in der Bundesregierung wirklich gute Weichenstellungen vorgenommen für Wachstum, für Innovation, für Teilhabe und nicht zuletzt dafür, dass die Energiewende nicht nur eine ökologische, sondern endlich auch eine ökonomische Erfolgsgeschichte wird. Anlass unserer heutigen Debatte ist der Jahreswirtschaftsbericht. Dreimal habe ich Ihnen diesen Bericht vorgelegt, und ich bin dankbar dafür, dass ich das Glück hatte, in den vergangenen drei Jahren jedes Mal gute Nachrichten vermelden zu dürfen, und dass ich das auch heute wieder tun kann: über 43 Millionen Beschäftigte – so viel wie noch nie –, eine Steigerung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und eine Abnahme der prekären Beschäftigung, steigende Reallöhne, die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung und im letzten Jahr die höchste Rentenerhöhung seit 20 Jahren. Ich kenne ein paar meiner Vorgänger, die hätten deshalb jetzt eine flammende Rede darüber gehalten, ein Feuerwerk abgeschossen, wie gut sie das alles hingekriegt haben. Wir alle miteinander wissen ja: Die Bundesregierung und, wie ich glaube, auch die gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik mit dem Kollegen Schäuble, aber auch mit allen anderen Kolleginnen und Kollegen haben dazu beigetragen, diesen ökonomischen Pfad zu erreichen. Aber im Kern ist das der Erfolg vieler, vieler Millionen Menschen, die ziemlich hart arbeiten in unserem Land, gute Ausbildungen haben, also kluger Unternehmerinnen und Unternehmer, Forscher, Ingenieure, Techniker, Facharbeiter, Verkäuferinnen, all derer, die das mit erarbeiten. Die sind sozusagen die Ursache für diese gute wirtschaftliche Entwicklung. Und das ist unser gemeinsamer Erfolg. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich gebe zu: Ein bisschen fällt es mir schwer, darüber so zu jubilieren, wie das ja in Wahljahren bei solch einer wirklich durchaus exzellenten Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung normalerweise der Fall ist. Das aus zwei Gründen: Erstens, weil das – ich glaube, das ist das Wichtigste, was uns klar sein muss – nicht zwangsläufig so bleibt, wir nicht einfach davon ausgehen können, dass sich das fortsetzt. Die Unternehmerinnen und Unternehmer, mit denen man spricht, sagen immer: Na ja, wenn wir den Eindruck haben, alles läuft sowieso gut, dann beginnt die Krise, weil man sich dann nicht richtig auf das einstellt, was zu verändern ist, damit es uns in zehn Jahren noch so gut geht. Das Zweite ist natürlich auch: Wir wissen ganz genau, dass nicht alle Menschen in Deutschland davon profitieren – Gott sei Dank endlich mehr, aber bei weitem nicht alle. Ich sage auch, dass ich natürlich Sorge habe mit Blick auf das, was auf uns zukommt. Wir scheinen ja in einer Lage zu sein, in der die Welt neu vermessen wird, unter anderem auch deswegen, weil autoritäre Antworten auf dem Vormarsch und die liberalen und sozialen Demokratien auf dem Rückmarsch sind. Die Europafeindlichkeit hat ein gefährliches Ausmaß angenommen, soziale Verwerfungen in dem einen Teil der Europäischen Union, Hochmut und nationale Stimmungsmache in dem anderen Teil sind eine riesige Gefahr auch für die wirtschaftliche Entwicklung – nicht nur, aber auch. Die französischen Präsidentschaftswahlen in diesem Frühjahr sind bittere Schicksalswahlen für Europa. Wenn es den Europafeinden nach dem Brexit im letzten Jahr ein weiteres Mal gelingt – etwa in den Niederlanden oder in Frankreich –, Erfolge zu verzeichnen, dann droht uns wirklich das Auseinanderfallen des sozusagen größten Zivilisationsprojekts des 20. Jahrhunderts, nämlich der Europäischen Union. Das europaorientierte, das auf internationale Kooperation setzende Deutschland wäre isoliert und einsam, und nach Großbritannien und den USA würden uns weitere Partner verloren gehen. Man kann die Lage gar nicht dramatisch genug empfinden. Unter dem antieuropäischen, dem nationalegoistischen Mantel ist die Demokratiefeindlichkeit zurückgekehrt, offene Feindschaft gegen Freiheit und gleiche Bürgerrechte. Der Rechtsstaat wird angegriffen – nicht nur international und an den Rändern, sondern auch im Herzen Europas. Sogar in einer so wohlhabenden und wirtschaftlich so aussichtsreichen Gesellschaft wie Deutschland sind hasserfüllte Töne und, wie wir seit einigen Tagen wissen, auch der Ruf nach Geschichtsrevisionismus erneut möglich. Bürgermeister treten zurück, weil sie ihre Familie vor dem Hass schützen wollen. Wir merken, unser Land ist nicht immun. Trotzdem – ich will das nicht kleinreden – finde ich, dass man an einem solchen Tag auch sagen kann: Unser Job ist es, sich an die 80, 85 Prozent der Menschen in unserem Land zu wenden, die jeden Tag arbeiten gehen, die abends ihren Kindern am Bett eine Geschichte vorlesen, die am nächsten Tag Übungsleiter im Sportverein sind, die zur Feuerwehr gehen, die sich in Flüchtlingsinitiativen engagieren. Das sind die 85, 90 Prozent in unserem Land, die es so geschafft haben. Sie repräsentieren Deutschland und nicht die 15 Prozent Schreihälse in unserem Land. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht um das Zusammenleben in unserem Land. Ich finde übrigens, dass wir beim jetzt anlaufenden Wahlkampf für die Bundestagswahl auch dahin gehend ein Zeichen setzen müssen. Wir sind hier politische Wettbewerber; aber wir sind keine politischen Feinde. Dennoch kommen welche, die sich uns zum Feind gemacht haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass man im Wahlkampf in der Sache hart und klar vorgeht, ist natürlich richtig; Wahlkampf ist keine Klosterschule. Wahlkampf darf aber auch nicht im Ansatz so persönlich, diffamierend und mit Lügen behaftet sein, wie es in den Vereinigten Staaten der Fall gewesen ist. Anstand und Respekt kann man sich im Wahlkampf auch zollen, wenn man unterschiedlicher Auffassung ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, auch das gehört dazu. Diese Unsicherheiten sind der Grund, warum ich den Jahreswirtschaftsbericht unter das Leitmotiv der Teilhabe und der Idee der sozialen Marktwirtschaft gesetzt habe; denn trotz der unbestreitbar guten Zahlen müssen wir anerkennen, dass sich in unserem Land viele Menschen Sorgen machen: Sorgen um ihre Sicherheit, aber natürlich auch um ihre persönliche, um ihre wirtschaftliche, um ihre soziale Zukunft. So beeindruckend die Zahlen hinsichtlich der Entwicklung der Arbeitslosigkeit und der Steigerung der Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse auch sind, gibt es natürlich auch andere Zahlen, die in diesen Zusammenhang gehören: 7,5 Millionen Menschen verdienen weniger als 10 Euro. Das sind 1 600 Euro Bruttoverdienst. Ich bin so eine Art Beute-Ossi. Ich war letztens in der Verwandtschaft meiner Frau in Ostdeutschland unterwegs. Bei einer Familienfeier saß mir jemand gegenüber, der im Schichtdienst in einem Aluminiumpresswerk arbeitet. Er bekommt 1 300 Euro netto. Ich finde, das ist ein unanständiger Lohn. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 18 Prozent der Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die Beschreibung der Verhältnisse reicht aber nicht!) – Nein, deswegen komme ich im Laufe meiner Rede noch darauf zu sprechen, was wir gemacht haben, um das zu bessern. Aber Sie müssen bis dahin warten. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es gibt auch noch andere Entwicklungen, die einem Sorge machen müssen, zum Beispiel, dass selbst Menschen mit Normaleinkommen in Großstädten Mieten nicht mehr bezahlen können oder dass es – überlegen Sie sich das einmal! – in 20 Prozent der Gemeinden in den ländlichen Räumen Deutschlands weder eine Bushaltestelle noch eine Grundschule noch einen Arzt noch einen Apotheker noch einen Supermarkt gibt. Die Menschen fühlen sich zum Teil aus dem Blick der Politik gefallen, und deswegen kommt es auch darauf an, dass wir in dieser Zeit Verbindlichkeit und Zusammenhalt in der Gesellschaft wieder fördern. Die OECD nennt das „inklusives Wachstum“. Ludwig Erhard hat es sich vor 60 Jahren einfacher gemacht, indem er es ziemlich klar in den Auftrag übersetzt hat: „Wohlstand für Alle“. Aber wir sind davon ein gutes Stück entfernt. Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Legislaturperiode eine Menge auf den Weg gebracht, um diese Entwicklung zurückzudrängen, und damit ist nicht nur das Gesetz über den Mindestlohn gemeint. Der Mindestlohn ist ein schlechter Lohn. Eigentlich ist es schlimm, dass wir dieses Gesetz brauchen. Wir haben auch in der Bundesregierung dafür gesorgt, dass Tarifverträge mehr Gewicht bekommen. Wir haben das Tarifeinheitsgesetz auf den Weg gebracht. Wir haben jetzt im Zusammenhang mit der betrieblichen Altersversorgung den tariflichen Verabredungen wieder Vorteile verschafft. Wir haben dafür gesorgt, dass wir in Deutschland im Bereich der Reallohnentwicklung vorankommen, und zwar auch dadurch, dass wir Belastungen nicht gesteigert und sogar zurückgenommen haben. Wir haben des Weiteren ungeheuer in Bildung, in Kindertagesstätten, in Ganztagsschulen und in vieles andere mehr investiert. Übrigens: Wir haben gerade den kleinen Gemeinden geholfen, indem wir in dieser Legislaturperiode die Kommunen in Deutschland um insgesamt fast 80 Milliarden Euro entlastet haben. Nie in der Geschichte der Republik gab es eine so kommunalfreundliche Politik wie in dieser Legislaturperiode, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben den Abschluss von Werksverträgen erschwert sowie Leih- und Zeitarbeit eingeschränkt. Zugegebenermaßen geschah das nicht so, wie wir es als Sozialdemokraten eigentlich wollten; aber immerhin ist es gelungen, das Ganze zurückzudrängen. Wir haben eine Menge gemacht, um Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederherzustellen. Ich wiederhole: Wir sind nicht weit genug, aber wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Dass mittlerweile auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos oder in der OECD über inklusives Wachstum geredet wird und gesagt wird: „Ungleichheit ist schlecht für die Wirtschaft“, ist ein Paradigmenwechsel; denn noch vor ein paar Jahren ist das Höchstmaß an Ungleichheit als einziger Leistungsantrieb formuliert worden. Ich finde, wir sind wieder auf einem besseren Weg. Wir sind noch nicht am Ende angekommen, aber es ist gut, dass es wieder in die Richtung geht, Wohlstand für alle zu organisieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch in diesem Jahr wird es noch einmal einen Beschäftigungsaufbau um 320 000 Erwerbstätige geben. Insgesamt stehen heute 1 Million Menschen mehr in Lohn und Brot als beim Amtsantritt dieser Regierung – 1 Million Menschen mehr haben Arbeit! Ich erinnere daran, dass wir 2005 auf dem Weg zu weit über 5 Millionen Arbeitslosen waren. Daran sieht man, was wir hinter uns gebracht haben – Vorgängerregierungen, (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Rot-Grün!) aber auch diese Regierung. – Michael, ich habe deinen Zwischenruf freundlicherweise überhört; glaube nicht, mir würde nichts dazu einfallen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Das bedeutet auch: Die Arbeitslosigkeit lag im vergangenen Jahr mit 6,1 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Übrigens: Von der Einführung des Mindestlohns haben rund 4 Millionen Erwerbstätige profitiert. Gerade viele Geringverdiener konnten aus prekären Beschäftigungsverhältnissen wie Minijobs in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wechseln. Auch 2017 werden die Einkommen der privaten Haushalte auf breiter Basis wieder deutlich wachsen. Die verfügbaren Einkommen sind 2016 um knapp 3 Prozent gestiegen und werden auch 2017 in dem Rahmen steigen. Wir haben einmal geschaut, wie viel mehr der durchschnittliche Arbeitnehmer heute im Vergleich zum Beginn der Legislaturperiode eigentlich jährlich in der Tasche hat. Es sind zwischen 1 000 und 2 000 Euro. Ich finde, auch das ist ein guter Maßstab dafür, dass wir eine vernünftige und gute Politik gemacht haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Natürlich hat das auch Rückwirkungen, die gut für die Konjunktur sind; denn Reallohnsteigerungen führen dazu, dass die Binnennachfrage zunimmt. Die kräftige Stärkung der Binnennachfrage macht Deutschland zum Stabilitätsanker in einem sehr schwierigen Umfeld. Wir sind stabil, aber wir geben auch unseren Nachbarn viel Stabilität. Meine Damen und Herren, Deutschland hat in dieser Legislaturperiode wirtschaftlich wirklich gute Jahre erlebt. Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen, gerade angesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels und der Digitalisierung. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir diesen Wohlstand in zehn Jahren auf neue, zukunftsfeste Grundlagen stellen können. Sich auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten, kann mit einem Begriff umschrieben werden: Investitionen. Deshalb hat diese Regierung die öffentlichen Investitionen massiv ausgeweitet. Die Investitionen des Bundes sind mit 36,1 Milliarden Euro stärker gestiegen als jeder andere Ausgabenbereich des Bundeshaushaltes, nämlich um weit mehr als ein Drittel. Es geht um neue Straßen, Schienen, Verkehrswege, gelegentlich auch um Flughäfen, digitale Infrastruktur und anderes mehr, Investitionen in Bildung, in Hochschulen. Ich glaube, der Grund, warum Deutschland seit 200 Jahren als Industriegesellschaft so erfolgreich war, ist – abgesehen davon, dass wir gute Leute haben, dass wir pfiffige Unternehmer haben –, dass wir die beste Infrastruktur der Welt hatten. Da besteht heute Nachholbedarf. 34 Milliarden Euro beträgt der Sanierungsstau an deutschen Schulen, über 100 Milliarden Euro insgesamt, sagt die KfW. Deswegen ist es richtig, dass wir den Investitionsanteil deutlich hochgefahren haben und auch dafür gesorgt haben, dass die Kommunen wieder investieren können. Denn solche Investitionen sind es, die unser Land zukunftsfähig und innovationsfreudig machen. Ich freue mich über den wirtschaftlichen Erfolg und über die finanziellen Reserven, die dieser dem Bundeshaushalt und übrigens auch den Länderhaushalten bringt. Übrigens sind die Beschlüsse, die wir jetzt fassen, nicht nur die kommunalfreundlichsten, sondern auch die länderfreundlichsten seit 1948. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und die teuersten! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Und die teuersten! Als Wirtschaftsminister muss man auch über Preise reden! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 16 Räuber!) – Ich habe ja, glaube ich, deutlich gemacht, dass ich das, was wir da gemacht haben, für herausragend halte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber die Länder sind eben auch diejenigen, die Polizisten einstellen müssen, die Lehrerinnen und Lehrer einstellen müssen. Das ist natürlich erst einmal Voraussetzung; denn nur dann werden wir mehr Sicherheit, mehr Bildung und anderes schaffen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die haben allerdings auch Rekordeinnahmen!) Ich bin aber unzufrieden über das, was hinsichtlich der Verwendung solcher Überschüsse diskutiert wird; das gebe ich zu. Wir haben darüber, wie Sie wissen, eine Diskussion in der Bundesregierung. Ein Teil sagt: Lasst uns die 6 Milliarden Euro nehmen und die Schulden oder die Steuern senken. – Wir glauben, dass wir investieren müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf will ich sagen: Meine Sorge ist, dass wir die Dinge zu alternativ sehen. Es wird natürlich auch Entlastungen geben müssen, aber nicht mit der Gießkanne und nicht für Millionäre, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat ja auch keiner vor!) aber für Familien und Alleinerziehende. Manchmal ist es wichtiger, die Sozialabgaben zu senken, weil dann auch Menschen mit sehr kleinen Einkommen etwas davon haben, die von den Steuerentlastungen nichts haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn aber riesige Steuersenkungspakete – das sage ich auch der anderen Seite des politischen Spektrums in meiner Partei –, riesige konsumtive Sozialausgaben versprochen werden, passiert doch nur eins: Beide muss man nach der Wahl einsammeln. Und gebrochene Wahlversprechen sind kleine Verbrechen an der Demokratie. Lassen Sie uns auch da – das ist mein Rat – Maß und Mitte behalten, aufpassen, dass man das Richtige tut. Man sollte nicht glauben, Wähler könne man kaufen. Wahlerfolg erreichen wir nicht dadurch, dass wir gigantische Versprechen machen, sondern dadurch, dass wir das, was wir versprechen, hinterher auch einhalten können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wenn der Bund wie im Jahr 2016 mit seinen Anleihen 1,2 Milliarden Euro Gewinn macht, weil die Schuldner Negativzinsen bezahlen, dann macht Schuldentilgung ökonomisch nur wenig Sinn. Es macht allerdings auch keinen Sinn, den Sanierungsstau an Schulen von 34 Milliarden Euro auf 68 Milliarden Euro anwachsen zu lassen, um dann möglicherweise höhere Steuern erheben zu müssen. (Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Länderaufgabe!) Deshalb müssen Bund, Länder und Gemeinden Investitionen Vorfahrt gewähren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Wirtschaft lebt jedoch nicht allein auf der Insel der Glückseligen. Keine andere Volkswirtschaft ist so eng mit der Welt, besonders mit den europäischen Nachbarn, verbunden. Die Weltwirtschaft wird im nächsten Jahr wachsen, aber die Unsicherheiten bleiben hoch. Ganz interessant ist übrigens: Die Weltwirtschaft wächst, der Handel nicht. – Das sind Hinweise auf Entwicklungen, die jedenfalls für Deutschland und Europa nicht gut sind. Die deutschen Exporte werden eher moderat zunehmen, die Importe dagegen werden der großen Binnennachfrage wegen in diesem Jahr spürbar ansteigen. Der Leistungsbilanzüberschuss geht deshalb leicht zurück. Das wird die Europäische Kommission freuen. All das zeigt aber: Deutschland muss seine Bemühungen fortsetzen, die Binnendynamik bei Investitionen – übrigens auch bei der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit – voranzubringen. Nur innovative Entwicklungen in unserem Land sichern uns in diesem Umfeld wirtschaftlichen Erfolg. Ich erinnere mich: Ende letzten Jahres hat Kollege Riesenhuber – er sitzt ja hier im Plenum – zum Schluss der Haushaltsdebatte eine glänzende Rede zu diesem Thema gehalten. Vielleicht nehmen wir sie mit in die Wahlkämpfe, Herr Kollege Riesenhuber, weil sie zeigt, an welcher Stelle die Grundlagen für unseren Wohlstand gelegt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) – Man merkt: Wenigstens ein paar haben zugehört, Herr Riesenhuber. Für uns ist klar: Der weltweit spürbare Hang zum Protektionismus ist der gefährlichste Weg. Abschottung macht alle ärmer. Das Kommando „Schotten dicht!“ ist ja das Kommando eines Kapitäns auf einem sinkenden Schiff. Ich bin Segler und kenne die Kommandos, die man da setzen soll. Dieses Kommando ist jedenfalls keines, was Zuversicht verbreitet, sondern dieses muss man auf einem Schiff machen, wenn es schon fast gesunken ist. Deswegen: Das, was da aus Amerika kommt und was wir auch aus anderen Ländern der Welt hören, ist sehr, sehr gefährlich für die Weltwirtschaft und auch für uns. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Lieber TTIP!) Allerdings muss man nicht verzweifeln, vor allem nicht ängstlich und unterwürfig sein; denn zurzeit gehen knapp 10 Prozent der deutschen Exporte in die USA, aber 60 Prozent gehen nach Europa. Vor diesem Hintergrund ist es richtig gewesen, dem europäisch-kanadischen Abkommen zuzustimmen. Ich stelle mir vor: In einer Zeit, in der Donald Trump regiert, indem er sozusagen Protektionismus verkündet, TPP kündigt, hätte ausgerechnet ein aus Deutschland oder aus Europa kommender Impuls, das CETA-Abkommen scheitern zu lassen, Erfolg gehabt. Die Welt würde sich jetzt über uns totlachen angesichts unserer Kritik an den Vereinigten Staaten. Wir müssen fairen und freien Handel vorantreiben. Es darf nicht sein, dass wir sozusagen in das gleiche Horn blasen, vielleicht aus anderen Gründen. Solche Handelsbeziehungen sind die Voraussetzung für das wirtschaftliche und soziale Überleben unseres Landes, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und Kanada ist ein europäischeres Land als manche Mitgliedstaaten der Europäischen Union. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, es gibt also eine Menge zu tun. Die guten Zahlen, die wir jetzt für das vierte Jahr der Legislaturperiode vorhersagen, dürfen uns erfreuen; aber sie müssen uns vor allen Dingen dazu motivieren, zu überlegen, was wir aus den Stärken unseres Landes machen können. Und es ist ein verdammt starkes Land. Deutschland ist kein Land der Schwäche; es hat mit den Menschen, die hier leben, ungeheure Potenziale. Wir haben eine gute Ökonomie, aber auch einen sicheren Sozialstaat, den wir da, wo er nicht gut ist, ausbauen müssen. Aber es gibt keinen Grund, hier alles in Grund und Boden zu reden – im Gegenteil! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Menschen Mut zu machen, das Land auch zu umarmen und zu sagen: „Tolles Land! Lasst uns dafür sorgen, dass es unseren Kindern und Enkelkindern auch gut geht“, und dann im Wahlkampf über die Frage zu streiten, wie man dieses tolle Land so gut lässt, wie es ist, und das, was nicht so gut ist, besser macht – das ist, finde ich, eine gute Aufgabe für 2017. Lassen Sie uns nicht über jeden Stock derjenigen springen, die nur eines im Blick haben: Sie wollen die Uhr zurückdrehen – die meisten mindestens hinter Willy Brandt und, wie wir wissen, ein paar auch hinter Konrad Adenauer. Das ist nicht unser Weg; wir haben einen anderen Weg vor uns. Ich wünsche Ihnen, uns allen, aber auch meiner Nachfolgerin im Amt viel Erfolg. Das waren gute Jahre im Wirtschaftsministerium. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU – Die Fraktion der SPD erhebt sich – Volker Kauder [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Jetzt steht ihr auf! Schämt euch! Er hat jetzt eine dienende Funktion! Beruhigt euch! – Gegenruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD]: Ja, ganz entspannt! Ganz entspannt bleiben!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Wirtschaftsminister, auch von mir danke für die Zusammenarbeit. Leider habe ich nicht so viel Redezeit, um das zu vertiefen. Deshalb möchte ich nur eines sagen – und das meine ich so, wie ich es sage –: Fade war es mit Ihnen nie. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Allein das ist ja parlamentarisch etwas wert. Meine Damen und Herren, der Jahreswirtschaftsbericht hat den Titel „Für inklusives Wachstum in Deutschland und Europa“. Eigentlich war der Titel anders; er hieß: „Für inklusives Wachstum und mehr soziale Teilhabe in Deutschland und Europa“. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das heißt aber „inklusives Wachstum“!) Offensichtlich ist die „soziale Teilhabe“ auf Intervention des Finanzministers – so das Handelsblatt – gestrichen worden. Genau das ist das Problem. Nebenbei, Herr Wirtschaftsminister, habe ich genau gemerkt, wer wo wann geklatscht hat. Beim Beispiel des Schichtarbeiters, das ich vollkommen richtig finde, hat sich bei Ihrem Koalitionspartner zum Teil keine Hand gerührt. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das stimmt gar nicht!) Das ist das Problem: Soziale Teilhabe ist offensichtlich in der Koalition umstritten. Deswegen sage ich Ihnen eines: Falls die Sozialdemokraten die irre Idee haben sollten, diese Koalition nach der Wahl fortzusetzen, dann wird alles so bleiben, wie es ist, und das wäre das Schlimmste, was diesem Land passieren kann. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das empfinden die Leute anders!) Meine Damen und Herren, machen wir es genau: Das Ziel, materielle Ungleichheit in Deutschland zu begrenzen und die Einkommensungleichheit zurückzuführen, stand ursprünglich in Ihrem Bericht – es ist deutlich abgeschwächt worden. Bestenfalls im Vorwort finden sich noch Hinweise darauf. Doch gerade die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung – ja, ich sage: Armut – in Deutschland ist ein zentrales Problem. Meine Damen und Herren, Sie können zwar das Problem aus Ihrer Wahrnehmung streichen, aber Sie werden es mit dem, was Sie tun, nicht aus der Realität verbannen. Viele fühlen sich von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt – einiges ist angesprochen worden –, zum Beispiel viele der 21 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Da reichen die geringen Anhebungen eben nicht aus, um das Problem zu lösen. Viele Leiharbeiter und befristet Beschäftigte fühlen sich abgehängt. Auch hier reicht bei weitem nicht aus, was Sie auf den Weg gebracht haben. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wissen, dass die Rente keinesfalls mehr ausreicht für ein einigermaßen vernünftiges Leben nach der Arbeit. Das, was bisher auf den Weg gebracht wurde, ist absolut unzureichend, fast gleich null. Meine Damen und Herren: In der Frankfurter Rundschau von heute heißt es – und das ist genau der Punkt, der in Ihrer Rede, aber keinesfalls im Bericht der Bundesregierung zu finden ist –: Die Ungleichheit in Deutschland wächst, das Armutsrisiko steigt – nicht nur für Arbeitslose, auch für Rentner und Erwerbstätige. Und das trotz des Booms am Arbeitsmarkt. Das ist die Realität, aber die blenden Sie aus. Wenn es so weitergeht, dann stärken Sie den rechten Rand. Deshalb sage ich Ihnen: Tun Sie endlich etwas, statt die Realität auszublenden! (Beifall bei der LINKEN) Um das Problem noch einmal zu verdeutlichen: Inzwischen haben wir die Situation, dass eine Partei mit eindeutig rechtspopulistischen bis faschistischen Teilen in Umfragen – zum Beispiel in Brandenburg – bei 20 Prozent liegt – und damit stärker ist als die SPD – und inzwischen in zehn Landesparlamenten sitzt, Tendenz steigend. Selbstverständlich freut es auch uns Linke, dass wir ein ansehnliches Wirtschaftswachstum und hohe Beschäftigung haben. Aber Sie wissen genauso gut wie wir, dass Sie mit dem, was Sie bisher gemacht haben, die sogenannten Abgehängten nicht wieder in das normale demokratische Spektrum integrieren konnten. Der Direktor des Weltwirtschaftsforums in Davos – Herr Gabriel, Sie haben das Weltwirtschaftsforum angesprochen –, Richard Samans, sagte bei der Vorstellung des Reports über inklusives Wachstum und Entwicklung – ich zitiere –: Wirtschaftswachstum alleine reicht nicht. Die Steigerung der Wirtschaftsleistung muss inklusiv wirken … Also allen Bürgern zugutekommen. Wenn das nicht funktioniere – und jetzt kommt das Entscheidende –, dann „kündigen die Verlierer den Konsens der Gesellschaft auf“. Und genau das passiert bei uns. Wenn wir glauben, nur durch Worte oder durch Ignoranz – wie das bei Ihnen der Fall ist – das Problem lösen zu können und nicht durch Taten, dann werden Sie mitverantwortlich für die Rechtsentwicklung sein, die wir in unserem Lande noch erleben werden. – Nebenbei bemerkt, weil ich Sie gerade hier sitzen sehe, Herr Fuchs: Nachdem Sie bei der Rede des Wirtschaftsministers so finster geblickt haben, muss ich sagen: An einigen Stellen war sie richtig gut. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen, den ich aufgrund meiner kurzen Redezeit allerdings nur kurz streifen kann. Auf Spiegel Online gibt es eine lesenswerte Kolumne von Thomas Fricke. Er schreibt: In der Kritik steht, dass wir gemessen an der beeindruckenden Höhe unseres Exports viel zu wenig bei anderen einkaufen. Die Bilanz zählt. Das haben ich und andere Vertreter meiner Partei oft angesprochen. Fricke schreibt weiter: Über Jahre haben unsere Großökonomen die Kritik aus dem Ausland am deutschen Exportüberschuss verspottet. Jetzt droht Amerikas neuer Präsident, das Problem zu erledigen – ein deutsches Drama. Er schreibt auch: Da hilft auch der Halbstarkenspruch nur bedingt, dass sich die anderen halt „anstrengen“ sollen, damit sie auch so „tolle“ Sachen exportieren ... Meine Damen und Herren, wir können das Problem nicht lösen, indem wir es einfach ignorieren und sagen: Es wird schon nicht so dicke kommen. – Wir brauchen eine Änderung unserer wirtschaftspolitischen Strategie. Das Problem besteht darin, dass wir bei weitem mehr exportieren als importieren. Wenn wir mehr importieren wollen, dann brauchen wir eine Steigerung der Nachfrage. Unsere Investitionen sind viel zu gering. 4 Prozent ihrer Gewinne bringen die Unternehmen für zusätzliche Investitionen nach Abschreibungen auf. 4 Prozent! Das waren einmal 30 oder 40 Prozent. Wenn wir das Problem nicht erkennen und nicht durch mehr Nachfrage in unserem Land entsprechend gegensteuern, dann werden die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zunehmen, und wir werden noch ein größeres Problem haben als mit Trump. Danke fürs Zuhören. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Michael Fuchs das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Bundeswirtschaftsminister – noch Bundeswirtschaftsminister –, ja, eines stimmt: Deutschland ist in einer exzellenten Verfassung wie seit vielen Jahren nicht. Wir haben mittlerweile – Sie haben es eben völlig zu Recht gesagt – 43,5 Millionen Erwerbstätige. Was Sie nicht gesagt haben, aber sicherlich genauso sehen und was mich am allermeisten an der Sache freut: Wir haben de facto kaum noch Jugendarbeitslosigkeit. In meinem Wahlkreis haben wir null Jugendarbeitslosigkeit bzw. keine vermittelbaren Jugendlichen mehr. Das ist eigentlich der größte Erfolg. Denn was gibt es Schlimmeres für junge Leute, als keine Perspektive zu haben, wenn sie in das Berufsleben eintreten wollen? Auf diesen Erfolg bin ich also besonders stolz, und darüber können wir uns meiner Meinung nach besonders freuen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, die Große Koalition war mit Sicherheit keine Liebeshochzeit. Nein, sie war eine Arbeitskoalition, und wir haben gemeinsam auch einiges erreicht. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz persönlich bei Ihnen, Herr Minister, für die faire Zusammenarbeit bedanken, auch wenn wir den einen oder anderen Streit – vor allen Dingen in der Energiepolitik – ausgefochten haben; ich komme noch darauf zu sprechen. Ich baue natürlich auch darauf, Frau Zypries, dass das in den verbleibenden sieben, acht Monaten so weitergeht, und freue mich auf diese gemeinsame Arbeit. Meine Damen und Herren, die EU 28 bildet nach den USA den zweitgrößten Binnenmarkt der Welt. Die USA haben ein Bruttoinlandsprodukt von 18,6 Billionen US-Dollar, die EU 28 haben eines von über 16,5 Billionen US-Dollar und ohne England – das müssen wir leider zur Kenntnis nehmen – immer noch von über 14 Billionen US-Dollar. Das sind so starke Zahlen, dass wir keine Angst haben müssen und uns auch keine Angst machen lassen sollten. Das haben wir nicht nötig. Wir können selbstbewusst sagen: Auch „Europe first“ kann uns weiterhelfen. Wichtig ist jetzt, dass wir die europäischen Länder näher zueinanderbringen, dass wir dafür sorgen, dass sie nicht auseinanderdriften. Im Gegenteil: Wir brauchen mehr Zusammenarbeit in Europa. Nur so werden wir die in den nächsten Jahren sowohl vonseiten der Regierung der Vereinigten Staaten als auch durch den Brexit auf uns zukommenden Herausforderungen meistern können. Das wird eine der zentralen Aufgaben der Politik in den kommenden Jahren sein. Aber es ist natürlich auch so, dass Lieferketten intensiv verwoben sind. Ich will nur ein Beispiel nennen: Die Firma BMW stellt in England den Mini her; jeder kennt das Auto. Mehr als 50 Prozent der Teile, die in den Mini eingebaut werden, kommen aus Deutschland. Das zeigt sehr deutlich, wie die Lieferketten miteinander verwoben sind und dass man sie auch nicht so schnell trennen kann. Ich setze darauf, dass das auch sehr schnell Eingang in die amerikanische Politik findet. Meine Damen und Herren – Herr Minister, da bin ich nicht ganz mit Ihnen einverstanden –, nicht alles, was wir zurzeit haben, beruht auf Leistungen dieser Regierung oder vorheriger Regierungen. Dazu hat auch eine Menge sogenannter – wie man es in der Volkswirtschaft nennt – exogener Faktoren, die Sie nicht erwähnt haben, beigetragen. Die Niedrigzinspolitik kommt den Unternehmen zumindest bei Investitionen mit ziemlicher Sicherheit sehr entgegen. Wir haben auch dank der niedrigen Energiepreise – für Öl, Gas etc. – erhebliche Vorteile. Das sind Konjunkturprogramme, wie sie besser nicht sein könnten. Wir haben einen Euro-Dollar-Wechselkurs, der unserer Wirtschaft, die in den Dollar-Raum exportiert – das sind immerhin 42 Prozent unserer Exporte –, erheblich hilft und zu Windfall Profits führt – sie sind aber nicht garantiert –, die so sonst nicht anfielen. Das muss man deutlich sagen. Und last, but not least, Herr Kollege Ernst – ich gehe normalerweise gar nicht mehr auf Sie ein –: Haben Sie einmal nachgesehen, wie viel gerade das Binnenwachstum in Deutschland zurzeit zum marktwirtschaftlichen Erfolg dieses Landes beiträgt? Mehr als zwei Drittel des Wachstums kommen aus dem Binnenmarkt; er ist wesentlich stärker als in den Jahren zuvor. Das liegt daran, dass die Löhne in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind, wesentlich stärker als in allen Jahren zuvor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch das ist ein Erfolg von guten, vernünftig agierenden Unternehmen. Das sollten wir uns bitte auch nicht schlechtreden lassen. Meine Damen und Herren, ich will einen Punkt erwähnen, der mir Sorge bereitet: die Digitalisierung. Wir sind in diesem Bereich ziemlich rückständig. Heute 50 Mbit Downloadgeschwindigkeit im Jahre 2020 anzustreben, ist bei weitem zu wenig. Den auf uns zukommenden Herausforderungen werden wir damit mit Sicherheit nicht gerecht. Im Gegenteil: Wir müssten über Gigabit reden und nicht über Megabit. Dass andere Länder das können und tun, das ist ein Faktum. Jeder, der sich im ostasiatischen Bereich aufhält, der wird das sehr schnell feststellen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Südkorea!) Verehrter Herr Präsident, mit Verlaub, dass der Deutsche Bundestag noch kein WLAN hat, ist auch kein Zeichen allergrößter Modernität. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich war vor kurzem im Parlament von Singapur und konnte feststellen, dass der WLAN-Empfang überall wunderbar war. Aber nicht nur dort, selbst in Malaysia und Thailand gibt es das, und das sind Länder, von denen man nicht sagen kann, dass sie auf unserem Entwicklungsstand sind. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dann soll Dobrindt mal hinnemachen!) Wir müssen daran arbeiten, dass die digitale Versorgung so schnell wie möglich besser wird und wir möglichst auch in allen öffentlichen Bereichen WLAN haben. Das sollte bald der Fall sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Fuchs, darf ich vielleicht dennoch darauf aufmerksam machen, dass gleichwohl viele Parlamente in der Welt trotz glänzend funktionierenden WLANs mit diesem Parlament sofort tauschen würden? (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Auch da gebe ich Ihnen recht, Herr Präsident, wie fast immer. Aber beim WLAN können wir noch ein ganz klein bisschen nachholen. Im Europasaal haben wir das ja immerhin schon geschafft. Meine Damen und Herren, ein Bereich bereitet mir wirklich Sorgen, und bei diesem Thema sind wir uns mit dem Bundeswirtschaftsminister nicht einig: Es geht um die Energiepolitik. Die Kostenentwicklung läuft mittlerweile völlig aus dem Ruder. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Danke, Schwarz-Gelb!) Mein geschätzter Kollege Kauder hat vor wenigen Tagen zu mir gesagt, er würde mir den Hals umdrehen, wenn das mit dieser Energiekostensteigerung so weitergehen würde, wie es jetzt ist. Da ich mir das ersparen will, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Wir haben zwei EEG-Reformen gemacht; die haben aber nicht einmal annähernd zu einer Abschwächung bei den EEG-Kosten geführt. Dieses Jahr geben wir 25 Milliarden Euro für die EEG-Umlage aus. 25 Milliarden Euro! Und das ist noch nicht einmal die ganze Wahrheit. Die Kosten für die EEG-Umlage liegen zurzeit bei 6,88 Cent pro Kilowattstunde. Ich sage Ihnen voraus: Spätestens im Herbst dieses Jahres wird das eine ganz andere Größenordnung sein. Wir müssen ganz schnell reagieren. Jetzt kommt der zweite Punkt. Die Bundesnetzagentur hat vor einigen Tagen deutlich gemacht, dass die Netzentgelte erheblich steigen werden. Wir werden bis 2024 rund 45 Milliarden Euro nur für die Netze ausgeben müssen. Das bleibt uns nicht erspart. Das ist notwendig. Das bedeutet aber – das sind alles Zahlen der Bundesnetzagentur –, dass die Netzentgelte für die Haushaltskunden um mindestens 25 Prozent steigen werden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Röttgen, Rösler, Merkel!) Das geht in Richtung von 10 Cent. Und jetzt kommt die noch viel dramatischere Zahl: Für große Industriekunden werden die Netzentgelte um 115 bis 130 Prozent steigen. Ich bin froh, dass Sie das Thema Netzausgleich angesprochen haben. Wir müssen da weitermachen. Es wird höchste Zeit, dass wir bei den Netzen ein Level-Playing-Field in Deutschland schaffen; denn es kann nicht sein, dass in einigen Bundesländern deutlich höhere Netzkosten zu zahlen sind als in anderen, weil wir dadurch eine Ungleichheit im Wettbewerb schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mir bereitet das Thema Netze erhebliche Sorgen, weil es für einen zusätzlichen Kostenschub sorgen wird. Hinzu kommt – strafverschärfend, kann man sagen –, dass die großen Übertragungsnetze, also die Nord-Süd-Netze, laut Aussage der Bundesnetzagentur frühestens 2025 fertig sein werden. Was machen wir denn bis 2025? Wir werden im Norden einen erheblichen Zuwachs beim produzierten Strom haben, aus den Offshoreanlagen, aber auch aus den Onshoreanlagen; den Verbrauch haben wir aber vorrangig im Süden. Wenn wir den Transport nicht hinbekommen, was passiert dann? Ganz simpel und einfach: Dann kommen die sogenannten Redispatch-Kosten noch obendrauf. Ich kann hier ja Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums völlig unbefangen zitieren. Herr Rid hat gesagt, dass wir im letzten Jahr Redispatch-Kosten von 1,1 Milliarden Euro hatten und wir dieses Jahr Redispatch-Kosten von 2 Milliarden Euro und demnächst von 4 Milliarden Euro haben werden. Meine Damen und Herren, das wird alles auf die Netzkosten umgelegt werden müssen. Das geht alles in die Preise hinein. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Danke, CDU!) Dann wird es irgendwann den Punkt geben, an dem wir zu teuer werden und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft erheblich leidet. Da dies der letzte Jahreswirtschaftsbericht ist, den ich hier mitdiskutieren darf, möchte ich darauf hinweisen, dass wir erheblichen Nachholbedarf haben und intensiv daran arbeiten müssen. Lieber Herr Gabriel, noch einmal herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden war; das habe ich gerade deutlich gemacht. Es hat sich gelohnt, dass wir trotzdem so vernünftig miteinander umgegangen sind. Liebe Frau Zypries, Deutschland braucht für die Zukunft eine an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientierte Ordnungspolitik. Lassen Sie uns bitte alle gemeinsam daran arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Wirtschaftsexperte Özdemir!) Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Sigmar Gabriel, zunächst möchte ich Ihnen unseren Respekt für Ihre Entscheidung aussprechen, die sicherlich keine einfache war. Wir wünschen Ihnen alles Gute im neuen Amt. Was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht – so habe ich mir sagen lassen –, soll das nicht das allerleichteste Amt sein. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber wir wünschen Ihnen viel Erfolg dabei und sind schon sehr gespannt auf die ersten Schilderungen, die wir dann hoffentlich lesen können. Wir wünschen auch der designierten Nachfolgerin, Brigitte Zypries, alles Gute in dem neuen Amt. – Doch zurück zur Gegenwart. Sie sagen, der Wirtschaft gehe es gut, die Staatsfinanzen seien solide und das Beschäftigungsniveau sei hoch. Ich glaube, es gibt niemanden hier im Hohen Haus, der sich nicht darüber freut. Aber mit diesem Erfolg, mit diesen Daten haben Sie, Herr Gabriel und die Große Koalition, herzlich wenig zu tun, (Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) sondern Ihr Erfolg beruht auf niedrigen Zinsen und billigem Öl. Man kann, glaube ich, sagen: Es geht diesem Land gut – nicht wegen der Großen Koalition, sondern trotz der Großen Koalition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt einen anderen Politikbereich, bei dem Sie ein bisschen so tun, als ob Sie gar nichts damit zu tun hätten; aber damit haben Sie sehr viel zu tun. Ich meine den Zustand der Infrastruktur in unserem Lande. Sie haben zu wenig investiert. Der Besitz der gesamten Bevölkerung verfällt. Die Bürger stehen im Stau. Sie warten auf schnelles Internet. Europaweit nimmt der Populismus zu. Doch was fällt dieser Großen Koalition ein? Die schwarze Null, die Sie anbeten und wie eine Monstranz vor sich hertragen. Unsere Probleme werden nicht gelöst, wenn man sich auf Leistungen früherer Regierungen und der Bevölkerung ausruht und nicht in die Zukunft investiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Besonders absurd wird es, wenn Sie von den Sozialabgaben sprechen. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wir haben nicht vergessen, dass es diese Große Koalition war, die eine Rentenreform mit einem Umfang von 160 Milliarden Euro bis 2030 auf den Weg gebracht hat, die weder sozial gerecht noch generationengerecht ist; denn die Erwerbsgeminderten, die Hauptbetroffenen, haben Sie vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!) Sie finanzieren das über die Mitgliedsbeiträge der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Liebe Kollegen von der CDU/CSU, so viel zum Thema Wirtschaftskompetenz. Bei der Ost-West-Angleichung der Rente machen Sie es wieder so. Anstatt die Sozialabgaben zu reduzieren oder dafür zu sorgen, dass sie nicht steigen, machen Sie das Gegenteil. Damit erweisen Sie dem Mittelstand einen Bärendienst, Sie erweisen unserer Wirtschaft einen Bärendienst und auch den Arbeitnehmern und Arbeitgebern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine Bitte habe ich noch: Bitte nehmen Sie das Wort „Generationengerechtigkeit“ zumindest in dieser Legislaturperiode nicht mehr in den Mund. Denn damit haben Sie so ziemlich gar nichts am Hut. Zu den zwei entscheidenden Herausforderungen habe ich in der Regierungserklärung, aber auch – das muss ich sagen – in der Debatte, Herr Fuchs, wenig gehört. Erstens. Wie stoppen wir den Klimawandel und erhalten dabei unsere industriellen Arbeitsplätze? Völlige Fehlanzeige in der Rede des Bundeswirtschaftsministers. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Wie gehen wir mit der angespannten Lage in der Welt und natürlich auch in Europa um? Dazu, dass der Protektionismus auf dem Vormarsch ist, und auch zur Abschottung hätte ich gern etwas gehört. Wie sind hier Ihre Vorstellungen? Es war die Bundesregierung, die das Klimaschutzabkommen in Paris unterzeichnet hat, aber hier in diesem Haus tun Sie so, als ob Sie damit nichts zu tun hätten. Sie, Herr Gabriel, haben den Kohleausstieg an einem Tag einfach vom Tisch gewischt. Gleichzeitig gibt es Länder wie Kanada, die sich verpflichtet haben, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen. Sie sehen: Andere Industrieländer können es anders machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sollten uns Kanada zum Vorbild nehmen und ebenfalls zeigen, dass wir nach dem Atomausstieg in der Lage sind, auch aus der Kohle auszusteigen. (Zurufe von der CDU/CSU) Was ich hier gehört habe, ist klassische Retro-SPD-Industriepolitik; diese wird hier reaktiviert. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ein dummes Zeug!) Die Ökologie haben Sie offensichtlich aufgegeben. Ökologische Modernisierung wird als Bedrohung für den Standort wahrgenommen. Das ist das Gegenteil all dessen, was Sie in den letzten Jahren selber einmal gesagt haben, meine Damen, meine Herren. Das sollten die Wählerinnen und Wähler genau wissen. Wem der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen wichtig ist, der weiß, wen er nicht wählen kann, und der weiß bei der nächsten Wahl sicherlich auch, wen er wählen kann, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Fuchs, quasi der murmeltierpolitische Sprecher der Union, wiederholt in jeder Rede – wir haben eigentlich schon darauf gewartet, wann das Thema Energiepreise kommt –, dass natürlich die erneuerbaren Energien schuld an allem Übel dieser Welt sind. Ich will hier einmal jemanden, der wohl über jeden grünen Verdacht erhaben ist, zitieren zu Ihren Klagen, dass die Energiewende die Preise durch die Decke schießen lassen wird. Ich zitiere Georg Müller, Chef der Mannheimer MVV, immerhin sechstgrößter deutscher Energieversorger: Der Anteil der Stromkosten am Bruttoinlandsprodukt liegt auf dem Niveau der 1990er-Jahre. Ich meine, dem ist nicht viel hinzuzufügen. Statt wie Sie die erneuerbaren Energien mit einem Ausbaudeckel zu versehen, müssten wir eher im Gegenteil beim Ausbau der erneuerbaren Energien einen Zahn zulegen; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn darin liegt die Zukunft des Standortes Bundesrepublik Deutschland. Dasselbe gilt für den Verkehrssektor. Wir müssen gerade im Interesse der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland so schnell wie möglich einen Zahn zulegen, damit es mit emissionsfreien Fahrzeugen klappt. Was aber tut diese Bundesregierung? Sie verabschiedet sich von dem eigenen Ziel, 1 Million Fahrzeuge CO2-frei auf die Straßen der Bundesrepublik Deutschland zu bringen. Ich darf Sie an Folgendes erinnern: Jörg Hofmann, der Chef der IG Metall, war kürzlich zu Gast bei uns und hat gesagt: Es scheitert nicht an den Gewerkschaften, es scheitert nicht an den Unternehmen, sondern der Wille der Großen Koalition, der Wille der Politik, die notwendigen Vorgaben zu machen, anzupacken, damit wir auch die Verkehrswende schaffen, fehlt eben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann klappt es halt nicht, wenn man es nicht will; dann bekommt man es auch nicht hin. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Eine Bierzeltrede!) Die Gefahren für unsere Volkswirtschaft durch die Wahl von Donald Trump – darauf wurde bereits hingewiesen – werden uns alle betreffen. Damit sind wir bei einem zentralen Punkt für unsere Wirtschaft, nämlich bei der Zukunft eines freien Handels und einer starken Europäischen Union. Ich glaube, hier sind sich alle einig, dass wir freien Handel stärken müssen, dass wir Protektionismus verhindern müssen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach, die Grünen auch?) Das Gegenteil passiert jetzt, wenn man dem Glauben schenken kann, was Präsident Trump angekündigt hat. Er will die Finanzmärkte von der Kette lassen und die Realwirtschaft an die Kette legen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Also müssen zumindest wir in Europa unsere Hausaufgaben machen; niemand wird das für uns tun. Sowohl der Brexit als auch die Wahl von Trump müssen uns eine Lehre sein. Wir brauchen ein starkes, wir brauchen ein offenes und vor allem ein geeintes Europa, und das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es waren Politiker von beiden großen Volksparteien – Adenauer, Brandt, Schmidt und Kohl –, die dieses Europa mit aufgebaut haben, und dieses Erbe steht jetzt in Gefahr. Darum ist es wichtig, dass wir als die vielleicht letzte Generation, die darüber entscheiden kann, welche Richtung dieses Europa einschlägt, dieses Friedensprojekt Europa nicht nur sichern, sondern dahin führen, dass es wieder eine Erfolgsgeschichte wird. Dafür brauchen wir ein Deutschland, das seine Rolle in der Europäischen Union auch annimmt, das gemeinsam mit unserem wichtigsten Partner Frankreich dafür sorgt, dass Europa verteidigt wird und weiterentwickelt wird. Auch darüber hätte ich gern etwas gehört. Das ist das, worauf unsere Wirtschaft und unsere Arbeitgeber warten. Leider war auch dies Fehlanzeige. Herzlichen Dank. (Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Hubertus Heil ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Titel dieses Jahreswirtschaftsberichts ist „Für inklusives Wachstum in Deutschland und Europa“. Ich gebe zu, das ist ein etwas sperriger Titel. Das Fachwort „inklusives Wachstum“ muss meines Erachtens übersetzt werden, damit allen klar ist, was das bedeutet, was es vor allen Dingen an wirtschaftspolitischem Paradigmenwechsel bedeutet. Denn heute diskutieren wir anders als der wirtschaftsradikale Mainstream, dem auch jemand wie Cem Özdemir zwischendurch einmal erlegen ist, als er noch mit Oswald Metzger befreundet war. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) An dieser Stelle haben wir heute eine andere Diskussion auf der Welt. Inklusives Wachstum beinhaltet das Bekenntnis, dass wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit keine Gegensätze sind, sondern wechselseitige Bedingung, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Das ist der Unterschied. Denn damals, als Frau Merkel beispielsweise noch die neue soziale Marktwirtschaft, den steuerpolitischen Bierdeckel und die Kopfpauschale gepredigt hat, war es tatsächlich so, dass es zwei fundamentale Irrtümer gab, die Wirtschaftsradikale unter das Volk zu bringen versucht haben. Den einen hat Sigmar Gabriel angesprochen, nämlich dass Ungleichheit Motor wirtschaftlicher Dynamik sei. Wenn jetzt auf dem Weltwirtschaftsforum im Global Risks Report davon die Rede ist, das Ansteigen des Anti-Establishment-Populismus deute darauf hin, dass wirtschaftliches Wachstum allein nicht hilft, die Spaltung von Gesellschaften zu überwinden, sondern dass – ich zitiere das Weltwirtschaftsforum in Davos – „eine Reform der kapitalistischen Marktwirtschaft“ auf die Agenda gehört, dann ist das eine andere Debatte, und das ist auch gut so, meine Damen und Herren. Wirtschaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen. (Beifall bei der SPD) Der zweite Irrtum wirtschaftsradikaler Vorstellungen war in den unglaublich dummen Satz eines Amtsvorgängers von Sigmar Gabriel, eines liberalen Wirtschaftsministers, gegossen, der einmal gesagt hat: „Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht.“ Richtig ist, dass in einer sozialen Marktwirtschaft im Wesentlichen Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen. Aber klar ist auch, dass ohne einen starken und handlungsfähigen Staat und ohne eine aktive Wirtschaftspolitik wirtschaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit nicht zu gewährleisten sind. Das, meine Damen und Herren, ist etwas, was wir für uns in Anspruch nehmen. Die in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik SPD-geführte Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode dafür gesorgt, dass der Schalter umgelegt wurde. Unser Erfolg lässt sich auch in Zahlen messen. Die gute wirtschaftliche Lage – darauf hat Sigmar Gabriel hingewiesen – ist nicht allein ein politisches Verdienst. Natürlich haben wir Sonderfaktoren, die genannt wurden, und natürlich ist sie das Verdienst von fleißigen Menschen, die diesen Erfolg erarbeitet haben. Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 25 Jahren und die höchste Zahl von Erwerbstätigen – in diesem Jahr sind es 43,5 Millionen Menschen und damit 1,5 Millionen mehr als 2013 –, und es gibt eine ordentliche Entwicklung bei den Löhnen. Das, meine Damen und Herren, ist auch das Verdienst von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Dafür danken wir ihm. (Beifall bei der SPD) Er hat durch seine Arbeit dafür gesorgt, dass das Bundeswirtschaftsministerium in der Bundesregierung wieder eine aktive Rolle spielt. In den letzten Jahren war es ja verkommen. Denn seine Amtsvorgänger, die nach dem Motto „Wirtschaft wird von der Wirtschaft gemacht; der Staat muss sich überall heraushalten“ gehandelt haben, haben die Rolle einer aktiven Wirtschaftspolitik nicht unterstützt. Dieser Turnaround lässt sich auch an den Investitionsquoten des Bundeshaushalts ablesen. Die Investitionen des Bundes sind seit Beginn dieser Legislaturperiode auf 36 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2017 gesteigert worden. Meine Damen und Herren, wenn wir außerdem noch die Entlastung der Kommunen berücksichtigen, deren Höhe Sigmar Gabriel vorhin beziffert hat – ihre Investitionen machen den größten Anteil an den Investitionen der öffentlichen Hand aus –, kann man zu Recht sagen: Auch bei den Investitionen haben wir den Schalter umgelegt, weil unser Land wirtschaftlich nicht von der Substanz leben kann. Zu den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, gehören die Förderung des Ausbaus, der Sanierung und der Modernisierung von Schulen sowie Investitionen auch der privaten Hand, die wir beispielsweise durch erleichterte Abschreibungsmöglichkeiten – Stichwort: geringfügige Wirtschaftsgüter – noch weiter unterstützen wollen. Das ist die richtige Richtung, wenn es darum geht, gute Zeiten für Investitionen zu nutzen, damit die Wirtschaft auch in schwierigen Zeiten brummt. Herr Fuchs, bei aller Freundlichkeit: Ich finde, dass Sie ein etwas kurzes Gedächtnis haben, wenn Sie hier über die Energiepolitik reden. Die Steigerung der EEG-Umlage und der Netzkosten, die Sie beschrieben haben, ist das Ergebnis des Chaos der schwarz-gelben Vorgängerregierung. Wir haben in dieser Legislaturperiode mit Sigmar Gabriel versucht, hier aufzuräumen. (Beifall bei der SPD) Wir hatten den Mut zu Reformen, den Sie unter Schwarz-Gelb nie hatten. Wir haben Ausschreibungen durchgesetzt, und wir haben die Voraussetzungen für den Netzausbau, der jetzt stattfindet, geschaffen. Wenn wir vier Jahre vorher mit unserer Arbeit hätten beginnen können – Sigmar Gabriel hatte in der Energiepolitik eine Herkulesaufgabe zu bewältigen –, dann hätten wir die Probleme, die Sie zu Recht beschrieben haben, heute nicht. (Beifall bei der SPD) Durch das Versagen und den fehlenden Mut von Schwarz-Gelb wurde Chaos in die Energiewende gebracht, und zwar durch Ihre Zickzackpolitik und das Verfehlen der drei wichtigsten Ziele der Energiewende. Wenn wir 2013 nicht angefangen hätten, Reformen durchzuführen, dann wären alle drei Ziele der Energiewende – sicher, sauber und bezahlbar – verfehlt worden. (Beifall der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD]) Dieser Bundeswirtschaftsminister hat Grund und Ordnung in die Energiewende gebracht, damit sie als Innovationsprojekt ein Erfolg für unsere Gesellschaft wird: sozial, ökologisch und auch ökonomisch. Auch dafür sind wir ihm dankbar, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Wir reden hier zu Recht über die Arbeit des Bundeswirtschaftsministers und über den wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes. In diesem Zusammenhang werden und müssen wir auch über den Freihandel reden. Ich war ja ganz erstaunt, Cem Özdemir, wie sehr Sie sich eben zum freien Handel bekannt haben. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Letztes Jahr, als es um CETA ging, hatten wir Sie nicht an unserer Seite, sondern da haben wir erlebt, dass Sie sich sogar mit Populisten zusammengetan haben, die nicht erkannt haben, dass wir sowohl freien als auch fairen Handel brauchen. CETA ist durch die Arbeit dieses Wirtschaftsministers ein Abkommen geworden, das hohe Maßstäbe setzt, Arbeitnehmerrechte sichert, den Weg hin zu anonymen Schiedsgerichten beendet und Verbraucherschutz- und ökologische Standards sichert. Wir haben ein gutes Abkommen geschaffen, und in Zeiten des aufziehenden Protektionismus war dieses Verdienst von Sigmar Gabriel zum Wohle der deutschen Exportwirtschaft, der Arbeitsplätze und fairer Globalisierungsstandards eine Riesenleistung, meine Damen und Herren. Das waren nicht Sie, das war dieser Minister. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Axel Knoerig [CDU/CSU]) Wenn ich mir die Linkspartei, Herr Kollege Ernst, in diesen Zeiten anhöre, fällt eines auf: Sie haben in der weltwirtschaftlichen Debatte ganz neue Verbündete, mit denen Sie nie gerechnet haben. (Zuruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Mauern rechtfertigen, Protektionismus predigen und die NATO auflösen wollen – das haben wir bisher nur von der Kommunistischen Plattform der Linkspartei gehört. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was haben wir damit zu tun? Das ist doch affig!) Das ist jetzt die Position von Donald Trump, und wir werden erleben, dass das zum Schaden der Welt ist. Sie als Linkspartei haben ja nicht die Möglichkeit, die Weltpolitik zu beeinflussen, aber Sie werden erleben, dass Ihre Rezepte jetzt von Rechtspopulisten in der Weltwirtschaft ausprobiert werden. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Unglaublich! Unverschämtheit!) Meine Damen und Herren, ich bin heilfroh, dass das nicht die Politik dieser Bundesregierung ist. Wir werden unsere europäischen Werte, unsere Vorstellungen von Demokratie, Marktwirtschaft und Sozialstaatlichkeit in diesen schwierigen Zeiten gegenüber solchem rechtem Populismus und Protektionismus behaupten müssen, und dafür brauchen wir alle Kraft und nicht diese Rezepte der Linkspartei oder die von Donald Trump. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klaus Ernst? Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sehr gerne. Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Kollege Heil, ich habe gerade wirklich mit Erschrecken vernommen, wir hätten hier neue Verbündete: den Trump. Ich gehe davon aus: Die Verbindung soll sein, dass er jetzt die Handelsabkommen mit dem Pazifikraum kündigt und wir gegen CETA sind. Dazu möchte ich eines eindeutig feststellen und bitte Sie, das wirklich zur Kenntnis zu nehmen: Dieses In-einen-Topf-Werfen ist wirklich unanständig, richtig unanständig. (Beifall bei der LINKEN) Denn dass Veränderungen im CETA-Abkommen überhaupt möglich waren, das waren wir. (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Um Gottes willen!) Das waren der Druck der Öffentlichkeit und der Druck der Verbände. Und herausgekommen ist: Nach wie vor besteht die Sondergerichtsbarkeit für Unternehmen, nach wie vor erfolgt eine Entmachtung der Demokratie durch den CETA-Ausschuss, nach wie vor gibt es eine nicht akzeptable vorläufige Inkraftsetzung und einen Abbau von Standards, der inzwischen allenthalben zur Kenntnis genommen wird. Das sind die Gründe, warum wir dieses und andere Abkommen ablehnen. Trump hat eine völlig andere Idee: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was denn jetzt?) Trump will Protektionismus, und Freihandel ist der Gegensatz von Protektionismus. Wir wollen fairen Handel, und wir unterscheiden uns gravierend von Trump. Mit dem haben wir nichts am Hut, und ich möchte, dass dies zur Kenntnis genommen wird. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Heil (Peine) (SPD): Herr Kollege Ernst, ich habe darauf hingewiesen, dass wir die Töne, eine Mauer zu rechtfertigen, Protektionismus zu predigen und gleichzeitig die NATO infrage zu stellen, bisher von der Kommunistischen Plattform Ihrer Partei gewohnt waren. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Einfach unglaublich! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist doch albern!) Donald Trump will jetzt eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen. Die Rechtfertigung für den Bau einer Mauer habe ich bei Ihnen vor kurzem ebenfalls noch einmal gehört, und zwar – ich darf, mit Verlaub, Frau Wagenknecht vom 23. März 2016 gegenüber der TP-Presseagentur zitieren –: Die Mauer – sie meinte die Mauer durch Berlin – stabilisierte den Status quo der europäischen Nachkriegsordnung und somit unter den damaligen Bedingungen den Weltfrieden. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das hat Strauß gesagt!) Meine Damen und Herren, wer Mauern bauen will, wer abschotten will, der ist auf dem falschen Weg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist Unsinn!) Ich behaupte ja nicht, dass Sie sich mit denen gemein machen wollen, aber Ihre Rezepte sind die dieses Herrn, und es sind die falschen Rezepte. Deshalb werden wir das bekämpfen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Unverschämtheit! Eine dreiste Unverschämtheit! Das ist ja wirklich unerträglich!) Wir wollen eine offene Gesellschaft. Wir wollen fairere Regeln für die Globalisierung. Wir wollen keinen Protektionismus. Hier wächst wirklich manchmal an den Rändern zusammen, was zusammengehört. Aber ich sage Ihnen an dieser Stelle sehr deutlich: Das ist nicht der Kurs von Sozialdemokraten. Sigmar Gabriel war in Kanada und hat mit Trudeau und Frau Freeland, der damaligen Handelsministerin, gesprochen. Ich war dabei. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eine unglaubliche Entgleisung ist das! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Demagogie!) Sie ist übrigens jetzt Außenministerin geworden; ab morgen deine Kollegin, Sigmar. Ich habe erlebt, wie er in Europa dafür gekämpft hat, die Staats- und Regierungschefs und die Wirtschafts- und Handelsminister hinter sich bzw. zu dieser Position zu bringen, die wir am Ende durchgesetzt haben – ich sage es noch einmal –: keine anonymen Schiedsgerichte, (Volker Kauder [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ihr Mauerbauer!) hohe Arbeitnehmerstandards, faire Gestaltung der Globalisierung, offene und freie Märkte, aber auch im Interesse dieses Landes. Klaus Ernst, dir sage ich es einmal sehr deutlich: Dir persönlich glaube ich, dass du auch für internationalen Handel bist. Du müsstest aber einmal mit größeren Teilen deiner Partei, die Protektionismus predigen, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sind Fake News!) anständig darüber reden, dass sie zum Schaden von Arbeitsplätzen – zum Beispiel von IG-Metall-Kollegen, die bei Volkswagen oder woanders arbeiten und auf Export angewiesen sind – handeln. Das ist deren Existenzgrundlage. Diese Erkenntnis ist in der Linkspartei leider nicht Allgemeingut. – Das meinte ich damit, und dabei bleibe ich auch. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Und mit denen wollt ihr koalieren? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Es kann nur schlimmer kommen! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wenn Sie das nötig haben! Oje!) Auch ein Wort an die Grünen: Cem Özdemir, du hast bisher ja nicht oft an den wirtschaftspolitischen Debatten dieses Hauses oder der Ausschüsse teilgenommen, (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran wirst du dich gewöhnen!) weshalb du bestimmte Sachen – zum Beispiel in der Rentenpolitik – nicht mitbekommen hast. Du beklagst, dass im Rentenpaket der Zugang zur Erwerbsminderungsrente nicht verbessert worden sei. Ich würde mir das Rentenpaket noch einmal angucken; genau das ist nämlich passiert. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Minimal! – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um 160 Milliarden Euro bis 2030!) – Das ist an dieser Stelle passiert, und mit Andrea Nahles wird das übrigens noch ausgebaut. Ich will auch etwas zur Haltung sagen, die dieser Bundeswirtschaftsminister hatte, als es um das Schicksal von zehntausend Arbeitsplätzen bei Tengelmann und Edeka gegangen ist: Ich kann mich erinnern, dass die Grünen hier auf der falschen Seite waren. Ich weiß nicht, ob sich die Grünen anders verhalten hätten, wenn es eine Biokette gewesen wäre; (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kannst du besser! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) ich weiß nur eines: In dieser Situation war dem Bundeswirtschaftsminister das Schicksal von Verkäuferinnen und Verkäufern, von Menschen, die hart arbeiten, nicht egal. Das ist möglicherweise ein Unterschied zu der kalten Art, wie ihr manchmal Wirtschaftspolitik betreibt. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tut ihr denn für die Langzeitarbeitslosen?) Ich bin stolz darauf, dass Sigmar Gabriel da gehandelt hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Verdi hat uns damals geholfen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Arbeitsplätze – und zwar tarifvertraglich geschützt und ordentlich entlohnt – erhalten bleiben. Das ist das Verdienst von Sigmar Gabriel. Er hatte den Mut, sich mit all den Leuten anzulegen, die das kritisiert haben, und er hat richtig gehandelt; das wissen wir heute. Auch dafür sind wir sehr dankbar. (Beifall bei der SPD) Ich komme zum Schluss. Deutschland ist wirtschaftlich stark, aber wir müssen viel tun, damit es auch stark bleibt. Deshalb bin ich mir sicher, dass die gute Arbeit, die Sigmar Gabriel geleistet hat – zum Schutz auch der industriellen Arbeitsplätze, zur Modernisierung dieses Landes, für Investitionen, für soziale Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Erfolg –, durch seine Nachfolgerin, Brigitte Zypries, fortgesetzt wird. Es wird hier keinen Phasenriss geben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) Sie ist Staatssekretärin bei ihm und wird das sehr gut machen, und ich bin auch sehr dankbar, dass ein junger Kollege aus unserer Fraktion, der Kollege Dirk Wiese, als Parlamentarischer Staatssekretär an ihrer Seite stehen wird. Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratie macht sehr deutlich: Wir werden den Kurs in der Wirtschaftspolitik, den Sigmar Gabriel begonnen hat, im Interesse dieses Landes fortsetzen, weil wirtschaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit zusammengehören. Danke an Sigmar Gabriel, dass er hier in der Wirtschaftspolitik den Schalter in die richtige Richtung umgelegt hat! Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herzlichen Dank, lieber Kollege. – Das Wort hat jetzt Andreas Lämmel von der Fraktion der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Ich darf Ihnen ganz herzlich zu Ihrer ersten Sitzungsleitung gratulieren und wünsche Ihnen große Erfolge und dass Sie das Haus immer im Griff behalten – auch bei hitzigen Debatten. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Meine Damen und Herren! Es geht heute um den Jahreswirtschaftsbericht. Herr Kollege Heil, Ihre Rede war ja eine Huldigungsrede für unseren Wirtschaftsminister. Ich hatte es eigentlich nicht so verstanden, dass er das Haus verlässt, sondern er wird weiterhin auf der Regierungsbank sitzen. Herr Kollege Heil, eines muss ich Ihnen schon noch einmal sagen, weil Sie das Thema Energiepolitik angesprochen haben, das ich jetzt aber nicht zum Mittelpunkt meiner Rede machen will: Ich möchte Sie bitten, noch einmal ein paar Jahre weiter als nur die letzten vier Jahre zurückzudenken. Der Kollege Gabriel war ja mal Umweltminister, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Frau Merkel auch!) und während dieser Zeit sind zum Beispiel die Fundamente für die Probleme, die wir heute bewältigen, mit gelegt worden. Dass der Herr Gabriel in seinem Amt als Wirtschaftsminister zu neuen Erkenntnissen gekommen ist und dass wir gemeinsam einige Dinge verrichten konnten, halte ich für sehr positiv. Hier kann ich Sie auch nur unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, dass es Deutschland gut geht, haben heute schon alle Redner beschrieben. Man kann es aber eben nicht oft genug sagen, weil die Kollegen der Linken und der Grünen immer dazu neigen, die Situation trotzdem schlechtzureden. Acht Jahre Wirtschaftswachstum hintereinander! Es muss mir einmal jemand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Zeiten zeigen, in denen wir acht Jahre hintereinander kontinuierlich ein Wirtschaftswachstum hatten, (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 60er-Jahre!) und die Projektion für 2017 sieht ein weiteres Wirtschaftswachstum voraus. Das finde ich sehr gut. Für die gute Gesamtsituation ist nicht nur der gute Zustand der deutschen Wirtschaft verantwortlich, sondern hinter der deutschen Wirtschaft stehen die Menschen; auch das wurde heute schon gesagt. Das sind die Unternehmer, die Selbstständigen, die Handwerker, die Angehörigen der freien Berufe und natürlich die Arbeitnehmer, die alle gemeinsam diesen großen Erfolg für sich verbuchen können. Ich glaube, wenn man diese Dinge immer schlechtredet, macht man auch die Menschen schlecht, die dahinterstehen. Meine Damen und Herren, Herr Ernst fing ja wieder mit dem Thema Handelsüberschüsse an. Das ist sein Lieblingsthema, und die Linken können offensichtlich überhaupt keine anderen Einlassungen zur Wirtschaftspolitik mehr machen. Deutschland ist eine Exportnation. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ach was!) Ein wesentlicher Pfeiler des wirtschaftlichen Erfolges sind die Exporte. Sie selbst wissen ganz genau, dass die Handelsüberschüsse nicht nur deswegen entstehen, weil Deutschland im Ausland zu wenig kauft, sondern das hat auch viel mit den Ölpreisen zu tun. In den Jahren des hohen Ölpreises gab es in der Leistungsbilanz große Defizite. Heute verzeichnen wir Überschüsse. Deutsche Exporte sind auch für die Entwicklung vieler Nationen in der Welt sehr wichtig. Im Jahreswirtschaftsbericht steht, dass der Anteil von Exporten in die mittel- und osteuropäischen Staaten überdurchschnittlich gewachsen ist. Die mittel- und osteuropäischen Staaten haben mittlerweile einen größeren Anteil am Exportvolumen Deutschlands als China. Es ist doch sehr positiv, dass deutsche Exporte in vielen Teilen Europas einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten, weil es letztendlich – darauf hat der Kollege Fuchs hingewiesen – um die Verknüpfung der Lieferketten geht. Export bedeutet ja nicht nur, Waren in Länder zu exportieren, sondern er bedeutet auch, Teile und Leistungen für die Zulieferung zu importieren. Deutschland braucht den freien Handel. Herr Özdemir, ich habe sehr darüber gestaunt, dass die Grünen jetzt plötzlich zur Freihandelspartei werden. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was erstaunt Sie daran?) Was ist denn das? Das ist ja etwas ganz Neues bei Ihnen. Sie sind doch in der Allianz der Gegner von TTIP und von allen anderen Abkommen gewesen. (Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fairer Handel! Darum geht es!) Genauso wie die Linken: Sie haben es bis heute noch nicht begriffen. Bei Herrn Özdemir scheint zumindest ein Umdenken eingesetzt zu haben, was erst einmal ein Fortschritt ist. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich musste gar nicht umdenken!) Wir werden unter den neuen globalen Gegebenheiten wesentlich mehr darum kämpfen müssen, den freien Handel zu erhalten. Herr Ernst, Sie haben gesagt: Wir brauchen keinen freien Handel, sondern fairen Handel. – Erklären Sie mir den Unterschied. Das müssen Sie wirklich einmal machen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das mache ich gern! – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Sie diskreditieren mit diesem Satz jede Art von freiem Handel als nicht fairen Handel. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sagt kein Mensch!) Das ist einfach Quatsch, das ist blanker Unfug. Freier Handel ist im Prinzip genau das, was wir in Deutschland wollen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir wollen fairen Handel! Das ist der Unterschied!) Trotzdem handelt Deutschland fair. Ihr Satz ist reine Polemik und entbehrt jeglicher Grundlage. Wir brauchen das CETA-Abkommen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat uns mit Blick auf dieses Abkommen recht gegeben. Ich weiß gar nicht, warum Sie morgen noch einmal diese uralte Debatte darüber führen wollen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das werden Sie dann schon hören!) Aber gut, das ist Ihre Sache. Wir brauchen aber auch die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika. Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass jetzt wieder darüber diskutiert wird, dass man diese Abkommen nicht schließen solle oder dass man sie umschreiben müsse. Wir brauchen mit Afrika Nachfolgeabkommen, die WTO-gerecht sind. Deshalb kann ich hier nur noch einmal dafür plädieren, diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika endlich zu ratifizieren, um sie in Kraft setzen zu können. Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, die Globalisierung zu gestalten, die Globalisierung weiterzuentwickeln, dann bietet sich dieses Jahr dafür eine hervorragende Chance. Deutschland hat die Präsidentschaft der G 20: In Hamburg wird der G20Gipfel stattfinden. Die deutsche G20Präsidentschaft hat sich das Ziel gesetzt, über die Chancen und Risiken der Globalisierung einen neuen Diskussionsprozess anzustoßen. Das finde ich sehr wichtig, gerade angesichts der aktuellen Politik in den Vereinigten Staaten. Im Jahreswirtschaftsbericht gibt es ein paar Punkte, auf die ich kurz eingehen möchte: Es drohen Gefahren für die weitere Entwicklung. Ein Beispiel ist das Thema Bankenregulierung. Banken sind ja der Hauptgegner der Linken. Banken sind aber für die Entwicklung der Wirtschaft wichtig. Vor allem der Mittelstand braucht ein funktionierendes Bankensystem. Wir dürfen daher den Bankensektor nicht überregulieren. Wir müssen die Investitionsquote des Staates stärken. Wir müssen gemeinsam mit den Unternehmen an einer Stärkung der Investitionsquote arbeiten. Es ist sehr bedenklich, dass selbst die Mittel der Wirtschaftsförderung nicht mehr ausgeschöpft werden, wenn es darum geht, in Deutschland zu investieren. Wir müssen vor allen Dingen – das ist für mich ein wichtiger Punkt – den deutlichen Anstieg des Staatskonsums bremsen. Investitionen des Staates müssen aus meiner Sicht gefördert werden. Aber der Staatskonsum kann nicht der Gradmesser einer positiven Entwicklung sein; denn konsumtive Ausgaben rentieren sich nicht unbedingt, wie wir alle wissen. Wir müssen zudem die Staatsquote im Blick behalten. Auch das ist in den letzten Jahren mehr oder weniger gut gelungen. Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der mir besonders wichtig ist, weil es um das Einkommen der Menschen geht. Der Jahreswirtschaftsbericht weist aus, dass die Schere zwischen Brutto- und Nettoeinkommen der Menschen weiter auseinandergeht. Das heißt, die Bruttoeinkommen sind deutlich stärker gestiegen als die Nettoeinkommen. Hier sehe ich ein großes Problem; denn höhere Bruttoeinkommen helfen den Menschen nicht, wenn nicht mehr Geld in der Tasche bleibt, das sie für sich verwenden können. Die Entwicklung ist insgesamt aber erst einmal positiv. Herr Gabriel, wir wünschen Ihnen in Ihrem neuen Amt alles Gute. Das Thema Afrika habe ich jetzt nicht so dezidiert angesprochen. Aber wir werden, wenn Sie Ihr neues Amt angetreten haben, sicherlich noch viele Berührungspunkte haben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Das Wort hat jetzt Thomas Lutze, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Thomas Lutze (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Minister natürlich voll des Lobes über die wirtschaftliche Situation der Bundesrepublik ist, verwundert nicht. Die Zahlen hören sich zuerst einmal gut an. Aber er hat auch richtigerweise gesagt, dass Euphorie nicht angebracht ist. Die Probleme Binnennachfrage und Exportüberschüsse wurden bereits von mehreren Rednern angesprochen, allerdings unterschiedlich bewertet. Wir sagen ganz deutlich: Wer seine eigene Wirtschaft so einseitig auf den Export ausrichtet und die reine Wachstumslogik propagiert, kann ein böses Erwachen erleben, nämlich dann, wenn sich die politische Großwetterlage verändert. Genau das passiert gerade. Weil Deutschland so abhängig vom Welthandel ist, müsste die Bundesregierung viel mehr dafür tun, ihn fairer und damit stabiler zu gestalten. (Beifall bei der LINKEN) Globaler Austausch von Waren und Dienstleistungen muss fair, sozial gerecht und umweltpolitisch verantwortlich gestaltet werden. (Beifall bei der LINKEN) Die riesigen Überschüsse im innereuropäischen Handel haben ganze Volkswirtschaften in Europa an den Rand des Ruins geführt. Es gibt nämlich keine Überschüsse ohne entsprechende Defizite auf der anderen Seite. Jahrzehntelang haben wir unseren Nachbarn mehr verkauft, als sie uns verkauft haben. Damit zum Beispiel die Länder Südeuropas unsere Produkte kaufen, leihen wir ihnen auch noch das Geld, damit sie diese Produkte und Dienstleistungen bezahlen können. Was passiert, wenn sie ihre Kredite und Zinsen nicht mehr zahlen können? Dann diktieren wir ihnen unter unseren Bedingungen die Sanierung ihrer Haushalte. Die Folgen sind dramatischer Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit in vielen Ländern Südeuropas. Übrigens stand der zukünftige SPD-Boss Schulz in der ersten Reihe der Befürworter einer solchen Politik. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bei uns gibt es den Begriff „Boss“ nicht!) Auch hierzulande haben viele Menschen und ganze Regionen Angst davor, von der aktuellen positiven Wohlstandsentwicklung abgehängt zu werden. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen, die in der Statistik gar nicht mehr auftauchen, steigt. 2016 war auch ein Rekordjahr für Leiharbeit und befristete Beschäftigung. Die Quote derer, die akut von Armut bedroht sind, steigt. Das ist eine politische, eine wirtschaftliche und eine sozialpolitische Entwicklung, die dringend korrigiert werden muss. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Bundesrepublik muss aber endlich auch mehr für den Schutz bestimmter Branchen unternehmen. Die einheimische Stahlindustrie zum Beispiel konkurriert unter verschärften Bedingungen mit der chinesischen Stahlindustrie. Diese hat derzeit weit schwächere Umweltauflagen, und viele Produkte werden de facto vom chinesischen Staat subventioniert. Wollen wir diesen industriellen Kern in Deutschland in unserer Wirtschaft erhalten, dann müssen wir handeln und dürfen nicht nur über die Probleme reden. Wenn ich von meiner Heimatstadt Saarbrücken aus 20 Kilometer nach Norden fahre, dann sehe ich Hütten, Stahlwerke, Walzwerke, Maschinenbau- und Fahrzeugindustrie und viele Zulieferer. Hier arbeiten Zehntausende Menschen zu guten tariflichen Bedingungen. Fahre ich aber 20 Kilometer von Saarbrücken aus nach Westen, dann sehe ich im benachbarten Frankreich die verrosteten Überreste einer untergegangenen Epoche. Im Gegensatz zu Ostdeutschland war hier noch nicht einmal das Geld vorhanden, um das Alte wenigstens wegzuräumen. Viele Menschen in unserem Land haben Ängste, die es ernst zu nehmen gilt. Die Rattenfänger auf der ganz rechten Seite haben hier leichtes Spiel, wenn nichts oder zu wenig passiert. Überall gingen industrielle Kerne verloren, weil man tatenlos zugesehen hat, wie sich die Märkte weltweit veränderten. Es ist die Aufgabe der Politik, einzugreifen, und zwar im Interesse der Beschäftigten und der kleinen und mittleren Unternehmen. (Beifall bei der LINKEN) Dabei muss man auch den Mut haben, den Weg der reinen Lehre des Neoliberalismus und des Freihandels – es gibt nämlich wirklich einen Unterschied, Herr Lämmel, zwischen Freihandel und fairem Handel – zu verlassen. Ansonsten sitzen dort drüben – nicht auf der Bank der Bundesregierung, sondern ganz rechts – demnächst Typen, die hier keiner haben will. Liebe Kolleginnen und Kollegen, denken Sie wenigstens einmal darüber nach. Vielen Dank. Glück auf! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Der nächste Redner: Bernd Westphal, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernd Westphal (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der letzte Jahreswirtschaftsbericht in dieser Legislaturperiode gibt Anlass, Bilanz zu ziehen, Bilanz über das, was erreicht worden ist. Diese Bilanz fällt sehr positiv aus. Die Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt sind hier in der Debatte schon genannt worden. Das Wirtschaftswachstum ist positiv, der Beschäftigungsaufwuchs ist positiv, wir haben eine gute Entwicklung, was die Arbeitslosenquote angeht, aber auch die Renten sowie die Löhne und Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind gestiegen. Im Grunde ist das eine Jobmaschine, für die die Politik des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel verantwortlich ist. Ganz herzlichen Dank für diese Bilanz. (Beifall bei der SPD) Lieber Sigmar Gabriel, Sie haben in Ihrer Zeit als Bundeswirtschaftsminister eine erfolgreiche Arbeit geleistet. Es gab wichtige Impulse für die Modernisierung unseres Wirtschaftsstandorts Deutschland, und Sie haben vor allem im Bereich der Energiepolitik viel erreicht und den Industriestandort Deutschland gesichert. Nicht nur national, sondern vor allem auf internationaler Ebene sind viele Dinge nach vorne gebracht worden. Beeindruckt haben mich zwei Punkte: auf der einen Seite, dass Sie es geschafft haben, das, was die Vorgängerregierungen energiepolitisch liegen gelassen haben, europakompatibel zu gestalten. Die wettbewerbsrechtlichen Dinge, die wir regeln mussten, sind erfolgreich umgesetzt worden. Auf der anderen Seite möchte ich daran erinnern, dass wir als Sozialdemokraten und mit Ihrer Person beim Freihandelsabkommen CETA – das wurde in der Debatte schon erwähnt – ein modernes Freihandelsabkommen mit einer Menge von Instrumenten gestaltet haben, und zwar nicht nur mit 28 europäischen Mitgliedstaaten, sondern auch mit der kanadischen Regierung. Das war wirklich internationale Politik auf höchstem Niveau. Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der SPD) Ich freue mich auch auf die weitere gute Zusammenarbeit mit Brigitte Zypries, die ab morgen im Amt ist. Diese gute wirtschaftliche Situation hat natürlich vor allem damit zu tun, dass wir fleißige, gut ausgebildete und motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land haben, Unternehmerinnen und Unternehmer, die mutig investieren, die Ideen haben, die kreativ ihren Job machen. Dafür gilt ihnen unser besonderer Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Auf drei Bereiche möchte ich besonders eingehen. Wir dürfen uns natürlich nicht auf dem Erreichten ausruhen; das wäre ein Fehler. Deshalb geht es darum, die Investitionen des Bundes zu erhöhen. Das ist in dieser Legislaturperiode gelungen. Die Investitionen sind um weit mehr als ein Drittel auf 36,1 Milliarden Euro angestiegen. Das ist eine gute Entwicklung. Jetzt liegt es an der Wirtschaft, wieder Geld in die Hand zu nehmen und zu investieren – und zwar in Deutschland zu investieren. Wir brauchen nicht nur Ersatz-, sondern auch Erweiterungsinvestitionen. Die globale Situation zeigt deutlich, dass es kein absolut sicheres Marktumfeld gibt und auch noch nie gab. Deshalb brauchen wir eine Rückbesinnung darauf, dass vor allem auch die Standortvorteile Deutschlands bei Investitionsentscheidungen mitberücksichtigt werden. Wir haben eine gute Infrastruktur, gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die Mitbestimmung. Gute Arbeit, gute Sozialpartnerschaft führen zu diesen Standortbedingungen. Die SPD steht für technischen und gesellschaftlichen Fortschritt. Der fällt nicht vom Himmel, sondern muss politisch gestaltet werden. Dafür werden wir die Weichen stellen. Die Digitalisierung wird in den nächsten Jahren das bestimmende Thema auf der politischen Agenda sein. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollte es jetzt sein!) – Ja, Brigitte Pothmer, sollte es jetzt sein, ist es ja auch schon. Die Haushaltsmittel für die Breitbandförderung sind auf 4 Milliarden Euro bis 2020 aufgestockt worden. Das ist ein wichtiger Schritt. Viele weitere Schritte werden und müssen noch folgen. Unser Ziel muss sein: Glasfaser in jedes Haus in Deutschland. Davon hängt die zukünftige Innovationskraft von Wirtschaft und Gesellschaft ab. Ebenso wichtig ist die Ausweitung des Angebots von Wagniskapital, um damit auch Start-up-Unternehmen und neue Ideen zu unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Digitalisierung, Innovation und Investitionen helfen uns, nachhaltiger zu werden. Die Energiewende ist deshalb eines der zentralen Klimaschutzprojekte der Bundesregierung. Wir haben in den letzten Jahren und Monaten bereits einiges erreicht und die Energiepolitik langfristig ausgerichtet. Trotzdem werden wir auch in Zukunft noch viel investieren müssen. Diese Investitionen fördern jedoch nicht nur die Nachhaltigkeit in Deutschland, sondern sind auch ein riesiges Infrastrukturprojekt, das Wertschöpfung vor Ort hier in Deutschland generell schafft und ein erhebliches Potenzial für Exporte sichert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns derzeit in einer Position der Stärke. Diese Stärke sollten wir bewusst nutzen. Sicherlich müssen Schulden getilgt und abgebaut werden, aber wir müssen auch weiterhin an die Zukunftsinvestitionen denken. Eine Straße wird nicht besser, nur weil wir keine Schulden haben. Kinder können nicht in moderne Schulen gehen, nur weil wir keine Schulden haben. Auch eine Internetleitung überträgt nicht mehr an Leistung, nur weil wir keine Schulden haben. Dafür sind Investitionen notwendig. Es ist eine Sache, Zurückhaltung zu üben, wenn kein Geld da ist, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kann es sein, dass dafür die Länder zuständig sind?) aber in der jetzigen Situation – bei niedrigen Zinsen und Haushaltsüberschüssen – ist es wichtig, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Überschüsse in den Länderhaushalten einmal richtig einzusetzen! Genau!) genau diese Zukunftsfähigkeit zu sichern. Deshalb dürfen wir die Grundlagen für den Wohlstand von morgen, Herr Grosse-Brömer, nicht aus den Augen verlieren und müssen diese Zukunftsinvestitionen tätigen. (Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Die SPD will zentralisieren! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig! Aber die Länder auch daran beteiligen!) Das ist unsere jetzige Aufgabe. Wir als SPD werden dafür die Weichen stellen, diese Zukunftsinvestitionen einfordern und durchsetzen. Herzlichen Dank fürs Zuhören. Herzliches Glückauf! (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister, auch ich möchte mich persönlich bedanken, und zwar besonders dafür, dass Sie in diesem Parlament und im Ausschuss immer zum Streiten bereit waren. Auch ich bin jemand, der gern streitet, und das machen wir jetzt hier in der Debatte noch ein letztes Mal. Denn das tut uns allen und insbesondere dem Parlamentarismus gut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Heil, Sie haben ja zu Recht Frau Wagenknecht angegriffen und gesagt, dass wir eine Politik des Mauerhochziehens beim Freihandel nicht gebrauchen können. Die können wir wirklich nicht gebrauchen. Aber ich muss Sie auch auf etwas hinweisen, das wir ebenso wenig gebrauchen können: Wir können in der Handelspolitik nicht so weitermachen, dass wir NAFTA verteidigen, dass wir nicht anerkennen, dass es Globalisierungsverlierer gibt. Vielmehr müssen wir etwas dafür tun, dass der Handel fair wird. Darum gehen die ganzen Debatten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Bündnis 90/Die Grünen um TTIP und CETA geführt haben, und für den fairen Handel werden wir auch weiter kämpfen. Der Handel muss frei sein, aber er muss auch fair sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sind Sie für oder gegen TTIP?) Herr Gabriel, ich habe Ihrer Rede sehr wohl zugehört. Ich habe darin zwei Wörter vermisst: Ökologie und Erneuerbare. Sie kamen nicht vor. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was ist denn die Fortschrittsaufgabe, die wir haben? Ich zitiere Sie einmal aus 2006 – da waren Sie noch Umweltminister –: Umwelttechnik als Leitindustrie, erneuerbare Energien als Exportschlager, die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch als industriepolitische Notwendigkeit und als Chance für die deutsche Wirtschaft. – Das war der Ton, den Sie angeschlagen haben, auch wenn Ihre Politik der letzten Jahre dem nicht entsprach. Schauen wir einmal hin: Der Klimaschutzplan der Bundesumweltministerin wurde zusammengekürzt. Das Klimaziel 2020 werden wir verfehlen. Für den Kohleausstieg gibt es keinen verlässlichen Fahrplan. Erneuerbare Energien: Hier standen Sie immer auf der Seite der Konzerne und nicht auf der Seite der Mittelständler, der vielen Marktteilnehmer, die da etwas einbringen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ein Quatsch!) Die Rohstoffeffizienz ist für Sie nicht mehr relevant. Handelspolitik: Ja, Sie haben verhandelt; aber Sie haben nie wirklich dafür gekämpft, dass wir einen fairen globalen Handel bekommen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ein Unsinn! Das ist kontrafaktisch! Oder ist das postfaktisch?) sondern Sie haben sich lediglich dem angeschlossen, was von der EU und von der US-Seite kam. Sie wollen ein Handelsabkommen durchdrücken, das uns am Ende nicht hilft. Elektromobilität: Andere Länder weisen hier die Richtung: China, Norwegen, Frankreich, Kalifornien. Wir sind es nicht; wir schaffen es mit dieser Politik nicht, die Automobilindustrie auf die Spur zu bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben gestern im Ausschuss gesagt – was ich richtig finde –: Wir müssen die Welt neu vermessen; denn mit Brexit und Trump verschiebt sich tektonisch etwas. – Aber wir müssen auch die Wirtschaft neu vermessen und einmal überlegen, wie wir sie messen. Dazu haben wir Grüne etwas, wie ich finde, Kluges vorgelegt; wir wollen nämlich von der totalen Fixierung auf das Bruttoinlandsprodukt wegkommen. Wir sagen – Kerstin Andreae hat diesen Ansatz für unsere Fraktion federführend entwickelt –: Wir müssen den Wohlstand neu messen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen einen Jahreswohlstandsbericht der Regierung. Wir dürfen nicht nur darüber reden, ob die Kennzahlen der Produktion steigen. Eine solche Steigerung ist zwar gut, aber, ökologisch betrachtet, nicht das einzig Gute; vielmehr müssen wir schauen, ob etwas nachhaltig ist, ob es gut für unsere Bildung und für den Kampf gegen die soziale Spaltung ist. Beantwortet werden müssen die Fragen: Was passiert in unserem Land? Ist der Wohlstand für alle da, oder ist er nur für wenige da? Darauf antwortet unser eigener Jahreswohlstandsbericht; zum zweiten Mal legen wir ihn nun vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir glauben, dass wir in diese Richtung gehen müssen. Wir glauben, dass sich die ganze Debatte über das Wirtschaften der Zukunft verändern muss; denn Wachstum allein bedeutet eben nicht Wohlstand. Das müssten wir gelernt haben. Zum Abschluss noch ein Wort zur veränderten weltpolitischen Situation. Wir als Bundesrepublik Deutschland können uns die Partner nicht aussuchen. Die USA sind uns kulturell mit am nächsten. Das heißt, die Kontakte müssen fortbestehen. Wir müssen mit den USA reden. Wir sehen auch, dass es in den USA eine Zivilgesellschaft gibt, die groß ist, die die Mehrheit der Gesellschaft ausmacht. Mit ihr gemeinsam müssen wir auf dem Feld der Wirtschaftspolitik über die Erneuerbaren, über fairen Handel reden. Das zu fördern, wäre auch eine Aufgabe für eine Bundesregierung, ich hoffe, für eine, der wir in der nächsten Legislaturperiode angehören; denn wir können das besser. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Wirtschaft steht nach wie vor gut da. Das geht natürlich auch aus dem Jahreswirtschaftsbericht mit dem Titel „Für inklusives Wachstum in Deutschland und Europa“ hervor. Das geht aber auch aus allen Beiträgen, die ich heute gehört habe, hervor. Auch die Berichte des Statistischen Bundesamtes sprechen eine eindeutige Sprache. So hieß es dort: „Deutsche Wirtschaft in solider Verfassung“ im Jahr 2014, „Deutsche Wirtschaft im Jahr 2015 weiter im Aufschwung“ und 2016 „Deutsche Wirtschaft setzt Wachstumskurs fort“. – Dennoch sagt Herr Ernst, wir sollen eine neue Wirtschaftspolitik betreiben und unsere Strategie ändern. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Auch die Überschriften!) Ich glaube, wir müssen schauen, dass es so bleibt, wie es ist, und wir dürfen die Kritik nicht in den Vordergrund stellen. So viele Probleme es auf anderen Gebieten auch gibt: Die vergangenen Jahre können, rein wirtschaftlich betrachtet, durchaus als goldene Jahre bezeichnet werden. Der wichtigste Wachstumsmotor war der Inlandskonsum. So stieg das verfügbare Einkommen 2016 um 2,8 Prozent. Erfreulich ist auch, dass das Wachstum im Euro-Raum mit 1,7 Prozent in 2016 auch aufgrund der expansiven EZB-Politik endlich spürbar anstieg. Auch für 2017 rechnet die Bundesregierung mit einem positiven Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent. Im Jahreswirtschaftsbericht 2017 heißt es: Der leichte Wachstumsrückgang ist nicht Ausdruck einer sich eintrübenden wirtschaftlichen Perspektive, sondern lässt sich fast vollständig auf den Effekt einer geringeren Anzahl von Arbeitstagen gegenüber 2016 zurückführen. Jetzt muss ich schon einmal anfügen, dass der Freistaat Bayern mit 13 gesetzlichen Feiertagen mindestens vier Feiertage mehr hat als das Land Berlin. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Zu Recht!) Trotzdem ist Bayern innerhalb Deutschlands die Wachstumslokomotive mit einem Wachstum von 12,3 Prozent seit 2010. (Beifall der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU]) Stellen Sie sich einmal vor, Bayern würde auf einige Feiertage verzichten. Dann wäre ja der Abstand zu den anderen Ländern noch größer. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Undenkbar!) Aber keine Angst: Das machen wir natürlich nicht. Unsere Feiertage sind Teil unserer kulturellen und natürlich auch unserer christlichen Identität. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In Deutschland arbeiten erstmals über 43,5 Millionen Menschen, so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Gleichzeitig waren so wenige Menschen arbeitslos wie noch nie. Auf diese Entwicklung können wir stolz sein, meine Damen und Herren. Wir legen das vierte Jahr in Folge einen ausgeglichenen Haushalt vor. Auch auf diese Entwicklung sollten wir stolz sein und uns darüber freuen. Damit nimmt die Schuldenquote weiter ab. Sie liegt momentan bei 68 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Es ist jedoch absehbar, dass der demografische Wandel und andere Herausforderungen auf uns zukommen. Deshalb ist die Tilgung von Schulden in der jetzigen Situation ein Gebot der Stunde, damit der Staat bei zukünftigen Herausforderungen und etwaigen Krisen jederzeit handlungsfähig bleibt. Wir dürfen und müssen natürlich trotzdem über Steuerkonzepte, die gerade die Mittelschicht, aber auch Familien entlasten, sprechen. Man gewinnt jedoch anhand der aktuell geführten Debatte eher den Eindruck, dass es nicht um die Frage „Schuldentilgung oder Investitionen“ geht, sondern darum, dass Sie von den Linken die Überschüsse lieber konsumieren wollen. Es wird ja vom Bund so viel investiert wie noch nie. Wir erleben einen nie dagewesenen Investitionshochlauf. Insgesamt wurden die Investitionen in dieser Legislatur um ein Drittel auf über 36 Milliarden Euro erhöht. Davon entfallen 2017  13,7 Milliarden Euro auf die zentralen Treiber für Wachstum und Wohlstand eines auch zukünftig erfolgreichen Investitionsstandortes, nämlich die Verkehrsinfrastruktur und die digitale Infrastruktur. Wir müssen Güter, Personen und Datenströme möglichst schnell und sicher transportieren, um auch zukünftig erfolgreich zu sein. Mit insgesamt 4 Milliarden Euro bis 2020 wird der Breitbandausbau in unterversorgten Regionen unterstützt. Auch in den Kommunen steigen die Investitionen: Über 50 Prozent der Investitionen werden hier getätigt. Es gilt auch, zu betonen, dass die öffentlichen Investitionen insgesamt lediglich 10 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Investitionstätigkeit ausmachen. Insofern ist es erfreulich, dass auch die privaten Investitionen anziehen. Es heißt so schön: Man kann die Pferde zur Tränke führen, saufen müssen sie von alleine. – Sie beginnen zu nippen, wenn nicht schon zu trinken, und das ist ein sehr positives Signal. Natürlich profitieren Deutschland und auch der Staatshaushalt von der Niedrigzinssituation. Jens Weidmann meinte neulich, dadurch, dass die durch die Zinseinsparungen freigewordenen Mittel weitestgehend ausgegeben würden, sei der Haushalt sogar expansiv. Der Sachverständigenrat empfiehlt die schnellere Beendigung des Anleihekaufprogramms der EZB, und zwar auch deshalb, weil die Inflation mittlerweile anzieht. Wir brauchen die Zinswende, aber wir brauchen sie so, dass dadurch nicht neue Finanzkrisen entstehen können. Der Sachverständigenrat mahnt zu Recht die fehlenden strukturellen Reformen innerhalb der Euro-Länder an. Die Zeit muss natürlich jetzt genutzt werden. Gleichzeitig müssen wir mehr denn je die europäischen Strukturen stärken. Wir brauchen den Mut, auch hier langfristige Konzepte zu entwickeln. Angesichts der Flüchtlingskrise brauchen wir auch weiterhin einen flexiblen, aufnahmefähigen Arbeitsmarkt. Gerade deshalb war es so wichtig, dass ein Integrationsgesetz mit den Inhalten Fordern und Fördern in dieser Legislatur umgesetzt wurde. Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Oft sind wiederum Arbeit, inklusives Wachstum und Beschäftigung der Schlüssel für die Sprache. Sicherheit – gerade die innere Sicherheit – ist die Voraussetzung für Stabilität, auch für wirtschaftliche Stabilität. Unsicherheit ist Gift für die wirtschaftliche Entwicklung. Deshalb müssen wir uns natürlich die Entwicklungen – Stichworte „Brexit“ und „US-Wahl“ – anschauen. Diese müssen uns umtreiben. Der Sachverständigenrat weist zu Recht auf die negativen Auswirkungen von Renationalisierungstendenzen hin. Eines ist klar: Protektionismus schadet letztlich allen, und Globalisierung nutzt nicht allen; nicht alle sind Globalisierungsgewinner. Darüber muss mehr gesprochen werden. Deutschland hat sich zu einer ehrgeizigen Umsetzung der globalen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen verpflichtet. Die neue Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung setzt Maßstäbe. Wir sind hier schon weiter, als die Grünen es propagieren. Um in einer globalen Welt bestehen zu können, brauchen wir nach wie vor Ideen, Kreativität und Innovationen. Gerade die Verbesserungen hinsichtlich der Nutzung von Wagniskapital und der Verrechnungsmöglichkeit von Verlustvorträgen sind vielversprechend. Wir werden uns natürlich auch weiterhin dafür einsetzen, Professor Riesenhuber, dass die steuerliche Forschungsförderung in Zukunft kein frommer Wunsch bleibt, sondern auch Realität in Deutschland wird. Roman Herzog meinte zu Recht: Die Fähigkeit zu Innovationen entscheidet über unser Schicksal. Genau diese Zukunftsfähigkeit wollen wir erhalten. Mit dem Jahreswirtschaftsbericht stellen wir uns den Herausforderungen der Zukunft, um diese zu meistern. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank. – Als Nächstes kommt die Rednerin Frau Gabriele Katzmarek von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Katzmarek (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Jahreswirtschaftsbericht zeigt: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat in den letzten drei Jahren richtige Akzente für eine wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland gesetzt. Er hat dabei die Menschen in diesem Land in den Mittelpunkt gestellt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Schade, dass er jetzt gehen muss!) Der Grundsatz sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik – das wurde heute schon einmal erwähnt – heißt: wirtschaftlicher Erfolg, soziale Gerechtigkeit und ökologische Vernunft. (Beifall bei der SPD) Das sind keine Gegensätze, meine Damen und Herren, sondern sie bedingen sich gegenseitig; denn sie sind der Garant für Wohlstand und für eine bessere Zukunft für uns alle. Soziale Sicherung, Teilhabe und gute Arbeit bei fairem Lohn sind zentrale Voraussetzungen für wirtschaftlichen Fortschritt, keine Hindernisse; denn Wirtschaftspolitik – auch das sagte Sigmar Gabriel – ist auch immer Gesellschaftspolitik, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Der Jahreswirtschaftsbericht macht es deutlich: Die wirtschaftliche Entwicklung ist bei den Menschen angekommen. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist gestiegen, der Trend zu immer mehr prekärer Beschäftigung ist gebremst. Das sind Themen, die heute schon angesprochen worden sind, die ich nicht wiederholen will. Aber es zeigt, dass gute Wirtschaftspolitik Positives für die Menschen bewirken kann. Dieser Erfolg – auch das wurde heute schon angesprochen – reicht jedoch nicht aus. Wir müssen weiter daran arbeiten; denn wir wissen: Wer stehen bleibt, fällt zurück. Der deutschen Wirtschaft geht es gut. Dennoch nimmt die Ungleichheit zu. Sozialer Aufstieg und gleiche Teilhabe für alle sind noch nicht realisiert. Uns muss es darum gehen, dass die Wirtschaft stabil bleibt, nicht um ihrer selbst willen, sondern für die Menschen in diesem Land. (Beifall bei der SPD) Gute Wirtschaftspolitik hat viele Facetten, und dies zeigt der Jahreswirtschaftsbericht. Investitionen, auch des Staates, sind der Schlüssel dazu. Gute Wirtschaftspolitik investiert jetzt in Bildung. Investitionen in Bildung fangen an bei den Schultoiletten, vor denen man sich nicht ekeln muss, und bei dem dichten Dach (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, dann rufen Sie doch bei den Ländern an, damit sie endlich anfangen!) – eigentlich Selbstverständlichkeiten –, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir sind hier doch nicht für jede Schultoilette zuständig!) sie gehen weiter bis zur Ausstattung der IT-Infrastruktur. Sie haben vorhin schon einmal in Ihrem Zuruf gesagt: Das ist Ländersache. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja!) Ich glaube, wir haben uns darauf verständigt, dass es bei dieser Frage nicht alleine reicht, wenn der Bund sagt: „Es ist Ländersache“, sondern es ist unser aller Aufgabe, dort zu handeln. Ich komme noch darauf zurück. (Beifall bei der SPD) Es gibt einen Überschuss im Haushalt. Was spricht dagegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, diesen Überschuss zu investieren? Vizepräsidentin Michaela Noll: Sehr geehrte Frau Katzmarek, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Gabriele Katzmarek (SPD): Sofort. Ich will nur zu Ende reden. Dann darf er gerne fragen. – Was spricht dagegen, diesen Überschuss zu investieren? Oder glauben Sie, dass die Menschen in diesem Land, was marode Schulen und Berufsschulen angeht, mit der Antwort zufrieden sind, das sei Ländersache? (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das können Sie bei der Landtagswahl dann sagen!) Das geht doch gar nicht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch!) – Natürlich nicht. – Jetzt dürfen Sie fragen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super Koalition! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist Demokratie!) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage, Frau Kollegin Katzmarek. In der Tat interessiert es mich, dass sich an den von Ihnen beschriebenen Zuständen etwas ändert. Aber meine Frage ist: Könnte es sein, dass die Länder angesichts ihrer finanziellen und steuerlichen Rekordeinnahmen selbst in der Lage sind, solche Missstände in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich zu beheben? Würden Sie mir auch zustimmen, dass es möglicherweise gerade mit Blick auf die Wahlentscheidung bei Landtagswahlen und Bundestagswahlen für die Menschen von Vorteil ist, wenn jeder sich um seinen Kompetenz- und Zuständigkeitsbereich kümmert? (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gemeinsame Kraftanstrengung!) Dann kann man nämlich politisch entscheiden, welches Land im Rahmen des Wettbewerbsföderalismus in der Lage ist, erfolgreich die ihm übertragenen Aufgaben zu erfüllen, und wer dabei permanent auf die Hilfe des Bundes angewiesen ist, weil er möglicherweise vor Ort falsche politische Entscheidungen trifft. Also macht es sowohl unter demokratischen als auch unter steuer- und finanzpolitischen Gesichtspunkten Sinn, dass die Länder die Aufgaben in ihrer Zuständigkeit selbst erfüllen, anstatt permanent die Forderung zu erheben, dass alles in die Zuständigkeit des Bundes fallen muss, der im Übrigen, was Verteidigungs- und Sozialausgaben betrifft, auch über ganz wichtige Punkte selbst zu entscheiden hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nehmen Sie doch Redezeit, wenn Sie etwas sagen wollen!) – Ich weiß, das war eine schwierige Frage. Gabriele Katzmarek (SPD): Das ist keine schwierige Frage. – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, der Kollege Heil meinte das!) Selbstverständlich sind auch die Länder dafür verantwortlich; das ist doch keine Frage, das stellt doch auch niemand in Abrede. Aber selbstverständlich tragen auch wir Verantwortung für dieses Land und für die Menschen, die in diesem Land leben. (Beifall bei der SPD) Wir müssen doch dort eingreifen und unterstützen, wo es im Interesse der Menschen in diesem Land ist, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann schafft doch die Länder ab! Das spart Geld!) und können uns nicht hinsetzen – das will ich noch mal sagen –, (Beifall bei der SPD) die Augen zumachen und auf die Länder verweisen. So geht es nicht. Genau deshalb ist es richtig, dass wir sagen: Wenn die Gelder vorhanden sind, müssen sie im Interesse der Menschen in diesem Land investiert werden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, von den Ländern! – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Sind die Länder denn nicht vorhanden?) Wir müssen Zukunft gestalten und dürfen uns nicht hinsetzen, uns in Formalitäten ergießen und die Zuständigkeit von den Ländern zum Bund und vom Bund zu den Ländern schieben. Denn damit ist den Menschen nicht geholfen, (Beifall bei der SPD) und sie verlieren jeden Glauben, aber wirklich jeden Glauben, an die Politik. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Zuständigkeiten stehen in der Verfassung!) Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere Gruppierungen Zulauf erhalten. – So. (Beifall bei der SPD) Ich glaube, das war die richtige Antwort auf Ihre Frage. Hier zu investieren, ist im Interesse dieses Landes. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten gelten nicht mehr? – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt doch nicht! Es gibt Gemeinschaftsaufgaben im Grundgesetz! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Für Schultoiletten? – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das heißt Bildungsinfrastruktur!) – Herr Grosse-Brömer, das ist doch Unsinn. Aber ich will jetzt nicht mehr darauf eingehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Antwort hat deutlich gemacht, dass es wichtig ist, nicht nur die Antwort zu geben, dass wir sparen, sondern den Menschen auch die Antwort auf die Frage zu geben, wie wir die Zukunft gestalten. Sigmar Gabriel hat da etwas vorgelegt, mit dem wir alle uns mal intensiver beschäftigen sollten: Es geht um die Frage, wie wir die Zukunft für die Menschen in diesem Land gestalten – für mehr Arbeit, mit Investitionen in die Zukunft. Denn dann brauchen wir uns über manch populistische Worte, die immer wieder draußen fallen und mit denen Zukunftsängste geschürt werden, keine Gedanken mehr zu machen. Deshalb fordere ich alle in diesem Haus auf: Lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft für die Menschen in unserem Land gestalten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht jetzt Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion zu uns. (Beifall bei der CDU/CSU) Axel Knoerig (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung belegt eindeutig, dass die deutsche Wirtschaft weiter wächst. Erwartet wird ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 1,4 Prozent. Aber diese Dynamik kann an Stabilität verlieren. Das liegt an den – wir haben es heute schon angesprochen – zahlreichen existenziellen Entwicklungen in der nahen Zukunft. Ich will sie kurz in Stichworte zusammenfassen: der Brexit, der Rechts- und auch der Linkspopulismus in Europa, die neue Trump-Regierung, das schwierige Verhältnis zu Russland und die damit verbundene Neuausrichtung der EU. Wir müssen uns die einzelnen Branchen genauer anschauen; denn das Wirtschaftswachstum ist sehr unterschiedlich einzuschätzen. So ist die Auftragslage in der Stahlindustrie besser als erwartet. Diese deutsche Kernbranche mit 87 000 Arbeitnehmern ist durch die Billigimporte aus China gefährdet. Die Große Koalition hat hier im Bundestag zeitnah einen Antrag eingebracht, um das entsprechend zu thematisieren. Die Prognosen für die Automobilbranche sehen deutlich schlechter aus. Herr Cem Özdemir, ich habe Ihnen gut zugehört. Sie wollen die Verbrennungsmotoren in Deutschland verbieten. Wir als Union können da nur ganz klar gegenhalten; das sage ich als Niedersachse gerade mit Blick auf meine Region. Ihre Verbotspolitik schadet den Zulieferindustrien. Ihre Politik führt zu mehr Arbeitslosigkeit und zu weniger Ausbildung. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gefährden Sie doch, wenn Sie Elektromotoren nicht ausbauen!) Das ist mit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist heute viel über Protektionismus gesprochen worden. Wir müssen nicht nur die Entwicklung in den Vereinigten Staaten beobachten, wo womöglich Schutzzölle auf ausländische Waren erhoben werden, wir müssen auch die Entwicklung in den G-20-Staaten beobachten. Wir wissen, dass die G-20-Staaten Befürworter des Freihandels sind. Nach Angaben der Welthandelsorganisation ist die Zahl der Handelshemmnisse in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Seit der Finanzkrise 2008 wurden über 1 200 neue bürokratische Vorschriften eingeführt. Das bestätigt auch das, was in der Debatte über CETA und TTIP herausgekommen ist, nämlich dass der Sinn für Welthandelspolitik in der Öffentlichkeit und auch in Fachkreisen stetig abnimmt. Gerade mit Blick auf das Abkommen mit Kanada will ich sagen: Die Grünen und die Linken haben über Monate dagegengehalten. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Immer noch!) Zu dieser Politik gegen den Freihandel sagen wir als Union ganz deutlich: Wir brauchen die offenen Märkte; denn gerade diese Offenheit treibt die wirtschaftliche Dynamik an. Wir sind eine Exportnation. Aus dem Export wird letztendlich unser Wohlstand generiert. Wir verdanken unseren Wohlstand einem offenen Welthandel. Zugleich sind globale Marktentwicklungen unberechenbarer geworden – wir sehen das an den Bilanzen der Firmen –: Von satten Gewinnen in einem Quartal bis zum totalen Einbruch – alles ist in einer Jahresbilanz möglich. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir uns auf unseren gemeinsamen EU-Binnenmarkt konzentrieren. In Zukunft wird das noch viel wichtiger; denn wir wissen, dass der US-Markt weitaus schwerer zugänglich sein wird. Wir brauchen auch eine offene und sozial ausgewogene Wirtschaftspolitik. Das ist ein Markenkern gerade der Union. Der Jahreswirtschaftsbericht zeigt, dass sich die Ergebnisse sehen lassen können. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 6,1 Prozent und damit auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Wir haben eine Rekordbeschäftigung: Die Zahl der Beschäftigten liegt bei über 43 Millionen. Die Gehälter steigen, und der private Konsum zieht ebenfalls an. Die Start-up-Szene in Deutschland ist gut gewachsen, und entgegen den Befürchtungen der Ökonomen hat der Mindestlohn nicht zu mehr Arbeitslosigkeit geführt. Im Gegenteil: 4 Millionen Arbeitnehmer profitieren vom gesetzlich geregelten Mindestlohn. Wir müssen uns die Frage stellen: (Zuruf von der SPD) – Nein, Herr Kollege, das habe ich immer so beantwortet. – Was brauchen wir jetzt, damit unsere Wirtschaft auch in Zukunft gut aufgestellt ist? Wir brauchen eine gute Kombination aus Investitions- und Industriepolitik sowie Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Dazu gehören vor allem eine moderne Infrastruktur und Fördermittel für Innovationen, die direkt in den Unternehmen und vor allem unbürokratisch ankommen. Wir müssen fragen: Wie sieht der aktuelle Stand der Digitalisierung unserer Wirtschaft aus? Deutschland ist weiterhin Weltmarktführer bei der Fabrikausstattung – Stichwort „Industrie 4.0“ –, aber wir müssen im Zuge der industriellen Standortpolitik weitere Maßnahmen ergreifen, um die Entwicklung zu stärken, damit wir weiterhin vor den USA und vor China liegen. Wir brauchen also einen Wissens- und Technologievorsprung und müssen ihn ausbauen. Die Unternehmen investieren zu wenig in IT und TK. Wenn wir betrachten, was die öffentliche Hand auf diesem Gebiet in Deutschland investiert, stellen wir fest, dass es lediglich 14 Prozent sind, und da sage ich: Das ist schlichtweg zu wenig. Deswegen müssen wir die digitale Entwicklung in den Zukunftsbereichen vorantreiben. Ich will das an vier Punkten umschreiben: Erstens zur digitalen Infrastruktur. Wir müssen den Ausbau von Breitband und Mobilfunk beschleunigen. Da muss es einfach schneller vorangehen. Wir sind auf dem Weg in eine Gigabit-Gesellschaft und dürfen nicht bei 50 Megabit stehen bleiben. Zweitens. In der digitalen Bildung sind nicht nur Whiteboards und Tablets in den Schulen gefragt, sondern vor allem Lehrer mit Know-how. Wir müssen auch auf Quereinsteiger setzen. Die Wirtschaft braucht Zigtausende von Programmierern; wir brauchen also mehr Informatikstudiengänge. Wenn ich in mein Bundesland, Niedersachsen, schaue, stelle ich fest, dass dort jedes Jahr lediglich 20 Quereinsteiger für den Informatikunterricht ausgebildet werden, also eine sehr geringe Anzahl. Wir brauchen ferner die digitale Berufsschule, um die Auszubildenden auch im IT-Bereich fit zu machen. Drittens müssen wir den digitalen Mittelstand ermutigen, innovative Geschäftsmodelle anzugehen. Hier ist Potenzial bei Wertschöpfung und Effizienzsteigerung. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das BSI, kann als Dienstleister für den Mittelstand auftreten, damit gerade im Bereich der Sicherheit bessere Grundlagen gelegt werden können. Viertens. An letzter Stelle – da steht sie tatsächlich – nenne ich die digitale Verwaltung. Schon seit 20 Jahren sprechen wir über E-Government. Wir haben es nicht zuletzt auch bei der Flüchtlingskrise erlebt, dass es zu wenig Vernetzung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gibt. Da müssen wir handeln. In der nächsten Legislaturperiode muss das wesentlich stärker angegangen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte fest: Die Rahmenbedingungen des Welthandels sind komplizierter geworden. Wir müssen noch stärker und kontinuierlich auf Märkte und Branchen eingehen und sie intensiver beobachten, um auch neue Wirtschaftsräume zu erschließen. Ergänzend und abschließend möchte ich sagen: Wir brauchen einen digitalen Ruck in unserem Land. Nur auf dem digitalen Fundament sichern wir Wohlstand, Standort und auch Wettbewerbsfähigkeit. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Knoerig. – Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! (Zurufe von der CDU/CSU: Guten Morgen!) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 3 b und 3 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10990 und 18/10230 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 3 d. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Jahreswohlstandsbericht einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7599, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7368 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Damit erübrigt sich die Frage nach Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf – ein langer Titel; ich hoffe, ich kriege es hin –: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz) Drucksache 18/10935 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr gut!) – War gut? Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Michael Meister das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat am 21. Dezember 2016 den Entwurf des Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetzes beschlossen. Wir bringen den Entwurf heute in den Bundestag ein. Dieser Gesetzentwurf hat zwei Teile. Der eine Teil befasst sich mit der rechtssicheren Gestaltung des Verbraucherschutzes beim Erwerb einer Wohnimmobilie bzw. bei der Vergabe von Krediten zur Wohnimmobilienfinanzierung. Zu dem Teil wird gleich der Kollege Kelber in die Inhalte des Gesetzentwurfs einführen. Der zweite Teil des Gesetzentwurfs befasst sich mit vorsorglichen Aufsichtsbefugnissen. Darüber diskutieren wir nun. Wir wollen die Empfehlungen des Ausschusses für Finanzstabilität umsetzen. Wir haben den Ausschuss für Finanzstabilität als eine Konsequenz im Jahre 2012 eingerichtet, als wir die Ursachen der Finanzkrise analysiert und festgestellt haben, dass es zwischen den verschiedenen Akteuren, die Aufsicht betreiben, einer noch besseren Abstimmung, einer noch besseren Vernetzung bedarf. Dieser Ausschuss hat am 30. Juni 2015 vorgeschlagen, für eine bessere Finanzstabilität bei der Kreditvergabe für Wohnimmobilien zu sorgen. Wenn man sich diesen Sektor anschaut, stellt man fest, dass es drei Entwicklungen gibt, die man im Blick haben muss: Die eine Entwicklung bezieht sich auf die Frage: Wie entwickeln sich eigentlich die Preise für Wohnimmobilien im Lande? Wenn wir uns das anschauen, stellen wir fest, dass wir im ersten Halbjahr 2016 einen Preisanstieg um 5 Prozent hatten. Diese Entwicklung hat sich allerdings nicht mehr, wie bis 2014, auf die Ballungsräume konzentriert. Wir haben vielmehr gesehen, dass die Wohnimmobilienpreise mittlerweile im ganzen Land steigen. Ein Anstieg der Immobilienpreise ist für sich genommen allerdings noch kein Problem. Man muss eine zweite Entwicklung im Auge haben: Wie finden diese Finanzierungen statt? Wenn die Immobilien mit Eigenkapital finanziert werden, ist das für die Finanzmarktstabilität relativ ungefährlich. Denn wenn jemand sein eigenes Geld in den Kamin wirft, dann ist das sein eigenes Vergnügen. Wenn er aber mit fremdem Kapital finanziert, muss man die Auswirkungen möglicher Verluste auf diejenigen, die die Kredite vergeben haben, im Blick haben. 2016 verzeichneten wir beim Volumen der Fremdfinanzierung, also bei den Wohnimmobilienkrediten, ein Wachstum von 3,7 Prozent in Deutschland. Wir hatten langfristig – wenn man sich die letzten drei Jahrzehnte anschaut – ein Wachstum von etwa 5 Prozent. Das heißt, das Tempo hat sich reduziert. An dieser Stelle ist eine Beruhigung eingetreten. Es gibt noch einen dritten Punkt: Nach welchen Maßstäben, nach welchen Standards vergeben die Banken Wohnimmobilienkredite? Wenn wir uns das anschauen, stellen wir fest – das sagen uns diejenigen, die näher an den Banken sind, diejenigen, die dort Aufsicht führen –, dass die Kreditvergabestandards im vergangenen Jahr im Allgemeinen eher geschärft worden sind, als dass man sie schleifen gelassen hätte. Das ist zunächst einmal die Lagebeschreibung. Wenn wir eine Gefahrenanalyse, eine Risikoanalyse machen, müssen wir diese drei Entwicklungen im Blick haben. Nur wenn wir in allen drei Bereichen gleichzeitig ein Problem feststellen, also ein Ansteigen der Wohnimmobilienpreise, ein Ansteigen bei der Fremdfinanzierung und ein Absinken der Mindeststandards bei der Vergabe von Krediten, dann haben wir ein Problem. Deshalb kann man die Frage stellen: Warum ergreifen wir die Initiative? Warum wollen wir jetzt dieses Gesetz beschließen? Der Grund ist folgender: Wenn bei Ihnen ein Brand ausbricht und Sie auf den Feuermelder drücken, hilft Ihnen das nur dann, wenn Sie vorher eine Feuerwehr eingerichtet, das Personal ausgebildet und der Feuerwehr die notwendige Ausrüstung gegeben haben. Ansonsten ist das Drücken des Feuermelders relativ wirkungslos. Entsprechend wollen wir vorgehen: Wir wollen jetzt die nötigen Instrumente schaffen, die Werkzeuge schaffen, um für den Fall, dass eine kritische Lage eintritt, gerüstet zu sein. Wir wollen diese Instrumente aktuell nicht aktivieren und zum Einsatz bringen. Ich habe dargelegt, dass wir dafür noch nicht die Notwendigkeit sehen. Wir bitten allerdings die Bundesbank und die BaFin darum, gemeinsam mit uns die drei Parameter, die ich geschildert habe, im Auge zu behalten und uns die Information zu geben, wann es nach ihrer Einschätzung mit Blick auf diese drei Parameter zu einer Gefahrenlage kommt, wann es zu einer Blasenbildung mit Gefahren für die Finanzstabilität kommt. Dann würden wir in einem gemeinsamen Entscheid, über den wir auch den Bundestag informieren würden, zur Aktivierung dieses Werkzeugkastens kommen. Das ist unsere Vorgehensweise an der Stelle. Was sind die Mindeststandards, die wir im Blick haben? Zum einen geht es um das Verhältnis zwischen Darlehenshöhe und dem Wert der Immobilie. In den USA haben wir vor der Finanzkrise Finanzierungen jenseits von 100 Prozent gesehen. Ein solches Verhalten haben wir in Deutschland nicht. Aber, ich glaube, hier einen Mindeststandard zu setzen, um bei denen, die solche Standards nicht einhalten, für eine gewisse Besinnung zu sorgen, ist kein Fehler. Zum Zweiten. Wir haben momentan Zinssätze, die sehr niedrig sind. Wenn man bei niedrigen Zinsen einen Kreditvertrag mit 1 Prozent Tilgung abschließt, dann ist das Volumen der Tilgung, das man über die Laufzeit gewinnt, relativ gering im Vergleich zu früheren Zeiten, in denen die Zinsen höher waren. Da hat man, wenn man mit 1 Prozent Tilgung angefangen hat, über die Laufzeit natürlich einen höheren Tilgungsanteil erreicht. Deshalb ist der zweite Punkt, dass wir einen Zeitraum für eine Mindesttilgung des Kredits als Standard setzen wollen. Der dritte Punkt betrifft das Verhältnis des Schuldendienstes zum Einkommen des Kreditnehmers. Auch diese Frage ist plausibel. Kann der Mensch eigentlich aus seinem eigenen Einkommen den Kredit, den er aufnimmt, bedienen? Es kann ja auch sein, dass er nicht nur einen Kredit hat, sondern mehrere. Das heißt, wir wollen uns auch die Gesamtleistungsfähigkeit, bezogen auf die Gesamtverschuldung, und das Verhältnis von Gesamtverschuldung zum Einkommen anschauen. Da wir hier allerdings nicht den einzelnen Kreditnehmer im Auge haben, da unser Interesse vielmehr der Finanzstabilität und damit der Stabilität der Bankinstitute gilt – das andere Thema wird Kollege Kelber beleuchten, nämlich den Schutz des einzelnen Kreditnehmers –, sagen wir: Wir wollen Ausnahmen für Ausbau, Umbau und Sanierung schaffen. Wir wollen den sozialen Wohnungsbau komplett ausnehmen und das Thema Anschlussfinanzierung aus diesen Betrachtungen herauslassen. Es geht uns um die Stabilisierung von Banken. Wir wollen auch jeder Bank ein gewisses Freikontingent an Kreditvolumen, für das die Mindeststandards nicht gelten, zugestehen. Denn wenn nur ein kleines Volumen an Krediten in Gefahr gerät, wird das nicht die Bank und damit das Finanzsystem in Gefahr bringen. Wir wollen ferner Bagatellkredite außen vor lassen, das heißt, es soll eine Bagatellgrenze geben; denn durch Kleinstkredite wird die Finanzmarktstabilität natürlich nicht in Gefahr geraten. Diese Überlegungen haben wir auf den Weg gebracht. Jetzt kann man sagen: Warum kommen die Deutschen auf den Gedanken? Zum einen weil wir den Hinweis unserer Aufsichtsorgane haben, zum Zweiten weil uns die Europäer, die sich mit Risiken im Finanzmarkt beschäftigen, darauf hingewiesen haben, dass es notwendig ist. Auch der Internationale Währungsfonds hat uns darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, einen solchen Instrumentenkasten zu schaffen. Außerdem sind andere Länder in Europa bereits in diesem Sinne tätig geworden. Deshalb würde es die Bundesregierung für nachlässig halten, wenn wir diesen Empfehlungen nicht nachkommen würden. Aber das ist immer in dem Sinne gemeint: Wir bereiten uns auf Risiken vor. Das heißt nicht, dass wir Risiken, die noch nicht eingetreten sind, jetzt schon bekämpfen wollen. Ich bitte Sie um eine konstruktive Beratung dieser Überlegungen. Ich hoffe, Sie würdigen auch den zweiten Teil, den Kollege Kelber nachher vorträgt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Meister. – Nächster Redner: Dr. Axel Troost für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gehört: Es geht um die Verhinderung von Spekulationsblasen, von Immobilienblasen. „Immobilienblasen“ heißt: Es handelt sich um eine Spekulationsblase, bei der es auf einem Teilbereich des Immobilienmarktes zu sehr stark ansteigenden Preisen kommt. Irgendwann ist diese Preisentwicklung zu Ende, sie bricht zusammen. Das führt dann zu Unternehmenszusammenbrüchen und Insolvenzen bis hin zu Bankenkrisen. Grundsätzlich begrüßen wir den vorliegenden Gesetzentwurf, weil die Bundesregierung damit auf potenzielle Risiken bei der Blasenbildung eingehen und reagieren will und gesetzliche Eingriffsmöglichkeiten schaffen möchte, um besser handlungsfähig zu sein. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte lautet: Wir haben erhebliche Zweifel, ob die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen zusätzlichen Eingriffsrechte reichen, um eine solche Blase wirklich wirksam abwenden und vorausschauend schon genug Druck ablassen zu können, damit die Blase nicht platzt. Als eine Schwäche des Gesetzentwurfes sei nur beispielhaft genannt, dass die Finanzierung gewerblicher Immobilien unberücksichtigt bleibt und dass auch im Hinblick auf die mangelnde Datengrundlage keine Initiative ergriffen wird. Das wäre für eine umfassendere Prävention aber notwendig. Wir stellen fest – das ist eben auch gesagt worden –, dass der Gesetzentwurf im Wesentlichen einem Bericht des Ausschusses für Finanzstabilität folgt, der auf die wachsenden Risiken hingewiesen hat. Dieser Ausschuss, in dem das Bundesfinanzministerium zusammen mit der Bundesbank und der BaFin die laufende Finanzmarktentwicklung untersucht, soll also jetzt beim Thema Immobilienfinanzierung tatsächlich seine Funktion erfüllen. Er soll durch gemeinsame Analysen die zuständigen Institutionen frühzeitig und vor einer akuten Finanzkrise auf die Gefahren aufmerksam machen. Das hört sich irgendwie selbstverständlich an; aber die Erfahrungen haben gezeigt, dass wir ähnliche Gremien bereits zuvor hatten, dass sie aber in der Zeit vor und nach der großen Finanzkrise 2007/2008 entweder nicht vernünftig gearbeitet haben oder im Extremfall sogar gar nicht erst einberufen worden sind. Das soll sich jetzt ändern. Eigentlich sollte es auch wünschenswert sein, dass wir jetzt wirkliche Maßnahmen ergreifen, was Finanzstabilität angeht. Man sieht, dass sich hier die Grundlagen geändert haben, dass sich vieles verändert hat, und das ist ja angesichts des vielen Lehrgeldes auch notwendig, das wir, das die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in den letzten zehn Jahren gezahlt haben. Ich sage nur die Stichworte: IKB, HRE, Commerzbank oder auch WestLB. Wir halten das Gesetz und seine Vorgeschichte insofern regulatorisch für einen Schritt in die richtige Richtung; aber die ergriffenen Maßnahmen sind unzureichend. Gerade in der Euro-Zone kann die Geldpolitik das Problem von isolierten Preisblasen in einzelnen Ländern bzw. Branchen mithilfe ihres bisherigen Instrumentenkastens nicht lösen. Es ist daher grundsätzlich erst einmal richtig, dass das Gesetz zum Beispiel zusätzliche Eigenkapitalanforderungen oder auch Obergrenzen bei den Banken für die Vergabe von Wohnimmobilienkrediten gezielt vorsehen und damit die Entwicklung bremsen kann. Bislang bleibt die Bundesregierung allerdings die Antwort schuldig, ab wann sie wirklich von einer Blase am Immobilienmarkt ausgeht und wann sie diese Instrumente denn auch einsetzen will. Schlimmstenfalls passiert uns dann dasselbe wie bei der Terrorabwehr, dass wir zwar bestehende Gesetze haben, diese aber nicht wirksam nutzen. Wir sind uns einig, dass in Deutschland die Gefahr von Immobilienblasen im Wesentlichen in bestimmten Ballungsräumen und insbesondere in Universitätsgroßstädten vorkommt. Es wird abzuwarten sein, ob die im Gesetzentwurf enthaltenen Bremsen dann auch wirklich so zielgenau wirken können. Neben den erweiterten Eingriffsbefugnissen der BaFin bedarf es aus unserer Sicht je nach Region sehr unterschiedlicher fiskalisch-administrativer Maßnahmenpakete, die auf drohende Blasen am Immobilienmarkt vor Ort zugeschnitten sind. (Beifall bei der LINKEN) So könnte man beispielsweise über Hebesätze bei der Grunderwerbsteuer in verschiedenen Kommunen nachdenken, zum Beispiel dann, wenn die Häuserpreise vor Ort in den drei Jahren zuvor um mehr als 20 Prozent gestiegen sind. Formal müsste man dann aber natürlich das Problem lösen, dass die Grunderwerbsteuer eine Ländersteuer ist und sie bisher überhaupt nicht auf Steuerungswirkungen ausgerichtet ist. Ich bin gespannt, wie wir in den Anhörungen im Finanzausschuss diese Instrumentendebatte führen werden. Bei allem Wohlwollen muss ich aber natürlich noch einmal darauf hinweisen, dass sich Preisblasen auf Vermögensmärkten – da ist es egal, ob es um Wertpapiere, um Edelmetalle, um Rohstoffe, um Immobilien oder anderes geht – notwendigerweise immer wieder bilden werden, solange die ungerechte und immer weiter zunehmende Ungleichheit der Vermögen und Einkommen nicht korrigiert wird. (Beifall bei der LINKEN) Die Reichen stecken ihre wachsenden Vermögen in einen kaum wachsenden Bestand an Vermögensgütern, und dadurch werden Aktien oder Immobilien immer teurer; aber es entstehen dadurch keine neuen Unternehmen und keine neuen Wohnungen. Wer das ändern will, kommt an einer ernsthaften Umverteilung von oben nach unten nicht herum; denn damit hätten wir wieder mehr Geld bei der Mehrheit der Bevölkerung, das dann für neue Wohnungen und neue Produkte ausgegeben werden kann. (Beifall bei der LINKEN) Noch eine Bemerkung zur europäischen Wohnimmobilienkreditrichtlinie, auf die gleich eingegangen werden wird. Natürlich ist es sinnvoll, dass Banken daran gehindert werden, unverantwortliche Kreditrisiken einzugehen. Es ist aber nicht Sinn der Sache, dass Banken Menschen im Rentenalter kaum mehr Immobilienkredite gewähren. Die ganze Finanzmarktregulierung muss darauf abzielen, den Banken verantwortungslose und von Renditegier getriebene Risiken wie zum Beispiel windige Geschäfte mit komplexen Wertpapieren zu verbieten. Es bleibt aber natürlich sehr wohl Teil des seriösen Bankgeschäftes, verantwortungsvolle Kreditrisiken in ökonomisch sinnvollem Maße einzugehen und damit Unternehmen und auch Privatpersonen überhaupt Investitionen oder auch Immobilienkäufe zu ermöglichen. Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch darauf hinweisen, dass mich die ersten drei Tage des neuen US-Präsidenten und seiner Mannschaft mit großem Schrecken erfüllen, nicht nur, weil Mauern gebaut werden, weil Fraueninstitutionen nicht mehr gefördert werden, weil die Gesundheitsversorgung deutlich verschlechtert wird, sondern auch, weil im Bereich der Finanzmarktstabilität und -regulierung Rückschritte eingeleitet werden. Wenn ich lese, dass die Bestimmungen zum Eigenhandel von Banken jetzt wieder gelockert werden sollen, dann meine ich: Das geht in genau die falsche Richtung und wird natürlich dazu führen, dass die Stabilität des Finanzsektors weltweit wieder infrage gestellt wird. Deswegen kann ich nur hoffen, dass sich sowohl wir, der Deutsche Bundestag, das Finanzministerium, die BaFin, als auch alle anderen massiv dagegen wenden und massiv deutlich machen werden, dass unsere gemeinsame Erkenntnis, dass Stabilität notwendig ist, jetzt wirklich beibehalten und nicht rückgängig gemacht wird. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Axel Troost. – Der nächste Redner: für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kelber. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, zur Wohnimmobilienkreditrichtlinie und ihrer Umsetzung in nationales Recht Stellung zu nehmen. Das deutsche Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie geht auf die Erfahrungen der Finanzkrise zurück. Richtlinie und Umsetzung sollen verhindern, dass sich unseriöse Finanzierungspraktiken wiederholen, die unter anderem in den USA und in Spanien zu Immobilienblasen geführt haben. Als diese platzten, gingen keineswegs nur Banken pleite, sondern vor allem verloren auch viele Verbraucherinnen und Verbraucher ihre kreditfinanzierten und selbstbewohnten Immobilien. Die neuen Regeln stärken das Prinzip der verantwortungsvollen Kreditvergabe. Die Kreditinstitute müssen also im Interesse ihrer Kunden prüfen, ob Kreditnehmer die vertraglich vereinbarten Raten zahlen können. Ich halte das für eine verbraucherpolitische Errungenschaft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jedoch zeigte sich bereits kurz nach Inkrafttreten, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie nicht nur Verbraucher effektiv schützt, sondern auch einige Banken tief verunsichert hat. Da die Banken jetzt für eine ordnungsgemäße Kreditprüfung haften, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das haben sie schon immer gemacht!) hinterfragten sie ihre Kreditvergabeprozesse sehr gründlich, (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das haben sie schon immer gemacht!) zum Teil überzogen. Sie stellten dabei auch bewährte Kreditvergabestandards infrage und verschärften diese eigenständig weiter, was bei einigen Banken wiederum zu weniger Kreditvergaben führte; andere haben ihr Kreditvergabevolumen sogar ausgedehnt. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Welche Bank ist denn das?) Ich möchte ein Beispiel für etwas nennen, was weder von der Richtlinie noch von der nationalen Gesetzgebung vorgesehen war. Wir wurden zum Beispiel gefragt, ob die neuen Regeln verhindern sollten, dass ein Kredit an jemanden vergeben wird, der diesen Kredit nicht innerhalb seiner statistischen Lebenserwartung zurückzahlen kann. Das war weder von Richtlinie noch vom Gesetz vorgegeben. Denn Erbschaftsteuer hin oder her: Die Richtlinie sollte natürlich nicht Erben ein schuldenfreies Haus garantieren, sondern ermöglichen, Verträge über die Nutzung abzuschließen. Wir haben im Hinblick auf diese Kritik auf Schnellschüsse verzichtet, sondern mit der deutschen Kreditwirtschaft und der Verbraucherschutzseite einen intensiven Dialog darüber geführt, wie diese Unsicherheiten bei den Banken beseitigt werden können. Wir wollen erreichen, dass Verbraucherinnen und Verbrauchern uneingeschränkt Zugang zu Krediten, die sie sich ohne das Risiko einer Überschuldung leisten können, gewährt wird. Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem wir Klarstellungen vornehmen wollen, die sowohl europarechtlich zulässig sind als auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern dienen. Drei Punkte: Erstens. Wir wollen klarstellen, dass die Wertsteigerung durch Baumaßnahmen oder Renovierungen natürlich berücksichtigt werden darf. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!) – Das war von vornherein Intention, Herr Kollege Michelbach. – Aber natürlich – wahrscheinlich liegt die Richtlinie vor Ihnen – müssten Sie den Erwägungsgrund 55 der Richtlinie, dass sie nicht allein ausschlaggebend sein darf, auch in der nationalen Gesetzgebung berücksichtigen. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber andere Länder haben es noch nicht gemacht!) Zweitens soll im Gesetz explizit geregelt werden, dass, wie schon bisher, die Regelungen für Verbraucherdarlehensverträge nicht auf die sogenannten Immobilienverzehrkreditverträge anwendbar sind, also in dem Fall, dass jemand einen Teil der Immobilie, in der er wohnt, an die Bank übereignet. Das soll auch die Unsicherheit der Rechtsabteilungen einiger Banken beenden und die Kreditvergabe an ältere Menschen erleichtern. Drittens. Wir bitten Sie um eine Ermächtigung für eine gemeinsame Rechtsverordnung des Bundesfinanzministeriums und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Wir wollen in weiteren praktisch relevanten Fällen eine Leitlinie für die ordnungsgemäße Kreditvergabe an die Hand geben. Auch hierzu zwei Beispiele: Wir wollen deutlich machen, wie mit befristeten Arbeitsverhältnissen und vorübergehenden Gehaltseinbußen durch Elternzeit umgegangen werden soll, da einige Banken nur die Negativannahmen verwendet haben. Außerdem wollen wir insbesondere beim altersgerechten Umbau, der den Wert von Immobilien erhöht, die Wertsteigerungen in angemessener Form berücksichtigen. Wir meinen, dass damit – das will ich bewusst sagen – die bei einigen Banken – also keineswegs durchgehend – vorgekommene schlechtere Kreditvergabe an junge Familien sowie Seniorinnen und Senioren beendet wird und es wieder einen gesicherten Zugang dieser Personenkreise zu Krediten gibt. Ich werbe für die vorgesehenen Klarstellungen und bitte Sie um Ihre Unterstützung für diesen Gesetzentwurf. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ulrich Kelber. – Nächster Redner: Dr. Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielem von dem, was Sie, Herr Kelber, gerade gesagt haben, können wir Grünen zustimmen. Ich frage mich nur, wenn ich mir die Umsetzung dieser Richtlinie anschaue: Warum greift man eigentlich nur den Bereich auf, in dem es Unschärfen gibt und Fehler gemacht worden sind und über den sich die Banken beklagen, und zwei wichtige Punkte, die für die Verbraucherinnen und Verbraucher wichtig wären – ich nenne insbesondere Koppelprodukte, also mit Restschuldversicherungen versehene Produkte –, greift man nicht auf? Das verstehen wir nicht. Dort muss nachgesteuert werden. Meine Kollegin Nicole Maisch wird dazu später noch ausführlicher sprechen. Ich werde mich auf den ersten Teil konzentrieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das hört sich jetzt nach großem Konsens an. Der Ausschuss für Finanzstabilität hat empfohlen, ein entsprechendes Gesetz vorzulegen. Auch der Internationale Währungsfonds und der Europäische Ausschuss für Systemrisiken empfehlen dies; die Experten scheinen sich alle einig zu sein. Aber: So ist es ja nicht ganz. Vielmehr gab es einen CSU-Parteitagsbeschluss, der sich explizit – auf die Initiative, wie ich lese, des Kollegen Michelbach – gegen dieses Gesetz gewandt hat, und Kollege Zöllmer sagte für die SPD im Handelsblatt Ende des Jahres: Wir können nicht auf der einen Seite Wohnungsbau fördern und auf der anderen Seite die Kreditvergabe einschränken. – So groß scheint die Einigung nicht zu sein. Deswegen ist jetzt die Frage: Um was geht es hier eigentlich? Es geht darum, dass man in der Finanzkrise gemerkt hat: Selbst wenn man bei jeder einzelnen Bank genau hinschaut, ob sie das alles korrekt macht und stabil ist, sieht man nicht alles; denn möglicherweise basieren die Immobiliensicherheiten, die die Bank bei sich kalkuliert, auf aufgeblasenen Werten, da man sich in einer Immobilienblase befinden kann. Deswegen reicht es nicht, auf die einzelnen Institute zu schauen, sondern man muss auch auf den Gesamtmarkt schauen, und wenn dieser in die falsche Richtung geht, muss man rechtzeitig eingreifen. Auch das ist eine Aufgabe der Finanzaufsicht, nicht nur der Blick auf die einzelnen Banken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Dem stimmen wir ausdrücklich zu. Deswegen kann ich die Kritik an dieser Stelle nicht richtig nachvollziehen. Ich komme mir schon ein bisschen komisch vor, wenn ich den Entwurf des Bundesfinanzministeriums gegen die Kritik aus den Koalitionsfraktionen verteidige. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Da hat doch keiner was gesagt!) Aber an dieser Stelle geht es um die Sache und nicht um die parteipolitische Zugehörigkeit. Ich mache mir jedoch Sorgen, dass die wichtigen Argumente, die früher – übrigens auch aus Ihrer Partei, Herr Michelbach – vorgetragen worden sind, nicht mehr gelten. Der frühere Staatssekretär Koschyk hat das hier 2012 in der Debatte zum Gesetz zur Stärkung der Finanzaufsicht sehr deutlich gesagt: Die mikropotenzielle Aufsicht muss durch eine makropotenzielle Aufsicht ergänzt werden. Man kann sich dann nicht dagegen wehren, wenn genau das umgesetzt werden soll. Nehmen Sie die Lehren aus der Finanzkrise im Jahr acht nach Lehman bitte immer noch ernst! Sonst sind wir bald in der nächsten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es ist richtig, dass wir heute nicht generell sagen können, dass in Deutschland eine einzige große Immobilienblase besteht. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!) An verschiedenen Stellen gibt es aber gefährliche Entwicklungen, und deswegen ist es richtig, die notwendigen Instrumente vorzubereiten. Experten sagen uns – ich beziehe mich hier auf den Chefvolkswirt des Bankhauses Metzler –, dass es hierzulande bereits Finanzierungen von 110 Prozent des Kaufpreises gibt. Das ist nicht seriös, und das sind genau die Fehlentwicklungen, die man bei den Immobilienblasen in den anderen Ländern beobachtet hat. Wir sehen daneben, dass die Immobilienpreise in wichtigen Teilen des deutschen Immobilienmarkts in den letzten Jahren massiv schneller angestiegen sind als die Einkommen. Auch das ist ein Indiz dafür, dass man aufpassen muss. Aber selbst wenn es nicht so wäre: Ein solch vorbereitendes Gesetz braucht man, damit die Finanzaufsicht rechtzeitig eingreifen kann. Es ist auch richtig, das regional differenziert zu machen. Man darf aber diesem Gesetz jetzt nicht Hürden in den Weg legen, bloß weil die Banken sagen: Wir wollen keine Einschränkungen. – Im Gegenteil ist es richtig, eine Kritik, die Axel Troost genannt hat, aufzugreifen und auch die gewerblichen Immobilienmärkte einzubeziehen. Zudem muss – auch wenn man das nicht in diesem Gesetzentwurf regeln muss – die Datengrundlage (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Besser werden!) besser werden, damit man einen klaren Überblick erhält. Es kann ja wohl nicht sein, dass sich die Finanzaufsicht hier auf private Datenanbieter verlassen muss. Eine entsprechende Datengrundlage ist also notwendig. Mein Appell an Sie: Hören Sie hier nicht auf die Banken, die uns schon wieder raten, alle Lehren aus der Finanzkrise zu vergessen, sondern sorgen Sie dafür, dass die Erkenntnisse, die hier einmal fraktionsübergreifend vorhanden waren – wir brauchen eine makroprudenzielle Aufsicht, also eine Aufsicht quer über die Institute, für den gesamten Markt, und die entsprechenden Instrumente –, jetzt auch im Gesetz verankert werden! Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Gerhard Schick. – Nächste Rednerin: Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Antje Tillmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Im letzten Jahr erreichten viele von uns Zuschriften von jungen Familien und Senioren. Der Tenor war immer derselbe: Meine Bank hat mir den Kredit für den Kauf oder den Umbau meiner Immobilie verweigert. Was ist passiert? Seit März 2016 gilt in Deutschland eine neue EU-Richtlinie, die die Vergabe von Wohnimmobilienkrediten verschärft. Die Richtlinie wurde in der EU als Reaktion auf die spanische Immobilienkrise beschlossen, die durch zahlreiche leichtfertig vergebene Kredite verursacht wurde. Banken müssen seither ihre Kreditnehmer vor Vertragsabschluss besser informieren. Außerdem wurden undurchsichtige Kopplungsgeschäfte, bei denen ein Darlehen nur in Verbindung mit anderen Finanzprodukten ausgegeben wurde, eingeschränkt. Diese Neuerungen waren gut und richtig, und sie dienten dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher. Neben dem Wert der Immobilie müssen Banken künftig auch andere Faktoren, wie etwa das Einkommen des Kreditnehmers oder die Verschuldungsquote, verstärkt berücksichtigen. Leider hat die zu weit gehende Umsetzung in deutsches Recht durch Bundesjustizminister Maas zur Folge (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Sie haben doch zugestimmt!) – das stimmt –, dass gerade Altersgruppen mit weniger berechenbarem Einkommen zunehmend Schwierigkeiten haben, einen Hauskredit zu bekommen. Herr Staatssekretär Kelber, wenn Sie sagen: „Das war ja alles so nicht gemeint“, dann kann ich nur sagen: In einem Rechtsstaat ist es eigentlich üblich, dass man das, was man meint, ins Gesetz schreibt. Und ja, wir haben dem zugestimmt; wir haben einen Fehler gemacht, und wir werden das korrigieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir behaupten ja nicht, dass die bisherige Regelung richtig ist. Dann brauchten wir das Gesetzgebungsverfahren nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen, dass junge Familien und ältere Menschen Kredite für den Umbau oder die Renovierung ihres Gebäudes bekommen, und wir wollen – das meint Herr Staatssekretär Kelber offensichtlich auch –, dass das so im Gesetz steht, um Rechtssicherheit für Banken und Verbraucherinnen und Verbraucher herzustellen. (Beifall des Abg. Olav Gutting [CDU/CSU]) Wie Herr Dr. Schick sind auch wir noch nicht zufrieden mit diesem Gesetzentwurf. Wir glauben nämlich, dass darin auch die Anschlussfinanzierungen geregelt werden müssen. Es kann nicht sein, dass, sollte es zu einer Krise kommen, wir diese bei einer anstehenden Anschlussfinanzierung dadurch verschärfen, dass Veräußerungen notwendig sind. Auch hier haben wir erheblichen Diskussionsbedarf. Dazu dient dieses Gesetzgebungsverfahren ja auch; wir stehen heute erst am Anfang. (Beifall bei der CDU/CSU) Was ist der zweite Teil dieses Gesetzentwurfs, der Teil, der dem Gesetz seinen Namen gibt? Der Ausschuss für Finanzstabilität, dem auch Vertreter von BaFin und Bundesbank angehören, ist der Meinung, dass es hinsichtlich der Aufsicht Handlungsbedarf gibt, falls es irgendwann – rein theoretisch – zu einer Immobilienkrise kommt. Um es deutlich zu sagen: Weder die Bundesbank noch die BaFin sieht aktuell eine solche Krise. Beide empfehlen aber, Instrumente einzuführen, bevor eine schwierige Situation wirklich akut wird. Herr Staatssekretär Meister hat dies mit einem Feuermelder verglichen. Ich teile die Auffassung, dass wir Instrumente haben müssen, bevor eine Krise ausbricht. Wir müssen daher intensiv darüber beraten, wie solche Instrumente aussehen können. Die BaFin soll handlungsfähig gemacht werden und dafür neue, zielgenaue Instrumente zur Bekämpfung bzw. Bewältigung einer eventuellen Immobilienkrise bekommen. Die BaFin soll Kreditgebern bestimmte Mindeststandards für die Vergabe von Neukrediten für den Erwerb oder den Bau von Wohnimmobilien vorgeben dürfen. Die genauen Festlegungen hierzu sollen aber in einer umfangreichen Verordnung geregelt werden, die noch in der Bearbeitung ist. Herr Dr. Schick, ich wundere mich, dass Sie den Gesetzentwurf schon verteidigen, obwohl Sie noch gar nicht wissen, was tatsächlich geregelt wird; denn die konkreten Details werden in einer sehr umfangreichen Verordnung dargelegt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir haben darum gebeten – ich danke dem Staatssekretär, dass er dem zugestimmt hat –, dass wir noch im Gesetzgebungsverfahren erfahren, was in dieser Verordnung steht; denn erst dann können wir tatsächlich die Auswirkungen auf Banken und Verbraucher beurteilen. Es ist eine Milchmädchenrechnung, zu glauben, wir könnten bei Banken immer weiter regulieren, ohne dass es für die Verbraucher Auswirkungen hätte. Natürlich besteht die Gefahr, dass Kredite für den Verbraucher teurer werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns genau ansehen, was in dieser Verordnung steht. Aus meiner Sicht muss in dieser Verordnung geregelt sein, was ein vernünftiger Kaufmann sowieso tun würde. Es sind nicht alle Banken der Meinung, dass diese Gesetzgebung ihnen Schwierigkeiten bereiten wird. Ein verantwortungsbewusster Banker würde auf eine Krise reagieren. Wir müssen sicherstellen, dass sich alle Banker verantwortungsbewusst verhalten. Deshalb werden wir am 6. März in einer Anhörung mit den Betroffenen die Verordnungsgegenstände diskutieren und dann feststellen, ob dieser Gesetzentwurf das leistet, was wir uns erhoffen. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir die Bereitstellung dieser Instrumente besser innerhalb Deutschlands regeln, als dies erneut der EU-Kommission zu überlassen. Was passiert um uns herum? In 18 anderen europäischen Staaten gibt es diese Aufsichtsinstrumente schon. Wenn wir nicht handeln, besteht die Gefahr, dass die EU-Kommission eine europäische Regelung vorschlägt, die – diese Erfahrung haben wir schon gemacht – die Besonderheiten des deutschen Kreditmarktes und die gute deutsche Kreditsituation nicht berücksichtigen wird. Es wäre also besser, dies innerdeutsch zu regeln. Deshalb begeben wir uns auf den Weg, diesen Gesetzentwurf zu diskutieren. Es ist ja nicht so, dass der BaFin keine Instrumente zur Verfügung stehen, um in einer Krise einzugreifen. Natürlich könnte die BaFin einer Bank bestimmte Eigenkapitalvorlagen auferlegen. Aber das hätte den Nachteil, dass davon alle Branchen betroffen wären, obwohl mittelständische Produktionsunternehmen vielleicht gar nicht in Schwierigkeiten sind. Ich glaube, wir sollten uns sehr genau ansehen, ob wir für den Immobiliensektor konkretere und spezifischere Instrumente brauchen. Ob der vorliegende Gesetzentwurf der richtige Weg ist, werden wir nach umfangreichen Beratungen entscheiden. Wir werden uns nach der Anhörung dazu positionieren. Herr Dr. Meister, wie immer können Sie sicher sein und damit rechnen, dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren konstruktiv begleiten. Das beginnen wir heute, und wir werden es zu einem guten Abschluss führen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Tillmann. – Herr Meister hat sich entschuldigt. Der Mann, der hier sitzt, ist nicht der verjüngte Herr Meister, sondern Herr Spahn. Aber er nimmt all das mit, was Sie gesagt haben, und wird es an den Herrn Staatssekretär weitergeben. Nächste Rednerin: Nicole Maisch für Bündnis 90/Die Grünen. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor gut elf Monaten haben wir hier die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie beschlossen, und schon jetzt bessern Sie nach. Aber leider ist es so, dass das, was Sie korrigieren, nicht etwa Ihr Eingriff in die Verbraucherrechte beim Widerruf von Verträgen ist oder in die unzureichenden Instrumente gegen Abzocke bei den Dispozinsen. Vielmehr machen Sie wieder relativ einseitig und auf Zuruf Politik für einzelne Kreditinstitute, vor allem für die Sparkassen. Der Staatssekretär hat es ausgeführt: Die Heerscharen verzweifelter Rentner und junger Familien, die keinen Kredit mehr bekommen, was die empirische Grundlage für diese Gesetzesänderung ist, waren zwar überall in den Medien, aber in der Realität schwer zu finden. Kollegin Tillmann, die Waschkörbe voller Zuschriften, die Sie in diesem Zusammenhang bekommen haben, interessieren mich sehr. Bei uns haben sich hauptsächlich die Sparkassen gemeldet. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was haben Sie denn gegen Sparkassen?) – Ich habe überhaupt nichts gegen die Sparkassen. Melden Sie sich doch, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen! Auch der Finanzmarktwächter der Verbraucherzentralen hat vor fünf Monaten aufgerufen: Leute, meldet euch bei uns, wenn ihr Schwierigkeiten habt, Kredite zu bekommen. – Ganze 16 Bundesbürger haben sich gemeldet. Am 8. Dezember letzten Jahres hat mir der Parlamentarische Staatssekretär Herr Kelber auf meine Frage, welches die Grundlagen für eine solche Gesetzesänderung sind und ob es wirklich Probleme bei der Kreditvergabe gibt, geantwortet: Aussagekräftige und belastbare Zahlen über den behaupteten Rückgang der Kreditvergabe und die Ursächlichkeit des Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie liegen nicht vor. Man braucht aber keine empirische Grundlage, um Politik zu machen. Es gibt sicherlich gute Gründe, die Sparkassen noch besser gegen Falschberatung abzusichern. Wenn Sie aber schon Politik auf Zuruf machen, dann sollten Sie auch auf den Zuruf der Verbraucherschützer hören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier möchten wir Ihnen vor allem zwei Punkte besonders ans Herz legen. Das erste Thema ist die Vorfälligkeitsentschädigung. Wie wir alle wissen, spielt das Leben nicht immer so, wie man es sich denkt. Man nimmt einen Kredit auf, und plötzlich gibt es einen Todesfall, oder es kommt zur Scheidung. Dann muss man eventuell den Kredit vorzeitig ablösen. Die Vorfälligkeitsentschädigungen in Deutschland sind konkurrenzlos hoch. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dafür gibt es die Langfristfinanzierung!) Andere EU-Mitgliedstaaten wie Belgien und Frankreich haben verbraucherfreundliche Regelungen geschaffen. Wir sind der Meinung, dass es nun an der Zeit ist, Transparenz bei den Berechnungen herzustellen und eine konkrete Obergrenze festzulegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dafür gibt es die Langfristfinanzierung!) – Ich habe das Mikro. Deshalb kann ich lauter schreien. Wir sind zudem der Meinung, dass die Regelung für gekoppelte Produkte noch strenger sein müsste. Gekoppelte Produkte sollten nur vertrieben werden, wenn es einen objektiven Nutzen für die Verbraucherinnen und Verbraucher gibt. Last, but not least fordern wir Transparenzvorschriften für die Restschuldversicherungen. Das wäre echter Verbraucherschutz und nicht nur Politik auf Zuruf einzelner Kreditinstitute. Wir werden uns im anstehenden Gesetzgebungsverfahren sehr genau anschauen, ob die Neuregelung, die Sie nun machen, nicht den Sinn der Richtlinie und des ursprünglichen Gesetzentwurfs, Menschen davor zu schützen, ihr Haus zu verlieren, weil sie sich mit einem Kredit übernommen haben, verwässert. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Wir schützen Menschen davor, ein Haus zu kaufen!) Wir werden Sie daran erinnern, was in diesem Bereich des Verbraucherschutzes noch alles zu tun ist. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Nicole Maisch. – Nächster Redner: Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich bei meinen Ausführungen schwerpunktmäßig auf das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz beschränken. Wir haben gehört, worum es geht. Es geht um den Problemkreis, durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen das Entstehen von Immobilienblasen zukünftig zu verhindern. Ich betone: Dies ist eine gute und wichtige Zielsetzung zur Verbesserung der Finanzmarktstabilität. Wie wir alle wissen, ging die Finanzmarktkrise 2007/2008 in den USA im Wesentlichen vom Platzen einer Immobilienblase aus. In Deutschland sind nur Wertpapiere über Immobilienkredite und Verbriefungen geplatzt, die an deutsche Banken, insbesondere an Landesbanken, gegangen sind. In den USA gab es das geflügelte Wort: Diese Schrottpapiere kannst du gut den deutschen Landesbanken andrehen; die sind dafür dankbar. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: In Düsseldorf vor allen Dingen!) Eine Immobilienblase in Deutschland gab es nicht; das muss man feststellen. Sie hat es auch in der Vergangenheit nicht gegeben; denn das deutsche Geschäftsmodell der Banken bei Immobilienkrediten ist völlig anders als das Geschäftsmodell in den USA. Die amerikanischen Banken überwälzen ihre Risiken an die Institutionen Fanny Mae und Freddie Mac, die quasi staatlich abgesichert sind. Das ist in Deutschland nicht der Fall. Natürlich wäre ein Immobilienmarkt, der sich überhitzt, für den Bankensektor ein großes Risiko. Daher war es vernünftig, dass sich der Ausschuss für Finanzstabilität im Jahre 2015 mit diesem Thema beschäftigt und einige Vorschläge gemacht hat, aus denen hervorgeht, wie man eine Überhitzung des Immobilienmarktes in Deutschland verhindern kann. Der Chefvolkswirt der EZB hat im letzten Monat in einem Interview mit der Zeitung Die Zeit festgestellt: … in Frankfurt sind Immobilienpreise innerhalb eines Jahres um 20 Prozent gestiegen … Richtig gefährlich ist ein solcher Boom … erst dann, wenn er auf Pump finanziert wird. Die Vergabe von Baukrediten wächst aber nur sehr langsam. Lieber Kollege Schick, das ist ein Punkt, den Sie in Ihren Ausführungen völlig vergessen haben. Wir haben in Deutschland einen regional sehr unterschiedlichen Immobilienmarkt: Wir haben einige Ballungszentren – München, Hamburg, Berlin, Frankfurt –, in denen die Immobilienpreise sehr deutlich steigen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Universitätsstädte!) In anderen Bereichen haben wir aber fallende Immobilienpreise. Es gibt Regionen in Deutschland, in denen Sie Ihr Haus gar nicht loswerden, weil dort keine Nachfrage besteht. Sie finden dort keinen Käufer. Eine vernünftige Regulierung der Baufinanzierung müsste diese regionalen Aspekte berücksichtigen. Ich glaube, dass wir das beim vorliegenden Gesetzentwurf sorgfältig prüfen müssen. Meiner Ansicht nach werden diese Aspekte im Gesetzentwurf zu wenig berücksichtigt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Instrumente müssen dort ansetzen, wo der Schmerz entsteht – sprich: eine Immobilienblase entsteht. Eines der Hauptprobleme auf diesem Feld bleibt aber die Diagnose, das heißt die Frage: Ist es wirklich eine Blase, ja oder nein? Ich beschäftige mich seit vielen Jahrzehnten mit der Ökonomie und habe festgestellt: Die Ökonomen haben es in der Vergangenheit nicht ein einziges Mal geschafft, eine Blase richtig vorherzusehen. Das ist ein großes Problem. Ein Teil der Ökonomen hat immer gesagt: „Dies ist eine völlig normale Marktentwicklung“, während ein anderer Teil der Ökonomen immer gesagt hat: Das ist aber gefährlich. – Nur, was macht man dann als Aufsicht? Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Zöllmer, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Gerhard Schick? Manfred Zöllmer (SPD): Nein, das erlaube ich nicht. Ich will das jetzt ausführen. – Nehmen wir das Beispiel Berlin: Die Stadt Berlin wächst jedes Jahr um 50 000 Personen. Es ist natürlich völlig logisch, dass deshalb die Nachfrage am Immobilienmarkt steigt, und es ist völlig logisch, dass dann auch die Preise steigen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch nichts damit zu tun!) Ist das jetzt eine Blase oder nicht? Das Problem, das ich mit diesem Gesetzentwurf habe, besteht darin, dass der Statistikteil einfach ausgeklammert worden ist. Dazu finden wir keine Regelungen; die wären aus meiner Sicht aber auf jeden Fall notwendig. (Beifall bei der SPD) Die Kollegin Tillmann hat eben darauf hingewiesen: Wir werden uns sehr sorgfältig mit diesem Entwurf und mit den Instrumenten, die darin vorgeschlagen sind, auseinandersetzen. Wir werden uns sehr sorgfältig fragen: Was ist sinnvoll? Was hilft in Zukunft, eine Immobilienblase zu verhindern, und was nicht? Wir müssen auf der anderen Seite aber auch im Blick behalten, dass wir den Wohnungsbau fördern. In diesem Haus sind viele Fördermaßnahmen für den Wohnungsbau beschlossen worden. Wir haben eben noch gehört, wie groß die Problematik ist. Die Linkspartei hat steigende Mieten beklagt. Wir wissen, dass das ein Problem ist. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ja, sozialer Wohnungsbau! Gemeinnütziger Wohnungsbau!) Das heißt, wir dürfen diesen Bereich nicht regulatorisch erdrosseln. Deutschland braucht auch in Zukunft stabile Immobilienmärkte. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist ein anderes Marktsegment!) Deshalb ist es sinnvoll, sehr sorgfältig mit diesem Gesetzentwurf und mit den vorgeschlagenen Instrumenten umzugehen und sie zu prüfen. Darüber hinaus wollen wir als Parlament aber auch in wesentliche Entscheidungen eingebunden werden. Das sieht der Gesetzentwurf ebenfalls nicht vor. Wir wollen Fehlentwicklungen verhindern, eine ordnungsgemäße Kreditwürdigkeitsprüfung ohne Diskriminierung sicherstellen und überzogene Anforderungen auf das richtige Maß zurückführen. Was wir nicht wollen, ist, den normalen Immobilienkleinkredit, um die Renovierung oder den altersgerechten Umbau eines Hauses zu bezahlen, unmöglich zu machen. Wir werden diesen Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren sorgfältig prüfen. Es gilt nach wie vor der Grundsatz: Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es hineingekommen ist. Wir werden unsere Hausaufgaben machen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Manfred Zöllmer. – Nächster Redner: Matthias Hauer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthias Hauer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf des Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetzes. Das Gesetz besteht aus zwei Teilen; das haben wir bereits gehört. Im ersten Teil geht es darum, Immobilienblasen zu vermeiden. Dazu ist bereits viel gesagt worden. Was die Position der CDU/CSU-Fraktion angeht, verweise ich auf das, was meine Kollegin Antje Tillmann vorhin gesagt hat. Ich werde mich hier auf den zweiten Teil konzentrieren. Dabei geht es um die nationale Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Hier wollen wir die Rechtsunsicherheiten und Probleme beseitigen, die im Zuge der Umsetzung Anfang 2016 entstanden sind. Seit September letzten Jahres befasse ich mich als Berichterstatter der AG Finanzen mit diesem für die Kreditvergabe wichtigen Thema. Frau Maisch hat gerade gesagt, die Grünen hätten nur einige Anfragen dazu erreicht. Mich haben sehr viele Anfragen erreicht und, so glaube ich, viele Kolleginnen und Kollegen im Hause ebenfalls. – Sogar Kollege Dr. Troost von den Linken nickt. – Aber vielleicht trauen ja den Grünen nicht so viele zu, hier eine gute Lösung zu erzielen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sicherlich wurden auch viele von Ihnen in den Wahlkreisen auf die bestehenden Probleme angesprochen. Oft ging es darum, dass Menschen Kredite versagt wurden, oft mit Verweis auf die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Es ist richtig, dass wir als Gesetzgeber eingreifen, dass wir Rechtssicherheit herstellen und das Gesetz verbessern; denn hier besteht Nachbesserungsbedarf. Zunächst aber ein Blick zurück: Im März letzten Jahres ist das Gesetz in Kraft getreten. Bereits kurz darauf gab es jede Menge Kritik an der nationalen Umsetzung. Was wurde kritisiert? Das deutsche Gesetz würde viel weiter greifen, als es die europäischen Regelungen vorsehen. Dazu kommt Rechtsunsicherheit durch viele unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetzestext; dazu gleich mehr. Junge Familien und ältere Menschen hatten vielfach Probleme, einen Kredit für eine Wohnimmobilie zu bekommen. Ich sage sehr deutlich: Wir als Union wollen, dass gerade auch junge Familien und ältere Menschen ein Eigenheim erwerben oder es altersgerecht umbauen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb hätten wir uns auch gewünscht, dass Heiko Maas als der zuständige Bundesminister hier schneller reagiert hätte. Es sah eine Weile so aus, dass Senioren und Familien zu Verlierern dieser Regelung werden könnten. (Zuruf von der SPD: Quatsch!) Viele, auch CDU/CSU, haben nach Inkrafttreten des Gesetzes auf die Probleme hingewiesen. Jetzt geht es mit der Lösung endlich voran. Wenn die Regelung in § 505b so toll ist – Herr Staatssekretär Kelber hat darauf gerade Bezug genommen und von „Unsicherheit bei einigen Banken“ gesprochen; er hat das so ein bisschen ins Lächerliche gezogen –, dann frage ich Sie: Warum bessern wir denn dann nach? (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Weil es in der Richtlinie so steht!) Wenn man in den Gesetzestext schaut, kann man ja einmal überlegen, ob der so schlau ist. Zählen wir einmal die unbestimmten Rechtsbegriffe! Hier wird davon geredet, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ja, weil das die Richtlinie ist! Das ist der Text aus der Richtlinie!) dass „auf der Grundlage notwendiger, ausreichender und angemessener Informationen zu Einkommen, Ausgaben sowie anderen finanziellen und wirtschaftlichen Umständen des Darlehensnehmers eingehend zu prüfen“ ist. Da wird von „Angemessenheit“, von „Relevanz“, von „voraussichtlich“ geredet. All das sind unbestimmte Rechtsbegriffe. Man muss auch einmal selbstkritisch sein – das hätte ich mir auch von Ihnen gewünscht, Herr Kelber – und sagen, dass eine Regelung nicht so gut gemacht worden ist. (Zurufe der Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] und Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich verweise auf die Kollegin Tillmann, die gesagt hat: Das ist keine gute Regelung gewesen; da haben wir Fehler gemacht. – Das muss man aber auch offen zugeben. Ich möchte auch die gute Zusammenarbeit mit den Finanzpolitikern unseres Koalitionspartners erwähnen, die da sicherlich intern Überzeugungsarbeit geleistet haben. Ebenso bedanken möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit beim Kollegen Dr. Heck aus der AG Recht. Das alles dürfte dazu beigetragen haben, dass wir heute die Nachbesserung in erster Lesung beraten und dann sicherlich bis März beschließen können. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Es war unsere Initiative, nachzubessern! – Gegenruf der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU]: Eure Initiative war das ganz bestimmt nicht!) Aber nun zu den wesentlichen Details des Gesetzentwurfs. Wir stellen klar, dass bei der Finanzierung für den Bau oder die Renovierung des Eigenheims wieder maßgeblich auf den Wert der Immobilie abgestellt werden darf. Damit korrigieren wir, dass diese Ausnahmeregelung der EU-Richtlinie bislang nicht ins deutsche Gesetz Aufnahme gefunden hat. Wir wollen, dass Seniorinnen und Senioren auch dann in ihrem Eigenheim wohnen bleiben können, wenn sie einmal finanzielle Mittel brauchen, zum Beispiel für eine Renovierung oder für einen barrierefreien Umbau. Es ist daher richtig, dass der Wert der Immobilie bei der Kreditwürdigkeitsprüfung berücksichtigt wird, und zwar in starkem Maße. Das stellen wir hiermit nun im BGB und im KWG klar. (Beifall bei der CDU/CSU) Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir Leitlinien zur Kreditwürdigkeitsprüfung bekommen. Dazu wird es zeitnah eine gemeinsame Rechtsverordnung von Finanzministerium und Justizministerium geben. Die Leitlinien sollen für weitere Rechtssicherheit sorgen. Es gibt dazu noch offene Fragen; die werden wir im Verfahren klären. Die beteiligten Ministerien haben zugesagt, dass wir den Entwurf bis zur Anhörung vorliegen haben. Das ist wichtig, weil Gesetz und Verordnung eng ineinandergreifen sollen. Wir müssten noch einige andere Fragen klären, zum Beispiel ob bei einer Anschlussfinanzierung – Kollegin Tillmann hat es gerade angesprochen – wirklich eine erneute Kreditwürdigkeitsprüfung stattfinden muss oder nur dann, wenn der Kreditbetrag deutlich erhöht wird. Welchen gesetzgeberischen Spielraum wir hier haben, werden wir EU-rechtlich noch beantwortet bekommen müssen. Auch die Themen „Immobilienverzehrkredite“ und – Herr Dr. Schick hat es gerade angesprochen – „gekoppelte Produkte“ werden wir uns noch einmal im Detail ansehen. Ich gehe mit Zuversicht, aber auch mit dem gebotenen kritischen Blick in die anstehenden parlamentarischen Beratungen. Am Ende der Beratungen muss eine Lösung stehen, die für mehr Rechtssicherheit sorgt, die aber gleichzeitig den Bogen hinsichtlich der Kreditwürdigkeitsprüfung nicht überspannt. Hier muss eine Lösung her, die gerade jungen Familien den Weg in die eigenen vier Wände erleichtert und älteren Menschen die Sanierung ihres Eigenheims ermöglicht. Dafür setzen wir, CDU/CSU, uns ein. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Hauer. – Nächste Rednerin: Sarah Ryglewski für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sarah Ryglewski (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich will die Emotionen jetzt ein bisschen senken und daran erinnern, worüber wir hier eigentlich reden. Der Grund, weshalb die Wohnimmobilienkreditrichtlinie trotz ihres sperrigen Namens eine solche Emotionalität erzeugt, ist der gleiche Grund, weshalb Menschen sich Immobilien kaufen: Für die meisten Menschen ist der Kauf eines Hauses oder einer Eigentumswohnung die schwerwiegendste finanzielle Entscheidung, die sie im Laufe ihres Lebens treffen, und es ist eine Entscheidung, die die meisten von uns ihr Leben lang begleitet. Das kann man, glaube ich, so sagen. Die Menschen treffen diese Entscheidung meistens – das hoffen wir – wohlabgewogen, auch wenn die Gründe durchaus emotionaler Natur sind: Man möchte ein schönes Umfeld für sich und seine Familie schaffen, in das einen niemand hereinredet. Man möchte lieber für sich als für seinen Vermieter zahlen. Oder man sagt – dann wird es ein bisschen rationaler –: In Zeiten niedriger Zinsen ist es das Einzige, wo ich die Möglichkeit habe, mein Geld vernünftig anzulegen. Außerdem sind die Zinsen gerade so günstig, dass sich einige Leute eine Finanzierung leisten können, die das vorher nicht konnten. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist in den Preisen enthalten!) – Genau. Darauf komme ich gleich. – Grundsätzlich sagen wir: Eine Immobilie ist eine gute Investition. Aber wir wissen – Herr Kollege Schick hat es in seiner Rede gesagt und mit seinem Zwischenruf bestätigt –: Angebot und Nachfrage – das ist trivial – bedingen sich. Deswegen gibt es in einigen Großstädten und auch in anderen Bereichen unseres Landes mittlerweile deutliche Preissteigerungen, die den Kauf einer Immobilie erschweren. Viele Leute haben im Zuge dieses Booms das Gefühl: Wenn sie jetzt keine Immobilie kaufen, dann vertun sie eine Chance. Das kann durchaus dazu führen, dass Menschen ihre finanziellen Möglichkeiten optimistischer einschätzen, als sie es tun würden, wenn die Zinsen höher wären, wenn es nicht so einen Boom gäbe. Außerdem führt es dazu – das muss man dazusagen –, dass Banken eher geneigt sind, Kredite für ihre Kundinnen und Kunden möglich zu machen. Für die Banken ist das eine gute Möglichkeit, Kredite zu vergeben, womit sie Gewinne erzielen; das machen sie ja nicht uneigennützig. Deswegen müssen wir da genau hinschauen. Das Thema 110-Prozent-Finanzierung wurde schon angesprochen. Aber es gibt auch andere Kreditkonstruktionen, bei denen wir sehr genau hinschauen müssen. Deswegen ist es richtig, dass wir diese Richtlinie umgesetzt haben. Bisher konnte es dazu kommen, dass auch die Deckung von Nebenkosten auf Pump finanziert wurde oder dass parallel der Dispositionskredit erhöht wurde. Es gibt durchaus Kredite – das ist gar nicht tricky, sondern normales Geschäft – mit einer Tilgung von 1 Prozent, und das bei den niedrigen Zinssätzen, obwohl man weiß, dass die Menschen einen neuen Kredit mit angestiegenen Zinssätzen nicht werden bedienen können. In diesen Fällen ist auch die Sicherheit durch den Wert einer Immobilie nichts, was dem Kunden hilft; das hilft nur der Bank. Die Bank hat die Sicherheit; aber der Kunde steht möglicherweise vor dem finanziellen Ruin. Deswegen, glaube ich, war es richtig, dass wir die Richtlinie umgesetzt haben. Aber es ist auch richtig, dass man sich, wenn man so etwas macht, noch einmal anschaut, welche Auswirkungen das auf die Entwicklung hat. Von Herrn Hauer kam die Kritik, warum man nicht zügiger reagiert habe. Ich persönlich muss sagen: Ich halte nichts davon, dass wir uns jetzt hier gegenseitig zurufen, wer wie viele Zuschriften bekommen hat und wer dementsprechend wie viele Waschkörbe bei sich im Büro hat. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Ich habe nicht von Waschkörben gesprochen!) – Na ja, andere aber. – Ich halte es vielmehr für verantwortliche Politik, dass wir von der Kreditwirtschaft, aber auch von den Verbrauchern Informationen einholen. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Welcher Minister hat denn das Gesetz gemacht?) – Wir haben alle zugestimmt. Es ist schön, dass Sie die unbestimmten Rechtsbegriffe vorhin vorgelesen haben. Aber wenn Sie jetzt so überzeugt sind, hätten wir diese ja auch damals schon aufnehmen können. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Immerhin bin ich selbstkritisch im Vergleich zu Ihrem Minister!) – Der hat das Gesetz ja eingebracht. Ich glaube, dass es richtig war, dass wir uns Zeit gelassen haben. Es nützt nichts, wenn wir jetzt Dinge verändern oder Regelungen noch einmal angreifen, die am Ende niemandem etwas bringen, weil sie schlecht und überhastet gemacht sind. Ich weise noch einmal darauf hin, dass wir aufpassen müssen. Wir sollten hier wirklich sehr gründlich arbeiten, weil sich sonst durchaus der Verdacht einschleicht, dass es Banken geben könnte, die sagen: Wir haben jetzt eine gute Begründung, bestimmte Kredite abzulehnen. – Zu einer verantwortlichen Finanzberatung gehört, dass man Leuten vielleicht auch einmal sagt: Ich verstehe, dass du ein Haus haben möchtest, aber diesen Kredit wirst du dir nicht leisten können. Schau, ob du eine kleinere Immobilie findest oder ob du etwas anderes machst. Warte lieber eine Zeit. – Da sagen wir: Das wollen wir mit diesen Regelungen sicherstellen. Insofern halte ich das, was wir hier vorgeschlagen haben, für eine gute Sache. (Beifall bei der SPD) Was ich mir persönlich zusätzlich noch wünschen würde – damit komme ich dann auch zum Schluss –, wäre, dass wir in der Tat die Gelegenheit nutzen und uns die Fragen – das ist insbesondere der Punkt – „Was macht man eigentlich mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen?“, „Wie geht man mit solchen Ausnahmen um?“ noch einmal anschauen und auch einmal überlegen: Was ist eigentlich mit einer Gruppe wie den Selbstständigen, die es auch schon vor der Wohnimmobilienkreditrichtlinie schwer hatten, einen Kredit zu bekommen? Wie kann man da möglicherweise Erleichterungen schaffen? Denn natürlich wollen wir, dass jeder, der sich einen Kredit leisten kann und der einen braucht, einen bekommt. Aber wir wollen nicht, dass Leute einen Kredit bekommen, die ihn sich nicht leisten können und bei denen dann am Ende die Bank als Sicherheit das Haus hat, oder dass jemand seine Wohnung renoviert und dann am Ende für die Bank renoviert hat. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen, wo wir alle ganz genau hinschauen werden. Ich glaube, dann haben wir am Ende eine richtige Richtlinie gut angepasst und weiter verbessert. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Sarah Ryglewski. – Der letzte Redner in der Debatte: Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Radwan (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz wird heute hier in die Diskussion eingebracht. Es beruht auf der Empfehlung des Ausschusses für Finanzstabilität vom Juni 2015. Natürlich sind auch die Anmerkungen des IWF und des Ausschusses für Finanzstabilität etwas, mit dem man sich beschäftigen muss. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung an den Immobilienmärkten. Die Frage ist: Werden wir zukünftig auf eine Blase zurollen oder nicht? Eines ist klar: Zurzeit haben wir keine Überhitzung auf den Immobilienmärkten. Somit ist das, was wir heute debattieren, letztendlich etwas, was rein präventiv gemacht werden soll. In der Umsetzung, im Ablauf sollen dann BaFin und Bundesbank dieses im Einvernehmen feststellen. Sie sollen entsprechende Maßnahmen ergreifen können, so zum Beispiel in der Frage „Relation zwischen Kredit, Immobilienwert und Mindestamortisation“ oder der Frage, wie viel zur Tilgung herangezogen werden muss, wobei es auch hier entsprechend notwendig ist, dass der Einzelfall geprüft wird. Jemand mit einem Einkommen von 1 000 Euro ist sicherlich anders zu bewerten als jemand mit einem Einkommen von 5 000 Euro oder 10 000 Euro. Neben diesen grundsätzlichen Fragen finde ich bei diesem Gesetz spannend, dass wir einmal die Gelegenheit nutzen können, zu betrachten, wo wir heute stehen. Wir haben jetzt zehn Jahre der europäischen, internationalen und nationalen Regulierung hinter uns. Zehn Jahre nachdem wir in der Folge der Subprime-Krise diese Regulierungen angestoßen haben, sind wir mit einem solchen Gesetz konfrontiert, in dem es sinngemäß heißt: Trotz aller Regulierung werden wir zukünftig mit einer entsprechenden Krise zu rechnen haben. Das ist jetzt erst einmal nichts Aufregendes; denn jeder rechnet ja damit, dass irgendwo eine Krise hochkommt. Lassen Sie mich an dieser Stelle betonen: Ich bin erstaunt gewesen, dass keiner der Vorredner darauf hingewiesen hat: Die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank ist daran nicht ganz unschuldig. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Selbst die Mitglieder der Europäischen Zentralbank, aber auch die BIZ sagen, dass momentan entsprechende Blasen entstehen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Radwan, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Lisa Paus? (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Schick!) Alexander Radwan (CDU/CSU): Von mir aus auch von beiden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Weil Sie so groß sind, Herr Radwan, haben Sie Herrn Schick verdeckt. Alexander Radwan (CDU/CSU): Ich bin nicht groß, sondern breit. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ihr breiter Rücken hat ihn verdeckt. – Gestatten Sie es oder nicht? Alexander Radwan (CDU/CSU): Ja. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. – Herr Schick. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Radwan, wenn ich richtig informiert bin, hat die CSU beschlossen: Ein Ermächtigungsgesetz, das der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ... selbständige Eingriffsmöglichkeiten gibt, lehnen wir ab. Gilt das in Bezug auf das heute vorliegende Gesetz? Finden Sie es richtig, dass man dieses Gesetz macht? Was heißt diese Position? Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie können antworten. Alexander Radwan (CDU/CSU): Antworten muss ich auf diese Frage nicht. Herr Schick hätte nur warten müssen, bis meine Rede zu Ende ist. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätte ich nicht mehr fragen können!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nein, Ihre Redezeit wird doch angehalten. Alexander Radwan (CDU/CSU): Die Antwort ergibt sich aus meiner Rede, ganz einfach. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind wir gespannt!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Was mache ich jetzt? Dann kriegen Sie ein paar Sekunden mehr Redezeit. Alexander Radwan (CDU/CSU): Noch einmal zum ersten Punkt, den ich erwähnt habe: Wo stehen wir zehn Jahre nach der Regulierung? Das ist mir ernst, weil wir jetzt damit konfrontiert sind, zu sagen, dass Blasen entstehen. Ich habe auf die EZB hingewiesen. Sowohl bei der jetzigen Entwicklung als auch beim Ausstieg werden wir mit Verwerfungen am Finanzmarkt rechnen müssen. Darum ist es für mich ein Paradigmenwechsel, indem wir sagen: Zukünftig braucht die BaFin, braucht die Finanzaufsicht gewisse Flexibilitäten. – Deshalb ist es zu wenig, den Immobilienbereich alleine anzuschauen. Herr Schick hat gesagt, man sollte es von privaten Immobilien auf Gewerbeimmobilien ausdehnen. Meine Damen und Herren, wenn dieses Gesetz verabschiedet ist, wird es weitere Ausdehnungen geben, um entsprechend präventiv darauf hinzuwirken. Von daher haben wir ganz klare Bedingungen an ein solches Gesetz. Die parlamentarischen Berichts- und Kontrollpflichten müssen gecheckt sein. Es darf keinen Freifahrtschein geben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es muss klar sein, unter welchen Bedingungen und mit welchem Verfahren die BaFin und die Bundesbank handeln dürfen. Hier könnten wir nach Frankreich schauen. In Frankreich gibt es einen Rat zur Lage des Finanzmarktes. Bei uns würde das bedeuten, dass Experten von Bundesbank, von BaFin, von Bundestag – bei uns könnten auch der Bundesrat, BMF und auch Marktteilnehmer berufen werden – regelmäßig etwas zur Lage am Finanzmarkt sagen. Gleichzeitig halte ich es für dringend notwendig, dass wir die existierende Regulierung anschauen. Dieses Gesetz zeigt uns, dass wir mit allen gesetzgeberischen Maßnahmen, die wir bisher ergriffen haben, weiß Gott nicht alle Eventualitäten abdecken können. Wir haben auch in manchen Bereichen zu viel gemacht. Darum ist es parallel dazu notwendig, sich anzuschauen, wo wir zu viel gemacht haben, was nicht zur Finanzstabilität geführt hat, sondern Bürokratie erzeugt hat und somit kundenunfreundlich und bankenunfreundlich ist. Wenn etwas bankenunfreundlich ist, meine Damen und Herren, dann kann es auch kundenunfreundlich sein. Hier bin ich beim nächsten Gesetz, das wir entsprechend überprüfen – Kollege Hauer ist sehr intensiv darauf eingegangen –: die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Wir sind hier mit der Situation konfrontiert, dass entsprechende Gesetze unklar sind und dass aufgrund dessen, dass unklar ist, wie in einigen Jahren die Rechtsprechung sein wird, die Marktteilnehmer bereits heute entsprechend reagieren. Das richte ich insbesondere an Minister Maas und seinen Staatssekretär, die intensiv zuhören. Schauen wir uns im Bankenbereich die Rechtsprechung bei den AGBs bezüglich der Zinsen an. Nicht die armen schützenswerten Verbraucher, sondern hochfindige Juristen haben herausgebracht, wie ich rückwirkend aus meinem Darlehensvertrag durch Kündigen herauskommen und die jetzt interessanten Zinsen bekommen kann. Wir, der Gesetzgeber, müssen heute konkret arbeiten, um nicht eine Verselbstständigung nach fünf oder zehn Jahren durch die Rechtsprechung zuzulassen. Das ist der Anspruch an ein solches Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nicht unbestimmt!) Darum werden wir dieses Gesetz intensiv beraten. Noch einmal: Wir sagen schlicht und ergreifend: Es darf keinen Blankoscheck an die BaFin durch das Parlament geben. Wir müssen die Regulierung entsprechend kontrollieren. Das erwarten wir durch die Expertise der Anhörung und durch eine kritische Beratung. Besten Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE], an den Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Jetzt hast du es herausgehört!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Radwan. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10935 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe und höre keine anderen Vorschläge. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung – Wirksame Sanktionen bei Rechtsverstößen von Unternehmen Drucksache 18/10038 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katja Keul, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung – Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im deutschen Recht verankern Drucksache 18/10255 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch da höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wenn Sie die Plätze getauscht oder eingenommen haben, kann ich die Aussprache eröffnen. Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Rednerin Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um die Verantwortung von Unternehmen, um verbindliche Sorgfaltspflichten, um soziale und ökologische Leitlinien für Wirtschaftsbetriebe. Es geht aber nicht nur darum, diese Pflichten zu normieren, sondern auch darum, wie damit umzugehen ist, wenn Unternehmen sich nicht daran halten. Sowohl zur Normierung internationaler Standards als auch zur Frage der Sanktionen nach deutschem Recht haben wir heute jeweils eine grüne Initiative aufgesetzt, die wir mit Ihnen debattieren wollen. Zu den internationalen Standards wird mein Kollege Kekeritz anschließend sprechen. Zunächst zur deutschen Rechtslage. Warum müssen wir über Sanktionen sprechen? Viele deutsche Unternehmen bemühen sich heute bereits, gesetzestreu zu wirtschaften und Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten. Umso wichtiger ist es aber, solche Unternehmen, die gegen die Rechtsordnung verstoßen, zur Verantwortung zu ziehen. Denn diese Unternehmen verzerren den Wettbewerb und schaden den Unternehmen, die sich rechtstreu verhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE]) Nur wenn Rechtsverstöße konsequent verfolgt und effektiv geahndet werden, können Sanktionen auch präventive Wirkung entfalten. Der VW-Skandal hat es uns noch einmal vor Augen geführt: Unternehmen werden für Rechtsverstöße in anderen Ländern durchaus härter sanktioniert, als es bei uns in Deutschland der Fall ist. In den USA läuft das vielfach über einen Strafschadensersatz, der unserer Rechtsordnung fremd ist. Seit Jahren gibt es daher eine Diskussion um ein sogenanntes Unternehmensstrafrecht oder Verbandsstrafrecht für Deutschland. Konkrete Entwürfe konnten allerdings bislang nicht überzeugen. Ich halte es auch für wenig aussichtsreich, die Normen unseres Strafgesetzbuches, das auf die individuelle Schuld eines Menschen ausgerichtet ist, auf juristische Personen zu übertragen. Im Gegenteil: Konzerne würden als Beschuldigte in einem Strafverfahren Schutzrechte wie das Schweigerecht und das Recht, sich nicht selbst zu belasten, erhalten. Das kann nicht sein. Ein Schweigerecht für Wirtschaftsunternehmen darf es schon rein denklogisch nicht geben. Dadurch würde man die Unternehmen nämlich von sämtlichen Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten entbinden, und Ermittlungsmaßnahmen würden dadurch erschwert. Deswegen wollen wir Grüne einen anderen Weg gehen. Basis für eine wirksame und effektive Sanktionierung von Unternehmen soll weiterhin das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten sein, auch wenn der Name dieses Gesetzes zu Unrecht suggeriert, dass hier nur Lappalien erfasst wären. Das OWi-Gesetz hat nämlich den Vorteil, dass der Staat nicht erst die individuelle Schuld einer Person ermitteln muss, um Sanktionen zu verhängen; es reicht, dass der Schaden nachweisbar aus dem Unternehmen heraus verursacht wurde. Auf der anderen Seite haben die Vorschriften im OWi-Gesetz etliche Schwachstellen, die dringend behoben werden müssen, um eine effektive Rechtsdurchsetzung sicherzustellen. Da ist zum einen das Legalitätsprinzip, das im Strafrecht gilt und bedeutet, dass der Staat kein Ermessen hat, sondern ermitteln muss, wenn er von einer Straftat erfährt. Diese Ermittlungspflicht muss künftig auch gegenüber juristischen Personen gelten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Verfolgung von Rechtsverstößen durch Unternehmen muss für die Behörden verpflichtend sein und darf nicht – anders als bislang im OWiG – in ihrem Ermessen stehen. Zum Zweiten muss die Möglichkeit geschaffen werden, Auslandstaten zu verfolgen, wenn diese durch ein in Deutschland ansässiges Unternehmen begangen wurden. Im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht fehlt dieser internationale Bezug bislang. Zum Dritten sind die im Strafrecht vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten für Unternehmen ungeeignet bzw. zu eng. So scheidet eine Freiheitsstrafe für Konzerne schon denklogisch aus. Den Sanktionskatalog wollen wir daher erweitern. Das kann etwa durch den Ausschluss von der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, durch Verweise oder Warnungen oder auch durch die Veröffentlichung von Sanktionen geschehen. Die Deckelung der finanziellen Sanktionen bei 10 Millionen Euro ist zu starr und niedrig. Die Sanktionen sollen sich künftig auch der Höhe nach an dem durch die Tat erlangten unrechtmäßigen Gewinn orientieren. Ein Beispiel: Rheinmetall hat im Jahr 2013 wegen Schmiergeldzahlungen einen unrechtmäßigen Gewinn in Höhe von 36 Millionen Euro abführen müssen, aber dazu eine Geldstrafe von nur 300 000 Euro gezahlt. Diese Schieflage zwischen Risiko und Gewinn ist geradezu eine Aufforderung, es darauf ankommen zu lassen, und das kann nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei der Berechnung des unrechtmäßig erlangten Gewinns soll künftig außerdem das Bruttoprinzip gelten, das heißt, dass das Unternehmen keine Betriebsausgaben in Abzug bringen darf, die zur Erlangung des unrechtmäßigen Gewinns aufgewandt wurden. Sie sehen: Es gibt viel zu tun. Als Exportnation haben wir letztlich ein existenzielles Interesse daran, das Vertrauen in deutsche Wirtschaftsunternehmen und deren Rechtstreue zu stärken. Und nur zur Erinnerung: In Ihrem Koalitionsvertrag von 2013 steht: Mit Blick auf strafbares Verhalten im Unternehmensbereich bauen wir das Ordnungswidrigkeitenrecht aus. Bislang haben wir dazu von Ihnen nichts gesehen und nichts gehört. Jetzt können Sie immerhin unsere Vorschläge mit uns diskutieren. Ich freue mich darauf. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katja Keul. – Nächster Redner: Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unternehmen müssen sich an Regeln halten. Recht und Gesetz sind für jedermann verbindlich, auch für Unternehmen. Das ist selbstverständlich. Genauso selbstverständlich ist es, dass Regelverstöße sanktioniert werden müssen. Eine Rechtsordnung, die die durch sie eingeräumten Rechte und Pflichten nicht effektiv durchzusetzen vermag, entwertet sich selbst. Eine Rechtsordnung bedarf daher eines effektiven Sanktionsinstrumentariums, um ihre Akzeptanz gerade bei denjenigen aufrechtzuerhalten, die sich rechtstreu verhalten. Deswegen ist die Verteidigung unserer Rechtsordnung – dem fühlt sich die Union als Rechtsstaatspartei in besonderer Weise verpflichtet – ganz in unserem Sinne, und das gilt in allen Bereichen der Gesellschaft, auch im Bereich der Wirtschaft. Wir haben deswegen im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne prüfen. Ich will aber gar nicht verhehlen, dass ich persönlich – hier schließt sich dann auch wieder der Kreis zum Antrag der Grünen – einem eigenen Unternehmensstrafrecht skeptisch gegenüberstehe, und das aus sehr grundsätzlichen Erwägungen heraus. Es entspricht nämlich dem Menschenbild nicht nur unseres Strafgesetzbuches, sondern vor allen Dingen auch dem Menschenbild unseres Grundgesetzes, dass die Sanktionierung eines Verhaltens als strafbare Handlung persönliche Verantwortung und individuelle Schuld voraussetzt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist in § 17 unseres Strafgesetzbuches als grundlegendes strafrechtliches und auch verfassungsrechtliches Prinzip manifestiert. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir uns einig!) Ohne zweifelsfrei nachgewiesene individuelle Schuld gibt es keine Strafbarkeit. Eine Verbandsstrafbarkeit erscheint mir mit diesem grundlegenden Prinzip nur sehr schwer vereinbar zu sein. Ich will mich aber gar nicht so sehr mit unserem Koalitionsvertrag aufhalten, sonst könnte man auch die Frage aufwerfen: Was sind eigentlich multinationale Konzerne? Kann man das mit Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot hinreichend präzise regeln? Wieso wäre es eigentlich gerechtfertigt, kleine Unternehmen gegenüber großen, nämlich multinationalen Konzernen, zu privilegieren? Sie sehen, meine Damen und Herren, hier werden viele Zweifel aufgeworfen, Zweifel, die auch das Bundesjustizministerium zu haben scheint, das bis zum heutigen Tage prüft und prüft und prüft, aber noch immer keinen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Aus meiner Sicht kann das gerne auch so bleiben. Kommen wir zum Antrag der Grünen, der alle Tatbestände zur Sanktionierung von Unternehmen in einem Gesetz zusammenfassen und die Regelungen deutlich verschärfen möchte. Was ist also der Grundgedanke dieses Antrags? Zum einen wird behauptet, es gebe einen systematischen Rechtsbruch von Unternehmen. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! Haben Sie nicht zugehört?) Zum anderen wird in dem Antrag behauptet, dass es Defizite bei der Ahndung von Regelverstößen gibt. Beides muss natürlich verifiziert werden, wenn der Antrag der Grünen seine Berechtigung haben will. Kommen wir zum systematischen Rechtsbruch, der hier unterstellt wird. Ich muss schon sagen: Natürlich gibt es schwarze Schafe in der deutschen Wirtschaft, natürlich gibt es Unternehmen, die Rechtsverstöße begehen, und da muss man auch ganz klar handeln. Aber hier von systematischem Rechtsbruch zu sprechen, das geht an der Wirklichkeit vorbei. Damit nehmen Sie die gesamte deutsche Wirtschaft und die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die rechtschaffen sind, die hart und innovativ arbeiten und auf diese Weise oft auch Weltmarktführer geworden sind, in Haftung. (Niema Movassat [DIE LINKE]: So ein Unsinn! Nur schwarze Schafe wären von dem Gesetz betroffen!) Deswegen sagen wir: Solche unberechtigten Vorwürfe gehen zu weit. Wir wollen nicht alle Unternehmen in Kollektivhaftung nehmen, sondern nur diejenigen, die sich wirklich etwas zuschulden kommen lassen. Die müssen wir dann entsprechend angehen, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau das, was ich gesagt habe!) Sie sagen weiter, dass es Defizite bei der Ahndung gibt. Wenn ich mir so anschaue, was unsere Rechtsordnung unseren Unternehmen so an Pflichtenkatalogen aufbürdet, dann kann ich eigentlich nicht erkennen, dass es zu wenige Pflichten gibt. Ich kann auch nicht erkennen, dass es zu wenige Sanktionstatbestände gibt. Denn wir reden hier ja nicht nur über den Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, sondern es gibt die vielen spezialgesetzlichen Regelungen des besonderen Verwaltungsrechts, des Umweltrechts, des Handelsgesetzbuchs, des Aktienrechts, des Marken- und Patentrechts, des Kreditwesengesetzes, der Börsenaufsichtsgesetze, des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb, die kartellrechtlichen Normen des BGB. Die Liste ließe sich fast unendlich fortsetzen. Deswegen muss man einfach feststellen: Es gibt ausgefeilte Pflichtenkataloge, und es gibt die entsprechenden behördlichen Eingriffsbefugnisse, und diese werden auch konsequent angewandt. Deswegen: Damit, Lücken und Defizite in den Antrag zu schreiben, ohne sie zu belegen, machen Sie es sich ein bisschen zu einfach. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch sogar in Ihrem Koalitionsvertrag!) Sie bleiben, ohne hier eine fundierte Analyse vorzunehmen, dabei, dass das alles nicht effektiv sei und man all die Regelungen, die die Sanktionierung von Unternehmen betreffen, in einem Gesetz bündeln müsste. Das scheint auf den ersten Blick auch ein gewinnbringender Gedanke zu sein. Man hat ein einziges Gesetz. Darin kann der Unternehmer nachschlagen, welche gesetzlichen Pflichten ihn treffen und wie eine Sanktionierung gegebenenfalls aussähe. Ich bin grundsätzlich auch ein Freund umfassender Kodifizierungen. Bereits seit der Einheit haben wir zum Beispiel den gesetzgeberischen Auftrag, ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch zu schaffen. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag auch festgelegt, dass wir ein Staatshaftungsrecht kodifizieren wollen. Aber da muss man dann schon genau hinschauen. Bei der Zusammenfassung und der Schaffung einer konsequenten, in sich kohärenten Regelung steckt nämlich häufig der Teufel im Detail. Gerade im Bereich der Pflichtenkataloge von Unternehmen sind es die spezifischen Pflichten, die einzuhalten sind, und die sind je nach Branche und Tätigkeitsfeld ja ganz verschieden. Deswegen gibt es diese vielen Spezialgesetze, von denen ich gerade einige aufgezählt habe. Sie verfolgen allesamt einen eigenen fachspezifischen Regelungszweck, haben eine eigene Ratio Legis. Sie haben eine eigene auf Sinn und Zweck der Materie abgestimmte Systematik, und sie berücksichtigen die Besonderheiten der jeweiligen Märkte und Tätigkeitsfelder. Sie von den Grünen aber sagen: Wir müssen all die Sanktionen regeln, die sich in den verschiedenen Spezialgesetzen befinden, und sie in einem Gesetz zusammenführen. Aber – und das ist das Bemerkenswerte – die Strukturen der besonderen spezialgesetzlichen Regelungen sollen ansonsten unberührt bleiben. Das bedeutet im Kern: Wir haben die Sanktionsregelungen in dem einen Gesetz, die jeweiligen Pflichten aber in einem anderen. Da muss man sich schon fragen: Wie soll das denn funktionieren? Gehalt, Reichweite und Auslegung eines Sanktionstatbestandes erschließen sich doch gerade mit Blick auf diese fachspezifischen Regelungszusammenhänge, die Gesetzessystematik und die Ratio Legis der jeweiligen Pflichtenkataloge. Wenn ich also den inneren Zusammenhang, der zwischen Pflicht auf der einen Seite und Sanktion auf der anderen Seite besteht, auseinanderreiße und in zwei verschiedenen Gesetzen regele, geht der gesamte systematische und teleologische Zusammenhang verloren. Deswegen ist der Vorschlag, den Sie uns hier präsentieren, gesetzessystematisch völlig verfehlt. Er würde zu einer enormen Rechtsunsicherheit führen, und deswegen können wir ihn nicht mittragen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die bisherige Rechtslage!) Schon der Ansatz des Antrags ist fragwürdig. Aber schauen wir einmal auf die uns vorgeschlagenen konkreten Dinge. Zum Beispiel wird hier die Schaffung eines öffentlichen Sanktionenregisters vorgeschlagen. Ich hatte immer gedacht, seit der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karl V. 1532 sei der Pranger abgeschafft worden, und muss nun zur Kenntnis nehmen, die Grünen wollen an dieser Stelle offensichtlich zurück ins Mittelalter. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Während das noch mit einem Schmunzeln hingenommen werden könnte, so stellt man bei Betrachtung der anderen dort vorgeschlagenen Maßnahmen – zum Beispiel der Strukturmaßnahmen als Strafe – fest, dass dort gemeint ist, dass man Unternehmen zerschlagen, sie unter staatliche Kuratel stellen und einen Staatskommissar einsetzen kann, und zwar nicht nur für einzelne Unternehmen, sondern ganze Unternehmenszweige. Damit bewegt man sich auf dem direkten Weg in eine staatlich beaufsichtigte und gelenkte Volkswirtschaft. Das ist nun wirklich Sozialismus pur, und das können wir nicht mitmachen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt der Kommunismus gleich hinterher! Das ist der Weltuntergang! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Luczak, wer hat Ihnen das aufgeschrieben?) Da muss man sich auch einmal fragen: Wen träfe denn eigentlich die Zerschlagung eines solchen Unternehmens? Die Leidtragenden wären tatsächlich die Arbeitnehmer und die Kunden des Unternehmens. Die haben doch aber mit dem Fehlverhalten der aufsichtführenden Personen eines Unternehmens überhaupt nichts zu tun. Nein, mit diesen Vorschlägen treffen Sie wirklich die Falschen, und das stünde auch wieder nicht im Einklang mit einem materiell-rechtlich verstandenen Schuldprinzip. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kommen doch von einer christlichen Partei! Was reden Sie da!) Deswegen können wir das an dieser Stelle nicht mitmachen, meine Damen und Herren. Richtig ist: Wir müssen uns das Ordnungswidrigkeitenrecht anschauen und können auch darüber nachdenken, ob es geschärft werden muss. Wir haben da in den letzten Jahren auch einiges gemacht. Erst 2013 haben wir die möglichen Strafen verzehnfacht, von 1 Million auf 10 Millionen Euro. Das ist schon mal was. Aber natürlich muss man schauen, ob diese Sanktionen effektiv sind. Man kann darüber nachdenken, sie noch weiter zu verschärfen. Was ich nicht verstehen kann, ist Ihre Kritik, es gäbe keinen Verfolgungszwang im Ordnungswidrigkeitenrecht. Es ist zwar richtig, dass das Ordnungswidrigkeitenrecht dem Opportunitätsprinzip folgt, aber man muss sich das natürlich genau anschauen. Bei den Konstellationen, über die wir hier gerade reden, also bei großen Schäden und einem schwerwiegenden Fehlverhalten, ist es so, dass sich das Verfolgungsermessen der Behörden regelmäßig auf null reduziert. Das heißt, das Opportunitätsprinzip weicht in der Sache einem Legalitätsprinzip. Das heißt, die Behörden müssen einschreiten. Deswegen gibt es an dieser Stelle aus unserer Sicht auch keinen Handlungsbedarf. Man kann sich aber Folgendes wirklich einmal anschauen: Momentan liegt die Zuständigkeit in aller Regel bei den Amtsgerichten. Da wir von erheblichen Schäden und komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen sprechen, kann man überlegen: Sind die Amtsgerichte damit möglicherweise sachlich und personell überfordert? Man kann darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll wäre, diese Zuständigkeit den Wirtschaftsstrafkammern bei den Landgerichten zu übertragen. Es gibt viele Punkte, über die man nachdenken kann, um die Sanktionsmechanismen effektiv zu machen. Abschließen möchte ich mit einer Bemerkung: Sie setzen sehr stark auf die Abschreckungswirkung von Sanktionen. Sie schreiben, dass sie einen starken präventiven Effekt haben und zu rechtstreuem Verhalten führen sollen. Diese Argumentation wundert mich schon ein bisschen; denn wenn wir sagen, wir wollen das Strafrecht zum Beispiel im Bereich der Terrorismusbekämpfung verschärfen, lehnen Sie diese Argumentation mit allergrößter Vehemenz ab. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil bestehendes Recht nicht angewandt wird! Das ist doch das Problem!) Hier tun sich massive Widersprüche in Ihrer Argumentation auf. Aber man sagt ja: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Wir werden Sie daran erinnern. Heute jedenfalls werden wir Ihren Antrag ablehnen, weil er im Ansatz verfehlt ist und viele Maßnahmen vorgeschlagen werden, die die Falschen treffen würden, die nicht zielführend sind. Deswegen können wir das so nicht mittragen. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt wenig überzeugend!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner: Niema Movassat für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich 2009 in den Bundestag einzog, baute ThyssenKrupp in der Bucht von Sepetiba, in Brasilien, gerade das größte Stahlwerk Lateinamerikas. Damals berichtete ein brasilianischer Fischer hier im Bundestag, wie durch diesen Bau die Lebensgrundlagen Tausender Fischerfamilien zerstört wurden. Er selbst erhielt vom Wachschutz von ThyssenKrupp sogar Morddrohungen, weil er den Konzern öffentlich kritisierte. Er wurde unter den Schutz des staatlichen Menschenrechtsprogramms gestellt und musste untertauchen. Das ist ein schockierendes Beispiel dafür, wie ein deutsches Unternehmen im Ausland Menschenrechte mit Füßen trat. Die Politik hier in Deutschland muss alles tun, um solche Menschenrechtsverstöße zu verhindern. (Beifall bei der LINKEN) Acht Jahre sind seitdem vergangen. Das Stahlwerk war ein wirtschaftliches Desaster für ThyssenKrupp. Aber das Unternehmen hat sich davon weitgehend erholt. Die Existenz der Fischer dort bleibt aber zerstört. Der Fall hätte eigentlich Mahnung sein müssen. Aber auch heute noch missachten deutsche Konzerne Menschenrechte im Ausland. Laut einer Studie der Uni Maastricht belegen sie bei Menschenrechtsverstößen weltweit sogar Rang fünf. Obwohl der Bundestag gefühlt schon hundertmal über das Thema Unternehmensverantwortung diskutiert hat, ist praktisch nichts passiert. Ich finde, es ist ein Skandal, dass diese Bundesregierung immer noch wegschaut bei Menschenrechtsverstößen deutscher Konzerne. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schon damals, 2009, war eigentlich klar, was passieren musste, nämlich die Festschreibung sozialer und ökologischer Mindeststandards, die verbindlich sind für die Tätigkeit deutscher Unternehmen im Ausland. Die Debatte hat sich seitdem im Grundsatz nicht geändert. Die Bundesregierung setzte und setzt auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen. Aber Menschenrechte und Mindeststandards gehören nicht dem Gutdünken der Konzerne überlassen. Sie müssten gesetzlich festgeschrieben sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Irrsinn ist doch sonst, dass diejenigen Konzerne, die sich freiwillig höhere Standards setzen, einen Wettbewerbsnachteil haben gegenüber denjenigen Konzernen, die darauf pfeifen. Menschenrechtswidriges Handeln als möglicher Wettbewerbsvorteil – das nimmt die Bundesregierung in Kauf. Ich finde das unerträglich. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt sagt die Bundesregierung natürlich, sie habe ja was getan. Zum einen hat Entwicklungsminister Müller nach dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013, bei der über 1 100 Menschen starben, das Textilbündnis ausgerufen. Zum anderen fand unter Leitung des Auswärtigen Amtes die Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrechte“ statt. Beide Initiativen enthalten viele schöne Absichtserklärungen, aber die ergriffenen Maßnahmen sind nur Augenwischerei und bestehen aus vielen Feigenblättern. Schauen wir uns einmal die Ergebnisse des Nationalen Aktionsplans an. Schon 2011 hatten die Vereinten Nationen in ihren Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte gefordert, dass Unternehmen Menschenrechtsverstöße in der gesamten Wertschöpfungskette ausschließen sollen. Die Mitgliedstaaten der UN, also auch Deutschland, sollten nationale Aktionspläne erarbeiten. Drei Jahre lang passierte in Deutschland erst einmal gar nichts. Erst 2014 fing man hierzulande an, einen Prozess zur Erstellung des Aktionsplans zu starten; besonders eilig hatte man es also nicht. Es dauerte dann fast noch drei Jahre, bis wir ein Ergebnis hatten. Seit diesem Jahr haben wir zwar endlich einen Aktionsplan, aber er ist leider kaum das Papier wert, auf dem er steht. So heißt es darin, dass die Bundesregierung erwartet, dass 50 Prozent der deutschen Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern bis 2020 menschenrechtliche Sorgfaltspflichten walten lassen – nur eine Erwartung, keine Verpflichtung, keinerlei Sanktionsandrohung bei Missachtung. Richtig wäre, zu sagen: Ab sofort müssen alle deutschen Unternehmen, die im Ausland produzieren oder produzieren lassen, sorgfältig prüfen, ob sie damit die örtliche Umwelt ungebührend zerstören oder die ansässige Bevölkerung vertreiben. – Das ist doch nicht zu viel verlangt. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christoph Strässer [SPD]: Steht im Nationalen Aktionsplan drin!) Sie von der Bundesregierung wollen aber lieber bis 2020 abwarten, um zu schauen, ob Sie dann endlich etwas tun. Bis 2020 werden neun Jahre vergangen sein, seit die UN ihre Leitlinien verabschiedet haben – neun Jahre, in denen Unternehmen problemlos weitermachen konnten bzw. können wie bisher. Sie von der Regierung haben noch nicht einmal finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um 2020 überhaupt eine Prüfung vornehmen zu können, ob die Unternehmen Ihre Erwartungen erfüllt haben. Ich gehe jede Wette ein: Selbst wenn die Unternehmen Sie mit Ihren Erwartungen im Regen stehen lassen, werden Sie auch 2020 keine gesetzlichen Verpflichtungen auf den Weg bringen. Haben Sie doch einmal wenigstens das Rückgrat, und geben Sie zu, dass Verpflichtungen für die Wirtschaft für Sie aus wirtschaftlichen Interessen offenbar nicht infrage kommen. Sie von der Bundesregierung spielen gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern auf Zeit, und das ist eine Schande. (Beifall bei der LINKEN) Und das Textilbündnis? Der Modeverband GermanFashion rühmte sich letztes Jahr damit, alle problematischen Punkte aus dem Bündnis rausverhandelt zu haben; es gebe keine Verbindlichkeit mehr. Der Modeverband empfahl seinen Mitgliedern, beizutreten; denn sie begäben sich damit unter den Schutzschirm der Bundesregierung, ohne etwas leisten zu müssen. Diese Aussage lässt tief blicken. Das Textilbündnis ist völlig unambitioniert. Es geht um Greenwashing, um gute öffentliche Wahrnehmung für die Textilkonzerne. Die deutschen Textilunternehmen, die Mitglied des Bündnisses geworden sind, dürfen sich jetzt freiwillig individuelle Verbesserungen aussuchen, die sie innerhalb von einem Jahr erreichen wollen. Es gibt also keine festen Regeln für alle, sondern jeder macht, was er will. Unternehmen wie KiK und Primark sind maßgeblich verantwortlich für die Preisdrückerei in der Textilbranche. Weil sie nicht bereit sind, auf etwas Profit zu verzichten, schuften die Menschen unter sklavenartigen Bedingungen. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Die Verbraucher, die es kaufen!) Die KiK-Manager haben in den vergangenen Jahren zigfach bewiesen, dass ihnen die Situation in den Fabriken völlig egal ist. Jetzt sollen sie freiwillig nur das verbessern, was sie wollen, und wenn sie dann vielleicht so doof sind, ihre eigenen Ziele nicht einzuhalten, fliegen sie als Höchststrafe aus dem Textilbündnis? Das ist doch ein schlechter Witz. So wird nichts besser für die Näherinnen in Bangladesch. Das ist totale Augenwischerei, was Sie hier betreiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass einem privatwirtschaftlich organisierten Konzern der Profit wichtiger ist als Menschenrechte, liegt am kapitalistischen Wirtschaftssystem. Gerade deshalb ist es originäre Aufgabe der Politik, hier regulierend einzugreifen. Statt aber ihrer Verantwortung nachzukommen, ordnen SPD und Union die Durchsetzung von Menschenrechten lieber den Profitinteressen deutscher Unternehmen unter. Sie versuchen sogar, so zu tun, als ob am Ende die Verbraucher die eigentlich Verantwortlichen wären. Das ist ein besonders perfider Trick. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!) Denn mittlerweile gibt es Hunderte Siegel für alles Mögliche in Deutschland. Kein Mensch kann da durchblicken. Die Informationen sind zudem häufig nicht einmal nachprüfbar. Sie könnten diesen Siegelwahnsinn mit einem Schlag beenden, indem Sie allgemeingültige Regeln für alle Unternehmen und alle Produkte schaffen. (Christoph Strässer [SPD]: Genau!) Also, wenn Sie es ernst meinen, könnten Sie sofort handeln. Sie könnten ein Unternehmensstrafrecht einführen, Unternehmen verpflichten, ihre Lieferketten transparent zu machen, und klare Sorgfaltspflichten für Konzerne gesetzlich verankern. Wir sollten hier nicht noch hundert Debatten zu diesem Thema führen; denn Lösungen liegen vor, zum Beispiel in den Anträgen der Grünen heute und dem Antrag von uns Linken aus 2015. Handeln Sie endlich! Sorgen Sie dafür, dass Unternehmen, die Menschenrechte verletzen, zur Rechenschaft gezogen werden! Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Movassat. – Nächster Redner: Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nicht zuletzt der VW-Skandal hat uns deutlich vor Augen geführt, dass wir in Deutschland schärfere Sanktionen benötigen, um Unternehmen dazu zu bringen, sich gesetzestreu zu verhalten. Schon im Koalitionsvertrag haben wir deshalb entsprechend geregelt, dass wir das Ordnungswidrigkeitenrecht ausbauen wollen und dass wir konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensbußen benötigen; denn offensichtlich reicht die heutige Rechtslage, reicht das Sanktionsinstrumentarium nicht aus. Wir können zwar die Täter bestrafen, die in Unternehmen tätig sind und strafbare Handlungen begehen; aber wir können nicht gegen das Unternehmen selbst vorgehen. Gerade der VW-Skandal hat uns gezeigt, dass insbesondere Verbraucherinnen und Verbraucher auf einen solchen Schutz durch spürbare Geldsanktionen angewiesen sind, etwa in den USA, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) In Deutschland diskutieren wir seit Jahrzehnten härtere Sanktionen. In anderen Ländern, etwa in der Schweiz oder in Holland, gibt es sie bereits. Ich finde, dass wir, auch wenn wir heute eine Unternehmenskriminalität haben, nicht alle Unternehmen unter einen Generalverdacht stellen dürfen – auf keinen Fall, lieber Marco Luczak –; aber dass es dort eben auch schwarze Schafe gibt, das ist Realität. Deswegen muss die Antwort eines starken Staates sein, hierfür Sanktionen gesetzlich zu regeln, die für die Unternehmen spürbar sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Ich finde, es liegt gerade auch im Interesse der Unternehmen, dass sich Mitbewerber eben keinen illegalen Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem sie eben durch Gesetzesverstöße billiger produzieren können, indem sie etwa Aufträge durch Korruption bekommen. Genau das wollen wir verhindern. Genau das ist im Sinne der Wirtschaft und insbesondere des Mittelstandes: dass diejenigen, die betrügen, eben keinen Wettbewerbsvorteil haben und sie dadurch keine Gewinne einfahren, sondern dass der Ehrliche eben nicht der Dumme ist. Das gilt auch in diesem Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen stimmen Sie den Grünen zu!) Deswegen reicht der Bußgeldrahmen, wie wir ihn heute im Ordnungswidrigkeitengesetz haben – dort gibt es eine Höchstgrenze von 10 Millionen Euro –, nicht aus. Das ist viel zu wenig, wenn wir uns anschauen, wie viele Millionen – ein Vielfaches von diesen 10 Millionen – etwa bei dem prominenten Fall in München durch eine kriminelle Handlung an Gewinn eingefahren wurden. Deswegen müssen wir diesen Rahmen von 10 Millionen Euro deutlich erhöhen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch ich finde, wir müssen das Opportunitätsprinzip, das wir im Ordnungswidrigkeitenrecht haben, einschränken; denn ansonsten haben wir das Risiko, dass von Landgerichtsbezirk zu Landgerichtsbezirk unterschiedliche Sanktionen drohen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das haben wir alles gesagt!) Ich bin auch der Meinung, dass wir klare Regeln dafür finden müssen, dass die Geldbußen an der Ertragskraft eines Unternehmens orientiert sein müssen, sodass kein Unternehmen einfach aus der Portokasse eine kleine Geldbuße bezahlt und anschließend das illegale Handeln fortgesetzt wird. Nein, auch hier, finde ich, müssen wir eingreifen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich würde noch weiter gehen. Ich meine, der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty hat auch zu diesem Thema einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, einen interessanten Gesetzentwurf vorgelegt, übrigens ausformuliert, anders als die Grünen. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Der Gesetzentwurf ist aber nicht gut! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist aber durchgefallen!) – Von euch haben wir einmal mehr nur ein Sammelsurium von Fragen. Der Vorschlag von Kutschaty ist, kriminelle Unternehmen von öffentlichen Vergaben auszuschließen oder für solche Unternehmen Subventionen auszuschließen. Auch diese Sanktionen halte ich für sinnvoll, und genau diesen Weg sollten wir gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gehen Sie ihn doch!) Zu dem Antrag der Grünen zu den Sanktionen: Daran stört mich schon einmal, dass Sie keinen konkreten Vorschlag machen, wie Sie die Dinge im Gesetz formulieren wollen. Vielmehr kommt einmal mehr ein langer Forderungskatalog mit recht unbestimmten Fragen, die im Übrigen teilweise unnötig sind, weil die Bundesregierung schon Gesetzesvorschläge dazu vorbereitet hat. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja auch keinen geschrieben! Wo ist denn Ihr Gesetzentwurf?) Zum Beispiel ist es ja sinnvoll, wie Sie fordern, dass wir eine Verbesserung bei der Einziehung von Vermögen, bei der Vermögensabschöpfung vornehmen. Genau diesen Gesetzentwurf hat Justizminister Maas vorgelegt. Es ist ein sehr guter Entwurf, und ich hoffe, dass die Unionskollegen diesen sinnvollen, diesen wichtigen Entwurf nicht blockieren, sondern dass wir hier zu einer Regelung kommen, sodass der Grundsatz gilt: Verbrechen darf sich nicht lohnen. – Diesen Gesetzentwurf brauchen wir dringend. (Beifall bei der SPD) Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, fordern, dass eine Umgehung der Haftung durch bestimmte Unternehmensstrukturierungen verhindert werden muss, dann ist auch das richtig. Aber an diesem Thema sind wir ebenfalls schon dran; darüber diskutieren wir im Rahmen der GWB-Novelle. Ein wichtiger Punkt – ich möchte ausdrücklich loben, dass Sie diese SPD-Forderung in Ihren Antrag aufgenommen haben – ist der Schutz der Whistleblower. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Grünenforderung!) Meine Fraktion hat schon in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt. Die Situation ist ja so, dass Hinweisgeber ihr Wissen oft nur dann offenbaren, wenn sie keine gravierenden Nachteile für sich befürchten müssen. Etwa im Lebensmittelbereich konnten dadurch Skandale aufgedeckt und abgestellt werden, sodass Millionen von Verbrauchern nun besser geschützt sind, weil sie keine giftigen oder verdorbenen Lebensmittel zu sich nehmen müssen. Wenn wir zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher wollen, dass Hinweisgeber ihr Wissen auch weiterhin offenbaren, dann brauchen wir eine Regelung, die etwa verhindert, dass Whistleblowern gekündigt werden kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir sind dazu bereit. Wir bedauern sehr, dass eine solche Regelung von der Union verhindert wird. Das kann nicht sein. Dies ist ein ganz wichtiges Handlungsfeld, auf dem wir tätig werden müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Willkommen im Wahlkampf! Das ist der Schulz-Effekt! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Glauben Sie, dass Sie attraktiv sind, wenn Sie hier nur jammern?) – Es ist keine 24 Stunden her, dass wir einen Kanzlerkandidaten haben, und bei euch bricht schon Panik aus. Das ist eine hochinteressante Entwicklung. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Vielleicht sollten wir Händchen halten!) Wir haben noch acht Monate vor uns. Ich bin gespannt, wie sich Stimmung und Blutdruck bei euch entwickeln. Ich komme zum Schluss. Der Grünenantrag enthält sehr viele Forderungen, die von uns – das gilt etwa für die Vermögensabschöpfung – in gewohnt seriöser Manier schon umgesetzt werden. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie doch zu! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch einfach zu!) Darüber hinaus sind einige Forderungen zu unbestimmt, sodass ich sie nicht nachvollziehen kann. Deswegen: Auch wenn einiges Richtiges drinsteht, werden wir Ihren Antrag ablehnen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Dr. Fechner. – Nächster Panik-Redner: Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung“, was bedeutet das? Für mich bedeutet es, dass sich Unternehmensmitglieder und die Unternehmen für ihr Tun und Lassen freiwillig verantwortlich erklären und sich auch gemäß dieser Verantwortung verhalten. Für welche Handlungen und Folgen sich ein Unternehmen verantwortlich erklärt und welches die richtigen Grundsätze sind, leitet sich aus der Rechtsordnung, aus den gesellschaftlich definierten ethischen Prinzipien ab, beispielsweise faire Bezahlung, Schulung von Mitarbeitern, Einhaltung von Normen und Standards, Gleichberechtigung der Geschlechter oder meinetwegen auch Richtlinien zum Schutz der Umwelt. Viele deutsche Unternehmen halten sich in vorbildlicher Weise auch im internationalen Kontext an diese Wertmaßstäbe. Jene, die hier Defizite aufweisen, bringen wir durch bestehende Gesetze oder durch neue Maßnahmen der Bundesregierung und der Legislative dazu, ihr Handeln zu überdenken und es anzupassen. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Na dann!) Meine Damen und Herren, ähnlich wie der Kollege Luczak muss auch ich ein bisschen mit Bedauern feststellen, dass der vorliegende Antrag der Grünen zu den Sanktionen in seinem Duktus zum wiederholten Male die Geschäftspraktiken vieler deutscher Unternehmen mindestens hinterfragt. Ich bedaure dieses Misstrauen und auch den möglicherweise enthaltenen Generalverdacht gegenüber der deutschen Wirtschaft. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absurd!) Als Entwicklungspolitiker weiß ich um die Bedeutung der Wirtschaft gerade in diesem Bereich. Deshalb lege ich meinen Fokus bei der Bewertung Ihrer Anträge auch auf die Auswirkungen auf die Entwicklungszusammenarbeit. Mit ihrem Antrag zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten kritisieren die Grünen den Prozess bei der Ausarbeitung des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrechte“, NAP, durch die Bundesregierung. Ja, es ist richtig, dass die Ausgestaltung einige Zeit länger in Anspruch genommen hat, als zunächst einmal angedacht und angekündigt war. Ich möchte aber an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Bundesregierung den NAP kurz vor Weihnachten letzten Jahres verabschiedet und damit die deutschen Unternehmen zu fairen Produktionsbedingungen in den Entwicklungsländern verpflichtet hat. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er lädt dazu ein!) Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Aussage; denn es ist ein deutlicher, wichtiger und vorbildlicher Schritt für die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten durch deutsche Unternehmen; das müssen wir festhalten. Mit dem Aktionsplan setzen wir die UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte in nationales Gesetz um. Betroffen von der Regelung sind in Deutschland circa 6 000 Betriebe, die dazu verpflichtet werden, soziale und ökologische Standards einzuhalten. Meine Damen und Herren, in der letzten Woche haben wir hier im Plenum das Thema „Faire Textilproduktion“ debattiert. Beispielhaft steht dieser Sektor für die Anstrengungen, die die Bundesregierung, federführend das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, für zukunftsfähige Unternehmensverantwortung unternimmt. Kurz erwähnt sei hierzu das im Oktober 2014 gegründete Bündnis für nachhaltige Textilien, auch wenn die Linken das beiseitewischen. Es ist ein wichtiges Bündnis. Es greift die zukunftsfähige Unternehmensverantwortung in einer vorbildlichen Weise auf und arbeitet in der Praxis an der Verringerung von Missständen und Benachteiligungen. Bereits 133 mittelständische Unternehmen und Großkonzerne aus der Textilindustrie und dem Handel sind diesem Bündnis beigetreten und haben in Deutschland eine Marktabdeckung von 55 Prozent erreicht – und das setzt Maßstäbe. Das ist ja nicht nur ein kleiner Teil von 3 oder 4 Prozent, sondern weit über die Hälfte. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit diesem Projekt kommen Verbraucher, Wirtschaft und Politik auf freiwilliger Basis zueinander, ohne großen Verwaltungsaufwand zu verursachen. Die Zielsetzungen des Bündnisses, die soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit entlang der gesamten Textilkette kontinuierlich zu verbessern, tragen zudem zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und der sogenannten SDGs bei. Im Kontext von Globallieferketten sind das insbesondere die Ziele Nummer 8 „Menschenwürdige Arbeit und wirtschaftliches Wachstum“, Nummer 12 „Nachhaltige Produktion und nachhaltiger Konsum“ und Nummer 17 „Förderung von Partnerschaften“. Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt: Das Textilbündnis kann international ein Vorbild für andere Wirtschaftszweige sein, zum Beispiel für den Rohstoffsektor oder auch für die Fischerei. Es kann beweisen, dass sich hohe Maßstäbe in der Unternehmensverantwortung auszahlen. Eines muss ich noch einmal deutlich sagen: Nationale Alleingänge sind für uns der falsche Weg. Deshalb ist die Koalition schon einen Schritt weiter. Bereits 2015 hat sich Bundesentwicklungsminister Dr. Müller erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Durchsetzung weltweiter Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards auf der Tagesordnung des G-7-Gipfels in Elmau stand. Das war ein Novum. Diesen Weg setzen wir fort. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es muss aber auch mal was passieren! Zwei Jahre kreißte der Berg, und passiert ist nichts! Nicht mal ein Mäuschen ist geboren worden!) Das Entwicklungsministerium und das Ministerium für Arbeit und Soziales setzen sich maßgeblich dafür ein, die Arbeitsbedingungen in internationalen Lieferketten zu verbessern, ein verantwortliches und transparentes Management von Lieferketten zu fördern und Beschwerde- und Mediationsmechanismen zu stärken. Dazu haben beide Häuser in dieser Legislaturperiode das Positionspapier „Gute Arbeit weltweit“ vorgelegt und verabschiedet. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, noch ein Papier!) Meine Damen und Herren, Deutschland hat am 1. Dezember 2016 die G-20-Präsidentschaft übernommen. Die G 20 sind das zentrale Forum der internationalen Zusammenarbeit der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer in Finanz- und Wirtschaftsfragen und vereinen 80 Prozent des globalen Handels auf sich. Die deutsche Präsidentschaft unter dem Motto „Eine vernetzte Welt gestalten“ läuft bis zum 30. November 2017. Höhepunkt wird das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in meiner Heimatstadt Hamburg am 7. und 8. Juli sein. Was im Fokus steht – nachhaltige globale Lieferketten, ein Kernthema zukunftsfähiger Unternehmensverantwortung –, wird dabei im Rahmen der G-20-Staaten weiter vorangebracht werden, und damit wird auch an die G-7-Präsidentschaft angeknüpft – und alles unter dem Vorsitz von Deutschland; das möchte ich noch einmal deutlich sagen. Damit kommt von uns sozusagen ein starkes Signal für mehr Verantwortung in globalen Lieferketten. Gemeinsam mit den G-20-Partnerländern sollen dazu konkrete Schritte entwickelt und beschlossen werden. Wichtige Bezugsrahmen dafür sind die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die Abschlusserklärung des G-7-Gipfels von Elmau; ich habe ihn schon erwähnt. Meine Damen und Herren, wenn Sie eine Analyse der Lage vornehmen, dann können Sie erkennen, dass es eine Vielzahl von Initiativen und bestehenden Regelungen zur Sanktion von Unternehmen gibt, wenn diese gegen Maßstäbe, Gesetze und Normen verstoßen. Das Vorhandene nochmals mit einem Gesetz zu regeln, schafft lediglich Doppelstrukturen und benachteiligt einseitig deutsche Unternehmen im Wettbewerb, und genau das wollen wir nicht. Bevor ich zum Ende meiner Rede komme, möchte ich es nicht versäumen, auf einen ganz wichtigen Punkt in diesem Zusammenhang aufmerksam zu machen: Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung tragen vor allen Dingen der Verbraucher und die Verbraucherin. In vielen Bereichen des Lebens stellen wir eine kontinuierliche Veränderung des Verbraucherverhaltens fest. Damit einher geht die Weiterentwicklung der Unternehmensverantwortung. Kein Textilhändler kann es sich leisten, dass an der Kleidung, die er produziert, Blut klebt, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man es nicht sieht! Deshalb wollen sie ja keine Deklaration und Kennzeichnung haben!) kein Stromanbieter in Deutschland wirbt mehr mit Atomstrom, und kein Autohersteller bringt mehr ein neues Modell mit einem Spritverbrauch von über 15 Litern pro 100 Kilometer auf den Markt. Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie das veränderte Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher die Verantwortung von Unternehmen mitgestaltet. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt das Wichtige?) Wir dürfen uns jedoch nicht auf dem Erreichten ausruhen. Die Aufgabe der Politik ist es, weiter zu sensibilisieren und zu gestalten sowie das eine oder andere Gesetz in diesem Zusammenhang zu verabschieden. Mit einem tiefen Durchblick für den Verbraucher in Bezug auf die Durchsetzung von internationalen, sozialen und Umweltstandards erreichen wir mehr als mit nationalen Gesetzgebungsprozessen, die deutsche Unternehmen benachteiligen und Arbeitsplätze kosten. Deshalb dürfen wir es nicht unterlassen, die Verbraucherinnen und Verbraucher ständig und stärker als in der Vergangenheit über die Sozialstandards zu informieren. Das kommt auch den Entwicklungsländern in ihrer schwierigen wirtschaftlichen Situation zugute, und das müssen wir gerade in diesen Zeiten sehen. Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Jürgen Klimke. – Nächster Redner: Uwe Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir alle kennen das: Kinderarbeit auf Kakaoplantagen, Hungerlöhne in Textilfabriken, Rohstoffe, die bewaffnete Konflikte finanzieren, usw. usf. Das ist genau der Stoff, mit dem Minister Müller seit Jahren seine Reden spickt und in der Öffentlichkeit mächtig auftritt. (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Zu Recht!) Nur zu lamentieren, verändert allerdings überhaupt nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Konkret unternimmt diese Bundesregierung seit Jahren herzlich wenig, um die Arbeitsbedingungen in den globalen Lieferketten zu verbessern. Der Nationale Aktionsplan hätte wirklich eine wunderbare Chance geboten, starke, positive Zeichen zu setzen. Die Bundesregierung wollte diese Chance aber nicht und setzte den NAP deshalb gezielt in den Sand. Der Druck der Lobby – BDI, BDA, Kampeter usw. – war wohl sehr groß. Sie waren sogar dabei, den Nationalen Aktionsplan zu einem Bittstellerbrief an die Wirtschaft umzuformulieren. Das konnte die Opposition gerade noch verhindern. (Lachen des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Sie hatten doch zu viel Angst vor der Öffentlichkeit. (Christoph Strässer [SPD]: Entschuldigung, das ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten!) Was wurde bei der großen Auftaktveranstaltung zum NAP vor drei Jahren nicht alles versprochen! Fünf Ministerien haben versprochen, ein Konzept vorzulegen, das Deutschland zum Vorreiter für nachhaltiges Wachstum macht. Heute blamieren Sie Deutschland mit diesem NAP bis auf die Knochen. Es geht doch auch ganz anders. Mit unserem Maßnahmenpaket zur zukunftsfähigen Unternehmensverantwortung zeigen wir deutlich auf, welche Schritte notwendig und möglich sind, um den Menschenrechtsschutz in der globalen Wirtschaft voranzutreiben. Für die globale Lieferkette brauchen wir verbindliche Regeln. Herr Klimke, von Verbindlichkeit steht im NAP nichts. Einfach noch einmal lesen, das hilft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Hilfestellungen für Unternehmen – Transparenzregeln – Opfer von Unternehmenshandeln müssen Zugang zu Rechtsmitteln bekommen. Menschliche Sorgfaltspflichten müssen im deutschen Recht verankert werden. Wir brauchen natürlich auch ein geeignetes Sanktionsregime; Katja Keul hat davon gesprochen. Nichts, absolut nichts davon ist im NAP tatsächlich zu finden. Unternehmen müssen eine menschenrechtsbezogene Risikoanalyse durchführen. Sie müssen geeignete Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung von Menschenrechtsverstößen ergreifen. Sie müssen Organisationspflichten, wie etwa Whistleblower-Schutz oder Compliance-Strukturen, etablieren. Auch eine vernünftige Dokumentation ist einfach selbstverständlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kommt es dann in einem Unternehmen zu Menschenrechtsverletzungen oder werden einem Unternehmen Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt, müssen den Opfern zivilrechtliche Klagen vor deutschen Gerichten und damit einhergehend natürlich Schadensersatzforderungen ermöglicht werden. Das ist machbar. Davon ist nichts unzumutbar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christoph Strässer [SPD]: Das wollen wir auch!) Unsere Anträge enthalten flexible Vorschläge, die je nach Unternehmensgröße und je nach Wirtschaftszweig und -sektor angepasst werden können. Davon profitieren die deutschen Unternehmen; denn die Zeichen stehen global auf Verbindlichkeit. Mit Ihrer Verweigerung, Verbindlichkeit einzuführen, schaden Sie dem Wettbewerb. Sie bestrafen fortschrittliche Unternehmen; denn alle Unternehmen, die sich hohen Standards verpflichtet fühlen, werden von Ihnen zu den Dummen des Systems gemacht, weil immer noch der Wettlauf um den niedrigsten Standard gilt. Die Jagd nach dem Preisvorteil ist dann das Leitmotiv des Handelns. Genau das zementiert dieser NAP in unverantwortlicher Weise. Es liegt ein ganz besonderes Versagen der gesamten Regierung vor. Die inakzeptablen globalen Arbeitsverhältnisse – das muss uns doch bewusst sein – sind für viele Menschen ein Migrationsgrund. Hinzu kommen menschenrechtliche und ökologische Aspekte, die uns in die Verantwortung nehmen. Aber die Regierung und die Koalition verweigern sich dieser Verantwortung. Das ist nichts anderes als kurzsichtige Politik. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Kekeritz. – Nächster Redner: Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Vier Minuten. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Stefan Rebmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir hier über Unternehmensverantwortung und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten debattieren, dann geht es auch immer um Arbeitnehmerrechte, soziale Sicherheit, Schutz vor Ausbeutung und im Grunde auch um den Kampf um eine gerechtere Welt. Ich denke, das waren auch die Forderungen der Arbeiterbewegung während der industriellen Revolution. Daraus ist unter anderem die Sozialdemokratie entstanden. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wow! – Michaela Engelmeier [SPD]: Genau!) Unsere Sozialgesetzgebung, unsere Krankenversicherung, unsere Rentenversicherung, unsere Arbeitslosenversicherung, Tarifvertragsrecht, Betriebsverfassungsgesetz und vieles mehr stammen genau aus der Zeit der Arbeiterbewegung. Auch die internationale Solidarität, die man auf Demonstrationen immer so gerne hochleben lässt, stammt aus dieser Zeit, und sie ist auch heute hochaktuell. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Natürlich haben Unternehmen eine besondere Verantwortung; vollkommen klar. Gerade in einer Welt, in der alles immer mehr miteinander zusammenhängt und in der Lieferketten global organisiert sind, kommt den Unternehmen eine ganz besondere Verantwortung zu. Deshalb ist es wichtig, dass wir dafür sorgen, dass Arbeitnehmer nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es kann auch nicht sein, dass hier bei uns wie selbstverständlich alle Rechte gelten und dort, (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) wo 80 oder 90 Prozent unserer Textilien herkommen, wo 80 oder 90 Prozent – die genaue Zahl weiß ich nicht – unserer Handys produziert werden, wo unser Kaffee und unser Kakao, die Rohstoffe und die Kohle herkommen, etwa aus Kolumbien, nicht. Vor etwa 14 Tagen ist in Kolumbien ein Gewerkschafter ermordet worden, der um sein Land gekämpft hat. Es kann nicht sein, dass Unternehmen hier sagen: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin da schon für eine klare Sprache und für mehr Verbindlichkeit; denn ich weiß, dass uns das Prinzip der Freiwilligkeit allein nicht vorangebracht hat. Wir haben lange versucht, auf dieses Prinzip zu setzen. Die Folge war – das wurde hier schon mehrfach erwähnt –: Die einen, die sich daran halten, tragen die Kosten, während die anderen, die sich – mit Verlaub – einen Dreck um Menschenrechte kümmern, den großen Reibach machen. Ich finde, dass wir hier eine klare Sprache brauchen. Ich sage aber auch: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen. Wir müssen die Unternehmen mitnehmen, (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Klare Regeln!) wir müssen sie drängen, wir müssen sie fordern. Wir müssen einen klaren Weg hin zu mehr Verbindlichkeit beschreiten. Genau das macht der Nationale Aktionsplan. Ich mache keinen Hehl daraus: Der Nationale Aktionsplan ist nicht die reine Lehre. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf wäre ich nicht gekommen!) Ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich mir wesentlich mehr und verbindlichere Regeln gewünscht hätte. Ich sage aber auch: Wenn ich die Wahl habe zwischen kleinen Schritten in die richtige Richtung und der Forderung nach der reinen Lehre, die dazu führt, dass man untergeht und gar nichts erreicht, weil man keinen Kompromiss eingehen will, dann gehe ich lieber den Weg der kleinen Schritte. Ich finde auch – zum Schluss kommend –: Ihr Linken stellt einen Ministerpräsidenten in Thüringen, (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Korrekt!) und ihr Grünen einen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg. Ihr habt einen Spitzenkandidaten, der hier im Plenum bewiesen hat, dass er mit Herrn Kauder sehr gut kann und etwas per Handschlag erreichen kann. Ich würde mich freuen, wenn von Ihren Bundesländern entsprechende Initiativen im Bundesrat eingebracht würden. (Christoph Strässer [SPD]: Nein, das macht man doch nicht! Aber hier eine große Lippe haben!) Dann werden wir sehen, ob sich der baden-württembergische Spitzenkandidat bei Herrn Kretschmann und bei Herrn Strobl durchsetzt. (Christoph Strässer [SPD]: Auch gegenüber Daimler! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist ja bei allen alles total in Ordnung! Dann ist alles legitim! Prima!) Wenn dann dabei das herauskommt, was in Baden-Württemberg passiert ist, nämlich dass die baden-württembergische Landesregierung wieder Studiengebühren einführt, die insbesondere junge Menschen aus Entwicklungsländern treffen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Jungs, dafür gibt es eine Regelung! Keine Fake News im Bundestag!) dann ist das kein Beitrag zu einer gerechteren Welt. Das ist vielmehr ein Förderprogramm für Kinder korrupter Eliten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! Sülze-Quatsch!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Volker Ullrich ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wirtschaftskriminalität verursacht volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe, zerstört das Vertrauen in gutes Wirtschaften und erschüttert unsere Rechtsordnung. Rechtsbruch darf sich nicht lohnen. Unsere Rechtsordnung muss durch einen klaren Vollzug des geltenden Rechts dafür Sorge tragen, dass niemand aus der Verletzung von Vorschriften einen Vorteil ziehen kann. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Der Antrag der Grünen zielt im Grunde genommen auf Einführung einer Art Unternehmensstrafrecht, auch wenn sie das so nicht bezeichnen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie es in Ihrem Koalitionsvertrag steht!) Der zentrale Satz Ihrer Begründung mag dann aber schon erstaunen: Wegen der Möglichkeit, Verantwortung insbesondere in großen Unternehmen gezielt zu verschleiern sowie dem Kräfteungleichgewicht zwischen häufig überlasteten Staatsanwaltschaften und besonders finanzstarken Beschuldigten, kommt es aber in Deutschland selten zu individuellen Schuldfeststellungen gegenüber einzelnen Wirtschaftsakteuren. Wenn es also – das ist meine erste Bemerkung – um individuelle Schuldfeststellungen geht, dann ist die Frage nach der Haftung von Unternehmen falsch; denn dann geht es um die individuelle, ganz höchstpersönliche Vorwerfbarkeit. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um beides muss es gehen!) Es ist auch keine Haltung, der Kriminalpolizei, den Staatsanwaltschaften und Teilen der Justiz, die in oftmals mühevoller Kleinarbeit Wirtschaftsstrafsachen aufarbeiten, in den Rücken zu fallen. Das tun Sie, indem Sie sagen, dass es nur selten zu Schuldfeststellungen kommt. Ich glaube, das spiegelt die aktuelle Lage nicht wider. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie behaupten, dass Staatsanwaltschaften häufig überlastet sind, dann muss doch die zentrale Aufgabe der Politik darin bestehen, diese Belastungen abzubauen und für mehr Kapazität bei den Strafverfolgungsbehörden zu sorgen. Zuständig dafür sind die Länder. Und hier tragen die Grünen in 11 von 16 Landesregierungen Verantwortung. Nehmen Sie also bitte den Bund nicht in die Haftung für eigene Versäumnisse in den Ländern, in denen Sie mitregieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch dogmatisch ist ein eigenes Unternehmensstrafrecht nicht zielführend, weil es das Schuldprinzip verletzt. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gesagt!) Schuld ist die von der Verfassung gebotene Voraussetzung für eigene, höchstpersönliche Vorwerfbarkeit. Schuld kann nur ein einsichtsfähiger Täter sein, aber nicht ein Personenverband oder ein Konstrukt. Wenn Sie in letzter Konsequenz beispielsweise Strukturmaßnahmen für verurteilte Unternehmen fordern, dann verursachen Sie auch eine Betroffenheit Dritter, die möglicherweise nicht akzeptabel ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Wollen Sie, dass im Ergebnis der Fließbandarbeiter mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes für das Fehlverhalten des Managements haftet? Wollen Sie, dass Kleinaktionäre mit dem Verlust ihrer Altersvorsorge bestraft werden, weil der Vorstand strafbare Handlungen vollzieht, die der Kleinaktionär nicht kontrollieren kann? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch wirklich nicht zu glauben!) Eine solche Drittbetroffenheit ist unserer Rechtsordnung fremd und muss ihr auch fremd bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie, wie es in Ihrem Vorschlag heißt, jetzt statt des Opportunitätsprinzips das Legalitätsprinzip einführen wollen, dann müssen Sie auch deutlich machen, welche Konsequenzen das hat. Sie dürfen zunächst einmal nicht so tun – es ist mir wichtig, das zu unterstreichen –, dass das Opportunitätsprinzip Willkür bedeuten würde. Wir haben in Deutschland eine Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz. Diese Bindung an Recht und Gesetz muss die Verwaltung gleichmäßig durchführen. Deswegen ist das Opportunitätsprinzip bereits jetzt ein gutes Mittel, Verfehlungen von Unternehmen zu verfolgen. Aber das Legalitätsprinzip bedeutet, dass Sie strafrechtsähnliche Verfahren gegenüber Unternehmen einführen – mit dem Schweigerecht, mit der Unschuldsvermutung. Damit werden Sie im Endeffekt eine weniger effektive Rechtsverfolgung haben und weniger Unternehmen zur Verantwortung ziehen, als wir das bisher können. Ihr Vorschlag ist damit ein Rückschritt und kein Fortschritt. (Beifall bei der CDU/CSU) Man darf auch nicht vergessen – das haben Sie völlig verschwiegen –, dass es bereits jetzt gerade im Bereich des Kartellrechts ordentliche Geldbußen gibt, die den Unternehmen zu Recht wehtun. Beispielsweise Lkw-Kartell: Bußgelder über 1 Milliarde Euro; Libor-Kartell: Bußgelder in Höhe von dreistelligen Millionenbeträgen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch darum, dass sie Sorgfaltspflichten haben und eine Struktur umsetzen, und nicht, dass irgendwann eine Kartellreaktion kommt! Sie sind doch Christ! Bewegen Sie doch mal die Stelle bei sich, die das Christliche ausmacht!) Deutlich muss aber auch werden, dass wir das bestehende Recht konsequent anwenden und dort, wo es notwendig ist, es auch verschärfen. Ich lade Sie ein, mit uns darüber zu diskutieren, möglicherweise die Wertgrenzen im Ordnungswidrigkeitengesetz zu erhöhen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Machen Sie es doch einfach!) Ich lade Sie ein, unseren Gesetzentwurf zum Thema „strafrechtliche Vermögensabschöpfung“ mitzutragen. Eines allerdings haben Sie heute nicht angesprochen – das scheint ein Schlüssel bei der Frage der Verfolgung von rechtswidrigem Handeln innerhalb von Unternehmen zu sein –: Wir brauchen ausreichende Kapazitäten bei Polizei und Staatsanwaltschaften, damit sie solche Machenschaften auch aufdecken und zur Anklage bringen können. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Super! Wann kommt Ihr Antrag?) Wir brauchen ordentliche Ausstattungen bei der Polizei, und zwar auch im Hinblick auf Kapazitäten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen Polizeibeamte, die wirtschaftskriminelle Strukturen aufdecken, besser bezahlen und dafür sorgen, dass Verfahren beschleunigt werden. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, reden wir mal über Herrn Henkel! Die Berliner CDU hat da voll versagt!) Wenn Sie eine stärkere Sanktionierung von Unternehmern wollen, müssen Sie auch dort, wo Sie Verantwortung tragen, den Apparat besser ausstatten, damit Rechtsverfolgung effektiv sein kann. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, machen wir alles!) Meine Damen und Herren, es ist wenig geholfen – weder den Bürgern, die auf Rechtstreue von Unternehmen setzen, noch einer bereits jetzt an den Grenzen der Belastbarkeit stehenden Justiz –, einen Paradigmenwechsel im Strafrecht, wie Sie ihn wollen, herbeizuführen, der zu einem langen Theorienstreit, aber nicht zu einer effektiven Rechtsdurchsetzung und zu einem Schutz für die rechtstreuen Unternehmen führt. Deswegen werden wir Ihren Antrag heute ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christoph Strässer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als ich hier in den Plenarsaal gekommen bin, wusste ich nicht so genau, ob ich mehr Positives sagen kann oder ob ich mich mehr darüber ärgern soll, was hier abgeht und wie wir im Moment mit dieser ganzen Situation umgehen. Im Moment muss ich mich eigentlich mehr ärgern. Das geht an Ihre Adresse, Herr Movassat, weil Sie überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen, dass das, was Sie fordern, nicht von heute auf morgen umsetzbar ist, sondern dass man daran sehr intensiv und sehr massiv arbeiten muss und dafür Überzeugungsarbeit leisten muss. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber das tun Sie ja nicht einmal! Das ist doch das Problem!) – Wo Sie jetzt wieder dazwischenrufen, will ich Ihnen einmal die Geschichte des NAP erzählen und die Geschichte der Ruggie-Prinzipien. (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sie haben nur vier Minuten Zeit! Denken Sie daran!) Sie wissen vielleicht – oder auch nicht –, dass Herr Ruggie im Jahr 2005 von der damaligen UN-Menschenrechtskommission den Auftrag erhalten hat, die schon vorhandenen Prinzipien Unternehmensethik, CSA, Global Compact usw. zu einem verbindlichen Instrument weiterzuentwickeln. Darauf hat er sich eingelassen und hat dann von 2005 bis 2011 diese Richtlinien über Wirtschaft und Menschenrechte erarbeitet und im Jahre 2011 dem Menschenrechtsrat vorgelegt. Da kann ich Ihnen nur sagen: Das allein zeigt, dass die Arbeit nicht einfach einmal so mit einem Handstrich hier im Deutschen Bundestag erledigt werden kann nach dem Motto: Wir machen das morgen alles einmal. – Nein, das ist harte Arbeit, und daran haben viele gerade auch aus diesem Parlament und aus der Bundesregierung, die im Moment aktiv ist, gearbeitet. Und sie haben etwas umgesetzt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, von Anfang bestand ein Missverständnis. Ich habe die ganzen Diskussionen zum Nationalen Aktionsplan nun wirklich von Anfang an, von 2014 an, als das losging, geführt. Da gibt es, Uwe Kekeritz – das muss ich wirklich einmal sagen –, eine Geschichtsklitterung. Die möchte ich hier einmal darstellen. Im November 2016 war der NAP tot. Der NAP war tot. (Stefan Rebmann [SPD]: Genau!) All das, was da erarbeitet worden ist, was dort zu Papier gebracht worden ist, bei dem vieles immer noch nicht so war, wie wir es gern gehabt hätten, nämlich mit verbindlichen Regelungen und, und, und, ist durch Interventionen im Kabinett mehr oder weniger zerstört worden. Ich will das hier aber gar nicht weiter ausführen. Federführend beteiligt an dieser Aktion war das BMF. Da ist von der Opposition jedoch nichts gekommen. (Zuruf von der SPD: Genau!) So viel dazu, dass, wie du gesagt hast, die Opposition dafür gesorgt habe, dass dabei etwas herausgekommen ist. Da haben unsere Leute verhandelt und dafür gesorgt, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ihr wart auch wichtig!) dass es einen Nationalen Aktionsplan gibt, in dem viele Dinge stehen, die gut sind, die wir hier alle gemeinsam mittragen sollten. Da sage ich einmal einen ganz herzlichen Dank an all die, die das im November noch gemacht haben. Ganz besonders bedanke ich mich bei Bärbel Kofler, der Menschenrechtsbeauftragten, die in Person hingegangen ist, jedes Ressort überzeugt hat: Wir brauchen einen Nationalen Aktionsplan, und zwar auch deshalb, weil das ein Projekt, ein Menschenrechtsprojekt dieser Bundesregierung ist, das ganz vorn gestanden hat. Ich bin froh, dass es diesen NAP so gibt, wie es ihn gibt. Ich hätte gern viel, viel mehr gehabt; aber das ist der erste Schritt auf dem richtigen Weg. Deswegen müssen wir da auch weitermachen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum der schlecht ist, wissen wir doch!) Jetzt geht es ja noch weiter. Jetzt fordert ihr ja in eurem Antrag noch einmal die Verabschiedung eines Nationalen Aktionsplans. Da kann man natürlich schon jetzt nicht mehr zustimmen – das ist ein bisschen Pech –, weil wir den Nationalen Aktionsplan seit Dezember 2016 haben. Ich kann auch nur noch einmal sagen: Da ist niemand Bittsteller gegenüber Unternehmen. Welch ein Unsinn! (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja herausgekriegt! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Weil wir das herausgekriegt haben!) Wir haben zwei Jahre lang in der Gesellschaft hart mit all denjenigen verhandelt, die dazu bereit waren. Euch habe ich bei der ganzen Diskussion überhaupt nicht gesehen. Alle parlamentarischen Veranstaltungen zum Nationalen Aktionsplan haben ohne Beteiligung von Vertretern der Linken stattgefunden. Das muss man hier, glaube ich, auch einmal sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb: Sich hier zu empören, ist, wie ich finde, ein Skandal. Zum Schluss: Der NAP ist nicht das Gelbe vom Ei. Wir haben zu Anfang gesagt, wir brauchen so etwas wie einen intelligenten Mix von Verbindlichkeiten und von freiwilligen Maßnahmen. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind die Verbindlichkeiten? Es gibt keine!) Die Anzahl der verbindlichen Maßnahmen ist zu gering. Wir haben die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten als Verbindlichkeit für alle Unternehmen festgeschrieben, die eine entsprechende Größenordnung haben. Das reicht nicht. Deshalb werden wir im Übrigen auch versuchen, Initiativen unter den G 20 zu starten, wo wir ja die Präsidentschaft haben, damit an dieser Stelle eben mehr passiert. Dann will ich auch noch einmal sagen: Deutschland ist eines von zwölf Ländern weltweit, die einen NAP haben. Ich finde, das sollte man auch einmal respektieren. Da sind wir nämlich weltweit vorn. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10038 und 18/10255 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht danach aus. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 33 a bis 33 h sowie Zusatzpunkt 1: 33.   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes (Hochwasserschutzgesetz II) Drucksache 18/10879 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/10883 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts zur Sicherstellung der Ernährung in einer Versorgungskrise Drucksache 18/10943 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes Drucksache 18/10944 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Halina Wawzyniak, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein – Polizei und Justiz entlasten Drucksache 18/7374 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt erlassen Drucksache 18/10892 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Gesundheit g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Tätigkeit der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft im Jahr 2015 Drucksache 18/9545 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss h) Beratung des Antrags des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Absatz 3 des ERP-Verwaltungsgesetzes Drucksache 18/10825 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Klare CO2-Reduktionen im Flugverkehr schaffen Drucksache 18/9801 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Bei den Tagesordnungspunkten 34 a bis 34 j und dem Tagesordnungspunkt 21 geht es um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Das bedeutet nicht, dass dazu keine stattgefunden hat, sondern dass wir heute über diese Punkte nicht debattieren. In den wenigen Fällen, wo es auch bei der Einbringung keine Debatte gegeben hat, weise ich darauf hin. Das hängt dann aber auch damit zusammen, dass es dazu offenkundig nach Einschätzung sämtlicher Fraktionen im Hause keinen Bedarf nach einer weiterführenden Debatte gab. Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 34 a auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes Drucksache 18/10183 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/11007 Das ist ein Vorgang, den wir in erster Lesung hier nicht debattiert haben, und wir debattieren ihn jetzt in zweiter und dritter Lesung auch nicht; aber er wurde in den Ausschüssen natürlich intensiv besprochen. Mit diesem Gesetz werden nicht weniger als 464 Rechtsvorschriften des Bundes geändert mit dem Ziel, durch Verzicht auf Anordnung der Schriftform elektronische Kommunikation mit der Verwaltung zu erleichtern, elektronische Verwaltungsdienste auszubauen und Bürokratie abzubauen. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11007, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10183 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Zustimmung des Hauses im Übrigen in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich ahne, da könnten wir ein ähnliches Abstimmungsverhalten wie zuvor bekommen. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. – Es erheben sich alle mit Ausnahme der Mitglieder der Fraktion Die Linke. Ich frage: Stimmt jemand dagegen? – Dachte ich mir doch: Die Fraktion Die Linke stimmt, soweit anwesend, geschlossen dagegen. Wer möchte sich enthalten? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Tagesordnungspunkt 34 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Energiestatistikgesetzes (EnStatG) Drucksache 18/10350 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/10999 Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10999, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/10350 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen. Tagesordnungspunkt 34 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Regierung von Kanada über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts im Namen der Europäischen Union und zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Regierung von Kanada über die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts Drucksache 18/10808 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/11002 Dieses Abkommen regelt die Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden der beiden Vertragsparteien. Weiter gehende Spekulationen, was die Regelung des Verhältnisses in Wirtschafts- und Handelsbeziehungen angeht, finden also jedenfalls nicht an dieser Stelle ihre richtige Adresse. Durch das Gesetz sollen die innerstaatlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit der deutsche Vertreter im Rat die Zustimmung zu den Vorschlägen für die beiden Beschlüsse des Rates überhaupt erklären kann. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11002, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/10808 anzunehmen. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind diesmal alle. Dagegen stimmt offenkundig niemand. – Enthaltungen sehe ich auch nicht. Dann rufe ich die dritte Beratung und Schlussabstimmung auf. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind alle Anwesenden. Falls ich jemanden übersehen habe bei Gegenstimmen oder Enthaltungen, müsste er sich jetzt melden. – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2014/99/EU und zur Änderung und Anpassung weiterer immissionsschutzrechtlicher Verordnungen Drucksachen 18/10756, 18/10924 Nr. 2.1, 18/10998 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10998, der Verordnung der Bundesregierung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die Beschlussempfehlung angenommen. Tagesordnungspunkt 34 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Änderung der Chemikalien-Klimaschutzverordnung Drucksachen 18/10837, 18/10924 Nr. 2.3, 18/10997 Auch hier empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10997, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/10837 zuzustimmen. Wer kann sich dieser Empfehlung anschließen? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ist die Beschlussempfehlung angenommen. Unter den Tagesordnungspunkten 34 f bis 34 j kommen wir zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Hier gibt es wie immer Sammelübersichten, die wir insgesamt zur Abstimmung stellen. Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 34 f auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 400 zu Petitionen Drucksache 18/10885 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Alle dafür. Angenommen. Tagesordnungspunkt 34 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 401 zu Petitionen Drucksache 18/10886 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht gegen den gutgemeinten, aber nicht hinreichenden Widerstand der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 34 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 402 zu Petitionen Drucksache 18/10887 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen keine. Diese Sammelübersicht ist wieder einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 403 zu Petitionen Drucksache 18/10888 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Gegen die Fraktion Die Linke – Enthaltungen keine – ist diese Sammelübersicht angenommen. Tagesordnungspunkt 34 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 404 zu Petitionen Drucksache 18/10889 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ist diese Sammelübersicht angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes Drucksachen 18/10455, 18/10821, 18/10924 Nr. 1.18 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/11005 Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11005, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10455 und 18/10821 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung ist, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. – Wenn jemand dagegen ist, hätte er jetzt Gelegenheit dazu, sich zu erheben. – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Gibt es auch nicht. Damit ist dieser Gesetzentwurf angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolutionen 2100 (2013), 2164 (2014), 2227 (2015) und 2295 (2016) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014, 29. Juni 2015 und 29. Juni 2016 Drucksachen 18/10819, 18/10967 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10988 Über die Beschlussempfehlung zu diesem Vorhaben werden wir später namentlich abstimmen, und zwar ziemlich genau in 38 Minuten, wenn sich alle an die Redezeiten halten, die nach den Vereinbarungen der Fraktionen für sie vorgesehen sind. – Widerspruch dagegen kann ich nicht erkennen, also verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Petra Ernstberger für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Petra Ernstberger (SPD): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie der Herr Präsident gerade erklärt hat, stimmen wir heute über die Fortsetzung, aber auch die Erweiterung der Beteiligung bewaffneter Streitkräfte an der UN-Mission MINUSMA in der Republik Mali ab. Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, meine Anerkennung, aber auch meinen Dank an all unsere Streitkräfte, die dort bisher Dienst getan haben, auszudrücken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Konflikt in Mali ist alt, und er ist klassisch. Es geht um die Verteilung von Ressourcen – Land, Wasser – vor allem zwischen den Bevölkerungsteilen, die sich mit Viehzucht oder Ackerbau auseinandersetzen. Als im Jahr 2012 der damalige Präsident Touré durch einen Militärputsch gestürzt wurde, fiel das Land ins Chaos und in eine permanente Sicherheitskrise. Gerade in den Landesteilen im Norden herrscht ein eklatantes Defizit an verlässlicher Staatlichkeit. Rebellengruppen und Milizengruppen fragmentieren immer mehr, rivalisieren untereinander und bekämpfen einander. Sie haben aber große Teile des Nordens unter Kontrolle. Deswegen stehen dort täglich Konflikte auf der Tagesordnung. Wellen von Gewalt überschwemmen das Land. Und wer leidet? Wie immer die Zivilbevölkerung. Die Fortschritte in dem bereits existierenden Friedensprozess werden einfach zurückgeworfen. Aber noch alarmierender ist, dass die Rechtlosigkeit und die Gewalt nun auch in Zentralmali angekommen sind. Ausläufer der Krise haben bereits Nachbarstaaten wie Burkina Faso und Niger erreicht. Diese immer wieder aufflammenden Rebellenkonflikte, die terroristischen Anschläge und auch die organisierte Kriminalität in Mali entwickeln sich zu einem Krisenherd, der die ganze Sahelregion gefährden kann. Die malischen Sicherheitsstrukturen sind im Moment noch relativ schwach. Sie können dieser Entwicklung mit ihren Kapazitäten keinen Einhalt gebieten. Deswegen ist die Aufrechterhaltung des UN-Mandats und der UN-Mission MINUSMA für die Stabilität dieser Region absolut unerlässlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch wir Deutsche wollen mit unseren Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr unser bereits seit 2013 aktives Engagement in dieser Region fortsetzen. Wir wollen nämlich Mali zu einer friedlichen Zukunft verhelfen. MINUSMA hat dabei ein Ziel für absolut erklärt, nämlich: Der von der internationalen Gemeinschaft unterstützte Stabilitätsprozess soll es der Republik Mali möglichst bald ermöglichen, langfristig auf eigenen Beinen zu stehen. Der Friedensvertrag, den die malische Regierung im Sommer 2015 mit den zwei wichtigsten Rebellengruppen geschlossen hat, bietet dafür mit all den Maßnahmen, die er beinhaltet, eine gute Basis. Leider, wie gesagt, geht es mit dem Vertrag jedoch nur sehr schleppend voran. Aber er ist abgeschlossen. Gerade die Kämpfe in der Tuareg-Hochburg Kidal und um wichtige Schmugglerrouten im Norden des Landes haben die malische Bevölkerung allerdings überhaupt nicht zur Ruhe kommen lassen. Je länger die Umsetzung des Friedensvertrages dauert, desto mehr haben Terroristen, kriminelle Banden und Rebellen in Mali und der gesamten Sahelzone die Möglichkeit, sich auszubreiten. Das muss verhindert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Politisch und zivil unterstützt Deutschland Mali bereits seit etlichen Jahren mit einer Vielzahl an bilateralen Entwicklungsprojekten in dieser Region. Die Verfassungsreform, die eine Dezentralisierung der Regierungsstrukturen und eine Entwicklung aller Regionen Malis vorsieht, ist dringend nötig. Dabei steht den Autoritäten in Mali unser Max-Planck-Institut als Unterstützung und als Berater zur Verfügung. Das Auswärtige Amt unterstützt zudem das Ministerium für Versöhnung, den Hohen Beauftragten für den Friedensprozess sowie weitere malische Friedensinstitutionen. In Projekte der humanitären Hilfe für Mali und seine Nachbarländer hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr 26,5 Millionen Euro investiert. Man muss nämlich bei den Wurzeln des Konfliktes ansetzen. Einige Beispiele: Ein Basketballplatz für Jugendliche, der von Dschihadisten zerstört worden war, wurde wieder aufgebaut, eine Straße wurde gebaut, Brunnen wurden gebohrt. Dafür möchte ich auch der GIZ ganz herzlich danken, die dort hervorragende Arbeit leistet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber all das können wir nicht ohne militärische Unterstützung leisten, mit der wir zum Schutz der Bevölkerung beitragen. Dazu brauchen wir auch die Aufstockung unseres Mandates; denn wir haben inzwischen von den Niederländern acht Hubschrauber übernommen, die dazu dienen, die Protektion zu unterstützen. Für diese Hubschrauber brauchen wir mehr Soldatinnen und Soldaten. Weil es in diesem Land ohne eine solche militärische Flankierung keine friedliche Entwicklung geben kann, werden wir heute dem Antrag zustimmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Niema Movassat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute entscheiden wir über die Fortführung und Erweiterung der Bundeswehrbeteiligung an der UN-Mission MINUSMA in Mali. Die Bundesregierung will die Zahl der Soldaten auf 1 000 aufstocken. Die Mali-Mission wäre damit der größte laufende Bundeswehreinsatz, selbst größer als der Einsatz in Afghanistan. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und sinnvoller!) Auch Transport- und Kampfhubschrauber sollen jetzt zum Einsatz kommen. Die Linke wird dazu heute klar Nein sagen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte Ihnen gerne fünf Gründe nennen, warum wir das tun: Erstens. Die Parallelen zum gescheiterten Afghanistan-Einsatz sind erschreckend. Laut dem Wehrbeauftragten ist der Einsatz in Mali sogar so gefährlich wie seinerzeit der NATO-Kampfeinsatz gegen die Taliban. So wie in Afghanistan haben Sie die Bundeswehr Stück für Stück in eine offensive Kampfoperation geschickt. In Mali fing es mit 20 deutschen Soldaten an, jetzt sind wir bald bei 1 000. Im Mandatstext ist nun vom „aktiven Schutz des Mandats … durch das Bekämpfen asymmetrischer Angriffe“ die Rede. Um es auf den Punkt zu bringen: Das ermöglicht es, mit Kampfhubschraubern aktiv Krieg zu führen. Ich frage mich: Was ist der nächste Schritt bei dieser Salamitaktik? Kampfflugzeuge? Sie sind schon wieder dabei, sich kopf- und planlos in den nächsten langwierigen Krieg zu verstricken. Dazu kann man nur Nein sagen. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Der Einsatz ist teuer und bringt nichts. Vor drei Jahren versprachen Sie uns, die Terrorgefahr in Mali durch die Militärmission zu verringern. Leider haben Sie einmal mehr außer Acht gelassen: Terror kann man mit Krieg nicht besiegen. MINUSMA ist eine Mission voller Konstruktionsfehler. Der UN-Untergeneralsekretär für Blauhelmmissionen, Hervé Ladsous, erklärte kürzlich, dass die politischen Grundfragen nicht geregelt sind. Die Mission hat zwar die Unterstützung der dortigen Regierung, aber nicht der Bevölkerung. Bei Friedensdemonstrationen im nordmalischen Gao stand auf Plakaten: „Nieder mit MINUSMA“. Den Unmut der Bevölkerung bekommen die deutschen Soldaten zu spüren. Sie werden immer mehr zur Zielscheibe. Denn für die Kombattanten ist Deutschland Konfliktpartei. Auch deutsche Soldaten zweifeln am Sinn des Einsatzes. Dem Magazin Loyal des Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr sagte ein Bundeswehrsoldat, der in Mali ist: … meinen Verwandten daheim kann ich nicht erklären, warum ich in Mali bin und was wir hier erreichen wollen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr selektiv rausgepickt haben Sie das!) Das sollte all denjenigen, die heute zustimmen wollen, zu denken geben. (Beifall bei der LINKEN) Drittens. Sie flankieren Ihre Rohstoffpolitik zunehmend militärisch. Im Weißbuch der Bundeswehr steht zum Thema Rohstoff- und Energiesicherheit, Deutschland müsse „flexibel Elemente seines außen- und sicherheitspolitischen Instrumentariums einsetzen, um Störungen oder Blockaden … zu beseitigen“. Anders gesagt: Sie wollen auch militärische Mittel zur Sicherung des Rohstoffbedarfes einsetzen. Der Link zu MINUSMA ist offensichtlich. So schrieb die Wirtschaftswoche, die wahrlich kein linkes Blatt ist, schon 2013: Die einzigen bekannten und strategisch wichtigen europäischen Interessen in der Region sind die Uran- und Ölvorkommen in Mali und die französischen Uranminen im angrenzenden Niger. Die Grenzen zwischen beiden Ländern existieren sowieso nur auf dem Papier. Frankreichs enormer Bedarf an Uran wird zu einem Drittel aus dem Niger gedeckt. Und Deutschland? Deutschland ist immer noch einer der größten europäischen Atomstromproduzenten und erhält sein Uran wiederum aus Frankreich. Es ist nicht schwer, hier eins und eins zusammenzuzählen. Seit Jahren bauen Sie die Bundeswehr um. Sie soll in die Lage versetzt werden, offensive Kampfoperationen in unwirtlichen, rohstoffreichen Gebieten zu führen. Mali dient hier auch als Übungsfeld. Das lehnt die Linke ab. (Beifall bei der LINKEN) Viertens. Ihr Umgang mit Mali ist voller Doppelstandards. Die EU und Deutschland machen Länder wie Mali zu Erfüllungsgehilfen ihrer Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge. MINUSMA spielt hier auf zwei Arten eine wichtige Rolle. Einerseits werden Menschen, die versuchen, über Mali nach Europa zu gelangen, häufig von MINUSMA-Soldaten verhaftet und an die Gendarmerie übergeben – sie landen dann erst einmal bis zu sechs Monaten im Gefängnis –, und andererseits hilft die europäische Militärpräsenz, eine Drohkulisse gegenüber der malischen Regierung aufzubauen. (Zuruf von der CDU/CSU: Meine Güte!) Sie wollen sie zur Kooperation bei Abschiebungen und Migrationskontrolle zwingen. Das hat die EU-Kommission recht unverblümt gesagt. Dabei ist Mali so unsicher, dass die deutschen Soldaten dort die maximale Risikopauschale erhalten. Aber um Flüchtlinge dorthin abzuschieben, soll es sicher genug sein? Das ist einfach nur zynisch. (Beifall bei der LINKEN) Fünftens. Die Ursache für den Dauerkonflikt in Mali packen Sie nicht an: die desaströse wirtschaftliche Lage. Armut und Perspektivlosigkeit im Norden Malis sind die Gründe dafür, dass sich junge Menschen den Separatisten und Islamisten anschließen. Sie müssen die sozialen Ursachen des Terrors bekämpfen, statt immer mehr Soldaten in alle Welt zu schicken. Das wäre der richtige Weg. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Henning Otte hat als nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Henning Otte (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschließen heute die Verlängerung und die Ausweitung des MINUSMA-Mandates in Mali. Wir waren als Abordnung von Parlamentariern gemeinsam mit unserer Bundesverteidigungsministerin erst kürzlich in Mali, und wir haben uns vor Ort selbst ein Bild davon gemacht, wie groß die Herausforderungen sind, die auf unsere Soldatinnen und Soldaten zukommen. Es gibt Belastungen vor Ort, aber auch für die Familien zu Hause. Das haben wir sehr wohl im Blick. Deswegen ist es wichtig, deutlich zu machen, warum der Einsatz in Mali für die Sicherheit Deutschlands und Europas von besonderer Bedeutung ist. Ich möchte – schon allein aus Höflichkeit – kurz auf meinen Vorredner eingehen. Man kann sich nur wundern: Sie konstruieren hier eine Reihe von Argumenten. Sie verunglimpfen damit den guten Ansatz der Leistungen vor Ort, und Sie verkennen völlig die Verantwortung, die wir Parlamentarier in Deutschland für die Sicherheit unseres Landes, Europas und auch für die Sicherheit Nordafrikas haben. Das war keine Parlamentsrede, das war eine parteiideologische Rede. Man kann nur sagen: Thema komplett verfehlt! (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) Wir haben in den letzten Jahren zunehmend erkannt, dass wir unser Engagement verstärken und mehr Verantwortung übernehmen müssen, um die Konflikte dort einzudämmen, wo sie entstehen; denn ansonsten spüren wir die Auswirkungen dieser Konflikte auch hier bei uns: in Form von Terror, aber auch in Form von Menschen, die vor Terror fliehen. Deswegen sagen wir als CDU/CSU-Fraktion und auch als Koalition: Dieser Einsatz ist notwendig. Wir verlängern dieses Mandat. Meine Damen und Herren, Mali hat eine Schlüsselfunktion im Norden Afrikas für die gesamte Sahelregion – das ist schon angesprochen worden –, insbesondere für die Nachbarstaaten Mauretanien, Burkina Faso und Niger. Deswegen ist es wichtig, herauszustellen, dass der Niger, aber auch Mali für Gesamtwestafrika als Transitland – über Libyen und das Mittelmeer – in Richtung Europa bedeutsam sind. Deswegen ist es so wichtig, gemeinsam mit den Regierungen vor Ort den Terror von Boko Haram, Tuareg-Rebellen oder islamistischen Milizen zu bekämpfen, meine Damen und Herren. Das ist notwendig, und diese Verantwortung übernehmen wir. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit dieser Stabilisierungsmission MINUSMA als Mandat der Vereinten Nationen, begleitet von der europäischen Ausbildungsmission EUTM, aber auch in Zusammenarbeit mit ECOWAS, der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten, verfolgen wir gemeinsam das Ziel, auch in Mali Stabilität und Sicherheit erreichen. Dennoch sage ich: Die Lage ist weiterhin fragil; sie bedarf unserer besonderen Aufmerksamkeit. Der Zusammenbruch von Mali hätte eine extrem negative Kettenreaktion mit unvorhersehbaren Folgen auch für Europa zur Folge. Deshalb müssen wir erreichen, dass das Land dauerhaft stabilisiert wird, damit Migrationsbewegungen gar nicht erst stattfinden und vor allem der Terror bekämpft wird. Da ist der Einsatz der Bundeswehr, eingebunden in die afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung, ein ganz wesentlicher Baustein. Der vom Entwicklungsminister initiierte Marshallplan mit Afrika ist ein weiterer Baustein. Die Vernetzung all dieser Dinge soll dazu beitragen, dass wir Stabilität erreichen. Dafür übernehmen wir als Koalition Verantwortung und stimmen dem Mandat heute zu. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir weiten den Einsatz aus. Bisher waren 600 Soldatinnen und Soldaten dort und haben Aufklärungsmissionen durchgeführt, um ein Lagebild zu gewinnen. Das verlangt auch Leib und Seele viel ab. Wir erweitern jetzt auf 1 000 Soldatinnen und Soldaten, um Hubschrauberkapazitäten zur Verfügung zu stellen. Die niederländischen Soldaten beenden ihren Auftrag jetzt vereinbarungsgemäß, und wir ersetzen sie. Wir sorgen für die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten, indem ein gemischter Heeresfliegerverband unter der Leitung des Transporthubschrauberregiments aus Faßberg und Niederstetten, aber auch ein Kampfhubschrauberanteil aus Fritzlar eingesetzt werden. Damit wird verdeutlicht: Wir wollen für die Lebensversicherung unserer Soldatinnen und Soldaten das Maximale tun. Diese Herausforderung nehmen wir an. Ich freue mich, dass heute auch der Bürgermeister der Gemeinde Faßberg, Frank Bröhl, aus Interesse für seine Soldatinnen und Soldaten und Gemeindemitglieder auf der Tribüne Platz genommen hat und auch der Generalarzt als Inspekteur des Sanitätswesens heute hier ist. Meine Damen und Herren, das zeigt auch: Wir haben die Unterstützung vonseiten der Kommunalpolitik und der Streitkräfte, binden diese in unsere Verantwortung mit ein und machen so deutlich: Wir unterstützen unsere Soldatinnen und Soldaten. Wir geben ihnen volle Rückendeckung. Wir helfen ihnen auch, wenn sie in Bedrängnis sind. Deswegen ist es gut, dass die Koalition heute diese Verantwortung gemeinsam für unsere Sicherheit übernimmt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Einsatz ist herausfordernd, er ist auch gefährlich. Das zeigen die Erfahrungen mit Anschlägen vor Ort; das zeigt auch der Anschlag vom 18. Januar. Aber auch die klimatischen Bedingungen und das unbekannte Terrain, aber vor allem die Raumsituation im Lager sind Herausforderungen. Deswegen ist es gut, dass es einen Auslandsverwendungszuschlag in der höchsten Stufe, der Stufe 6, gibt. Das ist Ausdruck von Verantwortung, und ich bin insbesondere unserer Bundesverteidigungsministerin für die klare Haltung in dieser Angelegenheit – auch aus Fürsorge für unsere Soldatinnen und Soldaten – dankbar. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir bauen auf den in internationalen Einsätzen gesammelten Erfahrungen auf und fordern daher eine klare Ablöseregelung für unseren intensiven Hubschraubereinsatz. Wir sagen aber auch: Wir müssen die Belastungen im Heimat- und Grundbetrieb möglichst minimieren; denn wir müssen voraussichtlich mehr für die Sicherheit unseres Landes und Europas sowie für ein stabiles Europa tun, indem wir auch Konfliktsituationen dort eindämmen, wo sie entstehen. Wir haben die dafür notwendigen finanziellen, materiellen und auch personellen Trendwenden eingeleitet. Der Verteidigungshaushalt wird erhöht, um die Mittel dafür zu haben, dass wir uns auch zukünftig so erfolgreich für Frieden, für Freiheit und für Sicherheit einsetzen können. Dazu sind wir zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger verpflichtet, aber auch aufgrund unserer Verantwortung für Nordafrika. Deswegen stimmen wir als CDU/CSU-Fraktion diesem Mandat heute aus voller Überzeugung zu. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Petra Ernstberger [SPD]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Agnieszka Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann ihn nicht mehr hören und lesen, diesen Vergleich zwischen Mali und Afghanistan. Ich finde ihn ignorant, ich finde ihn populistisch und auch falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei allem Verständnis dafür, dass man in der politischen Debatte auch mal zuspitzen muss: Man kann doch nicht eine Friedensmission der Vereinten Nationen unter ziviler Leitung mit starken zivilen und polizeilichen Elementen, deren Auftrag es ist, die Umsetzung eines Friedensabkommens zu überwachen und einen Versöhnungsprozess zu begleiten, mit dem Label „Krieg“ versehen, sie als Konfliktpartei bezeichnen und mit einer NATO-Mission in Afghanistan vergleichen, die in ihrer schärfsten Phase Terroristen bekämpft hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es wäre ja wünschenswert, dass es in Afghanistan auch ein Friedensabkommen gibt, das man überwachen könnte; aber in Mali gibt es das, und das ist doch ein zentraler Unterschied. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Ich will nichts schönreden. Die Lage in Mali ist alles andere als gut und rosig. Das zeigen die hohe Zahl von Todesopfern und die vielen grausamen Anschläge, die dort von extremistischen Gruppierungen verübt werden, die gerade diesen Friedensprozess torpedieren und zerstören wollen. Aber auch die malische Regierung, ihr nahestehende Milizen und die Rebellengruppen aus dem Norden spielen immer wieder auf Zeit. Sie suchen den eigenen Vorteil und versuchen, sich ein Stück weit aus diesem Friedensabkommen herauszubewegen. Das kennen wir doch auch aus anderen Konflikten. Am Verhandlungstisch bekennen sich alle Konfliktparteien natürlich immer zu den Vereinbarungen; aber wenn es konkret wird, versuchen sie, auszuweichen. Da leistet die Bundeswehr mit ihren Aufklärungsfähigkeiten einen unheimlich wichtigen Beitrag, indem sie genau überprüft: Wer hat wann welchen Verstoß gegen dieses Friedensabkommen begangen? Das ist wirklich ganz zentral, damit diese Mission Erfolg haben kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Mit dem neuen Mandat, das wir heute hier beraten, werden zusätzlich Hubschrauber bereitgestellt. Das ist notwendig geworden, weil die Niederländer diese Fähigkeiten aus der Mission abziehen. Es geht darum, dass die Konvois, die ja immer wieder Ziel von Angriffen werden, geschützt werden. Es geht aber auch darum, Verwundete transportieren und retten zu können. Ich bin mir sicher, dass hier parteiübergreifend kein Abgeordneter einem Einsatz zustimmen würde, bei dem die Rettungskette für die Soldatinnen und Soldaten nicht gesichert ist. Auch von daher ist es richtig, dass Deutschland sich bereit erklärt hat, diese Mission in Zukunft mit dieser sehr kritischen Fähigkeit zu unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich würde mir wünschen – das ist auch angesichts der dramatischen Materiallage bei den deutschen Hubschraubern wichtig –, dass auch andere westliche Nationen qualifiziertes Personal und mehr Hochwertfähigkeiten zur Verfügung stellten, damit die Friedensmissionen der Vereinten Nationen ihre Aufträge in vielen Krisengebieten dieser Welt wirklich erfüllen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so falsch ich diesen simplen Vergleich mit Afghanistan finde, so wichtig und richtig ist es doch, Lehren aus den Fehlern zu ziehen, die man in Afghanistan gemacht hat, und diese Fehler in anderen Einsätzen nicht zu wiederholen. Ich will auf zwei Beispiele eingehen: Ich glaube, das Beispiel Afghanistan hat gezeigt, wie wichtig es ist, auf den politischen Prozess zu achten und in diesen unheimlich viel zu investieren. Am Ende kann man Konflikte eben nicht mit Militär, nicht mit Soldatinnen und Soldaten lösen. Dazu bedarf es einer besseren Abstimmung der vielen Akteure in Mali, und es braucht auch mehr Druck, um alle Konfliktparteien in die Pflicht zu nehmen, damit sie sich an dieses Friedensabkommen halten. Ich wundere mich schon ein bisschen über die Bundesregierung, die auf einmal große Kraft entfalten und Druck ausüben kann, wenn es um Fragen von Migration und Rücknahmeabkommen geht, aber leise auftritt, wenn es beispielsweise darum geht, Korruptionsbekämpfung oder die Umsetzung des Friedensprozesses einzufordern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann Fluchtursachen auch nicht mit den härtesten Rücknahmeabkommen bekämpfen, sondern nur, indem man alles tut, um bestimmte Voraussetzungen für Sicherheit, Stabilität und Frieden in der Konfliktregion herzustellen. Eine Lehre aus Afghanistan ist für mich Folgendes: Es gibt nie eine Erfolgsgarantie für einen Einsatz. Deshalb beraten wir ja auch Jahr für Jahr über die Mandate. Das darf auch nicht zu einem reinen Selbstzweck werden, sondern wir müssen Jahr für Jahr immer wieder prüfen: Wie sieht denn die Lage aus? Wie groß ist denn die Chance? Gibt es noch ein Zeitfenster für eine politische Lösung? Denn am Ende des Tages können wir die Akteure vor Ort nicht dazu zwingen, einen Friedensprozess durchzuführen. Wir können sie dabei nur unterstützen und in die Pflicht nehmen. Ich glaube, es gibt noch eine Chance in Mali. Es gibt noch einen Hoffnungsschimmer. Ohne die Friedensmission der Vereinten Nationen würde es dieses Friedensabkommen wahrscheinlich überhaupt nicht geben. Es gäbe niemanden, der die Konfliktparteien in die Pflicht nimmt. Das Zeitfenster für einen Versöhnungsprozess, für eine politische Lösung wäre viel kleiner. Deshalb werden wir Grüne dieser Mission heute mit großer Mehrheit zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mich beschäftigt im Zusammenhang mit dem Bundeswehreinsatz in Mali heute ein einziger Punkt. Es geht mir um einen vermeintlichen Widerspruch, um eine Forderung auf der einen Seite und einen Vorwurf auf der anderen Seite. Die Forderung lautet: Fluchtursachen müssen endlich konsequent bekämpft werden. So titelte auch heute wieder der Weser-Kurier. Der Vorwurf lautet: Unter dem Vorwand der Bekämpfung der Fluchtursachen verfolgt ihr egoistische Ziele. Es geht euch eigentlich nur darum – das hat auch Herr Movassat wieder gesagt –, Abschottungspolitik zu betreiben, Flüchtlinge davon abzuhalten, nach Europa, nach Deutschland zu kommen, oder Rohstoffe zu sichern. – Dieser Widerspruch zieht sich durch viele Diskussionen. Der Vorwurf lautet, dass wir nicht den Mensch in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen. Meine Rede befasst sich daher mit der Frage: Steht der Mensch im Mittelpunkt oder unser Egoismus? Ich sage ganz klar: Es geht natürlich um den Menschen. Es geht um die Menschen in Mali. Sie sollen in ihrer Heimat eine Zukunft haben. Sie sollen Überlebenschancen haben. Sie sollen Sicherheit haben und vor Terrorismus geschützt werden. Für sie sollen natürlich auch die Menschenrechte gelten, die für uns so selbstverständlich sind. Genau deshalb brauchen wir die Mission MINUSMA. Sie ist wichtig für Mali. Dies möchte ich an drei Punkten – es sind keine kleinen Punkte, aber ich muss mich kurzfassen – darlegen. Durch den vernetzten Einsatz ziviler und militärischer Kräfte kann der Hunger bekämpft werden, können Krankheiten bekämpft werden und können Bildung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sichergestellt und gewährleistet werden. All das ist nur möglich, wenn es Sicherheit gibt, wenn es Schutz vor Terroristen gibt. Zur Bekämpfung von Hunger. 180 000 malische Kinder leiden unter Mangelernährung. Nur 77 Prozent der Bevölkerung haben regelmäßig Zugang zu Trinkwasser. Deutschland sorgt mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft, Trinkwasserversorgung und Abwasser für eine Verbesserung dieser Situation. (Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist den Linken völlig egal!) Die „Aktion gegen den Hunger“ der Deutschen Welthungerhilfe half 2014 über 800 000 Menschen. Dies ist und war ohne die Schaffung von Sicherheit und Ordnung, ohne den Einsatz unserer Truppen bzw. der Truppen der Vereinten Nationen nicht möglich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch die Bekämpfung von Krankheiten wäre nicht möglich, wenn es keine Sicherheit gäbe. Die Lebenserwartung in Mali liegt bei 58 Jahren. Besonders wichtig ist der Kampf gegen Malaria. Ärzte ohne Grenzen gelang es 2015, 190 000 Kindern Antimalariamedikamente zu verabreichen. All das wäre nicht möglich, Herr Movassat, wenn wir das täten, was Sie möchten. Sie denken, Sie seien schlauer als die 16 Nationen, die sich an diesem Einsatz beteiligen. Auch örtliche Krankenhäuser müssen natürlich unterstützt werden, Impfungen müssen durchgeführt werden. Dabei muss es einen Schutz vor Gewaltausbrüchen geben. Deswegen ist der Einsatz der Hubschrauber auch so wichtig; denn nur so kann man im Notfall Verletzte ausfliegen und Hilfskonvois begleiten. Außerdem brauchen wir gerade in einem solchen Land – das ist das Gute an diesem vernetzten Einsatz – Bildung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Da beteiligt sich Deutschland an einem Kommunalentwicklungsfonds und stellt den Bau von Schulen und Infrastruktur sicher. All das könnte nicht gemacht werden, Herr Movassat, wenn es nach Ihnen ginge. Ich möchte einmal wissen, worin eigentlich Ihre Alternativen zu diesem Bundeswehreinsatz liegen. Das Kinderhilfswerk Dritte Welt hat seit 1995 immerhin 20 Schulen gebaut. Noch besuchen 60 Prozent der schulpflichtigen Kinder keine Grundschule. Der Bau von Schulen ist also wichtig, und wenn wir es nicht tun, dann besteht die große Gefahr der weiteren Radikalisierung. Wir wissen, wie diese voranschreitet. Es ist ja schon beschrieben worden, wie sich der Terror in diesem Land zurzeit darstellt. Ich will schließen – die Präsidentin macht mich auf die Redezeit aufmerksam – mit einem Zitat von UN-Generalsekretär Guterres, der nach dem dramatischen Anschlag in Gao, bei dem es über 70 Tote gab, Folgendes sagte: Nach dieser verabscheuungswürdigen Tat sind wir noch entschlossener, die malische Bevölkerung, die Regierung und die Unterzeichner der nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen bei ihrem Einsatz für Frieden, ihrem Kampf gegen den Terrorismus und dem Friedensabkommen zu unterstützen. Deshalb halten wir fest: Ohne Sicherheit keine Strukturen, ohne Strukturen keine Schulen, ohne Schulen keine Bildung, und ohne Bildung haben Terrorismus und Islamismus weiterhin ein leichtes Spiel. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen, und deshalb brauchen wir die Mission. Wir sollten die Soldaten nicht verunsichern, sondern ihnen an dieser Stelle danken, dass sie bereit sind, in diesen gefährlichen Einsatz zu gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dirk Vöpel hat als nächster Redner für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dirk Vöpel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden gleich nicht nur darüber, ob wir die deutsche Beteiligung an der MINUSMA-Friedensmission der Vereinten Nationen um ein weiteres Jahr verlängern. Wir entscheiden auch darüber, ob wir das Mandat der Bundeswehr in Mali zum zweiten Mal in Folge substanziell erweitern, in quantitativer, aber vor allem in qualitativer Hinsicht. Mit der Aufstockung der Personalobergrenze von 650 auf 1 000 Soldatinnen und Soldaten, der Übernahme der Rettungskette von unseren niederländischen Freunden sowie der Verlegung von vier Kampfhubschraubern wird dies dann der aktuell bedeutendste Auslandseinsatz der Bundeswehr sein. Derzeit kommen viele schlechte Nachrichten aus Mali. Wir erleben in den letzten Monaten ein Wiederaufflammen des Terrors, auch im vermeintlich sicheren Süden und in der Mitte Malis. Seit Januar 2016 zählt die Gesellschaft für bedrohte Völker 411 Terroropfer, darunter 209 Zivilisten. Seit Juli letzten Jahres wurden 16 MINUSMA-Angehörige getötet und 57 verletzt. Ende November kam es am Flughafen von Gao bereits zu einer Autoexplosion, bei der glücklicherweise niemand zu Schaden kam. Zum bisher blutigsten Höhepunkt kam es in der letzten Woche, als ein Selbstmordanschlag auf ein malisches Militärcamp in Gao mindestens 77 Tote und 115 Verletzte forderte. Standen bisher vor allem Soldaten der malischen Armee, UNO-Blauhelme oder französische Soldaten der Operation Barkhane im Fadenkreuz der Terroristen, zielte der Anschlag in Gao direkt auf eine der Säulen des Friedensvertrages von 2015. In dem Abkommen wurde die Aufstellung neuer Truppenverbände zur gemeinsamen Durchführung von Patrouillen im Norden Malis vereinbart. Diese sogenannten MOC-Bataillone sollen zu je einem Drittel aus Soldaten der malischen Armee, Angehörigen regierungsnaher Milizen und ehemaliger Tuareg-Rebellen gebildet werden. Ziel ist nicht nur eine wirksamere Bekämpfung der Terroristen in ihren Hochburgen im Norden Malis durch ortskundige Kämpfer. Durch die miteinander geteilte Ausbildungs- und Einsatzerfahrung soll zwischen den bisher verfeindeten Gruppen Vertrauen entstehen. Langfristig sollen diese Bataillone in die regulären malischen Streitkräfte überführt werden. Lange Zeit wurde die Aufstellung dieser Verbände insbesondere von den Tuareg boykottiert. Erst gegen Ende des letzten Jahres konnten sich die Exrebellen endlich dazu durchringen, die gemeinsamen Patrouillen aufzunehmen. Der schreckliche Autobombenanschlag der letzten Woche richtete sich exakt gegen das Militärlager und die Angehörigen des ersten neuen Bataillons, das jetzt mit dem Einsatz beginnen sollte. Ziel, Zeitpunkt und Ort des Angriffes waren mit großer Präzision und vermutlich auch Insiderwissen gewählt. Er galt einem noch wenig belastbaren Tragpfeiler des Friedensabkommens, erfolgte nur wenige Tage nach dem Frankreich-Afrika-Gipfel in Bamako und wurde in der malischen Stadt mit der stärksten Militärpräsenz verübt. Die Dschihadisten haben Schlagkraft demonstriert. Aber sie haben mit dem gleichen Blut zu Protokoll gegeben, dass sie die neuen gemeinsamen Patrouillen für eine reale Bedrohung halten. Die internationale Gemeinschaft muss deshalb darauf drängen, dass dieses Projekt jetzt noch entschlossener weiterverfolgt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeswehr beteiligt sich in Mali erstmals in so großem Umfang an einer landgestützten UNO-Friedensmission. Mit dem Einsatz der Aufklärungssysteme LUNA und Heron 1 sowie der befristeten Übernahme der luftgestützten Rettungskette stellt Deutschland Hochwertfähigkeiten zur Verfügung, auf die eine Mission wie MINUSMA elementar angewiesen ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das personelle Rückgrat der UN-Friedensmissionen bilden nach wie vor die vielen Blauhelmsoldaten aus Entwicklungsländern wie beispielsweise Bangladesch. Diese verfügen aber nicht über die für solche Einsätze erforderlichen Hochtechnologiekomponenten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer eine starke UNO will, der muss auch seinen Beitrag leisten. Wir werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte spricht Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig, ihre Gespräche einzustellen und dem Kollegen zuzuhören. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das lohnt sich! – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da kann man noch etwas lernen!) Das ist auch ein Gebot der Fairness, des Umgangs untereinander. – Herr Brandl, Sie haben das Wort. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will Ihnen vier Gründe nennen, warum wir diesem Mandat gleich zustimmen sollten. Der erste Grund ist: Mali liegt mitten in dem Pulverfass Sahelzone. Die Sahelzone erstreckt sich durch ganz Afrika, vom Senegal im Westen bis hinüber nach Äthiopien im Osten. Keines dieser Länder ist bisher Ausgangspunkt für Migration. Aber in fast allen dieser Länder schwelen interne Konflikte, sei es aufgrund von Separatistenbewegungen oder durch den in den letzten Jahren verstärkten islamischen Terrorismus. Wir haben ein hohes sicherheitspolitisches Interesse, diese Region zu stabilisieren. Ich will es bildlich ausdrücken: Wenn uns der Sahel zerbröselt, dann bricht ganz Nordafrika weg, und dann gibt es kein Halten mehr. Der zweite Grund: Mali ist Schwerpunktland deutschen Engagements in Afrika. Wenn wir in einem Land einen Beitrag zur Stabilisierung des Sahel leisten können, dann ist es in Mali. Das MINUSMA-Mandat, über das wir heute abstimmen, ist ja nur ein Baustein. Wir sind engagiert bei EUTM Mali, der EU-Ausbildungsmission. Wir stellen zum Beispiel bei der Polizeimission der EU, EUCAP Sahel Mali, den Leiter. Wir sind seit vielen Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit engagiert, in der zivilen Krisenprävention und bei humanitärer Hilfe. Durch diese Schwerpunktsetzung und durch die langjährige Erfahrung haben wir Ansprechpartner und Einfluss in diesem Land. Die Bundeskanzlerin war erst vor wenigen Monaten zu Gesprächen in Mali, und mit unserer Beteiligung an MINUSMA stärken wir den Einfluss in diesem Land. Der dritte Grund: MINUSMA ist eine Mission der Vereinten Nationen. Wir haben in diesem Saal oft darüber gesprochen, dass wir uns stärker bei VN-Friedensmissionen engagieren müssen. Wir sind ja spitze darin, Ansprüche zu formulieren. Wir sind auf Platz 4 bei den Beitragszahlern, aber immer noch auf Platz 46 bei den Truppenstellern der VN-Missionen. Mit der Erweiterung des Mandats, die wir heute beschließen, leisten wir einen echten Hochwertbeitrag, den außer uns kaum ein anderes Land in dieser Form leisten kann. Wir stellen Hubschrauber zur Sicherstellung der Rettungskette, und wir liefern Aufklärung, ohne die es überhaupt nicht möglich wäre, in einem Land wie Mali, das dreimal so groß ist wie Deutschland, überhaupt nachzuvollziehen, welche Konfliktpartei sich gerade an welche Vereinbarung des Friedensabkommens hält oder nicht. Deshalb ist dieser Beitrag wichtig. Wir stärken damit die Mission, aber wir stärken auch die Rolle der VN in der Region. Der vierte Grund: MINUSMA schafft Sicherheit in Mali. Ohne MINUSMA wären die malische Regierung und die malischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage, ihre Bevölkerung und die Hilfsorganisationen vor terroristischen Angriffen zu schützen. Es gibt immer noch verschiedene islamisch-terroristische Gruppen, die versuchen, den Friedensprozess zu unterlaufen und die Bevölkerung durch Terroranschläge einzuschüchtern. Auch mit MINUSMA bleibt die Lage in Mali gefährlich. Aber ohne den Stabilitätsanker MINUSMA würde das Land vollkommen ins Chaos abgleiten. Auch für Mali gilt: Ohne Sicherheit kein Frieden, und ohne Sicherheit keine Entwicklung. Das Bittere ist: Mali war in Afrika vor wenigen Jahren noch ein Musterbeispiel für Demokratie. Wir mussten im Herbst 2011, als von Libyen her die bewaffneten Tuareg-Truppen in das Land einfielen, mitansehen, wie die Regierung von Mali nicht in der Lage war, ihr Land und ihr Volk zu schützen, als es darauf ankam. Ich erinnere mich an viele Sondersitzungen, die wir damals hier hatten, auch im Verteidigungsausschuss, und wir mussten mitansehen, wie schnell es in Afrika gehen kann, dass ein Land, das eigentlich auf einem guten Weg war, plötzlich in die Instabilität abgleitet. Wir mussten auch mitansehen, wie schnell ein Konflikt von einem Land – in diesem Fall war es Libyen – auf ein anderes Land übergreifen kann. Damit bin ich wieder bei meinem ersten Punkt: das Pulverfass Sahelzone. Ein Funke kann in dieser Region einen Flächenbrand auslösen. Um das zu verhindern, sind wir in Mali und bei MINUSMA aktiv. Ich bitte um Zustimmung zu dem Mandat. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Ende dieser Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10967, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/10819 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab, und ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie jetzt bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen. – Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen. (Glocke der Präsidentin) – Nun habe ich zum ersten Mal zur Glocke gegriffen, und ich möchte Sie bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich weiß, dass wir jetzt nicht nur eine wichtige Debatte, sondern auch eine wichtige Rede von Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier vor uns haben, der für die Bundesregierung zu Tagesordnungspunkt 6 sprechen wird. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lieber Außenminister, bevor Sie mit Ihrer Rede beginnen können, muss ich noch einige Formalitäten erledigen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte Drucksachen 18/10820, 18/10968 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10989 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung haben wir uns darauf verständigt, 38 Minuten für die Aussprache vorzusehen. – Das ist jetzt auch so beschlossen, weil es keinen Widerspruch gibt. Damit eröffne ich die Aussprache. – Herr Außenminister, Sie haben das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ob Sie es glauben oder nicht: Vor ziemlich genau drei Jahren haben wir hier im Deutschen Bundestag zum ersten Mal über die außenpolitischen Leitlinien der Großen Koalition gesprochen. Ich habe mir meine eigene Rede von damals herausgeholt und bin fast etwas beschämt über die Einschätzungen, die ich wiedergegeben habe. Ich habe damals gesagt, wir müssten mit gewissen Beunruhigungen rechnen. Deshalb könnte man voraussehen, dass die Verantwortung für unser Land steigt. Schauen wir uns die Ereignisse der darauf folgenden Wochen und Monate an, die alle nacheinander einsetzten: Da waren die Unruhen auf dem Maidan, die zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim führten. Da war die Ebolakrise. Da war die neue Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern im Gazastreifen. Da war der erste Aufmarsch der IS-Kämpfer, die sich daranmachten, sich den ganzen Nordirak untertan zu machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das ist nicht in den letzten drei Jahren passiert, sondern das waren die Ereignisse der ersten sechs Monate. Deshalb war der Aufruf zur Übernahme von mehr Verantwortung für Deutschland, den ich damals gemacht habe, keine Trockenübung, sondern das waren Aufgaben, denen wir uns in den ersten Wochen und Monaten dieser Legislaturperiode unmittelbar stellen mussten. Diese Verantwortungsbereitschaft ist vom ersten Tag an getestet worden. Was ich sagen will: Dieses Parlament hat, wie das heute leider in vielen Teilen der Erde in Mode kommt, eben nicht erklärt: abschotten, dichtmachen. Lasst die Welt mit ihren Nöten einfach draußen. – Vielmehr haben Sie alle Ihre Verantwortung ernst genommen. Sie haben danach gehandelt. Dafür will ich mich ganz herzlich bedanken. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Das Mandat und das Engagement im Irak, über das wir reden, steht geradezu beispielhaft für das, was ich meine: für die gewachsene Verantwortung deutscher Außenpolitik. Ich will gerne hinzusetzen: Diese Verantwortung haben wir nicht einfältig als einseitig verstanden. Wir haben immer gewusst: Das kann auch militärische Optionen beinhalten. Wir haben uns aber nicht auf militärische Optionen verengt, sondern einen umfassenden politischen Ansatz versucht. Wir haben gewusst, dass es mit den Mördern des IS nichts zu verhandeln gibt und dass wir deshalb diejenigen unterstützen müssen, die sich dem IS im Norden des Irak entgegenstellen. Wir haben auch gewusst: Wenn man den Irak in dieser schwierigen Lage wirklich festigen will, um dem Terror den Nährboden zu entziehen, dann braucht es viel, viel mehr. Dann braucht es humanitäre Hilfe. Dann braucht es aktive politische Arbeit mit der Zentralregierung. Ein Blick auf die zurückliegenden Jahre zeigt: Der Irak ist ein Beispiel für gewachsene Verantwortung. Aber er ist auch ein Beispiel dafür, wie sehr sich der Instrumentenkasten der Außenpolitik in diesen Jahren entwickelt und kontinuierlich erweitert hat, gerade unter dem Stichwort der Stabilisierung. Wir haben 47 Millionen Euro eingesetzt, mit denen wir heute Schulen und Krankenhäuser wieder instand setzen sowie Strom- und Wasserleitungen wieder funktionsfähig machen. Viele Menschen, die vom IS aus ihrer Heimat vertrieben wurden, haben wir inzwischen mit dieser Hilfe zurückgebracht, zum Beispiel nach Tikrit, Ramadi und Falludscha. Das ist Außenpolitik aus einem Guss. So stelle ich mir das vor. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Nun gibt es, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, hartnäckige Gerüchte, dass dies meine letzte Rede im Deutschen Bundestag sein könnte. (Volker Kauder [CDU/CSU]: In dieser Periode!) Ich fürchte, dass das keine Fake News sind; das haben wir ernst zu nehmen. Deshalb erlauben Sie mir einen Blick zurück auf die letzten drei Jahre. Ich werde dabei meine Redezeit nur um wenige Stunden überziehen. (Heiterkeit) Im Ernst und in aller Kürze: Ja, wir haben in diesen Jahren in der Tat mehr Verantwortung gewagt. Ich bin mir sehr bewusst: Dieses Wagnis wäre nicht geglückt ohne den Deutschen Bundestag und das nicht, weil die Kollegin Barnett und die Kollegen Karl, Leutert und Lindner am Geldhahn sitzen. Ich meine etwas sehr viel Grundsätzlicheres. Mehr Verantwortung, mehr Engagement in der Welt kann nicht von oben verordnet werden, sondern das kann sich nur im Selbstverständnis dieser Gesellschaft herausbilden. Wenn sich die Rolle unseres Landes in der Welt wandelt – das tut sie ja –, dann muss die gesamte Gesellschaft darüber diskutieren. Das sage ich nicht als Mitglied der Regierung, sondern als Abgeordneter des Deutschen Bundestages: Ich bin stolz darauf, dass der Bundestag diese Debatte angeführt hat, dass wir diese Debatte uns selbst und der deutschen Öffentlichkeit – wenn ich das so sagen darf – zugemutet haben. Erstens. Wir haben diskutiert und gestritten über den Weg der Diplomatie gerade im Umgang mit schwierigen Regierungen und bei wachsenden Spannungen. Russland und die Türkei sind hier als Stichworte zu nennen. Zweitens. Wir haben diskutiert über den Ausbau von Mitteln und Möglichkeiten unserer Außenpolitik. Ich danke für die Ausstattung des Auswärtigen Amtes, die in den letzten drei Jahren erheblich gewachsen ist. Wir haben diskutiert über die Instrumente der Außenpolitik. Ich erinnere an die Leitlinien „Zivile Krisenprävention“ – ein Herzensprojekt vieler Kolleginnen und Kollegen hier im Bundestag –, an die Wiederbelebung der Rüstungskontrolle in Europa oder an die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die noch immer unterschätzte dritte Säule der Außenpolitik. Ich bin dem Unterausschuss sowie namentlich Ulla Schmidt, Claudia Roth und Peter Gauweiler und vielen anderen dankbar, dass nicht nur die Bedeutung erkannt worden ist, sondern dass sie uns auch mit Möglichkeiten ausgestattet haben. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich haben wir besonders intensiv und ausführlich über Mandate diskutiert, genauso wie heute. Nirgendwo streiten wir in der Außenpolitik vermutlich so lange und so heftig wie gerade bei den Mandaten. Aber ich will auch einmal sagen: Dass wir in Deutschland um jeden Einsatz militärischer Mittel ringen, ist doch vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte nun wirklich nichts Schlechtes. Sosehr ich mir eine aktive, selbstbewusste deutsche Außenpolitik wünsche: Wir wären sicherlich kein besseres Land, wenn uns die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten sowie Helferinnen und Helfern in Krisenregionen dieser Welt in jedem Fall leicht von der Hand ginge. Deshalb sind diese Debatten in diesem Hause so wichtig. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Krisen und Konflikte, Welt aus den Fugen, das alles haben Sie in den letzten drei Jahren so häufig von mir gehört, dass es viele schon mitsprechen können. Aber 2016/2017 ist etwas ganz anderes. Die größten politischen Erschütterungen kamen nicht mehr aus der Ferne, sondern – ich gebe zu: etwas verkürzt – mehr und mehr aus dem Inneren unserer Gesellschaft: der Paukenschlag des Brexit, die Wahl von Donald Trump in den USA und die jetzt anstehenden Wahlen in den Niederlanden und Frankreich. Dort entscheidet sich die Richtung Europas, die Richtung der internationalen Zusammenarbeit und deshalb auch – davon bin ich überzeugt – die Handlungsfähigkeit unserer Außenpolitik. Ich weiß auch noch nicht, was diese Entwicklung im Einzelnen mit sich bringen wird. Nur eines weiß ich: Wenn die Grenze zwischen innen und außen verschwimmt, dann muss man aufpassen, dass damit nicht auch der Parlamentarismus weggespült wird. Im Gegenteil: Ich glaube – ich weiß –, Sie, die Parlamentarier, müssen die Fährleute zwischen den beiden Ufern von innen und außen sein und müssen es bleiben. Sie müssen hier im Bundestag über deutsches Engagement in der ganzen Welt entscheiden und gleichzeitig – das ist die Herausforderung – dann auch noch zu Hause im Wahlkreis den Menschen erklären, was eigentlich in Russland, in der Türkei oder in Syrien los ist. Ich weiß: Jeder und jede hier trägt die Verantwortung, die Lage der Welt zu erklären, ohne zu vereinfachen, Außenpolitik zu vermitteln, ohne in Schwarz-Weiß-Urteile zu verfallen. Das ist eine schwierige, aber, wie ich finde, auch eine verdammt noble Aufgabe, die wir da haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weil Ihre Aufgabe in Zukunft eher noch wichtiger werden wird, will ich zum Schluss zwei Wünsche loswerden. Erstens, kurz gesagt: Reisen Sie weiter! Außenpolitik, wie ich immer sage, lässt sich eben nicht von der Sofaecke aus machen. Das gilt für Abgeordnete genauso wie für Außenminister. Ich habe mir sagen lassen: Mehr als 2 000 Reisen ins Ausland haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Legislaturperiode unternommen. Das überbietet mein Meilenkonto bei weitem. Das ist gut so. Will sagen: Pflegen Sie die Gesprächskanäle bilateral und in den internationalen Parlamentarierforen von OSZE, Europarat, NATO und mit dem Patenschaftsprogramm, gerade auch dort, wo Demokratie und Parlamentarier bedroht sind. Mein zweiter Wunsch betrifft die Zukunft. Wenn wir gewachsene internationale Verantwortung nicht abschütteln können und hoffentlich auch nicht wollen, dann brauchen wir eben international aufgestellten Parlamentariernachwuchs. Darum will ich auch jeden von Ihnen bitten: Werben Sie bei der nachwachsenden Generation für internationales Engagement. Ermutigen Sie die jungen Leute, über den Tellerrand der deutschen Grenzen, wo immer es geht, hinauszuschauen, und sagen Sie ihnen, dass die Zeit im Ausland keine verlorene Zeit ist, dass sie dadurch eher vorankommen und nicht zurückgeworfen werden. Es ist wichtig, dass wir junge, nachwachsende Abgeordnete haben, die sich in der Welt ein bisschen auskennen und wissen, wie die Welt auf uns schaut. Wir brauchen diesen Nachwuchs in der Außenpolitik. Davon bin ich fest überzeugt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht darf ich mit einer ganz persönlichen Bemerkung abschließen. Ich verlasse dieses Parlament zwar als Mitglied der Regierung, aber mein erster Platz hier – daran wird sich der eine oder andere erinnern – war in den Reihen der Opposition. Es ist auch kein Geheimnis: Als ich 2009 in den Bundestag gewählt wurde, hatte ich es, lieber Thomas, gar nicht so sehr auf deinen Stuhl abgesehen, sondern eher auf den hier vorne auf der Regierungsbank. (Heiterkeit) Die Möglichkeit hat sich nicht ergeben. Ich erinnere mich aber auch an einen großen sozialdemokratischen Parteivorsitzenden, der gesagt hat: „Opposition ist Mist.“ – Nun ist das in der SPD so: Man darf dem Vorsitzenden nicht widersprechen, aber man darf den Satz interpretieren. (Heiterkeit) Wenn die Opposition Mist ist, dann ist sie gleichzeitig Dünger für die Demokratie. Das ist gut so. Ich hoffe, das bleibt respektiert in diesem Hause. (Beifall im ganzen Hause) Willy Brandt – das war schon nach seinen Kanzlerjahren – hat einmal als Alterspräsident hier im Deutschen Bundestag gesprochen und gesagt: Alle Mitglieder dieses Hauses nehmen gleichermaßen wichtige Aufgaben wahr, ob sie nun die Regierung stellen oder diese kritisch begleiten, ob sie Macht verwalten oder diese kontrollieren … Parlamentarische Verantwortung für unseren Staat obliegt der einen Seite wie der anderen; sie ist keiner Seite Vorrecht. Was Willy Brandt vor 34 Jahren gesagt hat, müssen wir heute, so denke ich, auch auf die Außenpolitik beziehen. Die parlamentarische Demokratie steht weltweit unter Druck, wird vielerorts infrage gestellt. In viel zu vielen Ländern werden die Freiräume von parlamentarischer und zivilgesellschaftlicher Opposition beschnitten, und selbsternannte starke Männer haben die Verachtung von demokratischer Kontroverse sogar zum Herrschaftsprinzip erhoben. Gleichzeitig ist im Netz ein Raum für anonyme und enthemmte Kommunikation entstanden, in dem immer neue Erregungswellen mehr Klicks erzeugen als Fakten oder Argumente, in dem Sprache jedes Maß verloren hat und die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen zusehends schwindet. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen jetzt den Raum der Demokratie und die Kultur der Demokratie verteidigen im Innern unserer Gesellschaft wie nach außen. Wenn ich irgend kann, werde ich aus möglichen neuen Ämtern heraus an dieser Verteidigung gern mittun. Aber beginnen kann das nirgendwo sonst als hier an diesem stolzen Pult. Deshalb bitte ich Sie: Nutzen Sie dieses Pult. Ich jedenfalls werde es vermissen. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sehr geehrter Herr Außenminister, bleiben Sie noch einen Moment hier. – Sehr geehrter Herr Außenminister! Ich möchte Ihnen auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen für das danken, was Sie als Außenminister in einer außenpolitisch äußerst schwierigen Zeit geleistet haben. Ihnen war immer anzumerken, es war immer zu spüren, dass Sie sich mit großem Engagement, mit Herz, aber auch mit Ihrem Intellekt darum bemüht haben, politische Lösungen für Konflikte zu finden und nicht den einfachen Lösungen nachzurennen. Sie haben sich mit diesem unermüdlichen Einsatz für eine verantwortungsvolle Außenpolitik und mit Ihrer hohen Glaubwürdigkeit nicht nur Wertschätzung bei vielen Menschen in unserem eigenen Land und auch bei unseren Partnern in vielen anderen Ländern erworben, Sie haben mit Ihrem unermüdlichen Einsatz und Ihrer hohen Glaubwürdigkeit auch hohe Verdienste für unser Land und für uns erworben. Lieber Herr Außenminister, dies war Ihre letzte Rede als Außenminister im Deutschen Bundestag. Ich freue mich sehr auf ein Wiedersehen am 12. Februar – und dann werden wir ja sehen. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft und für Ihre künftigen Aufgaben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Abg. Dr. Katarina Barley [SPD] überreicht Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier einen Blumenstrauß) Sigmar Gabriel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entschuldigen Sie, dass wir hier den Ablauf noch für einige Minuten stören. Lieber Frank-Walter, neben Blumen und dem Dank für den „Dünger der Demokratie“ in Bezug auf die Opposition haben wir dir als deine Partei und deine Fraktion etwas zum Abschied mitgebracht. Wir wissen, dass du nicht nur den Abgebildeten sehr schätzt – es ist ein Porträt von Willy Brandt, das zum 100. Geburtstag entstanden ist –, sondern vor allen Dingen auch den Künstler, der es gemacht hat. Wir wissen, dass du ein großer Freund von Armin Müller-Stahl bist. Von ihm ist dieses Bild. Es ist ein kleines Geschenk deiner Fraktion und deiner Partei für großartige Arbeit in ganz unterschiedlichen Ämtern und ganz sicher auch ein schönes Präsent für ein noch viel wichtigeres Amt. Alles Gute und vielen Dank! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Abg. Sigmar Gabriel [SPD] überreicht Bundesminister Frank-Walter Steinmeier ein Präsent) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt müssen wir zur Normalität zurückkehren. Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zur Fortsetzung von MINUSMA bekannt: Abgegeben wurden 556 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 498 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 55 Kolleginnen und Kollegen, und es gab 3 Enthaltungen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen worden. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 556; davon ja: 498 nein: 55 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Heinrich Zertik Dr. Matthias Zimmer SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Fraktionslos Erika Steinbach Nein SPD Ulrike Bahr Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis Christian Petry Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Dr. André Hahn Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Thomas Nord Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Enthalten SPD René Röspel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Monika Lazar Corinna Rüffer Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Als nächste Rednerin in der Debatte hat jetzt Christine Buchholz von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Steinmeier, Sie haben die Frage der Verantwortung in das Zentrum Ihrer letzten Rede als Außenminister gestellt. Der Bundeswehreinsatz im Irak, über den wir heute hier diskutieren, steht für uns eigentlich beispielhaft für die falsche Ausrichtung und auch die falsche Interpretation der Verantwortung der Bundesregierung in der Welt. Dabei rede ich explizit nicht über die Anstrengung der humanitären Hilfe beispielsweise für Flüchtlinge im Nordirak, wo viel mehr zu tun ist und wo übrigens auch die Flüchtlinge geschützt werden müssen; sie dürfen nicht wieder in den Nordirak abgeschoben werden. Vielmehr geht es darum, heute, hier und jetzt über die Fortführung des Bundeswehreinsatzes zu diskutieren. Die Bundeswehr soll nämlich weiterhin die Peschmerga, also die Milizen der kurdischen Regionalregierung im Nordirak, militärisch ausbilden. Zur Begründung behauptete Verteidigungsministerin von der Leyen in der ersten Beratung des Antrags, die Peschmerga hätten „als Erste den IS gestoppt“. Das ist nicht wahr. Als der IS im Sommer 2014 die Minderheit der Jesiden angriff und ins nordirakische Sindschar-Gebirge trieb, flohen die Peschmerga, ohne einen einzigen Schuss abzugeben, und es war die kurdische PKK, die den Jesiden einen Korridor freikämpfte. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch eine üble Legende!) Doch die PKK gilt in Deutschland als terroristisch. Die Peschmerga hingegen, welche die Jesiden im Stich ließen, werden von Deutschland mit Waffen und Ausbildung unterstützt. (Michael Brand [CDU/CSU]: Unverschämt! – Henning Otte [CDU/CSU]: Jetzt übernehmen Sie sich aber!) Um den Bundeswehreinsatz im Irak zu rechtfertigen, leugnet die Bundesregierung diese nachweislichen Fakten. (Michael Brand [CDU/CSU]: Sie sollten sich bei Trump bewerben!) Es gibt aber auch Kurden im Nordirak, die das sagen, so wie der Journalist Wedat Hussein Ali. Er wagte es, Präsident Barsani und die kurdische Regionalregierung zu kritisieren. Die Folge: Wedat Hussein Ali wurde mehrfach von Barsanis Leuten verhört und bedroht. Im August letzten Jahres wurde seine Leiche mit Folterspuren aufgefunden. Human Rights Watch spricht von Dutzenden Journalisten, die von Kräften der kurdischen Regionalregierung schikaniert, inhaftiert oder getötet worden sind. Wir sagen: Ein solches Regime darf nicht unterstützt werden. (Beifall bei der LINKEN) Seit 2014 hat die Bundesregierung mehr als 30 Transportflugzeuge mit Rüstungsgütern und Waffen in den Irak geschickt. Die Peschmerga erhielten unter anderem 4 000 Sturmgewehre und über 18 Millionen Schuss Munition. Ich frage die Bundesregierung: Können Sie ausschließen, dass die kurdische Regionalregierung mit diesen Waffen nicht auch gegen ihre Gegner im Innern vorgeht? Nein, Sie können es nicht. Und ich frage Sie: Wie können Sie denn dann diese Waffen liefern? (Beifall bei der LINKEN) Die Peschmerga sind im Übrigen keine reguläre Armee. Es sind die Parteimilizen Barsanis und Talabanis. Diese beiden Clanführer haben Irakisch-Kurdistan untereinander aufgeteilt. Barsanis Clan hat den Krieg gegen den IS zum Vorwand genommen, sich die Großstadt Kirkuk einzuverleiben. Dabei kam es zu ethnisch motivierten Vertreibungen. Amnesty International berichtete im vergangenen Herbst, dass rund 450 Familien aus Kirkuk und Umgebung von Peschmerga vertrieben worden sind. Ihr einziges Verbrechen: Sie sind Araber. Ihre Häuser wurden von Bulldozern plattgewalzt. Man muss wissen: Im Irak kämpfen kurdische, sunnitische und schiitische Eliten um Macht, Öl und Territorien. Wenn man in einem solchen Konflikt Partei ergreift, trägt das nur zur weiteren ethnischen Spaltung des Iraks bei. Auch deshalb lehnt die Linke diesen Auslandseinsatz entschieden ab. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Sie opfern Menschen!) Denn genau diese ethnische Spaltung hat doch den IS erst stark gemacht. Das von den US-Invasoren eingesetzte schiitisch dominierte Regime in Bagdad hat über Jahre Sunniten verfolgt. Das konnte der IS dann ausnutzen. Daran hat sich im Grundsatz nichts geändert. Auch heute müssen sunnitische Männer um ihr Leben fürchten, wenn sie in die Hand der irakischen Armee fallen. Erst letzte Woche sind wieder Videos öffentlich geworden, die zeigen, wie Soldaten der irakischen Armee wehrlose Gefangene foltern und kaltblütig hinrichten. Die UN fordert Aufklärung, und die Bundesregierung darf dazu nicht schweigen. (Beifall bei der LINKEN) Herr Steinmeier, Sie haben zu Beginn der Mosul-Offensive vor drei Monaten gesagt – ich zitiere –: Wenn nach der Befreiung der Stadt die Geißel des IS nur durch einen Machtkampf zwischen Kurden, Sunniten und Schiiten abgelöst wird, dann ist jedenfalls für die Menschen in Mosul nichts gewonnen. Da haben Sie, Herr Steinmeier, recht gehabt. Das Problem ist nur: Dieser Machtkampf zwischen den korrupten kurdischen, schiitischen und sunnitischen Eliten ist doch längst am Laufen, und er wird durch den Bundeswehreinsatz im Irak weiter unterstützt. Deshalb muss dieser Einsatz umgehend beendet werden. Das wäre eine verantwortliche Entscheidung. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich als außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Bundesaußenminister für seine Arbeit und für die gute Zusammenarbeit danken, die wir mit ihm gehabt haben. Wir wünschen Ihnen für mögliche zukünftige Ämter alles Gute und werden darauf setzen, dass Sie in Ihrem neuen Amt die Außenpolitik nicht aus dem Auge verlieren. Das ist uns wichtig. An einer Stelle Ihrer Rede musste ich ein bisschen schmunzeln. Als Sie von dem lohnenden Dünger der Opposition für die Demokratie geredet haben, klang es fast so, als würden Sie Ihrer Fraktion ein wenig Mut zusprechen vor zukünftigen Zeiten. (Dagmar Ziegler [SPD]: Ihnen! – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Nein! Für alle! Gut zuhören!) Aber ich glaube, so war das nicht gedacht. Sie haben als Außenminister die Rolle Deutschlands in der internationalen Politik gestärkt. Sie haben das, was Sie und die Bundesverteidigungsministerin sowie der Bundespräsident vor zwei Jahren in München angekündigt haben, dass Deutschland bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen, mit Leben gefüllt. Sie haben das auch ein Stück weit vorgelebt und in vielen Situationen, in denen deutscher Rat und deutsche Hilfe gefragt waren – oft auch hinter verschlossenen Türen und am Telefon –, im Interesse Deutschlands und Europas gehandelt. Dafür danke ich Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie übergeben Ihrem Nachfolger ein wohlbestelltes Haus, allerdings auch insgesamt sechs Großbaustellen der Außenpolitik, wo wir Konflikte und Krisen mit jeder Menge Gewerke zu bewältigen haben: von Afghanistan bis in den Maghreb hinein, den Konflikt mit Russland um die Ukraine, die Situation in Afrika – wir haben gerade das Mali-Mandat verabschiedet –, die Situation im Südchinesischen Meer, die Situation der Europäischen Union und natürlich auch die offenen Fragen im Zusammenhang mit unserem Verhältnis zu Amerika. Das ist ein Riesenberg Arbeit. Ich bin sicher, dass der Amtsnachfolger einen dicken Stapel von zweiseitigen Dossiers zu all diesen einzelnen Gewerken bekommt, in die er sich einarbeitet. Dem zukünftigen Außenminister wünsche ich alles Gute im Amt. Er ist ein erfahrener Politiker, der mit allen Wassern gewaschen ist, der mit Säbel und Florett umgehen kann. Die diplomatischen Fähigkeiten sind uns bisher eher verborgen geblieben, aber ich bin absolut sicher, dass Sie auch in diesem Felde reüssieren. An einem Punkt glaube ich allerdings, dass Sie Ihre Vorstellung korrigieren müssen: Das Dasein eines deutschen Bundesaußenministers ist, glaube ich, schon ein Nomadendasein zwischen Flugzeug, Hotelzimmer und stickigen Konferenzsälen. Ich wünsche Ihnen trotzdem, dass Sie – auch wenn der Außenminister viel unterwegs ist – noch Zeit für Ihre Familie finden, wie Sie sich das wünschen. Alles Gute im neuen Amt! Jetzt zum Mandat. Wir haben hier bereits einmal ausführlich darüber diskutiert. Der Deutsche Bundestag hat entschieden, diesen schwierigen Weg zu gehen. Er hat sich bewährt; denn wir haben tatsächlich einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung des IS im Norden des Iraks leisten können mit unseren Partnern, den Peschmerga. Es gibt eine Frage, die die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion beschäftigt. Auch in diesem Jahr hat die Bundesregierung das Mandat wieder mit Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes begründet. Wir glauben, dass dies eine tragfähige Begründung ist. Wir glauben, dass die völkerrechtliche Rechtmäßigkeit des Einsatzes nicht infrage steht. Bei der Frage, auf welchen Artikel des Grundgesetzes man sich bezieht, geht es um die nationale Rechtsgrundlage innerhalb Deutschlands. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die ist nicht gegeben!) Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz ist meines Erachtens ausreichend für die Begründung des Mandates. Es wäre aber, glaube ich, souveräner, wenn wir auch überlegen würden, ob wir ein solches Mandat durchaus auch auf Artikel 87a des Grundgesetzes stützen könnten. Das ist eine mindestens ebenso verlässliche Rechtsgrundlage für einen solchen Bundeswehreinsatz. Das ist in meiner Fraktion zur Sprache gekommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir die Situation im Norden des Irak sehen, so stellen wir fest, dass die Peschmerga einen guten, einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung des IS leisten. Wir müssen nach der Phase der konkreten Unterstützung der kurdischen Truppen mit Ausrüstung und Ausbildungsunterstützung – bisher waren es rund 12 000 Sicherheitskräfte – die Frage stellen, wie es mittelfristig und langfristig in dieser Region weitergehen soll. Deswegen finde ich die Überlegungen der Bundesregierung dazu gut, wie auch zukünftig die sonstigen irakischen Streitkräfte in stärkerem Umfang mit in diesen Prozess einbezogen werden können. Eines Tages muss der Zeitpunkt kommen, an dem die Region so weit befriedet ist, dass der Irak die Sicherheit im Land gewährleisten kann. Das geht natürlich nur, wenn die Struktur erhalten bleibt und wenn die Einheit des Landes durch eine Regierung gewährleistet wird, die sich für eine inklusive Regierung, für eine angemessene Berücksichtigung ethnischer und religiöser Gruppen im Land, speziell auch der Kurden, in vollem Umfang einsetzt. Wir sagen immer, wenn wir mit der irakischen Regierung sprechen, dass sie eine inklusive Regierungsführung betreiben muss, weil sie sonst so scheitert wie vor wenigen Jahren; die gegenwärtig angespannte Entwicklung in der Region ist die Folge dieses Scheiterns. In diesem Sinne wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Antrag zur Fortsetzung des Mandats mit der Obergrenze von 150 Soldatinnen und Soldaten unterstützen. Ich wünsche allen Soldatinnen und Soldaten, die in diesem Einsatz sind, dass sie wohlbehalten nach Hause kommen und das nötige Soldatenglück haben, dass ihnen nichts passiert, damit wir diesen Einsatz so fortführen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Außenminister Steinmeier, Sie haben als Deutschlands Chefdiplomat den außenpolitischen Kurs der Bundesregierung in vermehrt schwierigen und stürmischen Zeiten geprägt. Sie haben das mit klarem Kompass, mit einer Balance aus Besonnenheit, Sorge und Entschlossenheit getan. Dafür möchte ich Ihnen im Namen meiner ganzen Fraktion ebenso wie für die sehr gute Zusammenarbeit und auch die faire politische Auseinandersetzung danken, auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Im Namen der Grünen wünsche ich Ihnen auch, ohne irgendetwas vorwegnehmen zu wollen, jenes Fingerspitzengefühl, jenen Mut und weiterhin die Gabe, die richtigen Worte zur richtigen Zeit zu finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten die Mandate zu den Bundeswehreinsätzen auch immer in den Ausschüssen. Vor zwei Tagen hat ein Kollege im Verteidigungsausschuss gesagt: Wer diesem Mandat nicht zustimmt, muss auch formulieren, was die Alternative ist. – Ich finde, der Kollege aus der Koalition hat mit dieser Aussage völlig recht. Wenn ich mir noch einmal unsere Reden bei den letzten Beratungen dieses Mandats anschaue, stelle ich fest, dass wir immer eine klare Alternative formuliert haben, nämlich zwei sehr klare Bedingungen, unter denen dieses Mandat für uns zustimmungsfähig wäre. Es gibt nämlich zwei sehr große Probleme mit diesem Mandat, das wir im Kern für richtig halten. Es ist den Kräften der Peschmerga gelungen, einige Gebiete zu befreien und andere vor der Terrorherrschaft des sogenannten „Islamischen Staates“ zu beschützen. Eines der beiden gewichtigen Probleme ist die rechtliche Konstruktion. Hier wäre es hanebüchen, auf den anderen Grundgesetzartikel zurückzugreifen. Es wäre besser, sich noch einmal mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu beschäftigen, das sehr genau dargestellt hat, unter welchen Bedingungen die Bundeswehr im Ausland eingesetzt werden kann. Das Urteil von 1994 sagt: „im Rahmen eines Systems … kollektiver Sicherheit“, also im Rahmen der Europäischen Union, der NATO, der Vereinten Nationen oder beispielsweise der OSZE. Das ist hier explizit nicht der Fall. Die Ausbildungsunterstützung für die Peschmerga leistet die Bundeswehr im Rahmen einer Koalition der Willigen, und das ist kein System kollektiver Sicherheit. Wir können Sie nur wie jedes Jahr auffordern, diesen Fehler endlich zu korrigieren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das zweite Problem, das wir mit diesem Mandat und mit der Politik, die die Bundesregierung an dieser Stelle macht, haben, ist Folgendes: Wenn man ausbildet und dann sogar noch so viele Waffen und so viel Ausrüstung geliefert hat, dann hat man schon auch eine Verantwortung, sehr genau hinzuschauen, was anschließend damit passiert. Denn es steht natürlich immer die Gefahr im Raum, dass die vermittelten Fähigkeiten und das gelieferte Gerät missbraucht werden. Auch das ist etwas, wozu wir Sie, seit es dieses Mandat gibt, immer wieder befragt haben. Wir haben die Bundesregierung gefragt: Wie reagieren Sie denn eigentlich auf die Berichte der Menschenrechtsorganisationen, dass Peschmerga-Kämpfer nach der Befreiung bestimmter Gebiete Dörfer und Häuser arabischstämmiger Menschen zerstört haben? Was tun Sie eigentlich dagegen – das ist wirklich schon absehbar –, dass die Spannungen innerhalb der Peschmerga, zwischen PUK und KDP, immer größer werden? Wie gehen Sie mit der Regionalregierung um, die wirklich keine demokratische Legitimation mehr hat, oder wie mit den Hinweisen darauf, dass Zivilgesellschaft und Journalisten unterdrückt und eingeschränkt werden? Ich finde schon: Wenn man ausbildet, wenn man Waffen liefert, dann hat man erst recht eine Verantwortung, hier ganz genau hinzuschauen und auch zu handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn am Ende des Tages ist natürlich auch die beste Ausbildungsunterstützung nichts wert, wenn ein konsequenter, umsichtiger Beitrag zur Entwicklung des politischen Umfelds fehlt, in dem die Sicherheitskräfte dann agieren sollen. Man muss doch schon feststellen: Auf die Waffenlieferungen haben Sie sich sehr schnell geeinigt; aber es wäre immer noch so viel mehr möglich, wenn es darum geht, einen ganzheitlichen, engagierten Beitrag zu einer friedlichen Zukunft des Iraks zu leisten. Deutschland hat hier eine hervorgehobene Position: Wir sind Kovorsitzende der AG Stabilisierung, also der Gruppe der Staaten, die sich mit der Frage beschäftigt, wie es eigentlich in den befreiten Gebieten weitergeht. Auch hier fragen wir immer wieder nach: Was tut die Bundesregierung denn konkret? Es ist ein guter Beitrag, wenn Sie ankündigen, sich schnell darum zu kümmern, dass die Stromversorgung und die Wasserversorgung in Mosul wieder funktionieren, sobald die Stadt – worauf wir alle hoffen – befreit ist. Aber so wichtig diese Infrastrukturprojekte sind – sie ersetzen doch nicht den politischen Beitrag, der darin bestehen muss, hier alle Akteure in die Pflicht zu nehmen und darauf hinzuwirken, dass sie endlich politische Macht teilen, dass die wirtschaftlichen Gewinne fair aufgeteilt werden und dass alle Gruppen sich versöhnen und wieder friedlich zusammenleben können. Da können wir Sie einfach nur auffordern: Tun Sie hier mehr! Es wäre mehr möglich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir sind hier nicht einfach dagegen; wir machen sehr konkrete Vorschläge. Als Sie gerade in Ihrer Rede, Herr Außenminister Steinmeier, noch mal gesagt haben, wie wichtig die Debatten hier im Parlament sind, haben Sie, glaube ich, viele von uns Abgeordneten mit dieser Aussage berührt. Aber ich finde, wenn ihr die Debatten in diesem Parlament wichtig sind, dann sollte die Bundesregierung konstruktive Hinweise aus der Opposition hören und aufnehmen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Wilfried Lorenz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Lorenz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eines vorweg: Deutschland hilft mit der Bundeswehr bei der Ausbildung von Streitkräften im Irak, weil wir – erstens – darum gebeten werden, weil wir – zweitens – damit den Aufforderungen des UN-Sicherheitsrates folgen, die irakische Regierung im Kampf gegen den IS zu unterstützen, und weil – drittens – nur in einer gemeinsamen Anstrengung mit den Kräften vor Ort der IS noch stärker zurückgedrängt und geschwächt werden kann. So funktioniert kollektive Sicherheit, und so funktioniert der Schutz von Menschenrechten durch gegenseitige Hilfe. Meine Damen und Herren, der IS musste territoriale Verluste im Irak und in Syrien hinnehmen, und er wurde auch wesentlich geschwächt. Gemeinsam mit der internationalen Koalition gelang es kurdischen und irakischen Kräften, den IS in wenige Kerngebiete zurückzudrängen. Selbst Mosul ist zur Hälfte befreit. Und trotzdem ist der IS unverändert eine große Bedrohung für Frieden und Sicherheit weltweit. Diese Bedrohung betrifft auch uns Deutsche ganz konkret; das zeigte zuletzt der furchtbare Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt hier in Berlin. Der Schulterschluss europäischer Staaten, in die der IS nun verstärkt Angst und Schrecken tragen will, ist noch enger geworden; denn der Terror zielt auf Europa, genauer gesagt: auf das Herz unseres Kontinents. Deswegen kann man sagen: Unsere Sicherheit wird auch im Irak verteidigt. Noch vor zweieinhalb Jahren erreichten uns Meldungen über großflächige Landgewinne und schreckliche Gräueltaten dieser Terrorbande. Die Menschen vor Ort konnten sich nicht aus eigener Kraft gegen immer näher rückendes Morden schützen. Aramäer, Chaldäer, Christen, Jesiden und unterschiedliche Kurdengruppen flüchteten in das einzige noch sichere Gebiet: die Region Kurdistan/Irak. Deswegen war und ist es richtig, zu deren Schutz und als Hilfe zur Selbsthilfe zunächst militärische Ausrüstungshilfe zu leisten und dann die multinationale Ausbildungsunterstützung für das Militär fortzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Waffen in ein Krisengebiet zu schicken, war in diesem Fall eine berechtigte Abkehr von der bisherigen Doktrin. Gegen massive Gewalt mit militärischen Mitteln helfen eben nur militärische Mittel. Niemand würde auf die Idee kommen, akute Cholera mit Kamillentee zu bekämpfen. Das deutsche Hilfsangebot wurde gut angenommen. Circa 12 000 Sicherheitskräfte haben wir gemeinsam mit internationalen Partnern im Irak und in Deutschland ausgebildet. Gleichzeitig bleiben die militärischen Unterstützungsmaßnahmen auch künftig eingebettet in einen breiten politischen Ansatz und in ein vernetztes Vorgehen. Uns geht es nicht nur darum, die kurdischen Peschmerga militärisch auszubilden, damit sie den IS noch weiter zurückdrängen und das Land von diesen Gruppen befreien können, es geht auch um zivile Hilfe für Flüchtlinge und um den Aufbau von Infrastruktur. Militärisches Material und Ausbildung sowie zivile Hilfe werden auch weiterhin eng mit Bagdad abgestimmt. Meine Damen und Herren, der IS führt Krieg gegen die Schwächsten, gegen Frauen und Kinder, gegen Menschlichkeit, gegen Freiheit und Recht und gegen die Werte der westlichen Welt. Und wie er das mit dem Mittel der Propaganda im Internet versucht, erfasst keine herkömmliche Definition von Krieg in Gänze. Wir brauchen daher herkömmliche militärische Mittel, um Schlimmeres zu verhindern. Aber der IS hat nicht nur im Irak eine Spur der Verwüstung hinterlassen, sondern auch in den Menschen selbst. Denken Sie an tief traumatisierte Menschen, die monatelang in Städten eingeschlossen waren, denken Sie an die Städte, die dem Erdboden gleichgemacht wurden. Umso wichtiger ist ein nachhaltiger Fähigkeitsaufbau, wie ihn die Bundeswehr für Kurden und Iraker leistet. Daher wird die Ausbildung stets modulmäßig der jeweiligen Situation angepasst. Am Anfang war es angesichts der hohen Verluste der Peschmerga notwendig, erste Hilfe zu leisten; heute steht nach gefechtsmäßiger Ausbildung das Entschärfen von Minen und Sprengstofffallen im Vordergrund. Damit wird die Grundlage gelegt, dass Häuser, Wohnungen und Infrastruktur den Menschen wieder zur Verfügung gestellt werden können. Meine Damen und Herren, es ist für mich unbegreiflich, wie angesichts dieses Leids die Notwendigkeit des Anti-IS-Einsatzes im Irak bezweifelt werden kann, ohne auch nur eine einzige Alternative vorzuschlagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sollen wir die Menschen dem IS überlassen? Nein. Deutschland leistet mit diesem Einsatz einen zentralen Beitrag für die Menschen im Irak, für die Menschen in Europa und für die Menschen in Deutschland. Daher werden wir dem vorliegenden Antrag zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Als Nächste hat die Kollegin Julia Obermeier, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Obermeier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Buchholz, ich frage mich schon, was Sie und Ihre Fraktion den Tausenden Mädchen und Frauen wie der Jesidin Nadia Murad sagen wollen, die der IS verschleppt, verkauft und vergewaltigt hat, nachdem ihre Mutter und ihre sechs Brüder getötet wurden. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie schieben die wieder zurück in den Irak! Also reden Sie hier nicht herum!) Das Schicksal von Nadia Murad – sie hat uns hier im Bundestag in kleiner Gruppe davon berichtet – steht beispielhaft für das Leid von Tausenden und führt uns deutlich vor Augen: Wir dürfen die Menschen, die dem Grauen des IS ausgeliefert sind, nicht alleine lassen, und das tun wir auch nicht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Beifall bei der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Wie gehen Sie mit irakischen Flüchtlingen um, Frau Obermeier?) Deutschland hat – und diese Entscheidung haben wir uns im Deutschen Bundestag nicht leicht gemacht – vor zweieinhalb Jahren beschlossen, Waffen in ein Krisengebiet, in den Nordirak, zu liefern. Und wir haben beschlossen, dass wir diejenigen, die wir ausrüsten, auch ausbilden. 12 000 Mann haben wir bisher ausgebildet, hauptsächlich Peschmerga, aber auch Jesiden, Turkmenen und Kakai. Diese Kräfte waren maßgeblich daran beteiligt, den Vormarsch des IS im Irak zu stoppen und Gebiete zurückzuerobern. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zur PKK!) Unser Beitrag ist zwar ein kleiner, aber ein wichtiger. Und wir haben uns bewusst gegen eine rein EU- oder NATO-geführte Mission entschieden, um einerseits den Eindruck eines Kampfes des Westens gegen den Islam zu vermeiden und andererseits viele andere Partner – wie Jordanien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate – mit ins Boot zu holen. Natürlich sehen wir auch die kritischen Punkte des Einsatzes. Aber: Bei den Waffenverlusten der Peschmerga handelt es sich um Einzelfälle. Es liegt hier kein Missbrauch unserer Unterstützung im großen Stil vor. Die Peschmerga-Führung bemüht sich sehr um die Aufklärung dieser Einzelfälle. Wir haben von Anfang an Vorsorge getroffen, indem wir eine Vorratshaltung verhindert und immer nur so viele Waffen und Munition abgegeben haben, wie auch gebraucht werden. Ja, ich gebe Ihnen recht: Es gibt nie eine hundertprozentige Garantie, dass nicht Einzelne ihre Ausbildung oder ihre Ausrüstung zu einem späteren Zeitpunkt entgegen unserem Ansinnen einsetzen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin Obermeier, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Buchholz? Julia Obermeier (CDU/CSU): Nein, ich möchte gern weiter vortragen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das habe ich mir gedacht! Zur PKK sagen Sie auch nichts!) Aber garantiert ist, dass wir durch ein Die-Hände-in-den-Schoß-Legen und Nichtstun die Frauen und Kinder schutzlos den Schlächtern des IS überlassen hätten. In dieser Abwägung zwischen möglichen Risiken zu einem späteren Zeitpunkt und der Möglichkeit, der Notwendigkeit, ja, ich finde, der Pflicht, Menschenleben zu retten, komme ich eben zu einem anderen Schluss als Sie von der Opposition. Dieser Einsatz ist richtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Und auch hier verfolgen wir einen vernetzten Ansatz. Unsere Politik ist klar ausgerichtet: Wir unterstützen die Kurden im Kampf gegen den IS, aber wir leisten keinen Beitrag zu deren Abspaltungstendenzen. Es wird eine der Aufgaben des neuen deutschen Außenministers sein, sich dafür einzusetzen, dass der Irak eins bleibt, also ein inklusiver Staat bleibt, und dass seine politische Führung von der Bevölkerung legitimiert ist. Denn eines zeichnet sich ab: Je mehr es gelingt, den IS zurückzudrängen, umso deutlicher treten auch die innenpolitischen Schwächen der irakischen Zentralregierung wieder in den Vordergrund. Hier liegt auch einer der Schwerpunkte unserer Entwicklungszusammenarbeit: Wir stärken die staatlichen Strukturen im Irak, wir unterstützen die Binnenflüchtlinge und über das „Cash for Work“-Programm auch diejenigen, die in die befreiten, aber zerstörten Gebiete zurückkehren und dort Wiederaufbau betreiben. Wir lassen die Menschen im Irak nicht allein, weder diplomatisch noch entwicklungspolitisch oder militärisch. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Unterstützung für die Mandatsverlängerung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Kollegin Buchholz hat um das Wort für eine Kurzintervention gebeten. Bitte, Frau Buchholz. Christine Buchholz (DIE LINKE): Sehr geehrte Kollegin Obermeier, lassen Sie mich zwei Fragen stellen: Wie stehen Sie zu dem historischen Fakt, dass es nicht die Peschmerga waren, sondern die PKK, die die Jesiden im Sindschar-Gebirge befreit hat? Sie können die Behauptung, wir würden unverantwortlich mit dem Leid der Jesiden umgehen, überhaupt nicht aufrechterhalten, weil Sie es sind, die weiter die Kriminalisierung der PKK betreiben (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und zulassen, dass Erdogan damit weitermacht. – Das ist der erste Punkt. Ich finde es sehr merkwürdig, dass Sie sich damit zufriedengeben, dass Waffen, die Sie geliefert haben, offensichtlich nur in Einzelfällen nicht mehr auffindbar sind und man nicht weiß, wo sie gelandet sind. Was sagen Sie denn dazu, dass die Peschmerga Teil der Repression im Nordirak sind? Wir haben von Fällen gehört, in denen Journalisten drangsaliert und ermordet wurden. Wir wissen aber auch, dass beispielsweise Demonstrationen von den Peschmerga mit Repressionen überzogen werden. Wie passt das mit einer ethischen Außenpolitik zusammen, der Sie hier scheinbar immer das Wort reden? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Obermeier. Julia Obermeier (CDU/CSU): Was für mich zählt, ist die Befreiung der Jesiden vom IS. Hierbei leistet unsere Unterstützung der Peschmerga und leisten die Peschmerga einen wichtigen Beitrag. Diese Unterstützung wollen wir nicht einstellen, sondern fortsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10968, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/10820 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Mir liegen hierzu zwei persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.2 Ich bitte jetzt, die Plätze an den Urnen zu besetzen. – Nach meinem Eindruck sind alle Plätze an den Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Gibt es noch ein Mitglied dieses Hauses, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? (Zuruf: Ja!) – Es gibt viele Urnen, an denen es keinen Andrang gibt. Würden auch diese mehr genutzt, würde alles etwas schneller passieren. – Ich sehe jetzt niemanden mehr, der noch nicht abgestimmt hat. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.3 Ich bitte, die Plätze wieder einzunehmen und die Verabschiedung des Außenministers außerhalb des Plenarsaals vorzunehmen. Herr Außenminister, die Abschiedszeremonie sollte vor den Türen stattfinden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom Drucksachen 18/3050, 18/3749 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hier keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Florian Post, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Florian Post (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt, dass eine ungleiche Belastung der einzelnen Bundesländer bei den Kosten der Energiewende gegeben ist. Gerade durch den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien in den neuen Bundesländern ist hier der Netzausbaubedarf stark gestiegen. Zugleich werden diese Kosten in ländlich geprägten Regionen auf vergleichsweise wenige Verbraucher umgelegt. Dies hat zu deutlichen Steigerungen der Netzentgelte vor allem in der Regelzone von 50Hertz geführt. Auch Bayern hatte in TenneTs Regelzone überdurchschnittliche Erhöhungen der Netzentgelte zu verkraften. Ich möchte kurz aus dem Koalitionsvertrag zitieren: Die Koalition wird das System der Netzentgelte auf eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der Netzinfrastruktur überprüfen. Die Frage dieser bundesweiten Neuverteilung der Belastungen ist sicherlich keine Frage, die man allein mit Blick auf den Kompass beantworten kann. Bei den Netzentgelten geht es auch um Anreize für die Betreiber, um technische Weiterentwicklungen für die neuen Herausforderungen der Energiewende und darum, inwieweit wir Leistungskomponenten für diese Weiterentwicklung brauchen. Auch das wird im Koalitionsvertrag adressiert. Man muss aufpassen, dass man Anreize für Effizienzmaßnahmen gibt und gleichzeitig eine ungerechte Kostenverteilung vermeidet. Natürlich muss man immer berücksichtigen, dass die Energiewende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Wir haben in dieser Wahlperiode bereits viele Maßnahmen ergriffen, um dieses Gerechtigkeitsproblem bei der Verteilung der Stromkosten zu bewältigen. Wir haben eine bundesweite Wälzung der Kosten, die bei der Anbindung der Offshorewindparks entstehen, eingeführt. Auch die Kosten für den Bau der benötigten Gleichstromübertragungsleitungen, um die Netzengpässe schrittweise zu beseitigen, werden bundesweit umgelegt werden. Ebenso wird die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung deutschlandweit gewälzt. Mit der Einrichtung von Netzausbaugebieten verhindern wir zudem weitere regionale Kostensteigerungen für die Redispatch-Maßnahmen. Darüber hinaus sorgen wir mit der Novellierung des EEG für mehr Berechenbarkeit und Kostenkontrolle beim Ausbau weiterer erneuerbarer Energien. Aber wir dürfen das alles nicht in einem Hauruckverfahren umsetzen. Mit dem Entwurf für das Gesetz zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur gehen wir nun eine weitere Baustelle an, die der vermiedenen Netznutzungsentgelte. Würden wir diese aber erst einfrieren und dann schrittweise abschmelzen, würden wir hier weder mehr Transparenz noch mehr Gerechtigkeit herstellen. Das ursprüngliche Ziel dieser Regelung war ja gerade, dass wir dezentrale Erzeugungsanlagen durch die Auszahlung der vermiedenen Netzentgelte dafür belohnen wollten, dass sie durch eine lastnahe Erzeugung und dezentrale Einspeisung die Kosten für den Ausbau der Übertragungsnetze einsparen. Dieses Ziel wird zum Teil nicht mehr erreicht. Aber auch hier heißt es für uns: Lieber gewissenhaft zu arbeiten, als schnell Fehler zu machen. Inwieweit eine Abschmelzung der vermiedenen Netznutzungsentgelte gerade bei nicht volatiler Versorgung sinnvoll ist, müssen wir im parlamentarischen Verfahren hier noch dringend klären. Die vermiedenen Netzentgelte tragen bei vielen Betreibern von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in ähnlich hohem Maße zur Kostendeckung wie die KWK-Förderung selbst bei, die wir hier ja erst vor kurzem gemeinsam beschlossen haben. Wenn die Wirtschaftlichkeit dieser klimaschonenden Technologie durch das NEMoG nun wieder gefährdet werden würde, könnten wir das wirklich niemandem vermitteln, insbesondere nicht den vor allem in Ostdeutschland ansässigen betroffenen Betreibern von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Gerade deshalb glaube ich, dass die Beteiligung der Länder und eine gründliche parlamentarische Prüfung dieses Gesetzesvorhabens von besonderer Bedeutung sind. Eine umfassende Neugestaltung der Netzentgelte- und Umlagesystematik ist geboten. Eine Umverteilung mit der Gießkanne kann aber sicherlich nicht die Lösung sein. Ein gewissenhaft ausgestaltetes NEMoG ist ein wichtiger Schritt für eine gerechte Verteilung der Lasten in Deutschland; eine blinde Wälzung wäre es hingegen nicht. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist der Kollege Roland Claus. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Stromkundinnen und Stromkunden! Bereits im November des Jahres 2014 hat meine Fraktion diesen Antrag gestellt, und er ist leider nicht veraltet; so viel zum Thema „Hauruckverfahren“. Also an Zeit zu gründlichen Entscheidungen hat es nicht gemangelt. Wir haben auch abgewartet, weil wir ein wenig auf die Lernfähigkeit dieser Koalition gebaut haben. Aber das war offenkundig ein Fehler. Gegenstand unseres Antrages ist, dass wir es mit starken regionalen Ungerechtigkeiten bei den Gebühren für Stromnetze zu tun haben, und natürlich haben wir mit dem Antrag angestrebt, diese Ungerechtigkeiten zu überwinden. Fakt ist aber nach wie vor: Der Osten subventioniert Strom in West- und in Süddeutschland. Das wollen wir so nicht weiter haben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Ich war Anfang dieses Jahres mit anderen Bundestagskollegen am Chemiestandort in Leuna. Wir wollten die Möglichkeiten ausloten, künftig Batterien ohne Metalle herzustellen. Wir sind dann auch gut ins Gespräch gekommen; aber zunächst mussten wir uns von der chemischen Industrie Sätze arger Enttäuschung und Forderungen anhören, die angesprochenen Ungerechtigkeiten in diesem Gesetz zu beseitigen und gerechte Nutzungsentgelte zu schaffen. Es gab aus dem Bundeswirtschaftsministerium mit dem Gesetz zur Modernisierung der Netzentgelte das Versprechen, eine Vereinheitlichung vorzunehmen. Bundesminister Gabriel war nach einer intensiven Debatte im Haushaltsausschuss selbst in Leuna. Dieses Versprechen, diese Zusage, wurde nun nicht eingehalten. Da muss es Sie nicht wundern, meine Damen und Herren, dass der Landesverband Nordost der chemischen Industrie hier eine Lex Nordrhein-Westfalen vermutet, nämlich eine Besserstellung wegen der Landtagswahl. Im Antrag der Linken sind die Probleme uneinheitlicher Netzkosten anhand von Beispielen belegt. Wir haben es mit Mehrkosten von bis zu 100 Prozent zu tun, sowohl bei privaten Verbrauchern vor allem im ländlichen Raum, aber natürlich vor allem bei der energieintensiven Industrie. So werden die Bundesländer mit hohem Anteil an erneuerbaren Energien nun mit den gleichen Instrumenten, mit denen sie einmal gefördert wurden, bestraft. Das ist ein Treppenwitz der Wirtschaftsgeschichte – aber ein schlechter Treppenwitz, müssen wir Ihnen sagen. (Beifall bei der LINKEN) Bundesminister Gabriel hat heute Morgen bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts den Satz gesagt, wir hätten es mit einer gelungenen Energiewende zu tun. Die Stromrechnung vieler Verbraucher und die Energiekostenanteile in der Industrie sprechen eine deutlich andere Sprache. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Nun erfahren Sie zu Recht Widerspruch, vor allem aus den ostdeutschen Ländern. Ministerpräsident Tillich aus Sachsen wendet sich im Namen aller seiner Ministerpräsidentenkolleginnen und -kollegen an den Bundeswirtschaftsminister. Das Land Thüringen kündigt eine Bundesratsinitiative an. Sie werden dieses Thema heute also nicht los. Die Umweltministerin von Thüringen sagt wörtlich: „Diesen Wortbruch wollen wir nicht hinnehmen.“ Da muss ich sagen: So etwas kann das Wirtschaftsministerium doch nicht einfach aussitzen, meine Damen und Herren. Ministerpräsident Tillich aus Sachsen schreibt der Bundesregierung: Angesichts weiterer struktureller Nachteile der ostdeutschen Länder ist dies nicht hinnehmbar. Bekanntlich wird von der Unionsfraktion in diesem Hause alles, aber auch alles, was von der Linken vorgeschlagen wird, abgelehnt, und zwar nur deshalb, weil es von der Linken kommt. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es von uns kommt, auch!) Das, meine Damen und Herren, ist angesichts der Tatsache, dass Ihr Kollege Michael Fuchs heute Morgen selbst über Probleme im Energiesektor geklagt hat, wirklich eine Politik von gestern. Das ist so von gestern und so daneben, dass ich das im Osten inzwischen keinem mehr erklären kann. Die Wählerinnen und Wähler glauben mir gar nicht, dass Sie so von gestern sind. Ich finde ja, die Union ist klüger, als sie bei Abstimmungen hier demonstriert. Heute hätten Sie die Möglichkeit, das ein einziges Mal zu zeigen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Deshalb meine Aufforderung an die Union: Heute Hände hoch, wenn es um die Abstimmung über den Antrag der Linken geht! (Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Den Kopf hoch, nicht die Hände!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Ich möchte Ihnen, bevor ich den Kollegen Bareiß aufrufe, noch das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 557. Mit Ja haben gestimmt 444, mit Nein haben gestimmt 67, Enthaltungen gab es 46. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 557; davon ja: 444 nein: 67 enthalten: 46 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Rainer Hajek Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Barbara Woltmann Heinrich Zertik Dr. Matthias Zimmer SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Ewald Schurer Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Dr. Thomas Gambke Tom Koenigs Fraktionslos Erika Steinbach Nein SPD Ulrike Bahr Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Gabriele Hiller-Ohm Ralf Kapschack Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis René Röspel Dr. Nina Scheer Swen Schulz (Spandau) Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Dr. André Hahn Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Thomas Nord Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annalena Baerbock Katja Keul Sylvia Kotting-Uhl Monika Lazar Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Lisa Paus Corinna Rüffer Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Dr. Valerie Wilms Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Jetzt hat der Kollege Thomas Bareiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. – Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Claus hat noch gesagt: Liebe Stromkundinnen und liebe Stromkunden! Auch ich möchte das in aller Offenheit so sagen. – Lieber Herr Claus, unsere Hände gehen immer hoch, wenn es darum geht, die Energiewende bezahlbar zu gestalten. Leider haben wir von Ihnen in den letzten Jahren nichts dazu gesehen. Wir haben in zwei großen EEG-Novellen versucht, die Kosten für die erneuerbaren Energien in den Griff zu bekommen. Wir haben auch versucht, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Lieber Oliver Krischer, auch von euch haben wir da wenig gesehen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hättet ihr besser hingucken müssen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? So schlimm das ist, aber wir regieren seit zwölf Jahren nicht mehr! – Gegenruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!) Wir haben versucht, die Kosten in den Griff zu bekommen, indem wir gesagt haben: Wir müssen den Netzausbau gemeinsam mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien in den Griff bekommen und beides zusammenführen. Wir haben auch gesagt: Wir wollen den Ausstieg aus dem EEG, hin zu einem Wettbewerbsmodell, hin zu Ausschreibungen. – Auch da kam von Ihnen null Komma null. Wir haben in vielen, vielen Einzelschritten versucht, die Energiewende bezahlbar zu gestalten. Von Ihnen kam da nichts. Da haben Sie einiges versäumt. Ich glaube, das, was Sie heute vorgelegt haben, ist etwas Rückwärtsgewandtes. Wissen Sie: Es geht nicht darum, dass wir hier Kostenverteilungsdebatten führen. Es geht darum, dass wir versuchen, die Energiewende Stück für Stück bezahlbarer, sicherer und umweltfreundlicher zu gestalten. Wir sollten aber keine Verteilungsdebatten führen, um dahin zu kommen, dass alle das Gleiche zahlen müssen. Das führt in die falsche Richtung. Ich glaube, wir müssen die Energiewende effizient gestalten. Zu diesem Zweck haben wir vieles gemacht, und wir werden in dieser Legislaturperiode auch noch einiges tun, meine Damen und Herren. Denn wir glauben, wenn wir das nicht tun, wenn wir die Energiewende also nicht bezahlbar gestalten, dann werden wir Arbeitsplätze verlieren, dann werden wir auch die Zustimmung der Menschen zu diesem ganz, ganz großen Projekt verlieren, und dann werden wir es nicht schaffen, dass andere Länder mitziehen und uns folgen. Das ist ja das, was wir gemeinsam erreichen wollen: dass die Energiewende ein Exportschlager wird und andere Länder in Europa, aber auch außerhalb Europas mit uns mitziehen. Ich glaube, wir brauchen eine ehrliche Debatte. Ich sage ganz offen, dass es auch in unserer Fraktion, genauso wie in allen anderen Fraktionen, durchaus unterschiedliche Auffassungen gibt. Vor diesem Hintergrund möchte ich ein paar wenige Punkte, die meine beiden Vorredner angesprochen haben, aufgreifen. Ich glaube, die Energiewende ist im Kern ein lokales, regionales Projekt. Sie wird vor Ort gestaltet. Wir haben diese Idee in viele Gesetzgebungsinitiativen eingebracht. Wenn man die Energiewende vor Ort gestaltet, dann werden dort Chancen und Gewinne entstehen, aber auch Herausforderungen und Kosten; das muss man ebenfalls sehen. Das müssen wir zusammenbringen; denn nur so wird die Energiewende ein stimmiges Konzept. Lieber Herr Claus, dann muss man auch sagen, dass nicht nur der Osten den Westen bezahlt, sondern dass auch der Osten enorm von der Energiewende profitiert. Dies anzusprechen, gehört ebenfalls zur Ehrlichkeit in der Debatte. Wenn man sich den großen EEG-Topf anschaut: So profitiert derzeit allein Brandenburg jährlich mit 850 Millionen Euro davon. Ihr Heimatland, lieber Herr Claus, Sachsen-Anhalt, holt knapp 500 Millionen Euro aus dem EEG-Topf. Das heißt, jeder Bürger Ihres Landes profitiert von dem EEG-Topf mit 230 Euro pro Kopf. (Ulrich Freese [SPD]: Nein, die Eigentümer der Windparks!) Nordrhein-Westfalen – ich möchte mich nicht für dieses Land allein zum Anwalt machen – bezahlt die Veranstaltung mit jährlich 100 Millionen Euro. Auch das müssen wir sehen. Ferner gibt es regional sehr unterschiedliche Sichtweisen. Es entstehen neue Arbeitsplätze in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, an der Küste, (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Haufenweise!) auf der anderen Seite fallen aber auch Arbeitsplätze in den Braunkohle- und Steinkohlerevieren weg. Auch dies ist uns allen bekannt. Deshalb entstehen Ungleichheiten vor Ort nicht nur im Bereich der Netzentgelte, wo wir durchaus sehen, dass wir dort etwas tun müssen, sondern auch in anderen Bereichen, Ungleichheiten, die wir sehen müssen, wenn wir das Gesamtbild betrachten wollen. Deshalb sage ich in aller Deutlichkeit: Die Energiewende ist ein lokales Projekt. Wir müssen die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen. Wir brauchen Potenzial vor Ort. Wir können nur dort Windräder bauen, wo auch tatsächlich Wind bläst, und wir können nur dort Anlagen zur Solarenergiegewinnung aufbauen, wo die Sonne am meisten scheint. Es gibt also nicht nur im Bereich der erneuerbaren Energien Ungerechtigkeiten, sondern auch in anderen Bereichen. Auch das gehört zur Wahrheit und sollte zur Kenntnis genommen werden. Wir brauchen in den nächsten Jahren enorme Investitionen im Bereich des Netzausbaues. Übertragungsnetze müssen gebaut werden. Wir werden bis 2025 allein für Übertragungsnetze 50 Milliarden Euro investieren müssen. Diese Summe ergibt sich dadurch, dass wir einen Teil der Netze modernisieren müssen, aber auch dadurch, dass die Energiewende uns neue Herausforderungen stellt. Ein Großteil der Windenergie vom Norden muss in den nächsten Jahren verstärkt in den Süden transportiert werden. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Bareiß, darf ich Sie kurz unterbrechen? – Der Kollege Claus würde Ihnen gern eine Frage stellen. Gestatten Sie das? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Aber gerne. Ich freue mich darauf. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Herr Kollege Claus. Roland Claus (DIE LINKE): Herr Kollege Bareiß, ich gehe einmal davon aus, dass Ihnen auch der Brief des Ministerpräsidenten Tillich vorliegt. Er ist ja offenbar so etwas wie Ihr Parteifreund, jedenfalls sind Sie nach meiner Kenntnis beide in der CDU. Wollen Sie damit sagen, dass die Argumente, die der Ministerpräsident hier vorträgt und die vielen unserer Argumente ähneln und zum Teil wortgleich sind, für Sie gegenstandslos und nicht verhandlungsfähig sind? Thomas Bareiß (CDU/CSU): Herr Claus, ich habe in meiner bisherigen Rede dargestellt, dass die Energiewende viele Teilbereiche hat, die gesehen werden müssen, und dass es in vielen Teilbereichen Ungleichheiten gibt, aber auch Chancen und Risiken. Ich habe auch gesagt, dass der Osten – Sachsen-Anhalt und Brandenburg, ich habe es klar beschrieben – in vielen Bereichen von der Energiewende profitiert. Ich habe aber auch nicht bestritten, dass es andere Bereiche gibt, wie die Netzentgelte, in denen der Osten noch nachlegen muss, in denen man mehr tun muss und in denen es Ausbaukosten gibt. Diese Kosten werden derzeit auf diese Bundesländer gewälzt. Es ist in Teilbereichen richtig, was Sie gesagt haben. Aber daraus zu folgern, dass wir alles sozialisieren müssen, das ist nicht richtig. Ich denke, wir müssen fein differenzieren. Wenn Sie noch etwas gewartet hätten, bis ich weitergesprochen hätte, dann hätte ich Ihnen auch erklärt, dass wir die Kosten für Teile der Übertragungsnetze auch heute schon bundeseinheitlich wälzen. Maßnahmen, die aus der Energiewende auf uns zukommen, beispielsweise die dreispurige Stromautobahn vom Norden in den Süden, werden bundeseinheitlich gewälzt. Auch die Offshoreanbindung, die im Norden geschieht, in der Ostsee und in der Nordsee, wird bundeseinheitlich gewälzt, lieber Herr Claus. Ebenfalls werden andere Maßnahmen, beispielsweise die Erdverkabelung in Niedersachsen, die dafür wichtig ist, dass wir auch dort Akzeptanz für die erneuerbaren Energien und den Netzausbau finden, bundeseinheitlich gewälzt. Das heißt, jeder hat ein Stück weit diese Kosten zu tragen. Es ist also richtig, dass wir die Kosten für gesamtstaatliche Aufgaben bundeseinheitlich wälzen. Ob dies aber für jede Modernisierung der Übertragungsnetze gelten soll, da setze ich noch ein Fragezeichen; das sage ich ganz offen. Wir müssen auch darüber diskutieren, welche Konsequenzen das auf die Strompreise jedes Einzelnen in Zukunft haben wird. Es wird speziell für die Industrie Auswirkungen haben. Auch das müssen wir offen sagen; das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Die Netzentgelte für das Übertragungsnetz machen bei Privathaushalten nur einen Anteil von 3 bis 4 Prozent des Gesamtstrompreises aus, aber bis zu 100 Prozent bei den sehr großen Industrieunternehmen, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen. Die Unternehmen, die beispielsweise Aluminium produzieren, haben teilweise 100 Prozent der Entgelte für das Übertragungsnetz zu tragen. Sie würden ganz besonders stark von bundeseinheitlichen Wälzungen in Mitleidenschaft gezogen werden. Das würde eine enorme Gefahr für unseren Industriestandort Deutschland bedeuten. Ich glaube, auch das müssen wir in unsere Überlegungen mit einbeziehen. Das Projekt, das Sie angestoßen haben und das wir auch diskutieren werden, darf nicht dazu führen, dass wir Arbeitsplätze in Gesamtdeutschland verlieren. Das wäre, glaube ich, der falsche Weg in Bezug auf die Energiewende. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich glaube, das hat durchaus ein paar Klatscher verdient. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben die Verteilnetze angesprochen, die ebenfalls wichtig sind. 98 Prozent unserer Netze im Niederspannungsbereich sind Verteilnetze. 90 Prozent aller EEG-Anlagen werden an die Verteilnetze vor Ort angeschlossen. Hier sieht man ganz konkret, dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energie auf der einen Seite und dem notwendigen Ausbau der Netzinfrastruktur auf der anderen Seite gibt. In diesem Bereich sehe ich – im Gegensatz zu den Linken – bundeseinheitliche Wälzungen nicht als notwendig an. In Ihrem Antrag haben Sie Düsseldorf und das Havelland verglichen. Das Havelland hat 600 Windräder. Dort ist in den letzten Jahren Wertschöpfung entstanden, was zu Arbeitsplätzen geführt hat. Daran sieht man, dass auch eine Region von solchen Projekten profitiert und entsprechend höhere Netzkosten tragen muss. Meine Damen und Herren, wir werden in den nächsten Jahren leider erleben, dass die Netzkosten weiter steigen werden. Wir werden weiter investieren müssen, damit der Netzausbau gelingt. Deshalb brauchen wir eine sinnvolle Verteilung der Netzausbaukosten. Das ist unserer Fraktion sehr wichtig. Deshalb werden wir uns mit diesen Themen in den nächsten Wochen beschäftigen. Mit dem NEMoG, dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf, werden wir das Thema „vermiedene Netzentgelte“ angehen. Auch das ist ein ganz wichtiger Beitrag. Dadurch werden wir 57 Millionen Euro umschichten, und auch die neuen Bundesländer werden mit 200 Millionen Euro ganz konkret davon profitieren können. Meine Damen und Herren, mit Verteilungsdebatten werden wir die Energiewende nicht zum Gelingen bringen. Wir brauchen Debatten zu den Themen Energiesicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit. Ich glaube, dass wir hier in den letzten vier Jahren sehr viel gemacht haben und dass wir mit dem NEMoG in den nächsten Monaten den entscheidenden Baustein setzen werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Oliver Krischer das Wort. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es eigentlich? Netzentgelte machen ungefähr 25 Prozent unseres Strompreises aus. Damit wird das gesamte Stromnetz finanziert. Hier unterteilt man zwischen dem Übertragungsnetz – das sind die großen Masten – und dem Verteilnetz, bei dem die Kabel in den Straßen unserer Städte liegen. (Thomas Jurk [SPD]: Na, ganz so einfach ist es nicht!) Dieses Thema ist wichtig, weil die Netzentgelte dringend reformbedürftig sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Heute wird nämlich einfach über die Kilowattstunde bezahlt, egal ob das Netz belastet oder unbelastet ist. Die meisten privaten Verbraucher zahlen einfach einen Kilowattstundenpreis. Viele Industriekunden zahlen gar nichts, und manche – das wissen wir alle – belasten sogar das Netz, verhalten sich netzschädlich und bekommen dann noch Anreize. Das alles gehört dringend reformiert. Das hat die Bundesregierung auch erkannt. Wenn man im Grünbuch und im Weißbuch nachliest, dann sieht man, dass das alles drinsteht. Leider sind wir jetzt am Ende der Legislaturperiode. Sigmar Gabriel verabschiedet sich aus dem Amt, und eine Lösung dieses Reformbedarfs ist nicht erkennbar. Ich sage ehrlich: Das ist im Rahmen der Umsetzung der Energiewende ein Fall, bei dem diese Bundesregierung versagt hat. Das muss man an dieser Stelle ganz klipp und klar sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Man hebt sich dies für spätere Zeiten auf. Eben wurde schon das NEMoG erwähnt. Das ist aber nur der Torso eines Gesetzes. Es mag einmal in der Überlegung gewesen sein, dass dieser Entwurf einen Reformansatz für die Netzentgelte liefern sollte. Jetzt steht da nur noch, dass die vermiedenen Netzentgelte langsam abgeschmolzen werden sollen. Das ist ein kleiner Baustein dieses ganzen Themas. Man beantwortet damit noch nicht einmal die Frage, wie man die Kraft-Wärme-Kopplung, die man ausbauen will und deshalb fördert, die aber unter den vorgesehenen Regelungen leiden würde, erhalten will. Diese Frage wird nicht beantwortet. Das ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sigmar Gabriel hinterlässt uns hier Trümmer der Energiewende; das kann man an dieser Stelle nicht anders sagen. Genauso wird nach wie vor nicht angegangen, Transparenz bei den Netzentgelten zu schaffen. Es kann doch nicht sein, dass wir in Deutschland Monopolbetriebe haben und uns öffentlich nicht bekannt ist, was dort wie viel kostet. Ich kann mir meinen Netzbetreiber nicht aussuchen und muss zahlen. Dann erwarte ich aber schon, dass hier umfassende Transparenz hergestellt wird. Das ist im Energiewirtschaftsgesetz verankert, wird aber nicht umgesetzt. Das müsste mit klaren Regelungen hinterlegt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Damit komme ich zu dem Antrag der Linken. Das ist natürlich auch eine Frage der Regionalität. Ich hatte es bisher, Herr Bareiß, in diesem Haus als Konsens wahrgenommen, dass die Netzentgelte für das Übertragungsnetz bundeseinheitlich gewälzt werden sollen. Das ist auch sinnvoll. Man kann doch niemandem erklären, dass die Menschen für eine große Stromleitung vor ihrer Haustür zahlen sollen, auch wenn der Strom in ein ganz anderes Netzgebiet geführt wird. (Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]) Das finde ich nicht in Ordnung. Deshalb sollte eine entsprechende Regelung in das Gesetz aufgenommen werden. Das war so angekündigt, und in ersten Entwürfen, die wir in der Straßenbahn gefunden haben, stand das auch drin. Warum diese Regelung herausgefallen ist, verstehe ich nicht. Da drückt sich die Große Koalition offensichtlich wieder einmal vor einer schwierigen Entscheidung. Man hätte hier Führung zeigen und eine klare Linie verfolgen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Claus, was die Linkspartei in ihrem Antrag schreibt, auch wenn er schon zwei Jahre alt ist, macht die Sache nicht besser. Daraus einen Ost-West-Konflikt zu machen, finde ich, ehrlich gesagt, skurril. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Aber nicht wir!) – Doch. Ich habe hier die Rede von Herrn Claus gehört. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wenn Sie zugehört hätten, wäre Ihnen das aufgefallen!) Das Problem besteht nicht nur zwischen Ost und West. Das ist in Deutschland viel komplizierter. Schauen Sie nach Bayern und nach Schleswig-Holstein! Da gibt es eine ganze Menge Unterschiede. (Beifall des Abg. Florian Post [SPD]) Was ich falsch finde – und da bleibt Ihr Antrag leider unklar –, ist Ihre Argumentation in Bezug auf die Verteilnetzbetreiber. Ich hatte es bisher immer so wahrgenommen, dass die Linke, wie wir auch, dafür kämpft, dass Kommunen ihre Verteilnetze selber betreiben können, dass die Netze also in der Verantwortung der Kommunen bleiben. Wenn Sie aber anfangen, die Gebühren für die Verteilnetze – ich rede nicht von den Übertragungsnetzen – bundesweit zu wälzen, dann entsteht dadurch nicht nur ein bürokratisches Monstrum. Damit geben Sie zudem den Anhängern einer neoliberalen Regelung, die die Rolle der Stadtwerke mit Blick auf die Verteilnetze gerne beschränken wollen – dazu gehört auch Herr Homann von der Bundesnetzagentur –, die passenden Argumente an die Hand. Deshalb sage ich nur: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Da passen Ihre Argumente nicht zusammen. Bei den Übertragungsnetzbetreibern brauchen wir eine bundeseinheitliche Wälzung, aber bei den Verteilnetzbetreibern sehe ich diese Notwendigkeit nicht. Ich will dezentrale, möglichst kommunale Stadtwerke, die die die Netze vor Ort effizient betreiben und die Gebühren am besten gestalten. Das muss unser gemeinsames Ziel im Sinne der Energiewende sein. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Thomas Jurk, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD) Thomas Jurk (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Linken kommt relativ schlicht daher. Es wird begehrt, nur einen einzigen Satz zu beschließen. Ich stelle fest: Dieser Antrag ist sicher gut gemeint, geht aber sowohl an der Struktur der Netze als auch an der aktuellen politischen Debatte vorbei. Kollege Krischer, ich habe mir einmal die Debatte vom 14. November 2014 angeschaut. Da sind Sie von dem früheren energiepolitischen Sprecher Dirk Becker gelobt worden. Deswegen brauche ich das an dieser Stelle nicht zu machen. Sie liegen ausnahmsweise einmal völlig richtig. Das Bashing gegen Sigmar Gabriel will ich hier nicht kommentieren. Es macht aber keinen Sinn, alle Netzebenen in einen Topf zu werfen; denn das hieße gleichsam, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Es geht neben den vermiedenen Netzentgelten aktuell um die Übertragungsnetzentgelte der vier großen Übertragungsnetzbetreiber Amprion, TransnetBW, TenneT und 50Hertz. Wir stellen fest, dass die Preisunterschiede in den jeweiligen Netzgebieten erheblich sind. Je nachdem, ob man bei einem günstigen Übertragungsnetzbetreiber zu Hause ist oder bei einem teureren, bekennt man sich – bis auf wenige Ausnahmen – für oder gegen eine bundesweite Wälzung der Netzentgelte. Es ist wirklich kein Ost-West-Thema; einige Redner haben bereits darauf hingewiesen. Denn bei bundesweit gleichen Übertragungsnetzentgelten würden die Verbraucher in zwölf Bundesländern profitieren. In vier Ländern würden die Übertragungsnetzentgelte steigen. So ist es nicht verwunderlich, dass in Ländern mit zukünftig höheren Netzkosten bei einer bundesweiten Wälzung der größte Widerstand zu verzeichnen ist. Auch die CDU-Landesgruppe NRW im Bundestag verlangt vom Kanzleramt den Stopp entsprechender Neuregelungen, sieht man doch die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie bedroht. Aktuell erreicht die Bundeskanzlerin Post von 87 Unternehmen, Verbänden und Kammern aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Hannover und den ostdeutschen Bundesländern. Lassen Sie mich kurz aus diesem aktuellen Brief – er wurde bereits veröffentlicht – zitieren. Unter dem Stichwort „Ungerecht und nicht zukunftsfähig“ heißt es: Erneuerbare Energien werden vor allem in dünnbesiedelten und eher ländlich geprägten Regionen erzeugt. Die Kosten für die Netzintegration verteilen sich dort also auf wenige Verbraucher. Gleichzeitig produzieren diese Regionen einen Überschuss an günstigem Strom, von dem alle Kunden in Deutschland profitieren. Es ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb gerade diese Regionen überproportional hohe Netzentgelte zahlen müssen. Weiter heißt es unter dem Stichwort „Volkswirtschaftlich widersinnig“: Das teils deutlich auseinanderliegende Übertragungsnetzentgelt benachteiligt bestehende Gewerbe- und Industriestandorte, setzt Fehlanreize für die Neuansiedlung von Industrie und Gewerbe in den betroffenen Regionen und zieht damit erhebliche volkswirtschaftliche Nachteile nach sich. Recht so. Ich finde es bemerkenswert, dass sich Michael Fuchs von der CDU/CSU-Fraktion heute Morgen in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht für bundeseinheitliche Übertragungsnetzentgelte ausgesprochen hat. Beim Kollegen Bareiß habe ich nicht ganz erkennen können, was er davon hält. Er hat ein bisschen um den heißen Brei herumgeredet. Aber ich gestatte mir einen Hinweis zu den Profiteuren des EEG-Topfes: Man muss immer genau schauen, wer Eigentümer der Anlagen ist, die aus dem EEG-Topf finanziert werden. Das müssen nicht unbedingt Leute aus Brandenburg oder Sachsen-Anhalt sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Ulrich Freese [SPD]: Richtig, Thomas! Das musste mal gesagt werden!) Lieber Kollege Krischer, das kann ich Ihnen jetzt nicht ersparen; denn ich lese auch, was Ihre Parteifreunde in meinem Heimatbundesland Sachsen von sich geben. Ich rate Ihnen, Ihre Kollegen ein bisschen aufzuschlauen. Der energiepolitische Sprecher der Grünen im Sächsischen Landtag hat übrigens gesagt, er sei gegen eine bundesweite Wälzung, und beruft sich dabei auf das Gutachten von Amprion. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Bundeseinheitliche Übertragungsnetzentgelte sind für mich kein Akt der Solidarität. Vielmehr sind sie ein Gebot der Gerechtigkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gerecht ist, wenn deutschlandweit alle Verbraucher in gleichem Maße an der Finanzierung der Übertragungsnetze beteiligt werden. Bei der Anbindung von Offshorewindanlagen und Erdkabeln gibt es eine bundesweite Wälzung längst; das wurde in der Debatte bereits angesprochen. Bei Redispatch-Kosten und Einspeisemanagement wäre das meines Erachtens auch gerechtfertigt. Ich habe die Hoffnung, dass es uns gelingt, noch in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages eine bundesweite Wälzung der Übertragungsnetzentgelte zu beschließen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man Herrn Jurk zugehört hat, könnte man fast glauben, dass die CDU-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen über Gesetzentwürfe aus dem Hause Gabriel – diese will noch dazu Herr Krischer in der U-Bahn gefunden haben – entscheiden kann. Ich glaube das nicht. Letztlich kommen die Gesetzentwürfe aus dem Hause Gabriel. Wir beraten heute einmal mehr über den Antrag der Fraktion Die Linke über bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom. Wir hatten im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir das System der Netzentgelte überprüfen werden, insbesondere ob es den Anforderungen der Energiewende noch gerecht wird, und zwar vor allem im Hinblick auf eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der Netzinfrastruktur. Es gibt in Deutschland vier große Übertragungsnetzbetreiber. Dies hat historische und keine sachspezifischen Gründe. Jeder Betreiber hat eine eigene Regelzone und damit auch ein eigenes Netzentgelt. Die meisten Kosten verbleiben im jeweiligen Netzgebiet, also auch die Kosten für Regelenergie, für die Redispatch-Maßnahmen, die Kosten für das Einspeisemanagement und eben auch die Kosten für den Ausbau der Übertragungsnetze. Die Übertragungsnetzentgelte werden damit immer mehr durch Umstände bestimmt, die der einzelne Übertragungsnetzbetreiber nicht beeinflussen kann. Der Ausbau der Höchstspannungsnetze ist bekanntermaßen für den Transport der Windenergie von Nord nach Süd und des Photovoltaikstroms von Süd nach Nord wichtig. Die Kostenaufteilung nach Netzgebieten führt dazu, dass die Übertragungsnetzentgelte je nach dem jeweiligen Netzgebiet unterschiedlich stark ansteigen. Bereits heute gibt es erhebliche regionale Unterschiede. Wenn man das Kalenderjahr 2017 anschaut, dann sieht man, dass allein in diesem Jahr die Übertragungsnetzgebühr der TenneT um circa 80 Prozent gestiegen ist, bei Amprion im Vergleich dazu um lediglich 10 Prozent. Nun ist klar, dass der Netzausbau – darin sind wir uns, glaube ich, einig – für die Energiewende absolut notwendig ist. Die Energiewende wiederum – so heißt es auf jeden Fall immer – ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch deshalb sollten die Kosten des Netzausbaus, die der Energiewende geschuldet sind, von der Gesamtheit getragen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich vergleiche das gerne mit dem System der Bundesautobahnen. Es würde niemand darauf kommen, die Autobahn, die beispielsweise durch die Oberpfalz oder durch das schöne Mecklenburg-Vorpommern führt, der jeweiligen Region in Rechnung zu stellen, die damit durchschnitten wird. Auch die Bundesnetzagentur sieht eine Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte als Chance für eine Angleichung des Netzentgeltniveaus und hält diese aufgrund der gemeinschaftlichen Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber auch für gerechtfertigt. Natürlich brauchen wir Übergangsfristen, und natürlich müssen wir auch unterschiedliche Investitionen aus der Vergangenheit berücksichtigen. Aber wenn wir nichts machen – da dürfen wir uns nichts vormachen –, dann wird der Abstand bei den Netzkosten zwischen den Netzzonen noch größer werden. Es geht hier nicht um einen Markt zwischen den Übertragungsnetzbetreibern; den gibt es nämlich nicht, allein schon aus Definitionsgründen. Es geht darum, einheitliche Marktvoraussetzungen für den Mittelstand und Unternehmen, die sich am Markt bewegen und im Wettbewerb zueinander stehen, zu schaffen. Das sind wir als Regelsetzer dem Wettbewerb schuldig. Anders ist es – das wurde schon angesprochen – im Bereich der Verteilnetze, also dem Netzbereich der Niederspannung. Ich will hier noch einmal den Vergleich zu den Straßen ziehen. Auch der Kollege Krischer hat angesprochen, dass es im Bereich der Gemeinde- und Kreisstraßen ebenso widersinnig wäre, wenn wir den Kommunen die Verantwortung entzögen und diese auf die höhere Ebene verlagerten. So ist es auch bei den Verteilnetzen. Unter anderem müsste sonst ein Ausgleich unter den rund 900 Verteilnetzbetreibern organisiert werden. Es würde ein massiver bürokratischer Aufwand entstehen. – Es gibt eine Zwischenfrage. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie gestatten die Zwischenfrage, entnehme ich daraus. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Ja. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön, Herr Kollege Freese. Ulrich Freese (SPD): Schönen Dank, Herr Lenz, dass Sie mir die Zwischenfrage gestatten. Ich habe mit Interesse zugehört und einen Vorschlag erkennen können, der eine andere Finanzierung der Energiewende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe vorsieht. Die Finanzierung ist, denke ich, dann wahrscheinlich über den Haushalt zu regeln. Spannend für uns ist, weil wir das ansatzweise bei uns diskutieren, die Frage: Ist das Diskussionsstand innerhalb der CDU/CSU-Fraktion, und haben Sie hierzu eine geschlossene Meinung, oder ist es Ihre persönliche Meinung, die Sie gerade vorgetragen haben? Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Es freut mich natürlich immer, wenn mir zugehört wird. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die andere Frage ist, ob das, was ich sage, auch verstanden wird. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Ich habe gesagt, dass die Energiewende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und deswegen die Kosten der Energiewende – hier spreche ich über die Kosten der Übertragungsnetze – nicht auf einer Region lasten bleiben dürfen. Jetzt gibt es unterschiedliche Vorschläge, wie man hier zu einer Wälzung, also zu einer Angleichung, kommen könnte. Meine Intention ist, dass man das nicht haushalterisch löst, sondern im System der Übertragungsnetzentgelte bleibt, aber bundesweit zu einer Angleichung kommt. Hier muss man schauen, dass die Investitionen, die bei den einzelnen Übertragungsnetzbetreibern in der Vergangenheit geleistet wurden, in solch einem Mechanismus mit berücksichtigt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wie gesagt: Anders ist die Sache bei den Verteilnetzen. Deswegen brauchen wir hier auch andere Lösungen. Es wurde auch seitens der Bundesnetzagentur in einer Stellungnahme verkündet, dass sie bei den Verteilnetzen nichts von einheitlichen Netzentgelten hält. Ich will noch kurz auf die vermiedenen Netzentgelte zu sprechen kommen. Es ist es ja so, dass die Annahme, der Zubau von dezentralen Anlagen im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien würde den Bedarf an Netzausbau verringern und so in zunehmendem Maße Infrastrukturkosten vermeiden, sich nicht bestätigt hat. Im Gegenteil: Teilweise bedingt er sogar einen zusätzlichen Netzausbau. Ich bin der Meinung, dass man hier trennen muss zwischen den stark volatilen Erneuerbaren wie Wind und Photovoltaik und den tatsächlich netzdienlichen Erneuerbaren, aber auch anderen Energiequellen, die den Bedarf an Netzausbau entsprechend entlasten. Die Linke will alle Netzentgelte bundesweit vereinheitlichen. Wenn Sie so tun, als ob für den Osten der Republik nichts getan würde, dann ist das der eigentliche Treppenwitz, der hier verkündet wurde. Man muss bei der Frage der Netzentgelte sicherlich genauer hinschauen und zwischen Verteilnetzen und Übertragungsnetzen unterscheiden. Wir werden uns mit der Frage der Netzentgelte weiter intensiv befassen und eine Lösung finden. Entscheidend ist, einen Rahmen zu schaffen, der den notwendigen Netzausbau voranbringt und die Kosten der Energiewende gerechter verteilt. Der Thematik nehmen wir uns an, Ihren Antrag lehnen wir ab. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3749, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3050 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Zweite Verordnung zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung Drucksachen 18/10483, 18/10696 Nr. 2, 18/11006 b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Dr. Franziska Brantner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dreizehntes Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Drucksache 18/10859 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/11006 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen Drucksachen 18/4329, 18/11006 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat die Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es zieht die Menschen in die Städte; wir erleben seit einigen Jahren einen starken und ungebremsten Trend. Wir brauchen deswegen in unseren Städten neue Wohnungen – viele neue Wohnungen, wie wir alle wissen. Wir reden in der Wohnungspolitik über bezahlbaren Wohnraum und Neubau, über Nachverdichtung und Aufstockung, das Schließen von Baulücken und das Erschließen von Baulandreserven. Es ist außerdem richtig, dass wir über Menge, also über Quantität, reden. Aber wir dürfen dabei die Qualität des Lebens in unseren Städten nicht aus den Augen verlieren. Das Leben in den Städten muss lebenswert bleiben. Dazu gehört beispielsweise auch der Sportplatz um die Ecke. Deswegen muss der Breiten- und Freizeitsport seinen wichtigen Platz in unseren Städten und Gemeinden behalten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Praxis erleben wir allerdings wegen der fortschreitenden Verdichtung der Ballungsräume auch eine Zunahme von Nachbarschaftskonflikten, nicht zuletzt mit dem Sport. Sportanlagen werden zunehmend in der Nutzung eingeschränkt oder sogar in die Außenbereiche verdrängt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem wollen wir entgegentreten; denn Sportangebote gehören in die Mitte unserer Gesellschaft, auch in den Ballungsräumen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb liegt Ihnen heute die Novelle zur Sportanlagenlärmschutzverordnung – ein schwieriges Wort – zur Beratung vor. Ziel der Novelle ist es, eine intensivere Nutzung von Sportanlagen zu ermöglichen und Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. In ihrer aktuellen Fassung ist die Sportanlagenlärmschutzverordnung mehr als 25 Jahre alt. Sie stammt aus dem Jahr 1991. Natürlich hat sich die Welt seitdem verändert. Es ist Zeit für einige gezielte Anpassungen. So wollen wir die Emissionsrichtwerte für die abendlichen Ruhezeiten sowie für die Ruhezeiten an Sonn- und Feiertagen von 13 bis 15 Uhr um 5 Dezibel erhöhen und damit auf das Niveau der übrigen Zeiten bringen. Praktisch heißt das: Mit dieser Änderung wird der Zeitraum zur Nutzung von Sportanlagen in den Ruhezeiten um etwa das Dreifache verlängert. Darüber hinaus wollen wir mit der Verordnung den Sportbetrieb auf älteren Anlagen, die bereits vor dem Jahr 1991 genutzt wurden, rechtlich besser absichern. Vor allem Modernisierungsmaßnahmen, mit denen eine Sportanlage an den Stand der Technik angepasst wird, zum Beispiel durch den Einbau von Kunstrasen auf Ascheplätzen, sollen die weitere Nutzung nicht infrage stellen. Es hat wirklich niemand verstanden: Ältere Sportanlagen, die schon vor 1991 errichtet wurden, noch in Betrieb waren und modernisiert wurden, verlieren nach geltendem Recht – das ist bis heute so – ihre Zulassung. Das ist so etwas von widersinnig. Das korrigieren wir jetzt, wie sich das gehört. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Alle Sachverständigen, die zur Novelle zur Sportanlagenlärmschutzverordnung gehört worden sind, haben diese beiden Änderungen als deutlichen Beitrag zur Förderung des Sports und zu einer intensiveren Nutzung der Sportanlagen gelobt. Selbstverständlich hätte es aus Sicht des Sports noch mehr Lockerungen beim Lärmschutz geben können. Aber es gilt eben auch, die Balance zu wahren. Mit den jetzt vorgeschlagenen Änderungen garantiert die Sportanlagenlärmschutzverordnung weiterhin einen wirksamen Lärmschutz für die Nachbarn von Sportanlagen. Die Verordnung gleicht zwischen den widerstreitenden Interessen des Sports einerseits und dem Ruhebedürfnis der Nachbarschaft andererseits aus. Sie orientiert sich an unseren veränderten Lebensgewohnheiten und trägt dazu bei, dass unsere Städte lebendig und lebenswert bleiben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Menz, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Menz (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir alle wollen, dass Kinder und Jugendliche ihre Freizeit sinnvoll gestalten, wie man so schön sagt, dass sie sich mehr bewegen, mehr Sport treiben, dass sie in Sportvereinen zusammenkommen. Dafür brauchen Kinder und Jugendliche Räume und Flächen, die für sie leicht zugänglich, also nah am Wohnort, sind, und sie brauchen die Freiheit, sich auf diesen Flächen zu bewegen, ohne dabei die Angst zu haben, zu laut zu sein. Die nun vorliegende Verordnung hat einen großen Mangel: Die existierenden Regelungen zur Privilegierung von Kinderlärm werden nicht auf die Sportanlagen ausgeweitet. Wie der Gesetzgeber 2011 richtig feststellte, ist Kinderlärm keine umweltschädliche Einwirkung. Dieser Grundsatz muss auch für Geräusche von Kindern und Jugendlichen gelten, die auf Sportanlagen aktiv sind. Für die Linke ist das Kinderprivileg ein wichtiges Signal an die Kinder und Jugendlichen, ihnen Raum zu lassen, und zwar nicht irgendwo am Rande unserer Städte und Dörfer, sondern mitten unter uns. Kinder und Jugendliche müssen sich willkommen fühlen. Wenn aber die Gesellschaft fürchtet, dass das die Lebensqualität beeinträchtigt, dass der Wert von Immobilien dadurch gemindert wird oder die Vermietbarkeit sinkt, dann setzt sie die falschen Prioritäten. Weil sportliche Aktivitäten in aller Regel mit Geräuschen verbunden sind, muss in dichtbewohnten Gebieten natürlich ein angemessener Kompromiss zwischen den Interessen der Sporttreibenden und denen der Anwohner und Anwohnerinnen gefunden werden. Allerdings sollten wir dabei unterscheiden zwischen Geräuschen, die von spielenden und sportaktiven Kindern und Jugendlichen ausgehen, und den Immissionen, die durch Gewerbe- und Verkehrslärm entstehen. Dass die Ausübung von Freizeit- und Breitensport durch Grenzwerte erschwert werden kann, die noch unter den Grenzwerten des Verkehrslärms liegen, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Wenn es also darum geht, die Menschen vor allem auch in den immer dichter werdenden Ballungsräumen vor den ernstzunehmenden Gefahren zu starker Lärmbelastung zu schützen, dann sollte mit Blick auf die Gesamtemission zum Beispiel beim Verkehrslärm nachgebessert werden, und zwar sowohl im Sinne der Gesundheit als auch der Umwelt. Überlegenswert wäre, den im Rahmen von Sportveranstaltungen entstehenden An- und Abfahrtslärm nicht unter die Sportanlagenlärmschutzverordnung fallen zu lassen, sondern als Verkehrslärm zu behandeln. Denn wie in der Anhörung deutlich wurde, führt gerade dieser An- und Abfahrtsverkehr häufig zu Konflikten mit Anwohnerinnen und Anwohnern. Auch wenn die vorhin genannten Überlegungen bisher nicht berücksichtigt wurden, ist es gut, dass die Sportanlagenlärmschutzverordnung nun modernisiert wird. Wir haben das schon in der letzten Legislaturperiode gefordert und sehen, dass die Bundesregierung im Grundsatz hier auch gute Vorschläge macht. Vor allem die Absenkung des Lärmschutzes während der Ruhezeiten am Abend sowie an Sonn- und Feiertagen um 5 Dezibel ist eine sinnvolle Maßnahme, um das Zeitfenster für den Freizeit- und Breitensport auszuweiten. Sportstätten können damit vor allem dann genutzt werden, wenn die Menschen auch die Zeit dazu haben: am Abend und an den Wochenenden. Auch die Festlegung der Immissionswerte für urbane Gebiete auf 63 Dezibel am Tag und 48 Dezibel in der Nacht halten wir für geeignet, um im städtischen Raum einen sinnvollen und fairen Interessenausgleich zu erreichen. Aber neben der Privilegierung von Kinderlärm auf Sportanlagen fehlt die Erweiterung des sogenannten Altanlagenbonus auf Anlagen mit Stand 2017. Damit würde man dann auch der Infrastrukturentwicklung in den ostdeutschen Bundesländern gerecht werden. Schließlich sollte ein Irrelevanzkriterium in die Verordnung aufgenommen werden, damit Konflikte bei geringfügigen Überschreitungen einfacher gehandhabt werden können. Mit diesen Ergänzungen würden wir eine wirkungsvolle und rechtssichere Grundlage schaffen, um die Sportmöglichkeiten, insbesondere für Kinder und Jugendliche, zu verbessern und ein gutes Zusammenleben zu fördern. Leider konnte sich der Ausschuss nicht auf diese wichtigen Ergänzungen einigen, sodass meine Fraktion sich enthalten wird. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Karsten Möring. (Beifall bei der CDU/CSU) Karsten Möring (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Menz, Sie machen hier eine Scheindiskussion auf, wenn Sie das Thema Kinderlärmprivilegierung hochziehen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sahen die Sachverständigen aber etwas anders!) Die Diskussion bei der Sachverständigenanhörung am Montag hat doch ganz klar gezeigt, dass alle Beteiligten, von den Sportverbänden einerseits bis zu den Vertretern von Haus & Grund andererseits, letztlich gesagt haben: Wir haben eine gute Vorlage. – Der eine möchte ein bisschen mehr hiervon, der andere möchte ein bisschen weniger davon. Das ist der normale Interessengegensatz, aber das Endergebnis war: Wir liegen da völlig richtig. Warum ist das eine Scheindiskussion, die Sie aufmachen, wenn Sie Kinderlärm thematisieren? Wir wissen genau – auch das ist am Montag thematisiert worden –, dass die Unterscheidung von Kinderlärm und Nichtkinderlärm auf Sportplätzen de facto nicht möglich ist. Ich habe den Vertreter des Städte- und Gemeindebundes oder den Vertreter des Deutschen Städtetages – ich weiß nicht mehr genau, wer es war – extra gefragt, ob er sich vorstellen kann, dass das umsetzbar ist. Er hat gesagt: Das ist das große Problem, aber ein Rezept hat er nicht. – Was haben wir stattdessen gemacht? Wir haben etwas gemacht, was darüber hinausgeht, was Kinderlärmprivilegierung erreichen würde. Durch die Veränderung der Werte für die Ruhezeiten haben wir nicht nur die Möglichkeiten für den Sport von Kindern erweitert, sondern wir haben gleichzeitig die Möglichkeiten für den Sport von Erwachsenen und Jugendlichen erweitert. Das können Sie doch nicht als Mangel betrachten. Das ist ein wichtiger Erfolg. Bei den anderen Punkten, die Sie nennen, ist es genauso. Wenn Sie darauf rekurrieren, dass man den Grenzwert für Verkehrslärm senken müsste, der höher ist als der für Lärm von Sportanlagen, dann möchte ich Sie auch fragen: Wie? Wir können natürlich den Verkehr stilllegen oder Lärmschutzmauern ohne Ende in der Stadt aufbauen. Sie wissen doch genau, warum wir diese Grenzwerte haben und warum wir beim Sport nicht dieselben Grenzwerte haben. Welche Folgen hätte das? Dann würden wir die Lärmbelastung insgesamt deutlich erhöhen. Das alles macht keinen Sinn. Deswegen sage ich noch einmal: Wir haben eine sehr gute Vorlage, die ausgeglichen ist und die zur Befriedung der Situation führen wird. Sie wird auch dazu führen, dass wir die begrenzten Kapazitäten an Sportmöglichkeiten in der Stadt besser nutzen können. Man kann den Kommunen vielleicht den Vorwurf machen, dass sie in der Vergangenheit im Rahmen heranrückender Bebauung nicht sorgfältig genug darauf geachtet haben, ausreichende Abstände zwischen der Sportanlage und der Bebauung herbeizuführen. Das reparieren wir ein Stück weit. Die Sensibilität ist heute deutlich größer geworden. Was haben wir gemacht? Wir haben durch die Anhebung der Werte in den abendlichen Ruhezeiten und am Sonntag auf die Tageswerte – das hat Frau Ministerin Hendricks schon ausgeführt – eine Verdreifachung der Nutzungszeit in der Ruhezeit geschaffen. 5 dB(A) mehr heißt physikalisch eine Verdreifachung des Schalldrucks. Das ist für Menschen wahrnehmbar, aber keine fundamentale Erhöhung. Man muss sich einmal eine Verdreifachung der Nutzungszeit praktisch vorstellen. Um 20 Uhr endet der ursprüngliche Grenzwert. Danach kann man natürlich Sport machen. Weil wir den Mittlungspegel über einen langen Zeitraum haben, führt das dazu, dass man vielleicht noch bis 20.30 Uhr Sport machen kann und über 50, 55 oder 60 dB(A) liegt, je nachdem, in welcher Region man sich befindet. Aber dann ist Schluss. Wenn wir jetzt die Ruhezeit zwischen 20 und 22 Uhr auf den Tageswert nehmen, dann bedeutet das, dass der Pegel in dieser Zeit ermittelt werden muss und nicht verrechnet werden darf mit Ruhezeiten zwischen morgens 8 Uhr und mittags 12 Uhr, wo die Sportanlagen allerhöchstens von Schulen genutzt werden. Es muss in diesem Zweistundenrythmus sein. Das heißt in der Praxis, dass man Sport mit einem höheren Lärmanteil vielleicht bis 21 Uhr, 21.30 Uhr betreiben kann. Dann sagen Sie mir, dass das die Kernzeit ist, in der die Kinder Sport machen. Also das geht in meinen Kopf nicht hinein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Noch einmal: Wir alle haben eine gute Lösung gefunden. Ich muss eines ganz klar betonen: Bei den Lärmgrenzwerten, die wir zugrunde gelegt haben, haben wir Grenzwerte, die eindeutig unter jeglicher Schwelle von gesundheitlicher Beeinträchtigung liegen. Das sei ganz klar gesagt. Dass es für Anwohner lästig ist, vor allen Dingen, wenn sie 20 Meter entfernt wohnen, ist verständlich. Es trifft 10 oder 20 Leute. Aber die Nutzung betrifft Hunderte. Wenn wir davon ausgehen, dass der Sport nicht nur eine soziale, sondern auch eine gesundheitliche Funktion hat, dann ist die Abwägung klar und die zusätzliche Belastung ist gering, vertretbar und richtig. Sie trifft niemanden übermäßig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Stichwort „Altanlagenbonus“. Wir haben in der Vergangenheit häufig Auseinandersetzungen gehabt, wenn Modernisierungen genehmigt wurden und Anwohnerbeschwerden kamen, dass jetzt mehr Sport gemacht wird – im Vergleich zu vorher, nicht über die Grenzwerte hinaus. Sportämter sind sehr schnell zu den Vereinen hingegangen, um Auseinandersetzungen oder gar juristische Auseinandersetzungen zu vermeiden, und haben den Vereinen gesagt: Okay, es tut uns leid, aber ihr müsst eure Betriebszeiten einschränken. Ihr habt zwar einen schönen Platz, aber ihr könnt ihn nicht mehr so intensiv nutzen wie früher. – Im Einzelfall haben sie von Vereinen sogar Aufnahmesperren verlangt, weil die Mitglieder nicht mehr ausreichend Zeit für die Sportausübung haben. All das hat dazu geführt, dass wir Konflikte hatten, die wir mit dieser Sportanlagenlärmschutzverordnung deutlich verkleinern werden. Wir werden sie deutlich verkleinern, indem wir Rechtsklarheit schaffen. Es gibt einen Katalog, der an diese Verordnung angehängt ist, und er ist sehr vernünftig. Er gibt nämlich den entscheidenden Stellen, sprich: den Sportämtern, aber letztlich auch den Ämtern, die für Wohnungsbau oder Ähnliches zuständig sind, ein Kriterium an die Hand, wann sie davon ausgehen können, dass der Betrieb der Anlage unbeeinträchtigt weitergeführt werden kann. Diese Liste ist in der Sache vernünftig. Sie definiert ganz einfach, was geht und was nicht geht. Sie haben eben in Ihrem Beitrag gesagt, man sollte vielleicht den Lärm des an- und abfahrenden Verkehrs aus der Berechnung herausnehmen, um noch mehr Möglichkeiten zu schaffen. Dann frage ich: Ist das der Kern der Sportausübung auf Sportanlagen? Wir machen das doch gerade, damit wir eine wohnortnahe Versorgung im Sport beibehalten können und nicht genötigt werden, die Sportanlagen an den Stadtrand oder vor die Tore der Stadt zu verlegen; wir wollen sie in Wohnortnähe behalten. Wenn es schon wohnortnah ist und wenn es schon um Sport geht, dann ist die Frage, ob man da unbedingt mit einem Auto, mit einem lauten Knatterton hinfahren muss oder ob man nicht auch Jogging, was man sonst noch mal extra macht, bei solch einer Gelegenheit machen kann oder sich aufs Fahrrad schwingen kann, (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Das ist praxisfremd!) um diesen vermeidbaren Lärm mit Rücksicht auf Nachbarn tatsächlich zu unterlassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das wäre meiner Ansicht nach ein Beitrag zum Ausgleich von Konflikten, die natürlich immer wieder mal auftreten können. Alles in allem – die Würdigung –: Es hat lange gedauert, über ein Jahr. Wir haben die urbanen Gebiete einbezogen – sie mussten erst im Baugesetzbuch untergebracht werden. Wir sorgen jetzt für eine Spreizung zwischen 45 dB(A) in Kurgebieten bis hin zu 65 dB(A) in Gewerbegebieten und damit für eine hohe Differenzierung abhängig von der umgebenden Nutzung. Wir haben mit dem Altanlagenbonus eine klare Aussage getroffen. Sie sagen, wir brauchten eine bessere rechtliche Absicherung für Anlagen, die bis 2017 genehmigt worden sind. Wir haben den Altanlagenbonus an eine Genehmigung vor 1991 gebunden, weil dies eine rechtliche Notwendigkeit war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Genehmigungsbehörde sagt: Das gilt dann aber nur für die Anlagen, die vor 1991 genehmigt wurden, und wenn eine Anlage, die 1994 oder 2005 gebaut wurde, jetzt einen Kunstrasenplatz bekommt, dann müssen wir ein neues Genehmigungsverfahren durchführen und die Lärmgrenzwerte neu berechnen. – Das ist absurd, und ist auch weltfremd. Diese Verfahren werden dann analog angewandt. Wenn Sie sagen, die Regelung müsse für bis 2017 genehmigte Anlagen gelten, dann sage ich: Lassen wir das doch offen. Wer weiß, wie sich das weiterentwickelt! Wir müssen ja nicht ständig daran herumschrauben. Die Regelung ist meiner Ansicht nach absolut eindeutig. Ich sage noch einmal: Wir haben eine rundum abgewogene Verordnung, einen Interessenausgleich zwischen den Anliegern und den Sporttreibenden. Es gibt aus meiner Sicht Gesetze oder Regelungen, die in der Großen Koalition schwieriger zustande gekommen (Lachen der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und eher die Interessen der einen oder der anderen erfüllt haben. Bei dieser Verordnung sage ich guten Gewissens: Es ist absolut das Beste, was möglich war. Deswegen bitte ich um Zustimmung. Ich freue mich, dass Sie sich wenigstens enthalten und nicht dagegen stimmen. Ein bisschen mehr Zustimmung, (Ulli Nissen [SPD]: Genau! Wirb doch mal für uns!) ein bisschen mehr Freude und mehr Unterstützung des Sports würde ich mir schon wünschen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Also gehen Sie noch mal in sich. Sie haben noch ein paar Reden lang Zeit, darüber nachzudenken. (Ulli Nissen [SPD]: Guter Vorschlag!) Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Peter Meiwald hat jetzt die Chance, dazu für Bündnis 90/Die Grünen Stellung zu nehmen. Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Liebes Publikum! Ja, es gibt Sportler, die mit dem Maserati, mit dem Ferrari, mit dem Lamborghini zum Sport fahren. Wir nennen sie dann unsere Stars. Wir wollen eigentlich, dass das den Kindern erspart bleibt. Wir wollen in der Tat, dass die Kinder zu Fuß oder mit dem Fahrrad wohnortnah zum Sport gehen können. Deswegen ist es gut, dass wir heute hier über die Sportanlagenlärmschutzverordnung sprechen. – Kollege Möring, wenn das eine leichte Übung war, dann fragt man sich, warum es zwei Jahre gedauert hat, bis Sie sich geeinigt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bernhard Schulte-Drüggelte [CDU/CSU]: Was lange währt!) Aber wir kennen andere Prozesse innerhalb der Koalition, die in der Tat noch länger gedauert haben. Die Sportanlagenlärmschutzverordnung – das ist schon gesagt worden – entstand Anfang der 90er-Jahre. Und in der Tat: Die Lebenswirklichkeit hat sich seitdem verändert. Wir Grüne haben dazu 2015 einen Antrag eingebracht. Wir haben heute hier etwas vorliegen, was einen ganzen Teil davon aufnimmt. Deswegen werden wir es ähnlich wie die Linken machen: Auch wir werden uns dem nicht entgegenstellen. (Ulli Nissen [SPD]: Wir stimmen zu!) Grundsätzlich begrüßen wir die Beschlussempfehlung; denn es geht in die richtige Richtung. Wir wollen, dass Vereins- und Breitensport auch in Zukunft innerhalb unserer Städte rechtssicher möglich ist. Dafür gibt es soziale und auch gesundheitliche Gründe. Auch die Integration spielt eine Rolle. Gerade Kinder und Jugendliche, die unsere Sprache vielleicht noch nicht so perfekt beherrschen, haben über den Sport gute Möglichkeiten, die Sprache zu lernen. Die neue Verordnung greift zwei wesentliche Punkte aus unserem Antrag auf. Das betrifft zum einen den Wegfall der Ruhezeiten am Mittag, an Sonn- und Feiertagen und in den Abendstunden mit Ausnahme von Kurgebieten, Krankenhäusern und Pflegeanstalten. Das ist richtig, das halten wir für eine vernünftige Lösung. Zum anderen wird der Altanlagenbonus durch einen Positivkatalog unterstützt. Auch das halten wir für vernünftig. Das wurde gut umgesetzt. Aber einige Punkte fehlen; Frau Menz hat darauf hingewiesen. Wenn alles so unproblematisch ist, Kollege Möring, erschließt es sich uns nicht, warum man die Bestandsschutzregelung an den Stichtag 1991 gebunden hat. Man hätte den Tag des Inkrafttretens des Gesetzes nehmen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karsten Möring [CDU/CSU]: Weil es vorher noch keine Regelung gab!) Zum Thema Irrelevanzkriterium. Im Immissionsrecht, zum Beispiel in der TA Lärm, ist es entsprechend verankert. Es spricht überhaupt nichts dagegen, das Irrelevanzkriterium analog in die Sportanlagenlärmschutzverordnung einzubauen. Dazu hatten wir Änderungsanträge in den Ausschuss eingebracht, die leider keine Mehrheit gefunden haben. Wenn unser Änderungsantrag mit aufgenommen worden wäre, hätten wir uns überhaupt nicht mehr schwergetan, der Vorlage heute zuzustimmen. Ich hätte gerne zugestimmt, weil das wirklich ein Thema ist, das uns Grünen ein großes Anliegen ist. Dass es im urbanen Gebiet noch höhere Lärmschutzgrenzwerte geben soll, das halten wir für nicht so schlau, weil das einen anderen Bereich betrifft, den wir im Baugesetzbuch regeln wollen. Auch dazu haben wir einen Änderungsantrag eingebracht. Wir sind der Meinung: Lebensnahe, passive Lärmschutzmaßnahmen, über die wir unter anderem in der Anhörung diskutiert haben, hätten eine gute Lösung gebracht. Trotzdem: „Salvo“ ist aus dem Lateinischen und bedeutet „unbeschadet“. In diesem Sinne können wir die Verordnung unbeschadet passieren lassen. Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt für die Menschen, auch wenn es noch nicht das ist, was wir Grüne uns im Sinne des Sports gewünscht hätten. Ich muss auf einen Punkt zurückkommen, den Sie angesprochen haben: den Kinderlärm. In der Tat kann man sagen: Vieles ist jetzt geregelt, vieles ist durch die Ausweitung der Zeiten verbessert worden. Aber es gibt eigentlich keinen Grund – und vor allen Dingen keinen nachvollziehbaren Grund –, warum Sportanlagen explizit nicht vom Kinderlärmprivileg profitieren sollen. Wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht, nicht zu der Verordnung, sondern als Ergänzung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz. Es wäre nur darum gegangen, nach „Kinderspielplätzen“ ein Komma und das Wort „Sportanlagen“ einzufügen. Da hätte sich niemand einen Zacken aus der Krone gebrochen, wir hätten das sauber regeln können. Es wäre einfach eine Klarstellung gewesen. In der Anhörung wurde ja auch gefragt: Wie machen wir das mit der Abgrenzung? Was ist Kinderlärm auf Sportanlagen und was nicht? Es gibt gerade in den Sportvereinen ganz klare Regelungen: Bis zur C-Jugend, also bis 14 Jahre, ist es Kinderlärm, und wenn die C-Jugend trainiert, ist C-Jugend-Zeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karsten Möring [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das ist falsch! Es geht nach Jahrgang!) – Ja, natürlich geht es nach Jahrgang. Aber das ist Haarspalterei, wenn man hinterher sagt: Wir gucken mal, vielleicht ist ein Kind schon einen Monat älter. – Das hätte man aus meiner Sicht rechtssicher regeln können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und das ist ja nicht nur unser Anliegen gewesen, sondern sowohl der Olympische Sportbund als auch der Landessportbund Berlin und der Deutsche Städtetag haben unsere Forderung in der Anhörung unterstützt. Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass wir sie auf den Weg bringen. Aber es ist noch ein bisschen Zeit. Das Baugesetzbuch wird aufgemacht. Vielleicht kriegen wir es in einem nächsten Schritt hin, dass wir uns auf eine entsprechende Regelung einigen. Ich würde mich darüber freuen. Ich freue mich insgesamt, dass wir zumindest ein Stück weit vorankommen. Wir wollen, dass die Kinder in unseren Städten weiterhin Sport treiben können und nicht von ihren Eltern mit großen Autos auf die grüne Wiese gefahren werden müssen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. – Jetzt hat Ulli Nissen für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karsten Möring [CDU/CSU]) Ulli Nissen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Städte sind attraktiv. Immer mehr Menschen zieht es in die sogenannten Schwarmstädte und in die Ballungsräume; denn dort gibt es medizinische Versorgung, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, kulturelle Vielfalt, Freizeit- und Sportangebote, und alles zentral und nah. Die Wege sind kurz, das Angebot ist groß und vielfältig. Die Menschen wollen urbanes Leben. Wenn viele Menschen miteinander leben, kommt es immer wieder zu Konflikten und zu Auseinandersetzungen. Die Nachverdichtung in den Städten führt auch dazu, dass man enger und näher miteinander lebt. Lärm ist einer der Konflikte, die es im städtischen Leben gibt. Schon Schiller sagte: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Das kennen leider auch viele Sportvereine. Sie haben das Problem, wegen Klagen von Anwohnern den Spielbetrieb einschränken zu müssen. Deshalb können Sportvereine zum Teil auch keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen. Oft können Meisterschaftsspiele am Wochenende nicht in der Mittagszeit ausgetragen werden. Trainiert werden kann wochentags oftmals nur bis 20 Uhr. Urbanes Leben sieht anders aus. Es geht um ein friedliches Miteinander. Es geht um unser Zusammenleben, um lebenswerte Städte, in denen wir leben, arbeiten, Sport treiben, Kultur genießen und auch ausgehen können. Wie wichtig Sport und Bewegung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene ist, wissen wir alle. Ein gutes, vielfältiges Angebot auch und gerade zentral, in den Städten, ist wichtig. Dafür brauchen wir Sportvereine, und diese müssen gut aufgestellt sein und unkompliziert arbeiten können. Auch bei der Integration leisten die Sportvereine eine großartige Arbeit. Beim gemeinsamen Sporttreiben begegnen sich Menschen, lernen einander kennen, werden auch zu Freunden. Überall leisten Sportvereine also auch einen großen Beitrag zur Integration; wir alle haben sicherlich Beispiele dafür aus unseren Wahlkreisen. Ich möchte der Frankfurter SG Bornheim Grün-Weiss mit Harald Seehausen an der Spitze stellvertretend für alle Sportvereine – ich denke, auch für Ihre – für die gute Arbeit danken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin sehr froh, dass wir mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung – ich bleibe später bei SALVO, das spricht sich besser – nun eine einfache, pragmatische und nachvollziehbare Regelung gefunden haben, um den Konflikt zwischen dem Sport und dem Ruhebedürfnis der Menschen zu lösen. Wir haben damit einen guten und fairen Interessenausgleich und Rechtssicherheit für beide Seiten. Bei der Anhörung zur SALVO herrschten durchaus konträre Vorstellungen. Sie reichten von der Ablehnung der Erhöhung der Lärmgrenzwerte bis zur Verschiebung des Beginns der Nachtruhe auf 23 Uhr. Hier sage ich ganz deutlich: Urbanität ist lebendig und nicht still, aber selbst in der Stadt muss mal Nachtruhe gelten. Ich setze mich in Frankfurt für ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr ein, da kann ich beim Sport nicht sagen: 23 Uhr ist auch okay. – Auch das Kinderlärmprivileg war ein wichtiges Thema – dies wird aber in § 22 BImSchG, also im Gesetz, geregelt. Wir beschließen heute die SALVO, mit der wir die Lage der Sportvereine deutlich verbessern. Wir haben die Ruhezeiten verbessert. Mittags und in den Randzeiten unter der Woche haben wir die Lärmgrenzwerte um 5 dB(A) erhöht; das ist eine ganze Menge. Mit dieser Regelung können Sportvereine am Wochenende auch mittags spielen, und abends darf unter der Woche bis 22 Uhr trainiert werden. Das ist also eine deutliche Ausweitung. Die Rechtssicherheit bei den Sportanlagen, was den Altanlagenbonus betrifft, ist erwähnt worden. Das betrifft Dinge, die man vorher nicht machen konnte, zum Beispiel die Erweiterung der Sanitär- und Umkleidebereiche. Das geht jetzt. Ein neuer Kunstrasenplatz oder eine Flutlichtanlage können jetzt errichtet werden, ohne dass der Altanlagenbonus fällt. Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich bitte auch die Grünen darum –: Denkt noch einmal darüber nach! Wir haben hier für die Sportvereine eine ganz deutliche Verbesserung erreicht. Über § 22 BImSchG können wir später gern noch einmal reden, (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten wir jetzt tun können!) aber überlegt euch, ob ihr nicht zustimmen wollt. Ich fände es toll. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt darf der Kollege Johannes Steiniger für die CDU/CSU das Wort ergreifen. (Beifall bei der CDU/CSU) Johannes Steiniger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn ich Besuchergruppen, beispielsweise Schulklassen, hier im Hohen Hause begrüße und berichte, womit wir uns im Sportausschuss unter anderem auseinandersetzen, dann fällt auch immer ein Begriff – und der lautet „Sportanlagenlärmschutzverordnung“ –, der dann wegen seiner Sperrigkeit durchaus zu Heiterkeit führt. Am Anfang der Diskussion herrscht manchmal der Eindruck: Eigentlich ist das ganz weit weg; das hat mit mir gar nichts zu tun. – Dann erkläre ich, was das ist und dass da das Verhältnis zwischen den Anwohnern auf der einen und den Sportvereinen auf der anderen Seite geregelt wird. Und auf einmal stellt sich in der Diskussion mit den Besuchern, beispielsweise den Schülerinnen und Schülern, heraus, dass jeder aus seinem Dorf oder seiner Stadt konkrete Beispiele von Streitigkeiten zwischen Vereinen und Anwohnern kennt. Deshalb, meine ich, geht es bei dieser Sportanlagenlärmschutzverordnung um die 90 000 Vereine vor unserer eigenen Haustür. Ich bin sehr froh, dass wir als Große Koalition diese Reform heute nach einem nicht ganz einfachen Abstimmungsprozess sowohl mit der Bundesregierung als auch im Bundestag beschließen werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben richtig etwas für den Sport und die Vereine in Deutschland erreicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Natürlich gibt es bei diesem Thema klassischerweise einen Interessenskonflikt. Wir haben auf der einen Seite die individuellen Interessen und Bedürfnisse von Anwohnerinnen und Anwohnern – sie wollen auch in der Nähe eines Sportplatzes gut wohnen – und auf der anderen Seite die allgemeinen Interessen der Sportlerinnen und Sportler in den vielen Vereinen, die den Trainings- und Spielbetrieb irgendwie organisieren müssen. Zwischen diesen Interessen muss gut abgewogen werden. Bei uns im Ausschuss und auch hier – wir haben es gerade wieder gehört – loben wir ganz oft die Rolle des Sports, weil er wahnsinnig viel leistet, weil er unsere Gesellschaft zusammenhält, weil er für Integration sorgt und für Fair Play und Zusammenhalt steht, und wir loben zu Recht die positiven Aspekte des Breitensports: Gesundheit, Prävention und vieles andere. Eines ist klar: Jeder, der den Fußballplatz der Couch vorzieht, und jeder, der lieber in der Gemeinschaft mit echten Menschen aktiv Sport treibt, statt passiv vor dem Smartphone zu sitzen, der ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft. Daher muss umso mehr gelten: Leute, die Sport machen wollen, brauchen geeignete Möglichkeiten dafür. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Michaela Engelmeier [SPD]) Deshalb ist unsere Abwägung in Richtung Gemeinwohl – für die Vereine und für den Sport – so wichtig. Wir können sagen: Heute ist ein guter Tag für Sportdeutschland. Wir schaffen – das wurde von den Vorrednern schon erwähnt – vor allen Dingen Rechtssicherheit bei der Frage älterer Sportanlagen; aber wir erweitern auch die Nutzungsmöglichkeiten für den Sport selbst. Mit der Verordnung bekommen die Vereine und ihre Sportstätten Rechtssicherheit und -klarheit darüber, dass es nach einer Sanierung oder Modernisierung von älteren Anlagen eben nicht zu größeren Lärmschutzauflagen kommt. Bisher gab es auf diesem Feld immer wieder Anlass für Klagen. Wir kennen einige Beispiele aus Hamburg, wo es nach einer Umwandlung vom Hartplatz zum Kunstrasenplatz zu Konflikten kam. Wir haben jetzt diesen Kriterienkatalog. Er ist angelehnt an das, was aus Nordrhein-Westfalen kommt. Man sieht: Es kommt auch mal was Gutes aus Nordrhein-Westfalen. (Michaela Engelmeier [SPD]: Es kommt immer was Gutes aus Nordrhein-Westfalen! Immer!) Das ist ganz gut. Das kann ich als Nachbar aus Rheinland-Pfalz durchaus sagen. – Der viel zitierte Kunstrasenplatz oder der Einbau einer neuen Flutlichtanlage stellen hiernach kein Problem mehr dar. Wir erweitern auch den Zeitraum, während dessen die Sportanlagen in den Ruhezeiten genutzt werden können, deutlich. Ich sage Ihnen aus tiefstem Herzen: Ich finde es schön, dass wir hier gegen den politischen Mainstream handeln, der eigentlich sagt: Immer leiser, leiser, leiser. Beim Sport haben wir einmal gegen diesen Mainstream gehandelt. Das gefällt mir sehr gut, weil das den Vereinen vor Ort sehr hilft, ihren Spielbetrieb, der vor allen Dingen am Wochenende, insbesondere sonntags stattfindet, zu organisieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Jetzt will ich noch auf das Thema Kinderlärm eingehen, weil es auf den ersten Blick logisch erscheint, zu fragen: Warum macht ihr das an dieser Stelle nicht? Dazu zwei Punkte – jetzt erzähle ich Ihnen etwas aus der Praxis des Dorffußballvereins SV Rot-Weiss-Seebach in Bad Dürkheim –: Erstens. Wir haben nur einen Platz, aber zwölf Jugendmannschaften. Es ist schwierig, das Ganze so zu organisieren, dass nachmittags die Kleinen spielen und abends die Älteren. Wir haben ganz oft die Situation, dass wir gar nicht anders können, als auf der einen Seite die F-Jugend, also die Kleinen, und auf der anderen Seite die Größeren spielen zu lassen. Es stellt sich die Frage, die uns in der Anhörung nicht beantwortet werden konnte, und zwar von keinem der Sachverständigen: Wie wollen Sie dies in der Praxis auseinanderziehen? Das ist aus meiner Sicht eines der klaren Probleme. Zweitens. Herr Meiwald, Sie haben die Jahrgänge angesprochen, die Gruppen bis zum 14. Lebensjahr. So einfach ist das eben nicht. Im Fußball zum Beispiel ist es nicht so, dass die C-Jugend bis zum 14. Lebensjahr geht, sondern die C-Jugend bilden die Jahrgänge 2002 und 2003. Daraus folgt in der Praxis das Problem, dass Sie im Jahr 2017 auch 15-Jährige dabei haben. Sie merken also: Wenn man ein bisschen länger darüber nachdenkt, ist das, was auf den ersten Blick logisch erscheint, in der Praxis sehr schwer durchzusetzen. Deswegen machen wir das nicht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Sport muss dort sein, wo die Menschen leben und arbeiten. Ich finde, dass ein wohnortnahes Sportangebot sozusagen Daseinsvorsorge ist. Anwohnerschutz darf nicht bedeuten, dass Sport nur noch außerhalb der Stadttore möglich ist. Wir wollen, dass Sport auch innerstädtisch, auch abends und auch am Wochenende stattfinden kann. Dieser Entwurf hilft dabei sehr. Bei allem inhaltlichen Lob, das ich hier ausgesprochen habe, möchte ich aber auch sagen: Es ist jetzt höchste Zeit in diesem Hohen Haus. Wir haben lange diskutiert. Ich erinnere mich an eine Sportausschusssitzung im Januar 2015, in der der Staatssekretär uns schon angekündigt hatte, dass die Weiterentwicklung der SALVO zügig kommt. Das hat jetzt etwas gedauert. Umso wichtiger ist es, dass wir sie heute auf den Weg bringen. Danach geht sie durch den Bundesrat und kann im Sommer in Kraft treten. Das ist, glaube ich, ein gutes Signal. Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt Michaela Engelmeier, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michaela Engelmeier (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Steiniger, hier steht eine von 53 richtig guten Leuten aus Nordrhein-Westfalen; Sie haben ja gerade Nordrhein-Westfalen angesprochen. Hier sind wir! (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Johannes Steiniger [CDU/CSU]) Man kann vielleicht sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Herr Steiniger, Sie haben es gerade angesprochen: Es ist ja nicht erst in dieser Legislaturperiode dafür gesorgt worden, dass diese SALVO jetzt endlich ans Netz geht. Ich möchte darauf hinweisen: Ich glaube, seit neun Jahren sind wir zugange und versuchen, die SALVO zu verändern. Ich bin unserer Ministerin Barbara Hendricks und allen, die daran beteiligt waren, wirklich unfassbar dankbar dafür, dass sie es hinbekommen haben, dass wir diese SALVO heute verabschieden können. Ich glaube, dass wir mit dieser SALVO, also der Sportanlagenlärmschutzverordnung – das ist schon ein Zungenbrecher –, einen deutlichen Fortschritt für den Sport und auch für die Vereine erzielt haben. Ich glaube, dass diese SALVO – ich werde jetzt immer die Abkürzung benutzen; denn sonst reicht meine Redezeit von drei Minuten nicht – ein gutes Miteinander von Anwohnern und Sport ermöglicht. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was ist SALVO noch mal?) – Sportanlagenlärmschutzverordnung. Die Ausübung von Sport gehört zum guten Zusammenleben einfach dazu. Mit dieser Verordnung – wir haben es heute schon in der einen oder anderen Rede gehört – schaffen wir Klarheit, zum Beispiel bei der Randbebauung; das ist heute noch gar nicht erwähnt worden. So können die Abstände zwischen Sportanlagen und heranrückender Wohnbebauung fast halbiert werden. Das finde ich großartig. Das gilt auch für die Dezibelerhöhung; das ist gar keine Frage. Wir haben uns vorher gar nicht vorstellen können, dass wir das hinbekommen. Wir haben auch den Altanlagenbonus – dieser gilt für Sportanlagen, die vor 1991 gebaut wurden – konkretisiert. Das alles ist gut. Eines wünsche ich mir: Die Kinderlärmprivilegierung wurde heute schon mehrfach erwähnt. Ich finde schon allein das Wort „Kinderlärm“ schrecklich. Kinder machen Lärm, Kinder schreien, Kinder brüllen, Erwachsene auch; das ist gar keine Frage. Ich würde mir wünschen, dass wir gar keine Regelungen mehr schaffen müssten, um Kinderlärm zu verhindern. Es wäre schön, wenn man zum Beispiel nicht mehr klagen könnte, wenn Kinder in Sportanlagen Lärm machen. Im Bundes-Immissionsschutzgesetz – Ulrike hat gerade vom BImSchG gesprochen; auch ich will es einmal kurz ansprechen – in § 22 steht leider, dass Sportanlagen genau davon ausgenommen sind. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst nur unserem Gesetzentwurf zustimmen!) Daher sollte man Kinderlärm privilegieren oder festlegen, dass Kinderlärm unschädlich ist. Deswegen glaube ich auch, dass wir vielleicht beim BImSchG – wir haben in dieser Großen Koalition ja noch eine ganze Menge vor; also bis September arbeiten wir voll durch – (Christian Haase [CDU/CSU]: Die CDU ja!) schauen sollten, ob wir nicht, wie du es so schön gesagt hast, noch ein bisschen nachbessern können. Denn ich glaube, dass Kinderlärm etwas ist, das wir alle akzeptieren müssen. Dann wäre es auch egal, ob ein Anwohner klagt oder nicht. Das kann doch wirklich nicht sein. Wir wollen doch nicht unseren Ruf als kinderunfreundliches Land weiter stärken. Wir müssen zusehen, dass wir ein bisschen darauf schauen, wie wichtig es ist, was Kinder machen. Deswegen bleibe ich dabei: Die heutige Verabschiedung der SALVO-Änderung bedeutet einen Fortschritt für den Sport. Wenn wir beim Bundes-Immissionsschutzgesetz im Hinblick auf Kinder noch ein bisschen nachsteuern, dann kann ich nur sagen: Kinderlärm ist Zukunftsmusik. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt heute vor! Ihr müsst dem nur zustimmen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 9 a. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11006, der Verordnung auf Drucksache 18/10483 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? Das dürfte nach dem Verlauf der Diskussion niemand sein. – Wer enthält sich? – Das ist die Opposition. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11006, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10859 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem Gesetzentwurf oder der Beschlussempfehlung?) – Dem Gesetzentwurf. – Das sind Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das sind die CDU/CSU- und SPD-Fraktion. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt, und nach unserer Geschäftsordnung entfällt die weitere Beratung. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpassen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11006, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4329 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016, SANTE/10704/2016, SANTE/10703/2016) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/10976 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze zügig ein und führen Sie die Gespräche außerhalb des Plenarsaals weiter. Nunmehr eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor sage und schreibe 19 Jahren wurde zum letzten Mal in Europa ein Genmais zugelassen, und morgen könnte es wieder so weit sein. Da werden im zuständigen Fachausschuss in Brüssel die EU-Staaten hinter verschlossenen Türen über gleich drei Genmaislinien abstimmen. Ich finde, das ist der richtige Zeitpunkt, den Menschen in Deutschland klar und deutlich zu zeigen, wo wir in Sachen Gentechnik stehen, und zwar hier und heute bei der Abstimmung über unseren Antrag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Aber nein, offensichtlich wollen Sie den Wählerinnen und Wählern Ihre wahre Haltung aber dann doch nicht ganz so deutlich zeigen. Warum eigentlich nicht? Gerade die Union äußert sich doch in den letzten Wochen klar, dass sie auf Gentechnik steht – im Plenum, im Ausschuss oder letzte Woche bei der Anhörung zum Gentechnikgesetz. Aber im Gegensatz zu Ihnen will die große Mehrheit der Menschen da draußen keine Gentech-Pflanzen auf unseren Äckern haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei der Anhörung in der letzten Woche mussten wir uns von Ihren Sachverständigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wieder die kruden Versprechungen der Gentechniklobby anhören, die schon seit 20 Jahren nicht eingelöst werden und die schon seit 20 Jahren eben kein Teil der Lösung des Welternährungsproblems sind, sondern ein Teil des Problems. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber das ist Ihnen ganz offensichtlich egal, solange Sie der Gentechnikindustrie einen Gefallen tun können. Denn die freut sich nämlich. Sie freut sich, weil ihr perfider Plan jetzt eins zu eins aufzugehen droht: dass die Mitgliedstaaten, wenn sie den Anbau national bei sich verbieten dürfen, keinen Widerstand mehr bei der EU-weiten Zulassung leisten. Aber das ist Politik nach dem Sankt-Florians-Prinzip: Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an. Hauptsache nicht bei mir! – Aber Sie haben ganz vergessen, dass das Feuer dann übergreift. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) In zwei unserer unmittelbaren Nachbarländer ist der Gentechnikanbau erlaubt. Wir alle wissen: Pollen und Bienen, aber auch Saat- und Erntegut machen eben nicht an Staatsgrenzen halt und bergen das Risiko der Kontamination für Landwirtinnen und Landwirte, für Lebensmittelunternehmen und den Handel in Deutschland. Mit der Gentechnikfreiheit wäre es dann schnell nicht mehr weit her. Das müssen wir – auch im Interesse der Lebensmittelwirtschaft hier in Deutschland – verhindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Aber da tut Minister Schmidt ja sowieso das eine und redet vom anderen. Dazu passt auch, dass der Bundesminister den Wählerinnen und Wählern auf der einen Seite erzählt, dass er sich für ein Anbauverbot in Deutschland einsetzt, auf der anderen Seite aber gleichzeitig auf EU-Ebene die Zulassungen einfach durchwinkt, um den Schwarzen Peter und die Verantwortung dafür danach nach Brüssel abzuschieben. Ich erinnere noch einmal an diesen schönen Post des BMEL: (Der Redner hält ein Schriftstück hoch) „Kommt nicht auf den Acker. Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen in Deutschland.“ – Ja, warum denn eigentlich? Weil man es in Brüssel zulässt. Das ist nicht nur Postfaktizismus, sondern auch unehrlich und unredlich. Aber eines kann auch nicht durchgehen, liebe SPD. Barbara Hendricks brüstet sich auf Twitter, auf Facebook und in der Berliner Morgenpost mit ihrer Ablehnung der Zulassung im Kabinett. Sie weiß doch ganz genau, dass dies lediglich zur Enthaltung Deutschlands in Brüssel führt. Warum also verhindert gerade die SPD zum wiederholten Mal eine Sofortabstimmung in dieser Sache hier im Plenum, nachdem sie bereits mehrfach verhindert hat, dass dieser Sachverhalt und unser Antrag dazu im federführenden Ausschuss auf die Tagesordnung gesetzt und beraten werden, geschweige denn, dass darüber abgestimmt wird? (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Denk doch erst mal nach, Harald!) Wer bisher noch nicht wusste, was scheinheilig ist, der kann es heute lernen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kees de Vries [CDU/CSU]: Genau!) Um eines vorwegzunehmen, was gleich sicher wieder in der einen oder anderen Rede vonseiten der Union erwähnt wird: Erzählen Sie uns doch nicht, es drohe aufgrund der mit den Konzernen schon ausgekungelten Anbauausnahmen ja gar keine Gefahr, und man dürfe den Staaten, die Genmais wollen, doch nichts vorschreiben. – Doch! Das müssen wir sogar tun, und zwar aus den gerade genannten Gründen: um unsere eigene Gentechnikfreiheit zu schützen. Es ist ja nicht so, dass keinerlei Bedenken gegen diese Pflanzen bestehen. Das Europaparlament hat die Kommission aufgefordert, in allen drei Fällen gegen diese Zulassung zu votieren, und hat das auch begründet: mit Gefahren der Auskreuzung, mit Gefahren der Kontamination von Nicht-Gentechnik-Pflanzen und -Produkten, weil die Abstände als zu gering eingeschätzt werden, und mit nicht untersuchten Risiken für den Menschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, verkaufen Sie die Menschen da draußen nicht für dumm! Nehmen Sie ihre Bedenken gegen die Gentechnik ernst, so wie Sie es ihnen versprochen haben! Dazu gehört auch, dass wir ein funktionierendes Gesetz für rechtsverbindliche, rechtssichere und bundesweite, nationale Anbauverbote auf den Weg bringen. Dafür ist es erforderlich, heute, hier und jetzt die Bundesregierung aufzufordern, morgen in Brüssel mit Nein zu stimmen, also hier und heute unserem Antrag zuzustimmen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ute Vogt [SPD]: Was sagt eigentlich die baden-württembergische Landesregierung dazu?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Kees de Vries, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Kees de Vries (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch auf den Tribünen! Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen. Wir werden heute wieder einmal auf Antrag der Grünen unsere Zeit vergeuden – mit diesem vollkommen überflüssigen Antrag. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sehen wir ja schon wieder deutlich, wo ihr steht! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sehr arrogant!) Wenn man alle Emotionen, Gerüchte, Mutmaßungen und Unterstellungen weglässt, bleiben in dieser Sache ein paar Fakten: Erstens. Wir im Deutschen Bundestag sind für das verantwortlich, was auf dem deutschen Hoheitsgebiet passiert. Zweitens. Es gibt in diesem Zusammenhang drei Anträge, einen Antrag zur Erneuerung der Anbauzulassung und zwei neue Anträge für Maislinien auf der EU-Ebene. Drittens. Unser Minister hat sehr wohl sofort reagiert und beantragt, das deutsche Gebiet von diesem Antrag auszunehmen – was auch gestattet worden ist. Viertens. Der Anbau dieser Maissorten in Deutschland wird einfach nicht stattfinden. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz sehen wir auch so, ja! Dafür gibt es die Abstimmung! Das steht uns zu!) Worüber reden wir eigentlich? Oder wollen wir tatsächlich auf EU-Ebene wieder neu diskutieren? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie zu!) Das steht uns nicht zu. Wir haben das ausführlich in den demokratischen Gesetzen behandelt, sowohl hier in Deutschland als auch in der EU. Wir sind beide Male zu der Schlussfolgerung gekommen, dass die Opt-out-Regelung das Beste ist. Ich gebe zu: Das ist nicht ganz in meinem Sinne. Wie ich heute gelernt habe: Das ist auch nicht ganz in deinem oder eurem Sinne. – Aber das ist nun einmal Demokratie. Damit müssen wir leben – du und ich. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wofür ist die Abstimmung morgen da? Um nicht abstimmen zu dürfen?) Wenn wir diese Diskussion neu starten wollen, müsste man zum Beispiel mal wieder über diese drei Maislinien diskutieren. Jetzt geht es um BtMais, das heißt, er ist so gezüchtet, dass das Schädlingsinsekt, das den Mais anpiekst, stirbt – und, ja, auch die nicht schädlichen Insekten, die anpieksen, sterben. Das wollen wir nicht. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie sind nicht gezüchtet!) Die Alternative aber ist, dass wir den Landwirt zwingen, mit Insektiziden alles, was auf diesem Acker lebt, kaputtzumachen. Ich frage mich, ob das sinnvoll ist, aber das steht hier nicht zur Debatte. Das nämlich hat die EFSA siebenmal, glaube ich, untersucht und siebenmal festgestellt: Diese Pflanzen sind nicht umwelt-, tier- oder menschenschädlicher als die anderen. Das sind wissenschaftlich unterlegte Fakten. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fruchtfolgen würden auch helfen!) Aber damit wollen Sie sich überhaupt nicht auseinandersetzen. Nein. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt andere Aussagen! Ihr sucht eure Wissenschaftler aus!) Ich bin der Meinung, dieser unsägliche Antrag wird nur gestellt, um wieder einmal unberechtigte Ängste bei den Menschen zu schüren. Dafür bin ich nicht zu haben. Deshalb beantrage ich Ablehnung. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ute Vogt [SPD] – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte schön!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Eva Bulling-Schröter, Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Wochenende gab es die große Demo von 10 000 Menschen hier in Berlin unter dem Motto „Wir haben es satt!“. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch schön, dass die Menschen satt sind! Dafür sollten wir mal denen Danke sagen, die dafür gesorgt haben!) Was haben die Menschen gesagt? Sie wollen eine Beendigung des Tierleids, sie wollen keine Gentechnik und keinen Genfraß – und zwar mit einer Mehrheit in Europa, in Deutschland und in Bayern. Leider ist Landwirtschaftsminister Schmidt jetzt nicht da, wahrscheinlich ist er auf der Grünen Woche, aber er sollte auch einmal auf seine Wählerinnen und Wähler hören. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das tut er ja die ganze Zeit!) Ab und zu ist er ja sehr zögerlich, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist richtig!) und so, wie ich die CSU in Bayern kenne, ist diese nicht immer so zögerlich und zimperlich gegenüber der EU. Aber in diesen Fragen, so sagt man auf Bayerisch, ziehen Sie den Schwanz ein. (Heiterkeit) Beim Europäischen Patentamt gibt es inzwischen Bierpatente. Gerste aus konventioneller Züchtung wird hier patentiert. Ich würde gern einmal wissen, was die CSU dazu sagt. Dazu gibt es keine Position. Jetzt wurde ein Gentechnikgesetz versprochen. Der Bundesrat hat dazu Stellung bezogen und einen Vorschlag gemacht, die Grundlage der Optout-Regelung. Sechs Ministerien sollen Einvernehmen erzielen. – Als wenn sich sechs Ministerien einmal einigen könnten! (Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Linke kann sich auch nicht einigen!) In 45 Tagen funktioniert das nicht. Alle Sachverständigen haben gesagt: Es ist so nicht umsetzbar, es gibt viele Gefahren. Jetzt frage ich mich – und viele unserer Wählerinnen und Wähler, und zwar alle, fragen auch –: Warum wird das nicht umgesetzt? Warum diskutiert ihr das? Warum diskutiert ihr das immer wieder, und warum kommt nichts heraus? Und ich kenne viele Diskussionen. Dann gibt es eine Antwort darauf, die heißt: Lobby. Das verstehen die Leute, überall. Es sind natürlich die Konzerne, die hier Einfluss nehmen. Ich nenne sie einmal: DuPont, Dow Chemical, Bayer und Monsanto, ChemChina und Syngenta. Die lassen natürlich auch Studien erstellen, die Sie dann immer zitieren. Wir zitieren dann die Studien von den Umweltverbänden. Aus sechs Konzernen werden drei, und deren politischer Einfluss steigt; denn wenn es nur noch drei große Konzerne sind, dann steigt der Einfluss natürlich. Das sehen wir ja auch heute wieder, nämlich bei der Entscheidung, nicht abstimmen zu wollen. Das ist die Entscheidung der Konzerne. Drei Konzerne werden mehr als 60 Prozent des Marktes für kommerzielles Saatgut und Agrochemikalien beherrschen, das heißt, fast alle gentechnisch veränderten Pflanzen auf diesem Planeten werden von diesen Konzernen hergestellt. Diese drei haben auch die meisten Anmeldungen für das Eigentum an Pflanzen beim Europäischen Patentamt vorgenommen. Einer dieser neuen Giganten ist Bayer-Monsanto, der größte Agrokonzern der Welt. Ein Drittel des kommerziellen Saatguts und ein Viertel der Pestizide auf dem globalen Markt werden dann von diesem großen Konzern hergestellt. Ich nenne nur das Stichwort „Glyphosat“; wir haben darüber diskutiert. Die Mehrheit der Menschen in diesem Land lehnen Glyphosat ab; sie wollen es nicht. Trotzdem wird es bei der EU wieder genehmigt, und Deutschland hat dort auch mit Ja gestimmt. Bayer kauft Monsanto für 66 Milliarden Dollar, ChemChina bezahlt für Syngenta 43 Milliarden Dollar. Sie sind den Aktionären rechenschaftspflichtig. Die Unternehmen haben Kredite für diese Käufe aufgenommen, das heißt, sie müssen Gewinne machen. Sie müssen das Geld jetzt wieder hereinbringen. Das Potenzial der globalen Agrarmärkte steigt natürlich, wenn entsprechende Beschlüsse gefasst werden. Bayer schätzt, dass der Umsatz bei Saatgut und Pestiziden von 85 Milliarden Dollar in 2015 auf 120 Milliarden Dollar in zehn Jahren steigen wird. Dafür müssen die Gesetze natürlich entsprechend verändert werden. Das Ziel dieser großen Agrokonzerne ist, Produkte zu beeinflussen und Preise sowie Qualitäten zu diktieren, unter dem Motto: „Wer die Saat hat, hat das Sagen“ – und das global. Das ist hier das Interesse. Zwei Sätze noch an die Kollegen der CDU/CSU: Der Präsident des Bauernverbandes, der Ihnen ja sicher näher steht als uns, den Linken, (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Das ist gut so!) sagt: Wir fordern Sicherheit für ganz Deutschland; wir wollen keinen Flickerlteppich. – Inzwischen fordert auch der Bauernverband ein Verbot der Agrogentechnik. Sie sollten sich wenigstens an die halten, wenn Sie sich schon nicht an uns halten. (Beifall bei der LINKEN – Artur Auernhammer [CDU/CSU]: War das eine Lobbyismus-Forderung, oder was?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Ute Vogt. (Beifall bei der SPD) Ute Vogt (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Eva Bulling-Schröter, ich kann Ihnen sagen: Wir werden die Ergebnisse der Anhörung sehr ernst nehmen. Das ist auch der Grund, warum der Gesetzentwurf in dieser Woche noch nicht vorliegt und auch in der nächsten Sitzungswoche noch nicht vorliegen wird. Ich kann Sie aber beruhigen: Die Koalitionsfraktionen haben heute schon über den Gesetzentwurf verhandelt; wir sind also mittendrin. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das beruhigt uns nicht! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das beunruhigt uns eher!) Wenn Sie hier behilflich und auch bereit sind, mit einzelnen Kolleginnen und Kollegen der Union noch weitere Gespräche zu führen, dann sind wir durchaus dankbar. (Beifall bei der SPD) Ich möchte zum vorliegenden Antrag noch etwas sagen, Kolleginnen und Kollegen der Grünen. Sie haben in Ihrem Antrag selbst beschrieben, warum er überflüssig ist – ich zitiere –: Schon zwei Drittel der Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, von den antragstellenden Unternehmen die Herausnahme des eigenen Territoriums aus der beantragten Anbauzulassung zu erbitten. Insofern haben Sie selbst beschrieben: Für Deutschland ist das überhaupt kein Thema mehr. – Deshalb braucht es auch im Deutschen Bundestag kein Thema zu dieser Stunde zu sein. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe vorhin schon erklärt, warum das nicht stimmt! Belgien und Luxemburg haben es zugelassen!) Ich möchte Ihnen daneben gerne auch die Haltung der SPD-Fraktion noch einmal in Erinnerung rufen, die Sie ganz genau kennen. Ich darf auch hier zitieren, und zwar aus einem Pressebericht von heute, in dem die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks zitiert wird: Es wäre inkonsequent, wenn wir auf europäischer Ebene für eine Zulassung stimmen würden. Das Bundesumweltministerium wird daher in der Ressortabstimmung gegen eine Zulassung votieren. (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Und das bleibt ja wirkungslos; denn dann enthaltet ihr euch halt!) Damit ist gewährleistet, dass Deutschland dem Ganzen keine Zustimmung erteilt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ihr stimmt auch nicht mit Nein!) Zu Ihrem Ansinnen, hier darüber abzustimmen, muss ich Ihnen sagen, Herr Kollege Ebner: Sie sind jetzt in der zweiten Legislaturperiode im Deutschen Bundestag. (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Hat aber noch nichts dazugelernt!) Sie wissen, wie das Prozedere ist. Nach Abschluss eines Koalitionsvertrages gilt: Wenn die Mitglieder der Regierung unterschiedlicher Meinung sind, dann gibt es am Ende bei den Abstimmungen eine Enthaltung. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hilft es doch nichts, was die Frau Hendricks getwittert hat!) Insofern hat Ihr Antrag weder etwas in der Sache beizutragen, noch dient er irgendeiner Klärung. Das Einzige, was Sie versuchen, ist, hier auf ganz billige Art und Weise einen Vorführeffekt zu erreichen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schummeln sich doch durch!) Wir haben hier in diesem Bundestag schon das dritte Mal den wortgleichen Antrag zur Beratung vorliegen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr verhindert immer die Abstimmung!) Ich sage Ihnen eins: Wir haben das letzte Mal, als wir diesen Antrag hier diskutiert haben, über den Film Und täglich grüßt das Murmeltier geredet. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Ich kann Ihnen, Herr Ebner, wirklich nur empfehlen: Nehmen Sie sich einmal die Zeit, und schauen Sie sich diesen Film noch einmal an. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) In diesem Film erlebt die Hauptfigur Tag für Tag das Gleiche, (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nee, echt? Wenn Sie sich gegen die Union durchsetzen könnten, dann bräuchten wir das nicht!) so wie wir hier von Woche zu Woche den gleichen Antrag erleben. Aber am Ende gibt es ein Happy End. Warum? Weil die Hauptfigur etwas dazulernt und weil sie sich und die anderen verändert. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen doch nicht uns belehren!) Sie haben nur die Drucksachennummer verändert, aber inhaltlich kein Jota. Da ist nichts, was nach vorne weist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr verhindert doch die Debatte darüber! Warum soll man da was verändern?) Lassen Sie also diese taktischen Anträge. Machen Sie mal Sachpolitik, und bringen Sie mal wieder einen neuen Gedanken ins Plenum ein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr könnt doch jetzt was verändern!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Rita Stockhofe. (Beifall bei der CDU/CSU) Rita Stockhofe (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will heute nicht das Murmeltier bemühen. Zum wievielten Male reden wir hier über ein und denselben Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Wir hätten es auch im Ausschuss behandeln können!) Wir stimmen darüber ab. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht! Das ist das Problem!) Weil Sie von den Grünen gerne ein anderes Ergebnis hätten, schreiben Sie das Gleiche noch einmal auf, obwohl Sie wissen, dass Sie die Abstimmung wieder nicht gewinnen werden. (Kees de Vries [CDU/CSU]: Die sind einfach nicht lernfähig! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Debatte findet ja gar nicht statt!) Der Wähler hat 2013 entschieden, dass Sie in der Opposition sind, und das ist auch gut so. Herr Ebner, kurz ein Wort an Sie. Sie haben vorhin eine Rede gehalten. Wir haben alle zugehört. Keiner hat dazwischengerufen. Wir haben eine super Disziplin gehabt. Es wäre schön, wenn auch Sie sich daran halten könnten. Dann könnten die Zuhörer auch mich einmal hören. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Stockhofe, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Maisch? Rita Stockhofe (CDU/CSU): Ja, sehr gerne. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Stockhofe, Sie haben zu uns gesagt: Sie wissen, dass Sie die Abstimmung nicht gewinnen. – Kann ich daraus schließen, dass wir hier gleich über den Antrag abstimmen? Rita Stockhofe (CDU/CSU): Nein, das können Sie nicht. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist das nicht so schlüssig, was Sie gesagt haben!) – Das ist Ihr Problem. (Beifall des Abg. Artur Auernhammer [CDU/CSU]) Sie schreiben in Ihren Anträgen zum Thema Gentechnik permanent, dass ein Großteil der Bevölkerung gegen Gentechnik ist. Diese Aussage ist das Ergebnis einer Umfrage von einem oder mehreren Ihrer Lobbyistenvereine. Wenn eine solch einseitige Darstellung nach außen getragen wird, wie das hier der Fall ist, darf man sich nicht wundern, dass die Umfragen so ausfallen, wie sie es tun. Sämtliche fachlichen Veröffentlichungen europäischer Behörden werden ignoriert – und das, obwohl hier die strengsten Zulassungsverfahren weltweit gelten. Auf der Grünen Woche, die zufällig gerade stattfindet, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht zufällig!) hat sich vor ein paar Jahren jemand hingestellt, hat in jeder Hand eine Möhre hochgehalten und die Besucher gefragt, ob sie lieber die Möhre mit oder die Möhre ohne Gene kaufen möchten. Sie können sich denken, welche Antwort gekommen ist: Die Besucher wollten lieber die Möhre ohne Gene kaufen. – Wir alle wissen hoffentlich, dass es keine Möhre ohne Gene gibt. Aber Sie haben es durch Ihre Art und Weise der Darstellung geschafft, dass die Menschen schon allein dann, wenn sie den Begriff „Gen“ hören, glauben, dass sie vergiftet werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Geschichte ist doch alt! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie wirklich, dass die Deutschen so doof sind? Wir glauben das nicht!) Natürlich haben die Besucher gedacht, dass es um Gentechnik geht. Aber das ist gar nicht gefragt worden. Sie, die Fraktion der Grünen, profitieren von Ihren Lobbyistenvereinen, die ein Thema besetzen, bei dem sie sich möglichst hohe Spendeneinnahmen versprechen. Schließlich leben sie von diesen Spenden – und das auch nicht so schlecht. Jetzt haben Sie das Glück, diese Spendensammler hinter sich zu haben. Aber die Frage ist doch eigentlich: Was wollen Sie überhaupt? Wollen Sie sich wirklich inhaltlich mit Themen auseinandersetzen? (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie diskreditieren hier Umweltverbände als Spendensammler!) – Herr Ebner, wir sind schon wieder an dem Punkt, an dem Sie mich nicht ausreden lassen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Wenn Sie Umweltverbände als Spendensammler diskreditieren!) Oder reicht es Ihnen, Personen aus dem Parlament oder der Regierung zu beleidigen? Das gehört ja zu Ihrem Standardrepertoire. Wann fangen Sie endlich an, sich inhaltlich mit Themen zu befassen und wissenschaftliche Ergebnisse anzuerkennen? Nun zu den Demonstrationen, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, genannt haben. Es gab auch eine Demonstration unter dem Motto „Wir machen euch satt“. Da müssen wir wissen, was Ihnen wichtiger ist: jemanden satt zu machen oder jemanden ständig zu kritisieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei der öffentlichen Anhörung am letzten Montag wurde bestätigt, dass weltweit kein nachweisbarer Schadensfall durch Gentechnik existiert, (Zuruf von der SPD: Oh! Das stimmt aber nicht!) weder beim Menschen noch beim Tier noch bei der Umwelt. In Ihrem Antrag sprechen Sie immer von Erkenntnissen der Wissenschaft. Anerkennen tun Sie diese aber nur an, wenn es Ihnen passt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unterstellung!) Das erleben wir häufig, wenn das BfR, das Bundesinstitut für Risikobewertung, zurate gezogen wird. Wenn die Ergebnisse nicht in Ihr Weltbild passen, gibt es massive Kritik. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind groß im Unterstellen!) Wenn es passt, wird es mindestens hundertmal zitiert. Zum Glück gab es die Partei der Grünen noch nicht, als die Bahn, das Auto oder das Flugzeug erfunden wurde. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die Geschichte wieder!) Nicht, dass Sie sie nicht nutzen würden! Aber Ihre grundsätzliche Fortschrittsfeindlichkeit hätte diese Erfindungen schon verhindert. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutsche Forscher flüchten vor Ihrer Politik ins Ausland. Später können wir dann deren erfolgreiche Produkte aus dem Ausland einkaufen. Ein altes, mittlerweile fast jedem bekanntes Beispiel ist das Insulin. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert hier eigentlich seit zwölf Jahren?) Bei uns in Deutschland sind in der Vergangenheit Versuchsfelder zerstört worden. Diese Zerstörungen werden genauso wie Einbrüche in Ställe als Heldentaten gefeiert. Länder wie China, Spanien und Kanada schöpfen alle Möglichkeiten der Forschung aus und überholen uns mit größter Geschwindigkeit. Ich würde mich freuen, wenn wir endlich einmal auf der Grundlage von wissenschaftlichen und fachlichen Erkenntnissen debattieren könnten. Aber dann müssten Sie Ihr letztes Thema aus der Hand geben, mit dem Sie Menschen Angst machen können. Sie und Ihre Lobbyfreunde aus den einschlägigen Vereinen arbeiten mit der Unsicherheit und den Ängsten der Menschen, indem Sie in jeder Darstellung möglichst viele negativ besetzte Worte verwenden: Pestizide – „Pest“ war schon immer negativ besetzt – statt Pflanzenschutzmittel, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein internationaler Begriff! Pesticides!) Agroindustrie statt vor- und nachgelagerter Bereich der Landwirtschaft oder Massentierhaltung. Dieser Begriff wurde nie von irgendjemandem definiert. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier nicht um Massentierhaltung, sondern um Gentechnik! Wo sind Sie eigentlich?) Dann werden gerne Begriffe wie Industrie – da denkt jeder nur an rauchende Schlote – oder Konzerne – damit verbindet man, dass die doch nur Geld verdienen wollen – verwendet. Dabei geht fast jeder von uns morgens aus dem Haus und seiner Arbeit nach, um Geld zu verdienen. All diese Begriffe verwenden Sie, um negative Bilder in die Köpfe der Bevölkerung zu bekommen. Wir hingegen wissen, dass in Deutschland mit die gesündesten Lebensmittel weltweit erzeugt werden und dass wir zu jeder Jahreszeit alles kaufen können. Warum helfen Sie uns nicht, dem Verbraucher möglichst schmackhafte, gerne auch saisonale und regionale Produkte anzubieten, indem wir die Bauern vor Ort unterstützen sowie ihre tolle Arbeit anerkennen und honorieren? (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bauern vor Ort fangen an, umzudenken!) Sind Sie Ihren Lobbyisten so sehr verpflichtet, dass Sie immer wieder Halbwahrheiten und Ängste verbreiten und Politiker persönlich verunglimpfen müssen? (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe in meiner Erziehung Respekt vor anderen Menschen gelernt, vor allen denjenigen gegenüber, die ihn verdient haben. Für mich gehören zu diesen Menschen unsere Bauern, die uns täglich mit hochwertigen, leckeren und unter immer größeren Herausforderungen hergestellten Lebensmitteln versorgen. Ich würde mich freuen, wenn Sie, die Grünen, diese Leistung endlich auch anerkennen würden und aufhören würden, Generalverdächtigungen auszusprechen. Erst dann können wir eine gute Politik für unsere Verbraucher und Bauern machen. Geben Sie endlich Ihr Dasein als Lobbyistenpartei auf, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei euch hocken die Lobbyisten in den eigenen Reihen!) und widmen Sie sich den anstehenden Themen sachlich! Akzeptieren Sie wissenschaftliche Erkenntnisse, und hören Sie auf, Menschen persönlich anzugreifen! Denn das gehört sich nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön. (Beifall bei der SPD) Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf der Tribüne! Auf ein Neues! Wir reden wieder einmal über die Zulassung der gentechnisch veränderten Maissorten in Brüssel. Die SPD-Bundestagsfraktion und auch das SPD-geführte Bundesumweltministerium sind gegen eine solche Zulassung; denn wir wollen ebenso wie 80 Prozent der Bevölkerung, dass die Äcker in unserem Land gentechnikfrei bleiben. (Beifall bei der SPD) Eine konsequente Politik für ebendiese gentechnikfreien Äcker würde auch eine klare Ablehnung der Zulassung in Brüssel einschließen. Leider kann sich unser Koalitionspartner dazu offenbar immer noch nicht durchringen. Deshalb können wir auch Ihrem Antrag, sehr verehrter Herr Kollege Ebner, leider nicht zustimmen. (Beifall bei der SPD) Ich würde hier gerne etwas ganz anderes sagen, aber es ist leider nach wie vor so: Wenn das von dem CSU-Minister Schmidt geführte Landwirtschaftsministerium die Zulassung – noch einmal: im Gegensatz zum Umweltministerium – will, dann gibt es eben wieder ein Patt. Dann enthält sich Deutschland wieder. Deshalb wird der Genmais, um den es hier geht, Herr Kollege Ebner, trotzdem nicht im nächsten Jahr auf deutschen Äckern angebaut werden; denn schon 2015 hat die Bundesregierung die betreffenden Saatgutkonzerne aufgefordert, Deutschland von ihren Zulassungsanträgen auszunehmen. Es bleibt also dabei: In Deutschland können gentechnisch veränderte Pflanzen nicht kommerziell angebaut werden. (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei den Nachbarn! Belgien! Tschechien!) Das ändert nichts an der Haltung der SPD zum Umgang mit Zulassungsanträgen in Brüssel. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr spielt es nur herunter!) Wir sind für die Ablehnung. Das ändert auch nichts daran, dass wir nach wie vor versuchen, unseren Koalitionspartner davon zu überzeugen, dass Deutschland sich aus Prinzip nicht länger enthalten darf, sondern gegen die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen stimmen sollte. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Versuchen könnt ihr es ja!) – Klar, wir arbeiten daran, Herr Kollege. Ich bezweifle, dass Sie den Prozess beschleunigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, indem Sie hier immer denselben Antrag stellen. Die Kollegin Ute Vogt hat ja dazu hier bereits sehr eindeutig etwas gesagt. Aber bitte, so lange Sie das tun, so lange sage ich Ihnen: Wir wollen gentechnikfreie Äcker. Wir sind gegen die Zulassung. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schön!) Aber – vielleicht haben Sie es auch schon zur Kenntnis genommen – wir regieren nicht allein. Noch wichtiger als die ganze Debatte um Zulassungen von gentechnischen Pflanzen auf der EU-Ebene finde ich, dass wir ein vernünftiges nationales Gesetz zu entsprechenden nationalen Anbauverboten hinbekommen. Frau Vogt hat es vorhin schon gesagt: Wir arbeiten mit Hochdruck daran, und wir werden uns dabei – das kann ich Ihnen versprechen – auf keine schlechten Kompromisse einlassen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10976. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über ihren Antrag in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung. Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht wird. Damit erhält jetzt Steffi Lemke als erste Rednerin das Wort zur Geschäftsordnung. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich denke, in der Debatte ist klar geworden: Es geht darum, dass auf europäischer Ebene morgen eine Abstimmung über die Neuzulassung von drei gentechnisch veränderten Maissorten der Konzerne Monsanto und Syngenta ansteht, also morgen über eine europäische Zulassung entschieden wird. Deshalb sind all Ihre Argumente, mit denen Sie darauf verweisen, dass der Anbau danach möglicherweise in Deutschland ausgeschlossen bleibt, (Ute Vogt [SPD]: Nicht „möglicherweise“!) richtig, gehen aber an der Tatsache vorbei, dass morgen abgestimmt wird, und damit an der Zielrichtung unseres Antrages, mit dem wir nämlich auf die europäische Ebene abzielen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir leben in einem europäischen Binnenmarkt. Wir haben gemeinsame Verbraucherschutzstandards, Gesundheitsschutzstandards. Ich gehe davon aus, dass alle hier im Haus auch wollen, dass das so bleibt. Wir müssen von daher ein Interesse daran haben, die europäische Ebene ernst zu nehmen und zu stärken. Deshalb betrachtet meine Fraktion es als Aufgabe dieses nationalen Parlamentes, der nationalen Regierung für ihr Stimmverhalten auf der europäischen Ebene ein klares Votum mitzugeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn wir sind hier nicht Exekutive. Wir sind das Parlament. Es tut mir leid, dass ich die Kollegen sowohl in der SPD als auch in der CDU daran erinnern muss. Sie haben hier noch einmal in aller epischen Breite dargestellt, welche Probleme die Bundesregierung mit dieser Abstimmung hat. Das ist ihr gutes Recht, und ich finde es gut, dass die SPD ihre inhaltliche Position – Nein zu diesen Zulassungen – noch einmal klargemacht hat und dass die CDU klargemacht hat, dass sie der Auffassung ist: Ja zu diesen Zulassungen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht! – Alois Rainer [CDU/CSU]: Stimmt ja gar nicht!) – Sie sind gegen die Zulassung? Dann müsste Herr Schmidt ja in Brüssel mit Nein stimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU) Ich gehe davon aus, dass Sie dafür den Beweis anzutreten bereit sind, und deshalb wird das Murmeltier hier dann vermutlich noch einmal grüßen. Unser bisheriger Kenntnisstand ist, dass sich die Bundesregierung nicht einigen konnte, dass das Umweltministerium gegen die Zulassung ist und das Landwirtschaftsministerium dafür. Das würde dazu führen, dass sich die Bundesregierung in Brüssel enthält und damit faktisch eine Jastimme in den Brüsseler Prozess einbringt, weil nur eine Neinstimme verhindern kann, dass diese Zulassung stattfindet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist es Aufgabe der Opposition, diesen Prozess hier im Parlament transparent zu machen, deutlich zu machen, worum es geht. Liebe Ute Vogt, du hast auf den Murmeltierfilm verwiesen. Ich habe einen Vorschlag, wie wir den ewig gleichen Ablauf durchbrechen können: Ihr beschneidet nicht weiter die Rechte der Opposition auf das Stellen von Anträgen und das Beantragen von Abstimmungen über die Anträge der Opposition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren, was du im zweiten Teil des Murmeltierfilms hier im Parlament ausgeführt hast – also Zitat Ute Vogt in der letzten Geschäftsordnungsdebatte zum Gegenstand –: Ich sage Ihnen: Sie haben doch jedes Recht der Welt, Presseerklärungen noch und nöcher zu machen. (Ute Vogt [SPD]: Genau!) – Danke für die Belehrung; wussten wir schon. – Da brauchen Sie doch nicht jedes Mal unsere Zeit hier in Anspruch zu nehmen mit Plenardebatten zu Dingen, bei denen im Grunde klar ist, dass wir diese Debatte letzte Woche geführt haben und dass wir sie in Kürze wieder führen werden. (Ute Vogt [SPD]: Genau! So kam es auch!) Ich sage Ihnen: Sie von der Großen Koalition haben genug Abgeordnete, um Ihre Position deutlich zu machen. Wir als Opposition haben die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren und Machtbegrenzung vorzunehmen. Deshalb sind wir hier. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie damit weiter lustige Spielchen analog zum Murmeltierfilm treiben wollen, dann werden wir schwierige Zeiten vor uns haben. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! Oh!) Es ist nicht nur Aufgabe der Opposition, Pressemitteilungen zu schreiben, sondern sie hat auch das Recht, Anträge einzubringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und es ist das Recht und es ist die verdammte Pflicht der Opposition, im Parlament nicht nur Debatten zu führen, sondern auch Entscheidungen herbeizuführen. Nichts weiter klagen wir ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Tat müssen wir mit Ihnen das dritte Mal innerhalb von drei Monaten eine Geschäftsordnungsdebatte darüber führen, ob unser Antrag hier vor einer relevanten Entscheidung in Brüssel zur Abstimmung gestellt werden kann, in der Ihre, die von Ihnen getragene Bundesregierung keine klare Position einnimmt, damit klar wird, dass das Parlament mehrheitlich – wenn Ihre Aussagen von der SPD stimmen – eine andere Position dazu hat und die Regierung an dieser Stelle dann das Votum des Parlaments ignorieren würde. Das ist unsere Aufgabe, und die sollten Sie nicht ins Lächerliche und auch nicht sonst irgendwohin ziehen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo! Wunderbar!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Ute Vogt das Wort. (Beifall bei der SPD) Ute Vogt (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Lemke, weil Sie am Anfang sagten: „Dann wird es möglicherweise keinen Anbau geben“, möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Es wird keinen Anbau dieser infragestehenden Maissorten geben, weil das Opt-out ganz eindeutig schon im Jahr 2015 erklärt worden ist. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bei den Nachbarn? Im Umfeld? Bei Nachbarstaaten wie Belgien und Tschechien?) Dabei bleibt es auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage das nur, damit das feststeht. Ich glaube, es gibt auch keinen Grund, sich jetzt so zu echauffieren oder gar so schlechtgelaunt durch die Gegend zu ziehen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Jetzt geht es hier um Launen!) Denn natürlich hat die Opposition – Sie haben es ja erfreulicherweise auch zitiert – immer das Recht, Anträge zu stellen. Sie haben den Antrag ja, wie von mir vorhergesagt, ein drittes Mal gestellt, und dieses Recht will Ihnen auch niemand nehmen. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen über ihn hier abstimmen!) Aber wir haben doch auch das Recht, unsere Meinung zu sagen, nämlich dass wir den Antrag für überflüssig halten (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmen Sie doch ab! Dann ist er weg!) und dass wir es nicht notwendig finden, über ihn heute abzustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich habe es Ihnen schon begründet: Es gibt keine inhaltliche Begründung dafür; vielmehr geschieht das deswegen, weil Ihr Antrag rein taktisch motiviert ist. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nur eine Unterstellung! Euch treibt die Angst!) Jetzt erkläre ich es Ihnen noch einmal, auch wenn Sie an vielen Landesregierungen beteiligt sind und man glauben könnte, Sie wüssten das Ganze schon: Eine Regierungskoalition wird von mehreren Parteien getragen. Diese Parteien schließen einen Koalitionsvertrag. Schauen Sie ihn sich einmal an: Ihn unterschreiben nicht Mitglieder der Bundesregierung, sondern führende Vertreter dieser Parteien. Hier gibt es zwei Fraktionen, hinter denen unterschiedliche Parteien stehen, die einfach eine unterschiedliche Meinung haben. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, wer verhält sich denn taktisch? Ihr, nicht wir!) Unser Koalitionsvertrag legt in solchen Fällen ganz eindeutig eine Enthaltung fest. Wenn Sie Ihren Antrag jetzt hier zur Abstimmung stellen, dann hat das nur den Zweck, SPD-Kolleginnen und -Kollegen, die alle inhaltlich der Meinung sind, dass man in Brüssel für ein Nein votieren muss, wie es die Bundesministerin ja auch macht, vorzuführen, weil sie sich nach dem Koalitionsvertrag schlichtweg enthalten müssen. Diese billige Nummer, hier immer wieder zu versuchen, Kolleginnen und Kollegen vorzuführen, statt in der Sache zu streiten, wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Deshalb werden wir nicht zulassen, dass über Ihren Antrag sofort abgestimmt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine billige Nummer macht eure Ministerin mit ihren Tweets!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Eva Bulling-Schröter hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es eigentlich? Morgen soll über die EU-Zulassung gentechnischer Pflanzen abgestimmt werden – in einer nichtöffentlichen Sitzung von Ministerialbeamten im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel. Ich wiederhole: Die Sitzung ist nichtöffentlich. Es geht um drei Maislinien: MON 810 von Monsanto, MON 1507 von Dow/DuPont und um Bt 11 von Syngenta. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir sind in einer Geschäftsordnungsdebatte!) Was passiert hier? Bakterielles Insektengift wird durch diese Pflanzen produziert. Dass dadurch natürlich nicht nur die schädlichen Insekten kaputtgehen, sondern auch die anderen, das ist selbstverständlich. Seit dem Vertrag von Lissabon gibt es dazu keine Beschlüsse des Rates der EU in öffentlichen Sitzungen, sondern es gibt nur Beschlüsse von Ministerialbeamten in nichtöffentlichen Sitzungen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Zur Geschäftsordnung!) Schon am 6. Oktober 2016 hat das Europäische Parlament in drei Entschließungen dieses abgelehnt und die Kommission aufgefordert, die Vorschläge zurückzuziehen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Zur Geschäftsordnung! Nicht inhaltlich!) – Ich rede zur Tagesordnung: Ich erkläre, warum wir, die Linke, den Antrag der Grünen unterstützen. Wir halten ihn für sinnvoll. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb fordern auch wir, direkt über den Antrag der Grünen abzustimmen. Ich bin ganz erstaunt, wie sich die Kolleginnen und Kollegen, auch die von der SPD, hier echauffieren. Ich bin schon fast 20 Jahre im Bundestag und muss Ihnen sagen: Auch als Sie in der Opposition waren, haben Sie Anträge dreimal gestellt. Damals haben sich die anderen aufgeregt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ist ja unglaublich! Habt ihr das vergessen?) Mich wundert das schon ein bisschen. Natürlich sagen Sie: Wir können dem nicht zustimmen, weil wir im Koalitionsvertrag Verpflichtungen eingegangen sind usw. Aber fragen Sie doch die Menschen auf der Besuchertribüne: Auch die wollen, dass es um die Sache geht. – Leider darf ich die Menschen auf der Besuchertribüne nicht fragen: Wer ist gegen die Gentechnik? Wer ist dafür, dass die Bundesregierung morgen auf EU-Ebene gegen die Gentechnologie stimmt? – Leider dürfen die Menschen auf der Besuchertribüne nicht abstimmen. Wenn sie es machten, bekämen sie Ärger; aber wir können es ja einmal probieren. Insofern bin ich der Meinung, Sie sollten über Ihren Schatten springen, und wir sollten direkt über den Antrag der Grünen abstimmen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen nämlich Parlamentarismus, wie ihn sich die Menschen draußen wünschen. Sie fragen: Warum stimmen die einen so und die anderen so, wenn sie doch einer Meinung sind? Keiner kann das mehr erklären. Noch etwas zu dem unsäglichen Lobbyismusvorwurf; es hat mich besonders verärgert, (Zuruf von der CDU/CSU: Och!) dass er gegenüber Ökoverbänden, dem Naturschutzbund Deutschland usw. geäußert wurde. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber natürlich!) Natürlich stehen auch wir hinter den Bäuerinnen und Bauern, und natürlich wissen wir, dass sie uns satt machen; das ist doch überhaupt keine Frage. Im Gegenteil: Wir wollen die Bauern vor den großen Konzernen und Ihrer unsäglichen Politik schützen, damit sie überleben können (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und nicht auch so fertiggemacht werden wie die Bauern in Indien, die sich dann umbringen. Es bestünde also heute die Möglichkeit, zu sagen: Wir wollen gemeinsam etwas erreichen. Die Mehrheit unserer Wählerinnen und Wähler will das. Aus diesem Grund stimmen auch wir für diesen Antrag. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zur Abstimmung. Nach ständiger Übung stimmen wir zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10976 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und morgen wird in Brüssel abgestimmt!) – die Präsidentin hat das Wort – und zur Beratung an den Ausschuss für Gesundheit, an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag angenommen und die Überweisung beschlossen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition. Es gab keine Enthaltungen. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/10976 in der Sache nicht ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushaltsgesetz 2016) Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924 Nr. 1.16 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Rehberg von der CDU/CSU-Fraktion als erstem Redner das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD]) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welch ein Luxus! Welch ein Luxus, eine Debatte zu führen, in der es, weil wir Zinsminderausgaben haben, darum geht, nach einer Grundgesetzänderung und der Verabschiedung der entsprechenden Begleitgesetze ein Kommunalinvestitionsprogramm in Höhe von 3,5 Milliarden Euro auflegen zu können. Normalerweise hätten wir diesen Punkt im Rahmen des großen Pakets der Bund-Länder-Finanzen behandelt. Allerdings gibt es § 95 unserer Geschäftsordnung, in dem es sinngemäß heißt: Wenn der Bundesrat Stellung zum Nachtragshaushalt genommen hat – er hat im Dezember Stellung genommen –, müssen sich der Haushaltsausschuss und dann der Deutsche Bundestag damit befassen. – Diese Debatte ist auch deswegen eine Luxusdebatte, weil in der Zwischenzeit der Überschuss des Jahres 2016 publik wurde: 6,2 Milliarden Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich im Jahr 2009 Mitglied des Haushaltsausschusses wurde, war die Sachlage folgende: 300 Milliarden Euro Haushaltsvolumen, 86 Milliarden Euro Neuverschuldung im Soll. Wir sind im Jahr 2010 mit 44 Milliarden Euro ausgekommen. Der Haushalt des Jahres 2014 war der erste Haushalt, bei dem wir keine neuen Schulden mehr gemacht und – ohne Debatte – 2,5 Milliarden Euro getilgt haben. Die Koalition hat im Rahmen der Änderung des Haushaltsgesetzes zum Beispiel beschlossen, dass wir das über einen Bundesbankgewinn von 2,5 Milliarden Euro hinausgehende Volumen zur Schuldentilgung verwenden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte ist auch deswegen eine Luxusdebatte, weil wir in diesem Jahrzehnt bewiesen haben, dass in Deutschland trotz einer soliden Haushaltspolitik und der mit 52 Prozent höchsten Sozialquote in der deutschen Geschichte die Investitionen hochgefahren werden können. Das ist eine Erfolgsgeschichte seit 2010. Wenn man sich die Zahlen ansieht und fragt, wie sich die Steuern verteilen, dann stellt man fest, dass die Steuerzuwächse in den letzten sieben Jahren beim Bund am geringsten sind; sie betragen nämlich nur 35 Prozent, 37 Prozent sind es bei den Ländern und 44 Prozent bei den Gemeinden. Insbesondere dadurch, dass der Bund in den letzten Jahren massiv Umsatzsteuerpunkte an die Länder und Kommunen abgegeben hat, ist diese Entwicklung zustande gekommen. Sigmar Gabriel hat heute Morgen gesagt, wir hätten die Länder und Kommunen in dieser Legislaturperiode um 80 Milliarden Euro entlastet. Nach unserer Rechnung sind es sogar 95 Milliarden Euro. Ich widerspreche ihm aber an einer ganz entscheidenden Stelle. Es gibt ein altes Sprichwort: Sorge in guten Zeiten, dann hast du in der Not. – Und wir haben gute Zeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu sagen, dass die Tilgung von Schulden bei niedrigen Zinsen ökonomisch nicht sinnvoll ist, dem widerspreche ich ganz entschieden. Was will man denn machen, wenn die Zinsen viel höher sind? Das ist doch die Frage. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann kann man kein Geld zurückgeben!) Lieber Kollege Gabriel, der Bundesrechnungshof, der Sachverständigenrat, beide sagen klipp und klar: Jetzt ist die Zeit zum Tilgen von Schulden. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Zum Investieren!) Übrigens gibt es genug Vorbilder: Nordrhein-Westfalen tilgt Schulden. Rheinland-Pfalz tilgt Schulden. Schleswig-Holstein tilgt Schulden. Im Koalitionsvertrag meines Heimatlandes steht: Bei Haushaltsüberschüssen sollen drei Viertel davon für die Schuldentilgung eingesetzt werden und ein Viertel davon investiert werden. Ich sage noch einmal: Es ist eine Luxusdebatte, die wir hier miteinander führen. Es gibt da unterschiedliche Standpunkte in der Koalition. Das ist auch ganz legitim; denn bei der ersten Lesung dieses Nachtragshaushaltes war ein Überschuss in dieser Höhe nicht abzusehen. Ich will noch einen Hinweis geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir tragen auch Dinge im Umfang eines zweistelligen Milliardenbetrags vor uns her, die in den nächsten Jahren ausfinanziert werden müssen: Kommunalinvestitionsprogramm 3,5 Milliarden Euro, 164 Millionen Euro abgeflossen; einen Milliardenbetrag im Verkehrsbereich, weil wir die Dinge nicht schnell genug umsetzen können; Kitaprogramme. Ich könnte das weiter fortführen. Das muss in den nächsten Jahren aus dem Gesamtetat finanziert werden (Zurufe des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und nicht nur der Haushaltsausgleich im Jahr 2018 im Umfang von rund 10 Milliarden Euro. Deswegen ist es gut und richtig, sich an dieser Stelle noch ein bisschen Zeit zu nehmen. Deswegen haben die Koalitionsfraktionen gemeinsam beantragt, diesen Gesetzentwurf wieder in den Haushaltsausschuss zurückzuüberweisen. Wir werden das dann dementsprechend behandeln. Ich will noch eines klar sagen, damit es keine Legendenbildung gibt. Die 3,5 Milliarden Euro können erst dann fließen, wenn die Grundgesetzänderung vollzogen worden ist, die Begleitgesetze dazu erlassen worden sind und die Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung getroffen worden ist. Ich bitte, nicht eine Debatte darüber aufkommen zu lassen, dass es bei den 3,5 Milliarden Euro deswegen, weil sie noch nicht abschließend beschlossen worden sind, eine Verzögerung gibt. Dieses ist mitnichten so. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Roland Claus spricht als Redner für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Rehberg hatte gerade mit der Peinlichkeit zu tun, dass die Koalition ihre Hausaufgaben nicht erledigt hat und hat sich deshalb weg vom Thema „Nachtragshaushalt 2016“ auf die historische Bestimmung der Leistungen der CDU/CSU von 2009 bis 2017 geflüchtet. Das können wir ihm nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die vorliegende Tagesordnung hat uns ja eine konkrete Aufgabe zugewiesen. Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Der Bundeshaushalt 2016 ist beendet. Das Bundesfinanzministerium berechnet gerade, wie die Abflüsse waren. Es wird uns wieder etwas Fantastisches präsentiert werden. Und wir reden hier über einen Nachtragshaushalt, eine Veränderung eines Haushaltsjahres, das quasi schon abgeschlossen ist. Das kann doch nur deshalb sein, weil uns ungewöhnliche Umstände dazu zwingen. Der erste ist: Der Bundesfinanzminister sitzt auf zu viel Geld. Der zweite ist: 16 Länderregierungschefs haben mit der Kanzlerin am 14. Oktober einen sogenannten Beschluss zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen gefasst. Um es ganz klar zu sagen: Den Kern dieses Nachtragshaushaltes machen Schulsanierungen in finanzschwachen Kommunen aus. Zu diesen Schulsanierungen sagen wir ganz eindeutig Ja und werden diesem Teil des Gesetzes auch zustimmen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Immerhin etwas!) Für meinen Landkreis in der Saale-Unstrut-Region sind das exakt 10 Millionen Euro. Es ist eine echte Hilfe, die wir dort erwarten. Wir müssen aufpassen, dass die Länder nicht tricksen, aber das gehört ja auch zu unserem Job. Deshalb – ich sage es nochmals – haben Sie hierzu unsere Zustimmung. Wir könnten es hier heute auch abschließend miteinander festhalten. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das wäre ein Signal an finanzschwache Kommunen: Der Bund hilft bei Investitionen. (Ulrike Gottschalck [SPD]: Der hilft ständig!) Man könnte sich auf die Dimension der Mittel einstellen, die da bald kommen. Das zu beschließen, wäre heute unsere Aufgabe gewesen. Wir haben schon im Ausschuss gesagt: Dieses Verhalten der Großen Koalition grenzt an Arbeitsverweigerung. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun ist nochmals das Argument vorgetragen worden, dass die Investitionen ohnehin erst nach einer Grundgesetzänderung fließen können, und wegen des unsäglichen Kooperationsverbotes von Bund und Ländern in der Bildungspolitik ist das ja auch noch zutreffend und kann nicht geleugnet werden. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch große politische Fehler sind heilbar – genau an dieser Stätte, nämlich hier im Deutschen Bundestag, sind sie heilbar. (Beifall bei der LINKEN) Nun sind hier nicht näher benannte, aber uns ja nicht verborgen gebliebene Differenzen zwischen CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Verwendung der Überschüsse des Jahres 2016 aufgetreten. Die Große Koalition braucht Bedenkzeit. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, es gibt im Parlament auch so etwas wie eine Bedenkenträgerhaftung. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Insofern sagen wir: Wenn Sie vorhaben, den Nachtragshaushalt jetzt erneut in den Ausschuss zurückzuüberweisen, dann müssen Sie das mit Ihren Mehrheiten machen; die Opposition wird nicht dafür stimmen. Und nicht vergessen: Ihr seid in einer Bedenkenträgerhaftung. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Johannes Kahrs für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Roland, (Roland Claus [DIE LINKE]: Nicht noch mal!) wir haben es dir ja schon im Haushaltsausschuss erklärt. Deswegen hat mich gewundert, dass du die Frage noch mal aufgeworfen hast. Ich bin aber gerne bereit, es noch mal zu erklären, insbesondere, weil das, was der Kollege Rehberg, den ich ja eigentlich sehr schätze, dazu gesagt hat, nicht angekommen zu sein scheint. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Was heißt hier „eigentlich“?) Eckhardt, vielleicht musst du da intensiver pädagogisch tätig werden. Es sieht ganz so aus, als bliebe mir nichts anderes übrig, als es auch noch mal zu erklären. Die 3,5 Milliarden Euro für Bildungsinvestitionen werden kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Helmut Heiderich [CDU/CSU]) Dafür stehen SPD und CDU/CSU. Das ist wichtig, das haben wir versprochen, das wollen wir, das wird so sein. Das haben wir im Haushaltsausschuss erklärt, der Kollege Rehberg hat es erklärt. Herr Kollege Claus hat gesagt, er hat es nicht verstanden. Ich habe es jetzt noch mal erklärt. Wir wissen also, dass das Geld kommen wird. Es wird auch keine Sekunde Verzögerung geben; denn das Geld kann sowieso erst dann fließen, wenn das Paket zur Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen beraten und beschlossen ist, die Grundgesetzänderung inklusive. Und wir alle wissen, dass das noch ein bisschen dauern wird. Ob der Bundesrat uns mit dem, was wir hier beschließen, durchkommen lässt, weiß auch noch keiner. Wenn wir dann noch mal eine Runde drehen müssen, dann ist das so – aber das Geld wird kommen. Deswegen kann man da ganz entspannt sein. Durch die Debatte hier und heute verzögert sich gar nichts. Man kann als Opposition versuchen, es anders darzustellen. Wir haben es jetzt einfach noch mal erklärt, damit es allen Beteiligten klar ist. SPD und CDU/CSU haben 3,5 Milliarden Euro zusätzlich für die Bildungsinfrastruktur finanzschwacher Kommunen beschlossen. So etwas tun wir nicht zum ersten Mal; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) wir haben schon häufig etwas für Kommunen und für Länder beschlossen. Der Kollege Rehberg lässt keine Gelegenheit aus, um das zu bejubeln, zu erklären und zu verdeutlichen. Dafür sind ihm Länder und Kommunen auch dankbar. Wir alle wissen, dass in den letzten Jahren nicht nur Mehrausgaben in Höhe von 23 Milliarden Euro beschlossen worden sind, wie wir es einmal im Koalitionsvertrag festgelegt hatten, sondern dass die Bereitstellung von deutlich mehr Geld beschlossen wurde – für den sozialen Wohnungsbau und für viele andere Dinge. Ich glaube, das kann sich sehen lassen. Wenn der Opposition als einziger Kritikpunkt einfällt, dass wir nicht hier und heute die Bereitstellung von 3,5 Milliarden Euro beschließen, was gar nicht geht, weil wir sie erst nach den Grundgesetzänderungen im Paket beschließen können, dann ist es nicht besonders viel, was kritisiert wird. Dann müssen wir sehr gut gearbeitet haben, dann muss diese Große Koalition Großes vollbracht haben – das haben wir in den letzten vier Jahren. Insofern fällt uns diese Debatte relativ leicht. So, nun haben wir uns heute versammelt, weil es – der Kollege Claus hat es angesprochen – Differenzen in dieser Koalition gibt. Lieber Roland, dort SPD, dort CDU und CSU, alles eigenständige Parteien. (Roland Claus [DIE LINKE]: Danke!) CDU und CSU machen nicht alles, was wir wollen, weil sie eigenständige Parteien sind. Deswegen gibt es Differenzen. Das ist gut so. Ich bin Mitglied der deutschen Sozialdemokratie, ich bin nicht Mitglied der CDU oder CSU, (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das merkt man nicht immer!) und ich bin auch nicht Mitglied einer Partei, die sich Große Koalition nennt. Ich schätze den Kollegen Rehberg sehr, bin aber froh, dass er in der CDU ist; (Max Straubinger [CDU/CSU]: Darüber sind wir auch froh!) denn in der SPD würde er nicht glücklich werden. Deswegen, finde ich, ist er dort bei der CDU gut aufgehoben. Dass wir Differenzen haben, ist nicht nur logisch und folgerichtig, man kann das sogar wählen. Das haben auch viele Menschen in unserem Land getan. Dass wir uns einigen müssen, ist genauso logisch. Das nennt sich Demokratie. Gelebte Demokratie besteht darin, dass man sich einigt. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht das doch!) Jetzt haben wir hier ein echtes Luxusproblem. Das Luxusproblem besteht darin, dass wir am Ende aller Tage 12,3 Milliarden Euro übrig haben, und man kann sich jetzt überlegen, was man mit diesen 12,3 Milliarden Euro macht. Und dass man sich darüber unterhält, halte ich für vollkommen in Ordnung. Die 12,3 Milliarden Euro kann man auf der einen Seite nutzen – so will es die CDU/CSU; zumindest zu einem großen Teil –, um Schulden zurückzuzahlen. Wir Haushälter finden Schulden zurückzahlen eigentlich ganz sympathisch. Auf der anderen Seite kann man aber auch Geld investieren. Die CDU/CSU erklärt uns immer wieder, wir müssen die Investitionsquote in unserem Land steigern, wenn ich mich recht erinnere; ich kann aus der einen oder anderen Rede zitieren. Die CDU/CSU sagt immer, wir müssen mehr in die Verkehrsinfrastruktur investieren. Ich könnte jetzt aus den Reden vieler Ministerinnen und Minister von unionsgeführten Ministerien zitieren, in denen sie geäußert haben, wo sie Geld investieren würden. Dass der Kollege Spahn so übellaunig dreinschaut, liegt daran, dass er als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium das Geld ohnehin ungerne ausgibt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber er hat nun einmal ein paar andere Kolleginnen und Kollegen da vorne sitzen, insbesondere die von der Union, die das Geld gerne ausgeben würden. Wir als SPD haben gesagt: Wir machen in dieser Legislaturperiode keine neuen Schulden. Das hat auch geklappt. Das liegt daran, dass wir Sozialdemokraten mit der CDU/CSU regieren. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!) Als Sie mit der FDP regiert haben, haben Sie dreistellige Milliardensummen an Schulden gemacht. Also man merkt: Geht es um Geld, fragt man die SPD. (Beifall bei der SPD – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde im Parlament!) In diesem Fall ist es so: Wir Sozialdemokraten haben die Schuldenbremse mit der CDU/CSU in der letzten Großen Koalition durchgesetzt, dann hat die Union vier Jahre geschwächelt, (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) aber dann kamen wieder wir. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Johannes!) Seitdem wurden keine neuen Schulden gemacht. Dafür ist uns die Union dankbar, jedenfalls die Haushälter der Union; denn diese Unterstützung hatten sie bei der FDP nicht. Jetzt ist es so, dass wir uns vorstellen können, dass ein großer Teil dieser 12,3 Milliarden Euro für Investitionen ausgegeben wird. Ich glaube, das ist eine gute Sache. Wir glauben, dass man gemeinsam mit den Kommunen und den Ländern dafür sorgen sollte, dass die Schulen vor Ort saniert werden. Wir sollten uns um Universitäten, um Turnhallen und um Internetanschlüsse kümmern. (Beifall bei der SPD) Ich glaube, dass unser Land wirtschaftlich erfolgreicher ist, dass die Menschen in unserem Land glücklicher sind, dass es sozial gerechter wäre, wenn (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wenn Schulden gemacht werden, Herr Kahrs!) wir uns um die Infrastruktur in unserem Land kümmern. Ich kann nicht glauben, dass die CDU/CSU das anders sieht, dass sie weniger Geld für Investitionen in das Handwerk, in Schulen und Universitäten ausgeben will. Dass wir uns in dieser Großen Koalition die Freiheit nehmen, über dieses Thema zu diskutieren, halte ich nicht für falsch, sondern es kann zu einem Erkenntnisgewinn bei uns Sozialdemokraten kommen, es kann aber auch zu einem Erkenntnisgewinn bei CDU/CSU kommen. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es muss aber nicht! Es kann nur sein!) Zeit verlieren wir auch nicht, weil wir erst einmal Grundgesetzänderungen beschließen müssen. Und deswegen ist es gut, dass wir hier streiten. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe da wenig Vertrauen!) In einer Demokratie gehört das zum Wesenskern. Ich persönlich glaube: Universitäten, Schulen und Kindergärten sind der Aufregung – auch bei der Opposition – und aller Mühen wert. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war gerade „Nachtgeschichten mit Johannes Kahrs“!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sven-Christian Kindler hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jetzt das Wort. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Rehberg und Kollege Kahrs haben haarscharf am Thema vorbeigeredet. (Johannes Kahrs [SPD]: Hallo?) Man muss sich noch einmal in Erinnerung rufen, um was es eigentlich geht. Die Große Koalition berät in zweiter Lesung einen Nachtragshaushalt. Die Debatte wird nicht abschließend sein und der Nachtragshaushalt wird an den Ausschuss zurücküberwiesen. Die Große Koalition kann sich über einen zentralen haushaltspolitischen Aspekt – es geht darum, zu klären, wie man einen Überschuss verwendet – nicht einigen. Man hat sich wochenlang gestritten und ist noch immer zu keinem Ergebnis gekommen. Ich finde, man muss sich die ganze Tragweite dieses Vorgangs einmal vorstellen. In dieser zentralen haushaltspolitischen Frage ist die Koalition nicht mehr handlungsfähig. Ich nenne das Arbeitsverweigerung und peinlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Man muss sich auch noch einmal klarmachen: Es ist ja eine sehr erfreuliche Situation, dass es einen Überschuss gibt. Aber was macht diese Große Koalition eigentlich in den nächsten Wochen und Monaten? Gewählt wird erst im September. Bis dahin ist diese Bundesregierung im Amt. Was macht die Regierung eigentlich, wenn es schwierige Zeiten gibt? Gerade in diesen unsicheren, schwierigen Zeiten muss man doch Handlungsfähigkeit zeigen, muss man zeigen, dass man regieren will, dass man irgendwie zu Entscheidungen kommt. Das macht die Große Koalition nicht. Ich sage Ihnen: Das ist Arbeitsverweigerung, und das muss aufhören, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages enthält eine klare Regelung dazu. § 95 der Geschäftsordnung regelt, dass die Beratung eines Nachtragshaushalts aufgesetzt wird. Nachtragshaushalte dürfen eben nicht wochenlang verzögert, sondern müssen zügig beraten werden. Und es ist richtig: Das Geld für die Schulsanierung wird nicht sofort abfließen, weil davon andere Regelungen abhängig sind. (Petra Rode-Bosse [SPD]: Eben!) Aber die Frage ist doch: Welches Signal senden wir jetzt, sendet der Deutsche Bundestag, sendet die Große Koalition, senden CDU/CSU und SPD an die Kommunen, an die Städte in diesem Land aus? Es gibt viele Probleme vor Ort. Die Kommunen und Städte leben nicht im Luxus. Da fällt den Schulen der Putz von der Decke, da wird zu wenig Geld für schnelles Internet im ländlichen Raum ausgegeben. Wir haben viel zu wenig Geld vom Bund für die Energiewende, für den Klimaschutz. All diese Probleme gibt es in den Kommunen ebenso wie zu wenige bezahlbare Wohnungen. Die Kommunen brauchen Verlässlichkeit, brauchen Planbarkeit, brauchen das klare Signal vom Bund, dass man jetzt in ihre Zukunft investiert, dass man Investitionen und den Nachtragshaushalt nicht noch weiter verzögert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Hier verzögert niemand etwas!) Es ist auch richtig: Wir haben Abflussprobleme, weil wir zu wenig Planungskapazitäten beim Bund, in den Ländern und Kommunen haben. Wir haben zu wenig Planerinnen und Planer, wir haben zu wenig Bauingenieurinnen und Bauingenieure. Aber woran liegt das? Das liegt eben daran, dass diese Bundesregierung keine langfristige Investitionsstrategie hat, dass sie immer eine Zickzackinvestitionspolitik – nach Kassenlage – macht. Wenn in den vergangenen Jahren mehr Geld da war, wurden neue Investitionsprogramme aufgelegt, aber insgesamt wurde das Investitionsniveau nicht wesentlich erhöht. Im Gegenteil: Im Finanzplan bis 2020 fällt es auf 9 Prozent ab. In Anbetracht dieser Lage haben Länder und Kommunen keine Verlässlichkeit und stellen keine neuen Mitarbeiter ein, weil sie nicht wissen, ob vom Bund auch dauerhaft Geld kommt. Genau dieses Signal der Verzögerung setzen Sie mit dem Nachtragshaushalt wieder. Sie lassen Kommunen und Städte bei den Investitionen im Regen stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Petra Rode-Bosse [SPD]: Ja, natürlich!) Wir haben vorgeschlagen, wie man das ändern kann. Man muss den Kommunen und Ländern für die nächste Legislaturperiode und für die Zeit bis 2025 deutlich machen, dass wir einen dauerhaften und langfristigen Investitionsplan vom Bund für die sozialökologische Modernisierung Deutschlands wollen. Wir haben zwei Vorschläge unterbreitet. Der eine ist: Wir müssen dafür sorgen, dass unser öffentliches Vermögen nicht weiter schmilzt. Das wollen wir dadurch erreichen, dass im Haushalt endlich ehrlich bilanziert wird, was an Vermögen da ist. Und wir wollen, dass Vermögensverlust verhindert wird, indem die Abschreibungen durch Neuinvestitionen ausgeglichen werden. Dafür setzen wir uns ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens sagen wir: Uns ist es auch sympathisch, Schulden abzubauen. Aber in einer Situation, wo wir ein so großes Investitionsdefizit und einen Vermögensverlust haben, wollen wir auch versteckte Schulden abbauen. Wir wollen in die Zukunft investieren. Deswegen sagen wir: Wir wollen einen Zukunftsfonds, der den Überschuss langfristig sichert, um in die Zukunft zu investieren: in Klimaschutz, in gute Bildung, in bezahlbare Wohnungen. Das muss jetzt genutzt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, und dafür müssen wir heute den Nachtragshaushalt abschließen und endlich Planbarkeit, Verlässlichkeit für die Kommunen und Städte in diesem Land schaffen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in dieser Debatte hat Alois Rainer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer hätte zu Beginn dieser Legislaturperiode gedacht, dass wir jetzt – fast an ihrem Ende – dastehen und über einen Nachtragshaushalt sprechen, einen Nachtragshaushalt im positiven Sinne. Ich kenne das Problem nur zu gut, dass man aus Nachtragshaushalten hätte investieren müssen, aber das Geld nicht zur Verfügung stand. (Petra Rode-Bosse [SPD]: Ja!) Wir sind in der glücklichen Lage, in der luxuriösen Lage, darüber sprechen zu können, wie wir das Geld verwenden, das im letzten Jahr erwirtschaftet worden ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu Beginn Folgendes sagen: Auch wenn man nicht will, dass zu viel Zeit ins Land geht, sondern schnell vorankommen möchte, muss es erlaubt sein, über die Verteilung von 6,2 Milliarden Euro eine Woche, zwei Wochen oder auch drei Wochen länger zu diskutieren. Es geht nämlich um richtig viel Geld. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir stecken jetzt 3,5 Milliarden Euro zusätzlich in den Kommunalinvestitionsförderungsfonds. Wir hatten ja bereits 3,5 Milliarden Euro in diesen Fonds gesteckt, und jetzt kommen 3,5 Milliarden Euro hinzu, was sinnvoll ist; das ist unstrittig und heute schon gesagt worden. Man muss aber auch ganz klar sagen: Zuständig für eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen sind die Länder. Wir nehmen diese zusätzliche Aufgabe an und investieren nicht nur 3,5 Milliarden Euro, sondern insgesamt 7 Milliarden Euro. Ich freue mich darüber und hoffe, dass viele Kommunen dieses Angebot annehmen und die zweiten 3,5 Milliarden Euro schneller abgerufen werden als die ersten 3,5 Milliarden Euro; denn der Mittelabfluss verläuft ja stockend. Wenn man über Investitionen in den Straßenverkehr oder andere Bereiche spricht, sollte man auch daran denken, dass wir in manchen Bereichen momentan zu viel Geld zur Verfügung stellen, so viel, dass es gar nicht abfließen kann. Deshalb ist es meines Erachtens richtig, notwendig und generationengerecht, zumindest einen großen Teil des Geldes, das in der Rücklage steckt, für die Tilgung zu verwenden oder als zweckgebundene Rücklage zu deklarieren, um zu einem späteren Zeitpunkt – es läuft ja nicht immer so gut wie jetzt – daraus Geld entnehmen zu können. Mein Favorit ist aber ganz klar – das sage ich ehrlich – die Schuldentilgung; (Beifall bei der CDU/CSU) denn wir werden nicht in jedem Jahr in einer so guten Situation sein wie in diesem Jahr. Darüber lässt sich tunlich und trefflich streiten. Es ist ja auch okay, in einer Großen Koalition, generell in einer Koalition unterschiedlicher Meinung zu sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, es ist auch okay, wenn auch Sie eine andere Meinung haben. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!) Das ist gelebter Parlamentarismus. In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussionen, auf diese Luxusdiskussionen, die wir im Ausschuss führen werden, und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Damit schließe ich die Aussprache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben beantragt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016 auf den Drucksachen 18/10500 und 18/10807 zur weiteren Beratung an den Haushaltsausschuss zurückzuüberweisen. Wer stimmt für den Antrag auf Rücküberweisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Damit wird der Gesetzentwurf an den Haushaltsausschuss zurücküberwiesen. Somit hat sich die von der Fraktion Die Linke beantragte Teilung der Frage erledigt. Auch über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir heute nicht ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Erfahrungen aus 14 Jahren „Krieg gegen den Terror“ –Eine Bilanz in Irak, Afghanistan, Pakistan Drucksachen 18/7991, 18/10364 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Aussprache hat Inge Höger für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von Ihnen als „Krieg gegen den Terror“ bezeichnete Krieg ist gescheitert. Er hat viele Menschen das Leben gekostet und den Terror nicht besiegt, sondern nach Europa geholt. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Seltsame Schlussfolgerung!) Am letzten Sonntag starben in Mosul im Irak 14 Menschen, darunter sieben Kinder und vier Frauen. Verantwortlich für den Tod dieser Zivilistinnen und Zivilisten sind die Bomben der Anti-IS-Koalition. Die Toten stehen beispielhaft für die unzähligen und ungezählten Toten, die den Kriegen der USA und der NATO zum Opfer fielen und fallen. Bomben bringen keinen Frieden. (Beifall bei der LINKEN) Seit 2001 ist die Bundeswehr an dem sogenannten Krieg gegen den Terror in Afghanistan beteiligt. Auch nach 15 Jahren ist kein Ende dieses Krieges in Sicht. Der Krieg gegen den Terror wurde ständig ausgeweitet: auf den Irak, Mali und Syrien. Alle diese Kriege haben viel Zerstörung, Leid, Verzweiflung und Wut verursacht. Da fällt es ideologischen Brandstifterinnen und Brandstiftern nicht schwer, Unterstützer zu rekrutieren. Die USA waren 2003 in den Irak einmarschiert, um Saddam Hussein zu stürzen. Das Entstehen des IS ist eine direkte Folge des Irakkrieges. Beenden Sie alle Auslandseinsätze der Bundeswehr! (Beifall bei der LINKEN) Wir haben die Bundesregierung nach den Ergebnissen von 15 Jahren Krieg gegen den Terror gefragt. Wir wollten wissen, was sie über die zivilen Opfer der brutalen westlichen Interventionen in Afghanistan, im Irak und in Pakistan weiß. Die Antwort zeigt ein erschreckendes Maß an Unkenntnis über die Folgen ihrer Auslandseinsätze. In den Antworten gibt es keinen Angriffskrieg und keinen Regime Change im Irak. Es gibt keine Bombardements in Afghanistan und keinen Drohnenkrieg in Pakistan. Über die wahren geostrategischen Ziele der Kriege, den Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten, wird sowieso nichts gesagt. Die Bundesregierung weiß nichts über indirekte Kriegsfolgen, nichts über zerstörte zivile Infrastruktur und wenig über zivile Opfer. Wer so wenig weiß, der will nichts wissen. (Beifall bei der LINKEN) Die kritische Ärzteorganisation IPPNW hat sich der Aufgabe angenommen, vor der die Regierung sich gedrückt hat. IPPNW hat in einer Studie systematisch und wissenschaftlich fundiert untersucht, wie viele Menschen direkt und indirekt an den Folgen des Krieges gegen den Terror gestorben sind. Vertreter der IPPNW sitzen oben auf der Zuschauertribüne und verfolgen unsere Debatte. (Beifall bei der LINKEN) Sie kamen für die ersten zehn Jahre in vorsichtigen Abschätzungen auf eine Größenordnung von insgesamt etwa 1,3 Millionen Todesopfern. Das kann niemand mehr rückgängig machen; aber die Verantwortung gegenüber den Überlebenden kann Deutschland übernehmen. Dazu gehört ein sofortiger Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan und in den Irak. (Beifall bei der LINKEN) Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland. Das Auswärtige Amt warnt dringend vor Reisen nach Afghanistan. Im November hat ein Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif stattgefunden. Anfang Januar kamen erneut 50 Menschen bei Anschlägen in Kabul ums Leben. Bei Spiegel Online kann man schnell eine Liste der Anschläge und Opferzahlen des letzten Jahres finden. Derweil kostet der Kampf um Mosul viele Todesopfer, und niemand schaut hin oder berichtet darüber. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Man muss den IS gewähren lassen!) Im Zusammenhang mit Mosul wird nur über den Fortschritt der Eroberung berichtet, nicht über das Schicksal der Menschen. Auch wenn weit über 100 000 Menschen flüchteten, sind immer noch bis zu 1,5 Millionen in der Stadt. Die Lage der Eingeschlossenen ist katastrophal, und die Zahl der zivilen Opfer durch die Bomben der Koalition und die Angriffe der irakischen Bodentruppen ist hoch. Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung eine Bilanz über die Konsequenzen der deutschen Beteiligung am verfehlten Antiterrorkrieg zieht. (Beifall bei der LINKEN) Richten Sie eine unabhängige Untersuchungskommission ein, stoppen Sie die Unterstützung des Drohnenkriegs, schließen Sie Ramstein, holen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan, dem Irak, der Türkei und Mali zurück! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Roderich Kiesewetter hat als nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren und interessierte Zuschauer! Zunächst möchte ich ein Riesenkompliment angesichts dieser Aktuellen Stunde aussprechen – ich merke, auf der linken Seite wird es ganz still –: (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es ist keine Aktuelle Stunde!) natürlich nicht der Linkspartei, sondern der Bundesregierung. Ich habe selten eine Große Anfrage erlebt, die mit einer solchen Akribie – es sind auf über 260 Seiten Antworten auf über 100 Fragen – äußerst sorgfältig bearbeitet wurde. Dafür ein Riesenkompliment! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich will das auch ausführen. Was uns heute hier präsentiert wurde, liebe Kollegin Höger, war ein verzerrender Ausschnitt aus diesen 260 Seiten, und das Bedauerliche ist, dass Sie den Eindruck vermitteln, dass wir hier – wie soll ich sagen? – Kriege unterstützen. Dabei geht es um etwas völlig anderes. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Seit wann werden denn bei Aktuellen Stunden Zwischenfragen zugelassen? (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist gar keine Aktuelle Stunde!) – Dann, Frau Höger, können Sie Ihre Frage stellen. Vielleicht ist es auch für Sie interessant, was ich gleich sage. Inge Höger (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kiesewetter. – Sie haben gesagt, die Bundesregierung hätte akribisch die Folgen ihrer Kriege untersucht. Was halten Sie denn von der Antwort auf die Frage nach zivilen Opfern, wenn da Folgendes steht? Die Bundesregierung führt keine eigenen quantitativen Studien und Statistiken zu Opfern in Ländern, in denen die Bundeswehr militärisch beteiligt ist. Die Bundesregierung hat aber auch nicht versucht, wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag zu geben oder dies anderweitig abzufragen. So geht das in der Studie immer weiter: zu Irak und Afghanistan – keine eigenen Erkenntnisse zu indirekten Opfern der Kriegsfolgen. Es werden also keine Opfer gezählt, keine zerstörten Häuser gezählt, keine zerstörte Infrastruktur dokumentiert. Nichts darüber ist in der Antwort zu dieser Großen Anfrage enthalten. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Ich denke, Frau Kollegin Höger, dass Ihr Ansatz irreführend ist. Es sind nicht die Kriege der Bundesregierung, sondern es sind internationale Einsätze, die die Bundesregierung zum Teil nicht zu verantworten hat; wir sind uns, so glaube ich, alle einig, dass der Krieg im Irak 2003 völkerrechtswidrig war. Es geht jetzt darum, dass die Bundesrepublik Deutschland Verantwortung übernimmt und sich in dieser Region sehr stark beim Wiederaufbau engagiert, aber auch bei der humanitären Hilfe. Ganz intensiv – das hat mich sehr beeindruckt; schauen Sie sich die Antworten auf die Fragen im Umfeld der Frage 40 und der Frage 100 an – kümmert sich die Bundesregierung um die Unterstützung traumatisierter Frauen und traumatisierter Kinder, und dies auch in Pakistan. Allein in Pakistan werden für rund 20 Projekte der Bundesregierung 177 Millionen Euro ausgegeben, die wir hier bewilligt haben, um das humanitäre Leid gerade von Frauen und Kindern, den schwächsten Opfern eines Krieges, zu lindern. Zudem sind in Pakistan wahrlich keine deutschen Soldaten im Einsatz. Gleiches gilt für den übergreifenden humanitären Ansatz der Bundesregierung in Afghanistan, wo intensiv in Schulen, in Krankenhäuser, in Infrastruktur investiert wird. Ich will Ihnen nicht auflisten, wie es im Jahr 2000 in Afghanistan aussah und was mit viel militärischer Absicherung und noch mehr Unterstützung in der Entwicklungszusammenarbeit dort erreicht wurde. Ich will Ihnen aber eines verdeutlichen: Gerade im Irak hat das Wirken der Bundesregierung dazu beigetragen, dass die Peschmerga unterstützt werden. Sie haben im Norden des Irak über 1,8 Millionen Flüchtlinge, Männer und insbesondere Frauen und Kinder, aufgenommen. Dieser humanitäre Schutz, der nicht hätte gewährleistet werden können, wenn die Peschmerga dort nicht geholfen hätten und wenn sie nicht militärisch unterstützt worden wären, um den IS zu bekämpfen, ist eine wesentliche Leistung, ein Beitrag, den die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit Partnern übernommen hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen führt Ihr Ansatz in die Irre. – Herzlichen Dank, Frau Höger, für Ihre Frage. Ein weiterer Punkt führt auf die Ebene, wohin wir die Diskussion führen sollten. Die 260 Seiten zeigen sehr deutlich, wie der übergreifende Ansatz einer neuen Sicherheitspolitik Deutschlands funktioniert. Auch wir haben ja gelernt. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist nicht mit dem ganzheitlichen Ansatz, den Minister Jung seinerzeit entwickelt hat, auf die Welt gekommen, sondern die Bundesrepublik Deutschland hat seit dem Jahr 2014 mehr Verantwortung in Partnerschaft in der Region übernommen. Ich will das deutlich machen: Erstes Beispiel. Das Minsker Abkommen war eine europäische Leistung der Bundeskanzlerin und des Außenministers zusammen mit Frankreich, und zwar gegen den Willen des US-Senats und des US-Kongresses, die eine Bewaffnung der Ukraine wollten. Das wollten wir nicht. Wir haben sehr deutlich gemacht, dass es darum geht, auf keinen Fall mit einer Militarisierung zu antworten, sondern mit einer zivilgesellschaftlichen Stärkung der Ukraine und mit Verhandlungen, die letztlich zum Minsker Abkommen geführt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ein zweites Beispiel. Es war die Bundesrepublik Deutschland mit unserem Außenminister, den wir heute verabschiedet haben, die einen großen Beitrag dazu geleistet hat, dass das Iran-Abkommen rechtzeitig genug abgeschlossen wurde, damit es nicht zu präventiven Maßnahmen von Mächten in der Region kommt. Sie hat dafür gesorgt, dass der Iran eingelenkt und sich zumindest für die nächsten zwölf Jahre einem Kontrollregime unterzogen hat. Dass wir es hätten besser machen können oder dass es hätte anders kommen können, wissen auch wir. Aber wir haben das Bestmögliche daraus gemacht. Ein drittes Beispiel für dieses übergreifende Engagement ist, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in Genf intensiv für Verhandlungen mit Syrien eingesetzt hat. Es ist ein Erfolg der deutschen Außenpolitik, dass Saudi-Arabien und der Iran gemeinsam mit Russland und vielen anderen an einem Tisch saßen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD]) Dass das sehr zäh ist und wir uns mehr Verantwortung für Europa wünschen, ist doch klar. Aber unser Vorgehen zeigt, dass sich die Bundesrepublik Deutschland nicht isolieren und sich – sei es auch nur in Ansätzen – nicht zu militärischen Alleingängen oder Sonderwegen verleiten lässt. Es zeichnet sich auch ab, dass durch die Verantwortung, die wir in den letzten Jahren erlernen mussten, drei wichtige Eckpfeiler unserer Außenpolitik im militärischen Bereich fest verankert sind: Erstens. Wir handeln nie alleine. Deutschland unternimmt keine Alleingänge, es sei denn, es geht um den Schutz deutscher Staatsbürger, die wir evakuieren müssen. Zweitens. Wir handeln immer auf rechtlich einwandfreier Grundlage. Darüber können wir debattieren, darüber tauschen wir uns intensiv aus, und da kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Aber das Leitziel, möglichst auf Grundlage eines Mandats des VN-Sicherheitsrates, zumindest aber im Einklang mit Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes vorzugehen – künftig möglicherweise auch im Einklang mit Artikel 87 des Grundgesetzes –, ist für uns bindend. Drittens – das ist eine Lehre aus unserer Geschichte, die uns sehr nachdenklich stimmen sollte –: Wir wollen Militär nur dann einsetzen, wenn es der Gewährleistung von Sicherheit dient und wenn das militärische Handeln in ein übergreifendes sicherheitspolitisches Konzept eingebettet ist. Deswegen haben wir uns nicht unmittelbar am Libyen-Konflikt und seinerzeit, unter einer anderen Konstellation, auch nicht direkt im Irak beteiligt. Es muss künftig darauf ankommen, dass die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union Verantwortung in Partnerschaft übernimmt. Wir dürfen nicht isoliert werden und müssen alles tun, damit Europa gegenüber der neuen Trump-Administration in den USA gemeinsam agiert, und zwar deshalb, damit die USA erkennen: Nur ein gemeinsames transatlantisches Handeln, ein Handeln auf einer Wertegrundlage bzw. einer regelbasierten Grundlage wird den Frieden in der Welt erhalten, nicht aber Deals. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich will klarstellen, dass wir hier keine Aktuelle Stunde durchführen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Ich habe versucht, sie von der Frage abzuhalten!) Wir debattieren eine Große Anfrage, lieber Kollege Kiesewetter. Zudem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu dieser Großen Anfrage vor. Natürlich ist es jedem freigestellt, bei einer solchen Debatte auch eine Zwischenfrage zu stellen. Jetzt hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den Krieg gegen den Terror haben wir verloren. Die Symptome dafür sind offensichtlich: der Aufstieg von ISIS, der globale Dschihadismus, die Radikalisierung im Inland wie im Ausland. Wir haben diesen Krieg auch verloren, weil wir eine grundlegende Verschiebung unserer politischen Werte und der Mittel in Kauf genommen haben: Aufweichung des Völkerrechts und der Rechtsstaatlichkeit, illegale Tötungen, so viel Überwachung wie noch nie. Wir haben diesen Krieg verloren, aber den Kampf gegen den Dschihadismus und den Terrorismus müssen wir natürlich fortsetzen. Das Entscheidende dabei ist, dass wir begreifen, dass wir diesen Kampf in erster Linie mit anderen Mitteln führen müssen, als dies in den letzten 16 Jahren geschehen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD] – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Und das sagt ein Grüner!) Ja, dazu gehören alle Mittel des Rechtsstaates, und ja, dazu kann im Extremfall auch der Einsatz des Militärs gehören, wenn auf andere Art und Weise keine Rahmenbedingungen für politische Lösungen geschaffen werden können. Ich bin sehr dankbar, dass wir heute die Möglichkeit haben, über die Bilanz des Krieges gegen den Terror zu sprechen. Weniger dankbar bin ich für den Antrag, den Sie gestellt haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, weil er uns substanziell nicht weiterbringt. Es ist richtig, zu benennen, dass es einen verheerenden Krieg im Irak gegeben hat, dass es in Afghanistan eine falsche Strategie gegeben hat; aber alle Probleme in Pakistan, im Irak und in Afghanistan auf den Krieg gegen den Terror zu schieben, ist doch, mit Verlaub, ein wenig hanebüchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen viel grundsätzlicher ansetzen. Wir müssen hinterfragen, was das Reden vom Krieg, vom dauernden Ausnahmezustand eigentlich bedeutet und was es mit uns macht. Es ist mittlerweile Standardrhetorik in den USA, in Frankreich, England und leider auch beim Innenminister des Saarlandes, vom „Krieg gegen den Terror“ zu sprechen. (Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]) Aber wer so denkt, treibt einen Keil in unsere Gesellschaft, das sieht man an den Trumps, Le Pens und Gaulands dieser Tage. Meine Damen und Herren, unsere Werte, die wir – zu Recht – im Kampf gegen den Terror verteidigen und verteidigen müssen, und zwar so dringend wie noch nie, verbieten es, Menschen wegen ihrer Ethnie oder ihrer Religion zu diffamieren oder zu benachteiligen. Deshalb muss ganz klar gesagt werden: Ein Krieg gegen den Islam und gegen Muslime ist ein Krieg gegen unsere eigenen Werte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir können den Kampf gegen den Terror nur gewinnen, wenn wir ihn mit unseren Werten führen und nicht gegen sie. Abu Ghuraib oder Guantánamo müssen uns eine Mahnung sein. Diese schlimmen Fälle des Werteverfalls des Westens waren immer wieder ein Einfallstor für extremistische Demagogen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir keinen Graben zwischen Religionen ziehen. Wir brauchen den Schulterschluss zwischen Demokratinnen und Demokraten. Der Graben verläuft zwischen der Demokratie und ihren Freunden auf der einen Seite und ihren Feinden auf der anderen Seite. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD]) Daher stellt sich schon die Frage, was die Bundesregierung eigentlich aus den Fehlern der letzten 16 Jahre gelernt hat. Warum befinden wir uns eigentlich noch in einem Ausnahmezustand? Warum ist der NATO-Bündnisfall, der wegen 9/11 ausgerufen worden ist, immer noch nicht beendet? Warum gehen Sie nicht konsequent gegen destabilisierende, autoritäre Partner vor, die ihre Gesellschaften spalten und radikalisieren? Warum bekommt Saudi-Arabien Waffen für einen Krieg im Jemen, von dem nur die al-Qaida profitiert? Warum solidarisiert sich die Bundesregierung mit einem Diktator namens el-Sisi, der nicht nur Tausende Oppositionelle in den Kerker wirft, sondern der auch den politischen Islam in seinem Land systematisch radikalisiert? Warum beehrt die Bundesregierung einen solchen Mann mit einem Staatsbesuch und mit Lobesworten? Wir müssen den Kampf gegen den Terror entschlossen führen. Wir können diesen Kampf auch gewinnen. Aber das ist – das müssen wir zugeben – nicht immer bequem. Es gibt einen harten Weg zu gehen. Nicht alle Maßnahmen, die man ergreift, sind erfreulich, aber es muss immer rechtsstaatlich sein und auf der Wertegrundlage unserer Demokratie geschehen. Um das hinzubekommen, muss man endlich aus den Fehlern der letzten Jahre lernen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Nils Annen von der SPD-Fraktion. Niels Annen (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen für einen starken, wehrhaften Staat. Ich denke, es gibt einen Zusammenhang mit dem Thema, das wir heute diskutieren. Die letzten zwei Jahre haben uns zum Teil sehr schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir auch auf unserem Kontinent, in unserem eigenen Land vom Terrorismus bedroht sind. Paris, Brüssel, Nizza, Istanbul und natürlich der schreckliche Anschlag in Berlin haben das gezeigt. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus geht es deshalb natürlich auch um unsere eigene Sicherheit. Aber ich glaube, durch die ausführliche Antwort der Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage ist auch deutlich geworden: Die einseitige Ausrichtung auf militärische Instrumente war ein Fehler. Und es war ein gravierender Fehler von George W. Bush, dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten, dass er eine Politik vertreten hat, die unsere eigenen westlichen Werte zum Teil infrage gestellt hat. Die Stichworte „Guantánamo“ und „Abu Ghuraib“ sind genannt worden. Das will ich auch hier noch einmal unterstreichen, zu einer Stunde, in der in Washington vom neuen amerikanischen Präsidenten Trump darüber gesprochen wird, wieder Folter, zum Beispiel Waterboarding, einzusetzen. (Dagmar Freitag [SPD]: Unglaublich!) Wenn das der Weg ist, dann wird dieser Kampf gegen den internationalen Terrorismus, den wir gemeinsam auf einer gemeinsamen Wertegrundlage führen müssen, nicht erfolgreich sein können. Deswegen sind wir über diese Entwicklung mehr als besorgt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Themen, die in der Großen Anfrage angesprochen werden, beziehen sich auf eine Reihe von Ländern. Deswegen will ich hier den Irak noch einmal hervorheben. Man muss daran erinnern, dass es damals, 2003, die richtige Entscheidung von Gerhard Schröder war, sich gegen diesen Krieg auszusprechen, und zwar nicht nur gegen den massiven Widerstand aus Washington, sondern auch hier in Deutschland – daran darf ich erinnern – vonseiten der geschätzten Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion. (Dagmar Freitag [SPD]: Genau!) Wir müssen die Ursachen für die Entstehung von Terrorismus noch stärker in den Mittelpunkt rücken. Ungerechtigkeiten, Ungleichheit, Diskriminierung, Gewalterfahrungen: Das ist ein idealer Nährboden. Umgekehrt heißt das aber: Nur in einer inklusiven Gesellschaft, in der es Partizipationsmöglichkeiten und ökonomische Chancen gibt, sind die Risiken für eine Radikalisierung geringer. Deswegen glaube ich auch, dass es, wenn wir heute über den Irak sprechen, wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass wir natürlich alle versucht haben, aus Fehlern, die gemacht worden sind, zu lernen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir in diesem Parlament Mittel bereitgestellt haben, um beispielsweise die vom IS befreiten Gebiete im Irak und hoffentlich bald auch in Syrien schnell mit der notwendigen Infrastruktur, mit einer guten Gesundheitsversorgung und mit schnellen Hilfen für die Bevölkerung versorgen zu können, damit auch dort diese Fehler nicht noch einmal gemacht werden. Es geht also um die Prävention von Konflikten und einen politischen Dialog. Aber auch die Dialogbereitschaft von Konfliktakteuren muss unterstützt werden. Das alles ist richtig. Trotzdem – das gehört zur Ehrlichkeit der Debatte – wird es auch in Zukunft immer wieder Situationen geben, in denen neben polizeilichen und zivilen Maßnahmen eben auch militärische Gewalt notwendig ist, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Deswegen glaube ich, dass der Weg, sich zu einem inklusiven Ansatz zu bekennen und einen breiten Instrumentenkasten bereitzuhalten, der richtige ist. Ich glaube auch, dass das aus den Antworten, die die Regierung hier gegeben hat, hervorgeht. Ein weiteres Beispiel – wir haben das gerade diskutiert – ist der Einsatz in Mali. Es wird gesagt, dort würde Afghanistan quasi wiederholt. Das Gegenteil ist der Fall. Der politische Prozess und die Unterstützung bei der Einhaltung eines abgeschlossenen Friedensvertrages stehen im Mittelpunkt unserer Bemühungen. Gleichzeitig wissen wir, dass es Gegner, ja, Feinde dieses Friedensvertrages gibt, die mit militärischer Gewalt versuchen, diesen Friedensschluss, diesen Versöhnungsprozess in diesem Land, zu unterminieren. Deswegen machen wir beides: Wir beteiligen uns an dem politischen Dialog und unterstützen ihn dort, wo wir das können, mit den Instrumenten, die wir seit der rot-grünen Bundesregierung geschaffen haben, aber wir sind eben auch dabei, wenn auf der Grundlage eines Mandates der Vereinten Nationen eine Militärmission notwendig ist. Wir tun das in der Überzeugung, die, glaube ich, in den letzten Jahrzehnten in unserem Land gewachsen und von Bundesregierungen aller Couleur getragen worden ist, nämlich dass wir diesen Weg mit Partnern und nicht alleine gehen. Gerade in der tiefen Krise des europäischen Integrationsprojektes und während der Verunsicherung durch die Wahl von Donald Trump und die unklaren Aussagen zur amerikanischen Bündnisverpflichtung können sich unsere Partner darauf verlassen, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen. – Ich glaube, das ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen. Eine Rede zu dieser Großen Anfrage wäre wahrscheinlich nicht vollständig, ohne auch etwas zu Afghanistan zu sagen. Das ist wahrscheinlich das Land, mit dem wir uns hier am meisten auseinandergesetzt haben. Dafür gibt es gute Gründe. Mir bleibt jetzt nicht die Zeit, eine umfassende Bilanz zu ziehen. Aber in der Zusammenfassung fällt natürlich die Bilanz des internationalen Afghanistan-Einsatzes ernüchternd aus. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie können auch „desaströs“ sagen!) Das ist gar keine Frage. Es verbleiben große Probleme. Meine Damen und Herren, wir verschweigen aber auch nicht die Rückschläge, die es gegeben hat. Wir verschweigen nicht die verbleibenden Probleme. Meine Bitte, gerichtet an die Linksfraktion, ist: Verschweigen Sie auch nicht die Fortschritte, die wir erreicht haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich meine die Fortschritte gerade für die Menschen in diesem Land, die in den großen Städten wieder die Möglichkeit haben, ein einigermaßen verlässliches Leben zu führen und ihre Kinder in die Schulen zu schicken; Städte, in denen es wieder Universitäten und ökonomische Bewegungen gibt; Städte, die Perspektiven bieten, die wir unterstützen müssen. Es bliebe noch viel zu sagen. Es sind in der Tat viele auch für unsere Arbeit wichtige Hinweise und Erkenntnisse in der Antwort auf diese Große Anfrage zu finden. Trotzdem will ich Ihnen zum Schluss eines sagen. Ich habe mir zum Beispiel die Frage 90 sehr genau angesehen. Da fragen Sie die Bundesregierung: Welches sind nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell die zehn häufigsten Todesursachen der Bevölkerung in Pakistan ...? Abgesehen davon, dass Sie die Bundesregierung ein bisschen mit Wikipedia verwechseln, ist es für uns natürlich eine unerlässliche Erkenntnis, jetzt zu wissen, dass die häufigsten Todesursachen in Pakistan Herzinfarkte, Schlaganfälle, Lungenentzündungen, Durchfallerkrankungen und Raucherlungen sind. Wahrscheinlich sind Sie doch ein bisschen enttäuscht darüber, dass die häufigste Todesursache in Pakistan nichts mit amerikanischen Drohnenangriffen zu tun hat. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ja widerlich!) So viel zur Seriosität Ihrer Fragen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Bevor der Kollege Beyer das Wort erhält, hat Wolfgang Gehrcke das Wort zu einer Kurzintervention. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Lieber Niels Annen, ich habe hier im Bundestag 14 Jahre darauf gewartet, dass endlich ein Mitglied aus einer der Regierungsfraktionen sagt: Unsere Regierung hat schwere Fehler gemacht. – Ich habe darauf bei Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot und Rot-Grün gewartet. Wenn man nicht die Courage hat, auszusprechen, dass schwere Fehler gemacht wurden, die zusammen 1,3 Millionen Menschen in diesen vier Ländern das Leben gekostet haben, wenn man nicht die Courage hat, zu sagen: „Wir haben Schuld auf uns geladen“, wird es schwerfallen, Schuld abzutragen. Ich erwarte von dieser Regierung, dass sie sagt: Wir haben Schuld auf uns geladen. Wir haben eine falsche Politik gemacht. Wir haben die Chancen, die in den Entwicklungsprozessen lagen, nicht genutzt. – Ich wäre der Letzte, der nicht die Fortschritte in Afghanistan, im Einzelnen und im Großen, benennt und lobt, wenn es auf das Lob ankommt. Ich finde, das wäre ein Weg, auf dem man sich treffen könnte: Wir reden über das, was es an Fortschritten gibt. (Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Weit weg von der Wahrheit!) Ich habe schon früher in Debatten mit dem Kollegen Kiesewetter immer gesagt: Natürlich muss eine Industrialisierung des Landes erfolgen. Schroffer gesagt: Die Einführung des Kapitalismus bringt ein Stück weit Befreiung mit sich, weil er in solchen Ländern andere Produktionsbedingungen schafft. Das ist klar. Das können Sie auch bei Marx lesen. Aber Sie lesen Marx ja nicht einmal. (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Doch!) Über all das können wir reden. Dazu gehört aber auch, dass Sie sagen, dass die Konzeption von der Verteidigung unserer Sicherheit in Afghanistan eine grundfalsche war und dass man eine grundfalsche Politik betrieben hat. Das wollen wir hören. Wir wollen einen politischen Wechsel. Sie wissen doch ganz genau, dass die Probleme in Afghanistan ohne eine Kooperation mit China überhaupt nicht zu lösen sind. Diese Politik wäre notwendig. Man muss mit der Schanghai-Organisation zusammenarbeiten. Es wäre doch einmal etwas Neues, wenn unser Land in der UNO mit anderen Vorstößen käme und eine Veränderung der Politik mitbetreiben würde. (Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Kurzintervention ist keine eigene Rede!) Uns geht es nicht darum, Sie dazu zu bringen, zu sagen: Wir haben nur Fehler gemacht. – Das können Sie machen, das können Sie aber auch lassen. Aber ich möchte eine ehrliche Auflistung. Nebenbei will ich Herrn Kiesewetter noch sagen: Wenn man der Regierung das abfordert, was ihre Pflicht ist – es ist die Pflicht der Regierung, Fragen der Abgeordneten zu beantworten –: Wieso soll ich mich für etwas bedanken, was zur Aufgabe der Bundesregierung gehört? So devot können Abgeordnete doch nicht sein, dass sie sich ausdrücklich bedanken, wenn die Regierung einmal ihrer Pflicht nachkommt. Ich will eine Debatte führen und die Politik verändern. Ich möchte, dass der Krieg gegen den Terror aufhört; denn das alles schlägt auf unser Land zurück. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Annen, Sie haben das Wort zur Erwiderung. Niels Annen (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Geschätzter Kollege Gehrcke, ich muss als ehemaliger Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten Ihre Unterstellung, ich hätte Marx nicht gelesen, zurückweisen. (Heiterkeit bei der SPD) Ich will Ihnen gerne noch ein paar andere Dinge zu Ihrer Kurzintervention sagen. Ich weiß nicht, ob die vermeintlich moralisch einwandfreie Position, die Sie dort einnehmen, und Ihre Erwartung, dass wir uns entschuldigen, der Situation gerecht werden. Ich weise jetzt Sie und Ihre Fraktion auch nicht darauf hin, dass ich, seit ich Abgeordneter dieses Parlaments bin und die politischen Debatten dieses Parlaments verfolge, von Ihnen noch nie die Frage – auch nicht an die Bundesregierung – gehört habe, wie viele Opfer denn der internationale Terrorismus – die Taliban, al-Qaida und verbündete Gruppierungen – zu verantworten haben. Sie blenden diesen Aspekt vollkommen aus. (Inge Höger [DIE LINKE]: Steht auch hier drin! Hat die Regierung auch nicht beantwortet!) Ich kann für meine Fraktion und – soweit ich das in den Jahren, in denen ich in diesem Haus mitarbeiten und meinen Wahlkreis vertreten darf, verfolgen konnte – für die anderen Fraktionen sagen: Es gab über kein anderes Land und keinen anderen Einsatz so viele selbstkritische Debatten im Deutschen Bundestag wie über Afghanistan. Ich glaube nicht, dass sich ein Parlament aus den anderen Ländern, die sich an der ehemaligen ISAF-Mission beteiligt haben und heute Mitglied der Resolute-Support-Koalition sind, so selbstkritisch damit auseinandergesetzt hat. Kollege Gehrcke, Ihnen wird aufgefallen sein, dass sich der politische Ansatz über die Jahre verändert hat. Wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie, dass ich bezogen auf den Einsatz in Mali aufgezeigt habe, welche Lehren wir aus Afghanistan gezogen haben. Ich glaube, die Debatten, die Sie führen wollen, führen uns nicht weiter. Im Interesse der – hoffentlich von uns gemeinsam – beklagten Opfer von Anschlägen terroristischer Organisationen sollten wir kontrovers über die richtigen Instrumente und die richtige Mischung sprechen. Wir sollten uns aber nicht von einem hohen moralischen Podest aus gegenseitig Ratschläge geben. Das ist der Situation nicht angemessen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Da der Kollege Kiesewetter direkt angesprochen wurde, hat er die Möglichkeit, zu reagieren. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Gehrcke, Sie haben mich zweimal angesprochen. Ich möchte nur sehr kurz deutlich machen: Erstens. Es ist außergewöhnlich, dass die Fragen aus dem Parlament so umfassend beantwortet werden. Das verdient Anerkennung; (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist selbstverständlich!) denn bei der Beantwortung Ihrer Fragen sind Dutzende Beamte, Offiziere und Fachleute eingebunden, die ihre Arbeitszeit auch darauf verwenden müssen, die Vorgaben in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland umzusetzen. Was wir hier erfahren, ist außergewöhnlich gut. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Danken Sie doch uns, dass wir die Fragen gestellt haben!) Zweitens. Das gesamte Thema der Evaluierung wird von der EU und den Vereinten Nationen umfassend behandelt. Wenn Sie die entsprechenden Datenbanken nutzen, können Sie sich Ihre Fragen zum Teil selber beantworten. Drittens. Sie tragen Eulen nach Athen, wenn Sie eine Evaluierung fordern; denn diese gibt es längst. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, gibt es nicht!) Bei meinem letzten Punkt geht es um etwas anderes. Die jetzigen Kurzinterventionen zeigen nicht nur, dass wir lebhaft debattieren, sondern auch, dass es absolut notwendig ist, neben den normalen Debatten über einzelne Mandate hin und wieder einmal über die Ebene darüber, nämlich über die Strategie der Bundesrepublik Deutschland, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gerne!) die Einbindung in internationale Organisationen sowie den Sinn und Zweck verschiedener Einsätze, zu debattieren. Vielleicht haben wir in nächster Zeit die Chance, das wieder aufzugreifen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Können wir zusammen beantragen!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Jetzt, Herr Beyer, haben Sie das Wort als letzter Redner in dieser Aussprache. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Beyer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben die lebhafte Debatte verfolgt. Heute Morgen haben wir uns im Zusammenhang mit den namentlichen Abstimmungen mit einer ähnlichen Thematik auseinandergesetzt. Deswegen sind schon viele Argumente ausgetauscht worden. Ich habe mich einmal näher mit dem Entschließungsantrag der Linken befasst. Man kann ihn so zusammenfassen: Wegducken und Wegschauen. Es scheint das Motto der Linken zu sein, keine Verantwortung – dieses Stichwort fiel heute schon sehr häufig in der Debatte – zu übernehmen und zudem Verbündete, Freunde und Nachbarn einfach im Stich zu lassen. So ist politische Verantwortung nicht umzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich habe den Eindruck gewonnen, dass bei der Linken der Glaube vorherrscht, dass das, was man ignoriert, einem auch nicht gefährlich werden kann. Mit der Realität hat das freilich gar nichts zu tun. Der Angriff des Terrorismus richtet sich auf das westliche Wertefundament, er zielt ab auf die Freiheit, auf die Demokratie und überhaupt gegen die ganze Lebensart, wie wir sie hochhalten und wie wir leben wollen. Dagegen richtet sich der Hass der Terroristen. Die Forderung im Entschließungsantrag mutet geradezu naiv an. Ich zitiere: „… die demokratischen und friedlichen zivilen Kräfte in Afghanistan zu stärken, insbesondere Frauenorganisationen …“. Haben Sie sich ernsthaft einmal mit dem Frauenbild der Taliban auseinandergesetzt? (Inge Höger [DIE LINKE]: Mit den Frauenorganisationen!) Glauben Sie ernsthaft, wenn wir nur wegsehen, wird es dort den Frauen irgendwie besser gehen, werden ihnen mehr Rechte eingeräumt werden oder werden irgendwelchen Nichtregierungsorganisationen mehr Möglichkeiten gegeben, das Leben der Bevölkerung zu verbessern? Die Terroristen und die Schergen der Taliban und des IS brauchen das Leid und die Armut der Menschen. Dieses bildet ihr Fundament, um ihren Hass zu schüren. (Inge Höger [DIE LINKE]: Krieg hat den Hass geschürt!) Terroristen wollen keine Bildung, sie wollen keinen Wohlstand und keine Demokratie. Lassen wir ihnen Freiräume und freie Hand, dann ergeht es den Frauen und den Kindern, der Bevölkerung insgesamt in diesen Ländern, in denen wir uns engagieren, deutlich schlechter. Unser Engagement – ich schließe ausdrücklich auch militärisches Engagement ein – muss aufrechterhalten bleiben. Wir dürfen den Terroristen keine Freiräume lassen; denn wo diese entstehen, erhöht sich die Gefahr von perfekt orchestrierten Anschlägen auch hier bei uns im Lande. Bei alledem wissen wir natürlich auch, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben kann. Aber es liegt in unserer Verantwortung – ich benutze dieses Wort erneut sehr bewusst – als Politiker, es den Terroristen möglichst schwer zu machen, ihr perfides Handwerk zu vollziehen. Das erfordert Maßnahmen im Innern und auch bei unserem außenpolitischen Engagement. Richtig ist auch, soweit und sobald es irgendwie möglich ist, die Verantwortung für die eigene Sicherheit in die Hände der Länder selbst zu legen, in denen wir uns engagieren. Wir und unsere Verbündeten sind keine Besatzungsmächte in diesen Ländern. Dort, wo es nötig ist, unterstützen wir allerdings. (Inge Höger [DIE LINKE]: Sie führen sich aber so auf!) Die Feststellungen der Linken lesen sich – ich sage das ohne großen Humor – wie ein Liebesbrief an Diktatoren. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Unter Saddam Hussein sah offenbar alles besser aus, in Syrien unter Assad war offenbar für Sie früher alles besser und sicherer, als es heute ist. (Inge Höger [DIE LINKE]: Zumindest durften Frauen dort zur Schule gehen, und die Gesundheitsversorgung war auch besser!) Fragen Sie doch einmal die Kurden im Norden des Irak! Jahrzehnte litten sie unter Repressionen, wurden ihre Dörfer mit Giftgas bombardiert, und Tausende Menschen mussten sterben. Auch ich habe den Nordirak besucht. Klar, auch ich muss feststellen, dass wir zumindest von unseren Idealvorstellungen weit entfernt sind; aber wer will denn ernsthaft behaupten, dass es dort unter Saddam Hussein besser gewesen wäre? Es ist eine sehr zynische Ansicht, die Sie dort vertreten. Jetzt kommt auch noch die Forderung, unsere erfolgreichen Hilfen für die Kurden einzustellen. Das ist falsch. Ausbildung und Waffen, die wir geliefert haben, um sich im Irak und in Syrien gegen den menschenverachtenden Terrorismus des IS zur Wehr zu setzen, werden – ich sage bewusst: leider – wohl auch noch in Zukunft erforderlich bleiben. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sie unterstützen Separatisten!) Jetzt höre ich schon den Einwand, lauthals rufend – das war schon im Ausschuss so gewesen –: Die Kurden brauchen doch unsere Unterstützung gar nicht oder gar nicht mehr. – Dazu sage ich ganz klar: Wer jetzt die falschen Schlüsse zieht, nicht weiter zu unterstützen, der handelt kurzsichtig und damit gefährlich für die Stabilität der Region und die Sicherheit der Menschen, die dort leben. (Beifall bei der CDU/CSU) Richten wir schließlich den Blick nach Syrien. Ohne den Bundesgenossen der Linken im Kreml und dessen Schutz für einen Diktator und Massenmörder mit Namen Assad könnten wir uns schon viel mehr einer Lösung angenähert haben. (Inge Höger [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch selbst nicht!) Wir verlieren dort täglich die Unterstützung gemäßigter Kräfte, die angesichts ihrer aussichtslosen Lage in die Radikalität des IS abdriften. Auch Ägypten könnte ich noch beleuchten, weil dazu etwas in der Debatte von den Rednern vor mir gesagt wurde. Angesichts der fehlenden Redezeit muss ich das jetzt ausklammern. Mir ist wichtig, zum Schluss noch zu sagen, dass es mit der Union keine Flucht aus der Verantwortung geben wird, auch kein Wegducken und kein Wegschauen. Wir werden unserer Verantwortung gerecht werden und auch auf internationaler Ebene mit den Partnern für eine Politik stehen, die den Terrorismus nicht so lange ignoriert, bis er auf die Füße fällt, sondern ihn aufhält, bekämpft und schließlich auch bezwingt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/10977. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz  – 2. FiMaNoG) Drucksache 18/10936 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich kann die Aussprache eröffnen, wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben. Als erster Redner in der Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Meister das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz setzt vier europäische Rechtsakte in nationales Recht um. Wir haben im Nachgang zur Finanzkrise versucht, Transparenz und Integrität in die Finanzmärkte zu bekommen und den Anlegerschutz zu stärken. Dazu haben wir in dieser Wahlperiode bereits das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz im vergangenen Jahr verabschiedet. Dort hatten wir uns dem Thema „Bekämpfung des Marktmissbrauchs bei der Aufsicht über Zentralverwahrer“ und den EU-einheitlichen Produktinformationsblättern zugewendet und in nationales Recht umgesetzt. Hier geht es um vier europäische Rechtsakte. Das ist zum einen die MiFID II, zum anderen die MiFIR; dann haben wir das Thema Wertpapierfinanzierungsgeschäfte und dazu eine Verordnung, und wir haben die Benchmark-Verordnung. Diese vier europäischen Rechtsakte werden wir jetzt mit diesem Gesetz in nationales Recht umsetzen. Zunächst einmal zu den Themen „Markets in Financial Instruments Directive“ und „Markets in Financial Instruments Regulation“. Das sind MiFID und MiFIR. An dieser Stelle soll die Regulierung von Wertpapierdienstleistungen und des Börsenhandels vorgenommen werden. Es heißt deshalb MiFID II, weil wir seit 2004 MiFID I hatten, und seit 2004 ist sehr viel geschehen. Deshalb ist es, glaube ich, richtig, die Grundlage für die Beaufsichtigung des Wertpapierhandels und des Anlegerschutzes im Wertpapierbereich entsprechend anzupassen. Im Nachgang der Finanzkrise wurden umfangreiche Modernisierungen und Überarbeitungen bei den EU-Vorgaben erforderlich, um auf neu entstandene Gefahren bzw. deren Wahrnehmung mit mehr Sicherheit und Integrität der Finanzmärkte zu reagieren und neue Handelsformen und Handelsplätze angemessen in die Regulierung einzubeziehen. Diese Regelungen haben wir zum Teil bereits heute schon in nationalem Recht, weil wir uns entschlossen hatten, als nationaler Gesetzgeber voranzugehen und nicht auf europäische Regulierungen zu warten. Ich spreche an dieser Stelle insbesondere einmal die Regelungen zum Thema Hochfrequenzhandel an, bei dem wir versucht haben, Gefahren auf nationaler Ebene zu bannen, als die Diskussion in Europa darüber noch gelaufen ist. Dasselbe gilt für das Thema Honoraranlageberatungsgesetz. Auch hier sind wir als nationaler Gesetzgeber vorangegangen und haben damit, glaube ich, auch die europäische Debatte ein Stück weit geprägt. Wir wollen jetzt den Anlegerschutz durch Verhaltens- und Organisationspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, insbesondere durch Transparenz- und Informationspflichten gegenüber den Kunden, stärken. Des Weiteren sollen höhere Anforderungen an Handelsplattformen, die Schaffung einer neuen Erlaubnispflicht für bisher nicht überwachte organisierte Handelssysteme sowie grundsätzlich die Pflicht, den Handel von Aktien auf regulierten Plätzen zu betreiben, auf den Weg gebracht werden. Ich hoffe, dass wir damit Aufsichtslücken bei der Regulierung von Handelsplätzen schließen können. An den Handelsplätzen selbst schaffen wir mehr Transparenz durch die Ausdehnung von Pflichten zur Veröffentlichung betroffener Finanzinstrumente und durch die Regulierung von Datenbereitstellungsdiensten. Wir werden Positionslimits und Positionskontrollen an Warenderivatemärkten einführen, um exzessiven Handelsaktivitäten entgegenwirken zu können. Wir werden außerdem Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse der Aufsicht erweitern sowie Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen vereinheitlichen und verschärfen. Der dritte Rechtsakt bezieht sich auf die Transparenz von Wertpapierfinanzierungsgeschäften und die Weiterverwendung von Sicherheiten. Dort werden wir die Vorgaben des Finanzstabilitätsrats zur Reduzierung von Risiken aus sogenannten Wertpapierfinanzierungsgeschäften umsetzen. Meine Damen und Herren, der vierte Bereich ist die Benchmark-Verordnung. Da geht es um die Frage: Wie gehen wir mit Erstellern von Benchmarks um? Wir haben gesehen, dass auch dort in der Vergangenheit die eine oder andere Manipulation stattgefunden hat. Deshalb versuchen wir, durch eine einheitliche Regelung dafür zu sorgen, dass die Zulieferung von Daten bei den Erstellern und den Transporteuren besser beaufsichtigt und bei Manipulationen auch sanktioniert werden kann. Wir hoffen, dass wir durch diesen Gesetzentwurf einen weiteren wesentlichen Schritt zur Modernisierung des deutschen Kapitalmarkts im Zusammenspiel mit den jeweiligen europäischen Rechtsakten vollziehen und den Anlegerschutz in diesem Sinne stärken können. Ich würde mich über eine wohlwollende Beratung hier im Hause sehr freuen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Susanna Karawanskij für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Vor knapp zehn Jahren schwappte die Finanzkrise nach Europa über. Nachdem die Finanzmärkte über Jahre hinweg dereguliert worden waren, musste damals, glaube ich, auch der Letzte verstehen, dass das ein fataler Fehler war. Der Entwurf des Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes, den wir heute debattieren, ist eine der Spätfolgen der damals begonnenen Reparaturmaßnahmen. Er betrifft mehrere Aspekte des Finanzmarktes: von Handelsplattformen über den berüchtigten Hochfrequenzhandel bis hin zum Anlegerschutz. Man könnte meinen, dass angesichts dessen, dass schon ein Jahrzehnt seit besagter Finanzkrise vergangen ist, dieses Gesetz eigentlich nur noch ein i-Tüpfelchen auf dem Pfad der Gesetze ist, um demokratisch kontrollierte und transparente Finanzmärkte zu schaffen. Doch davon kann leider keine Rede sein. Die Lage auf den Finanzmärkten ist immer noch angespannt, und wir sind leider immer noch weit davon entfernt, von einer flächendeckenden mittelfristigen Stabilität sprechen zu können. Ich möchte mich jetzt auf drei Aspekte konzentrieren, die mit diesem Gesetz zu tun haben. Ich will ein paar Defizite hervorheben, die teilweise schon in den zugrundeliegenden EU-Gesetzgebungen verankert sind, aber die auch den fehlenden Willen der Bundesregierung, über die Vorgaben von Brüssel hinauszugehen, aufzeigen. Ich fange beim Hochfrequenzhandel an. Das ist der Handel, bei dem Computer im Bruchteil des Bruchteils einer Sekunde Wertpapiere kaufen und wieder verkaufen können. Das ist kein Einzelfall; dann könnte man ja sagen: Das macht man ein- oder zweimal. – Nein, das ist nicht so. Vielmehr nimmt der Hochfrequenzhandel in einigen Marktsegmenten bis zu 40 Prozent des Handelsvolumens ein. Dieser Handel steht immer wieder in der Kritik, weil er zu Kurskapriolen bis hin zu spektakulären Börsencrashs führen kann und bestimmte Formen dafür genutzt werden, um Börsengeschäfte zu manipulieren. Da wir keinen gesellschaftlichen Nutzen darin sehen, Finanzgeschäfte im Bruchteil einer Sekunde abzuschließen und dabei gleichzeitig sehr hohe Risiken in Kauf zu nehmen, plädieren wir schlicht und ergreifend dafür, diesen Handel vollständig zu unterbinden. (Beifall bei der LINKEN) Wir halten die in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Verschärfungen für ungenügend. Ein zweiter Schwerpunkt, auf den ich eingehen möchte, ist der Anlegerschutz. Anleger tappen häufig in die Falle, teure und auch überflüssige Produkte zu kaufen. Diese Produkte, die zum Teil gar nicht ihrer Risikobereitschaft entsprechen, bekommen sie aufgeschwatzt, oder sie werden schlicht und ergreifend schlecht beraten. Sie erleiden dann Verluste mit vermeintlich sicheren Anlagen. Wir Linke haben dazu letzten Freitag das umfassende Konzept eines Finanz-TÜVs hier in den Bundestag eingebracht, der vor allen Dingen auf präventiven Verbraucherschutz abzielt. Das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher ist schlecht. Auch wenn man das Bild des mündigen Verbrauchers, das gerne hier in den Debatten bemüht wird, heranzieht, muss man doch feststellen, dass die Stiftung Warentest zu dem Schluss kommt, dass 95 Prozent der Vertragsangebote nicht im besten Kundeninteresse sind. Ein zweiter Test zeigt, wie schlecht Anlegerinnen und Anleger beraten werden. Genau deswegen, genau aus diesen Gründen muss mehr passieren als eine schlichte Eins-zu-eins-Umsetzung europäischer Richtlinien, die nun dieses Gesetz notwendig machen. Wir wollen die provisionsgestützte Beratung überwinden, indem das System unabhängiger Finanzberater und vor allen Dingen die Honorarberatung ausgebaut und fest verankert werden. Mit der provisionsgestützten Beratung – das wissen Sie – nehmen Sie immer wieder Interessenkonflikte und damit zusammenhängende Fehlberatung in Kauf. Noch etwas zum Abschluss: Der Gesetzentwurf umfasst auch Positionslimits, die ein wichtiges Tool zur Begrenzung der Spekulation mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen sind. Ich habe die Befürchtung, dass die geplanten Beschränkungen deutlich hinter dem eigentlich notwendigen Maß zurückbleiben. Das hängt zum Teil auch von der europäischen Ebene ab; das weiß ich. Da ist vieles in der Mache. Aber es hängt auch davon ab, wie wir das national verankern. In diesem Fall ist die BaFin für uns zuständig. Ich denke, wir als Parlament tragen eine Mitverantwortung, dass Nahrungsmittel nicht für die exzessive Spekulation an Warenterminbörsen genutzt werden. Vielmehr gehören Nahrungsmittel dorthin, wofür sie produziert worden sind: auf den Teller der Menschen. (Beifall bei der LINKEN) Im Großen und im Kleinen: Der Gesetzentwurf ist nicht ausgereift, ganz besonders, was den Schutz von Kleinanlegern betrifft. Auch bei diesem Gesetz wünsche ich mir, dass es anders aus dem Bundestag herauskommt, als es hineingekommen ist. Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen und hoffe, dass es besser wird. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Christian Petry von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man hört ja sehr oft, dass Regelungen, die auf europäischer Ebene erlassen werden, zu kompliziert sind, zu aufwendig sind, nicht transparent genug sind, dass das ganze Verfahren zu träge ist und dass die 27 Regierungschefs sich nicht einig werden können, sich selbst blockieren. Was die Finanzpolitik angeht, hört man oft, dass die Regelungen nicht bei den Menschen unten ankommen, sondern anderen zugutekommen. Dieses Mammutgesetz mit fast 300 Seiten, das wir heute mit allem, was noch dazugehört, in erster Lesung hier in das parlamentarische Verfahren einbringen, hat das Potenzial, diese Kritik zu widerlegen. Denn der vorliegende Entwurf des Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes überträgt vier sehr weitreichende europäische Rechtsakte in deutsches Recht; das ist von Herrn Dr. Meister schon genannt worden. Dabei wird die Transparenz von Wertpapiergeschäften erhöht, indem wir einem Sektor, der noch nicht entsprechend reguliert war – dem der Schattenbanken und anderen –, ein umfassenderes Regularium geben. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU]) Daneben wird die Benchmark-Verordnung in nationales Recht umgesetzt. Indizes, die bei den Finanzinstrumenten als Referenzwert genutzt werden, müssen künftig überall in Europa den gleichen Regelungen unterliegen. Diese neugeschaffenen Anforderungen – die Betrugsskandale, beispielweise um den Libor und den Euribor, sind ja bekannt – sollen verhindern, dass weiter betrügerisches Handeln in diesem Bereich vorkommen kann. Dadurch schnellten letztlich auch die Kreditzinsen von Verbrauchern in die Höhe. Zukünftig werden Absprachen und die direkte Manipulation dieser Zinssätze in allen Staaten der Europäischen Union einheitlich scharf geahndet. Zudem überarbeiten wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die europäische Finanzmarktrichtlinie, MiFID genannt. Sie ist ein Kernstück im europäischen Finanzsektor. Mit der Umsetzung der MiFID-II-Richtlinie werden deshalb künftig Aktien, Derivate und Fonds sowie die Vermittlung dieser Finanzprodukte einheitlichen, strengen Regeln unterworfen, und die Transparenz für den Kunden wird erhöht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Im Einzelnen bedeutet dies: Der individuelle Zielmarkt eines Finanzproduktes muss eindeutig benannt werden; denn nicht jedes Finanzprodukt ist per se für jeden Kunden geeignet. Die Geeignetheit – das ist ein zentraler Punkt – des Finanzproduktes muss vor Geschäftsabschluss mit dem Kunden festgehalten werden. Über die Ausgestaltung dieser Geeignetheit werden wir im anstehenden parlamentarischen Verfahren diskutieren. Das ist ein schwieriges Feld. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Soll standardisiert sein!) – Und es soll standardisiert sein. Die Frage, wie man es standardisiert, ist hoch umstritten. Hier werden wir uns aber mit Sicherheit im Verfahren einigen können. Zudem werden wir mit dem Gesetz strenger zwischen provisions- und honorarbasierter Anlageberatung unterscheiden. Auf diesen Punkt wird meine Kollegin Sarah Ryglewski im Anschluss eingehen. Das schädliche Spekulieren auf Rohstoff- und Nahrungsmittelmärkten werden wir mit dem Gesetz ebenfalls eindämmen und den Hochfrequenzhandel längst überfälligen Risikokontrollen überall in Europa unterwerfen. Frau Karawanskij, ich kann dem sehr viel abgewinnen. Hochfrequenzhandel in der jetzt möglichen Form hat überhaupt keinen sittlichen Nährwert, hat auch nichts mit volkswirtschaftlichem Mehrwert zu tun. Es ist eine Methode, um Geld zu verdienen. Das ist per se nicht verwerflich, aber es hat Auswirkungen, die eine ernsthafte Hinterfragung dieses Marktes notwendig machen. (Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) All diese Regulierungen sind nur ein Bruchteil des Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes. Sie zeigen eindeutig: Die Europäische Union funktioniert. Mit dem Gesetz werden wir die Situation der Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern. Damit widerlegen wir die zuvor genannten Kritikpunkte; denn Europa funktioniert und liefert Gesetze, die die Finanzmärkte im Sinne der Verbraucher sicherer und transparenter machen. In diesem Sinne freue ich mich auf die umfangreichen Beratungen, die jetzt anstehen. Eines noch am Schluss, Herr Dr. Meister – wir haben das schon mehrfach gesagt –: Gesetze müssen nicht unbedingt für jeden lesbar sein, aber wenigstens ihre Begründungen sollten so formuliert werden, dass man sie halbwegs verstehen kann. Das als kleiner Hinweis. Wir werden es in den Beratungen vielleicht noch schaffen, dass hier noch etwas mehr Transparenz in der Sprache herrscht. Wir sind auf einem guten Weg; denn das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz, das zu Recht als Grundgesetz des Wertpapierhandels bezeichnet wird, wird eine spannende Sache. In diesem Sinne: Glück auf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Der nächste Redner, Dr. Gerhard Schick, ist noch im Untersuchungsausschuss und gibt daher im Einvernehmen mit allen Fraktionen seine Rede zu Protokoll.4 Deshalb rufe ich jetzt Matthias Hauer von der CDU/CSU auf. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthias Hauer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Juli des letzten Jahres ist das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz in Kraft getreten. Heute beraten wir in erster Lesung das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz. Wir verankern damit weitere europäische Rechtsakte im deutschen Recht. Herr Staatssekretär Dr. Meister hat das vorhin im Detail sehr gut dargestellt. Worum geht es? Es geht um die Stabilisierung der Märkte, es geht darum, die Anfälligkeit für neue Finanzkrisen zu reduzieren, und es geht darum, den Anlegerschutz zu erhöhen. Die Bundesregierung, aber auch der Deutsche Bundestag, hat in den vergangenen Jahren viel dazu beigetragen, diesen Weg zu gehen. Den Weg setzen wir nun fort. Der Gesetzentwurf zielt vor allem darauf ab, den Anlegerschutz weiter zu erhöhen und auch die Integrität und Transparenz der Finanzmärkte zu verbessern. Zentrales Element ist die Verankerung der Finanzmarktrichtlinie MiFID II und der dazugehörigen Finanzmarktverordnung MiFIR im nationalen Recht. MiFID II und MiFIR enthalten umfassende Vorschriften. Gerade haben wir schon einige gehört. Insgesamt bilden sie in vielen Bereichen das regulatorische Rahmenwerk für die gesamte EU. Dabei stehen im Vordergrund: Anlegerschutz, regulierte Märkte, Informationspflichten und eine Stärkung der Aufsichtsbefugnisse. Zur Umsetzung der europäischen Vorgaben sind auf nationaler Ebene zahlreiche Anpassungen nötig: im Wertpapierhandelsgesetz, im Kreditwesengesetz, im Börsengesetz, im Kapitalanlagegesetzbuch und im Versicherungsaufsichtsgesetz. Positiv erwähnen möchte ich vor allem, dass es sich bei dem Gesetzentwurf weitgehend um eine Eins-zu-eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben handelt. Das stellt sicher, dass in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten ein einheitlicher Rechtsrahmen gilt. Eine der wichtigsten Änderungen, die das Gesetzespaket für Anleger und Anlageberater gleichermaßen mit sich bringt, ist die Abschaffung des Beratungsprotokolls. Das bisherige Beratungsprotokoll sorgte seit seiner Einführung 2010 vor allem für großen bürokratischen Aufwand bei allen Beteiligten. Streit und auch Rechtsunsicherheit zwischen Anlegern auf der einen Seite und Anlageberatern auf der anderen Seite reduzierte es nicht. Es ist daher gut, dass das bisherige Beratungsprotokoll nun ausgedient hat. Ersetzt wird das Beratungsprotokoll durch die sogenannte Geeignetheitserklärung. Darin hat der Anlageberater künftig schriftlich zu erklären, aus welchen Gründen er dem Kunden ein Finanzprodukt empfohlen hat. Bisher musste bürokratisch protokolliert werden – künftig muss der Berater also nachweisen, warum das empfohlene Produkt für den Verbraucher geeignet ist. Die anstehenden parlamentarischen Beratungen werden wir nutzen, um die Details zur Geeignetheitserklärung genau unter die Lupe zu nehmen. Wir werden uns auch ansehen, welchen Gestaltungsspielraum uns die europäischen Vorgaben lassen, und werden natürlich auch die Erfahrungen, die wir mit dem Beratungsprotokoll gemacht haben, einfließen lassen. Ein weiterer Punkt, den wir auch in den Beratungen aufgreifen sollten, ist das Thema „Produktinformationsblätter für Aktien und einfache Anleihen“. Die derzeit bestehende Regelung ist für alle Beteiligten unbefriedigend. Auf der einen Seite führt sie zu hohen Kosten und zu viel Bürokratie bei den Banken. Das hat zur Folge, dass Beratung in diesem Bereich kaum noch stattfindet. Auf der anderen Seite ist auch der Informationsgehalt der Produktinformationsblätter für Verbraucher derzeit sehr überschaubar. Wir brauchen Produktinformationsblätter, die für Verbraucherinnen und Verbraucher besser verständlich sind – vor allem auch sprachlich. Die bessere Verständlichkeit und einen höheren Informationsgehalt wollen wir zum Beispiel durch stärkere Standardisierung erreichen, aber auch dadurch, dass wir bei der Formulierung der Texte zum Beispiel die Gesellschaft für deutsche Sprache miteinbeziehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Mehr Beratung zu Aktien und verständlichere Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher – das stärkt auch unsere Aktienkultur, und da haben wir in Deutschland noch einiges an Nachholbedarf. Wir in der Koalition haben uns in den vergangenen Monaten bei zwei Workshops genau zu diesem Thema – Produktinformationsblätter für Aktien und einfache Anleihen – mit Fachleuten zusammengesetzt. Wir sind da in der Koalition in guten Gesprächen. Ziel ist es, eine Lösung zu finden, die sowohl die Kreditwirtschaft von unnötiger Bürokratie entlastet als auch einen echten Mehrwert für Anlegerinnen und Anleger bietet und somit die Aktienkultur stärkt. Wir werden diese und weitere Punkte, die an uns herangetragen werden, in den weiteren Beratungen kritisch hinterfragen und in der Anhörung im Finanzausschuss erörtern. Gerade in Zeiten, in denen anderswo nationale Alleingänge offensichtlich wieder in Mode kommen, ist es mir zum Ende der Rede ein besonderes Anliegen, zu betonen: Wir brauchen mehr Zusammenarbeit in Europa, auch im Finanzbereich. Die europäische Harmonisierung macht die Finanzmärkte transparenter und robuster gegen Krisen und stärkt den Anlegerschutz. Diesen Weg werden wir als CDU/CSU weitergehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sarah Ryglewski hat als nächste Rednerin für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sarah Ryglewski (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste, die sich heute auch diesem etwas sperrigeren Thema annähern! Es ist schon viel zu diesem Gesetz gesagt worden. Weil ich nicht so viel Redezeit habe, will ich mich auf einen Aspekt beschränken. Dass wir letzte Woche über den Antrag zum Finanz-TÜV gesprochen haben und die vielen Gesetze zu diesem Thema, die wir beraten haben, machen deutlich, wie sehr wir uns dieses Themas annehmen. Ein Kern der Diskussionen, die wir hier geführt haben, war, dass wir insbesondere den Kleinanleger und den Verbraucher in den Mittelpunkt stellen. Frau Karawanskij, den Begriff „mündiger Verbraucher“ werfen viele Leute immer gern in den Raum; aber mittlerweile ist der gängige Begriff, der auch von den meisten hier im Raum benutzt wird, der des „verletzlichen Verbrauchers“. Das heißt nicht, dass er unmündig ist, sondern, dass man schauen muss, wo er möglicherweise anfällig dafür ist, in irgendwelche Fallen gelockt zu werden oder Schaden zu erleiden. Das ist genau das, worauf wir uns aus Verbrauchersicht auch bei diesem Gesetz konzentrieren müssen. Wir wollen – das stellte sich auch in der Debatte in der letzten Woche heraus –, dass Anlegerinnen und Anleger das Produkt bekommen, das zu ihnen passt. Wir waren uns letzte Woche zwar nicht in allem einig, aber in einem Punkt waren wir uns sehr einig: Von zentraler Bedeutung ist dabei eine gute Beratung. Insofern will ich mich darauf beschränken. Ich glaube, wir müssen sicherstellen, dass bei der Geeignetheitserklärung nicht die Fehler und Probleme auftreten, die beim Beratungsprotokoll aufgetreten sind. In den Beratungsprotokollen stand nämlich teilweise drin: Dem Anleger wurde das Produkt empfohlen, weil es für ihn geeignet ist. – Das ist eine Tautologie und so nichtssagend, dass es gar nichts bringt. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Kriterien durch entsprechende Standardisierung – Kollege Binding hat eben einen entsprechenden Zuruf gemacht – klar definieren, sodass man sagen wirklich kann: Die Anforderungen sind erfüllt worden. Damit schaffen wir Rechtssicherheit – über ein ähnliches Thema haben wir heute Morgen diskutiert –, und zwar für beide Seiten, dass ein vernünftiges Produkt empfohlen wird. Das gibt den Menschen auch das sichere Gefühl, dass ihnen nichts, wie man im Norden bei uns so schön sagt, „angeschnackt“ wurde. Ein anderes Thema ist die Honorarberatung; Kollege Petry hat es angesprochen. Es geht zum einen darum, für Transparenz zu sorgen, damit alle wissen, was auf sie zukommt, wenn sie eine provisionsbasierte Beratung in Anspruch nehmen. Es ist ja mitnichten so, dass sie kostenlos ist – hoffentlich ist sie nicht umsonst –; denn der Kunde erhält ja auch etwas im Gegenzug. Das muss klar sein, sonst hat die Honorarberatung keine Chance. Der Begriff „Honorarberatung“ an sich ist übrigens schon ein Problem – hier geht es um sprachliche Begrifflichkeiten –; denn es wird unterstellt, dass die Beratung etwas kostet, andere aber nicht. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Genau!) Deswegen setzen wir uns stark dafür ein, dass wir die Beratung genau so benennen: Es handelt sich um eine unabhängige Honorar-Anlageberatung. (Beifall bei der SPD) Uns geht es darum, dass die Menschen am Ende das bekommen, was sie haben wollen, dass sie das Gefühl haben, sie können ruhigen Gewissens eine Beratung in einem Bereich in Anspruch nehmen, in dem sie sich nicht auskennen, dass sie gut beraten werden und dass sie mit einem Produkt nach Hause gehen, das sie brauchen. Genau das wollen wir. Ich glaube, wenn man sich darauf konzentriert – es wurde bereits an einigen Stellen Einigkeit signalisiert –, dann haben wir tatsächlich nicht nur einen guten Gesetzentwurf besser gemacht, sondern wir haben auch noch etwas für den Bereich Verbraucherschutz getan. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10936 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn (Tübingen), Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen – Bundesweite Statistik einführen Drucksachen 18/7547, 18/11000 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin hat Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Daniela Kolbe (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich morgens von meinem Wahlkreis hierher fahre, laufe ich durch zwei Bahnhöfe. Es ist mir in den letzten kalten Tagen immer so gegangen, dass ich an mindestens einer schlafenden Person, an einem Obdachlosen vorbeigelaufen bin, und mir macht das ein mulmiges Gefühl. Ich muss sagen: Ich schäme mich auch ein bisschen, dass so etwas in einem so reichen Land wie Deutschland möglich ist. Deswegen danke ich den Grünen, dass sie das Thema auf die Tagesordnung setzen und damit unter anderem auf die mindestens 39 000 Menschen, die in Deutschland ganz ohne Obdach sind, also auf der Straße leben – so zumindest die Zahlen der BAG Wohnungslosenhilfe aus 2014 –, aufmerksam machen. Wenn wir über Wohnungslosigkeit sprechen, dann sprechen wir nicht nur über diese 39 000 Menschen, sondern wir reden über 335 000 Menschen – wahrscheinlich sind es mehr –, die keine eigene Wohnung haben, das heißt, in Notunterkünften oder in Sammelunterkünften leben, sich von Couch zu Couch retten, in billigen Hotels leben oder, wenn wir es weiter fassen, beispielsweise von Zwangsräumung bedroht sind. Es ist also ein sehr komplexer Begriff, über den wir sprechen. Gleichzeitig stellen wir fest: Für den gesamten Bereich sind die Länder zuständig. Die Kommunen sind in der Pflicht, für diese Menschen etwas zu tun. Es ist ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Menschen Obdach haben. Sie von den Grünen schlagen vor, per Gesetz festzulegen, dass eine bundesweite Statistik erstellt wird. Ich stimme Ihnen insofern zu, als wir dringend mehr über das Phänomen Wohnungslosigkeit in Deutschland wissen müssen. Allerdings überzeugt mich das Vorgehen der Bundesregierung mehr. Es ist sehr plausibel, in einem Bereich, wo die Länder zuständig sind, zunächst eine Machbarkeitsstudie über dieses komplexe Thema in Auftrag zu geben, zu eruieren, wie man die Wohnungslosigkeit einheitlich schätzen kann; denn wir können ja nicht zählen, vielmehr muss man schätzen. Man muss jedoch mit den Ländern im Vorfeld darüber ins Gespräch zu kommen, wir müssen das einheitlich tun, die Länder müssen mitgenommen werden, und wir müssen dafür sorgen, dass wir gute Statistiken über Wohnungslosigkeit bekommen. Ich danke der Bundesregierung für die Initiative, die auch deutlich macht, wie wichtig ihr das Thema ist. (Beifall bei der SPD) Die Bundesregierung erfasst die Wohnungslosigkeit nicht nur statistisch, sondern tut eine ganze Menge dagegen. Das ist auch geboten; denn wir haben es einerseits mit Migrationsbewegungen zu tun, die sicherlich auch dazu beitragen, dass wir einen Anstieg der Wohnungslosigkeit in Deutschland sehen. Anderseits haben aber vor allen Dingen das Phänomen der Wohnungsverknappung sowie die Zunahme der Bevölkerung in den Städten und der mangelnde soziale Wohnungsbau in den letzten Jahrzehnten (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Die niedrigen Löhne!) dazu geführt, dass wir alle miteinander spüren, dass hier ein größeres Problem auf uns zukommt. Deswegen ist es so richtig und so gut, dass diese Bundesregierung den sozialen Wohnungsbau endlich wieder auf die Agenda gesetzt hat, obwohl das Ländersache ist. Wir geben 2017  1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau aus. In der ersten Lesung, die wir im Januar des vergangenen Jahres zu diesem Antrag hatten, war es noch 1 Milliarde Euro. Insgesamt haben sich die Mittel für den sozialen Wohnungsbau verdreifacht. Das ist der richtige Schritt, und wir müssen auf diesem Weg weitergehen; denn sozialer Wohnungsbau verhindert Wohnungslosigkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Darum geht es: Wohnungslosigkeit zu verhindern. Es geht um Prävention. Wir haben auch an anderen Stellen etwas getan; ich mache es einmal an zwei Beispielen fest – ich könnte weitere bringen –: Wir haben etwas für die junge Frau getan, die ich in der letzten Legislaturperiode kennengelernt habe, die gerade ihre Ausbildung begonnen hatte, eine sehr niedrige Ausbildungsvergütung bekam und aus dem SGB-II-Bezug fiel. Sie war, als ich sie kennenlernte, „von Couch zu Couch“ bei Freunden untergekommen. Mit dem SGB-II-Änderungsgesetz – es ist ja vielfach kritisiert worden, und viele Maßnahmen sind nicht wahrgenommen worden – haben wir diese Lücke weitgehend geschlossen. Man kann nun, wenn man eine Ausbildung aufnimmt, durchaus weiter ergänzend im SGB-II-Bezug bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch damit verhindern wir Wohnungslosigkeit. Ich erinnere mich noch gut an die Medienberichte über Obdachlose rings um die großen Fleischfabriken unseres Landes, wo Werkvertragsarbeitnehmer aus dem Ausland der Willkür, der Ausbeutung durch die Arbeitgeber ausgesetzt waren und zum Teil auch einfach vor die Tür gesetzt wurden und in den Wäldern rings um die Fabrik lebten, also ohne Obdach waren. Wir haben in dieser Regierung den Mindestlohn eingeführt – auch in der genannten Branche, die nur mit Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam gemacht hat – und Werkverträge und Leiharbeit reguliert. Aber ich sage auch: Im Bereich der Fleischindustrie ist bei weitem nicht alles gut. Was wir von den Gewerkschaftsvertretern hören, ist, dass der Mindestlohn dort unterlaufen wird und weiterhin Werkvertragsunternehmen ihr Schindluder treiben und Menschen ausbeuten. Deswegen sage ich: Wir haben einen richtigen Schritt getan, werden dort aber weiter hingucken und dafür sorgen, dass Ausbeutung in Deutschland nicht stattfindet. (Beifall bei der SPD) Vieles mehr wäre zu nennen. Wir haben das Wohngeld reformiert. Wir können mit dem Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen – EHAP – in Deutschland etwas für von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen tun. Die Bundesregierung hat das Thema Wohnungslosigkeit zum Schwerpunkt des gerade vorgelegten Berichts über die Lage der Menschen mit Beeinträchtigungen gemacht. Es ist klar – auch wenn dieses Thema nicht in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird –: Die Bundesregierung hat es im Blick. Aber wir müssen besser werden. Ein Beispiel: Wir haben 120 Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlust, die nach SGB II und SGB XII finanziert werden. Sie sind aber extrem ungleich verteilt und extrem unterschiedlich aufgestellt. Ich denke, es lohnt sich, auch von der Bundesebene aus darauf zu achten, dass wir in dem Bereich noch besser werden. Darüber und über andere Aspekte müssen wir sprechen. Ich unterstütze ausdrücklich die Bundesregierung in ihrem Ansatz, zu einer besseren Statistik zu kommen. Ich stelle fest – das sage ich an die Adresse der Antragstellerin –: Auch wenn wir den Antrag heute ablehnen, sind wir alle hier im Haus uns einig – hoffentlich –, dass es unser Ziel ist, dass alle Menschen ebenso wie wir abends in eine Wohnung kommen, die Tür zumachen und sagen können: Meine Wohnung, hier fühle ich mich sicher, hier fühle ich mich aufgehoben. – Dieses Ziel ist noch längst nicht erreicht, aber es lohnt sich, dafür zu streiten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Sabine Zimmermann das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht uns gut, sagt die Kanzlerin. Die offizielle Zahl der Erwerbslosen ist laut Statistik so niedrig wie lange nicht, die Wirtschaft brummt, der Laden läuft – das sagen Sie ja immer. Herr Schiewerling vor allen Dingen sagt immer: Es geht uns gut. Ich wollte Sie schon immer mal fragen, Herr Schiewerling: Wen meinen Sie, wenn Sie sagen: „Es geht uns gut“? Wer ist mit „uns“ gemeint, wenn doch die Armut breiter Bevölkerungsschichten immer mehr zunimmt? Die steigende Zahl wohnungsloser Menschen dokumentiert das Versagen der Bundesregierung bei der Armutsbekämpfung. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Kinderarmut nimmt zu, die Altersarmut nimmt zu, und, ja, auch unter Erwerbstätigen nimmt die Zahl der Armen zu. Der Mindestlohn schützt einfach nicht vor Armut, weil er zu niedrig ist. (Beifall bei der LINKEN) Die Zahl der wohnungslosen Menschen ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen, von 248 000 im Jahr 2010 auf 335 000 in 2014. Darunter waren 29 000 Kinder, Tendenz steigend. Für die Bundesregierung existiert das Problem Wohnungslosigkeit offiziell nicht, da sie keine Zahlen erhebt, frei nach dem Motto „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“. Die eben genannten Angaben haben wir von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Zudem kann man der Antwort auf meine Frage entnehmen – ich zitiere –, dass Wohnungslosigkeit vielfach nicht in fehlendem Wohnraum begründet sei, sondern in der Regel soziale und psychische Ursachen habe und einhergehe mit familiären Schwierigkeiten, Suchtproblemen oder Krankheiten. Ich finde, das schlägt dem Fass den Boden aus; denn das bedient die Vorurteile gegenüber wohnungslosen Menschen, nach dem Motto „Selbst schuld!“, und das kann einfach nicht sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Mehrzahl der Fälle ist die Kombination aus immer weniger bezahlbaren Wohnungen und einer verfestigten und steigenden Einkommensarmut breiter Bevölkerungsschichten der Grund. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, Kollegin Kolbe. Ich sage, dass die Löhne mit daran schuld sind, weil sie so niedrig sind, dass sich einige Menschen keine Wohnung leisten können. Die Menschen haben immer weniger Geld in der Tasche, und das ist Folge Ihrer Politik in den letzten Jahren. (Beifall bei der LINKEN) Zu Jahresanfang habe ich die Bundesregierung gefragt, welche Kenntnisse ihr zu erfrorenen wohnungslosen Menschen zur Verfügung stehen. – Keine Kenntnisse. Sie weiß natürlich von nichts. Die Bundesarbeitsgemeinschaft hat auch hierzu eine Dokumentation erstellt: Seit 1991 sind mindestens 289 wohnungslose Menschen in Deutschland an Unterkühlung verstorben. „Sie erfroren im Freien, unter Brücken, auf Parkbänken, in Hauseingängen, in Abrisshäusern, in scheinbar sicheren Gartenlauben und in sonstigen Unterständen“, so die BAG W. Gestern hat die BAG W den ersten Kältetod im Jahr 2017 bestätigt: ein 53-jähriger wohnungsloser Mann im Landkreis Gießen. Zehn weitere Fälle werden im Moment geprüft. Es ist ein Skandal, dass in Deutschland Menschen erfrieren! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch wenn die Bundesregierung formal nicht zuständig ist, entlässt sie dies nicht aus der Verantwortung, Kältetote in Deutschland zu verhindern. Die Wohnungslosigkeit muss endlich bekämpft werden, und wir müssen endlich eine Statistik etablieren. Deshalb unterstützen wir den Antrag der Grünen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Bund kann sich hier nicht einfach wegducken. Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau, eine Stärkung der Wohnungslosenhilfe, und – damit komme ich zum Schluss – wir brauchen mehr gute und existenzsichernde Arbeit, wir brauchen einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro, (Beifall bei der LINKEN) wir brauchen armutsfeste Renten und soziale Sicherungssysteme, die vor Armut schützen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Christel Voßbeck-Kayser für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben heute Abend die Gelegenheit, über ein wichtiges sozialpolitisches Thema zu diskutieren, nämlich über die Wohnungslosigkeit. Auch für uns als CDU/CSU-Fraktion ist es ein zentrales Anliegen, dass allen Menschen in unserem Land Wohnraum zur Verfügung steht. Kollegen der Fraktion der Grünen, Sie fordern, dass eine bundesweite Statistik eingeführt werden soll, um auf der Basis der erhobenen Daten Wohnungslosigkeit wirkungsvoll entgegenzuwirken. Das ist Ihre zweite Vorlage in dieser Legislaturperiode zu diesem Thema. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die zweite Lesung!) 2015 haben Sie eine Kleine Anfrage dazu gestellt. Das Bundesstatistikmodell ist ja schon seit Jahrzehnten in der politischen Diskussion. Aber wir wissen – das haben auch die Vorredner gesagt –: Die Zuständigkeit sowohl für die Betreuung und Unterbringung von Wohnungslosen als auch für die Wohnraumförderung und damit den sozialen Wohnungsbau liegt bei den Ländern. Dies wurde 2006 im Rahmen der Föderalismusreform einvernehmlich zwischen Bund und Ländern vereinbart. Das hatte auch einen Grund: Wir haben in den Regionen in Deutschland sehr unterschiedliche Wohnraumbedarfe. Zurzeit fehlt es in den Städten, gerade in den Großstädten, an Wohnraum, während im ländlichen Raum viele Wohnungen leer stehen. Der Bund entzieht sich hier ja auch nicht der Verantwortung, sondern wir unterstützen die Länder jährlich mit bislang 520 Millionen Euro. Dies ist jetzt auf über 1 Milliarde Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau aufgestockt worden. Wir sind uns einig: Das ist richtig, und das ist auch gut. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Wenn wir über das Thema Wohnungslosigkeit reden, dann vermischen wir manchmal – das habe ich gerade bei meinen Vorrednern gehört – Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit. Unter „Wohnungslosen“ verstehen wir Menschen, die ohne einen Mietvertrag sind. Das können Menschen sein, die in einer Notunterkunft sind. Das können Menschen sein, die in einer Heimeinrichtung oder in Frauenhäusern sind. Ja, es sind auch Menschen, die vorübergehend bei Freunden und Bekannten unterkommen. Bei Obdachlosigkeit sprechen wir über ein weites eigenes Feld und auch über eine ganz besondere Personengruppe, die einen anderen Hilfebedarf hat. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist es!) Deshalb, denke ich, ist es richtig – da sind wir ganz bei Ihnen, liebe Kollegen von den Grünen; da sind wir einer Meinung –, dass wir eine solide Datenbasis brauchen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Wie kommen wir zu diesen soliden Daten? Ein Statistikmodell steht ja grundsätzlich vor der Frage der Vergleichbarkeit und der regionalen Anwendbarkeit. Sie geben mir sicher recht, wenn ich sage, dass diese Daten am besten vor Ort, dort, wo sich die Menschen aufhalten, erhoben und ausgewertet werden sollen. Deshalb ist die Schlussfolgerung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in dem aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht richtig, nämlich zu sagen: Wir brauchen erst einmal Länderstatistiken. Die Länder müssen mit einheitlichen Parametern die Daten erheben. Diese werten wir dann aus, um hinsichtlich des Themas Wohnungslosigkeit Schlüsse ziehen zu können. Es gibt kaum Bundesländer, die solch eine Länderstatistik erheben. Mein Bundesland, Nordrhein-Westfalen, führt eine solche Statistik, aber auch dort werden lediglich zwei Gruppen erfasst, nämlich zum einen die Personen, die, wie ich eben ausgeführt habe, in Einrichtungen untergebracht sind, und zum anderen Personen, die Kontakt zu Fachberatungsstellen der Wohnungslosenhilfe hatten. Da nur wenige Bundesländer eine solche Statistik haben, finde ich es gut, dass das Bundesarbeitsministerium jetzt ein Gespräch zwischen Bund und Ländern initiieren, anstoßen will, in dem einheitliche Parameter in allen Bundesländern vereinbart werden sollen. Ich glaube, dass wir, wenn wir diese soliden Daten haben, zielgenaue Maßnahmen für die von Wohnungslosigkeit betroffenen Personengruppen in Deutschland beschließen und auf den Weg bringen können. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag heute ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Jetzt hat Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kaum 150 Meter von hier, am Spreeufer, befindet sich ein Camp von Menschen, die obdachlos sind. Sie haben da ihre Bücher hingebracht, ihre Zeltplanen, ihre Schlafsäcke, und sie kampieren dort, bei minus 3 Grad in der letzten Nacht. Wir haben den kältesten Januar seit 2010, und ich meine, wir müssen heute von hier, vom Deutschen Bundestag, doch das Signal aussenden, dass uns dieser Widerspruch – hier das Parlament und dort die Obdachlosen, kaum 150 Meter entfernt – nicht egal ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Einige Vorredner haben es ja gesagt: Seit 2010 sind die Zahlen der Menschen, die obdachlos sind, die von Wohnungslosigkeit bedroht oder wohnungslos sind, deutlich gestiegen. Das wissen wir nicht aufgrund offizieller Zahlen, sondern das wissen wir, weil die BAG Wohnungslosenhilfe hierzu die Statistik erhebt, und diese Statistik ist zu erheben. Es braucht endlich eine offizielle Statistik, damit wir hier gemeinsam handeln können und damit auch die Bundesländer handeln können. Deswegen müssen wir endlich eine Wohnungslosenstatistik auf den Weg bringen. Es geht; die BAG macht es. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]) Die Dramatik nimmt ja zu. Sie nimmt nicht nur bei Männern zu, sondern sie nimmt bei Frauen zu, ebenso bei Jugendlichen. Das hat etwas damit zu tun, dass bei uns Wohnraum knapper wird, dass Menschen hinaussaniert werden, dass Menschen von Räumung bedroht sind, dass wir zu wenig in den sozialen Wohnungsbau investieren. Pro Jahr beträgt das Minus an Sozialwohnungen weiterhin 60 000, trotz großer Anstrengungen. Das kann uns doch einfach nicht kaltlassen. Dass wir als Deutscher Bundestag es in dieser Legislaturperiode nicht auf die Reihe bekommen haben, die Erstellung einer Statistik zu beschließen, halte ich für ein Drama. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Was heißt denn Obdachlosigkeit? Obdachlosigkeit heißt doch, dass ein Mensch keinen Schutzraum hat, dass er keine Privatsphäre hat, dass er keinen Rückzugsraum hat, dass er eben kein Zuhause hat, wo er hingehen kann. Obdachlosigkeit bedeutet, dass Menschen auf Parkbänken schlafen, in U-Bahnhöfen, in S-Bahnhöfen, dass sie vom Flaschensammeln leben und die Missachtung der Gesellschaft erfahren. Wir haben in diesem und im letzten Jahr Mordanschläge auf Menschen, die in Obdachlosigkeit leben, erleben müssen. Das ist ein Skandal, und deswegen müssen wir zeigen: Uns geht dieses Problem etwas an. Deswegen müssen wir Daten erheben, um dann auch handeln zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es freut mich ja sehr, dass jetzt eine Machbarkeitsstudie auf den Weg gebracht worden ist. Es gab auch schon einmal eine Machbarkeitsstudie; nur ist daraus kein Handeln entstanden. Es freut mich ebenso sehr, dass auch die Union dieses Problem erkennt. Aber ich sage Ihnen eines: Eine Machbarkeitsstudie reicht nicht aus. Wir müssen die Zahlen erheben, damit wir handeln können, damit wir Notfallprogramme auf den Weg bringen und damit wir endlich auch die Länder unter Druck setzen können, sodass die Länder eine Statistik erheben. Hierfür muss der Bund die Parameter vorgeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Beim Thema Wohnen ist es ja immer das Schwarze-Peter-Spiel: Die Länder sind dafür zuständig, der Bund ist dafür nicht zuständig, also sind wir hier als Bund fein raus. Ich kann das nicht ertragen, und ich empfinde es so, dass auch die Kolleginnen, die hier gesprochen haben, es nicht ertragen können. Frau Kolbe hat es ja gesagt: Die Bundesregierung hat einiges auf den Weg gebracht, nur leider keine Statistik. (Daniela Kolbe [SPD]: Was ist mit Baden-Württemberg?) Wenn man etwas in diesem Themenfeld macht, dann kann man auch eine Statistik auf den Weg bringen. Frau Voßbeck-Kayser sprach davon, dass die Mittel für den sozialen Wohnungsbau aufgestockt wurden. Auch wenn wir nicht dafür zuständig sind, haben wir die Mittel dennoch aufgestockt; also können wir auch eine Statistik machen. – Die Logik der Großen Koalition leuchtet mir an dieser Stelle überhaupt nicht ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Auf Ihre Frage, die Sie gerade zu Baden-Württemberg eingeworfen haben, Frau Kolbe: Baden-Württemberg wird auch eine Wohnungslosenstatistik auf den Weg bringen, und das haben wir Grünen bei den Koalitionsverhandlungen eingebracht. Ich bin sehr froh darüber, dass der Koalitionspartner Union dies mit auf den Weg bringt und dass damit auch aus den Bundesländern Druck kommt. Aber auch hier in diesem Parlament brauchen wir endlich einen Beschluss für eine Statistik, damit wir endlich handeln können. Wir beraten dies jetzt seit einem Jahr, und es ist ja nicht so, dass wir einen zweiten Antrag eingebracht hätten. Vielmehr haben wir Ihnen ein Jahr Zeit gelassen, damit Sie richtig handeln und damit diese Bundesregierung etwas auf den Weg bringt. Ich kann nur erkennen, dass es Lippenbekenntnisse gibt, aber kein Handeln. Das halte ich für einen Skandal. Wir Grünen werden weiter dranbleiben und bei dieser Frage nicht lockerlassen; denn wir dürfen die Menschen in der Kälte nicht alleinlassen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dr. Martin Pätzold ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ein hochemotionales, sensibles Thema, über das wir heute hier im Deutschen Bundestag diskutieren. Es ist auch ein sehr aktuelles Thema, weil wir in den politischen Debatten immer wieder darüber diskutieren: Was tun wir für die Einheimischen, die obdachlos sind, und was tun wir für diejenigen, die neu in unser Land gekommen sind? Dieses Thema berührt einen selbst, wenn man immer wieder Erfahrungen gesammelt hat und in Einrichtungen war, wo Menschen sind, die keine eigene Wohnung mehr haben, die obdachlos sind. Wenn man diese Einrichtungen besucht und mit denen, die direkt betroffen sind, ins Gespräch kommt, dann sieht man, dass es einfache politische Antworten für ihre Problemstellungen nicht gibt. Wir haben die Zahlen gehört: 335 000 Menschen in Deutschland haben keine eigene Wohnung; 39 000 von ihnen gelten als obdachlos. Die Zahl derer, die keine eigene Wohnung haben, steigt bis 2018 wahrscheinlich bis auf 500 000. Auch die Zahl derer, die dann obdachlos sein werden, wird wahrscheinlich steigen. Das macht betroffen; das will ich an dieser Stelle für die CDU/CSU-Fraktion ganz deutlich sagen. Ich habe in den letzten Jahren die Kältehilfe bei mir am Bahnhofsplatz besucht, ich war bei der Bahnhofsmission am Zoologischen Garten in Berlin, und ich habe eine Einrichtung von MUT besucht, dem Träger, der sich um Obdachlose und deren Zahnhygiene kümmert. Wenn man sieht, wie viele Träger in diesem Bereich tätig sind, auch hier in Berlin, dann können wir auf der einen Seite stolz auf das sein, was geleistet wird. Auf der anderen Seite müssen wir aber feststellen, dass sich dieses Thema nicht dafür eignet, parteipolitische Kontroversen auszutragen oder es zu nutzen, um es mit anderen Debatten zu vermischen. Herr Birkwald, Sie und mich verbindet, dass wir beide in der Senatsverwaltung für Soziales in Berlin gearbeitet haben, sogar in sehr ähnlicher Funktion; wir waren beide in Leitungsfunktionen. Gerade dieses Thema war in Berlin nie Gegenstand einer parteipolitischen Diskussion, sondern es ging immer darum, den Betroffenen zu helfen. Den Betroffenen hilft man eben nicht, indem man hier vorne große Reden hält, sondern indem man sich ganz individuell ihrer Probleme annimmt. (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ja, dann machen Sie doch! Machen Sie mal!) Wenn wir uns mit den Betroffenen unterhalten – das wissen auch Sie, Herr Birkwald, aus Ihren eigenen Erfahrungen; viele Kollegen über alle Fraktionsgrenzen hinweg waren ja in solchen Einrichtungen –, stellen wir fest: Es handelt sich oft um individuelle Probleme, um unterschiedliche Lebenslagen, um Situationen, in denen eins zum anderen gekommen ist, was dazu geführt hat, dass sie den Weg aus den Augen verloren haben und der eine oder andere in der Konsequenz seine eigene Wohnung verloren hat. Das hat etwas mit Trennung, Scheidung, Schicksalsschlägen und vielen anderen Ereignissen zu tun, mit Ereignissen jedenfalls, mit denen man persönlich nur schwer umgehen kann. Jetzt müssen wir uns fragen, wie wir diesen Menschen, ohne das parteipolitisch zu transportieren, wirklich vernünftig helfen können. Ich will ganz offen sagen: Ich hege durchaus Sympathie dafür, eine bundesweite Statistik einzuführen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finden wir gut!) Ich habe aber auch die Argumente zur Kenntnis genommen, die vom Bundesministerium vorgetragen wurden und mit denen deutlich gemacht worden ist, warum jetzt die Schritte in Richtung auf die Machbarkeitsstudie eingeleitet werden. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Antrag hat also schon gewirkt!) Es gibt Probleme, weil diese Personen nicht so leicht zu erfassen sind, da sie sehr mobil sind und oft von Ort zu Ort ziehen. Es sind Personen mit anderen Lebenswegen, die auch unterschiedliche persönliche Wege gehen. Den vorliegenden Antrag lehnen wir heute ab. Wir haben das Ziel, in diesem Bereich, auch was die Statistik betrifft, durch die Länder voranzukommen. Ich finde es aber gut und wichtig, dass wir als Deutscher Bundestag das Zeichen setzen, dass wir uns intensiv um diejenigen kümmern, die in Deutschland eine Wohnung suchen. Dazu gehört zum Teil der soziale Wohnungsbau – das ist richtig –, aber eben nicht nur, sondern wir müssen uns den Themen der Menschen individuell nähern und ihnen so helfen. Das wollen wir als CDU/CSU-Fraktion in Zukunft weiterhin tun. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen – Bundesweite Statistik einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11000, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7547 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SoKaSiG) Drucksache 18/10631 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Drucksache 18/11001 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Bernd Rützel, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bernd Rützel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sozialkassen haben eine sehr lange Tradition. Ihre Ursprünge finden sich in der Weimarer Republik, und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich ab, dass für die typischen Anforderungen der Bauwirtschaft dringend eine Lösung gefunden werden musste. Diese typischen Anforderungen waren: kurze Beschäftigungszeiten, regelmäßige Ausfälle in den Wintermonaten; es fehlt eine feste Produktionsstätte, und die körperliche Belastung auf dem Bau ist sehr hoch. Schnell waren sich die Tarifvertragsparteien nach dem Zweiten Weltkrieg einig, dass sie entsprechende Regelungen in Eigenregie festlegen wollten. Die Verhandlungen zwischen den zuständigen Arbeitgeberverbänden und der Interessenvertretung der Beschäftigten führten zur Gründung der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse sowie der Zusatzversorgungskasse. Diese Einrichtungen bringen den Beschäftigten im Bauhauptgewerbe seit Jahrzehnten verlässliche Leistungen bei Urlaub oder Berufsbildung und gewähren besondere Versorgungsleistungen, zum Beispiel die Rentenbeihilfe. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut geleistet; denn Bauarbeiter erhalten nicht selten eine staatliche Rente, die nur knapp über der Grundsicherung liegt. (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung ist infolge häufiger Arbeitgeberwechsel erschwert. Die Zusatzversorgungskasse schafft einen Ausgleich für diese Nachteile, sie legt noch einmal etwas obendrauf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine andere Besonderheit der Baubranche sind die Arbeitsausfälle im Winter. Damit Bauarbeiter in Schlechtwetterzeiten nicht ohne jeden Schutz dastehen, organisiert die Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft für die Agentur für Arbeit den Beitragseinzug im Rahmen der Winterbauförderung. Im Urlaubskassenverfahren werden Urlaubsansprüche der Bauarbeitnehmer gesichert. Das Baugewerbe ist von unterjähriger Beschäftigung und sehr häufigem Arbeitgeberwechsel geprägt. Wie soll denn ein Urlaubsanspruch organisiert werden, wenn ein Beschäftigter häufige Arbeitsplatzwechsel hat? Bei welchem Arbeitgeber nimmt er seinen Urlaub, und wer zahlt für die Urlaubszeit den Lohn eines Bauarbeitnehmers aus? Dafür ist das Urlaubskassenverfahren da, das die Beschäftigten unterstützt, und die Erholung ist gerade bei den körperlich herausfordernden Tätigkeiten im Bauhauptgewerbe von sehr großer Bedeutung. Die Sozialkassenverfahren sichern außerdem eine qualitativ hochwertige überbetriebliche Berufsausbildung, und auch dank überbetrieblicher Ausbildungszentren, die die jungen Menschen besuchen können, erhalten die Auszubildenden notwendige grundlegende Qualifikationen auf einem sehr hohen und einheitlichen Niveau. Davon profitieren wir direkt. Wenn wir uns umschauen, dass Bauwerke auf modernstem Stand entstehen, dann sehen wir ein: Dahinter steht unheimlich viel Fachwissen und Know-how der Menschen, die so etwas schaffen. Darüber bin ich sehr froh. Diese Leistungen sind sehr wichtige soziale Errungenschaften, die es schon seit Jahrzehnten gibt, und wir sind heute hier, weil es darum geht, diese Errungenschaften zu sichern. Sie müssen für alle Betriebe im Bauhauptgewerbe gelten, auch und gerade für die tarifungebundenen. Der Schutz dieser Beschäftigten ist genauso wichtig. Dank der Allgemeinverbindlicherklärung, die wir noch einmal gestärkt haben, profitieren bis zu 700 000 Bauarbeitnehmer, 35 000 Auszubildende und 370 000 Rentner, insgesamt also über 1 Million Menschen, von den Leistungen der Sozialkassen. Auch das Bundesarbeitsgericht, dessen Urteil der Auslöser dafür ist, dass wir heute hier stehen, stellt in seinen jüngsten Urteilen das öffentliche Interesse an den Sozialkassenverfahren nicht in Abrede. Deswegen können und wollen wir es nicht zulassen, dass diesem sehr wichtigen Instrument, auf dessen Grundlage Deutschland gut aufgebaut wurde, aus formalen Gründen nachträglich der Boden entzogen wird. In unserer Anhörung am Montag ist ganz deutlich bestätigt worden, dass das nicht nur verfassungsrechtlich in Ordnung, sondern geradezu geboten ist. Ich nenne hier nur unseren Sachverständigen Professor Preis, der ausgeführt hat, dass der Gesetzgeber eine Schutzpflicht hat, dass die wichtigen Ansprüche der von mir angesprochenen Urlaubskassen, der Altersversorgung und der Ausbildungsfinanzierung geschützt werden müssen. Mit dem Gesetz treten wir den Bedenken des Bundesarbeitsgerichtes rechtssicher und belastbar entgegen. Die Sozialkassenverfahren erhalten damit wieder eine gute Basis, ein gutes Fundament. Damit schaffen wir eine größtmögliche demokratische Legitimation. Ich möchte allen, die an diesem Verfahren beteiligt waren, in der Regierungskoalition genauso wie in der Opposition – das war ein einstimmiges Ergebnis –, ganz herzlich für diesen schnellen, aber auch sehr fundierten Weg danken. Die Bauarbeiter im Bauhauptgewerbe – ich wiederhole es, weil es wichtig und richtig ist – leisten eine wichtige und hervorragende Arbeit. Die sehr intensive Anhörung am Montag hat das bestätigt. Wir wollen, dass diese Menschen fair bezahlt, fair behandelt und fair abgesichert werden. Dafür legen wir heute einen Grundstein. Wir wollen wieder Ordnung herstellen, damit sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bauhauptgewerbe auch in Zukunft auf uns verlassen können, wie sie es in den letzten Jahrzehnten getan haben. Das sind wir ihnen schuldig. Wir lassen hier niemanden im Regen stehen. Vielen herzlichen Dank für diesen Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Matthias W. Birkwald, Fraktion Die Linke, das Wort. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Mast [SPD] – Katja Mast [SPD]: Da können wir mal alle klatschen!) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 825 000 Beschäftigte und 370 000 Rentner und Rentnerinnen in der Bauwirtschaft sollen weiterhin zuverlässig ihre Zusatzrenten von den Sozialkassen Bau erhalten; denn – und das sage ich hier als rentenpolitischer Sprecher der Linksfraktion – die Zusatzrente der SOKA-BAU gewährt den Bauleuten seit fast 60 Jahren eine zu 100 Prozent von den Arbeitgebern finanzierte Betriebsrente. Das ist gut, und das soll auch so bleiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die SOKA-BAU übernimmt für 35 000 Auszubildende die Ausbildungskosten und sichert die Urlaubsansprüche der gewerblich tätigen Kolleginnen und Kollegen. Im Interesse der Beschäftigten sollten wir alle diese gute Arbeit weiter unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Damit die Kollegen auf dem Bau wieder ruhig schlafen können und damit dieser hohe und vorbildliche soziale Standard im Baugewerbe auch in den nächsten 60 Jahren erhalten bleiben kann, müssen wir den heute vorgelegten Gesetzentwurf schnell verabschieden. Warum? Seit dem Gerichtsurteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. September 2016 drohte der SOKA-BAU die Insolvenz. Was war passiert? Einzelne Betriebe hatten für sich selbst festgestellt, dass sie überwiegend Arbeiten erledigten, die nicht dem Bauhauptgewerbe zuzuordnen seien. Darum haben sie dann keine Beiträge mehr an die SOKA-BAU entrichtet und gerichtlich prüfen lassen, ob sie der Allgemeinverbindlichkeit unterliegen. Das Bundesarbeitsgericht hat dann völlig überraschend entschieden, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen der Jahre 2006 bis 2011 nicht rechtens zustande gekommen sind. Darauf beruht aber die ganze Konstruktion der SOKA-BAU. Durch die Allgemeinverbindlichkeit erlangen die Tarifverträge auch für tarifungebundene Beschäftigte und Unternehmen der Baubranche Wirkung. Das Gericht hatte dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales handwerkliche Fehler vorgeworfen; daran kommen wir in der Rückschau nicht vorbei. Das haben auch Sachverständige in der Anhörung bestätigt. Deshalb, meine Damen und Herren, gilt: Wir müssen handeln, und zwar jetzt. (Beifall bei der LINKEN) Aber es gibt noch ein Problem. Die Bauleute haben während der Verfahrensdauer Leistungen der Urlaubskasse und natürlich auch Zusatzrentenleistungen erhalten. Uns allen ist inzwischen klar geworden, dass die bereits eingegangenen und noch möglichen Rückforderungen an die SOKA-BAU und die Altersversorgungskassen das gesamte über 65 Jahre gewachsene Sozialkassenverfahren des Baugewerbes zum Einsturz bringen könnten. Das will niemand; selbst die Klägerinnen und Kläger nicht, wie ich denke. Sie sehen vor allem ihren eigenen kleinen Betrieb. Wenn wir gleich das Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz verabschieden, dann werden die sozialen Leistungen für die Baubeschäftigten gerettet. Aber die Kleinbetriebe, die sich nicht als Betrieb des Bauhauptgewerbes gesehen haben und jetzt Beiträge nachzahlen müssen, werden mit diesem Gesetz nicht gerettet. Meine Damen und Herren, wir erklären heute die in den Anlagen des Gesetzes aufgeführten Tarifverträge rückwirkend für allgemeinverbindlich. Als Gesetzgeber gestalten wir also in diesem Fall nicht. Wir loten auch nicht aus, was möglich wäre. Demzufolge schauen wir uns auch nicht einzelne Betroffene an. Nach dem Inkrafttreten des Sozialkassenverfahrensicherungsgesetzes müssen dann aber alle kleinen und mittelständischen Unternehmen, die schon vor dem BAG-Urteil beitragspflichtig waren, Beiträge an die SOKA-BAU entrichten, selbst dann, wenn sie zuvor geklagt hatten. Darum appelliere ich an die handelnden Akteurinnen und Akteure der SOKA-BAU höflich, aber sehr deutlich: Lösen Sie das Geflecht aus Beitragsrückständen und Beitragsforderungen mit viel Augenmaß auf! Es ist niemandem gedient, wenn Beitragsrückstände mit Brachialgewalt geltend gemacht werden und damit Betriebe in den Ruin getrieben werden; denn dann stünden bald viele Beschäftigte auf der Straße. Das gilt es zu verhindern. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Albert Stegemann [CDU/CSU]) Mit der Verbändevereinbarung vom 19. Januar 2017 ist der Weg zu einem verantwortungsbewussten Handeln geebnet worden. Jetzt kommt es darauf an, ihn gemeinsam zu beschreiten. Dem schließen wir uns an. Die Linke stimmt dem Gesetzentwurf zu. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) – Da darf auch mal die CDU klatschen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Karl Schiewerling ist jetzt der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Anja Karliczek [CDU/CSU]: Jetzt klatschen wir!) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist offenkundig, dass es hier und heute im Hohen Haus bei diesem Gesetzentwurf nicht um einen Gegensatz zwischen Regierung und Opposition geht. Es geht um ein Gesetz, das in dieser Form ein Novum ist. Zum ersten Mal heilen wir per Gesetz Tarifverträge, die als allgemeinverbindlich anerkannt worden sind, deren Allgemeinverbindlichkeit aber durch höchstrichterliche Rechtsprechung durch das Bundesarbeitsgericht am 21. September 2016 als nicht ordnungsgemäß in seinem Ablauf und in seinen formalen Bestimmungen angesehen wurde. Das ist mehr als ungewöhnlich. Es bestand die nicht geringe Gefahr, dass der Gesetzgeber im Nachhinein nicht nur in dieses Verfahren eingreift, sondern auch in die Inhalte dieser Tarifverträge. Wir haben ihr widerstanden. Wir haben nicht bewertet und werten auch nicht, was die Tarifvertragsparteien in ihren Tarifverträgen ausgehandelt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Dass ein Bundesarbeitsgericht zu dem Urteil kommt, dass es Formfehler gegeben hat und die Regelungen rückwirkend nicht gelten, ist für uns eine Herausforderung. Es geht darum – das wurde vorhin schon von meinen Vorrednern benannt –, die Menschen, die über die Sozialkassen Bau ihre Alterssicherung, ihre berufliche Ausbildung und ihre Urlaubsrückstellungen abgesichert haben, jetzt nicht ins Bodenlose fallen zu lassen. Nachdem das Gericht so entschieden hat, haben sich die Forderungen der Firmen an die Sozialkassen gehäuft. Deswegen droht die Gefahr der Überschuldung. Ob sie wirklich vor der Tür steht, können wir als Gesetzgeber nicht beurteilen. Wir sind schließlich keine Wirtschaftsprüfer, die in die Bücher schauen können. Wir haben uns lediglich angehört, was uns die Tarifpartner vorgetragen haben. Es geht nun darum, die Grundlagen zu sichern. Mir liegt allerdings sehr daran, deutlich zu machen, dass sich die CDU/CSU-Fraktion in dieser Frage mehr als schwergetan hat. Bei diesem Gesetz geht es nicht so sehr um Formfehler, sondern um die in den letzten Jahren entstandenen – um es vorsichtig zu sagen – erheblichen atmosphärischen Störungen zwischen den Sozialkassen Bau und den durch die Sozialkassen Bau tangierten. Über viele Jahre gab es zwar Gespräche zwischen den betreffenden Parteien, aber die Atmosphäre war sehr kühl. Aufgrund dieser Entwicklung haben sich im Verfahren bestimmte Dinge entladen. Ich halte es für richtig und gut, dass es uns als Unionsfraktion gelungen ist, die unterschiedlichen Partner an den Tisch zu bringen, sodass sich das Bauhauptgewerbe und das Baunebengewerbe endlich darauf verständig haben, wie sie in Zukunft die Dinge regeln können. Wohlgemerkt: Nicht der Gesetzgeber hat gesagt, was herauskommen soll. Vielmehr haben die Partner selbst verhandelt und entschieden, was herauskommen soll. Ich bin dankbar, dass dies möglich war. Ich halte das für richtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich kann mich dem Kollegen Birkwald nur anschließen, der die Sorge geäußert hat, dass nun die Betriebe, die rückwirkend zahlen müssen, vor großen Problemen stehen. Deswegen freue ich mich sehr, dass der Ausschuss für Arbeit und Soziales gestern mit großer Mehrheit eine Ausschusserklärung abgegeben hat, die eindeutig die Forderung an die Sozialkassen Bau enthält – dazu hat sich die SOKA-BAU selbst verpflichtet –, diejenigen Betriebe, die geklagt haben, nicht auf der Grundlage des heute verabschiedeten Gesetzes rückwirkend zur Zahlung von Beiträgen zu zwingen, sondern sie von den Forderungen freizustellen. Ich halte das für richtig. Ich rate den Sozialkassen Bau, dieses Verfahren zügig anzugehen. Wir haben das in unserer Erklärung entsprechend deutlich gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Wir haben noch etwas anderes deutlich gemacht und unterstrichen. Niemand soll sich jetzt einbilden, dass die Verwerfungen und die atmosphärischen Störungen, die sich in den letzten Jahren aufgebaut haben, durch das Gesetz, dessen Entwurf wir heute verabschieden, automatisch beendet sind. Es ist nun Aufgabe der Sozialkassen, der Idee, die zu ihrer Gründung geführt hat, die wir begrüßen und die in der deutschen Tariflandschaft eine Einmaligkeit darstellt – das hat der Kollege Rützel sauber dargelegt –, durch ein anderes, gesellschaftlich verantwortliches und partnerschaftlich sinnvolles und gutes Handeln – und zwar in Zusammenarbeit mit denjenigen, die davon betroffen sind – zu neuer Blüte zu verhelfen und für eine bessere Akzeptanz zu sorgen; das ist unser Ziel. Mit solchen Selbsthilfen wollen wir die Akzeptanz erhöhen. Mit dem Gesetz leisten wir dies. Ich danke Ihnen. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste spricht die Kollegin Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz ist dringend notwendig; denn sonst wären die Sozialkassen in der Bauwirtschaft existenziell gefährdet. Die Beschäftigten und die Betriebe vertrauen darauf, dass die SOKA-BAU weiter existiert. Dabei geht es um so wichtige Leistungen – es wurde schon angesprochen – wie Zusatzrenten, Ausbildung und Urlaubsansprüche. Vor diesem Hintergrund beschließen wir heute über den Gesetzentwurf nach einem kurzen, aber aufgrund der öffentlichen Anhörung auch transparenten Verfahren. Wir beschließen es einstimmig, und das ist wichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade im Baugewerbe brauchen die Beschäftigten besondere Unterstützung. Wo sonst verhageln Unwetter ganze Arbeitstage? Wo sonst sorgen Wintereinbrüche für Baustopps und vorübergehende Arbeitsausfälle? Kaum eine andere Branche ist so vom Wechsel und von saisonalen Schwankungen geprägt. Die Beschäftigten der Bauwirtschaft brauchen die SOKA-BAU. Aus diesem Grund unterstützen wir Grüne bei diesem Gesetzentwurf das schnelle Handeln der Bundesregierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Solche gemeinsamen Einrichtungen funktionieren nur mit allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen, die für alle gelten, also auch für die nicht tarifgebundenen Betriebe. Das war in der Vergangenheit eine Selbstverständlichkeit. Das Bundesarbeitsgericht hat nun aber entschieden, dass die Tarifverträge rückwirkend nicht mehr als allgemeinverbindlich gelten. Das sorgt jetzt für erhebliche Rückzahlungsforderungen und Turbulenzen, und das bringt die SOKA-BAU massiv in Bedrängnis. Deswegen ist eine schnelle Lösung unbedingt erforderlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Gründe für das Urteil sind rein formaler Natur; das wurde schon kurz angesprochen. Die Richter beziehen sich zum einen auf das damals noch gültige Quorum von 50 Prozent. Zum anderen bemängeln sie, dass die damaligen Bundesminister sich nicht persönlich um die Allgemeinverbindlicherklärung gekümmert haben. Das öffentliche Interesse – und das ist wichtig – an den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen wurde aber nicht infrage gestellt; es wurde vielmehr bestätigt. Deshalb war die Bundesregierung in der Pflicht, zu handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Regelungen der Tarifverträge werden jetzt rückwirkend für alle Arbeitgeber gesetzlich angeordnet. Materiell bleibt alles beim Alten. Das Gesetz übernimmt den Anwendungsbereich der Tarifverträge. Es wird formal eine Rechtsgrundlage für das Sozialkassenverfahren geschaffen. Das unterstützen wir. Während der Beratung – das wurde schon angesprochen – gab es auch lautstarke Kritik am Sozialkassenverfahren. Dabei ging es um Inhalte, Fristen und Abgrenzungen, also um die materielle Ausgestaltung. Hier muss neu verhandelt, nachverhandelt werden. Es wäre gut, wenn der alte Streit endlich begraben würde. Dafür gibt es die Vereinbarung, die schon genannt wurde. Aber schlussendlich ist das nicht Sache der Politik, sondern Sache der Sozialpartner. Für uns war bei der ganzen Debatte entscheidend, dass das Sicherungsgesetz verfassungskonform ausgestaltet ist. Deshalb wollten wir auch eine Sachverständigenanhörung im Ausschuss. Dort waren alle Rechtswissenschaftler einhellig der Meinung: Das Gesetz verstößt nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben. – Niemand – wir haben extra nachgefragt – konnte uns eine andere gesetzliche Alternative aufzeigen. Vor diesem Hintergrund werden auch wir dem Gesetzentwurf heute zustimmen; denn von der SOKA-BAU profitieren einfach extrem viele Beschäftigte – die Zahlen wurden genannt – und viele Betriebe. Vor allem profitieren mehr als 35 000 junge Menschen von der überbetrieblichen Ausbildung. Der Erhalt der gemeinsamen Einrichtungen im Baugewerbe ist also politisch geboten. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich betone ganz zu Anfang: Die SOKA-BAU als solche ist das Ergebnis gelebter Tarifpartnerschaft. Wünschenswert wäre, wenn alle Branchen Derartiges, natürlich zugeschnitten auf ihre jeweiligen Bedürfnisse, regeln würden. Dann hätten wir als Gesetzgeber manche Dinge nicht zu regeln. Auf die Regelungsinhalte haben der Kollege Rützel und einige andere Redner schon hingewiesen. Darauf darf ich verweisen. Der gesamte Prozess hat allerdings gezeigt, dass es in diesem Bereich noch viele Aufgaben zu erledigen und auch zu verteilen gibt. Wenn vorgetragen wird, dass es sich hier um rein formale Probleme handelt, die das Bundesarbeitsgericht in seinen Beschlüssen vom 21. September 2016 aufgeführt hat, dann stimmt das nicht ganz. Es ist natürlich interessant, zu wissen, was im Urteil steht, aber was nicht im Urteil steht, ist genauso interessant. Mit diesem Gesetz wird zum Beispiel auch die Tariffähigkeit der Tarifpartner der Baubranche geregelt, die vom Bundesarbeitsgericht in der mündlichen Verhandlung infrage gestellt worden ist. Hier ist mein Appell an die Tarifpartner, dass die entsprechenden Aufgaben satzungsmäßig sofort und unverzüglich geregelt werden, damit die Zuständigkeiten geklärt sind. Darüber hinaus hat das Verfahren auch gezeigt, dass wir in der Branchenabgrenzung zwischen Bauhaupt- und Baunebengewerbe erhebliche Schwierigkeiten haben. Hier liegt der eigentliche Knackpunkt dieser Angelegenheit. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eigentlich nicht!) Die bisherigen Regelungen scheinen nicht zufriedenstellend zu sein, insbesondere für das Baunebengewerbe. Hier sei zum Beispiel die große Einschränkungsklausel genannt. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens konnte nun eine Verbändevereinbarung zwischen dem Bauhaupt- und dem Baunebengewerbe erreicht werden. Da hier schon darauf eingegangen wurde, nur in kurzen Stichpunkten: Beweislast bei der SOKA-BAU, Einrichtung einer Schlichtungsstelle und Einschränkung des Geltungsbereichs seitens der Bautarifverträge und der Tarifpartner vor dem Hintergrund der Kriterien Mitgliedschaft und Fachlichkeit. In der Ausschusserklärung ist ausdrücklich erwähnt, dass vonseiten der SOKA-BAU erwartet wird, dass die jeweiligen Beschwerdeführer vor dem Bundesarbeitsgericht von ihren Forderungen, die ihnen gegenüber geltend gemacht werden, freigestellt werden. Es lohnt sich, an dieser Stelle die Ausschusserklärung zu lesen. Der Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass er von der Baubranche erwartet, dass die Regelungen zügig angegangen und zeitnah umgesetzt werden. Meiner Ansicht nach sind weitere Regelungen auf den Prüfstand zu stellen, zum Beispiel Rückforderungen über vier Jahre oder auch Rückforderungen mit einer 12prozentigen Verzinsung. Das sind Dinge, die die Unternehmen existenziell bedrohen, wenn sie von der SOKA-BAU in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus – es ist erwähnt worden – sollte die SOKA-BAU den Umgang mit den Betrieben prüfen, der zu erheblicher Kritik geführt hat. Die Baubranche muss sich auch noch einmal über den Leistungskatalog der SOKA-BAU Gedanken machen, insbesondere über die festgesetzten Voraussetzungen. Es ist doch so: Wenn ich im Rahmen der Diskussionen dieses Thema angesprochen habe, wurde mir immer gesagt, man solle nicht in Tarifverträge eingreifen. Allerdings haben hier die Tarifpartner den Wunsch an den Gesetzgeber gerichtet, gesetzgeberisch tätig zu werden, um die SOKA-BAU zu retten. Dann muss es dem Gesetzgeber doch erlaubt sein, hier entsprechende inhaltliche Anmerkungen zu machen. Die Verfassungsmäßigkeit ist angesprochen worden. Es ist richtig, dass im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Ausschuss keine Bedenken geäußert worden sind. Allerdings gibt es in der Literatur eine breite Meinung, die das anders sieht. Abschließend möchte ich auf einen Umstand hinweisen. Es geht um Kritik an den Richtern des Bundesarbeitsgerichts, die des Öfteren geäußert worden ist, insbesondere auch von den Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung – ich darf zitieren –, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war ein Unionssachverständiger!) „hier sei ein noch nicht ganz fertiger junger Prädikatsjurist am Werke gewesen, der aber die Folgen seiner Entscheidung nicht richtig eingeschätzt hat“. Derartige abfällige Bemerkungen über Bundesrichter lasse ich so nicht stehen. Ich betone für meine Fraktion ausdrücklich, dass sie unser Vertrauen genießen und auch unsere Wertschätzung. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Ursache dieser Angelegenheit liegt nicht bei den BAG-Richtern, sondern bei den handelnden Akteuren. Auf diese kommt nun viel Arbeit zu. Der Gesetzgeber geht in Vorleistung. Ich erwarte, dass diese Aufgaben bewusst angegangen und im Sinne der Vernunft und des Rechtsfriedens aller bewältigt werden. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache. Auch wenn alle Fraktionen zugesichert haben, zuzustimmen, müssen wir formal abstimmen über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe. Hierzu liegen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.5 Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11001, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/10631 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? Drei Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion. Wer enthält sich? – Eine Enthaltung von Herrn Oellers. Trotzdem ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen worden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Opposition bei Gegenstimmen aus der CDU/CSU-Fraktion und einer Enthaltung aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Patientenberatung unabhängig und gemeinnützig ausgestalten Drucksachen 18/7042, 18/9979 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte Sie, die Plätze zügig einzunehmen. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Reiner Meier, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Reiner Meier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute die erste Debatte zu Patientenrechten in diesem Jahr, und sie betrifft wieder einmal die Unabhängige Patientenberatung. Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst einmal beeindruckt das Alter der Vorlage, die unverändert aus dem vorletzten Jahr datiert. Des Weiteren haben wir die UPD und ihre Neuvergabe im Ausschuss und im Plenum zwischenzeitlich so oft behandelt, dass eigentlich alles darüber gesagt ist, insbesondere weil Ihr Antrag auch keine wirklich neuen Gedanken formuliert. Schließlich wird im Antrag bereits eine Neuausrichtung der UPD gefordert, noch bevor der Träger seine Arbeit aufgenommen hatte. Diese Fähigkeit zur Hellseherei finde ich bemerkenswert. Meine Damen und Herren, ich möchte daran erinnern, dass es die Regierungskoalition war, die im Jahr 2014 die Laufzeit der UPD von bisher fünf auf sieben Jahre verlängert hat. Gleichzeitig wurde die Finanzausstattung von 5 Millionen auf 9 Millionen Euro fast verdoppelt. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Genau! Das gehört zur Wahrheit dazu!) Wir haben das Angebot der UPD nicht nur deutlich ausgeweitet, sondern haben auch ganz entscheidende Schritte unternommen, es zu verstetigen. Das ändert aber nichts an meiner festen Überzeugung, dass die Ausschreibung auch bei einer dauerhaft gesicherten Finanzierung das richtige Instrument zur Weiterentwicklung der UPD ist und auch bleibt. Ein gesunder Wettbewerb bringt Innovationen und einen Anreiz, immer wieder besser als der Status quo zu sein. Dieses Potenzial sollten wir den Patienten nicht vorenthalten. Aus demselben Grund kann ich auch Ihrem Vorschlag wenig abgewinnen, die UPD dauerhaft an die Organisationen nach § 140f SGB V zu vergeben. Es stellt sich nämlich schon ganz grundsätzlich die Frage, ob die Unabhängige Patientenberatung – dabei handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag – überhaupt ohne Ausschreibung vergeben werden dürfte. In jedem Fall ist es ein ganz fragwürdiges Vorgehen, wenn man eine Ausschreibung abschaffen will, nur weil einem das Ergebnis nicht passt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz auf den Patientenbeauftragten eingehen. Wenn man sich Sinn und Zweck des Amtes vor Augen führt, muss jedem klar werden, dass es nur in der Bundesregierung richtig verortet ist. Es gilt nämlich auch hier der Grundsatz der Gewaltenteilung. Ein Patientenbeauftragter des Bundestages dürfte keine Kompetenzen haben, die über jene des Bundestages hinausgehen. Auch mit dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages wäre ein solcher Patientenbeauftragter in keiner Weise vergleichbar. Das Amt des Wehrbeauftragten folgt aus der besonderen verfassungs- und dienstrechtlichen Stellung unserer Soldatinnen und Soldaten. Das lässt sich ganz offensichtlich nicht auf unser Gesundheitswesen übertragen. Und ein rein symbolisches Organ des Bundestages zu schaffen, das erscheint mir deshalb, mit Verlaub, völlig überflüssig. Ich hoffe im Übrigen, dass der aktuelle Patientenbeauftragte mit seinem unermüdlichen Einsatz für die Patienten in unserem Land Ihren Antrag inzwischen entbehrlich gemacht hat. Gestatten Sie mir an dieser Stelle, unserem Patientenbeauftragten Karl-Josef Laumann, der ein leidenschaftlicher Anwalt des Patientenrechtes in unserem Land ist, den gebührenden Dank zukommen zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Helga Kühn-Mengel [SPD]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben mit der UPD eine gute und effektive Institution, die vielen Bürgern in unserem Land tagtäglich wertvolle Unterstützung und Orientierung gibt. Ich bin überzeugt, dass die Strukturen der UPD schon heute dazu beitragen, dass sie sich stetig weiterentwickelt und stetig besser wird. Für Ihre Forderungen sehe ich deshalb aktuell keine Grundlage. Aus diesem Grund werden wir Ihren Antrag heute ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Linke spricht jetzt Kathrin Vogler. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Hunderte von Patientinnen und Patienten haben in den letzten Jahren allein bei mir im Büro angerufen, weil sie Hilfe suchten im Umgang mit Krankenkassen, mit Krankenhäusern, mit Ärztinnen und Ärzten. Ich glaube, alle Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss kennen das. Da war es ein richtiger Lichtblick, als vor sechs Jahren endlich die UPD, die Unabhängige Patientenberatung Deutschland, mit über 20 Beratungsstellen und einer telefonischen Hotline vom Projektversuch zur Regelleistung wurde – kostenfrei zugänglich für jede und jeden. Herr Kollege Meier, es ist ja bekannt, dass gerade wir Linke generell kritisch eingestellt sind gegenüber der Tendenz, alles im Gesundheitswesen, womit man irgendwie Profit machen könnte, zu privatisieren. (Beifall bei der LINKEN) Dass allerdings auch noch die Patientenberatung privatisiert werden könnte, das haben wir uns nicht vorstellen können, selbst in unseren schlimmsten Albträumen nicht. (Reiner Meier [CDU/CSU]: Das ist eine gemeinnützige GmbH!) Und doch ist es geschehen: Die Krankenkassen, die über die Vergabe der UPD entscheiden, haben mit Zustimmung des Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann von der CDU, vor einem Jahr entschieden, die UPD an einen privaten Callcenterbetreiber zu vergeben. Ich halte das nach wie vor für einen der größten gesundheitspolitischen Skandale dieser Wahlperiode. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Seit einem Jahr arbeitet diese neue UPD-Gesellschaft. Der WDR hat kürzlich untersucht, was die Ratsuchenden dort erwartet. Das ist einigermaßen ernüchternd. Tatsächlich ist die Hotline gut erreichbar. Aber das ist ja wohl das Mindeste, was man erwarten kann, wenn man die Zuwendungen fast verdoppelt und das Ganze an einen Callcenterbetreiber vergibt. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber auch nicht schlecht, Frau Kollegin!) Zudem werden nicht mehr Ratsuchende erreicht. Effizient werden die 9 Millionen Euro aus der GKV offenbar nicht genutzt. Die Zahl der lokalen Beratungsstellen wurde ebenfalls erhöht. Das haben wir immer gefordert. Doch diese sind nur stundenweise besetzt. Sie haben oft nicht einmal ein eigenes Türschild. Und auf einen Termin muss man auch einmal zwei Wochen warten. (Reiner Meier [CDU/CSU]: Ist das auch schlecht?) Das Schlimmste ist: Die Beratungsqualität hat schwer gelitten, weil der neue Anbieter nicht über die erfahrenen Beraterinnen und Berater der alten UPD, die von Patienten- und Verbraucherschutzorganisationen getragen wurden, verfügt. So wurden den Ratsuchenden teilweise am Telefon andere Auskünfte erteilt als in der persönlichen Beratung oder per E-Mail. Die Beraterinnen und Berater wussten häufig auch nichts über lokale weiterführende Hilfe- und Beratungsangebote. Das ist ja kein Wunder, wenn Sie heute in Münster, morgen in Bielefeld und übermorgen in Dortmund arbeiten müssen. Das ist ein grundsätzliches Problem des Ausschreibungsverfahrens auf Zeit. Bei jedem Anbieterwechsel gehen wichtige Kompetenzen verloren. Vor allem kann man die Vernetzung vor Ort nicht ohne Weiteres schnell wieder aufbauen. Die Linke sagt: Patientenberatung darf nicht zum Renditeobjekt werden, sondern muss ausschließlich dem Wohl der Patientinnen und der Patienten und dem Gemeinwohl dienen. (Beifall bei der LINKEN – Reiner Meier [CDU/CSU]: Wird es auch nicht!) Das können die gemeinnützigen Organisationen, die für die Vertretung von Patienteninteressen anerkannt sind, am besten. (Reiner Meier [CDU/CSU]: Auch eine gemeinnützige GmbH!) Und deshalb fordern wir, die Unabhängige Patientenberatung dauerhaft von diesen Organisationen durchführen zu lassen, die schon von ihrer eigenen Motivation her viel näher an den Interessen der Patienten sind. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt zur Finanzierung. Das Sozialgesetzbuch V regelt, dass die gesetzlichen Krankenkassen die UPD finanzieren müssen. Die Privatversicherungen können sich freiwillig beteiligen. Es sind aber auch Privatversicherte oder Nichtversicherte, die bei der UPD Rat suchen. Deswegen ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Linke hält es für angebracht, dass wir das aus Steuermitteln finanzieren. (Beifall bei der LINKEN) Damit müssen wir übrigens nicht bis 2023 warten, bloß weil die Sanvartis-UPD den Zuschlag für sieben Jahre erhalten hat. Bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss haben wir gehört, dass der Vertrag bei einer neuen Rechtslage automatisch ausläuft und kein finanzieller Schaden für die Krankenkassen entsteht. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie ruhig über Ihren Schatten springen und unserem Antrag zustimmen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Helga Kühn-Mengel für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Helga Kühn-Mengel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Besuchertribüne! Wir beraten ein wichtiges Thema, auch wenn es nur einen kleinen zeitlichen Rahmen erhält. Aber hier geht es um einen Aspekt der Versorgung, nämlich den Patienten und die Patientin im Gesundheitssystem besser zu informieren. Wir haben immer gesagt – ich habe es hier immer wieder für meine Fraktion gesagt und will es wiederholen –: Die gut informierten Patienten und Patientinnen bewegen sich nicht nur selbstbewusster im System, sondern auch ökonomischer. Alle profitieren davon, wenn man Wissen verstärkt. Im Jahre 2000 – Frau Präsidentin, Sie wissen das noch – wurde die Unabhängige Patientenberatung Deutschland beschlossen und in das Gesetz aufgenommen; zunächst als Modellprojekt, weil man sich noch nicht richtig vorstellen konnte, wie es funktionieren sollte. Es gab damals vieles von dem, was wir heute haben, noch nicht. Es gab kein IQWiG, ein Institut, das mehr Transparenz in die Versorgung bringen sollte, bezogen auf Arzneimittel. Es gab kein IQTIG, eine Institution, die Transparenz in die Krankenhausabläufe bringen sollte. Es gab noch keine strukturierten Behandlungsprogramme, die definierten, was zu einer guten Versorgung gehört. Es gab übrigens auch noch keinen Patientenbeauftragen. Vieles andere, was in der Folgezeit in Sachen Qualität entwickelt worden ist, war auf dem Weg, aber noch nicht beschlossen. Es gab aber ein Gesundheitssystem, das sich als ein System mit Über- und Unter- und Fehlversorgung darstellte. Es gab sehr viel Undurchsichtiges, wenig Koordination und Kooperation. Stark ausgeprägte Sektoren gibt es heute noch, und an den Sektorengrenzen gehen immer Informationen für die Patienten und auch Geld verloren. All das hat dazu geführt, dass gesagt wurde: Wir brauchen so etwas wie eine unabhängige Patientenberatung. Zunächst war es, wie gesagt, ein Modellprojekt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Ja, das verdient einen Applaus. Ich habe mich in einigen Ländern in Europa ein wenig umgesehen und festgestellt: Etwas, was mit der Patientenberatung, die wir hier hatten, vergleichbar ist, gibt es nicht. Es gibt so etwas in Ansätzen in skandinavischen Ländern, auch in den Beneluxstaaten. Vergleichbares hatte England im Rahmen des National Health Service. Dort hat man aber irgendwann stattdessen ein Callcenter eingesetzt, und seitdem ist keiner mehr damit glücklich. Unsere UPD hat sich aber gut entwickelt. Am Anfang hatte sie übrigens auch noch keine beeindruckende Qualität, aber sie wurde mit wirklich viel Engagement stetig verbessert. Das war schon ein sehr gutes Angebot für die Nutzer und Nutzerinnen des Systems. (Beifall der Abg. Hilde Mattheis [SPD] und Kathrin Vogler [DIE LINKE]) – Frau Mattheis, Sie sind heute fast alleine damit, aber Sie überzeugen mich sehr mit Ihrem Beifall. (Beifall bei der SPD – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist qualitativer Beifall!) Der Kollege von der CDU/CSU hat es deutlich gemacht: Nach und nach wurde das System immer weiter ausgebaut: Erhöhung der Zahl der Beratungsstellen auf 31, der Mittel von 5 auf 9 Millionen Euro; im Jahre 2011 wurde das Angebot zur Regelleistung. All das waren wichtige Schritte – ebenso die Verlängerung der Förderdauer; denn wir wollten eine Verstetigung erreichen, (Hilde Mattheis [SPD]: Ja!) damit die Mitarbeiter wussten, dass sie bleiben und ihre Kompetenz weiterentwickeln konnten. Ich sage ganz offen – es ist ja auch gegen Ende einer Legislatur durchaus sinnvoll, dass man mal sagt, ob alles richtig war –: Ich hätte nicht gedacht, dass ein solcher Anbieter mit der Patientenberatung beauftragt würde. Wir alle haben sozusagen im Common Sense gedacht, der Auftrag könne ja nur weiter an den bisherigen Anbieter gehen. (Mechthild Rawert [SPD]: Ein Teil hat das gedacht!) – Ich will jetzt gar nicht streng sein. Ich sage nur, was viele gedacht haben, nämlich dass die Patientenberatung bei denen verbleibt, die den Qualitätsaufbau, die Qualitätssicherung und auch die Evaluation wirklich immer weiter verstärkt haben. Jetzt war ein Auditor beim neuen Träger. Natürlich waren durchaus einige Punkte festzustellen: Die Erreichbarkeit wurde verbessert, nicht räumlich, sondern telefonisch, aber alle Zahlen, die vorgegeben worden sind, wurden noch nicht erreicht – das muss man sehen. Aber das Allerwichtigste – das sage ich auch im Namen meiner Fraktion – ist und bleibt die Unabhängigkeit der Patientenberatung. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Deswegen sollte in der nächsten Legislatur doch noch einmal darüber nachgedacht werden, wie dieses Angebot ausgestaltet werden kann. Auch die Experten und Expertinnen haben das bei der Anhörung deutlich gemacht und eine Neuordnung gefordert. Wir von der SPD sagen: Das muss Bestandteil neuer Verhandlungen sein. (Beifall bei der SPD) Darüber muss man diskutieren. Das ist jetzt keine große Kritik, sondern ein Hinweis auf eine Notwendigkeit. Ihrem Antrag können wir nicht zustimmen. Man kann nicht alles Mögliche infrage stellen und mal eben eine Finanzierung der Patientenberatung mit Steuermitteln und die Einrichtung des Amts des Patientenbeauftragten des Deutschen Bundestages fordern. Das muss man mit Ruhe machen. Man muss sehen, was sich bewährt hat und was nicht. Und ich sage es noch einmal: Dass eine solche Stelle Patienten und Patientinnen berät, ist gut. Die Unabhängigkeit müssen wir als noch höheres Gut ansehen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Und die Qualität nicht vergessen!) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Reiner Meier [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt spricht für Bündnis 90/Die Grünen Maria Klein-Schmeink. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht das erste Mal, dass wir über die Unabhängige Patientenberatung sprechen, (Tino Sorge [CDU/CSU]: Es wäre auch schlimm, wenn wir zum ersten Mal darüber reden würden!) und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir noch häufiger darüber sprechen müssen. Gleichzeitig muss man aber auch sagen: Die Ziele, die im vorliegenden Antrag der Linken niedergelegt sind – die Verstetigung der Unabhängigen Patientenberatung, die Trägerschaft durch die von uns gesetzlich bestimmten Patientenverbände, die im SGB V als die Patientenverbände festgelegt sind, die in den Gremien der Selbstverwaltung vertreten sind, die Sicherung der Unabhängigkeit und die Stärkung des Amtes des Patientenbeauftragten oder der Patientenbeauftragten der Bundesregierung –, sind in sich sinnvolle Ansätze, die sicherstellen, dass wir das, was wir hier alle immer so schnell betonen, nämlich den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, strukturell und durch konkrete Maßnahmen auch tatsächlich unterlegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) In dieser Wahlperiode gibt es in diesem Bereich allerdings erhebliche Mängel. Wir haben 2011 einen wichtigen Schritt gemacht und aus der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland ein Regelangebot gemacht. Wir haben gesagt: Zu den Aufgaben unserer Krankenversicherung gehört es, dafür zu sorgen, dass die Patienten eine wirkungsvolle Struktur vorfinden, innerhalb der sie ihre Beteiligungsrechte auch ausüben können, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wo Informationen für sie bereitgestellt werden, wo sie sozusagen Anwälte finden, die sie empathisch und unabhängig in ihrem Sinn beraten und unterstützen. Das, meine Damen und Herren, war nach 15 Jahren eigentlich der Stand der Dinge, auf den wir uns fraktionsübergreifend geeinigt hatten. Eigentlich! Es gab einen Patientenbeauftragten, der sich wirklich als Anwalt der Patienten verstanden hat und das Konzept genau umgesetzt hat. Dafür hatte er immer meinen höchsten Respekt und meine höchste Anerkennung; das muss ich ganz klar für die letzte Wahlperiode sagen. (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Dann haben wir, nachdem unendlich oft evaluiert, ausgewertet und geprüft worden ist, gesagt: Ja, wir müssen etwas dafür tun, dass die Beratungsstellen auch in die Fläche kommen, damit wir mehr Anlaufstellen haben. Wir haben gesagt: Wir müssen das große Manko, das wir haben – wir konnten den tatsächlichen Bedarf nicht decken –, beheben. Diesen Schritt haben Sie als Große Koalition sogar getan. Aber was haben Sie gleichzeitig gemacht? Sie erhöhen die Mittel von 5 Millionen auf 7 Millionen Euro (Reiner Meier [CDU/CSU]: 9!) – auf 9 Millionen –, aber schließen gleichzeitig einen Vertrag mit längerer Laufzeit mit einem privaten Callcenter. Was hat das eigentlich zu bedeuten? Man hat echten Kahlschlag an einer ganz wichtigen Struktur begangen, und das muss man Ihnen wirklich vorwerfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist absolut falsch!) Schauen wir uns die gesamten Bewertungen, die es gibt, an. Wir haben mehrere Anfragen, auch Kleine Anfragen, gestellt. Es wurde deutlich: Die Versprechen, die der private Anbieter im Ausschreibungsverfahren getätigt hat, sind nicht halbwegs erfüllt worden. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch nicht bewiesen!) Im Ausschreibungsverfahren war die Rede von 200 000 Beratungskontakten. Man hat noch nicht einmal das geschafft, was bis dahin die alte UPD mit weniger Mitteln und mit weniger Menschen geschafft hatte. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Nach wie vielen Jahren? Das ist das erste Jahr!) Sie haben vertraglich festgelegt, dass der neuen UPD ein Übergangszeitraum von einem halben Jahr eingeräumt wird, um die Vertragspflichten zu erfüllen. Aber nach einem halben Jahr war noch nicht einmal ein Bruchteil der Vertragsverpflichtungen erfüllt. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Deshalb muss man wirklich von einem Kahlschlag an einer sehr sinnvollen Struktur reden. Man muss den Finger in die Wunde legen und sagen: So kann es nicht weitergehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe die GKV und den Patientenbeauftragten angeschrieben und gefragt: Was macht ihr eigentlich? Uns liegen Zahlen vor, die belegen, dass die Ausschreibungszusagen nicht eingehalten worden sind. Dann wird gesagt: Bin ich nicht zuständig. – Der eine sagt: Ich bin nicht zuständig. – Der andere sagt ebenfalls, er ist nicht zuständig. So kann man nicht mit dem Geld der Versichertengemeinschaft umgehen. So darf das nicht weitergehen. Von daher werden wir weiter nachbohren: Werden die Zusagen erfüllt, die da vertraglich gegeben worden sind? Werden wir wirklich ein Beratungsangebot im Sinne der Patienten haben? Wir müssen heute leider sagen: Es hat eine Entwicklung eingesetzt, in deren Ergebnis wir ein Callcenter mit mehr oder weniger abstrakten Gesundheitsinformationen haben. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber der Einzelne mit seinem konkreten Behandlungs- und Fragebedarf, seinem Bedarf an psychosozialer Beratung, an rechtlicher Beratung bleibt auf der Strecke. So darf das nicht weitergehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt hat der Kollege Dr. Georg Kippels, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei der Vorbereitung der Rede entstand bei mir zunächst ein bisschen der Eindruck, dass man in erster Linie nur seinen Unmut darüber äußern wollte, dass aus rein ideologischen Gründen – und auch noch mit einem erheblichen Zeitverzug – einfach nur ein neuer Beteiligter im Gesundheitswesen kritisiert wird. Bei nochmaliger Betrachtung bin ich dann allerdings zu der positiven Einschätzung gelangt, dass der Antrag mir und uns heute in der Debatte die Gelegenheit gibt, einmal die Vorzüge und die Funktionstauglichkeit der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland zu bewerben und auch den Zuhörerinnen und Zuhörern da oben auf der Besuchertribüne näherzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Insofern herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Aber ich kann Ihnen nicht so ganz ersparen, auch einige Punkte in dem Antrag zu kritisieren. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schade eigentlich!) Wenn da die Rede davon ist, dass eine Entziehung der Aufgabenstellung passiert, dass eine Zerschlagung von Strukturen vorgenommen wird, so sind dies alles Szenarien der Entrechtung der Patienten. Es ist nun sicherlich nicht weiter verwunderlich, dass Sie mit Strukturen wie einem Wettbewerb und Ausschreibungen grundsätzlich Probleme haben und die eine oder andere gesellschaftsrechtliche Struktur, beispielsweise die gemeinnützige GmbH, wie auch vom Kollegen Meier mehrfach erwähnt, in Ihrem Vorstellungskatalog bedauerlicherweise nicht regelmäßig vorkommt. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was sagt ein guter Unternehmer zu den Lizenzgebühren?) Fakt ist zunächst, dass die Prüfung des Vergabeverfahrens durch die zuständige Vergabekammer in einem ordnungsgemäßen rechtsstaatlichen Verfahren zu keinerlei Beanstandung geführt hat. Sowohl das Verfahren selbst als auch das Ergebnis sind völlig diskriminierungsfrei gelaufen bzw. erzielt worden. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!) Bezeichnend ist allerdings, dass die alte UPD es nicht geschafft hat, sich an diesem Verfahren rechtswirksam zu beteiligen. Insofern finde ich es außerordentlich unangebracht, dass – in gewisser Weise in vorauseilendem Gehorsam – die Funktionstauglichkeit, die Leistungsfähigkeit und eben auch die Qualität der neuen UPD schon in Zweifel gezogen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Bemerkenswert ist immerhin, dass die alte UPD über einen Zeitraum von insgesamt neun Jahren die Möglichkeit hatte, tätig zu sein, während wir jetzt schon nach knapp zwölf Monaten das abschließende vernichtende Urteil hören, dass die neue UPD den neuen Aufgabenstellungen nicht gerecht wird. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Kippels, darf ich Sie einmal unterbrechen? – Die Kollegin Klein-Schmeink möchte Ihnen gern eine Frage stellen. Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Bitte sehr. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kippels, Sie sprachen davon, dass die neue UPD vorauseilend kritisch hinterfragt und sozusagen verdammt werde. Davon kann nicht die Rede sein, wenn wir ganz klar Fragen stellen wie: Was hat die alte UPD gemacht, und was hat die neue UPD in ihrem Angebot versprochen? Ich habe der Bundesregierung Fragen übersandt und um Auskunft gebeten. Wenn ich dann sehe, dass die Beratungszahlen der alten UPD, die erheblich weniger Mittel zur Verfügung hatte, nach einem halben Jahr höher waren als die der neuen UPD, aber so gut wie keine persönliche Beratung vor Ort anzutreffen war, sondern im Wesentlichen Telefonberatung stattfand, dann muss ich deutlich sagen, dass die Zahlen, mit denen das Angebot gearbeitet hat – und die ja auch den Zuschlag erwirkt haben –, in keinster Weise erfüllt sind. Angesichts dessen kann man nicht von einer Vorabverurteilung reden. Wir haben uns lediglich den gesetzlich und vertraglich gesicherten Zeitraum angeschaut und feststellen müssen: Es gibt erhebliche Differenzen zwischen dem, was zugesagt war, und dem, was eingelöst worden ist. Außerdem wissen wir nicht, wie viele Mittel überhaupt für Personal bereitgestellt werden. Auch das können wir nicht erfahren. Das ist eine Blackbox. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Ist das jetzt eine Frage oder ein Statement?) Da kann man nicht von einer Vorverurteilung reden, sondern man muss sagen: Die Zahlen, die uns vorliegen, zeigen ganz deutlich, dass der Vertrag nicht erfüllt wird. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Frau Kollegin Klein-Schmeink, meine Ausführungen bezogen sich explizit auf die Formulierungen im Antrag der Kolleginnen und Kollegen der Linken, und der ist nun einmal datiert auf November 2015. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Anfrage können Sie lesen!) Die UPD hat ihre Tätigkeit am 1. Januar 2016 aufgenommen. Wir haben inzwischen, auch auf Ihre Nachfrage hin – die Frage als solche ist ja durchaus legitim und berechtigt –, einige Zwischenwerte bekommen. Wir werden – dazu werde ich gleich noch ein paar Bemerkungen machen – über die Kontrollinstrumente sicherlich Erfahrungen sammeln. Wir werden auch Auswertungen erhalten, die hier im Hause zweifelsohne zu debattieren sein werden. Ich glaube, wir dürfen sicher sein, dass Staatssekretär Laumann im Rahmen seiner mitwirkenden Kontrollmöglichkeit ein waches Auge darauf haben wird, dass das, was in der Ausschreibung niedergelegt worden ist, zeitnah erfüllt wird. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hoffe, dass „zeitnah“ in dieser Wahlperiode meint!) Ich fahre fort und bleibe beim Thema Kontrollinstrumente. In der neuen Konstruktion haben wir immerhin einen wissenschaftlichen Beirat, der im Zusammenwirken von Patientenbeauftragtem, Patientenvertretern, dem GKV-Spitzenverband und unabhängigen Wissenschaftlern sowie Vertretern von Interessensverbänden die Kontrollfunktion ausübt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein großer Teil hat diesen Beirat verlassen, aus Protest!) Ich denke, dass auf diese Art und Weise nicht nur den inhaltlichen Ansprüchen, sondern auch den öffentlichen Interessen Rechnung getragen wird. Die Forderung nach Transparenz ist damit erfüllt. Die Funktion des Auditors wird jetzt wahrgenommen von der Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung, gsub, einem renommierten Unternehmen der sozialen Unternehmensberatung. Aus unserer Sicht werden deshalb Unabhängigkeit, Neutralität und Transparenz nicht nur gewahrt, sondern sie wurden gegenüber der vorherigen Situation auch deutlich gestärkt. Ich komme an dieser Stelle, wie einleitend angekündigt, zum Werbeblock für die UPD. Ich denke, das schuldet man dieser Institution nicht nur, sondern sie hat das erkennbar auch verdient. Schon beim ersten Blick auf die ausführliche Webseite wird klar, dass dort vorbeugend, vorsorgend eine Vielzahl von aktuellen Informationen niedergelegt ist, und zwar in verschieden Infoblöcken zu aktuellen Themenfeldern, sodass sich so manche konkrete Anfrage vielleicht durch einen Blick auf die Internetseite erübrigt. Ein leichter und guter Zugang zu den Angeboten war unser Anspruch. Sämtliche modernen Medien werden bedient. Neuerdings gibt es auch eine eigens entwickelte App. Die gute Erreichbarkeit war ein maßgeblicher Faktor. Wir sind sehr wohl der Meinung, dass die zusätzlichen Beratungsstellen, die längeren Öffnungszeiten und die bessere telefonische Erreichbarkeit zeigen, dass die Optimierungsversuche erfolgreich waren. Insgesamt ist inzwischen eine Erreichbarkeit von 90 Prozent gegeben. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Telefonisch! Ausschließlich telefonisch!) Man muss jetzt durchschnittlich 1,5mal anrufen, um beim Anbieter zu landen; das waren vorher 2,8 Anrufe. Auch sprachliche Barrieren konnten durch die Einrichtung von Auskunftsmöglichkeiten in russischer und arabischer Sprache verringert werden, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In zwei Wochen Bearbeitungsfrist für einen einzelnen Testanruf!) im Übrigen durch einen Beitrag der PKV. Professionalität ist auch gegeben. Ich bin der Meinung, dass wir mit diesem neuen Format, das sich natürlich bewähren muss, den Weg in die richtige Richtung eingeschlagen haben. Das war eine richtige und wichtige Entscheidung. Wir sind an dieser Stelle gehalten, für diese Institution insgesamt zu werben. Wir sollten sie empfehlen, und wir sollten sie vor allen Dingen natürlich intensiv in Anspruch nehmen. Deshalb richte ich meinen Dank an die Kolleginnen und Kollegen der Linken für die Möglichkeit der Bewerbung. Aber dem Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen, können wir beim besten Willen nicht zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Jetzt kann ich trotz des Lobes nicht klatschen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Wir sind damit am Ende der Aussprache angelangt. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Patientenberatung unabhängig und gemeinnützig ausgestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9979, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7042 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) Drucksachen 18/10605, 18/10817, 18/10924 Nr. 1.17 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/11009 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Versicherten sorgsam umgehen – Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Drucksachen 18/10630, 18/8394, 18/11009 Zu diesem Tagesordnungspunkt sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe hier keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.6 Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11009, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10605 und 18/10817 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das sind die Opposition und ein Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit dem gleichen Stimmenverhältnis ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung angenommen. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 18/11009 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10630 mit dem Titel „Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8394 mit dem Titel „Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Versicherten sorgsam umgehen – Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Ausbildung – Gute Arbeit – Gute Pflege Drucksachen 18/7414, 18/11003 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Integrative Pflegeausbildung – Pflegeberuf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten Drucksachen 18/7880, 18/11004 Interfraktionell wurde vereinbart, 25 Minuten für die Aussprache vorzusehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Der Abtrünnige!) Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit den Titeln „Gute Ausbildung – Gute Arbeit – Gute Pflege“ und „Integrative Pflegeausbildung – Pflegeberuf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten“ enthalten inhaltlich viele Punkte, die Dr. Nüßlein, Erwin Rüddel und ich in unserem Kompromissvorschlag erarbeitet haben. Deshalb sehen wir keine Notwendigkeit, diesen beiden Anträgen hier zuzustimmen. Uns eint die Überzeugung, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass in die Pflegeausbildung investiert werden muss, dass sie zukunftsfest gemacht werden muss, und hier sind wir übereinstimmend unterwegs. Ich bin überrascht, wie massiv und nahezu nicht fähig, einen Kompromiss einzugehen, sich Befürworter und Gegner der Generalistik hier gegenüberstehen. (Mechthild Rawert [SPD]: Es gibt eine Kabinettsvorlage! Das ist schon ein Kompromiss!) Aus meiner Sicht würden wir mit diesem Kompromiss sowohl den Befürwortern als auch den Gegnern der Generalistik eine Perspektive aufzeigen. (Petra Crone [SPD]: Ich kann mich an keinen Kompromissvorschlag erinnern!) Ich darf den entsprechenden Passus aus dem Koalitionsvertrag hier noch einmal verlesen, weil er einigen, die ihn mit verhandelt haben, offenbar nicht mehr geläufig ist – ich zitiere –: Wir wollen die Pflegeausbildung reformieren, indem wir mit einem Pflegeberufegesetz ein einheitliches Berufsbild mit einer gemeinsamen Grundausbildung und einer darauf aufbauenden Spezialisierung für die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege etablieren. So steht es hier im Koalitionsvertrag. Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass meine Fraktion und auch ich eine sinnvolle generalistische Einbindung der Elemente in die neue Pflegeausbildung durchaus befürworten. Viele pflegebedürftige Menschen, die in unseren Altersheimen und Einrichtungen wohnen, sind multimorbid mit Krankheitsbildern, die spezifische Pflege benötigen. Umgekehrt haben Menschen, die ins Krankenhaus kommen, oftmals einen speziellen altenpflegerischen Unterstützungsbedarf. Es ist also durchaus angebracht und wünschenswert, dass sich die verschiedenen Fachzweige hier auch gegenseitig befruchten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir weiterhin die klassischen Spezialisierungen brauchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Genau!) Deshalb gibt es hier, meine sehr geehrten Damen und Herren, unseren Vorschlag dieses Modells „zwei plus eins“: zwei Jahre gemeinsame generalistische Ausbildung und ein Jahr Spezialisierung. Wenn dann diese Spezialisierung vollzogen ist, kann man zusätzlich einen weiteren Abschluss mit einem weiteren halben Jahr Ausbildung noch dazu wählen. Wir wollen auch die Möglichkeit schaffen, leichter zwischen den Berufen zu wechseln. Zudem plädieren wir dringend für eine Abschaffung des Schulgeldes. Außerdem sind wir für die Angleichung der Gehälter in der Altenpflege an die Gehälter in anderen Pflegebereichen. (Beifall des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]) Hierfür haben wir bereits die Rahmenbedingungen im PSG I und III miteinander geschaffen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, glauben Sie mir aber auch Folgendes, das wir nicht unter den Tisch kehren dürfen: Die Beschäftigten der Kinderkrankenpflege, aber auch die deutschen Kinderärzte sind vehement gegen die generalistische Ausbildung. Sie befürchten, dass die Kompetenzen und Fähigkeiten der Auszubildenden, die einmal für die Versorgung von Säuglingen und insbesondere von Frühchen zuständig sein werden, und die Qualität der Ausbildung massiv leiden werden. Eine Petition an den Deutschen Bundestag, die fordert, dass die Kinderkrankenpflege als eigenständiger Beruf erhalten bleibt, wurde von 134 000 Menschen unterzeichnet. In einer repräsentativen Umfrage sprachen sich 90 Prozent der Betroffenen für einen Erhalt ihres Berufes aus. Auch große Teile der Altenpflege sind gegen eine generalistische Ausbildung. Es sind bei weitem nicht nur die Leitungen und Pflegeeinrichtungen, die sich zu 80 Prozent gegen sie ausgesprochen haben. Meine Bitte und Aufforderung geht hier vor allem an die SPD und ihre Ministerin Frau Schwesig, die sicherlich für den Bereich der Altenpflege mitverantwortlich ist: (Heike Baehrens [SPD]: Für die Zukunft wollen wir Wege gestalten und nicht rückwärts!) Versuchen Sie nicht, die Pflegeszene zu täuschen, vor allem die Altenpflege. Wer unter dem Deckmantel von beruflicher Durchlässigkeit, Qualitätssicherung und verbesserter Bezahlung am liebsten durch die Hintertür einen dualen Ausbildungsberuf akademisieren will, handelt fahrlässig, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Sie bieten der Altenpflege keine Zukunft!) Ich möchte Ihnen auch klar sagen: Wir brauchen jeden Auszubildenden hier an den Pflegebetten, egal welchen Schultyps. (Heike Baehrens [SPD]: Vor allem die Männer, genau!) Deshalb ist es notwendig, dass wir heute, aber auch in Zukunft nicht ausgrenzen, sondern verbinden. Wir werden auch die Schülerinnen und Schüler aus der Mittel- und Hauptschule benötigen. (Zuruf von der SPD: Das ist doch allen klar!) Der Vorschlag Ihrer Kollegin Müller ist zukunftsweisend. Wir werden ihn prüfen. Wir hoffen, dass wir schnell zu einer guten Lösung kommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Baehrens [SPD]: Das ist die Meinung der Union? – Zuruf von der SPD: Das ist echt eine Rolle rückwärts der CDU/CSU!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Präsidentin! Über eine Million Pflegekräfte … leiden in Ihrem Land, das Sie regieren. Das sage nicht ich, sondern das schreibt die Krankenschwester Jana Langer in einem erschütternden Brandbrief an die Kanzlerin. Sie fühlt sich nämlich im Stich gelassen von dieser Koalition, die es einfach versemmelt, endlich die Qualität der Pflegeausbildung anzuheben. Alle Sachargumente haben wir ja schon längst ausgetauscht. Aber die Ausbildungsreform liegt wie Blei in Ihren Schubladen. Sie steckt fest, weil sich Union und SPD kabbeln – das konnten wir gerade wieder beobachten – und zwei Ministerien sich nicht einig werden. (Petra Crone [SPD]: Die sind sich einig, völlig einig!) Genau deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht. Wir wollen Sie auffordern: Binden Sie den Sack endlich zu, damit nicht noch eine Wahlperiode ohne Ausbildungsreform in der Pflege vergeht. (Beifall bei der LINKEN) Es geht doch hier nicht darum, ob Hermann Gröhe oder Manuela Schwesig als Sieger innerhalb der Koalition vom Platz gehen, sondern es geht um die Pflegekräfte. (Heike Baehrens [SPD]: Die sind sich doch einig! – Weitere Zurufe von der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Könnten wir uns darauf verständigen, dass Frau Vogler das Wort hat? Nachher darf die SPD darauf antworten. – Danke. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Zumindest überwiegend das Wort, danke. – Wenn Sie sich nämlich weiter blockieren, dann verlieren alle. Gewinnen sollen aber doch eigentlich die Auszubildenden, die zukünftigen Pflegekräfte in der Altenpflege und im Krankenhaus, und diejenigen, um die sie sich 24 Stunden am Tag sieben Tage die Woche mit Herz und Hand, mit Seele und Verstand kümmern. Die Pflegekräfte wollen stolz auf ihren Beruf sein, sie wollen gern zur Arbeit gehen, sie wollen gut verdienen, und sie wollen qualifiziert und menschenwürdig pflegen, mit Zeit für Zuwendung. Wir brauchen doch viele hochmotivierte, gute Pflegekräfte. (Beifall bei der LINKEN) Viel zu viele kehren ihrem Beruf nach wenigen Jahren den Rücken. Eine Verbesserung der Ausbildung ist ein wichtiger Baustein, um die Pflege aufzuwerten, worüber wir ja immer wieder reden. Es liegt jetzt an Ihnen, die Pflegeausbildung endlich besser zu machen. Doch was machen Sie stattdessen? Sie mauern und mauscheln. (Hilde Mattheis [SPD]: Wieso „mauscheln“?) Die Große Koalition ist in dieser Frage handlungsunfähig, weil sie sich anfangs auf die Generalistik versteift hat und jetzt nicht mehr weiß, wie sie davon wegkommen soll. Dabei hat die Opposition, also wir und die Grünen, Ihnen gute Vorschläge gemacht, wie es richtig gut werden kann. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Linke setzt auf eine integrative Ausbildung, die die fachlichen Besonderheiten von Kranken- und Gesundheitspflege, Altenpflege und Kinderkrankenpflege ernst nimmt und erhält, bei der die Auszubildenden aber trotzdem so viel zusammen lernen, dass sie zwischen den einzelnen Berufen wechseln können. Das macht den Beruf attraktiver und bringt höhere Pflegequalität für die Menschen: zu Hause, im Heim und im Krankenhaus. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen auch mehr Praxis in der Ausbildung, durch mehr Zeit und qualifizierte Anleiterinnen und Anleiter. So können unserer Ansicht nach auch weiter junge Leute mit Hauptschulabschluss erfolgreich Pflegefachkraft werden. Aus den Pflegeschülerinnen und Pflegeschülern müssen endlich echte Auszubildende werden – mit allem, was dazu gehört: mit betrieblicher Mitbestimmung und Arbeitsschutz und vor allem mit Ausbildungsvergütung und ohne Schulgeld. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit Abschluss der Ausbildung muss jede Fachkraft direkt am Menschen, wie es so schön heißt, berufsfähig sein. Nach der Anhörung im Gesundheitsausschuss und vielen Diskussionen mit Betroffenen hat sich auch in der Koalition einiges in die richtige Richtung bewegt, zum Beispiel beim Kollegen Rüddel von der CDU, der sich inzwischen auch eine integrierte Ausbildung vorstellen kann, wie wir sie vorgeschlagen haben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da kann man auch mal applaudieren!) – Ja, da kann man auch einmal klatschen. Es ist nämlich überhaupt nicht ehrenrührig, wenn Regierungsfraktionen kluge Ideen aus der Opposition aufgreifen und umsetzen. Es ist aber unerträglich, wenn sie die Pflegekräfte und die Ausbildungsstätten weiter hängen lassen und nichts liefern. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Denken Sie daran: Ohne das Pflegeberufegesetz verschärfen sich andere Probleme. Das Schulgeld bleibt, die Umlagefinanzierung wird nicht vereinheitlicht, und die Pflege wird nicht gestärkt. Wir brauchen jetzt eine integrierte, praxisnahe, qualifizierte Pflegeausbildung. Gute Pflege braucht gute Ausbildung. Das muss drin sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Bettina Müller von der SPD-Fraktion die Gelegenheit, zu antworten. Bettina Müller (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versuchen, die Stimmung, die aufgekommen ist, wieder etwas zu beruhigen. Ich bin weder mit dem, was Herr Irlstorfer vorgetragen hat, einverstanden, noch kann ich der Frau Kollegin Vogler folgen. Aber ich bin absolut der Meinung, dass wir schon vor dem Hintergrund eines riesigen Zeitdrucks ganz schnell zu einer Konsenslösung in diesem Bereich kommen müssen; denn allen Fraktionen – davon gehe ich aus – liegt die Pflege am Herzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein gutes Wort!) Wir haben in diesem Bereich in dieser Legislaturperiode mit den Pflegestärkungsgesetzen I bis III vieles geschafft. Wir haben wesentliche Leistungs- und Qualitätsverbesserungen auf den Weg gebracht; aber die Qualität der Versorgung wird auch maßgeblich von der Qualität der Ausbildung bestimmt. Daher wäre die Reform der Pflegeberufe natürlich der krönende, aber auch zwingend nötige Abschluss einer erfolgreichen Pflegepolitik. (Beifall bei der SPD) Es freut mich – um einmal etwas Positives zu sagen –, dass die beiden Oppositionsfraktionen dies ebenso sehen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon immer!) Beide Anträge stellen zu Recht erheblichen Reformbedarf fest, analysieren die Situation auch korrekt, benennen die Herausforderungen: zu wenige Fachkräfte, schlechte Bezahlung, bescheidene Berufsperspektiven, kaum Aufstiegsmöglichkeiten und teilweise noch Schulgeldpflicht; ein sehr wichtiges Thema. Weder Alten- noch Krankenpflege sind für die demografischen Veränderungsprozesse ausreichend gewappnet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Kranken- und Altenpflege wachsen zwar praktisch immer mehr ineinander, aber in der Ausbildung geht man weiter getrennte Wege. Wir haben alle gemeinsam die Probleme erkannt, aber die Opposition setzt hier leider, wie ich sagen muss, Herr Irlstorfer, auf die falschen Lösungen. (Beifall bei der SPD) Der sogenannte integrierte Ansatz, die integrierte Ausbildung mit weiterhin getrennten Abschlüssen, löst viele Probleme nicht. Die Altenpflegeausbildung hätte zum Beispiel weiterhin keine EU-Anerkennung, unabhängig davon, dass wir das in dieser Wahlperiode gar nicht mehr gebacken bekommen würden, weil wir einen völlig neuen Finanzierungshintergrund ausverhandeln müssen. Sie wissen, dass die Länder mit der Generalistik an diesem Punkt einverstanden sind – ebenfalls ein ganz wichtiges Thema, bei dem wir weit gekommen sind und zu dem wir kein völlig neues Konzept auf den Tisch legen können. Linke und Grüne waren ja schon einmal wesentlich weiter; das will ich einmal in Erinnerung bringen. Beide Fraktionen haben 2003 die Zusammenlegung der Ausbildung in der Kranken- und der Kinderkrankenpflege mitgetragen. (Beifall bei der SPD – Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Fehler!) Ihre Fachpolitiker haben damals die Reform als Schritt hin zur Generalistik – das kann man in den Reden noch nachlesen – bezeichnet und die spätere Einbeziehung der Altenpflege ausdrücklich gefordert und begrüßt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann auch aus Erfahrung lernen, Frau Müller! Man kann aus Erfahrung klug werden!) Das Altenpflegegesetz von 2001 war ein Projekt der damals rot-grünen Bundesregierung. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann trotzdem aus Erfahrung lernen!) Es wurde von der ersten grünen Bundesgesundheitsministerin auf den Weg gebracht. Leider haben sich die Grünen und die Linken dann wieder aus diesem gemeinsamen Prozess ausgeklinkt. Schade; denn angesichts der wirklichen geforderten Kraftakte, die wir hier in den nächsten Jahren leisten müssen, wäre natürlich eine breit getragene Reform besonders wichtig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben; denn mit dem Gesetzentwurf sind wir doch in vielen Punkten auf Kritiker zugegangen, fast über die Grenze dessen hinaus, was ich für mich persönlich für vertretbar halte. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn die Lösung für die Kinderkrankenpflege?) Dieser Gesetzentwurf ist doch nicht mehr die reine generalistische Lehre. Er ist ja bereits eine Mischform aus integrierter Ausbildung und generalistischem Ansatz; das müssen Sie ja zugestehen. Wir sind dabei gar nicht so weit auseinander. Oft sind es nur sprachliche Feinheiten. So entspricht etwa der Vertiefungseinsatz in einem der drei wählbaren Schwerpunkte weitgehend der Spezialisierung des integrierten Modells, und diese Schwerpunkte werden dann auch mindestens 50 Prozent der praktischen Ausbildungszeit einnehmen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wer ist der Träger dieser Ausbildung?) Damit ist man den Betrieben doch schon bewusst sehr weit entgegengekommen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) und der Kompromiss, die Annäherung an das integrierte Modell, ist doch schon längst da. Ich denke, der Gesetzentwurf ist auch für die Grünen und die Linken zustimmungsfähig. Hier gilt nämlich auch das Struck’sche Gesetz, das hier immer wieder bemüht wird. Vielleicht ist eine Annäherung ja nicht völlig ausgeschlossen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die Lösung für die Kinderkrankenpflege?) Wir dürfen – das will ich hier auch noch einmal sagen – nicht denjenigen Kräften nachgeben, die eine Reform der Pflegeberufe aus ganz anderen Gründen komplett verhindern wollen, und die Opposition sollte sich hier auch nicht vor den falschen Karren spannen lassen. (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut ja auch keiner!) Der Arbeitgeberverband für die private Pflegewirtschaft mit Rainer Brüderle an der Spitze gemeinsam mit Linken und Grünen: Das wäre eine Allianz! Sie müssen zugeben: Das wäre eine verkehrte Welt. (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine so dumme Unterstellung, Frau Müller!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Müller, das war jetzt ein schönes Schlusswort. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Schönes Schlusswort“!) Bettina Müller (SPD): Lassen Sie uns daher in der verbleibenden Zeit gemeinsame Lösungen suchen. Der Entwurf der Koalition für die Reform der Pflegeberufe ist, denke ich, eine gute Grundlage. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit so einer Unterstellung stellt man aber keinen Konsens her! Wo ist die Lösung für die Kinderkrankenpflege? Gibt es nicht!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gute Pflege ist ein Menschenrecht. Wir alle sind uns einig, dass der demografische Wandel und die Zunahme der Zahl älterer pflegebedürftiger Menschen auf der einen Seite und die Konkurrenz mit anderen Berufen, die junge Menschen ergreifen können, auf der anderen Seite einen dringenden Handlungsbedarf verursachen. Wir brauchen – und ich glaube, darum geht es im Moment – gute Rahmenbedingungen. Die Attraktivität des Pflegeberufs ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wir brauchen eine Aufwertung des Pflegeberufs. Das beginnt natürlich bei der Ausbildung und geht weiter bei der Fort- und Weiterbildung. Hier gibt es einen Handlungsbedarf, und hier muss auch gehandelt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gibt auch eine große Einigkeit – das ist schon mehrfach gesagt worden –, dass eine Reform der Ausbildung notwendig ist. Nach der Vorlage der Großen Koalition im letzten Jahr war klar, dass es mit Blick auf die Generalistik große Bedenken insbesondere in der Altenpflege und der Kinderkrankenpflege gibt. Ich glaube, dass wir gut daran getan haben, noch einmal nachzudenken und diese Bedenken ernst zu nehmen, und wir sind jetzt dabei, über neue Kompromisse nachzudenken. Es gibt den von Frau Müller ausgelösten Vorschlag, den auch unsere pflegepolitische Sprecherin, Elisabeth Scharfenberg, in einem Brief gemacht hat: zunächst einmal die existierenden Ausbildungsgänge fortlaufen zu lassen, die Generalistik einzuführen und beides über einen Zeitraum von zehn Jahren zu begleiten und auszuwerten. Ich möchte mich hier auch noch einmal ausdrücklich bei dem Kollegen Irlstorfer bedanken, der mit seinem Kompromissvorschlag, den er hier gerade vorgestellt hat, (Petra Crone [SPD]: Wo ist der Vorschlag denn?) genau in die Richtung geht, die wir auch vorschlagen, nämlich in Richtung einer integrierten Ausbildung: ein zweijähriger gemeinsamer Ausbildungsgang – weil es natürlich große Überschneidungen zwischen den einzelnen Berufen gibt – und darauf folgend eine einjährige oder eineinhalbjährige Ausbildung mit einer beruflichen Spezialisierung in den Bereichen Kinderkrankenpflege, Altenpflege oder Krankenpflege. Wenn wir diese drei Modelle zehn Jahre lang nebeneinander laufen lassen, haben wir die Möglichkeit, zu sagen, wo nachgebessert werden muss und ob es möglich ist, diese Bereiche zusammenzuführen. Das, meine Damen und Herren, muss jetzt passieren. Ich fordere auch Sie in der Großen Koalition auf, dass wir die angesprochenen drei Schritte jetzt endlich gemeinsam gehen und die Beibehaltung des Jetzigen, die Generalistik und die integrierte Ausbildung gleichzeitig überprüfen. Das fördert die Attraktivität des Berufs und macht die Zukunftsfestigkeit aus, und das sollten wir jetzt auch tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hilde Mattheis [SPD]: Wie kommen Sie auf so eine Idee?) Unabhängig davon gibt es drei Punkte, die sofort und unabhängig von dieser gesetzlichen Lösung notwendig sind, nämlich die Verankerung der hochschulischen Pflegeausbildung, die Ausbildungsumlage in den Ländern, die Finanzierung, und außerdem – über diesen dritten Punkt sollten wir uns alle einig sein – müssen wir sofort dafür sorgen, dass das Schulgeld im Bereich der Altenpflege abgeschafft wird. (Hilde Mattheis [SPD]: Das kriegen Sie alles mit unserem Gesetzentwurf!) Es kann doch nicht sein, dass wir dringendst nach Altenpflegerinnen und Altenpflegern suchen, während in einigen Bundesländern noch Schulgeld bezahlt werden muss. Das muss unabhängig gelöst werden, und zwar jetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Hilde Mattheis [SPD]: Da brauchen Sie gar nicht so zu schreien! Das kriegen Sie alles mit uns!) Meine Damen und Herren, gute Pflege braucht gute Bedingungen und gute Pflegende. Lassen Sie uns schauen, dass wir hier in diesem Hause gemeinsam jetzt endlich zu Potte kommen und die verschiedenen Kompromisse zusammenführen. Ich glaube, ich habe dargestellt, dass es möglich ist, alle vorhandenen Ansätze gleichzeitig zu fahren. Ich weiß nicht, ob Sie es schon gemerkt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Sie stehen im Moment mit Ihrer Kritik alleine da. (Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Von daher denke ich, dass wir versuchen sollten, auch Sie, Frau Rawert, aus dieser Blockadesituation auf vernünftige Art und Weise herauszukommen. (Hilde Mattheis [SPD]: Das ist eine Beobachtung, die so nicht stimmt!) Wir müssen jetzt endlich die verschiedenen Ansätze durchdeklinieren und in einen Gesetzentwurf bringen. Das ist die Aufgabe, die wir alle haben, um für gute Pflege zu sorgen. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Erwin Rüddel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die beiden vorliegenden Anträge enthalten Vorschläge, die ich mit Interesse zur Kenntnis genommen habe und die sicherlich im weiteren Meinungsbildungsprozess hier im Haus eine wichtige Rolle spielen werden. Es wäre gut, wenn wir zu einer Reform der Pflegeausbildung kommen würden, zu einer Lösung, die hier im Hause auf weitgehende Zustimmung treffen würde. Aus meiner Sicht geht es zentral um den richtigen Weg, um zwei Ziele zusammenzubringen: bessere Bezahlung in der Pflege und mehr Pflegefachkräfte. Beides würde den Beruf attraktiver machen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Mit den Pflegestärkungsgesetzen I und III haben wir bereits die Grundlage dafür geschaffen, dass in der Altenpflege Tariflohn zum Standard werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles andere war ja wohl unterirdisch in der letzten Wahlperiode!) Deshalb wehre ich mich mit Entschiedenheit gegen den Vorwurf, den Skeptikern in Sachen Generalistik gehe es darum, die Löhne in der Pflege zu drücken. Das Gegenteil ist der Fall. Wie unsinnig der Vorwurf ist, zeigt sich im Übrigen daran, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber in seltener Eintracht zu den Kritikern der dreijährigen generalistischen Ausbildung gehören. Meine Damen und Herren, es könnte sein, dass es für eine Reform in dieser Legislaturperiode schon zu spät ist, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre aber schlecht!) zumal es mit einem Gesetz nicht getan ist; denn wir brauchen zusätzlich ausreichend Zeit, um die Verordnung zu den Ausbildungsinhalten sorgfältig zu prüfen. Das ist unverzichtbar. Gleichwohl begrüße ich ausdrücklich, dass in den letzten Wochen endlich Bewegung in die Sache gekommen ist. (Petra Crone [SPD]: Wo denn? Haben Sie einen Vorschlag gemacht?) Ich hätte mir diese Bewegung allerdings wesentlich früher gewünscht. Zu verantworten haben die aktuellen Probleme indes diejenigen, welche die bereits vor etlichen Monaten vorgebrachten Bedenken offenbar nicht ernst genommen haben. (Zuruf von der SPD: Bitte?) Die Skeptiker in Sachen Generalistik haben schon vor vielen Monaten zielführende und kreative Kompromissvorschläge gemacht. Aber all diese Vorschläge wurden von den Verfechtern der dreijährigen generalistischen Ausbildung oft schroff abgelehnt. Deren Modell hat sich allerdings bisher in der Praxis in keiner Weise bewährt. (Hilde Mattheis [SPD]: Es ist schon verkehrte Welt, Herr Rüddel, dass wir hier Ihren Minister verteidigen müssen!) Genau das ist der Kern des Problems. Viele Praktiker haben unverändert die Sorge, dass die Besonderheiten der Kinderkrankenpflege und der Altenpflege zu kurz kommen. Deshalb hat zum Beispiel GKV-Vorstand Gernot Kiefer vorgeschlagen, eine Zeit lang mehrere Ausbildungswege zuzulassen. Frau Müller hat einen ähnlichen Vorschlag gemacht. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, ich darf Sie einmal unterbrechen. Die Frau Kollegin Baehrens würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es noch interessant! Koalitionskino!) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Ja, gern. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Heike Baehrens (SPD): Herr Abgeordneter Rüddel, herzlichen Dank dafür, dass ich eine Zwischenfrage stellen darf. – Ist Ihnen in Erinnerung, dass der Gesetzentwurf, der im Mai des vergangenen Jahres von einem CDU-Gesundheitsminister und einer SPD-Familienministerin vorgelegt worden ist, auf den Eckpunkten basiert, die in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe aufgrund von jahrelanger Vorarbeit von Praktikern erarbeitet worden sind und in der sich die Bundesländer gemeinsam mit diesen beiden Ministerien auf ein gemeinsames Konzept verständigt haben? Sie haben sich auch deshalb untereinander verständigt, weil die Altenpflegeausbildung in der Verantwortung der Länder liegt. Das heißt, die Länder müssen einem solchen Gesetz zustimmen. Ist Ihnen bewusst, dass Sie mit den Interventionen, die Sie seit Monaten vornehmen, ein Gesetzgebungsvorhaben aufhalten, das in enger Kooperation zwischen den 16 Bundesländern und zwei Bundesministerien entwickelt worden ist? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Ich glaube, Frau Kollegin, wir hier sind der Gesetzgeber und verantwortlich dafür, wie die Ausbildungsreform umgesetzt wird. (Mechthild Rawert [SPD]: Deswegen ärgert die das ja auch so!) Einem ehemaligen Vorsitzenden Ihrer Fraktion wird ja die Aussage zugeschrieben, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es in den Bundestag hineingekommen ist. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist das Struck’sche Gesetz! – Hilde Mattheis [SPD]: Schwache Antwort, Herr Rüddel!) Ich denke, wir versuchen, diesen Gesetzentwurf weiter zu optimieren, weil wir zwei Ziele erreichen wollen. Das erste Ziel ist eine gute Bezahlung. Das zweite Ziel ist, nach der Reform mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen als zuvor. Das Gesetz sollte aber zum Beispiel nicht dazu führen, dass Hauptschüler in diesem Beruf keinen Abschluss mehr machen können. (Hilde Mattheis [SPD]: Das ist ja nicht richtig! – Petra Crone [SPD]: Das stimmt nicht! Das steht so nicht drin! – Weiterer Zuruf von der SPD: Tut es ja nicht!) Wir reden immer darüber, dass in 40 Modellversuchen eine generalistische Ausbildung erprobt wurde. (Hilde Mattheis [SPD]: Ich lade Sie ein nach Stuttgart!) Der derzeit vorliegende Gesetzentwurf entspricht keinem dieser 40 Modellversuche. Alle diese 40 Modellversuche hatten Auswahlverfahren als Basis – so wurden etwa Schüler in einem Assessment-Center ausgesucht – oder sahen eine längere Ausbildungszeit von dreieinhalb Jahren vor. Nur 24 Schüler in diesen 40 Modellversuchen hatten einen Hauptschulhintergrund. Deshalb sollten wir uns Gedanken machen, wie wir zu einer guten Lösung kommen. (Mechthild Rawert [SPD]: Zehn Jahre!) Ich denke, wir sind auf einem guten Weg und werden eine Lösung finden, (Zuruf von der SPD: Weshalb wollen es die privaten Anbieter nicht, Herr Rüddel?) wenn die Familienministerin akzeptiert, dass das Parlament seine Ideen in Gesetzentwürfe einbringen kann. (Mechthild Rawert [SPD]: Ich finde meine Ideen auch total toll!) Das Selbstbewusstsein sollten wir hier im Parlament haben und nach außen tragen. Wir sind von den Bürgern gewählt worden, um ordentliche Gesetze zu machen. Es kann nicht sein, dass uns verboten wird, Änderungsanträge zu einem Gesetzentwurf einzubringen. Ich denke, Sie sollten noch einmal mit Ihrer Ministerin reden. (Zurufe von der SPD) Dann werden wir in den nächsten Wochen sicherlich einen sehr vernünftigen Kompromiss finden. Ich habe zusammen mit Kollegen auf jeden Fall schon vor vielen Monaten Vorschläge zur integrierten Ausbildung gemacht, (Hilde Mattheis [SPD]: Keinen Pieps haben Sie gesagt!) die vorsehen, dass grundsätzlich zwei Jahre lang generalistisch ausgebildet wird und dass dann im dritten Jahr spezialisiertes Lernen im Vordergrund steht. Mittlerweile sind verschiedene Vorschläge gemacht worden. Ich bin der Meinung, dass wir den verschiedenen Wegen Zeit geben sollten, sich zu bewähren. Anschließend können wir entscheiden, welcher Weg der richtige ist. Ich plädiere für einen evolutionären Wandel, nicht für eine Revolution. Ich glaube, wir brauchen die Fachlichkeit und müssen dafür sorgen, dass die Identitäten der drei Pflegeberufe erhalten bleiben. Man muss sich da wiederfinden. (Mechthild Rawert [SPD]: Wir wollen einen Beruf! Wir wollen eine Identität!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege Rüddel. Ich plädiere jetzt dafür, dass der letzte Satz gesprochen wird. Erwin Rüddel (CDU/CSU): Dann werde ich das tun. – Wichtig ist mir: Wer heute einen Abschluss in einem der drei Pflegeberufe schafft, muss das mindestens auch in dem neuen System schaffen, (Hilde Mattheis [SPD]: Das ist eine Diskriminierung der Hauptschüler!) sonst werden wir die Herausforderungen, vor die uns die Pflege in den nächsten Jahren stellt, nicht bewältigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Petra Crone für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Petra Crone (SPD): Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wissen Sie, was ich mir wünsche? Ich glaube, da stimme ich mit vielen überein: Ich wünsche mir beim Thema Pflegeberufereform ein Ende der Ungewissheit. (Beifall bei der SPD) Wir müssen im Interesse der betroffenen Pflegeschulen und Betriebe, aber vor allem im Interesse der Auszubildenden in der Pflege endlich Klarheit schaffen. Die Ausbildung muss attraktiver werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Wir brauchen Bewerber und Bewerberinnen. Die SPD-Bundestagsfraktion will unbedingt die Attraktivitätssteigerung. An diesem Grundsatz halten wir ganz fest. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir alle! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Die CDU/CSU-Fraktion aber auch! Da sind Sie nicht alleine!) Darin unterscheiden wir uns ja gar nicht so sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den Grünen. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nicht!) Die vielen in der Pflege beschäftigten Frauen verdienen eine Aufwertung ihrer Arbeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schluss mit dem Schulgeld! Wir brauchen endlich eine einheitliche Vergütung, eine faire und höhere Bezahlung, besonders in der Altenpflege. (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wem sagen Sie das! – Weiterer Zuruf von der SPD: An der einheitlichen Vergütung liegt es!) Aber das geht nur mit einem einheitlichen Abschluss, mit der Generalistik. (Beifall bei der SPD) Alte Menschen kommen ins Krankenhaus, kranke Menschen leben in Senioreneinrichtungen. Sie erwarten dort zu Recht eine gute Versorgung. Aus diesem Grund setze ich mich seit vielen Jahren für den Zusammenschluss der drei existierenden Ausbildungen zu einem neuen, umfassenden und zukunftsfesten Beruf ein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Familienministerin Manuela Schwesig haben dazu gemeinsam einvernehmlich ein Gesetz vorgelegt. Alle 16 Bundesländer sind einbezogen worden und haben zugestimmt. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und am Ende entscheidet das Parlament!) Im März 2016, fast vor einem Jahr, war hier im Parlament die erste Lesung. Es hat eine öffentliche Anhörung gegeben, in der es ganz viel Zuspruch der Experten und Expertinnen gegeben hat. (Beifall bei der SPD – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Und viele waren dagegen! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Protokolle lesen hilft!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer heute der letzten Rede von Frank-Walter Steinmeier als Außenminister mit offenen Ohren und auch mit Verstand gelauscht hat, konnte hören, wie wichtig es ist, unsere parlamentarischen Rechte wahrzunehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir doch gerade!) Aber, liebe Kollegen der Union, jetzt muss ich das mal ganz deutlich sagen: Es hat zu dem Entwurf eines Pflegeberufereformgesetzes auf Ihr Betreiben hin in diesem letzten Jahr nicht ein einziges Berichterstattergespräch stattgefunden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und bis heute wurden uns direkt keine Vorschläge gemacht; auch das muss ich sagen. (Zuruf des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU] – Herr Irlstorfer, das stimmt nicht. Es sind keine Vorschläge gemacht worden. (Hilde Mattheis [SPD]: Scheinheilig! – Heike Baehrens [SPD]: Nur in der Presse!) Herr Rüddel, das muss ich Ihnen sagen: Wer in dieser Situation in der Presse behauptet, Ministerin Manuela Schwesig würde den parlamentarischen Prozess aufhalten, scheint nichts von parlamentarischen Abläufen zu verstehen. (Beifall bei der SPD) Trotzdem hoffe ich sehr – ich habe nur drei Minuten Redezeit –, dass wir bald die Gelegenheit haben, dieses Gesetz zu verabschieden, ein Gesetz, das sich große Teile der Verbände und viele Pflegerinnen und Pfleger wünschen. Glauben Sie mir, ich habe mit vielen in Einrichtungen und in Schulen gesprochen. Lassen Sie uns das gemeinsam machen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Um mit den Worten von Frank-Walter Steinmeier zu sprechen: Die Kollegen und Kolleginnen der Opposition können sich ja als Dünger in die Gesetzgebung einbringen. Ich danke fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir bereits getan! Ihr macht da ja nichts!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gute Ausbildung – Gute Arbeit – Gute Pflege“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11003, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7414 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Opposition angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Integrative Pflegeausbildung – Pflegeberuf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11004, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7880 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das sind Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Das sind die Linken. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Ich bitte Sie, jetzt noch eine kurze Zeit hierzubleiben. Wir haben noch einige Abstimmungen vorzunehmen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von Standpunkten der Union in den Stabilitäts- und Assoziationsräten EU – Republik Albanien sowie EU – Republik Serbien im Hinblick auf die Beteiligung der Republik Albanien sowie der Republik Serbien als Beobachter an den Arbeiten der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und die entsprechenden Modalitäten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates Drucksache 18/9990 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (21. Ausschuss) Drucksache 18/10966 Die Reden hierzu sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.7 Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10966, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9990 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Einstimmig angenommen. Dann kommen wir zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Angleichung der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer Drucksache 18/10969 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss (f) Finanzausschuss Federführung strittig Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.8 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10969 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Hierbei ist die Federführung jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Haushaltsausschuss, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Innenausschuss. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke, Federführung beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Das sind die Linken und die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält sich? – Keiner. Der Überweisungsvorschlag ist damit abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Biodiversität schützen – Taxonomische Forschung ausbauen Drucksache 18/10971 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.9 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10971 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirkstoffoffensive starten Drucksache 18/10972 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.10 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10972 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/10937 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, dass die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Das ist der Fall.11 Dann kommen wir zur Abstimmung. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/10937 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes Drucksache 18/10882 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden.12 Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10882 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten Drucksache 18/10938 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Auch hier sehe ich keinen Widerspruch.13 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10938 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits Drucksache 18/8297 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) Drucksache 18/10950 Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.14 Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10950, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8297 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich bedanke mich bei Ihnen. Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 27. Januar 2017, ein. Da um 9 Uhr hier im Plenarsaal die Sonderveranstaltung aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus stattfindet, zu der ich Sie alle sehr herzlich einlade, beginnt die Plenarsitzung erst um 10.30 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. Danke schön und auf Wiedersehen! (Schluss: 21.18 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Barthle, Norbert CDU/CSU 26.01.2017 Binder, Karin DIE LINKE 26.01.2017 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 26.01.2017 Brinkhaus, Ralph CDU/CSU 26.01.2017 Bülow, Marco SPD 26.01.2017 Burkert, Martin SPD 26.01.2017 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 26.01.2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.01.2017 Eberl, Iris CDU/CSU 26.01.2017 Feiler, Uwe CDU/CSU 26.01.2017 Fischer (Karlsruhe-Land), Axel E. CDU/CSU 26.01.2017 Gambke, Dr. Thomas BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.01.2017 Gohlke, Nicole DIE LINKE 26.01.2017 Gröhe, Hermann CDU/CSU 26.01.2017 Groth, Annette DIE LINKE 26.01.2017 Gunkel, Wolfgang SPD 26.01.2017 Gysi, Dr. Gregor DIE LINKE 26.01.2017 Henn, Heidtrud SPD 26.01.2017 Hochbaum, Robert CDU/CSU 26.01.2017 Hübinger, Anette CDU/CSU 26.01.2017 Korte, Jan DIE LINKE 26.01.2017 Krellmann, Jutta DIE LINKE 26.01.2017 Kudla, Bettina CDU/CSU 26.01.2017 Launert, Dr. Silke CDU/CSU 26.01.2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 26.01.2017 Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU 26.01.2017 Murmann, Dr. Philipp CDU/CSU 26.01.2017 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 26.01.2017 Pfeiffer, Dr. Joachim CDU/CSU 26.01.2017 Pronold, Florian SPD 26.01.2017 Rüthrich, Susann * SPD 26.01.2017 Saathoff, Johann SPD 26.01.2017 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.01.2017 Schäuble, Dr. Wolfgang CDU/CSU 26.01.2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 26.01.2017 Schwartze, Stefan SPD 26.01.2017 Steineke, Sebastian CDU/CSU 26.01.2017 Storjohann, Gero CDU/CSU 26.01.2017 Strothmann, Lena CDU/CSU 26.01.2017 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 26.01.2017 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.01.2017 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 26.01.2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 26.01.2017 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 26.01.2017 Zeulner, Emmi * CDU/CSU 26.01.2017 Zollner, Gudrun CDU/CSU 26.01.2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte (Tagesordnungspunkt 6) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bedrohung durch ISIS im Irak und Syrien ist unvermindert gegeben. Sie ist dank internationaler Bemühungen 2016 zwar regional zurückgedrängt worden, aber nach wie vor in vielen Regionen äußerst massiv. Die abscheulichen Gräueltaten von ISIS an der Bevölkerung in Irak und Syrien finden weiterhin statt. Das Ende der Schreckensherrschaft von ISIS ist ein unverändertes Ziel aller Akteure in der Region. Dies muss auch mit militärischen Mitteln geschehen. Der Schlüssel im Kampf gegen ISIS sind die kurdischen Streitkräfte. Irakisch-kurdische Kräfte müssen weiterhin unterstützt werden, dem ISIS entgegenzutreten. Dies gilt umso mehr, als die Türkei als Partner im Kampf gegen den ISIS-Terrorismus auch immer wieder eigene, gegen die Kurden gerichtete Ziele verfolgt. Unabhängig von der Luftunterstützung der USA bleibt der Kampf am Boden eine zentrale Aufgabe, zu der bislang überwiegend irakisch-kurdische Streitkräfte bereit und in der Lage sind. Eine internationale Unterstützung ist dafür auch durch Ausbildung der Streitkräfte dringend notwendig. Die einschlägigen UN-Entschließungen und die Erklärungen der Regierung des Irak geben einen völkerrechtlichen Rahmen für die Ausbildungsunterstützung. Ich respektiere die Rechtsauffassung der Experten meiner Fraktion, die den Einsatz der Bundeswehr als völkerrechtlich nicht ausreichend abgesichert bewerten und deshalb kritisch beurteilen. In die Gesamtbewertung müssen aber auch weitere Argumente einbezogen und abgewogen werden. Die Notwendigkeit der beantragten Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Sicherheitskräfte ist durch die Erfolge im letzten Jahr bestätigt worden. Das deutsche Engagement ist in seiner Bedeutung aufgrund der veränderten Position der Türkei gegenüber den Kurden noch wichtiger geworden. Deutschland muss aus meiner Sicht in einer weltweit veränderten Situation entsprechend den in der UN vereinbarten Prinzipien und Vereinbarungen mehr Verantwortung übernehmen. Diese persönliche Bewertung hat zu meiner Entscheidung geführt, anders als im vorigen Jahr, in dem ich bei dem entsprechenden Antrag der Bundesregierung mich der Stimme enthalten habe, dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte zuzustimmen. Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Der internationale Kampf gegen die Terrororganisation IS zeigt auch dank der Lieferung militärischer Ausrüstung an die Peschmerga und dem Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte Erfolge. Es ist gelungen, Flüchtlinge zu schützen, den IS zurückzuschlagen und Territorium zurückzugewinnen. Damit die erreichten Erfolge abgesichert werden und ein Wiedererstarken des IS verhindert wird sowie um eine nachhaltige Stabilisierung des Irak zu ermöglichen, ist weiterhin internationales Engagement erforderlich. Die fortgesetzte Entsendung von bis zu 150 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zur Ausbildungsunterstützung soll längstens bis zum 31. Januar 2018 in diesem Sinne weiterhin einen Beitrag leisten zum nachhaltigen Fähigkeitsaufbau der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte. Ich halte die geplante Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes aufgrund humanitärer Verantwortung für die in der Region lebenden Menschen und Flüchtlinge, aber auch aus sicherheitspolitischen Gründen für sinnvoll und notwendig. Nachdem der irakische Außenminister alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen um Unterstützung im Kampf gegen die Terrororganisation IS auch im Wege militärischer Ausbildung gebeten hat, ist der Einsatz als sogenannte Intervention auf Einladung völkerrechtlich zulässig. Gemäß Artikel 87a Absatz 2 GG dürfen die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Ein Fall, in dem das GG den Einsatz zulässt, ist Artikel 24 Absatz 2 GG, auf den die Bundesregierung ihren Antrag erneut stützt. Diese verfassungsrechtliche Begründung ist aber nicht überzeugend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 24 Absatz 2 GG zur Friedenswahrung an Entscheidungen einer internationalen Organisation binden. Das umfasst auch die Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem kollektiven Sicherheitssystem typischerweise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die „im Rahmen und nach den Regeln“ dieses Systems stattfinden. Unzweifelhaft liegt kein spezielles Mandat des VN-Sicherheitsrates vor, das ausdrücklich die Entsendung von Soldaten zur Friedenssicherung vorsieht und das den Rahmen und die Regeln des Einsatzes bestimmt. Aus diesem Grund bezieht sich die Bundesregierung in ihrem Antrag auf die beiden Sicherheitsratsresolutionen 2170 (2014) vom 15. August 2014 und 2249 (2015) vom 20. November 2015 sowie auf die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 19. September 2014. In der Resolution 2170 (2014) wird die Terrororganisation IS als Bedrohung für die internationale Sicherheit bezeichnet. Zudem werden darin die durch IS begangenen Menschenrechtsverletzungen verurteilt sowie Sanktionen gegen einzelne Mitglieder dieser Organisation beschlossen. Ein Mandat für den Einsatz von Streitkräften enthält diese Resolution nicht. Gleiches gilt für die Resolution 2249 (2015). Auch die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 19. September 2014 reicht meines Erachtens nicht aus, weil sie im Kern lediglich den Aufruf enthält, den Irak zu unterstützen, und es sich dabei zudem im Ergebnis um eine politische Erklärung handelt. Schließlich sind Ad-hoc-Koalitionen kein „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ im Sinne von Artikel 24 Absatz 2 GG. Selbst wenn man anerkennt, dass sie kollektiv vorgehen, fehlt es ihnen an der erforderlichen institutionellen und vertraglich begründeten Struktur. Daher halte ich Artikel 24 Absatz 2 GG nicht für die richtige Rechtsgrundlage. Nach meiner Überzeugung findet der Einsatz der Bundeswehr aber eine verfassungsmäßig tragfähige Rechtsgrundlage in Artikel 87a Absatz 2  1. Alternative GG. Der Begriff der „Verteidigung“ umfasst nach überwiegender Auffassung nicht nur die reine Landesverteidigung, sondern auch die sogenannte Drittstaaten-Nothilfe im Sinne von Artikel 51 der VN-Charta. Der Bundeswehreinsatz ist daher als solcher verfassungsgemäß. Weil ich den Einsatz der Bundeswehr in dieser Ausbildungsmission unabhängig von der seitens der Bundesregierung gewählten verfassungsrechtlichen Begründung für verfassungsgemäß und politisch geboten halte, stimme ich der Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes zu. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zunächst will ich auf die europäische Richtlinie MiFID II eingehen, um deren Umsetzung es mit vorliegendem Gesetzentwurf geht: Wir Grünen sind sehr zufrieden, dass es nach jahrelangen Bemühungen von vielen Bürgerinnen und Bürgern, NGOs und uns gelungen ist, dass Nahrungsmittel- und Rohstoffspekulationen in der MiFID-II-Richtlinie durch strenge Positionslimits klare Grenzen gezogen wurden, die über die ursprünglichen Vorschläge von EU-Kommission und Europäischem Parlament hinausgehen. Außerdem gelang es, Maßnahmen gegen den ausufernden Hochfrequenzhandel ohne realwirtschaftlichen Mehrwert auf den Weg zu bringen. Für Preissprünge im Handel ist ein „minimum tick size regime” eingeführt worden. Es handelt sich dabei um eine Mindestgröße, welche die Rendite des Hochfrequenzhandels deutlich verringert und ihn so unattraktiver macht. Ferner müssen alle benutzten Algorithmen getestet werden, und bei den Handelsplattformen wurden große Teile des intransparenten Over-the-counter-Handels durch neue, nach der MiFID regulierte OTF – Organized Trading Facilities – ersetzt. Trotzdem bleibt insbesondere auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes bereits in der Richtlinie manches zu wünschen übrig. Hinzu kommt: Manche in der Richtlinie verankerte Verbesserung ist von der Bundesregierung im Rahmen des Umsetzungsgesetzes durch die Hintertür zurückgenommen worden. Das Anlageverhalten von Verbrauchern in Deutschland ist gekennzeichnet von geringer Kosteneffizienz und geringer Rendite. Fast 80 Prozent des Geldvermögens privater Haushalte bestehen aus Bargeld, Einlagen oder Versicherungs- und Alterssicherungsansprüchen. Anlageprodukte passen nach Erhebungen des Projekts „Marktwächter Finanzen“ häufig nicht zum Bedarf der Anleger. Damit korrespondierend ist die Qualität der Anlageberatung in Deutschland laut Stiftung Warentest auf konstant schlechtem Niveau. Nur drei Banken berieten im Rahmen des jüngsten Tests im vergangenen Jahr „gut“, dreizehn „befriedigend“, fünf „ausreichend“ und zwei „mangelhaft“. Auch die Gründe für das schlechte Abschneiden hat Stiftung Warentest untersucht und festgestellt: „Grobe Beratungsfehler im Test sind vermutlich nur selten auf das Unvermögen der Berater zurückzuführen, sondern eher auf provisionsgetriebene Verkaufsvorgaben der Institute. Obwohl der Kundenstatus und die Risikoeinstufung des Kunden fast durchweg gut gelangen, führte das nicht automatisch zu passenden Produktvorschlägen.“ Und damit sind wir in media res des Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes: Das Wohl des Verbrauchers muss bei der Anlageberatung an oberster Stelle stehen. Es müssen Wettbewerbsnachteile für unabhängige Honorarberater abgebaut und die Kosten einer nichtunabhängigen Provisionsberatung offengelegt werden, damit Verbraucher alle Informationen parat haben, um eine mündige Anlageentscheidung treffen zu können. Die Vergleichbarkeit von Beratungskosten noch vor Vertragsschluss ist dafür essenziell. Hier verschlechtert die Bundesregierung die Verbraucherposition in eklatanter Weise, wenn sie die auf EU-Ebene bereits verschlossene Umgehungsmöglichkeit der Festpreisgeschäfte im Regierungsentwurf wieder eröffnet. Bei Festpreisgeschäften tritt ein Institut gegenüber dem Verbraucher nicht als durch eine Provision vergüteter Kommissionär auf, sondern als „Zwischenhändler“ des Produktes, der seinen Gewinn durch die Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis erzielt. Der potenzielle Interessenkonflikt ist genauso offensichtlich wie bei Provisionsgeschäften, doch ist diese Gestaltung wegen der „auf Zuwendungen von Dritten“ eingeengten Formulierung des § 70 Absatz 1 Seite 1 WpHG-E nicht offenlegungspflichtig. Auch scheinbare Petitessen wie eine nicht wettbewerbsneutrale Bezeichnung der beiden Beratungsformen können die Etablierung unabhängiger Honorarberatung erschweren. Daher sollte im Gesetzentwurf das Gegensatzpaar von unabhängiger Honorarberatung und nichtunabhängiger Provisionsberatung verankert werden. Für effizienten Verbraucherschutz ist es ferner wichtig, dass die Kundeninformation über die Beratungsform sowie die Geeignetheitserklärung standardisiert werden. Hier muss das Bundesministerium der Finanzen von seinen Verordnungsermächtigungen Gebrauch machen und verbraucherfreundliche und wettbewerbsneutrale Standards setzen, auch damit der Kunde im Falle einer Schlecht- oder Falschberatung über eine Haftungsgrundlage verfügt. Im Rahmen der bereits entworfenen Novellierung der Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (WpDVerOV) ist bereits jetzt dringender Nachholbedarf gegeben. Die Verordnung soll regeln, wann eine Zuwendung, also auch eine Provision, die Qualität der Dienstleistung für den Kunden verbessert und daher zulässig ist. Die darin aufgeführten Fallgruppen sind so butterweich, dass kein Institut in der Realität darum fürchten muss, dass Provisionsgeschäfte nicht de lege lata für den Kunden vorteilhaft wären. Das verkehrt die Untersuchungsergebnisse von Stiftung Warentest in das Gegenteil. Der aufgeblähte Finanzvertrieb rechtfertigt sich aus Sicht der Institute durch die konstanten Einnahmen in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld. Aus Sicht der Verbraucher führt er aber zu einer hohen Kostenquote und in seiner jetzigen provisionsgetriebenen Form zur konstanten Gefahr von Schlecht- und Falschberatung. Wir müssen daher jetzt das Berufsbild des unabhängigen Beraters stärken, indem wir Wettbewerbsnachteile abbauen, damit eine Alternative geschaffen wird sowohl für Verbraucher, die gut beraten anlegen wollen, als auch für die Arbeitnehmer, die im ständig schrumpfenden Finanzvertrieb tätig sind. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – SoKaSiG) (Zusatztagesordnungspunkt 3) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Am heutigen Donnerstag stimmen wir in zweiter und dritter Lesung über das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ab. Ich muss leider nach reiflicher Überlegung und insbesondere nach den beiden aktuellsten Richtersprüchen dieser Woche des Bundesarbeitsgerichts zur Nichtigkeit von AVE bezüglich Soka-Bau auch im Plenum bei meinem Abstimmverhalten – Ablehnung – in der Fraktion bleiben. Einer offensichtlich nachträglichen Legalisierung rechtswidrigen Verhaltens kann ich nicht zustimmen. Die Entscheidung des Deutschen Bundestages, das Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz (SokaSiG) im Eilverfahren in unveränderter Fassung zu beschließen, kann ich nicht unterstützen. Es kann nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, für die Soka-Bau unliebsame Entscheidungen eines Bundesgerichts wieder aufzuheben und rückwirkend Ansprüche von erfolgreichen Klägern per Gesetz zu revidieren. Wenn dieses Modell Schule macht, kann bald jedes Gerichtsurteil per Gesetz aufgehoben werden, sind die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr. Hintergrund der Problematik sind Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 21. September 2016 sowie vom 25. Januar 2017 zur Unwirksamkeit von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen (AVE) von Tarifverträgen im Baugewerbe, die für viele Unternehmen des Baunebengewerbes eine Beitragspflicht an die Soka-Bau nach sich ziehen. Einige Unternehmer und Verbände hatten gegen das Zustandekommen einiger AVEs geklagt und recht bekommen. Die Tarifvertragsparteien haben seinerzeit Vereinbarungen zulasten Dritter getroffen, die durch das Ministerium auf unterster Ebene durchgewunken wurden. Dies führt zu strafrechtlicher Verfolgung. Es ist äußerst fragwürdig, dass Tarifvertragsparteien neuerdings entscheiden, was in unserem Land strafbar ist. Die sich aus den Gerichtsurteilen ergebenden möglichen Rückforderungsansprüche von zu Unrecht geleisteten Zahlungen sollen nun durch das Gesetz gekippt werden. Die Sozialkasse des Baugewerbes, welche nicht mit gesetzlichen Kassen wie der Rentenkasse verwechselt werden darf, ist schon seit einiger Zeit durch fragwürdige Geschäftspraktiken in der Diskussion. Die Statistik des Bundesarbeitsministeriums weist jährlich bis zu 40 000 Soka-Streitverfahren vor den Arbeitsgerichten Wiesbaden und Berlin auf. Unternehmer aus dem Baunebengewerbe werden damit konfrontiert, für angeblich erbrachte Leistungen des Bauhauptgewerbes rückwirkend für vier Jahre etwa 20 Prozent der Lohnsumme für einen Mitarbeiter an die Soka-Bau abzuführen. Diese Rückforderungen werden mit einem Zinssatz in Summe von 48 Prozent, was einem Prozent pro Monat entspricht, belegt. Dass diese Praktiken in vielen Betrieben, vor allen kleinen oder Solounternehmen des Baunebengewerbes, zu Recht nicht nur Unmut hervorrufen, sondern existenzbedrohend sind, verwundert nicht. Darum wäre jetzt die jetzt die geeignete Gelegenheit zu einer Neuregelung gewesen , keine vier Jahre rückwirkend, keine 12 Prozent Zinsen auf den höchstmöglichen Betrag, keine Inanspruchnahme von Soloselbstständigen, die knapp über dem Existenzminimum leben und auch noch Beitrag bezahlen sollen, keine Inanspruchnahmen von Betrieben, die andere Tarifverträge haben, und eine klare Definition, was Bau ist. Mit dem vorliegenden Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe hat der Deutsche Bundestag die Gelegenheit zu einer sinnvollen, rechtlich einwandfreien Regelung nicht genutzt. Klaus Brähmig (CDU/CSU): Im Rahmen der Abstimmung am 26. Januar 2017 werde ich den oben genannten von den Fraktionen CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzen nicht zustimmen. Lassen Sie mich kurz erklären, warum ich nicht zustimmen kann: Unternehmer aus den Baunebengewerken werden damit konfrontiert, für angeblich erbrachte Leistungen des Bauhauptgewerkes rückwirkend für vier Jahre etwa 20 Prozent der Lohnsumme für einen Mitarbeiter an die Soka-Bau abzuführen. Diese Rückforderungen werden mit einem Zinssatz in Summe von 48 Prozent, was einem Prozent pro Monat entspricht, belegt. Dass diese Praktiken in vielen Betrieben des Baunebengewerkes zu Recht Unmut hervorrufen, verwundert nicht. Nachdem das Bundesarbeitsgericht diese Praxis als unwirksam erklärt hat, soll jetzt im Eilverfahren der Richterspruch ausgehebelt werden. Es handelt sich hier um ein Eilgesetz angeblich zur Sicherung der Sozialkassen des Baugewerbes. Eilgesetze haben ganz selbstverständlich schon den Mangel, dass sie in Eile entstehen und häufig nicht klug durchdacht sind. Wenn die Rechtsansprüche von 50 000 Streitverfahren nicht Anlass genug sind, sich vertieft mit dem Thema zu beschäftigen, dann wird meine Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit konterkariert. Eine Ausschussanhörung, die nur auf Drängen des Wirtschaftsflügels der CDU/CSU-Fraktion zustande kam, war aufgrund ihrer Zusammensetzung und zeitlichen Begrenzung nicht geeignet, dem Thema auch nur annähernd gerecht zu werden. Zusätzlich ist es meiner Auffassung nach nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestages, unliebsame Entscheidungen eines Bundesgerichts wieder aufzuheben und auf diese Weise rückwirkende Ansprüche von erfolgreichen Klägern zunichte zu machen. Ich stimme hier ausdrücklich meinem Kollegen Andreas Lämmel MdB zu, der sagt: ,,Wenn dieses Modell Schule macht, kann bald jedes Gerichtsurteil per Gesetz aufgehoben werden.“ Als Handwerksmeister lasse ich mich auch nicht täuschen. Es geht hier um Macht und Geld und nicht um Arbeitnehmerrechte. Die linksliberale Süddeutsche Zeitung, die nicht als willenlose Vollstreckerin von Unternehmerinteressen bekannt ist, schreibt: ,,Die große Koalition hilft einer Institution, die in der Öffentlichkeit unbekannt, in der Fachöffentlichkeit indes geradezu berühmt ist. An den Arbeitsgerichten Wiesbaden und Berlin führt sie jedes Jahr mehr als 50 000 Verfahren. In Wiesbaden wenden alle 13 Kammern des Arbeitsgerichts die Hälfte ihrer Zeit für Soka-Bau-Verfahren auf, und die Meinungen gehen auseinander, wer an dieser Unmenge schuld ist: die Tarifparteien, weil sie bisher nur sehr ungenau festgelegt haben, was ein „Baubetrieb“ ist und was nicht? All die Handwerksmeister, die sich stets darauf verlassen haben, dass ihr Laden entweder nicht als Baubetrieb gilt, oder dass die Soka-Bau ihn nicht findet, und die sich dann wundem, wenn sie eine Rechnung über 360 000 Euro bekommen? Die Soka-Bau selbst, der Anwälte eine unbarmherzige Inkassopolitik vorwerfen? Sie verlangt von ihren Schuldnern ein Prozent Zinsen – pro Monat. Und verfügt selbst über 3,7 Milliarden Euro liquide Mittel.“ Spätestens jetzt müsste bei kritischen Abgeordneten doch ein verstärktes Interesse vorhanden sein, dieses Thema tiefer zu durchleuchten und einer gerechten langfristigen Lösung zuzuführen. Die nachträgliche Aushebelung eines Beschlusses auf höchstrichterlicher Ebene durch den Bundestag ist mir zumindest nicht vermittelbar. Jens Koeppen (CDU/CSU): Ich habe heute gegen den Gesetzentwurf gestimmt, da er die rückwirkende Aufhebung bestehenden Rechts vorsieht. Es kann nicht und darf auch nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, Ergebnisse von Gerichtsurteilen durch Gesetzesänderungen rückwirkend abzuändern. Die Gesetzesinitiative geht nicht nur einseitig zulasten des Baunebengewerbes, sondern die rückwirkende Schaffung von veränderten Rechtsgrundlagen erschüttert das Vertrauen in unseren Rechtstaat. Das Gesetz hilft zudem nicht, die notwendige Abgrenzung zwischen Bauhaupt- und Baunebengewerbe weiter voranzubringen. Die einseitige Gesetzesregelung zulasten der klagenden und auch der beklagten Handwerker des Baunebengewerbes hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Bei 40 000 anhängigen Verfahren werden wir in ganz Deutschland negative Arbeitsplatzeffekte zu verzeichnen haben. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit: – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Versicherten sorgsam umgehen – Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen (Tagesordnungspunkt 19 a und b) Reiner Meier (CDU/CSU): Mark Twain hat einmal gesagt: „Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben.“ Dieser Satz ist heute Abend gleich im doppelten Sinne wahr: Zum einen ist die Selbstverwaltung – allen Unkenrufen zum Trotz – quicklebendig – und das, obwohl sie in ihren Strukturen teils auf die Lebenszeit Mark Twains zurückgeht. Zum anderen hat sich einmal mehr gezeigt, dass mancher Pressebericht vom Ende unseres Gesetzentwurfs vielleicht doch ein wenig verfrüht war. Mit dem Selbstverwaltungsstärkungsgesetz betonen wir tragende demokratische Grundsätze in der Selbstverwaltung: Transparenz und Verantwortung. Entsprechend haben wir die Informations- und Kontrollrechte der Vertreterversammlungen und der Verwaltungsräte im Sinne der „checks and balances“ deutlich gestärkt. Das ist auch richtig so. Denn nach unserem Verständnis ist es in erster Linie die Aufgabe der Selbstverwaltung, im eigenen Haus für ordnungsgemäße und rechtstreue Abläufe zu sorgen. Zur Verantwortung gehört aber auch, dass man zu getroffenen Entscheidungen steht. Es wird deshalb klare und eindeutige Regelungen geben, wann es notwendig ist, namentlich abzustimmen. Die Entscheidungen werden damit transparent und jederzeit nachvollziehbar dokumentiert. Subsidiär und nur für den Fall, dass diese interne Selbstkontrolle scheitert, stärken wir an den notwendigen Stellen die Aufsichtsinstrumente des Bundesministeriums für Gesundheit. Dabei muss eines immer klar sein: Eine Selbstverwaltung, die ihren Namen verdient, muss Spielräume für ihre Entscheidungen haben. Wir haben uns deshalb in den parlamentarischen Beratungen ebenso gegen eine Fachaufsicht wie gegen allzu restriktive Vorgaben bei den Betriebsmittelreserven ausgesprochen. Auch haben wir die Tatbestandsvoraussetzungen für den „kleinen Staatskommissar“ klarer und konkreter gefasst. Damit bleibt der Selbstverwaltung auch in Zukunft ein substanzieller Spielraum, wie sie die Vorgaben des Gesetzgebers umsetzt. Der Maßstab bleibt auch weiterhin allein die juristische Vertretbarkeit der Umsetzung. Wenn wir im Gesetz von Transparenz sprechen, dann muss sie erst recht auch im Verhältnis zum Parlament gelten. Ich freue mich deshalb ganz besonders, dass wir uns auf eine regelmäßige Berichtspflicht des Bundesministeriums an den Ausschuss für Gesundheit verständigen konnten. Damit erhält der Bundestag einen regelmäßigen Bericht über eingeleitete und laufende Aufsichtsverfahren in der Selbstverwaltung und kann daraus die gebotenen Schlussfolgerungen ziehen. Es ist in den letzten Tagen viel davon gesprochen worden, dass man mit dem Gesetz die „Richtigen“ treffen müsse. Ich meine, unser Ziel sollte nicht sein, jemanden zu treffen oder zu bestrafen, sondern die Selbstverwaltung als Ganzes zukunftsfest zu machen. Die Selbstverwaltung ist ein einzigartiges und bewährtes System, das umsichtig und mit großem Sachverstand zu einer hervorragenden Versorgung unserer Patientinnen und Patienten beiträgt. Fehlverhalten – gleich von wem es ausgeht – untergräbt das Vertrauen in die Selbstverwaltung als Ganzes und muss deshalb konsequent abgestellt und aufgearbeitet werden. Mit dem heutigen Gesetz wird die Selbstverwaltung transparenter, demokratischer und effektiver, und das ist eine gute Nachricht. Abschließend möchte ich es nicht versäumen, mich bei den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für die konstruktiven Beratungen zu bedanken und auch dafür, dass das Gesetz gestern den Ausschuss ohne Neinstimmen passiert hat. Ich hoffe, dass diese breite Einmütigkeit heute auch im Plenum spürbar ist, und darf Sie deshalb um Ihre Zustimmung bitten. Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Die Stärke der Selbstverwaltung ist eine tragende Säule des deutschen Sozialsystems. Die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen, flächendeckenden und bedarfsgerechten medizinischen Versorgung der Bevölkerung ist in besonderem Maße auf das Engagement und die Verantwortung der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen zurückzuführen. An diesem erfolgreichen und bewährten System halten wir weiter fest. Dennoch haben Abläufe in der Vergangenheit gezeigt, dass sich Partikularinteressen Einzelner gegenüber den Interessen des Gemeinwohls durchsetzen können. Vor dem Hintergrund der demnächst stattfindenden Gremienwahlen in Selbstverwaltungskörperschaften ist es wichtig, dass wir jetzt ein Gesetz auf den Weg bringen, das auf diese Sachverhalte reagiert. Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz reagieren wir aber nicht nur auf Fehlverhalten, sondern wir setzen die notwendigen Rahmenbedingungen und schaffen klare Regelungen für zukünftiges Handeln. Effizienz, mehr Kontrolle, stärkere Transparenz sowie schlüssige Vorgaben staatlicher Rechtsaufsicht sollen die Selbstverwaltung an den erkennbaren Schwachstellen weiterentwickeln und stärken. Es liegt in der Natur der Sache, dass Gesetze generell abstrakt und nicht als Lex specialis verabschiedet werden. Deshalb regeln wir das aufsichtsrechtliche Handeln und die internen Strukturen der Selbstverwaltung nicht nur für einzelne Selbstverwaltungsbereiche, sondern vielmehr für den allgemeinen Bereich der Selbstverwaltung, dies in einer uns möglichst einheitlichen Art und Weise, ohne dabei unverhältnismäßig in die internen Gestaltungskompetenzen einzugreifen, wohl wissend, dass fast überall hervorragende Arbeit geleistet wurde und wird. Wir wollen die Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltung weiter stärken. Dafür bedarf es insbesondere stärkerer Kontroll- und Informationsrechte der Mitglieder der Körperschaften sowie mehr Transparenz im Verwaltungshandeln. Nur so können frühzeitig Fehlentwicklungen erkannt, gestoppt oder gar vermieden werden. Wir wollen stärkere Einsichts- und Prüfrechte des Verwaltungsrates und der Vertreterversammlungen. Wir wollen präzisere Vorgaben zu Informations-, Dokumentations- und Berichtspflichten über die Beratungen in den Ausschüssen. Wir wollen eine funktionsfähige Handlungsweise durch Wahlen oder auch Abwahlen der oder des Vorsitzenden umsetzen und sie umgesetzt wissen. Auch wenn immer behauptet wird, das Gesetz greife zu sehr in den Verantwortungsbereich und schränke damit die nötige Handlungsfreiheit der Organe der Selbstverwaltung massiv ein: Das Gegenteil ist richtig. Die kontrollierenden Organe der Selbstverwaltung werden entscheidend, bezogen auf jedes einzelne Mitglied, gestärkt. Alle Entscheidungen werden transparent. Größere Transparenz stärkt wiederum auch das Handeln der einzelnen Mitglieder. Nur wer ausreichend und sachgerecht informiert ist, kann die richtigen Entscheidungen treffen. Dies stärkt letztlich die Selbstverwaltung und ihre internen Strukturen. Die Frage, ob in bestimmten Fällen eine namentliche Abstimmung erforderlich ist, wird durchaus strittig diskutiert. Die Vergangenheit hat uns aber gezeigt, dass in bestimmten Fällen die Entscheidungen auch nachvollziehbar sein müssen. Aber auch hier greifen wir nicht ein. Wir vertrauen auf die Strukturen der Selbstverwaltung in diesen ganz besonderen Verantwortungssituationen. Das heißt, die Körperschaften bestimmen in ihrer Satzung selbst, wann eine namentliche Abstimmung vorzusehen ist. Damit setzen wir auch hier ein klares Zeichen für mehr Eigenverantwortung und Selbstkontrolle, da diese Regelung ausschließlich interne Vorgänge der Selbstverwaltungskörperschaften betrifft. Uns ist auch wichtig, mögliches Fehlverhalten frühzeitig aufzudecken. Auch hier lassen wir die Zuständigkeit in den jeweiligen Körperschaften. Zukünftig wird die Innenrevision den Selbstverwaltungsgremien der Körperschaften über ggf. festgestellte Handlungsverstöße berichten. Dies trägt zu mehr Transparenz und Kontrolle in der hausinternen Aufarbeitung bei. Auch werden dadurch die Strukturen innerhalb der Selbstverwaltung weiter gestärkt. Kompetente, sachgerechte Entscheidungsabläufe und Entscheidungen sind immer noch der beste Weg, hier jegliches aufsichtsrechtliches Tätigwerden zu vermeiden. Als Ultima Ratio besteht aber nunmehr die Möglichkeit, gegebenenfalls aufsichtsrechtlich einzugreifen. Damit vertrauen wir grundsätzlich auf die Selbstreinigungskräfte der Selbstverwaltungsinstitutionen. Klar muss aber sein: Sofern diese nicht funktionieren sollten, werden wir als Politik auch zukünftig eingreifen. Sollten konkrete Anhaltspunkte für Fehlverhalten vorliegen, kann darüber hinaus eine Person entsandt werden, die beratend den Institutionen zur Seite steht, um weitere, eingreifende Maßnahmen zu verhindern. Auch mit dieser Regelung stärken wir gleichzeitig jedes einzelne Mitglied der Selbstverwaltung. Darüber hinaus kann das Bundesministerium für Gesundheit weitere Maßnahmen im Rahmen seiner Rechtsaufsicht ergreifen. Denn wir stärken auch die Rechtsaufsichtsstrukturen. Durch konkrete Vorgaben werden Rechtsverletzungen zukünftig eindeutig und konsequent geahndet. Diese Regelung gilt insbesondere für Betriebsmittel und Rücklagen sowie für die Pflicht zur Ausschüttung von Vermögen bzw. der Senkung der Umlage, wenn dies nicht zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben notwendig ist. Wir sichern damit einen verantwortungsvollen Umgang mit Beitragsgeldern. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit dem Gesetz sowohl die verwaltungsinterne Selbstkontrolle als auch die staatliche Aufsicht als externe Kontrolle angepasst und weiterentwickelt werden. Befürchtungen, die Politik werde die Selbstverwaltung eher schwächen als stärken, kann ich nicht teilen. Sogar von Entmündigung war hier teilweise die Rede. Im Gegenteil: Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz setzen wir ein klares Zeichen in Richtung einer stärkeren Selbstverwaltung und einer Aufsicht mit Augenmaß im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Stabilität unseres Gesundheitswesens für die Zukunft. Ich werbe deshalb um Ihre Zustimmung. Bärbel Bas (SPD): Wir reden derzeit viel über die kommende Bundestagswahl. Doch bevor wir am 24. September den 19. Deutschen Bundestag wählen, findet noch eine andere Wahl statt. Zu Unrecht wird sie oft unterschätzt oder nicht richtig wahrgenommen. Gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten ist es sogar die wichtigste Wahl in Deutschland nach den Bundestags- und Europawahlen. Es geht um die am 31. Mai 2017 stattfindenden Sozialwahlen. Bei den Sozialwahlen werden für Renten-, Unfall-, Pflege- und Krankenversicherung die ehrenamtlichen Vertreterversammlungen bzw. Verwaltungsräte gewählt. Die sogenannte Selbstverwaltung. Diese vermeintlich „trockene“ Selbstverwaltung birgt ein gewaltiges Potenzial: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sowie Arbeitgeber finanzieren mit ihren Beiträgen die Solidargemeinschaft und damit die Leistungen für Rentnerinnen, Rentner und Kranke. Deshalb sitzen sie auch am Tisch der Entscheider. Die gelebte Mitbestimmung der Sozialpartner an der Sozialversicherung hat für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine sehr hohe Bedeutung und ist für den Erfolg der Sozialversicherung unverzichtbar. Weil die SPD auch in Zukunft für eine starke Selbstverwaltung steht, haben wir dieses Selbstverwaltungsstärkungsgesetz immer kritisch begleitet. Der Titel des Gesetzes klingt erst einmal gut. Die Stärkung der Selbstverwaltung ist auch immer eine gute Idee. Was Sie uns, Herr Minister, allerdings als Referentenentwurf vorlegt hatten, war das genaue Gegenteil und ein Angriff auf die gesamte Selbstverwaltung in diesem Land. Mit diesem Entwurf wäre es nicht bei einer Rechtsaufsicht des Ministeriums geblieben, sondern auch zu einer Fachaufsicht geworden. Damit wären die Entscheidungskompetenzen der Spitzenorganisationen der GKV erheblich geschwächt geworden. Ich danke Ihnen heute, Herr Minister, dass Sie auf unsere Kritik eingegangen sind. In guter Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner konnten wir Sie davon überzeugen, Ihren ersten Vorschlag bereits im Zuge der Erarbeitung eines Kabinettsentwurfs zu entschärfen. Ich kann schon verstehen, warum Sie einen Gesetzentwurf in dieser Schärfe formuliert haben. Sie haben damit auf die Verfehlungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung reagiert. Diese hat mit einem Mix aus Korruption, Intrigen und Selbstbereicherung nicht nur ihren Auftrag zur Steuerung der ambulanten ärztlichen Versorgung in ganz Deutschland vergessen lassen, sondern auch das öffentliche Vertrauen in die Selbstverwaltung insgesamt erschüttert. Ganz klar: Die Verfehlungen innerhalb der KBV müssen restlos aufgeklärt werden. Es ist für die SPD völlig unstrittig, dass wir eine vollständige Transparenz und bessere Aufsicht über die Vorgänge in der KBV brauchen. Allerdings darf man dabei nicht die gesamte Selbstverwaltung beschädigen. Ich persönlich hätte mir daher auch eine sogenannte „Lex KBV“ vorstellen können. Nach intensiven Verhandlungen hat die SPD-Fraktion sich mit umfangreichen Änderungen beim Selbstverwaltungsstärkungsgesetz durchgesetzt. Ich will hier nur exemplarisch die nennen, die in meinen Augen für eine starke und autonome Selbstverwaltung am wichtigsten sind: Der Gesetzentwurf sah in § 81 Absatz 1 und § 217e sogenannte „Pflichtinhalte“ für die Satzungen der Körperschaften vor. Diese sind ersatzlos gestrichen worden. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir diesen Eingriff in die Satzungsautonomie der Selbstverwaltungsinstitutionen nicht mittragen. Es ist ein wesentliches Element der Selbstverwaltung, über die Satzungsinhalte selbst bestimmen zu können und auch die Verantwortung dafür zu übernehmen. Wir haben Präzisierungen bei der sogenannten entsandten Person erreicht, die das Ministerium bei Gefahren für die ordnungsgemäße Verwaltung entsenden kann. Dieser „kleine Staatskommissar“ dient jetzt ausschließlich der Beratung und Unterstützung der jeweiligen Institution. Wir hatten massive Bedenken, dass sich bei der Entsendung eines weisungsbefugten Kontrolleurs eine relevante Haftungsfrage ergeben kann, wenn sich dessen Entscheidungen als falsch herausstellen. Uns war darum wichtig, dass die Entscheidungen weiterhin vom Vorstand getroffen und auch verantwortet werden. Darüber hinaus haben wir die Regelungen über die Prüfung der Körperschaften durch externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gestrichen. Es bleibt damit für die Selbstverwaltung bei der turnusmäßigen Prüfung durch das Bundesversicherungsamt. Wir haben im parlamentarischen Verfahren immer wieder Zweifel daran vernommen, ob eine effiziente Rechtsaufsicht nicht auch auf Grundlage der bestehenden gesetzlichen Regelungen hätte ausgeübt werden können. Darum haben wir jetzt durch einen Änderungsantrag dafür gesorgt, dass das Bundesgesundheitsministerium zukünftig jährlich zum 1. März – erstmals 2018 – dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages über laufende Aufsichtsverfahren berichtet. Diese Berichtspflicht wird uns Abgeordneten in Zukunft eine bessere Kontrolle ermöglichen, ob das Bundesgesundheitsministerium seinen aufsichtsrechtlichen Pflichten gegenüber den Spitzenorganisationen ordnungsgemäß nachgekommen ist. Wir haben lange und intensiv beraten und auch in dieser Woche noch hart verhandelt. Das ist nicht nur unser Recht als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, das ist sogar unsere Pflicht. Am Ende ist für uns als SPD-Bundestagsfraktion klar: Dieses Gesetz trifft jetzt die Richtigen – ohne das Prinzip der Selbstverwaltung zu beschädigen. Die SPD steht für eine starke Selbstverwaltung auch in der Zukunft. Harald Weinberg (DIE LINKE): Die Organisationen der Selbstverwaltung kritisierten den ersten Gesetzentwurf scharf. Sie sah in der Bezeichnung „Selbstverwaltungsstärkungsgesetz“ keine Stärkung, sondern eine Schwächung, die Beschneidung ihrer Selbstständigkeit. Nun sind ihm einige der dahin gehenden „Zähne“ gezogen worden. Eigentlich spricht auch einiges dafür, dass die Bundesregierung mit ihrem bisherigen aufsichtsrechtlichen Instrumentarium einige Auswüchse der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die ja Anlass für das Gesetz waren, hätte verhindern oder zumindest abmildern können, aber bewusst weggeschaut hat. Das wäre zugleich eine Begründung für den danach demonstrativen Handlungswillen von CDU/CSU und SPD. Aus unserer Sicht ist es durchaus sinnvoll, mehr Transparenz und auch mehr Kontrolle über die Selbstverwaltung einzuführen. Für uns ist klar: Mehr Transparenz ist das A und O für das Vertrauen in die Selbstverwaltung. Die nun geschaffenen Eingriffsmöglichkeiten müssen ja auch nur genutzt werden, wenn es wirklich einen Anlass gibt. Sie können aber dadurch, dass sie grundsätzlich jederzeit eingesetzt werden können, auch disziplinierende Effekte auf die Gremien haben, zu politisch tragfähigen Lösungen zu gelangen. Insofern sind viele der im Gesetzentwurf getroffenen Maßnahmen nicht falsch. Sie sollen ja auch nicht Verfehlungen der Vergangenheit bestrafen, sondern Verfehlungen in der Zukunft verhindern. Das Gesetz ist aber keine Lösung für das Grundproblem der Selbstverwaltung in einem sich immer stärker in Richtung Wettbewerb bewegenden Gesundheitssystem. Letztendlich versucht hier die Bundesregierung die Folgen ihrer eigenen Politik einzudämmen: Wer Wettbewerb einfordert – und das machen in unterschiedlichem Maße leider alle Fraktionen außer der Linken – darf sich nicht wundern, dass jede und jeder vorrangig den eigenen Nutzen sieht und das Gemeinwohl aus dem Auge verliert. Der eigentliche Zweck der Selbstverwaltung ist, die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern und das Gemeinwohl zu stärken. Die Selbstverwaltung und unser Gesundheitssystem sind kein Selbstzweck. Sie sind da, um eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten zu organisieren. Diese Idee wird durch Wettbewerb konterkariert. Deshalb trifft die Selbstverwaltung nicht wenige Vereinbarungen, die dem Gemeinwohl nicht entsprechen. Die zweifelhaften Geschäfte der KBV sind nur die Spitze des Eisbergs. Und diese Spitze, der Fall Köhler, der andauernde Streit der Haus- und Fachärzteschaft und die Immobiliengeschäfte offenbarten eine offensichtliche Fehlfunktion der Selbstverwaltung, sodass die Bundesregierung hier einfach nicht mehr wegschauen konnte. Wir wollen aber grundsätzlich an das Problem heran. Es bedarf in einem wettbewerblich ausgerichteten System aus unserer Sicht zumindest einer Stärkung der Patientenvertretung als Korrektiv. Wenn man die Selbstverwaltung in einem Gesetzentwurf anpackt, ohne die Patientinnen und Patienten oder die Patientenvertretung auch nur in einem Wort zu erwähnen, dann fehlt hier ein ganz wesentlicher Punkt. Wir wollen die Rechte der Patientenvertretung stärken. Das wird mit dem jetzigen Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD überhaupt nicht angegangen. Deshalb werden wir uns enthalten. Wir schlagen vor, dass die Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter an entscheidender Stelle mitbestimmen können. Sie sollen im Gemeinsamen Bundesausschuss das Zünglein an der Waage sein, wenn sich Kassen, Ärzte- und Zahnärzteschaft sowie Krankenhäuser nicht einigen können. Die Patientenorganisationen erhalten im Gemeinsamen Bundesausschuss das Recht, zwei der drei unparteiischen Mitglieder zu benennen. Es muss weitgehend ausgeschlossen werden, dass auf die Entscheidungen der Patientenvertretung Einfluss genommen wird. Durch geeignete Verfahren muss ihre Unabhängigkeit von anderen Interessengruppen sichergestellt werden. Gerade unter den Bedingungen des Kassenwettbewerbs bedarf es zudem einer bundeseinheitlichen und wirksamen Aufsicht über alle Krankenkassen. Und wir schlagen vor, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung bei Begutachtungen, die Entscheidungen über die Leistungsgewährung vorausgehen, schrittweise als von den Kranken- und Pflegekassen personell und organisatorisch unabhängige Organisation ausgestaltet wird. Diese Vorschläge gehen deutlich über den vorliegenden Gesetzentwurf hinaus. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Selbstverwaltung ist ein wesentlicher Eckpfeiler des alles in allem gut funktionierenden Gesundheitssystems in Deutschland. Sie stellt sicher, dass fachliches Wissen und praktische Erfahrungen derjenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, unmittelbar in dessen Regulierung einfließen. Umso wichtiger ist es allerdings, dass die Selbstverwaltung transparent und an der Sache orientiert agiert. Selbstverwaltung muss jedes Verdachtsmoment der Selbstbedienung vermeiden. Das war leider in der Vergangenheit nicht immer so klar. Die Unregelmäßigkeiten um das Geschäftsgebaren bei Immobiliengeschäften der Kassenärztlichen Bundesvereinigung haben der Legitimation der Selbstverwaltung einen Bärendienst erwiesen. Jahrelang hatte deren früherer Vorstand Gelder in eine defizitäre Immobiliengesellschaft investiert, sich selbst und anderen überhöhte Versorgungsbezüge gewährt und Rücklagen in wertlosen Finanzanlagen versenkt. Dass diese Vorgänge öffentlich publik wurden, ebenso wie die jahrelange Untätigkeit Ihres Ministeriums als Aufsichtsbehörde, verdanken Sie nicht zuletzt auch der Beharrlichkeit unserer Fraktion. Es muss also zukünftig dafür Sorge getragen werden, dass die internen Kontrollmechanismen innerhalb der Spitzenverbände wie auch die aufsichtsrechtlichen Befugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit gegenüber diesen Akteuren konsequent angewendet werden. Das ist keine Gefährdung des Prinzips der Selbstverwaltung, wie oft zu hören war. Im Gegenteil: Es erhöht die Legitimation der Selbstverwaltung. Wir begrüßen, dass Sie den noch im Referentenentwurf geplanten massiven Eingriff in die Richtlinienkompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses wieder gestrichen haben. Dass Sie die Geschäftsprüfungen bei den Spitzenverbänden nun nicht mehr an private Wirtschaftsprüfungsgesellschaften outsourcen, sondern beim Bundesversicherungsamt belassen wollen, unterstützen wir ebenfalls. Allerdings erwarten wir auch, dass Sie diese Behörde zukünftig mit genügend Ressourcen ausstatten, damit sie diese Prüfungen auch sachgerecht wahrnehmen kann. Ob Ihr Gesetzentwurf allerdings einen stringenten Beitrag zur Stärkung der Selbstverwaltung darstellt, darf bezweifelt werden. Ein Beispiel: Nach Ihrem Vorschlag sollen Beteiligungen an Gesellschaften des Privatrechts zukünftig lediglich vom Lenkungsgremium der Körperschaft selbst abgenickt werden. Das ist nach den Erfahrungen mit der Übernahme einer faktisch insolventen Immobiliengesellschaft durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung nicht nachvollziehbar. Es muss für solche Entscheidungen mit teilweise erheblichen finanziellen Auswirkungen zukünftig auch eine aufsichtsrechtliche Kontrollmöglichkeit geben, um einer erneuten Rufschädigung der Selbstverwaltung im Wiederholungsfalle weitgehend vorzubeugen. Es soll nach Ihrer Vorstellung ja keine Rahmenvorgaben für Geldanlagen oder Darlehen geben, obwohl die KBV gerade durch solche Finanzgeschäfte erhebliche Beträge verloren hat. Man darf auch gespannt sein, inwieweit gesetzlicher Korrekturbedarf infolge der Auseinandersetzung um persönliche Haftung von Funktionsträgern vor Gericht entsteht. Unsere Forderung nach einem besseren Schutz von Whistleblowern wurde nicht aufgegriffen. Aus den genannten Gründen wird sich meine Fraktion bei diesem Gesetzentwurf enthalten. Und machen wir uns nichts vor: Ein wie auch immer geartetes Selbstverwaltungsstärkungsgesetz wird wenig Veränderung bringen, wenn nicht auch in den Institutionen und im Ministerium selbst ein Kulturwandel stattfindet. Beide haben in der Vergangenheit ihre Kontrollfunktionen und ihre Aufsichtsrechte zum Teil unterlassen beziehungsweise – vorsichtig formuliert – sehr dezent wahrgenommen und tragen damit einen Teil der Verantwortung für das Ausmaß der Missstände. Ein Gesetz ändert nichts, solange nicht die Bereitschaft besteht, Aufsichtsrechte im Ernstfall auch wahrzunehmen. Und genau das erwarten wir von Ihnen in Zukunft als Beitrag zur Stärkung der Selbstverwaltung. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von Standpunkten der Union in den Stabilitäts- und Assoziationsräten EU – Republik Albanien sowie EU – Republik Serbien im Hinblick auf die Beteiligung der Republik Albanien sowie der Republik Serbien als Beobachter an den Arbeiten der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und die entsprechenden Modalitäten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates (Tagesordnungspunkt 22) Thorsten Frei (CDU/CSU): Albanien als Beitrittskandidat der Europäischen Union und auch Serbien, mit dem bereits Beitrittsverhandlungen geführt werden, haben in der Vergangenheit viele Fortschritte im Bereich der Grundrechte gemacht. Die Grundrechte sind in beiden Ländern gesetzlich kodifiziert und entsprechen insgesamt internationalen Standards. Systematische Menschenrechtsverletzungen durch Regierung oder andere Staatsorgane sind nicht zu beobachten. Lediglich der Bereich der Organisierten Kriminalität bildet in Teilen eine Ausnahme, etwa mit Blick auf den noch immer existenten Menschenhandel. Insbesondere in Albanien ist das Zusammenleben der Religionsgemeinschaften von Muslimen sowie katholischen und orthodoxen Christen von beispielhafter Toleranz gekennzeichnet. Und trotzdem erfahren bestimmte Gruppen noch immer faktische Benachteiligungen im Alltag. Hier kommen vor allem tradierte Wert- und Gesellschaftsvorstellungen zum Tragen. Insbesondere Frauen und ihre Behandlung unterliegen den herkömmlichen traditionellen Mustern. Sie sind noch immer häufig Opfer häuslicher Gewalt. Leider gilt das auch für Kinder. Im ländlichen Raum gibt es diesbezügliche Probleme deutlich häufiger als in den Städten. Auch daran zeigt sich, dass die Zivilgesellschaften im Vergleich zum Westen noch immer äußerst schwach sind. Zu begrüßen ist, dass die albanische Regierung eine nationale Strategie gegen häusliche Gewalt und für Gleichberechtigung ausgearbeitet hat. Und Serbien hat im vergangenen März einen Minderheiten-Aktionsplan verabschiedet, der Teil der Verpflichtungen zum Abschluss der Verhandlungen zum Kapitel 23 ist. Trotzdem muss man objektiv feststellen, dass es in beiden Ländern oft an der vollständigen Implementierung der Normen hakt. Ein wesentlicher Hemmschuh sind jedoch die Justizsysteme, die in Serbien und vor allem auch Albanien eine Dauerbaustelle sind. Die größten Herausforderungen sind die Steigerung der richterlichen Unabhängigkeit und die Effizienz der Gerichte sowie der Verwaltung und der oft große Verfahrensrückstau. Ein Lichtblick ist sicherlich die in Albanien im vergangenen Sommer beschlossene Justizreform, die wesentlich unter Beratung der von einem deutschen Richter geführten EURALIUS-Mission vorbereitet worden war, samt des Vetting-Prozesses zur Überprüfung der Richter. Aber auch hier gilt: Auf dem Papier ist die Reform sicherlich mustergültig. Ohne Implementierung ist sie allerdings nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben steht. Das zeigt sich auch an der Institution des Ombudsmanns zur Sicherung von Minderheitenrechte, der sich in beiden Ländern gleichermaßen nur sehr schwer Gehör und gesellschaftliche Aufmerksamkeit verschaffen kann, Ein weiteres Problem ist die trotz großer Medienvielfalt bestehende Praxis der politischen Einmischung in die Arbeit der öffentlichen Rundfunkanstalten und zur Einschüchterung von Journalisten. Ganz wesentlich ist die Intransparenz der öffentliche Medienförderung. Politiker auf dem Balkan verstehen die Medien traditionell nicht als „Vierte Gewalt“ im Staat, sondern als Kanal, um Bürger zu beeinflussen. Kritische Medienberichte werden als feindliche Handlung angesehen. Folglich werden nur Zeitungen finanziell gefördert, die eine der politischen Führung konforme Berichterstattung bieten. Das ist natürlich ein Problem, da in der Region kaum eine Firma oder Privatperson Werbung schaltet. Folglich kommt auch der jüngste Fortschrittsbericht der EU-Kommission zum Schluss, dass weiterhin Diskriminierungen und Feindseligkeiten gegenüber benachteiligten Gruppen, unter anderem aus Gründen der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität, auf der Tagesordnung stehen. Außerdem sind weitere Maßnahmen notwendig, um die Gleichstellung von Frauen und Männern zu gewährleisten, auch durch die Bekämpfung von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt, und um Chancengleichheit für Frauen herzustellen, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Die Rechte der Kinder müssen gestärkt werden, unter anderem durch die Entwicklung von Kinderschutzsystemen, und es bedarf vermehrt wirksamer Strategien zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen. Ebenso hat sich kaum etwas an der schwierigen Lage der Roma geändert. Es gibt also unverändert viel zu tun, um Albanien fit für die Beitrittsverhandlungen zu machen und damit Serbien die einschlägigen Kapitel 23 und 24 erfolgreich abschließen kann. Folglich ist das Ansinnen der EU-Kommission richtig. Die Teilnahme als Beobachter in der EU-Grundrechteagentur böte einen weiteren Kanal, um am Abbau der Defizite zu arbeiten und die beiden Länder näher an die Standards der Europäischen Union heranzuführen. Der Dialog mit den Mitgliedern in diesem Bereich könnte neue Impulse für die Stärkung der Grundrechte bieten. Noch viel wichtiger erscheint mir aber die Tatsache, dass die Teilnahme an der Grundrechteagentur und den damit verbundenen Mechanismen selbst im Beobachterstatus eine weitere Form der Heranführung und Bindung an die EU ist. Für die Länder des westlichen Balkan sind solche Schritte messbar und ein unmittelbar nachvollziehbarer Erfolg der eigenen Bemühungen. Solche Erfolge lassen sich auch gegenüber der eigenen Bevölkerung im Sinne der eigenen politischen Strategie gut darstellen. Wir müssen ihnen solche Schritte immer wieder bieten und ermöglichen, auch wenn klar ist, dass wir nicht von den geltenden Kriterien abrücken werden oder Konzessionen machen dürfen. Das ist gerade in der heutigen Zeit dringend geboten. Wir schauen auf ein Jahr der Unsicherheit in Europa. Das gilt nicht nur wegen des Brexits, sondern auch wegen des neuen US-Präsidenten Donald Trump, der kein Interesse an einem starken Europa hat. Gerade für den westlichen Balkan könnte ein abnehmendes amerikanisches Engagement fatale Folgen haben. Schon heute sind die Aktivitäten Russlands, Chinas und mit Blick auf die muslimisch geprägten Länder auch aus dem arabischen Raum nicht zu übersehen. Die genannten Länder warten nur darauf, in ein mögliches Vakuum zu stoßen und die noch immer nicht gefestigten Länder der Region in die eigene Einflusssphäre zu ziehen. Zumal die nationalistischen Gruppierungen und Parteien unverändert stark sind und gerade die historischen Bindungen zu Russland unverändert hoch im Kurs stehen. Hier sehe ich die ernsthafte Gefahr, dass das ein oder andere Land trotz aller Beteuerungen einen Kurswechsel vollziehen könnte. Verschiedene Ereignisse und Spekulationen darum zeigen aus meiner Sicht, dass insbesondere Russland nicht zimperlich ist, wenn es um die Ausnutzung möglicher Chancen geht. Ich bin zwar überzeugt, dass die Nähe zu Russland keine Vorteile für die Menschen bringt und die Beitrittskandidaten schon heute deutliche Entwicklungsschritte spüren können. Aber wir leben in „postfaktischen“ Zeiten, in denen Populisten mit ihrer eigenen Wahrheit viel Gehör in der Bevölkerung finden. Für Europa aber wären eine solche Abkehr und die damit verbundenen Signale fatal. Deshalb müssen wir alle Kraft aufwenden, um den Ländern des westlichen Balkan zu helfen und ihnen greifbare Perspektiven bieten. Auch für uns werden sich Aufwand und Mühe lohnen. Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Ich nutze die Debatte zum vorliegenden Gesetzentwurf, um mich kurz generell mit den europäischen Agenturen zu befassen. Meiner Ansicht nach sollten wir dies hier im Deutschen Bundestag deutlich häufiger tun – nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass das Gesamtbudget aller Agenturen im Jahr 2014 rund 1,9 Milliarden Euro betrug und dort weit mehr als 6 000 Personen beschäftigt waren. Zudem ist die Bundesregierung im Verwaltungsrat einer jeden Agentur mit mindestens einem Repräsentanten vertreten. Wenn wir die Gewaltenteilung ernst nehmen, dann sollten wir uns auch mit deren Arbeit befassen. Die nächste Gelegenheit, sich mit dem System der dezentralen Agenturen zu befassen, bieten die Brexit-Verhandlungen. Denn mit ihnen geht die Notwendigkeit der Verlagerung zweier Institutionen – nämlich der Europäischen Arznei-Mittelagentur sowie der Europäischen Bankenaufsicht – aus dem Vereinigten Königreich in einen anderen Mitgliedstaat der EU einher. Agenturen sind heute fester Bestandteil der europäischen Exekutive geworden. Sie erfüllen wichtige administrative, operative und teilweise auch regulative Aufgaben, insbesondere in Bereichen, die ein hohes Maß an Spezialwissen oder -fähigkeiten erfordern. Mangels eines einheitlichen Regelungsrahmens entstanden quer über Europa verteilt Agenturen mit sehr unterschiedlichen Handlungsbefugnissen, internen Organisationsstrukturen und Kontrollmechanismen. Diesen Wildwuchs nahmen das Europäische Parlament, der Rat der EU und die Kommission zum Anlass, im Jahr 2012 eine gemeinsame Erklärung über die dezentralen Agenturen zu beschließen. Mit der Formulierung eines Fahrplans, einem einheitlichen Rahmenregelwerk und weiteren Initiativen setzte die EU-Kommission diese gemeinsame Erklärung um. Als größter Nettozahler in der Europäischen Union hat die Bundesrepublik Deutschland ein besonderes Interesse daran, dass EU-Mittel sparsam und effizient eingesetzt werden. Daher ist es folgerichtig, die EU-Agenturen einer regelmäßigen Aufgabenkritik zu unterziehen. Auch hier gilt: Seine Daseinsberechtigung auf europäischer Ebene hat nur, was echten europäischen Mehrwert bringt. Gerade mit Blick auf die EU-Grundrechteagentur stellt sich diese Anforderung als besonders schwierig dar. Aus meiner Sicht nicht zu Unrecht wird von manchen Seiten die Kritik erhoben, mit der Grundrechteagentur würden Strukturen, beispielsweise des Europarates, aber auch der OSZE, gedoppelt. Hier kommt es darauf an, Synergien zwischen den einzelnen Institutionen zu erkennen und klug zu nutzen. Das Abkommen mit dem Europarat aus dem Jahr 2008 ist hierfür ein gutes Beispiel. Auch bei den Programmplanungen sollten die einzelnen Akteure in regem Austausch stehen, um eine effiziente Arbeitsteilung gewährleisten zu können. Wir beraten heute den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Einbeziehung der Republiken Albanien und Serbien in die Arbeit der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt das Ansinnen beider Länder, sich durch die Mitarbeit bei ausgewählten Agenturen enger an die Europäische Union zu binden. Gleichzeitig ist es mir wichtig zu betonen, dass mit der Zustimmung zu diesem heute vorliegenden Gesetzentwurf keine Vorfestlegung im Hinblick auf einen möglichen späteren Beitritt beider Länder zur EU getroffen wird. Grundlage für die Verleihung des Beobachterstatus ist Artikel 28 der Verordnung (EG) 168/2007 zur Errichtung der EU-Grundrechteagentur. Dieser sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass auch EU-Beitrittskandidatenländer in die Arbeit eingebunden werden können. Die Grundrechteagentur soll Einrichtungen und Behörden der EU und ihrer Mitgliedstaaten in Grundrechtsfragen sowie bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts unterstützen. Sie stellt den europäischen Gesetzgebern bei der Festlegung von Maßnahmen Informationen und Expertise zur Verfügung. Auch aus Sicht der Grundrechteagentur ist die Einbeziehung Albaniens und Serbiens zu begrüßen, da die Arbeit der Agentur auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Beobachterländer beschränkt ist. Die Verleihung des Beobachterstatus sorgt folglich dafür, dass die Agentur ihre Arbeit auf die Republiken Albanien und Serbien ausweiten kann. Die notwendigen finanziellen Anpassungen im Haushaltsplan der Grundrechteagentur werden von den Bewerberländern entsprechend den Vorgaben der zuvor genannten Verordnung getragen. Es bleibt festzuhalten, dass die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte einen wichtigen Beitrag zur Wahrung und Verbreitung von Menschenrechten auf der Welt leistet. Sie kooperiert sehr erfolgreich mit den Vereinten Nationen und verfügt über ein dichtes Netz an Informationsstellen. Die Einbeziehung der Republik Albanien sowie der Republik Serbien ist nicht nur vor diesem Hintergrund zu unterstützen. Ich werbe daher für Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf. Norbert Spinrath (SPD): Heute beraten wir in zweiter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf, dessen Verabschiedung es der Bundesregierung ermöglichen wird, der Einbeziehung Albaniens und Serbiens in die themenspezifische Arbeit der EU-Grundrechteagentur zuzustimmen. Die Europäische Kommission hat einen entsprechenden Vorschlag im März letzten Jahres gemacht. Die SPD-Fraktion begrüßt diese Initiative ausdrücklich und wird daher dem Gesetzentwurf zustimmen. Es freut mich, dass alle Fraktionen diese Haltung teilen. Dafür gibt es gute Gründe. Wenn beide Länder als Beobachter an den Arbeiten der Grundrechteagentur mitwirken, ist das eine Chance. Denn die Analyse der Situation der Grundrechte in den beiden Beitrittskandidatenländern kann deren Beachtung stärken und ihre Reformagenda im Grundrechtsbereich stärken. Die Beteiligung an Agenturen der EU ist zwar prinzipiell für Bewerberländer vorgesehen, aber durchaus kein Automatismus. Ich werte es als ausgesprochen gutes Zeichen, dass beide Länder eine Beteiligung an der Grundrechteagentur anstreben. Der mit der Erlangung des Beobachterstatus verbundene Schritt in Richtung Europäische Union ist sicher nicht der entscheidende. Er hat aber gleichwohl symbolische Bedeutung und faktische Wirkung. Albanien trägt mit einer moderaten und manchmal moderierenden Außenpolitik zur Stabilität und Berechenbarkeit der Region bei. Dies gilt in Bezug auf den Konflikt zwischen Serbien und Kosovo wie auch auf die Situation in Mazedonien. Die Europäische Kommission hat dem Land stetige Fortschritte bei der Erfüllung politischer Kriterien attestiert und Reformfortschritte gelobt. Vorbehaltlich glaubwürdiger und konkreter Fortschritte bei der Umsetzung der Justizreform empfahl die Kommission im November 2016 die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen. Der noch immer schwache Rechtsstaat muss weiter gestärkt werden, wozu der Beobachterstatus bei der Grundrechteagentur einen Beitrag leisten kann. Serbien hat Fortschritte bei der wirtschaftlichen Entwicklung und über längere Zeit auch im Entspannungsprozess mit dem Kosovo gemacht. Einige Kapitel konnten bereits im Beitrittsprozess geöffnet werden. Schwächen zeigt das Land im Annäherungsprozess an die EU bei der Sicherung der Grundrechte im Rechtsstaat, wie Pressefreiheit, Korruptionsbekämpfung und unabhängige Justiz. Deshalb begrüßen wir, dass Serbien einen Beobachterstatus bei der EU-Grundrechteagentur haben wird. Beide Länder müssen die notwendigen Reformen vorantreiben und tatsächlich umsetzen. Das ist ihre Verantwortung. Doch wir verfolgen die Entwicklungen in der Region nicht nur mit Interesse; wir sollen sie auch unterstützen. Die anderen Mitgliedstaaten haben dem Vorschlag bereits zugestimmt, nun sollte dies auch Deutschland tun. Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Verfahren selbst verlieren. Wieso brauchen wir für diesen sicher wichtigen, aber keineswegs bahnbrechenden Kommissionsvorschlag ein bundesdeutsches Gesetz? Die Einbeziehung von Kandidatenstaaten ist doch schon seit der Errichtung der Grundrechteagentur im Jahre 2007 prinzipiell als Möglichkeit vorgesehen. Dass jetzt für die konkrete Aktivierung dieser Möglichkeit ein Zustimmungsgesetz erforderlich ist, geht auf das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zurück. Die Besorgnis Karlsruhes hinsichtlich einer Machtausweitung der EU zulasten des Bundestages ist jedoch unbegründet. Trotzdem bleibt das Erfordernis eines Gesetzes sinnvoll, alleine schon wegen der disziplinierenden Vorwirkung. Ich ermuntere die Republiken Albanien und Serbien ausdrücklich dazu, den Beobachterstatus insbesondere zur Implementierung weiterer Fortschritte auf dem Weg zur Rechtstaatlichkeit nach dem EU-Standard zu nutzen. Dies wäre ein wichtiger Schritt für den weiteren Beitrittsprozess und zur europäischen Integration. Andrej Hunko (DIE LINKE): Bei der Einrichtung der Grundrechteagentur im Jahr 2007 nannte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International diese einen „zahnlosen Tiger“. Der Grund: Sie bringe praktisch keinen Nutzen bei der Wahrung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, ihr Mandat sei zu beschränkt, und es deute vieles darauf hin, dass die Struktur vor allem darauf ausgelegt ist, dass sich die Mitgliedstaaten in Sachen Grundrechte nicht reinreden lassen wollen. Dies hat sich seitdem weitgehend bestätigt. Dennoch hat die Agentur seit ihrer Gründung dreistellige Millionenbeträge gekostet. Ich möchte noch einmal an die Bundestagsdebatte bei der Gründung der Agentur erinnern. Damals gab es erstaunlich wenige Meinungsverschiedenheiten, und erstaunlich viele haben unsere Kritik geteilt. Denn heute wie damals gilt, dass die eben genannten Millionenbeträge in anderen Institutionen wesentlich besser aufgehoben gewesen wären. Insbesondere der Europarat bietet ausgereiftere, erfahrenere und effektivere Institutionen zum Schutz der Grundrechte. Nicht umsonst gibt es die Europäische Menschenrechtskonvention und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der sie durchsetzen soll. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates mit ihren Monitoringverfahren wacht über die Einhaltung der Grundrechte in den Mitgliedstaaten. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind chronisch unterfinanziert. Es ist vor allem deshalb ein riesiges Problem, dass der EGMR einen Rückstau von Zehntausenden Verfahren bearbeiten muss. Doch anstatt den Europarat endlich mit mehr Mitteln auszustatten, gingen die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten in die andere Richtung. Unter Zustimmung der Bundesregierung setzten sie auf eine teilweise Dopplung der vorhandenen Strukturen – möglicherweise war dies auch in einer potenziellen Schwächung des Europarates motiviert. Denn es wurde nicht allein die Grundrechteagentur als unzureichende Parallelstruktur geschaffen; auch hat die EU den vertraglich vorgeschriebenen Beitritt zur Menschenrechtskonvention bis heute nicht vollzogen. Es sind diese Vorgänge, die mich doch sehr am wirklichen Willen der EU für den Grundrechteschutz zweifeln lassen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass durch die Parallelstrukturen eine Definitionsmacht über Menschenrechtspolitik bei der EU verankert werden soll. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Europarat mit seinen Strukturen weiter geschwächt wird. Dies kritisieren wir aufs Schärfste. Nun existiert die Grundrechteagentur aber seit knapp zehn Jahren; sie ist eine Realität. Heute beraten wir die Frage, ob der deutsche Vertreter im Rat der EU zustimmen darf, dass Albanien und Serbien Beobachterstatus in der Grundrechteagentur bekommen. Dieser Schritt steht selbstverständlich im Kontext eines möglichen EU-Beitritts der beiden Länder. Auch wenn wir aufgrund der neoliberalen Verfasstheit der EU und ihrer militaristischen Tendenzen einen Beitritt kritisch sehen, so ist für uns immer klar gewesen: Wir stellen uns einem solchen Schritt nicht in den Weg, wenn er von der Bevölkerung der betroffenen Länder gewollt ist. Dazu stehen wir. Wir halten auch an der grundsätzlichen Kritik an der Unzulänglichkeit der Grundrechteagentur fest. Doch scheint mir, dass die Frage des Beobachterstatus Serbiens und Albaniens nicht der Ort ist, unsere Kritik an der Grundrechteagentur und der EU in abweichendem Abstimmungsverhalten zu äußern. Aus diesem Grund stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir begrüßen die Verleihung des Bobachterstatus an Albanien und Serbien in der Grundrechteagentur der Europäischen Union. Die Republik Albanien ist seit dem 27. Juni 2014 EU-Beitrittskandidat. Die Republik Serbien hat den Kandidatenstatus seit dem 1. März 2012, und seit dem 21. Januar 2014 werden Beitrittsverhandlungen mit dem Land geführt. Als Grüne unterstützen wir die europäische Perspektive für die Länder des westlichen Balkans. Grundvoraussetzung dafür ist, wie bei allen bisherigen Beitritten, die Erfüllung der EU-Beitrittskriterien. Dabei legen wir großen Wert auf die Erfüllung der Kriterien im Bereich Rechtsstaatlichkeit, Justiz und Demokratie. Diese Bereiche werden in den Kapiteln 23 und 24 in den Beitrittsverhandlungen verhandelt. Anhand der EU-Fortschrittsberichte erhalten wir einen Überblick darüber, ob die Kandidatenländer Fortschritte oder Rückschritte in diesen Bereichen machen. Anhand zu erfüllender Beitrittskriterien können wir sehen, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, um Verhandlungskapitel zu öffnen. Die Fortschrittsberichte stellen für Serbien und Albanien weiterhin einen zu großen Einfluss der organisierten Kriminalität, Probleme bei der Unabhängigkeit der Justiz, Probleme mit grassierender Korruption und Einschränkungen bei der Presse- und Meinungsfreiheit fest. Deshalb ist es umso wichtiger, dass diese Länder bei ihrer demokratischen Entwicklung und der Erfüllung der Beitrittskriterien unterstützt werden. Die Beteiligung an der Agentur für Grundrechte der EU als Beobachter wird den Grundrechtsschutz in beiden Ländern stärken. Neben der Veröffentlichung eines Jahresberichts zu Grundrechtsfragen und der Formulierung und Veröffentlichung von Stellungnahmen für die EU-Organe und die Mitgliedstaaten ist es unter anderem Aufgabe der Agentur für Grundrechte, die Öffentlichkeit für Grundrechtsfragen zu sensibilisieren und aktiv über die eigene Tätigkeit zu informieren. Die Stärkung und Sensibilisierung von zivilgesellschaftlichen Akteuren für die Grundrechtsarbeit in den Ländern des westlichen Balkans hat für uns eine hohe Priorität, da diese die regierenden Eliten unter Druck setzen und rechtsstaatliche Reformen einfordern können. Auch Kroatien hat vor seinem Beitritt den Beobachterstatus in der Agentur für Grundrechte erhalten, dadurch konnten kroatische Zivilgesellschaftsorganisationen an der Grundrechteplattform der Agentur teilnehmen. Außerdem wurde Kroatien bereits ein Jahr vor dem Beitritt 2013 in den Jahresbericht und die LGBT-Umfrage der Agentur aufgenommen. Wir befürworten, dass auch zukünftig in Albanien und Serbien über eine verstärkte Zusammenarbeit mit der EU in Grundrechtsfragen der Rechtsstaatsdialog gestärkt wird. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Angleichung der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer (Tagesordnungspunkt 20) Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Die von deutschen Staaten herbeigeführten Angriffskriege haben unbeschreibliches Leid über die Welt gebracht. Insbesondere das nationalsozialistische Regime hat zahlreichen unschuldigen Opfern alles genommen: das Leben, die Gesundheit, die Familie, den Besitz, die Heimat und vor allem die Menschenwürde. Die abscheulichen Taten sind mit Worten kaum zu beschreiben. Im Bewusstsein dieser Verantwortung hat sich Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sehr um Aussöhnung mit den Opfern bemüht. Die Bundesregierung hat der moralischen und finanziellen Wiedergutmachung des vom NS-Regime verübten Unrechts von Anfang an eine besondere Priorität eingeräumt. Auch heute noch stellt sie sich dieser Aufgabe. Erlittenes Unrecht ist durch keinerlei Geldleistung wiedergutzumachen. Aber es ist selbstverständlich, dass begangenes Unrecht als solches klar benannt wird und die Geschädigten finanzielle Unterstützung erhalten. Sie sollen trotz der immensen psychischen und physischen Folgen ein würdiges Leben führen können. Insgesamt haben Bund und Länder auf dem Gebiet der Entschädigung für NS-Unrecht bis Ende 2015 rund 74,5 Milliarden Euro erbracht. Diese Summe ergibt sich aus mehreren Regelungen und Vereinbarungen, die im Laufe der Jahre getroffen worden sind. Es hat dabei auch immer wieder Anpassungen, Klarstellungen und Erhöhungen gegeben. Dabei ist allerdings in zwei Bereiche zu unterteilen. So gibt es einerseits gesetzliche Ansprüche und andererseits außergesetzliche Leistungen. Im Oktober 1953 ist das Bundesentschädigungsgesetz in Kraft getreten. Dieses sieht einen Ausgleich für einen näher bestimmten Schaden vor, der durch NS-Unrechtsmaßnahmen entstanden ist. Das Gesetz war mit einer Frist bis Ende 1969 vorgesehen. Mit Ablauf dieses Datums konnten keine Anträge mehr auf die gesetzlichen Entschädigungsansprüche gestellt werden. Diese Schlussfrist ist auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Für NS-Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz, die keine gesetzlichen Ansprüche geltend machen konnten, sind in den Folgejahren außergesetzliche Leistungen gewährt worden. Dazu sind eine Reihe außergesetzlicher Wiedergutmachungsregelungen für jüdische und nicht jüdische NS-Verfolgte geschaffen worden. Die Mehrzahl der heute noch lebenden NS-Verfolgten erhält Leistungen aufgrund dieser außergesetzlichen Regelungen. Entsprechend bilden diese Leistungen heute den größten Teil der Wiedergutmachungsausgaben. Die gesetzlichen und außergesetzlichen Leistungen unterscheiden sich in ihrer Ausgestaltung. Während das Bundesentschädigungsgesetz einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung für verfolgungsspezifische Schäden begründet, sehen die außergesetzlichen Härteregelungen freiwillige Leistungen unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Artikels 3 Grundgesetz auf der Grundlage des Haushaltsgesetzes vor. Die gesetzlichen Ansprüche richten sich in der Höhe nach dem durch die Verfolgung verursachten Schaden. Die außergesetzlichen Leistungen hingegen sind zumeist als pauschale Beihilfen zum Lebensunterhalt mit geringeren Anforderungen für die Gewährung ausgestaltet und werden bei Vorliegen eines bestimmten Verfolgungsschicksals gewährt. Eine Gleichbehandlung der im vorliegenden Antrag angesprochenen Opfergruppen muss also an den Opfergruppen ausgerichtet werden, die zwar NS-Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetz sind, aber wegen der Schlussfrist keine gesetzlichen Entschädigungsansprüche geltend machen können. Es kann deshalb nur eine Gleichbehandlung im Rahmen dieser außergesetzlichen Regelungen in Betracht kommen. Entsprechend verfährt die Bundesregierung. Mit dem Schicksal der im Antrag erwähnten „Zwangsgermanisierten“ hat sich der Deutsche Bundestag im Rahmen eines Petitionsverfahrens ausführlich befasst. Im Mai 2014 hat der Deutsche Bundestag der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses zugestimmt, individuelle Entschädigungsforderungen nicht zu unterstützen. Zugleich hat er angeregt, die „Zwangsgermanisierten“ durch Projekte der Erinnerungskultur zu würdigen. Diese Empfehlung hat die Bundesregierung aufgegriffen. Über verschiedene Förderprogramme der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ist im Rahmen von Projekten das Thema „Zwangsgermanisierung“ behandelt worden. Die Projektarbeit durch die Stiftung ist derzeit bis 2018 gesichert. Insoweit besteht aus unserer Sicht kein Handlungsbedarf. Es ist unsere Pflicht, uns der historischen Verantwortung bewusst zu bleiben und das Gedenken an die Opfer wachzuhalten. Ein solches Terrorregime darf sich nicht wiederholen. In diesem Bewusstsein können wir als Deutsche die Zukunft gestalten. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland fügte Millionen von Menschen unendliches Leid zu. Menschen wurden aufgrund ihrer Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung verfolgt. Politische Gegner wurden mit Gewalt bekämpft. Viele Opfer mussten diese Diktatur mit ihrem Leben bezahlen. Für andere Opfer hat diese Diktatur Wunden hinterlassen, die bis zum Lebensende nicht verheilen würden. Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland haben sich die jeweiligen Bundesregierungen für eine Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozialismus eingesetzt. Als wesentlicher Schritt sei hier das Bundesentschädigungsgesetz genannt, welches im Oktober 1953 in Kraft trat. In der Folgezeit wurde ein einzelfallgerechtes System aus gesetzlichen Ansprüchen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und außergesetzlichen Leistungen nach den Härterichtlinien für Opfer von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen entwickelt. Für die gesetzlichen Ansprüche kommt es folgerichtig auf den konkreten Schaden an, der durch die Verfolgung erlitten wurde. Die Regierungskoalition hat in dieser Wahlperiode die Arbeit kontinuierlich fortgesetzt. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages sprach im Mai 2015 den sowjetischen Kriegsgefangenen Entschädigungen in Höhe von 10 Millionen Euro zu. Den vermutlich noch 4 000 Überlebenden wird eine einmalige finanzielle Anerkennungsleistung von etwa 2 500 Euro zuteil. Allen Opfern des Nationalsozialismus ist jedoch ein Punkt gemeinsam: Das erlittene Unrecht wird in Geld niemals aufzuwiegen sein. Zu tief sitzen die Geschehnisse aus dieser schwarzen Zeit deutscher Geschichte. Uns ist es daher ein großes Anliegen, dass die Opfer nicht allein gelassen werden. Wir werden in diesem Hause auch am morgigen Tag, dem 27. Januar, wieder der Opfer des Nationalsozialismus gedenken. Diese Geste sind wir den Opfern in Verantwortung der deutschen Geschichte schuldig. Ich möchte noch darauf eingehen, warum wir dennoch diesen Antrag ablehnen werden: Eine Gleichstellung von Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und solchen aufgrund der Härterichtlinien für Opfer von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen würde eine Gleichbehandlung von ungleichen Sachverhalten bedeuten. Die gesetzlichen Ansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz richten sich in der Höhe nach dem konkreten Schaden. Die außergesetzlichen Leistungen werden hingegen als pauschale Beihilfen zum Lebensunterhalt bei Vorliegen eines konkreten Verfolgungsschicksals gewährt. Wir sollten vielmehr in die Zukunft investieren. Im Hinblick auf eine sinkende Sensibilität für das nationalsozialistische Unrechtsregime durch gewisse politische Mitbewerber muss uns das entschiedene Eintreten gegen Hass und Hetze in unserer Gesellschaft wieder bewusst werden. Wir treten als aufrechte Demokraten für eine tolerante Gesellschaft ein und sind uns unserer geschichtlichen Verantwortung bewusst. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Lassen Sie mich zu Beginn eines klarstellen: Das erlittene Unrecht und die unvorstellbaren Qualen unzähliger Menschen, die durch die NS-Verbrechen verursacht wurden, sind durch nichts wiedergutzumachen. Es ist für uns aber eine selbstverständliche moralische Verpflichtung, das erlittene Unrecht der NS-Opfer dadurch anzuerkennen, dass wir nicht nur ständig an das begangene Unrecht erinnern und gedenken, sondern auch den betroffenen lebenden Menschen eine finanzielle Anerkennung zukommen lassen. Und hierfür ist auch bereits eine Menge getan worden. So hat der Bundestag in den Jahren 1956 und 1957 das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) sowie das Allgemeine Kriegsfolgengesetz (AKG) verabschiedet, zu denen in den folgenden Jahrzehnten auch Härtefonds und Härteregelungen eingerichtet wurden. Und gerade bei den Fonds und Härteregelungen können Betroffene, anders als beim BEG und AKG, auch heute noch Anträge stellen. Seit der Verabschiedung des Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung hat sich einiges getan. Denn im Sinne des BEG galten nur diejenigen als Verfolgte, die aus „rassischen“ und religiösen und weltanschaulichen Gründen sowie aufgrund politischer Opposition verfolgt wurden. Bis zur letzten Antragsfrist im Jahr 1969 wurden nur diejenigen entschädigt, auf die diese strenge Definition zutraf. Alle anderen NS-Verfolgten, die sogenannten Opfer „sonstigen Staatsunrechts“, erhielten höchstens Leistungen nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz. Heute sind die Fristen für die Antragstellung schon lange verstrichen. Es können also keine neuen Anträge, mit Ausnahme sogenannter Verschlimmerungsanträge, gestellt werden. Das ist beispielsweise eine Rentenneubemessung, wenn sich der Gesundheitszustand eines Betroffenen verschlimmert. Da viele Antragsteller seinerzeit die Fristen für Entschädigungsansprüche gemäß BEG und AKG versäumt haben, hatte die Bundesregierung die Lücke geschlossen und Fonds im Sinne des § 171 BEG eingerichtet sowie die sogenannten AKG-Härterichtlinien geschaffen, die nicht an die Einhaltung einer Frist gebunden sind. Das heißt, diese Personen können auch heute noch Anträge auf Geldleistungen stellen. Hierzu gibt es: Erstens. Härtefonds für rassisch Verfolgte nicht jüdischen Glaubens: Dieser Härtefonds wurde für NS-Verfolgte eingerichtet, die aufgrund der Nürnberger Rassengesetze als Juden verfolgt wurden, obwohl sie nicht der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten. Ich möchte betonen, dass dieser Fonds unter bestimmten Bedingungen auch für verfolgte Ehepartner, Kinder und Enkel von Juden offensteht. Er gilt zudem für Menschen, die wegen ihrer Hilfeleistungen zugunsten jüdischer Verfolgter selbst zu NS-Verfolgten wurden. Zweitens. Härtefonds zugunsten Verfolgter nicht jüdischer Abstammung: Dieser Fonds wurde für nicht jüdische NS-Verfolgte eingerichtet, die zwar Verfolgte im Sinne des BEG waren und aufgrund ihrer Verfolgung einen Gesundheitsschaden erlitten, aber aus ausschließlich formellen Gründen keinen Antrag nach BEG stellen konnten. Drittens. Härtefonds für jüdische Verfolgte: Jüdische Verfolgte stehen Härteleistungen nach dem Hardship Fund, dem Article 2 Fund mit der Jewish Claims Conference aus dem Jahr 1992 und dem Central and Eastern Europe Fund (CEEF) zu. Dieser Fonds wurde eingerichtet, um vorliegende Härten für solche Verfolgte auszugleichen, die an der Einhaltung der Antragsfrist gehindert waren. Diese Fonds stehen vor allem NS-Verfolgten im Ausland offen, aber auch deutschen Opfern des NS-Regimes. Viertens. Als letzte wichtige Entschädigungsleistung möchte ich noch die AKG-Härterichtlinien erwähnen. Diese wurden erlassen, da die Bestimmungen des AKG nicht ausreichend waren und zahlreiche Opfer des Nationalsozialismus nicht entschädigt werden konnten. Hiernach können grundsätzlich alle durch den Nationalsozialismus geschädigten Personen, die aufgrund ihrer körperlichen oder geistigen Verfassung oder wegen ihres gesellschaftlichen oder persönlichen Verhaltens vom NS-Regime als Einzelne oder als Angehörige von Gruppen angefeindet und verfolgt wurden, einen Antrag auf Entschädigungsleistungen stellen. Hierzu zählen unter anderem auch „Euthanasieopfer“, Zwangssterilisierte und Homosexuelle. Sie sehen also, wir unterscheiden zwischen gesetzlichen Ansprüchen des BEG und den außergesetzlichen Leistungen zum Ausgleich besonderer Härten wie die eben bereits erwähnte Article2-Vereinbarung. Während das BEG einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung für verfolgungsspezifische Schäden begründet, sehen die außergesetzlichen Härteregelungen freiwillige Leistungen unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes des Artikels 3 Grundgesetz auf der Grundlage des Haushaltsgesetzes vor. Insgesamt ist festzustellen, dass Bundestag und Bundesregierung bis zum heutigen Tag ihrer moralischen Verpflichtung zur Entschädigung von Opfern des NS-Regimes nachkommen. So sind bis zum 31. Dezember 2015 Mittel in Höhe von 47,755 Milliarden Euro für BEG-Leistungsempfänger ausgezahlt worden. In Durchführung der AKG-Härterichtlinien wurden bis zum 31. Dezember 2015  1,289 Milliarden Euro gezahlt. Hierbei sind auch einmalige Leistungen aufgrund eines Erlasses des BMF aus dem Jahre 1980 erfasst. Im Rahmen des Artikel2-Abkommens sind im gleichen Zeitraum 6,369 Milliarden Euro gezahlt worden. Auch ist es im Einklang mit den AKG-Härterichtlinien nachvollziehbar und folgerichtig, dass einmalige oder laufende Leistungen grundsätzlich nur Menschen erhalten, die selbst unmittelbar den NS-Unrechtsmaßnahmen ausgesetzt waren. Die AKG-Härterichtlinien stehen daher im Einklang mit den entsprechenden dem BEG nachfolgenden Regelungen für jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Insofern ist die in den Entschädigungsgesetzen festgelegte Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Betroffenheit zutreffend. Nun zu Ihrem Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Linken. Ich bin schon ein wenig verwundert, aber auch verärgert, dass Sie uns erst am Mittwoch einen Antrag für die Plenardebatte am Donnerstag zu dem Thema „Angleichung der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer“ einreichen, ohne auch nur im entferntesten im Vorfeld eine inhaltliche Diskussion zu diesem Thema zu suchen. Im Rahmen der von Ihnen erhobenen Forderung, die „Zwangsgermanisierten“ als neue Gruppe von NS-Opfern im Sinne der Härtefallrichtlinien anzuerkennen, hat sich der Deutsche Bundestag bereits im Mai 2014 in der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ausführlich auseinandergesetzt und klargestellt, individuelle Entschädigungsforderungen nicht zu unterstützen. Wie Sie wissen müssen, hat er aber angeregt, die „Zwangsgermanisierten“ durch Projekte der Erinnerungskultur zu würdigen, welches die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) auch durch viele Programme umfassend bis 2018 fördert. Zudem – und dies möchte ich abschließend noch erwähnen – ist es mir völlig unerklärlich, warum Sie erst heute einen solchen Antrag stellen. Sie hätten Gelegenheit gehabt, vor Verabschiedung des Haushalts 2017 zu erörtern, ob Mittel des Haushaltes zur Verfügung stehen, so wie wir es seinerzeit auch für die Entschädigungsleistungen für sowjetische Kriegsgefangene gemacht haben. Nichts dergleichen ist passiert. Ich halte daher Ihre Vorgehensweise für unseriös und den Interessen der betroffenen lebenden Menschen nicht dienlich. Aus vorgenannten Gründen lehne ich daher Ihren Antrag ab. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Es ist im Deutschen Bundestag eine gute Tradition, dass am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer der NS-Verfolgung, Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Opfergruppen sprechen. In diesem Jahr wird es der Schauspieler Sebastian Urbanski sein, der das Down-Syndrom hat. Er wird aus einem Brief von Ernst Putzki lesen, der von den Nazis wegen einer geistigen Behinderung ermordet worden war. Das sind durchaus würdige Gedenkveranstaltungen. Die Wahrheit ist aber auch – und darum geht es im Antrag der Linken –: Hätte Ernst Putzki die Nazizeit überlebt, er hätte in der Bundesrepublik keine Entschädigung erhalten. Denn im deutschen Entschädigungsrecht gibt es bis heute gravierende Ungleichbehandlungen. Diese will unser Antrag beseitigen: Die Linke fordert, dass alle, die von den Nazis verfolgt worden sind, die gleichen Entschädigungsleistungen erhalten. Als in den 1950er- und 1960er-Jahren über die Anträge nach dem Bundesentschädigungsgesetz entschieden wurde, sind etliche Opfergruppen einfach ausgeschlossen wurden. Für Homosexuelle, für Opfer der Wehrmachtsjustiz, für verfolgte Sinti und Roma, für Kommunistinnen und Kommunisten, für sogenannte Asoziale und eben auch für Zwangssterilisierte und Euthanasiegeschädigte gab es in aller Regel keine Leistungen. Denn all diese Opfergruppen sind noch über Jahrzehnte hinweg stigmatisiert und diskriminiert worden. Sie galten als Verrückte, als Schädlinge, als Verräter, denen unterstellt wurde, für ihr Verfolgungsschicksal selbst verantwortlich gewesen zu sein. Ein augenfälliges Beispiel dafür ist etwa, dass im Deutschen Bundestag zu einer Anhörung im Jahr 1961 ausgerechnet drei Mediziner als Sachverständige eingeladen worden sind, die direkt an Verbrechen im Namen der „Rassenhygiene“ beteiligt waren. Erst in den letzten Jahren sind viele dieser Opfergruppen endlich politisch und zum Teil auch juristisch rehabilitiert worden. Es wurden Denkmäler gebaut; es gibt nette Gedenkfeiern – aber Entschädigungsleistungen erhalten sie noch immer nicht. Denn Anträge nach dem Bundesentschädigungsgesetz können seit 1969 nicht mehr gestellt werden. Für all diese Opfergruppen, die ich eben aufgezählt habe, gilt also: Erst hat man ihnen die Entschädigung verweigert, und heute, wo sie endlich als Naziopfer anerkannt sind, wird ihnen gesagt, sie hätten die Antragsfrist verpasst. Diese Logik ist ungeheuerlich zynisch. Wenn sie Glück haben, werden sie mit Einmalzahlungen nach den Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes abgespeist. Nur eine Handvoll Opfer erhält monatliche Zahlungen. Das sind aber ausdrücklich nur Härteleistungen, die wesentlich geringer sind als Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Nur zum Vergleich: Während die durchschnittliche Rente nach dem Bundesentschädigungsgesetz 651 Euro beträgt, belief sich die Einmalzahlung nach den Härterichtlinien auf 2 500 Euro. Die Entschädigung für erlittene Verfolgung, für die Ermordung von Angehörigen, für den Verlust von Lebensperspektiven oder materiellen Gütern wird diesen Überlebenden nach wie vor verweigert. Nachdem man sie jahrzehntelang nicht einmal als Opfer anerkannte, werden sie heute als Opfer zweiter Klasse diskriminiert. Wir haben die Bundesregierung in den vergangenen Jahren wiederholt auf diese Ungerechtigkeiten hingewiesen. Wir haben gefragt: Mit welcher Begründung werden die einen NS-Opfer schlechter behandelt als andere NS-Opfer? Die Antwort der Bundesregierung war immer die gleiche: Die Entschädigungsfrage sei schon längst „erfolgreich“ gelöst. Das ist eine dreiste Lüge, mit der die Bundesregierung den Überlebenden direkt ins Gesicht schlägt. Denn die jahrzehntelange Ungleichbehandlung und die bis heute andauernde Ignoranz gegenüber dieser Problematik werden von vielen Überlebenden als weitere Diskriminierung, als Nichtanerkennung ihrer Verfolgung und des faschistischen Unrechts wahrgenommen, und das völlig zu Recht; auch die Linke hält diese Praxis für empörend. Überfällig ist schon längst, dass endlich die Betroffenen der sogenannten Zwangsgermanisierung entschädigt werden. Zehntausende von Kindern – die genaue Zahl ist nicht bekannt – sind aus den besetzten Gebieten entführt worden, weil die Nazis sie für ausreichend „arisch“ hielten. Sie wurden ihren Eltern geraubt oder aus Kinderheimen verschleppt und verbrachten ihre Kindheit bei Nazieltern oder in Heimen des Lebensborns. Etliche der Betroffenen berichten über erlittene Misshandlungen, wenn sie nicht den Vorstellungen ihrer faschistischen Kidnapper entsprachen: Es wurde ihnen Essen entzogen; sie wurden im Schnee ausgesetzt, geschlagen. Karl Vitovec de Gereben, der als Achtjähriger ins Reichsgebiet verschleppt worden war und mit dem ich seit Jahren in Verbindung stehe, berichtet, man habe ihn misshandelt, wenn er nicht wusste, wann Hitler Geburtstag hatte. Ich hoffe, alle hier im Haus haben genügend Empathie, um sich wenigstens annähernd vorzustellen, welche Traumatisierungen die Betroffenen bis heute quälen. Diese Menschen wurden aufgrund der rassistischen Vorstellungen der Nazis entführt und misshandelt. Aber die Entschädigungsgesetze berücksichtigen sie nicht, und die Bundesregierung zuckt mit den Schultern. Darin verbirgt sich eine solche Kälte, eine solche Ignoranz gegenüber den Naziopfern, dass es einen schaudern lässt. Ich meine: Deutschland ist es den Naziopfern schuldig, sie anständig zu behandeln – und zwar alle. Man kann nicht Gedenkveranstaltungen für die Toten durchführen und den Überlebenden die kalte Schulter zeigen. Man darf auch nicht die einen Naziopfer gegen die anderen ausspielen. Deswegen beantragt die Linke, dass alle Naziopfer, auch die sogenannten Zwangsgermanisierten, genau die gleichen Entschädigungsleistungen erhalten, wie sie auch jenen zugestanden wurden, die Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz beziehen. Wenn sich die Regierungsfraktionen dieser moralischen Pflicht entziehen, degradieren sie damit die Gedenkveranstaltungen zur reinen Heuchelei. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Geschichte der Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozialismus ist und war ein quälend langer Kampf um historische Wahrheit und Abmilderung von Ungerechtigkeiten. Viele Kapitel dieses Kampfes waren alles andere als ein Ruhmesblatt für die deutsche Nachkriegsgeschichte: In einem skandalösen Urteil sagte der BGH 1956 im Namen des Volkes, staatliche Verfolgungsmaßnahmen vor 1943 seien legitim gewesen, weil sie von „Zigeunern“ durch „eigene Asozialität, Kriminalität und Wandertrieb“ selbst veranlasst gewesen seien. Das Bundesverfassungsgericht sprach 1957 der NS-Fassung des § 175 StGB den nationalsozialistischen Unrechtscharakter ab. Mit dem KPD-Verbot verloren im Westen viele Kommunisten auch ihre Entschädigungsleistungen. Wehrmachtsdeserteure und Homosexuelle mussten bis 2002 auf die Aufhebung ihrer Urteile warten. Erst 2007 ächtete der Bundestag das Erbgesundheitsgesetz hinsichtlich aller Konsequenzen für Zwangssterilisierte. Als nationalsozialistisches Unrecht hat er dies bis heute nicht anerkannt. Dies alles hatte nachteilige entschädigungsrechtliche Konsequenzen. Und auch die grundsätzlich nach dem BEG Berechtigten waren unzähligen Beschränkungen, Fristen und Hürden für eine halbwegs angemessene Entschädigung ausgesetzt. Nach dem 31. Dezember 1969 konnten auch für jüdische Holocaust-Überlebende keine neuen Anträge mehr gestellt werden. Härtefonds nach BEG und AKG, Landeshärtefonds, Verbesserungen der Härtefondleistungen, Ghettorentengesetz und Zwangsarbeiterentschädigung folgten. Ja, man kann die deutsche Geschichte nicht auf zwölf Jahre reduzieren, das gilt leider insbesondere für die Geschichte des Unrechts gegenüber den Verfolgten. Es gab eine Kontinuität von Mentalitäten, die Unrecht nicht sehen wollten oder es verdrängten. Die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus ist ein zäher und von vielen Ambivalenzen geprägter Prozess gewesen. Im Antrag wird richtig festgestellt, dass es in den letzten Jahrzehnten durch viele, oft auch politische Gründe Ungleichbehandlungen und große Diskrepanzen in der Erarbeitung von Entschädigungsleistungen für verschiedene Opfergruppen gab. Seit den 1980er- und 1990er-Jahren wurden viele der offenen Fragen zur Entschädigung von NS-Opfern diskutiert, kritisiert und an vielen Stellen nachgebessert. Vor allem mit Blick auf die „vergessenen“ Opfer, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Sinti und Roma, Zwangssterilisierten oder Euthanasiegeschädigten, sowie die verschiedenen Verfolgungsschäden konnten Verbesserungen erreicht werden. Trotz aller Verbesserungen gibt es ein unübersichtliches Sammelsurium an unterschiedlichen Entschädigungsleistungen, die gesetzlich und außergesetzlich geregelt sind. Dies ist aus der Perspektive der Opfer mit Blick auf Gleichbehandlung, Gerechtigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit nicht zu rechtfertigen. Insofern sind wir offen für die Vorschläge zu Verbesserungen. Ob wir die Grundsatzfrage anpacken oder noch einmal Leistungsverbesserungen versuchen, sollten wir im Ausschuss diskutieren. Zumindest eine Nachvollziehbarkeit herzustellen, die sich nicht nur darauf beruft, dass es unterschiedliche gesetzliche oder außergesetzliche Regelungen sind, die zur Ungleichbehandlung führen – wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 16. November 2015 (Drucksache 18/6719) argumentiert –, wäre zielführend. Darum halte ich das Anliegen grundsätzlich für richtig, insbesondere bei Betroffenen, die bisher in ungenügender Weise – wenn auch nur symbolisch – mit ihrem Schicksal gewürdigt wurden, wie etwa die im Antrag genannte Opfergruppe der „Zwangsgermanisierten“. Diese „geraubten Kinder“ gehören einer Opfergruppe an, die im deutschen gesellschaftlichen Bewusstsein bisher so gut wie nicht vorkommt. Die Tatsache, dass diesen – damaligen – Kindern und ihren Eltern ein – wenn auch unblutiges – nationalsozialistisches Unrecht widerfahren ist, ist unbestreitbar. Mit der Anerkennung als Opfergruppe auch die Frage einer finanziellen Entschädigung aufzuwerfen, ist für mich nachvollziehbar. Der vorliegende Antrag lässt dabei aber noch Fragen offen: Wer sind die Entschädigungsberechtigten? Die Kinder, oder auch deren Eltern, denen man die Kinder geraubt hat? Wird ein symbolisch identisches Gesamtschicksal unterstellt oder nach Schwere der heutigen Folgen der Gewaltmaßnahme, etwa gesundheitlichen, sozialen und psychischen Folgen, unterschieden? In welcher Höhe sollten die Betroffenen im Verhältnis zu anderen Opfergruppen entschädigt werden, die ein physisch und psychisch möglicherweise gewaltsameres Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus erlitten haben? 72 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus und angesichts des den Opfern zugefügten Leids sind finanzielle Entschädigungen heute vor allem eine symbolische Würdigung ihres Schicksals. Die meisten Opfer sind inzwischen von uns gegangen. Dennoch dürfen wir erkannte Not und erkanntes Unrecht nicht unbeantwortet lassen. Lassen Sie uns im Ausschuss diskutieren, ob wir von dem Unrecht des Nationalsozialismus und der zu späten Aufarbeitung noch etwas abtragen können. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Biodiversität schützen – Taxonomische Forschung ausbauen (Tagesordnungspunkt 23) Sybille Benning (CDU/CSU): „Wer zählt die Völker, nennt die Namen?“, heißt es in Schillers Ballade „Die Kraniche des Ibykus“. Für unser Thema heute möchte ich sagen: „Wer zählt die Arten, nennt die Namen?“. Das Entdecken, Benennen und Einordnen – das waren schon zu Zeiten von Carl von Linné die ersten Schritte der Biologie. Und das genau ist die Aufgabe der Taxonomen: die Beschreibung und Klassifikation der uns umgebenden Vielfalt der Arten. Dieser Forschungszweig rückt selten ins Licht der Öffentlichkeit. Der geneigte Leser konnte allerdings vor wenigen Tagen die Entdeckung einer Benennung einer neuen Mottenart in den Medien verfolgen. Wegen ihrer orangen, haartollenförmigen Kopfschuppen gab ihr der Entdecker den Namen: „Neopalpa donaldtrumpi“. Doch die Bestimmung der Arten erfolgt heutzutage nicht allein aufgrund phänotypischer Merkmale. Zurzeit erlebt die Taxonomie eine technologische Revolution. Die rasche Entwicklung von molekularbiologischen Hochdurchsatzmethoden, den sogenannten OMICS-Methoden zur Sequenzierung und Analyse von Erbinformation, Proteinen und Stoffwechselprodukten, eröffnet den Biowissenschaften völlig neue Dimensionen: Bisher unbekannte Arten werden in hoher Zahl entdeckt, und der Artbildungsprozess kann erstmals auf der Ebene der gesamten Erbinformation verfolgt werden. Mit diesen neuen molekularbiologischen Möglichkeiten wächst auch die Bedeutung der integrativen Taxonomie erheblich. Kurz gesagt: Taxonomen laufen nicht mehr nur mit einem Schmetterlingsnetz durchs Feld. Sie nutzen Sequenzierungsmaschinen, um herauszufinden, ob sie eine neue Art gefunden haben und wo im Stammbaum sie sich am besten einordnen lässt. Die Taxonomie leistet so wichtige Dienste für Lebensmitteltechnik, personalisierte Medizin, Ökologie und Landwirtschaft. Problematisch scheint gerade angesichts dieser rasanten Entwicklung, dass die taxonomische Ausbildung und Forschung an den Universitäten in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zurückgefahren wurde. Die Leopoldina hat darum 2014 einen Bericht mit Empfehlungen zur Erforschung der Biodiversität vorgelegt, der Deutschland als einen der führenden Standorte moderner integrativer taxonomischer Forschung sichern und in die Zukunft führen soll, die uns auch für unseren Antrag eine wertvolle Hilfe war. Die Bedeutung der Taxonomie und ihr Bedarf einer Förderung in Forschung und Lehre wird auch von Bundesseite erkannt. Mit der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ (NBS) verfolgt die Bundesregierung das Ziel, bis zum Jahr 2020 den Rückgang der biologischen Vielfalt zu stoppen. Im Hinblick auf Handlungsziele und konkrete Maßnahmen wird darin ausdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Taxonomie zu stärken. Auch in der Agrobiodiversitätsstrategie wird auf die Bedeutung der Taxonomie verwiesen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert gemeinsam mit den Ländern die drei großen naturkundlichen Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft, die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, das Museum für Naturkunde Berlin sowie das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn. Die Sammlungen dieser drei Häuser umfassen zusammen mehr als 75 Millionen Objekte. Auch die Genbanken werden weit überwiegend mit Bundesmitteln betrieben. Die Forschungsmuseen haben sich dabei der Herkulesaufgabe verschrieben, ihre Objekte zu digitalisieren und der Forschung in aller Welt zur Verfügung zu stellen. Die Kenntnis klassischer Methoden zur Beschreibung und Klassifizierung ist dabei ebenso wichtig wie die Anwendungen moderner OMICS-Methoden. Ein wichtiges Projekt ist auch das Verbundprojekt „German Barcode of Life“ (GBOL). Hier engagiert sich der Bund seit 2011 mit einem Volumen von 11 Millionen Euro. Das Projekt verfolgt das Ziel, die Artenvielfalt in Deutschland anhand ihres genetischen DNA-Barcodes, das heißt sozusagen ihres Fingerabdrucks, zu erfassen. Zudem beteiligt sich der Bund umfassend an der Finanzierung großer Baumaßnahmen an den Standorten der drei Forschungsmuseen. Um die Expertise in der taxonomischen Forschung zu halten, ist es in Zukunft wichtig, eine bessere Vernetzung von universitärer und außeruniversitärer Forschung und Lehre sowie die gezielte Vermittlung und Anwendung von OMICS-Methoden zu erreichen. Darauf weisen wir in unserem Antrag hin. Ein guter Ansatz wären hier Schwerpunktprogramme für integrative Taxonomie, die zur Kooperation mit außeruniversitären Forschungseinrichten anregen. Für die Forschenden und die zahlreichen ehrenamtlichen Akteure, die sich in der Taxonomie engagieren, wäre es nützlich, Kompetenznetzwerke für integrative Taxonomie zu unterstützen, die als Ansprechpartner dienen können. Während der Weltbiodiversitätsrat seit einigen Jahren auf internationaler Ebene erfolgreich arbeitet, gewinnen auch europaweite Forschungsansätze immer mehr an Bedeutung. Hier wäre es wünschenswert, wenn sich die Bundesregierung dafür einsetzt, ein Programm für die Erfassung der Arten des europäischen Festlands und seiner maritimen Gebiete aufzulegen. Wir geben in unserem Antrag notwendige Impulse für die Stärkung der taxonomischen Forschung und damit zur Biodiversitätsforschung in Deutschland. Ich würde mich freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen. Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Da meine Kollegin Frau Benning die Definition der Taxonomie und ihre große Bedeutung bereits hinlänglich erläutert hat, bedarf es keiner weiteren Erklärung der Nomenklatur meinerseits. Dennoch möchte auch ich Bezug nehmen auf das 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Gründung vieler Forschungsmuseen, genauer gesagt auf Alexander von Humboldt, einem Pionier auf dem Gebiet der Taxonomie, noch vor Charles Darwin, welcher zu Lebzeiten große Bewunderung für Humboldt empfand. Heute ist er der Namenspatron einer der großen Universitäten Berlins, die es sich einst zur Aufgabe machte, sein Erbe fortwähren zu lassen. So ist es umso erstaunlicher, dass die Taxonomie und die Errungenschaften Humboldts keinen großen Stellenwert mehr in der universitären Forschung und der Lehre einnehmen. Dabei reicht dieser unterschätzte und man möchte fast sagen vergessene Forschungszweig weit in eine Vielzahl an Forschungsfeldern hinein, beispielsweise die Genetik oder die Medizin, um nur ein paar zu nennen. Umso trauriger ist die Entwicklung zu beobachten, dass sich immer weniger vor allem junge Menschen für Biodiversität und Taxonomie interessieren. Dieser Tendenz muss entgegengewirkt werden. Bund und Länder müssen sich für Forschungsschwerpunkte an Universitäten und für die Kooperation mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen einsetzen. Dies schließt auch den Ausbau und die Verbesserung der Infrastrukturen mit ein, um exzellente Forschung in diesem Gebiet zu gewährleisten. Dies gilt auch für die Naturkundemuseen, die den Großteil der taxonomischen Forschung leisten. Sie archivieren, schützen und erhalten die Sammlungen; sie erweitern ihr Exponatrepertoire, aber vor allem vermitteln sie ihr Wissen und arbeiten zusammen mit Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Lehre. Somit sind sie der Knotenpunkt im Bereich der Biodiversität. Es muss also überprüft werden, inwiefern die bereits bestehenden OMICS-Einrichtungen und Universitäten zugänglich gemacht werden können. Ein gutes Beispiel für einen Auftrieb im Bereich Biodiversität und taxonomische Forschung ist das Museum für Naturkunde Berlin, welches zu den großen drei Museen in Deutschland zählt, die das Zentrum dieser Forschung bilden. Gemeinsam besitzen sie mehr als 75 Millionen Objekte und werden vor allem durch das BMBF in Form des Verbundprojekts „German Barcode of Life“ seit 2011 gefördert. Ziel ist es, die erste genetische „Nationalbibliothek der Artenvielfalt in Deutschland“ zu erstellen. Dazu trägt auch das Museum für Naturkunde in Berlin bei, indem es sich mit Sammlungsentwicklung und Biodiversitätsentwicklung in Form von eigenen Forschungsaktivitäten beschäftigt. Das historisch einmalige Kulturgut soll in Form eines intelligenten Sammlungsmanagements mit globaler Infrastruktur zusammengetragen werden mit dem Ziel, eine sogenannte „Biodiversity Heritage Library for Europe“ (BHL-Europe) in digitalem Format für den allgemeinen Zugang zur Verfügung zu stellen. Um diese Art von Open Access möglich zu machen, bedarf es einer Vielzahl an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, an denen es derzeit jedoch mangelt. Deshalb müssen „Schools of Taxonomy“ eingerichtet werden, wie schon die Leopoldina in ihrer Empfehlung schreibt. Mit Master- und Promotionsstudiengängen unter Einbezug von OMICS-Technologien kann dem Personalmangel in der taxonomischen Forschung und dem Desinteresse an diesem Gebiet ein Ende gesetzt werden. Aus diesen Gründen spreche ich mich ausdrücklich für die Annahme dieses Antrages aus. Täglich verschwinden mehrere Arten auf der Welt aus der taxonomischen Landkarte. Nur wer die Biodiversität und ihre Funktion im Ökosystem kennt, kann dem Artensterben entgegenwirken und Fortschritt in diversen Bereichen anregen. René Röspel (SPD): Jeden Tag sterben auf unserer Erde nach Expertenschätzungen ungefähr 130 Arten aus, also fast 50 000 pro Jahr – Größenordnungen, bei denen mir, wie sicher vielen anderen, ganz schwindelig wird. Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir einen kleinen Beitrag dazu leisten, auf diesen Verlust hinzuweisen und den Prozess vielleicht etwas zu verlangsamen. Denn wir sind uns sicher darin einig, dass die genetische Vielfalt, die Vielfalt der Arten, Ökosysteme und Lebensräume einen großen Schatz darstellen, den es zu sichern gilt. Um Pflanzen, Tiere und andere Organismen wirksam schützen zu können, muss sichergestellt sein, dass wir überhaupt wissen, was für Arten es auf unserer Erde gibt. Bisher ist nur ein Bruchteil der geschätzten 13 Millionen bis 20 Millionen Arten nachgewiesen. An dieser Stelle setzt die Taxonomie an: Sie ist die Wissenschaft von der Identifizierung, Beschreibung und Klassifizierung von Lebewesen. Die Taxonomie spielt damit in vielen Lebensbereichen eine wichtige Rolle: in der Landwirtschaft, der Medizin, dem Naturschutz und eben gerade auch in der Erforschung der Biodiversität. In den letzten Jahren hat die Disziplin eine regelrechte Revolution erlebt: Durch die Entwicklung von neuen Methoden und Automatisierungstendenzen ist plötzlich eine ungeahnt schnelle und vollständige Erfassung molekularbiologischer Informationen von Organismen möglich. Dieser technologische Sprung eröffnet den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern völlig neue Dimensionen. Doch mit den neuen Methoden, die die Fachwelt „OMICS-Technologien“ nennt, sind auch veränderte Anforderungen an die Forscherinnen und Forscher verbunden. Das eher traditionelle Forschungsumfeld in Deutschland ist diesen jedoch nur teilweise gewachsen. Dabei ist die Schuld jedoch keineswegs bei den Forschenden zu suchen, nein, vielmehr wurde die Disziplin in den vergangenen Jahren insbesondere im universitären Bereich zu stiefmütterlich behandelt und zu wenig gefördert. Die Forschung hat sich immer weiter in die großen Naturkundemuseen, Genbanken und Sammlungen verlagert. Diese leisten selbstverständlich eine exzellente Arbeit. Erst kürzlich konnte ich mich von den beeindruckenden Leistungen des Naturkundemuseums hier in Berlin überzeugen. Einen Teil der Jahresauftaktsklausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion haben wir nämlich dort verbracht. Der Generaldirektor des Museums, Professor Johannes Vogel, hat uns durch die Räumlichkeiten geführt. Es handelt sich um ein integriertes Forschungsmuseum der Leibniz-Gemeinschaft – es wird also unter anderem auch aus Bundesmitteln des BMBF finanziert – und gehört zu den weltweit bedeutendsten Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der biologischen und erdwissenschaftlichen Evolution und Biodiversität. Das Museum schafft es, Forschung auf Topniveau mit einer „Aufklärungsarbeit“ zur Bedeutung und dem Schutz der biologischen Vielfalt für die interessierten Besucherinnen und Besucher zu verbinden. Erklärtes Ziel des Museums ist es, breite Schichten von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik für dieses Thema zu sensibilisieren und für dringend erforderliches Handeln zu gewinnen. Ich kann Ihnen allen nur ans Herz legen, das Naturkundemuseum, das ja hier ganz in der Nähe ist, einmal zu besuchen und auf eine eigene, ganz persönliche Forschungsreise zu gehen. Das knüpft an einen weiteren Punkt an, der die Disziplin der Taxonomie von anderen wissenschaftlichen Feldern abhebt. Taxonomische Forschung stellt nämlich geradezu ein Paradebeispiel der in den letzten Jahren viel diskutierten Citizen Science dar: Unzählige ehrenamtliche Artenkennerinnen und Artenkenner, Kartiererinnen und Kartierer leisten für die Taxonomie einen wichtigen Forschungsbeitrag. Dazu gehört nicht zuletzt die wichtige Pionierarbeit bei der Erstellung sogenannter Roter Listen. Viele von Ihnen haben wahrscheinlich mitbekommen, dass der Naturschutzbund Anfang Januar die Bevölkerung aufgerufen hatte, eine Stunde lang Wintervögel zu zählen. Diese Bestandserhebung ist ein wichtiger Beitrag zu Umwelt- und Naturschutz. Ohne all diese Engagierten wäre die Wissenschaft heute nicht dort, wo sie steht, und auch eine Zukunft ohne die Unterstützung durch Ehrenamtliche ist kaum denkbar. Aus diesem Grund fordern wir die Bundesregierung in unserem Antrag auf, zu prüfen, wie die bundesweit tätigen Ehrenamtlichen noch besser bei ihrer Arbeit unterstützt werden können. Dazu gehört ebenso, dass die Daten, die im Rahmen taxonomischer Forschung gewonnen werden, allen in diesem Bereich Tätigen, also gerade auch den vielen Ehrenamtlichen, kostenlos zur Verfügung gestellt werden; das damit verbundene Stichwort Open Access sei erwähnt. An dieser Stelle haben wir nicht nur in der Taxonomie, sondern in der gesamten Forschungslandschaft noch viel vor uns. Doch auch trotz der exzellenten Arbeit, die sowohl die Ehrenamtlichen als auch die Museen, Genbanken und Sammlungen jeweils verrichten, müssen die Universitäten in Zukunft wieder stärker in die taxonomische Forschung eingebunden werden. Wir brauchen an geeigneten Universitätsstandorten nicht zuletzt Schwerpunktprogramme der integrativen Taxonomie und angewandten Ökologie. Erfolgreich wird das jedoch nur sein, wenn wir konsequent auf eine Vernetzung mit den außeruniversitären Akteuren setzen. Die Verzahnung dieser mit dem Erneuerungs- und Ausbildungspotenzial der Universitäten sichert nicht nur die Zukunft der deutschen Expertise im Bereich der Taxonomie, sondern führt auch zu gewaltigen Synergien, die wir nicht einfach liegen lassen dürfen. Wenn wir das vorhandene taxonomische Potenzial ausschöpfen wollen, dann müssen Universitäten mit außeruniversitären Instituten, Museen, Genbanken und Forschungssammlungen wieder stärker zusammenarbeiten. Auch international ist eine Vernetzung der verschiedenen Akteure unabdingbar. Hier sollte geprüft werden, wie die wissenschaftliche Zusammenarbeit innerhalb Europas, aber zum Beispiel gerade auch mit Schwellenländern unterstützt werden kann. Doch damit eine nationale wie internationale Zusammenarbeit überhaupt möglich ist, muss zuvorderst das Fundament stimmen: Ohne eine angemessene bauliche und infrastrukturelle Ausstattung zur Unterbringung und Erforschung in den diversen relevanten Institutionen ist gute Forschung kaum möglich. Hieran müssen wir weiterhin gemeinsam mit den Ländern arbeiten. Ferner sind spezielle auf die Taxonomie zugeschnittene Forschungsprogramme notwendig. Durch den Föderalismus und die daraus resultierenden unterschiedlichen Ansprechpartner und Forschungsförderer wird die Arbeit der Taxonomen in Deutschland jedenfalls nicht immer erleichtert. Darüber hinaus fehlt es der Taxonomie überall an wissenschaftlichem Nachwuchs. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, solche Strukturen zu unterstützen und gegebenenfalls aufzubauen, die den Nachwuchs insbesondere unter Berücksichtigung der neuen Anforderungen, die durch den Einzug der oben erwähnten OMICS-Technologien entstehen, fördern. Fakt ist, dass es sich bei der Taxonomie nicht um eine Nischenforschung handelt, die man sich mehr oder weniger leistet, sondern um eine Basiswissenschaft, auf der vieles gründet, und die deshalb eine angemessene Bedeutung und Förderung haben sollte. Wenn wir dies beherzigen, dann leisten wir einen wichtigen Beitrag für den Erhalt der Biodiversität – ein Ziel, dem sich die Bundesrepublik Deutschland übrigens bereits mit Unterzeichnung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt 1992 in Rio de Janeiro verpflichtet hat. Da haben wir auch 25 Jahre später noch eine Menge Arbeit vor uns. Ich freue mich, dass wir dieses Thema, das mit einem ähnlichen Antrag in der vergangenen Legislaturperiode noch an der Ablehnung unseres aktuellen Koalitionspartners gescheitert ist, endlich auf den Weg bringen. Birgit Menz (DIE LINKE): Bereits im Jahr 2010 gab es einen Antrag der SPD zum Thema Taxonomie beziehungsweise Kartografie der Biodiversität. Es wäre hilfreicher gewesen, hätte man diesem bereits damals zugestimmt. Heute, sieben Jahre später, hat das Problem nichts an Aktualität verloren – im Gegenteil. Derzeit erleben wir auf der Erde das größte Artensterben seit dem Zeitalter der Dinosaurier. Jeden Tag verschwinden zahlreiche Spezies unwiderruflich von unserem Planeten. Und als ob das nicht genug wäre, ist eine immer größer werdende Anzahl von Tieren und Pflanzen akut in ihrer Existenz gefährdet. Laut der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN sind derzeit etwa 24 000 Arten nachweislich vom Aussterben bedroht. Für die Bekämpfung des Problems existieren bereits internationale sowie nationale Programme, um den Biodiversitätsverlust einzudämmen. Doch wie können Programme und gute Absichten helfen, wenn die eigentlichen Ursachen für den Artenschwund in Bereichen zu finden sind, die nur langsam und widerwillig einsehen, dass der derzeitige Umgang mit unserem Planeten nicht nur fatale Folgen für Umwelt, Tiere und Pflanzen, sondern auch für den Menschen nach sich zieht? Ein Umdenken in Landwirtschaft, Verkehr sowie ein verantwortungsvoller Umgang beim Verbrauch von Flächen und Ressourcen ist unabdingbar, um dem globalen Artensterben auf ganzheitlicher Ebene zu begegnen. Denn beim Schutz der Biodiversität geht es auch um unsere eigene Zukunft. Um das einmal zu verdeutlichen: Wie der Weltrat für Biologische Vielfalt, IPBES, vorrechnet, sind beispielsweise Bestäuber und deren Leistungen für Nahrungsmittel im Wert von 213 Milliarden bis 523 Milliarden Euro verantwortlich. Weltweit sind jedoch Bienen, Schmetterlinge und zahlreiche andere Bestäuber vom Aussterben bedroht, was ein enormes Risiko für die globale Nahrungsmittelsicherheit darstellt. Infolge dieser ernstzunehmenden Bedrohung schlossen sich auf der letztjährigen Biodiversitätskonferenz in Cancún – auch auf Initiative Deutschlands – mehrere Staaten mit der Absicht zusammen, Bienen und Insekten mit gezielten Strategien in Zukunft besser schützen zu wollen. 2010 hatten darüber hinaus die EU sowie 2011 die Vertragsstaaten des Übereinkommens zur biologischen Vielfalt (CBD) im Rahmen des Nagoya-Protokolls bereits den Stopp des Verlustes der Artenvielfalt bis 2020 ausgerufen. Es bleibt jedoch unklar, wie diese Vorhaben umgesetzt und deren Ergebnisse eigentlich überprüft werden können. Die Taxonomie ist in diesem Zusammenhang ein enorm wichtiger Wissenschaftszweig. Ohne die Erkenntnisse dieser Disziplin wären viele Tier- und Pflanzenarten sowie deren Leistungen bis heute unentdeckt geblieben. Und ohne das Engagement vieler ehrenamtlicher und hauptberuflicher Taxonomen wüssten wir auch nicht, welche Arten es zu schützen gilt, noch welches Ausmaß der Verlust von Arten in vielen Regionen eigentlich hat. Damit die Taxonomie ihrer verantwortungsvollen Rolle auch weiterhin gerecht werden kann, braucht es vor allem eine bessere Nachwuchsförderung. Schon jetzt bekommt die Disziplin die Auswirkungen fehlender Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler zu spüren. Der Mangel an Lehrstühlen und damit verbundene Defizite bei der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sind ein ernsthaftes Problem. Politik und Wissenschaft müssen gemeinsam Lösungen finden, um den Wissenschaftszweig der Taxonomie stärker zu fördern und dessen Zukunftsfähigkeit zu garantieren. Die Taxonomie ist wesentlicher Bestandteil, will man den Artenverlust nicht nur stoppen, sondern auch für dessen Erholung sorgen. Zudem müssen nationale und internationale Abkommen und Strategien zum Schutz der Biodiversität konsequent umgesetzt und stärker gefördert werden. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Fördersummen für Programme zum Erhalt der Artenvielfalt um ein Vielfaches gesteigert und gleichzeitig biodiversitätsschädliche Subventionen massiv abgebaut werden. Viele Spezies gehen verloren, noch bevor diese überhaupt bestimmt oder entdeckt werden konnten. Dabei liegt noch so vieles im Verborgenen. Vor allem in Regenwäldern und Ozeanen gibt es Unmengen an unerforschten und zahlreiche zu entdeckende Arten. Es ist daher wichtig, Arten und Bestände wissenschaftlich so gut es geht zu erfassen, um das unvollständige Bild allen Lebens auf unserem Planeten weiter zu komplettieren. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenige Monate vor dem Ende dieser Wahlperiode bringen die Koalitionsfraktionen heute einen Antrag zum Schutz der Biodiversität und zum Ausbau taxonomischer Forschung zur erstmaligen Beratung ein. Mit fällt auf, dass sich dieser Antrag einreiht in eine Sammlung forschungspolitischer Schaufensteranträge, die Sie kurz vor Ende Ihrer Regierungszeit quasi an sich selbst richten. Es stellt sich die Frage, warum Sie diese Themen nicht früher angegangen sind und was Sie davon tatsächlich noch umsetzen können. Dies vorausgeschickt, kann ich mich vielen Ihrer Forderungen zum Schutz der biologischen Vielfalt im Allgemeinen und nach mehr Forscherinnen und Forschern zur Erfassung der Artenvielfalt im Besonderen anschließen. Es reicht allerdings überhaupt nicht aus, den Artenrückgang nur besser erfassen zu wollen. Tagtäglich sterben Arten aus, tagtäglich verlieren wir durch Umweltzerstörung, Klimakrise und durch Eingriffe des Menschen in die Natur an Biodiversität – weltweit wie hierzulande. Millionen von Arten sind noch unentdeckt, viele von ihnen werden ausgerottet, bevor sie überhaupt bekannt werden. Große Ökosysteme wie die Tiefsee, der Boden oder das Grundwasser sind noch weitgehend unerforscht. Es gilt, neben dem Ausbau der Forschung eine aktive und ambitionierte Umwelt- und Naturschutzpolitik zu betreiben, die dem Artenrückgang entgegenwirkt. In der Biodiversitätspolitik hat diese Bundesregierung nichts vorzuweisen, und das lässt Ihren Antrag umso schwächer und substanzloser erscheinen. Die Wichtigkeit der Taxonomie als grundlegende Wissenschaft für die Lebenswissenschaften, von der Biodiversitätsforschung über die Wirkstoffforschung bis hin zur Infektionsmedizin, die wir ja heute unter TOP 24 ebenfalls beraten, ist unbestritten. Valide Forschungsdaten sind neben dem unmittelbaren wissenschaftlichen Nutzen auch Voraussetzung zukunftsorientierter Politik. Die Weiterentwicklung der Taxonomie in Deutschland wie auch international sollten wir deshalb als Teil einer auf Nachhaltigkeit setzenden Forschungspolitik begreifen und entsprechend fördern. Dies gilt auch für verwandte Forschungsbereiche: Um beispielsweise die Folgen der Klimakrise zu bewältigen, müssen Anpassungsstrategien von Ökosystemen, Lebensräumen und Arten erforscht werden. Dieses transformative Wissen über Resilienz wird für politische Weichenstellungen dringend gebraucht. Die nachhaltige Ausrichtung unseres Forschungs- und Wissenschaftssystems auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen bleibt unsere zentrale Aufgabe. Das beginnt bei den Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses, der bei der Taxonomie wegzubrechen droht. Gerade hier lassen sich die Folgen einer einseitigen, auf kurzfristige wirtschaftliche Verwertbarkeit ausgerichteten Politik eindrucksvoll beobachten: Durch den signifikante Abbau von Lehrstühlen wurden die entsprechende Forschungslandschaft und insbesondere die Grundlagenforschung in Deutschland ausgetrocknet. Diese fatale Entwicklung gilt es umzukehren. Einen besonderen Schatz im Bereich der Biodiversitätsforschung stellen die Sammlungen wie auch die Forschungsmuseen, etwa das Naturkundemuseum „nebenan“ hier in Berlin und die drei Museen der Leibniz-Gemeinschaft, dar. Der Verlust von Sammlungen wäre ein Verlust von Wissen, da jeweils große Teile der Sammlungen unwiederbringlich sind. Es kommt darauf an, das vorhandene Wissen zu bewahren und zu erweitern. Wir sollten auf die lange Tradition der Naturforschung aufbauen und die interessierte Zivilgesellschaft daran systematisch beteiligen. Erinnert sei an dieser Stelle an die Insektenforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian, die sich schon vor über 300 Jahren international und interdisziplinär vernetzte. Die Aufzeichnung von Naturbeobachtungen vor Ort wird heute auch unter dem Stichwort Bürgerwissenschaften bzw. Citizen Science zusammengefasst. Ereignisse wie das Insektensterben haben viele private Initiativen zum Schutz der biologischen Vielfalt angeregt. Projekte der „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ und ökologische Freiwilligendienste setzen sich für den Erhalt von natürlichen Lebensräumen ein – sie fehlen in Ihrem Antrag völlig. Diese Formen zivilgesellschaftlichen Engagements von Menschen aus unterschiedlichen Generationen gilt es zu würdigen und einzubeziehen. Wichtig bleibt jedoch, festzuhalten, dass weder das Ehrenamt noch außeruniversitäre Forschung ein regelmäßiges nationales Monitoring und die integrierte Forschung und Ausbildung an den Universitäten ersetzen können. Die Hochschulen müssen in die Lage versetzt werden, Forschung und Lehre auf der Höhe der Zeit zu leisten, moderne Methoden zu nutzen und Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Hier müssen Bund und Länder gemeinsam tätig werden, bevor noch mehr Wissen und Infrastrukturen verloren gehen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirkstoffoffensive starten (Tagesordnungspunkt 24) Stephan Albani (CDU/CSU): Im Rückblick auf die vergangenen Wochen hier im Plenum und in den Diskussionen in der Öffentlichkeit bleiben mir zwei absolute Unworte des Jahres hängen: „postantibiotisch“ und „postfaktisch“. „Postfaktisch“ ist der Abschied einer faktenbasierten, rationalen Entscheidungsfindung und der Rückfall in dogmatische Zeiten vor der Aufklärung – kurzum Mittelalter. „Postantibiotisch“ ist die verbale Kapitulationserklärung gegenüber zunehmenden Antibiotikaresistenzen. Beides ist noch nicht Realität und sollte von uns durch wiederholtes Erwähnen auch nicht zu ebendieser gemacht werden. In Sachen „postantibiotisch“ hier und heute eine gute Nachricht: Hier gibt es politische Gegenmaßnahmen. So wurden auf unsere Initiative hin 20 Millionen Euro im Haushalt für eine Förderinitiative im Bereich der Wirkstoffforschung bereitgestellt. Wir haben hier parlamentarisch schnell gehandelt und die Sache in die Hand genommen. Warum haben wir dies getan? Lassen Sie mich kurz die aktuelle Situation anhand von Fakten darstellen: Wir leben in einer Zeit, in der die zunehmende Verbreitung von Erregern – hier reden wir über bakterielle Erreger –, die gegen einen oder mehrere Wirkstoffe resistent geworden sind, zunimmt. Inzwischen sterben in Europa 25 000 Bürger pro Jahr, weil Antibiotika durch Resistenzen nicht mehr oder nicht mehr ausreichend wirken (Angabe des Europäischen Parlaments). Aber: Laut Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene sterben allein in Deutschland jährlich 30 000 Menschen an Infektionen durch Krankenhauskeime. Weltweit sterben aktuell jährlich rund 700 000 Menschen aufgrund von Antibiotikaresistenzen; bei ungehinderter Weiterentwicklung der Resistenzen wären dies im Jahr 2050 rund 10 Millionen Todesfälle pro Jahr bei gleichzeitigen Kosten für das Gesundheitswesen von rund 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr (Prognose im Auftrag der britischen Regierung, internationale Vereinigung pharmazeutischer Hersteller und Verbände). Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Anfang des vergangenen Jahres 2016 erstmals einen Bericht über Antibiotikaresistenz veröffentlicht und das Problem als gravierend beschrieben. Und dies kann ich aus meiner beruflichen Erfahrung nur in aller Form unterstreichen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde durch Robert Koch hier in Berlin eine Ära steigender Lebenserwartungen mit allgemein verfügbaren Antibiotika eingeläutet. Heute jedoch laufen wir nun Gefahr, uns in einer Post-Antibiotika-Ära wiederzufinden, in der Ärzte über keine Medikamente zur Behandlung von ernsthaften Infektionen mehr verfügen. Dieses kann und darf nicht sein, und es ist auch weder notwendig noch unausweichlich. Zuletzt erschütterte die Nachricht über den Tod einer 70-jährigen Patientin, die Enterobakterien – einem Krankenhauskeim – erlag, der gegen alle 26 verfügbaren Antibiotika resistent ist. Sie hatte sich mutmaßlich auf einer Indienreise infiziert und erlag der Erkrankung. Die Patientin stirbt nach erfolgloser Behandlung letztlich an einer Blutvergiftung. Vor allem in unseren Krankenhäusern sind multiresistente Erreger ein großes und noch weiter wachsendes Problem. Wir müssen also dringend handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es bedarf eines Strukturwandels in unserer Gesundheitspolitik sowie einer besseren Vernetzung und Koordination in der Wirkstoffforschung, um hiermit dringend benötigte neue Heilmittel entwickeln zu können. Aus diesem Grund haben wir, die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, uns im vergangenen Jahr vehement für eine „Nationale Wirkstoffinitiative” als übergeordnetes Rahmenprogramm im Bundesministerium für Bildung und Forschung eingesetzt und zusammen mit dem Koalitionspartner – hier gilt mein herzlicher Dank dem Kollegen Röspel und seinem Team – in einen Antrag gegossen. Warum ist diese „Nationale Wirkstoffinitiative“ notwendig? Es gibt eine Vielzahl von institutionellen und projektbezogenen Fördermaßnahmen im Bereich der Wirkstoffforschung auf nationaler und internationaler Ebene. Aber es gibt keine erkennbare übergeordnete Strategie wie etwa analog zum „Aktionsplan Medizintechnik“, für den wir uns hier Mitte 2016 erfolgreich starkgemacht haben. Wie zuletzt im April 2016 mit Vorstellung der Ergebnisse des ressortübergreifenden Pharmadialogs will das BMBF die Förderung neuartiger Therapieansätze und Diagnostika für bakterielle Infektionen ausbauen. Die Forderung von „der Aufnahme einer Forschungsförderung für neue Wirkstoffe“ haben wir auch schon mit in unseren Koalitionsvertrag 2013 verhandelt. Wir kommen also quasi nun zur dringend notwendigen Umsetzung einer dringend notwendigen neuen Strategie. Koalitionsvertrag, Seite 25: „Wir werden die Wirkstoffforschung stärken, um beispielsweise im Bereich der Antibiotika zur Bekämpfung von Multiresistenz und Sepsis die Entwicklung neuer Medikamente zu fördern.“ Und genau darum geht es in unserem Antrag. Wir brauchen neue Präparate, die als Reserve dienen, wenn alle anderen Mittel versagen. Die scheinbar berechtigte Kritik, dass die Pharmaindustrie hier die Entwicklung neuer Antibiotika vernachlässigt, ist zwar nachvollziehbar, aber nicht fair. Wir verlangen als Gesellschaft hier die sehr kostenintensive Entwicklung von neuen Medikamenten, mit der zugleich damit verbundenen Aussage, dies nicht oder nur sehr restriktiv zum Einsatz kommen zu lassen. Wir haben insofern hier einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag, Forschung, Testung und Produktion von Antibiotika gemeinsam zu realisieren. Aus anderen Bereichen der Gesundheitswirtschaft am Beispiel der PDPs (Product Development Partnerships; auch: Produktentwicklungspartnerschaften) kennen wir dies bereits. Hier hat man alternative Methoden gefunden, um die Problematik der Wirtschaftlichkeit anzugehen. Weiter zeigt auch der achtbare Erfolg vom 22. Januar von Minister Schmidt, beim G-20-Agrarministertreffen in Berlin, bei der Nutzung von Antibiotika als Wachstumsförderer in der Landwirtschaft auszusteigen. Auch soll die Behandlung von kranken Tieren mit Antibiotika verringert werden. Bevor hier aber voreilig Ursachen einseitig verteilt werden: Auch der Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin sollte zurückhaltender erfolgen – nämlich da, wo wirklich notwendig –, und die Patienten müssen die Schemata auch eigenverantwortlich durchgehend einnehmen und nicht bei Wiederlangen des Wohlgefühls selbstständig die Medikamente absetzen. Alle müssen zusammenwirken, damit der Rückfall in Zeiten von Pest und Co. verhindert wird. Es ist unsere Verantwortung, eine zukunftsweisende Politik zu gestalten. Mit dieser neuen „Nationalen Wirkstoffoffensive“ haben wir nun eine Art „Schuhlöffel“ gefunden, der uns hier hineinhelfen soll: in einen begonnenen Prozess einer dringend notwendigen Weiterentwicklung der Wirkstoffforschung, in einer langfristig angelegten Strategie, einer konzertierten Aktion aller an diesem Prozess Beteiligten in Forschung, Industrie und Gesellschaft. Und dies soll der Anfang sein. Patricia Lips (CDU/CSU): Die Zahlen sind alarmierend: Allein in Europa sterben rund 25 000 Menschen pro Jahr an Infektionskrankheiten, weil die jahrzehntelang verlässliche pharmazeutische Allzweckwaffe, das Antibiotikum, nicht mehr hinreichend wirkt. Weltweit sollen es 700 000 Opfer der Antibiotikaresistenz sein, Tendenz stark steigend. Die moderne Medizin ist in allen Stufen der Bakterienbekämpfung, von der alltäglichen Atemwegsinfektion bis zur Hightechversorgung wie in der Transplantationsmedizin, grundsätzlich in Gefahr, wenn Antiinfektiva versagen. Es ist nicht übertrieben, wenn Experten der WHO vor einer post-antibiotischen Ära warnen, in der schließlich schon eine vermeintlich harmlose Wundinfektion wieder lebensbedrohlich und tödlich werden kann. Diese enorme Gefahr hat damit zum einen globale Ausmaße erreicht, denn wir sind eine Welt und haben eine Welt-Gesundheit als kollektives Gut, weil Krankheiten vor Grenzen nicht Halt machen. Gleichzeitig ist sie aber auch für jeden von uns greifbar; es geht eben nicht (mehr) um Epidemien in fernen Ländern, wie zum Beispiel bei den sogenannten armutsassoziierten Krankheiten. Nein, wir sind auch hier in Deutschland mit seiner Medizinversorgung auf höchstem flächendeckenden Niveau nicht auf der Insel der Glückseligen, sondern selbst direkt gefährdet. Denn auch hierzulande versagen herkömmliche Antibiotika immer häufiger gegen multiresistente Keime. Wer von uns kennt nicht aus dem unmittelbaren Familien- und Freundeskreis bereits die Fälle lebensbedrohlicher Krankenhausinfektionen mit dem Keim MRSA. Oder war gar selbst schon einmal durch eine Infektion ernsthaft oder gar lebensbedrohlich erkrankt, und die Antibiotika schlugen nicht oder erst spät an? Die Gefahr ist also allgegenwärtig und absolut real. Hinzu kommt, dass die Erforschung neuer Arzneimittel teuer und riskant ist; der Antibiotikamarkt liefert nicht die gewünschten Erträge, ist also nicht rentabel angesichts sehr hoher Investitionen. Unter den deutschen Pharmakonzernen forschen gerade noch zwei an neuen Antibiotika, und es werden kaum neue Medikamente auf den Markt gebracht; die Entwicklungszeiten von der Idee bis zur Anwendung betragen für neue Medikamente rund 14 Jahre. Wir müssen also ein strukturelles Marktversagen feststellen. Aktuell sehr präsent ist die Diskussion nicht nur in der medizinischen und gesundheitswissenschaftlichen Fachcommunity, sondern war zum Beispiel auch Thema kürzlich beim Forum Bioethik des Ethikrates und ist Gegenstand einer sehr grundlegenden Stellungnahme der Leopoldina. Der Befund ist eindeutig: Wir benötigen dringend neue Wirkstoffkandidaten für wirksame Antiinfektiva und dazu neue innovative Wege der Arzneimittelentwicklung. Was wurde bereits getan, und was ist weiter zu tun? Ressortübergreifend wurde die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie entwickelt. Die Wirkstoffforschung wird durch mehrere Förderformate des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unterstützt, die in unserem Antrag näher ausgeführt werden. Schließlich will das Bundesministerium für Bildung und Forschung als Ergebnis des Pharmadialogs die Förderung neuartiger Therapieansätze und Diagnostika für bakterielle Infektionen vorantreiben. Auch außenpolitisch hat die Bundesregierung gehandelt und das Thema Antibiotikaresistenz zu einem Schwerpunkt seiner G-7-Präsidentschaft gemacht; Aktionspläne von EU und WHO zur Antibiotikaresistenz wurden verabschiedet. Ich möchte hier auch ausdrücklich unsere internationale Verantwortung im Hinblick auf die Entwicklungszusammenarbeit betonen und nenne die Stichworte Ebolaepidemie oder die vernachlässigten Tropenkrankheiten. Mit unserem heute vorgelegten Antrag „Pharmazeutische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirkstoffoffensive starten“ wollen wir nun einen weiteren notwendigen Impuls setzen und eine umfassende nationale Strategie für die Wirkstoffforschung voranbringen. Die bisherigen Forschungsansätze müssen im Sinne einer abgestimmten Gesamtstrategie gebündelt und die Grundlagenforschung gestärkt werden. Neue Kooperationsformate zwischen Forschung und Industrie müssen besser gefördert werden. Die Forschungsanstrengungen zu den drei Infektionskrankheiten mit hoher Mortalität (Tuberkulose, HIV/Aids und Malaria) wie auch zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten müssen intensiviert werden. Neben der Entwicklung neuer Medikamente und Antibiotika sind als weitere Maßnahmen im Sinne einer Gesamtstrategie auch eine bessere Information von Ärzten und Patienten über die Gefahren von Resistenzen und die Intensivierung von Hygiene- und Präventionsmaßnahmen erforderlich; ich erinnere hier an die aktuellen Vereinbarungen des Pharmadialogs vom letzten Jahr. Wir müssen schließlich dafür Sorge tragen, dass der Antibiotikagebrauch in der Human- und Veterinärmedizin auf das unbedingt Erforderliche reduziert wird, damit das Antibiotikum weiter verlässlich Leben retten kann. Der vorliegende Antrag ist selbstredend nicht isoliert zu betrachten, sondern reiht sich ein in unsere Ziele, Anträge und Förderprojekte zur Verbesserung der Gesundheitsforschung, insbesondere zur Beschleunigung des Innovationstransfers oder auch zur Forschung bei vernachlässigten, armutsassoziierten Krankheiten. Er passt sich ein in unser Konzept zur Förderung der Gesundheitsforschung und -versorgung, lokal, national wie auch global. Denn unsere Gesundheit ist das höchste Gut, das es zu schützen gilt. Bei allen berechtigten Sorgen das Gute zum Schluss: Die Koalitionsfraktionen haben gehandelt. Ich freue mich, dass wir bereits in den letzten Haushaltsberatungen für die nächsten vier Jahre im Einzelplan 30  20 Millionen Euro für die Wirkstoffforschung im Rahmen einer neuen Initiative einstellen konnten. Dafür danke ich den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss und dem Ministerium und freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. René Röspel (SPD): „Wir werden die Wirkstoffforschung stärken, um beispielsweise im Bereich der Antibiotika zur Bekämpfung von Multiresistenzen und Sepsis die Entwicklung neuer Medikamente zu fördern.“ So steht es im Koalitionsvertrag, und ich freue mich, dass wir heute mit dem vorliegenden Antrag dieses Vorhaben weiter umsetzen. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass wir dieses wichtige Thema zu einer anderen Uhrzeit debattieren; denn es ist aktueller denn je und stellt unsere Gesellschaft, aber auch die Gesundheitswirtschaft vor große Herausforderungen. Denn zurzeit stecken wir in einem Dilemma. Einerseits benötigen wir im Vergleich zu früher immer mehr Medikamente – weil wir älter werden als noch unsere Vorfahren und auch Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes immer häufiger vorkommen –; andererseits wird die Entwicklung dieser notwendigen Medikamente aber immer schwieriger. Eine dramatische Entwicklung zeigt sich gegenwärtig insbesondere in der zunehmenden Antibiotikaresistenz und der schwierigen Suche nach neuen Antibiotika. Noch vor einigen Jahren waren Antibiotika die „Wunderwaffe“ der Medizin. Jedes Antibiotikum wirkt auf ein mehr oder weniger breites Bakterienspektrum und tötet die Bakterien entweder ab oder sorgt für eine Hemmung des Wachstums bzw. der Vermehrung des Bakteriums. Im Idealfall bekämpfen Antibiotika so gefährliche Bakterien und können selbst schwerste Infektionen heilen. Heute haben sich jedoch gegen zahlreiche Antibiotika Resistenzen gebildet, wodurch auch einfache Infektionen mit resistenten Bakterien lebensbedrohlich werden können. Die Ursachen für Antibiotikaresistenzen sind vielfältig und nicht alle Resistenzen sind von Menschenhand verursacht. Einige Bakterien sind bereits aufgrund ihrer genetischen Eigenschaften gegen Antibiotika unempfindlich. Relevanter sind aber heute jene Antibiotikaresistenzen, die aufgrund vermehrten beziehungsweise massenhaften Einsatzes in der Human- und Tiermedizin oder fehlerhafter Anwendung entstehen und gravierende Folgen für unsere Gesundheit haben können. Neben der Sensibilisierung der Patientinnen und Patienten für den richtigen Umgang mit Antibiotika und ihrem rückläufigen Einsatz in der Landwirtschaft sind wir insbesondere auf eine starke Wirkstoffforschung angewiesen. Die in diesem Bereich forschenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler identifizieren neue Wirkstoffkandidaten, aus denen neue Arzneimittel zur Behandlung von Infektionskrankheiten und damit auch neue Antibiotika entwickelt werden können. Antibiotikaresistenzen müssen hierbei zwar einen Schwerpunkt bilden, aber auch im Kampf gegen die „großen Drei“ – Tuberkulose, Malaria und HIV/Aids – sowie die vielen anderen vernachlässigten und armutsbedingten Krankheiten sind neue Medikamente unverzichtbar. Leider ist die Entwicklung von neuen Arzneimitteln ein langer, risikoreicher wie kostspieliger Prozess, und viele Wirkstoffkandidaten scheitern schon in frühen Entwicklungsphasen. Jahrzehntelange Forschungs- und Entwicklungsarbeit sowie Kosten zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde Euro sind keine Seltenheit. Hinzu kommt, dass Wirkstoffe, die es bis zur Markteinführung schaffen, oftmals keine wirklichen „Neuheiten“ sind und bereits bekannten und bewährten Wirkstoffen ähneln. An den Universitäten, in der Hochschulmedizin, den Forschungseinrichtungen und in der Gesundheitswirtschaft mangelt es nicht an exzellenten Forscherinnen und Forschern. Dennoch stockt die Arbeit an neuen Medikamenten. Deswegen ist es aus meiner Sicht von besonderer Bedeutung, dass wir die Grundlagenforschung im Bereich der Wirkstoffforschung stärken. Nur so können wir Erkenntnisse über neue Wirkstoffkandidaten erhalten und innovative Wege in der Entwicklung neuer Arzneimittel bestreiten. Aber auch die klinische Forschung muss weiter gestärkt werden. Die Wirkstoffentwicklung darf nicht aus Kosten- und Risikogründen vernachlässigt werden. Ich möchte es noch einmal betonen: Die Wirkstoffforschung kann nur dann erfolgreich sein, wenn wir alle Phasen der Arzneimittelentwicklung – von der Grundlagenforschung bis zur klinischen Forschung – berücksichtigen und stärken und dabei die einzelnen Stärken der beteiligten Partner und vorhandene Forschungsinfrastrukturen für den größtmöglichen Erfolg nutzen und fördern, nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in der europäischen und internationalen Zusammenarbeit. Mit verschiedenen Initiativen, Formaten und der institutionellen Förderung der Forschungseinrichtungen fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung, auch in ressortübergreifender Zusammenarbeit unter anderem mit dem Gesundheitsministerium, bereits die Wirkstoffforschung. Der dramatische Anstieg der Zahl der Todesopfer aufgrund von resistenten Erregern und die insgesamt geringe Anzahl von neuen Arzneimitteln zeigt aber deutlich, dass wir eine verstärkte Forschung benötigen, damit neue Arzneimittel entwickelt werden können. Mithilfe einer Nationalen Wirkstoffoffensive wollen wir sowohl die Wirkstoffforschung weiter stärken als auch die nationale und internationale Vernetzung von universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen vorantreiben. Dafür stellen wir in den kommenden vier Jahren weitere 21 Millionen Euro bereit – eine Summe, bei der wir jeden Euro effizient nutzen und schon vorhandene Maßnahmen ressortübergreifend aufeinander abstimmen müssen. Dass wir die Gefahr erkannt haben, zeigt auch die Schwerpunktsetzung der deutschen G-20-Präsidentschaft. Die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen – auch mithilfe der Entwicklung neuer Wirkstoffe – steht ganz oben auf der Agenda. Mit einer starken Wirkstoffforschung können wir dieses Ziel erreichen. Mit dem vorliegenden Antrag ebnen wir dafür den Weg. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Im heute eingebrachten Antrag setzen sich die Koalitionsfraktionen mit einer der wichtigsten und kritischsten Fragen auseinander, mit der wir im Bereich der Gesundheitsforschung konfrontiert sind: Antibiotika haben im 20. Jahrhundert zweifellos einen großen Beitrag zur Bekämpfung von lebensbedrohlichen Infektionserkrankungen geleistet. Noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert sind die Menschen massenhaft an bakteriellen Erkrankungen wie Cholera, Typhus, Syphilis, Wundbrand oder Tuberkulose gestorben. Erst die Entwicklung des Penicillins, dem später weitere Wirkstoffe folgten, nahm dieser tödlichen Gefahr ihren Schrecken. Doch der Schrecken kehrt zurück. Immer häufiger infizieren sich Menschen mit Keimen, gegen die die gängigen Antibiotika nichts mehr ausrichten können. Multiresistente Erreger sind eine große und zunehmende Gefahr für die öffentliche Gesundheit. Schon heute sterben allein in Deutschland mehr Menschen an resistenten Erregern als an Verkehrsunfällen oder an Aids. Warum entwickeln die Arzneimittelhersteller in so einer Situation nicht vorrangig neue Antibiotika? Auch darauf weisen die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag hin: Die Gewinnerwartung für die Unternehmen ist zu gering. Antibiotika haben aus Sicht der Unternehmen nämlich den Nachteil, dass sie nicht dauerhaft eingenommen werden dürfen. Gerade mit neuen Mitteln gegen die multiresistenten Keime wird man besonders restriktiv umgehen müssen, um keine neuen Resistenzen zu erzeugen. Und die größte Krankheitslast zum Beispiel bei Tuberkulose tragen die Menschen in armen Ländern mit schwachen Gesundheitssystemen, die sich teure neue Arzneimittel nicht leisten können. Deswegen fordern Sie nun zu Recht, dass der Staat mehr Geld in die Hand nehmen muss, um die Erforschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe und Arzneimittel zu fördern. Doch Ihr Ansatz ist unzureichend, weil Sie sich nicht aus dem markt- und gewinnorientierten Denken lösen können. Was wir brauchen, ist ein grundsätzliches Umsteuern in der Gesundheitsforschung. Die Weltgesundheitsorganisation beschreibt den höchstmöglichen Gesundheitszustand als Menschenrecht, das jedem Menschen unabhängig von seiner Herkunft und sozialen Situation zusteht. Dementsprechend ist es nicht Aufgabe privatwirtschaftlicher Unternehmen, dieses Recht zu sichern, sondern Aufgabe der Staaten. Die Grundlagenforschung und auch die klinische Erprobung mit Steuergeldern zu fördern, dann aber die Patente und damit zukünftige Erträge in der Hand der Unternehmen zu lassen, ist im Kern eine Umverteilung aus den Taschen der Steuerzahler in die Taschen der Aktionäre von Bayer, Pfizer und Co. Wir schlagen Ihnen daher vor: Ändern Sie die Hochschulgesetze oder das Patentrecht so, dass öffentlich finanzierte Forschungsergebnisse auch in staatlicher Hand bleiben! Die so entwickelten Medikamente könnten dann in Lizenz produziert werden – überall auf der Welt, zu Preisen, die auch die Armen bezahlen können. Und auch die Forschungsstruktur in den deutschen Hochschulen wurde und wird von Ihnen nicht in Richtung Allgemeinwohl umgestaltet. Teil des Problems ist doch, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtungen eben in ihrer Forschung nicht vorwiegend am Allgemeinwohl orientiert sind, weil sie angewiesen sind auf externe Zuwendungen, sogenannte Drittmittel, für jedes einzelne Forschungsprojekt. Auch die prekäre Situation der allermeisten Nachwuchsforscher, die sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln, steht einer Kontinuität und Nachhaltigkeit in der medizinischen, biochemischen und pharmakologischen Forschung diametral entgegen. Auch hier vermisse ich Vorschläge zum Umsteuern. Die Entwicklung neuer Antiinfektiva ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von einem Format, das mutige und politisch unbequeme Entscheidungen erfordert. Die von Ihnen geforderte Nationale Wirkstoffoffensive wird wohl doch eher ein Offensivchen; denn Sie fordern ja Mittel dafür lediglich „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“. Mit den 17 Millionen Euro, die im Haushalt eingestellt sind, kommen Sie aber nicht weit. Und den Antrag der Linken zum Haushaltsplan über 500 Millionen Euro für nichtkommerzielle, industrieunabhängige Pharmaforschung haben Sie ja abgelehnt. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Krankheitserreger, gegen die keine Antibiotika mehr wirken, sind eine zunehmende Gefahr für die menschliche Gesundheit. Sie sind zugleich eine drängende Herausforderung für die Forschung. Denn Antibiotikaresistenzen nehmen weltweit zu, und alte Wirkstoffe stoßen an ihre Grenzen. Viele forschende Arzneimittelhersteller haben sich in der Vergangenheit aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen, weil andere Bereiche lukrativer schienen. Dieses Marktversagen führte zu einer Forschungslücke. Der Nachschub an neuen Entwicklungen in der Forschungspipeline versiegt. Im Antrag der Koalition wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass die in den letzten Jahren neu auf den Markt gekommenen Produkte letztlich nur „Me-Too-Präparate“ sind, also Medikamente ohne echten Zusatznutzen. In der Problemanalyse liegen wir also nah beieinander. Nun ist aber die Frage, was kluge Forschungsförderansätze sind, die helfen, das Problem nachhaltig in den Griff zu bekommen. Und da ist es zu wenig, vor allem auf mehr Kooperation zwischen Unternehmen und öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen zu setzen und eine „Nationale Wirkstoffinitiative“ auszurufen. Ihre Vorschläge sind vor allem zu wenig innovativ. Sie ducken sich zum Beispiel weg bei der doch auf der Hand liegenden Frage: Was können wir eigentlich konkret lernen aus der Diskussion um das Marktversagen bei den „vernachlässigten Krankheiten“ für die Antibiotikaforschungsförderung? Denn die Ausgangslage ist doch eine ähnliche: Auch der Markt der „vernachlässigten Krankheiten“ ist für „Big Pharma“ zu wenig finanziell attraktiv, sodass es an Forschung und Entwicklung mangelt. Deshalb setzt das BMBF beispielsweise auf Produktentwicklungspartnerschaften. Auch andere Instrumente wie Knowledge Sharing oder die Entkoppelung von Entwicklungskosten und Produktpreis werden diskutiert und wären lohnenswert, auf ihr Potenzial für die Antibiotikaforschung übertragen zu werden. Da zeigt sich der Antrag aber leider ideenarm. Ich vermisse auch, dass ein Instrument, welches in der internationalen Diskussion viel debattiert wird, nämlich das eines globalen Antibiotikaforschungsfonds, von Ihnen mit keiner Silbe erwähnt wird. Was geben Sie der Bundesregierung in den kommenden G-7- und G-20-Prozessen zu diesem Ansatz auf den Weg? Dazu schweigt der Antrag und vergibt hier die Chance, die Debatte voranzutreiben. Klar ist auch: Selbst wenn Maßnahmen aus dem Koalitionsantrag die Pharmaindustrie beflügelten, neue Entwicklungen auf den Markt zu bringen – bis wir tatsächlich über diese neuen, dringend benötigten Medikamente verfügen, werden noch Jahre vergehen. Deshalb ist es wichtig, seitens der Forschung auch Lösungsansätze jenseits der Pharmazie in den Blick zu nehmen, die schneller Wirkung entfalten können. Dazu gehört, sich anzuschauen, welche Gründe für die zunehmenden Antibiotikaresistenzen bestehen und wie Prävention möglich ist. Das baden-württembergische Wissenschaftsressort zum Beispiel fördert ein Verbundprojekt der drei Universitätsklinika Tübingen, Freiburg und Heidelberg, das mögliche Wege einer Übertragung von antibiotikaresistenten Bakterien vom Tier auf den Menschen untersucht, und zwar vor allem durch den Verzehr von Fleisch. Solche Fragestellungen helfen weiter, weil sie eines Tages Ideen zur Ursachenbekämpfung liefern können. Auf einigen Gebieten mangelt es allerdings gar nicht so sehr an Erkenntnissen, sondern wir haben es mit Umsetzungsdefiziten zu tun. So ist es der verbreitete Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft, die dann über die Nahrungskette und nicht zuletzt über das Trinkwasser von uns Menschen aufgenommen werden. Ebenfalls wichtig sind Hygiene-Standards, übrigens nicht nur im Krankenhaus, sondern auch in Pflegeheimen oder in den Rettungswagen. Personalschlüssel an besonders vulnerablen Orten wie Intensivstationen oder Frühchenstationen oder auch das Screening von Risikopatienten sind weitere wichtige Ansatzpunkte. Die Beispiele zeigen: Es sind nicht allein die pharmazeutischen Antworten, die uns weiterbringen können. Vielmehr muss Gesundheitsforschung auch Perspektiven integrieren, die auf soziale Innovationen und transdisziplinäre Forschung abzielen, beispielsweise um Prozessabläufe in der Krankenversorgung besser zu organisieren. Bei all diesen Baustellen erwarten wir, dass die Koalition in und über die Wirkstoffinitiative hinaus aktiv wird, um Infektionskrankheiten wirksam einzudämmen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 25) Patrick Schnieder (CDU/CSU): Als wir im Jahr 2013 den Koalitionsvertrag aufgesetzt haben, haben sich die zukünftigen Herausforderungen des Verkehrs bereits am Horizont abgezeichnet. Um diese Veränderungen zu bewältigen, reicht es nicht, an der Infrastruktur zu arbeiten. Wir müssen an den Verkehrsteilnehmern arbeiten, die am Verkehr der Zukunft teilhaben werden. Und wir setzen – so wie wir es damals beschlossen haben – bei der Fahrausbildung und den Fahrlehrern an. Auch wenn die Verbesserung der Qualität der verkehrspädagogischen Ausbildung das Ausgangsmotiv für die vorliegende Reform war, hat sich eine ganze Reihe von weiteren Problemen aufgetan, vor denen deutsche Fahrschulen heute stehen. Daher greifen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur das Koalitionsversprechen auf, sondern nehmen auch die hinzugetretenen Probleme der Gegenwart gleich mit ins Visier: Wir stellen fest, dass die Anzahl der Personen mit Fahrlehrerlaubnis kontinuierlich abnimmt. Sie ist das siebte Jahr in Folge gesunken, auf nun 45 238 Personen. Gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter der Fahrlehrer in Deutschland seit 2006 an und liegt aktuell bei 53 Jahren. Der überwiegende Teil der Fahrlehrerlaubnisinhaber (75,5 Prozent) ist im Jahr 2015  45 Jahre oder älter und wird sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren aus dem Beruf verabschieden. Die Altersstruktur ist ein großes Problem für die Branche. Daher müssen wir neue Wege gehen, um den Beruf attraktiver und zukunftsfähig zu machen. Auch der Frauenanteil an den Fahrlehrern sollte sich ändern. Frauen stellen derzeit weniger als 9 Prozent aller Fahrlehrer in Deutschland. Die Zeiten, in denen das Auto und Fahrschulen eine reine Männerdomäne sind, sollten jedoch längst gezählt sein. Und nicht zuletzt hängt der Nachwuchsmangel auch mit der fehlenden finanziellen Perspektive des Berufes zusammen. Das Gehalt der Fahrlehrer schwankt je nach Region und Auftragslage enorm. Im Jahr 2014 waren rund 10 000 Fahrschulen in Deutschland registriert. Die Fahrschulen erwirtschafteten im Schnitt etwas über 42 000 Euro je beschäftigter Person. Der Sachaufwand und die sonstigen betrieblichen Aufwendungen verzehren jedoch große Teile des Umsatzes. In strukturschwachen Gebieten mit wenigen Fahrschülern und niedrigen Fahrstundenpreisen verdienen Fahrlehrer tatsächlich oft nicht mehr als 1 400 Euro brutto. Nur in Ballungsgebieten mit höheren Fahrstundenpreisen und einem größeren Schülerpool sind höhere Verdienste möglich. Der Nettolohn eines deutschen Fahrlehrers ist mehr als bescheiden; für viele Fahrlehrer ist es schwierig, den Lebensunterhalt alleine mit Fahrstunden zu bestreiten, und gänzlich unmöglich, etwas für das Alter zurückzulegen. Die Nachwuchsprobleme kriegen wir so jedenfalls nicht in den Griff. Hinzu kommt eine sinkende Nachfrage nach Fahrstunden. Der demografische Wandel macht auch vor den Fahrschulen nicht halt. Die Zahl der Fahrerlaubnisprüfungen ist zwischen 2006 und 2013 jedes Jahr gesunken, erst seit 2014 steigt sie wieder leicht. Die Zahl der Fahrschüler sank bundesweit zuletzt von etwa 1 Million auf rund 800 000, und der Wettbewerbsdruck in der Branche verschärft sich. Die Fahrschulen als verkehrspädagogische Kleinbetriebe spüren die Auswirkungen der geburtenschwachen Jahrgänge mehr als deutlich. Neben der Alterung der Gesellschaft führen Experten die Zahlen auch auf den sinkenden Stellenwert des Automobils zurück. Der öffentliche Nahverkehr ist in den deutschen Großstädten ausreichend attraktiv; ein Auto wird zunehmend überflüssig. Laut Studien gibt die jugendliche Zielgruppe ihr Geld im Zweifel eher für Reisen oder das neueste Smartphone als für den Führerschein aus. Wir beobachten, dass das Auto in den Städten zusehends vom Statussymbol zu einer Dienstleistung mutiert. Der Verkehr wandelt sich in einer Geschwindigkeit, die vor wenigen Jahren noch nicht abzusehen war. Und mit ihm wandeln sich die Anforderungen an die Verkehrsteilnehmer. Wir sind aufgefordert, zu reagieren und bei der Wissensvermittlung durch die Fahrlehrer anzusetzen. Deren Berufsstand ist auch in Zukunft nicht in Gefahr; die Berufsbeschreibung dürfte sich jedoch grundlegend ändern. Es geht nicht länger nur um Sicherheitsabstand und Schulterblick. Aus Fahrlehrern werden Mobilitätsberater und Fahrzeugsoftware-Pädagogen. Der Vorwurf, die deutschen Fahrschulen würden bei den praktischen Prüfungen hohe Durchfallquoten herbeiführen, um durch die zusätzlichen Fahrstunden die Einbußen durch den allgemeinen Rückgang an Fahrschülern zu kompensieren, kann durch einen einfachen Blick in die Statistik widerlegt werden. Die Durchfallquoten bei den praktischen Prüfungen sind seit Jahren annähernd identisch und liegen zwischen 25 und 26 Prozent. Die Durchfallquoten der Theorieprüfung steigen jedoch kontinuierlich. Hier sollte die Schuld nicht bei den Fahrlehrern gesucht werden. Stattdessen müssen wir uns fragen, wie wir die insbesondere auf dem Land immer jünger werdenden Fahrschüler besser auf die theoretische Prüfung vorbereiten und ihnen die Prüfungsnervosität nehmen. Es ist zu beobachten, dass Jugendliche heute mehr Unterricht als noch vor 20 Jahren nehmen müssen. Zu ständig neuen Vorschriften und Verboten kommen mit dem Kreisverkehr oder dem Grünpfeil auch neue Verkehrselemente hinzu. Die unaufhaltsame Automatisierung bringt beinahe monatlich neue Assistenzsysteme hervor, die Fahraufgaben übernehmen oder unterstützen können. Schon heute macht die Einweisung in Abstands- und Parkassistenten, elektronische Anfahrtshilfen und Spurhaltesysteme 5 Prozent der Fahrunterrichtszeit aus. Dennoch muss der Fahrzeugführer auch in absehbarer Zukunft zahlreiche, auch nicht-fahrbezogene Aufgaben weiterhin selbst erfüllen. Auch teilautomatisierte Fahrzeuge müssen in einen betriebs- und verkehrssicheren Zustand gebracht werden; die Assistenzsysteme müssen kontrolliert werden. Die neuen Technologien sind für die Fahrlehrer selbstredend auch mit höherem Sachaufwand verbunden, wenn bestehende Fahrzeuge nachgerüstet werden müssen. Damit die Anzahl der erforderlichen Fahrstunden nicht wesentlich steigt und der Führerscheinerwerb bezahlbar bleibt, muss der Fahrunterricht noch besser und effizienter werden. Bedauerlicherweise sind Fahranfänger weiterhin die am stärksten unfallgefährdete Gruppe aller Verkehrsteilnehmer. Viele Fahranfänger überschätzen ihr Können. Dieses Gefühl falscher Souveränität ist die Ursache dafür, dass sie in den ersten Monaten nach der bestandenen Fahrprüfung überdurchschnittlich viele schwere Unfälle verursachen. Erst mit steigender fahrpraktischer Erfahrung nimmt das Unfallrisiko merklich ab. Dies unterstreicht die Bedeutung, die Aneignung von Fahrkompetenz vor dem Beginn des selbstständigen Fahrens zu optimieren. Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen ist es wichtig und notwendig, dass wir als Gesetzgeber reagieren. Die zentrale Frage ist: Wie können wir die Qualität der Fahrausbildung erhöhen, die Nachwuchsprobleme der Fahrlehrerbranche beheben und die Einnahmensituation der Fahrschulen verbessern, ohne dass sich die Kosten für die Fahrschüler weiter erhöhen? Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf präsentieren wir vier Instrumente, mit denen wir die Probleme angehen. Erstens. In Zeiten von Nachwuchsmangel ist es die richtige Entscheidung, den Zugang zum Beruf des Fahrlehrers durchlässiger und flexibler zu gestalten. Wir senken das Mindestalter auf 21 Jahre ebenso ab wie die horrenden Gebühren, die bislang bei den für die Prüfungsabnahme zuständigen technischen Prüfstellen fällig werden. Die grundsätzliche Eignung wollen wir nicht aufweichen. Der Fahrlehrbewerber muss in Zukunft mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf oder eine gleichwertige Vorbildung besitzen. Aber auch hier sollen Ausnahmen möglich werden und für mehr Flexibilität sorgen. Zweitens. Die Fahrlehreraus- und -weiterbildung wird dem Verkehr von heute und der Realität von morgen angepasst. Hierfür haben wir die Inhalte, Methoden und organisatorischen Abläufe der Fahrschulausbildung in Deutschland einer kritischen Betrachtung unterzogen. Innovationen wie Elektromobilität und Teilautomatisierung halten ebenso Einzug in den Lehrplan wie die Schärfung der Vermittlung verkehrspädagogischer Kompetenzen, die Verkehrswahrnehmung und die Gefahrenvermeidung in der Praxis. Das selbstständige Theorielernen der Fahrschüler soll besser vorbereitet werden, auch mithilfe der Implementierung von Smartphone-Apps und interaktiven Lernformen. Gleichzeitig erhält die Ausbildung der Fahrlehrer eine optimierte zeitliche Abfolge, und die Anforderungen an Ausbildungsfahrschulen und die Fahrlehrerfortbildung werden präzisiert. Drittens. Um die Einhaltung der Vorschriften zu garantieren, schaffen wir den Rahmen für eine bundeseinheitliche Überwachung der Fahrschulen. Die Vorgaben für das Fahrlehrerpersonal werden ebenso präzisiert wie die Maßnahmen, die bei einer Feststellung von Mängeln ergriffen werden. Auch die Schulung des mit der pädagogischen Überwachung betrauten Personals wird klar geregelt. Die Überwachungsfristen bleiben unverändert. Die Länder erhalten großzügige Übergangsregelungen und können die Details auch danach in eigener Zuständigkeit ausgestalten. Viertens. Besonders problematisch ist die Frage, wie man die Einnahmensituation der Fahrschulen verbessern kann, ohne dass die Preise für Fahrstunden erhöht werden. Bereits heute werden für theoretische und praktische Prüfung zusammen bis zu 1 900 Euro fällig. Für die Führerscheinaspiranten, die durch eine Prüfung fallen, wird es noch teurer. Ich möchte aber unter keinen Umständen sehen, dass der Führerschein, der ja auch für nicht wenige Stellen ein Einstellungskriterium ist, zu einem Privileg von Kindern besserverdienender Familien wird. Daher verfolgen wir einen anderen Ansatz. Die Kostenstrukturerhebungen deutscher Fahrschulen zeigen, dass die Bruttogehälter und Sozialaufwendungen im Jahr 2014 nur 39 Prozent der Ausgaben deutscher Fahrschulen umfassten. In der Konsequenz sind 61 Prozent der Ausgaben sachgebunden und durch Synergieeffekte potenziell absenkbar. Daher setzen wir auf Entbürokratisierung und Kooperation. Indem wir die Anforderungen an Unterrichtsräume vereinfachen, arbeitsrechtliche Spezialvorgaben streichen und nicht mehr zeitgemäße Nachweispflichten wegfallen, werden die Fahrschulen um mehr als 84 Millionen Euro pro Jahr entlastet. Die Fahrschulen sollen weniger Zeit mit Formalien verbringen müssen und mehr Zeit für ihre Schüler erhalten. Gleichzeitig wollen wir den Fahrschulen die Tür für Kooperationen öffnen, um Sachkosten aufteilen zu können. Neu werden Gemeinschaftsfahrschulen auch für Fahrschulinhaber unterschiedlicher Klassen möglich. Außerdem wird Fahrschulen die Möglichkeit gegeben, dort, wo es Sinn macht, einzelne Ausbildungsteile an eine kooperierende Fahrschule zu übertragen. Auch die bestehende Beschränkung der maximal möglichen Anzahl von Zweigstellen soll entfallen. Gleichzeitig erwarten wir, dass die Kooperationsmöglichkeiten nicht dazu führen, dass pädagogische Verantwortungen verwischt werden. Es wird daher festgelegt, dass der Auftraggeber eines Ausbildungsteils die Gesamtverantwortung trägt, während die kooperierende Fahrschule die übernommene Teilausbildung verantwortet. Um dies zuverlässig überprüfen zu können, sind auch die kooperierenden Fahrschulen aufgefordert, Dokumentationen und Aufzeichnungen bereitzuhalten. Es gibt jedoch einen Punkt, den ich kritisch sehe, und das ist der im Entwurf vorgesehene Ausschluss von Beschäftigungsverhältnissen mit freien Mitarbeitern. Ich kann nicht nachvollziehen, aus welchem Grund Fahrschulen – insbesondere auch in Zeiten schwankender Auftragslagen – auf einen Zugang zu freischaffenden Fahrlehrern verzichten sollten. Die Beschäftigungsstatistik verrät, dass freiberufliche Fahrlehrer heute die Ausnahme sind. Gleichzeitig nimmt die Zahl der sozialversicherungspflichtig und geringfügig beschäftigten Fahrlehrer kontinuierlich zu: allein seit 2012 um 13 Prozent. Die Fahrschulbranche befindet sich bereits inmitten eines Strukturwandels. Ich verstehe nicht, weshalb man den Fahrschulen an dieser Stelle Flexibilität nehmen sollte. Eine Senkung der allgemeinen Gebührenlast würde uns hingegen nicht weiterbringen. Die deutschen Fahrschulen führen bereits heute weniger als 1 Prozent ihres Umsatzes als Steuern und öffentliche Abgaben ab. Der vorliegende Gesetzentwurf versucht viel, und ihm gelingt viel. Wir bereiten unsere Fahrschüler nicht nur auf die Herausforderungen von morgen vor, sondern senden über die Reform auch wichtige Entwicklungsimpulse an die Fahrschulbranche. Den Fahrlehrern wird ein ausreichender Spielraum eröffnet, den für die Kompetenzvermittlung erforderlichen Ausgleich zwischen der Einhaltung vorgeschriebener Ausbildungsstandards und einer pädagogischen Individualisierung der Lehrinhalte herbeizuführen. Stefan Zierke (SPD): Das Fahrlehrergesetz ist in der jetzigen Form nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Mehrfach sind Fahrschulverbände an uns herangetreten. Eigentlich wird eine Reform schon seit Jahren gefordert und ist auch meiner Einschätzung nach seit Jahren überfällig. Sowohl die Ausbildung der Fahrschüler als auch der Fahrlehrer ist – insbesondere unter pädagogischen Gesichtspunkten – nicht mehr zeitgemäß. Rahmenbedingungen und Anforderungen ändern sich, und dann müssen wir auch die gesetzlichen Gegebenheiten anpassen. Schon heute sind zum Beispiel Fahrsimulatoren möglich. Diese können Situationen simulieren, die schlecht in realen Situationen darstellbar sind, aber als Übung eine gute Grundlage für sicheres und kontrolliertes Fahren bilden. Dies ist jetzt nur ein Beispiel, dass der aktuelle Gesetzesrahmen nicht mehr den tatsächlichen und technischen Voraussetzungen entspricht und daher Bedarf besteht, das Gesetz zu modernisieren. Dies hat die Koalition im Koalitionsvertrag aufgenommen und der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben. Es gilt, die Ausbildung der Fahranfänger zu verbessern und die Qualität der pädagogischen Ausbildung der Fahrlehrer zu erhöhen. Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf werden daher einige Punkte aufgenommen, die ich kurz aufzählen und erläutern möchte: Erstens: Die Kooperationsmöglichkeiten der Fahrschulen sollen verbessert werden. Dabei ist es wichtig, die entsprechenden Aufsichtsmöglichkeiten entsprechend zu berücksichtigen. Zweitens: Die Zugangsvoraussetzungen zum Fahrlehrerberuf müssen reformiert werden. Hier gibt es unterschiedliche Auffassungen, ob man diese eher enger oder weiter fassen solle. Nun liegt der Entwurf vor, und wir werden uns nun auch mit diesem Punkt noch einmal beschäftigen und hier mit Blick auf die Praktiker, also diejenigen, die es später betrifft, behutsam agieren. Drittens: Es soll eine Modernisierung der Fahrlehreraus- und -weiterbildung erfolgen. Hier geht es um die Lehrpläne und das Verfahren der Aus- und Weiterbildung. Das muss nun auch angegangen werden, damit die Modernisierung nun endlich auf den Weg gebracht wird. Viertens: Es soll eine Entbürokratisierung stattfinden. Hier werden wir in den nun zu führenden Diskussionen einen Mittelweg zwischen Reduzierung von Verwaltungsaufwand und notwendiger Kontrolle gehen müssen. Ja, der Verwaltungsaufwand muss reduziert werden. Aber wir brauchen auch nachvollziehbare Kontrollmöglichkeiten. Fünftens: Die Fahrschulüberwachung soll einheitlicher – als dies bisher der Fall ist – stattfinden. Auch hier müssen wir eventuell noch einmal genauer in das Gesetz schauen und entsprechende Diskussion im nun anlaufenden parlamentarischen Verfahren finden. Wir werden in den anstehenden Beratungen als SPD-Bundestagsfraktion darauf hinwirken, dass wir sowohl die Interessen der Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer, als auch die Interessen der Fahrschülerinnen und Fahrschüler sinnvoll miteinander verbinden. Es ist ein hohes Gut, ortsnahe und kompetente Fahrschulen in ganz Deutschland zu haben. Von der Uckermark bis in den hintersten Bayerischen Wald wollen wir die Fahrschullandschaft stabilisieren und modernisieren, damit junge Menschen sicher und verantwortungsvoll auf unseren Straßen Auto und Motorrad fahren können. Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Linksfraktion begrüßt, dass die Koalition doch noch die Vereinbarung des Koalitionsvertrages umsetzen will, die Ausbildung der Fahranfänger zu verbessern und auch die pädagogische Ausbildung der Fahrlehrer zu erhöhen. Dies wurde allerhöchste Zeit; schließlich hatte die Verkehrsministerkonferenz bereits im April 2012 das Verkehrsministerium aufgefordert, eine umfassende Reform des Fahrlehrerrechts in Angriff zu nehmen, das seit 1969 kaum angepasst wurde. Inzwischen steht das Projekt schon in der dritten Legislatur auf der Agenda. Es ist begrüßenswert, dass der Gesetzentwurf weitestgehend dem Eckpunktepapier der Länder folgt, in dem zahlreiche sinnvolle Vorschläge gemacht wurden. Es wurde dringend Zeit, die Fahrlehrerausbildung, aber auch gerade die Weiterbildung anzupacken – junge Fahranfänger sind im Straßenverkehr besonders gefährdet. Fahranfänger verursachen immer noch überdurchschnittlich viele Unfälle. Aufgrund der fehlenden praktischen Erfahrung im Straßenverkehr wird es sich hierbei immer um eine Risikogruppe handeln. Doch Verbesserungen in der Fahrausbildung sind ein wichtiger Beitrag für die Erhöhung der Verkehrssicherheit. Dass der Besitz der Führerscheine A und C als zwingende Voraussetzung für den Erwerb der Fahrlehrerlaubnisklasse BE wegfallen soll, ist erst einmal begrüßenswert. Oft wird der Lkw- und Motorradführerschein von den Fahrlehrern nicht gebraucht. Durch diese Änderung wird der Zeitaufwand reduziert, und es sinken vor allem auch die Kosten für die Ausbildung. Die ohnehin schon zu geringe Zahl an Fahrlehreranwärtern würde in der Zukunft ansonsten weiter sinken. Dennoch sollten wir die Folgeentwicklung dieser Änderung im Auge behalten. Gegebenenfalls müssen hier in der Zukunft doch noch einmal Anpassungen vorgenommen werden: Schließlich verschwindet ja nicht der Bedarf nach Kompetenz für diese Fahrzeuge. Machen wir uns nichts vor: Die Lockerung von Zugangsmöglichkeiten ist oft eine Gratwanderung. Wir müssen also darauf achten, dass bei der Erhöhung der Quantität die Qualität nicht auf der Strecke bleibt. Besonders wichtig ist uns, dass mit der Reform der Fahrlehrerausbildung künftig der Pädagogik mehr Gewicht beigemessen wird. Dass sich hierbei die Ausbildungszeit nur gering, um zwei Monate, verlängert, ist ebenfalls begrüßenswert. Fahrlehrer, die ihre Ausbildung vor 30 oder 40 Jahren gemacht haben, kamen zu einem nicht geringen Teil vom Militär. Man muss kein Linker sein, um einzusehen, dass die Pädagogik, die als Fahrlehrer nötig ist, bei der Bundeswehr sicherlich nicht vermittelt wurde. Das soll nicht heißen, dass diese Fahrlehrer keinen guten Job machen. Doch in der heutigen Ausbildung müssen wir Anpassungen vornehmen. Fahrlehrer müssen heute auch auf die veränderte Altersstruktur vorbereitet werden. Neben 18- oder 17Jährigen sitzen zunehmend Menschen mittleren Alters in der Fahrschule. Soll sich auf unterschiedliche Bedürfnisse eingelassen werden, ist pädagogisches Geschick notwendig. Daher ist es auf der einen Seite richtig, Ausbildungsinhalte zu straffen und von überflüssigem Ballast zu befreien; auf der anderen Seite muss der Kompetenzvermittlung der Raum gegeben werden, den eine gute Ausbildung verlangt. Damit der Fahrlehrerberuf attraktiver wird, müssen in erster Linie aber vor allem vernünftige Arbeitsbedingungen und eine Verbesserung der Angestelltenkultur und der Verdienstmöglichkeiten erzielt werden. Hier gibt es großen Veränderungsbedarf. Der Fahrlehrermangel ist einerseits darauf zurückzuführen, dass die Politik zu lange nicht mit geeigneten Maßnahmen gegengesteuert hat; anderseits sind manche Probleme auch hausgemacht. Wer sich einmal in der Branche umgehört hat, wird feststellen, dass Arbeitsverträge ohne Arbeitszeitkonto, ohne Festgehalt und ohne bezahlte Fortbildung nicht selten sind. Zudem kommt es immer wieder vor, dass arbeitsrechtliche Bestimmungen nicht eingehalten werden: Feiertage und Urlaub werden nicht bezahlt, oder es gibt keine Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall. Hier hat aber auch die Politik zu lange weggeschaut. In Zukunft muss es daher auch heißen, bei den Branchenmindestlöhnen für Fahrschulen genauer hinzuschauen: Erbringt eine Fahrschule Leistungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung, gilt nämlich ein Mindestlohn von 12,50 Euro bzw. 13,35 Euro. Das muss in der Praxis aber auch tatsächlich eingehalten werden. Dies gilt gerade auch für diejenigen, die bisher arbeitslos waren und im Auftrag der Jobcenter oder der Agentur für Arbeit nun einer Fahrschulausbildung nachgehen: Auch hier gelten die Branchenstundenlöhne. Außerdem müssen grundlegende strukturelle Veränderungen vorgenommen werden. Was in anderen Branchen bereits lange möglich ist, gilt bisher nicht so für die Fahrschulen. Die Linksfraktion unterstützt, dass künftig Kooperationen möglich sein sollen, wie dies in anderen Branchen längst üblich ist. Fahrschulunternehmen können sich so besser spezialisieren und den Kunden dennoch ein Komplettangebot anbieten. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund begrüßenswert, dass die Ausstattung von Unterrichtsräumen mit moderner Technik sehr teuer ist. In Netzwerkstrukturen ist dies eindeutig besser zu stemmen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf hat eine lange Vorgeschichte. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Einsetzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Jahr 2011, den Beschluss der Verkehrsministerkonferenz im Frühjahr des darauffolgenden Jahres und die Befassung des Deutschen Verkehrsgerichtstags mit dem Thema als wichtige Meilensteine auf dem Weg zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf. Der Entwurf ist vor allem auch das Ergebnis intensiver Vorarbeiten durch die Länder. An dieser Stelle ist besonders das Engagement des Landes Baden-Württemberg hervorzuheben. Dem grün regierten Baden-Württemberg war die Reform des Fahrlehrerrechts immer ein besonderes Anliegen, und so hat es sich in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe auch entsprechend stark eingebracht. Weitgehende Einigkeit bestand fraktionsübergreifend über die wesentlichen Inhalte bei der Reform des Fahrlehrerrechts: von der Neuregelung der Zugangsvoraussetzungen zum Fahrlehrerberuf, der Modernisierung der Fahrlehreraus- und -weiterbildung, der Verbesserung der Kooperationsmöglichkeiten von Fahrschulen, der Fahrschulüberwachung bis hin zur Entbürokratisierung – in allen Punkten bringt der Entwurf nach langem Ringen hinter den Kulissen greifbare Fortschritte. Vor allem die Fahrlehreraus- und -weiterbildung macht einen wichtigen Schritt nach vorne. Neue Inhalte, die auf den Erwerb verkehrspädagogischer Kompetenzen abzielen, halten endlich Einzug in die Fahrschulpraxis. Dabei sollen auch schnell neue Entwicklungen, wie beispielsweise die Elektromobilität und automatisiertes Fahren, thematisch behandelt werden. Dass auf aktuelle Erkenntnisse aus der Lehr- und Lernforschung zurückgegriffen wird sowie E-Learning und Blended Learning berücksichtigt werden, begrüßen wir ausdrücklich. Auch die Anforderungen an Ausbildungsfahrschulen und -lehrer sollen weiterentwickelt werden. Neu aufgenommen wurde eine Fortbildungspflicht. Der Verbesserung der pädagogischen Qualität dient die Ausbildung in den sogenannten Erweiterungsklassen. Dabei kommt uns allerdings die themenspezifische Weiterbildung in den Klassen C und D zu kurz, denn sie ist schlicht nicht verpflichtend. Die Teilnahme an den Fortbildungsmodulen C und D sollten zudem berufsbegleitend möglich sein. Hier muss nachgebessert werden. Auch an anderen Stellen gilt für meine Fraktion: Das Bessere ist der Feind des Guten. Und deshalb werbe ich an dieser Stelle für notwendige Veränderungen, über die wir in den anstehenden Ausschussberatungen noch diskutieren sollten. Nicht nachvollziehbar ist für uns, warum die Regelungen zum Betreiben von Zweigstellen und zu den Kooperationen von Fahrschulen erst ab dem 1. Juli 2019 gelten sollen. Die wirtschaftliche Situation vieler kleinerer Fahrschulen ist angespannt. Das ist ablesbar am Umsatz je Unternehmen, der beispielsweise bei Fahrschulen in Ostdeutschland gerade um die 100 000 Euro im Jahr liegt. Im Fahrschulwesen läuft daher schon seit längerer Zeit ein stetiger Konzentrationsprozess hin zu wirtschaftlich tragfähigen und auskömmlichen Betriebsgrößen. Dieser Prozess sollte durch die Reform eigentlich unterstützt werden. Die Verschiebung macht daher keinen Sinn, da die Branche lange genug wartet, sich neu aufstellen und organisieren zu können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nach unserer Auffassung, dass die Anzahl der Kooperationen limitiert wird. Schließlich stellt sich für meine Fraktion noch die Frage der Überwachungsvorschriften und Kontrollen für die Fahrschulen und Fahrlehrerausbildungsstätten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die dazu notwendigen Regelungen bundesweit einheitlich umgesetzt werden. Die vorgesehene „Soll-Bestimmung“ ist daher durch eine „Muss-Bestimmung“ zu ersetzen. Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften biegt die Reform des Fahrlehrerrechts auf die Zielgerade ein. Heute liegt das Ergebnis von vier Jahren Arbeit auf dem Tisch. Wir haben mit Ländern und Verbänden viel und intensiv diskutiert und um Lösungen gerungen. Nachwuchsmangel und das hohe Durchschnittsalter der Fahrlehrerschaft erforderten attraktive und zukunftsfähige Zugangsregelungen. Zukünftige Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer müssen „mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf oder eine gleichwertige Vorbildung“ vorweisen. Auch Quereinsteiger erhalten zukünftig eine Chance, den Beruf des Fahrlehrers zu ergreifen. Ferner soll der Besitz der Motorrad- und Lkw-Klassen als Voraussetzung für den Pkw-Fahrlehrer wegfallen, was die Ausbildung kostengünstiger macht. Bisher über den Besitz der Lkw-Fahrerlaubnis abgedeckte Eignungsüberprüfungen werden direkt im Fahrlehrerrecht geregelt. Verbessert wurden auch die Dauer der Ausbildung sowie das Zusammenwirken von Ausbildungsstätten und Ausbildungsfahrschulen. Wir erhöhen den Ausbildungsumfang von derzeit 577,5 Stunden auf dann 750 Stunden: eine Erhöhung um rund 30 Prozent. Wir stärken pädagogische Inhalte und verstärken den Kompetenzerwerb im Bereich der Fahrerassistenzsysteme und des automatisierten Fahrens. Das ist die Zukunft. Einschließlich Praxis wird die neue Ausbildung künftig mindestens zwölf Monate dauern. Auch für die Fahrschulen wird es Veränderungen geben: hinsichtlich Rechtsform, Kooperationen und Verantwortlichkeiten. Besonders wichtig sind uns auch dringend notwendige Entlastungen bei den Bürokratiekosten durch Vereinfachung und Digitalisierung der Dokumentation. Völlig neu wird die Fahrschulüberwachung aufgestellt. Zwar hätten wir uns einen höheren Grad an Einheitlichkeit für das gesamte Bundesgebiet gewünscht, aber regionale Besonderheiten wurden auf ausdrücklichen Wunsch einiger Bundesländer beibehalten. Wir haben viele Details verbessert und wesentliche Beschlüsse der Verkehrsministerkonferenz zum Eckpunktepapier umgesetzt. Die Anforderungen an die Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer sind hoch und werden es auch weiterhin bleiben. Mit der Digitalisierung des Verkehrs kommen neue Herausforderungen hinzu. Insofern wird der Berufsstand weiterhin ein unverzichtbarer Teil unserer Mobilität und der Verkehrserziehung bleiben. Aus meiner Sicht hat der Beruf der Fahrlehrerin und des Fahrlehrers noch eine große Zukunft. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes (Tagesordnungspunkt 26) Oliver Wittke (CDU/CSU): Mit unserer heutigen Debatte leiten wir nicht nur eine Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes ein, sondern wir schließen heute auch und vor allem an eine Debatte vor gut zwei Jahren an, in der wir uns zuletzt mit dem Fahrpersonalgesetz befasst haben. Bereits in dieser Debatte am 18. Dezember 2014 haben wir deutlich gemacht, dass wir eine europaweit einheitliche Praxis bei der Umsetzung der Lenk- und Ruhezeiten anstreben, wonach regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten nicht in der Fahrerkabine eines Lkws verbracht werden dürfen. Nach nationalen Alleingängen von Belgien und Frankreich kommt es vermehrt zu Ausweichverkehren, die aufgrund einer hohen Zahl mehrtägig an ihrem Lkw campierenden Fahrer zu teils menschenunwürdigen Szenen auf völlig überfüllten Parkplätzen auf der deutschen Seite geführt haben. Mit Verweis auf Gespräche, die die Bundesregierung dann im Jahr 2015 auf europäischer Ebene geführt hat, haben wir zu diesem Zeitpunkt zunächst auf eine eigene nationale Regelung verzichtet. Leider haben diese Gespräche nicht zu dem erhofften Erfolg geführt. Die Koalitionsfraktionen stehen zu ihrem Wort. Nachdem sich die EU-Mitgliedstaaten nicht auf eine gemeinsame Praxis bei der Umsetzung und Anwendung oder einer Klarstellung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Rates zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr einigen konnten, werden wir einen Änderungsantrag zu diesem Gesetz einbringen, der sich dieser Problematik annimmt. Wir folgen damit dem Beispiel Belgiens und Frankreichs und geben auch der Bundesregierung die nötige rechtliche Grundlage an die Hand, um gegen Verstöße bei der Verbringung der vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten konsequent vorzugehen. Darüber hinaus werden wir das Gesetzespaket zum Anlass nehmen, das Thema des Sozialdumpings in der Transport- und Logistikbranche zu thematisieren. Wir stehen zum Europäischen Binnenmarkt und zu mehr Wettbewerb. Doch dieser ist auf faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen angewiesen. Wettbewerb, der von Unternehmen ausgeht, die dauerhaft ihre Leistungen in Deutschland anbieten, aber niedrigeren Sozialstandards unterliegen, ist nicht fair. Hier gilt es zu prüfen, in welchen Bereichen wir die Spielräume auf nationaler und den deutschen Einfluss auf europäischer Ebene besser ausnutzen können. Teile des vorliegenden Gesetzentwurfes tragen dieser Forderung bereits Rechnung. Die Einrichtung eines elektronischen Registers, in der auch Daten über Verstöße, die Unternehmer und Verkehrsleiter im Rahmen ihrer Gewerbeausübung begangen haben, gesammelt werden, und die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist für Aufzeichnungen über Lenk- und Ruhezeiten, sofern diese für die Erfüllung der Aufbewahrungspflichten nach dem Mindestlohngesetz benötigt werden, sind ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Sie helfen, die Einhaltung nationaler und europäischer Vorschriften auch bei zu ausländischen Fuhrparks gehörenden Lkw besser kontrollieren zu können. Die Koalitionsfraktionen werden die angesprochenen Themen in den kommenden Wochen intensiv beraten und entsprechende Anträge in den Verkehrsausschuss einbringen. Udo Schiefner (SPD): Güterkraftverkehr und Fahrpersonal: Darüber können wir heute nicht sprechen, ohne über faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen zu sprechen. Auf deutschen Autobahnen sollte beides selbstverständlich sein. Doch die Realität sieht anders aus – erschreckend anders. Große Teile des deutschen Transportlogistikgewerbes sind akuten Wettbewerbsverzerrungen ausgesetzt. Ehrliche Logistik- und Transportunternehmen, die ihre Mitarbeiter fair bezahlen und soziale Standards einhalten, verlieren zunehmend Aufträge. Ihre Existenz ist bedroht. Die Spediteure und vor allem ihre Fahrerinnen und Fahrer, die Menschen am Steuer der Lkw, fahren am Limit. Sie leiden darunter, dass auf deutschen Autobahnen zu viele schwarze Schafe zu unscharfe Regeln ausnutzen können. Gleichzeitig erwarten wir als Kunden, Verbraucher, Internetbesteller von denen, die tagtäglich unsere Waren transportieren, dass sie schnell, effizient und zuverlässig und vor allem preiswert liefern. Unser Wohlergehen ist untrennbar mit der Misere derer verknüpft, die uns versorgen. Das gilt auf vielen Ebenen, wenn man sich die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge anschaut. Aber nur selten ist es so offensichtlich und liegt sprichwörtlich vor unserer Haustür wie beim Güterkraftverkehr. Transport und Logistik bilden das Rückgrat unserer Wirtschaft und unseres täglichen Lebens. Unser Wirtschaftsstandort Deutschland hängt in hohem Maße von leistungsfähiger Logistik ab. Die Fahrerinnen und Fahrer der Lastkraftwagen sind wesentliche Stützpfeiler des wirtschaftlichen Erfolges in Deutschland. Anerkennung und Wertschätzung erhalten sie dafür kaum. Im Gegenteil, die Arbeit der Berufskraftfahrer hat unberechtigt ein schlechtes Ansehen. Vor allem sind sie oft die ersten und einzigen, die zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie gegen Regeln verstoßen. Doch sie verstoßen gegen Regeln, weil sie den straffen Anforderungen ihrer Arbeitgeber und Auftraggeber gerecht werden müssen. Für viele Berufskraftfahrer, oft im Auftrag ausländischer Unternehmen auf den Autobahnen unterwegs, kommt hinzu, dass sie unter unwürdigen Bedingungen arbeiten und leben müssen. Bis zu drei Monate leben und arbeiten sie außerhalb ihres Heimatlandes im Lkw. Sie sind dabei dubiosen Beschäftigungssystemen unterworfen. Ihnen wird oft der Zugang zu sozialen Rechten und Arbeitnehmerrechten verwehrt. Sie verbringen dabei all ihre Nächte und Wochenenden in ihrem Lkw auf den Rastplätzen, und sie fahren für Dumpinglöhne quer durch Europa. Für Fahrzeuge und Fahrerinnen und Fahrer, die ihre Heimatstandorte nur noch gelegentlich sehen, ist deren Einsatz aber keineswegs durch die europäische Dienstleistungsfreiheit gedeckt. Im Moment jedoch können sich die Flottenbetreiber den Fiskal- und Sozialstandards der jeweiligen Länder entziehen, in denen sie sich überwiegend betätigen. Diesem Nomadentum auf den Rastplätzen Europas müssen wir ein Ende bereiten. Ein Angriffspunkt – nur einer von vielen, aber ein wichtiger – ist dabei die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit. Mit Artikel 8 Nummer 8 der EU-Verordnung 561/2006 ist die Voraussetzung gegeben, um zu unterbinden, dass die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug verbracht wird. Die EU-Verordnung sagt: In zwei jeweils aufeinanderfolgenden Wochen hat der Fahrer mindestens zwei regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten oder eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit und eine reduzierte Wochenruhezeit von mindestens 24 Stunden einzuhalten. Wichtig sind hier die zu unterscheidenden Begriffe „regelmäßige“ und „reduzierte“ wöchentliche Ruhezeit. Weiter heißt es nämlich, dass nicht am Standort eingelegte tägliche Ruhezeiten und reduzierte wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug verbracht werden können. Regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug werden in dieser Ausnahme explizit nicht benannt. Dem EU-Recht folgend können und müssen wir das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Fahrzeug verbieten und ahnden. Mit unserem Koalitionspartner sind wir uns bezüglich dieses Ziels einig. Wir werden unser parlamentarisches Recht nutzen und die von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzesänderungen durch einen eigenen Änderungsantrag ergänzen. So sorgen wir für Klarheit im Fahrpersonalgesetz. Deutsche Kontrollbeamte werden bald, wie ihre Kolleginnen und Kollegen in unseren westlichen Nachbarstaaten, dem Verbot des Verbringens der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Lkw Geltung verschaffen können. Vor mehr als zwei Jahren hätten wir eine entsprechende Regelung treffen sollen. Bereits damals gab es dazu Forderungen aus dem Bundesrat. Die Bundesregierung hatte im Dezember 2014 aber noch den Wunsch geäußert, sich dem Thema zunächst im Sinne einer europäischen Lösung zu nähern. Die dazu im Verkehrsausschuss gemachte Zusage des Ministeriums, das Thema im Januar 2015 mit den europäischen Partnern anzugehen, hatte ich begrüßt. Ebenso freute ich mich über die klar formulierte Aussage zum weiteren Vorgehen: „Sollte absehbar nicht bis Juli 2015 eine Lösung erkennbar werden, werden wir den Weg der nationalen Gesetzgebung beschreiten“. In der grundsätzlichen Beurteilung des Nomadentums auf den europäischen Rastplätzen gab es über Fraktionsgrenzen hinweg zu keinem Zeitpunkt Dissens. Ich hatte damals erwartet, dass uns 2015 ein Regelungsvorschlag vorliegt. Dieser blieb aus. So ist nicht überraschend, dass ich mich sehr darauf freue, unter dieses unselige Kapitel am Ende der jetzigen Beratungen im März endlich einen Strich ziehen zu können. Doch es wird kein Schlussstrich sein. Es ist eine Sache, endlich klarzustellen, dass das Verbot des Verbringens der Wochenruhezeit mit einem Bußgeld bestraft werden kann. Eine andere, schwierige Sache wird es sein, das Verbot auch durchzusetzen. Ich erwarte, dass das Ministerium und die Kontrollbehörden, also vor allem das BAG und die Polizeien, zügig die notwendigen Handlungsanweisungen und Kontrollvorgaben erstellen. Insbesondere müssen die Beamten vor Ort das Handwerkszeug mitbekommen, um die Fahrt- und Ruhezeiten effektiv kontrollieren zu können. Dazu gehört es auch, über die zahlreichen und nicht selten genutzten Betrugsmöglichkeiten sehr gut informiert zu sein. Uns hier im Bundestag und in den Parteien bleibt das Thema Lohn- und Sozialdumping auf den Autobahnen jedoch in jedem Fall erhalten. Es gibt zahlreiche weitere Hausaufgaben, die wir und die Bundesregierung in ihren Ministerien längst hätten erledigen müssen. Wir werden einen Entschließungsantrag einbringen, der einige der wichtigsten Aspekte aufgreift. Für die betroffenen Unternehmerinnen und Unternehmer und Fahrerinnen und Fahrer hätte ich mir gewünscht, dass dies in dieser Legislaturperiode nicht mehr nötig gewesen wäre. Nun, im Januar 2017, kann ich ernüchtert feststellen, dass uns die prekäre Situation der Transport- und Logistikbranche auch in der 19. Legislaturperiode beschäftigen wird. Herbert Behrens (DIE LINKE): Dieser Gesetzentwurf hat im Wesentlichen den Charakter eines Rechtsbereinigungsgesetzes. Mit anderen Worten: es werden fast ausschließlich redaktionelle Anpassungen vorgenommen, einiges wird an EU-Recht angepasst und der Rest geht über Änderungen bei Aufbewahrungsfristen nicht hinaus. So weit, so unspannend. Die Relevanz erhält der heute debattierte Entwurf durch das, was nicht enthalten ist, aber ohne Probleme hätte aufgenommen werden können – ich meine, sogar hätte aufgenommen werden müssen. Gemeint ist hier eine simple Vorschrift, die in anderen Ländern der Europäischen Union längst erlassen wurde, nämlich das Gebot, dass Lkw-Fahrerinnen und Lkw-Fahrer ihre wöchentliche Ruhezeit nicht im Fahrzeug verbringen dürfen. Das wäre ein kleiner Schritt für den Gesetzgeber, aber ein sehr großer für zigtausend europäische Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer sowie deren Familien. Jeder wird sich vorstellen können, dass Lkw-Fahrerinnen- und Fahrer einen harten Job haben. Ich habe mich selbst einmal davon überzeugt und bin einen Tag als Beifahrer im Brummi quer durch Deutschland gefahren. Durch engen Kontakt zu Beschäftigten und Gewerkschaften weiß ich auch, dass sich die Arbeitsbedingungen in der Lkw-Branche gravierend verschlechtert haben und der Abwärtstrend anhält. Immer mehr Druck, immer schlechtere Bezahlung und Arbeitszeiten prägen das Leben von zigtausend europäischen Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern sowie deren Familien. Aber um die Brisanz der Situation zu verdeutlichen: Artikel 31 der Grundrechtecharta der EU besagt, dass jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen hat. Das europäische Straßentransportgewerbe hat sich inzwischen zu einer Branche entwickelt, in der Menschenwürde nicht viel zählt, von Sicherheit und Gesundheitsschutz ganz zu schweigen. So hart muss man das sagen, und nicht umsonst spricht die europäische Transportgewerkschaft ETF von moderner Sklaverei. Die ETF hat Hunderte Fahrerinnen und Fahrer zu ihren Arbeitsbedingungen befragt, und die Ergebnisse sind wirklich erschütternd. Zwei Drittel der Befragten sind durchgängig zwischen drei und zwölf Wochen von ihrem Zuhause entfernt. 80 Prozent gaben an, unter Erschöpfung zu leiden und dies aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes nicht zu melden. Ein Viertel der Befragten hat weniger als drei warme Mahlzeiten in der Woche, und 95 Prozent gaben an, alle Ruhezeiten im Fahrzeug zu verbringen. Ich will es nicht ertragen, dass Menschen – vornehmlich aus Osteuropa oder Anrainerstaaten der EU – bis zu drei Monaten am Stück ihr Leben in der Fahrerkabine fristen müssen, bei schlechter Ernährung und zudem oftmals ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen – und das vor unser aller Augen. Es ist klar, dass man im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens diese Zustände nicht vollends aufheben können wird. Diese Zustände basieren auf einem grenzüberschreitenden System aus Briefkastenfirmen, Tochtergesellschaften und Arbeitsvermittlungsagenturen mit Sitzen in jeweils anderen Ländern, welches vor allem seit der EU-Osterweiterung floriert und als organisierte Ausbeutung bezeichnet werden muss. Aber den schlimmsten Auswüchsen können wir Einhalt gebieten, indem wir ein für alle Mal verbieten, dass die wöchentlichen Ruhezeiten in der Fahrerkabine verbracht werden dürfen, und dies dann konsequent durchsetzen. Damit würde nämlich das weit verbreitete erzwungene Nomadentum der Fahrerinnen und Fahrer erheblich eingeschränkt werden. Die Beschäftigten brauchen einen grundlegenden Wandel der Arbeitsverhältnisse in der Branche, und dieser erste Schritt kann sofort gemacht werden. Ich finde es ziemlich bigott, wenn die Bundesregierung in Brüssel für eine europäische Lösung bei den wöchentlichen Ruhezeiten eintritt, sich aber stets weigert, per Bundesgesetz mit gutem Beispiel voranzugehen bzw. Frankreich und Belgien zu folgen. Wenn es um die Interessen von Unternehmen geht, kommt die Bundesregierung der EU gerne zuvor, um schon einmal ein paar Pflöcke einzuschlagen. Bestes Beispiel ist die Drohnenverordnung, die das Verkehrsministerium schnell noch durchpeitschen will, obwohl Brüssel bald einen europäischen Rechtsrahmen setzen wird. Niemand wird also behaupten können, dass man hier nicht handeln kann. Ich hoffe daher sehr, dass die Bundesregierung nach der bereits angekündigten Prüfung noch die Kurve kriegt und eine harte Regelung zu den Ruhezeiten nachlegt. Dann könnte die Linke dem Gesetzentwurf sogar zustimmen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Interessant an dem Gesetzentwurf zum Fahrpersonalgesetz ist nicht das, was drinsteht, sondern vielmehr das, was nicht enthalten ist: Es fehlt eine Bestimmung zum Vorgehen gegen das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit in der Fahrerkabine. Wie zu erfahren war, hat man im Bundesverkehrsministerium entsprechende Regelungen aus früheren Arbeitsentwürfen nach Intervention von Branchenverbänden einfach gestrichen. Das ist völlig inakzeptabel – wir dürfen eine Lösung des Problems und die Bekämpfung von Sozialdumping im Straßengüterverkehr nicht weiter vertagen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal daran, dass es im Verkehrsausschuss eine breite Zustimmung dafür gibt, Sozialdumping im Transport- und Speditionsgewerbe zu bekämpfen. Der Petitionsausschuss hat im November 2015 vier Petitionen mit der Forderung nach einer bußgeldbewehrten Verbotsregelung einstimmig mit dem zweithöchsten Votum „zur Erwägung“ an das Bundesverkehrsministerium und das Europäische Parlament überwiesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einmal die unhaltbaren Zustände auf den Rastanlagen und Lkw-Stellplätzen entlang des Autobahnnetzes in Erinnerung rufen. In Artikel 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union heißt es: „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen.“ Das ist der Maßstab, den wir auch an die Arbeitsbedingungen im europäischen Transport- und Speditionsgewerbe anlegen müssen. Und der Weg, der zurückzulegen ist, um dies zu erreichen, ist noch weit. Die Europäische Transportarbeiter-Föderation – eine gesamteuropäische Gewerkschaftsorganisation – kam bereits in einer Studie von 2013 zu dem Ergebnis, dass über 90 Prozent der Fernfahrer ihr Wochenende regelmäßig im Fahrzeug verbringen. Viele Lkw-Fahrer führen praktisch ein Leben auf der Straße: Die Fahrerkabine ist Arbeitsplatz, Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche in einem. Vom Arbeitgeber gibt es keine Mittel für Übernachtungen in festen Unterkünften. Insbesondere für Fahrer aus Osteuropa sieht für Wochen oder oft sogar Monate so der Lebensalltag aus. Die Europäische Transportarbeiter-Föderation nennt dies zutreffend „moderne Sklaverei“, die abgeschafft gehöre. Übrigens: Dies sind nicht nur aus sozialen Gründen unhaltbare Zustände. Auch verkehrspolitisch gerät dadurch einiges aus dem Lot. Durch Sozialdumping im Straßengüterverkehr wird auch der Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern verzerrt und der Lkw-Verkehr auf Kosten der Allgemeinheit bzw. auf dem Rücken der Beschäftigten verbilligt. Weiterhin geraten auch deutsche Speditionsunternehmen durch Dumpingpreise unter Druck und verlieren im Wettbewerb. Natürlich wäre eine einheitliche Lösung in der Europäischen Union, wie vonseiten der Branchenverbände gefordert, der Königsweg. Aber zu einer realistischen Einschätzung der Lage gehört eben auch die Erkenntnis, dass es diese europaweite Lösung allenfalls langfristig geben wird, da die Fronten in dieser Frage besonders verhärtet sind. Deshalb bleibt uns als Zwischenlösung nur die „Krücke“ einer nationalen Lösung, so wie es Frankreich und Belgien schon vorgemacht haben. Wir müssen also zweigleisig fahren: In Brüssel für eine EU-Lösung streiten und solange die nicht greifbar ist, eine Regelung im nationalen Recht erlassen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Fahrpersonalgesetz deutlich gemacht, wie eine solche nationale Regelung aussehen könnte. Die Voraussetzungen für vernünftige Bedingungen zum Verbringen der Wochenruhezeit muss demnach der Unternehmer schaffen. Außerdem ist eine Bußgeldbewährung für Verstöße vorgesehen. Dazu gehört nach meiner Überzeugung auch eine Personalaufstockung beim Bundesamt für Güterverkehr, damit wir überhaupt in die Lage kommen, entsprechende Regelungen auch wirksam zu kontrollieren. Wir haben wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass die Bundesregierung sich immerhin der Zielsetzung der Bundesratsstellungnahme nicht völlig verschließt und einen Regelungsbedarf anerkennt. Umso unverständlicher erscheint die Tatsache, dass die Bundesregierung nicht in der Lage war, eine entsprechende gesetzliche Regelung von Beginn an in den Entwurf des Fahrpersonalgesetzes aufzunehmen. Insofern sind wir auf das weitere parlamentarische Verfahren gespannt. Eine wirksame Bekämpfung von Sozialdumping im Straßengüterverkehr wird meine Fraktion jedenfalls nach Kräften unterstützen. Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Der Ihnen vorliegende Änderungsentwurf dient dazu, in diesen Gesetzen an mehreren Stellen redaktionelle Anpassungen und Klarstellungen vorzunehmen. Im Güterkraftverkehrsgesetz geht es uns um die nationale Erlaubnis, mit der der Unternehmer die Zulassung zur Ausübung des Berufs erhält. Bisher wird sie nach Ablauf der bis zu zehnjährigen Geltungsdauer zeitlich unbefristet erteilt, sofern der Unternehmer die Berufszugangsvoraussetzungen nach wie vor erfüllt. Diese Regelung passen wir nun an geltendes europäisches Recht an, da die nach EU-Recht zum selben Zweck zu erteilende sogenannte EU-Lizenz im Verlängerungsfall nur für erneut zehn Jahre erteilt wird. Die Möglichkeit der unbefristeten Verlängerung für die nationale Erlaubnis wird daher gestrichen. Im Fahrpersonalgesetz schaffen wir die Möglichkeit, Aufzeichnungen über Lenk- und Ruhezeiten über die bisher geltende Dauer hinaus aufzubewahren. Damit erreichen wir, dass erweiterte Aufbewahrungspflichten eingeführt werden, die zum Beispiel für die Erfüllung der Aufbewahrungsfristen nach dem Mindestlohngesetz benötigt werden. Das war keine von uns geschätzte Maßnahme, da wir die Unternehmen eigentlich von Bürokratie entlasten wollen. Die übrigen Änderungen dienen ebenfalls der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben. Dies gilt insbesondere für die Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage für die Speicherung von Verstößen des Unternehmers und des Verkehrsleiters und diverse redaktionelle Änderungen aufgrund veränderten EU-Rechts. Der Bundesrat hat aufgrund entsprechender Vorschläge aus seinen Ausschüssen die Aufnahme eines neuen § 3a in das Fahrpersonalgesetz vorgeschlagen. Hauptziel dieses Vorschlags ist die Aufnahme eines Verbotes, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit, deren Dauer 45 Stunden beträgt, im Fahrzeug zu verbringen. Dementsprechend soll der Unternehmer verpflichtet werden, die Arbeit des Fahrers so zu organisieren, dass er die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit am Wohnort, am Unternehmenssitz oder in einer festen Unterkunft mit geeigneten Sanitäreinrichtungen und ausreichenden Versorgungsmöglichkeiten verbringen kann. Ziel des Vorschlages ist die Beendigung des Nomadentums insbesondere mittel- und osteuropäischer Fahrer vor allem übrigens auf deutschen Parkplätzen. Im Ziel stimmt die Bundesregierung mit dem Bundesrat überein. Wir haben kein Interesse daran, dass Fahrer wochen-, manchmal monatelang im Fahrzeug leben und sich einen vollständigen Haushalt im Fahrzeug einrichten müssen. Deutschland ist ein wichtiges Transitland im Herzen Europas. Wir wollen eine Regelung, die die Interessen der Fahrerinnen und Fahrer mit den Interessen der Logistikunternehmen in Ausgleich bringt. Mein Dank an dieser Stelle gilt den Berichterstattern im Verkehrsausschuss, die sich in dieser Angelegenheit mit vollem Einsatz einbringen. Beim Güterkraftverkehrsgesetz schließlich geht es um eine weitere Befreiung nach § 2 Absatz 1 Nr. 7 GüKG für sogenannte Lohnunternehmer. Sie sollen unter bestimmten Bedingungen von den Verpflichtungen dieses Gesetzes gänzlich ausgenommen werden, obwohl sie in vielen Situationen in Konkurrenz zum gewerblichen Güterkraftverkehr treten. Hier wartet die Bundesregierung natürlich den weiteren Verlauf der Beratungen in den Ausschüssen ab. Ich sage Ihnen aber selbstverständlich auch hier eine sorgfältige Prüfung Ihrer Vorschläge zu. Mit den Anträgen der Fraktionen, den Gesetzentwurf an die Ausschüsse zu überweisen, ist die Bundesregierung selbstverständlich einverstanden. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten (Tagesordnungspunkt 27) Rudolf Henke (CDU/CSU): Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten beraten wir über die nächsten notwendigen Schritte hin zu einem besser koordinierten und strukturierten Schutz vor Infektionskrankheiten. Hauptziel des Gesetzes soll die Etablierung eines elektronischen Melde- und Informationssystems sein, mit dem spätestens ab dem Jahr 2021 der Infektionsschutz in unserem Land volldigitalisiert und datenschutzrechtskonform umgesetzt werden soll. Es ist gut und richtig, dass wir die mit der epidemiologischen Überwachung von Infektionskrankheiten verbundenen Gesetze an die wissenschaftliche Entwicklung und auch an die Erfahrungen der Beteiligten auf Bundes-, Länder-, und Kommunalebene anpassen und damit dem eigentlichen Anliegen einer bestmöglichen Eindämmung von Infektionskrankheiten durch eine schnelle Lokalisierung und bestmögliche Isolierung des Gefahrenherdes Stück für Stück näher kommen. Hinzu kommt, dass sich Deutschland auf internationaler Ebene seiner Verantwortung stellt und wir uns aktiv an einer erfolgreichen Umsetzung der Strategie der Weltgesundheitsorganisation zur vollständigen Ausrottung von Polioviren beteiligen. Dafür bedarf es an der einen oder anderen Stelle zusätzlicher Rechtsgrundlagen und Präzisierungen, damit wir unseren eigenen Verpflichtungen nachkommen können. Ein weiterer Aspekt mit internationaler Note ist die Anpassung des Infektionsschutzgesetzes an globale Herausforderungen, wie wir sie bei der verheerenden Ebolaepidemie in Westafrika im Jahr 2015 erleben mussten, sowie die Umsetzung von Vorschriften, die uns die Europäische Union auferlegt. All das ist in seiner Zielsetzung sinnvoll und wird von allen Betroffenen grundsätzlich begrüßt. Es ist auch positiv hervorzuheben, dass zwischen Referentenentwurf und Kabinettsentwurf augenscheinlich ein konstruktiver Dialog stattgefunden hat, der zu überwiegend klugen Änderungen geführt hat. Anpassungen, Umstellungen und die Etablierung völlig neuer Systeme, sei es zur Bewältigung der gleichen Aufgaben, sind nicht selten mit einem zumindest kurzfristigen Mehraufwand verbunden. Ich glaube, das kennt jeder von uns; damit wurde jeder in seinem beruflichen Alltag schon einmal konfrontiert. Aufgabenerweiterungen hingegen sind nur begrenzt mit dem gleichen Arbeitsaufwand zu erledigen. Zieht man nun in Betracht, dass die Gesundheitsämter vor Ort – sprich: in den Kommunen und mittlerweile immer öfter auch in den Ländern – personell und strukturell schlichtweg nicht angemessen ausgestattet sind, komme ich schnell zu dem Schluss, dass wir auch im Kontext dieses Gesetzes über die Personalausstattung unserer Gesundheitsdienste sprechen müssen. Die Ressourcenausstattung ist eine immer wiederkehrende und scheinbar nicht zufriedenstellend lösbare Auseinandersetzung, die immer wieder dann aufkeimt, wenn wir Gesetze beschließen, die den Gesundheitsdienst mit immer neuen und komplexeren Aufgaben betrauen. Ich weiß nicht, wie oft ich schon im Plenum oder im Ausschuss diese in meinen Augen unhaltbaren Umstände bemängelt und an das Pflichtgefühl der Länder appelliert habe. Beinahe Jahr für Jahr werden auf der Gesundheitsministerkonferenz Beschlüsse gefasst, die den Öffentlichen Gesundheitsdienst betreffen, so auch im vergangenen Jahr. Man kann nicht bestreiten, dass die Gesundheitsminister die Arbeit des Gesundheitsdienstes schätzen. So heißt es im gefassten Beschluss: „Die GMK betont die unverzichtbare Rolle des ÖGD im Gesundheitswesen, die sich vom Gesundheitsschutz der Bevölkerung, der Gesundheitsförderung und Gesundheitsvorsorge bis zur Mitgestaltung und Mitwirkung bei der Gesundheitsversorgung erstreckt.“ Und weiter heißt es: „Die Herausforderungen für die Gesunderhaltung der Bevölkerung und damit für die Aufgabenwahrnehmung durch den ÖGD werden angesichts von Globalisierung, demografischem Wandel und nicht zuletzt durch die Flüchtlingsbewegungen komplexer. Deshalb sieht die GMK die Notwendigkeit, die Perspektiven für den ÖGD neu zu bestimmen und auf allen politischen Ebenen die Grundlagen für die Gewinnung qualifizierter, motivierter Fachkräfte zu verbessern.“ Die Landesgesundheitsminister gehen im weiteren Wortlaut auch auf die mangelnden Ressourcen ein, mit denen sich der ÖGD konfrontiert sieht. Das begrüße ich ausdrücklich, stelle mir, ehrlich gesagt, aber die Frage, wann sich bei den Gesundheitsdiensten vor Ort an den weiterhin schlechten Bedingungen etwas ändern wird, wenn er als unverzichtbar eingestuft wird und auch anerkannt wird, dass sich seine Aufgabenwahrnehmung immer komplexer gestaltet. Im vorliegenden Gesetzentwurf berechnet die Bundesregierung etwa für das Robert-Koch-Institut einen zusätzlichen Personalbedarf im Umfang von mindestens fünf Stellen. Das ist sinnvoll; das ist gut. Doch werden wir im parlamentarischen Verfahren darüber zu reden haben, warum die Bundesregierung davon ausgeht, dass für andere Betroffene kein Erfüllungsaufwand entsteht. Da erwarte ich eine ergebnisoffene Auseinandersetzung. Wir werden sicherlich an der einen oder anderen Stelle noch über Anpassungsbedarf reden müssen; ich denke etwa an die Vollständigkeit der Aufzählung meldepflichtiger Krankheitserreger oder die Sicherstellung eines sicheren, kompatiblen elektronischen Erfassungssystems für alle Beteiligten. Alles in allem bin ich zuversichtlich, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine gute Basis geschaffen wurde und wir am Ende des parlamentarischen Verfahrens ein Gesetz verabschieden werden, das unsere Bürgerinnen und Bürger besser vor Infektionen schützt und dabei auch die Personen nicht aus den Augen verliert, die tagtäglich durch ihren Einsatz genau dafür Sorge tragen – das sollte uns Gesundheit wert sein. Sabine Dittmar (SPD): Wir sprechen heute über einen Gesetzentwurf, der mit dem Titel „Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten“ nicht sehr verständlich und eher sperrig daherkommt. Der Gesetzentwurf ist aber ob seines Zieles, die epidemiologische Überwachung von übertragbaren Krankheiten zu modernisieren und zu verbessern, notwendig und zu begrüßen. Bei Epidemien und übertragbaren Krankheiten denkt man gemeinhin wohl eher an so verheerende Ereignisse wie den Ebolaausbruch in Westafrika. Der Blick auf den aktuellen Krankenstand bei grippalen Infekten und den heftigen Noroinfektionen oder die im vergangenen Jahr in Teilen Deutschlands grassierende Masernwelle zeigen uns allerdings, dass wir selbst in unserem so gut funktionierenden Gesundheitssystem vor dem Ausbruch von ansteckenden Krankheiten bei weitem nicht gefeit sind. Belege dafür, dass wir unsere Meldewege und die Überwachung von ansteckenden Krankheiten verbessern sollten, gab und gibt es viele. Erinnern wir uns an das Jahr 2011: Die Ehecepidemie mit über 4 000 Erkrankungsfällen, davon über 700 Patienten mit dem lebensbedrohenden hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), und 50 Todesfällen. Das hat uns damals eindrücklich vor Augen geführt, dass die Meldekette und der Informationsaustausch zwischen den Bundesländern ausbaufähig sind. Der heute in erster Lesung eingebrachte Gesetzentwurf nimmt sich dieser Problematik an. Mit der Weiterentwicklung des DEMIS, dem Deutschen Elektronischen Meldesystem für Infektionsschutz, wollen wir die notwendigen Rechtsgrundlagen schaffen für ein schnelles und effektives elektronisches Melde- und Informationssystem für übertragbare Krankheiten. Der schnelle Datentransfer ist zweifelsohne essenziell, um Infektionsrisiken und Hinweise auf Epidemien frühzeitig zu erkennen, die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen zu können und Krankheitsausbrüche einzudämmen. Von einigen Fachverbänden wird allerdings die Frage aufgeworfen, ob die vorgesehenen Änderungen dem Ziel gerecht werden, die Effizienz bei der Prävention und der Bekämpfung von übertragbaren Erkrankungen zu steigern, und ob sie den Aufwand bei der Datenaufbereitung tatsächlich reduzieren. Natürlich wird sich vieles davon erst in der Praxis unter Beweis stellen und oft auch erst dann, wenn eine Krisensituation wie beispielsweise der bereits erwähnte Ehecausbruch mit unbekanntem und nur schwer zu ermittelndem Infektionsursprung auftritt. Es ist aber wichtig, dass jetzt gesetzlich klargestellt und geregelt wird, wer in welchen Einrichtungen bei welchen Infektionskrankheiten zur Meldung verpflichtet ist und welche Meldefristen, Meldeinhalte und Meldewege einzuhalten sind. Dass es durch die geringfügige Ausweitung von zu meldenden Infektionskrankheiten und die höhere Anzahl von Meldenden eine größere Datendichte geben wird, die es dann zu bearbeiten gilt, ist unbestritten. Inwieweit die Tatsache, dass die Informationsweitergabe künftig auf dem elektronischen Weg geschehen soll, zu einer Effizienzsteigerung und Vereinfachung führen wird, bleibt jedoch abzuwarten. Schließlich sollen am Ende tatsächlich alle Ärzte, Einrichtungsleiter, Krankenhäuser, stationäre Einrichtungen der Pflege, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Labore und Gesundheitsbehörden auf allen Ebenen eingebunden sein, damit wir in der Endstufe ein lückenloses Informationsnetz mit rund 400 000 Nutzern erhalten. Entscheidend ist auf jeden Fall, dass die beteiligten Stellen und insbesondere der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) personell und organisatorisch in der Lage sind, auf die größeren Datenströme reagieren zu können. Auch wenn der Öffentliche Gesundheitsdienst Ländersache ist, möchte ich dennoch den dort immer wieder beklagten Personalmangel nochmals aufgreifen. Die Gesundheitsministerkonferenz hat sich im vergangenen Jahr in der 89. Sitzung intensiv damit beschäftigt und den Beschluss „Perspektiven zur Stärkung des ÖGD“ gefasst. Dem Beschluss müssen nun Taten folgen, damit die Prävention und Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten effizienter gelingen kann. Zudem müssen wir bei den sensiblen Daten, die künftig in ein elektronisches Melde- und Informationssystem einfließen und online übermittelt werden sollen, der Frage der Datensicherheit große Aufmerksamkeit schenken. Das Ganze wird durch den Erlass einer Rechtsverordnung geregelt. Hier werden das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und die Bundesbeauftragte für den Datenschutz sicherlich den entsprechenden Input liefern. Ein weiterer wichtiger Punkt des vorliegenden Gesetzentwurfes ist die Umsetzung der Laborcontainment-Vorgaben der Globalen Polioeradikationsinitiative. Stufenweise sollen Poliowildviren, Polioimpfviren und Materialien, die Polioviren enthalten könnten, erfasst, zentralisiert und schließlich vernichtet werden. Polio ist ein gutes Beispiel dafür, was mit nationalen und internationalen Vorgaben und Bemühungen erreicht werden kann, um Krankheiten einzudämmen und auszurotten. Ich wünsche mir sehr, dass wir das in naher Zukunft auch über Masern und Röteln sagen können. Hier sind wir noch weit vom Ziel entfernt. Viel zu viele Kinder verfügen über keinen altersgerechten Impfschutz, und die Impflücken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind eklatant. Ich hoffe sehr, dass uns der Aktionsplan 2015–2020 zur Elimination von Masern und Röteln ein großes Stück weiterbringt. Deshalb nutze ich die heutige Debatte auch, um dazu aufzurufen, die von der STIKO empfohlenen Schutzimpfungen ernst zu nehmen. Lassen Sie Ihren Impfstatus überprüfen, auffrischen und ergänzen. Schützen Sie sich selbst und andere durch einen kleinen Piks! Der heute eingebrachte Gesetzentwurf beinhaltet viele wichtige Punkte, die zu einem besseren Gesundheitsschutz beitragen werden. Wir werden in der nächsten Sitzungswoche die Gelegenheit haben, die derzeit noch offenen Detailfragen in einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses zu vertiefen und zu klären. Schon jetzt ist aber klar, dass der Gesetzentwurf die Meldekette und die Information über Übertragungswege von ansteckenden Krankheiten verbessern wird. Er ist notwendig und deshalb zu begrüßen. Birgit Wöllert (DIE LINKE): Unter dem sperrigen Titel „Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten“ diskutieren wir heute, wie die Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten in Deutschland weiter verbessert und ihre Bekämpfung an neue Entwicklungen angepasst werden kann. Mit dem Gesetzentwurf sollen Änderungen an einigen bestehenden Gesetzen, darunter – um nur einige zu nennen – das Infektionsschutzgesetz (IfSG), die Trinkwasserverordnung, das Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften und das Ausländerzentralregistergesetz, vorgenommen werden. Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten ist für meine Fraktion Die Linke ein wesentliches gesundheitspolitisches Ziel. Neben gesundheitsfördernden und präventiven Maßnahmen stellen auch die Konkretisierungen und Erweiterungen der Meldepflicht sowie insbesondere die Einführung eines elektronischen Melde- und Informationssystems für übertragbare Krankheiten (DEMIS) ein Instrument zur rascheren Bekämpfung und Verhütung von Infektionskrankheiten dar. Durch den verbesserten Informationsaustausch infolge einer elektronischen Verarbeitung der Informationen wird der Aufwand der Datenaufbereitung für die Veröffentlichung in Form von Berichten und online zugänglichen öffentlichen interaktiven Datenabfragen reduziert. Automatisierte Abfragen und Auswertungen werden so ermöglicht. Seit 1997 nimmt Deutschland an der 1988 ins Leben gerufenen globalen Initiative zur Ausrottung der Kinderlähmung teil, der sogenannten Globalen Polioeradikationsinitiative (GPEI). Damit die Bundesrepublik sich weiter an ihr beteiligen kann, sind einige gesetzliche Anpassungen nötig. Auch diese werden von uns unterstützt. § 23 des Infektionsschutzgesetzes regelt die Maßnahmen zur Sicherstellung der Verhütung zur Weiterverbreitung von Krankheitserregern. Hier wurden die in Absatz 4 benannten Leiter von Krankenhäusern und Einrichtungen für ambulantes Operieren um die Leiter von Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen ergänzt. Auch das ist richtig, geht es doch um die Vermeidung von Keimen, die im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen erworben werden können, und um den Nachweis, welche Antibiotika in welcher Dosis eingesetzt wurden. Das ist deshalb wichtig, weil immer mehr Menschen im Laufe ihres Lebens gegen immer mehr Antibiotika resistent werden. Lassen Sie mich einige Ausführungen zu § 36 und seinen recht umfangreichen Ergänzungen und Änderungen am IfSG machen. Die Klarstellung bei der Aufzählung der Einrichtungen, die in Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene festlegen müssen und der infektionshygienischen Überwachung durch das Gesundheitsamt unterliegen, ist sinnvoll, ebenso die Ergänzung der Liste der Einrichtungen um ambulante Pflegedienste und Unternehmen, die Altenheimen oder Pflegeheimen vergleichbar sind. Zu diskutieren dagegen ist die Sinnhaftigkeit der Änderung im Ausländerzentralregistergesetz. Wenn eine Gesundheitsuntersuchung von Ausländerinnen und Ausländern keine medizinischen Bedenken gegen eine gemeinschaftliche Unterbringung der betreffenden Person erbracht hat, soll dies künftig zentral im Ausländerzentralregister gespeichert werden. Problematisch ist aus unserer Sicht die Änderung, die mit der Einschränkung von Grundrechten einhergeht. In Absatz 6 des § 36 IfSG wird auf die Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit in Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes verwiesen. Hier geht es um Menschen, die in gemeinschaftlichen Einrichtungen von Asylbewerbern, vollziehbar Ausreisepflichtigen, Flüchtlingen und Spätaussiedlern untergebracht sind. Sie sind verpflichtet, unter bestimmten Bedingungen eine ärztliche Untersuchung auf Ausschluss einer ansteckenden Lungentuberkulose einschließlich einer Röntgenaufnahme der Atmungsorgane zu dulden. Auch Personen, die in eine Justizvollzugsanstalt aufgenommen werden, sind verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Röntgenaufnahme der Lunge zu dulden. Bei der Einschränkung von Grundrechten muss immer gefragt werden: Gibt es Alternativen – in diesem Falle diagnostische Alternativen –, die sicherstellen, dass anderen Menschen in Gemeinschaftsunterkünften kein Schaden durch die Ansteckung mit einer Infektionskrankheit entsteht, wenn solche Untersuchungen unterbleiben? Darüber wird im Gesetzgebungsverfahren und in der Anhörung zu reden sein. Worüber sich meine Fraktion allerdings schon heute klar ist: Wir stimmen keinem Gesetz zu, das in diesem sensiblen Bereich der Landesgesetzgebung die Möglichkeit einräumt, solche Pflichtuntersuchungen weiter auszudehnen. Hier sind bundeseinheitliche Regelungen nach unserer Überzeugung dringend notwendig. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Ehecausbruch ist heute noch vielen Menschen im Gedächtnis. Der Ausbruch mit fast 4 000 Erkrankungen und 53 Verstorbenen infolge der schweren Infektion hat die Gesundheitsbehörden von Bund und Ländern und das medizinische Versorgungssystem vor außerordentliche Herausforderungen gestellt. Der regionalübergreifende Ausbruch hat uns vergegenwärtigt, dass auch seltene, aggressive Krankheitserreger nicht vor Landesgrenzen haltmachen. Im Nachgang der Ehec-Krise hat sich vor allem auch die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) mit den Lehren aus den Vorfällen beschäftigt. Dabei war ein wesentlicher Punkt, dass es eines schnellen Informationsflusses im Ausbruchsfall bedarf, um übertragbaren Infektionskrankheiten rasch zu begegnen. Deshalb wurde zu Recht gefordert, dass zukünftig die Übermittlung von Falldaten beschleunigt und auch die Verzahnung der Arbeit von Bund und Ländern verbessert werden muss. Auch wenn der Bund zur Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten das Infektionsschutzgesetz erlassen hat, fällt die Aufgabe der Seuchenbekämpfung vor Ort in die Zuständigkeiten der Länder und Kommunen. Der nun vorliegende Gesetzentwurf „zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten“ ist nun der Versuch, die Prävention und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten effizienter zu gestalten. Die Übermittlung von Falldaten soll aufgrund einer einheitlichen elektronischen Basis beschleunigt und somit das Meldesystem verbessert, die Meldepflichten ausgeweitet und zusätzliche Bestimmungen in Gemeinschaftsunterkünften ergänzt werden. Allerdings enthält der Gesetzentwurf zahlreiche Erneuerungen, deren Tragweite und konkrete Ausführung noch viele Fragen offenlässt. Erstens, ÖDG: Die Bedeutung ist im Gesetzentwurf nicht ausreichend abgedeckt. Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) zur Gefahrenabwehr von Infektionskrankheiten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weshalb die Kosten nicht allein den Kommunen auferlegt werden dürfen. Die Bedeutung der kommunalen Strukturen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht ausreichend berücksichtigt. So blauäugig wie die Bundesregierung ist, berücksichtigt sie nicht, dass die Einführung des DEMIS Mehrarbeit für den Öffentlichen Gesundheitsdienst darstellt, und versäumt es dadurch, die Mehraufgaben finanziell abzubilden. Das Robert-Koch-Institut (RKI) etwa erfährt mit der Novelle eine Stärkung; die Basis bleibt weiterhin geschwächt. Deshalb fordern wir Nachbesserungen gerade hinsichtlich der personellen Notwendigkeiten, die sich nicht nur am RKI, sondern auch beim kommunal getragenen Teil des ÖGDs ergeben. Zweitens, DEMIS: Mehr- oder Minderaufwand? Die Einführung des DEMIS begrüßen wir. Viele Meldungen erfolgen nach wie vor per Fax an das zuständige Gesundheitsamt. Dieser Weg ist sehr fehleranfällig und zudem aufwendig, da erst im Gesundheitsamt eine manuelle Eingabe der per Fax übermittelten Daten erfolgt. Die Bundesregierung geht deshalb davon aus, dass es durch die Einführung von DEMIS zu einer Entlastung der Gesundheitsämter kommen wird. Im Gegensatz dazu sprechen der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, die kommunalen Spitzenverbände sowie die Bundesärztekammer davon, dass durch die Einführung des DEMIS wesentlich höhere Meldezahlen generiert werden und dadurch ein erhöhter Recherchebedarf und Ermittlungsaufwand aufseiten der Gesundheitsämter entstehen wird. Die Bundesregierung täte gut daran, die Arbeit der Gesundheitsämter nicht nur auf die bloße Datensammlung zu reduzieren; denn sie sind auch für die Auswertung und letztendlich für die Eindämmung der Infektionskrankheiten zuständig. Auch die Antworten auf die wesentlichen Fragen der Datenqualität und die Herausforderungen an die Qualifikationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bereich des Datenhandlings und -monitorings werden im vorliegenden Gesetzentwurf nicht abgebildet. Drittens, Änderungen bei Gemeinschaftseinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften mit Maß? Dass Röteln in die Liste der Erkrankungen aufgenommen werden, die zu einem Tätigkeits- bzw. Betretungsverbot führen, ist aus epidemiologischer Sicht begrüßenswert. Die erst bei der letzten IfSG-Novelle (im Rahmen des Präventionsgesetzes) eingeführte Änderung, die die Vorlage einer Impfberatung bei Aufnahme in die Einrichtung fordert, wird mit diesem Gesetzentwurf verschärft. Die Kindergartenleitung soll nun verpflichtet werden, das Gesundheitsamt, sofern der Nachweis über eine Impfberatung nicht vorgelegt wird, zu benachrichtigen. Sowohl aus datenschutzrechtlichen Gründen als auch aus Präventionssicht ist diese Anpassung abzulehnen. Die Richtung des Gesetzes ist begrüßenswert. Doch insgesamt werden in dem Entwurf zahlreiche Änderungen vorgesehen, deren Tragweite und konkrete Ausführung noch viele Fragen offen lassen. Dies gilt nicht nur für DEMIS, sondern zum Beispiel auch für die Unterrichtungspflichten und andere Neuerungen. Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Mit dem Infektionsschutzgesetz wurden im Jahr 2001 bereits gute Grundlagen für die epidemiologische Überwachung übertragbarer Krankheiten in Deutschland geschaffen. Der vorliegende Gesetzentwurf soll den Infektionsschutz und den damit befassten Öffentlichen Gesundheitsdienst nun in das digitale Zeitalter befördern. Die Möglichkeiten moderner Informationstechnologie sollen verstärkt genutzt werden, um die Effizienz des Infektionsschutzes zu steigern. Dazu soll ein einheitliches elektronisches Melde- und Informationssystem geschaffen werden, mit dem Meldedaten automatisiert verarbeitet werden können. Das System soll bereits bei den meldepflichtigen Laboren, Ärztinnen und Ärzten und Krankenhäusern ansetzen. Es soll diese automatisiert auf das Bestehen einer Meldepflicht aufmerksam machen und sie beim Erstellen der Meldung unterstützen. Die Software des elektronischen Meldesystems soll dazu in die bereits eingesetzten Praxissoftwaresysteme integriert werden können. Durch das elektronische System können die Gesundheitsämter und das Robert-Koch-Institut Daten über das Auftreten von übertragbaren Krankheiten schneller, vollständiger und in besserer Qualität erhalten. Die Gesundheitsämter werden von bürokratischem Aufwand entlastet. Daten aus eingegangenen Meldungen müssen nicht mehr von Hand in den Computer übertragen werden. Zahlreiche weitere Datenverarbeitungsschritte sollen automatisiert erfolgen können, etwa die Erkennung von Krankheitshäufungen oder von Doppelmeldungen. Für die Datensicherheit und den Datenschutz wird das System höchste Standards gewährleisten. Ziel ist es, das System so auszugestalten, dass es mittelfristig auch als mögliche Anwendung der Telematikinfrastruktur des Gesundheitswesens infrage kommt. Das RKI soll ein entsprechendes System errichten. Dafür wird gegenwärtig ein Zeitraum von etwa fünf Jahren veranschlagt. Ein gemeinsamer Planungsrat soll sicherstellen, dass Bund und Länder sich hier eng miteinander abstimmen. Mit dem Gesetzentwurf werden darüber hinaus eine Reihe von weiteren Verbesserungen im Infektionsschutz vorgenommen. Beispielhaft nenne ich folgende Punkte: Damit das Gesundheitsamt bei einer Häufung von Krankenhausinfektionen ein umfassenderes Lagebild erhält, werden die Angaben, die bei einer entsprechenden Meldung zu machen sind, erweitert. Damit das Gesundheitsamt frühzeitiger vom Auftreten von Skabies in Gemeinschaftsunterkünften wie zum Beispiel stationären Pflegeinrichtungen erfährt und einschreiten kann, wird eine entsprechende Benachrichtigungspflicht geregelt. Das RKI nimmt im Bereich des internationalen Gesundheitsschutzes in zunehmendem Maße Verantwortung auch durch Einsätze im Ausland wahr. Dieses Engagement wird nun gesetzlich verankert. Damit wird – nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen aus dem Ebolaausbruch in Westafrika im Jahr 2014 – der gestiegenen Bedeutung von globalem Gesundheitsschutz Rechnung getragen. Der Gesetzentwurf betrifft auch die Beteiligung Deutschlands an der weltweiten Strategie der WHO zur Ausrottung der Kinderlähmung. Um die großen Erfolge der weltweiten Impfprogramme dauerhaft abzusichern, sieht der Gesetzentwurf entsprechend der Polioeradikationsstrategie Maßnahmen zur Erhöhung der Laborsicherheit und zur schrittweisen Vernichtung aller Poliovirenbestände vor. Der Gesetzentwurf bringt damit viele große und kleine Schritte zur Verbesserung des Infektionsschutzes – für Deutschland und darüber hinaus. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Zusatztagesordnungspunkt 4) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Wirtschaft, Handel und Beschäftigung sind zentral für die erfolgreiche Entwicklung eines Landes. Für die Staaten des CARIFORUM ist die EU der zweitwichtigste Handelspartner weltweit. Damit eröffnet das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits verbesserte wirtschaftliche Möglichkeiten. Durch das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen werden Handelshemmnisse schrittweise und WTO-konform abgebaut und die Handels- und Entwicklungszusammenarbeit gestärkt. Das Abkommen trat zwar bereits 2008 in Kraft, allerdings nur vorläufig. Jetzt wird es durch Deutschland ratifiziert. Dies ist ein wichtiger Schritt im Bestreben, weiter den wirtschaftlichen Aufschwung der Partnerstaaten zu verbessern. Ich begrüße es dabei sehr, dass die EU den CARIFORUM-Staaten nahezu vollständigen Marktzugang einräumt, während die Handelsliberalisierung aufseiten der CARIFORUM-Staaten weniger weitreichend ausfällt und stufenweise erfolgt. Weiter sind die vereinbarten Schutzklauseln ein wichtiges Instrument, um den CARIFORUM-Staaten die Möglichkeit zu geben, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn durch EU-Importe eine Schädigung der heimischen Wirtschaft droht. Zudem muss man betonen, dass das EPA mit einem regionalen Staatenblock geschlossen wurde. Hiermit sollen die regionale Integration vorangetrieben werden und damit auch nachhaltige und arbeitsteilige Wertschöpfungsprozesse etabliert werden. Lassen Sie mich ein Beispiel dafür nennen, wie das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen im Zusammenspiel mit europäischer Entwicklungshilfe zur nachhaltigen Entwicklung der Region beitragen kann: das Regulierungsprojekt des Caribbean Regional Fisheries Mechanism (CRFM) zur Verbesserung der Sicherheit von Fisch und Fischereierzeugnissen für Verbraucher in nationalen und Exportmärkten mit dem Inter-American Institute for Cooperation on Agriculture. Hierbei handelt es sich um ein Projekt, das vom 10th European Development Fund – Sanitary and Phyto-Sanitary Measures – der EU gefördert wurde. Im Rahmen des Projekts wurden sechs neue Handbücher für die Inspektion von Fischereifahrzeugen, Verarbeitungsbetrieben und Aquakulturanlagen erarbeitet sowie zwei Handbücher zur Prüfung der Fischereierzeugnisse. Die Handbücher sind in den Sprachen Spanisch, Französisch und Niederländisch verfügbar. Damit werden internationale Normen für die Sicherheit von Fischereierzeugnissen erreicht, die das volle Ausschöpfen des wirtschaftlichen Nutzens für die Fischereisektoren in den CARIFORUM-Staaten, insbesondere im Export, in der Zukunft ermöglichen. Dieses Zusammenspiel von Entwicklungsprogrammen, die die Länder fit für den Weltmarkt machen, und Wirtschaftspartnerschaften, die den Ländern den Zugang zum europäischen Markt ermöglichen, sind für mich die Zukunft. Durch diese Herangehensweise wird die von den SDGs geforderte Zusammenarbeit auf Augenhöhe gefördert und der nachhaltige wirtschaftliche Aufschwung ermöglicht. Entscheidend wird aber auch sein, die Handelsabkommen nicht nur stereotyp fortzuführen, sondern auch auf die Veränderungen aus Globalisierung und Digitalisierung anzupassen und fortzuschreiben. Gerade bei kleineren Handelspartnern mit keinen oder nur geringen Rohstoffvorräten kann durch Veränderungen in der Produktionsstruktur eine andere und nachhaltige Wertschöpfungskette aufgebaut werden. Wissenstransfer als Wirtschaftsgut wird dabei in Zukunft eine größere Rolle einnehmen und bietet Expansionsmöglichkeiten, die nichts mit der geografischen Lage oder sonstigen harten Produktionsfaktoren zu tun haben. Bei der Anwendung und Umsetzung der Abkommen wird aber auch umso mehr der Auftrag aus der Agenda 2030 in den Vordergrund rücken, und wir werden die globale Verantwortung intensiver beachten und übernehmen müssen. Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen und Diskussionen von Handelsabkommen und Verhandlungen um diese ausgehen können, erlebten wir in diesen Tagen bei CETA und TTIP, wobei es weniger auf die Dimension als vielmehr auf die Philosophie und gesellschaftliche Akzeptanz ankommen wird. Das CARIFORUM-Abkommen ist deshalb heute wesentlich mehr als eine unbedeutende Fußnote in den Geschichtsbüchern, nämlich ein neues Kapitel in einer fairen Globalisierung. Dr. Sascha Raabe (SPD): Manchmal mahlen die europäischen und nationalen Mühlen wirklich langsam. Man muss sich das einmal vor Augen führen: Das, worüber wir hier und heute im Deutschen Bundestag abschließend beraten, das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU mit den karibischen Staaten – kurz CARIFORUM –, ist bereits seit 2008 vorläufig in Kraft. Neun Jahre später haben wir als deutsche Abgeordnete im Rahmen des Ratifikationsprozesses nun die Chance mitzuentscheiden. Dass wir, wenn auch spät, diese Chance zur Beteiligung bei einem Handelsabkommen der EU überhaupt haben, ist keineswegs selbstverständlich. Lange habe ich mit Unterstützung unseres Bundestagspräsidenten erfolgreich dafür gekämpft, dass der Deutsche Bundestag bei allen jetzt noch ausstehenden Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreement – EPA) mit den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten zu beteiligen ist. Nein, ich denke, wir sollten sehr selbstbewusst auf unseren Beteiligungsrechten bei all diesen Abkommen bestehen. Insofern ist das heute ein guter Tag für den Parlamentarismus. Und wir nehmen unsere Kontrollfunktion ernst. Das haben wir beim vorliegenden CARIFORUM-Abkommen bewiesen, und das werden wir ebenso bei den anstehenden Abkommen mit den afrikanischen Regionen beweisen. Ich hatte bereits anlässlich der ersten Lesung im vergangenen September angekündigt, dass wir uns im Ausschuss noch einmal intensiv mit dem Abkommen befassen würden. Welche Auswirkungen hat es? Hat es sein Ziel, eine entwicklungsfördernde und armutsreduzierende Wirkung in den karibischen Partnerländern zu entfalten, erfüllt? Das CARIFORUM-Abkommen bietet sich ja nun wirklich an, sich mit seinen Auswirkungen auseinanderzusetzen, weil es, wie beschrieben, schon einige Zeit in Kraft ist. Wir haben ein Fachgespräch mit Experten zu dieser Frage durchgeführt. Das Ergebnis: Bei diesem EPA sind bislang kaum nennenswerte wirtschaftliche oder soziale Folgen festzustellen, weder positiv noch negativ. Ist CARIFORUM also kalter Kaffee? Ich denke, nicht, und ich glaube, wir sollten diesem Abkommen eine Chance geben. Wir würden unsere Partner in der Karibik vor den Kopf stoßen, würden wir jetzt das Abkommen noch stoppen. Allein die Tatsache, dass ein solches Partnerschaftsabkommen vereinbart wurde, wird in den Ländern der karibischen Region durchaus positiv gesehen. Diese Signalfunktion für den Willen zur Zusammenarbeit darf man nicht unterschätzen. An mich jedenfalls ist bisher aus den Partnerländern der karibischen Region noch keine Bitte herangetragen worden, dem Vertrag nicht zuzustimmen – weder von staatlicher Seite noch etwa von Gewerkschaftsseite. Ich kann und will zwar an dieser Stelle nicht verhehlen, dass ich an einigen Stellen Bedenken habe und vieles an dem Abkommen kritisch sehe. Dennoch habe ich mich nach reifliche Überlegung letztlich entschlossen, als zuständiger Berichterstatter meiner Fraktion die Zustimmung zu empfehlen. Ausschlaggebend hierfür ist, dass ich das Nachhaltigkeitskapitel des CARIFORUM-Abkommens für vergleichsweise fortschrittlich halte. Dort sind die ökologischen, menschenrechtlichen und sozialen Mindeststandards in einer Art und Weise verankert, wie man es sich auch bei anderen Abkommen wünschen würde. Und anders als in alle bisherigen Handelsabkommen der EU sind sie mit Sanktionsmechanismen ausgestattet, die ich für gerade noch ausreichend erachte. Ich habe mich hierzu in den letzten Wochen intensiv mit der EU-Kommission beraten, weil es in dieser Frage doch einige Unklarheiten gab. Mir ist es wichtig, dass wir hier keinen zahnlosen Tiger vereinbaren, sondern dass schwere Verstöße etwa gegen ILO-Kernarbeitsnormen auch wirksam geahndet werden können. Das ist bei genauer Betrachtung bei CARIFORUM der Fall. Mehr Klarheit im Vertrag wäre sicher wünschenswert, aber letztlich zählt die faktisch bestehende Möglichkeit zur Sanktion. Für CARIFORUM kann ich daher den Weg mitgehen. Ich möchte an dieser Stelle aber auch ganz deutlich sagen: Die Zustimmung zu CARIFORUM ist kein Präjudiz für die Abkommen mit den afrikanischen Regionen. Die Abkommen mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) sowie der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC), die allesamt noch dem Bundestag vorgelegt werden müssen, sind wesentlich kritischer zu sehen und meiner Auffassung nach nicht zustimmungsfähig. Und sie werden – und das ist ein wesentlicher Unterschied zu CARIFORUM – auch in den Partnerländern kritischer bewertet. Mehrere afrikanische Länder haben noch nicht unterzeichnet, und die Stimmen nach Neuverhandlungen werden immer lauter. Wir sollten diese Stimmen hören und ernst nehmen. Die Märkte in den afrikanischen Ländern sind in der Regel sehr viel anfälliger als die der Partnerstaaten in der karibischen Region. Die mit den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen angestrebte Marktöffnung braucht hier noch sehr viel mehr ein hohes Maß an Zurückhaltung und Schutzmöglichkeiten. In den afrikanischen Ländern sind die möglichen negativen Auswirkungen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die eben nicht immer den von der EU-Kommission so gepriesenen Geist der Partnerschaft verströmen, wesentlich durchschlagender, als dies für die CARIFORUM-Staaten der Fall ist. Viele Kritiker dieser Abkommen befürchten wohl zu Recht erhebliche negative Konsequenzen für die wirtschaftliche Entwicklung der Partnerländer: Lokale Märkte werden für bestimmte Produkte durch Dumpingimporte aus der EU zerstört, Wertschöpfung in den Ländern selber wird behindert. Das alles ist kein Horrorszenario irgendwelcher verblendeten Globalisierungskritiker, sondern könnte bei Umsetzung der Abkommen sehr schnell Realität werden. Ich finde es vor diesem Hintergrund sehr bedauerlich, dass – wenn ich richtig informiert bin – die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström erst in dieser Woche die afrikanische Forderung nach Neuverhandlungen bei einer Veranstaltung Brüssel kategorisch ausgeschlossen hat. Diese sture Haltung, dieses „Friss oder stirb“, hilft niemandem weiter, und ich glaube nicht, dass Europa sich diese Arroganz leisten sollte. Genau genommen ist die Forderung, die Abkommen neu zu verhandeln, nämlich sogar völlig richtig. Das Rahmenabkommen, auf dem die EPAs gründen, also das Cotonou-Abkommen aus dem Jahr 2000, läuft 2020 aus. Es laufen bereits die Überlegungen, wie ein Post-Cotonou-Vertrag aussehen könnte. Schon im zweiten Halbjahr 2017 soll das Verhandlungsmandat der Kommission vorliegen, im kommenden Jahr die Verhandlungen aufgenommen werden. Welchen Sinn macht es da, jetzt noch EPAs auf der Grundlage des alten Rahmenabkommens zu verabschieden? Die EPAs mit den afrikanischen Regionen sind veraltet, bevor sie in Kraft treten können. Ein konsequenter Schlussstrich jetzt und dann ein Neustart auf einer neuen Grundlage mit Verhandlungen, die wirklich auf Augenhöhe geführt werden müssen, wären sicher besser. Dann hätten wir auch die Chance, echte Nachhaltigkeitskapitel durchzusetzen, die diesen Namen auch verdienen und mehr sind als ein moralisches Feigenblatt. Wir brauchen verbindlich verankerte ökologische, menschenrechtliche und soziale Mindeststandards mit wirksamen Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen. Gute Arbeit statt Ausbeutung und Kinderarbeit. Davon sind die afrikanischen Abkommen derzeit noch weit entfernt. Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte unser Ziel sein: gute Abkommen, mit denen wir den Menschen in Afrika eine Perspektive bieten können. Denn wer verhindern will, dass sich immer mehr Menschen auf der Flucht vor Armut auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa aufmachen, der muss die Globalisierung gerecht gestalten. Fairhandel statt Freihandel – eine gerechte Welthandelsordnung und fair gestaltete Handelsverträge sind ein zentraler Baustein, um die (Über-)Lebensperspektiven von Menschen in Entwicklungsländern zu verbessern. Nur dort, wo es eine wirtschaftliche Perspektive und gute Jobs mit anständigen Löhnen gibt, lassen sich Fluchtursachen eindämmen. Mit fairen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen könnten wir einen wichtigen Schritt dahin machen. Bis dahin aber liegt auch für uns hier Bundestag noch viel Arbeit vor uns. Heike Hänsel (DIE LINKE): Fast neun Jahre sind nun seit der Unterzeichnung des CARIFORUM-Abkommens ins Land gezogen; heute will es die Bundesregierung ratifizieren. Wir werden wieder, wie bei allen EPAs, dagegen stimmen, weil wir glauben, dass sie die Entwicklung Afrikas und der Karibik behindern, statt sie zu fördern. In all den Jahren, die dieses EPA nun schon vorläufig angewendet wird – an den Parlamenten vorbei übrigens, nicht gerade demokratisch – gibt es selbst laut der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik „bestenfalls anekdotische Evidenz“ für Handelsvorteile für die Karibik. Das heißt auf gut Deutsch: Die CARIFORUM-Staaten haben bisher gar nichts von dem Abkommen. Was ist aus den Exportchancen geworden, die die EU den Inselstaaten versprochen hatte? Im Gegenteil: Das Handelsdefizit der Karibik mit der EU war 2015 dreimal so groß wie noch zehn Jahre zuvor. So funktioniert Freihandel zwischen ungleichen Wirtschaftsräumen: Mit den hochspezialisierten und -technisierten EU-Konzernen können die Exporteure der Karibik nicht konkurrieren. So werden Rohstoffe, Bananen und Zucker exportiert und europäische Autos und Maschinen importiert. Dabei steht das Größte noch bevor: Die CARIFORUM-Staaten müssen nämlich ihre Handelsschranken erst schrittweise abbauen. Momentan sind wir bei 61 Prozent der Schutzzölle; in 15 Jahren sollen es 90 Prozent sein. Wir können uns nur ausmalen, wie die Handelsbilanz dann aussieht und was das für Auswirkungen auf die Wirtschaft in der Karibik haben wird. EPAs stärken eben nicht die regionale Wertschöpfung, sondern verhindern sie. Trotz alledem will uns die Bundesregierung ja weismachen, die EPAs seien gar keine Freihandels-, sondern „Entwicklungsabkommen“. Auf allen Werbeveranstaltungen haben Regierungsvertreter deshalb die Entwicklungs-, Umwelt- und Sozialstandards gepriesen. Das ist zynisch: Ein bisschen Entwicklungshilfe („Aid for Trade“) soll die Schäden, die der Freihandel der Wirtschaft zufügt, ausbügeln. Die gelobten Sozialstandards in Kapitel 4 und 5 gelten außerdem nicht für diejenigen, die am meisten von dem Abkommen profitieren: die europäischen Großkonzerne. Kein Arbeitnehmer in der Karibik, dessen Menschen- und Arbeitsrechte von den EU-Multis verletzt werden, kann dagegen vor einem europäischen Gericht klagen. Das ginge nur über ein verbindliches Menschenrechtsabkommen, den derzeit geplanten UN-Treaty. Aber den blockiert die Bundesregierung auf UN-Ebene. Machen wir uns bei all den edlen Worten über die EPAs als „Entwicklungsabkommen“ nichts vor; der EU geht es um die Profitmaximierung ihrer Großkonzerne und nicht darum, die Lebensbedingungen der Menschen in Afrika und der Karibik zu verbessern. Was wir dabei nicht vergessen dürfen: Die Staaten Afrikas und der Karibik haben alle eine koloniale Vergangenheit; sie alle wurden jahrhundertelang von den europäischen Großmächten, ihren Konzernen und Handelsdynastien ausgebeutet. Die Folgen sind noch heute spürbar, in der extremen wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen Norden und Süden. Zu Zeiten des Lomé-Abkommens war sich die EU scheinbar noch dieses kolonialen Vermächtnisses bewusst: Die ehemaligen Kolonien hatten zollfreien Zugang zum EU-Markt, um ihre Produkte hier verkaufen zu können. Mit den EPAs hat sich das Blatt gewendet. Nun sind es die CARIFORUM-Staaten, die nach und nach ihre Zollschranken für die Billigimporte aus Europa öffnen müssen. Sogar der Dienstleistungs- und Investitionssektor muss liberalisiert werden. Klar ist: Lokale Produzenten werden das Nachsehen haben, eigenständige Entwicklungen gehemmt. Wie soll ein CARIFORUM-Land innerhalb einer Schonfrist von nur zehn Jahren eine eigenständige, wettbewerbsfähige Industrie aufbauen? Wie lange hat im Vergleich die Industrialisierung in Europa gedauert? Ermöglicht hat die ja auch erst die koloniale Expansion der Großmächte. Die EU und alle, die diesem Abkommen zustimmen, haben die Verheerungen des Kolonialismus und die entsprechende historische Verantwortung offenbar vergessen. Unverständlich bleibt mir, warum sich die Grünen, die uns in vielen dieser Punkte sicher zustimmen, heute nur enthalten. Natürlich gab es in der Karibik Protest gegen die EPAs. Der jamaikanische Wirtschaftsprofessor Norman Girvan sagte, das CARIFORUM-EPA habe das Projekt der karibischen Staaten, einen eigenen Wirtschaftsraum (CARICOM) aufzubauen, „praktisch getötet“. Statt regionaler Integration und mehr Handel zwischen den Inseln bringen die EPAs die Ausrichtung auf den Handel mit der EU. Laut Professor Girvan wird das Abkommen zu völligen Fehlentwicklungen führen: Europäische Firmen bekommen Zugang zu Rohstoffen, primären Nahrungsmitteln und unterbezahlten Arbeitskräften. Nachhaltige Entwicklung sieht anders aus, da werden Sie mir alle zustimmen. Auf einen letzten Aspekt möchte ich noch hinweisen, nämlich die Länder der Karibik, die die EPAs nicht unterschrieben oder ratifiziert haben. Da ist zum einen Haiti. Haiti gehört als einziges Land Lateinamerikas zur Gruppe der Least Developed Countries, der am wenigsten entwickelten Staaten, und konnte deswegen nicht mit dem Verlust der EU-Handelsprivilegien unter Druck gesetzt werden. In Haiti ist klar, dass das EPA nur Nachteile bringen würde; daher hat es auch nicht ratifiziert. Und dann wäre da als einziges karibisches Land, das gar nicht im CARIFORUM ist, Kuba. In Kuba legt man keinen Wert auf Freihandelsabkommen, die nur den Starken nützen. Wenn ausländische Firmen Zugang zum kubanischen Markt bekommen wollen, müssen sie beweisen, dass ihre Geschäfte dem Land und der Bevölkerung wirklich nützen. Zum Beispiel indem sie eine Fabrik auf Kuba bauen, gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen. Von denen können dann kostenlose Bildung und Gesundheit für alle finanziert werden. Solche Entwicklungsmodelle halten wir für weit sinnvoller als die neoliberale Freihandelsdoktrin. Die EPAs werden die soziale Schere auf der Welt nicht schließen, sondern weiter öffnen. Die EPAs sind TTIP und CETA für den Süden; deshalb lehnen wir sie komplett ab. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir stehen hier heute vor der Entscheidung, über ein Abkommen abzustimmen, welches bereits seit acht Jahren vorläufig angewendet wird. Deshalb können wir an dieser Stelle auch sagen, dass das Abkommen zwischen den Karibikstaaten und der Europäischen Union nicht Wort gehalten hat. Das Entwicklungsversprechen wurde nicht eingelöst. Eine nachhaltige Entwicklung wurde durch das Partnerschaftsabkommen nicht befördert. Vielmehr enthält es Bestimmungen, die eine entwicklungsfreundliche Industriepolitik konterkarieren könnten. Mit dem Verbot von Exportsteuern wird einem schädlichen Extraktivismus Vorschub geleistet, statt Wertschöpfung vor Ort zu fördern. Auch ist es naiv zu glauben, dass die Klauseln zum Schutz junger Industrien nur ansatzweise ausreichend wären. Der Aufbau junger Industrien bedarf weit mehr als acht Jahre. Deutschland hat jahrzehntelang seinen Markt geschützt und nur so eine robuste Wirtschaft aufbauen können. Nun dürfen die karibischen Inselstaaten mit dem vollständigen Inkrafttreten des Abkommens, innerhalb der ersten zehn Jahre gerade einmal acht Jahre lang ausgewählte Industrien schützen. Das schafft keinerlei Spielraum für eine gute Industriepolitik. Das ist alles andere als nachhaltig, geschweige denn entwicklungsfreundlich. Trotz all dieser Kritikpunkte gibt es aber auch positive Ansätze. Hier unterscheidet sich das CARIFORUM-EPA auch deutlichen von den afrikanischen EPAs. Die Bestimmungen zu Nachhaltigkeit und Menschenrechten sind im Vergleich zu den anderen Abkommen deutlich umfassender und expliziter. Ein entscheidender Unterschied ist auch, dass das Nachhaltigkeitskapitel an das Streitschlichtungsverfahren angeschlossen ist. Im Streitfall ist der Entzug von Zollpräferenzen allerdings nicht vorgesehen, sondern lediglich der Entzug nicht-tarifärer Präferenzen oder etwa der Entzug von Entwicklungsgeldern erlaubt. Dabei würde gerade letztere Maßnahme die ärmsten Menschen treffen und nicht diejenigen, die im Zweifel Menschenrechts- oder Nachhaltigkeitsstandards verletzen. Hier hätten wir uns zwar mehr gewünscht, aber immerhin ist das Nachhaltigkeitskapitel überhaupt sanktionsbewehrt. Das ist ein großer Fortschritt. Im Vergleich zu den afrikanischen EPAs enthält das Abkommen auch keine Rendezvous-Klauseln, die die Länder verpflichten würden, in Zukunft über höchst umstrittene Investitionsschutzbestimmungen zu verhandeln. Damit ist schon viel gewonnen und den Sonderrechten für private Investoren ein Riegel vorgeschoben. Noch laufen die Übergangsfristen; am Ende werden die Karibikstaaten ihren Markt aber zu fast 90 Prozent liberalisiert haben. Statt diese Staaten zu so weitgehenden Marktöffnungen zu zwingen, müsste die EU vielmehr ihr Allgemeines Präferenzsystem wieder so ausweiten, dass ärmere Länder wie etwa Jamaika oder Dominica erneut in den Genuss von unilateralen Handelspräferenzen kämen, ohne die dringend benötigten eigenen Politikspielräume aufgeben zu müssen. Fairer Handel sieht anders aus, insbesondere für die afrikanischen Staaten. Minister Müller hätte es in der Hand, für einen echten Politikwechsel einzutreten. Der Minister schreibt aber lieber öffentlichkeitswirksame Hochglanzbroschüren, anstatt sich mit den tatsächlichen Herausforderungen zu befassen. Wir werden auch deshalb die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den afrikanischen Staaten entschieden ablehnen, gleichwohl uns bei dieser Gesetzvorlage zum Abkommen mit den Karibikstaaten aber enthalten. Die Karibikstaaten selbst haben dem Vertrag nicht nur zugestimmt, sondern sie wollen ihn auch. Sie wurden nicht wie die afrikanischen Länder unter Druck gesetzt oder erpresst. Das allein ist für uns noch kein Argument, dies ebenfalls zu tun oder uns zu enthalten. Allerdings sind die karibischen Inseln wirtschaftlich in einer deutlich besseren Lage, als es beispielsweise die afrikanischen Länder sind. Sie haben größtenteils keine Möglichkeit mehr, in den Genuss des Allgemeinen Präferenzsystems zu kommen. Ohne dieses Abkommen wären ihnen somit jeglicher vergünstigter Zollzugang verwehrt. Ihnen jetzt den Status quo abzuerkennen hätte gegebenenfalls wirtschaftlich negative Folgen. Dies zeigt auch, dass die Methode der vorläufigen Anwendung von Handelsverträgen höchst problematisch ist, da diese Fakten schafft, die schon nach wenigen Jahren ohne schmerzhafte Einschnitte kaum mehr revidierbar sind. 1)  Ergebnis Seite 21523 C 2)  Anlage 2 3)  Ergebnis Seite 21533 C 4)  Anlage 3 5)  Anlage 4 6)  Anlage 5 7)  Anlage 6 8)  Anlage 7 9)  Anlage 8 10)  Anlage 9 11)  Anlage 10 12)  Anlage 11 13)  Anlage 12 14)  Anlage 13 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 215. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 215. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2017 III Plenarprotokoll 18/215