Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 221. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017 Inhalt: Begrüßung der neuen Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner 22061 A Wahl des Abgeordneten Christoph Strässer als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates 22061 B Wahl der Herren Dr. Reinhard Hauke und Dr. Johann Hinrich Claussen als ordentliche Mitglieder sowie von Herrn Dr. Karl Jüsten und Frau Dr. Petra Bahr als stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrats der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ 22061 B Wahl von Herrn Burkhard Kleinert als ordentliches Mitglied des Stiftungsrat der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ 22061 C Wahl des Abgeordneten Dr. Mathias Edwin Höschel als Schriftführer 22061 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 22063 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 45 und 49 22063 C Zur Entwicklung des deutsch-türkischen Verhältnisses 22061 D Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 9. März 2017 und zum Vorbereitungstreffen der 27 Staats- und Regierungschefs für den Jubiläumsgipfel in Rom am 25. März 2017 Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin 22064 A Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) 22069 B Thomas Oppermann (SPD) 22071 B Jan van Aken (DIE LINKE) 22072 D Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22074 C Volker Kauder (CDU/CSU) 22078 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 22080 C Norbert Spinrath (SPD) 22081 D Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) 22082 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22085 A Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) 22085 C Andrej Hunko (DIE LINKE) 22086 B Christian Petry (SPD) 22087 A Gunther Krichbaum (CDU/CSU) 22088 C Michelle Müntefering (SPD) 22090 A Thomas Dörflinger (CDU/CSU) 22091 A Michael Brand (CDU/CSU) 22092 B Namentliche Abstimmung 22094 A Ergebnis 22097 C Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter verbessern Drucksache 18/11049 22094 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Halina Wawzyniak, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mietpreisbremse wirkungsvoll ausgestalten Drucksachen 18/9123, 18/10089 22094 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zusammenhalt stärken – Mietrecht reformieren Drucksache 18/10810 22094 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg. weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen Drucksachen 18/8856, 18/11440 22094 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg. weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten durch die Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts Drucksache 18/8857, 18/11440 22094 D Caren Lay (DIE LINKE) 22095 A Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) 22100 A Caren Lay (DIE LINKE) 22103 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 22104 C Klaus Mindrup (SPD) 22106 A Kai Wegner (CDU/CSU) 22107 B Nicole Gohlke (DIE LINKE) 22110 B Dr. Johannes Fechner (SPD) 22111 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22112 B Michael Frieser (CDU/CSU) 22113 D Ulli Nissen (SPD) 22115 C Michael Groß (SPD) 22116 D Namentliche Abstimmungen 22118 A, 22118 B, 22118 C Ergebnisse 22121 C, 22123 D, 22126 D Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Drucksachen 18/10207, 18/10650, 18/10924 Nr. 1.3, 18/11446 22118 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parlaments- statt Ministererlaubnis im Kartellrecht – zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bußgeldumgehung bei Kartellstrafen verhindern – Gesetzeslücke schließen Drucksachen 18/10240, 18/4817, 18/11446 22119 A Brigitte Zypries, Bundesministerin BMWi 22119 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 22120 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) 22129 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22131 C Marcus Held (SPD) 22132 D Thomas Lutze (DIE LINKE) 22134 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) 22134 D Martin Dörmann (SPD) 22136 B Axel Knoerig (CDU/CSU) 22137 B Tagesordnungspunkt 56: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Drucksache 18/11140 22138 D b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes Drucksache 18/11236 22138 D c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 29. Juni 2016 über die Vorrechte und Immunitäten des Einheitlichen Patentgerichts Drucksache 18/11238 (neu) 22139 A d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung Drucksache 18/11241 22139 A e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsgesetz – EgVG) Drucksache 18/11257 22139 A f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2016/424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG (Seilbahndurchführungsgesetz – SeilbDG) Drucksache 18/11258 22139 B g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksache 18/11276 22139 B h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) Drucksache 18/11287 22139 B i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung Drucksache 18/11288 22139 C j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren für die elektronische Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr über das Zentrale Meldeportal des Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes Drucksache 18/11292 22139 C k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes Drucksache 18/11326 22139 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/11415 22139 D Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) 22140 A Elvira Drobinski-Weiß (SPD) (zur Geschäftsordnung) 22141 A Tagesordnungspunkt 57: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Februar 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen Drucksachen 18/11138, 18/11421 22142 A b)–f) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 411, 412, 413, 414 und 415 zu Petitionen Drucksachen 18/11191, 18/11192, 18/11193, 18/11194, 18/11195 22142 B Tagesordnungspunkt 6: Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ gemäß § 4 des Entsorgungsfondsgesetzes Drucksache 18/11406 22142 C Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens Drucksache 18/11277 22142 D Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 22142 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 22144 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 22145 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22146 D Bettina Bähr-Losse (SPD) 22148 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 22149 A Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland Drucksache 18/11413 22150 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft herstellen Drucksache 18/11412 22150 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft durchsetzen Drucksachen 18/9667, 18/11447 22150 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22150 C Gudrun Zollner (CDU/CSU) 22152 A Katja Kipping (DIE LINKE) 22153 D Sönke Rix (SPD) 22155 A Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) 22156 C Marianne Schieder (SPD) 22157 D Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungs-gesetz – AMVSG) Drucksachen 18/10208, 18/10608, 18/10696 Nr. 1.5, 18/11449 22159 B Michael Hennrich (CDU/CSU) 22159 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 22160 D Dr. Karl Lauterbach (SPD) 22161 D Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22162 D Reiner Meier (CDU/CSU) 22163 D Martina Stamm-Fibich (SPD) 22164 D Thomas Stritzl (CDU/CSU) 22166 A Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit in der Pflege – Personalbemessung in der Altenpflege einführen Drucksachen 18/9122, 18/11347 22167 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern Drucksache 18/11414 22167 D Erwin Rüddel (CDU/CSU) 22168 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) 22169 B Mechthild Rawert (SPD) 22170 C Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22171 C Erich Irlstorfer (CDU/CSU) 22173 A Heike Baehrens (SPD) 22174 B Ute Bertram (CDU/CSU) 22175 B Tagesordnungspunkt 11: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) Drucksache 18/11325 22176 B b) Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken Drucksache 18/11401 22176 C Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 22176 C Petra Pau (DIE LINKE) 22178 A Gerold Reichenbach (SPD) 22178 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22180 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 22181 D Marian Wendt (CDU/CSU) 22183 A Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Kerstin Andreae, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Öffentliches Vermögen erhalten, ehrlich bilanzieren, richtig investieren Drucksache 18/11188 22183 D Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22184 A Jens Spahn, Parl. Staatssekretär BMF 22184 D Heidrun Bluhm (DIE LINKE) 22186 C Dennis Rohde (SPD) 22187 D Alois Rainer (CDU/CSU) 22189 B Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksache 18/11397 22190 B Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 22190 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) 22191 B Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) 22192 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22194 A Dr. Johannes Fechner (SPD) 22195 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 22196 B Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sabine Zimmermann (Zwickau), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Berufsbildungsgesetz novellieren – Ausbildung verbessern Drucksache 18/10281 22197 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) 22197 C Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) 22198 B Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 22199 B Rainer Spiering (SPD) 22200 B Uda Heller (CDU/CSU) 22202 B Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia Drucksache 18/11273 22203 C Michael Roth, Staatsminister AA 22203 D Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 22205 A Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg 22206 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22207 A Florian Hahn (CDU/CSU) 22208 A Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Globale Investitionen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestalten Drucksache 18/11410 22209 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22209 A Johannes Selle (CDU/CSU) 22210 A Thomas Lutze (DIE LINKE) 22211 C Dr. Sascha Raabe (SPD) 22212 B Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung Drucksache 18/11180 22213 D Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 Drucksachen 18/4842, 18/11428 22214 A Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt Drucksachen 18/10942, 18/11181, 18/11225 Nr. 7, 18/11439 22214 A Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB 22214 B Marie-Luise Dött (CDU/CSU) 22215 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 22215 D Florian Pronold (SPD) 22216 C Dr. Barbara Hendricks (SPD) 22217 A Michael Groß (SPD) 22217 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 22218 B Caren Lay (DIE LINKE) 22219 B Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Sven-Christian Kindler, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nicht um jeden Preis – Großprojekte im Zeit- und Kostenrahmen realisieren Drucksache 18/8402 22221 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 22221 C Christian Haase (CDU/CSU) 22222 B Sabine Leidig (DIE LINKE) 22223 C Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB 22224 C Florian Oßner (CDU/CSU) 22225 D Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Share Economy – Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft nutzen und Herausforderungen annehmen Drucksache 18/11399 22227 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstützen Drucksache 18/11411 22227 A Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes Drucksachen 18/10882, 18/11431 22227 C Tagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung Drucksachen 18/10884, 18/11025 Nr. 2, 18/11443 22227 D Michael Thews (SPD) 22228 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 22229 A Michael Thews (SPD) 22229 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) 22230 A Karsten Möring (CDU/CSU) 22230 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22231 C Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing (Carsharinggesetz – CsgG) Drucksache 18/11285 22232 C Steffen Bilger (CDU/CSU) 22232 D Herbert Behrens (DIE LINKE) 22233 D Arno Klare (SPD) 22234 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22235 C Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) 22236 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze Drucksache 18/11272 22237 C Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes Drucksachen 18/11281, 18/11407 22237 C Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Notifizierungsverfahrens für dienstleistungsbezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016) 821 endg.; Ratsdok. 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen KOM(2016) 822 endg.; Ratsdok. 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016) 823 endg.; Ratsdok. 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte und entsprechender Verwaltungserleichterungen KOM(2016) 824 endg.; Ratsdok. 5284/17 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/11442 22238 A Lena Strothmann (CDU/CSU) 22238 B Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22239 D Sabine Poschmann (SPD) 22240 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) 22241 D Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union Drucksache 18/11242 22242 A Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises Drucksache 18/11279 22242 B Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik Drucksachen 18/10939, 18/11282, 18/11438 22242 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen (Videoüberwachungsverbesserungsgesetz) Drucksachen 18/10941, 18/11183, 18/11225 Nr. 8; 18/11435 22242 C Günter Baumann (CDU/CSU) 22242 D Frank Tempel (DIE LINKE) 22243 D Sebastian Hartmann (SPD) 22245 A Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22246 A Marian Wendt (CDU/CSU) 22247 C Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BDBOS-Gesetzes Drucksache 18/11139 22248 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen Drucksache 18/11409 22249 A Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration Drucksachen 18/11136, 18/11182, 18/11441 22249 B Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen Drucksache 18/11233 22249 C Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes Drucksache 18/11234 22249 C Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen Drucksache 18/11291 22249 D Tagesordnungspunkt 36: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/10883, 18/11432 22250 A Tagesordnungspunkt 37: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes Drucksachen 18/10818, 18/11200 22250 B Tagesordnungspunkt 38: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten Drucksache 18/11240 22250 C Tagesordnungspunkt 39: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung Drucksachen 18/8486, 18/11437 22250 C Tagesordnungspunkt 40: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben Drucksachen 18/8831, 18/11445 22250 D Dr. Johannes Fechner (SPD) 22251 A Dr. André Hahn (DIE LINKE) 22251 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 22252 D Dr. André Hahn (DIE LINKE) 22253 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22254 A Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) 22254 D Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) 22255 C Tagesordnungspunkt 41: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) Drucksachen 18/9982, 18/10344, 18/10444 Nr. 1.6, 18/11450 22256 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und aussagekräftig ausgestalten – Umsetzung der CSR-Richtlinie Drucksachen 18/10030, 18/11450 22256 D Metin Hakverdi (SPD) 22256 D Birgit Menz (DIE LINKE) 22257 B Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 22258 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22259 B Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) 22260 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 22261 A Tagesordnungspunkt 42: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht Drucksachen 18/11137, 18/11451 22262 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform Drucksachen 18/8827, 18/9238, 18/9596 Nr. 1.6, 18/11451 22262 A Tagesordnungspunkt 43: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen Drucksachen 18/407, 18/11436 22262 C Tagesordnungspunkt 44: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität Drucksache 18/11275 22262 D Tagesordnungspunkt 46: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen Drucksachen 18/10651, 18/11226 22263 A Tagesordnungspunkt 47: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland Drucksache 18/11280 22263 B Tagesordnungspunkt 48: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern Drucksache 18/11278 22263 C b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Corinna Rüffer, Katja Keul, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtlichen Genehmigungserfordernisses bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gegenüber Kindern Drucksache 18/9804 22263 C Nächste Sitzung 22263 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 22265 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung (Tagesordnungspunkt 17) 22265 D Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) 22265 D Dr. Lars Castellucci (SPD) 22266 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 22267 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22268 A Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern 22268 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 (Tagesordnungspunkt 18) 22269 C Margaret Horb (CDU/CSU) 22269 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 22270 C Andreas Schwarz (SPD) 22271 A Christine Buchholz (DIE LINKE) 22271 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22272 C Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt (Tagesordnungspunkt 19) 22273 C Josef Göppel (CDU/CSU) 22273 C Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) 22273 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Share Economy – Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft nutzen und Herausforderungen annehmen – des Antrags der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstützen (Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesordnungspunkt 10) 22274 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) 22274 B Axel Knoerig (CDU/CSU) 22275 C Matthias Ilgen (SPD) 22276 A Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD) 22276 C Klaus Ernst (DIE LINKE): 22277 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22278 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes (Tagesordnungspunkt 21) 22279 B Karl Holmeier (CDU/CSU) 22279 C Oliver Wittke (CDU/CSU) 22280 B Udo Schiefner (SPD) 22281 A Thomas Lutze (DIE LINKE) 22282 A Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 22282 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze (Tagesordnungspunkt 24) 22283 D Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 22283 D Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 22284 D Dr. Johannes Fechner (SPD) 22285 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 22286 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22287 B Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 22288 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25) 22289 A Clemens Binninger (CDU/CSU) 22289 A Susanne Mittag (SPD) 22289 D Dr. André Hahn (DIE LINKE) 22290 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22291 D Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI 22292 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union (Tagesordnungspunkt 27) 22293 C Clemens Binninger (CDU/CSU) 22293 D Gerold Reichenbach (SPD) 22294 C Martina Renner (DIE LINKE) 22295 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22296 A Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 22297 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tagesordnungspunkt 28) 22297 D Heinrich Zertik (CDU/CSU) 22297 D Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) 22299 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 22300 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22301 B Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 22302 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BDBOS-Gesetzes – des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen (Tagesordnungspunkt 31 und Zusatztagesordnungspunkt 11) 22303 A Marian Wendt (CDU/CSU) 22303 B Gerold Reichenbach (SPD) 22303 D Frank Tempel (DIE LINKE) 22305 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22305 D Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI 22306 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration (Tagesordnungspunkt 32) 22307 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) 22307 C Nina Warken (CDU/CSU) 22308 B Sebastian Hartmann (SPD) 22309 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) 22310 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22310 D Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen (Tagesordnungspunkt 33) 22311 C Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) 22311 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) 22312 B Richard Pitterle (DIE LINKE) 22313 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22314 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 22315 C Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 34) 22316 B Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) 22316 C Andreas Schwarz (SPD) 22317 C Sabine Leidig (DIE LINKE) 22318 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22318 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 22319 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen (Tagesordnungspunkt 35) 22320 C Hubert Hüppe (CDU/CSU) 22320 D Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) 22321 D Mechthild Rawert (SPD) 22322 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 22323 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22324 A Anlage16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 36) 22324 D Alexander Funk (CDU/CSU) 22324 D Annette Sawade (SPD) 22326 A Sabine Leidig (DIE LINKE) 22326 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22327 A Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes (Tagesordnungspunkt 37) 22327 D Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) 22328 A Matthias Lietz (CDU/CSU) 22328 B Gustav Herzog (SPD) 22329 A Herbert Behrens (DIE LINKE) 22329 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22330 B Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten (Tagesordnungspunkt 38) 22330 D Dr. Silke Launert (CDU/CSU) 22331 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) 22331 D Dr. Matthias Bartke (SPD) 22333 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 22334 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22335 A Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 22335 C Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung (Tagesordnungspunkt 39) 22336 B Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) 22336 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 22338 B Dr. Johannes Fechner (SPD) 22339 A Sabine Poschmann (SPD) 22339 C Karin Binder (DIE LINKE) 22340 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22340 C Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform (Tagesordnungspunkt 42 a und b) Sebastian Steineke (CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) Christian Flisek (SPD) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (Tagesordnungspunkt 43) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) Richard Pitterle (DIE LINKE) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Tagesordnungspunkt 44) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) Bettina Bähr-Losse (SPD) Frank Tempel (DIE LINKE) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen (Tagesordnungspunkt 46) Jürgen Klimke (CDU/CSU) Stefan Rebmann (SPD) Niema Movassat (DIE LINKE) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland (Tagesordnungspunkt 47) Julia Obermeier (CDU/CSU) Matthias Ilgen (SPD) Inge Höger (DIE LINKE) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Markus Grübel, Parl. Staatssekretär BMVg Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern – des von den Abgeordneten Corinna Rüffer, Katja Keul, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtlichen Genehmigungserfordernisses bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gegenüber Kindern (Tagesordnungspunkt 48 a und b) Dr. Silke Launert (CDU/CSU) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV 221. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zu unserer Plenarsitzung. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich Ihnen mitteilen, dass für den ausgeschiedenen Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier die Kollegin Angelika Krüger-Leißner als Mitglied des Deutschen Bundestages nachgerückt ist, (Beifall) dem sie schon in früheren Wahlperioden angehört hat. Deswegen wird der eine oder andere ihr vertraut vorkommen und umgekehrt. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit in der verbleibenden Zeit dieser Legislaturperiode. Wir müssen noch eine Reihe von Wahlen durchführen. Die SPD-Fraktion schlägt vor, als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates für den Kollegen Johann Saathoff den Kollegen Christoph Strässer als neues persönliches stellvertretendes Mitglied zu wählen. Können Sie dem zustimmen? – Das sieht so aus. Damit ist der Kollege Strässer in dieser Funktion gewählt. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien schlägt vor, im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung als Vertreter der katholischen Kirche für den ausgeschiedenen Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke als Nachfolger seinen bisherigen persönlichen Stellvertreter Weihbischof Dr. Reinhard Hauke als ordentliches Mitglied und als dessen Nachfolger als persönliches stellvertretendes Mitglied Prälat Dr. Karl Jüsten zu wählen. Des Weiteren schlägt die Beauftragte vor, als Vertreter der evangelischen Kirche Herrn Dr. Johann Hinrich Claussen als ordentliches Mitglied im Stiftungsrat und Frau Dr. Petra Bahr als sein persönliches stellvertretendes Mitglied zu wählen. Ich vermute, dass es auch dazu Einvernehmen gibt. – Das ist der Fall. Damit sind Weihbischof Dr. Hauke und Herr Dr. Claussen als ordentliche Mitglieder und Prälat Dr. Jüsten und Frau Dr. Bahr als jeweilige persönliche stellvertretende Mitglieder des Stiftungsrates gewählt. Des Weiteren schlägt die Fraktion Die Linke vor, für den Stiftungsrat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Herrn Burkhard Kleinert als Nachfolger für Herrn Andreas Möller als ordentliches Mitglied des Gremiums zu wählen. – Auch hierzu höre und sehe ich keinen Widerspruch. Damit ist Herr Kleinert als ordentliches Mitglied gewählt. Schließlich müssen wir noch eine Schriftführerwahl durchführen. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, für die Kollegin Cemile Giousouf den Kollegen Dr. Mathias Edwin Höschel als Schriftführer zu wählen. Ich frage, ob Sie damit einverstanden sind. – Das ist der Fall. Damit ist der Kollege Höschel als neuer Schriftführer gewählt. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze Drucksache 18/11398 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss (siehe 220. Sitzung) ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ehe für alle (siehe 220. Sitzung) ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zusammenhalt stärken – Mietrecht reformieren Drucksache 18/10810 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 4   – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen Drucksache 18/8856 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten durch die Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts Drucksache 18/8857 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/11440 ZP 5 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 56) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/11415 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland Drucksache 18/11413 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft herstellen Drucksache 18/11412 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft durchsetzen Drucksachen 18/9667, 18/11447 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern Drucksache 18/11414 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstützen Drucksache 18/11411 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen Drucksache 18/11409 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Anstelle des Tagesordnungspunktes 8 – hier geht es um den Antrag zum Thema „Umgang mit öffentlichem Vermögen“ – sollen unter Beibehaltung der vereinbarten Debattenzeit der Antrag auf der Drucksache 18/11412 mit dem Titel „Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft herstellen“ und der Antrag auf der Drucksache 18/11413 mit dem Titel „Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland“ sowie die Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11447 zu dem Antrag mit dem Titel „Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft durchsetzen“ aufgerufen werden. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen rücken entsprechend nach hinten. Der Tagesordnungspunkt 29 – erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften – soll zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 52 – hier geht es um den Antrag „Gefahren durch Waffen minimieren – Öffentliche Sicherheit stärken“ – in verbundener Beratung aufgerufen werden. Die Tagesordnungspunkte 45 – hier geht es um eine Änderung des Weingesetzes – und 49 – hier geht es um die digitale Verwaltung – werden heute abgesetzt. Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? – Das ist gut so. Dann ist das damit so beschlossen. Wir können jetzt zum Tagesordnungspunkt 3 kommen: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 9. März 2017 und zum Vorbereitungstreffen der 27 Staats- und Regierungschefs für den Jubiläumsgipfel in Rom am 25. März 2017 Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Über einen Entschließungsantrag werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 96 Minuten vorgesehen. – Das ist offenkundig auch einvernehmlich, sodass wir so verfahren können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, ganz sicher aber in der darauffolgenden Aussprache, wird auch von der gegenwärtigen Entwicklung des Verhältnisses zu unseren türkischen Partnern, insbesondere zu türkischen Regierungspolitikern, die in unserem Land Wahlkampf machen wollen, die Rede sein. Dabei werden ganz sicher unterschiedliche Akzente, verschiedene Meinungen und Erwartungen zum Umgang mit diesem Wunsch und der Art, wie er vorgetragen wird, deutlich werden. Ich möchte zur Klarstellung ein paar Punkte festhalten, bei denen wir alle vermutlich einer Meinung sind. Erstens. Wer dieses Land öffentlich verdächtigt, Nazimethoden anzuwenden, wenn seine Behörden und gewählten Repräsentanten im Rahmen unserer Verfassungsordnung handeln, disqualifiziert sich selbst. (Beifall im ganzen Hause) Zweitens. In diesen turbulenten, gelegentlich hysterischen Zeiten kann sich jeder sein eigenes Bild machen, wo Menschenrechte geachtet, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung gesichert und Meinungs- und Pressefreiheit praktiziert werden. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und weil drittens diese Prinzipien unserer Verfassung nicht zur Disposition stehen, bitten wir die Menschen in Deutschland um Verständnis, dass wir sie auch bei begründeter Empörung anderen nicht verweigern. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber wir erwarten viertens von jeder ausländischen Regierung und schon gar von jedem Partnerland, dass die Rechte, die deren Vertreter bei uns in Anspruch nehmen, auch den eigenen Landsleuten zu Hause in gleicher Weise garantiert werden. (Beifall im ganzen Hause) Hierzulande kann jeder seine Meinung sagen, auch ausländische Gäste. Wir aber auch. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und deshalb werden wir es uns fünftens, gerade auch im Interesse unserer türkischen Mitbürger, die zugleich deutsche Staatsbürger sind, nicht nehmen lassen, darauf hinzuweisen, wohin es die Türkei absehbar führen wird, wenn die Pläne, für die türkische Politiker in Deutschland werben, verwirklicht werden können, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nämlich in die Entwicklung zu einem zunehmend autokratischen Staat, der sich immer weiter von Europa, seinen Überzeugungen und demokratischen Standards entfernt. (Beifall im ganzen Hause) Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Ich habe zum europäischen Gipfel keinen Satz gesagt, Frau Bundeskanzlerin. (Heiterkeit) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Das stimmt. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Traditionell widmet sich der Europäische Rat im März schwerpunktmäßig der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa. So steht es jedenfalls Jahr für Jahr auf der Tagesordnung. Tatsächlich jedoch kamen auch in den vergangenen Jahren immer wieder andere, mindestens genauso wichtige Themen hinzu: die Stabilisierung der Euro-Zone, die Aggression Russlands gegen die Ukraine, unser gemeinsamer Umgang mit Flucht und Migration. Auch in diesem Jahr erwartet uns kein reiner Wirtschaftsgipfel; denn der heute beginnende Europäische Rat fällt in eine Zeit, die uns ganz grundsätzliche Entscheidungen über die zukünftige Ausrichtung der Europäischen Union abverlangt. Das gilt für die Lehren, die wir aus den weiterhin starken Flucht- und Migrationsbewegungen nach Europa ziehen müssen. Das gilt für die bevorstehenden Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Und das gilt für die Vorbereitungen auf den 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge, den wir Ende des Monats in Rom mit 27 Mitgliedstaaten begehen werden. Alle diese Themen bilden den Rahmen für die Beratungen, die wir heute und morgen in Brüssel führen werden. Sie bilden damit auch den Rahmen für die Beratungen über die wirtschaftliche Entwicklung in Europa. Die wirtschaftliche Entwicklung ist zuletzt wieder deutlich positiver. Dies ist ein wichtiges Beispiel dafür, was wir als Europäische Union schaffen können, wenn wir gemeinsam handeln. Auf unsere einzigartige Mischung aus Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Sicherung können wir in Europa stolz sein. So etwas gibt es in diesem Umfang auf der Welt nicht noch einmal. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist die soziale Marktwirtschaft, wie wir es in Deutschland nennen, ein Erfolgsmodell, um das uns weite Teile der Welt beneiden. Wir sind und bleiben einer der größten Wirtschaftsräume der Welt, und wir können auf globaler Ebene vieles gemeinsam gestalten. Auch wenn uns die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 vor enorme Schwierigkeiten gestellt hatte, sind die Wachstumsaussichten inzwischen wieder besser, und zwar besser, als von vielen erwartet. Die Europäische Kommission geht jetzt davon aus, dass dieses Jahr alle 28 Mitgliedstaaten wieder auf einen positiven Wachstumspfad zurückkehren und dass dieser Trend auch in den kommenden Jahren anhalten wird. Die Arbeitslosigkeit ist in einigen Teilen Europas, gerade unter den jungen Menschen, immer noch viel zu hoch. Deshalb dürfen wir uns damit auf gar keinen Fall abfinden. Ermutigen kann uns jedoch, dass sich die Arbeitslosigkeit insgesamt in Europa jetzt wieder auf dem niedrigsten Stand seit 2009 befindet. Trotz aller weiterhin bestehenden Herausforderungen – ich will sie wirklich nicht kleinreden; denken wir nur an Griechenland – können wir außerdem feststellen, dass sich insgesamt auch die Lage der öffentlichen Finanzen und der Umfang der Investitionen in Europa kontinuierlich verbessert haben. Dazu trägt auch der Investitionsfonds bei, der vom Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker vorgeschlagen wurde und zusammen mit der Europäischen Investitionsbank durchgeführt wird. Das ist für uns hier in Deutschland in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen, weil natürlich zwischen einer guten Zukunft bei uns in Deutschland und einer guten Zukunft in Europa ein direkter Zusammenhang existiert. Nur wenn es auch Europa gut geht, wird es auch Deutschland dauerhaft gut gehen können. Das dürfen wir nie vergessen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb müssen wir um der Arbeitsplätze willen und des Wohlstands willen sowohl auf der nationalen Ebene als auch auf der europäischen Ebene natürlich weiter daran arbeiten, auch in Zukunft im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Es kommt etwas hinzu: Nur so werden wir dann auch unsere Werte und unsere Interessen weltweit behaupten können. Weiter daran arbeiten heißt: Wenn sich die Welt um uns herum jeden Tag weiterentwickelt, zum Teil in atemberaubendem Tempo, dann muss sich auch Europa weiterentwickeln. Wesentlich dafür ist, die Globalisierung und die Digitalisierung als Chance zu begreifen und gemeinsam alles dafür zu tun, beides mitzugestalten, und zwar wieder auf der Grundlage unserer Werte, aber auch unserer wohlverstandenen eigenen Interessen. Dazu gehört ganz selbstverständlich auch eine Handelspolitik, die auf freien Handel setzt. Auch diese muss sich natürlich an unseren Werten und Interessen orientieren. Aber Deutschland als Handelsnation ist in besonderem Maße darauf angewiesen, einen guten Zugang nicht nur zum europäischen Binnenmarkt, sondern auch zu den Weltmärkten zu haben und sich dort ohne Hindernisse und Benachteiligungen dem globalen Wettbewerb stellen zu können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich freue mich deshalb sehr, dass das Europäische Parlament jetzt dem CETA-Abkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada mit deutlicher Mehrheit zugestimmt hat. Ich möchte an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den kanadischen Premierminister Justin Trudeau und seine ganze Regierung senden. Sie haben viel Geduld mit uns Europäern gehabt, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) aber es hat zum Erfolg geführt. Auch wenn wir in Teilen der Welt nationalistische und protektionistische Ansätze auf dem Vormarsch sehen – Europa darf sich niemals einigeln, abschotten und zurückziehen. Europa muss sich seine Offenheit gegenüber der Welt bewahren, auch und gerade in der Handelspolitik. Wir gehen als Europäer dabei natürlich nicht naiv vor. Wir haben über die Vor- und Nachteile von CETA intensiv und lange diskutiert. Das war notwendig und richtig. Ich finde, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir sollten auch mit anderen Partnern die Verhandlungen zu weiteren Handelsabkommen zügig fortführen. Es ist wichtig, dass wir uns in der Europäischen Union darüber einig sind, dass Europa gegen unfaire und protektionistische Handelspraktiken gemeinsam vorgehen und seine Interessen entschlossen verteidigen wird, wann und wo immer das nötig ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dabei können wir in Europa auf unsere jeweiligen Stärken vertrauen, und zwar auch und gerade, wenn diese sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat und von Region zu Region unterscheiden. Denn die Vielfalt Europas besteht nicht nur aus Sprache und Kultur, sondern auch aus den oft sehr vielfältigen wirtschaftlichen Spezialisierungen. Die Europäische Union sollte diese Unterschiede nicht behindern, sondern ihre Mitgliedstaaten und Regionen in ihren jeweiligen Stärken unterstützen. Natürlich ist eine kluge, gemeinsame Regulierung auf europäischer Ebene an vielen Stellen notwendig und sinnvoll. Aber Ziel des europäischen Binnenmarktes ist es ausdrücklich nicht, alle Unterschiede zu beseitigen. Deshalb sollte Europa stärker dazu beitragen, dass die innovativen Kräfte und das kreative Potenzial in den Regionen voll zur Entfaltung kommen können. Wo dafür Hindernisse bestehen oder wo die Regulierung übertrieben wurde, sollten wir wirklich prüfen, ob und vor allem wie diese abgebaut werden können. Ich freue mich, dass die Europäische Kommission mit Jean-Claude Juncker an der Spitze und dem zuständigen Ersten Vizepräsidenten Frans Timmermans dies für sich zu einer Priorität erklärt hat und etwa 80 Regulierungen zur Disposition gestellt hat, von denen die allermeisten jetzt nicht umgesetzt werden. Ich freue mich, dass sich die Kommission seit ihrem Amtsantritt damit verstärkt auf die Aufgaben konzentrieren kann, bei denen die Europäische Union tatsächlich einen Mehrwert leisten kann. Das gilt zum Beispiel für die Flüchtlingspolitik. Hier haben wir ohne Zweifel Fortschritte zu verzeichnen. An weiteren Fortschritten wird gearbeitet. So wollen und müssen wir das Gemeinsame Europäische Asylsystem reformieren; die Innenminister arbeiten mit Hochdruck daran. Wir müssen es reformieren, solidarischer ausgestalten und vor allen Dingen auch krisenfest machen. Im Bereich der Rückführungen wollen wir auf europäischer Ebene enger zusammenarbeiten. Die Europäische Kommission hat auch dazu wichtige Vorschläge vorgelegt. Dennoch – da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen – liegt immer noch zu vieles zu sehr im Argen. Die Lage der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln ist weiterhin sehr unbefriedigend, und das EU-Türkei-Abkommen wird von der griechischen Seite bis heute nicht so umgesetzt, wie das notwendig wäre. (Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auf der zentralen Mittelmeerroute nach Italien haben wir im Grunde tagtäglich Todesfälle zu beklagen. Der Kampf gegen die kriminellen Schlepper und Schleuser muss deshalb unverändert allerhöchste Priorität haben. Ihnen muss das skrupellose und menschenverachtende Handwerk gelegt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dieser Kampf gegen die kriminellen Schlepper – wir haben gerade wieder fürchterliche Nachrichten aus Libyen gehört –, der damit verbundene notwendige Schutz der europäischen Außengrenzen und die Bekämpfung von Fluchtursachen – das alles rettet Leben, ganz konkret und jeden Tag. Das ist das Konzept, das hinter den Bemühungen steht, migrationspolitische Partnerschaften mit Drittstaaten, also mit Herkunfts- und Transitstaaten, einzugehen. In enger Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitstaaten können wir den Menschen, die in ihren Heimatländern ohne unser Handeln keine Perspektive für sich sehen und die sich deshalb auf den lebensgefährlichen Weg nach Europa machen, helfen und die derzeit untragbare Lage nachhaltig in den Griff bekommen. Dafür setze ich mich, dafür setzt sich die gesamte Bundesregierung mit ganzer Kraft ein. Ich erinnere nur an unsere Migrationspartnerschaften zum Beispiel mit Niger und Mali. Anfang Februar haben wir hierüber auch ausführlich auf dem informellen Gipfel auf Malta beraten und ganz konkrete Beschlüsse gefasst, die umgesetzt werden müssen. Einen Schwerpunkt bildete Libyen, wo wir vor allen Dingen an der politischen Lösung arbeiten müssen; denn eine stabile politische Situation gibt es in Libyen zurzeit nicht. Ich selber habe hierzu zuletzt intensive Gespräche auch in Ägypten und Tunesien geführt. Ein wichtiges Beispiel einer solchen migrationspolitischen Partnerschaft ist natürlich die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Seit die EU-Türkei-Vereinbarung in Kraft ist, also seit nunmehr fast einem Jahr, hat die Zahl der Menschen, die in der Ägäis ums Leben kommen, massiv abgenommen, sind die Lebensbedingungen der in der Türkei lebenden Flüchtlinge wie im Übrigen auch die Lebensbedingungen der nach Jordanien und in den Libanon kommenden Flüchtlinge verbessert worden. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) Weil es jedoch noch immer an europäischer Solidarität mangelt, um es zurückhaltend zu formulieren – denken wir nur an die Verteilung von Flüchtlingen über freiwillige Kontingente –, wird manchmal zu leicht übersehen, dass wir selbst dann, wenn die europäische Solidarität in der Flüchtlingspolitik vorbildlich wäre, Vereinbarungen mit Herkunfts- und Transitstaaten bräuchten, wie wir sie jetzt mit einigen Staaten Nordafrikas anstreben und wie wir sie mit der Türkei haben. Ohne solche Abkommen könnten wir auch bei bester europäischer Solidarität nicht viel mehr tun, als uns mit illegaler Migration abzufinden. (Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Gelöst wäre damit gar nichts, und geholfen wäre damit auch niemandem. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Nur mit solchen Vereinbarungen mit Herkunfts- und Transitstaaten können wir wirksam, das heißt tatsächlich nachhaltig, an den Fluchtursachen vor Ort oder, wie im Fall der vor Krieg und Terror in Syrien fliehenden Menschen, zumindest in der Nähe der Heimat der Flüchtlinge ansetzen. Wir sollten niemals vergessen, dass niemand seine Heimat, sein gewohntes Umfeld leichtfertig verlässt. Die EU-Türkei-Vereinbarung wie auch andere Vereinbarungen mit Drittstaaten sind also im Interesse aller. Sie sind im Interesse der Menschen, die ihre Heimat aus Furcht vor Krieg und Verfolgung verlassen müssen. Sie sind im Interesse Europas, da sie die Zahl der nach Europa kommenden Menschen nachhaltig reduzieren. Und sie sind im ureigenen Interesse der betroffenen Drittstaaten selbst, wollen sie sich nicht mit der ungebremsten Ausbreitung eines kriminellen und mafiösen Schlepperwesens in ihren Ländern oder an ihren Küsten abfinden. (Beifall bei der CDU/CSU) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt nicht zuletzt auch und gerade für die Türkei. Es gibt also einerseits umfassende gemeinsame europäisch-türkische Interessen. Es gibt andererseits – wir spüren das in diesen Tagen einmal mehr überdeutlich – tiefgreifende Differenzen zwischen der Europäischen Union und der Türkei, zwischen Deutschland und der Türkei. Mit wenigen Ländern hat Deutschland so komplizierte, aber zugleich so vielfältige Verbindungen wie mit der Türkei: über die Millionen Menschen, die sich beiden Ländern verbunden fühlen, über unsere engen wirtschaftlichen Beziehungen, darüber hinaus als NATO-Partner und im gemeinsamen Kampf gegen den islamistischen Terror. Umso trauriger und deprimierender sind die Äußerungen, mit denen türkische Regierungsmitglieder, auch der türkische Staatspräsident, die Bundesrepublik Deutschland in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt hat. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist so deplatziert, dass man es eigentlich ernsthaft gar nicht kommentieren kann; zu rechtfertigen ist es schon überhaupt nicht, auch nicht mit einem Wahlkampf zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei. Das alles ist zudem so überaus traurig, weil NS-Vergleiche grundsätzlich immer nur ins Elend führen, also dazu, die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus zu verharmlosen, und das werden wir nun auf gar keinen Fall zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Vergleiche der Bundesrepublik Deutschland mit dem Nationalsozialismus müssen aufhören. Sie sind der engen Verflechtungen und Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei und unseren beiden Völkern – politisch, gesellschaftlich, als NATO-Partner und wirtschaftlich – nicht würdig. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die tiefgreifenden und ernsten Meinungsunterschiede mit der Türkei berühren ganz grundsätzliche Fragen von Demokratie und Recht: zum Zustand der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei, zum Schicksal so vieler verhafteter Journalisten, auch des Journalisten Deniz Yücel, für dessen Freilassung sich die ganze Bundesregierung mit allen in ihrer Macht stehenden Mitteln einsetzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) All das legt die ganze Bundesregierung in ihren Gesprächen auf allen Ebenen wieder und wieder auf den Tisch. Wir tun das in aller Klarheit, und wir tun das auf der Grundlage unserer Werte, also Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Redefreiheit und Versammlungsfreiheit. Diese Werte gelten. Sie leiten uns auch, wenn es darum geht, ob türkische Politiker bei uns auftreten können, um Reden für ein Präsidialsystem zu halten, das aus Sicht der Venedig-Kommission des Europarates für die zukünftige Entwicklung der Türkei mehr als problematisch ist. Das ist – das spüren wir alle – natürlich eine äußerst schwierige Gratwanderung. Orientierung können uns dabei wieder nur unsere Werte, unser Recht und unsere Gesetze, unsere nationalen wie europäischen Interessen geben. Und deshalb ergänze ich: So schwierig das alles derzeit auch ist, so unzumutbar manches ist: Unser außen-, sicherheits- und geopolitisches Interesse kann es nicht sein, dass die Türkei, immerhin ein NATO-Partner, sich noch weiter von uns entfernt. Es lohnt sich also von unserer Seite, sich nach Kräften für die deutsch-türkischen Beziehungen einzusetzen, allerdings auf der Basis unserer Werte, unserer Vorstellungen und in aller Klarheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Innerhalb des bei uns geltenden Rechts und der bei uns geltenden Gesetze halten wir in der Bundesregierung deshalb auch Auftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland weiterhin für möglich, sofern und solange sie ordnungsgemäß, rechtzeitig und mit offenem Visier angekündigt sind und dann auch tatsächlich genehmigt werden können. Ich werde mich weiter mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass wir unsere Grundwerte so leben können und so leben, wie wir das für richtig halten; denn sie machen unsere Art und unser Leben aus, und ich werde mich genauso dafür einsetzen, dass dies, wo immer möglich, auch in anderen Ländern, auch in der Türkei, möglich sein wird und möglich sein muss. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort an die vielen Menschen mit türkischen Wurzeln, die entweder deutsche Staatsbürger sind oder schon viele Jahre bei uns leben. Sie sind Teil unseres Landes, sie begegnen uns als Mitschüler, als Arbeitskollegen und als Sportfreunde. Sie tragen zum Wohlstand unseres Landes bei, sie tragen zum guten Zusammenleben in unserem Land bei, und wir wollen alles tun, damit nicht eventuell Konflikte, die innertürkisch sind, in dieses Zusammenleben hineingetragen werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, ich spreche in Ihrer aller Namen, wenn ich sage: Lassen Sie uns unsere Art des Zusammenlebens weiter fördern und sogar noch verbessern, wo immer das möglich ist. Das ist uns ein Herzensanliegen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir haben in den vergangenen Jahren lernen müssen, wie direkt sich manche Kriege und Konflikte in unserer Nachbarschaft auf unser eigenes Leben in Europa auswirken können, auch wenn wir zu lange und manchmal auch zu gerne dachten, dass uns die Lage dort vielleicht nicht wirklich berühren würde. Heute müssen wir erkennen, dass das der Fall ist, dass uns das berührt, aber zudem auch, dass sich vieles auf der Welt ändert, zum Beispiel auch der Charakter der transatlantischen Beziehungen. Das steht im Übrigen nicht von vornherein im Widerspruch dazu, dass ich zutiefst davon überzeugt bin, dass die transatlantische Partnerschaft auf der Grundlage unserer Werte und Interessen für uns alle, also nicht nur für uns Europäer, auch weiterhin von überragender Bedeutung ist. In diesem Geist jedenfalls werde ich in der kommenden Woche meine Gespräche mit Präsident Donald Trump in Washington führen. Genau weil sich der Charakter der transatlantischen Beziehungen verändert, hat sich Europa dazu entschlossen, in Zukunft mehr Verantwortung als in der Vergangenheit zu übernehmen, und zwar sowohl in unserer eigenen Nachbarschaft als auch darüber hinaus. Das beginnt bereits mit der Lage auf dem westlichen Balkan, über die wir heute auch beim Europäischen Rat sprechen werden. Der Europäische Rat steht zur europäischen Perspektive für die Länder des westlichen Balkans. Wir werden die Staaten der Region auf diesem Weg weiter unterstützen, gleichzeitig aber auch auf die Umsetzung der dafür notwendigen Reformen drängen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir haben leider feststellen müssen, dass sich die Entwicklung sehr viel komplizierter gestaltet, als wir uns das dachten. Dennoch liegt es nach wie vor – ein Blick auf die Landkarte genügt – in unserem ureigenen europäischen Interesse, dass Wohlstand, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in diesem Teil Europas selbstverständlich werden. Ich freue mich, dass die von Deutschland initiierten Balkankonferenzen fortgesetzt werden, in diesem Jahr von Italien. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, um die Länder auch untereinander besser in Kontakt zu bringen. Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in diesen Ländern sind die beste Voraussetzung für langfristige Stabilität und gute nachbarschaftliche Beziehungen im westlichen Balkan. Mehr Verantwortung wird Europa auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik übernehmen. Auch darüber werden wir heute in Brüssel sprechen, wie schon beim letzten Europäischen Rat im Dezember. Eine ambitionierte europäische Sicherheitsagenda ist heute wichtiger denn je. Wir müssen als Europäische Union zu einem eigenständigen Krisenmanagement in unserer Nachbarschaft in der Lage sein, und zwar ausdrücklich nicht in Konkurrenz, sondern komplementär, ergänzend, zur NATO. Wichtig wird dabei sein, die militärischen und zivilen Fähigkeiten der Mitgliedstaaten nicht nur mit den nötigen finanziellen Möglichkeiten auszustatten, sondern sie auch strukturell besser miteinander zu verzahnen. Wir wissen, es gibt nicht die alleinige militärische Lösung eines Konfliktes; wir wissen aber auch, dass es ohne militärisches Eingreifen, nur mit zivilem Engagement häufig nicht geht. Deshalb wollen wir den umfassenden Ansatz europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik verzahnen, verbessern – das Miteinander ziviler und militärischer Instrumente. (Zuruf von der LINKEN) Dazu gehört das Instrument der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit, das im Lissabon-Vertrag angelegt ist und das es uns ermöglicht, bei der Entwicklung, Planung und Entsendung von Fähigkeiten weiter voranzuschreiten. Dabei soll jeder Mitgliedstaat mitmachen dürfen, ohne dazu gezwungen zu sein. Meine Damen und Herren, wir müssen notwendige Verbesserungen in Europa ambitioniert, also mit einem hohen Anspruch angehen können, ohne dabei jedes Mal den Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten zu gefährden; denn die vor uns liegenden Aufgaben sind zu groß, als dass wir in Europa immer nur mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner arbeiten können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Daher muss es weiter und notfalls verstärkt möglich sein, dass einige Mitgliedstaaten voranschreiten, während andere sich an bestimmten Schritten nicht oder noch nicht beteiligen wollen. Für ein solches Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten gibt es im Übrigen in der Geschichte der Europäischen Union schon Beispiele. Letztlich sind die Einführung des Euros und der Schengen-Raum zwei Beispiele, an denen sich das schon zeigt. Mit einem weiteren solchen Beispiel wird sich der Europäische Rat heute befassen, nämlich mit der Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft. Sie soll dem Zweck dienen, Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union zu verfolgen, beispielsweise in Fällen von Veruntreuung europäischer Fördermittel. Auch hier möchte eine Gruppe von Mitgliedstaaten voranschreiten, während andere sich jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht daran beteiligen wollen. Entscheidend bei diesen Fragen der unterschiedlichen Zusammenarbeit ist für mich, dass dann, wenn wir solche Schritte gehen, diese anschließend für alle Mitgliedstaaten offen bleiben. Wir dürfen also nicht ausgrenzen. Ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist einladend und nicht ausschließend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Zugleich können wir in Europa bei wichtigen Fragen vorankommen, ohne dass Mitgliedstaaten sich zu einer Teilnahme gezwungen sehen oder auf Dauer von ihr ausgeschlossen werden. Ich glaube, dass das ein wichtiger Weg ist. Dieser wird auch eine Rolle spielen, wenn es um die weitere Entwicklung der Europäischen Union und um die Rolle Europas in der Welt geht. Das wollen wir am 25. März 2017 anlässlich des 60. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge auch begehen und feiern. Nach wie vor gilt: 60 Jahre europäische Integration sind 60 Jahre Frieden, Wohlstand und Stabilität auf der Grundlage gemeinsamer europäischer Werte. Im Anschluss an den heutigen Europäischen Rat werden wir uns deshalb morgen auf das Treffen zum 60. Jahrestag in Rom vorbereiten, und zwar im Kreise der zukünftig 27 Mitgliedstaaten sowie der Präsidenten des Europäischen Rates und der Europäischen Kommission. Heute werden wir auch über die Wiederwahl von Donald Tusk zum Präsidenten des Europäischen Rates für weitere zweieinhalb Jahre entscheiden. Ich sehe seine Wiederwahl als ein Zeichen der Stabilität für die gesamte Europäische Union an und freue mich darauf, die Zusammenarbeit mit ihm fortzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade wir Deutschen profitieren jeden Tag von der Europäischen Union: von der Reisefreiheit, vom europäischen Binnenmarkt, von der Freundschaft und dem engen Austausch mit unseren europäischen Nachbarn. Es gibt keine andere Region auf dieser Welt, die eine solche Erfolgsgeschichte für sich verbuchen könnte. Und doch laufen wir viel zu oft Gefahr, die Europäische Union im besten Falle als bloße Selbstverständlichkeit, im schlechtesten Falle als Verursacher und Sündenbock für fast alle Probleme unserer Zeit zu begreifen. Um Europa zusammenzuhalten, bedarf es deshalb kontinuierlich großer Anstrengungen, und zwar von uns allen, und einer ehrlichen Bestandsanalyse dahin gehend, dass auch mal die Mitgliedstaaten schuld daran sind, dass etwas nicht richtig läuft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist ein Anlass, den wir als Weckruf begreifen sollten – trotz der vielen spezifischen Faktoren, die bei den britischen Wählerinnen und Wählern eine Rolle gespielt haben. Es bleibt dabei, dass die Verhandlungen mit Großbritannien erst beginnen können, nachdem die britische Regierung ihre Absicht offiziell mitgeteilt hat. Für eine vertiefte Diskussion in Brüssel wird es heute und morgen also noch zu früh sein. Um Europa langfristig zusammenzuhalten, vor allem aber auch, um Europa langfristig zu stärken, müssen wir die Errungenschaften der europäischen Integration bewahren und verteidigen. Dazu müssen wir uns beim Jubiläumsgipfel in Rom zu unseren gemeinsamen Werten und Interessen bekennen. Denn trotz aller Rückschläge und Enttäuschungen, die wir gerade in den letzten Jahren erlebt haben, hat ein Satz aus der Berliner Erklärung, die wir zum 50. Jubiläum der Römischen Verträge im Jahre 2007 verabschiedet haben, für mich nichts, aber auch gar nichts von seiner Bedeutung eingebüßt. Ich zitiere: Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich verstehe diesen Satz allerdings auch als Ansporn. Er ist für mich ein Ansporn, die Herausforderungen entschlossen anzugehen, die eine Welt im Wandel für uns bereithält – eine Welt, die, wie wir auch schon oft gesagt haben, an vielen Stellen aus den Fugen geraten zu sein scheint. Dazu müssen wir die Europäische Union überall dort verbessern, wo sie dringend verbessert werden muss. In wichtigen gesamteuropäischen Fragen müssen wir schneller zu Entscheidungen kommen und diese konsequenter umsetzen. Wir müssen uns auf die Themen konzentrieren, für die ein Handeln auf europäischer Ebene tatsächlich besser geeignet ist als ein Handeln auf nationaler und regionaler Ebene. Dann wird Europa erfolgreich sein und seine Werte und Interessen behaupten können. Wenn wir das tun, dienen wir auch den Menschen. Nur das und nichts anderes hat uns zu leiten: dass wir den Menschen zu dienen haben. Das sind die Grundsätze, entlang derer ich mich beim Europäischen Rat und darüber hinaus für eine gute Zukunft einsetzen werde. Ich bitte dafür um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD – Drei Abgeordnete des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN in TShirts mit Aufschrift erheben sich) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich jetzt dem Kollegen Bartsch für die Fraktion Die Linke das Wort erteile, bitte ich die Kollegen mit diesen T-Shirts, sich entsprechend unserer Hausordnung aus dem Saal zu begeben und ohne T-Shirts gegebenenfalls wieder in den Saal zu kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei der LINKEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wären sie ja nackt! Wir wollen nicht, dass sie sich ausziehen!) Es wird im Übrigen, Herr Kollege Mutlu, nicht dadurch besser, dass Sie das zu einem Stilmittel erheben wollen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Gute Aktion!) Bitte sehr, Herr Kollege Bartsch. (Die angesprochenen Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN verlassen den Plenarsaal) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin ja dankbar, dass die Regierungserklärung um genau das Thema erweitert worden ist, auf das die drei Kollegen, die jetzt etwas mutlos den Saal verlassen, hingewiesen haben. Es geht um die Freiheit von Deniz Yücel. Es ist gut, dass sich der Ältestenrat so verständigt hat. Ich will auch ausdrücklich sagen: Ja, unsere Demokratie lebt von der Kontroverse, auch von der deutlichen Auseinandersetzung, aber es ist gut, dass es Punkte gibt, bei denen wir Gemeinsamkeiten haben. Deswegen, Herr Bundestagspräsident, bin ich Ihnen für Ihre fünf Punkte, die Sie hier erwähnt haben, sehr dankbar. Ich bin froh, dass wir in dieser Frage Konsens im Haus haben. Ich hätte mir im Übrigen gewünscht, dass die Bundesregierung diese Klarheit schon lange an den Tag gelegt hätte, so wie Sie in Ihren fünf Punkten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde besonders den Vergleich unseres Landes mit Nazideutschland völlig inakzeptabel. Das will ich noch einmal – ich hoffe im Namen des gesamten Hauses – hervorheben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bin aber genauso klar in der Positionierung, dass die Verhaftungen von über 150 Journalistinnen und Journalisten, die Verhaftungen von Oppositionspolitikern, darunter sogar Fraktionsvorsitzenden, die willkürlichen Verhaftungen im Staatsapparat und in der Armee nicht zu akzeptieren sind. Hier wird die Demokratie in der Türkei abgeschafft, zumindest aber der Rechtsstaat ausgehöhlt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir als Linksfraktion und -partei fordern die sofortige Freilassung von Deniz Yücel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dem Brief des Welt-Chefredakteurs ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Er ist ein Symbol geworden. Wir sehen jetzt in der Türkei deutlich, was schon seit Monaten zu beobachten ist. Mir scheint, dass das nur ein Vorgeschmack darauf ist, was passiert, wenn das Verfassungsreferendum im Sinne von Erdogan angenommen wird. Die Entscheidung über die Wiedereinführung der Todesstrafe liegt weiterhin auf dem Tisch. Das alles können wir nicht wollen. Ich will darauf verweisen, dass auch viele Türkinnen und Türken in unserem Land diese Politik ablehnen. Ich lese immer, dass sehr viele diese teilen würden. Nein, viele lehnen sie ab. Uns alle können diese Zuspitzungen zwischen der Türkei und Europa und Deutschland nicht gefallen. Wir erwarten von Ihnen, Frau Merkel, dass Sie mit den europäischen Staatschefs deutlich Kritik an Ankara üben, aber auch einen Plan entwickeln, wie man wieder zueinanderfinden kann, und zwar auf der Grundlage des Völkerrechts, der Menschenrechte, der Pressefreiheit und von allem, was dazugehört. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Hat sie gesagt!) Wenn Sie allerdings jetzt hier sagen, dass Sie in Klarheit agiert haben, dass Sie die Möglichkeiten ausgeschöpft haben, dann ist das wirklich weit weg von der Realität. Nutzen Sie doch endlich einmal Ihre Möglichkeiten. Machen Sie doch zum Beispiel das, was Ihr Vorgänger gemacht hat. Helmut Kohl hat 1992 die Waffenexporte in die Türkei eingestellt. Warum exportieren wir und andere europäische Länder weiterhin Waffen? Stellen Sie das ein. Machen Sie sich beim Europäischen Rat dafür stark. Das wäre eine Maßnahme. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Oder frieren Sie die Vorbeitrittshilfen für die Türkei ein. Das muss doch spürbar sein. Wir brauchen nicht nur Worte, sondern auch konkretes Handeln. Helmut Kohl sollte Ihr Maßstab sein. Nach einem Massaker hat er die Waffenlieferungen damals eingestellt. Sie machen auf diesem Gebiet aktuell gar nichts. Das ist so nicht zu akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hinzu kommt: Sie haben den Despoten doch erst starkgemacht. Kurz vor der Wahl sind Sie hingefahren. Das war nichts anderes als eine Wahlunterstützung. Europa hat sich mit dem Flüchtlingsdeal erpressbar gemacht, und Erdogan erpresst jetzt. Das ist der eigentliche Skandal, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn Sie jetzt zum Europäischen Rat fahren, so tun Sie dies – das haben Sie völlig zu Recht so beschrieben – in Zeiten der größten Krise. Alle schauen ängstlich auf die Wahlen, nach Frankreich und nach Holland. Aber diese Krise ist doch nicht vom Himmel gefallen. Dazu habe ich gerade Sätze mit einer Phrasendichte, die ich seit zehn Jahren kenne, gehört. Aber es ist doch die Union mit ihrem verantwortungslosen neoliberalen Diktat, die für die sozialen Verwerfungen in Europa gesorgt hat und die auch dafür gesorgt hat, dass die europäische Idee im Moment am Abgrund steht. Für die jetzige Situation tragen Sie eine Mitverantwortung. (Beifall bei der LINKEN) Sie sind über zehn Jahre Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Die Meldungen, die man jeden Tag vernimmt, verschlagen einem die Sprache. Nun werden in Europa sogar wieder Zäune errichtet. Die Situation in Ungarn ist eine Katastrophe. In Ungarn hat das Parlament diese Woche beschlossen, Flüchtlinge in Lagern zu halten. Viktor Orban sperrt mitten in der EU Menschen ein. Das ist rechtswidrig. Auf dem Gipfel muss die EU beschließen, dass gehandelt wird, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) Mittlerweile haben sich sogar die Vereinten Nationen eingeschaltet und die Situation in Ungarn scharf kritisiert. An dieser Stelle muss ich eines dazusagen: Dieser Orban ist gern gesehener und hofierter Gast bei der Regierungspartei CSU. Da ist doch irgendetwas nicht in Ordnung, wenn dieser Mann, der mitten in Europa Lager errichtet, bei der CSU gefeiert wird. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Sie sind doch die Partei mit dem Stacheldraht, Herr Bartsch!) In der Flüchtlingspolitik hat die EU versagt. Es gibt kein europäisches Agieren. Es gibt keine Solidarität der Regierungen. Sie haben keinen Plan, wie Sie Europa seine Menschlichkeit zurückgeben können. Es ist doch unfassbar, dass die Bilder, die wir alle im letzten Jahr gesehen haben – zum Beispiel das Bild des syrischen Jungen Aylan Kurdi am Strand von Bodrum –, so schnell in Vergessenheit geraten sind. Sie, Frau Merkel, haben im August 2015 gesagt: Diese Bilder mahnen uns, „das Thema der Migration schnell und im europäischen Geist, das heißt im Geist der Solidarität, anzugehen und auch Lösungen zu finden.“ Das ist jetzt fast zwei Jahre her. Und? Wo ist der Geist der Solidarität? Wo sind der europäische Geist und die europäischen Lösungen? Fehlanzeige. Schauen wir nach Griechenland. Die Bilder von Rentnerinnen und Rentnern und von Kranken, die auf der Straße leben, kennen wir alle. In den letzten Wochen und Monaten passierte dasselbe. Es ist das alte Muster, das wir schon einmal hatten: wieder Erpressung in Richtung Athen, wieder Erpressung in Richtung der griechischen Regierung. Das Ergebnis dieser Politik ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland nach wie vor bei über 50 Prozent liegt, und das seit Jahren. Dort wächst eine Generation der Hoffnungslosigkeit heran. Da kann man nicht sagen: Ja, aber die Arbeitslosigkeit ist doch ein bisschen zurückgegangen. – Nein, die Situation in den südlichen Ländern ist katastrophal, gerade im Hinblick auf die Jugendarbeitslosigkeit. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Rechtspopulisten erzielen beständig Zuwächse. Wenn wir in Europa nicht endlich umsteuern, werden wir in einem europäischen Albtraum erwachen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist der Neoliberalismus, der die extreme und populistische Rechte in Europa erst starkgemacht hat. Der Rechtspopulismus ist die dunkle Seite des Neoliberalismus. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber auch hier in Deutschland werden die Verwerfungen größer. Die Schere zwischen Arm und Reich ist größer geworden. Der Armutsbericht von letzter Woche ist die Rote Karte für die Politik der Großen Koalition. Wir haben auf der einen Seite obszönen Reichtum, und auf der anderen Seite sind 15,7 Prozent der Menschen in Deutschland von Armut bedroht. Das sind 13 Millionen Menschen, so viele wie in Nordrhein-Westfalen leben. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Das sind 18 Millionen!) Es sind Familien, vor allen Dingen Alleinerziehende und in besonderer Weise Frauen, die davon betroffen sind. Sie handeln innerhalb des Landes unzureichend, Stichworte Kinderarmut und Altersarmut. Notwendig wären ein Investitionsprogramm in Deutschland und ein europäisches Investitionsprogramm, statt weiter die Märkte mit billigem Geld zu fluten. Das wären die richtigen Maßnahmen. Dafür müssten Sie sich einsetzen. (Beifall bei der LINKEN) Aber was machen Sie? Sie wollen lieber mehr Geld in Rüstung und Kriegsgerät stecken. Als das 2-Prozent-Ziel vereinbart worden ist, habe ich gedacht, es ist so ernst zu nehmen wie im Hinblick auf die Entwicklungspolitik eine ODA-Quote von 0,7 Prozent. Hier agieren Sie aber wirklich. Sie wollen 20 bis 30 Milliarden Euro mehr für Rüstung ausgeben. Mehr Verantwortung? Ja, damit bin ich einverstanden. Aber mehr in Rüstung investieren? Das ist doch eine Wahnsinnsidee! Was hat das denn mit der Bekämpfung von Fluchtursachen zu tun? Überhaupt nichts! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Geben Sie mehr Geld für die Entwicklungspolitik und den Klimaschutz, aber doch nicht für mehr Rüstung! Das ist doch der völlig falsche Weg. Was ist denn mit dem Satz „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen“? Das, was hier gemacht wird, ist doch das Gegenteil. (Beifall bei der LINKEN) Ja, Europa ist in der größten Krise: Rechtspopulismus, Jugendarbeitslosigkeit, Finanzkrise. Frau Merkel, Sie sind seit über zehn Jahren Bundeskanzlerin, und deshalb tragen Sie für diese Krise relevant Verantwortung. Deswegen brauchen wir in der zentralen Industriemacht Europas einen Politikwechsel: Damit der soziale Zusammenhalt im Land wiederhergestellt wird und das große Projekt Europa nicht scheitert. Das ist ein Friedensprojekt gewesen und wird jetzt gefährdet. (Beifall bei der LINKEN) Damit uns unsere Kinder und Enkel nicht irgendwann einmal fragen, was wir damals gemacht haben, ist jetzt Handeln und sind jetzt nicht nur salbungsvolle Worte angesagt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In zwei Wochen jährt sich zum 60. Mal die Unterzeichnung der Römischen Verträge. Es ist keine Frage: Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war eine Zeitenwende. Sie war der Grundstein für die Europäische Union und die europäische Antwort auf den jahrhundertelangen Nationalismus, der unendlich viel Krieg, Zerstörung und Unterdrückung hervorgebracht hat. Die Europäische Union hat uns jetzt 60 Jahre lang stabile Demokratien, Freiheit, Wachstum, Wohlstand und vor allen Dingen Frieden beschert. Deshalb sage ich: Welche Mängel diese Union auch immer haben mag, wir müssen alles dafür tun, dass diese weltweit einzige Form der transnationalen Zusammenarbeit erhalten bleibt, und sie gegen alle Angriffe von innen und von außen verteidigen; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn heute droht eine erneute Zeitenwende. Dass jetzt auch der amerikanische Präsident die EU angreift, ihre Gegner unterstützt und ihre Werte infrage stellt, konnten wir uns bisher nicht vorstellen. Es passt aber offenkundig nicht in das Weltbild von Donald Trump, dass 27 prinzipiell gleichberechtigte Nationen ihre Probleme gemeinsam lösen und ihre Interessen ausgleichen wollen. Das ist das exakte Gegenteil von „America First“. Amerika zuerst, Frankreich zuerst, wer auch immer zuerst: Dieser Neonationalismus kann kein Modell für das gute Zusammenleben der Völker im 21. Jahrhundert sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn jeder nur noch auf seine eigenen Interessen schaut, dann werden am Ende alle verlieren. Gefahr droht der Europäischen Union aber nicht nur von außen, sondern durch nationalistische und rechtspopulistische Parteien auch von innen. In Polen und Ungarn sind Jaroslaw Kaczynski und Viktor Orban dabei, Grundwerte wie die Pressefreiheit und eine freie Justiz zu demontieren, und der Umgang mit Flüchtlingen in Ungarn, der im Augenblick praktiziert wird, ist indiskutabel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich muss an dieser Stelle auch erwähnen: Gerade kam die Meldung, dass Polen damit droht, den EU-Gipfel platzen zu lassen, wenn kein rechtskonservativer Pole, sondern der liberale Donald Tusk zum EU-Ratspräsidenten gewählt wird. Ich finde, das ist peinlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Überall in Europa propagieren diese Kräfte Abschottung und nationales Denken. Die EU war noch nie in ihrer Geschichte so unter Druck. Von außen zeigen Putin und Trump ein unverhohlenes Interesse daran, Europa auseinanderzutreiben. Von innen warten Le Pen und Wilders darauf, ihnen dabei zu helfen. In diesen Tagen haben viele ein Interesse daran, die Europäische Union zu schwächen. Die Einzigen, die kein Interesse daran haben können, das sind die Menschen in Deutschland und Europa. Deshalb darf Europa, dürfen wir nicht zulassen, dass Europa von innen zerbricht, noch dass es von außen gespalten wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich finde, wir müssen jetzt mit mehr Mut für Europa kämpfen – so wie es zum Beispiel eine Bewegung macht, die sich „Pulse of Europe“ nennt. In über 35 Städten in Deutschland demonstrieren jetzt jeden Sonntag Menschen für Europa: (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Familien, Jüngere ebenso wie Ältere. Das sind noch kleine Gruppen. In meiner Heimatstadt Göttingen haben letzten Sonntag 150 Personen teilgenommen. Es werden aber von Woche zu Woche mehr. Das kann eine richtige Graswurzelbewegung werden. Und das Bemerkenswerte daran ist: Sie demonstrieren nicht gegen etwas, sondern, lieber Volker, sie demonstrieren für etwas, für die Europäische Union, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) für die Vorzüge eines offenen Europas, für Reisefreiheit, für eine Sicherheit gebende Gemeinschaft im Weltgefüge. Wir haben im letzten Jahr in dieser Gesellschaft eine Politisierung von rechts erlebt. Was wir jetzt erleben, ist eine Politisierung derjenigen, die sich die Demokratie und Europa nicht kaputt machen lassen wollen. Und genau eine solche positive Kraft brauchen wir, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Viele haben erkannt, dass der Kampf um den Erhalt der liberalen Demokratien, der sozialen Marktwirtschaft und einer Gesellschaft, die auf Toleranz und Respekt beruht, eben nur mit einem funktionierenden Europa gewonnen werden kann. Meine Damen und Herren, ich war letzte Woche in London und hatte Gelegenheit, dort mit jungen Menschen über den Brexit zu diskutieren. Viele von ihnen glauben, dass sich ihr Leben dadurch zum Schlechteren verändern wird. Sie sehen ihre Chancen und Hoffnungen bedroht, aber sie wissen natürlich auch, dass das Referendum politische Fakten geschaffen hat. Der Antrag Großbritanniens wird kommen. Das ist ohne Zweifel ein großer Verlust für die Europäische Union. Natürlich muss die Freundschaft zwischen Deutschland und Großbritannien auch nach dem Brexit fortbestehen. Das bedeutet übrigens für mich auch, dass möglichst schnell für die 3 Millionen EU-Bürger in Großbritannien Rechtssicherheit geschaffen werden muss. Die britische Regierung kann die EU-Mitgliedschaft abwickeln. Was man aber nicht abwickeln kann, sind Menschen, die auf ihre EU-Bürgerschaft vertraut haben. (Beifall bei der SPD) Das gilt natürlich genauso für die über 1 Million britischen Staatsbürger, die in der EU leben. Ich finde, wir müssen diesen Menschen schnell sagen können, dass sie ihren Status behalten. Im Übrigen sollte klar sein: Wir wollen faire Verhandlungen, keine Sonderbehandlung Großbritanniens. Die Leitlinie für die Brexit-Verhandlungen muss die Einheit der Europäischen Union sein. Die vollen Vorteile des Binnenmarktes bleiben untrennbar verbunden mit den vier Grundfreiheiten der Europäischen Union; denn die EU ist eine Partnerschaft mit Rechten und Pflichten und kein Selbstbedienungsladen, aus dem sich jeder das nehmen kann, was ihm gefällt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Meine Damen und Herren, die Situation in der Türkei ist bestürzend. Über 100 000 Menschen wurden im letzten Jahr aus dem Staatsdienst entlassen. Jeder, der eine andere Meinung hat, muss Angst haben, verhaftet zu werden. Über 100 Journalisten – unter ihnen Deniz Yücel – und die Führung der Opposition sitzen im Gefängnis. Vor diesem Hintergrund ist es für mich ein absoluter Widerspruch, wenn sich jetzt Präsident Erdogan und türkische Minister in Deutschland auf die Meinungsfreiheit berufen, während sie gleichzeitig die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei mit Füßen treten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch wenn es für viele schwer erträglich ist, dass in Deutschland türkische Regierungsmitglieder für eine Verfassungsreform werben, mit der die weitgehende Abschaffung der parlamentarischen Demokratie verbunden ist, plädiere ich trotzdem dafür, nicht allgemeine Einreiseverbote oder Redeverbote zu verhängen; denn Erdogan sucht mit diesen schrillen Provokationen doch nur die direkte Auseinandersetzung mit Deutschland. Er sucht ein Feindbild und will die nationalen Emotionen der türkischen Landsleute für seine umstrittene Verfassungsreform mobilisieren. Ich finde, dabei sollten wir ihm nicht helfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Oppermann, darf der Kollege van Aken eine Zwischenfrage stellen? Thomas Oppermann (SPD): Ja, gern. Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Oppermann, vielen Dank. – Ich bin ganz bei Ihnen: Auch ich finde es richtig, dass wir in Deutschland unsere Freiheitsrechte hochhalten und türkische Politiker hier reden sollten. Aber meine Frage an Sie ist: Sind Sie nicht auch der Meinung, dass nach all den Worten, auch den guten Worten, die in den letzten Tagen von der Bundesregierung gekommen sind, endlich konkretes Handeln kommen muss? Denn ohne konkretes Handeln wird sich kaum etwas verändern. Ich denke zum Beispiel an die deutsch-türkische Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Die Vorstellung, dass Deniz Yücel von einem türkischen Polizisten, der vielleicht von einem Deutschen ausgebildet wurde, festgenommen wurde, finde ich fürchterlich. Um es mit Blick auf den Sicherheitsbereich noch konkreter zu machen: Sie wissen, dass an zwei Standorten in der Türkei Soldaten der Bundeswehr stationiert sind, nämlich in Incirlik und in Konya. Es war Ihre Partei, die im Herbst letzten Jahres ganz klar gesagt hat: Solange Abgeordnete dieses Parlamentes die Bundeswehrsoldaten in der Türkei nicht besuchen dürfen, so lange kann die Bundeswehr dort nicht bleiben. Die Soldaten müssen abgezogen werden. Nun herrscht seit fünf Monaten ein faktisches Besuchsverbot für Incirlik. Gestern hat mir die türkische Regierung wieder untersagt, Konya zu besuchen. Finden Sie nicht auch, Herr Oppermann, dass Sie zu dem stehen sollten, was Sie im letzten Herbst gesagt haben: „Solange Besuche von Parlamentariern aus diesem Hause nicht möglich sind, kann die Bundeswehr nicht weiter aus der Türkei operieren“? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Thomas Oppermann (SPD): Wir sind mit der Türkei in der NATO verbunden. Deshalb arbeiten wir mit ihr zusammen. Wir werden diese Zusammenarbeit nicht aufkündigen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die Parlamentsrechte sind Ihnen egal?) Das wäre falsch, weil das jetzt dazu führen würde, dass der Gesprächsfaden abreißen würde. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee!) Es gibt auch gemeinsame Interessen bei der Bekämpfung des Terrorismus. Die Terrorakte, die in der Türkei passieren, sind ein Angriff auf die türkische Bevölkerung; auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden. Diese lehnen wir auf das Schärfste ab. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Was hat das mit der Bundeswehr zu tun?) Was die Besuchsrechte der Abgeordneten angeht, bin ich der Meinung: Diese müssen wir durchsetzen. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wie denn?) Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir können diese Besuchsrechte durch weitere Gespräche, die nötig sind, durchsetzen. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie, wie!) Die Türkei muss akzeptieren, dass die in der Türkei stationierten Soldaten vom Parlament dorthin geschickt worden sind. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Oppermann, das ist ein ziemliches Gestottere!) Deshalb bin ich dafür, weiter daran zu arbeiten, dass diese Besuchsrechte umgesetzt werden können. – Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich!) An einer weiteren Eskalation der Emotionen, Herr van Aken, und weiteren Druckmitteln können wir auch deshalb kein Interesse haben, weil diejenigen, die darunter am meisten leiden werden, die türkischstämmigen Menschen in Deutschland sind. Auf deren Rücken wird das nämlich abgeladen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb bin ich dem Außenminister Sigmar Gabriel, aber auch Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dafür dankbar, dass Sie klargemacht haben: Die in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken sind Teil dieses Landes. Sie bauen Brücken zwischen diesen Ländern. Diesen Menschen müssen wir gerecht werden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber klar muss auch sein: Die Nazivergleiche sind hanebüchen und absurd. Die türkischen Regierungsmitglieder sollten diesen Unsinn sofort beenden. Wir sollten nicht müde werden, die Freilassung der inhaftierten Journalisten und der anderen zu fordern, die inhaftiert sind, weil sie in Opposition zu dieser Regierung stehen. Die Türkei muss wieder auf einen demokratischen Weg zurückkehren, sonst kann sie kein enger Partner von Deutschland und Europa bleiben. Meine Damen und Herren, die neue amerikanische Administration hat, jedenfalls zuletzt, erklärt, dass sie an der NATO festhalten will. Aber die leichtfertigen Äußerungen von Donald Trump über die NATO zeigen uns eines ganz deutlich: Wir werden in Europa in Zukunft mehr für die eigene Sicherheit tun müssen. Dazu werden auch wir Deutschen beitragen. Aber dass wir in Deutschland die Verteidigungsausgaben um 25 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen, um dem 2-Prozent-Ziel der NATO nachzukommen, das halte ich für absolut unrealistisch. Das wäre eine massive Aufrüstung. In einen solchen Rüstungswettlauf sollten wir nicht eintreten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei den Verteidigungsausgaben kann es doch nicht darum gehen, die Masse und das Volumen zu steigern, sondern es muss doch vor allem darum gehen, welche Fähigkeiten wir brauchen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Diese Fähigkeiten dürfen wir nicht im nationalen Alleingang, sondern müssen wir in Europa gemeinsam organisieren. Meine Damen und Herren, es wäre im Übrigen zu kurz gedacht, allein mit höheren Verteidigungsausgaben mehr Sicherheit in Europa zu schaffen. Wir müssen Sicherheit umfassender denken. Wenn wir die Konflikte und Kriege in unserer Umgebung befrieden wollen, dann dürfen nicht Waffen im Vordergrund stehen, sondern dann müssen wir an die materiellen Probleme heran, die häufig hinter diesen Konflikten stehen. Da sage ich: Die Höhe der Entwicklungsausgaben ist ein guter Indikator für die künftige Sicherheit. Wenn wir jetzt mehr Geld für Verteidigung ausgeben, dann bin ich entschieden dafür, dass wir dann auch, sozusagen im Gleichschritt, mehr Geld für humanitäre Hilfe und für wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgeben. (Beifall bei der SPD) Ich hatte in München die Gelegenheit, mit dem UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi zu sprechen, der sich wünscht, dass Deutschland auch im Jahr 2017 die humanitäre Hilfe der UN wieder so stark unterstützt wie 2016. Genau das machen wir auch. Deutschland ist mit 360 Millionen Euro nach den USA der zweitgrößte Geber für das Flüchtlingshilfswerk. Ich muss ganz ehrlich sagen: Dass der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen jedes Jahr herumgehen muss, um das nötige Geld für die Versorgung der Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern mit dem Allernötigsten einzuwerben, das ist unwürdig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Wir haben bei Friedensmissionen einen Finanzierungsmechanismus, der automatisch funktioniert. Einen solchen Mechanismus brauchen wir auch beim UN-Flüchtlingshilfswerk. Ich halte das für überfällig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, angesichts der Wiederkehr des Nationalismus war es noch nie so wichtig wie heute, dass Europa in einer solidarischen Gemeinschaft weiter zusammenhält. Dieses Prinzip der Solidarität muss Europa auch in Zukunft auszeichnen: bei der Aufnahme von Flüchtlingen, bei unserer gemeinsamen Sicherheit und natürlich auch bei der Bewältigung der Euro-Krise. Allein diese Aufzählung zeigt: Es gibt kein Land in der Europäischen Union, das keine Unterstützung braucht, genauso wenig wie es ein Land gibt, das nicht etwas geben könnte. Die Europäische Union lebt vom Geben und Nehmen und nicht vom „Ich zuerst!“. Deshalb sage ich: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass das auch in Zukunft so bleibt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun der Kollege Cem Özdemir das Wort. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im September 1946 geschah etwas Erstaunliches: Gerade einmal ein Jahr war vergangen seit dem schrecklichsten Krieg aller Zeiten mit 60 Millionen Kriegstoten und dem Holocaust mit 6 Millionen Opfern. Europa war noch immer ein Trümmerfeld. Genau in einer solchen Situation ruft Winston Churchill, zwischenzeitlich Oppositionsführer im Unterhaus in Großbritannien, die „Vereinigten Staaten von Europa“ aus. Man höre und staune: Zentrale Akteure dieser „Vereinigten Staaten von Europa“ sollten die einstmaligen Erzfeinde Frankreich und Deutschland sein. Was sich damals wie eine wilde Utopie anhörte, ist heute längst Realität. Nein, wir haben nicht die Vereinigten Staaten von Europa, aber wir können bald 60 Jahre Römische Verträge und damit 60 Jahre europäische Integration feiern. Ich finde, liebe Freundinnen und Freunde, das ist ein freudiger Anlass. Bei allen schlechten Nachrichten, die wir in diesen Tagen haben, sollten wir nicht vergessen, was wir da zu feiern haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) In diesen 60 Jahren haben viele Menschen, nicht nur bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in der ganzen Europäischen Union, ein großartiges Europa aufgebaut, mit Demokratie, mit Menschenrechten und mit Freiheit – mit Werten, die am Ende triumphiert haben. Die Zeiten der Diktaturen sind in Südeuropa vorbei, aber sie sind Gott sei Dank auch in Osteuropa vorbei, genauso wie der Eiserne Vorhang Geschichte ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wir haben mittlerweile – das sage ich mit Stolz – ein Europa der offenen Grenzen innerhalb der EU, wir haben ein Europäisches Parlament, eine direkt gewählte Volksvertretung, wir haben eine Unionsbürgerschaft – alles Dinge, auf die wir stolz sein können, alles Dinge, die wir aber auch verteidigen müssen, damit es sie morgen noch gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Eigentlich sollte jede Kollegin und jeder Kollege, die bzw. der an diesem Pult hier reden darf, als Deutsche bzw. als Deutscher reden, aber sie bzw. er sollte immer auch zugleich als überzeugte Europäerin bzw. Europäer reden; denn man kann nur guter deutscher Staatsbürger sein, wenn man gleichzeitig auch überzeugter Europäer ist und das in seinem Handeln und in seiner Sprache deutlich macht. Auch das wäre sehr wichtig für den Zusammenhalt der Europäischen Union. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber – das gilt für jedes Projekt, das man liebt, für jedes Projekt, das einem wichtig ist – es gehört Ehrlichkeit dazu. Das heißt: Europa kann nur erfolgreich sein, wenn es dynamisch bleibt, wenn wir selbstkritisch sind, wenn wir anpassungsfähig sind und wenn wir auch nicht den Reformwillen verlieren. Darum ist es erforderlich, angesichts der Angriffe von innen wie von außen zu reagieren. Zu den Angriffen muss man sagen: Dass diese von Herrn Putin kommen, gut, daran haben wir uns gewöhnt. Dass er uns und der Europäischen Union nicht gut gesinnt ist, das wissen die meisten hier, vielleicht bis auf einige wenige. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Aber dass jetzt noch dazu der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika kommt, ist etwas, was ich mir zumindest in meiner Schulzeit nicht hätte vorstellen können. Aber das kann doch nicht heißen, dass wir uns jetzt hier den ganzen Tag erzählen, wie schlimm die Welt ist, sondern daraus kann es doch nur eine Konsequenz geben, nämlich dass wir uns mit allen Kräften darum kümmern, dass das vornehmste Ziel der deutschen Außenpolitik Europa sein muss, die Europäische Union sein muss, ein starkes, ein handlungsfähiges Europa sein muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Ich will nicht, dass wir, wenn wir in 120 Jahren hoffentlich erneut die Römischen Verträge feiern, Austrittsschreiben im Briefkasten der Europäischen Union haben. Ob wir die bekommen oder ob wir sie nicht bekommen, das liegt eben auch an uns. Da will ich schon sagen: Ich hätte in den vergangenen Jahren Ihrer Kanzlerschaft, Frau Merkel, gerne etwas von Ihnen darüber gehört, wie Sie sich Europa vorstellen, wie Ihre Vorstellung von Europa ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da hätten Sie mal zuhören sollen!) Wenn man nicht führt, wenn man nicht erklärt, dann macht man sich weniger angreifbar – natürlich ist das einfacher; das verstehe ich schon –, dann polarisiert man nicht so. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Führen Sie mal Ihre eigene Partei ein bisschen!) Nur, das Problem ist: Es gibt in der Politik kein Vakuum. Das Vakuum wird immer gefüllt, und wenn wir als Demokraten es nicht füllen, dann füllen es die Populisten. Ich will aber nicht, dass die Populisten uns sagen, wie es mit Europa weitergehen soll, sondern wir müssen sagen, was mit Europa passiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Michelle Müntefering [SPD]) Auch das will ich sehr klar sagen: Wer glaubt, dass Europa zu einem reinen Binnenmarkt zurückentwickelt werden kann, der ist nicht nur naiv, sondern der hat Europa bereits abgeschrieben. Die Römischen Verträge, die die Gründungsmütter und Gründungsväter wollten, sind eben nicht bloß reine Handelsverträge gewesen; ihnen ging es immer um eine große europäische Idee. Machen wir uns doch nichts vor: Auch wir Deutsche mit all unserer wirtschaftlichen Stärke sind am Ende des Tages zu klein, um die Probleme, über die wir hier regelmäßig im Parlament reden, ob es die Terrorbekämpfung ist, ob es der Kampf gegen den Klimawandel ist, ob es der Kampf gegen Epidemien oder der Einsatz für Demokratie ist, zu lösen. Dafür brauchen wir die anderen Partnerinnen und Partner; aber dann muss man auch mit den Partnern so umgehen, dass die Partnerschaft erfolgreich wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Spinrath [SPD]) Darum hätte ich gerne von Ihnen gehört, dass Sie sagen: Nur wenn es den europäischen Nachbarn gut geht, dann geht es uns Deutschen gut. Das muss künftig das Narrativ der deutschen Europapolitik sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau das hat sie gesagt! – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Davon war doch die Rede!) – Wir werden es gleich sehen, meine Damen und Herren. Ich hätte gerne einmal etwas darüber gehört, dass über 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland und Spanien eben nicht nur ein griechisches und spanisches Problem sind, sondern dass das auch ein Problem der deutschen Innenpolitik ist, meine Damen und Herren; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn wenn die Zukunftshoffnungen der Menschen in Europa verloren gehen, dann gehen sie regelmäßig leider nicht zu den Demokraten, sondern dann gehen sie oft zu den Populisten, und das führt uns nicht weiter. Meine Damen und Herren, wenn man über Europa spricht, dann muss man eben auch über Sozialpolitik sprechen. Dann muss man darüber sprechen, dass ein Europa, das zukunftsfähig ist, nur ein gerechtes Europa sein kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und ein gerechtes Europa, das bekommen wir nur, wenn wir verstehen, was jeder Unternehmer weiß: Man kann sich in der Krise eben nicht nur raussparen, sondern in der Krise muss man auch investieren, damit der Rubel wieder rollt, (Lachen bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Rubel soll nicht rollen!) damit die Wachstumszahlen steigen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Rubel eben nicht!) und damit Arbeitsplätze geschaffen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Ich freue mich auch – Kollege Oppermann hat es angesprochen –, dass wir mittlerweile an jedem Wochenende Menschen sehen, junge Menschen, die in europäischen Städten auf die Straßen gehen und sich versammeln, und es werden Woche für Woche mehr. Das Motto „Pulse of Europe“, unter dem sie sich versammeln, bedeutet: Wir alle sind für die Zukunft Europas verantwortlich, jeder und jede von uns. Wissen Sie, ich bin ja jetzt lange genug dabei, dass ich immer so ein bisschen darauf warte: Wann kommt eigentlich „die bösen Europäer, die Bösen in Brüssel“? Ich finde es großartig, dass die das nicht sagen. Die sagen nicht nur nicht: „Die anderen sind schuld“, sondern sie sagen: Wir sind, jeder von uns ist Europa. Jeder von uns hat es in der Hand, wie Europa aussieht. – Ich finde, wir sind diesen jungen Menschen zu großem Dank verpflichtet. Den Enthusiasmus, den ich mir hier wünschen würde, finden wir auf den Straßen bei den jungen Menschen, meine Damen und Herren, und das tut gut. Es tut gut, in diesen Tagen diesen Enthusiasmus zu hören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich gestatte mir jetzt einen Exkurs, weil es ja hieß: Wir sollten türkische Politiker hier reden lassen. – Dazu sage ich gleich etwas. Aber, Herr Oppermann, wenn türkische Politiker hier reden dürfen, dann ist es natürlich schwierig, zu begründen, warum dann ein Herr Orban nicht bei der CSU zu Gast sein soll. Da ist ja eine gewisse Logik. Also, laden Sie ihn von mir aus ein. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Der Vergleich ist wirklich schräg!) Aber wenn Sie ihn einladen, dann sagen Sie ihm bitte, wie Asylpolitik in Europa auszusehen hat, und dann sagen Sie ihm bitte etwas über europäische Werte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Erzählen Sie ihm doch etwas von Ihren CSU-Bürgermeistern vor Ort, die eine ganz großartige Politik machen. Das würde ich mir wünschen: nicht nach dem Mund reden, sondern Klartext! Jetzt will ich doch noch etwas zur Türkei sagen. Meine Damen, meine Herren, ich höre in diesen Tagen immer: Wir brauchen die Türkei. – Klar. Wer könnte da widersprechen? Aber gerade jetzt ist es wichtig, zu sagen, dass die Türkei auch uns braucht! Es ist doch nicht so, dass die Bundesrepublik Deutschland und Europa Mitglied in der Türkei werden wollen. Die Türkei will Mitglied in der Europäischen Union werden. Da wäre es doch vielleicht auch ganz gut, wenn man mal sagt, wer sich wem anzupassen hat und wer sich an wessen Normen orientieren muss. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Auch das hat sie gesagt, sehr deutlich sogar! Haben Sie es nicht gehört? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU) Meine Damen, meine Herren, als wir Teil dieser Bundesregierung mit der Sozialdemokratie waren und die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei geführt haben, da war die Türkei auf dem Reformweg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben damals Beitrittsverhandlungen initiiert und haben eine reformorientierte Türkei unterstützt, in der Eigentum an Christen zurückgegeben wurde, in der über die kurdische Frage gesprochen werden konnte und in der die Folter bekämpft wurde. Sie haben eine Türkei, die sich in die gegenteilige Richtung entwickelt hat, auf einmal auf Ihrer Karte nicht nur wiederentdeckt durch den Flüchtlingsdeal, sondern Ihnen konnte es mit den Beitrittsverhandlungen nicht mehr schnell genug gehen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Ich gestehe, es überfordert mich intellektuell, zu verstehen, wie die Türkei-Logik dieser Regierung funktioniert. Vielleicht liegt es daran, dass es in der Frage der Türkei bei Ihnen gar keine Logik gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber ich wollte gar nicht so polemisch sein. Sie haben mich einfach dazu provoziert. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist aber eigentlich unter Ihrem Niveau!) Lassen Sie mich zur Türkei Folgendes sagen: Alle haben gesagt, dass diese Vorwürfe aus der Türkei mit dem Nazivergleich absurd sind, dass sie eigentlich so absurd sind, dass man gar nicht darauf antworten muss. Ich finde, die beste Antwort geben unsere Lehrerinnen und Lehrer in der Bundesrepublik Deutschland, die im Geschichtsunterricht, aber auch in anderen Fächern das Narrativ unseres Landes „Nie wieder Auschwitz!“ unseren Kindern gemeinsam beibringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht nehmen wir das sogar zum Anlass, zu überlegen, wie wir das künftig vermitteln in Gesellschaften, in Schulklassen, die bunt zusammengewürfelt sind, da es ja leider immer weniger Überlebende des Holocaust gibt, die in die Schulklassen kommen. Ich hatte das Glück, dass ich eine Überlebende in meiner Schulklasse erlebt habe. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mich das beeindruckt hat als jemanden, der so etwas zu Hause nie gehört hat. Vielleicht müssen wir das künftig gemeinsam so weiterentwickeln, dass wir in interkulturellen Klassen gerade ganz besonderen Wert darauf legen, dass dieses „Nie wieder Auschwitz!“ gelehrt wird, aber auch die Verantwortung aufgezeigt wird, die daraus erwächst: dass man das nur umsetzen kann, wenn man sich nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Welt dafür einsetzt, dass Diktaturen keine Chance haben, dass Unterdrückung von Menschen gemeinsam bekämpft wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen, meine Herren, ich will Ihnen mit Blick auf diese Debatte einen konstruktiven Vorschlag machen: Lassen Sie uns aufhören, zu streiten, ob türkische Politiker hier reden sollen oder nicht! Dazu haben wir jetzt einiges gehört. Sie sollen in Gottes Namen hier reden; sie sollen sehen, was für ein großartiges Land dies ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: In Gottes Namen nicht! – Weitere Zurufe) – In Gottes Gnade. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch nicht!) – Herr Kauder, ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie Sie sich von dem C im Namen Ihrer Partei absetzen. Aber sei es drum; das machen Sie dann mit Ihren Wählern aus. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das diskutieren wir nachher aus. Ich habe mich schon ein paarmal gewundert, wie Sie sich da weiterentwickeln. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich setze mich vom C nicht ab!) Wenn sich Ihre Wähler heimatlos fühlen sollten: Ich hätte da bei uns eine Heimat anzubieten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: So wird das nix mit den Grünen!) Aber zurück zum Thema. – Wenn türkische Politiker hier auftreten, dann erwarte ich von ihnen zumindest eine Geste des guten Willens in unsere Richtung, dass sie deutlich machen, dass beispielsweise Deniz Yücel freigelassen gehört, dass beispielsweise auch der Oppositionsführer Selahattin Demirtas freigelassen gehört; (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) der gehört nicht ins Gefängnis, sondern ins Parlament, damit man sich mit ihm darüber streiten kann, wie die Richtung der Türkei künftig sein soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) An die Adresse des türkischen Staatspräsidenten: Man ist nicht stark, wenn man Oppositionelle einsperrt. Man ist nicht stark, wenn man Angst vor Journalisten hat, weil sie kritische Fragen stellen könnten. Man ist nicht stark, wenn man Medien mit Rollkommandos niedermacht, weil man Angst vor ihren kritischen Berichten hat. Ich finde, man merkt dem türkischen Staatspräsidenten an, dass er Angst hat, das Referendum zu verlieren. Wir sollten alles dafür tun, dass er es verliert. (Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Das wäre eine gute Nachricht für die Demokratie in der Türkei und eine gute Nachricht für das deutsch-türkische Verhältnis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wenn also türkische Politiker – in unser aller Namen, Herr Kauder – hier Kundgebungen machen wollen, dann sollen sie sie machen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es richtig!) Dann lade ich Sie ein: Machen wir gemeinsam eine Gegenkundgebung – an der Seite der Türkischen Gemeinde, an der Seite der Alevitischen Gemeinde, an der Seite der vielen demokratischen türkischen, kurdischen Organisationen – und zeigen wir, was für eine großartige Demokratie, was für eine großartige Meinungsfreiheit wir hier haben! Ich glaube, das wäre ein klares Signal Richtung Ankara und würde dort der Opposition helfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage ein Weiteres: Wir sollten aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Wir haben die öffentlich-rechtlichen muttersprachlichen Angebote zurückgefahren, weil wir gesagt haben: Die Leute schauen doch sowieso Fernsehen aus Russland oder aus der Türkei oder von anderswo. – Das rächt sich jetzt. Deshalb schlage ich vor: Machen wir doch so etwas wie ein deutsch-türkisches Arte! Stärken wir Angebote in der Muttersprache, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber, bitte schön, rechtsstaatlich, ohne Erdogan-Propaganda bei uns! Die braucht keiner; die will keiner. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Ich will noch etwas sagen, nicht nur an den Bund gerichtet, sondern auch an die Länder: Ein Spitzelnetzwerk à la Erdogan kann in der Bundesrepublik Deutschland nirgendwo akzeptiert werden: (Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) in keiner Moschee, in keinem Kaffeehaus, bei keinem Imam, bei keinem türkischstämmigen Lehrer. Da haben wir auch eine Verantwortung für die Demokraten in der türkischen Community. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann geht mal ran in NRW!) Sie müssen sich sicher sein, dass sie hier sicher sind und dass sie den Schutz unserer Gesetze genießen. Hier muss niemand Angst haben, meine Damen und Herren, vor dem langen Arm Erdogans. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Zum Schluss will ich mich an die Deutschtürken bei uns in der Bundesrepublik Deutschland wenden: Unsere Demokratie ist nicht dazu da, in der Türkei eine Diktatur zu errichten. Deshalb sagt bitte Nein zu Erdogans Verfassungsänderung! Nehmt den Menschen in der Türkei nicht die Freiheit, die ihr hier in unserem Land gemeinsam mit uns genießt! Danke sehr. (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Volker Kauder hat nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenige Wochen vor dem wichtigen Jubiläum der Unterzeichnung der Römischen Verträge, die dieses Europa so bedeutend gemacht haben, müssen wir feststellen, dass dieses Europa in keinem guten Zustand ist. Es liegt nicht an Europa, an den europäischen Institutionen, dass dieses Europa in keinem guten Zustand ist. Vielmehr sind es die Mitgliedstaaten, die dieses Europa in diese schwierige Situation bringen. Wenn wir darüber sprechen, was sich in Europa verändern muss, kann sich der Blick deswegen nicht nur auf Kommission und Europäisches Parlament richten, sondern er muss sich natürlich auch automatisch auf einzelne Staaten in Europa richten. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Zum Beispiel Deutschland!) Insofern ist es natürlich nicht ganz einfach, von diesem Pult aus, von diesem Parlament aus, vonseiten dieser Regierung öffentlich wohlfeile Ratschläge zu erteilen. Das alles macht es nicht ganz so einfach, Herr Özdemir, von diesem Pult aus zu etwas aufzufordern. Es ist richtig, dass wir in Europa miteinander gemeinsame Positionen vertreten müssen. Genauso wichtig ist aber, dass wir alle mitnehmen. Ständige öffentliche Belehrungen sind dabei nicht hilfreich, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was ist stattdessen zu tun? Es sind gemeinsame Projekte zu entwickeln, um diesem Europa wieder Mut, Zuversicht und Kraft zu geben. Bei diesem gemeinsamen Entwickeln von Zukunftsprojekten ist es gerade die Bundesrepublik Deutschland, die immer wieder neue Ideen einbringt. Herr Özdemir, wenn Sie genau zuhören würden, hätten Sie gehört, dass die Bundeskanzlerin nicht gesagt hat: „Hauptsache, Deutschland geht es gut“, sondern dass sie auf genau diese Abhängigkeit zwischen der guten Situation in Deutschland und der guten Situation in Europa hingewiesen hat – ich zitiere jetzt ihren Satz –: Das ist … gar nicht hoch genug einzuschätzen in seiner Bedeutung, weil natürlich zwischen einer guten Zukunft bei uns in Deutschland und einer guten Zukunft in Europa ein direkter Zusammenhang existiert. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit ist klar ausgedrückt worden, dass wir genau wissen, dass wir nur gemeinsam, miteinander, in diesem Europa vorankommen können. Aber damit muss auch klar sein, dass es gemeinsame Grundsätze geben muss. Wenn wir davon sprechen, dass es in Europa Herausforderungen gibt, beispielsweise die Jugendarbeitslosigkeit, beispielsweise die Arbeitslosigkeit, beispielsweise Wachstum, dann muss man sich auch fragen: Warum läuft es in einigen europäischen Ländern schlecht, und warum läuft es vor allem in Deutschland gut? Da haben Sie doch in Ihrer Regierungszeit etwas getan, was in Ordnung war. Insofern kann man fragen: Wo liegt der Unterschied? In Deutschland sind die Reformen gemacht worden, die notwendig waren, um wieder Wachstum zu bekommen und um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Diese sind in anderen Ländern eben nicht gemacht worden. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Absolut!) Wer dieses Erfolgsmodell – die Reformen, die gemacht worden sind – jetzt wieder zurückdrehen will, der sollte sich anschauen, wie das Ergebnis in den europäischen Ländern ist, in denen solche Reformmaßnahmen nicht durchgeführt worden sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich rate dazu, in Europa nicht nach dem Motto zu verfahren: (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ein Unsinn!) Wir müssen nur ein bisschen mehr Geld in den Ausbildungsmarkt hineinwerfen, dann wird es besser. – Ich sage Ihnen: Das Erfolgsmodell der beruflichen Ausbildung in Deutschland ist das duale Ausbildungssystem. Sie können den Ländern in Europa noch so viel Geld geben. Wenn das System der dualen Ausbildung nicht kommt, wird das keinen Erfolg haben. Deswegen sind Reformmaßnahmen, neue Strukturen, die den Herausforderungen der Zeit gerecht werden, von zwingender Notwendigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich ist klar: Dieses Europa muss sich den neuen Herausforderungen stellen. Es muss Antworten auf die wirtschaftliche Entwicklung finden; (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) es muss aber auch Antworten auf die außenpolitischen Herausforderungen finden. Ich gehe einmal davon aus, Frau Bundeskanzlerin, dass auf dem anstehenden Gipfel über diese Fragen gesprochen wird. Es ist notwendig, dass wir in Europa eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingspolitik finden. Man braucht sich nicht zu wundern, dass es wie in Ungarn zu Fehlentwicklungen kommt, wenn die Europäische Union nicht in der Lage ist, hier eine gemeinsame Antwort zu finden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese gemeinsame Antwort muss natürlich heißen: Solidarität. Zur Solidarität gehört, dass man Griechenland und Italien mit diesem Problem nicht alleinlässt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Beide können das alleine nicht leisten. Nach dem Motto zu leben: „Hauptsache, sie kommen in Griechenland und Italien an; der Rest interessiert uns nicht“, wird uns nicht helfen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Deswegen muss Europa eine Antwort auf diese konkrete Herausforderung finden. Ich bleibe dabei: Nationale Egoismen dürfen in Europa nicht dazu führen, dass wir die notwendigen Aufgaben nicht lösen. Die Sicherung der gemeinsamen Außengrenze ist dann nicht mehr nationale Aufgabe, wenn das Ergebnis ist, dass eine Sicherung nicht stattfindet. Dann brauchen wir eine europäische Grenzsicherungspolizei, die genau diese Aufgabe erfüllt. Wenn die Sicherung der gemeinsamen Außengrenze nicht gelingt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn der eine oder andere zu der Meinung kommt: Dann überlegen wir, ob wir die Sicherung nicht doch national machen müssen. – Das wäre genau die falsche Reaktion für ein offenes und freies Europa. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Deswegen muss die europäische Grenzsicherung vorankommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich hat die Europäische Union die Aufgabe, die Werte, die in Europa gelten, zu vertreten und dafür zu sorgen, dass sie auch eingehalten werden. Das gilt für europäische Länder wie Polen oder Ungarn, auf die wir mit einiger Sorge schauen, aber natürlich auch für Länder, die sich in dem Prozess befinden, sich stärker an Europa zu orientieren und vielleicht ganz nach Europa zu kommen. Hier gilt der Grundsatz: Wer nicht bereit ist, die Werte Europas, zu denen Freiheit, Religionsfreiheit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit gehören, für sich zu akzeptieren, der ist meilenweit von der Wertegemeinschaft Europa entfernt. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Özdemir: Wir von der Union haben immer davon gesprochen – nie etwas anderes gesagt –, dass wir eine besondere Beziehung Europas zur Türkei wollen. Wir haben immer von der Privilegierten Partnerschaft gesprochen. Wenn man uns vorwirft, dass wir einen Kurswechsel vorgenommen haben, dann muss man feststellen: Das trifft auf Sie zu, weil Ihnen die jetzige Situation nicht passt. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir hatten immer eine klare Position in dieser Frage. Ich muss Ihnen, weil Sie vorhin etwas lässig über das C gesprochen haben, einmal sagen: Seit mehr als einem Jahrzehnt sind meine Fraktion und ich ganz persönlich bei dem Thema Religionsfreiheit unterwegs; das wird ja auch von Ihnen nicht bestritten. In diesen zehn Jahren und auch schon davor, als Sie eine rot-grüne Regierung gebildet haben, hat sich an der Situation der Christen in der Türkei nichts fundamental verändert – null hat sich verändert. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber damals, als Sie an der Regierung waren, konnte ich nicht feststellen, dass Ihnen das ein besonderes Anliegen war. Ich kann nur sagen: Wir haben immer darauf gedrängt, dass wir mit der Türkei keine weiteren Verhandlungskapitel eröffnen, bevor nicht das Kapitel „Menschenrechte, Rechtsstaat, Religionsfreiheit“ eröffnet wird. (Zuruf von der LINKEN: Das haben Sie doch!) – Nein, das ist eben nicht geschehen. – Dazu haben wir aber nicht unbedingt Zustimmung von allen anderen bekommen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Eben!) Ich will die Namen derjenigen, die das verhindern wollten, gar nicht nennen. Trotzdem bleibe ich dabei – das ist meine Botschaft an die türkische Regierung –: Ihr braucht den Mund nicht so voll zu nehmen, solange ihr nicht bereit seid, ein Grundelement von Freiheit, nämlich Religionsfreiheit, in eurem Land zuzulassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Nicht wir in Deutschland haben Angst vor der Meinungsfreiheit; wir können ertragen, was da einige Regierungsmitglieder sagen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Türkei hat Angst vor der Meinungsfreiheit, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das muss immer wieder deutlich gemacht werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich muss auch fragen: Wie stellt der türkische Präsident sich das denn vor? Er sagt: Ich will nach Deutschland kommen, und wenn ich nicht reinkomme, gibt es einen Riesenaufstand; ich will da reden. – Da muss ich sagen: Uns passt manches nicht, was da gesagt wird. Trotzdem finde ich es richtig, dass wir darauf reagieren und sagen: Bei uns gilt die Redefreiheit; ihr könnt kommen. – Aber im gleichen Atemzug verlange ich, dass wir in der Türkei auch überallhin können, beispielsweise nach Incirlik, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Den Mund voll zu nehmen und zu sagen: „Ich will nach Deutschland kommen“, aber uns die Reise nach Incirlik zu verbieten, das geht überhaupt nicht. Das muss man denen mal sagen. Jawohl, ich finde es völlig in Ordnung, wenn Herr Erdogan oder auch andere in Deutschland sprechen wollen. Ich würde aber erwarten, dass wir dort auch einmal hingehen und lautstark sagen, was wir im Hinblick auf bestimmte Verhaltensweisen in der Türkei erwarten. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie mich mit!) Ich bin sehr gespannt, ob Herr Erdogan das ertragen kann oder nicht. Da würde ich die Reisefreiheit für Abgeordnete, die Religionsfreiheit, die Ausbildung von Priestern für die griechisch-orthodoxe Kirche und vieles andere mehr nennen. Im Übrigen würde ich auch sagen: Ein Land, dessen Repräsentanten sich so verhalten wie Erdogan, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Tourismus zurückgeht. In einem solchen Land wollte ich auch nicht Urlaub machen, meine sehr verehrten Damen und Herren, (Beifall bei der CDU/CSU) um das auch einmal klar und deutlich zu sagen. (Zuruf von der LINKEN: Billiger Populismus!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, dieses Europa hat große Aufgaben vor sich, und es gibt eine Reihe von Problemen. Trotzdem finde ich, dass wir vor diesen Schwierigkeiten nicht kapitulieren dürfen. Wir müssen dieses Europa nicht nur als Wertegemeinschaft, sondern auch als Schicksalsgemeinschaft begreifen. Dieses Europa hat uns Freiheit, Frieden und Wohlstand gebracht. In diesem Europa haben wir immer wieder einmal Herausforderungen und auch schwierige Situationen gehabt. Aber für dieses Europa werden wir überall in der Welt beneidet. In Asien sagen sie: Wir wären froh und dankbar, wenn wir eine solche Einrichtung wie ihr in Europa hätten. Ich kann nur sagen: Allein für die mehr als 70 Jahre Frieden in Europa haben wir Grund jeden Tag dankbar zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aus dieser Dankbarkeit heraus erwächst für uns die Verpflichtung, alles zu tun, damit wir alle miteinander in diesem Europa weiter in eine friedliche und gute Zukunft hineinwachsen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Verehrter Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! (Die Bundeskanzlerin verlässt die Regierungsbank) – Ich sehe: Wenn die Opposition spricht, geht Frau Kanzlerin. Sie könnten der Opposition hier ruhig zuhören, Frau Kanzlerin. (Beifall bei der LINKEN – Die Bundeskanzlerin nimmt in der hinteren Reihe der CDU/CSU-Fraktion Platz) Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn die Koalition schon so viel Redezeit hat und die Opposition so wenig, dann ist das ja wohl nicht zu viel verlangt. (Zurufe von der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir stehen vor einer neuen Runde der Eskalation durch den türkischen Staatspräsidenten Erdogan und seine Helfershelfer. Gestern hat der türkische Innenminister Süleyman Soylu auf einer Kundgebung politische Morde an Andersdenkenden in Deutschland angekündigt; ja, er hat sie sogar als Wahlversprechen abgegeben. Wenn es auch nicht jedem in diesem Hause klar ist: Damit werden auch deutsche Abgeordnete zur Zielscheibe der Mordansagen aus Ankara. Die Gewaltpolitik aus Ankara muss in Deutschland endlich ernst genommen werden. (Beifall bei der LINKEN) Dazu kommt, dass Erdogan seinen Werbefeldzug für die Diktatur auch in Deutschland durchführen will. Wie zwei Drittel der deutschen Bevölkerung will auch die Linke, dass dieser Auftritt verhindert wird. Die Bundesregierung kann das rechtlich. Sie muss politisch verhindern, dass eine ganze Generation von jungen Leuten in Deutschland von der Propaganda Erdogans vergiftet wird. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir wollen Deutschland nicht zur Wahlarena für Folter und Einführung der Todesstrafe werden lassen. Erdogan und seine Minister sind hier nicht erwünscht. (Beifall bei der LINKEN) Es ist doch wirklich abenteuerlich, dass der türkische Außenminister Cavusoglu gestern wortreich in den türkischen Medien berichtet, dass es bei dem Treffen mit Außenminister Gabriel um die Vorbereitung eines Auftritts von Erdogan in Deutschland gegangen sei, und Gabriel selber schweigt sich dazu aus. Ich sage Ihnen: Diese Türkeipolitik der Bundesregierung hat nichts mit Dialog zu tun. Der Merkel/Erdogan-Pakt hat die Bundesregierung erpressbar gemacht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!) Sie haben zu den Entwicklungen in der Türkei lange Zeit geschwiegen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird durch Wiederholung nicht besser!) Frau Merkel, Sie haben den Satiriker Böhmermann auf Verlangen Erdogans zum Abschuss freigegeben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mein Gott! Das ist echt unter Niveau!) Bei der Armenien-Resolution haben Sie sich auf Verlangen von Erdogan im Bundestag feige davongemacht und sich später auch noch davon distanziert. Als wir Abgeordnete wegen dieser Resolution von Erdogan bedroht wurden und er Bluttests von uns gefordert hat, weil unser Blut verunreinigt sei, haben Sie geschwiegen, Frau Merkel. Als die Besuchsverbote für Abgeordnete auf dem Militärstützpunkt Incirlik ausgesprochen wurden, haben Sie gebettelt und die Bundeswehr dort belassen, obwohl bis heute keine Einreise möglich ist. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wovon reden Sie eigentlich? Ist ja unglaublich!) Wann immer es bei Wahlen für Erdogan auf Messers Schneide stand, sind Sie ihm sofort zu Hilfe geeilt. Der Merkel/Erdogan-Pakt hat Sie erpressbar gemacht. Ihr Gewährenlassen hat ihn jedes Mal ermutigt, weiterzumachen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schauen Sie doch mal Nachrichten, damit Sie besser informiert sind, deutsche Nachrichten vor allen Dingen!) Das ist kein Dialog, meine Damen und Herren. Das ist schlicht hässliche Geopolitik, die Demokratie und Menschenrechte opfert. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb verlangen wir Linke: Diese Politik muss aufhören. Sie muss beendet werden. Dazu passt, dass der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall jetzt auch noch eine Panzerfabrik in der Türkei einrichten möchte und die Bundesregierung grünes Licht dazu gibt. Sie liefern Waffen an Erdogan, obwohl Sie wissen, dass Erdogan damit den Krieg gegen die Kurden führt. Sie liefern Waffen an Erdogan, obwohl Sie genau wissen und nicht ausschließen können, dass diese Waffen an islamistische Terrorgruppen wie Ahrar al-Sham oder sonstige von der türkischen Regierung weitergegeben werden. Sie liefern Waffen an Erdogan, obwohl Sie erklären, dass die Türkei unter dem Muslimbruder Erdogan zu einer zentralen Aktionsplattform für den islamistischen Terrorismus in der ganzen Region geworden ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich finde, diese Rüstungsexporte sind kein Beitrag zum Dialog. Sie sind ein Beitrag zum Unfrieden, und deshalb müssen sie gestoppt werden. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern eine radikale Wende in der deutschen Türkei-Politik. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Dağdelen, die Bundeskanzlerin ist in Kenntnis aller Fraktionen ab 11 Uhr zur Abreise zu genau dem Europäischen Rat – – (Zurufe von der LINKEN) – Ja, ich habe das mitbekommen, aber Frau Dağdelen offenkundig nicht. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Viertel vor 11 haben wir!) Und sie hat während Ihrer ganzen Rede hier im Plenum – – (Zuruf von der LINKEN: Nein, sie hat geschwänzt! – Widerspruch bei der CDU/CSU) – Soll ich vortragen, wen ich in ähnlicher Tätigkeit von hier oben aus beobachtet habe? (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte überhaupt darauf hinweisen, dass ich, wenn ich die Präsenz im Plenum mit der auf der Regierungsbank vergleiche, nicht finden kann, dass wir Anlass zur Beschwerde haben. (Zuruf von der LINKEN: Na ja!) Das ist die ganze Wahrheit. Das Wort hat nun der Kollege Norbert Spinrath für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Norbert Spinrath (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In wenigen Tagen feiert Europa den 60. Jahrestag der Römischen Verträge. Ein Traum der Vordenker eines geeinten Europas ist Wirklichkeit vieler, aber nicht aller geworden. Frieden und Wohlstand waren die Versprechen, die mit der Gründung der späteren Europäischen Union gemacht wurden. Beim Frühjahrsgipfel stehen wie immer die Themen Wachstum und Beschäftigung auf der Tagesordnung. Ich wünschte mir, die Staats- und Regierungschefs hätten mehr Zeit und auch mehr Willen, sich intensiver mit diesen Themen zu beschäftigen. Es geht darum, Wohlstand für alle zu schaffen und zu sichern. Ich appelliere an die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass es zu einer hinreichenden Beschäftigung mit diesen Themen kommt. Noch immer haben wir ein sehr ungleiches Wachstum in der Union. In einer Reihe von Mitgliedstaaten gibt es zu viele Arbeitslose – insbesondere junge Menschen leiden unter der Arbeitslosigkeit –, und wir haben noch immer große Ungleichheiten bei den Beschäftigungsbedingungen und bei den Lebensstandards. Offene Märkte, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen nicht nur der Wirtschaft nutzen, sie müssen auch den Menschen dienen. (Beifall der Abg. Bettina Bähr-Losse [SPD]) So sollen alle Menschen in Europa am steigenden Wohlstand teilhaben; denn nur so gibt es für die Bürgerinnen und Bürger einen europäischen Mehrwert. Das heißt für mich: Nur ein soziales Europa wird den Zusammenhalt der Bevölkerung, den wirklichen Willen zu einer Einheit Europas, aber auch den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten stärken. Nur dann gelingt es, die Interessen der Menschen und der Märkte endlich zusammenzubringen. (Beifall bei der SPD) Die wichtigen Themen Wachstum und Beschäftigung, aber auch weitere wichtige Themen wie Migration, äußere Sicherheit und Verteidigung werden allerdings in einem schmalen Zeitkorsett, an nur einem Tag, behandelt; denn einmal mehr ist die Union im Krisenmodus. Am zweiten Tag des Gipfels beschäftigt man sich mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der europäischen Familie. Eng damit verbunden – das ist zwingend und notwendig – ist die Diskussion über die Zukunft der EU der 27. Ich danke Jean-Claude Juncker und der EU-Kommission, dass sie für die Diskussion das Weißbuch zur Zukunft Europas vorgelegt haben. Vorschläge über die Zukunft der Union gab es ja hinreichend und schon länger, so zum Beispiel im Fünf-Präsidenten-Bericht, der konkrete Vorschläge und konkrete Zeitpläne für die Weiterentwicklung enthält, zum Beispiel zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. In vielen Mitgliedstaaten gab es darüber aber kaum politische Diskussionen, noch weniger gab es die Bereitschaft zu weiteren Schritten zur Vertiefung. Lieber agiert man weiter im Krisenmodus; man wartet ab, sitzt häufig genug Probleme aus. Ich denke, es ist angesichts der globalen Veränderungen, angesichts diverser Themen, die dringend einer Lösung bedürfen, und angesichts eines sich verbreitenden Rechtspopulismus und nationaler Egoismen an der Zeit, sich endlich klar zum europäischen Geist zu bekennen und nicht unterschiedliche Geschwindigkeiten zu fahren. Es geht nicht um weniger Europa, sondern darum, mehr Europa zu wagen, und zwar im Sinne der Menschen in Europa. (Beifall bei der SPD) Herr Juncker zeigt den Mitgliedstaaten in seinem Weißbuch fünf Szenarien und damit ihre Wahlmöglichkeiten auf. Wir als SPD-Fraktion sprechen uns klar für eine Weiterentwicklung der Europäischen Union in Gänze aus, für eine Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Union darf sich eben nicht auf den Binnenmarkt und die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen reduzieren. Diesem Szenarium erteilen wir eine ganz klare Absage. So, wie wir die vier Grundfreiheiten bei den Austrittsverhandlungen gegen die Briten verteidigen, verteidigen wir sie für die zukünftig verbleibende EU der 27. Wir wollen hin zu einer Wirtschafts- und Währungsunion mit echtem gemeinsamem Handeln, zu einem sozialen Europa mit gemeinsamen Sozialstandards statt Sozialdumping, zu mehr Arbeitnehmerrechten auch auf europäischer Ebene. Wir wollen Familien stärken, Teilhabe am Wohlstand sichern und soziale Gerechtigkeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Mit meinem Dank für Ihre Aufmerksamkeit will ich noch eines sagen: Die größte Bedrohung für den sozialen Frieden innerhalb Europas ist aus meiner Sicht die Perspektivlosigkeit junger Menschen; denn wer selbst keine Perspektiven mehr hat, wird schwerlich für die zukünftigen Generationen Perspektiven und dauerhaften sozialen Frieden schaffen können. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Norbert Spinrath. – Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor Dr. Hans-Peter Friedrich sich auf den Weg macht, möchte ich ganz herzlich die Deutsch-Mongolische bzw. Mongolisch-Deutsche Parlamentariergruppe hier bei uns im Deutschen Bundestag begrüßen. (Beifall) Seien Sie uns willkommen, und lauschen Sie dem nächsten Redner, Dr. Hans-Peter Friedrich für die CDU/CSU-Fraktion. Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 60 Jahre Erfolgsgeschichte Europas, aber Europa in schwerem Fahrwasser – ich glaube, das ist die Zusammenfassung der aktuellen Situation. Aber, wie wir wissen, liegt in jeder Krise auch eine Chance. Kollege Oppermann hat es vorhin angesprochen: Es gibt viele Menschen in Deutschland und in anderen Ländern, die aufgerüttelt sind von dieser schwierigen Situation in Europa. Sie erkennen, dass die Teilstaaten Europas für sich allein genommen keine Chance haben, eine Rolle zu spielen, weder ökonomisch noch außenpolitisch noch geopolitisch, wenn wir dieses Europa nicht zusammenhalten. Das 21. Jahrhundert wird nicht das Jahrhundert der Europäer sein, die Entwicklung wird über uns hinwegrollen, wenn wir nicht in der Lage sind, dieses Europa zusammenzuhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Das verstehen die Menschen. Unsere zweite Chance besteht darin, dass wir in dieser Krisensituation über die Fehler nachdenken können, die in den letzten 60 Jahren gemacht wurden. Ich empfehle dringend, zu erkennen, dass das Hauptproblem in Europa im Moment darin besteht, dass eine Akzeptanz der Europäischen Union bei den Bürgern, vorsichtig gesagt, nur sehr eingeschränkt vorhanden ist. Deswegen empfehle ich uns, dass wir auf dieses Europa aus dem Blickwinkel der Bürger schauen und nicht aus dem Blickwinkel irgendwelcher wissenden Eliten. Die Bürger fragen: Was geht es eigentlich Europa an, wie wir den Feinstaub in Leipzig messen? (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Luftqualität!) Was geht es eigentlich Europa an, wie wir im Frankenwald und im Fichtelgebirge unsere Felder düngen, obwohl wir das seit Jahrhunderten machen, ohne dass es in Brüssel jemanden gab, der schlauer war? (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Umweltschutz keine Grenzen kennt!) Und was fällt eigentlich Europa ein, uns ein FFH-Gebiet als Hindernis für den Bau einer Straße von A nach B vorzugeben? (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen empfehle ich uns, dass sich Europa auf die politischen Gebiete beschränkt, die aus der Sache heraus für jeden erkennbar nur auf europäischer Ebene gelöst werden können. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche sind das denn?) Da gibt es wichtige Bereiche, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie meinen Umweltschutz!) zum Beispiel die innere Sicherheit. Wenn sich die Terroristen, wenn sich die Verbrecher in Europa herumtreiben, dann gibt es nur eine einzige Antwort: Wir müssen die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte, der Polizeien in Europa organisieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Menschen im Baltikum haben das schon verstanden. Sie fühlen sich von Russland bedroht. Deswegen wollen sie eine europäische Verteidigungsunion. Ich bin froh, dass wir jetzt auf diesem Weg sind; denn auch im Rest Europas werden die Menschen bald verstehen, dass es den Amerikanern ernst ist, wenn sie sagen – übrigens nicht erst seit Donald Trump, sondern schon seit zehn Jahren –: Europa ist reich und stark genug, um sich selbst zu verteidigen. – Jetzt müssen wir das aber auch organisieren; das leuchtet jedem ein. Das werden wir den Bürgern auch vermitteln können. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha!) Die Frau Bundeskanzlerin hat es angesprochen: Wir müssen das Thema Digitalisierung gestalten. Jeder Mensch weiß, dass es kein regionales Netz gibt. Es gibt das weltweite Netz, das nicht 9 Millionen Österreicher und noch nicht einmal 82 Millionen Deutsche gestalten können, sondern das nur 500 Millionen europäische Verbraucher gemeinsam gestalten können. Dann wird ein Schuh daraus. Das verstehen die Leute. Deswegen muss sich Europa darauf konzentrieren. Ein weiteres Thema ist die Energieunion. Wenn wir Europa unabhängiger vom Gas der Russen und vom Öl der Scheichs machen wollen, dann müssen wir einen Energiemix in ganz Europa organisieren. Dafür brauchen wir Europa. Das wird jeder verstehen; das leuchtet jedem ein. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau deswegen machen Sie Nord Stream 2?) Außerdem müssen wir Europa aus dem Blickwinkel (Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – keine Zwischenfragen! – der Bevölkerung sehen. Viele Menschen fühlen sich durch Europa bevormundet. Exemplarisch wurde das an dem Ausspruch deutlich, der zum Brexit geführt hat: Wir wollen unser Land zurück. – Das war der Slogan derjenigen, die den Brexit favorisiert haben. Auf diese Ängste der Bevölkerung gibt es nur eine einzige Antwort. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern First!) Sie lautet: Wir müssen die Selbstverantwortung der Regionen und der Mitgliedstaaten stärken. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau!) Wir müssen von ihnen verlangen, dass sie Verantwortung übernehmen, und die Verantwortung auch dort verorten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Friedrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von – – Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Nein. Vizepräsidentin Claudia Roth: Zeit haben Sie jede Menge. Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Frau Präsidentin, ich muss jetzt im Fluss bleiben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wollen Sie wissen, wer sie Ihnen stellen möchte? Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Als Beispiel nenne ich Ihnen einmal – Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): – das Thema Staatsverschuldung. Wir haben hier in diesem Hohen Haus entschieden, dass wir in Deutschland keine weitere Staatsverschuldung wollen; denn wer heute Staatsverschuldung betreibt, belastet sich und macht sich morgen handlungsunfähig. Die Aufnahme der schwarzen Null und der Schuldenbremse in das Grundgesetz wurde gemeinsam von allen wichtigen Fraktionen im Haus verabschiedet. Andere Leute sehen das aber anders. Die Italiener und die Griechen sagen: Lieber heute schön leben als an morgen denken! (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie wollen Europa zusammenhalten?) Wenn dem so ist, müssen wir sagen: Liebe Freunde, dann müsst ihr die Suppe selber auslöffeln. – Auch das ist Demokratie: für die Folgen einstehen, die man selber ausgelöst hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So macht man Europa kaputt! – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Populismus!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil Sie sich so aufregen: Ihr großer Kandidat Schulz erzählt uns allen Ernstes, wir bräuchten Euro-Bonds, Haftungsunion und Transferunion. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufgeblasener CSU-Gockel!) Das ist Quatsch in Tüten. Wir müssen die Verantwortung dort festmachen, wo sie liegt, nämlich bei der Unfähigkeit der Nationalstaaten, Reformen durchzuführen. Kollege Kauder hat das vorhin angesprochen. Die zweite Schnapsidee Ihres großen Kandidaten Martin Schulz besteht darin, die Sozialsysteme in Europa zu vergemeinschaften. Damit ist er schon in den Europawahlkampf gezogen, Stichwort „gemeinsame Arbeitslosenversicherung“. Glauben Sie allen Ernstes, dass die deutschen Arbeitnehmer dafür zahlen werden, dass die sozialistischen Regierungen in Südeuropa unfähig sind, Arbeitsmarktreformen zu machen und Wettbewerbsfähigkeit herbeizuführen? Das glauben Sie doch nicht allen Ernstes. (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Spinrath [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!) Europa aus der Sicht der Bürger zu sehen, heißt auch, dass wir keine falschen Versprechungen machen. Ich lese in den Schlussfolgerungen, wir müssten die Jugendarbeitslosigkeit beseitigen und die Wettbewerbsfähigkeit herstellen. Meine Damen und Herren, ohne Reformen in den Ländern geht das nicht. Europa hat nicht die Mittel, sondern die Länder haben die Mittel. Wenn die Griechen, die Italiener und die Franzosen die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen wollen und ihre jeweilige Regierung dazu unfähig ist, dann müssen diese Regierungen abgewählt werden. Das ist die Alternative, da müssen wir hinkommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vorhin ist vom Kollegen Kauder schon angesprochen worden – zu diesem Thema steht übrigens auch etwas in dem Weißbuch, das Herr Juncker jetzt vorgelegt hat –, dass wir in Europa das Potenzial unserer Talente ausschöpfen müssen. Wie können wir das Potenzial unserer Talente ausschöpfen? Zum Beispiel, indem wir eine gute Bildungspolitik betreiben. Die Kompetenz für die Bildungspolitik liegt aber nicht in Brüssel. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich frage mich nur, wo die Kompetenz der Union liegt!) Und glauben Sie mir: Bayern wird die Bildungskompetenz auch nicht an Brüssel abgeben, nur weil einige in Südeuropa nicht in der Lage sind, eine vernünftige Bildungspolitik zu machen. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern First!) Deswegen sage ich: Wir müssen aufhören, den Menschen mehr zu versprechen, als Europa halten kann, weil es die Instrumente dafür gar nicht hat. Wir müssen vielmehr sagen: Dann liegt die Verantwortung eben bei den Mitgliedstaaten, die dafür auch die Kompetenzen haben. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch besser bei Bayern! Alle Verantwortung bei Bayern! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das wäre gut!) Die Kommission sagt, wir müssten in diesem Jahr oder im nächsten Jahr, in 2018, entscheiden, wie es mit Europa weitergeht. Das müsse 2018 entschieden sein, weil 2019 die Bürger entscheiden. – Allein daran können Sie schon den Denkfehler erkennen. Lassen wir doch die Bürger über die Zukunft Europas entscheiden. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie gehen einmal gemeinsam mit Ihren sozialistischen Freunden in Brüssel in sich und formulieren eine Vision Ihres sozialistischen Europas, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja peinlich!) und wir gehen einmal mit unseren Freunden aus der EVP-Fraktion in uns und formulieren die Vision eines wirtschaftlich starken christdemokratischen Europas, (Christine Lambrecht [SPD]: Bleiben Sie doch nicht unter Ihren Möglichkeiten! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dann lassen wir die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, vielleicht schon am 24. September dieses Jahres. Das wäre doch eine Möglichkeit, (Beifall bei der CDU/CSU) statt mit Spitzenkandidaten aufzuwarten, von denen der eine einen Bart hat und der andere nicht. Darum geht es doch nicht. Es geht um politische Inhalte. (Norbert Spinrath [SPD]: Welche politischen Inhalte habt ihr denn?) Wir wollen, dass die Bürger über diese politischen Inhalte entscheiden. Dann wird ein Schuh daraus. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass Europa eine Veränderung seines Selbstverständnisses braucht. Die europäischen Institutionen müssen erkennen, dass sie den politischen Willen der Bürger Europas ausführen und nicht dazu da sind, die Bürger Europas zu belehren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen, liebe Frau Bundeskanzlerin, (Christine Lambrecht [SPD]: Sie ist schon längst weg! Die wollte Sie nicht hören!) machen Sie sich auf den Weg zum Europäischen Rat. Sie sind die Einzige, die in der Lage ist, Europa zu führen. Aber Sie müssen es auch tun. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Hans-Peter Friedrich. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Annalena Baerbock. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Dr. Friedrich, da Sie ja hier so dafür geworben haben, in den Dialog zu treten, verwundert es doch, warum Sie keine Zwischenfragen zulassen. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Dialog? Den wollte ich nicht mit Ihnen!) – Nein, Dialog wollen Sie nicht. Genau, das unterstreichen Sie noch einmal. – Man kann Europa ja hervorragend gestalten, wenn man keinen Dialog will; das haben Sie eben noch einmal deutlich gemacht. Wenn das die Position der CDU/CSU bzw. die Europakompetenz der Union ist, dann muss einem wirklich angst und bange werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frau Bundeskanzlerin ist ja vorhin schon gegangen. Sie haben sich empört, als Cem Özdemir gesagt hat, dass man stärker darauf achten muss, dass man nicht nur „Deutschland zuerst“ denkt. Sie haben in Ihrer Rede jetzt noch einmal bewiesen, dass das genau Ihr Ansatz ist. Wie können Sie es eigentlich wagen, wenn wir 60 Jahre Römische Verträge, 60 Jahre Solidarität, 60 Jahre Miteinander feiern, zu sagen, dass die anderen ihre Suppe selber auslöffeln müssen? Das widerspricht dem Grundgedanken der Europäischen Union. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich komme zu meiner Frage, die Sie nicht beantworten wollten. Sie haben hier gefragt, was Luftqualität in Deutschland mit der EU zu tun hat. Vielleicht schauen Sie sich die Verträge einmal an. Sie sehen eine Kompetenzübertragung im Umweltbereich vor, weil Luft und Wasser eben keine Grenzen kennen. Wenn in einem Land die Luft verschmutzt wird, dann geht diese verschmutzte Luft auch direkt über die Grenze. Wenn Sie jetzt hier herumtönen – das sind ja immer so schöne populistische Phrasen –, Europa müsse sich um das Große kümmern und nicht nur um das Kleine, dann möchte ich einmal wissen: Steht die CDU/CSU, steht die Union dafür, dass wir die Kompetenzen im Umweltschutz- und im Klimaschutzbereich auf die nationale Ebene zurückverlagern? Ist das Ihre Forderung? Was Sie hier gerade ausgemalt haben, widerspricht auch dem, was Sie zur Unabhängigkeit vom „Russengas“ gesagt haben. Wie wollen Sie denn eine gemeinsame Energiepolitik schaffen, wenn Sie der Europäischen Union keine Kompetenzen im Bereich Umweltschutz und Klimaschutz geben wollen? Das müssen Sie erklären, sehr geehrter Herr Kollege. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt Dr. Friedrich. Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Frau Kollegin, ohne dass ich mit Ihnen in den Dialog treten will, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind Sie hier falsch, Herr Friedrich! Im Parlament wird diskutiert!) will ich Ihnen sagen: Sie haben offensichtlich nicht zugehört. Ich habe gesagt, dass es in Europa und in unserem Gemeinwesen unterschiedliche Verantwortungsebenen gibt, dass jede Ebene ihrer Verantwortung gerecht werden muss und dass man nicht sagen kann, dass alles, was wichtig ist, jetzt in Europa gemacht wird. Vielmehr müssen die Kompetenzen da, wo sie sind, ausgeübt und verantwortet werden. So funktioniert Demokratie. In einer Kommune werden die Dinge entschieden, die die Kommune betreffen. In einem Mitgliedstaat werden die Dinge entschieden, die den Mitgliedstaat angehen. Nur da, wo Europa betroffen ist, wo europäische Themen betroffen sind, muss Europa wirklich entscheiden. Das ist doch der Punkt, über den wir reden. (Dagmar Ziegler [SPD]: Aber das wissen wir schon! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist jetzt erstes Semester Volkswirtschaftslehre!) Das Entscheidende ist, dass man sich beschränken muss. Sie sprachen von der Umweltpolitik und sagten, Wasser und Luft kennen keine Grenzen. Das alles ist mir bekannt. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Sind Sie sicher?) Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, das bedeutet doch nicht, dass Europa diese Politikbereiche regeln muss. Hier kann jedes Mitgliedsland in seiner Zuständigkeit Regelungen treffen. Sie können doch nicht sagen: Alles, was wichtig ist, muss möglichst weit oben entschieden werden. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Hören Sie doch mal richtig zu! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das hat sie doch gar nicht gesagt! Sie hat etwas ganz anderes erzählt!) Dann müssten Sie alles von der UNO entscheiden lassen, weil es viele wichtige Dinge gibt. Entscheidend ist vielmehr, dass jeder auf seiner Ebene seine Hausaufgaben macht. Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik sind Aufgaben der Nationalstaaten. Das sind auch die Aufgaben, die hier im Deutschen Bundestag wahrgenommen werden. Sie müssen ebenso in den Parlamenten in Griechenland, Italien, Spanien und Frankreich wahrgenommen werden. Das ist meine Rede. Ich sage Ihnen: Wir müssen die Verantwortung da haben, wo sie liegt, und dürfen nicht so tun, als könne Europa alle Probleme lösen. Die Europäische Kommission ist keine Überregierung und kein Reparaturbetrieb für unfähige Regierungen (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das stimmt!) – das müssen Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen –, sondern die Europäische Union ist ein ausführendes Organ für den Willen der europäischen Bürger. Das habe ich Ihnen deutlich zu machen versucht. Aber wenn Sie das noch nicht verstanden haben – ich hätte noch Zeit –, dann reden wir darüber noch. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ha, ha! – Oh, wie nett!) Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Chauvinismus!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich bin froh, dass wir ein Parlament haben – Herr Dr. Friedrich sieht das hoffentlich genauso –, das so stark ist, dass es Dialoge führt und Kontroversen austrägt, und in dem wir miteinander diskutieren. Das ist der Unterschied zu anderen Parlamenten, über die wir heute Morgen schon geredet haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Nächster Redner: Andrej Hunko für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Friedrich, auch ich muss ganz ehrlich sagen: Das, was Sie hier eben abgeliefert haben, war wirklich Nationalchauvinismus von der übelsten Sorte. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) Von den Feindbildern, die Sie im Hinblick auf Südeuropäer bedient haben, will ich mich ausdrücklich distanzieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen kurz vor dem 60. Jahrestag der Römischen Verträge eine ernsthafte Debatte über Europa. Ich beginne mit einem Zitat: Ein steigender Anteil von Menschen, die dauerhaft nicht von ihrer Arbeit leben können, untergräbt die Legitimität unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Das sagte nicht der Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sondern der Vorsitzende der Bertelsmann-Stiftung, Aart de Geus, nach der Veröffentlichung des Social Justice Index 2016, also der Studie über die soziale Gerechtigkeit in Europa; ich denke, da hat er recht. Diese Studie beschreibt den wachsenden Anteil der Working Poor, von Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können. Das hat sehr viel mit Europapolitik zu tun, und das hat viel mit europäischen Strukturen zu tun. Darüber müsste man in dieser Krise Europas viel mehr reden als zum Beispiel über neue Militärausgaben und eine Militarisierung der EU. (Beifall bei der LINKEN) Die Europäische Kommission – wir haben Jean-Claude Juncker vor einem Jahr mit dem EU-Ausschuss besucht – hat sehr wohl erkannt, dass die soziale Frage auch die Legitimität der Europäischen Union untergräbt. Sie hat eine Initiative gestartet, die sogenannte europäische Säule sozialer Rechte. Das hört sich groß an, und dem könnte man erst einmal zustimmen. Je genauer man hinschaut, desto kleiner wird sie aber. Es ist wie beim Scheinriesen in Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer: Am Anfang erscheint sie sehr groß; am Ende sind es aber nur ein paar Kriterien für ein Leistungsscreening der EU-Staaten. Das reicht bei weitem nicht aus. Wir brauchen eine deutliche Wende hin zu echten sozialen Rechten in Europa und nicht nur ein bisschen Kosmetik. (Beifall bei der LINKEN) Letzte Woche ist das Weißbuch der Europäischen Kommission veröffentlicht worden. Dort sind fünf Szenarien aufgezeigt worden, wie sich die EU entwickeln könnte. Ich finde es gut, dass eine offene Debatte geführt und auf der Grundlage von Szenarien diskutiert wird. Lange Zeit war es ja so, dass ein bestimmter Weg immer als alternativlos dargestellt wurde. Bei diesen fünf Szenarien sucht man aber vergeblich nach einem sozialen Szenario, zum Beispiel nach der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa oder des wachsenden Anteils von Working Poor. Stattdessen findet eine zunehmende Diskussion – auch in dem Weißbuch – über eine neue Militarisierung der EU statt. Auf dem Gipfel, zu dem Frau Merkel gerade gefahren wird, wird ernsthaft über die Einrichtung eines militärischen Hauptquartiers der EU beraten, und Gegenstand der Diskussion ist auch die Erreichung des 2Prozent-Ziels der NATO. Wir sagen ganz klar Nein zu dieser massiven Aufrüstung. Das würde in Deutschland nämlich bedeuten, den Militäretat von 36 Milliarden Euro auf über 60 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen. Herr Oppermann, Sie haben eben gesagt, Sie würden das als unrealistisch ansehen. Ich hoffe, Sie lehnen das ganz klar ab. (Beifall bei der LINKEN) Wir bringen hier einen Antrag ein, der nichts weiter fordert, als dass der Bundestag diese Erhöhung bis zum Jahre 2024 ablehnt, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und ich bin gespannt, ob Sie ihm zustimmen werden. Ich glaube, diese Ehrlichkeit und dieses Signal brauchen die Menschen in Deutschland. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Andrej Hunko. – Nächster Redner: Christian Petry für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Friederich, der Friederich, Das war ein arger Wüterich! (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich nehme an, das war ein Zitat. Christian Petry (SPD): Das war ein Zitat, und es geht noch weiter: Er fing die Fliegen in dem Haus Und riss ihnen die Flügel aus. (Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN) Herr Friedrich, das, was Sie hier vorgetragen haben, ist wirklich besonders: Zum einen rütteln Sie an den Grundfreiheiten. Sie wollen die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wieder nationalisieren und regionalisieren. (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Sie ist national!) Sie rütteln an der Personenfreiheit und der Warenverkehrsfreiheit in der EU. Das ist ganz schlimm. Zum anderen hören wir hier von Ihnen nationalistische und chauvinistische Töne (Max Straubinger [CDU/CSU]: Oi!) gegenüber Griechenland und den Südeuropäern. Fragen Sie doch einmal Ihren Kollegen Herrn Oettinger, was er dazu und zu Eigenmitteln der EU sagt! (Dagmar Ziegler [SPD]: Oder Herrn Töpfer!) Er hat das im Europaausschuss getan. Er ist für die Stärkung der Eigenmittel zur Erledigung der Aufgaben. Er ist für den Wegfall der Deckelung, der Obergrenze, damit die neuen Aufgaben finanziert werden können. Er widerspricht Ihnen; er hat ein Konzept. Sie wollen die kleinen Zahnräder aus dem Uhrwerk Europa herausnehmen und meinen, die großen Zahnräder würden dann noch funktionieren. Meinen Sie das wirklich? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie haben ein wirklich seltsames Verständnis von Europa, und ich hoffe, dass hier kein Konsens mit Ihrer Fraktion besteht. Ich glaube, dass auf dem Gipfel, der jetzt ansteht, die wirtschaftlichen Themen sehr wichtig sind. Es läuft zurzeit wesentlich besser. Die 28 Mitgliedstaaten haben sich in den letzten Monaten wirtschaftlich deutlich verbessert, die Arbeitslosenzahlen sind auf dem niedrigsten Stand seit 2009, und dieser Weg muss weitergegangen werden. Wir dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die notwendigen Schlussfolgerungen im Euro-Raum noch zu ziehen sind und dass hier noch entsprechende Maßnahmen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik getroffen werden müssen. Wir brauchen langfristig gemeinsame Maßnahmen, um diesen Wirtschaftsraum weiter zu stabilisieren. Aktuell beschäftigen uns in den Fachausschüssen das Europäische Semester und die länderspezifischen Empfehlungen. Die Kommission hat hier einen interessanten Vorschlag gemacht. Sie möchte, dass die Konsolidierung der Staatshaushalte nicht einseitig weiter forciert wird, sondern dass stattdessen eine fiskalische Lockerung angestrebt wird – Herr Oettinger lässt grüßen –, die allen Mitgliedstaaten ausreichende Investitionen ermöglicht. Staaten mit hohem Defizit in der Euro-Zone wären damit zwar weiterhin zum Sparen angehalten, aber sie könnten wieder notwendige Investitionen tätigen. Staaten wie Deutschland und die Niederlande müssten dann noch stärker investieren. Häufig wird gefragt, wo investiert werden soll, und das Gegenargument genannt – das habe ich gestern auch von Herrn Spahn wieder gehört –, dass wir gar keine entsprechenden Planungskapazitäten haben und gar nicht so viel Geld ausgeben können. Das halte ich für Käse. Hier ist noch viel Luft drin. Wir müssen unser makroökonomisches Ungleichgewicht langfristig wieder in den Griff bekommen, wobei wir die Arbeitsplätze im Exportbereich natürlich brauchen. Das hat damit zu tun, dass wir die Volkswirtschaften um uns herum stärken müssen, damit auch der Import aus diesen Ländern gelingen kann. Dann sind wir – auch wenn das hohe Exportniveau bleibt – im Gleichgewicht. Wir in Deutschland werden davon in einem gemeinsamen Europa dauerhaft und sicher partizipieren. (Beifall bei der SPD) Bedauerlicherweise hat das Bundesfinanzministerium diese Lockerung direkt abgelehnt. Das halte ich nicht für richtig. Ich bin der Auffassung, dass dies noch einmal in den parlamentarischen Gremien beraten werden muss; denn die Deckelung der Haushaltsobergrenze im laufenden Haushalts- bzw. Finanzrahmen ist aufgrund der neuen Aufgaben in der Finanz- und in der Flüchtlingskrise zu überdenken. Hierfür braucht die Europäische Union eigene Mittel. Herr Oettinger hat uns vorgetragen, dass er eine Diskussion über Eigenmittel möchte. Sie umfasst natürlich auch – Sie haben es genannt – das Thema Bonds. Natürlich ist das ein Thema. Es umfasst aber auch die mögliche Beteiligung an Steuern. Auch das haben wir zu diskutieren. Die Diskussion darüber ist noch nicht zu Ende. Aber sie von vornherein abzulehnen, halte ich für völlig falsch; (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sind Sie für die Vergemeinschaftung oder dagegen?) denn damit machen Sie die europäische Idee kaputt. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal: Sind Sie dafür oder dagegen?) – Ich bin – um Ihre Frage klar zu beantworten – dafür, dass die Europäische Union mit Eigenmitteln – sei es aus Steuern oder aus Bonds – ausgestattet wird. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Steuerrecht für die EU! Wunderbar!) In diesem Sinne ist es, denke ich, wichtig, auf die Entwicklung Europas in Richtung einer Gemeinschaft, wie wir sie seit 60 Jahren kennen, hinzuwirken. Das ist doch ein fantastisches Modell, das man nicht mit solchen nationalistischen Tönen kaputt machen sollte. Es sicherte über 60 Jahre Frieden, Freiheit und Wohlstand. Ich komme aus dem Saarland. Wir hatten vor kurzem den 25. Jahrestag von Schengen. Schengen liegt an der Grenze. Das Abkommen von Schengen brachte Schritte nach vorne. Ich darf ein Beispiel für ein Leben an der Grenze bringen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber kurz! Sie sind schon durch. Christian Petry (SPD): Ganz kurz. – Mein Großvater ist ein Beispiel für viele Saarländer. Er wurde 1911 geboren und verstarb 2003. Er hatte sechs Nationalitäten, ohne ein einziges Mal umgezogen zu sein. Wollen wir denn wieder zurück in eine solche alte Zeit? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Ich rufe Sie auf: Kämpfen Sie gemeinsam für die Fortentwicklung eines sozialen und friedlichen Europas! In diesem Sinne: Glück auf! (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Christian Petry. – Nächster Redner ist Gunther Krichbaum für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem bevorstehenden Gipfel steht nicht nur die wirtschaftliche Lage in Europa auf dem Programm, sondern auch – das klang schon mehrfach an – das Vorbereitungstreffen „60 Jahre Römische Verträge“. Es lagen zwei bestialische Weltkriege hinter Europa. Wenn man die Schwierigkeiten bedenkt, vor denen damals die Gründungsväter der heutigen Europäischen Union standen, dann wird man geradezu demütig, wenn man die Schwierigkeiten sieht, die – ohne jeden Zweifel – heute vorhanden sind. Man war sich aber in einem einig. Weil wir die Inhumanität hinter uns lassen wollten, haben wir die Gemeinschaft auf den Grundsätzen der Humanität gegründet. Daran müssen wir uns messen lassen. Und daran müssen sich auch gerade in diesen Tagen manche Länder der Europäischen Union messen lassen. Eines, lieber Cem Özdemir, bedarf der Korrektur. Ohne jeden Zweifel hat sich 1946 Winston Churchill für die Vereinigten Staaten von Europa ausgesprochen, aber – das ist eines der großen historischen Missverständnisse – ohne die Beteiligung von Großbritannien. (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Leider wahr!) Vielmehr sollte Frankreich die Aufgabe übernehmen, Deutschland unterzuhaken, damit es nicht mehr auf dumme Ideen kommt. Aber eines ist doch hervorzuheben, nämlich der Mut von Charles de Gaulle, Konrad Adenauer und vor allem Robert Schuman; denn man hatte sich dazu entschlossen, das Ganze ohne ein Referendum zu machen. Ich glaube, ich brauche hier in dieser Runde nicht zu sagen, wie ein Referendum in Frankreich wenige Jahre nach dem Krieg ausgegangen wäre, wenn man gefragt hätte: Wollt ihr gemeinsam mit Deutschland in eine Gemeinschaft zur Verwaltung kriegswichtiger Güter, nämlich Kohle und Stahl, eintreten? Ich glaube, jedem ist klar, wohin das geführt hätte. Es ist genau dieser Mut, der in Großbritannien gefehlt hat. Cameron hat gerade keinen Mut bewiesen, sondern den Kotau vor seinen eigenen Fraktionsmitgliedern gemacht, als er ein Referendum, für das es überhaupt keine Veranlassung gab, vom Zaun gebrochen hat. Das hat zu einem europäischen Schlamassel geführt. Deswegen gilt das jetzt geradezu sinnbildlich für die Brexit-Verhandlungen; das können wir den britischen Freunden zurufen. Für meine Begriffe gilt hier ein altes afrikanisches Sprichwort: Wenn du schnell gehen willst, dann geh alleine. Aber wenn du weit gehen willst, dann geh gemeinsam. – Das zeichnet auch die Europäische Union angesichts der Schwierigkeiten, vor denen wir im Zeitalter der Globalisierung stehen, aus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir stehen heute in der Tat vor vielen Herausforderungen. Ich will jetzt nicht näher – das würde das Zeitbudget sprengen – auf die fünf Vorschläge von Jean-Claude Juncker eingehen. Ja – das hat die Bundeskanzlerin ausgeführt –, wir werden künftig sicherlich einen Schwerpunkt darauf setzen müssen, das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit stärker zu nutzen. In der Tat müssen wir bei der europäischen Integration in vielen Punkten vorangehen. Aber eines bleibt festzuhalten: Wir sind immer nur als Europäische Union stark. Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Fragmentierung der Europäischen Union kommt. Aber eines ist auch wahr: Im Zeitalter der Globalisierung müssen wir enger als früher zusammenarbeiten. Eine der großen Herausforderungen sind jetzt die USA; das ist wahr. Das hätten wir uns vor wenigen Monaten noch nicht träumen lassen. Ich erinnere an Henry Kissinger, den früheren amerikanischen Außenminister, der einmal sagte: Europa? Welches Europa? Sagt mir doch einmal die Telefonnummer von diesem Europa! – Ich frage umgekehrt: Welche Telefonnummer haben in diesen Tagen eigentlich die USA? Wir brauchen in der Tat Verlässlichkeit im transatlantischen Bündnis. Dieses transatlantische Bündnis ist viel zu wertvoll, als dass es nationalen Politiken zum Opfer fallen darf. (Beifall des Abg. Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers [CDU/CSU]) Einen Aspekt, der heute noch gar nicht Gegenstand der Debatte war, möchte ich ansprechen: die Verhältnisse in der Ukraine. Außenminister Gabriel hält sich heute zu Gesprächen in Moskau auf. Er hat sicherlich unsere Unterstützung, wenn einmal mehr darauf hingewiesen wird, dass das, was in der Ukraine geschieht, völlig inakzeptabel ist. Die Krim-Halbinsel ist bis zum heutigen Tage völkerrechtswidrig annektiert. Im Osten des Landes sorgt Russland für eine systematische Destabilisierung. Nein, wer im 21. Jahrhundert Krieg als ein Instrument der Politik begreift, darf sich nicht wundern, wenn er in die Politik zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückfällt. Ich glaube, das müssen wir Herrn Putin ziemlich deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Türkei war schon mehrfach Gegenstand der Debatte. Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass sich Herr Erdogan hier in Deutschland auf die Grundrechte beruft, etwa auf das Recht der freien Meinungsäußerung, die er den Menschen im eigenen Land verweigert. Ich glaube – da habe ich vielleicht eine andere Meinung als die meisten hier –, alles hat seine Grenzen. Es fängt damit an, dass Repräsentanten des türkischen Staates hier keine Grundrechtsträger sind; (Beifall des Abg. Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]) Kollege Röttgen hat kürzlich in einer Fraktionssitzung auf diesen Umstand hingewiesen. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Fraktionssitzung ist intern!) Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers, und zwar der deutschen Bürger, gegenüber dem Staat. Aber sie kommen für Repräsentanten eines anderen Staates nicht infrage. Deswegen muss klar sein: Natürlich sind uns die Repräsentanten der türkischen Regierung jederzeit willkommen, aber nicht als Wahlkämpfer. In diesem Moment werden wir parteiisch und werden in Wahlkämpfe hineingezogen. Bei all dem sollten wir immer das Ende bedenken. Wollen wir in Zukunft auch Herrn Putin einen freien Auftritt gewähren oder auch vielen anderen? Es wäre gut, innerhalb der Europäischen Union Leitlinien zu entwerfen und einen Konsens dazu zu finden, wie wir insgesamt damit umgehen. Ich glaube, es bedarf hier einer europäischen Antwort. Mit Blick auf die Anwürfe, die in jüngster Zeit in Richtung Bundesrepublik Deutschland erhoben wurden, hat mir eine schlüssige, vehemente und dezidierte Antwort der Europäischen Kommission gefehlt; das darf ich an dieser Stelle einmal sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube mit Blick auf die Türkei aber auch: Die Not muss natürlich schon ziemlich groß sein, wenn Repräsentanten der türkischen Regierung glauben, sie müssten unbedingt auch noch die Stimmen der Auslandstürken einwerben, weil man innerhalb der Türkei um die eigene Mehrheit fürchtet. Da ist es sicherlich schon weit gekommen. Die wirtschaftliche Situation, in der sich die Türkei im Augenblick befindet, ist dramatisch. Da steht Herr Erdogan sicherlich unter einem viel größeren Druck, als wir das hier manchmal wahrnehmen. 60 Jahre Römische Verträge, das ist eine große Chance für uns. Im Rückblick können wir auf der einen Seite dankbar sein. Wir haben nämlich eine beispiellose Periode des Friedens in Europa. Auf der anderen Seite ist es aber auch eine Verpflichtung, das Modell der Aussöhnung auf andere Länder und andere Regionen Europas zu übertragen; denn auch die Staaten des westlichen Balkans sind ja Gegenstand des Gipfels. Hier können das europäische Modell, die deutsch-französische Aussöhnung sehr wohl Pate stehen für eine Aussöhnung, die wir in dieser Region noch brauchen, um zu einem Mehr an Stabilität zu finden. Eines – das sei abschließend gesagt – ist auch in diesen Staaten wichtig – darum kommen sie nicht herum –, nämlich die kritische Selbstreflexion auf die eigene Geschichte; denn ohne diese Auseinandersetzung wird das Ganze nicht funktionieren. In diesem Sinne haben wir ein großes Interesse daran, diesen Staaten zu helfen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Gunther Krichbaum. – Nächste Rednerin: Michelle Müntefering für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michelle Müntefering (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Als Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe im Bundestag sage ich Ihnen sehr klar und deutlich: Das deutsch-türkische Verhältnis geht derzeit durch eine seiner heikelsten Phasen. Darum ist mir der Dank an die Mitglieder und den Vorstand der Parlamentariergruppe wichtig, die in diesen herausfordernden Zeiten über die Fraktionsgrenzen hinweg an einem guten Verhältnis zwischen Deutschen und Türken arbeiten und dabei auch deutlich Kritik üben, zuletzt bei unserem gemeinsamen Besuch in der Türkei vor wenigen Wochen. Ich empfinde die Verschlechterung unserer Beziehungen als Katastrophe. Deutschland und die Türkei sind über Jahrzehnte einander verbunden, wirtschaftlich, kulturell, familiär. Binnen weniger Monate ist die türkische Gesellschaft hier wie dort gespalten – in einer Zeit, in der es so wichtig ist, Vorurteile auch gegenüber der Türkei als mehrheitlich muslimischem Land zu überwinden. Und, Herr Kauder, die Türkei ist mehr als Erdogan, die Türkei ist auch ein schönes Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist gut, dass Frau Merkel diese unsäglich geschichtsvergessenen Unterstellungen zurückgewiesen hat. Das war Zeit, das war nötig. Die letzte Reise von Frau Merkel in die Türkei wurde positiv aufgenommen, auch weil sie endlich die Opposition getroffen hat. Das haben wir als Sozialdemokraten ihr schon lange geraten. Ich ermutige die Frau Bundeskanzlerin, bei der nächsten Reise – dann hoffentlich nach dem Referendum – auch die Zivilgesellschaft zu treffen. Das ist Zeit, und das ist nötig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich verstehe all jene bei uns gut, die es kaum ertragen, dass türkische Minister hier Wahlkampf für ein Referendum machen, das die Macht in die Hand eines Mannes legt, während wichtige Teile der Opposition inhaftiert sind und kritische Journalisten drangsaliert werden. Auch die Venedig-Kommission prangert dies nun an. Die Wahrheit ist meistens einfach: In einem Land, in dem ich die Zeitung aufschlage und in der es keine Kritik an der Regierung gibt, in diesem Land muss es einen Grund für Kritik an der Regierung geben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin froh, dass wir uns als Parlamentariergruppe gemeinsam für eine OSZE-Wahlbeobachtermission und für die Freilassung Deniz Yücels und der anderen Journalistinnen und Journalisten einsetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass wir zusammenstehen, ist ein wichtiges Signal auch an die Türkei; denn wir bewegen uns zwischen der außenpolitischen Betrachtung, den eigenen, deutschen Interessen und unserer moralischen Verantwortung. Der außenpolitische Blick zeigt: Strategisch braucht Erdogan die Stimmen der Nationalisten und Rechten. Der Ausgang des Referendums ist durchaus offen. Bis zum 16. April wird jede Provokation genutzt werden. Aber es ist denkbar, dass er sich mit seinem Anti-EU-Kurs verrennt, ebenso wie schon mit seiner Syrien-, Russland- oder Israel-Politik in der Vergangenheit. Aber diesmal steht alles auf dem Spiel, und das müssen wir wissen. Unsere Interessen sind der soziale Frieden in Deutschland und der weitere Austausch mit der Türkei. Das müssen auch die Türkinnen und Türken wissen; denn sie entscheiden über die Zukunft ihres Landes, nicht wir. Es war allerdings unser Fehler, dass wir mit Ankara nie die Kapitel Justiz und Menschenrechte diskutiert haben, Herr Kauder. Fragen Sie bitte auch einmal bei Herrn Polenz und anderen nach, was die Fehler Ihrer Partei in der Türkei-Politik betrifft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Da rede ich mit Ihnen!) Als Letztes – daraus erklärt sich natürlich unsere moralische Verantwortung –: Die deutsche Geschichte verpflichtet uns, hinzuschauen, wenn Demokratie mit Füßen getreten wird, zu klarer Haltung und zu unmissverständlicher Sprache genauso wie zu Diplomatie. Unsere Demokratie haben auch Millionen Türken mitgestaltet. Sie wissen: Deutschland mag nicht perfekt sein, aber Nazis sind wir sicher nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen politisches Fingerspitzengefühl und kühlen Verstand. Wahlkampfauftritte wünsche ich mir nicht. Einreiseverbote würden alleine jetzt den Falschen helfen. Wir brauchen klare Regeln, wie es Sigmar Gabriel zu Recht angemahnt hat. Auch die Opposition in der Türkei muss Rederecht bekommen. Übrigens, wenn Erdogan hier in Deutschland auftritt, dann bricht er die Verfassung, türkisches Recht; denn er hat mit dem Amtseid seinem Volk geschworen, dass er als Staatspräsident neutral ist. Grundsätzlich sollten wir hier nach dem 16. April im Haus erörtern, ob und wie Vertreter außereuropäischer Länder in Deutschland Wahlkampf machen sollten. Diese schwierige Frage sollten wir nicht auf den Schreibtischen der kommunalen Ordnungsdienste abladen. Herzlichen Dank und Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Michelle Müntefering. – Der nächste Redner: Thomas Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn diese Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin unaufhörlich ihrem Schlusspunkt zustrebt, so hat dieses Ende für mich im doppelten Wortsinn eine Bedeutung: weil es die letzte Plenarrede ist, die ich im Deutschen Bundestag halten werde, und weil dieses Parlament vor der großen Herausforderung steht, nach dem 24. September dieses Jahres ohne meine Mitwirkung auskommen zu müssen, was allerdings angesichts der Tatsache, dass das Verzeichnis ehemaliger Mitglieder des Deutschen Bundestages voll von Persönlichkeiten ist, die sich zu ihrer aktiven, teils auch zu ihrer nachaktiven Zeit für unersetzlich gehalten haben, eine überschaubare Aufgabe ist. Gestatten Sie mir einige Bemerkungen im Grundsatz: Politik wird in jedem Politikbereich nicht nur daran gemessen, ob die vorgelegten Konzepte zukunftsfähig sind, sondern auch daran, ob man die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion entwickelt hat und daraus die richtigen Schlüsse zieht. Hans-Peter Friedrich hat dankenswerterweise darauf hingewiesen. Es gehört mit zur Wahrheit, wenn wir über 60 Jahre Römische Verträge reden, dass die weit überwiegende Zahl der politischen Bereiche, die wir in dieser Zeit bearbeitet haben, von uns mit Fortschritten abgeschlossen worden ist. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass in diesen 60 Jahren nicht alles gelungen ist, was hätte gelingen können. Deshalb müssen wir im Zuge dieser kritischen Selbstreflexion den Blick darauf richten, was wir möglicherweise in den nächsten Jahren besser machen können, auch und nicht zuletzt im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Dazu gehört auch, meine Damen und Herren, dass wir die Warnung von Helmut Kohl, wir Deutsche sollten mit den Mitgliedsländern der Europäischen Union unabhängig von ihrer Größe und von ihrer Bedeutung reden, ernst nehmen. Deswegen ist es auch eine Form des nationalen Chauvinismus, wenn wir Deutsche uns gerieren, als hätten wir quasi das Patentrezept für die Europäische Union. Das haben wir sicher nicht, und diesen Anspruch sollten wir auch nicht erheben. Wir haben gute Ideen – die haben andere auch –, mehr aber nicht. Wenn wir in einem Berichterstattergespräch des Deutschen Bundestages so verfahren, dass aus jeder Fraktion eine Persönlichkeit kommt, wir uns dann an einen Tisch setzen und darüber nachdenken, wie wir für ein bestimmtes Problem eine Lösung herbeiführen, dann ist das sozusagen die Blaupause für die Dialogfähigkeit in der Europäischen Union. Es kann nicht so sein, dass ein Mitgliedsland auftritt und den anderen vorschreibt, was sie denn zu tun und zu lassen hätten, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein wesentlicher Grundsatz europäischen Denkens war immer der Grundsatz der Subsidiarität. Hans-Peter Friedrich hat das anhand einiger Beispiele durchdekliniert, die man in der Sache nicht teilen muss. Ich teile sie. Ich verlange von niemandem, dass er sie in der Sache teilt. Aber eines ist an diesem Grundsatz immer richtig: Der Grundsatz der Subsidiarität dekliniert sich immer von unten nach oben, nie von oben nach unten. Nie ist es so, dass die oberste Ebene für sich definiert, was sie denn zu tun hat, und dann das, was sie nicht zu tun bereit oder imstande ist, an die nächste Ebene hinunter reicht, was unweigerlich zur Folge hätte, dass insbesondere die Rechnungen auf der untersten Ebene ankommen; vielmehr definiert sich Subsidiarität von unten nach oben. Das heißt, wir definieren auf der lokalen, dann auf der regionalen und dann auf der supraregionalen Ebene – bei uns auf der Ebene der Bundesländer –, was dort sinnvollerweise getan werden muss. Dann definieren wir auf der nationalstaatlichen Ebene und dann auf der europäischen Ebene, was wir dort sinnvollerweise zur politischen Umsetzung verorten. Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf haben, dass wir 60 Jahre nach Inkrafttreten der Römischen Verträge noch einmal einen kritischen Blick darauf werfen, ob wir dem Grundsatz der Subsidiarität in jedem einzelnen der von uns betreuten Politikbereiche gerecht geworden sind oder ob hier noch Verbesserungsbedarf herrscht. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch im Vertrag geregelt! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollt ihr denn zurückholen?) Meine Damen und Herren, wir werden in wenigen Wochen erleben, dass sich einer aus der europäischen Familie verabschiedet. Es gibt wohl niemanden in diesem Hohen Hause, der das gutheißt. Allerdings hat dieser Prozess, wenn wir es richtig machen, vielleicht auch sein Gutes. Michel Barnier hat gestern vor dem Europaausschuss des Deutschen Bundestages Wert darauf gelegt, dass der Prozess des Austritts Großbritanniens in einem transparenten Verfahren stattfindet. Darin liegt die Chance; jeder der Knoten zwischen Großbritannien und der Europäischen Union, die nun einzeln gelöst werden müssen, wird nämlich im Bild der Öffentlichkeit noch einmal deutlich, damit klar ist: Nicht alles, was wir in 60 Jahren Europa erreicht haben, ist selbstverständlich, sondern vieles war das Ergebnis mühsamer Arbeits- und Einigungsprozesse, und wir müssen etwas tun, damit das europäische Netz zwischen den Mitgliedstaaten so bleibt, wie es ist, und womöglich noch etwas enger geknüpft werden kann. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Dankeschön schließen, einem Dankeschön, das sich zunächst an die Menschen in meinem Wahlkreis richtet, die mir mit ihrem Votum in fünf aufeinanderfolgenden Bundestagswahlen die Chance eröffnet haben, ihre Interessen zunächst in Bonn und dann in Berlin zu vertreten. Ich hoffe, dass die Menschen im Herbst dann zu der überwiegenden Einschätzung gelangen, ich hätte das unter dem Strich relativ ordentlich gemacht. Ich will ein Dankeschön sagen an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Wahlkreis und hier in Berlin; denn ohne deren Expertise hätte ich diese Aufgabe nicht so wahrnehmen können, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich sage auch ein Dankeschön an meine Familie, weil die nämlich durch ihre Eigeninitiativen und ihre Kreativität unter Beweis gestellt hat, dass es auch ganz gut – vielleicht noch besser – zu Hause funktionieren kann, wenn der Alte nicht da ist. Ich sage ein Dankeschön nicht zuletzt auch an meine Fraktion, die es mit mir nicht immer ganz einfach gehabt hat. Allerdings, lieber Volker Kauder, lieber Michael Grosse-Brömer, umgekehrt ist dieser Satz auch richtig. Ich wünsche dem Deutschen Bundestag Kraft und Selbstvertrauen, und ich schließe mit einem Satz von Norbert Lammert. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat im Hohen Hause viele kluge Sätze gesagt. Einer dieser Sätze war, dass sich das Parlament eine Regierung hält und nicht umgekehrt; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) deswegen müsse eigentlich die Regierung immer das tun, was das Parlament möchte. Mit Verlaub: Ich hatte in den letzten Jahren gelegentlich den Eindruck, dass es umgekehrt ist. Passen Sie auf, dass das nicht einreißt! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Thomas Dörflinger. Sie lassen uns hier oben mit Wehmut zurück. Wir haben erst März. Vielleicht reden Sie ja doch noch einmal. Ansonsten würde ich mich für Ihre letzte Rede bedanken; das haben Sie relativ ordentlich gemacht. (Heiterkeit) – „Relativ ordentlich“ – ich habe Sie zitiert – war Ihre letzte Rede. – Aber schauen wir mal, ob Sie nicht doch noch einmal reden. Letzter Redner in dieser Debatte: Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Michael Brand (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich kann man in der Türkei seine Meinung frei äußern – wenn man bereit ist, dafür auch die Konsequenzen zu tragen. – Diesen Satz hat mir vor wenigen Tagen Can Dündar, der frühere Chefredakteur der ältesten freien Tageszeitung in der Türkei, von Cumhuriyet, gesagt. Im August letzten Jahres hat er die Türkei verlassen, und er lebt seitdem im Exil in Deutschland – wie viele andere Intellektuelle, im Übrigen auch NATO-Soldaten, die hier in Deutschland Asyl beantragt haben. Den für ihn so schmerzlichen Schritt, seine Familie und seine Türkei zurückzulassen, hat er damals so begründet: Einer solchen Justiz zu trauen, würde bedeuten, seinen Kopf unter die Guillotine zu legen. In der heutigen Debatte sprechen wir auch über den Fall Deniz Yücel. Für ihn habe ich eine Patenschaft übernommen – im Übrigen auch für weit weniger prominente Fälle, wie zahlreiche andere Kollegen –, habe beantragt, ihn im Gefängnis besuchen zu dürfen. Wir reden hier nicht allein über ihn; denn hinter dem Vorgehen der türkischen Regierung steckt System. In keinem Land der Welt sind derzeit mehr Journalisten im Gefängnis als in der Türkei. „Reporter ohne Grenzen“ spricht von 150 Journalisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Wahrheit ist Deniz Yücel eine politische Geisel. Er wurde weggesperrt, weil er seine Arbeit gemacht hat. Die Vorwürfe der Terrorpropaganda und der Aufwiegelung der Bevölkerung sind vorgeschoben. Auch das hat inzwischen System in der heutigen Türkei. Die gesetzliche Terrordefinition öffnet Willkür Tür und Tor. Wenn heute die türkische Führung auf die Unabhängigkeit der Justiz hinweist – wie schon mehrfach in diesen Tagen passiert –, dann muss man ihr sagen: Freunde, das ist ein Märchen. Viele Richter sind inzwischen zu Erfüllungsgehilfen einer Verhaftungsmaschine geworden – in allen Bereichen, wo Mutige aufstehen, ihr Wort erheben. Die Untersuchungshaft für Yücel ist unverhältnismäßig. Er hat sich freiwillig gestellt und vertraut auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Deniz Yücel muss schnell freigelassen werden. Das wäre im Übrigen auch ein Signal, die Spannungen zwischen unseren Ländern abzubauen. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Hinter dem Fall Yücel und vielen anderen stecken eine unbequeme Wahrheit und ein sehr grundsätzlicher Fakt, bei dem wir uns auch nichts in die Tasche lügen dürfen: Es geht im Kern nicht um Wahlkampfauftritte. Es geht nicht um Brandschutzfragen. Es geht nicht darum, wer wem was vorhält. Es geht in Wahrheit um nicht weniger als um die Einschränkung und letztlich die faktische Abschaffung der Demokratie und des Rechtsstaates in der Türkei. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Bei der geht im Übrigen der Präsident sehr konsequent und sehr rational vor. Zu den Diffamierungen gegen Deutschland, zu Propaganda und manchen Verschwörungstheorien möchte ich wirklich nichts mehr sagen; das fällt auf die türkische Führung selbst zurück. Es gehört aber klar ausgesprochen, dass der Wahlkampf à la AKP in Deutschland unerwünscht ist. Das gilt selbstverständlich auch für HDP und andere. Diese gezielten Grenzüberschreitungen müssen aufhören. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns aber nicht provozieren lassen; denn das ist genau das Ziel. Diese Polarisierung, die Einteilung der Welt in Gut und Böse, hilft Erdogan. Wir dürfen dem türkischen Präsidenten auch nicht auf den Leim gehen und so tun, als ob alle in der Türkei so denken würden. Wie viele sind mit Erdogans Plan zu diesem undemokratischen Präsidialsystem überhaupt nicht einverstanden! Eine Mehrheit dafür ist doch keineswegs sicher; deswegen doch diese panischen Reaktionen. Die Not muss schon ziemlich groß sein, dass gerade die niedrigsten Instinkte bedient werden sollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, umso mehr sollten wir die Gelegenheit offensiv nutzen, auch in dieser Debatte und in den nächsten Tagen darüber zu sprechen, was das eigentliche Ziel dieses Referendums ist: die Gewaltenteilung würde ausgehebelt, der Präsident könnte mit Dekreten am Parlament vorbei regieren, das Parlament jederzeit auflösen, die Gerichte würden ihre Unabhängigkeit verlieren durch die Ernennung von Richtern durch den Präsidenten. Eine wirkliche Kontrolle des Präsidenten und gleichzeitigen Regierungschefs fände also nicht mehr statt, und die Rechte des Einzelnen würden eingeschränkt. Liebe Freunde, darüber müssen wir sprechen, statt auf die gezielte Eskalation durch die türkische Regierung einzusteigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Entschuldigung. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben vorhin über ein munteres und dialogfreudiges Parlament gesprochen. Manche scheinen das falsch verstanden zu haben. Wenn ich „Dialogfreudigkeit“ sage, dann beziehe ich das auf Rede und Gegenrede und nicht auf Ihre Rede untereinander. Ich bitte jetzt alle ziemlich dringend, vor allem die sich hinten sammelnden Kolleginnen und Kollegen: Bitte nehmen Sie Platz! Hören Sie dem letzten Redner in dieser Debatte zu! Es gehört auch zu einem munteren und dialogfreudigen Parlament, dass man sich ein Bild von dem macht, was die Redner und Rednerinnen sagen, und sich nicht selber dauernd sozusagen bei Seitengesprächen ins Gespräch bringt. Das meine ich wirklich im Ernst. (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ehrlich!) Sonst unterbreche ich die Sitzung. Dann wird es heute Nacht nicht 3 Uhr, sondern 4 Uhr. Michael Brand (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Darüber müssen wir sprechen. Ich kann mir im Übrigen auch nicht vorstellen, dass beim Wissen über diese Fakten, die ich gerade genannt habe, das Referendum eine Mehrheit bekommen wird. Wir müssen vor dem Referendum auch deutlich sagen – hier ist auch die Bundesregierung in der Pflicht –, dass eine Mehrheit für dieses Präsidialsystem nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. Nicht wir wenden uns von der Türkei ab, sondern die Türkei würde sich mit diesem Schritt von Deutschland und Europa abwenden. Deutschland und Europa – das ist jedenfalls meine Sicht der Dinge – können nicht achselzuckend zur Tagesordnung übergehen, wenn de facto die türkische Demokratie abgeschafft wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Am 16. April entscheidet sich viel, und deswegen darf man in dieser gefährlichen Situation nicht mit seiner Stimme spielen. Man darf auch nicht vergessen, was der heutige Präsident als Bürgermeister von Istanbul gesagt hat: Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Es geht bei der Debatte nicht allein um die Türkei, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern es geht auch darum, dass Konflikte anderer Länder bei uns nicht ausgetragen werden dürfen. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat gestern klar Stellung bezogen. Ich will das, was er gesagt hat, hier einmal zitieren: Wir sehen seit langem, dass die Konflikte in der Türkei auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland haben. Die Bruchlinien zwischen den verschiedenen Lagern in der Türkei bilden sich spiegelbildlich in Deutschland ab. Es besteht die Gefahr, dass diese Stellvertreterauseinandersetzungen zwischen PKK-Anhängern und nationalistischen/rechtsextremistischen Türken eskalieren, weil in beiden Szenen ein hohes, schlagkräftiges Gefährdungspotenzial vorhanden ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das darf der deutsche Staat nicht akzeptieren. Der Rechtsstaat muss wehrhaft sein gegen Terroristen, gegen Nationalisten und gegen Extremisten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Kollege Özdemir hat ja auf die Spitzeldienste hingewiesen. Ein Alarmsignal ist auch der deutliche Anstieg der nachrichtendienstlichen Tätigkeiten der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland. Ich komme zum Schluss. Ja, der Gesprächsfaden darf nicht reißen, gerade jetzt nicht. Die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern und den Menschen in der Türkei und in Deutschland sind eng und vielfältig. Gerade deswegen muss gelten: In den Grundsätzen muss die deutsche Politik klar bleiben. Sie darf sich nicht wegducken. Die Mutigen in der Türkei haben zu Recht Erwartungen an uns. Die Dinge nicht beim Namen zu nennen und die Konsequenzen vor dem Referendum nicht offen und ehrlich auszusprechen, würde den Falschen ganz sicher in die Hände spielen. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Michael Brand. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke. Zuerst kommen wir zum Entschließungsantrag auf Drucksache 18/11430. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Ich nehme an, es enthält sich niemand mehr. – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion Die Linke, dagegen waren CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wir kommen zum Entschließungsantrag auf Drucksache 18/11429. Wir stimmen nun auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Deswegen bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ich frage: Sind die Plätze besetzt? – Darf ich die Schriftführer und Schriftführerinnen bitten, die Plätze einzunehmen? Eigentlich wussten sie, dass jetzt abgestimmt wird. Ich habe heute Nacht den letzten Dienst und möchte rechtzeitig zum Frühstück zu Hause sein. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da seid ihr selber schuld! Hättet ja zu Protokoll geben können!) – Herr Kauder, wir müssen noch miteinander reden. – Sind die Plätze besetzt? Auf der Regierungsseite fehlt die Opposition. Das macht Sinn, aber nicht bei der Abstimmung. – Herr Petzold ist jetzt gekommen. Vielen lieben Dank. Ich eröffne die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke. Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die nicht abgestimmt haben? – Ich frage ein letztes Mal: Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht abgestimmt haben? – Es scheint nicht so zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen, wie immer, später mitgeteilt.1 So, jetzt ist hier nicht Party, sondern wir machen hier jetzt Parlament, wir machen weiter. Deswegen bitte ich, die Gespräche zu beenden, sich hinzusetzen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf: 4.   a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter verbessern Drucksache 18/11049 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Halina Wawzyniak, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mietpreisbremse wirkungsvoll ausgestalten Drucksachen 18/9123, 18/10089 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zusammenhalt stärken – Mietrecht reformieren Drucksache 18/10810 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 4     – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen Drucksache 18/8856 – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Künast, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten durch die Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts Drucksache 18/8857 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/11440 Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Antrag der Fraktion Die Linke zur Mietpreisbremse sowie über die beiden Gesetzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Dämpfung des Mietanstiegs werden wir später namentlich abstimmen. Das heißt, wir haben drei namentliche Abstimmungen, die in diesem Zusammenhang auf uns zukommen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte Sie noch einmal, Gespräche, die nichts mit Mietpreisen oder Mietpreisbindung zu tun haben, draußen zu führen. Das betrifft wirklich alle. Ich fange einfach nicht an, wenn Sie nicht damit aufhören. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Caren Lay für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In deutschen Großstädten sind die Mietpreise in wenigen Jahren um 30 oder 40 Prozent, in Berlin und Augsburg sogar um über 50 Prozent gestiegen. Eine bessere Anlage als in Mietwohnungen können sich viele im Moment überhaupt nicht vorstellen. Das Einzige, was bei diesem sagenhaften Beutezug von Spekulanten durch unsere Städte und durch die Portemonnaies der Mieterinnen und Mieter stört, sind die Altmieter, die alte und deswegen günstige Mietverträge haben. Ich finde, diesen sagenhaften Beutezug durch unsere Städte und durch unsere Portemonnaies müssen wir hier endlich stoppen. (Beifall bei der LINKEN) Findige Vermieter setzen aber alles daran, Mieterinnen und Mieter mit alten Mietverträgen rauszuekeln, wie sie und wo sie nur können. Ein prominentes Beispiel – vielleicht das prominenteste Beispiel – ist der Fall des Karl-Heinz Gerigk aus Köln, genannt Kalle. Er sollte nach über 30 Jahren seine Wohnung im beliebten Kölner Agnesviertel verlassen, weil der Vermieter ihm eine Eigenbedarfskündigung geschickt hatte, mit der Begründung, er wolle dort mit seiner Freundin einziehen. Der Vermieter hat die Kündigung verschickt und gleichzeitig die Wohnung im Internet zum Kauf angeboten. Offenbar wollte er sich da wohl kein neues Nest bauen, sondern es ging ihm darum, die Wohnung möglichst teuer zu verkaufen – da konnte er ohne Kalle offenbar mehr Geld bekommen. Trotzdem musste Kalle diese Wohnung verlassen. Ich finde, das sind Verhältnisse, bei denen man sagen muss: So geht es einfach nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Zahl solcher Eigenbedarfskündigungen ist rasant angestiegen: Über 40 000 waren es im vorletzten Jahr. Das ist eine ganze Kleinstadt von Mieterinnen und Mietern, denen wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde. Die Begründungen werden immer absurder: Da soll mal ein Aupair-Mädchen einziehen, jemand braucht ein Arbeitszimmer in seiner Zweitwohnung, entfernteste Verwandte werden plötzlich in der Begründung des Eigenbedarfs angegeben – und das alles nur, um alteingesessene Mieter aus ihren Wohnungen zu schmeißen. Ich finde, es ist höchste Zeit, Mieterinnen und Mieter vor solchen Kündigungen besser zu schützen. (Beifall bei der LINKEN) Leider haben viele Gerichtsurteile die Situation für Mieter verschlechtert. Beispielsweise sollen jetzt auch Unternehmen Eigenbedarfskündigungen aussprechen können. Es ist doch, ehrlich gesagt, völlig absurd, dass jetzt jeder, der Mitglied einer GbR ist, plötzlich Eigenbedarf anmelden kann. Noch absurder ist das hier: Wenn ein Mieter beim Vermieter Schulden hat, dann kann er eine fristlose Kündigung dadurch abwenden, dass er den Ausstand bezahlt, aber eine ordentliche Kündigung kann er dadurch nicht abwenden. Deswegen schicken dann findige Vermieter beide Kündigungsformen gleichzeitig raus, und, schwups, sind sie die unliebsamen Mieter los. Es häufen sich Urteile, die es für rechtmäßig erklären, dass Mieter, die wegen Schäden eine Mietminderung geltend gemacht haben, aus ihren Wohnungen geworfen werden. Ich muss sagen: Es darf doch einfach nicht wahr sein, dass ein Mieter, der sein Recht auf Mietminderung geltend macht, danach die Kündigung bekommt. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben. (Beifall bei der LINKEN) Eines ist doch klar: Je mehr wir den Kündigungsschutz für die Mieter verbessern, desto besser schützen wir unsere Städte vor Spekulation. Und das sollten wir dringend tun, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: die Mietpreisbremse. Es müsste doch völlig unstrittig sein, dass hier dringend nachgebessert werden muss; denn selbst dort, wo sie überhaupt eingeführt wurde, stiegen die Mieten weiter, in Berlin zum Beispiel um 17 Prozent in nur einem Jahr. Meine Damen und Herren, diese Mietpreisbremse ist ein Rohrkrepierer. Hier rächen sich einfach die zahlreichen Ausnahmen, die die Union auf Druck der Immobilienwirtschaft damals in das Gesetz hineinverhandelt hat. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Na, Frau Kollegin! Das ist ja unter Ihrem Niveau! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber zutreffend!) Da gibt es Ausnahmen beim Neubau, Ausnahmen für möblierte Wohnungen, Ausnahmen bei Modernisierungen. Ich will klipp und klar sagen: Mit all diesen Ausnahmen kann eine Mietpreisbremse nicht funktionieren. Alle diese Ausnahmen müssen gestrichen werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Deutsche Mieterbund fand in einer eigenen Studie heraus, dass 70 bis 95 Prozent aller neuen Wohnungsangebote über dem lagen, was die Mietpreisbremse für zulässig erklärt. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das sagt doch überhaupt gar nichts aus, Frau Kollegin!) Welche Konsequenzen hat das? Keine. Was ist denn das für ein Gesetz, gegen das zu 95 Prozent verstoßen werden darf, ohne dass irgendetwas passiert? (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Der Schluss ist methodisch völlig unzulässig!) Es kann doch nicht sein, dass einem Vermieter keinerlei Strafe droht, wenn er sich nicht an Gesetze hält. Das Umgehen der Mietpreisbremse ist Betrug am Mieter, und das muss auch wie Betrug geahndet werden. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen einfach wirkungsvolle Strafen. Und es muss, wie ich finde, auch das, was zu viel eingezogen wurde, vom ersten Tag an zurückgezahlt werden. Ich finde auch gut, was Herr Maas vorschlägt, was die Grünen wollen. Auch wir fordern, dass man ein Recht darauf hat, die Miete des Vormieters zu kennen. Das sollte doch völlig unstrittig sein – übrigens auch bei der Union. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollte Herr Maas!) Aber das reicht leider als Nachbesserung bei weitem nicht aus, wenn die Mietpreisbremse wirklich funktionieren soll. Aber selbst zu dieser banalen Verbesserung ist die Koalition einfach nicht in der Lage. Ich muss sagen: Diese schlechte Politik in Bezug auf Wohnen, diese Vernachlässigung von Mieterrechten führt im Endeffekt dazu, dass arme und alte Menschen an die Stadtränder verdrängt werden. Das führt zur Enteignung der städtischen Mittelschichten. Und beides wollen wir nicht. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Die Linke als Vorbild für die Mittelschicht, das wäre mir neu!) Es wäre so viel mehr nötig, Stichwort „zweite Mietrechtsnovelle“. Auch da ist viel angekündigt worden, aber hier ist nichts eingebracht worden. Wir brauchen aus meiner Sicht dringend eine Abschaffung der Modernisierungsumlage, die nur teure und sinnlose Modernisierungen befördert. Das darf einfach nicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen bei den Mietspiegeln nachbessern. Auch das haben wir beantragt. Wir haben bisher allein fünf Debatten zum Mietrecht und insgesamt elf Debatten zur Wohnungs- und Mietenpolitik geführt. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es wurde nicht besser!) Von der Koalition kam nur ein Gesetz zur Mietpreisbremse, bei dem außer der Überschrift einfach nichts stimmt. Das ist Ihre Gesamtbilanz. Da frage ich mich: Wollen Sie mit dieser Bilanz nach vier Jahren hier rausgehen? Das darf ja wohl nicht wahr sein. (Beifall bei der LINKEN) Ich weiß natürlich, dass es an der CDU liegt. Sie wollen ja gar nicht, dass die Mietpreisbremse wirkt. Sie wollen ja freie Fahrt für Spekulanten. Das ist Ihnen wichtiger als der Schutz der Mieterinnen und Mieter. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Das einzig Gute daran ist, dass hoffentlich kein Mieter Sie im September mehr wählen wird. Gott sei Dank sind die in diesem Land immer noch in der Mehrheit. Ich sehe die SPD leider nicht sonderlich kämpfen. Das finde ich schade. Ich finde nicht, dass man so viel – – (Widerspruch bei der SPD – Zurufe von der SPD: Oh! Gucken Sie sich mal die Umfragen an!) – Sie haben ja außer der Mietpreisbremse gar nichts durchgesetzt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Mietpreisbremse?) Wo ist denn Ihr Kampf? Sie haben doch hier die Mehrheit für eine Nachbesserung der Mietpreisbremse. Lassen Sie uns die doch gemeinsam nutzen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, zu guter Letzt: Neben einer guten Mietpreisbremse brauchen wir auch eine richtige Bodenpreisbremse. (Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre ja Enteignung!) Auch hier müssen wir einmal einen Riegel vorschieben. Und wir brauchen einen besseren Kündigungsschutz für Gewerbemieten. Was den Mietern passiert, passiert ja auch den kleinen Läden. Sie haben es vielleicht hier in Berlin beim Café Filou, bei der Buchhandlung Kisch & Co oder auch bei Bantelmann mitbekommen. Alle diese Läden, die seit Jahren die Stadtteile prägen, sind jetzt vom Rausschmiss bedroht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie auch. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Caren Lay (DIE LINKE): Das dürfen Sie nicht zulassen. Wir brauchen einen besseren Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter und auch für die kleinen Läden. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU): Sie haben keinen Satz zum Neubau gesagt!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Caren Lay. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Linken auf Drucksache 18/11429 zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat bekannt: abgegebene Stimmen 565. Mit Ja haben gestimmt 110 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 455. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 565; davon ja: 110 nein: 455 enthalten: 0 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Fraktionslos Erika Steinbach Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Wir fahren mit der Debatte fort. Der nächste Redner ist Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer auf den Rängen! Ich glaube, im Ziel sind wir uns doch alle einig. (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Da sind wir aber gespannt, Herr Luczak! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie tun nur so!) – Doch, wir sind uns im Ziel alle einig: Wir wollen Mieter schützen, und wir wollen auch nicht, dass Mieter aus ihren angestammten Wohnvierteln verdrängt werden. (Ulli Nissen [SPD]: Was sagen Sie Ihren Wählerinnen und Wählern in Berlin, Herr Luczak?) Das Einzige, worin wir uns nicht einig sind, ist, wie wir den Weg beschreiten, wie wir das Ziel das erreichen. Man muss einfach sagen: Die Wohnungsmärkte in Deutschland sind eben sehr differenziert. Es ist ein großer Unterschied, ob man über Ballungszentren wie Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf (Ulli Nissen [SPD]: Frankfurt!) oder Universitätsstädte oder über den ländlichen Raum spricht. Es gibt da komplett unterschiedliche Situationen. (Caren Lay [DIE LINKE]: Das ändert nichts an der Richtigkeit unserer Forderungen!) Weil die Wohnungsmärkte so differenziert sind, brauchen wir differenzierte Lösungen. Da bringen uns die einfachen Antworten, die uns die Linken und auch die Grünen vorschlagen, überhaupt nicht weiter, meine Damen und Herren. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das sind keine einfachen Antworten! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfache Wahrheiten? Haben Sie den Antrag überhaupt gelesen?) Für uns ist es wichtig, dass es einen Ausgleich zwischen den Mietern auf der einen Seite und den Vermietern, den vermietenden Eigentümern auf der anderen Seite gibt. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist aber nicht eingetreten!) Deswegen haben wir ja auch das Instrument der Mietpreisbremse eingeführt. Das stand schon in unserem Wahlprogramm und in unserem Koalitionsprogramm. Jetzt fragen manche: Funktioniert die Mietpreisbremse? – Dazu gibt es in der Tat unterschiedliche Studien, die man methodisch hinterfragen könnte, zum Beispiel das, Frau Lay, was Sie angesprochen haben, dass nämlich 95 Prozent der Mieten, die angeboten werden, über der ortsüblichen Vergleichsmiete lägen. Daraus ziehen Sie jetzt den Schluss, dass es sich dabei immer um Verstöße gegen die Mietpreisbremse handele. (Caren Lay [DIE LINKE]: Der Deutsche Mieterbund hat das geschrieben!) Ich sage: Nein. Man muss sich einmal genau anschauen, was dahintersteht. Sie können bei den Angeboten, die man zum Beispiel auf Immoscout und anderswo findet, nicht wissen, ob die Vormiete nicht möglicherweise schon höher gewesen ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden aber mit den Berlinerinnen und Berlinern! Dann wissen wir es!) Sie wissen nicht, ob es sich um eine umfassend modernisierte Wohnung handelt. All das können Sie nicht an den Angeboten ablesen. Deswegen ist der Schluss, den Sie daraus ziehen, nämlich dass 95 Prozent der Vermieter betrügen würden, einfach nicht in Ordnung. (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN) Sie sollten an dieser Stelle lieber ein bisschen mehr bei den Fakten bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage ganz klar: Wir als Gesetzgeber haben die klare Erwartung, dass sich die Vermieter an die Mietpreisbremse halten. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Na toll!) Das ist eine völlige Selbstverständlichkeit. Wir machen Gesetze, damit sich daran gehalten wird. Deswegen haben wir den Mietern ja auch Rechte an die Hand gegeben. Sie können die überhöhte Miete rügen und dann die zu viel gezahlte Miete zurückverlangen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber erst ab Widerspruch, Herr Luczak!) Das ist gut und richtig. Ich kann nur alle Mieterinnen und Mieter auffordern: Nehmt diese Rechte wahr, ihr werdet Erfolg haben! – Das zeigen alle Gerichtsurteile, die es bislang gibt. Selbst der Deutsche Mieterbund sagt: Alle Urteile, die es zur Mietpreisbremse gibt, sind ausnahmslos zugunsten der Mieter ausgefallen. Ausnahmslos! (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil vorher die Miete falsch war!) Deswegen kann ich nur noch einmal festhalten: Die Mietpreisbremse ist selbstverständlich kein Allheilmittel – darauf komme ich noch zu sprechen –, (Ulli Nissen [SPD]: Wir sind auf Verbesserungsvorschläge gespannt!) aber sie ist ein Instrument, das funktioniert. Ich kann nur sagen: Mit besonderer Selbstbehauptung sollten die Mieter ihre Rechte wahrnehmen, dann werden sie auch vor den Gerichten Erfolg haben, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt komme ich zu den Ausnahmen, die, wie die Linken und die Grünen vorschlagen, gestrichen werden sollen. Die Ausnahmen sind ja nicht einfach irgendwie entstanden; vielmehr haben wir uns alle Ausnahmen wohl überlegt. Alle Ausnahmen haben ihre Berechtigung. (Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, um die Mietpreisbremse wirkungslos zu machen!) Ich nenne das Beispiel Neubau. Die Mietpreisbremse wirkt nicht – und soll auch nicht greifen –, wenn es um neugebaute Wohnungen geht. Das liegt nicht daran, dass wir Spekulation befördern wollen, sondern das liegt daran, dass Sie heute keine neue Wohnung zu den Preisen der ortsüblichen Vergleichsmiete bauen können. Das können Sie einfach nicht; das geht nicht. Dafür sind die Baukosten zu hoch. Sie müssen derzeit 10 bis 11 Euro pro Quadratmeter an Miete einplanen, um neu bauen zu können. Würde die Mietpreisbremse da auch gelten, hieße das: Ich baue für 10 Euro pro Quadratmeter, aber wenn die ortsübliche Vergleichsmiete bei 7 Euro pro Quadratmeter liegt, dann fehlen auf einmal 3 Euro pro Quadratmeter in der Rechnung. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Bei der Wiedervermietung, Herr Luczak! Es geht um die Wiedervermietung!) Das würde bedeuten, dass sich das Ganze nicht trägt, dass es nicht wirtschaftlich und nicht finanzierbar ist. Die Folge wäre weniger Neubau. Damit würden wir das Problem doch nur verschärfen. Die steigenden Mieten resultieren doch daraus, dass wir ein zu geringes Angebot auf dem Wohnungsmarkt haben. Deswegen müssen wir alles dafür tun, dass die Mietpreisbremse keine Investitionsbremse ist und dass in unserem Land mehr gebaut wird. Deswegen ist diese Ausnahme für den Neubau auch völlig richtig, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein zweiter Punkt, den Sie streichen wollen, hat mit dem Bestandsschutz zu tun. Wir haben gesagt: Wir können nicht in bestehende Verträge eingreifen und sagen: Du vermietest deine Wohnung aktuell zwar für 10 Euro pro Quadratmeter, wenn du sie jetzt neu vermietest, dürfen das aber nur noch 7 Euro sein. – Wir müssen uns da doch in dem Rahmen bewegen, den die Verfassung uns vorgibt. Es geht um Artikel 14 unseres Grundgesetzes, den Schutz des Eigentums. Wenn wir in einen laufenden Vertrag oder eine laufende Finanzierung eingreifen würden – natürlich gibt es bestimmte Erwartungen, was man aus einer Mietwohnung herausbekommt –, würden wir unter dem Strich erstens verfassungswidrig handeln und zweitens – das ist ein ganz praktisches Problem – viele kleine Vermieter, um die es hier auch geht, in den Ruin treiben. Wir reden ja nicht immer nur über die großen Wohnungsgesellschaften, sondern vor allem auch über die vielen privaten Kleinvermieter. Deswegen werden wir solche Ausnahmen nicht mitmachen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niemand hat hier beantragt, in laufende Verträge einzugreifen! Das ist eine Nebelkerze, die Sie hier zünden, Herr Luczak!) Wenn Sie beim Bestandsschutz eine Ausnahme machen wollen, dann stellt das selbstverständlich einen Eingriff in bestehende Verträge dar, weil Sie damit sozusagen auf die Situation zugreifen. Es entstünde also eine Rückwirkungsproblematik, die verfassungsrechtlich höchst problematisch ist. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Es ist ganz klar, Herr Kollege Kühn, dass wir uns damit in verfassungsrechtlicher Hinsicht auf sehr dünnem Eis bewegen würden. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nur um Neuverträge!) Das werden wir nicht mitmachen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das trifft sich gut! Das will ja auch keiner!) Ich möchte noch etwas zur Modernisierung sagen. Die umfassende Modernisierung ist eine weitere Ausnahme, die wir bei der Mietpreisbremse vorgesehen haben. Ich möchte eines ganz klar sagen: Natürlich soll es hier keinen Missbrauch geben. Da sind wir völlig klar, auch als Union. Es darf nicht sein, dass junge Familien oder ältere Menschen aus ihrer Wohnung herausmodernisiert werden. Wenn ein Missbrauch offen zutage tritt, muss es – das sage ich ganz klar – Sanktionen geben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten Sie es doch reingeschrieben!) Dann muss überlegt werden, ob man Schadenersatzansprüche geltend machen kann. Man müsste auch darüber nachdenken, ob das vielleicht sogar ein ordnungswidriges Verhalten ist. Da bin ich völlig dabei. Einen Missbrauch des Instruments der Modernisierungsmieterhöhung darf es nicht geben, und das gibt es mit uns auch nicht. (Klaus Mindrup [SPD]: Gibt es aber ständig!) Ich finde Ihre Argumentation in dieser Diskussion seltsam. Sie sagen zum Beispiel, wir hätten die Schwelle für die umfassende Modernisierung zu hoch angesetzt. Was ist eigentlich eine umfassende Modernisierung? Sie sagen, wenn man ein Drittel der Kosten, die ein vergleichbarer Neubau gekostet hätte, aufwenden muss, würde dadurch ein falscher Anreiz gesetzt. Das würde nämlich dazu führen, dass alle Vermieter möglichst hochpreisig modernisierten, um unter diese Ausnahmeregelung zu fallen. Dazu kann ich nur sagen: Wir als Union haben darauf hingewiesen, dass dieser Effekt eintreten kann. Weil wir genau dieses Problem gesehen haben, haben wir gesagt: Wir dürfen die Schwelle nicht zu hoch setzen. Deswegen haben wir in die Begründung hineingeschrieben, dass auch in den Fällen, in denen ein Drittel der Kosten nicht erreicht wird, aber verschiedene Baugruppen qualitativ angefasst werden, zum Beispiel Badsanierung, Fenstersanierung oder Elektroinstallation, eine umfassende Modernisierung vorliegt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Gegenteil von dem, was Sie gerade gesagt haben!) Damit wollen wir eine möglichst hochpreisige Modernisierung verhindern. Wir wollen keinen Anreiz für eine hochpreisige Modernisierung bieten, die die Mieter hinterher vor Schwierigkeiten stellt. Das haben wir als Union hineinverhandelt, und das war auch richtig so. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt der Applaus der Union?) Ich will noch einen Punkt ansprechen. Sie tun ja immer so, als seien alle Modernisierungen Luxusmodernisierungen, dass das quasi der Regelfall sei. Ich sage: Nein, das ist nicht so. In den allermeisten Fällen geht es um eine energetische Modernisierung oder den altersgerechten Umbau. Das sind beides gesamtgesellschaftlich wichtige Ziele, die wir verfolgen. Ich glaube, da sind wir uns völlig einig. Natürlich brauchen wir die energetische Sanierung, um unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele zu erreichen, und natürlich brauchen wir auch einen altersgerechten Umbau, um mit der demografischen Entwicklung Schritt halten zu können. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun Sie aber nicht!) Die Grünen haben das in ihrem Antrag sehr schön formuliert. Das könnte ich eins zu eins übernehmen. Sie schreiben in ihrem Antrag: Unsere Wohnungen und Wohnungsmärkte müssen fit für die Zukunft gemacht werden. ... Angesichts der Klimakrise ist es dringend notwendig, auch im Gebäudebestand deutlich mehr Energie einzusparen. Dann geht es weiter: Zusätzlich brauchen wir durch den demographischen Wandel vermehrt altersgerechte und barrierefreie Wohnungen, damit die Menschen so lange wie möglich selbstbestimmt leben können. (Ulli Nissen [SPD]: Aber wenn sie die Miete nicht mehr bezahlen können, was ist dann?) Ja, genau. Wunderbar schreiben Sie das in Ihrem Antrag. Das ist völlig richtig so. Nur: Sie ziehen die völlig falschen Schlüsse daraus. Wozu würde das, was Sie jetzt hier vorschlagen, nämlich die Ausnahmen für die umfassende Modernisierung abzuschaffen und bei der Modernisierungsmieterhöhung massive Einschnitte vorzunehmen, führen? Das führt doch nur dazu, dass diese Modernisierungen unter dem Strich nicht mehr wirtschaftlich tragbar sind und nicht mehr finanzierbar sind. Dann werden sie letztlich auch nicht mehr vorgenommen. Und wer hat dann hinterher die Folgen zu tragen? Das sind doch die Mieterinnen und Mieter, die mit der zweiten Miete, den Betriebskosten, jetzt schon erheblich belastet sind. Die zweite Miete, die Betriebskosten, ist viel stärker als die Kaltmiete gestiegen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das gilt aber auch nicht überall! Gucken Sie einmal nach Köln oder München!) Gerade die altersgerechte Modernisierung halte ich wirklich für eine zutiefst soziale Frage. Die 90-jährige Witwe, die ihr Bad nicht mehr benutzen kann, weil es nicht altersgerecht umgebaut ist, und nicht mehr in ihre Wohnung kommt, weil sie vielleicht Probleme mit der Hüfte hat und es keinen Fahrstuhl gibt, müsste also aus ihrer Wohnung ausziehen, weil Sie verhindern, dass die Wohnung modernisiert wird. Das geht nicht. Das werden wir nicht mitmachen. Das ist auch eine soziale Frage, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Und wie soll sie die Miete bezahlen, wenn dann der Fahrstuhl drin ist? – Zuruf des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deswegen ist es völlig richtig, dass das Konzept der Modernisierung bei den Kosten auf drei Schultern liegt. Natürlich muss der vermietende Eigentümer Kosten tragen. Natürlich muss auch der Staat hier etwas tun. Da muss gefördert werden. Es gibt ja eine ganze Reihe von Förderprogrammen bei der KfW. Man kann auch noch überlegen, was man steuerlich machen kann. Aber natürlich muss auch der Mieter seinen Anteil über die Modernisierungsmieterhöhung dazu beitragen. Wir wollen insbesondere deshalb an diesem Konzept der drei Säulen, die das Ganze tragen, festhalten, weil wir sonst die gesamtgesellschaftlichen Ziele nicht erreichen. Dass Sie hier die Belastung einseitig den Vermietern aufbürden wollen, ist nicht in Ordnung. Das wird es mit der Union auch nicht geben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen – es gäbe noch ein paar Punkte, die ich ansprechen könnte; aber irgendwann ist meine Redezeit dann auch zu Ende –, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur die Redezeit, Herr Kollege! Keine Sorge! Nur die Redezeit!) nämlich die Rügepflicht, die Sie streichen wollen. Aktuell ist es ja folgendermaßen: Wenn ein Mieter in eine Wohnung einzieht, dann kann er – dieses Recht haben wir ihm gegeben – die Höhe seiner Miete rügen. Ab diesem Zeitpunkt kann er, wenn sich hinterher herausstellt, dass die Miete zu hoch war, den zu viel gezahlten Betrag auch zurückverlangen. Er kann also zum Vermieter sagen: Ich habe zu viel gezahlt; bitte zahle mir das zurück. (Ulli Nissen [SPD]: Aber erst ab Widerspruch, Herr Luczak! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum erst ab Widerspruch?) – Ab der Rüge, Frau Kollegin. (Ulli Nissen [SPD]: Warum das, wenn es ein Fehler war?) Und was ist jetzt der Sinn und Zweck dieser Rügepflicht, die Sie nun streichen wollen? Sie sagen, im Prinzip schaffe ein solches Verfahren für den Vermieter einen Anreiz, die Mietpreisbremse zu umgehen. (Ulli Nissen [SPD]: Logisch!) Sie bauen hier wieder das Feindbild des Vermieters auf. An dieser Stelle müssen wir wirklich deutlich Widerspruch erheben. Das entspricht einfach nicht den Tatsachen. Die weit überwiegende Zahl der Mietverhältnisse funktioniert wunderbar. Da gibt es ein gutes Verhältnis zwischen Vermietern und Mietern, und das klappt wirklich ohne Probleme. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wo ist dann Ihr Problem? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie dann überhaupt ein Gesetz, wenn es so schön ist?) Der tatsächliche Sinn und Zweck dieser Rügepflicht ist doch, Planungssicherheit zu geben – Planungssicherheit für den Vermieter, weil er nämlich wissen muss, was er verlangen kann. (Ulli Nissen [SPD]: Ja, Planungssicherheit für den Vermieter! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Luczak, wie kalt ist das denn? Planungssicherheit für den Eigentümer, und dem kleinen Mann wird in die Tasche gefasst?) Wir reden jetzt – noch einmal – nicht über die großen Gesellschaften, sondern es geht, liebe Frau Künast, um den kleinen Vermieter, den kleinen Eigentümer, der vielleicht eine oder zwei Wohnungen als Altersvorsorge hat. Dieser hat große Probleme, zu bestimmen: Wie hoch ist denn eigentlich die ortsübliche Vergleichsmiete plus 10 Prozent? Wie viel Miete kann ich denn da überhaupt nehmen? Er hat große Probleme, diese zu ermitteln, weil wir immer noch keine Reform der Mietspiegel haben. Als Union haben wir das schon lange eingefordert. Das BMJV hat aber immer noch keinen vernünftigen Vorschlag vorgelegt. Das wäre einmal ein richtiger Vorschlag, damit wir da einmal ein Stück weiterkommen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Luczak, bitte einmal atmen und die Frage beantworten: Sind Sie dazu bereit, eine Zwischenfrage – – Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Ja. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. – Frau Lay. (Ulli Nissen [SPD]: Er grinst jetzt voller Freude!) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Meine Zeit ist angehalten worden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich sage nur: Sitzungsschluss 3 Uhr morgens. Caren Lay (DIE LINKE): Vielen herzlichen Dank dafür, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben jetzt lange und ausführlich erläutert, bei welchen Nachbesserungen der Mietpreisbremse Sie nicht mitgehen würden. Ich habe aber mehrere Zitate von Ihnen gefunden, in denen Sie gesagt haben, dass Sie offen für Nachbesserungen sind, zum Beispiel im Bereich der Auskunftspflicht des Vermieters. Entsprechend haben Sie sich im Mai 2016 sowie am 7. und am 8. September 2016 zitieren lassen. Sind Sie weiterhin bereit, wenigstens in diesem einen Punkt, der Auskunftspflicht des Vermieters, die Mietpreisbremse noch in dieser Legislaturperiode nachzubessern? Oder galt diese Aussage nur kurz vor den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin? (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Ich stand selber bei den Abgeordnetenhauswahlen von Berlin nicht zur Wahl. Insofern war das völlig unabhängig von diesen Wahlen, Frau Kollegin. (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für mich und für uns alle in der Fraktion ist völlig klar: Die Mietpreisbremse muss in der Praxis funktionieren. Es bringt ja überhaupt nichts, wenn wir hier als Gesetzgeber Gesetze erlassen, an die sich hinterher in der Praxis keiner hält. Deswegen sage ich: Alles das, was dazu führt, dass die Mietpreisbremse in der Praxis besser funktioniert, finde ich selbstverständlich in Ordnung. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr tut doch nur so!) Deswegen kann man auch über das Auskunftsrecht reden, wenn es um die Vormiete geht. Das Auskunftsrecht, das Sie jetzt vorschlagen und haben wollen, geht aber viel weiter. Sie sagen ja, dass der Vermieter dem Mieter alle erdenklichen Tatsachen beibringen muss, damit der Mieter das Ganze valide beurteilen kann. An dieser Stelle sage ich noch einmal: Wir reden hier nicht von den großen Gesellschaften, sondern von den 65 Prozent der Wohnungen in unserem Land, die von privaten Kleinvermietern angeboten werden. Diese haben große Schwierigkeiten, zu ermitteln, was denn eigentlich die ortsübliche Vergleichsmiete ist. Wenn Sie jetzt verlangen, dass sozusagen alle Tatsachen beigebracht werden, dass es valide sein muss, dann wälzen Sie damit einseitig das Risiko auf die Vermieter ab. Das ist nicht in Ordnung. Deswegen noch einmal: Über die Auskunftspflicht kann man reden. Aber auch alle anderen Tatsachen vorher mitzuteilen, das wird es mit der Union an der Stelle nicht geben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Sie lügen sich hier etwas zurecht!) Jetzt fängt die Uhr wieder an, zu laufen. Ich habe nur noch wenige Sekunden Redezeit. Deswegen möchte ich noch kurz meine Gedanken zum zuletzt von mir angesprochenen Punkt, zur Rügepflicht, zu Ende bringen. Planungssicherheit war der entscheidende Gesichtspunkt an dieser Stelle. Wenn man die Rügepflicht obsolet werden lassen würde, wenn man sie streichen würde, würde das möglicherweise dazu führen, dass ein Mieter, der über Jahre in einer Wohnung gewohnt hat, wenn er ohnehin auszieht, sagen könnte: Ich habe eigentlich viel zu viel Miete gezahlt und fordere den Differenzbetrag jetzt zurück. – Dadurch würde sich der private Kleinvermieter mit einer großen Summe, die er zurückzahlen müsste, konfrontiert sehen. Dies könnte ihn eventuell sogar in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen. Deswegen haben wir gesagt: Nein, wir wollen hier Rechtssicherheit haben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch gar keine Rechtssicherheit!) Wir wollen nicht, dass jemand überfordert wird. Deswegen ist die Rügepflicht richtig. Vizepräsidentin Claudia Roth: Redezeit! Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Der letzte Punkt. – All diejenigen Vermieter, die hier Missbrauch betreiben, die vorsätzlich eine falsche Vormiete angeben, sind Betrüger. Das ist ganz klar. (Die Verblendung eines Sitzplatzes in den Reihen der LINKEN fällt zu Boden) – So schlimm war das doch gar nicht, Frau Kollegin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Würden Sie bitte zum Ende kommen. Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Für solche Betrüger gibt es einschneidende Sanktionsmöglichkeiten; das ist in Ordnung. Deswegen: Unter dem Strich sind wir dafür, dass die Mietpreisbremse funktioniert. Das tut sie in der Praxis auch. Ihre Vorschläge können wir nicht mittragen, meine Damen und Herren, weil sie an der Praxis völlig vorbeigehen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Es macht nichts, dass Sie randaliert haben. Das bekommen wir wieder hin. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war eine Protestaktion!) – Das war eine Protestaktion, ja. – Nächster Redner: Chris Kühn für Bündnis 90/Die Grünen. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Stuttgart beträgt die durchschnittliche Neuvertragsmiete 13 Euro pro Quadratmeter. Dies sind 5,9 Prozent mehr als im letzten Jahr. In München – dies an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der CSU –: 17,55 Euro, Anstieg um 9,7 Prozent. Jetzt Berlin, Herr Luczak: 10 Euro, Anstieg im letzten Jahr um 12,3 Prozent. Eine große deutsche Illustrierte hat dieser Tage getitelt: „Städter in Not“. Ich sage: Diese Illustrierte hat absolut recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Aber Angebotsmieten natürlich! Bleiben Sie bei der Wahrheit!) Ich will nicht, dass Städte zu Wellnesszonen für Wohlhabende oder Reichenghettos werden, sondern die durchmischte Stadt, die sozial gerechte Stadt ist das Ziel. Das hat diese Koalition in dieser Legislaturperiode gemeinsam leider nicht geschafft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Daran arbeiten wir noch!) Sie haben dabei, die Mieten in Deutschland zu deckeln, völlig versagt. Die Kanzlerin hatte es im letzten Wahlkampf versprochen. Auch die SPD hatte es versprochen. Aber Sie sind damit gescheitert. Diese Zahlen zeigen ganz klar: Die Mietpreisbremse in Deutschland funktioniert nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das sehen die Gerichte aber anders!) Sie funktioniert deswegen nicht, Herr Luczak, weil Sie von der Union die Mietpreisbremse von Anfang an hintertrieben haben. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Die SPD hat sich bei diesem Spiel leider aufs Kreuz legen lassen. Wenn Sie nun heute hier sagen, dass das Raussanieren ein Problem ist, aber dass Sie nichts an der Modernisierungsumlage ändern wollen, (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!) dann ist aus unserer Perspektive ganz klar, dass Sie hier Krokodilstränen vergießen, aber nicht politisch handeln wollen. Das finde ich, ehrlich gesagt, angesichts der Situation in unseren Städten unerträglich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Menschen werden heute durch Mieterhöhungen aufgrund von Sanierungen aus den Innenstädten und aus den Kiezen vertrieben. Das hat damit zu tun, dass die Mietpreisbremse zu viele Löcher hat, dass sie zu viele Ausnahmen kennt, dass sie nicht transparent ist und dass es eine Rügepflicht gibt, die dem Mietrecht eigentlich systemfremd ist. Das haben Sie zu verantworten. Deswegen haben Sie die Mieterinnen und Mieter in dieser Legislaturperiode enttäuscht. Sie als Union sollten sich wirklich einmal überlegen, ob Sie mit diesen Ansagen an die Mieterinnen und Mieter auch in den nächsten Wahlkampf ziehen wollen, wenn Sie schon jetzt mit der Mietpreisbremse so gegen die Wand gefahren sind. Sehr geehrter Herr Luczak, noch einmal: Ich höre immer wieder, dass Sie von Eigentum und Eigentümern sprechen; das haben Sie auch jetzt wieder ein paarmal gesagt. Sie sagen auch immer wieder, zum Beispiel auf Podiumsdiskussionen: Wir wollen zukünftige Eigentümer schützen und in Eigentum bringen. – Die Eigentümer von morgen sind doch die Mieterinnen und Mieter von heute. Die hohen Mietpreise fressen den Menschen sozusagen das Geld weg, sodass sie nichts mehr sparen können, um Eigentum zu erwerben. Ich sage Ihnen: Eine funktionierende Mietpreisbremse ist auch Schutz der Eigentümer von morgen. Deswegen sollten Sie sich noch einmal überlegen, ob die Position, die Sie im Augenblick bei der Mietpreisbremse haben, wirklich zu Ihren Grundhaltungen passt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Dann könnten Sie doch schon einmal bei der Grunderwerbsteuer in Berlin ansetzen!) Heute haben Sie, weil es hier um Gesetzentwürfe geht, über die auch namentlich abgestimmt wird, die Chance, Farbe zu bekennen, ob Sie die Mietpreisbremse wirklich scharfstellen wollen, ob Sie also mietrechtliche Reformen durchführen wollen oder nicht. Dies ist, soweit man das im Augenblick sehen kann, in dieser Legislaturperiode die letzte Mietrechtsdebatte, (Ulli Nissen [SPD]: Das wird sich noch zeigen! Wenn man ein gutes Gesetz einbringt, werden Sie sich noch wundern!) die von der Opposition beantragt worden ist. Sie haben nun die Chance, die größten Schnitzer aus der Mietrechtsnovelle herauszunehmen. Ich glaube nicht mehr an ein zweites Mietrechtspaket. Es ist von Heiko Maas mehrfach vorgeschlagen, aber von der Union abgebügelt worden. Ich sage Ihnen deswegen: Heute haben Sie die Chance, noch etwas zu ändern. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, reden viel über sozialen Zusammenhalt, soziale Gerechtigkeit und davon, dass Sie Mieterinnen und Mieter in Deutschland schützen wollen. (Ulli Nissen [SPD]: Wir reden nicht nur darüber!) Auch Ihr Spitzenkandidat tut das. Aber am Ende, glaube ich, kommen Sie nicht darum herum: Auch im Wahlkampf müssen Sie Ihrem Handeln hier im Parlament und der Bilanz, die Sie als Große Koalition vorlegen, standhalten; das sage ich Ihnen ganz klar. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Keine Sorge!) Deswegen fordere ich Sie auf: Bekennen Sie hier und heute Farbe! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn man heutzutage in Stuttgart mit durchschnittlich 75 anderen Menschen in der Schlange steht, um sich um eine Wohnung zu bewerben, dann wird einem vollkommen klar, dass die Wohnungsmärkte aus dem Ruder geraten sind. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Richtig! Aber da nützt eine Mietpreisbremse überhaupt nichts! – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Deshalb brauchen wir mehr Neubau!) Das Mietrecht, wie wir es kennen, ist ein Ausgleichsrecht. Aber es funktioniert angesichts der überhitzten Wohnungsmärkte eben nicht mehr, Mieterinnen und Mieter vor Raussanierungen und überzogenen Mietforderungen zu schützen. Deswegen braucht es eine soziale Erneuerung des Mietrechts. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sagen Sie doch auch mal einen Satz zum Thema Neubau, bitte!) Dafür stehen wir Grünen, sowohl mit unserem Antrag als auch mit unseren Gesetzentwürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bilanz, Herr Luczak, die Sie hier so schön dargestellt haben, ist doch eine ganz andere. Die Bilanz ist doch eigentlich, dass die Mieterinnen und Mieter in dieser Legislaturperiode in eine ziemlich dunkle Röhre geblickt haben. Und auf dieser dunklen Röhre stehen „CDU/CSU“ und „Herr Luczak“ drauf. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Mit der Aussage bin ich einverstanden!) Denn Sie haben verhindert, dass in dieser Legislaturperiode mehr Rechte für Mieterinnen und Mieter beschlossen wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ziemlich platt, Herr Kollege Kühn!) Es braucht also eine Ablösung der Großen Koalition, auch angesichts der dramatischen Situation auf den Wohnungsmärkten. Sie sind nämlich nicht handlungsfähig, weder beim Mietrecht noch bei anderen Fragen des Wohnens. Wir Grünen treten dafür ein, dass es mehr Schutz für Mieterinnen und Mieter, mehr sozialen Wohnungsbau (Michael Frieser [CDU/CSU]: Ha, ha! Das ist unfassbar!) und endlich wieder ausgeglichene Wohnungsmärkte gibt. Wir wollen damit dafür sorgen, dass wir den sozialen Zusammenhalt in unseren Städten nicht länger gefährden. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie hätten auch mal einen Satz zum sozialen Wohnungsbau sagen sollen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Chris Kühn. – Nächster Redner: Klaus Mindrup für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Klaus Mindrup (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich Sprechstunden durchführe oder in meinem Wahlkreis in Berlin unterwegs bin, gibt es ein Thema, auf das ich am häufigsten angesprochen werde: Das ist die Angst der Menschen, ihre eigene Wohnung zu verlieren, sei es durch starke Mietsteigerungen, sei es durch Modernisierungen, sei es durch Umwandlung in Eigentumswohnungen oder sei es durch Eigenbedarfskündigungen. Ich persönlich kann diese Angst nachvollziehen. Ich finde, wir dürfen sie an dieser Stelle auch nicht kleinreden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin seit 2002 Aufsichtsrat einer kleinen Mietergenossenschaft im Prenzlauer Berg. Als im Jahr 2000 ein Spekulant unsere Wohnungen erwerben wollte, ist es uns gelungen, sie zu sichern. Wir haben seitdem spekulationsfreien Wohnraum zur Verfügung gestellt, wir haben weitere Häuser dazugekauft, wir schreiben schwarze Zahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, und wir vermieten weit unter dem Mietspiegel. Das ist also möglich, auch mit einem seriösen Geschäftsmodell möglich. Ein paar Straßen weiter, in der Kopenhagener Straße, wo ich mein Wahlkreisbüro habe, steht ein Haus, über das hier schon mehrfach diskutiert worden ist. Da sieht man, was in diesem Land rechtlich auch möglich ist. Wir müssen uns dieses Extrembeispiel einmal anschauen. Das Haus in der Kopenhagener Straße 46 hat einem Freund von mir gehört. Nachdem er gestorben war, haben seine Kinder das Haus meistbietend weiterverkauft. Der neue Eigentümer hat eine umfassende Modernisierung angekündigt. Die Mieten sollten um 10 bis 15 Euro pro Quadratmeter steigen, also nicht auf, sondern um 10 bis 15 Euro. Die Modernisierung sollte von Firmen durchgeführt werden – und wurde auch zum Teil von diesen durchgeführt –, die mit dem neuen Eigentümer wirtschaftlich verflochten waren. Daher wurden extrem hohe Baukosten aufgerufen. Das Ziel des neuen Eigentümers war aber gar nicht, als Vermieter aufzutreten. Er hat den Altbau in Eigentumswohnungen aufteilen lassen, um sie zu verkaufen. Damit dieses Modell aufgeht, musste er erst einmal seine Mieterinnen und Mieter, eigentlich seine Kunden, loswerden. Ihm ist das – bis auf zwei Wohnungen – auch gelungen. Heute stellen wir fest, dass gar nicht alle Baumaßnahmen, die damals angekündigt worden sind, auch durchgeführt wurden. Nachdem ein Haus entmietet wurde, kann man ja Eigentumswohnungen als Betongold verkaufen, auch wenn die teure Wärmerückgewinnung gar nicht gebaut wurde. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Da müssen wir ran!) Ich erwähne dieses Modell, weil oftmals nicht zwischen den Geschäftsmodellen unterschieden wird. Man spricht häufig von „Investoren“, aber es gibt einen Unterschied zwischen Vermietern, die sich an die Spielregeln halten – vor allen Dingen städtische Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, kleine Vermieter und andere –, und Leuten, die Häuser billig aufkaufen und entmieten, um die Wohnungen anschließend teuer zu verkaufen. In diesem Land hat sich ein grauer Baumarkt breitgemacht. Diesen grauen Baumarkt müssen wir stoppen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und ich habe gerade von Herrn Dr. Luczak gehört, dass die Union das will. Die Therapie bzw. die Methode ist schon klar. Heiko Maas hat das Mietrechtspaket II vorgelegt, und nach dem Mietrechtspaket II wird so etwas wie in der Kopenhagener Straße gar nicht mehr möglich sein, (Ulli Nissen [SPD]: Was nun, Herr Luczak? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die Abg. Ulli Nissen [SPD] gewandt: Er sagt jetzt: Darüber müssen wir reden!) weil danach bei Modernisierungen auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu beachten sein wird. Das müsste einer Partei der sozialen Marktwirtschaft eigentlich verständlich zu machen sein. (Beifall bei der SPD) Wirtschaftlichkeit und soziale Zumutbarkeit werden bei Modernisierungen nicht mehr richtig geprüft. Das ist ein ganz schwerer Fehler. Man kann ihn relativ einfach beheben, indem man sagt: Die Höhe der umlegbaren Kosten wird gekappt, wie das von Herrn Maas ja auch vorgeschlagen worden ist, und die Modernisierungsumlage wird der Zinsentwicklung angepasst. Damit kann jeder seriöse Vermieter leben, aber der graue Baumarkt in unserem Land würde ausgetrocknet. Ein Parlament wie der Bundestag muss doch in der Lage sein, so etwas zu beschließen. (Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Große Koalition ist es nicht!) Wir als SPD wollen gemeinwohlorientierte Geschäftsmodelle unterstützen. Als Erstes sehen wir natürlich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften und die Genossenschaften als Partner an. Wir können das Bündnis aber gerne um alle erweitern, die das Gemeinwohl im Blick haben. Ich bin hier überhaupt nicht ideologiefrei. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das war ein Freud’scher Versprecher!) – Ich bin hier überhaupt nicht ideologiebehaftet. Das war ein schöner Versprecher, aber das Thema ist wirklich ernst. – Es geht tatsächlich um den sozialen Frieden in unserem Land; das ist ja schon deutlich gemacht worden. Eine soziale Marktwirtschaft funktioniert nur dann, wenn der soziale Frieden gewahrt wird und wenn Mieterinnen und Mieter dauerhaft und sicher in ihren Wohnungen leben können. Die Mietpreissteigerungen sind ja gerade schon zu Recht angesprochen worden. Was soll eine Rentnerin bzw. ein Rentner denn machen? Die Renten steigen dank unserer Politik zwar etwas, aber die Mieten steigen noch viel schneller. Das kann doch nicht funktionieren. Deswegen besteht hier dringender Handlungsbedarf. (Beifall bei der SPD) Ich dachte, wir haben im Koalitionsvertrag vernünftige Lösungen gefunden, die ganz klar den Weg weisen. Eigentlich wurde verabredet, dass das Mietrechtspaket II umgesetzt werden muss. Ich stelle aber fest, dass wir uns hier bei der konkreten Umsetzung offensichtlich nicht einig werden. Daraus kann ich nur eine Schlussfolgerung ziehen: In den nächsten Koalitionsvertrag – ich hoffe und gehe davon aus, dass wir der künftigen Koalition angehören werden – wird die SPD ganz eindeutige Regelungen hineinschreiben, und ich kann Ihnen versprechen, dass wir, ähnlich wie beim Mindestlohn, ein soziales Mietrecht in diesem Land durchsetzen werden. Danke schön. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Klaus Mindrup. – Nächster Redner: Kai Wegner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kai Wegner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Miete und Wohnen“ ist für die Menschen in unserem Land von größter Bedeutung (Die Verblendung eines Sitzplatzes in den Reihen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN fällt zu Boden – Heiterkeit im ganzen Hause) Vizepräsidentin Claudia Roth: Entschuldigen Sie! – Ich weiß nicht, was heute mit der Opposition los ist. (Heiterkeit im ganzen Hause – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, nach der Bundespräsidentenwahl sind sie nicht ordentlich festgezogen worden!) Vielleicht war nachts jemand unterwegs und hat sie angesägt – keine Ahnung. Kai Wegner (CDU/CSU): Frau Künast, ich habe doch noch gar nicht angefangen. Der Protest muss doch nicht jetzt schon kommen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Auch diese Lücke werden wir füllen. – Herr Wegner, reden Sie bitte einfach weiter. Kai Wegner (CDU/CSU): Das Thema „Miete und Wohnen“ ist für die Menschen in unserem Land von größter Bedeutung. Deshalb begrüße ich es in der Tat, dass wir einmal mehr in dieser Legislaturperiode eine Debatte hierzu führen. Ein ausgewogenes und – ja – soziales Mietrecht ist für diese Koalition eine schiere Selbstverständlichkeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade weil das Wohnen eine existenzielle Bedeutung hat, ist das Mietrecht in Deutschland zu Recht mieterfreundlich und mit einem weitreichenden Kündigungsschutz sowie einer Sozialklausel ausgestaltet worden. Vor diesem Hintergrund muss jeder Eingriff in das Mietrecht sorgfältig abgewogen sein, damit der gebotene Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen auch wirklich gewährleistet bleibt. Wenn ich aber zum Beispiel lese, was Linke und Grüne zum Kündigungsschutz im Wohnraummietrecht vorlegen, muss ich schon sagen, dass diese Anträge Maß und Mitte schmerzlich vermissen lassen. Mit dem, was Sie uns hier präsentieren, werden Sie der notwendigen gesellschaftlichen Ausgewogenheit in keiner Weise gerecht. Im Gegenteil: Sie wollen übermäßig in die verfassungsmäßigen Eigentumsrechte der Vermieter eingreifen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und da machen wir nicht mit. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die ganz dicke Keule der Verfassung!) – Ja, das ist aber so. Fast noch schlimmer ist das, was in Ihren Initiativen zur Mietpreisbremse zu lesen ist. Insbesondere der Antrag der Linken liest sich wie ein einziger Misstrauensbeweis gegen alle Vermieterinnen und Vermieter. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, leider gibt es auch unter Vermietern vereinzelt schwarze Schafe. Das dürfen wir nicht dulden. Wir dürfen denen das auch nicht durchgehen lassen. Aber einen ganzen Berufsstand an den Pranger zu stellen, meine Damen und Herren, ist eben auch nicht in Ordnung. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vermieter ist doch gar kein Beruf! – Zurufe von der LINKEN) Diesen Misstrauensbeweis gegen Vermieterinnen und Vermieter, die beinahe 40 Millionen Menschen in unserem Lande ein Zuhause geben, weisen wir als CDU/CSU entschieden zurück. Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der sowohl bei den Linken als auch bei den Grünen vorkommt und bei dem es völlig in die falsche Richtung geht. Sie fordern, dass die Mietpreisbremse auch für erstvermietete Neubauwohnungen und umfassend modernisierte Wohnungen gelten soll. Damit zeigen Sie einmal mehr, dass Sie elementare Grundprinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung nicht verstanden haben, meine Damen und Herren. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie haben es nicht verstanden!) Kein rational denkender Mensch wird noch Geld in die Hand nehmen und neue Wohnungen bauen, wenn er das Geld nicht über die Miete wieder hineinbekommen kann, meine Damen und Herren. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat ja keiner was dagegen!) Und kein vernünftiger Mensch wird eine in die Jahre gekommene Wohnung sanieren und die Wohnqualität für die Mieter erhöhen, wenn er dafür am Ende noch draufzahlen muss. Linke und Grüne haben offenbar bis heute nicht verstanden, dass für eine ausreichende Wohnraumversorgung zu wenige Wohnungen gebaut werden und dass für die Erreichung der Klimaschutzziele zu wenig modernisiert wird, meine Damen und Herren. Wir haben die Mietpreisbremse eingeführt, um starken Preissteigerungen – – (Ulli Nissen [SPD]: Wer hat es erfunden? – Weitere Zurufe von der SPD) – Wir in der Koalition. Ich spreche doch von der Koalition; noch sind wir in der Koalition, auch wenn ihr euch etwas anderes wünscht. – Zur Wahrheit gehört, dass die Große Koalition diese Mietpreisbremse eingeführt hat. Die Vorgängerregierung aus Rot-Grün hat das übrigens nicht getan, meine Damen und Herren. Von daher ist es vielleicht ganz gut, dass die Union mitregiert. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Vorgängerregierung war Schwarz-Gelb, und die hat das Mietrecht richtig geschleift!) Ja, meine Damen und Herren, wir haben die Mietpreisbremse mit unserem Koalitionspartner eingeführt, um starken Preissteigerungen auf den Mietwohnungsmärkten zu begegnen. Und ja, wir wollen verhindern, dass sich Mieter eine Wohnung in Gegenden, in denen es eine starke Nachfrage gibt, nicht mehr leisten können. Sie hingegen wollen eine Mietpreisbremse, die zur Investitionsbremse umfunktioniert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auch da machen wir nicht mit; denn so etwas nützt weder den Mieterinnen und Mietern noch irgendjemand anderem. Vielmehr brauchen wir mehr Investitionen in neuen Wohnraum, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, wir wollen den Anstieg der Mieten begrenzen. Da sind wir uns alle einig. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht! Sie tun nur so!) Ja, wir wollen, dass in Deutschland Wohnen bezahlbar bleibt. Es gibt aber einen Unterschied, meine Damen und Herren: Sie von der Opposition wollen Wohnungsmangel verwalten, wir wollen Wohnungsneubau gestalten. Und wir tun gut daran. Denn wenn die Nachfrage nach Wohnungen steigt, dann muss auch das Angebot an Wohnungen mitwachsen, um die Mietpreise konstant zu halten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiß ja selbst Klein Fritzchen!) – Na, es wäre ja super gut, Frau Künast, wenn das alle wüssten. Es wäre auch gut, wenn in Ihren Initiativen, die wir heute beraten, irgendetwas von neuem Bauen enthalten wäre. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können wir ja nicht in jeden Antrag schreiben!) Kein einziger Punkt in Ihren Initiativen schafft irgendeine neue bezahlbare Wohnung, meine Damen und Herren. Darüber müssen wir viel mehr reden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Wegner, vielleicht haben Sie es noch nicht gemerkt: Es geht heute um Mietrecht und soziale Wohnraumförderung!) Dass Linke und Grüne mit dem notwendigen Neubau von Wohnungen leider häufig Probleme haben, zeigt sich immer wieder, zuletzt einmal mehr in Berlin. Eines der größten Bauvorhaben der wachsenden Stadt wurde von Linken und Grünen und wegen der Machtfrage leider auch von unserem Koalitionspartner SPD hier in Berlin über Nacht einkassiert. 5 000 neue Wohnungen hätten auf der Elisabethaue in Pankow gebaut werden können, 12 500 Menschen hätten dort ein neues Zuhause finden können. Das Projekt wurde über Nacht einkassiert, sodass 12 500 Menschen in Berlin kein neues Zuhause finden können, meine Damen und Herren. Das zeigt einmal mehr Ihre Doppelmoral: hier im Parlament wohlfeile Anträge formulieren und für bezahlbare Mieten kämpfen, aber dort, wo man Regierungsverantwortung hat, wo es darum geht, neue Wohnungen zu bauen, da legen Sie den Schalter um und sagen: Nein, das wollen wir nicht. – Diese Doppelmoral nehmen wir nicht hin und lassen sie Ihnen auch nicht durchgehen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Mieter, die in Berlin raussaniert werden, sind Ihnen einfach egal! Das ist leider Fakt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das beste Mittel – Frau Künast hat mir das bestätigt – gegen steigende Mieten ist und bleibt der Wohnungsneubau. Anders gewendet: Wenn das Wohnen in Deutschland für alle Bevölkerungsgruppen bezahlbar bleiben soll, gibt es nur ein Mittel: bauen, bauen und nochmals bauen. Lieber Christian Kühn, du hast das Beispiel genannt: 75 Menschen stehen in Stuttgart für eine Wohnung an. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Durchschnitt!) – Im Durchschnitt, absolut richtig. Es können auch noch mehr sein. In Berlin haben wir eine ähnliche Situation. – Jetzt würde ich gerne einmal hören, welche der Maßnahmen aus Ihren Anträgen dagegen Abhilfe schaffen würde. Wenn es keine Wohnungen gibt, werden weiterhin im Durchschnitt 75 Menschen für eine Wohnung anstehen. (Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Deswegen brauchen wir mehr Wohnungsbau. Ich möchte die Opposition bitten, den Schalter umzulegen. Wir brauchen mehr Baulandmobilisierung. Wir brauchen mehr Wohnungsbau in allen Preissegmenten. Das ist die Aufgabe, die wir als Deutscher Bundestag haben, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen haben wir eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit beantragt!) Ja, diese Koalition setzt auf Bauen. Diese Koalition setzt auf Investitionen in den Wohnungsbau. Wir haben uns gemeinsam auf einige Maßnahmen verständigt. Ich denke da an das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen. Wir haben eine umfassende Bestandsaufnahme vorgenommen. Wir haben auch einige Maßnahmen umgesetzt. Als Beispiel erwähne ich die Verdreifachung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Nun ist es leider eben nicht so, dass die Mittel, die wir für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellen, von den Ländern dafür verwendet werden. Ich kann nur sagen: Wir alle sollten fraktionsübergreifend auf die Länder einwirken, damit diese Mittel endlich für den sozialen Wohnungsbau eingesetzt werden, statt in irgendwelchen Haushaltslöchern zu versickern. (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Es ist unanständig, was die Länder hier machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir debattieren heute Abend ein wichtiges Instrument für mehr Wohnungsbau. Wir verabschieden heute Abend die Änderung der Bauplanungsrechtsnovelle. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber reden wir heute Abend! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil Sie sich immer noch nicht trauen!) Wir schaffen damit einen neuen Baugebietstypus, nämlich das „Urbane Gebiet“. Herr Luczak hat es schon gesagt: Die Situationen in Ballungszentren und in ländlichen Räumen sind unterschiedlich, auch was den Mietmarkt angeht. Mit diesem neuen Baugebietstypus ermöglichen wir es den Städten und Gemeinden, höhere Bebauungsdichten zu beschließen und damit zusätzliche Wohnungen in den urbanen Zentren zu schaffen. Zudem schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass die Städte und Gemeinden leichter Baurecht am Ortsrand schaffen können. Auch das entlastet den Wohnungsmarkt, gerade in den Ballungszentren. Andere Punkte aus dem Bündnis hingegen harren noch einer Umsetzung. Ich denke zum Beispiel an die Entbürokratisierung von Vorschriften und Normen im Bauordnungsrecht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!) Hier wünsche ich mir – Frau Künast, ich hoffe, da sind wir einer Auffassung –, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, schon wieder nicht!) dass sich die Länder endlich darauf verständigen, eine einheitliche Musterbauordnung in diesem Land zu schaffen. Auch das wäre ein Schub für mehr Wohnungsbau in Deutschland. Ein weiterer Punkt, der uns wichtig war, ist und sein wird, auch in den kommenden Auseinandersetzungen, ist die steuerliche Förderung zur Ankurbelung des Mietwohnungsbaus. Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir uns in der Koalition mit unserem Koalitionspartner nicht einigen konnten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir gerade in diesen Zeiten Kapital freisetzen und steuerliche Förderung ermöglichen, um den Mietwohnungsbau anzukurbeln, meine Damen und Herren. Ein Punkt, der in den Anträgen und Gesetzentwürfen Ihrerseits überhaupt nicht vorkommt, ist die Schaffung von Wohneigentum. Die haushaltsbezogene Wohneigentumsquote liegt in Deutschland deutlich unter 50 Prozent, während in Ländern wie Schweden, Belgien oder Italien mehr als zwei Drittel der Menschen sprichwörtlich in den eigenen vier Wänden leben. Ich glaube, wir müssen hier mehr tun und den Menschen Mut machen. Auch müssen wir es ermöglichen, dass Menschen mehr auf Eigentum setzen. Dies schafft mehr Bindung für ihre Wohnung, dies schafft mehr Bindung für die Quartiere – das brauchen wir –, und es ist natürlich auch die beste Altersvorsorge, die man sich überhaupt wünschen kann. Wir werden dafür streiten und kämpfen, dass wir ein Baukindergeld bekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir es gerade Familien ermöglichen wollen, in den eigenen vier Wänden zu wohnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer stellt denn den Finanzminister seit vielen Jahren?) Wir sind uns einig, dass wir jährlich zwischen 350 000 und 400 000 Wohnungen brauchen. Ich bleibe dabei: Wir brauchen diese Wohnungen in allen Preissegmenten; denn wenn wir bei den großen Neubauvorhaben nur auf sogenannte günstige Wohnungen setzen, gefährdet das die soziale Mischung in den Quartieren, und wir schaffen uns die Probleme in bestimmten Quartieren von morgen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie bitte an die Redezeit. Kai Wegner (CDU/CSU): Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. Die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum ist eine wichtige Gestaltungsaufgabe. Diese Koalition nimmt diese Gestaltungsaufgabe an. Die Anträge und Gesetzentwürfe der Opposition gehen leider vollkommen in die falsche Richtung. Mehr Plan, weniger Markt, Misstrauen gegen Vermieter statt faires Miteinander – das kann nicht funktionieren. Deshalb werden wir Ihren Initiativen auch nicht folgen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Wegner. Ich möchte Sie alle noch einmal bitten, sich an die Redezeiten zu halten. Wir sind schon jetzt unglaublich weit darüber. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach den Saft abdrehen!) – Ich drehe nicht einfach den Saft ab. Ich möchte nur darum bitten, dass man sich an die Redezeit hält. Ansonsten ziehe ich bei den nachfolgenden Kollegen Redezeit ab. Ich habe das in einem Fall schon getan. Ab jetzt mache ich das konsequent. Nächste Rednerin ist Nicole Gohlke für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will die Gelegenheit in der heutigen Debatte zur Mietpreisbremse nutzen, um ein paar Worte als Münchnerin dazu zu verlieren. Dass die Situation auf dem Münchner Mietmarkt dramatisch bis unmenschlich ist, ist allgemein bekannt. Wir haben mittlerweile eine Durchschnittsmiete von um die 17 Euro pro Quadratmeter. Bei Neubauten können es auch schon einmal 25 Euro werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wahnsinn!) Im Münchner Wohnungsamt landen jährlich 10 000 Anträge mit höchster Dringlichkeitsstufe. Es ist schlicht so, dass sich Gering- und Mittelverdienende, Rentnerinnen und Rentner, Studierende, Auszubildende und Alleinerziehende, also die große Mehrheit der Münchnerinnen und Münchner, das Wohnen in München eigentlich nicht mehr leisten können. Umso bedenklicher ist auch, zu sehen, dass sich dieses Drama in so gut wie allen Großstädten wiederholt. An dieser Stelle kann man nicht mehr nur auf lokale Besonderheiten verweisen, sondern hier handelt es sich um politisches Versagen, das bei der Bundesregierung losgeht. Das kann nicht so bleiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die sogenannte Mietpreisbremse der Großen Koalition ist, wie das Beispiel München zeigt, ein nahezu wirkungsloses Instrument, weil der Mietspiegel in Wahrheit ein Mieterhöhungsspiegel ist, solange völlig überdimensionierte Mieten vor der Neuvermietung und Mieterhöhungen bei Neubau und Modernisierungen zulässig sind. Aktuell kann man in München davon ausgehen, dass 30 bis 50 Prozent der Mieterhöhungen durch Modernisierung entstehen. Dem folgt dann ganz oft auch noch die Umwandlung in Eigentumswohnungen. Es ist einfach unverantwortlich, dass die Große Koalition an diesem wirkungslosen Konzept festgehalten und auf jede Nachbesserung verzichtet hat, wie das die Opposition und diverse Mieterinitiativen vorgeschlagen hatten. Das hätte uns vier Jahre weitere Mietenexplosionen und die weitere Vertreibung der Normalbevölkerung aus den Städten ersparen können. Ich kann Ihnen sagen: Das wäre für die Münchnerinnen und Münchner wirklich von unschätzbarem Wert gewesen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ohne eine Deckelung der Mieten bei Neuvermietung, ohne die Abschaffung von Mieterhöhungen bei Modernisierung und ohne ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen ist heute keine Politik mehr im Sinne von Mieterinnen und Mietern zu machen. Das ist die Wahrheit. Da hilft jetzt auch der nächste zahme Vorschlag von Heiko Maas zur Absenkung der Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent nicht weiter, zumal die Union schon klargemacht hat, dass nicht einmal das mit ihr zu machen ist. Das wäre aber auch wirklich nur Kosmetik gewesen. Die Situation verändern würde es gar nicht. Die muss sich aber ändern, wenn unsere Städte noch lebenswert für alle Menschen sein sollen. Aber noch nicht einmal das kann die SPD durchsetzen. Wir Linken wollen die Abschaffung der Modernisierungsumlage. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Und die Abschaffung des Wohnungseigentums!) Das Beispiel München zeigt auch, dass die Instrumente, die einer Kommune zur Verfügung stehen, alleine nicht ausreichen, um die Profitlogik am Wohnungsmarkt und die Spekulation mit Grund und Boden einzudämmen. Um in Städten wie München die Probleme noch in den Griff zu bekommen, dazu braucht es einen wirklichen Kurswechsel in der Wohnungspolitik, und zwar auf allen Ebenen. Wir brauchen eine echte Mietpreisbremse, eine, die den Namen verdient und die nicht nur aus Schlupflöchern und Ausnahmen besteht. Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau. Bund und Länder müssen dafür die Verantwortung übernehmen. In München ist ein großer Teil der Mietsteigerungen auf die Steigerungen der Bodenpreise zurückzuführen. Deswegen ist es allerhöchste Zeit, der Bodenspekulation einen Riegel vorzuschieben (Beifall bei der LINKEN) und Bodenwertsteigerungen umzulegen für mehr kommunalen und sozialen Wohnungsbau. Diese Umlage würde wirklich Sinn machen. Gehen Sie dieses Problem einmal an. (Beifall bei der LINKEN) Ich glaube, in der zugespitzten Situation, in der wir uns befinden, muss man sich entscheiden: Politik für Mieterinnen und Mieter oder Profite für wenige. Die Linke will eine Politik für Mieterinnen und Mieter. Wir wollen einen Kurswechsel in der Wohnungspolitik. Dabei sollten Sie mitmachen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Nicole Gohlke. – Nächster Redner: Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Johannes, sag was, worauf ich reagieren kann!) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! In Deutschland gibt es über 20 Millionen Mietverhältnisse. Das heißt, ein Großteil, wahrscheinlich sogar die Mehrheit, der Bundesbürger lebt zur Miete. Weil die Wohnung der höchstpersönliche Lebensraum ist und existenzielle Bedeutung für den Bürger hat, müssen wir dafür sorgen, dass Bürger gesichert in der Wohnung zur Miete leben können und keine Sorge vor Kündigung haben müssen. Wir haben ein soziales Mietrecht, aber an einigen Stellen können wir unser soziales Mietrecht durchaus noch verbessern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dabei geht es nicht darum, von Vermietern ein Feindbild aufzubauen, nein, aber wie in jeder Gruppe gibt es eben auch dort schwarze Schafe. Wir wollen nicht die normalen Vermieter treffen, sondern wir wollen die Abzocker drankriegen. Wir stellen einfach fest: Der freie Markt allein regelt die Wohnraumversorgung eben nicht ausreichend bei uns. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn heute etwa einem Mieter wegen Mietrückständen fristlos gekündigt wird, dann kann er die Mietschulden bei einer fristlosen Kündigung nachbezahlen. Das ist eine gute Regelung. Das bietet einen Anreiz, dass er sich darum kümmert, das Geld noch zu besorgen. Davon profitiert letztlich dann auch der Vermieter, wenn er doch noch seine Miete bekommt. Deshalb ist es für mich nicht einsehbar, dass wir diese Regelung nicht auch bei der ordentlichen Kündigung einführen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, es gibt keinen Grund, die fristlose Kündigung von der ordentlichen Kündigung zu unterscheiden. Wir schlagen eine weitere Verbesserung vor – ein Aspekt, auf den die Linken gar nicht eingehen –: Bei Wohnraummietverhältnissen haben wir einen besonderen sozialen Schutz, anders als bei Gewerbemietverhältnissen. Ich finde, es gibt Gewerbemietverhältnisse, bei denen ein ähnliches Schutzbedürfnis besteht, etwa dann, wenn karitative oder gemeinnützige Einrichtungen die Wohnung angemietet haben. Es gibt zahlreiche karitative Einrichtungen oder gemeinnützige Vereine, die Wohnraum – etwa für betreutes Wohnen, für Frauenhäuser zum Schutz der Opfer vor Gewaltübergriffen oder für Ähnliches – angemietet haben. Ich finde, auch hier sollten wir einen besonderen Kündigungsschutz einführen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Schließlich finde ich Ihren Vorschlag, liebe Kollegen von den Linken, überraschend konservativ. Sie wollen die Eigenbedarfskündigung nur zulassen, wenn der Vermieter selbst oder engste Familienangehörige die Wohnung beziehen wollen. Einmal davon abgesehen, dass Sie nicht genau definieren – lesen Sie einmal nach –, was denn ein Familienangehöriger genau sein soll – Cousin, Sohn, Tante, Großeltern –, wollen Sie offensichtlich auch langjährige Partner schlechterstellen, wenn sie nicht verheiratet sind. Nach Ihrem Vorschlag kann ein Ehepaar Eigenbedarf geltend machen, nicht aber der Vermieter, der in einer langjährigen Beziehung mit seinem Partner gelebt hat. Das ist ein rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild, und das sollte nicht Gesetz werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat in dieser Legislaturperiode viel für die Mieterinnen und Mieter erreicht. Was haben wir uns Kritik anhören müssen für unsere Neuregelung zum Maklerrecht! Jetzt gilt der Grundsatz: Wer bestellt, der muss zahlen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Heute sehen wir: Die seriösen Makler profitieren – sie halten ihre Kundschaft –, und die Mieterinnen und Mieter werden deutlich entlastet, weil sie den Makler nur noch dann bezahlen müssen, wenn sie ihn tatsächlich beauftragt haben. Das ist eine große Entlastung für die Mieterinnen und Mieter bei uns. Ferner haben wir die Mietpreisbremse eingeführt. Dass sie funktioniert, zeigen zahlreiche Urteile in ganz Deutschland, mit denen aufgrund der Regelung, die wir ins Gesetz geschrieben haben, Abzocke bei den Mieterinnen und Mietern gestoppt wurde. Diese Urteile zeigen: Die Mietpreisbremse ist sinnvoll. Sie funktioniert, und sie verhindert exzessive Mietsteigerungen. Das ist ein großer Erfolg dessen, was die SPD durchgesetzt hat, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Natürlich kann die Mietpreisbremse noch besser werden; keine Frage. Es ist überfällig, dass wir eine Regelung zu einem Auskunftsanspruch treffen, damit der Mieter auch erfährt, was der Vormieter bezahlt hat, wodurch er erst seinen Anspruch berechnen kann. Natürlich sollten Mieter dann auch den vollen überzahlten Betrag zurückerstattet bekommen und nicht nur den Betrag, der ab dem Zeitpunkt der ersten Rüge fällig wird. Ich bedaure sehr, dass unsere politischen Lebensabschnittsgefährten von der Union diesen Schritt nicht mitgehen wollten. Leider war auch in diesem Bereich bei Ihnen kein Herz für die Mieterinnen und Mieter vorhanden; ich muss es so deutlich sagen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN) Da rund die Hälfte unserer Bürgerinnen und Bürger zur Miete lebt, werden wir uns weiterhin für ein soziales und gerechtes Mietrecht einsetzen. Der freie Markt allein wird eben nicht für eine ausreichende Wohnraumversorgung sorgen können. Die Schaffung eines besseren Mietrechts verschieben wir nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern wir verschieben es auf den Sankt-Martins-Tag, sprich: auf den Tag der Bundestagswahl. (Beifall bei der SPD) Ab dem 24. September wird es hier eine Mehrheit für ein sozialeres und gerechteres Mietrecht geben, meine sehr geehrten Damen und Herren. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Da ich aus dem katholischen Bayern komme, kann ich Ihnen, was Sankt Martin angeht, sagen: So schnell wird man nicht heiliggesprochen. – Nächste Rednerin: Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen. (Kai Wegner [CDU/CSU]: Jetzt geht es noch mal richtig los!) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es ja gut, dass die Kollegen von der CDU/CSU schon einiges erwarten; denn ich habe mir ebenfalls gedacht, dass ich erst einmal auf Ihre Redebeiträge antworte. Es haben ja gerade zwei Berliner Mitglieder des Parlamentes geredet, bei denen ich mich, ehrlich gesagt, frage, in welcher Stadt sie leben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Frieser [CDU/CSU]: Berlin!) Aber so ein bisschen waren diese beiden Reden wie der Jingle „Das Sandmännchen ist da!“; denn mit diesen Reden sollte uns Sand in die Augen gestreut werden. Meine Damen und Herren, es war schon kurios: Herr Wegner hat großspurig ausgeführt, was Sie alles getan haben oder tun werden, und Herr Luczak hat gesagt, worüber man zu reden bereit ist. Daher rede ich jetzt einmal über das, was Schwarz-Gelb getan hat. Sie haben den Kündigungsschutz geschleift, zum Beispiel. Unter dem Deckmäntelchen des Mietnomadentums, das es kaum gibt – einige Mietnomaden gibt es allerdings –, haben Sie die Vollstreckungsregelung gegenüber allen Mieterinnen und Mietern verschärft, und Sie haben deren Rechtsmittel verkürzt, meine Damen und Herren. Das ist Ihre Vorstellung von Mietrecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Luczak stellt sich hier hin – Herr Wegner auch – und sagt: Wir haben ja alle gleiche Ziele. – Also, dieses rhetorische Element kenne ich. Ich sage Ihnen aber: Wir haben nicht alle gleiche Ziele. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn gleiche Ziele hat man nicht deshalb, weil man es sagt, sondern weil die einzelnen Maßnahmen, die dahinter gesetzt werden, in die gleiche Richtung gehen, meine Damen und Herren. Sie reden von Artikel 14 Grundgesetz und sagen, es müsste doch einen Ausgleich zwischen Vermietern und Mietern geben. Sie verwenden danach aber ständig mit Verve das Wort „Planungssicherheit“. Ja, ich sehe es schon optisch vor mir: Den Investoren aus irgendwelchen anderen Ländern, die ihr Geld in einer boomenden Stadt wie etwa Berlin in Beton anlegen wollen und die ihr Geld nach Berlin schleppen, verschaffen Sie Planungssicherheit. Meine Damen und Herren, das ist nicht der Kern von Artikel 14 Grundgesetz und schon gar keine Sozialbindung des Eigentums. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann hätten Sie hier immer wieder „Daseinsvorsorge“ rufen müssen. Dieses Wort haben Sie aber gar nicht in den Mund genommen. Ich sage Ihnen: Wir kommen zu einer anderen Einschätzung. Die Mietpreisbremse wirkt für meine Begriffe, Herr Kollege Fechner, leider nicht. Das hat das DIW gesagt. Das hat der Deutsche Mieterbund gesagt. Die Mietpreise liegen bei der Wiedervermietung um 22 Prozent oberhalb der Mietpreisbremse, oberhalb des zulässigen Wertes. Das DIW hat uns erklärt, dass bei den Mieten noch mal richtig obendrauf gelegt wurde, weil es so lange gedauert hat, bis die Mietpreisbremse in Kraft trat. Auch dagegen haben Sie nichts getan, meine Damen und Herren. Zur Rüge. Wie man Löcher in Käse zu Käse reden kann, hat Herr Luczak vorgeführt; das muss man erst mal hinkriegen. Die Rüge soll Planungssicherheit für den Vermieter schaffen. Was für eine Chuzpe ist das denn? Irgendein ganz einfacher Arbeiter oder eine einfache Arbeiterin, meinetwegen eine Erzieherin oder eine Altenpflegerin, eine Person also, die nicht viel Geld hat, soll, wenn sie zu viel Miete zahlt, nicht einen Auskunftsanspruch haben, der sofort gilt. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es gibt doch einen Auskunftsanspruch!) – Es geht darum: der sofort gilt, im Sinne von: Es muss sofort eine Antwort gegeben werden. – Ihren Auskunftsanspruch können Sie sich an die Wand nageln, weil keine Frist drinsteht, bis wann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das wird zur Unverschämtheit; denn es muss inhaltlich substanziiert gerügt werden: „Ich zahle 10 Euro statt 7,50 Euro“ oder „Ich zahle 15 Euro statt 10 Euro“. Das ist falsch. Das ist rechtlich nicht unterlegt. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nein! Das ist nicht zutreffend!) Man muss also vorher die Auskunft haben, um es zu belegen. Und erst ab der Rüge kann man beanspruchen, zu viel gezahlte Miete zurückzubekommen – nicht ein oder zwei Jahre zurück. Können Sie mir im Hinblick auf Artikel 14 Grundgesetz erklären, warum eine Altenpflegerin oder Erzieherin die in den letzten zwei Jahren zu viel gezahlte Miete nicht zurückfordern kann? Das ist unchristlich und unsozial – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) da können Sie hier noch so viel erzählen, Sie seien bereit, zu reden. Wie die Kollegin Lay treffend sagte: Sie reden immer vor den Wahlen, dass Sie reden würden; nach den Wahlen kommen aber keine Taten. – Deshalb weiß ich auch, warum Sie im Augenblick, sechs Monate vor der Bundestagswahl, schon wieder darüber reden, dass Sie reden würden, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, dass wir andere Regeln brauchen, zum Beispiel Deckelungen, wie wir sie in unserem Entwurf aufgeführt haben. Wir brauchen nicht nur Begrenzungen; wir brauchen auch andere Bemessungszeiträume für einen Mietspiegel, meine Damen und Herren. Wir brauchen bei der Modernisierungsumlage einen Deckel. Die Modernisierungsumlage hatte mal den Sinn, Modernisierungen anzuschieben. Das ist heute aber eigentlich gar nicht das Problem. Heute werden 11 Prozent der Kosten umgelegt, aber man zahlt die erhöhte Miete noch jahrzehntelang, obwohl die Investitionskosten längst gedeckt sind. Warum können wir das unter dem Gesichtspunkt der Daseinsvorsorge nicht ein Stück reduzieren? Warum können wir das nicht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Tun wir doch! Dazu sind wir doch bereit! Das steht im Koalitionsvertrag!) Warum können wir es nicht so machen, wenn es um eine sinnvolle energetische Sanierung geht, die wir brauchen, oder auch wenn es um die Schaffung von Barrierefreiheit für alte und behinderte Menschen geht? Warum können wir im grauen Markt der internationalen Investoren nicht mit einer Kappung der umlagefähigen Summen ein Stück weit zu einer Deckelung kommen, meine Damen und Herren? Das wäre sozial. Herr Wegner hat erzählt, wir wollten den Kündigungsschutz abschaffen. Dazu sage ich Ihnen was: Wenn das Jobcenter oder das Sozialamt zu spät zahlt, was mal vorkommt, darf das nicht dazu führen, dass der Mieter seine Wohnung einfach so verliert; denn das ist unsozial. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mein letzter Satz. – Nach dieser Rede muss ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Doppelmoral hat in diesem Hause einen Namen: CDU, Luczak und Wegner. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt hat der Kollege Michael Frieser, CDU/CSU, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Michael, du musst mich jetzt verteidigen! – Gegenruf des Abg. Kai Wegner [CDU/CSU]: Warum nur dich?) Michael Frieser (CDU/CSU): Vielen Dank. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin, Ihre Vorgängerin hat gerade darum gebeten, die Redezeiten wirklich einzuhalten, weil wir schon sehr spät dran sind. Die Minute, die sich Frau Künast gerade für den Berliner Wahlkampf geklaut hat, gebe ich Ihnen selbstverständlich gern zurück, damit das Haus auch wirklich weiterkommt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war keine volle Minute!) Frau Künast, zu dieser gespielten Form von Entrüstung: Kehren Sie zu Ihrer eigentlichen Bestimmung zurück: Treten Sie im Deutschen Bundestag weiter Schutzbretter heraus! Das funktioniert effektiv. Die Argumentation funktioniert bisher nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha, ha, ha! – Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Sie hatten gerade doch genug Zeit, und trotzdem sind Sie noch nicht zu Ende. Es war zu erwarten, dass eine solche Debatte noch einmal aufflammt. Ich muss am Anfang ganz eindeutig sagen: Das, was hier mit etwas Brimborium formuliert wird, heißt doch: Wir müssen tatsächlich überlegen, ob wir bei Verzugsfolgen und der Umlage der Modernisierungskosten etwas ändern. Niemand hätte etwas dagegen. Auch davon spricht der Koalitionsvertrag. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber umsetzen! Der Koalitionsvertrag ist doch schon drei Jahre alt!) Aber jetzt einmal zur Linken gesagt: Mir ist die Orientierungslosigkeit klar, in der sich Ihre Partei befindet. Aber Ihre Argumentation zu Ende gedacht, würde Enteignung bedeuten. Das würde am Ende des Tages – damit wären viele Ihrer Probleme gelöst – Enteignung bis hin zur Bodenenteignung bedeuten. Dann bräuchte der Vermieter bei der Nutzung seines Eigentums am Ende überhaupt nicht mehr auf Wirtschaftlichkeit zu achten. Das wäre noch nicht einmal mehr Sozialismus. Ich kann mir überhaupt nicht erklären, wie man so einen wirklich funktionierenden Wohnungsmarkt dort installieren will, wo er nicht funktioniert. Die Behauptung, Mieter würden in diesem Land nicht geschützt, ist unwahr. Sie bleibt auch trotz noch so häufiger Wiederholung unwahr. Dass es Missstände gibt, stellt, glaube ich, niemand in Abrede. Insofern meine ich: Es ist jetzt wirklich alles an Argumenten ausgetauscht worden. Es ist immer das Schöne an einem etwas späteren Platz auf der Rednerliste, dass man sich gut auf die Vorredner beziehen kann. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen die elf Minuten nicht ausschöpfen!) Beim Thema Mietpreisbremse ist es ja nicht so, dass wir nicht darauf hingewiesen hätten, an welchen Stellen sie systembedingt zum Teil nicht funktionieren kann. Genau da, wo sie nicht funktioniert, nämlich in den Ballungsräumen, helfen jedoch all Ihre Vorschläge nicht besonders weiter. (Caren Lay [DIE LINKE]: Was ist denn Ihr Vorschlag?) Ich werfe einmal die entscheidende Frage auf: Wollen Sie eigentlich vom Ballungsraum auf der einen Seite bis hin zum Leerstandsgebiet auf der anderen Seite in diesem Land alles über einen Kamm scheren? Das würde am Ende des Tages bedeuten: Es funktioniert nirgendwo mehr. Es wird nirgendwo mehr investiert, sei es im Ballungsraum oder sei es in Gebieten mit tatsächlich vorhandenen Leerständen. Das Land ist ungleich besiedelt, also braucht es auch ungleiche Antworten, um einen Mietmarkt am Laufen zu halten. Deshalb sage ich noch einmal – zurück zu den entscheidenden Grundsätzen –: Der Normalfall ist eben nicht der herzlose Großkonzern, der mit Fremdkapital Wohnungen anbietet. Nein, es ist der Klein- und Kleinstvermieter. Drei Viertel der Wohnungen in diesem Land werden von Familien, von Einzelvermietern an die Menschen, an die 20 Millionen Mieter, vermietet. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Kollege hat vorhin 65 Prozent gesagt! Was gilt denn jetzt, 65 Prozent oder 75 Prozent? Sprechen Sie sich auch mal ab?) Der Normalfall in diesem Land ist, dass ein unbefristetes Mietverhältnis besteht und dass dieses nur in ausgewiesenen Ausnahmefällen beendet werden kann. Es gibt nur sehr wenige Gründe, die das zulassen. Das geht nur bei erheblicher Verletzung grundsätzlicher vertraglicher Pflichten. Insofern sage ich auch beim Thema der Eigenbedarfskündigung, das Sie immer wieder anführen: (Caren Lay [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar nicht! Haben Sie nicht zugehört?) Es gibt hier nur begrenzte Möglichkeiten, die dem Vermieter in unserem Land zur Verfügung stehen. Die entscheidende Frage – darauf will ich schon noch einmal eingehen – betrifft die Verzugsfolgen bei der Nichtzahlung von Miete. Es gibt gute Gründe, warum wir hier zwischen außerordentlicher Kündigung und ordentlicher Kündigung unterscheiden. Wenn Sie tatsächlich zum Prinzip machen wollen, dass durch die Zahlung eines Kleinstbetrages trotz eines hohen Betrages an aufgelaufenen Mietschulden die wesentlichen Leistungen – die Zurverfügungstellung der Mietsache – erbracht werden, dann kündigen Sie das Synallagma auf. Irgendwann sind die Hauptleistungspflichten, das Zurverfügungstellen von Mietraum auf der einen Seite und das Zahlen von Miete auf der anderen Seite, nicht mehr in Ausgleich zu bringen. Das bedeutet die Aufkündigung dessen, was wir bei dieser Frage der Verlässlichkeit, der Berechenbarkeit und, wenn Sie es denn so haben wollen, der Planungssicherheit für einen Mieter durchaus brauchen und haben müssen. Am Ende des Tages geht es doch darum, dass in diesem Bereich – dazu sagt niemand ein Wort – 1 Million Wohnungen fehlen. Der Fehlbestand an Wohnungen in diesem Land hat sich mittlerweile auf 1 Million summiert. Ich höre kein einziges Wort darüber, wie sich dieser Mietwohnungsbestand auf Dauer effektiv, nachhaltig und bezahlbar für beide Seiten – für einen Investor oder Vermieter und einen zukünftigen Mieter – tatsächlich herstellen lässt. Der wesentliche Unterschied in diesem Haus ist, dass wir nicht nur daran denken, den Mieter zu versorgen, der im Augenblick schon eine Wohnung hat, sondern auch den Mieter, der keine Wohnung hat, damit er in Zukunft eine Wohnung haben wird. Das geht in diesem Land anscheinend nur mit CDU/CSU, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Was sollen wir dazu nur sagen?) Für dieses Auf-die-Tränendrüse-Drücken habe ich durchaus Verständnis. Aber wenn einer sagt, dass er damit gegen Altersarmut angehen will, dann stelle ich fest: Auch die Vermieter, gerade die Kleinstvermieter, sind Menschen, die Wohnraum brauchen. Auch dort gibt es Kinder, die Wohnraum brauchen. – Um diesen entscheidenden Punkt geht es nämlich. Wir wollen, dass die Menschen in Eigentum investieren, um ihre Zukunft zu sichern, um ihre Altersvorsorge ein Stück weit zu sichern. Deshalb sage ich: Mit dem Vergießen von Krokodilstränen über die Explosion des Wohnraumbedarfs in den Ballungsräumen und dem Missachten aller anderen in diesem Land verhindern Sie keine Altersarmut, sondern Sie schaffen sie erst, wenn Sie Ihren Antrag am Ende des Tages durchsetzen wollen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Frieser, Sie haben die Grundsystematik der Mietpreisbremse nicht verstanden! Sie gilt nur in Gegenden mit Wohnraummangel!) Die Antwort auf die entscheidende Frage bleiben Sie schuldig. Wenn Sie über die Mietpreisbremse und die Orientierung an Vergleichsmieten reden, dann müssen Sie auch die entscheidende Frage beantworten: Wie wollen Sie das ohne Mietspiegel überhaupt machen? Wie wollen Sie in dieser Frage eine Orientierung bekommen? Sie schütten nicht nur das Kind mit dem Bade aus, sondern Sie sorgen auch dafür, dass es am Ende des Tages kein Badewasser mehr gibt. (Ulli Nissen [SPD]: Ha, ha!) Das kann sicher nicht im Sinne des Erfinders sein und sicherlich nicht im Sinne der deutschen Mieter und eines Mietmarktes, der tatsächlich funktioniert. Kein Satz zum Thema „Sozialer Wohnungsbau“ bei einer anscheinend so wahnsinnig wichtigen mietrechtlichen Debatte. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hatten wir vor ein paar Wochen! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Mietrecht!) Kein Satz über die entscheidende Botschaft, dass ein Wohnungsmarkt nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn er beständig mit neuen Wohnungen versorgt wird. Kein Satz zu der entscheidenden Frage: Wenn ich tatsächlich die Modernisierung des Altbestandes nicht mehr zulassen will, wo soll der ausreichend hohe Wohnungsbestand am Ende des Tages herkommen? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon vor ein paar Wochen diskutiert!) Dann ein Satz zum Thema Verteuerung; auch hier gab es Krokodilstränen, und es wurde gesagt, wie teuer das Ganze geworden ist. Hier muss man doch der Vermieterseite ein Stück weit entgegenkommen. Aber schauen wir uns einmal die Länder an, in denen die Grünen in der Regierungsverantwortung sind: Wenn Sie schon von Verteuerung reden, dann reden Sie doch auch darüber, dass an dieser Stelle die Grunderwerbsteuer gesenkt werden muss. Das würde den Wohnungsbaumarkt tatsächlich entlasten. Am Ende des Tages – es tut mir leid – bleibt nur das übrig: eine Rote Karte. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Danke schön, Sie haben Ihr Versprechen eingehalten. Das ist wunderbar. Das können andere auch und damit Zeit einsparen. Nächste Rednerin ist Ulli Nissen für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ulli Nissen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich sage, dass die Rechte der Mieterinnen und Mieter mir besonders wichtig sind. Wir von der SPD nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst, die ihr soziales Umfeld nicht verlieren wollen. Unser Ziel ist es, die Rechte der Mieterinnen und Mieter weiter zu stärken. Wir sehen unter anderem Handlungsbedarf bei der fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs. Wir wollen eine Schonfristregel. Wenn innerhalb dieser der Mietrückstand des Mieters oder der Mieterin beglichen wird, dann soll die außerordentliche Kündigung, aber auch die ordentliche Kündigung unwirksam werden. Damit können wir verhindern, dass jemand, der einmal seine Miete nicht zahlen konnte, direkt von Wohnungslosigkeit bedroht ist. Allerdings wollen wir auch – und das fehlt mir in Ihrem Antrag –, dass dies nur einmal innerhalb von zwei Jahren möglich ist; denn auch Vermieterinnen und Vermieter brauchen Rechtssicherheit. (Caren Lay [DIE LINKE]: Schön, dass die Koalition dauernd sagt, was bei uns fehlt! Wo ist Ihr Vorschlag? Von Ihnen liegt gar nichts vor!) Es gibt nämlich nicht nur Mieterinnen und Mieter, deren finanzielle Situation angespannt ist, sondern auch Vermieterinnen und Vermieter, die dringend darauf angewiesen sind, dass sie ihr Geld pünktlich bekommen, weil sie selber Zahlungsverpflichtungen haben. Deswegen ist das für mich ein wichtiger Aspekt. Das wird häufig nicht betrachtet. (Beifall der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]) Auch mir ist wichtig, dass wir klarer festlegen, wann eine Kündigung wegen Eigenbedarfs nicht durchgesetzt werden kann. Dazu zählt für mich auch die Unterbringung eines Au-Pairs. Auch Personengesellschaften dürfen eine Kündigung wegen Eigenbedarfs nicht durchsetzen können. Außerdem soll eine Eigenbedarfsklage unwirksam sein, wenn den gekündigten Mieterinnen und Mietern nicht eine leerstehende Wohnung im gleichen Haus oder in der gleichen Anlage alternativ angeboten wird. Häufig treten die Probleme für Mieterinnen und Mieter durch Eigenbedarfsklagen bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen auf. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind auch die Bundesländer gefragt; denn die Länder können gemäß § 577a BGB im Wege der Rechtsverordnung für Gemeinden, in denen die Wohnraumversorgung besonders gefährdet ist, eine verlängerte Kündigungsfrist von bis zu zehn Jahren festlegen. Also, liebe Länder, tut was! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Hessen, leider ist unter Schwarz-Grün in Hessen keine Verbesserung eingetreten. (Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD]) Es bleibt, wie unter CDU und FDP, bei einem Kündigungsschutz von fünf Jahren. Das bedauere ich sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Weiter können die Länder unter anderem eine Landesverordnung erlassen, mit der die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt gestellt wird – auch ein wichtiger Aspekt. Dies würde uns in Frankfurt helfen. Sie werden sich nicht wundern: Auch das ist unter Schwarz-Grün in Hessen nicht passiert. Also, Hessen, tut da was! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben einiges im Mietrecht und gerade im sozialen Wohnungsbau auf den Weg gebracht. Aber wir wollen mehr. Die Nachjustierung der Mietpreisbremse ist angesprochen worden – ich gehe davon aus, dass letztlich die CDU/CSU mitmacht, weil viele der Kollegen aus Wahlkreisen mit angespannten Wohnungsmärkten kommen –: Die Vermieterinnen und Vermieter müssen die Vormiete offenlegen; das wollen wir gesetzlich verankern. Ich bin selber Vermieterin und gehe mit gutem Beispiel voran: Ich habe innerhalb von zwölf Jahren ein einziges Mal die Miete um 20 Euro erhöht. Ganz aktuell, zum 1. April, vermiete ich eine Wohnung im Frankfurter Nordend und nehme keine Mieterhöhung vor – die Miete bleibt so hoch wie vor zehn Jahren. Das wünsche ich mir auch von vielen anderen. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Als gut verdienende Bundestagsabgeordnete kann man sich das auch leisten!) – Herr Luczak, das habe ich auch vorher schon gemacht, als ich noch keine Bundestagsabgeordnete war. Stellen Sie sich das vor! Ich habe vor acht Jahren einmal die Miete erhöht. Wichtig ist auch der Rückzahlungsanspruch, der Anspruch auf Rückzahlung der zu viel gezahlten Miete seit Vertragsbeginn. Herr Luczak, Sie haben vorhin gesagt, Vermieterinnen und Vermieter wüssten nicht genau, wie hoch die ortsübliche Vergleichsmiete ist. Sie können sich an Haus & Grund wenden, und dann wissen sie, wie hoch die ortsübliche Vergleichsmiete ist. Das ist also überhaupt kein Problem. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist aber nicht gerichtsfest! – Michael Frieser [CDU/CSU]: Das reicht halt nicht, und Sie wissen das, Frau Kollegin!) Wichtig ist: Vermieterinnen und Vermieter müssen zu viel gezahlte Miete ab dem Zeitpunkt des Beginns des Mietvertrages zurückzahlen. Dafür werden wir uns mit allen Kollegen einsetzen. Ich denke, da machen wir alle intensiv mit. (Beifall bei der SPD) Ein ganz wichtiger Aspekt des Mietrechtspakets II ist heute auch schon angesprochen worden: die Ausgestaltung der Modernisierungsumlage. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sicherlich nicht nur in Frankfurt ein wichtiger Aspekt, dass Luxussanierungen zu enormen Mieterhöhungen führen und dies fast schon alltäglich ist – auch wenn es nicht immer so krasse Formen annimmt wie in der Wingertstraße 21 oder, ganz aktuell, in einem Mehrparteienhaus in der Lersnerstraße 10 in Frankfurt-Nordend. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll die Miete nach Modernisierung von 920 Euro kalt auf 2 427 Euro steigen. Das ist eine Steigerung um 164 Prozent, um 1 507 Euro. Was hat der Mieter von einem gedämmten Keller und einem neuen Bad, wenn er die Miete nicht mehr bezahlen kann? Was hat eine Mieterin davon, dass ein Fahrstuhl neu angebaut wird, wenn die alte Dame die Miete nicht mehr bezahlen kann, Herr Luczak? Noch kann man alles machen, und wenn der Markt es hergibt, wird es auch gemacht; das ist kein Einzelfall. Aber wir möchten nicht, dass die Stadtteile luxussaniert werden und sich normale, alteingesessene Mieterinnen und Mieter die Wohnung nicht mehr leisten können. Wir wollen weiterhin bunte, gemischte Stadtteile. Deshalb ist unsere Forderung, die Modernisierungsumlage deutlich zu senken. Im Augenblick ist angedacht, sie von 11 auf 8 Prozent zu senken; mein Wunsch wäre 5 Prozent. Zusätzlich – das ist noch viel wichtiger – wollen wir die Kappungsgrenze einführen. Das bedeutet, dass eine Erhöhung der Miete um maximal 3 Euro pro Quadratmeter in acht Jahren möglich wäre. Das würde für die Lersnerstraße anstatt einer Erhöhung um 1 507 Euro eine Erhöhung um 336 Euro bedeuten. (Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Vielleicht hätte dies der Mieter noch tragen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Probleme, die wir wirklich dringend in den Griff bekommen müssen. Ich weiß, 95 bis 98 Prozent der Vermieterinnen und Vermieter sind wirklich gutwillig – sie tun alles für ihre Mieter –, aber es gibt dummerweise schwarze Schafe, und da müssen wir eingreifen. Lasst uns dafür gemeinsam kämpfen, liebe Kollegen! Ich freue mich auf weitere Zusammenarbeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Michael Groß, SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Michael Groß (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Letzten beißen ja bekanntlich die Hunde. Ich werde versuchen, mich kurzzufassen. Viele warten ja auf die namentliche Abstimmung. Wir behandeln heute ein wichtiges Thema: Wohnen und Leben in Städten. Es geht eben nicht nur um den bezahlbaren Wohnraum, sondern auch um die Frage: Können Menschen in ihrem Lebensumfeld, in der Nachbarschaft wohnen bleiben, können sie sich die Nachbarschaft aussuchen, die Wohnung, in der sie leben wollen? Wir müssen dafür sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ältere Menschen, die seit langem in ihrem Stadtteil leben, die wissen, dass sie ein Netzwerk haben, auf das sie sich verlassen können, Nachbarn haben, die für sie einkaufen, nicht wegen einer Modernisierung aus ihrer Wohnung getrieben werden. Um dafür zu sorgen, müssen wir die soziale Funktion des Mietrechts stärken. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das trifft natürlich auch auf junge Familien zu. Die Situation in Berlin, München, Hamburg wurde gerade schon beschrieben. Aber der Kollege Fechner hat deutlich gemacht: Die Mietpreisbremse greift. Insbesondere dort, wo Mieter in die Lage versetzt werden, zu klagen, bekommen sie recht. Wir müssen natürlich auch dafür sorgen, dass Transparenz hergestellt wird, dass es eine Auskunftspflicht des Vermieters darüber gibt, wie hoch die Vormiete war. Wir müssen dafür sorgen, dass die Rückzahlungspflicht ab dem ersten Tag des Mietvertrags gilt. (Beifall bei der SPD) Lieber Herr Kollege Luczak, ich habe, glaube ich, im Juni letzten Jahres mit Ihnen hier debattiert. Damals habe ich gesagt: Und täglich grüßt das Unionsmurmeltier! – Ich wiederhole das an dieser Stelle. Ich habe von Ihnen keine Aussage gehört, wie Sie dazu stehen, dass wir die Modernisierungsumlage von 11 auf 8 Prozent senken müssen. Es wurde ja schon richtig beschrieben: Viele Menschen sind eben nicht in der Lage, die erhöhte Miete nach der Investition zu bezahlen. Gerade wurden schon Zahlen genannt. Wenn jemand 20 000 Euro in eine Wohnung investiert, hat er nachher das Recht, dauerhaft 183 Euro auf die Mieter umzulegen. Wir haben im Koalitionsvertrag vorgeschlagen, das an eine Amortisationszeit zu binden. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie haben den Vorschlag selber zurückgezogen!) Selbst dazu sind Sie zurzeit nicht bereit. Ich kann nur noch einmal sagen: Den besten Entwurf zum Mietrecht hat Heiko Maas vorgelegt. (Beifall bei der SPD) Das ist der beste Vorschlag zu einer rückläufigen Entwicklung der Mietkosten und zur Sicherung der sozialen Funktion des Mietrechts. (Zuruf von der SPD: Bester Mann!) Erlauben Sie mir noch zwei Sätze zum Thema Wohnungsbau. Die Union stellt es immer so dar, als sei die Schaffung von Wohnungen das einzige Instrument, um dafür zu sorgen, dass Menschen Wohnen bezahlen können. Es ist ein Instrument. (Kai Wegner [CDU/CSU]: Das ist nicht das einzige, aber ein wichtiges Instrument!) Das andere ist das Mietrecht, eine Leitplanke, die der Bundestag auf den Weg bringen kann. Damit haben wir sicherzustellen, dass Mieten bezahlbar bleiben. Ein Instrument ist ohne Zweifel bezahlbarer Wohnraum. Wir haben eine gute Bilanz. Die SPD hat durchgesetzt, die Mittel für soziale Wohnraumförderung auf 1,5 Milliarden Euro zu verdreifachen. (Beifall bei der SPD) Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist ein Erfolgsmodell in SPD-Ländern. (Zuruf von der SPD: Super! – Kai Wegner [CDU/CSU]: Hat der Finanzminister gut gemacht!) In NRW wurden im letzten Jahr 10 000 neue Sozialwohnungen geschaffen. Das ist ein Erfolgsmodell, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, richtig! – Zuruf des Abg. Kai Wegner [CDU/CSU]) – Sie mussten wir ja eher zum Jagen tragen. Ein weiterer Aspekt ist: Wir müssen dafür sorgen, dass der Bund nach 2019 in der gemeinsamen Verantwortung mit den Ländern und Kommunen bleibt. Wir dürfen das nicht den Regionen und finanzschwachen Kommunen überlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen; jetzt wollte ich schon fast die Genossinnen und Genossen ansprechen. Aber es ist natürlich wichtig, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir haben das schon verstanden! Das reicht!) – Ja. Wir haben ja gestern noch in fröhlicher Runde zusammengesessen. Also: Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass wir für starke Städte sorgen. Ein wichtiges Instrument wird sein, unsere kommunalen Wohnungsunternehmen zu stärken. (Beifall bei der SPD) Wir haben ein zu geringes Korrektiv. Von den über 40 Millionen Wohnungen gehören nur 2 Millionen den Genossenschaften, und 2 Millionen sind in der Hand der kommunalen Wohnungsunternehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Anteil größer wird und die kommunalen Wohnungsunternehmen das Korrektiv auf dem Wohnungsmarkt werden. (Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie macht ihr das, Michael?) Dazu gehört auch eine vernünftige Liegenschaftspolitik der Kommunen. Grundstücke sind heute ein Preistreiber beim Thema Wohnungsbau. Die Kommunen müssen wieder in die Lage versetzt werden, vernünftige und vorausschauende Liegenschaftspolitik zu betreiben. Mein letzter Satz: Wir müssen die Grundsteuer C einführen, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Zurufe von der CDU/CSU: Ah!) und die bestrafen, die mit ihren Grundstücken spekulieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Damit ist die Aussprache beendet, und wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst über Tagesordnungspunkt 4 a sowie Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11049 und 18/10810 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 4 b. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mietpreisbremse wirkungsvoll ausgestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10089, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9123 abzulehnen. Bevor wir über diese Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich abstimmen, weise ich darauf hin, dass wir gleich noch zwei weitere namentliche Abstimmungen direkt im Anschluss durchführen werden. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen alle besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung, und zwar über die Beschlussempfehlung. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abgegeben? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2 Ich bitte alle, Platz zu nehmen, damit wir mit den Abstimmungen fortfahren können. Zusatzpunkt 4. Wir stimmen jetzt über zwei Gesetzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11440, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8856 abzulehnen. Auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Ich sehe, das ist der Fall. Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung, diesmal über den Gesetzentwurf der Grünen. Haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? – Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.3 Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten durch Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11440, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8857 abzulehnen. Auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir namentlich ab. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Ich sehe, dass das der Fall ist. Dann eröffne ich die dritte namentliche Abstimmung, und zwar wieder über einen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen. Ist noch jemand im Saal, der die Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Wie ich sehe, ist das nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.4 Die Ergebnisse der Abstimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben. – Bitte nehmen Sie jetzt alle wieder Platz. Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Drucksachen 18/10207, 18/10650, 18/10924 Nr. 1.3 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/11446 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parlaments- statt Ministererlaubnis im Kartellrecht – zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bußgeldumgehung bei Kartellstrafen verhindern – Gesetzeslücke schließen Drucksachen 18/10240, 18/4817, 18/11446 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Interfraktionell wurde vereinbart, dass für die Debatte 60 Minuten vorgesehen sind. – Ich höre hier keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung hat Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort. Brigitte Zypries, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, „neunte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ klingt sehr nach Rechtstechnik. Aber das ist es nicht. Es geht hier um unser Herzstück der sozialen Marktwirtschaft. Es geht um eine faire Wettbewerbsordnung. Dafür haben wir die Änderungsvorschläge eingebracht, über die das Hohe Haus heute entscheidet. Weil eine faire Wettbewerbsordnung für unsere soziale Marktwirtschaft so wichtig ist, würde ich gerne als Allererstes einmal dem Bundeskartellamt Danke sagen. Das Bundeskartellamt hat ja die Aufgabe, diese Gesetze zu vollziehen, selber aufmerksam zu sein und immer zu schauen, wo es Verfahren einleiten muss und wo nicht. Das macht es gut, wie ich finde, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich finde, es könnte etwas mehr Begeisterung da sein. Was ändern wir nun mit diesem Gesetzentwurf? Der erste Punkt ist, dass wir den kartellrechtlichen Ordnungsrahmen für die digitale Welt verbessern. Ein Markt im Sinne des Wettbewerbsrechts wird künftig auch dann vorliegen, wenn zwischen den unmittelbar Beteiligten kein Geld fließt. Damit reagieren wir darauf, dass viele Unternehmen ihre Dienste heutzutage im Netz unentgeltlich anbieten. Das finden die Verbraucherinnen und Verbraucher in der Regel gut. Sie merken allerdings nicht, dass sie statt mit Geld mit Daten im Netz bezahlen. Die Unternehmen erarbeiten sich auf diese Art und Weise natürlich eine Marktmacht. Deswegen machen wir da eine Änderung. Der zweite Punkt ist, dass durch dieses kostenlose Angebot der Wert des Unternehmens nicht so sehr in einem Buchwert besteht, also nicht aus den Einnahmen in einer ordentlichen Bilanz ersichtlich ist. Vielmehr besteht der Wert des Unternehmens darin, dass es über viele Daten verfügt und viele Menschen gebunden hat. Dieser Wert kann sehr hoch sein. Denken Sie beispielsweise daran, dass Facebook für WhatsApp 19 Milliarden US-Dollar gezahlt hat. Wir wollen deshalb, dass das Bundeskartellamt künftig auch diese Art von Übernahmen prüfen kann. Wir haben einen Kaufpreis von über 400 Millionen Euro festgeschrieben. Das war in der Debatte nicht ganz einfach. Auch ich habe natürlich mitbekommen, dass die Start-up-Szene Bedenken hatte, dass ihnen der eine oder andere Exit dadurch verwehrt werden könnte. Aber, ich denke, mit 400 Millionen Euro haben wir eine solch hohe Kaufpreisschwelle gewählt, dass negative Auswirkungen auf die deutsche Start-up-Szene ausgeschlossen sein müssten. Der dritte Punkt ist, dass wir mit der Novelle sicherstellen, dass sich Unternehmen, die eines Kartellrechtsverstoßes überführt wurden, nicht mehr vor den Bußgeldzahlungen drücken können, indem sie ihr Unternehmen rechtlich anders organisieren, indem sie umstrukturieren, Teile verkaufen und anders zusammenfügen. Das soll künftig nicht mehr möglich sein. Ich glaube, das ist ein guter Beitrag für mehr Gerechtigkeit im Wirtschaftsleben. Der vierte Punkt ist, dass wir den Presseverlagen helfen. Das entspricht auch unserem Koalitionsvertrag. Wir erlauben Presseverlagen künftig, den Vertrieb ihrer Anzeigen gemeinsam zu organisieren. Es kann also jenseits der redaktionellen Ebene mehr Zusammenarbeit geben. Das war uns wichtig; denn sie müssen sich wirtschaftlich besser aufstellen können. (Beifall bei der SPD – Martin Dörmann [SPD]: Das stärkt die Medienvielfalt!) Der fünfte Punkt ist, dass wir an dem Verfahren der Ministererlaubnis behutsame Korrekturen vornehmen. Sie soll auch in der Zukunft in der Praxis handhabbar bleiben. Gerade der erfolgreiche Abschluss des Verfahrens „Edeka/Kaiser’s Tengelmann“ hat ja gezeigt: Die Ministererlaubnis ist im begründeten Einzelfall ein sinnvolles Korrektiv zur rein wettbewerblichen Betrachtung des Bundeskartellamtes. Ich denke, dass wir mit dieser neunten GWB-Novelle einen Schritt zur Verbesserung der Ordnungspolitik in den Zeiten der Digitalisierung unternommen haben. Es wird nicht der letzte sein. Bestimmt wird sich das Haus auch in der nächsten Legislaturperiode damit befassen müssen, welche Änderungen angesichts der Digitalisierung notwendig sind. Wir werden vonseiten des Bundeswirtschaftsministeriums in Kürze ein Weißbuch zu der Frage der Regelung von Internetplattformen vorlegen. Sicherlich wird es dadurch Diskussionsstoff geben, welche Regulierungen im Wettbewerbsrecht notwendig sind. Ich freue mich auf die Diskussion. Ich glaube, dass sie notwendig ist. Jetzt danke ich zunächst einmal dafür, dass die neunte GWB-Novelle auf diese Art und Weise zur Verabschiedung kommen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist Klaus Ernst. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Voraussetzung dafür, dass eine Marktwirtschaft funktioniert, ist, dass der Wettbewerb funktioniert. Ein fairer Wettbewerb setzt voraus, dass kein Unternehmen einen Markt beherrscht, dass kein Unternehmen nennenswerten Einfluss auf die Marktpreise hat und dass Transparenz über Angebot und Nachfrage besteht. – So kann man es in den schönen Lehrbüchern nachlesen. Das Gegenteil davon sind monopolisierte Märkte. Es ist Aufgabe des Staates, sicherzustellen, dass auf den Märkten eine faire Konkurrenz herrscht. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das Gegenstand der heutigen Debatte ist, gilt als zentrale Norm des deutschen Kartell- und Wettbewerbsrechts. Wie steht es nun um den Wettbewerb in Deutschland angesichts einer so herausragenden Bedeutung? Wenn wir einen Blick auf den Versicherungsmarkt werfen, sehen wir, dass dort zehn Unternehmen fast 60 Prozent des Marktes kontrollieren. Im Lebensmittelbereich haben wir ähnliche Verhältnisse. Das Bundeskartellamt hat dazu festgestellt: Der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland ist ein hochkonzentrierter Markt. Die vier großen Handelsunternehmen – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe – haben über 85 Prozent Marktanteil. Hier handelt es sich auch um ein Nachfragemonopol, weil diese Unternehmen natürlich unheimlich großen Einfluss auf die Produzenten von Lebensmitteln nehmen können, zum Beispiel auch auf die Milchpreise. Wir wissen, wie es den Milchbauern zurzeit geht. Die Preise sind so, dass die Milchbauern davon kaum noch vernünftig leben können. Doch wissen Sie, was das Schlimmste ist? Wir wissen noch viel zu wenig über die tatsächliche Marktkonzentration in vielen Branchen. Unsere Fraktion hat mehrfach kritisiert, dass die Monopolkommission die systematische Beobachtung der Marktkonzentration faktisch eingestellt hat. Haben Sie einmal in die Hauptgutachten der Monopolkommission der letzten Jahre geschaut? Da finden sich nur noch Analysen einzelner Branchen. Aber ein Gesamtüberblick über die Monopolisierung in der Bundesrepublik Deutschland wird faktisch nicht mehr gegeben. Das ist nicht hinnehmbar. Wir brauchen hier wieder umfassende Informationen. Dank der Arbeit der Kartellbehörden wissen wir zumindest, dass es den Anbietern auf den Märkten für Nahrungsmittel, Pharmaprodukte oder Baustoffe – auch die Gleisproduzenten fallen mir ein – immer wieder gelingt, durch Preisabsprachen den Wettbewerb außer Kraft zu setzen. Die Instrumente der Kartellbehörden beschränken sich bisher auf Fusionskontrolle und Missbrauchsaufsicht. Es gibt keine Handhabe, gegen marktbeherrschende Stellungen, die schon bestehen, vorzugehen. Das ist ein Fehler im System. Deshalb fordern die Grünen – meines Erachtens vollkommen zu Recht –, als Ultima Ratio eine missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit zu schaffen, damit tatsächlich eingegriffen werden kann, ohne dass es besondere Umstände gibt, die dazu einen Anlass geben. Die aktuelle Novelle justiert etwa bei den daten- und internetbasierten Dienstleistungen nach. So sollen hier zur Bewertung einer marktbeherrschenden Stellung unter anderem auch Nutzerzahlen herangezogen werden; das ist richtig. Auch die Einschränkung der Möglichkeiten großer Unternehmen, hohe Geldbußen zu vermeiden – Sie haben es angesprochen, Frau Ministerin –, ist richtig. Das grundsätzliche Problem der bereits konzentrierten Märkte und der Marktmacht Einzelner ist jedoch nach wie vor ungelöst. Da kommen wir auch mit diesem Gesetzentwurf keinen Schritt weiter. Meine Damen und Herren, im Pressebereich – das ist sehr problematisch – führen Ihre Ausnahmeregelungen sogar zu einer Förderung der Konzentration. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss noch ein paar Worte zur Ministererlaubnis und zu unserem Antrag dazu. Das Bundeskartellamt hatte die Übernahme von Tengelmann durch Edeka unter anderem deshalb untersagt, weil damit die Einkaufsalternativen eingeschränkt würden und die Gefahr von Preiserhöhungen und der Druck auf Zulieferer wüchsen. Der damalige Wirtschaftsminister genehmigte die Übernahme durch Edeka jedoch per Ministererlaubnis wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen, die in Gefahr war. Das war unserer Auffassung nach richtig. Gegenwärtig muss einer Ministererlaubnis entweder zugrunde liegen, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile der Übernahme die Einschränkungen im Wettbewerb aufwiegen oder dass es ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gibt. Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Arbeitsplätze – damit meine ich vernünftige Arbeitsplätze, also tarifvertragliche mit Betriebsratsstrukturen – sehr wohl einen solchen Umstand darstellt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah das anders. Abgesehen davon, dass dies absurd ist, zeigt dieses Urteil, dass die Erwägungsgründe klarer formuliert werden müssen. Wir müssen auch in dieser Frage nachjustieren. In unserem Antrag fordern wir, dass die Sicherung von guter Arbeit, also Betriebsratsstrukturen und tarifliche Beschäftigung, bei der Fusionsentscheidung berücksichtigt werden muss. Wir plädieren auch dafür, dass die Ministererlaubnis durch eine Parlamentserlaubnis ersetzt wird und damit eine öffentliche und transparente Debatte darüber stattfindet, ob eine Fusion im Interesse des Allgemeinwohls akzeptiert wird oder nicht. Die jetzige Ministererlaubnis wird der politischen Tragweite von Großfusionen nicht gerecht. Deshalb glauben wir, dass wir der Antwort auf die Frage bzw. der Entscheidung, ob etwas im öffentlichen Interesse liegt oder nicht, mit Beteiligung des Parlaments Nachdruck verleihen müssen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, darf ich kurz die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt geben. Erstens. Namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mietpreisbremse wirkungsvoll ausgestalten“, wonach der Antrag abgelehnt werden sollte: abgegebene Stimmen 570. Mit Ja haben gestimmt 461, mit Nein haben gestimmt 53, Enthaltungen 56. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen, der Antrag wurde also abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 570; davon ja: 461 nein: 53 enthalten: 56 Ja CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Fraktionslos Erika Steinbach Nein DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Zweitens. Namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten bei umfassenden Modernisierungen: abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 110, mit Nein haben gestimmt 457. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 567; davon ja: 110 nein: 457 enthalten: 0 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Fraktionslos Erika Steinbach Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Drittens. Namentliche Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten durch Streichung der Rügepflicht und die Schaffung eines Auskunftsrechts: abgegebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 110, mit Nein haben gestimmt 463. Damit ist auch dieser Gesetzentwurf abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 110 nein: 461 enthalten: 0 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Annalena Baerbock Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Norbert Brackmann Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Fraktionslos Erika Steinbach Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Jetzt hat der Kollege Dr. Matthias Heider, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. – Bitte schön. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir ändern hier heute das Grundgesetz. Keine Sorge, Frau Präsidentin, es ist das „Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft“. So hat Ludwig Erhard das Kartellgesetz damals genannt. Ich halte diesen Namen für richtig. Er zeigt die Bedeutung dieses Gesetzes für unsere Wirtschaft. Einmal in jeder Legislaturperiode überprüfen wir grundlegend den Rahmen wettbewerblichen Handelns, den Rahmen für unsere Wirtschaft. Durch jede Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen richten wir den Kompass des Wettbewerbs in Deutschland neu aus. Das ist notwendig, weil sich die Wettbewerbsbedingungen von Zeit zu Zeit ändern. In manchen Branchen müssen die Unternehmen härter am Wind segeln, in anderen Branchen und Wettbewerbsbereichen mag es richtig sein, etwas Wind aus den Segeln zu lassen. Von der Veröffentlichung des Referentenentwurfs dieses Gesetzes bis heute hat es acht Monate gedauert. Heute können wir es in letzter Lesung mit einigen Änderungen verabschieden. Damit sind wir im Vergleich zum schon erwähnten Ministererlaubnisverfahren im Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann geradezu schnell. In diesem Verfahren hat der damalige Minister Sigmar Gabriel nämlich immerhin elf Monate gebraucht, um zu einer Entscheidung zu kommen. Es war aber auch eine schwierige Entscheidung. Mit diesem Vergleich möchte ich gleich am Anfang eine der wichtigsten Änderungen hervorheben, die wir an diesem Gesetzentwurf noch gemeinsam vornehmen wollen, nämlich die Änderung beim Ministererlaubnisverfahren. Durch die Änderung stärken wir dieses Verfahren. Das ist auch wichtig. In den elf langen Monaten, die das Verfahren Edeka/Kaiser’s Tengelmann gedauert hat, war es für die Beschäftigten und die Unternehmen unsicher, was mit ihnen geschieht. Hinzu kam, dass das Verfahren – jedenfalls nach Auffassung eines Gerichtes – nicht so transparent geführt worden war, wie es eigentlich von einer Behörde zu erwarten ist. Es ist gut, dass sich die beteiligten Unternehmen in diesem Verfahren am Ende geeinigt haben. Das bedeutet: Die Beteiligten sind von Edeka mit Zahlungen und Leistungen klaglos gestellt worden. Klagen gegen die Ministererlaubnis sind daraufhin zurückgezogen worden. Es brauchte fast 18 Monate, bis diese Unsicherheit beseitigt war und die Beschäftigten und die Unternehmer aufatmen konnten. Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt nicht, ob sich die Arbeitsplatzsituation über alle Unternehmensteile von Edeka/Kaiser’s Tengelmann hinweg ohne Verlust entwickelt. Der Prozess ist noch im Gang, und wir werden uns als Parlament weiter darüber berichten lassen. Als Gesetzgeber ist es unsere Pflicht, zu fragen: Was können wir in Zukunft in Verfahren besser machen? Was muss das Parlament zur Sicherung eines rechtsstaatlichen Verfahrens und einer wirtschaftlichen Ausnahmeentscheidung jetzt unternehmen? Denn die Exekutive ist an Recht und Gesetz gebunden, und es darf nicht einmal der Eindruck erweckt werden, meine Damen und Herren, dass irgendwelche Spielregeln in diesem Verfahren unklar sind. Für uns als CDU/CSU-Fraktion war die Antwort klar: Wir müssen das Verfahren stärken, damit neben der kartellrechtlichen Entscheidung des Bundeskartellamtes eine mehr politisch gewichtete Entscheidung der Ministerin oder des Ministers zugunsten gesamtwirtschaftlicher Vorteile oder eines überragenden Interesses der Allgemeinheit in einer Ausnahmesituation ihr Gewicht behalten kann. Arbeitsplätze können, um das klar zu sagen, ein überragendes Interesse der Allgemeinheit rechtfertigen. Bei dem Erhalt von kollektiven Arbeitnehmerrechten sah das Oberlandesgericht Düsseldorf verfassungsrechtliche Probleme. Wir haben zum Verfahren verschiedene Vorschläge gemacht. Ich freue mich, dass wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD auf einen Großteil unserer Vorschläge einigen konnten. Durch die Änderungen straffen wir das Verfahren, und wir machen es transparenter. Die wichtigste Änderung ist, dass künftig eine Höchstfrist für das Verfahren gelten wird. Beim nächsten Mal, meine Damen und Herren, läuft im Wirtschaftsministerium die Uhr mit. Wenn nach sechs Monaten keine Entscheidung vorliegt, gilt der Antrag auf die Erlaubnis als abgelehnt. Die Frist kann auf Antrag der Unternehmen nur einmal um bis zu zwei Monate verlängert werden. Nach acht Monaten ist dann aber Schluss. Dies strafft das Verfahren zeitlich und gibt den Beschäftigten sowie den Unternehmen, aber auch dem Markt Rechtssicherheit. Wir hätten uns als Union eine noch kürzere Frist vorstellen können, aber das ist eben ein Kompromiss. Bisher – so sah es das geltende Recht vor – sollte das Verfahren bereits nach vier Monaten beendet sein. Das war eine Sollvorschrift, die nicht gezogen hat. Diese Vorgabe besteht natürlich weiter. Unternehmer sind Kaufleute, und die sind auf schnelle Entscheidungen im Geschäftsverkehr angewiesen. Wenn das Ministerium in diesem Zeitraum nicht entscheidet, muss zukünftig der Deutsche Bundestag – also wir – schriftlich über die Gründe unterrichtet werden. Das wahrt unser Informationsrecht als Parlament. Weiterhin machen wir das Ministererlaubnisverfahren transparenter. Das Ministerium muss sich zukünftig binden und Leitlinien erlassen, in denen der Ablauf eines Ministererlaubnisverfahrens genau dargestellt wird. Die Leitlinien sollen insbesondere die Fristenregelungen, Dokumentationspflichten und Verfahrensrechte der Beteiligten regeln. Schließlich stärken wir die Rolle der Monopolkommission und verpflichten das Ministerium, sich bei einer abweichenden Entscheidung dezidiert mit der Monopolkommission auseinanderzusetzen. – Ich erinnere nur daran, dass der Vorsitzende der Monopolkommission im Zuge dieses Ministererlaubnisverfahrens von seinem Amt zurückgetreten war. Ein von den Grünen und Linken gefordertes Vetorecht oder sogar eine Parlamentserlaubnis haben wir nicht aufgenommen. Die Ministererlaubnis ist eine klassische Aufgabe der Exekutive. Unsere Aufgabe als Parlament ist es, die Regierung zu kontrollieren und die Bindung an Recht und Gesetz – gegebenenfalls durch weitere Gesetzgebung; so wie wir das hier heute tun – sicherzustellen. Das ist die Auswirkung der Gewaltenteilung. Es ist unser Auftrag nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Wir setzen die Grundlagen, damit Entscheidungen weder zeitlich noch inhaltlich beliebig werden. Ich denke, dass das Ministerium und die Unternehmen mit unseren Änderungen in Bezug auf dieses Verfahren für die nächste Ministererlaubnis gut gerüstet sind, wer immer dann auch Wirtschaftsminister sein wird. Ich freue mich, dass wir neben den Änderungen zum Ministererlaubnisverfahren auch den Koalitionsvertrag im Punkt „Verbraucherschutz und Bundeskartellamt“ umsetzen konnten. Wir hatten, was den Verbraucherschutz angeht, eine Prüfpflicht für Behörden vereinbart. Das gilt also auch, meine Damen und Herren, für eine Bundesoberbehörde wie das Bundeskartellamt. Verbraucherschutz ist für uns als CDU/CSU-Fraktion ein wichtiges Thema. Daher haben wir uns mit unserem Koalitionspartner darauf geeinigt, dass das Bundeskartellamt in Zukunft auch Verstöße gegen Verbraucherrechte prüfen kann. Das Amt kann sogenannte Sektoruntersuchungen in Branchen durchführen, in denen der Verdacht besteht, dass schwerwiegende Verstöße gegen Verbraucherrechte vorliegen. Außerdem können zukünftig Mitarbeiter des Bundeskartellamtes an Gerichtsverfahren teilnehmen, die erhebliche Verstöße gegen Verbraucherrechte betreffen. Sie können Hinweise auf Beweismittel geben und ihre Erkenntnisse und ihr Know-how in das Gerichtsverfahren einbringen. Informieren, prüfen und berichten: Das ist der erste Schritt einer Behörde, die wir auf ein neues Aufgabenfeld vorbereiten. Den Vorschlag der SPD, das Bundeskartellamt zu einer allgemeinen Verbraucherschutzbehörde auszubauen, haben wir anhand der Anhörung und in weiteren Gesprächen intensiv geprüft. Jedoch konnten wir zum jetzigen Zeitpunkt (Marcus Held [SPD]: Uns nicht überwinden!) eine solche Entscheidung nicht mittragen. Es fehlt an klaren Aufgabenbeschreibungen und an eindeutigen Abgrenzungen bei Eingriffsmaßnahmen genauso wie an der Beachtung der Befugnisse anderer Behörden. Meine Damen und Herren, eine allgemeine Verbraucherschutzbehörde ist ein Systemwechsel. Bisher werden Verstöße gegen allgemeine Verbraucherrechte privatrechtlich, durch Abmahnungen und Klagen, verfolgt. Die Kolleginnen und Kollegen der SPD wollten hier einen Systemwechsel vornehmen, der an ein Gesetzesvorhaben angedockt werden sollte, das ihnen dafür mal eben angeflanscht erschien. Das geht unseres Erachtens nicht „mal eben“. Dazu brauchen wir weitere Vorbereitungen, eine Abstimmung mit anderen Bundesbehörden und vor allen Dingen – ganz wichtig – eine Etatisierung im Bundeshaushalt. Inhaltlich sehen wir derzeit bei der Durchsetzung von Verbraucherrechten vorwiegend im Bereich der digitalen Wirtschaft Defizite. Eine Abgrenzung der digitalen von der analogen Welt ist aber ausgesprochen schwierig. Außerdem ist nicht klar, warum wir eine weitere Behörde brauchen, die Verbraucherrecht durchsetzt. Die Bundesnetzagentur, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, die Datenschutzaufsichtsbehörden und die Anstalten der Bundesländer im Medienbereich verfolgen bereits Verstöße gegen Verbraucherrechte in ihrem jeweiligen Bereich. Was das oft genannte Beispiel, das schwierige Vorgehen gegen sogenannte Fake Shops im Internet, angeht, frage ich: Warum greifen dort die Staatsanwaltschaften nicht härter durch? Hier geht es, meine Damen und Herren, um die Verfolgung von Betrugsdelikten. Nach einem Anfangsverdacht wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet: Das wären die richtigen Schritte, mit denen man den Verbraucherrechten zum Durchbruch verhelfen könnte. Diese Aufgabe müssen wir nicht zusätzlich dem Bundeskartellamt übertragen. Meine Damen und Herren, mit Blick auf die Redezeit kann ich leider zu allen anderen Themen nichts mehr vortragen. Ich glaube, dass wir mit den Änderungen in der neunten Novelle einen Gesetzentwurf in kompakter Form vorlegen. Eins ist sicher: Nach der neunten Novelle folgt die …? Zehnte Novelle, richtig. – Ich bedanke mich für Ihre Mitwirkung und bitte um Zustimmung zu den Änderungen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Martin Dörmann [SPD]: Die Kölner freuen sich schon auf die elfte!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir Grüne sind die Partei des fairen Wettbewerbs. Wenn wir keinen fairen Wettbewerb haben, dann haben wir nicht Marktwirtschaft, sondern Machtwirtschaft. Das wollen wir nicht. Ein funktionierender fairer Wettbewerb ist eine tragende Säule für unsere soziale und ökologische Marktwirtschaft. Dieser Wettbewerb ist Motor für Innovation, Kreativität und führt zu niedrigen Preisen und hoher Qualität. Genau das wollen wir. Deswegen wollen wir fairen Wettbewerb. Daher legen wir einen eigenen Antrag vor, um das zu verbessern, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf nicht geschafft haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wo fairer Wettbewerb herrscht, haben Verbraucherinnen und Verbraucher die Wahl. Sie sind besser geschützt vor Abzocke und unfairen Geschäftsbedingungen; denn ohne faire Regeln nimmt die wirtschaftliche Konzentration zu, häufig verbunden mit Schäden für Mensch und Umwelt. Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf enthält einige richtige Punkte im Sinne einer Digital- und Wettbewerbspolitik, wie sie meine Fraktion schon lange fordert. Damit werden Fortschritte erzielt; das ist auch gut so. Allerdings: Wir müssten deutlich mehr tun. Jetzt komme ich zu unseren Vorschlägen und Beispielen, etwa zum Thema digitale Märkte. Sie sind erst einmal ein großer Gewinn für uns alle, für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Vergleichsportale schaffen mehr Transparenz bei Angebot und Preisen. Über soziale Netzwerke können Nutzerinnen und Nutzer Interessen und Meinungen teilen. Aber die Wettbewerbspolitik muss sich auf diese neuen internetbasierten Plattformmärkte ausrichten. Die Wettbewerbswirkung dieser Märkte ist eben nicht eindeutig. Da der Mehrwert der Plattformen direkt mit der Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer steigt – das ist der sogenannte Netzwerkeffekt –, konzentriert sich Marktmacht auf wenige Plattformen und im extremsten Fall auf eine Plattform. Das kann ein Problem sein. Das Beispiel WhatsApp und Facebook ist genannt worden. Der Kaufpreis lag damals bei 19 Milliarden US-Dollar für WhatsApp, für ein Unternehmen, das zwar geringen Umsatz, aber 450 Millionen Nutzerinnen und Nutzer hatte. Deswegen fordern wir, dass das Bundeskartellamt zukünftig bei der Genehmigung von Fusionen die Möglichkeit hat, nicht nur auf den Umsatz der Firmen zu schauen, sondern zusätzlich auf das Transaktionsvolumen und den Kaufpreis, der bei der Fusion gezahlt werden soll. Das ist wichtig und notwendig; denn sonst bekommen wir die Konzentration in diesem Bereich nicht in den Griff. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Ich mache es ein bisschen konkreter, was die Digitalwirtschaft angeht. Es gibt zwei Prinzipien, die wir unbedingt brauchen. Das eine wird mit dem etwas sperrigen Wort der Interoperabilität beschrieben. Dabei geht es darum, dass Sie, wenn Sie eine Smartphone-Anwendung, eine App haben, auch mit anderen kommunizieren können, dass es da keine Lock-in-Effekte gibt und dass keine geschlossenen Märkte nebeneinander existieren, was dazu führt, dass Monopolisten ihre Machtstellung ausnutzen. Da haben wir momentan beim Wettbewerbsrecht, zum Beispiel im Bereich der Messengerdienste, ein Problem. Sie können jetzt nicht von Threema zu WhatsApp kommunizieren; das geht nicht. Dieses Problem müssen wir lösen. Wir müssen da bei der Gesetzgebung ran und einfordern: Die Anbieter selbst müssen nachweisen, dass das technisch nicht möglich ist. Wenn sie das nicht können, dann muss das machbar sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Punkt betrifft die Datenportabilität. Auch das ist wieder ein sperriges Wort, aber einfach zu erklären: Dabei geht es darum, dass Sie, wenn Sie Daten oder auch Datenhistorien gespeichert haben, zum Beispiel Kontaktdaten in einer Anwendung, und wenn Sie einen anderen Anbieter nutzen wollen, die auch mitnehmen können. Die EU-Datenschutz-Grundverordnung regelt das; sie ist ab 2018 anzuwenden. Aber sie muss jetzt zügig in deutsches Recht umgesetzt werden, damit wir auch in diesem Bereich mehr Wettbewerb haben, indem wir diese Möglichkeiten im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher haben. Ich komme zum Thema Verbraucherschutz. Herr Dr. Heider, Sie haben den Gesetzentwurf ja schon verteidigt. Die SPD hatte nämlich anderes vor – sie ist als Tiger gesprungen und dann nicht wirklich als Tiger gelandet; ich lasse jetzt einmal die üblichen Vergleiche weg und mache es sachlich –: Sie wollten eine schlagkräftige Verbraucherschutzbehörde ausbauen. Sie wollten die Kompetenzen des Bundeskartellamts auf den wirtschaftlichen Verbraucherschutz ausweiten. Aber das haben Sie eben nicht gemacht. Wir finden, das ist ein Versäumnis. Denn wie kann bitte der Verbraucher zivilrechtlich gegen Unternehmen vorgehen, die zum Beispiel die AGBs verschlechtern oder Datenschutzbestimmungen umgehen und ausnutzen? Das kann er eben nicht. Dazu braucht er auch die Keule des Wettbewerbsrechts, die Sie ihm aber nicht gegeben haben. Wir wollen, dass der zivilrechtliche Verbraucherschutz um einen behördlichen ergänzt wird, damit da endlich Waffengleichheit herrscht. Das ist notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme noch zum Ministererlaubnisverfahren. Es ist richtig, dass das erst einmal ein Akt der Exekutive ist und in der Endentscheidung auch bleiben soll. Aber wir haben gerade bei der Causa Tengelmann gesehen, dass das nicht so ganz funktioniert. Was ist denn beispielsweise das Gemeinwohlinteresse? Das Gemeinwohlinteresse kann nicht darin bestehen, dass man einen Unternehmensbereich als schützenswert ansieht – in diesem Fall Kaiser’s Tengelmann – und dort Arbeitsplätze sichert, aber die anderen Arbeitsplätze – in dem Fall bei Edeka – sozusagen zur Disposition stellt, die Position dieser Mitarbeiter schwächt und dann sagt: Das ist das Gemeinwohlinteresse. – Ich glaube, der Bundestag muss in der Lage sein, Einspruch zu erheben und eine Debatte darüber zu führen. Das fordern wir. Wir sagen: Innerhalb von vier Sitzungswochen brauchen wir die Gelegenheit zu einer Diskussion. Wenn dann der Minister sagt, er ist nicht einverstanden, dann kann er noch immer zu der Regierung gehen und sagen: Stimmt mal so oder so ab. Dann treffen wir eine Entscheidung. – Die kann dann auch anders als die vom Parlament getroffene aussehen. Nichtsdestotrotz brauchen wir im Parlament breitere Beteiligungsrechte, auch der Verbraucherschutzbehörden und der Datenschutzbehörden, damit sie darlegen können, ob das im Sinne des Gemeinwohls ist. Denn unser Eindruck ist, dass es im Fall Tengelmann nicht so gelaufen ist, sondern dass da Gespräche im Hintergrund gelaufen sind, die am Ende nicht dem Gemeinwohl gedient haben, sondern Interessen von Einzelnen, die vielleicht schon im Vorfeld viel Einfluss hatten. Wir Grüne stimmen dem vorliegenden Entwurf so nicht zu, sagen aber auch, dass es Fortschritte gibt. Uns liegt jetzt die neunte Novellierung vor. Das ist gut so und notwendig. Es werden weitere folgen; das ist ja angesprochen worden. Im Bereich des Verbraucherschutzes haben wir eben noch Bedarf. Ich glaube, das wird die SPD selbst auch noch einmal für sich betonen. Das muss dringend auf die Tagesordnung. Für uns bleibt am Ende in der Substanz: Da uns fairer Wettbewerb und konsequenter Verbraucherschutz so am Herzen liegen, müssen wir uns bei beiden Vorlagen enthalten. Es gibt noch eine weitere Problematik, die wir kritisch sehen: die Freistellung privater Presseverlage von der Kartellverfolgung. Natürlich brauchen wir eine unabhängige Presse, die auch wettbewerbsfähig sein muss, aber Preisabsprachen sind nach unserer Auffassung das falsche Instrument, um sie im Wettbewerb mit der Gratiskonkurrenz aus dem Internet zu stärken. Auch hier müssen wir die Regeln beachten und dürfen keine Sonderregeln schaffen. Sonst ist der Wettbewerb außer Kraft gesetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) In diesem Sinne: Kämpfen Sie weiter für fairen Wettbewerb! Ich danke für die Debatte und freue mich auf Ihre weiteren Beiträge. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat Marcus Held für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Marcus Held (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute pünktlich zum Fristablauf am Montag mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das wir heute zu beschließen haben. Wir haben in den zurückliegenden Monaten, in dem zurückliegenden Jahr – so lange ist die Debatte schon gelaufen –, verschiedenste Bereiche diskutiert und geregelt. Es gab Bereiche, bei denen klar war, dass sie in dieses Gesetz gehören, es gab andere Bereiche, die vielleicht aus historischen Gründen schon passend gemacht worden sind, und es gab Bereiche, bei denen diskutiert wurde, ob sie in dieses Gesetz gehören: Das betrifft beispielsweise die Zusammenarbeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Hier bestand besonders der Wunsch der Länder, dass die Anstalten enger kooperieren dürften. Das ist aber aus unserer Sicht nicht Sache des Wettbewerbsrechts bzw. des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen, vielmehr müssen die Länder gegebenenfalls den Rundfunkstaatsvertrag ändern. Deshalb ist das Ergebnis auch so gewesen. Uns als SPD war es sehr wichtig, die Presselandschaft, die der Kollege Janecek eben angesprochen hat, in Deutschland zukunftsfähig zu machen und zu stärken. Uns ging es vor allem um die Printmedien, die in den zurückliegenden Jahren doch erhebliche Nachteile durch Onlineplattformen und Presseagenturen, die vor allem im Internet tätig sind, hinnehmen mussten. Hinzu kommt die Onlinekonkurrenz bei den Anzeigen; der Anzeigenteil bei den Printmedien ist immer weiter zurückgegangen. Deshalb haben wir Beschlüsse vorgesehen, die positive Auswirkungen auf die Redaktionen haben und dazu führen, dass die Verlage weiterhin ausreichend Mittel für ihre redaktionelle Arbeit zur Verfügung stellen können. Gleichzeitig müssen wir bedenken, dass es nicht so weitergehen darf in Deutschland. Zumindest in Teilen Ostdeutschlands haben wir schon weiße Flecken auf der Landkarte, was Tageszeitungen betrifft, die über kommunale Ereignisse berichten; oft gibt es nur günstige Anzeigenblätter auf kommunaler Ebene. Dem müssen wir entgegenwirken. Ich glaube, das haben wir mit den Regelungen zu Kooperationen im Pressebereich auch geschafft. Darauf wird der Kollege gleich noch näher eingehen. (Beifall bei der SPD) Ferner haben wir in den zurückliegenden Monaten intensiv über die Ministererlaubnis diskutiert, Herr Heider. Es gibt jetzt die Ablehnungsfiktion für den Minister nach sechs Monaten, wenn der Antrag gestellt ist, und eine Verlängerungsmöglichkeit um zwei Monate für den Fall, dass man noch weitere Aspekte in das Verfahren einbringen möchte. Wir haben sehr lange darüber diskutiert, wobei die Diskussion von der Fusion von Kaiser’s Tengelmann mit Edeka überschattet wurde. Trotzdem sollten wir diesen Punkt versachlichen und darauf hinweisen, dass in den letzten knapp 50 Jahren noch nicht einmal 20 Anträge auf eine Ministererlaubnis zur Fusion gestellt worden sind. Die letzte Entscheidung ist eine positive Entscheidung unseres Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel gewesen: Es wurden 16 000 Arbeitsplätze durch den bewusst positiven Umgang mit der Ministererlaubnis erhalten, und wir sind stolz darauf, dass diese 16 000 tarifgebundenen Arbeitsplätze erhalten werden konnten. (Beifall bei der SPD) Der kollektive Verbraucherschutz – das ist eben schon andiskutiert worden – ist für uns Sozialdemokraten eines der wichtigsten Themen. Wir hätten ihn in diesem Gesetz gerne noch stärker verankert. Wir wollten die Rolle des Bundeskartellamtes als einer Behörde stärken – Herr Heider hat es schon gesagt –, die dann auch Ansprechpartnerin für Bürgerinnen und Bürger sein sollte, die sich mit einer Beschwerde an diese Institution wenden können. Dies ist uns leider nicht gelungen, weil es keinen Kompromiss mit der Union in dieser Frage hat geben können. Das muss man an dieser Stelle auch in dieser Klarheit sagen. Wir werden uns als SPD in den kommenden Monaten und in der kommenden Wahlperiode nochmals intensiv dafür einsetzen, dass das Bundeskartellamt tatsächlich auch Ansprechpartner für die Verbraucherinnen und Verbraucher wird. Aber wir haben mit diesem Gesetz einen Kompromiss erreicht, mit dem wir wenigstens den Einstieg geschafft haben. Das Bundeskartellamt kann Sektoruntersuchungen durchführen, wenn der Verdacht auf erhebliche und dauerhafte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften besteht und – darüber hinaus – wenn eine Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern betroffen zu sein scheint. Das wollen wir nochmals intensivieren. Wir werden bei der Evaluation auch noch einmal darauf gucken, wie sich das in den nächsten zwei, drei Jahren entwickelt. Wir wollen hier auf jeden Fall an der Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch an der Seite der redlichen Unternehmerinnen und Unternehmer sein. Für die setzen wir uns als SPD ein, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Eine wichtige Regelung in diesem Gesetz ist auch, dass Zusammenschlüsse von Dienstleistungsunternehmen bei den Sparkassen ermöglicht werden. Wir wissen alle, dass die Sparkassen besonders wichtig auch in der kommunalen Arbeit in Deutschland sind. Wir sind, glaube ich, sehr stolz darauf, dass unser Bankenwesen in Deutschland neben den Großbanken vor allem auch Sparkassen und Volksbanken kennt. Aus diesem Grunde haben wir intensive Gespräche mit den Sparkassen geführt. Wir haben erreicht, dass im Backoffice-Bereich künftig Zusammenschlüsse von Dienstleistungsunternehmen sowohl bei den Sparkassen als auch bei den Genossenschaftsbanken möglich sind. Es gab natürlich eine intensive Debatte darüber, ob das im Vergleich zu den anderen Banken richtig ist. Ich bin der Meinung, dass die Kommunen, die insbesondere Träger unserer Sparkassen sind, die Möglichkeit erhalten sollten, kommunale Strukturen bzw. kleine Unternehmer vor Ort zu unterstützen. Das tun sie oft, gerade wenn es um Kreditierungen im Bereich der Wirtschaft geht. Deshalb haben es die Sparkassen auch verdient, dass sie von uns hier die entsprechende Unterstützung und Rückendeckung bekommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich mich bei allen, die bei den intensiven Diskussionen mitgewirkt haben, noch einmal herzlich bedanken. Bedanken möchte ich mich insbesondere bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die wir ja eingehend konsultiert haben. Ich glaube, wir machen uns mit dieser neunten Novelle auf zu mehr Wettbewerb, zu mehr Gerechtigkeit, die für uns als SPD besonders wichtig ist, aber auch zu mehr Flexibilität. Alles das, was wir noch realisieren wollen, werden wir in der zehnten Novelle mit anderen Mehrheiten realisieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Thomas Lutze das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Thomas Lutze (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherlich ist vieles von dem, was in der neunten Novelle drinsteht, ausdrücklich zu begrüßen. Meine Redezeit von drei Minuten würde auch nicht ausreichen, das alles aufzuzählen, geschweige denn, zu kommentieren. Das Problem ist jedoch nicht das Begrüßenswerte, sondern dass die meisten Sachen schlichtweg überfällig sind. Wir hätten vieles von dem, über das wir heute diskutieren, möglicherweise schon vor zehn Jahren gebraucht, um auf bestimmte Marktumwälzungen zu reagieren, die scheinbar einfach so im luftleeren Raum geschehen sind. Ich nenne Ihnen ein Beispiel – der Kollege Janecek hat es auch schon erwähnt –: den Messengerdienst WhatsApp. Ihm kann man mittlerweile getrost eine Bedeutung zumessen, die die SMS möglicherweise vor 10 oder 15 Jahren einmal hatte. Diese geschlossene Plattform eines einzelnen Unternehmens ist gerade dabei, Standard für Millionen von Menschen zu werden, so wie es möglicherweise – wie haben es noch erlebt – die SMS einmal gewesen ist. Dass WhatsApp zu allem Überfluss auch noch von Facebook gekauft wurde, verschlimmert die Situation noch. Die marktbeherrschende Stellung wird möglicherweise auf Jahrzehnte festgeschrieben. Die Novelle zum GWB führt nun dazu, dass die Kartellwächter in einem solchen Fall ein Wörtchen mitzureden gehabt hätten. Aber Sie fassen das grundsätzliche Problem nicht an: Sobald ein digitaler Kommunikationsdienst eine gewisse Schwelle der Verbreitung bei Nutzern überschritten hat, verbreitet er sich quasi automatisch weiter. Wenn zum Beispiel sieben, acht oder zehn Ihrer Freunde diese Kommunikationsplattform nutzen, dann entsteht für Sie dadurch ein Druck, selber auch dort mitzumachen, weil Sie ansonsten von dieser Art der Kommunikation ausgeschlossen werden. Da mag es zwar auch andere Angebote geben, die vielleicht komfortabler, technisch fortgeschrittener oder sicherer sind; ihre Marktchancen sind allerdings in aller Regel gleich null, weil es eben diese monopolistischen Plattformen gibt. Ein Beispiel, das man dazu anführen könnte: Jemand hat einen Telefonanschluss von Vodafone und könnte nicht so einfach mal mit jemandem telefonieren, der bei der Telekom ist. – Ich glaube, alle würden uns für ein bisschen verrückt halten, wenn wir eine solche gesetzliche Grundlage hätten. Aber in dem konkreten Fall dieser WhatsApp-Dienste oder des älteren SMS-Dienstes ist das heute leider Gottes Realität. Statt sich also allein auf die vorhandene Marktmacht bei möglichen Fusionen zu konzentrieren, hätte eine wirksame Reform an diesem Punkt ansetzen müssen. Nur wenn man den Betreiber einer marktbeherrschenden Kommunikationsplattform dazu zwingt, seinen Dienst auch für Mitbewerber zu öffnen, wie wir das im Bereich der Telekommunikation, also der Telefon- und Internetanbieter, bereits seit den 90er-Jahren haben, hat ein Konkurrent tatsächlich eine Chance, seine Produkte und seine Dienstleistungen anzubieten und sich zu beweisen. Das haben wir leider nicht, auch nicht mit Ihrer Novelle, und das kritisieren wir als Linksfraktion. (Beifall bei der LINKEN) Ein zweites Beispiel. Es zieht sich die Ratlosigkeit in der digitalen Frage wie ein roter Faden durch die Novelle. Dass ausgerechnet unter der Überschrift „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ die Presseverlage geradezu zur Kartellbildung aufgefordert werden, ist aus Sicht der Linksfraktion ein schlechter Witz. (Martin Dörmann [SPD]: Das ist ja auch eine falsche Darstellung!) Natürlich stehen die Verlage im Zuge der Digitalisierung unter Druck. Aber keine der Maßnahmen der Bundesregierung ist dazu geeignet, die Branche wirklich langfristig zu unterstützen. (Martin Dörmann [SPD]: Das werde ich gleich erläutern!) Der vorliegende Entwurf führt zu einer weiteren Monopolisierung; er führt zu Arbeitsplatzabbau und zu weniger Pressevielfalt, und das sehen wir als Linksfraktion sehr kritisch. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Ausführungen; Sie werden sicherlich etwas dazu sagen. Vielleicht habe ich dann noch die eine oder andere Zwischenfrage zu dem Thema. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN – Martin Dörmann [SPD]: Ich hoffe, ich kann Sie überzeugen! Ich stehe für jede Zwischenfrage zur Verfügung!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Hansjörg Durz. (Beifall bei der CDU/CSU) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Rahmen der Ordnungspolitik legt der Staat die grundsätzlichen Spielregeln des Wirtschaftsprozesses fest. Dazu gehört neben der Gewährleistung von Wettbewerb auch dessen Regulierung, insbesondere durch das entsprechende Wettbewerbsrecht. Die Prinzipien dieser Ordnungspolitik Eucken’scher Prägung, wie wir sie heute noch denken, haben von ihrer Richtigkeit und damit auch an Aktualität nichts eingebüßt. Was die Vordenker jedoch nicht ahnen konnten, war das Ausmaß an Möglichkeiten und Herausforderungen, die mit den Informations- und Kommunikationstechnologien, wie sie sich uns heute bieten, verbunden sind. Wir können jeden Tag beobachten, dass die Entwicklung der Digitalwirtschaft von einer in der Wirtschaftsgeschichte einzigartigen Dynamik geprägt ist. Der Vordenker der sozialen Marktwirtschaft, Walter Eucken, kam zu seiner Zeit zu dem Schluss, dass der technische Fortschritt das Element der Konkurrenz verstärkt, Marktmacht reduziert und damit den Konsumenten dient. Aber trifft diese Annahme auch in Zeiten der Digitalisierung heute noch uneingeschränkt zu? Fragen wie diese, die auch von der Monopolkommission in ihrem lesenswerten Sondergutachten aus dem Jahr 2015 detailliert beleuchtet wurden, waren der Ausgangspunkt der GWB-Novelle. Wir müssen uns fragen: Ist der Ordnungsrahmen unseres Wirtschaftssystems den Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen? Wir haben es in mehreren Reden bereits thematisiert. Hier spielt die Frage des Wettbewerbsrechts eine zentrale Rolle. Der Wettbewerbsrechtsrahmen in Deutschland wie in der Europäischen Union hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt. Das bestehende Instrumentarium ist auch grundsätzlich geeignet, heute und morgen Wettbewerbsverstößen zu begegnen. Dennoch ist es erforderlich, auf Besonderheiten der digitalen Märkte zu reagieren. Die, wie ich finde, richtigen Antworten geben wir heute mit der Verabschiedung der neunten GWB-Novelle. Die Novelle ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Gesetzgeber durch die bewusste und vor allem auch behutsame Gestaltung des ordnungspolitischen Rahmens den mit der Digitalisierung verbundenen Strukturwandel fördert, gestaltet und damit auch zur Grundlage gesellschaftlichen Wohlstands machen kann. An welchen Stellen passen wir das Kartellrecht nun an die Bedingungen der Digitalisierung an? Ich möchte drei Punkte herausgreifen. Erstens. Wir haben beobachtet, dass es in der Vergangenheit zur Übernahme von jungen Unternehmen durch große Konzerne kam, ohne dass beispielsweise das Kartellamt die Fälle einer Überprüfung hätte unterziehen können. Meist geht es um innovative Geschäftsideen mit einem hohen wettbewerblichen Marktpotenzial, die jedoch bislang nicht zu nennenswerten Umsätzen geführt haben. Die Beispiele Facebook und WhatsApp sind zwar keine deutschen Beispiele, sind aber mehrfach erwähnt worden. An diesen Beispielen wird deutlich, dass wir das Problem am besten durch die Einführung eines neuen und zusätzlichen Aufgreifkriteriums für die Fusionskontrolle lösen. Wir schaffen neben den Umsatzschwellen durch die Einführung des Transaktionswertes ein zusätzliches Merkmal. Wenn der Transaktionswert 400 Millionen Euro übersteigt, kann das Bundeskartellamt Zusammenschlüsse auch dann prüfen, wenn der Umsatz der Unternehmen unterhalb der relevanten Schwelle liegt. Damit stärken wir das Instrumentarium der Wettbewerbsbehörde dafür, Konzentrationstendenzen gegebenenfalls frühzeitig entgegenwirken zu können. Wir haben dabei eine ausgewogene Regelung gefunden. Die Höhe wurde im parlamentarischen Verfahren ausgiebig diskutiert. Zuerst wurde befürchtet, dass die Gründerszene eventuelle Nachteile davontragen könnte. Aber dies ist nach meiner Überzeugung nicht der Fall. Wir haben den Transaktionswert mit 400 Millionen Euro großzügig bemessen und gleichzeitig eine erhebliche Inlandstätigkeit des zu erwerbenden Unternehmens in Deutschland festgeschrieben. Beide Kriterien sind dazu geeignet, jene Fälle zu erfassen, deren Zusammenschlüsse auch eine gewisse Relevanz für den Markt abbilden. Dadurch wird gewährleistet, dass auch wirklich nur der Kauf von großen Start-ups unter die Kontrolle fallen wird. Das kommt auch der Start-up-Szene zugute, nämlich dadurch, dass diese für die Zukunft vor übermächtiger Konkurrenz geschützt wird. Zweitens. Auch bei der Erbringung unentgeltlicher Leistungen können Unternehmen eine starke Marktstellung erreichen. Beispiele sind Hotelbuchungs-, Dating- oder Immobilienplattformen. In all diesen Fällen können wir beobachten, dass sich auch unentgeltliche Austauschbeziehungen, beispielsweise zwischen Nutzer und Plattform, zu einem kartellrechtlich relevanten Markt entwickeln können. Und diese Märkte sollten der Missbrauchs- und Fusionskontrolle der Kartellbehörde grundsätzlich zugänglich sein. Genau das stellen wir nun auch im GWB klar, indem wir festschreiben, dass der Annahme eines Marktes nicht entgegensteht, dass eine Leistung unentgeltlich erbracht wird. Durch diese Ergänzung ist klar: Auch im Falle einer unentgeltlichen Leistungsbeziehung kann ein Markt vorliegen und damit das Kartellrecht grundsätzlich Anwendung finden. Drittens. Im Zuge der Digitalisierung entwickeln sich zunehmend sogenannte mehrseitige Märkte, beispielsweise ECommerce-Plattformen, Betriebssysteme, Kreditkartensysteme oder auch App Stores. Sie alle eint die Existenz einer Plattform, die zwischen verschiedenen Nutzern vermittelt, im Falle der ECommerce-Plattformen etwa zwischen Händler und Konsumenten oder im Falle von App Stores zwischen den Entwicklern und den Endgerätenutzern. Auf diesen Märkten beobachten wir das Phänomen der sogenannten Netzwerkeffekte. Diese treten nicht nur, aber besonders häufig bei digitalen Plattformen zutage. Indirekte Netzwerkeffekte entstehen etwa auf Auktionsplattformen. Diese sind für Verkäufer umso attraktiver, je mehr Käufer die Plattform nutzen, und andersherum. Jede Nutzergruppe wird also indirekt von der Entscheidung aller anderen begünstigt, auf der Plattform aktiv zu sein. Gerade diese Effekte sind dazu geeignet, eine Monopolbildung zu befördern. Um dieser Realität besser gerecht werden zu können, fügen wir im GWB Kriterien zur Beurteilung von Marktmacht neu hinzu, um die Besonderheit von mehrseitigen Märkten besonders und besser erfassen zu können. Zukünftig wird das Bundeskartellamt bei seiner Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens genau diese Zusammenhänge berücksichtigen und genau analysieren können. Die hier beschriebenen Netzwerkeffekte können also als Markteintrittsbarriere wirken und damit zu einer Gefährdung des Wettbewerbs führen. Die Betonung liegt dabei auf „können“. Eine endgültige Aussage wird auch weiterhin von einer Reihe anderer Faktoren abhängig sein. Um es deutlich zu sagen: Es wird deshalb auch in Zukunft auf die Prüfung des Einzelfalls ankommen. Damit sind keine Vorfestlegungen verbunden. Im Gegenteil: Während das Vorliegen von indirekten Netzwerkeffekten wirtschaftliche Konzentration fördern kann, kann von anderen Eigenschaften digitaler Märkte eine entgegengesetzte Wirkung ausgehen. Wenn zum Beispiel ohne größeren Aufwand mehrere Plattformen parallel genutzt werden können, wird einer Monopolisierungstendenz durch die Möglichkeit der Digitalisierung durch die Konkurrenz genau entgegengewirkt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Digitalisierung und Vernetzung durch das Internet können einerseits die Wettbewerbsintensität auf Märkten deutlich erhöhen – hier ist Eucken aktueller denn je –; andererseits können zunehmende Größe und Marktbedeutung einzelner digitaler Plattformen das Risiko des Marktmissbrauchs in Bezug auf Wertschöpfungsketten fördern, und sie können aufgrund von Netzwerkeffekten zu Monopolen tendieren. Walter Eucken kam vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung seiner Zeit zu dem Schluss, dass technologischer Fortschritt den Wettbewerb intensiviert. Die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologie, wie sie sich uns heute zeigen, konnte er dabei nicht im Auge haben. Wir dagegen können die richtigen Maßnahmen ergreifen, um dem sich zeigenden Spannungsfeld besser, schneller und effektiver gerecht zu werden. Aus diesem Grund stärken wir mit der GWB-Novelle die Arbeit der Wettbewerbsbehörden. Gerade im digitalen Zeitalter benötigt fairer Wettbewerb auch ein zeitgemäßes Wettbewerbs- und Kartellrecht zur effektiven Kontrolle und damit zur effektiven Sicherstellung von Wettbewerb. Die Grundlage dazu schaffen wir heute. Wir werden uns aber in Zukunft wieder mit der Thematik beschäftigen müssen und das Wettbewerbsrecht an die Entwicklungen der digitalen Märkte anpassen. Ich darf mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Dörmann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Martin Dörmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon angekündigt worden, dass ich einige Anmerkungen zu den medienrelevanten Bestimmungen dieser Novelle zum Wettbewerbsrecht machen möchte. Ich will noch einmal herausstellen: Für die SPD-Fraktion ist die Sicherung von Medienfreiheit und Medienvielfalt ein ganz zentrales gesellschaftspolitisches Anliegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Leider müssen wir uns in der heutigen Zeit mit Entwicklungen auseinandersetzen, die beides gefährden, nämlich mit Fake News, antidemokratischem Populismus, autoritären Regimen, die Regierungspropaganda verbreiten, und sogar mit der Verfolgung und Inhaftierung von Journalistinnen und Journalisten, etwa in der Türkei, aber auch in anderen Ländern dieser Welt. All diese Phänomene belegen eindrücklich, wie wichtig eine vielfältige Presselandschaft ist, wie wichtig gute Recherche und wie wichtig qualitativ hochwertiger Journalismus für unsere Freiheit und für unsere Demokratie sind. Deshalb müssen wir das alles stärken. (Beifall bei der SPD) Gleichzeitig erleben wir eine tiefgreifende Veränderung der Medienlandschaft. Die fortschreitende Digitalisierung und das Internet haben gravierende ökonomische und strukturelle Folgen. Die Umsätze von Zeitungen und Zeitschriften gehen seit vielen Jahren deutlich zurück. Ich nenne einmal eine Zahl: Im Jahre 2000 erzielten Tageszeitungsverlage in Deutschland noch Gesamterlöse in Höhe von 10,8 Milliarden, 2015 waren es nur noch 7,6 Milliarden Euro, ein Rückgang von etwa einem Drittel. Die Gründe liegen auf der Hand: Viele Menschen nutzen verstärkt kostenlose Angebote im Netz, sodass es weniger Abonnenten gibt. Vor allem aber sind die Werbeeinnahmen von Printmedien eingebrochen, weil es eine sehr starke Verlagerung ins Internet gegeben hat. Deshalb sind die Einnahmen der Printverlage, was die Tageszeitungen angeht, in den letzten 15 Jahren um über 50 Prozent zurückgegangen. Man kann also konstatieren, dass hier ein gravierender Wandel stattfindet. Jetzt sagen viele: Okay, die machen jetzt aber auch Angebote im Internet. – Ich will noch einmal herausstellen: Es gibt keinen einzigen Zeitungsverlag, der im Moment mit seinen zusätzlichen Angeboten im Internet schwarze Zahlen schreibt. Im Gegenteil: Zunächst muss ja investiert werden; die Einnahmen, die dort erzielt werden können, wachsen erst. Erst jetzt gibt es auch Bezahlangebote. Das wird sukzessive angenommen. Aber am Ende ist es immer noch so, dass bei den großen Zeitungsverlagen der Printbereich den Onlinebereich quersubventioniert. Deshalb ist der Kostendruck weiterhin groß. Wozu führt das? Möglicherweise gibt es weniger Recherche. Redaktionen werden zusammengelegt. Vielleicht verschwinden sogar einzelne Titel. – Das ist die Entwicklung, die wir stoppen müssen; (Beifall bei Abgeordneten der SPD) denn das ist genau das Gegenteil dessen, was wir für eine vielfältige Medienlandschaft brauchen. Die Koalition hat sich bereits im Koalitionsvertrag vorgenommen, eine bessere Zusammenarbeit der Presseverlage zu ermöglichen. Es geht ausdrücklich nicht um Fusionen; das sage ich an die Kollegen Lutze und Janecek gerichtet, die indirekt einen anderen Eindruck vermitteln wollten. Es geht vielmehr darum, die ökonomische Lage für die Presseverlage zu verbessern, und zwar indem Kosten gesenkt und mehr Erlöse erzielt werden. Die Kostensenkungen betreffen dabei gerade nicht die Redaktionen, weil wir nicht bei der redaktionellen Ebene ansetzen. Worum geht es konkret? Es geht darum, dass wir eine Bereichsausnahme für Presseverlage machen, damit sie in zwei Bereichen zusammenarbeiten können: im Vertrieb, beispielsweise im Abovertrieb, damit sie Portfolios entwickeln können, die besser angenommen werden, und in der Anzeigenvermarktung. Ich habe ja gerade dargestellt, wie drastisch die Einnahmen dort gesunken sind. Wir wollen es ermöglichen, dass sich Zeitungsverlage mit gemeinsamen Anzeigenangeboten gegenüber den übermächtigen Mediaagenturen profilieren können, die heute den Großteil der Umsätze großer Unternehmen im Bereich Werbung bündeln und sie auf die einzelnen Bereiche – Fernsehen, Internet, Zeitungen – verteilen. Es ist ja ganz klar, dass ein einzelner Zeitungstitel da keine Verhandlungsmacht hat. Deshalb müssen Verlage stärker kooperieren können, um gemeinsame Angebote durchzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr Dörmann. Martin Dörmann (SPD): Ich komme zum Schluss. – Ich appelliere an die Opposition, weil ich glaube, dass wir beim Thema Pressefreiheit eine große Einigkeit haben sollten: Helfen Sie mit, gemeinsam diese wichtige Reform auf den Weg zu bringen! Lassen Sie uns dafür sorgen, dass mehr Einnahmen für gute Recherche, für starke Redaktionen zur Verfügung stehen! Damit stärken wir die Presse und den unabhängigen Journalismus, und das ist genau das, was wir in der heutigen Zeit brauchen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Axel Knoerig (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird aktuellen Marktentwicklungen angepasst. Das betrifft insbesondere – das ist heute schon häufig betont worden – die digitale Wirtschaft. Hier müssen wir den gesetzlichen Rahmen laufend an den technischen Fortschritt anpassen. Immer wieder erleben wir, dass große IT-Unternehmen und Internetriesen im Verdacht eines Monopolverhaltens stehen. Sie erinnern sich: Microsoft musste 2012 die Rekordstrafe von 860 Millionen Euro zahlen. Die EU hat hier einen klaren Fall von Marktmissbrauch erkannt und richtig gehandelt. Die EU hat auch schon mehrfach Google überprüft, und das Bundeskartellamt hat Facebook nach der Fusion mit WhatsApp im Visier. Wir brauchen dringend das sogenannte Kartellrecht 4.0; denn im Vergleich zur klassischen Wirtschaft ist die Marktmacht digitaler Unternehmen schwieriger zu bewerten. Ihr Wert liegt vor allem in Nutzerzahlen und Daten. Umsatz und Gewinn spielen eine untergeordnete Rolle. Das zeigt das Beispiel Snapchat. Die Foto-App hat im letzten Jahr über 500 Millionen Dollar Verlust gemacht. Dennoch hat sie gerade den zweitgrößten Börsengang der Geschichte hingelegt. Dank 160 Millionen Nutzern wurde der Marktwert auf 25 Milliarden Dollar beziffert. Wie Sie wissen, ist die Aktie vor wenigen Tagen abgestürzt; jetzt liegt ihr Wert sogar unter dem Ausgabepreis. Das erinnert ein Stück weit an die New-Economy-Blase, die wir im Jahre 2001 hatten: völlig überbewertete Gewinnerwartungen und unberechenbare Kursstürze. Meine Damen und Herren, wir führen nun neue Prüfkriterien zur Bewertung digitaler Marktmacht ein. So wird bei Fusionen künftig auch der Transaktionswert berücksichtigt. Das heißt: Auch beim Kauf von Firmen mit geringem Umsatz oder Gewinn prüft das Kartellamt die Übernahme, und zwar – das hat der Kollege Hansjörg Durz schon auf den Punkt gebracht – ab einer Summe von 400 Millionen Euro. Damit sorgen wir für fairere Wettbewerbsbedingungen in der digitalen Wirtschaft. Ich möchte jetzt einen Sprung in ein anderes Wirtschaftssegment machen, in die Milchwirtschaft, weil diese Novelle auch Änderungen hinsichtlich Anzapfverbot und Verkauf unter Einstandspreis beinhaltet. Wir gehen damit gegen unfaire Handelspraktiken und Preisdumping vor; denn der Lebensmittelhandel nutzt seine Marktmacht aus, um den Milchbauern Rabatte und ungünstige Konditionen aufzuzwingen. Lieber Herr Kollege Held, Sie freuen sich darüber, dass im Zusammenhang mit der Ministererlaubnis über 16 000 Arbeitnehmer geschützt wurden. Das ist sicherlich richtig. Ich war selber Arbeitnehmer und teile Ihre Freude; ich weiß, dass das nicht gering zu schätzen ist. Ich betone aber, dass wir auch 10 000 Milchviehbetriebe haben, die wirtschaftlich am Ende sind und Insolvenz angemeldet haben, und damit Tausende von Arbeitskräften ihren Job verlieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das muss man herausstellen; denn die Medaille hat zwei Seiten, und man kann nicht nur die eine Seite betrachten. Der Rohmilchpreis hat sich mittlerweile erholt. Dazu haben auch unsere zahlreichen Maßnahmen beigetragen, zum Beispiel die beiden Agrarpakete. Aber die Landwirte brauchen langfristige Perspektiven. Nur so können sie mit Investitionen die Zukunft ihrer Betriebe sichern und neu ausrichten. Ich sage: Der Milchmarkt muss neu aufgestellt werden. Wir brauchen bessere Instrumente zur Marktbeobachtung und sehr wohl auch zur Milchmengensteuerung. Nur so können die zunehmenden Schwankungen abgefedert werden. Das Bundeskartellamt hat die Lieferbedingungen für Rohmilch in Norddeutschland überprüft. Präsident Mundt hat in einer öffentlichen Anhörung des Deutschen Bundestages im Januar eine Auswertung angekündigt. Er hat wörtlich formuliert: Dieses Papier werden wir veröffentlichen und dann in einen sehr intensiven Dialog mit allen treten, die in der Branche beteiligt sind. Wir vonseiten der Politik müssen uns mit dem Kartellamt, den Marktakteuren und den Verbänden an einem Tisch zusammensetzen. Ich möchte nicht erleben, dass wir nach der Markterholung wieder vor denselben Problemen stehen. Deshalb brauchen wir einen ganzheitlichen Ansatz. Dabei sind folgende Fragen zu klären: Kann die 100-prozentige Andienungspflicht der Landwirte an die Molkereien wegfallen? Was wird aus den Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen? Wie können wir das Referenzpreissystem ändern? Meine Damen und Herren, wir haben also noch viel vor uns, es ist noch viel zu tun. Mit diesem Gesetz sind wir für die Milchlandwirte einen Schritt nach vorne gegangen. Wir haben das Anzapfverbot entsprechend verschärft und den Verkauf unter Einstandspreis geregelt, sodass wir über das Kartellrecht einige positive Signale nach außen verkünden können. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet. Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 5 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11446, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10207 und 18/10650 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11455 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Das sind die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU/CSU- und SPD-Fraktion. Wer enthält sich? – Die Fraktion Die Linke. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11456. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Tagesordnungspunkt 5 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/11446 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10240 mit dem Titel „Parlaments- statt Ministererlaubnis im Kartellrecht“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4817 mit dem Titel „Bußgeldumgehung bei Kartellstrafen verhindern – Gesetzeslücke schließen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 56 a bis 56 k sowie Zusatzpunkt 5 auf: 56.   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Drucksache 18/11140 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes Drucksache 18/11236 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 29. Juni 2016 über die Vorrechte und Immunitäten des Einheitlichen Patentgerichts Drucksache 18/11238 (neu) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung Drucksache 18/11241 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsgesetz – EgVG) Drucksache 18/11257 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Haushaltsausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2016/424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG (Seilbahndurchführungsgesetz – SeilbDG) Drucksache 18/11258 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksache 18/11276 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Haushaltsausschuss h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) Drucksache 18/11287 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung Drucksache 18/11288 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren für die elektronische Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr über das Zentrale Meldeportal des Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes Drucksache 18/11292 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss Digitale Agenda k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes Drucksache 18/11326 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/11415 Es handelt sich hierbei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisungen, Tagesordnungspunkte 56 a bis 56 k. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden; sonst wäre es auch nicht unstrittig. Damit sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu einer strittigen Überweisung, Zusatzpunkt 5: Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11415 mit dem Titel „Keine Zulassung der gentechnisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über ihren Antrag in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung. Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht wird. Ich erteile der Kollegin Lemke das Wort. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beantrage namens meiner Fraktion jetzt bereits zum vierten Mal eine Abstimmung über die Anträge zur Zulassung von drei Genmaissorten, über die in Brüssel derzeit diskutiert wird. Die Anträge der Firmen Monsanto, Dow und Syngenta liegen dort seit letztem Herbst vor. Wir wollen die Zulassung dieser Genmaissorten auf europäischer Ebene nicht und haben dazu entsprechende Anträge ins Parlament eingebracht. Die Koalition aus CDU/CSU und SPD hat in der Vergangenheit die Abstimmung über unsere Anträge bereits dreimal blockiert und verhindert seitdem auch die Befassung mit unseren Anträgen in den zuständigen Ausschüssen, inzwischen ohne Angabe von Gründen. Seit unserem ersten Antrag hat sich die Situation insoweit verändert, als dass es in Brüssel eine Entscheidung gegeben hat, zwar gegen die Zulassung dieser Genmaissorten, aber ohne qualifizierte Mehrheit, und zwar unter anderem deshalb, weil sich Deutschland in Brüssel enthalten hat. Die deutsche Bundesregierung ist nicht handlungsfähig: (Max Straubinger [CDU/CSU]: Doch! Sie ist handlungsfähig! – Gegenruf des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst euch mal entscheiden!) Agrarminister Schmidt ist für die Zulassung dieser Genmaissorten, und Bundesministerin Hendricks ist gegen die Zulassung dieser Genmaissorten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Offensichtlich gibt es in dieser Koalition niemanden, der in der Lage ist, in einer solchen Situation eine Entscheidung herbeizuführen, um Deutschland in Brüssel handlungsfähig zu machen. Deutschland hat sich in dieser Abstimmung enthalten, was, wie gesagt, zur Folge hatte, dass seitens der zuständigen Gremien keine Entscheidung getroffen wurde. Nun steht die Entscheidung im Berufungsausschuss am 27. März in Brüssel an; so ist es zumindest angekündigt. Wenn sich das unrühmliche Abstimmungsverhältnis der deutschen Bundesregierung im Berufungsausschuss wiederholen sollte – das muss man aufgrund der Vorgeschichte leider annehmen –, dann wird man auch im Berufungsausschuss zu keinem Ergebnis kommen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat mit der Geschäftsordnung nichts zu tun!) Die Folge dessen ist, dass die EU-Kommission direkt entscheidet. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Geschäftsordnung!) – Das ist zur Geschäftsordnung, Herr Kollege. Aber hallo! Wenn ich zum Inhalt gesprochen hätte, hätte ich Ihnen ganz andere Sachen vorgehalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Hey, hey!) Das heißt, dass die Entscheidung nicht von den Mitgliedstaaten und nicht von den nationalen Parlamenten herbeigeführt wird. Das Europäische Parlament hat sich übrigens gegen die Zulassung dieser Sorten ausgesprochen. Dort war eine klare Positionierung möglich, die Sie selbst unserer Fraktion hier im Deutschen Bundestag verweigern. Die Kommission wird also wegen der Handlungsunfähigkeit der Mitgliedstaaten und weil sich die Parlamente wegen Ihrer Blockadehaltung, zumindest in Deutschland, nicht positioniert haben, die Entscheidung übernehmen, und das in einer solchen Frage. Sie haben in der Debatte hier den Verbraucherschutz, die Verbraucherrechte beschworen, die sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern Europas extrem wichtig sind. (Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Das hat mit der Geschäftsordnung nichts zu tun!) Zwei Drittel der Menschen in Europa wollen keinen Genmais auf den Äckern und in der Konsequenz auf ihren Tellern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz genau! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat mit der Geschäftsordnung auch nichts zu tun!) Ich fordere Sie jetzt erneut auf: Hören Sie auf, unseren Antrag zu blockieren! Hören Sie auf, Oppositionsrechte zu beschneiden! Wir beantragen hier die Abstimmung über unseren Antrag. Was Sie mit Ihren Anträgen machen, ist Ihre Angelegenheit bzw. eine Parlamentsentscheidung; aber hören Sie auf, zu verhindern, dass über unseren Antrag hier abgestimmt werden kann, ausschließlich weil innerhalb der Bundesregierung keine Einigung herbeigeführt werden kann. An die Kolleginnen von der SPD möchte ich noch einmal appellieren: Lassen Sie eine Entscheidung, eine Abstimmung hier im Parlament über unseren Antrag zu! Ich verstehe ja Ihr Dilemma. Ich verstehe, dass Sie, wenn sich Ihre Ministerin in der Regierung nicht durchsetzen kann, ein Erklärungsproblem haben; aber das haben Sie sowieso. Sie müssen den Menschen eh erklären, warum die Bundesregierung nicht agiert hat, warum sie nicht gehandelt hat, obwohl die Mitglieder der Regierung, glaube ich, mehrheitlich gegen die Zulassung dieser Genmaissorten sind. Zerstören Sie nicht auch noch das Vertrauen in die Beratungsabläufe in unserem Parlament und in unseren Ausschüssen, wo die Opposition das Recht hat, ihre Anträge zur Abstimmung zu stellen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Frau Drobinski-Weiß, bitte schön. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben diesen Antrag heute zum vierten Mal auf der Tagesordnung im Plenum. Frau Lemke, Sie haben völlig recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich erspare mir alle Murmeltieranspielungen, da wir hier schon drei Debatten zu diesem Thema hatten. Aber ich sage Ihnen: Wir werden auch diesmal einer Abstimmung, wie Sie sie wünschen, widersprechen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht „diesmal“, sondern schon wieder!) Ich erkläre das gerne noch einmal, damit Sie es verstehen, damit auch du, lieber Kollege Harald Ebner, das verstehst. (Lachen des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir sind nun einmal in einer Koalition mit der CDU und der CSU. Unser Koalitionspartner ist leider – ich sage es bewusst: leider – nicht so eindeutig gegen die Zulassung der genannten Genmaissorten in Brüssel, wie wir es sind bzw. das von der SPD-geführte Umweltministerium; Frau Lemke hat das ja schon ausführlich dargestellt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber flotte Bauernregeln an die Wand kleben!) Immerhin hat es bisher verhindert, dass es eine Zulassung auf der EU-Ebene gibt, (Beifall der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD]) und zwar durch eine Enthaltung. Sie wissen, dass die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien das so vorsieht. Ich sage es jetzt noch einmal ganz deutlich, auch dir, lieber Harald: Wir wollen uns hier nicht ständig von euch vorführen lassen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr führt euch selber vor!) Ihr kennt unsere Haltung. So etwas lehnen wir einfach ab. Trotz aller Differenzen, die wir mit unserem Koalitionspartner haben, gehört es sich, bei solchen Anträgen Einigkeit zu erzielen. Das wissen auch die Grünen, die ja auch schon Regierungserfahrung gesammelt haben. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Grünen haben doch mal gewürfelt, wer zustimmen darf und wer nicht!) Wir werden Ihren Antrag also wieder an den Ausschuss überweisen. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum kleben Sie dann so flotte Bauernregeln?) Ich finde es auch nicht gut, dass der zuständige Landwirtschaftsminister Schmidt, der ja gentechnikfreie Äcker in ganz Deutschland nicht haben will, sein Ministerium bei einer Abstimmung in Brüssel nicht für eine Ablehnung stimmen lässt. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier könnten wir das jetzt entscheiden!) – Nein, das können wir nicht. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, könnten wir!) Ich finde diese Haltung, um das auch einmal zu sagen, nicht in Ordnung. Unser Bundesumweltministerium positioniert sich dazu Gott sei Dank anders. Aber es gehört sich einfach, dass wir vor einer Abstimmung in der Koalition, auch wenn es noch so schwerfällt, Einigkeit erzielen. Deshalb wollen und werden wir heute hier nicht abstimmen, sondern beantragen die Überweisung in den Ausschuss. Haben Sie herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum vierten Mal!) – Ja, zum vierten Mal. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Dann stimmen wir nach ständiger Übung zunächst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11415 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Wer stimmt für diese Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition beschlossen, und wir stimmen heute über den Antrag auf Drucksache 18/11415 nicht in der Sache ab. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 57 a bis 57 f auf. Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 57 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Februar 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen Drucksache 18/11138 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/11421 Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11421, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11138 anzunehmen. Wir kommen zur zweiten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 57 b bis 57 f. Tagesordnungspunkt 57 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 411 zu Petitionen Drucksache 18/11191 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 411 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 57 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 412 zu Petitionen Drucksache 18/11192 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 412 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 57 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 413 zu Petitionen Drucksache 18/11193 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 413 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 57 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 414 zu Petitionen Drucksache 18/11194 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 414 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 57 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 415 zu Petitionen Drucksache 18/11195 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 415 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ gemäß § 4 des Entsorgungsfondsgesetzes Drucksache 18/11406 Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11406? – Wer stimmt dagegen? – Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens Drucksache 18/11277 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Christian Lange für die Bundesregierung das Wort. – Bitte schön. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]) Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Strafjustiz arbeitet in hohem Maße effektiv. Die Staatsanwaltschaften haben im Jahr 2014 allein mehr als 4,5 Millionen Verfahren bearbeitet. In diesem Zeitraum haben die Strafgerichte weit über 700 000 Gerichtsverfahren erledigt. Dabei wird eine Vielzahl der Verfahren innerhalb kurzer Zeit, nämlich im amtsgerichtlichen Verfahren innerhalb von drei Monaten, abgeschlossen. Aber es gibt zunehmend Strafverfahren, die die Justiz vor große Herausforderungen stellen. Deshalb hat der Bundesjustizminister zu Beginn der Legislaturperiode eine Expertenkommission gebeten, Vorschläge zur weiteren Effektivierung und Steigerung der Praxistauglichkeit der Strafjustiz zu erarbeiten. Der Gesetzentwurf, über den wir heute in erster Lesung beraten, greift die Empfehlungen dieser Kommission auf. Er betont dabei, dass sich eine Effektivierung des Strafverfahrens nicht allein auf Beschleunigungs- und Vereinfachungsaspekte beschränken darf. Effektivierung des Strafverfahrens bedeutet auch und vor allem, die bestmögliche Feststellung des wahren Sachverhalts als zentrale Grundlage schuldangemessenen Strafens durch zeitgemäße strafprozessuale Regeln zu fördern. Genau das wollen wir tun. Im Mittelpunkt unseres Gesetzentwurfes steht deshalb die Regelung zur audiovisuellen Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen. Die Expertenkommission hat hierzu in ihrem Abschlussbericht völlig zu Recht festgestellt, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Protokollierung dieser Vernehmungen nicht dem Stand und den Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts entsprechen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es auch nicht besser!) Die Praxis hält trotz bereits vor Jahren geschaffener Möglichkeiten der Bild-Ton-Aufzeichnung weitgehend an den überkommenen Protokollierungen in Form schriftlicher Inhaltsprotokolle fest. Sie schöpft damit die Möglichkeiten nicht aus, durch eine präzise, wortgenaue Aufzeichnung der Vernehmungsinhalte die Wahrheitsfindung als zentrale Aufgabe der Strafverfahren entscheidend zu verbessern. Deshalb wollen wir die Bild-Ton-Aufzeichnung jetzt jedenfalls bei Kapitaldelikten und bei besonders schutzbedürftigen Beschuldigten verpflichtend anordnen und Ausnahmen hiervon nur noch in ganz engen Grenzen zulassen. (Beifall bei der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur bei Tötungsdelikten! Das ist lachhaft!) Die audiovisuelle Dokumentation des Vernehmungsgeschehens ist der Mitschrift durch die vernehmenden Beamten weit überlegen. Das gilt gerade bei schweren Tatvorwürfen mit oft langwierigen Beschuldigtenvernehmungen. Die Aufzeichnung der Vernehmung ist in diesen Fällen auch deshalb besonders effektiv, weil sie das Vernehmungsgeschehen objektiv und für jeden Verfahrensbeteiligten später auch nachvollziehbar abbildet. Zweifel am Vernehmungsergebnis oder an der Art, wie ein Geständnis zustande gekommen ist, kommen deshalb erst gar nicht auf. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Häufig wirkt sich dies auch im weiteren Verfahren, etwa durch den Verzicht auf die Vernehmung der Vernehmungsbeamten, positiv aus. Eine effektive Verfahrensgestaltung erfordert immer auch ein transparentes und kommunikatives Verhandeln. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Verständigung ganz ausdrücklich betont, dass eine offene, kommunikative Verhandlungsführung der gesamten Verfahrensführung dienlich ist und daher eine selbstverständliche Anforderung an die sachgerechte Prozessleitung darstellt. Unser Gesetzesvorhaben sieht deshalb vor, die Grundsätze von Kommunikation und Transparenz auch im Gesetz weiter zu verankern und die hierzu bereits bestehenden Regelungen zu ergänzen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Die Pflicht des Gerichts, den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung in umfangreichen Verfahren vorab mit den Beteiligten abzustimmen, gehört dabei zu den eigentlich selbstverständlichen Anforderungen an eine kommunikative Verhandlungsführung. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geschieht ja heute schon! Alte Kamellen! 70er-Jahre!) Dies gilt gleichermaßen für die Pflicht des Gerichts, dem Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung das Wort zu geben. Natürlich enthält der Gesetzentwurf darüber hinaus auch zahlreiche Regelungen, die auf eine Beschleunigung der Verfahrensabläufe abzielen, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel?) ohne dabei in die Verfahrensgrundrechte der Beteiligten einzugreifen. Beispielhaft für die vielen Gesetzesänderungen, die der Entwurf hierzu enthält, nenne ich hier nur die neue Vorschrift zur Fristsetzung für Beweisanträge, die erst zum Schluss der Hauptverhandlung gestellt werden. Ein Beweisantrag, der erst nach Ablauf der vom Gericht hierfür gesetzten Frist gestellt wird, ist danach nicht etwa unzulässig. Das wäre mit den Grundsätzen des Strafverfahrens und den Beschuldigtenrechten nicht zu vereinbaren. Das Gericht kann aber künftig solche Anträge, wenn es sie für unbegründet hält, im Urteil und nicht durch immer neue Beschlüsse in der laufenden Hauptverhandlung, die das Verfahren verzögern, ablehnen. Meine Damen und Herren, der vorgelegte Gesetzentwurf wird damit dem Ziel, das Strafverfahren praxistauglicher und zugleich effektiver auch im Sinne der Verbesserung von Kommunikation, Transparenz und Dokumentation auszugestalten, mit all seinen Inhalten gerecht. Ich bitte Sie deshalb um wohlwollende Beratung und schließlich um Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als nächster Redner kommt Jörn Wunderlich von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wohlwollende Beratung“, Herr Staatssekretär? Als ich den Referentenentwurf und den Gesetzentwurf das erste Mal auf den Tisch bekommen habe, habe ich mich zunächst gefreut, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann nicht lange gewesen sein!) steht doch dort in der Problembeschreibung – ich zitiere jetzt einmal –: Diese ... anspruchsvolle Aufgabe wird für die Strafgerichte in der täglichen Praxis noch dadurch erschwert, dass sie sich einer dauerhaft hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sehen ... Und: Der Staat ist ... von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbuch verholfen werden kann. Starke Worte, habe ich gedacht. Und: Jau, endlich hat es sich bis zur Regierung herumgesprochen, dass die Justiz personell unterbesetzt ist. Ich bin ja selbst Richter und weiß, wie die Arbeitsbelastung schon vor Jahren war. Nach Auskunft meiner Kollegen ist die Situation auch nicht besser, sondern schlechter geworden. Jetzt geht es los, dachte ich. Aber dann fiel mir wieder der Föderalismus ein. Ich weiß ja auch, dass die Justiz Ländersache ist. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Immerhin!) „Hei, wer hat denn da gehudelt?“, habe ich gedacht. Und: Wie will die Bundesregierung das denn regeln? Zwei Sätze weiter wurde ich dann aufgeklärt. Denn man beabsichtigt – Zitat –, … das bestehende Regelungsgefüge unter Wahrung der genannten Ziele des Strafverfahrens an die sich ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Anders ausgedrückt: Man möchte versuchen, die Sache mit dem vorhandenen – zu wenigen – Personal doch noch einigermaßen zu regeln, damit, wie schon zitiert, der Gerechtigkeit zum Durchbruch verholfen werden kann. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Im Vergleich zum Referentenentwurf, der sich stark auf die Stärkung der Beschuldigtenrechte konzentrierte, wurde der vorliegende Gesetzentwurf deutlich reduziert. So ist beispielsweise die Möglichkeit des Beschuldigten, einen Pflichtverteidiger zu beantragen, nicht mehr enthalten. Die erste Vernehmung des Beschuldigten kann unabhängig vom Tatvorwurf in Bild und Ton aufgezeichnet und später in der Hauptverhandlung vorgeführt werden. Bislang ging dies nur bei richterlichen Protokollen. Nun kennt man ja aus diversen Krimis – aus dem Tatort und was weiß ich, wie sie alle heißen – polizeiliche Vernehmungen. Wenn ich mir vorstelle, dass so etwas in echt passiert und aufgezeichnet wird, muss ich sagen: Ich möchte mir das nicht vorstellen. Kopfkino ist ganz schrecklich. Entfallen ist auch das ursprünglich vorgesehene Verbot der Überwachung von Anbahnungsgesprächen zwischen inhaftierten Mandanten und Verteidigern. Warum? Auch war zuvor vorgesehen, bei umfangreichen Verfahren die Termine mit der Verteidigung, der Staatsanwaltschaft und den Nebenklagevertretern zu erörtern – Sie haben es erwähnt, Herr Staatssekretär –, wobei mit „umfangreich“ gemeint war: mehr als drei Termine. Inzwischen ist dies nur noch ab mehr als zehn Terminen erforderlich. Das Recht des Verteidigers, eine Erklärung zur Anklage abzugeben, wurde ebenfalls auf entsprechend lange Verfahren reduziert. Gut, ob drei oder zehn Tage, darüber kann man streiten. Ziel dieser Regelung soll ja unter anderem sein, spätere Streitigkeiten in der Hauptverhandlung zu vermeiden oder ihnen vorzubeugen. Späteren Streitigkeiten in der Hauptverhandlung vorbeugen? Hallo? Streitigkeiten in der Hauptverhandlung sind ja etwas ganz Neues. Ich selbst war über zwölf Jahre Strafrichter. Ich dachte, Staatsanwalt und Verteidiger sind immer einer Meinung, haben sich lieb, und am Ende muss man gar kein Urteil sprechen, sondern einen Vergleich herbeiführen. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Darüber sollten Sie noch mal nachdenken!) – Für diejenigen, die es nicht verstanden haben: Das war Sarkasmus. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Aha!) – Ich habe mir zwar gedacht, dass einige das nicht verstehen, aber eigentlich dachte ich, bei der SPD; aber gut. Leider macht der Regierungsentwurf die guten Vorschläge, die im Referentenentwurf enthalten waren, rückgängig. Dagegen bleiben kritikwürdige Regelungen weiter enthalten. Typisch! Dass DNA-Ergebnisse künftig auch gegen Verwandte verwendet werden können, scheint jedenfalls problematisch. Ich sehe auch die Erfolgsaussichten von DNA-Reihenuntersuchungen stark infrage gestellt. Bislang gab es immer den Druck: Wenn ich mich weigere, dann gerate ich selber in Verdacht. Aber jetzt kann man sagen: Wenn ich mitmache, kann die ganze Verwandtschaft in Verdacht geraten. Ob Erfolg dann tatsächlich noch garantiert ist, bezweifle ich wirklich. Die geltende Frist zur Stellung von Beweisanträgen schränkt ebenfalls die Möglichkeiten der Verteidigung ein. Ebenso ist die vorbehaltlos erweiterte Möglichkeit zur Verlesung ärztlicher Atteste zumindest zu hinterfragen. Na ja, es folgen ja die, wie Sie schon sagten, guten Beratungen. Schauen wir einmal, was wir in den Beratungen noch retten können. Auf alle Fälle wäre, um eine funktionsfähige Strafrechtspflege zu gewährleisten, deutlich mehr Personal erforderlich, um der Gerechtigkeit endlich zum Durchbuch zu verhelfen. Zeit dafür wird es allemal. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Danke, Herr Kollege. – Als nächster Redner spricht Dr. Patrick Sensburg von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die sogenannte StPO-Reform war eines – so wurde es von Justizminister Maas angekündigt – der wichtigsten und größten rechtspolitischen Vorhaben (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) dieser Legislaturperiode. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Mäuschen!) Die Ziele waren hochgesteckt, und ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe mich gefreut, für dieses Thema Berichterstatter zu sein, weil es wichtig ist, den Strafprozess um viele Dinge zu entschlacken und zu vereinheitlichen und die vielen Änderungen, die es in den letzten Jahren in der StPO gegeben hat, einmal zu harmonisieren. Ursprünglich sollte der Strafprozess vom Ermittlungsverfahren über das Zwischen-, das Haupt- und das Rechtsmittelverfahren bis hin zum Vollstreckungsverfahren reformiert und effektiver gestaltet werden. Dafür wurde beim Justizministerium eine Expertenkommission eingesetzt, die sich das alles angucken und entsprechende Vorschläge machen sollte. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hochkarätig!) Diese Kommission hat am 7. Juli 2014 ihre Arbeit aufgenommen und eine Auftaktsitzung durchgeführt. In der Folge fanden viele weitere Sitzungen statt, und es wurde versucht, dieses große Thema zu strukturieren. Die Erwartungen wurden aber schnell gedämpft, weil man gemerkt hat, dass der große Wurf einer Strafprozessreform, durch die der Strafprozess effektiver gestaltet und verschlankt werden sollte und im Endeffekt die unterschiedlichen Normen harmonisiert werden sollten – das war ja das Ziel zu Beginn –, gar nicht gelingen konnte. Bestimmte Dinge fielen ganz über Bord, zum Beispiel das Vollstreckungsverfahren. Das gesamte Rechtsmittelverfahren sollte harmonisiert und effektiver gestaltet werden. Davon blieb nur rudimentär etwas übrig. Auch andere Punkte, wie gesagt, wurden am Ende nur noch als punktuelle Reförmchen vorgeschlagen. Eine große, in sich geschlossene Reform war es dann eben nicht mehr. Wir hatten im Koalitionsvertrag folgendes Ziel vereinbart – ich zitiere –: Wir wollen das allgemeine Strafverfahren und das Jugendstrafverfahren unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze effektiver und praxistauglicher ausgestalten. Dazu wird eine Expertenkommission bis zur Mitte dieser Wahlperiode Vorschläge erarbeiten. Was ist geblieben? Es blieb leider nur ein Sammelsurium von einzelnen Regelungen, die mit Beschleunigung und Effektivität leider nur teilweise etwas zu tun haben. An anderen Punkten muss man leider über Verlängerung, Erschwerung oder auch rechtsstaatliche Bedenken diskutieren. Statt eine Vereinfachung des Strafprozessverfahrens vorzufinden, muss man schauen, ob beispielsweise die im Referentenentwurf noch enthaltenen § 148 Absatz 2 StPO zur Neuregelung der sogenannten Anbahnungsgespräche und § 73 Absatz 3 StPO zur Sachverständigenauswahl oder der im Gesetzentwurf vorgesehene § 141 Absatz 3 StPO zur gerichtlichen Überprüfung der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren wirklich zu einer Beschleunigung führen können. Ich glaube eher, wir reden hier von einer Verzögerung und eben nicht von einer effektiven Ausgestaltung. Herr Staatssekretär, in Bezug auf die effektive Gestaltung haben Sie hier einen Punkt angesprochen. Ich hätte mir gewünscht, es wäre jetzt ein ganzes Sammelsurium von Normen und Regelungen vorgelegt worden, das den Strafprozess, wie wir es im Koalitionsvertrag festgehalten haben, effektiver gestaltet hätte. Dieser Gesetzentwurf enthält einiges – das gestehe ich zu –, aber unter dem Strich ist es viel zu wenig. Unbefriedigend ist das, was wir seit langem bemängeln: Es fehlt an einer Regelung zur sogenannten Quellen-TKÜ, also der Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Dazu enthält dieser uns aktuell vorliegende Gesetzentwurf leider nichts. Ich finde es schade, dass der Justizminister, der wahrscheinlich gerade im Richterwahlausschuss ist, jetzt nicht hier ist. Er hat gute Ansätze, zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung und anderen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, vorangebracht. Ich glaube, kein Justizminister hat bisher so viel in Bezug auf die Überwachung der Telekommunikation gemacht wie Justizminister Maas. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Vor allem verfassungsmäßig!) Bei der Quellen-TKÜ scheint er aber kalte Füße bekommen zu haben. Dementsprechend wird er sie hier nicht vertreten wollen. Wenn man einmal hinschaut, dann sieht man – das finde ich besonders traurig –, dass dieser Gesetzentwurf die Quellen-TKÜ nicht enthält. Ich habe gehört, es würde ein separater Gesetzesvorschlag vorgelegt werden, der sie enthält. Der § 100a StPO werde gerade zwischen dem Innenministerium und dem Justizministerium koordiniert. Ich wundere mich schon, dass die Quellen-TKÜ nicht in diesem Gesamtpaket, über das wir jetzt seit Monaten diskutieren, enthalten ist und hinterhergeschoben werden soll. Ich muss sagen: Das ist keine gute Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium und dem Parlament. Ich würde mir wünschen, einen in sich geschlossenen Gesetzesvorschlag zu erhalten. Da kann ich nur sagen: Herr Minister, hören Sie auf das, was die JuMiKo im Sommer letzten Jahres gefordert hat, nämlich die Quellen-TKÜ. Oder hören Sie auf das, was im November letzten Jahres der Generalbundesanwalt auf der Tagung der Generalanwälte gefordert hat. Die haben noch einmal ganz deutlich gesagt, dass wir die Quellen-TKÜ brauchen. Ich empfehle: Hören Sie auf Ihre Leute. Ein besonderes Problem scheint mir – das ist gerade angesprochen worden – die audiovisuelle Aufzeichnung zu sein, die laut dem Gesetzentwurf in § 136 StPO geregelt wird. Ich habe nicht jeden Gedanken von Ihnen, Herr Kollege Wunderlich, was seine Stringenz angeht, nachvollziehen können, aber ich habe Ihre Bedenken gehört. Auch ich teile Bedenken in Bezug auf die Ausgestaltung der audiovisuellen Aufzeichnung. Natürlich wird man, wenn man von Anfang an vor einer Videokamera sitzt, ganz anders agieren. Es wird ein ganz anderes Verhalten von Zeugen geben. Dann muss man auch noch – das muss man ja sagen – auf die Revisionsseite schauen. Wenn wir damit eine Vielzahl von Revisionsgründen schaffen, dann frage ich mich: Erleichtert die audiovisuelle Aufzeichnung wirklich etwas? Oder handelt es sich im Kern dann um die Schaffung von Revisionsgründen für Verteidiger? Das kann nicht das Ziel sein. Darüber werden wir in der parlamentarischen Debatte noch einmal intensiv reden müssen. Ich kann nur empfehlen, die audiovisuelle Aufzeichnung nicht als verpflichtende Regelung – wie Sie, Herr Staatssekretär Lange, es gerade noch einmal betont haben – zu schaffen. Wir sollten sie auch nicht als Kannregelung einführen. Vielmehr sollte es da – wie es bis jetzt der Fall ist – eine Sollregelung geben, welche die Möglichkeit schafft, eine Aufzeichnung durchzuführen. Es sollte aber weder eine Verpflichtung noch einen intendierten Zwang mit einer Sollvorschrift geben. Ich glaube, die Gerichte können sehr gut entscheiden, wann sie eine audiovisuelle Aufzeichnung brauchen und wann nicht. Ich könnte, wenn ich mehr Zeit hätte, nach dem Ansprechen all dieser Themen noch sehr viele andere Punkte anführen; denn dieser Gesetzentwurf enthält sehr viele Details. Das muss man dem Justizministerium lassen: Es ist zwar kein großer Wurf geworden, aber an vielen Punkten sind Ansätze vorhanden, die zu unterstützen sind. Wir müssen sie aber intensiv diskutieren. Beispielsweise müssen wir diskutieren, wie es mit der Zeugenvernehmung bei der Polizei aussieht, die jetzt verpflichtend sein soll. Der Zeuge muss also hingehen. Die Frage ist, wie denn die Folgen sind, wenn der Zeuge da nicht erscheint. All das erscheint mir unter dem Blickwinkel des geplanten Zeitrahmens, den sich das Justizministerium wünscht, verdammt schwierig zu sein. Wir wollen die Anhörung schon am 29. März durchführen. So haben wir es im Rechtsausschuss beschlossen. Das Gesetz soll bereits am 27. April, also in knapp sechs Wochen, beschlossen werden. Wir wollen im Deutschen Bundestag ein Gesetz dieser Komplexität – wo Einzelregelungen in der gesamten Strafprozessordnung geändert werden sollen – in sechs Wochen beschließen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will das nicht!) Ich glaube, wir sollten uns da wirklich etwas mehr Zeit gönnen und in die einzelnen Regelungen hineinschauen, um dann hinterher ein gutes Gesetz – es zeitigt ja intensive Eingriffe in Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern – zu haben. Ich glaube, wir müssen diskutieren, ob wir die Quellen-TKÜ noch gemeinsam mit dem Gesetz regeln sollten. Wir haben die Regelung des § 81a StPO, also den Richtervorbehalt bei der Blutentnahme. Darüber diskutieren wir übrigens schon seit der letzten Wahlperiode. All das müssen wir in einem geschlossenen Gesamtkontext sehen. Von daher würde ich mir wünschen, dass wir das in Ruhe und mit Qualität machen, und nicht mit einem Schnellschuss mit vielen Einzelregelungen, die dann hinterher noch weniger zusammenpassen, als es vor dieser Reform der Fall war. Der Kollege Dörflinger hat heute Morgen in der Debatte über Europa unseren Bundestagspräsidenten Norbert Lammert zitiert. Der hat gesagt: Ein Parlament hält sich eine Regierung, und nicht eine Regierung ein Parlament. Ich würde mir wünschen, dass wir in der jetzt kommenden Debatte den Entwurf insgesamt so kooperativ diskutieren, dass wir dabei ein gutes Ergebnis herausbekommen, indem wir all die genannten Aspekte einbringen, diskutieren und dann zu einem runden Gesamtpaket schnüren. Denn so, wie es jetzt aussieht, sehe ich noch keine StPO-Reform. Ich sehe viele einzelne Komponenten. Manche sind sehr gut, manche sind noch verbesserungsfähig, und manche halte ich noch nicht einmal in Bezug auf den Bestimmtheitsgrundsatz für verfassungsgemäß. Da gibt es noch viel Arbeit für das Parlament. Ich wünsche uns intensive Beratungen. Dem Gesetzentwurf in dieser Form kann ich so nicht zustimmen. Auch kann ich seine Annahme nicht empfehlen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Alles diskutiert!) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank. – Das Wort hat nunmehr Hans-Christian Ströbele von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich vermisse hier den Justizminister. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Richterwahlausschuss! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Richterwahlausschuss! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist im Richterwahlausschuss!) – Ja, aber man hätte den Minister angesichts dieses großen Projektes, bei dem es um eine große Strafverfahrensnovellierung geht, hier vielleicht erwarten können. Ich hätte ihn auch gerne einmal gefragt, ob er das, was er angekündigt hat, wirklich gemeint hat. Denn das kann ja wohl nicht wahr sein. Das, was hier neu sein soll – das hat Herr Lange vorhin hier dargestellt –, wird ganz überwiegend schon seit den 70er-Jahren praktiziert. Dass bei Großverfahren eine Vorbesprechung mit dem Vorsitzenden Richter stattfindet, war immer so. Ich kann mich an keinen Großprozess erinnern – ich war bei vielen dabei –, bei denen das nicht gemacht worden ist. Oder das Erklärungsrecht des Verteidigers im Strafprozess. Ich habe als Verteidiger viele Erklärungen abgegeben. Ich habe es nicht einmal erlebt, dass jemand auch nur Bedenken dagegen geäußert hätte. Auch die Fristsetzung bei Beweisanträgen am Ende der Beweisaufnahme ist das übliche Verfahren. Wenn das Gericht mit seinem Pensum fertig ist, dann wird gefragt: Welche Anträge werden von der Verteidigung noch gestellt? Dann werden sie gestellt, und dann werden sie entschieden. Auch das ist normal. Nehmen wir einmal an, aus einem Antrag ergibt sich ein wichtiger Beweisantrag und die Entscheidung darüber wird in das Urteil verlagert. Wenn der Beweisantrag im Urteil zu Unrecht abgelehnt wird, dann hat das möglicherweise zur Folge, dass der Prozess von vorne begonnen werden muss. Es ist besser, im Prozess wird über Anträge mit Rede und Gegenrede entschieden, ohne das Ganze zu vertagen. Was übrig geblieben ist, ist ein ganz kleiner Ansatz für eine audiovisuelle Aufzeichnung im Vorverfahren oder für Gerichtsverfahren selber. In der Tat verlaufen Strafprozesse in Deutschland wie vor 100 Jahren. Da sitzt bei nicht so schwerwiegenden Fällen der Amtsrichter, möglicherweise mit Schöffen, im Gerichtssaal. Dieser schreibt möglichst mit, was die Zeugen oder der oder die Angeklagte äußern. Die Protokollführerin oder der Protokollführer, der Staatsanwalt und auch der Verteidiger schreiben mit und bemühen sich dabei, das festzuhalten, was tatsächlich gesagt worden ist. Wenn man sich das nachher einmal durchliest, dann stellt man fest: Das hat mit dem, was wirklich gesagt worden ist, häufig nur ganz am Rande zu tun. Jeder hat etwas anderes aufgeschrieben. Warum kann man in einem modernen Staat, in dem es einfache Möglichkeiten gibt, Vernehmungen und Befragungen aufzuzeichnen, kein Tonband mitlaufen zu lassen? Jetzt sage ich schon „Tonband“, diese sind ja ebenfalls veraltet. Ich meine natürlich einen Tonträger, auf dem alles aufgezeichnet wird und mit dessen Hilfe man feststellen kann, vielleicht kurz vor oder in der Urteilsberatung, was tatsächlich gesagt worden ist. Genauso ist es natürlich bei großen Prozessen. Manche Prozesse dauern Monate oder Jahre. Am Ende des Prozesses soll man noch wissen, was an einem Tag von einem Zeugen gesagt oder einem anderen Zeugen nicht gesagt worden ist. Das könnte man dann mit einer Aufzeichnung nachprüfen. Die große Expertenkommission, die das Justizministerium eingesetzt hat, hat dazu Empfehlungen gegeben. Was ist davon übrig geblieben? Über die Möglichkeit, in der Hauptverhandlung eine Aufzeichnung einzuführen, wird nichts ausgesagt. Das kommt in dem Gesetzentwurf überhaupt nicht vor. Ausgesagt wird lediglich etwas über die Vernehmung des Beschuldigten. Da kann – ich betone: kann – dieses Verfahren angewandt werden. Zwingend ist das aber nur bei Verfahren – Herr Lange, Sie haben von einer „großen Entlastung“ gesprochen – bei einer einzigen Straftat: Es muss sich um ein Tötungsdelikt handeln. Wie viele Verfahren von den Strafverfahren in Deutschland betreffen ein Tötungsdelikt? Ich schätze diese Zahl auf weit unter 1 Prozent. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie mal die heutige Nacht ab!) Sie schaffen hier eine Regelung, die an anderer Stelle dringend erforderlich wäre. Im Vorverfahren sollten Zeugenvernehmungen zumindest auf Tonträger aufgenommen werden, damit am Ende der Hauptverhandlung mit Beweis und Gegenbeweis, nach der Anhörung von neuen Zeugen und den Aussagen von Wachtmeistern und Kriminalbeamten nicht gefragt wird: Was hat der Zeuge im Vorverfahren, was hat der Beschuldigte gleich nach seiner Festnahme in der ersten Vernehmung wirklich gesagt? Das, was der Kriminalbeamte mühsam in seine Schreibmaschine hackt, ist meistens nicht das, was tatsächlich gesagt worden ist. Da kann man viel schreiben. An diesem Punkt hätten Sie wirklich zu einer Entlastung des Verfahrens beitragen können. Das haben Sie nicht gemacht, weil Sie sich nicht einigen konnten. Natürlich gab es dazu in der Expertenkommission sehr unterschiedliche Auffassungen. Ich selbst habe an einem Strafverteidigertag teilgenommen, bei dem dafür eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, um diese Frage zu diskutieren. Da bestand unisono die Auffassung, und zwar von Richtern, von anwesenden Staatsanwälten und von Rechtsanwälten, dass man eine Aufzeichnung ganz dringend braucht. Lassen Sie uns einen Strafprozess mit modernen Mitteln gestalten, auch mit modernen Kommunikationsmitteln. Der Federkiel ist längst beseitigt; heute ist es der Kugelschreiber. Lassen Sie ihn uns in möglichst vielen Fällen durch elektronische Aufnahmen ersetzen. Dann haben die übrigen Prozessbeteiligten genügend Möglichkeiten und Fähigkeiten, die sie ausleben können, ein Verfahren wirklich mitzuerleben und zur Wahrheitsfindung das Mögliche beizutragen, und müssen sich nicht mit ihrer Schrift herumärgern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege, das war ein guter Schlusssatz. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt viele Möglichkeiten. Machen Sie Gebrauch davon! Eine Renovierung des gesamten Strafverfahrensrechts ist dringend erforderlich. Dieser Gesetzentwurf leistet das überhaupt nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank. – Als Nächste hat das Wort die Kollegin Bettina Bähr-Losse von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Bettina Bähr-Losse (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zu den Aufgaben des Staates gehört auch, eine funktionierende Strafrechtspflege zu gewährleisten. Das bedeutet, dass prozessuale Vorschriften laufend auf Tauglichkeit, Zeitgemäßheit und Effektivität hin zu überprüfen sind. Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens reformiert die Strafprozessordnung an wichtigen Stellen und ermöglicht eine Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung, die zugleich die Rechte der am Verfahren Beteiligten wahrt. Er basiert auf der Untersuchung aller Verfahrensabschnitte des Strafverfahrens durch eine Expertenkommission. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Vorschläge haben Sie aber nicht übernommen!) Der Grat, Herr Ströbele, auf dem wir uns bei diesem Vorhaben bewegen, ist schmal. Wir wollen und müssen den Strafanspruch des Staates durchsetzen. Gleichzeitig sind die Grundrechte der mit Strafe Bedrohten zu sichern und zu gewährleisten. Zwei Punkte möchte ich an dieser Stelle in den Fokus stellen. Die Forensik hat wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der DNA-Analyse erzielt. Augen-, Haar- und Hautfarbe einer Person lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen. Denjenigen, die meinen, dass dadurch eine Stigmatisierung bestimmter Gruppen erfolge, halte ich entgegen, dass zahlreiche andere Verdächtige entlastet werden, die vielleicht vorher unter Generalverdacht standen. Im Übrigen wäre eine Öffentlichkeitsfahndung ohne klare Benennung von Äußerlichkeiten völlig sinnlos. Wenn die technischen Möglichkeiten diese wichtigen Hinweise für die Ermittlungsarbeit liefern, muss die Polizei, müssen die Ermittlungsbehörden in der Lage sein, diese auch zu nutzen. Davon getrennt zu betrachten sind die sogenannten Beinahetreffer. Hierzu gab es vor einigen Jahren eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass, so die bisherige Rechtslage, die bei einer Reihenuntersuchung gewonnene Information, dass die DNA eines Untersuchten zwar nicht mit der Tatort-DNA identisch ist, aber ein Verwandtschaftsverhältnis besteht, weder hätte gewonnen noch verwertet werden dürfen. In dem damaligen Fall wurde die erfolgte Verurteilung gleichwohl nicht aufgehoben. Aber es wurde deutlich auf bestehende Zweifel an der Verwertbarkeit derartiger Informationen hingewiesen. Um diese Zweifel zu beseitigen und klarzustellen, dass diese Informationen verwertet werden dürfen, erfolgte die Anpassung in dem Entwurf. Insgesamt darf bei der Bewertung dieser Fragen nicht aus den Augen verloren werden, dass es um die Aufklärung von schweren Straftaten geht. Wenn also Wissenschaft dabei helfen kann, Verbrechen aufzuklären, sollte das auch möglich sein und sollte falsche Rücksichtnahme nicht dazu führen, dass zum Beispiel Mörder geschützt werden. (Beifall bei der SPD) Der zweite wichtige Punkt, den ich herausgreifen möchte, betrifft den Bereich der Verbesserung der Dokumentation des Ermittlungsverfahrens. Der Entwurf knüpft an die jüngst aus Opferschutzgründen erweiterten Regelungen zur audiovisuellen Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen an und will diese moderat auch auf einen begrenzten Bereich der Beschuldigtenvernehmung ausdehnen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur Tötungsdelikte!) Bei vorsätzlichen Tötungsdelikten – Herr Ströbele, eine Sekunde; ich komme jetzt dazu – sowie bei besonders schutzbedürftigen Personen sollen Vernehmungen des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren grundsätzlich in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Das Recht des Beschuldigten, in der Hauptverhandlung aussagen zu können und gehört zu werden, wird dadurch also nicht beschnitten. Ich habe eingangs gesagt, dass der Grat, auf dem wir uns bewegen, schmal ist. Ich setze deshalb auf Ihre konstruktive Mitarbeit bei kritischen oder strittigen Punkten des Entwurfs in Gesprächen und Verhandlungen, die dieser ersten Lesung folgen werden. Ich bin froh, dass wir einen so erfahrenen Strafverteidiger wie Sie, Herr Ströbele, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hören ja nicht auf mich!) und einen engagierten Juristen wie Herrn Sensburg dabei haben, die sich in diese Verhandlungen wirklich nutzbringend für alle einbringen können. Das Justizministerium wird zudem in diesem Monat ein Symposium abhalten, dessen Inhalte auch Eingang in den Entwurf finden werden, sodass wir die notwendigen Reformen zu einem erfolgreichen Abschluss bringen können; denn das sind wir den Opfern von Gewaltverbrechen und ihren Hinterbliebenen schuldig. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht nunmehr Alexander Hoffmann von der CDU/CSU-Fraktion zu Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Aufgabe der StPO, der Strafprozessordnung, ist es, auf der einen Seite den Rahmen für die strafrechtliche Sachverhaltsaufklärung zu bieten und auf der anderen Seite den staatlichen Strafanspruch zu wahren. Die Kollegin Bähr-Losse hat richtigerweise herausgestellt, dass das kein statisches Konstrukt ist; vielmehr hat ein funktionierender Rechtsstaat die Daueraufgabe, dieses Regelungsgefüge an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen. Ich denke, dass wir im Lichte dieser Daueraufgabe den heute hier zu beratenden Entwurf sehen sollten. Im ersten Block geht es um die Komponenten Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung. Die Strafrechtler unter Ihnen wissen, dass es den Satz gibt: Die Strafe soll der Tat auf dem Fuße folgen. – Ich glaube, bei dem ersten Block können wir wirklich feststellen, dass dieser Entwurf durchaus gute Inhalte vorzuweisen hat. Wir sehen umfassende Änderungen im Befangenheitsrecht; denn wir müssen feststellen, dass gerade das Befangenheitsrecht in den letzten Jahren in der Praxis an der einen oder anderen Stelle zunehmend als Instrument zur Verfahrensverzögerung missbraucht worden ist. Stellen Sie sich vor, dass ein Ablehnungsgesuch erst kurz vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt wird. Nun wird vorgesehen, dass der Beginn der Hauptverhandlung damit nicht verzögert wird. Sie kann bis zur Verlesung des Anklagesatzes begonnen bzw. aufgenommen werden, wenn der Richter abgelehnt wird und damit eine Verzögerung der Hauptverhandlung drohen würde. Das Gericht kann zusätzlich dem Antragsteller die Verpflichtung auferlegen, dieses Ablehnungsgesuch auch noch schriftlich zu begründen. Wenn er diese Frist fruchtlos verstreichen lässt, wäre auch das ein Grund, der eine Ablehnung möglich macht. Ich halte das für eine deutliche Beschleunigung und deutliche Steigerung der Effizienz des Verfahrens; das sieht man, wenn man sich mit der Praxis auseinandersetzt. Der zweite Punkt in dem Feld der Verfahrensbeschleunigung sind Änderungen im Beweisantragsrecht, die ich durchaus für zielführend halte. Auch hier stellen wir fest, dass Beweisanträge oftmals nicht nur aus fester Überzeugung gestellt werden, sondern zum Ziel haben, ein Verfahren in die Länge zu ziehen. Deswegen sieht der Entwurf in meinen Augen richtigerweise nun die Möglichkeit vor, dass nach Ende der Beweisaufnahme der Vorsitzende eine angemessene Frist setzen kann, binnen derer weitere Beweisanträge gestellt werden können und danach eben nicht mehr. Ich freue mich außerordentlich darüber, dass dieser Entwurf auch das Ermittlungsverfahren weiter im Blick behält, die Erscheinens- und Aussagepflicht von Zeugen vor Ermittlungspersonen. Es ist durchaus richtig, wie der Kollege Sensburg gesagt hat, dass wir punktgenau im weiteren Verfahren überlegen müssen, welche Konsequenzen wir im Ergebnis ziehen. Aber ich glaube, man wird einer solchen Regelung schon eine Daseinsberechtigung zusprechen müssen. Das war der erste Block. Den zweiten Block würde ich unter der Überschrift „Optimierung der Wahrheitsfindung“ subsumieren. Die audiovisuelle Aufzeichnung – das wissen Sie – gibt es seit dem Jahr 1993. Die wollen wir mit diesem Vorhaben ausdehnen. Es gab jüngst eine Ausweitung in diesem Bereich aus Gründen des Opferschutzes. Auch deren Daseinsberechtigung ist, glaube ich, unbestritten. Man muss einfach konstatieren, dass es Konstellationen gibt – beispielsweise bei Anwesenheit des Täters –, in denen es dem Opfer nicht zumutbar ist, den Tathergang zu schildern bzw. zu konkretisieren. Nun gibt es den Grundsatz, eine audiovisuelle Aufzeichnung im Ermittlungsverfahren bei vorsätzlichen Tötungsdelikten und bei besonders schutzbedürftigen Personen zu ermöglichen. Auch das ist etwas, glaube ich, was wir dringend diskutieren sollten. Ich will zunächst die Vorteile skizzieren, bevor ich dann aufzeigen möchte, mit welchen möglichen Nachteilen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir uns auch auseinandersetzen sollten. Wir erhoffen uns durch diese Regelung – da bin ich ganz beim Ministerium – eine Verbesserung der Sachverhaltsaufklärung und eine bessere nachträgliche Überprüfbarkeit der Einhaltung bestimmter Formalitäten; das sollte auch im Interesse von Strafverteidigern sein, Kollege Ströbele. In einem Zeitalter, in dem sich digitale Möglichkeiten neu eröffnen und schnell weiterentwickeln, glaube ich, spricht auch nichts dagegen, das Strafprozessrecht an die heutigen technischen Möglichkeiten anzupassen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun sie doch! – Wo denn?) Im Zeitalter der internationalen Terrorismusbekämpfung heiße ich es auch gut, wenn wir solche Mittel einsetzen, weil sie letztendlich beim internationalen Beweistransfer deutlich besser übermittelbar sind. Aber ich glaube, dass wir uns angesichts der Herausforderungen, die eine solche Regelung mit sich bringt, schon auch die Frage stellen müssen, welche Risiken eine solche Entwicklung in sich birgt. Ich glaube, dass wir das auch im weiteren Beratungsverfahren bedenken müssen. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass das Konfrontationsrecht des Angeklagten nicht ausgehöhlt werden darf. Es muss nach dem Grundsatz der Waffengleichheit immer möglich sein, dass der Angeklagte in seinem Verfahren auch Zeugen befragt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Verteidigung!) Deswegen müssen wir mit Augenmaß entscheiden, wie viel wir in eine mögliche audiovisuelle Aufzeichnung verlagern können. Ein weiterer Punkt – ich bin dem Kollegen Sensburg sehr dankbar, dass er mir dafür ein Stück weit die Augen geöffnet hat – ist natürlich Folgendes: Wenn wir uns das heutige Revisionsrecht angucken, dann müssen wir einfach feststellen, dass es unglaublich komplex geworden ist. Wer sich in der Szene auskennt, der weiß, dass es Strafverteidiger gibt, die eigentlich nur noch Revisionsexperten sind, und andere, die sich das Revisionsrecht gar nicht mehr zutrauen, so komplex ist es geworden. Da müssen wir uns natürlich schon überlegen, ob solche technischen Möglichkeiten unter Umständen ganz neue Diskussionsfelder im Bereich des Revisionsrechts eröffnen. Insgesamt ist es ein Gesetzentwurf, auf dessen Beratung im weiteren Verfahren ich mich freue. Ich möchte aber an dieser Stelle schon sagen: Es ist letztendlich das kleine Überbleibsel eines Projekts, das der Justizminister als eines der größten rechtspolitischen Projekte dieser Legislaturperiode angekündigt hat. Ich persönlich bedauere ein Stück weit, dass es auf zehn Seiten zusammengeschmolzen ist. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das habt ihr doch zusammengestrichen! Den 50a! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sagen ja nichts im Ausschuss!) Ich will Ihnen auch noch einmal sagen, dass die Union immer bereit ist, mit Ihnen über Strafprozesse aller Bereiche zu diskutieren, und will Ihnen da ein Stück weit Mut machen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen in diesem Verfahren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11277 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Zusatzpunkte 6 bis 8 auf: ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine wirksame Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland Drucksache 18/11413 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Ulle Schauws, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wissenschaftsfreiheit fördern, Geschlechterforschung stärken, Gleichstellung in der Wissenschaft herstellen Drucksache 18/11412 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft durchsetzen Drucksachen 18/9667, 18/11447 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Unruhe) – Ich warte noch eine Sekunde, bis alle ihre Plätze eingenommen haben. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wir erinnern uns: Auf die Frage, warum für ihn ein paritätisch besetztes Kabinett so wichtig sei, antwortete der kanadische Premier Justin Trudeau: Because it’s 2015. – Wir haben jetzt das Jahr 2017. Deutschland ist weit davon entfernt – nicht nur optisch für die Damen, die Herrn Trudeau so hübsch finden. Seit vier Jahren werden wir regiert von einer Großen Koalition aus den Blockierern von der Union und mit den Trommelwirbeln von der SPD. Aber immer wenn eine große Tat dem Trommelwirbel folgen müsste – so ist das ja eigentlich –, kreißt der Berg und gebiert eine Maus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben das Jahr 2017. Frauen verdienen 21 Prozent weniger. Die Rentenlücke im Alter beträgt 57 Prozent. 2017 reden wir immer noch über die gläserne Decke, Minijobs und Teilzeitfalle für Frauen – immer noch. Das ist Ihre Bilanz, Frau Ministerin, und das müssen Sie sich auch sagen lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frauen in Deutschland erleben sexuelle Erniedrigung, sexuelle Gewalt. Ja, sie übernehmen nach wie vor den Hauptteil der Fürsorgearbeit oder der Pflegearbeit. Und die Bundeskanzlerin, angesichts dieser Situation, findet: Das ist ein schöner Moment, den Frauen einmal Danke zu sagen. – Ja danke für das Danke! Die Rosen nehmen wir auch, aber: Es ist 2017, und die Frauen in diesem Land haben die Nase gestrichen voll. Es geht nicht mehr, dass immer nur geredet und geredet und geredet wird und einfach nichts oder viel zu wenig passiert – im Jahr 2017, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) In der SPD reden Sie darüber, wofür jetzt Zeit sei. Offensichtlich war nicht mal Zeit, hier angesichts des Frauentages eine anständige Debatte aufzusetzen, die wir eigentlich in jedem Jahr hatten – vielleicht war Ihnen Ihre Bilanz selbst zu peinlich –, aber dafür, wenigstens für die Debatte über die Situation von Frauen in diesem Land, muss Zeit sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Recht auf Rückkehr auf Vollzeit. Viel zu oft reduzieren Frauen für Familie und Kind die Arbeitszeit und können später nicht auf eine Vollzeitstelle zurückkehren. Das Rückkehrrecht steht im Koalitionsvertrag. Bis heute gibt es aber nicht mal einen Entwurf dazu. Vier vergeudete Jahre für die Frauen! So muss man es sagen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Marianne Schieder [SPD]: Oje, oje!) Die Frauenquote. Da, wo es sie gibt, wirkt sie. Aber für wie viele gilt sie? Für 101 Unternehmen von 3 500 börsennotierten! Da hat doch die gläserne Decke noch nicht mal einen Sprung bekommen. Statt Entgeltgleichheit bekamen wir dank der Blockierunion ein Transparenzgesetz. Nur bei Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Auskunftsrecht. Übersetzt heißt das: Gerade mal 40 Prozent der erwerbstätigen Frauen können das Recht nutzen, zu wissen, was die anderen verdienen. Von Entgeltgleichheit, für die wir immer wieder demonstrieren, jedes Jahr – da spucken alle große Töne –, kann nicht mal im Ansatz die Rede sein. Auch das ist Ihre Bilanz, und, ich finde, darüber muss hier gesprochen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Selbst als es um die Reform des Sexualstrafrechts ging, mussten die Frauen selbst Druck ausüben, damit endlich etwas geschieht. Ich finde, die Frauen in diesem Land haben mehr verdient. Die alleinerziehende Mutter, die Bankerin, die Studentin, die lesbische Mutter, die Rentnerin, die Architektin, die Musikerin, die Transfrau, die Hebamme, die Pflegekraft, die Großmutter haben mehr verdient. Alle Frauen in diesem Land gehören nicht nur auf dem Papier und im Grundgesetz gleichberechtigt, sondern auch im tatsächlichen Leben. Es ist die Zeit, dafür zu kämpfen und nicht nur nette Worte zu sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man sich das anschaut, muss man sagen: Sie verpassen gerade einen historischen Moment. In den USA ist ein frauenfeindlicher Präsident gewählt worden. Es sind Hunderttausende von Frauen auf die Straße gegangen. Sie haben sich rosa Mützen aufgesetzt. In Polen konnte durch den Aufstand der Frauen ein Gesetz gegen die Abtreibung verhindert werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auch hier in Deutschland schauen die Frauen nicht länger nur zu, wenn sie nicht das kriegen, was ihnen zusteht. Gestern konnte man das in ganz Deutschland sehr deutlich und sehr eindrücklich sehen. Die Frauen sind in diesem Land schon auf der Straße, aber sie haben offensichtlich immer noch viel zu wenig Lobby in diesem Parlament und vor allen Dingen in dieser Regierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ja, die Errungenschaften der Gleichstellung stehen offensichtlich wieder zur Debatte. Die AfD macht sich lustig über vermeintliches Gender-Gaga. Forscherinnen und Forscher, die sich mit Geschlechterfragen auseinandersetzen, werden zurzeit massiv angefeindet – in diesem Land massiv angefeindet. Ich finde, wir sollten uns gemeinsam vor diese Forscherinnen und Forscher stellen. Es kann nicht sein, dass über Frauenfragen nicht mehr geforscht werden kann, dass über Genderfragen nicht mehr geforscht werden kann, ohne dass man in diesem Land Hassmails und -postings bekommt, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich finde, wir sollten diese krasse Form des Gender-Bashings sehr ernst nehmen. Wer meint, es sei egal, ob Frauen in der Sprache vorkommen, dem sage ich: Gut, dann machen wir es eben umgekehrt, dann sprechen wir komplett weiblich, und die Männer sind mitgemeint. Wer meint, dass die Quote leistungsfeindlich sei, dem kann ich nur sagen: Dann möchte ich mir gerne mal die Leistung von manchen der Männer anschauen, die das behaupten. Wenn ich an Herrn Höcke denke, dann finde ich: Seine Leistung ist in der Tat krass negativ bezüglich jeder gesellschaftlichen Frage in diesem Land. Nein, es ist keine Heulsusenveranstaltung, es ist Kampf. Wir kämpfen, und wir wollen kämpfen. Es ist eben in dieser Zeit auch wieder Zeit für Feminismus, meine Damen und meine Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Es muss doch anders gehen. Es geht nicht mehr um die kleinen, feinen Schritte, die als Erfolg abgerechnet werden, es geht um Haltung. Es geht darum, dass wir den Frauen sagen: Egal, was ihr werden wollt, ganz gleich, wer ihr sein wollt, wir machen euch den Weg frei. Ihr habt Rechte. Wir geben so lange keine Ruhe, bis eure Gleichstellung erreicht ist, bis Frauen tatsächlich das gleiche Gehalt verdienen, bis sie DAX-Unternehmen führen, bis Mädchen Ingenieurinnen werden. Natürlich dürfen Jungs auch Glitzernagellack verwenden oder Einhornstaub versprühen. Natürlich dürfen sie das. Nein, wir werden rosa Spielzeug nicht verbieten, aber ich sage: Das, meine Damen und Herren, ist wirklich gaga. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für die Frauen in diesem Land zu kämpfen, lohnt sich. Vizepräsidentin Michaela Noll: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir treten für die Werte unserer Gesellschaft ein, den alten und den neuen Frauenfeinden entgegen. Ich fordere die Frauen von Union und SPD auf: Zieht eure pinken Mützen auf! Tretet gemeinsam mit einer klaren Haltung für die Frauen in diesem Land ein! Es geht nicht mehr um kleine Schritte, es geht um eine große gesellschaftliche Auseinandersetzung. Und dafür müssen wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier stehen, nicht nur da draußen mit netten Worten und Dankeschön, sondern auch in einem harten Kampf und in einer harten Auseinandersetzung. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Danke, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin spricht Gudrun Zollner von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Gudrun Zollner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin Noll! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vermittelt den Eindruck, dass wir in Deutschland in den letzten Jahren eine völlig verfehlte und völlig unwirksame Politik für die Gleichberechtigung von Frauen betrieben hätten, (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie nicht gesagt!) als hätten wir nichts erreicht, als hätten wir den hohen Frauenanteil im Parlament in dieser Legislaturperiode nicht für Verbesserungen für Frauen genutzt. Aber erinnern wir uns: Vor genau zwei Jahren haben wir hier im Deutschen Bundestag erstmals eine feste Quote für Frauen in Führungspositionen verabschiedet. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Quötchen! – Marianne Schieder [SPD]: Auf Drängen der Union!) Wir alle und besonders wir Frauen aller Fraktionen haben das als Meilenstein in der Frauenpolitik am Internationalen Frauentag 2015 überschwänglich und zu Recht gefeiert. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann?) Wir waren uns einig, dass wir die Rahmenbedingungen verbessern müssen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. Auch hier waren wir nicht untätig: Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz, das Elterngeld Plus, das Familienpflegezeitgesetz, Ausbau der Betreuungsinfrastruktur usw. Mittlerweile ist das vierte Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“ für die Jahre 2017 bis 2020 bereits im Bundesrat beraten und im Kabinett beschlossen worden. Das Sondervermögen soll dafür um 1,126 Milliarden Euro aufgestockt werden. Ein nächster großer Schritt ist das Entgelttransparenzgesetz, das sich derzeit im parlamentarischen Verfahren befindet. Natürlich müssen Frauen für die gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn erhalten. Dem widerspricht ja auch niemand, und das wird von uns allen ja auch gefordert. Mein persönlicher Meilenstein und meine persönliche Herzensangelegenheit ist die Verbesserung des Unterhaltsvorschussgesetzes mit dem Wegfall der Bezugsdauer von 72 Monaten und der Erhöhung des Kindesalters von 12 auf 18 Jahre. Auch das gehört zur Gleichberechtigung und zur Chancengerechtigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wer Kinder in die Welt setzt, muss sich auch finanziell verantwortlich zeigen. Die Last nur einem Elternteil aufzubürden und zum Schluss auch noch bessergestellt zu sein, das ist für mich keine Gleichstellung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass wir in Deutschland auf einem guten Weg sind, bescheinigt uns auch die kürzlich vorgestellte OECD-Studie „Dare to Share“, auf die Sie Bezug nehmen. Diese stellt fest, dass Deutschland in den vergangenen Jahren die Voraussetzungen für die Erwerbstätigkeit von Müttern deutlich verbessert hat und wir eines der OECD-Länder mit der dynamischsten Familienpolitik und mit der höchsten Frauenerwerbsquote sind. Ich weiß, dass jetzt gleich der Einwand kommt: Hohe Frauenerwerbsquote, schön und gut, aber viele Frauen arbeiten immer noch in Teilzeit. Ja, und? Sie reden doch immer von Vielfalt. Vielfalt bedeutet für mich auch Wahlfreiheit, die Freiheit einer Familie, zu entscheiden, welches Lebensmodell für sie am besten ist. Und es bringt uns kein Stück weiter, wenn wir immer noch in Rabenmütter und Heimchen am Herd unterscheiden und die eine Mutter wie auch die andere damit diskriminieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie sprechen von Aufwertung und Wertschätzung für diejenigen, die Kindererziehung, Hausarbeit und Pflege übernehmen. Dann dürfen Sie aber bitte nicht nur ein Modell favorisieren, nämlich das der schnellen Rückkehr in den Beruf und möglichst nur noch in Vollzeit. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, aber die Chancen dürfen wir auch nicht verbauen! Für alle anderen nicht!) Viele Frauen entscheiden sich ganz bewusst, nur in Teilzeit zu arbeiten, weil sie ihre persönliche Erfüllung in der Erziehung ihrer Kinder sehen, und immer mehr junge Väter tun es ihnen gleich. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Und warum entscheiden das weniger Männer?) Schon im Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes ist festgehalten, dass Eltern das natürliche Recht und die Pflicht haben, ihre Kinder zu erziehen. Ich möchte nicht, dass der Staat diese Aufgabe übernimmt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das macht er auch nicht!) Natürlich muss jeder persönlich immer sein finanzielles Auskommen und seine Rente im Blick haben. Altersarmut, besonders bei Frauen, müssen wir unbedingt verhindern. Deshalb fordern wir von der CSU auch den dritten Rentenpunkt für Mütter, die vor 1992 Kinder zu Welt gebracht haben: Alle Mütter werden dann für ihre Erziehungsleistung gleich behandelt. Das nenne ich Gleichstellungspolitik, und ich lade Sie alle herzlich dazu ein, uns hierbei zu unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Bundeskanzlerin unterstrich heute Morgen in ihrer Regierungserklärung, dass unsere soziale Marktwirtschaft die erfolgreichste in der EU ist. Die Steuereinnahmen sind auf einem Höchstpunkt, und die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Das ist ein Verdienst der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in unserem Land, und sie machen ihre Sache gut. Das verdanken wir auch den vielen Frauen, die in den Unternehmen ihre Frau stehen. Es steht außer Frage, dass Frauen in den Spitzengremien großer Unternehmen immer noch unterrepräsentiert sind, aber es ist auch deutlich: Die Quote wirkt, auch wenn es manchen vielleicht etwas zu langsam gehen mag. Aber ich möchte auch betonen: Wir Frauen sind nicht besser oder schlechter als Männer, wir sind anders. (Marianne Schieder [SPD]: Wir sind schon besser!) Und so sind wir auch anders in unserer Berufswahl. Männer setzen da mehr auf hohes Einkommen oder Macht. Uns Frauen ist Zufriedenheit und Spaß an der Arbeit wichtiger, auch wenn das leider oft schlechter bezahlte Jobs sind. Aber es wäre doch einmal eine gute Aufgabe für die vielen Gewerkschaften, sich für die Vergütung der sogenannten Frauenberufe starkzumachen. Meist sehe ich in den Medien nur männliche Gewerkschaftsvertreter, die sich für Piloten oder Lokführer einsetzen. Auch von mehr Homeoffice-Plätze würden viele Familien profitieren. Dazu ist aber eine flächendeckende Breitbandanbindung notwendig. In den Metropolen ist das kein Problem, aber in den ländlichen Räumen schon. Mit einem Internetanschluss von 3 000 Mbit/s kann man keine vernünftige Arbeit verrichten. Das gilt für Angestellte genauso wie für Selbstständige. Deshalb begrüße ich ausdrücklich die Fördermittel aus dem Haus unseres Bundesministers Alexander Dobrindt sowie die zusätzlichen Gelder der Bayerischen Staatsregierung. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Dobrindt ist der größte Feminist!) Nicht zu vergessen unsere große Aufgabe: die Integration der Schutzsuchenden in unserem Land. Bildung ist der beste Weg zur Integration, und er führt nur über das Erlernen der deutschen Sprache. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber wir reden hier über Frauen und Gleichstellung! Damit hat Herr Dobrindt nichts zu tun!) Und hier müssen wir ganz besonders darauf achten, dass das auch den Frauen ermöglicht wird. Sie kommen meist aus einer von Männern dominierten Gesellschaft. Besonders hier müssen wir auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern bestehen. Wenn ich dann aber wie letzten Freitag in der Passauer Neuen Presse lesen muss, dass ein polnischer EU-Abgeordneter allen Ernstes der Meinung ist, dass „Frauen schwächer, kleiner und weniger intelligent“ sind, dann sind wir leider davon noch ein ganzes Stück entfernt. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und deshalb ungleich bezahlt werden müssen!) Es zeigt uns aber wieder, dass Gesetze alleine nicht reichen und dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau noch immer nicht in allen Teilen der Gesellschaft angekommen ist. Wie völlig absurd die Meinung dieses gewählten Volksvertreters ist, zeigt das Beispiel der tollen Luft- und Raumfahrtingenieurin Magdalena Pree aus Niederbayern, die als erste deutsche Astronautin – fünf weitere Frauen werden ihr folgen – zur ISS fliegen will. Werte Kolleginnen und Kollegen, seien wir doch stolz auf das, was wir schon alles erreicht haben, und hören wir endlich auf, alles schlechtzureden. Natürlich gibt es immer wieder etwas zu verbessern, und das ist auch gut so. Sonst hätte die Opposition keine Arbeit mehr. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD] – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ganz einfach um Gerechtigkeit! Es ist keine Frage von Zeitverschiebung!) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes hören wir die Kollegin Katja Kipping von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Katja Kipping (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern war der Internationale Frauenkampftag – ein Tag, an dem wir daran erinnern, was noch alles zu erkämpfen ist. Immer noch bekommen Frauen deutlich niedrigere Löhne. Wir kennen die Zahl: 21 Prozent. Niedrigere Löhne führen zu niedrigeren Renten. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Altersarmut vor allem weiblich ist. Hinter diesen unterschiedlichen Löhnen steht natürlich auch eine Wertung, nämlich die Unterstellung, dass die Arbeit am und mit dem Menschen weniger profitabel ist als die Arbeit an den Maschinen. Wir Linke sind überzeugt: Diese finanzielle Diskriminierung der Arbeit mit den Menschen muss aufhören. Deswegen müssen die Löhne in Pflege, Gesundheit und Bildung steigen, und zwar gründlich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, wenn man das ernst meint, muss man ran an die schwarze Null; sie muss einfach weg. Wenn wir über Geschlechtergerechtigkeit reden, Frau Schwesig, so kann ich nur sagen: Sie sind gut darin, Sachen zu thematisieren; aber wenn es konkret wird und umgesetzt werden muss, auch finanziell unterfüttert werden muss, lassen Sie sich immer wieder vom Koalitionspartner ausbremsen. Wer etwas für Frauen erreichen will, wer wirkliche Gleichberechtigung will, der darf sich nicht von der CDU/CSU ausbremsen lassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns die Situation im Wissenschaftsbetrieb an: Über die Hälfte aller Studierenden sind Frauen; aber wenn es um die Habilitation, um Professorenstellen geht, dann brechen die Quoten ein. Dort, wo es wirklich um Einfluss geht, da wirken die gläsernen Decken. Die Arbeitssituation an den Universitäten hat natürlich etwas mit dieser Situation zu tun. Unterhalb der Professur gibt es faktisch keine unbefristeten Arbeitsplätze, das heißt, der Flaschenhals ist extrem eng. Soziale Unsicherheit, fehlende Planbarkeit des Lebens, weil man sich immer nur von einer befristeten Stelle zur nächsten hangeln muss – all das erschwert, dass sich Frauen auf eine Karriere im Wissenschaftsbereich einlassen. Deswegen sagen wir: Das Gebot der Stunde für bessere Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbereich, aber auch für mehr Professorinnen lautet ganz klar: Wir brauchen mehr unbefristete Stellen im Wissenschaftsbereich, wir brauchen mehr Planbarkeit, damit Frauen Karriere in der Wissenschaft machen können. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu den Wurzeln der Ungleichheit gehört meiner Meinung nach die ungerechte Verteilung der Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern. Immer noch wird ein Großteil der wunderbaren, liebevollen Familien- und Hausarbeit, der Care-Arbeit, von Frauen getragen. Hier ist Umverteilung angesagt. Es muss Schluss damit sein, dass man den Männern diese liebevolle, schöne, sinnstiftende Tätigkeit vorenthält. Das können wir den Jungs nicht weiter antun. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ein wichtiges Instrument ist dabei natürlich die Verkürzung der allgemeinen Arbeitszeit. Ja, ich finde, die Arbeitswoche der Zukunft muss die 30-Stunden-Woche sein. (Beifall bei der LINKEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: 20! Wir gehen gar nicht mehr arbeiten!) Von einer gerechteren Verteilung der Tätigkeiten profitieren Männer wie Frauen und übrigens auch die Partnerschaft. Weil Sie die wirkliche Wahlfreiheit angesprochen haben: Ich finde, dazu gehört zuallererst, dass wir uns von klassischen Rollenmustern befreien. Vor dem Hintergrund ist es wichtig, dass es Initiativen wie „Eltern in der Politik“ gibt, die darum streiten, dass politisches Engagement und aktive Elternschaft miteinander vereinbar sind. Wir fordern Kinderzeit und politikfreie Sonntage. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir uns von klassischen Rollenmustern befreien wollen, müssen wir auch hinterfragen, was als wirklich männlich gilt. Früher war es ja so, dass man als besonders verantwortungsvoller Vater galt, wenn man besonders viel Kohle nach Hause gebracht hat. Das ging eigentlich immer damit einher, dass man besonders viel Zeit im Job zugebracht hat. Diese Zeiten sollten vorbei sein. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Am besten gar nicht arbeiten!) Ich meine, Männer, für die es selbstverständlich ist, dass sie mindestens 50 Prozent der Erziehungs-, Pflege- und Hausarbeit übernehmen, sind die wahren Trendsetter. Das sind die wahren Helden des Alltags. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Danke!) Ich möchte noch einmal ganz grundsätzlich werden. Wir alle erleben es: Wer immer sich positiv zu Frauenrechten äußert, der muss mit einem Shitstorm rechnen, nicht nur im Netz. Ja, wir erleben aktuell eine aggressive antifeministische Mobilmachung. Allen Frauen, die sich für Frauenrechte einsetzen, sei es im Betrieb, im Netz, in der Redaktion oder auch in so mancher Fraktion, kann ich nur sagen: Lassen wir uns durch diese aggressive Mobilmachung nicht entmutigen! Halten wir es mit Clara Zetkin, die angesichts vieler Widrigkeiten immer wieder sagte: Jetzt erst recht! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Um es zusammenzufassen: Die Frauenbewegung hat wirklich viel erreicht. Früher konnte selbst der dümmste sexistische Spruch noch mit schenkelklopfendem Beifall rechnen. Diese Zeiten sind vorbei. Das ist gut. Immer mehr Eltern wollen gleich viel Zeit mit den Kindern verbringen. Hier hat man wirklich etwas erkämpft. Kompliment! Hut ab vor der Frauenbewegung! Aber es gibt immer noch viel zu tun. Unsere Kämpfe um Geschlechtergleichgerechtigkeit richten sich eben nicht ausdrücklich gegen Männer. Ganz im Gegenteil: Wir streiten für eine Gesellschaft, in der ein gutes Leben für alle möglich ist. Deswegen legen wir uns mit allen Verhältnissen an, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege Sönke Rix von der SPD-Fraktion geht jetzt als Mann in die Debatte rein. Bitte schön. (Beifall bei der SPD) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern war der Internationale Frauentag. Schönen Dank an die Grünen, dass Sie uns diese Debatte heute ermöglichen. Schönen Dank auch für die Vorlage der beiden Anträge. Natürlich kann man der Regierung vorwerfen: Warum habt ihr keinen Antrag vorgelegt? (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Ich will es damit begründen: weil wir keine Anträge stellen, sondern weil wir Gesetze verändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir arbeiten nämlich gerade an einer großen Anzahl von Gesetzen, die das Leben der Frauen besser machen, die zu mehr Gleichstellung und zu mehr Gleichberechtigung führen. Auf einige davon will ich eingehen, ebenso auf einige, die wir bereits umgesetzt haben. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir nicht viel von gesehen!) In dieser Wahlperiode haben wir sehr viel in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht. Wir haben nicht nur die Situation von Frauen durch die Einführung des Elterngeldes Plus, der Familienpflegezeit und durch den Kitaausbau verbessert, sondern durch „KitaPlus“ auch die Partnerschaftlichkeit verbessert; Kollegin Kipping hat gerade darauf hingewiesen. Wir haben gesagt, wir wollen gesetzlich, also zum Beispiel über Elterngeld Plus, mehr Partnerschaftlichkeit fördern, um mehr Männer dazu zu drängen – manchmal muss man sie vielleicht auch drängen –, sich mehr Zeit für ihre Familien zu nehmen. Dazu formulieren wir keine Anträge, dazu haben wir ein gutes Gesetz gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben so viel Geld für den Ausbau von Kitas ausgegeben wie lange nicht mehr. Wir haben nicht nur quantitativ, sondern auch in die Qualität investiert. Auch das trägt zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei. Es kommt insbesondere Frauen zugute, weil sie dann tatsächlich die Möglichkeit haben, berufstätig zu sein. Da haben wir etwas auf den Weg gebracht. Da sind wir noch nicht am Ende. Da kann noch viel mehr passieren. In dieser Wahlperiode haben wir jedenfalls sehr viel erreicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Wir haben die Situation von Alleinerziehenden verbessert. Wenn wir über arme Menschen sprechen, über Menschen, die als Erstes von Armut betroffen sein könnten, dann fallen uns immer sofort die Alleinerziehenden ein. Die Große Koalition hat Maßnahmen getroffen, um die Situation von Alleinerziehenden zu verbessern. Wir haben beispielsweise den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende deutlich erhöht. Eine so deutliche Erhöhung hat es noch nie gegeben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und es ist auch gut so, dass wir das gemacht haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt eine Gesetzesvorlage zum Unterhaltsvorschuss. Gerade in der Woche, in der der Internationale Frauentag begangen wird, hat eine Anhörung dazu stattgefunden. Wir wollen den Unterhaltsvorschuss maßgeblich erweitern. Das entlastet insbesondere die alleinerziehenden Frauen. Wie gesagt, Frau Göring-Eckardt, wir brauchen keine Anträge, wir machen Gesetze. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ein weiteres Gesetz ist gerade im parlamentarischen Verfahren. An den Beratungen sind auch Sie beteiligt. Wir verbessern die Situation von Frauen im Mutterschutz. Wir verbessern die Situation der Frauen, die als Studierende, als Schülerinnen Kinder bekommen, aber auch die Situation von Müttern behinderter Kinder. Auch das führt zur Verbesserung der Situation von Frauen. Auch hierzu brauchen wir keinen Antrag; da machen wir ein Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten wir gerne heute beraten!) Wir haben die Frauenquote – übrigens dankenswerterweise auch mit den Stimmen der Grünen – auf den Weg gebracht. Sie müssen uns Sozialdemokraten doch nicht darauf hinweisen, dass es da noch viel mehr zu tun gibt, dass man da noch viel mehr erreichen kann. Aber Sie wissen doch, in welcher Koalition wir sind und dass wir einen Ausgleich finden müssen; das kennen die Grünen aus Hessen sehr gut. Man kann mit der Union nicht immer alles sofort durchsetzen; aber sie ist lernfähig. So konnten wir in dieser Großen Koalition die Frauenquote auf den Weg bringen, und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Wir haben das Sexualstrafrecht reformiert. Dafür haben die Frauen, auch in diesem Parlament, jahrzehntelang gekämpft. Aber das ist nicht gegen die Stimmen der Koalition geschehen, Frau Göring-Eckardt, sondern mit den Stimmen der Koalition. Tun Sie doch nicht so, als hätten wir nichts gemacht! Die Reform war ein Meilenstein, und das ist gut so. Jetzt heißt Nein wirklich Nein, und das haben insbesondere die Frauen hier im Parlament fraktionsübergreifend erreicht, und zwar gemeinsam mit der Großen Koalition. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt sind wir dabei, auch die Situation bei der Bezahlung von Frauen und Männern zu verbessern. Frau Schwesig hat ein Entgelttransparenzgesetz auf den Weg gebracht, um Entgeltgleichheit zu erreichen. Das befindet sich derzeit im parlamentarischen Verfahren. Auch hier wissen wir, liebe grüne Kollegen und liebe Kollegen der Linkspartei: Wenn wir in einer anderen Koalition wären, dann würden wir vielleicht auch in diesem Punkt mehr erreichen. Wir machen aber einen ersten und sehr wesentlichen Schritt: Wir gehen das Thema „Gleichstellung bei den Löhnen“ erstmals gesetzlich an und sorgen dafür, indem wir Transparenz herstellen. Auch das ist ein Meilenstein. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ist es nicht! Das reicht noch lange nicht!) Ich bin dankbar, dass wir uns in der Großen Koalition darauf einigen konnten, und dankbar, dass Frau Schwesig den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Natürlich gibt es noch viel zu tun, und manchmal sind am Ende eines gemeinsamen Weges die Gemeinsamkeiten aufgebraucht. Gerade was Arbeitszeitmodelle angeht, sind wir als SPD-Fraktion sehr wohl dafür, die Familienarbeitszeit einzuführen, um tatsächlich dafür zu sorgen, dass man sich die Arbeitszeit partnerschaftlich teilen kann und so mehr Zeit für die Familie hat; denn beide Elternteile sind gefragt. 30 Stunden plus 30 Stunden sind ja immer noch mehr, als wenn einer Vollzeit und der andere gar nicht arbeitet. Von daher ist es richtig, dass Manuela Schwesig auch dazu einen Vorschlag unterbreitet hat. Wir arbeiten auch an diesem Vorschlag, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Das Bedrückende am Internationalen Frauentag ist – alle meine Vorredner haben es angesprochen –, dass vieles, was wir für selbstverständlich gehalten haben, eben doch nicht mehr selbstverständlich ist. Gerade die Populisten von rechts sind massiv unterwegs, die Frauenrechte, die Gleichstellung und die Gleichberechtigung infrage zu stellen. Damit legen Sie ihre Axt nicht nur an die Gleichstellung, sondern auch an die Demokratie. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss uns gemeinsam gelingen, die Populisten von rechts davon zu überzeugen, dass die Gleichheit der Menschen nicht nur für Männer gilt, sondern natürlich für Frauen und Männer. Wir werden es uns nicht bieten lassen, wenn sie an der Gleichstellung rütteln wollen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank. – Jetzt spricht die Kollegin Dr. Claudia Lücking-Michel von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir verhandeln hier heute das Thema Chancengerechtigkeit. Dazu liegen drei Anträge vor, in denen es um viele verschiedene Anliegen geht. Als Bildungs- und Wissenschaftspolitikerin will ich die Anliegen aufgreifen, die sich mit der Situation in unserem Wissenschaftssystem befassen. Erstes Stichwort: Geschlechterforschung. Das ist ein Stichwort aus dem Antrag der Grünen. Ja, natürlich: Sachlich-kritische Auseinandersetzung gehört zu jeder Wissenschaftskultur, und selbstverständlich müssen wir gegen jede Form von Diffamierung vorgehen, die ganze Forschungsfelder und erst recht einzelne Forschende betrifft. Das gilt auch und gerade für das Forschungsfeld Geschlechterforschung. Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut, das wir nicht infrage stellen. Es gibt zudem selbstverständlich gute Gründe, auf die Erkenntnisse der Geschlechterforschung zu setzen. Sie befasst sich mit relevanten geschlechtsbezogenen Unterschieden in den verschiedenen Forschungsfeldern, und dass das wichtig sein kann, merkt man immer am besten am Beispiel der medizinischen Forschung. Wenn man da Geschlechterforschung nicht ernst nimmt, dann kann das tödliche Folgen haben; denn Symptome und Krankheitsverläufe sind bei Männern und Frauen durchaus sehr unterschiedlich. Für Männer und Frauen können unterschiedliche Medikations- und Behandlungsformen richtig sein. Es gilt wie immer: Richtig gute Spitzenforschung braucht Diversität von Fragestellungen und Fragestellern. Geschlechterforschung kann darüber hinaus auch helfen, sich klarer darüber zu werden, was denn die Voraussetzungen für wirkliche Chancengerechtigkeit sind. Damit zu meinem zweiten Stichwort: Chancengerechtigkeit in der Wissenschaft. Ja, es stimmt, Frauen sind an Hochschulen und Forschungseinrichtungen immer noch unterrepräsentiert. Es gilt auch die alte Binsenweisheit: Je höher die Karrierestufe, je höher die Besoldung, je mehr Macht und Möglichkeiten mit einer Aufgabe verbunden sind, desto niedriger der Anteil der Frauen. Diese Situation – da stimme ich vollkommen zu – ist nicht akzeptabel; denn das ist weder gerecht, noch kommt man damit zu wirklich exzellenten Ergebnissen in der Wissenschaft. Die Gründe für diese Situation aber sind sehr vielfältig. Wer wirklich nachhaltig etwas verändern will, der muss entsprechend vielfältig ansetzen. Alle Erkenntnisse nutzen aber nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden. Aus den Projekten der BMBF-Förderrichtlinie „Frauen an die Spitze“ sind teilweise sehr konkrete Handlungsempfehlungen an die verschiedenen Akteure der Wissenschaftscommunity hervorgegangen. Lesen hilft! Es reicht aber nicht, wenn es dabei bleibt. Ich würde sagen, an der Stelle haben wir in vielerlei Hinsicht kein Erkenntnis-, sondern vor allen Dingen ein Umsetzungsproblem. Wie genau man aber hinschauen muss, zeigt vielleicht folgender Hinweis. Gleich im dritten Absatz des Antrags der Grünen heißt es – Zitat –: Die Chancen eines männlichen Hochschulabsolventen auf eine Professur sind nach wie vor höher als die einer Hochschulabsolventin. Vergleicht man dies mit den Zahlen derjenigen, die sich um einen Lehrstuhl bewerben, dann gilt: Jede 18. Frau, aber nur jeder 26. Mann ist dabei erfolgreich. Frauen hätten demnach sogar die besseren Chancen. In unserem Fachgespräch zur Chancengleichheit, das wir im Herbst geführt haben, waren die Expertinnen einhellig der Meinung, dass Berufungsverfahren an den Hochschulen inzwischen – zum Beispiel dank standardisierter Leitlinien – in der Regel durchaus vorbildlich geschlechtersensibel ablaufen. Das sollten wir auch einmal anerkennen. Trotzdem spießt der Antrag der Grünen einen wichtigen Punkt auf und hat recht, wenn man die ganze Laufbahn in den Blick nimmt. Jedenfalls bewerben sich in absoluten Zahlen nach wie vor deutlich weniger Frauen auf Professuren als Männer, und das, obwohl sie im Schnitt mittlerweile schon 40 Prozent derjenigen ausmachen, die eine Promotion erfolgreich abschließen. Das heißt im Klartext: Nach der Promotion scheiden viel zu viele Frauen aus dem Wissenschaftssystem aus und gehen ihm mit ihren Talenten und Begabungen verloren. Mein drittes Stichwort heißt deshalb: Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ja, es stimmt, wir haben eine ganze Reihe von Problemen, die wir angehen müssen; aber ein großes ist nach wie vor die Vereinbarkeit einer Wissenschaftskarriere mit der Verantwortung für die Familie. Das ist nach wie vor ein großes Thema, vor allem für Frauen. Es sollte auch für junge Väter ein Thema sein; allerdings sind es nach wie vor noch immer regelmäßig die Frauen, die stärker die Sorgearbeiten in der Familie ausüben. Die Strukturen der Arbeitswelt, zumal in der Wissenschaft – wir haben es jetzt schon mehrfach gehört –, sind nicht familienfreundlich, nicht für die Mütter, aber auch nicht für die Väter. Die Kultur der ständigen Verfügbarkeit, die Idee eines Forschertypus, der allein und nur für seine Forschungsarbeiten lebt, prägt leider nach wie vor noch zu sehr die Wissenschaft. Was tun wir bislang, um den erfolgreichen Kulturwandel in der Wissenschaft zugunsten der Eltern und ihrer Familien zu beschleunigen? Ich nenne einige Beispiele: Wir haben in vielen Zusammenhängen – Begabtenförderung, BAföG – eine Verlängerungsmöglichkeit aufgrund von Familienpflichten eingeführt. Wir arbeiten mit Hochdruck an immer umfassenderen Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Es gibt auch kluge Ideen, etwa über die Mittel der DFG-Gleichstellungspauschale, Verwaltungs- oder Laborunterstützung für schwangere Frauen oder zurückkehrende Elternteile zu finanzieren. Es gibt planbarere Karrierewege. Wir haben ein reformiertes Wissenschaftszeitvertragsgesetz, neue Ideen für ein Tenure-Track-Programm und – das will ich besonders hervorheben – das von der Bundesregierung mittlerweile schon in der zweiten Phase geförderte Professorinnenprogramm. Wir müssen es unbedingt ausweiten und dafür sorgen, dass es für die jungen Frauen neben den Perspektiven auf eine Professur in Zukunft auch Stellenmöglichkeiten vor und neben einer Professur gibt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das ist alles gut und richtig. Wir sind uns wahrscheinlich einig: Es hilft immer noch nicht genug und geht zu langsam. Wir brauchen weitere kreative Ideen. Das betrifft vor allen Dingen Arbeitszeitmodelle und Möglichkeiten zur kreativen Gestaltung des Arbeitsplatzes. Als Beispiel möchte ich eine Idee vorstellen, die in der Fraunhofer-Gesellschaft entwickelt wurde, die ja durchaus Bedarf hat, ihre Frauenbilanz zu verbessern. Dort hat man beispielsweise zwei verschiedene Karrierewege entwickelt. Als Expert Scientist ist man von Verwaltungsaufgaben befreit und kann Zeit und Ort der eigenen Arbeit weitgehend selbst bestimmen. Wenn die eigene Situation es wieder zulässt – etwa nach einer Familien- oder Pflegephase –, kann man dann in den Pfad des Senior Scientists wechseln. Mir ist an dieser Stelle die Botschaft wichtig: Mit guten rechtlichen Rahmenbedingungen können wir dafür sorgen, dass – bei aller Wahlfreiheit der Einzelnen – Elternschaft nicht länger zum Hinderungsgrund für eine wissenschaftliche Karriere wird. Damit komme ich auch schon zum Schluss. Es ist gut, dass wir uns heute aus Anlass des Weltfrauentages mit Chancengerechtigkeit auch und gerade für Frauen beschäftigen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Dank an die Grünen!) Noch wichtiger wäre mir aber, dass wir dieses Anliegen auch die anderen 364 Tage im Jahr ernst nähmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Frauen brauchen keine vereinfachten Zugangsbedingungen oder spezielle Nachhilfe für wissenschaftliche Karriere. Wir müssen ihnen keinen roten Teppich auslegen. Aber wir müssen endlich die bestehenden Hürden, die es für sie nach wie vor gibt, aus dem Weg räumen. Das wäre gut für die Frauen, aber auch für die Qualität unserer Wissenschaft. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Jetzt hat die Kollegin Marianne Schieder von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Marianne Schieder (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren, wie Sie schon gehört haben, heute gleich mehrere Anträge der Opposition zur Gleichstellung von Männern und Frauen. Auch ich möchte mich vor allen Dingen auf das Thema „Gleichstellung in der Wissenschaft“ konzentrieren, da ich genauso wie Frau Dr. Lücking-Michel dem entsprechenden Ausschuss angehöre. Das Grundanliegen der beiden dazu vorgelegten Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke teilen wir. Gerade im Bereich von Wissenschaft und Forschung sind wir weit davon entfernt, wirklich von gleichen Chancen für Männer und Frauen sprechen zu können. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Komm, Marianne, wir machen das!) Die Lage bessert sich. Doch der Fortschritt ist hier in der Tat eine Schnecke. Seit geraumer Zeit besuchen mehr Mädchen als Jungen weiterführende Schulen und erreichen auch die besseren Schulabschlüsse. Mit Ausnahme der Ingenieurwissenschaften sind Frauen in allen Studiengängen meist gleich vertreten, wenn nicht sogar überrepräsentiert und erreichen auch hier die besseren Abschlüsse. Also fragt man sich: Wie kann es immer noch sein, dass Frauen in den Führungsebenen unserer Universitäten, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen kaum zu finden sind? Sicher ist es so, dass Frauen, wenn sie überhaupt im System bleiben, dann spätestens während der Promotion und der Habilitation erfahren, dass sie es viel, viel schwerer haben als ihre männlichen Kollegen. Der Wunsch – es ist darauf hingewiesen worden –, Familie und Beruf miteinander vereinbaren zu wollen, stellt junge Wissenschaftlerinnen vor die allergrößten Herausforderungen. So viel zur Problemanalyse, bei der wir uns, wie gesagt, schnell einigen können. Aber was folgt daraus? Schaut man sich den Antrag der Linken an, dann stellt man fest – das habe ich bereits bei der ersten Lesung, aber auch im Ausschuss gesagt –: Dieser umfangreiche Antrag ist ein Rundumschlag. Er fällt mehr unter die Kategorie „Wünsch dir was!“, als dass er sich eignen würde, Wege aufzuzeigen, wie die Lage verbessert werden kann. (Widerspruch bei der LINKEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Wie bitte?) – Ja, es ist so. – Kompetenzverteilung und Zuständigkeiten finden ebenso wenig Berücksichtigung wie die Selbstverwaltungshoheit der betroffenen Einrichtungen. Was ist das zum Beispiel für eine Forderung, die Politik der temporär befristeten Pakte zu beenden und dafür als Bund die Grundfinanzierung für die Universitäten deutlich anzuheben und auf hohem Niveau zu verstetigen? (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Konkreter geht es doch gar nicht!) Sie sollten die Rechtslage kennen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nach der momentanen Rechtslage führt kein Weg dorthin. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Stimmt doch gar nicht!) – Das stimmt schon. – Auch der Großteil der anderen Forderungen ist einfach unrealistisch und reines Wunschdenken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz dazu ist der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen sehr viel brauchbarer. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch nach meinem Dafürhalten wäre eine neue Diskussion über Genderforschung sinnvoll. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hoffe, da kommt kein Aber!) Vor allen Dingen, lieber Kai Gehring – das kommt in diesem Antrag ein bisserl zu kurz –, wäre eine Diskussion sinnvoll, wie die Genderforschung in allen relevanten Forschungsbereichen eine selbstverständliche Berücksichtigung finden kann. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Auch für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist die Fortsetzung des Professorinnenprogramms unbedingt nötig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bin der Meinung, dass man das Programm nicht nur fortführen, sondern auch weiterentwickeln sollte. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann beschließen Sie es!) – Ich komme darauf zu sprechen, lieber Kai. – Ich kann mir beispielsweise vorstellen, das Programm auch für Positionen vor und neben der Professur zu öffnen. Denn in der Regel scheiden jungen Wissenschaftlerinnen nicht erst kurz vor der Berufung zur Professorin aus dem System aus. Bereits während der Promotion und in der Postdocphase gehen zu viele Frauen verloren. Selbstverständlich müssten die Mittel für das Programm bei seiner Weiterführung aufgestockt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist einfach Fakt: Dieses Programm verhalf und verhilft nicht nur Frauen zu einer Professur, sondern es hat auch maßgeblich dazu beigetragen, dass das Thema Gleichstellung auf den Leitungsebenen angekommen ist und dort verankert werden konnte. Die breite Nutzung dieses Programms durch die Hochschulen unterstreicht, wie gut es angenommen wird. Zum Schluss möchte ich mich eindringlich an unseren geschätzten Koalitionspartner wenden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es wirklich sehr, sehr schade, dass wir heute nicht über einen Antrag von CDU/CSU und SPD zum Thema „Wissenschaft und Gleichstellung“ diskutieren können. Auf diese Weise hätten wir auch die Fortsetzung des Professorinnenprogramms beschließen können. An der SPD – das möchte ich betonen – liegt es nicht. (Beifall bei der SPD) Unser Antrag ist fertig. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die CDU/CSU sich hier verweigert. Mein Angebot steht nach wie vor. Noch ist Zeit für einen gemeinsamen Antrag, nicht mehr viel – das weiß ich –, aber sie reicht noch aus. Vielleicht ist der eine oder der andere ja durch die heutige Diskussion zu besseren Einsichten gekommen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Schieder. – Ich schließe die Aussprache. Zusatzpunkte 6 und 7. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11413 und 18/11412 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Zusatzpunkt 8. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11447, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9667 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Gibt es Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – AMVSG) Drucksachen 18/10208, 18/10608, 18/10696 Nr. 1.5 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) Drucksache 18/11449 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache, sobald die Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion sich gesetzt haben. Das Wort hat Michael Hennrich von der CDU/CSU-Fraktion. – Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Hennrich (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu, (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Na, na! Es sind schon noch ein paar Monate! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben noch ein paar Monate!) und wir rufen zum ersten Mal in größerem Umfang die Arzneimittelthemen auf. Das liegt zum einen daran, dass wir einen vorgelagerten Pharmadialog hatten, zum anderen daran, dass wir mit Rabattverträgen, einem Festbetragssystem und der frühen Nutzenbewertung ein System etabliert haben, das nicht einfach zu verstehen ist, aber gute Versorgung zu vernünftigen Preisen gewährleistet. Dieses System wird von allen Beteiligten akzeptiert: von Patienten, von Kassen, von Ärzten und von Herstellern. Wenn ich mir die entsprechenden Anträge der Opposition anschaue, dann haben wir, wie ich glaube, auch hier im Parlament einen großen Konsens, vor allem unter den Gesundheitspolitikern, weil wir Patienten mit innovativen Produkten versorgen, in der Regel zu vernünftigen Preisen und so für die Industrie einen verlässlichen und sicheren Rahmen vorgeben. Das ist ja im Kern auch die Grundidee des AMNOG. Wir haben in den letzten Wochen Diskussionen über den Sinn und Unsinn des Pharmadialogs geführt. Ich will ganz klar und deutlich sagen: Ich glaube, es war ein ganz wichtiger Punkt, dass wir diesen Pharmadialog geführt haben. Es gab ja Kritik nach dem Motto, da habe es Vereinbarungen zulasten Dritter gegeben. Ich denke, das Gesetzgebungsverfahren hat deutlich gemacht, dass wir als Parlament stark genug sind, unsere eigenen Akzente zu setzen. Beim Thema Vertraulichkeit ist uns das meiner Meinung nach in vorbildlicher Weise gelungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Pharmadialog war auch deshalb wichtig, weil wir der Pharmaindustrie in der vergangenen Legislaturperiode einiges zugemutet haben. Ich darf in Erinnerung rufen: Wir haben mit dem AMNOG ein System etabliert, das einen echten Paradigmenwechsel darstellte. Wir haben die Rabattverträge gestärkt. In der letzten Legislaturperiode gab es darüber hinaus einen Herstellerabschlag in Höhe von 16 Prozent. Wenn wir das alles zusammenrechnen, kommen wir in den vier Jahren dieser Legislaturperiode auf ein Einsparvolumen von rund 20 Milliarden Euro. Das ist der Grundstein dafür, dass die GKV heute immer noch solide finanziert ist. Wenn man sich anschaut, was wir in anderen Bereichen gemacht haben – ich weise nur auf die Sparbeiträge hin –, kann ich nur sagen: Es war richtig, dass wir mit der Industrie über die Pharmapolitik diskutiert und gemeinsam erörtert haben: Welchen Stellenwert hat die Pharmaindustrie in Deutschland noch? Wir waren ja einmal die Apotheke der Welt, und heute werden wir von amerikanischen Pharmaunternehmen dominiert. Und weiter: Wo liegen die zentralen Herausforderungen? Was können wir machen? Wie können wir die Forschung stärken? Welche Trends gibt es? Im Pharmadialog ging es auch darum – ich glaube, das wird uns auch in Zukunft noch beschäftigen –: Wie vernetzt sich Forschung mit Versorgung? Kommen wir am Ende vielleicht zu einem System, in dem Forschung und Versorgung immer mehr verschmelzen? (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, der Pharmadialog hat bei allen Beteiligten zu einem Erkenntnisgewinn geführt. Wir sind damit für die nächsten Jahre gut aufgestellt und können darangehen, über die zentralen Herausforderungen zu diskutieren. Dass wir als Parlamentarier nicht daran beteiligt waren, kann ich verschmerzen. Ich kann Ihnen ganz offen sagen: Ich habe den Bericht gelesen. Da stand nichts drin, was mir als Parlamentarier nicht vorher schon bekannt gewesen wäre. Einer der Schwerpunkte im Gesetzgebungsverfahren ist natürlich die frühe Nutzenbewertung. Ich glaube – auch das hat der Pharmadialog gezeigt –, dass sich das System bewährt hat und viele Probleme von der Selbstverwaltung gelöst wurden. Am Ende gab es zwei Themen, über die wir intensiv diskutieren mussten: über die europäische Referenzierung und die damit verbundene Frage der Vertraulichkeit sowie über die chronischen Erkrankungen. Ich sage ganz offen: Ich bin nicht sonderlich traurig, dass die Vertraulichkeit der Arzneimittelpreise nicht kommt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Martina Stamm-Fibich [SPD]) Das hätte der Wähler im 21. Jahrhundert, in dem alle über Transparenz und Ähnliches reden, schlecht verstanden. Ich glaube, wir alle können ganz gut damit leben, dass es keine Vertraulichkeit der Arzneimittelpreise geben wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und ich sage auch, dass das eine Barriere für das Arztinformationssystem gewesen wäre. Ein ganz wesentlicher Baustein in diesem Gesetzgebungsverfahren war, einen Akzent im Bereich „Qualität der Versorgung“ zu setzen. Auch hier wäre Vertraulichkeit ein Hindernis gewesen. In Bezug auf chronische Erkrankungen war es richtig, dass wir die Möglichkeit für flexiblere Preise geschaffen haben. Deswegen glaube ich, dass wir folgende zwei Punkte gut abgearbeitet haben: Wir haben strukturelle Verbesserungen in Bezug auf den Bestandsmarkt vorgenommen, und wir schauen, wie wir mit Adaptive Pathways umgehen, um auch hier eine entsprechende Antwort zu finden. Wir wollten die Begleitdiagnostik und die personalisierte Medizin nach vorne bringen, sodass es am Ende richtig war, zum Beispiel auf die Umsatzschwelle zu verzichten. Wir wollen zwar keine Vertraulichkeit, aber wir wollen mit diesem Punkt der Pharmaindustrie das klare Signal geben, dass es für sie in Zukunft mehr Sicherheit und einen verlässlichen Rahmen gibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Wichtigste ist aber, glaube ich, dass wir das Thema „Qualität in der Versorgung“ nach vorne bringen. Ich habe schon das Stichwort „Arztinformationssystem“ genannt. Wir haben die Arzneimittelversorgung in den zurückliegenden Jahren immer unter dem Aspekt Wirtschaftlichkeit und nicht unter den Aspekten Versorgungssicherheit und Qualität diskutiert. Wir haben beim Thema Antibiotika etwas gemacht, und wir schauen, dass wir die Forschung im Bereich Kinderarzneimittel intensivieren. Wir gehen das Thema Lieferschwierigkeiten an, indem wir eine Meldepflicht etablieren. Aber ich glaube, dass wir uns hier in Zukunft vielleicht noch neuen Herausforderungen stellen müssen. Wir haben das Thema Zytostatika-Versorgung gut geregelt, und wir haben die Ausschreibungen für Impfstoffe abgeschafft. Das sind ganz wesentliche Bausteine, die die Qualität der Versorgung sicherstellen. Zum Schluss möchte ich noch sagen: Wir haben ein Signal an die mittelständische Industrie gesetzt, indem wir nicht nur Politik für Big Pharma, sondern eben auch für den Mittelstand gemacht und ihm Handlungsspielräume eröffnet haben. Deswegen möchte ich mich an diesem Punkt auch ausdrücklich bei der SPD bedanken, die sich sehr kooperativ gezeigt hat. Ich glaube, dass wir hier ein rundes Paket geschaffen haben, das uns Versorgungssicherheit und Planungssicherheit für die nächsten Jahre gibt. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist ein Lob!) Deswegen möchte ich mich bei allen Beteiligten herzlich bedanken. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist Frau Kathrin Vogler von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute will die Mehrheit von CDU/CSU und SPD in diesem Haus ein Gesetz beschließen, das die Versorgung mit Arzneimitteln stärken soll. Schauen wir doch einmal genauer hin, was jetzt tatsächlich geliefert wurde. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Da bin ich aber mal gespannt!) Der Gesundheitsminister Herr Gröhe hat sich mit seinen Ministerkollegen für Wirtschaft und Forschung zwei Jahre lang mit Industrievertretern getroffen, um den Pharmastandort Deutschland voranzubringen. Schon von der Anlage her war klar, dass hier nicht so sehr die Interessen der Patientinnen und Patienten und das Wohl der Versicherten im Mittelpunkt stehen sollten, sondern eben eine Standortpolitik. So sah dann auch Ihr erster Gesetzentwurf aus. Die Erstattungspreise für neue Medikamente, die die Krankenkassen auf der Basis der Nutzenbewertung nach dem ersten Jahr verhandeln, wollten Sie tatsächlich geheim halten. Damit sollten die Arzneimittelpreise in Deutschland angeblich gesenkt werden, aber eben um den Preis, dass bei unseren europäischen Nachbarländern keine Informationen über den realen Preis in Deutschland vorliegen und sie darüber getäuscht würden, sodass sie dann dort eben mehr als nötig bezahlen müssten. Ich sage Ihnen ganz klar: Europäische Solidarität, wie sie Frau Merkel und Herr Schäuble an anderer Stelle so gerne im Munde führen, sieht für uns nun wirklich anders aus. Deshalb haben wir von vornherein gesagt: Das geht gar nicht. (Beifall bei der LINKEN) Im Gegenzug wollten Sie den Unternehmen eine klitzekleine Kostenbremse für die superteuren Medikamente auferlegen. Erst ab einem Umsatz von 250 Millionen Euro im ersten Jahr sollte der Preis nach den Preisverhandlungen nachträglich rückwirkend gesenkt werden. Von dieser Maßnahme wären aber nur sehr wenige Medikamente betroffen gewesen. Wirkliche Einsparungen für die Krankenkassen hätte das kaum gebracht. Nun ist ja einerseits gegen eine solche Kostenbremse eigentlich nichts einzuwenden. Ich habe mich aber immer gefragt: Warum sollen eigentlich die Unternehmen im ersten Jahr den Preis ganz allein festlegen? (Tino Sorge [CDU/CSU]: Weil Forschung wirklich viel Geld kostet! Das müssten Sie doch wissen!) Um wirksam Kosten zu bremsen, hätte der Rabatt, den die Kassen und die Unternehmen nach dem ersten Jahr vereinbaren, ab dem Tag der Zulassung gelten müssen. Nur so wäre es wirklich eine echte Bremse gewesen. (Beifall bei der LINKEN) Dann hätten sich die Unternehmen auch gut überlegen müssen, ob sie Scheininnovationen – die den Patientinnen und Patienten nichts bringen, die Versicherten aber mit hohen Kosten belasten – wirklich massiv in den Markt drücken wollen. Statt aber diese Bremse nun richtig scharf zu stellen, haben Sie sie kurzerhand komplett gestrichen. Das ist, ehrlich gesagt, nicht zu fassen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen verlängern Sie jetzt das Preismoratorium. Das betrifft aber die neuen Medikamente gar nicht und wirkt wie ein Rasenmäher. Auch eher niedrige Preise dürfen nicht steigen, selbst wenn die Unternehmen höhere Ausgaben bei den Löhnen und höhere Energiekosten haben. Also, Politik für den Mittelstand, lieber Michael Hennrich, sieht echt anders aus. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nun sagen Sie: Es sollte ja gar nicht primär um Kosteneinsparungen gehen, sondern um die Versorgungssicherheit. – Wir haben in den letzten Jahren gerade bei essenziell wichtigen Medikamenten immer wieder mit Lieferengpässen zu tun gehabt. Auch Impfstoffe kamen immer öfter nicht in den Arztpraxen und Apotheken an. Zur Lösung dieser Probleme haben wir als Linke Ihnen sehr konkrete Vorschläge gemacht. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Aber nicht praxisnahe!) Man könnte etwa die Hersteller gesetzlich verpflichten, drohende Lieferengpässe frühzeitig zu melden und durch Vorratshaltung von wichtigen Medikamenten Vorsorge zu leisten. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das haben wir doch schon gemacht! Lesen Sie doch das Gesetz!) Bei Verstößen gegen die Melde- und Vorratspflicht müssten dann aber auch schmerzhafte Sanktionen drohen; denn schließlich geht es hier um die Gesundheit der Bevölkerung. Das aber wollen Sie nicht. Sie begnügen sich mit einem sogenannten Jour fixe und mit völlig unverbindlichen Meldepflichten. Bei diesem Jour fixe wird das Ministerium dann mit den Herstellern über die Engpässe sprechen. Ich sage es einmal so: Schaden tut das nicht. Aber hilft es? Gestern haben wir im Ausschuss noch eine ganze Reihe von Änderungsanträgen beraten, die in der Gesamtschau das Gesetz eher verbessert haben, zum Beispiel mit den Sonderregelungen für die Krankenhausapotheken. Man sieht schon, dass es auch in der Koalition ein paar Abgeordnete gibt, die daran arbeiten und sich bemühen, dem Ministerium ein paar Fortschritte abzuhandeln. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das Lob könnte man netter formulieren!) In einem Änderungsantrag folgen Sie sogar unserem Vorschlag und beenden die Ausschreibungsverfahren der Krankenkassen zumindest schon einmal bei den Impfstoffen. In der Begründung geben Sie auch zu, dass exklusive Rabattverträge zu Lieferproblemen führen können. Das ist, finde ich, ein schöner Erkenntnisfortschritt. Darüber habe ich mich gefreut. (Beifall bei der LINKEN) Insgesamt aber ist das Gesetz aus unserer Perspektive nicht geeignet, die Arzneimittelversorgung wirklich substanziell zu verbessern. Und gegen die Mondpreise haben Sie nun gar nichts getan. Das ist leider eine verschenkte Chance. Deshalb können wir auch trotz der positiven Ansätze nicht Ja zu diesem Gesetz sagen, sondern uns nur enthalten. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Immerhin!) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank. – Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Karl Lauterbach von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal lautet die Frage, die berechtigt gestellt wird: Ist das in Bezug auf die Arzneimittelversorgung ein Verstärkungsgesetz oder nicht? Ich will das an drei Beispielen klarmachen. Wir haben uns erstens sehr intensiv mit der Frage beschäftigt: Sollten die verhandelten Arzneimittelpreise transparent bleiben, oder sollten sie vertraulich sein? Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Im parlamentarischen Verfahren sind wir – wofür ich mich ausdrücklich bei allen Beteiligten bedanken möchte – zu dem Ergebnis gekommen, dass vertrauliche Preise nicht zeitgemäß sind. Wir leben in einer Zeit, wo wir mehr Transparenz in unserem Gesundheitssystem benötigen und wo sowohl die Ärzte als auch die Patienten ein Recht darauf haben, die Preise der verordneten Arzneimittel zu kennen, sonst kann keine wirtschaftlich vernünftige Verordnung getroffen werden und sonst kann der Patient ein Medikament nicht wertschätzen. Außerdem wäre das nicht nur für das Ausland von Bedeutung gewesen; denn selbstverständlich sind die Informationen über hohe Preise, die der Öffentlichkeit bekannt sind, auch ein Mittel, das den Krankenkassen hilft, in den Verhandlungen über die Arzneimittelpreise entsprechenden Druck aufzubauen. Daher ist diese Transparenz ein zeitgemäßes und sinnvolles Instrument, um im AMNOG-Verfahren überhaupt zu guten, gerechten und angemessenen Preisen zu kommen. Das ist eine Verstärkung dieses Verfahrens. Wir haben klipp und klar gesagt: Geheimpreise gehören dort nicht hinein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte zweitens ausdrücklich auf Folgendes hinweisen: Es ist ein unerträglicher Umstand, dass zwar in den Apotheken fast alle Medikamente lieferbar sind – es gibt in den Apotheken kaum Lieferengpässe –, dass aber in den Krankenhausapotheken zwischen 30 und 50 Arzneimittel, die für die Patienten unbedingt notwendig sind – fehlen diese Medikamente, kann das für die Patienten lebensbedrohlich sein –, entweder nicht erhältlich oder nur zeitweise erhältlich sind. Das ist ein Armutszeugnis, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass der Patient, wenn er diese Medikamente nicht bekommt, weil sie nicht lieferbar sind, dies nie erfährt. Ein Beispiel: Ein krebskrankes Kind wird in einem solchen Fall mit einer Kombinationstherapie behandelt, die nicht optimal ist, weil das entsprechende Medikament, zum Beispiel Alkeran, nicht vorrätig ist. Die Eltern und das Kind erfahren nie, dass auch eine andere Behandlung sinnvoll gewesen wäre. Gleichzeitig werden diese Medikamente teilweise im Ausland zu höheren Preisen noch verkauft, oder sie werden beim Großhandel gelagert, um sie für niedergelassene Onkologen über die Lieferkette bereitzustellen. Das sind unhaltbare Zustände. Das haben wir abgeschafft. Wir haben drittens eine Verpflichtung zur Meldung eingeführt. Wir haben darüber hinaus den Krankenhäusern die Möglichkeit gegeben, sich zu bevorraten, wenn der Hersteller nicht liefern kann. Er ist verpflichtet, dies zu melden. Das Krankenhaus kann sich für einen Zeitraum von über 14 Tagen bevorraten. Das ist eine dramatische Sanktion, weil die Hersteller, die liefern könnten, dies aber nicht tun, dadurch einen Kunden verlieren. Der Kunde, in diesem Fall das Krankenhaus, kann sich dann im Ausland die Medikamente besorgen. Somit wenden wir die Bedrohung vom Patienten ab und halten eine entsprechende Sanktion bereit. Das Arzneimittelgesetz hätte eine wirtschaftliche Sanktion in Höhe von maximal 25 000 Euro zugelassen. Die Sanktion, die wir jetzt beschlossen haben, geht weit darüber hinaus und beinhaltet klare Verantwortlichkeiten. Ich glaube, das ist auf jeden Fall ein Schritt in Richtung Versorgungsstärkung im Arzneimittelbereich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abschließend möchte ich sagen: Ich persönlich betrachte es auch als eine Verstärkung der Versorgung, wenn in den Arztinformationssystemen demnächst nicht nur die Preise, sondern auch die Leitlinien, die Therapiealternativen, die entsprechenden Bewertungen des AMNOG-Verfahrens durch das IQWiG so präsent sind, dass sie der Arzt elektronisch schnell und in einer verständlichen Art und Weise abrufen kann. Wir dürfen uns nicht täuschen: Oft ist tatsächlich die Praxissoftware die einzig belastbare und rasch zur Verfügung stehende Quelle für einen Arzt, um sich zu informieren. Wenn ein Arzt anhand der Software die Kosten eines Medikaments, die wissenschaftliche Bewertung des IQWiG und die Therapiealternativen sieht, dann ist er auf der Grundlage des besten wissenschaftlichen Stands in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Diese Möglichkeit war bisher nur im Ausnahmefall möglich und wurde von den Herstellern, die die notwendigen Informationen nur sehr zögerlich zur Verfügung gestellt haben, zum Teil unterlaufen. Das ist eine deutliche Verbesserung für die Ärzte. Das ist eine deutliche Verbesserung der Arzneimittelsicherheit. Das wird im Übrigen auch dazu führen, dass die auf Basis des AMNOG verhandelten Preise und die Nutzenbewertungen mehr Einfluss auf die Versorgung haben. Auch hier sehe ich eine Verbesserung im Vergleich zu vorher. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort hat nunmehr Frau Kordula Schulz-Asche von Bündnis 90/Die Grünen. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was vor zwei Jahren mit dem sogenannten Pharmadialog begann, findet nun heute sein vorläufiges Ende im sogenannten Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, das hier heute zur Abstimmung steht. Nach zwei Jahren Dialog und einem Jahr Beratung im Parlament ein solches Gesetz vorzulegen, halte ich für einen schlechten Scherz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Gesetz zeigt, wie unter einer Großen Koalition Reformstillstand dazugehört, und dies gerade im so wichtigen Bereich der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln. Wir hatten schon immer befürchtet, dass der Pharmadialog der Großen Koalition scheitern wird. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutierten drei Ministerien, zwei von der CDU und eines von der SPD geführt, gemeinsam mit der Pharmaindustrie über Mittel und Wege, die Arzneimittelforschung und den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Nur am Katzentisch, wenn sie überhaupt beteiligt waren, saßen die Krankenkassen, die Patientenvertreter, die Zivilgesellschaft, unabhängige Experten und die Bundestagsabgeordneten als Vertreter der gesetzgebenden Gewalt. Das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wird heute mit seiner Verabschiedung ein Beleg dafür sein, dass der Pharmadialog gescheitert ist; denn die komplexen Herausforderungen der Arzneimittelversorgung sind wieder nur vertagt worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was steht denn überhaupt in diesem Bauchladen, in diesem Gesetz? Das Preismoratorium für Arzneimittel, die vor 2011 auf den deutschen Markt kamen, wird nun bis Ende 2022 verlängert. Auch ich halte das für einen unvermeidbaren Schritt, um die derzeitige Arzneimittelversorgung überhaupt bezahlbar zu halten. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dies kein nachhaltiger Schritt ist und vor allem kleine und mittlere pharmazeutische Hersteller treffen wird, die die steigenden Lohnkosten durch die seit Jahren fixierten Preise nicht abbilden können. Außerdem werden die Rabattverträge abgeschafft, die bisher zwischen den Krankenkassen und Zytostatika-herstellenden Apotheken geschlossen wurden. Die neuen Instrumente sind hinsichtlich der Versorgung jedoch nicht ausreichend durchdacht. Unklar bleibt, wie die Qualität für die Patienten mit Krebserkrankungen auf Dauer gesichert werden kann. Meine Damen und Herren, das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten, Onkologen und Apotheken ist zentral für eine erfolgreiche Behandlung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei einem Markt mit einem Umsatz von 3 Milliarden Euro pro Jahr muss man darauf achten, dass auch die Korruptionsanfälligkeit wirklich ausgeschlossen ist. Es gibt ein paar richtige Korrekturen, die vorgeschlagen werden. Dazu zähle ich die Anhebung der Apothekenvergütung um rund 110 Millionen Euro, den verstärkten Einsatz von Diagnostika in der Antibiotikatherapie, um Resistenzen zu vermeiden, die Einführung des Arztinformationssystems – das ist gerade schon angesprochen worden –, damit die Nutzenbewertung endlich auch in der Arztpraxis ankommt und somit die Patientenversorgung gestärkt werden kann. Doch kommen wir zurück zu den vermeintlichen Versprechen des Pharmadialogs. Erst in dieser Woche, in letzter Minute, wurden zwei wesentliche Regelungen aus dem AMVSG entfernt. Die Umsatzschwelle, die die Kosten für neue, innovative Arzneimittel im ersten Jahr der Markteinführung begrenzt hätte, kommt nicht. Die Schwelle war mit 250 Millionen Euro ohnehin so hoch, dass sie im letzten Jahr nur bei drei Medikamenten wirksam geworden wäre. Anstatt die Schwelle abzusenken, wird die Regelung ganz gestrichen. Das ist wirklich unglaublich; denn das ermöglicht den Herstellern, im ersten Jahr der Markteinführung weiter unbegrenzt die Preise festzusetzen, die sogenannten Mondpreise. Das hätte wirklich nicht passieren dürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn wir die Preise gerade bei innovativen Medikamenten nicht in den Griff bekommen, dann werden entweder die Krankenkassenbeiträge explodieren, oder es werden immer mehr Patienten von der Versorgung ausgeschlossen. Deswegen fordern wir ganz deutlich, dass die zwischen Kassen und Herstellern ausgehandelten Rabatte vom ersten Tag der Markteinführung an gelten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Gestrichen wurde – glücklicherweise, muss man sagen – die Abschaffung der Transparenz der ausgehandelten Erstattungspreise. Diese Transparenz führt dazu, dass die in Deutschland ausgehandelten Preise auch in anderen Ländern als Referenzpreis dienen. Peinlich für die Bundesregierung ist nur, dass es ohnehin das einzige positive Ergebnis aus dem Pharmadialog für die Pharmaindustrie war, und das streichen Sie auch noch, meine Damen und Herren. Das einzige Ergebnis des Pharmadialogs ist seit Anfang dieser Woche Geschichte. Mittelfristig ist die Gesundheitsversorgung mit dem vorliegenden Gesetz nicht auf dem heutigen Stand zu halten. Sie haben es noch nicht einmal geschafft, dass alle damit zufrieden sind. Herr Gröhe hat gestern hier an dieser Stelle gesagt: Das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz ist ein Gesamtkunstwerk. – Das ist es weiß Gott nicht. Es ist vertane Zeit für alle Beteiligten gewesen. Der Pharmadialog ist ein Dialog nach dem Motto gewesen: Außer Spesen nichts gewesen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner ist Reiner Meier von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Reiner Meier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vergangenen Jahr haben unsere gesetzlichen Krankenkassen einen Überschuss von 1,38 Milliarden Euro erzielt. Das ist bemerkenswert; denn wir haben an mehreren Stellen die Leistungen für die Versicherten deutlich verbessert. Die gute Finanzsituation der Kassen ist damit Ausdruck einer verantwortungsvollen Ausgabenpolitik, die wir betreiben. Verantwortung heißt aber auch, das große Ganze in den Blick zu nehmen. Neben der optimalen Versorgung der Patienten gehören dazu wirtschaftliche und forschungspolitische Überlegungen; denn mit weit über 100 000 Arbeitsplätzen in der Pharmaindustrie steht uns ein großer Arbeitgeber und ein bedeutender Partner für unsere Hochschulen und unsere Forschung gegenüber. Damit das so bleibt, hat die Bundesregierung erfolgreich, Frau Schulz-Asche, einen Pharmadialog geführt, den wir mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz in wesentlichen Teilen umsetzen. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie die noch mal aufzählen?) Es ist parlamentarischer Usus, dass kein Gesetzentwurf den Bundestag so verlässt, wie er ihn erreicht hat. Ich meine aber, dass wir beim AMVSG am Ende ein noch besseres Paket geschnürt haben. So wird die Resistenzsituation künftig bei den Festbeträgen für Antibiotika berücksichtigt. Ähnliches gilt für kindgerechte Medikamente. In diesem Bereich stellen wir zudem klar, dass Arzneimittel, die nur für Kinder und Jugendliche erstattet werden können, von der Nutzenbewertung befreit werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit schaffen wir verlässliche Anreize für die Entwicklung von Antibiotika und Kinderarzneimitteln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dem Ende der Exklusivverträge bei Zytostatika tragen wir dem Umstand Rechnung, dass gerade in der Krebstherapie Ärzte und Apotheker zusammenarbeiten müssen. Hier muss die Sicherheit der Krebspatienten an erster Stelle stehen. Ebenso stärken wir mit dem Gesetz die Transparenz. Dies gilt bei Lieferengpässen, die nun einer Meldepflicht unterliegen, aber auch bei der Listung der Erstattungsbeträge. Transparenz steht auch hinter dem Arztinformationssystem. Künftig verfügen unsere Ärzte über eine zentrale Informationsquelle rund um alle Arzneimittel. Es geht weder darum, Werbung für neue Medikamente zu machen, noch darum, Ärzte zu billigeren Verordnungen zu drängen. Alleiniges Ziel ist es, den Ärzten eine stets aktuelle Übersicht über Präparate und das geltende Recht an die Hand zu geben. Ich sage ganz klar: Die Therapiefreiheit steht für uns nicht zur Debatte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Etwas ist mir persönlich besonders wichtig, nämlich die Abschaffung von Ausschreibungen bei Impfstoffen. Gemeinsam mit dem Kollegen Irlstorfer kämpfe ich schon seit Jahren für eine bessere Impfquote. Durch die Ausschreibungen waren oft nur noch die Impfstoffe der erfolgreichen Bieter in Deutschland erhältlich. Dadurch kam es immer wieder zu Engpässen, wenn der Hersteller nicht liefern konnte. Künftig stehen in der Versorgung alle zugelassenen Impfstoffe zur Verfügung. Wer eine Schutzimpfung will, muss keine Engpässe mehr fürchten. Das ist wirklich eine gute Nachricht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, vor vielen Jahren sagte man noch: Deutschland ist die Apotheke der Welt. – Apotheke, nicht Versender. Heute werden auf der ganzen Welt neue, innovative Medikamente entwickelt. Mit dem vorliegenden Gesetzeswerk bringen wir diese Fortschritte zu den Patienten und stärken gleichzeitig die Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln in unserem Land. Auch wenn wir im Parlament bisweilen Kompromisse finden müssen, bin ich davon überzeugt, dass das AMVSG ein gutes und ausgewogenes Gesamtpaket ist, eines, das die Arzneimittelversorgung in unserem Land sachgerecht und sinnvoll weiterentwickelt. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Meier. – Jetzt hat das Wort Martina Stamm-Fibich von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Martina Stamm-Fibich (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Besucher und Besucherinnen! Fast zwei Jahre – wir haben es gehört – haben Vertreter der Pharmaindustrie und der Bundesregierung im Pharmadialog verhandelt. Diese Form der Gespräche war unter demokratischen Gesichtspunkten eher ungewöhnlich. So waren weder die Krankenkassen noch die zuständigen Berichterstatter der Fraktionen beteiligt. Auf den Punkt gebracht: Wir Abgeordnete waren nicht Teil des Dialogs, mussten aber jetzt über das Gesetz beraten. Absprachen, die im Pharmadialog getroffen wurden, sind jedoch für uns Abgeordnete nicht bindend. Frau Kollegin Schulz-Asche, Gesetze werden eben hier gemacht. Das ist, glaube ich, auch gut so. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz als Ergebnis des Pharmadialogs einen vernünftigen Kompromiss erarbeitet und einen eigenen Fokus auf Transparenz und Qualität in der Versorgung gelegt. Folgende Änderungen finden wir als SPD-Fraktion besonders begrüßenswert: Seit Einführung des AMNOG im Jahre 2011 sind alle neuen, innovativen Epilepsie-Medikamente an der frühen Nutzenbewertung gescheitert. Der Epilepsie Bundes-Elternverband hat sich deshalb Mitte des Jahres 2015 mit einer Petition an den Deutschen Bundestag gewandt. Mit dieser Petition wurde eine Reform des AMNOG gefordert, damit die Versorgung aller therapieresistenten Menschen mit der Krankheit Epilepsie mit neuen Medikamenten sichergestellt wird. Die Petition befindet sich immer noch in der Prüfung. Wir haben aber mit diesem Gesetz jetzt eine Lösung zum Wohle dieser Patientinnen und Patienten gefunden; denn künftig können Hersteller, deren Medikament keinen Zusatznutzen hat, auch nach der Marktrücknahme mit den Krankenkassen über einen Erstattungsbetrag verhandeln. Wir gehen hier aktuell von rund 2 500 Betroffenen aus, die ihr Medikament aus dem europäischen Ausland erhalten, weil es auf dem deutschen Markt nicht mehr verfügbar ist. Epileptiker sind ein Beispiel für betroffene Patientinnen und Patienten; denn bei Krankheiten wie Epilepsie sprechen wir über Medikamente, die sehr individuell ansprechen. Zudem müssen diese Patienten häufig eine Vielzahl von Medikamenten einnehmen, und dabei kommt es oft zu Wechselwirkungen. Je größer die Bandbreite der auf dem Markt existierenden Arzneimittel ist, desto größer ist folglich die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten das für sie individuell richtige Medikament finden und damit anfallsfrei und selbstbestimmt leben können. Mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz haben wir jetzt die Chance genutzt und diese Rahmenbedingungen so geändert, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen besser versorgt werden können. Auch im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit konnten wir viele Verbesserungen erzielen. Seit rund 20 Jahren verweisen Experten auf das Problem der unzureichenden Arzneimittelversorgung für Kinder und Jugendliche. So sind etwa immer noch 20 Prozent der Arzneimittelverordnungen im ambulanten und beinahe 70 Prozent der Verordnungen im stationären Bereich außerhalb oder ohne eine formale Zulassung. Die Arzneimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche muss gestärkt werden. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die im Gesetz verankerte Übertragung von Evidenz bei Kinderarzneimitteln. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch die Neuerung im Bereich Festbetrag begrüßen wir; denn die bestehenden Festbetragsregelungen führen dazu, dass nicht ausreichend Arzneimittel mit neuen alters- und kindgerechten Darreichungsformen, also Säften und Lösungen, zur Verfügung stehen. Um dem entgegenzuwirken, haben wir eine gesonderte Berücksichtigung altersgerechter Darreichungsformen für Kinder bei der Bildung von Festbetragsgruppen beschlossen. Der Markt für Kinderarzneimittel ist deutlich kleiner und damit weniger profitabel als der Markt für Erwachsenenmedikamente. Die Marktkräfte allein reichen hier leider nicht aus, um die Entwicklung von Medikamenten für Kinder voranzutreiben. Deswegen haben wir als Gesetzgeber eine Hilfestellung geschaffen. Von Anfang an haben wir hier Verbesserungen gefordert. Wir fordern gemeinsam mit den Kollegen von der Union endlich die Abschaffung der Impfstoffausschreibungen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Da sind wir uns doch mal einig!) Impfungen sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und der beste Schutz vor schwerwiegenden Infektionserkrankungen. Über das Ziel einer hohen Durchimpfungsrate besteht gesellschaftlicher und überparteilicher Konsens. Aber noch immer sind die Impfquoten in Deutschland viel zu niedrig. Gerade bei der Grippe sind wir weit davon entfernt, das EU-Ziel von mindestens 75 Prozent geimpfter Senioren zu erreichen. Die Ärzteschaft fordert bereits seit 2014 die Abschaffung der Ausschreibung von Impfstoffen. Zuletzt kam es beim Grippeimpfstoff wirklich vermehrt zu Lieferengpässen; aber auch bei verschiedenen Standardkinderimpfungen gab es Engpässe. Das verunsichert die Patienten. Wir schaffen nun die Ausschreibungen ab und fördern damit die Versorgungssicherheit und langfristig sicher auch höhere Impfquoten. Last, but not least haben wir auch die Honorare der Apotheker für Rezeptur- und BtM-Gebühren um rund 100 Millionen Euro erhöht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesundheitsausgaben sind auch im Jahr 2015 gestiegen. Insgesamt haben sich die Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um 15 Milliarden Euro erhöht. Laut Statistischem Bundesamt ist im Jahr 2015 mehr als jeder neunte Euro für Gesundheit ausgegeben worden. Das ist erfreulich; denn die Gesundheit scheint einen hohen Stellenwert zu genießen. Immer mehr Menschen nehmen ihre Gesundheit ernst. Sie achten auf Ernährung, integrieren Sport in ihren Alltag und interessieren sich für die medizinische Vorsorge. Das ist richtig und wichtig; denn jeder Euro, der der Gesundheit der Bürger nutzt, ist gut angelegt. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Deshalb werden wir auch alle älter! Das ist gut!) Aber perspektivisch sollten wir darüber nachdenken, ob wir innerhalb der EU weiter das einzige Land sein wollen, in dem alle neu zugelassenen Arzneimittel zunächst zum Wunschpreis der jeweiligen Hersteller in den Markt eingeführt werden können. Um für Patientinnen und Patienten langfristig den Zugang zu einer modernen Arzneimitteltherapie und zu echten Innovationen erhalten zu können und gleichzeitig die Finanzierbarkeit sicherstellen zu können, müssen wir weiter an einem ausgewogenen Ausgleich der Interessen arbeiten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Martina Stamm-Fibich. – Schönen Nachmittag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war jetzt der zweite Wechsel zu mir. Ich hoffe, ich sehe Sie heute Nacht um eins auch – da bin ich wieder dran –; ich würde mich sehr freuen. Vielleicht brauchen wir da die Gesundheitsexperten sowieso. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kommen dann extra wegen dir noch mal vorbei!) Ich sehe, dass die Abdeckung an den Plätzen immer noch nicht wieder angebracht worden ist. Das kommt auch noch. Zwei Kolleginnen sitzen sozusagen im Freien. Letzter Redner in dieser Debatte: Thomas Stritzl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Thomas Stritzl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf den Zuschauern sagen: Das Dach ist dicht. Lassen Sie mich ein paar Anmerkungen machen; fast alles ist schon erwähnt worden. – Die Initiative des Bundesgesundheitsministers und dieser Koalition, den Gesprächsfaden zur Pharmabranche nach den Erfahrungen einer ganzen Legislaturperiode mit dem AMNOG qualifiziert wieder aufzunehmen, war gut und folgerichtig. (Beifall des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU]) Diesen Faden fortzuspinnen, erscheint mir genauso angezeigt, wie es mir ratsam erscheint, in dieser Frage eine geeignete Gesprächsebene mit dem Hohen Haus selbst zu finden. Es ist angesprochen worden, Frau Kollegin, dass das Gesetz heute eine andere Fassung als bei der Einbringung hat. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit Montag eigentlich schon!) Dass das so ist, finde ich auch richtig; denn sonst würde man ja sagen: Parlamentarische Beratungen haben gar keinen Wert. – Die Punkte sind auch ein bisschen schwieriger, als sie manchmal zu sein scheinen. So haben wir jetzt – Sie haben darauf hingewiesen – keine Preisvertraulichkeit mehr. Die forschende Industrie sieht darin einerseits einen Wettbewerbsnachteil auf internationaler Ebene; auf der anderen Seite sieht sie den Weg zur Eindämmung des versorgungsgefährdenden Parallelhandels verbaut. Andere feiern das, wie gehört, als Gewinn für mehr Transparenz. Bei der Einbringung des Gesetzes im November 2016 haben die Kolleginnen und Kollegen von der Linken gar eine zutiefst antieuropäische Einstellung des Ministers vermutet. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Mit was?) – Natürlich zu Unrecht. – Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin einmal kurz zitieren. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja. Thomas Stritzl (CDU/CSU): Ein für die Fachöffentlichkeit zugängliches Verzeichnis mit Listenpreisen und entsprechenden Rabatten existiert – bis auf die deutschen Erstattungsbeträge – bisher leider nicht. Dieses Zitat stammt aus einer Publikation des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. Wie Sie aus der Anhörung, die Sie sicherlich verfolgt haben, mitbekommen haben, hat Frau Dr. Vogler als Einzelsachverständige ausgeführt, dass immer mehr europäische Staaten dazu übergegangen seien, vertrauliche Rabatte zu vereinbaren, um der Bevölkerung Zugang zu hochpreisigen Medikamenten zu gewähren. Das sei ein Trend, den wir in den letzten Jahren gesehen hätten. In einer Erhebung, die 2011 von ihrem Behördennetzwerk gemacht worden sei, hätten damals 25 von 31 Ländern gesagt, dass sie vertrauliche Rabatte bei bestimmten Produkten haben. Vertraulichkeit ist also die europäische Realität und nicht die europäische Ausnahme. Das ist auch der Grund, warum die Industrie eine Wettbewerbsverzerrung vermutet. Man kann es anders sehen, aber bitte nicht behaupten, dass es antieuropäisch sei, wenn das, was in Europa gemacht wird, von anderen verlangt wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch zu einem anderen Punkt etwas sagen. Man muss sich natürlich überlegen, ob wir für so viel Transparenz sind. Ich habe gerade dem Herrn Professor zugehört, der von Geheimpreisen gesprochen hat. Wenn wir das so apodiktisch meinen – das können wir ja meinen und darüber reden; ich finde es gut, dass wir darüber diskutieren –, dann ist doch die Frage: Wieso hat der Patient keine Kenntnis über die Rabattpreise, wenn er, wie ich vorhin gehört habe, schon in der Apotheke wissen müsste, was das Medikament kostet, weil das für den Therapieerfolg ursächlich sei? Warum weiß die Kasse A nicht, was Kasse B bei einem gewissen Wirkstoff für einen Rabattvertrag vereinbart hat? Da haben wir doch die Vertraulichkeit. Wir sollten bitte schön nicht auf der einen Seite die Vertraulichkeit heiligsprechen und auf der anderen Seite einen solchen Ansatz verdammen. Ich stelle das nur dar, damit man sieht, dass man auch in der Sache sehr vernünftig über diese Punkte streiten kann. Aber sie eignen sich sicherlich nicht, Frau Kollegin, zur versuchten Stigmatisierung. (Beifall bei der CDU/CSU – Rudolf Henke [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Ein anderer Punkt ist die Frage des Ausschreibungsverzichts bei Impfstoffen. Da rennen Sie bei uns offene Türen ein. Wir waren immer dafür; der Kollege Henke hat vorhin darauf hingewiesen. Ich sage es noch einmal: Heiko Schmelzle, der früher bei uns für dieses Thema zuständig war und sich auch ganz wesentlich dafür eingesetzt hat – heute ist er wohlbestallter Bürgermeister –, hätte sich, glaube ich, ganz besonders über den Durchbruch gefreut. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich glaube, in der Gesamtsicht ist es richtig, dass wir den Menschen die Möglichkeit geben, sich besser und mit verbesserten Impfstoffen impfen zu lassen, dass wir die Impfquote bei Grippe – Sie haben es angesprochen, Frau Kollegin – von 35 Prozent auf 75 Prozent, wie die WHO empfiehlt, anheben sollten. Dies ist ein Weg, das zu tun, weil auch die produktionsspezifischen Eigenschaften bei Impfstoffen diesen Weg als angeraten erscheinen lassen. Ich halte ihn für richtig. Wir sollten ihn also auch gemeinsam gehen. Ein letzter Punkt, der angesprochen worden ist, ist die Streichung der Umsatzschwelle. Auch hier lassen Sie mich sagen: Ich glaube nicht, dass sich das zur Stigmatisierung eignet. Wir haben sehr bewusst und auch ganz offen miteinander über diesen Punkt geredet. Natürlich ist es so, dass das Preismoratorium die mittelständische Industrie, aber auch die Pharmaindustrie ganz massiv betrifft. Das ist eine Situation, die man nicht unbegrenzt fortschreiben kann. Umso wichtiger ist es, glaube ich, dass man Signale setzt, wo man sich noch entsprechende Verbesserungen wünscht. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Natürlich hat das erste Jahr ab Zugang zum Markt Bedeutung für die forschende Industrie, für neue Arzneimittel. Da kann man sich nicht so schlank hinstellen und sagen: Alles Mondpreise, alles zulasten der Versicherten! (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Doch, kann man!) – Nein, kann man nicht, gnädige Frau. Vizepräsidentin Claudia Roth: Und man kann das jetzt auch nicht weiter ausführen, weil Sie deutlich über der Zeit sind. Thomas Stritzl (CDU/CSU): Einen letzten Satz. – Sagen Sie mir bitte, was aus Sicht der Linken Heilung kosten darf. Der Wirkstoff gegen Hepatitis C gibt Hunderttausenden Menschen auf der Welt eine Chance auf Heilung statt auf Chronifizierung. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Millionen wird er verweigert, weil er zu teuer ist!) Das ist an Geld doch gar nicht zu bemessen. Und wenn wir die Forschungsschwerpunkte auf Heilung und nicht auf Chronifizierung lenken, dann haben wir im Sinne der Versicherten, der Patientinnen und Patienten ein wirklich gutes Werk getan. Auch das spiegelt sich in diesem Gesetz wider. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Kollege Stritzl. – Damit schieße ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11449, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10208 und 18/10608 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben die Grünen, enthalten hat sich die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Jetzt kommt Bewegung ins Parlament. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das tun wir gerne! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist gut für den Kreislauf!) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheiten angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Grünen, enthalten hat sich die Linke. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11457. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Dagegengestimmt haben CDU/CSU und SPD, dafürgestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen und enthalten haben sich die Linken. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 sowie Zusatzpunkt 9 auf: 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit in der Pflege – Personalbemessung in der Altenpflege einführen Drucksachen 18/9122, 18/11347 ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern Drucksache 18/11414 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Erwin Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben in dieser Legislaturperiode nahezu Historisches vollbracht mit dem, was wir in diesen fast vier Jahren durch unsere umfänglichen Pflegereformen auf den Weg gebracht haben. Das kommt auch den Pflegemitarbeiterinnen und mitarbeitern zugute. Ich möchte hier einmal sagen: Ich ziehe den Hut vor denen, die jeden Tag ihre Leistung in der Altenpflege und in der Krankenpflege erbringen. Das ist bemerkenswert. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das beste Geschenk wäre eine generalistische Ausbildung! – Gegenruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das glaube ich nicht!) Das ist fachlich hochqualifiziert, mit viel Empathie und mit viel Herzensbildung. Dafür darf man auch einmal an dieser Stelle Danke sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben in dieser Legislaturperiode viel für die Pflege vollbracht. Wir haben bereits mit dem Pflegestärkungsgesetz I in der stationären Pflege zusätzliche Betreuungs- und Aktivierungsangebote geschaffen und diese auf alle Pflegebedürftigen ausgedehnt. Wir haben eine neue Bemessungsgrundlage für das Betreuungsverhältnis geschaffen, sodass über 45 000 zusätzliche Betreuungskräfte in den stationären Einrichtungen zur Verfügung stehen. Das ist eine Riesenentlastung. Das bringt mehr Hände für die Pflege. Darauf können wir stolz sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das verbessert den Pflegealltag für die Pflegekräfte, aber auch für die Pflegebedürftigen. Ein ganz wesentlicher Beitrag, der außerdem geleistet wurde: Wir haben geregelt, dass bei Vergütungsverhandlungen zwischen Pflegekassen und Pflegeeinrichtungen das Zahlen von Tariflöhnen nicht als unwirtschaftlich eingestuft werden darf. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das war ja auch das Schlimme, was Sie in der letzten Legislaturperiode erst eingeführt haben!) – Wir mussten es auf jeden Fall gesetzlich regeln. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das war mehr als überfällig! Das haben Sie nämlich ausgehebelt!) – Deshalb sage ich ja: Wir haben in dieser Legislaturperiode mannigfaltige Dinge vollbracht, auch, dass mehr Lohn in der Pflege gezahlt wird. – Das, was wir mit dem PSG I für die tarifgebundenen Unternehmen gelöst haben, haben wir mit dem PSG III auch für die nicht tarifgebundenen gelöst. Es wird so sein, dass in den nächsten Monaten bzw. in wenigen Jahren das Zahlen von Tariflohn in der Pflege zum Standard wird. Dafür haben wir gesorgt. (Mechthild Rawert [SPD]: Na ja!) Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz haben wir der Selbstverwaltung den Auftrag erteilt, bis 2020 ein wissenschaftlich abgesichertes Verfahren zur Personalbemessung zu entwickeln. Damit soll künftig festgestellt werden, wie viele Pflegekräfte die Einrichtungen für eine gute Pflege brauchen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wann kommt das dann zum Tragen?) – 2020. Diese Jahreszahl ist mir schon bewusst. Aber wenn man es wissenschaftlich fundiert machen will, braucht man diese Zeit für ein ordentliches Ergebnis. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und in der Zwischenzeit machen die alle so weiter wie jetzt!) Wir haben 2015 mit dem Strukturmodell flächendeckend eine vereinfachte Pflegedokumentation im ambulanten wie im stationären Bereich eingeführt. Bürokratie senkt Motivation und verbraucht Zeit, die eigentlich für die Pflegetätigkeit dringend gebraucht wird. Mit dem Bürokratieabbau ermöglichen wir den Pflegekräften wieder mehr Zeit am Bett. Wir haben klargestellt, dass der mit der Entlastung einhergehende Zeitgewinn für die Pflegekräfte nicht durch Personalkürzungen konterkariert werden darf. Wir haben in dieser Legislaturperiode eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Situation in der Pflege auf den Weg gebracht. Wir haben gute Rahmenbedingungen geschaffen. Wir haben die Umsetzung der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege auf den Weg gebracht. Den Mindestlohn möchte ich hier erwähnen, ebenso die Aufwertung der Pflege durch eine wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung der Qualitätsinstrumente, insbesondere dadurch, dass wir in Zukunft die Ergebnisqualität stärker betonen. Wir haben auch die Förderung der Vermittlung von Pflegekräften aus dem Ausland gestärkt. Bereits nach geltendem Recht können in den Landesrahmenverträgen Verfahren zur Ermittlung des Personalbedarfs oder zur Bemessung von Pflegezeiten vereinbart werden. Bislang werden in den Ländern allerdings nur Richtwerte vereinbart. Im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes sind diese Rahmenverträge nun entsprechend anzupassen und auf die Pflegegrade hin neu auszurichten. Dies betrifft auch die Vorgaben zur Personalausstattung in Pflegeeinrichtungen. Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, nimmt diese Koalition die personellen Herausforderungen im Pflegebereich ernst und sorgt mit umfangreichen Maßnahmen dafür, den Pflegeberuf zu stärken, die Rahmenbedingungen zu verbessern und mehr qualifizierte Fachkräfte für die Altenpflege zu gewinnen. Es braucht aber nun einmal etwas Zeit, bis diese Maßnahmen die entsprechende Wirkung entfalten. Wir alle, die wir hier im Plenum sind, wissen, dass in Sachen Pflegepersonal auch über diese Legislaturperiode hinaus Handlungsbedarf besteht, zum Beispiel, wenn es darum geht, die Ausbildung der Pflegehelfer zu stärken und ihre Kompetenzen zu erweitern. Wir werden uns weiter darauf konzentrieren, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern. Das haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege verdient. Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass derjenige, der heute in der Pflege arbeitet oder eine Ausbildung in der Pflege macht, mit Freude bis zur Rente in diesem Beruf arbeitet. Das ist unser Ziel. Daran arbeiten wir in dieser Koalition. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Herr Rüddel. Darf ich Sie noch auf ein visuelles Moment hinweisen? Wenn Sie reden und da ein Licht aufleuchtet, bei dem „Präsident“ steht, dann denken Sie sich „Präsidentin“, und Sie wissen, dass Ihre Redezeit vorbei ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was?) Herr Rüddel, nächstes Mal halten wir uns daran. – Danke schön. (Volker Kauder [CDU/CSU]: An rote Lichter halten wir uns nie!) Nächste Rednerin: Pia Zimmermann für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Pia Zimmermann (DIE LINKE): Herzlichen Dank. – Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen konnten wir der Presse entnehmen, dass nach einer repräsentativen Umfrage des Zentrums für Qualität in der Pflege mehr als 40 Prozent der Bürgerinnen und Bürger das Thema Pflege so wichtig finden, dass sie ihre Wahlentscheidung davon abhängig machen wollen. Meine Damen und Herren von der Koalition, darum würde ich mir an Ihrer Stelle schon Sorgen machen. (Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist der Fall!) Sie haben es trotz vieler Gesetze versäumt, die Situation für die Menschen mit Pflegebedarf, für die Menschen, die pflegen, vor allen Dingen aber auch für die Beschäftigten in der Pflege grundsätzlich zu verbessern; (Heike Baehrens [SPD]: Nein! Das stimmt nicht!) denn die Befragung ergab auch, dass 71 Prozent von der Politik Verbesserungen für die Arbeitsbedingungen in der Pflege wünschen und erwarten. Fast zwei Drittel der Befragten fühlten sich schlecht oder sehr schlecht über die Pflegereform informiert, darunter sogar diejenigen, die selber Pflegebedarf haben oder selber pflegen. Das wird besonders dadurch deutlich, dass Sie eine der wichtigsten Berufsgruppen in der Pflege konsequent vernachlässigt haben: die Altenpflegerin und den Altenpfleger. Dabei müssten die Anerkennung und Wertschätzung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern sowie auch von Pflegehelferinnen und Pflegehelfern endlich spürbar und sichtbar werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn sie sind da, wenn sich niemand von Ihnen mehr dafür interessiert, was Ihre Gesetze ganz konkret am Pflegebett oder bei der Betreuung bedeuten. In keinem der sogenannten Pflegestärkungsgesetze haben Sie sich wirklich nachhaltig für die Belange der Altenpflegekräfte eingesetzt. Dabei sind die Anliegen der Pflegenden längst bekannt und stoßen auch in unserer Bevölkerung auf große Zustimmung. Es gibt eine gesellschaftlich breit getragene Forderung nach einer gesetzlichen Personalbemessung. Die Regierung hat in den Pflegestärkungsgesetzen beschlossen: Eine gesetzliche Personalbemessung ist bis 2020 wissenschaftlich zu prüfen. – Aber eine Umsetzung der Personalbemessung nach 2020 ist in keinem der Pflegestärkungsgesetze vorgesehen. Die teilhabeorientierte Pflege soll jetzt schon stattfinden. Wir wissen jedoch ganz genau: Bereits jetzt fehlt Pflegepersonal, und teilhabeorientierte Pflege bedeutet noch viel mehr Personal. Ich frage mich tatsächlich: Wie wollen Sie das denn umsetzen? Natürlich benötigen wir eine wissenschaftlich fundierte Personalbemessung. Da gehen wir mit, das unterstützen wir. (Beifall bei der LINKEN) Aber wissenschaftliche Untersuchungen über die Notwendigkeit und die Wirkung gesetzlicher Personalbemessung gibt es doch längst. Eins ist ganz klar – das sagen die Ergebnisse dieser Untersuchung sehr deutlich –: Je mehr Pflegepersonal vorhanden ist und je besser dieses Pflegepersonal ausgebildet ist, umso besser ist am Ende die Pflege, umso besser sind die Arbeitsbedingungen. Das kann man messen. Darum hören Sie endlich auf, sich dem politisch zu verweigern. (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Tun wir ja gar nicht!) Ich habe einige Beispiele als Belege für die Zustände in der Altenpflege mitgebracht: Viel zu oft ist nur eine einzige Pflegefachkraft für 60 bis 100 zu Pflegende in der Nacht alleine verantwortlich. Wenn eine Kollegin krank wird, gibt es selten Ersatz. Die Arbeit machen dann einfach diejenigen, die noch da sind, oder die Kolleginnen werden aus dem Feierabend zurückgeholt. Wenn die Fachkraftquote von 50 Prozent in einem Pflegeheim nicht eingehalten werden kann, werden Pflegehelferinnen entlassen, um den Proporz wiederherzustellen, weil es zu teuer wäre, Pflegefachkräfte einzustellen. Die Personalschlüssel in den Pflegeheimen werden laut aktuellen Recherchen regelmäßig unterschritten. Da frage ich mich: Wo bleibt eigentlich das Geld? Meine Damen und Herren, Sie müssen sich gefallen lassen, dass ich das alles sage; denn das alles ist erlaubt. Sie sind in der Regierungsverantwortung und lassen das zu. Wir haben keine bundesweit einheitliche gesetzliche Personalbemessung in der Altenpflege. Es reicht aus, dass eine examinierte Pflegefachkraft unterschreibt, egal ob sie 2, 20 oder 100 Menschen mit Pflegebedarf betreut. In der Altenpflege gibt es kein Pflegeförderprogramm wie in der Krankenpflege. Das muss sich ändern, und zwar sofort. Dafür steht die Linke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Gehen Sie selbst in die Alteneinrichtungen?) Wir legen Ihnen mit unserem Antrag Eckpunkte vor, aus denen hervorgeht, wie man die Altenpflege sofort verbessern kann. Wir wollen jetzt mehr Fachkräfte in der Altenpflege. Wir wollen aus dem unrentablen und unsinnigen Pflegevorsorgefonds einen Personalfonds machen, damit die Finanzierung angeschoben werden kann. Wir wollen, dass die Pflegesatzverhandlungen transparent gemacht werden und nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden, damit man endlich weiß: Was sind denn die Hemmnisse, die einem guten Pflegesatz entgegenstehen? Der Pflegesatz sollte natürlich auch einheitlich sein. Das Thema Pflege ist den Menschen wichtig, weil es alle betreffen kann. Die meisten wissen das auch. Sie wissen, wie dramatisch die Situation im Moment in der Pflege ist. Mein Dank, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, und mein Respekt gelten allen Pflegekräften in unserem Land, verbunden mit unserem Versprechen: Die Linke wird sich auch weiterhin für Pflegegerechtigkeit in unserem Land einsetzen, und das nicht nur sechs Monate vor der Wahl, sondern immer, die ganze Legislatur hindurch. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sozial auch nach der Wahl! – Mechthild Rawert [SPD]: Kein Respekt vor anderswählenden Pflegekräften!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Pia Zimmermann. – Nächste Rednerin: Mechthild Rawert für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Mechthild Rawert (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann es mir nicht verkneifen, zwei Anmerkungen zu meiner Vorrednerin bzw. zu meinem Vorredner zu machen: (Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber sehr überraschend!) Pflege ist sehr viel mehr als Altenpflege. Dieses Verständnis ist dringend notwendig, damit wir ein professionelles Pflegeverständnis und eine professionelle Pflegebildung umsetzen und durchsetzen. Altenpflege alleine ist ein Sektor, der uns nicht die entsprechende Lebensqualität garantiert, wenn wir einmal – wir sind durchschnittlich ja auch schon ein bisschen älter – vielleicht auf Pflege angewiesen sein werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, na, na!) Auch ich kenne die Untersuchung des ZQP. Ja, es ist richtig – das ist tatsächlich gesagt worden, und ich finde es gut, dass es gesagt worden ist –: Pflegepolitik gehört nicht nur in die Mitte der Gesellschaft. Pflegepolitik ist Bestandteil eines großen politischen Entscheidungsnetzwerkes; denn Pflege hat nicht nur gesundheitspolitische und bildungspolitische Elemente, sondern auch mikrotechnische Auswirkungen und sozialpolitische Auswirkungen und, und, und. Darauf weist der Bericht zu Recht hin. Aber die SPD muss sich nicht verstecken. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) Wir haben bzw. Martin Schulz hat längst angekündigt, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Angekündigt! Seit 150 Jahren kündigt ihr an! – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Wie war der Name? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) dass Pflege zu einem Kernthema des Wahlkampfes werden wird. Und ich sage Ihnen: Wir gehen gut gerüstet in die Auseinandersetzung. (Beifall bei der SPD) Grundlage dieser Debatte sind zwei Anträge. Der Antrag der Linken stammt vom Juli 2016, ist also alt, der Antrag der Grünen ist umso frischer, er stammt von gestern. Beide Anträge beschreiben einerseits reale Herausforderungen, vor denen die Pflege noch steht, andererseits wird so getan, als gäbe es die Pflegestärkungsgesetze nicht, als gäbe es das, was wir hier in der Großen Koalition die große Pflegereform nennen, nicht. Da kann ich nur sagen: Dieses Vergessen ist schade! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn wir haben viel erreicht. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue Begutachtungsassessment sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und werden von denen, die es betrifft, auch sehr gelobt. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was!) Wir wollen, dass die Pflegegrade die Grundlage sind, und – das ist auch richtig ausgeführt worden – wir wollen die entsprechenden personellen Zumessungen. Das passiert auch. Sowohl die Einrichtungen in der stationären Langzeitpflege als auch die der ambulanten Dienste sind darüber genauso hocherfreut wie letztendlich die pflegeempfangenden Menschen selbst; denn es funktioniert. Das sagen mir alle Gesprächspartner bei den Besuchen. Zum Thema Personalbemessung. Wer uns vorwirft, nichts zu tun, zeigt damit nur, dass er noch nicht einmal die Zeitung von dieser Woche gelesen hat. Die Expertinnen- und Expertenkommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“ hat die Personaluntergrenzen, die in bestimmten Bereichen nicht unterschritten werden dürfen, genau definiert. Das ist doch genau das, was wir wollen. Auch die Pflege im Krankenhaus gehört zum Bereich Pflege. Meine Bitte lautet: Lesen Sie das nach. Sie können dabei auch Wesentliches über die entsprechenden Indikatoren lesen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Noch sehr nebulös!) Weiterhin geht es mir um Folgendes: Sie haben zu Recht gesagt, dass die Pflegeberufe aufgewertet werden müssen, dass wir eine bessere Bezahlung brauchen. Es stimmt, dass die Pflegequalität mit einer besseren Ausbildung beginnt. Dazu findet man im Antrag der Linken kein Wort, (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei uns schon!) im Antrag der Grünen (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehrere Worte!) findet man das falsche Rezept und bei unserem Koalitionspartner totale Uneinigkeit; dort stellt man sich ja sogar gegen den eigenen Gesundheitsminister Gröhe. Fakt ist doch: Wir brauchen eine zukunftsfähige Ausbildung im Bereich Pflege; wir brauchen die Generalistik; wir brauchen das Pflegeberufereformgesetz; (Beifall bei der SPD) und wir brauchen diese Qualifizierung für alle Bereiche der Pflege – nicht mehr segmentiert nach Alter, nicht mehr segmentiert nach Pflegeorten. Nein, was macht denn der jüngere oder der ältere Mensch, wenn er aufgrund von Pflegebedürftigkeit seine Häuslichkeit verlässt, wenn er ins Krankenhaus muss, gegebenenfalls auch noch in die Rehabilitation, möglicherweise sogar in eine stationäre Einrichtung? Der jüngere und der ältere Mensch brauchen die gleiche hochqualifizierte Pflege. Die Grundlage für diese Pflege schaffen wir mit dem Pflegeberufereformgesetz. Wir brauchen also eine Ausbildung für das gesamte Berufsfeld der Pflege, und wir brauchen darauf ausgerichtete Fort- und Weiterbildungsangebote. Wir haben auch viele Verbesserungen für das Personal erreicht: bessere Personalschlüssel, bessere tarifliche Anerkennung. Als Gewerkschafterin sage ich aber: Selbstverständlich ist noch viel zu tun. Ich fordere uns alle auf, auch die in der Pflege und den Gesundheitsberufen Tätigen, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so!) uns hier verstärkt zu organisieren. Wir stehen ja auch für die Pflegekammern. Es geht um ein gutes Mitspracherecht beim Thema „Qualität in der Pflege“. Dieses Thema betrifft ja nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Unternehmen. Wie gesagt, wir haben viel erreicht, aber vieles bleibt auch noch zu tun. Seien Sie gewiss, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen Qualität in der Pflege. Wir wollen nämlich den Schutz der pflegebedürftigen Menschen gewährleisten. Seien Sie kooperativ. Ich bitte um das Pflegeberufereformgesetz. Danke schön. (Beifall bei der SPD – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Das Leben ist kein Wunschkonzert!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Mechthild Rawert. – Nächste Rednerin: Elisabeth Scharfenberg für Bündnis 90/Die Grünen. – Brauchen Sie einen Stuhl? – Nein, gut. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie braucht keinen Stuhl! Sie ist eine starke Frau!) Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie ich gerade eindrücklich bewiesen habe, ist Pflege keine Frage des Alters. Das kann jeden von uns jeden Tag, in jedem Alter und manchmal auch zeitweise treffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Deswegen sollten wir sehr ernsthaft an diese Debatte herangehen. – Ich möchte bei so einer Debatte ganz einfach auch sagen: Sehr geehrte Pflegekräfte in der gesamten Republik! Pflegekräfte arbeiten am Limit, und das schon ganz, ganz lange, und das ist uns auch schon ganz lange bekannt. Zum Glück tut sich da etwas: Die Pflege fängt endlich an, sich zu wehren. Letztes Jahr haben die Pflegekräfte an der Charité gestreikt, nicht für mehr Geld, nein, sie haben für mehr Kolleginnen und Kollegen gestreikt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Saarland ist sogar ein flächendeckender Streik geplant. Umso erstaunlicher ist es, dass die Bundesregierung bisher kaum etwas gegen den Fachkräftemangel in der Pflege unternommen hat. Ja, es wird gleich gerufen: „Wir haben doch ganz viel getan“, und ja, Sie haben eine Menge Pflegereformen in Angriff genommen, so viele wie nie zuvor in einer Wahlperiode. Aber ich frage Sie: Wie sollen sie umgesetzt werden, wenn an allen Ecken und Enden Personal fehlt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Ich kann Ihnen Einrichtungen zeigen, wo das klappt!) Wir haben durch das PSG II eine halbe Million Anspruchsberechtigte mehr. Wir haben einen neuen Pflegebegriff, der die Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen unterstützen und fördern soll. All das geht nicht ohne mehr Personal. Es geht auch nicht, ohne dass das Personal mehr Zeit hat. Das sind doch genau die beiden Punkte, die in der Pflege so viel Druck machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es sind die fehlenden Kolleginnen und Kollegen, und es ist der Kampf gegen die Zeit. Die Pflegekräfte machen Pflege mit der Stoppuhr. Das muss endlich gestoppt werden. Da muss endlich gehandelt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Lesen bildet!) Und was hat die Koalition getan? In der Altenpflege wollen Sie ein Personalbemessungsinstrument bis 2020 entwickeln und erproben. Im Krankenhaus sollen jetzt die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der GKV-Spitzenverband Personaluntergrenzen in pflegesensitiven Bereichen vereinbaren. Die durch den Pflegezuschlag und das Pflegestellen-Förderprogramm zusätzlich geschaffenen Stellen sollen erhalten bleiben. Also noch einmal: Was machen Sie? Sie lassen Zeit verstreichen, sehr viel Zeit. Sie entwickeln Instrumente, ohne dass von Einführung die Rede ist. Sie beauftragen eindeutig interessengeleitete Akteure mit der Personalfrage. Sie halten das Stellenniveau, statt es zu erhöhen. Angesichts des fortbestehenden Fachkräftemangels und angesichts des Drucks, unter dem Pflegekräfte täglich leiden, ist das schon fast zynisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Pflegekräfte brauchen bundesweit verbindliche Personalbemessungsinstrumente und eine verbindliche Finanzierung des ermittelten Personals. Pflegekräfte brauchen gute Arbeitsbedingungen. Dazu gehören verlässliche und planbare Arbeitszeiten. Das ständige Holen aus dem Frei ist zur Normalität geworden. Ruhe- und Erholungszeiten enden schlagartig, wenn am Wochenende oder im Urlaub das Handy klingelt und Pflegekräfte damit in den Dienst geholt werden. Das schafft Frust und macht die Pflegekräfte am Ende des Tages auch einfach krank. Wenn wir uns darum nicht kümmern, dann können wir noch so viele Personalbemessungsinstrumente einführen und werden dennoch keine Pflegekräfte finden. (Mechthild Rawert [SPD]: Wir entwickeln und erproben!) Pflegekräfte brauchen eine angemessene Bezahlung. Tariflohn für alle sollte die Normalität sein. Das ist grundsätzlich erst einmal Sache der Tarifpartner. Das ist auch gut so. Aber der Gesetzgeber kann Hilfestellungen geben, was ja nun auch passiert ist. Tarifliche Vergütungen dürfen bei den Entgeltverhandlungen im stationären Bereich nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Das ist gut, sollte aber natürlich auch für die häusliche Krankenpflege ermöglicht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier hat Schwarz-Rot bislang nicht gehandelt. Ein Tarifvertrag Soziales könnte für faire Gehälter in der Pflege sorgen. (Mechthild Rawert [SPD]: Stand im Wahlprogramm 2013 der SPD!) Ein Tarifvertrag Soziales könnte durch die Politik für allgemeinverbindlich erklärt werden. Pflegekräfte brauchen mehr Kompetenzen und echte Aufstiegs- und Karrierechancen. Darum wollen wir, liebe Mechthild Rawert, eine integrativ-gestufte Ausbildung – (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist ja das falsche Rezept!) eine Ausbildung, die modular gestaltet ist, sodass ein Wechsel zwischen den Berufsfeldern und der Aufstieg von der Pflegehelferin bis hin zur Pflegeprofessorin möglich sind. Wenn eine Pflegekraft die notwendige Qualifikation erworben hat, dann soll sie bestimmte Tätigkeiten auch selbstständig ausüben dürfen. Pflege ist eine eigenständige Profession und nicht nur eine Entlastungstätigkeit für Ärzte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU] – Mechthild Rawert [SPD]: Deshalb Generalistik!) Pflegekräfte brauchen mehr Mitspracherechte. Dort, wo politische Entscheidungen getroffen werden, sind Pflegekräfte aber kaum beteiligt. Ein Beispiel: In dem Gremium, das Empfehlungen zur sektorübergreifenden Versorgung abgeben soll, ist keine Beteiligung der professionellen Pflege vorgesehen. Aber Pflegekräfte sind der Dreh- und Angelpunkt in einer Versorgung, an der Hausärzte, Fachärzte, andere Gesundheitsberufe, Krankenhäuser usw. beteiligt sind. Pflegekräfte machen eine sektorübergreifende Versorgung doch überhaupt erst möglich. Von den Landespflegeausschüssen ganz zu schweigen! Dort kommt die Pflege nämlich überhaupt nicht vor. Vizepräsidentin Claudia Roth: Darf ich an die Redezeit erinnern? Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. – Es wird wieder einmal über die Pflege geredet und nicht mit der Pflege. Das geht gar nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darum sage ich zum Schluss noch einmal ganz deutlich, um es auf den Punkt zu bringen, Herr Kauder: Wir brauchen endlich eine Lobby für die Pflege. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Die SPD!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Elisabeth Scharfenberg. – Nächster Redner ist der Kollege Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge der Fraktionen der Grünen und der Linken befassen sich mit einem sehr wichtigen und ernstzunehmenden Thema: mit der Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen und den Mitspracherechten von Pflegekräften. Wir wissen, dass das wichtig ist. Ich möchte, bevor ich mit meinen Ausführungen beginne, verehrte Frau Rawert, sagen: Ich bin froh, dass Sie viele Dinge gesagt haben, die durchaus richtig sind. Sie sagen, dass Pflege ein Zukunftsthema ist. Das ist richtig. Aber ich bin etwas verwundert und frage mich, was die Zukunft unseres Landes mit der Person Schulz zu tun hat. Das überrascht mich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das möchte ich an dieser Stelle sagen. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich bei den Begründungen der Anträge und bei den Problemlösungsvorschlägen der Linken und auch der Grünen gewisse Zweifel habe, wie das Ganze funktionieren soll. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rezepte funktionieren gar nicht!) Kollegin Scharfenberg hat gesagt, dass unsere Krankenhäuser, unsere Altenheime und unsere Senioreneinrichtungen nur deshalb so gut und so ordentlich funktionieren, weil wir engagierte Menschen haben, die in der Pflege (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Verheizt werden!) arbeiten. Das wissen wir. Wenn ich mich mit den Bediensteten in den Krankenhäusern unterhalte, geht es nicht nur um eine ordentliche Bezahlung, wobei das eine Grundvoraussetzung sein muss; das haben wir in dieser Legislaturperiode noch einmal zementiert und verfestigt. Es geht einfach darum, dass wir auf unseren Stationen ordentlich aufgestellt sind. Man kann natürlich in der Theorie darüber sprechen. Man kann das Ganze natürlich immer wieder gesetzlich einfordern; das ist alles vollkommen klar. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wir meinen die Praxis!) Aber ich glaube, es ist notwendig, dass wir bei der Praxis – hören Sie lieber zu – ansetzen, statt fiktive Zahlen in den Raum zu werfen. Es fehlt auch nicht an Geld, sondern es fehlt an der Motivation. Es geht darum, dass wir die Menschen dazu bringen, diesen Beruf zu ergreifen. (Mechthild Rawert [SPD]: Die Menschen sind nicht schuld, wenn die Bedingungen schlecht sind!) Es ist unsere politische Aufgabe, hier zu motivieren. Das werden wir nicht mit Ihrer destruktiven Haltung, die Sie hier immer wieder zeigen, schaffen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wann waren Sie das letzte Mal im Krankenhaus? – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Oder im Altenheim?) Zur Pflege in den Einrichtungen erzählen Sie – vor allem Sie, Frau Zimmermann – Woche für Woche hier irgendetwas, was so nicht stimmt. In Deutschland wird hervorragende Pflege geleistet. Das ist die Situation. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Lutze [DIE LINKE]: Unsinn!) Ich kann Ihnen nur eines sagen: Ich habe viele, viele dieser Einrichtungen besucht. Ein Hauptthema ist, dass wir zu wenig Menschen auf den Stationen haben. Ein anderes Hauptthema ist das ganze Dokumentationswesen. Wir brauchen Digitalisierung auf den Stationen und Digitalisierung am Bett. Das ist notwendig und wichtig. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe in den letzten anderthalb Jahren all diese Dinge, über die wir hier in der Theorie abgestimmt haben, im privaten Bereich erleben dürfen und müssen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass das, was hier in den letzten Jahren im Rahmen der Pflegestärkungsgesetze entschieden worden ist, vor Ort greift. Der Dreiklang – wir haben hier eine neue Melodie aufgesetzt –, dass wir uns um die zu Pflegenden kümmern, dass wir auch die Angehörigen mitnehmen und natürlich auch die Beschäftigten, ist erfolgreich. Den Erfolg dieses Dreiklangs können Sie nicht abstreiten; denn er kommt draußen an. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir hier über die Ausbildungszahlen sprechen, kann ich nur das Statistische Bundesamt zitieren. Wenn wir die Situation in 2005 und in 2015 betrachten, sehen wir Folgendes: Wir hatten in der Altenpflege 2005  45 000 Auszubildende; jetzt haben wir 66 285. In der Krankenpflege hatten wir damals 57 257 Ausbildungsverträge; jetzt haben wir über 64 000. Das sind Zahlen, das sind Fakten, das sind Realitäten. Deshalb liegen wir richtig. Trotzdem machen wir weiter und sagen: Wir wollen und brauchen ein ordentliches Ausbildungssystem. Wir sind auch hier komplett beieinander und sagen: Wir wollen eine generalistische Ausbildung in den Bereichen, in denen man generalistisch ausbilden kann. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ja, wie Anatomie! Dann hört’s auf!) Warum denn nicht? Aber wir möchten auch, dass die Spezialisierung in den einzelnen Berufen bestehen bleibt, weil sie ein Qualitätsmerkmal ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Mechthild Rawert [SPD]: Aber das zählt überhaupt nicht! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch!) Deshalb werden wir auch weiterhin in diese Richtung verhandeln. Ich glaube, wir sind auf einem guten und ordentlichen Weg, das hoffentlich auch hinzubekommen. Ich würde mich freuen, Frau Rawert, wenn auch Sie in dieser Richtung mitmachen würden. (Mechthild Rawert [SPD]: Na ja, manchmal gehen wir aber auch in verschiedene Richtungen!) In diesem Sinne: Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Erich Irlstorfer. Das war auf die Sekunde genau. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Der Erich weiß, wie man es macht!) Nächste Rednerin: Heike Baehrens für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heike Baehrens (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute wieder einmal über ein Thema debattieren können, das uns Sozialdemokraten besonders am Herzen liegt, (Tino Sorge [CDU/CSU]: Nicht nur Ihnen! Auch uns!) nämlich über eine würdevolle Pflege im Alter oder bei Krankheit. Ich bin sehr froh darüber, dass wir einiges von dem, was dafür notwendig ist, in dieser Legislaturperiode tatsächlich miteinander auf den Weg bringen konnten. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU]) Insofern hinken Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, mit Ihrer zentralen Forderung der Realität etwas hinterher. Denn ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen zu entwickeln und zu erproben, ist längst beschlossen und in Auftrag gegeben. (Beifall der Abg. Bärbel Bas [SPD] – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Trotzdem fehlt das Personal schon jetzt! Davor kann man die Augen nicht verschließen!) Gerade für die Pflegeheime ist es dringend notwendig, die Pflegeschlüssel neu zu bestimmen. Denn in den meisten Bundesländern wird noch heute mit den gleichen Personalrichtwerten wie vor 25 Jahren gearbeitet, und das, obwohl sich die Bewohnerstruktur in den Pflegeheimen inzwischen völlig verändert hat. Wesentlich mehr Menschen mit fortgeschrittener demenzieller Erkrankung, ein höherer Bedarf an medizinischer Behandlungspflege, kürzere Verweildauern und intensivere Begleitung in der letzten Lebensphase, das kennzeichnet die heute beschriebenen Anforderungen. Sie können mit den alten Personalschlüsseln nicht ausreichend bewältigt werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU]) Darum ist es so wichtig, tatsächlich tragfähige Grundlagen für die Personalbemessung zu schaffen. Aber auch unabhängig davon sind die Verhandlungspartner der Selbstverwaltung, also die Einrichtungen und die Kostenträger, aufgefordert und in der Pflicht, bereits vorhandene Erkenntnisse umzusetzen. Denn sie können in Pflegesatzverhandlungen selbstverständlich nicht nur die auskömmliche Finanzierung, sondern eben auch gute Personalschlüssel vereinbaren. Das wurde im vergangenen Jahr im Zuge der Umstellung auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff vielerorts tatsächlich gemacht. Dafür haben wir als Große Koalition mit den Pflegestärkungsgesetzen I und II die Grundlage geschaffen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Mehr Personal!) Woran wir aber schon heute denken müssen: Mehr Personal kostet auch mehr Geld. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Ja, richtig!) Im jetzigen System zur Finanzierung der Pflegeversicherung führt das dazu, dass die Eigenanteile der Pflegebedürftigen steigen. Diese Eigenanteile sind aber schon heute außerordentlich hoch und überfordern viele Betroffene. Darum werden wir als SPD sehr genau beobachten, wie sich die vielen Neuerungen der Pflegereformen auswirken. Wenn es so sein sollte, dass die finanzielle Belastung der Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner noch weiter steigt, dann werden wir in der nächsten Legislaturperiode die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen. Es kann jedenfalls nicht sein, dass die steigenden Personalkosten allein von den Pflegebedürftigen bezahlt werden müssen. Nein, da benötigen wir andere Ideen und Finanzierungskonzepte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU]) Wir werden beim Personal definitiv nicht sparen können. Nein, wir werden vielmehr ins Personal und in bessere Rahmenbedingungen für die Pflege investieren müssen. Denn wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen nicht länger hinnehmen, dass Pflegekräfte immer mehr Aufgaben in immer weniger Zeit verrichten müssen, dass engagierte Pflegekräfte aus dem Beruf aussteigen, weil sie sich überfordert fühlen, dass Pflegekräfte eine zunehmende Entfremdung von ihrer Arbeit empfinden, weil sie ihren Arbeitsalltag mit ihrem Verständnis von einer würdevollen Pflege nicht in Einklang bringen können. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Und warum ist das so? Weil zu wenig Personal da ist!) Wir wollen es nicht länger hinnehmen, Frau Zimmermann, dass die Ökonomisierung und die zunehmende Arbeitsverdichtung den Pflegekräften keinen Raum mehr für den eigentlichen Kern der Pflege lassen, nämlich für Zuwendung, für Anteilnahme und für den Blick auf den pflegebedürftigen Menschen mit seinem individuellen Bedarf und seinen sozialen Bezügen. Das ist es, was sich die Pflegekräfte wünschen und was diesen Beruf wieder attraktiver machen würde; denn wir brauchen – das wurde heute schon angesprochen – nicht nur eine bessere Personalbemessung, sondern auch die Pflegekräfte, die die zusätzlichen Stellen mit Leben füllen. Sollen sich mehr Menschen für diesen verantwortungsvollen Beruf begeistern lassen, braucht es eben neben verbesserten Arbeitsbedingungen vor allem eine höhere Wertschätzung und mehr Anerkennung. Daher zum Abschluss mein Appell an die Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion: Blockieren Sie nicht länger die dringend notwendige Pflegeberufereform. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Maria Michalk [CDU/CSU]: Wir arbeiten dran! – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Der Ball liegt bei Ihnen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Heike Baehrens. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Ute Bertram für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ute Bertram (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beide Anträge, der Antrag der Fraktion Die Linke und auch der auf die Schnelle nachgeschobene Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, machen die Personalausstattung in den Pflegeeinrichtungen zu einem Thema, das angeblich dringendsten Handlungsbedarf aufweist. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was heißt hier „angeblich“?) Es ist keine Frage: Die Ausstattung der Pflegeeinrichtungen in Deutschland mit qualifiziertem und motiviertem Personal und einem geeigneten Personalschlüssel ist eine noch fertigzustellende Baustelle. Deshalb haben CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag 2013 auch vereinbart, sich – Zitat – „im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten für Personalmindeststandards im Pflegebereich“ einzusetzen. Diese Vereinbarung haben wir auch eingelöst. Wir haben die Pflegestärkungsgesetze I, II und III verabschiedet und damit die Türen aufgestoßen, damit die Lage in unseren Pflegeeinrichtungen verbessert werden kann. Wir alle wissen: Jede Einrichtung und jede Organisation kann nur so gut sein wie das Personal, das darin arbeitet. Wer also Qualität will, muss dafür sorgen, dass qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorhanden sind. Dies alles trifft auch auf die Pflege zu. Dementsprechend hat der Bundestag die einschlägigen Vorschriften im SGB XI ausgestaltet. Gerade mit dem Pflegestärkungsgesetz II vom Dezember 2015 hat sich die Koalition der Personalbemessung in unseren Pflegeeinrichtungen angenommen, und mit dem neuen § 113c SGB XI hat sie die bundesgesetzliche Grundlage geschaffen, damit die sogenannten Vertragsparteien an die Arbeit gehen und den ihnen auferlegten Auftrag erledigen können. Bei diesen Vertragsparteien handelt es sich um den Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, also der Länder, die kommunalen Spitzenverbände und die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen. Zu beteiligen sind außerdem der MDK, die PKV, die Verbände der Pflegeberufe und der maßgeblichen Organisationen pflegebedürftiger und behinderter Menschen. Schließlich sind die Entwicklung und Erprobung eines einheitlichen Personalbemessungsverfahrens im Einvernehmen mit dem BMG und dem BMFSFJ sicherzustellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dieser Aufzählung will ich Sie nicht langweilen, sondern unterstreichen, dass die Ermittlung einer fundierten Personalbemessung eine Aufgabe ist, die zwingend viele Akteure erfordert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der gesetzliche Auftrag lautet, „ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs“ nach qualitativen und quantitativen Maßstäben zu entwickeln und zu erproben. Dazu hat der Gesetzgeber eine Frist bis zum 30. Juni 2020 gesetzt. Der Koalition ging es dabei auch um den Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau, das finden die Betroffenen bestimmt auch!) Ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren, um den Personalbedarf in den Pflegeeinrichtungen nach einheitlichen Grundsätzen qualitativ und quantitativ zu bestimmen, hat uns bisher nicht vorgelegen. Damit wird einerseits der notwendige Druck auf die Akteure ausgeübt, sich an die Arbeit zu begeben, und andererseits auch die Zeit gegeben, zu einem seriösen Ergebnis zu kommen. Hierbei sind der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und die neuen Pflegegrade ebenso zu berücksichtigen wie bereits vorliegende Untersuchungen und Erkenntnisse unter anderem zu Anforderungs- und Qualifikationsprofilen in der Pflege. Die Regelung bezieht sich sowohl auf stationäre als auch auf ambulante Pflegeeinrichtungen. Dabei sind insbesondere die historisch gewachsenen und teilweise sehr unterschiedlichen Personalrichtwerte auf Landesebene in stationären Pflegeeinrichtungen und die Entwicklungen in der ambulanten Pflege zu berücksichtigen. Bei dieser Sachlage ist es doch angezeigt, unsere wohlüberlegten Entscheidungen vom Dezember 2015 wirken zu lassen. Jedenfalls gibt es für meine Fraktion keinen Grund, nun alles zugunsten einer hektischen Betriebsamkeit über den Haufen zu schmeißen und einen Zeitdruck aufzubauen, aus dem auf jeden Fall nichts Gescheites erwachsen kann. Auch im Gesundheitsbereich haben wir doch alle genug Erfahrungen gesammelt, dass zu kurz bemessene Fristen uns als Gesetzgeber immer wieder gezwungen haben, längere Leine zu geben. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist wahr!) Ein Qualitätsmerkmal für eine gute Gesetzgebung war das noch nie. Deshalb spricht jetzt auch alles dafür, dass wir im Wissen um die gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen in der Pflege Kurs halten und unsere beschlossenen Maßnahmen wirken lassen, anstatt mitten im Lauf die Richtung und die Geschwindigkeit zu wechseln. Letztlich kann die Personalproblemlösung nur gelingen, wenn die Akteure mit Gewissenhaftigkeit und Verlässlichkeit rechnen können. Eigentlich wissen das auch die Antragsteller. Deshalb wird es Sie nicht verwundern, dass wir den Antrag der Linken ablehnen werden. Wir werden dann noch Gelegenheit haben, über den Antrag der Grünen im Ausschuss zu beraten, um dann zu entscheiden. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ute Bertram. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gute Arbeit in der Pflege – Personalbemessung in der Altenpflege einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11347, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9122 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Die Linke war dagegen, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Zusatzpunkt 9. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11414 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt kommen wir – ich lasse mir mit dem Vorlesen Zeit, damit der Minister dann auch Gehör findet – zu einem neuen Tagesordnungspunkt, genauer gesagt zu den Tagesordnungspunkten 11 a und 11 b: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) Drucksache 18/11325 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Korte, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken Drucksache 18/11401 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das auch so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte teilnehmen wollen, Platz zu nehmen, weil ich die Aussprache gerne eröffnen würde. Ich erteile Dr. Thomas de Maizière für die Bundesregierung das Wort. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel des heute zu beratenden Gesetzes ist lang und kompliziert. Auch der Text wirkt auf den ersten Blick kompliziert. Der Inhalt aber ist es im Wesentlichen nicht. Vielleicht wird auch nicht jedem sofort die Bedeutung des Gesetzes klar, wenn man den Titel hört. Datenschutz war früher oft etwas für Kenner und Spezialisten. Abstrakt waren alle dafür. Streit gab es dann bei der konkreten Anwendung. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!) Jetzt geht es um viel mehr Daten als früher. Jetzt geht es nicht mehr um ein Spezialrecht für wenige Daten; jetzt geht es um die Grundlage unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und unsere wirtschaftliche Entwicklung. Wir setzen mit diesem Gesetz europäisches Recht um. Auch das klingt rechtstechnisch. Im Mai vergangenen Jahres sind zwei EU-Rechtsakte in Kraft getreten: die europäische Datenschutz-Grundverordnung und die Datenschutzrichtlinie für die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz. Die Datenschutz-Grundverordnung wurde vier Jahre lang mit viel Mühe, mit langem Atem und mit sehr unterschiedlichen Interessen zwischen allen möglichen Beteiligten verhandelt. 28 unterschiedliche Datenschutzrechtsregeln in 28 Mitgliedstaaten mit all den Nachteilen, die das für Wirtschaft und Verbraucher bei grenzüberschreitenden Sachverhalten hatte: All das wird jetzt beendet. Es werden in Europa einheitliche Regeln gelten, grenzüberschreitend einheitliche Datenschutzstandards und eine einheitliche Datenschutzaufsicht für Unternehmen – davon profitieren Bürgerinnen und Bürger genauso wie die Wirtschaft. Es gilt: ein Markt – ein Recht. Das gilt auch für Dienste, die von außerhalb Europas in Europa angeboten werden, etwa für die vielen sozialen Netzwerke, die Sie alle kennen und jetzt möglicherweise gerade nutzen. Dienste, die von außerhalb angeboten werden und in Europa, also in Deutschland, in Irland, in Italien – wo auch immer –, abgerufen werden, unterfallen alle nach dem Marktortprinzip einem Recht, und zwar unserem europäischen Recht. Dass sich in EU-Mitgliedstaaten Unternehmen ansiedeln, die bewusst auf Oasen mit niedrigen Datenschutzstandards setzen, wird es künftig nicht mehr geben. Das ist gut, das ist richtig, und das war längst überfällig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Ich bin über diesen Beifall erstaunt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal wundert man sich noch!) Die Datenschutz-Grundverordnung funktioniert aber nicht ohne nationale Gesetzgebung. Eine Verordnung ist unmittelbar geltendes Recht. Wir debattieren gerade noch mit der Kommission darüber: Was darf man zitieren und aufschreiben? Aber auf jeden Fall enthält die Datenschutz-Grundverordnung Handlungs- und Gestaltungsaufträge für den nationalen Gesetzgeber. Nehmen Sie etwa den Auftrag zur Festlegung der deutschen Vertretung im Europäischen Datenschutzausschuss, der Instanz, die künftig maßgeblich über die Auslegung dieser Datenschutz-Grundverordnung entscheidet. Das können, ehrlich gesagt, nicht 16 Datenschutzbeauftragte aus Deutschland sein. Da muss man sich schon etwas kohärenter aufstellen. Das schlagen wir hiermit vor. Wir nehmen diese und weitere Gestaltungsaufträge verantwortungsbewusst wahr. Deutschland schöpft dabei den Rahmen moderat aus. Deutschland überschreitet keine gemeinschaftlichen Grenzen. Herr Abgeordneter von Notz, weil Sie sicherlich gleich darauf eingehen werden: Deutschland unterschreitet auch nicht das nationale Datenschutzniveau – an keiner einzigen Stelle. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sind im Übrigen allen Gesetzgebern zeitlich weit voraus, sowohl im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten als auch im föderalen Gefüge. Alle Bundesländer müssen nämlich ihre Gesetze daraufhin überprüfen, ob sie dem ab Mai geltenden Recht standhalten. Wir wollen deshalb frühzeitig Rechtssicherheit schaffen und geben allen Beteiligten genug Zeit, sich auf die neue Rechtslage vorzubereiten. Im Mai tritt das europäische Recht in Kraft. Ohne das neue Recht bleiben wesentliche datenschutzrechtliche Kontroll- und Sanktionsmechanismen unvollkommen, oder es findet ohne Deutschland statt. Beides ist schlecht. Auf der anderen Seite bitte ich um eine zügige Verabschiedung, weil ohne das neue Gesetz notwendige Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung durch öffentliche Stellen fehlen würden; denn das heute zu beratende Gesetz ist das Fundament für mehrere Hundert Fachgesetze, für die Datenverarbeitung öffentlicher Stellen im Geschäftsbereich der Bundesregierung und darüber hinaus. Das führt mich zum zweiten Pfeiler dieses Gesetzes, zur Umsetzung der europäischen Datenschutzrichtlinie Polizei und Justiz in nationales Recht. Mit dieser Umsetzung schaffen wir essenzielle datenschutzrechtliche Grundlagen für die Polizei- und Justizgesetze des Landes. Mit diesem Dachgesetz haben wir dann eine klare, einheitliche Datenschutzregelung für die Bundespolizei, für das Bundeskriminalamt und für den Generalbundesanwalt. Hätten wir sie nicht und würden wir sie in dieser Legislaturperiode nicht hinbekommen, dann hängen diese Datenschutzregeln entweder in der Luft, oder wir müssten sie sehr kompliziert in die Fachgesetze hineinoperieren, was jedenfalls nicht anwenderfreundlich ist. Deswegen werbe ich sehr dafür, dass wir auch diese Richtlinie bis Mai nächsten Jahres umsetzen, nicht nur zur Vermeidung von Vertragsverletzungsverfahren. Ich halte das auch für wichtig, um Deutschland mit einer modernen und zeitgemäßen Datenpolitik auszustatten. Wir leben nicht mehr in den 70er-Jahren. Deswegen dürfen wir beim Datenschutz auch nicht mehr die Streitpunkte der 70er-Jahre anführen. (Beifall bei der CDU/CSU – Marian Wendt [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Das Verständnis eines Datenschutzes im Sinne möglichst großer Datensparsamkeit hat sich auch durch die technische Entwicklung überholt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Daher weht der Wind!) Datensparsamkeit ist kein Wert an sich. Datenschutz schützt nämlich nicht die Daten und schon gar nicht die Daten an und für sich, sondern Datenschutz schützt die Menschen vor einem Missbrauch von Daten. Das ist der eigentliche Zweck des Datenschutzes. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht bei Ihnen!) Getrennte Datentöpfe sind noch kein Datenschutz. Die Verknüpfung von Daten ist noch kein Verstoß gegen den Datenschutz. Im Gegenteil: Die kluge Verknüpfung von Daten kann Leben retten, hilft der Forschung, lenkt den Verkehr, schützt die Umwelt und hilft bei der Verbrechensbekämpfung. Nicht die Verknüpfung von Daten ist das Datenschutzproblem, sondern der Missbrauch zulasten von Persönlichkeitsrechten; das wollen wir verhindern. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn nicht in Europa die Datenschätze gehoben, analysiert, zu wertvollen Informationen veredelt und klug genutzt werden, dann werden es andere tun. Die anderen werden es aber nicht auf dem Datenschutzniveau der Europäischen Union machen. Sie werden es nicht so machen wie wir, die wir den Datenschutz achten als wichtigen Grundsatz des menschlichen Zusammenlebens. Deswegen dient die Verabschiedung dieses Gesetzes mit den Elementen Gestaltungsauftrag aufgrund der Datenschutz-Grundverordnung und Umsetzung der Richtlinie nicht nur der Umsetzung irgendwelchen EU-Rechts, sondern sie liegt im Interesse sowohl des Persönlichkeitsschutzes als auch der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes. Deswegen bitte ich um zügige Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs noch in der laufenden Legislaturperiode. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Minister de Maizière. – Nächste Rednerin: Petra Pau für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Petra Pau (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesinnenminister, in einem gebe ich Ihnen recht: Der Inhalt des Gesetzes ist nicht kompliziert. Das, was darin vorgesehen ist, ist gut zu verstehen. Allerdings – das setze ich gleich an den Anfang – haben wir offensichtlich einen grundlegenden Dissens in der Beurteilung des Inhalts und der Wirkung der vorgeschlagenen Regeln. Deshalb möchte ich am Beginn der Debatte uns, aber insbesondere auch die jüngeren Zuhörerinnen und Zuhörer an etwas erinnern: 1983 hatte das Bundesverfassungsgericht ein legendäres Urteil gesprochen. Allgemein wird es Volkszählungsurteil genannt. Damit wurde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, mithin der Datenschutz, auf einen Verfassungsrang gehoben. Wenn wir also heute über Datenschutz reden, dann nicht über belanglose Nebensächlichkeiten, sondern immer über verbriefte Grundrechte und unabdingbare Grundlagen der Demokratie. Heute geht es um die Anpassung des deutschen Datenschutzes an aktuelle Vorgaben der Europäischen Union. Also heißt die zentrale Frage: Schafft der vorliegende Gesetzentwurf mehr Datenschutz, mehr Bürgerrechtsschutz und auch mehr Transparenz oder nicht? Die Fraktion Die Linke beantwortet diese Fragen mit Nein und lehnt folglich als sozialistische Bürgerrechtspartei diesen Gesetzentwurf ab. (Beifall bei der LINKEN) Mit unserer Ablehnung sind wir übrigens mitnichten allein, wie zahlreiche Stellungnahmen und Gutachten zeigen, darunter auch eine ausführliche Kritik der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, unserer ehemaligen Kollegin Andrea Voßhoff. Besonders zugespitzt hat es die Initiative Digitalcourage formuliert. Ich zitiere: Am Donnerstag dieser Woche – also heute – sollen im Bundestag gleich zwei schlechte Gesetze beraten werden: Das Datenschutzanpassungsgesetz … läutet den Totalausverkauf des Datenschutzes ein … Das „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ … macht es für Bürgerinnen und Bürger unmöglich, sich noch unbeobachtet im öffentlichen Raum zu bewegen. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Das ist doch Blödsinn!) Ende des Zitats. – Es geht also um viel. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Die Sicherheit der Bürger!) Als konstruktive Opposition hat die Linke einen eigenen Antrag zum vorliegenden Regierungsentwurf gestellt. Im Kern geht es uns um fünf grundlegende Verbesserungen. Erstens. Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bürger sind zu stärken. Das beginnt beim Auskunftsrecht in Bezug auf erhobene Daten und betrifft ebenso die Möglichkeit, persönliche Daten löschen zu lassen. Zweitens. Die Kompetenzen des bzw. der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sind zu stärken, inklusive Sanktionsmöglichkeiten bei Datenmissbrauch. Drittens. Eine unabhängige datenschutzrechtliche Kontrolle gegenüber Nachrichten- und Geheimdiensten ist zu schaffen. Viertens. Die Zahl der Daten und deren Zweckentfremdung bei sogenannten Scoringverfahren, zum Beispiel wenn es um die Kreditwürdigkeit von Personen geht, sollen minimiert werden. Fünftens. Wir brauchen in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung ein gesondertes und neues Datenschutzrecht für Beschäftigte. Das steht übrigens auch schon seit Ende der 1980er-Jahre aus. Wir sollten uns dem Ganzen einmal zuwenden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) All das gibt der vorliegende Entwurf nicht her. Stattdessen senkt er bislang geltende Standards. Er bleibt partiell hinter EU-Recht zurück. Deshalb lehnen wir diesen Entwurf ab. Aber wir haben noch die Chance, unsere fünf Verbesserungsvorschläge vielleicht hineinzunehmen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Petra Pau. – Nächster Redner: Gerold Reichenbach für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gerold Reichenbach (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Datenschutz reden, dann reden wir eigentlich nicht über den Schutz von Daten per se. Vielmehr ist Datenschutz Schutz von Persönlichkeitsrechten. Deswegen sind viele der oftmals auch von Wirtschaftsseite in die Debatte eingebrachten Gegensätze keine. Natürlich kann ich viele Daten nutzen, aber ich muss nicht viele Daten über Personen haben. Um zum Beispiel Gesundheitsforschung zu betreiben, muss ich nicht wissen, wer die Person ist, sondern ich muss die Genealogie kennen. Um Fahrzeuge vernünftig lenken zu können, muss ich nicht wissen, wer darin sitzt, was er zu Hause für eine Einrichtung hat und zu welchen Zeiten er sein Garagentor öffnet. Ich brauche die Verkehrsdaten. Weil immer mehr Daten anfallen – der Herr Minister hat es angesprochen –, haben wir auf europäischer Ebene nach langen Verhandlungen im Mai 2016 die sogenannte Datenschutz-Grundverordnung erlassen. Nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren wird sie ab Mai 2018 unmittelbar gelten. Es geht jetzt darum, unser nationales Recht in diese unmittelbar geltende Grundverordnung einzupassen. Diese Datenschutz-Grundverordnung ist ein Erfolg für das Ziel eines einheitlichen Marktes und eines einheitlichen Rechtsraums in der Europäischen Union, gerade was die Zukunft und die Entwicklung unserer digitalen Gesellschaft betrifft. Für datenverarbeitende Unternehmen stellt es einen enormen Vorteil dar – das wurde angesprochen –, wenn in ganz Europa das gleiche Datenschutzrecht gilt. Für die europäischen Bürgerinnen und Bürger wird ein hoher Standard des Schutzes ihrer persönlichen Daten erreicht, der in ganz Europa nicht mehr unterschritten und damit auch nicht ausgehebelt werden kann. Zentrales Element der Verordnung ist das Marktortprinzip. Dieses Prinzip besagt, dass das nicht nur für die in der EU niedergelassenen Unternehmen gilt; vielmehr können sich auch Unternehmen, die irgendwo sitzen, nicht mehr mit dem dort geltenden Recht herausreden, solange und sobald sie Daten europäischer Bürger erheben, verarbeiten und sammeln. Auch dann gilt europäisches Recht. Das bedeutet für die Unternehmen in Europa gleiche Wettbewerbsbedingungen und für die Verbraucher und Bürger nun endlich die Möglichkeit, ihre Rechte über nationale Grenzen hinweg auch effektiv durchzusetzen. (Beifall bei der SPD) Mit dem Satz eines Freundes der datenverarbeitenden Industrie „Das Beste am deutschen Datenschutz ist, dass er nicht durchgesetzt werden kann“ ist nach Inkrafttreten der Verordnung dann endlich Schluss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dieses Thema wird übrigens mit zunehmender Digitalisierung unseren Alltag immer weiter prägen. Bei neuen technischen Entwicklungen – sie sind genannt worden – wie den sogenannten intelligenten Autos, Smart Cars, wie dem Smart Home – die Wohnung, die alles über dich weiß, weil sie dich den Tag über rundum bedient –, bei Smart-Health-Produkten bzw. Datenerhebungsprodukten, die direkt am Körper sind, wird es in Zukunft für die Bürger eine immer größere Rolle spielen, wie mit den Daten, die direkt von ihnen erhoben werden, umgegangen wird und wer sie nutzt. Hier geht es um die Verwendung hochsensibler Daten: über den Standort, die Bewegung, die Gesundheit bis hin zu intimen Details der privaten Lebensführung. Der nun vorliegende Gesetzentwurf zur Anpassung des deutschen Rechts wurde Anfang Februar nach schwierigen Ressortabstimmungen im Bundeskabinett beschlossen und ist hier heute eingebracht worden. Ich sage auch offen: Im ersten Entwurf des BMI wurde das Ziel der Einhaltung eines hohen und einheitlichen europäischen Datenschutzniveaus, das die Verordnung vorgibt, nach Auffassung der SPD nicht überall erreicht. Er enthielt nicht nur Abweichungen von den europäischen Vorgaben, sondern es gab an einigen Stellen auch den Versuch, das Datenschutzniveau durch die Hintertür etwas gängiger zu machen, um es einmal ganz vorsichtig zu formulieren. Das geschah wohl auch als falsch verstandenes Entgegenkommen gegenüber der datenverarbeitenden Wirtschaft, „falsch verstanden“ deswegen, weil gilt: Es ist auch der Wirtschaft nicht damit gedient, wenn wir nationale Regelungen zu ihren Gunsten treffen, die später vom EuGH wieder einkassiert werden und für sie nur Rechtsunsicherheit produzieren. Es ist ihr schon gar nicht damit gedient, wenn Deutschland als eines der ersten Länder, die das nationale Recht an die Verordnung anpassen, durch eine überziehende Interpretation, vermeintliche Öffnungsklauseln und nationale Sonderregelungen den Basar neu eröffnet mit dem Ergebnis, dass die anderen europäischen Länder es uns gleichtun und dadurch der für die Wirtschaft große Vorteil eines einheitlichen europäischen Rechtsrahmens und gleicher Wettbewerbsbedingungen sogleich wieder zerschossen wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Bei der Ressortabstimmung hat insbesondere Heiko Maas mit seinem Ministerium für Verbraucherschutz, glaube ich, sehr beharrlich darauf hingearbeitet, dass der jetzt vorliegende Entwurf einen Großteil der Mängel nicht mehr enthält. Zwischen dem aktuellen Entwurf und dem ursprünglichen liegen also sowohl strukturell als auch inhaltlich durchaus einige Welten. Wir Sozialdemokraten haben schon während der Verhandlungen in der Europäischen Union stets betont, dass aus unserer Sicht das hohe nationale Datenschutzniveau durch die Grundverordnung nicht abgesenkt oder verwässert werden darf. Das ist auch gelungen. Aus Sicht der SPD-Fraktion steht fest: Das erreichte Schutzniveau der Grundverordnung gilt für uns als Marke, und wir werden allen Versuchen, dies durch eine Überziehung von Öffnungsklauseln wieder zu schwächen, eine klare Absage erteilen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dort, wo es um nationale Spezifika geht, etwa im Bereich des Schutzes der Verbraucher, beim Scoring und im Beschäftigtendatenschutz, werden wir die bisherigen Regelungen im Kern erhalten. Beim Beschäftigtendatenschutz haben wir die in der Datenschutz-Grundverordnung ausdrücklich gegebene Möglichkeit spezifischer Regelungen genutzt, um das nationale Niveau im Kern zu erhalten. Aber ich sage auch: Weil Digitalisierung auch in der Arbeitswelt rapide voranschreitet, bestehen wir Sozialdemokraten nach wie vor auf einem eigenen Beschäftigtendatenschutzgesetz; denn nur so können wir diesen rasanten Entwicklungen Rechnung tragen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass es auch im Bereich des Scoring eines eigenen Gesetzes bedarf, das die notwendigen Schutzmechanismen nicht wie in der Vergangenheit an der falschen Stelle, nämlich beim Datenschutz, sondern im Bereich des Verbraucherschutzes und des Zivilrechts regelt. Wenn wir das in dieser Legislaturperiode, auch aus Zeitgründen, mit unserem Koalitionspartner nicht mehr hinbekommen, dann wird das für uns Sozialdemokraten auf der Tagesordnung bleiben, und wir werden eigenständige Gesetze im Bereich des Datenschutzes und des Scoring in der nächsten Legislaturperiode erneut angehen. Im Fokus der weiteren Beratung, Herr Minister, stehen für die SPD-Fraktion die Rechte der Betroffenen. Wir wollen nicht, dass am Ende durch nationale Ausnahmeregelungen für die datenverarbeitende Wirtschaft deutsche Bürger und Verbraucher in Europa weniger Rechte haben als etwa die Bürger in Österreich oder in anderen europäischen Ländern. Ich nenne ein Beispiel: unverhältnismäßiger Aufwand. Die Zahl der Daten, die von Personen gespeichert sind, soll Auskunftsrechte und -pflichten aushebeln. Was heißt denn das dann praktisch, wenn sich ein Unternehmen auf einen solchen unverhältnismäßigen Aufwand aufgrund der hohen Zahl der Betroffenen berufen könnte, um den in der Verordnung festgelegten Informations- und Löschungspflichten gegenüber dem Bürger nicht nachkommen zu müssen? Der kleine Laden müsste dann Auskunft erteilen, weil er nur wenige – in Anführungszeichen – Kunden hat, aber die großen Datenkraken oder der Massenverarbeiter müssten es nicht. Das kann doch nicht gewollt sein. Das kleine Unternehmen mit Onlineshop müsste einem Bürger mitteilen, dass es seine persönliche Daten für einen anderen Zweck weiterverarbeitet hat als für den, für den einmal die Zustimmung erteilt worden ist; die Amazons, Facebooks und Googles dieser Welt müssten es aber nicht. Das können wir, glaube ich, nicht wollen. (Beifall bei der SPD) Eine solche Regelung würde übrigens darüber hinaus geradezu das Risiko heraufbeschwören, dass Unternehmen den Aufwand künstlich erhöhen, das Ganze verkomplizieren, um ihre Informations- und Löschungspflichten zu umgehen. Auch das kann von uns allen nicht gewollt sein. Es wäre zudem eine absurde Idee, dass ein Unternehmen, das entgegen dem Gesetz persönliche Daten gesammelt oder verarbeitet hat, zwar entsprechend der EU-Verordnung sanktioniert würde, aber diese Daten nicht löschen müsste, wenn es nur genügend viele sind, sodass es einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten würde. Das widerspräche jedem Rechtsverständnis und jedem Gerechtigkeitsgefühl. Deswegen glaube ich, dass wir an der Stelle noch einmal sehr genau hinschauen müssen. Das gilt auch für die Frage „allgemein anerkannter Geschäftszweck“. Heißt das, dass in Zukunft die Daten, die etwa Rabatterwägungen zugrunde gelegt werden, nicht mehr nachgefragt werden dürfen, weil „Rabatt“ ein allgemeiner Geschäftszweck ist? Heißt das, dass ich bei Unternehmen, die meine persönlichen Daten sammeln und auswerten, um individuelles Pricing – so heißt das – zu machen, nicht mehr nachfragen darf: „Welche Daten hast du von mir? Auf welcher Grundlage basiert dieses individuelle Pricing?“? Das könnte am Ende vielleicht dazu führen, dass mir in Onlineshops aufgrund meines Kaufverhaltens regelmäßig nur überhöhte Preise angeboten werden. Darf ich das dann nicht mehr nachfragen, weil das nicht ein Geschäftsgeheimnis, sondern ein anerkanntes Geschäftsmodell ist? Es geht nicht darum, Geschäftsgeheimnisse abfragen zu dürfen. Auch an der Stelle müssen wir, glaube ich, noch einmal nachfragen. Ich glaube, trotz guter Vorarbeit wird es im parlamentarischen Verfahren und im Beratungsprozess noch eine ganze Reihe von Punkten geben, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Auch die Interessen der Bundesländer und die Stellungnahme des Bundesrates, die am Freitag erfolgen wird, werden berücksichtigt werden müssen, auch bei der Frage der Vertretung der Landesdatenschutzbeauftragten im Europäischen Datenschutzausschuss. So wird wohl auch für dieses Gesetz das alte Struck’sche Gesetz gelten: Kein Gesetz wird den Bundestag so verlassen, wie es hereingekommen ist. – Aber eine gute Beratungsgrundlage ist dieses Gesetz allemal. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Gerold Reichenbach. – Nächster Redner: Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr de Maizière, Herr Reichenbach, wenn man Ihnen zuhört, ist man gar nicht mehr sicher, ob Sie dasselbe Gesetz vorgelegt haben. – Doch? Dann bin ich ja beruhigt. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Das Gesetz hat der Minister vorgelegt!) Die unzähligen Datenschutzskandale, die Datenlecks, die ungezügelte Datensammelei, Snowden und jetzt ganz aktuell Vault 7 zeigen ja, wie dringend und wie drängend der Datenschutz ist. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Was hat das mit der Datenschutz-Grundverordnung zu tun?) Sie haben völlig recht, Herr de Maizière: Die 70er-Jahre sind vorbei, aber, ich glaube, anders, als Sie meinen. Datenschutz ist heutzutage sehr viel wichtiger geworden und ein ganz zentraler Punkt der Politik, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gerold Reichenbach [SPD]: Das hat jetzt mit der Datenschutz-Grundverordnung so viel zu tun wie Kaninchenzucht mit Aquarienhaltung!) Es gibt ja Gerüchte, wonach es in der jetzigen Führung des Bundesinnenministeriums zwei lebendige Feindbilder gibt: den Datenschutz und die EU-Kommission. Der heutige TOP vereinigt beide miteinander. Die unmittelbar geltende Verordnung zwingt alle Mitgliedstaaten der EU und damit eben auch Deutschland in eine ernsthafte Datenschutzreform. Dass das der Bundesregierung so nicht schmecken würde, war klar. Denn Datenschutz gilt Ihnen – das war ja deutlich herauszuhören – viel zu oft als Hemmnis für die Privatwirtschaft und im Sicherheitsbereich als Risiko. Und deswegen sage ich: Das Innenministerium hat meiner Ansicht nach viel Kraft aufgewandt und verschwendet, die Reform insgesamt zu verzögern und aufzuhalten. Der Ausgang der Geschichte ist heute klar: Die Bundesregierung hat in dieser Frage verloren, und das ist auch gut so, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt legen Sie hier einen Entwurf vor, der wenig unversucht lässt, Ziele und Vorgaben der EU-Datenschutz-Grundverordnung sowie der EU-Richtlinie zur Polizei und Justiz zu hintertreiben. Ganz typisch für Sie sind auch die am Ende des langen Artikelgesetzes versteckten Änderungen des BND-Gesetzes, etwa um die Datenschutzaufsicht dieser Problembehörde weiter zu erschweren. Das ist inakzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Pau [DIE LINKE]) Die EU-Reform ist insgesamt gesehen nämlich ein Erfolg. Wir haben endlich ein Instrument gegen Datenmissbrauch durch Facebook, Google und Co, einen Schutz, den Sie von der Union in zwölf Regierungsjahren in unverantwortlicher Weise verweigert haben. Das Marktortprinzip der Verordnung ist ein Meilenstein, auch die hohen Sanktionen und Sonderregelungen wie die zur Datenportabilität sind innovativ und gut. Bedauerlich ist es, dass die Bundesregierung mit einem Anpassungsgesetz reagiert, das inzwischen annähernd 70 Gegenanträge der Bundesländer hervorrufen musste, Forderungen, die überwiegend auf den Inhalt der EU-Datenschutzverordnung verweisen und deren Geltung einfordern. So traurig scheint es leider um die EU-Vertragstreue dieser Bundesregierung bestellt zu sein. Wirklich unsäglich sind die Beschneidungen der Informationsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Sie stellen Auskunftsansprüche und Informationspflichten unter den kommerziellen Vorbehalt der Unternehmen. Das werden wir keinesfalls mitmachen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Pau [DIE LINKE]) Abschließend: Auch wir machen uns nichts vor. Die Geschwindigkeit und die Tiefe des Digitalisierungsprozesses sind eine enorme Herausforderung. Nicht alle selbstgesteckten Ziele der EU-Reform sind erreicht worden. Die Verordnung selbst ist hochabstrakt und – Sie haben es angesprochen, Herr Minister – wegen ihres Kompromisscharakters vielfach auslegungsbedürftig. Das schafft eben auch ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit. Auch Dutzende Öffnungsklauseln stellen das wünschenswerte Ziel einer EU-weiten Harmonisierung wieder infrage. Aber die zentrale Aufgabe der Verordnung liegt vor allen Dingen in Folgendem: Big Data, künstliche Intelligenz, Cloud Computing, das Internet der Dinge, dies alles verlangt konkrete Regelungen, und dem widerspricht eben auch nicht das wichtige Ziel der Technikneutralität. Die EU-Kommission hat dies verstanden und einen Entwurf der E-Privacy-Verordnung vorgelegt. Das gilt leider bisher nicht für Sie. Die Bundeskanzlerin hat in falscher Wirtschaftsfreundlichkeit ganz ähnlich wie Sie eben, Herr de Maizière, öffentlich mehrfach gesagt, den Datenschutz schleifen zu wollen. Den Preis sollen die Bürgerinnen und Bürger zahlen – durch weniger Schutz und weniger Transparenz. Das machen wir als Bürgerrechtspartei nicht mit. Wir können von Ihnen nur eine ordentliche Umsetzung der guten Vorlage verlangen. Fangen Sie endlich damit an! Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Pau [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Konstantin von Notz. – Nächster Redner: Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Datenschutz-Grundverordnung das mit Abstand wichtigste Dossier der Europäischen Union in der laufenden Legislaturperiode der Kommission ist. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Ab Mai 2018 findet sie unmittelbare Anwendung. Man könnte daher durchaus die Frage stellen: Warum bedarf es dann noch eines nationalen Anpassungs- und Umsetzungsgesetzes? Es bedarf deshalb eines Anpassungs- und Umsetzungsgesetzes, weil diese Verordnung viele Öffnungsklauseln beinhaltet. Ich möchte ausdrücklich betonen: Der große Vorteil der Datenschutz-Grundverordnung ist aus meiner Sicht, dass es gelungen ist, eine Harmonisierung des europäischen Datenschutzrechts in 28 Ländern – in absehbarer Zeit vielleicht in 27 Ländern – zu erreichen, einem Raum mit 500 Millionen Bürgern. Es ist ein Wert an sich, dass in diesem gemeinsamen Raum ab Mai nächsten Jahres ein einheitliches europäisches Datenschutzrecht gilt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Gerold Reichenbach [SPD]: Das darf man nicht durch Spielchen kaputtmachen!) Herr Kollege von Notz, Sie haben Geschichtsklitterung betrieben mit der Behauptung, die Bundesregierung wäre erfolglos gewesen, weil sie es nicht geschafft hätte, diese Datenschutz-Grundverordnung zu verhindern. Das Gegenteil ist der Fall, Herr Kollege von Notz. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So war es!) Diese Datenschutz-Grundverordnung entspricht in vielerlei Hinsicht dem geltenden Bundesdatenschutzgesetz. Wir haben es gemeinsam geschafft – hier nehme ich den Deutschen Bundestag durchaus mit ins Boot –, mit der Bundesregierung, indem wir auf europäischer Ebene dafür geworben haben, das europäische Datenschutzrecht auf das deutsche Niveau zu heben. Herr Kollege Reichenbach, wir waren vor zwei Wochen gemeinsam in Irland. Ohne Kritik an einem kleinen schönen Mitgliedsland der Europäischen Union betreiben zu wollen: Das Bewusstsein in Irland für die Notwendigkeit von Datenschutz und auch die Ausgestaltung des irischen Datenschutzrechts sind, vorsichtig formuliert, noch verbesserungsbedürftig. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Deshalb ist es ein Wert an sich, dass wir jetzt eine Harmonisierung erreichen, und zwar nicht auf niedrigem Niveau, sondern in vielerlei Hinsicht auf dem hohen Niveau unseres deutschen Datenschutzrechts. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bin auch sehr froh, dass das Bundesinnenministerium nur in sehr reduzierter Weise von den Öffnungsklauseln Gebrauch gemacht hat; denn ein übermäßiger Gebrauch der Öffnungsklauseln würde diese Harmonisierung im Datenschutzrecht konterkarieren. Zur Klarstellung: Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, hat 85 Paragrafen. 60 dieser 85 Paragrafen sind zwingende Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung. Daran können wir nichts ändern. Die verbleibenden 25 Paragrafen beziehen sich auf Sachverhalte, die wir nach der Datenschutz-Grundverordnung zwingend regeln müssen. Also, mit Verlaub, Herr Kollege von Notz und meine lieben Kollegen von den Linken: Dieses Gesetz eignet sich beileibe nicht für eine Skandalisierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir als CDU/CSU-Fraktion sind der Auffassung, dass den berechtigten Informations- und Auskunftsrechten der Bevölkerung bzw. der Verbraucher entsprechend Rechnung getragen werden muss, auch was die Löschungspflichten anbelangt. Um auch hier ein klares Statement abzugeben, weil immer versucht wird, den Eindruck zu erwecken, wir würden den großen Datenkraken – Herr Kollege von Notz hat sie so genannt – Facebook, Google, Amazon und Co das Wort reden und deren Wünschen Rechnung tragen: Das Gegenteil ist der Fall. Es geht bei all den Änderungen, die wir vornehmen wollen, nicht darum, Facebook, Google und Co zu privilegieren, sondern es geht darum, insbesondere im Lichte des risikobasierten Ansatzes vor allem darauf zu achten, dass kleinere Unternehmen, Handwerksbetriebe und Einzelhändler nicht übermäßig durch Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung belastet werden. Herr Kollege Reichenbach, Sie haben die Formulierung „unverhältnismäßiger Aufwand“ erwähnt. Es geht auch bei dieser Ausnahme der Informations- und Auskunftspflichten nicht darum, Facebook und Google zu privilegieren. Es geht ausdrücklich nicht darum, die zu privilegieren, die in digitaler Form Datenspeicherung betreiben. Wenn es darum geht, „Privilegien“ auszureichen, dann bei analoger Speicherung von Daten, insbesondere bei Handwerksbetrieben, kleineren Dienstleistungsunternehmen und Einzelhändlern. Darum geht es uns ganz konkret. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir werden diesen Gesetzentwurf zügig behandeln. Wir werden Ihrem Wunsch Folge leisten, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister. Ich sage aber auch ganz offen: Wir werden ihn sehr gründlich und seriös beraten; denn es ist ein wichtiges Gesetz. Ich sage Ihnen auch zu: Wir werden dieses Gesetz noch in der laufenden Legislaturperiode verabschieden. Wir dürfen nicht zulassen, dass bewährte Geschäftsmodelle unterminiert werden oder sogar unmöglich gemacht werden. Aber – das möchte ich abschließend sagen – wir werden auch darauf achten, dass deutschen Interessen in diesem Umsetzungsgesetz entsprechend Rechnung getragen wird, insbesondere auch, was die Vertretung Deutschlands im Europäischen Datenschutzausschuss anbelangt. Ich glaube, die Vorlage ist sehr salomonisch und sehr vernünftig formuliert. In diesem Sinne freue ich mich auf intensive Auseinandersetzungen bezüglich dieses Gesetzentwurfes, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden Sie haben!) aber auch auf zügige Auseinandersetzungen; denn es ist geboten, diesen Gesetzentwurf in der laufenden Legislaturperiode abschließend zu beraten und zu verabschieden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Stephan Mayer. – Letzter Redner in der Debatte: Marian Wendt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Marian Wendt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Musik der 80er-Jahre wird sicherlich nie aus der Mode sein. Vizepräsidentin Claudia Roth: Das stimmt. (Heiterkeit) Marian Wendt (CDU/CSU): Da haben wir mal eine gemeinsame Position. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber ist Einigkeit hergestellt!) – Richtig. – Das Datenschutzverständnis der 80er-Jahre – da besteht vielleicht auch noch Einigkeit – ist allerdings vollkommen aus der Mode und hat keinen Charme mehr. Davon kommen wir zum Glück langsam weg. Mit einem einheitlichen Datenschutzrecht geht Europa einen großen Schritt auf dem Weg zum gemeinsamen digitalen Binnenmarkt, einem Markt mit insgesamt 510 Millionen Einwohnern, mit einheitlichen Regeln und Standards. Das große Gewicht, das all diese Menschen für gute europäische Regeln in die Waagschale werfen, wird auch globale Auswirkungen haben; denn das Internet ist nicht auf Europa begrenzt, sondern global. Deswegen können wir Vorreiter für einen weltweiten Datenschutzstandard sein. Unternehmen müssen nun nicht mehr 28 kleine Märkte mit eigenen, gewachsenen Strukturen des Datenschutzrechtes beliefern, sondern können sich auf Standards einstellen, die gemeinschaftlich und einheitlich sind. Dadurch wird das Leben einfacher – für alle Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Unternehmen. Das ist Wirtschaftsförderung pur. Ich denke, wir sollten an dieser Stelle die Europäische Union auch einmal loben und zeigen, wofür sie gut ist, statt immer nur Kritik in Richtung Brüssel zu schicken. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es beim Datenschutz in erster Linie darum gehen muss, die Verarbeitung von Daten zu regulieren und so die Bürger zu schützen. Die Erfassung von Daten zu regulieren und zu steuern, ist in der heutigen Zeit aus meiner Sicht kaum mehr möglich. Vom Datenschutzverständnis der 80er-Jahre – Datensparsamkeit, Datenerfassung – müssen wir wegkommen. Vielmehr müssen wir uns darauf konzentrieren, die Nutzung und Verwendung der Daten der Bürgerinnen und Bürger zu steuern und zu kontrollieren. Das ist zeitgemäß und entspricht dem 21. Jahrhundert. Meine Damen und Herren, Datenschutz ist ein kontroverses Thema. Wenn wir auf die Angsthasen hörten, dann wäre in Deutschland am Ende gar nichts mehr erlaubt, dann gäbe es keine deutschen oder europäischen IT-Unternehmen, und Daten der Bürgerinnen und Bürger würden am Ende gar nicht geschützt, da Dienste und Dienstleistungen außerhalb Europas angeboten würden, in Staaten, in denen es keine Datenschutzstandards, kein Datenschutzrecht gibt. Das schadete den Bürgern, wie beschrieben, gleich doppelt – und zusätzlich dadurch, dass wirtschaftliches Wachstum in Europa und in Deutschland gehemmt würde. Wir wollen Arbeitsplätze in Zukunftsbranchen schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit dem neuen europäischen Datenschutzrecht und der entsprechenden Umsetzung haben wir einen Kompromiss gefunden, der es einerseits den Menschen ermöglicht, die digitalen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die sie wünschen, und gleichzeitig einzuschätzen, wie viel sie von sich preisgeben müssen, was mit ihren Daten passiert. Andererseits verpflichten wir die Unternehmen, verantwortungsbewusst mit den Daten der Kunden umzugehen und kein Schindluder damit zu treiben. Mir und der CDU/CSU-Fraktion kommt es darauf an, dass wir diese Ausgewogenheit erhalten. Ein einheitliches Datenschutzrecht in Europa betrifft auch die Nutzung von Daten durch unsere Verwaltung, durch den Staat. Das ist ein zentraler Punkt. Ohne das neue Bundesdatenschutzgesetz würden unseren Behörden Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung in der Zukunft fehlen, vor allem in der alltäglichen Arbeit. Allein dies ist aus meiner Sicht schon Veranlassung genug, zügig über das neue Bundesdatenschutzgesetz zu beraten und es zu beschließen. Das Gesetz, das hier im Entwurf vorliegt, bildet die Grundlage für umfangreiche Änderungen auch an weiteren Spezialgesetzen. Wir wollen dies in dieser Wahlperiode abschließen. Spätestens im nächsten Jahr wird uns die Datenschutz-Grundverordnung der EU noch entsprechenden Druck auferlegen. Ich freue mich auf die weiterhin intensive Beratung in den nächsten Wochen und danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Wendt. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11325 und 18/11401 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Kerstin Andreae, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Öffentliches Vermögen erhalten, ehrlich bilanzieren, richtig investieren Drucksache 18/11188 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre so manches, aber das scheint mir kein Widerspruch zu sein. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/Die Grünen. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seitdem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, also seit 2005 – davon hat sie übrigens acht Jahre zusammen mit der SPD regiert –, ist Deutschland bei den öffentlichen Investitionen im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt unter den letzten drei Staaten in der Europäischen Union, also tief im Keller. Das sind Zahlen von Eurostat. 2015 waren nur Zypern und Irland noch schlechter. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Im Fußball wäre bei zwölf Jahren auf einem Abstiegsplatz, bei zwölf Jahren im Keller schon längst ein Trainerwechsel vollzogen worden. Ich finde, 2017 ist es Zeit, dies auch in Deutschland zu tun; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) denn das ist maximal das Niveau vom Hamburger SV. Aber Scherz beiseite! (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Wir haben ein massives Problem in Deutschland, weil zu wenig investiert wird. Richtig ist: Länder und Kommunen können zum Teil kein Geld ausgeben, weil ihnen die Planungskapazitäten fehlen. Warum ist das der Fall? Weil die Bundesregierung, weil CDU/CSU und SPD eine Investitionspolitik nach Kassenlage machen: hier mal ein Sonderprogramm, da mal ein bisschen was. Das ist ein Zickzackkurs, der aber keine Langfristigkeit, keine Verlässlichkeit, keine Planbarkeit bietet. Das verunsichert Kommunen und auch Länder, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, neue Planerinnen und Planer einzustellen. Es liegt in Ihrer Verantwortung, dass die Investitionspolitik in Deutschland so schlecht läuft. Deswegen fordern wir Sie auf: Hören Sie auf mit dieser Zickzackinvestitionspolitik! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben heute einen umfassenden Vorschlag dazu eingebracht. Die Idee ist ganz einfach: Wir wollen die Schuldenbremse ergänzen. Sie soll nicht nur die offensichtliche Verschuldung begrenzen, sondern auch die Verschuldung, die durch den Verlust von öffentlichem Vermögen entsteht, beenden. Mindestens das, was abgeschrieben wird, der Wertverlust, muss im Haushalt reinvestiert werden. Diese Regel ist so einfach, so einleuchtend und so sinnvoll, dass auch die Große Koalition zustimmen könnte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit das überhaupt möglich ist, brauchen wir eine Änderung im Bundeshaushalt, nämlich eine ordentliche Bilanzierung. Wir müssen ja genau wissen: Wie viel Vermögen hat der Bund ganz genau, nicht nur ungefähr? Was müsste jährlich bilanziell abgeschrieben werden? – Wir fordern mit unserem Antrag heute eine Vermögensbilanzierung; denn die geltende Kameralistik kann das so nicht abbilden. Dass wir dies dringend brauchen, haben wir in den letzten Jahren gesehen. Hätten wir da schon eine ordentliche Bilanzierung durchgeführt, hätte Wolfgang Schäuble das Investitionsdefizit im Haushalt nie leugnen können. Er hat lange geleugnet, dass wir überhaupt ein Problem im Hinblick auf Investitionen haben. Wenn er jährlich schwarz auf weiß gesehen hätte, dass unser öffentliches Vermögen im Haushalt schrumpft, hätte er das nicht leugnen können. Deswegen wird es höchste Zeit für eine ehrliche Bilanzierung im Haushalt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Last, but not least wollen wir mit unserem Antrag erreichen, dass Investitionen nachhaltig und sinnvoll finanziert werden. Die Bundesregierung setzte in den letzten Jahren vermehrt auf öffentlich-private Partnerschaften, und das, obwohl wir wissen, dass der Bundesrechnungshof und vermehrt auch die Landesrechnungshöfe nachweisen, dass solche Projekte in der Regel teurer sind, als wenn wir sie konventionell finanzieren. Warum macht die Bundesregierung das? Sie macht es, weil ÖPP-Projekte nicht in die Schuldenbremse eingerechnet werden. Dadurch wird ein krasser Fehlanreiz gesetzt. Wir wollen, dass ÖPP-Projekte in die deutsche Schuldenbremse eingerechnet werden; denn das sind teure Kredite, die auch als solche behandelt werden müssen. Es muss endlich Schluss sein mit der teuren Schattenverschuldung durch ÖPP-Projekte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Ihnen heute einen umfassenden Vorschlag vorgelegt, wie man das Investitionsdefizit langfristig beheben und eine langfristige Investitionsplanung angehen kann. Ich bitte Sie: Geben Sie sich einen Ruck! Lassen Sie uns das weitere Vorgehen gemeinsam im Ausschuss und im Plenum beraten! Schließen Sie sich unserer Initiative an! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Sven-Christian Kindler. – Jetzt spricht für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Jens Spahn. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Matthias Ilgen [SPD]) Jens Spahn, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zumindest zur Überschrift des Antrags der Grünen kann man sagen: Stimmt! Deswegen möchte ich kurz auf die Punkte in der Überschrift eingehen. Es geht zum einen darum, Vermögen zu erhalten. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Herr Kollege Kindler: Wir investieren schon mehr als in der Vergangenheit, wir investieren mehr denn je. Wir investieren in die Bildung und konnten hier eine Steigerung der Mittel von 75 Prozent erreichen, eine Steigerung, die es nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat. Wir investieren in den Straßenbau, die Schiene und die Wasserwege, und zwar mehr als in den vergangenen Jahren und von Jahr zu Jahr mehr. Wir investieren mit einem 4-Milliarden-Euro-Programm in den Breitbandausbau. Wir helfen den Kommunen, zu investieren, und geben dafür beginnend 2015  3,5 Milliarden Euro und jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro aus, sodass wir die Kommunen mit insgesamt 7 Milliarden Euro unterstützen. Wir haben die Kommunen in den letzten Jahren entlastet wie noch keine Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionen zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik, was Investitionsspielräume freisetzt. Aber wir müssen gemeinsam feststellen – das ist der entscheidende Punkt, aber dazu schreiben Sie in Ihrem Antrag leider wenig –: Wir bekommen das Geld im Moment gar nicht verbaut. Die schöne Überschrift „Vermögen erhalten“, immer nur zu sagen, wir sollten mehr Geld zur Verfügung stellen, um zu investieren, bringt nichts, wenn das Geld nur als Soll im Haushalt steht, aber am Ende nicht abfließt, weil die Projekte nicht baureif sind. Sie erwähnen die Planungskapazitäten, ja; aber den entscheidenden Punkt, nämlich warum es so lange dauert, bis in Deutschland eine Straße gebaut werden kann, ein Gewerbegebiet ausgebaut werden kann, irgendetwas nach vorne gebracht werden kann, stellen Sie nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber darüber müssen wir in Deutschland reden. Wir müssen auch mit der Europäischen Union reden, was die Planungsverfahren angeht. Handelt nur derjenige moralisch wertvoll, der für Nistplätze von Fledermäusen kämpft? Oder ist es auch ein moralischer Wert, für Arbeitsplätze von Menschen zu kämpfen? Und wie wägen wir das vernünftig gegeneinander ab? (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Matthias Ilgen [SPD] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus welcher Grotte kommen Sie denn gerade, Herr Spahn?) – Ich kann Ihnen sagen, aus welcher Grotte ich komme: Das ist eine ziemlich schöne Region, das Münsterland. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiß ich doch!) Und wissen Sie, was wir im Münsterland erleben? Mit Änderungen im Planungsrecht sorgt Ihr Umweltminister Remmel dafür, und zwar mit System, dass bei uns in Nordrhein-Westfalen kleinere und größere Kommunen keine neuen Wohnbaugebiete und keine neuen Gewerbegebiete ausweisen können. (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: So ist es!) Das Land hatte null Komma null Prozent Wachstum im Jahr 2015. Nordrhein-Westfalen hat es geschafft, innerhalb von zehn Jahren 70 000 Hektar mehr Wald und 70 000 Hektar mehr Grünfläche auszuweisen, aber bei den Gewerbegebieten minus 4 000 Hektar. Da stimmen die Relationen doch offensichtlich nicht! (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Das müssen Sie sich schon gefallen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Matthias Ilgen [SPD]) Wenn Sie Vermögen erhalten wollen, kann ich nur empfehlen: Arbeiten Sie mit uns an der Beschleunigung und der Vereinfachung der Planungsverfahren! (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen Verlässlichkeit und kein Zickzack!) Das alles bringt nämlich nur etwas, wenn man das Geld auch ausgeben kann. Zur Frage der Bilanzierung kann ich Ihnen sagen: Wir sind auf dem besten Weg, uns ehrlicher zu machen; das haben wir in der Vergangenheit an vielen Stellen auch schon verfolgt. Wir sind übrigens nach Artikel 114 Grundgesetz dazu verpflichtet, regelmäßig eine Vermögensrechnung vorzulegen. Die Vorgabe ist sehr klar. Ich gebe aber zu, dass es viele Bereiche gibt, in denen man das Vermögen noch besser darstellen könnte, in denen wir das besser zusammenführen müssen. Wir brauchen eine Übersicht über die Schulden und Verbindlichkeiten. Natürlich müssen auf der anderen Seite auch Rückstellungen und Rücklagen aufgeführt werden. Hier sind auch die Bundesbeteiligungen als Vermögen abzubilden. Die Frage, welches Immobilienvermögen wir haben, ist mittlerweile weitgehend geklärt. Seit der Auslagerung in die BImA, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, wird das Immobilienvermögen in weiten Teilen bilanziell dargestellt. Es wäre gut, wenn Sie mithelfen würden, damit wir auch mit der Infrastrukturgesellschaft endlich vorankommen; denn dann können wir auch das Vermögen im Bereich der öffentlichen Infrastruktur darstellen und bilanzieren, insbesondere bei den Straßen. Das wäre ein weiterer wichtiger Schritt. Es ist aber zu fragen – diese Frage kenne ich auch aus dem Kreistag und dem Gemeinderat, in dem ich lange mitgearbeitet habe –, ob die Doppik um der Doppik willen, mit all dem Aufwand, der damit verbunden ist, am Ende wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um Doppik! – Gegenruf des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Natürlich! – Gegenruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!) Es wird wahnsinnig viel Aufwand betrieben, um das zusammenzuführen, ohne dass am Ende ein größerer Erkenntnisgewinn steht, zumindest mit Blick auf die Entscheidungen, die wir treffen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Antrag gar nicht gelesen, oder?) Ja, an den richtigen Stellen muss besser bilanziert werden. Ja, an den richtigen Stellen müssen das Vermögen und die Verbindlichkeiten klar aufgeführt werden. Aber Doppik um der Doppik willen ist, glaube ich, nicht der richtige Ansatz. Insofern sollten wir darüber reden. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es steht nicht im Antrag drin! Lesen Sie noch einmal nach, Herr Kollege Spahn!) Ich will noch einen Punkt ansprechen. Ein Satz in Ihrem Antrag ist sehr richtig: Die aktuelle Nullverschuldung wird getragen von guten Steuereinnahmen, niedriger Arbeitslosigkeit und den historisch niedrigen Zinsen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat nichts mit der Bundesregierung zu tun! Das stimmt!) Natürlich helfen diese drei Faktoren. Die spannende Frage ist nur: „Tun wir genug, damit das so bleibt?“, weil diese Faktoren alleine das Wachstum in den nächsten zwei oder drei Jahren nicht tragen werden. Über Anträge zu dieser Frage würde ich viel lieber hier im Deutschen Bundestag beraten als über die Frage, wie wir alles schöner bilanzieren. Wir müssen vielmehr die Frage in den Mittelpunkt rücken, auch in solchen Anträgen, wie wir dafür sorgen können, dass wir wirtschaftlich stark bleiben, wie wir auch mit Blick auf den Bundeshaushalt für eine gute Situation sorgen können. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da machen wir ja mehr als Sie!) Bei uns im Münsterland sagt man: Das Schwein wird vom Wiegen nicht fett. Allein das Messen hilft nichts. Es geht darum: Wie füttern wir zu, damit mehr Vermögen und mehr Wirtschaftswachstum entstehen? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das ohne Massentierhaltung, Herr Spahn!) Dabei geht es etwa darum, die Steuern für diejenigen, die investieren, zu senken, weil die meisten Investitionen im privaten und nicht im öffentlichen Bereich vorgenommen werden. Es geht darum, Planungsverfahren schneller zu machen, damit wir das Geld, das für den Infrastrukturbereich vorgesehen ist, verbaut bekommen. Es geht darum, uns in Sachen Digitalisierung vorzubereiten und zu investieren, damit die Wertschöpfung in Sindelfingen und Wolfsburg erfolgt und nicht zum Beispiel im Silicon Valley. Es geht darum, uns darauf vorzubereiten, dass in den vor uns liegenden 30er-Jahren die Generation der Babyboomer in Rente geht. Auch dafür müssen wir Vorsorge treffen. – Wenn Sie sich damit in Zukunft etwas mehr beschäftigen als mit der Frage, wie wir das alles noch detaillierter bilanzieren können, ist der Schwerpunkt richtig gesetzt. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht immer dagegen geklagt, wenn die vorsorgen wollten für die Rente? Was sind das denn für unsinnige Pirouetten? Hat da ein Staatssekretär geredet? Da würden Sie ja andere Staatssekretäre für grillen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächste Rednerin: Heidrun Bluhm für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vermögen erhalten, ehrlich bilanzieren, richtig investieren – das ist aus der Fibel des ehrbaren Kaufmanns abgeschrieben und könnte hier im Haus eigentlich einen breiten Konsens finden, wenn das Adjektiv „öffentlich“ nicht wäre. Öffentliches Vermögen erhalten, durch richtiges Investieren stärken, gleichzeitig aber Schuldenbremse und ÖPP – mit kleinen Korrekturen – gut finden, (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt so nicht!) das geht nicht zusammen, liebe Bündnisgrüne. Ihr Antrag hört sich gut an, das ist er aber nicht. Es ist gerade der Vorteil der Kameralistik, dass sich der Staat nicht wie ein privater Kaufmann verhalten muss. (Beifall bei der LINKEN) Fragen Sie mal viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die das von ihnen verwaltete Vermögen in den vergangenen Jahren bilanzieren mussten. Viele Kommunen waren danach pleite. Würde Ihr Antrag angenommen, würde er dazu beitragen, dass der Staatshaushalt börsenreif gemacht wird. Deshalb lehnen wir Linke ihn ab. Trotzdem kommt die Debatte über diesen Themenkomplex genau zur richtigen Zeit; denn die Analyse in Ihrem Antrag ist größtenteils richtig, Herr Kindler: Der Bund versteckt Schulden. Der Bund investiert zu wenig in Infrastruktur. Vermögenswerte werden verzehrt. ÖPP ist ein Umgehungstatbestand der Schuldenbremse, privatisiert Gewinne und verstaatlicht Verluste und Risiken. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das transparent zu machen, ist doch vernünftig!) Aber, Herr Spahn, genau das wollen Sie doch auch. Tun Sie doch hier nicht so, als wenn die in dem Antrag formulierte Analyse nicht richtig wäre. Am 31. März 2017 sollen wir doch über mehrere Grundgesetzänderungen abstimmen, mit denen die Bund-Länder-Finanzbeziehungen nach 2019 neu gestaltet werden sollen. In diesem Zusammenhang wollen Sie hinsichtlich öffentlichem Vermögen, Schuldenbremse und ÖPP neue Festlegungen treffen. Stimmt der Bundestag den geplanten Grundgesetzänderungen zu, dann setzt er damit einen massiven Privatisierungsschub in Gang; das führt sogar die Frankfurter Rundschau unter dem Titel „Die Autobahn als Profitmaschine“ aus. Denn trotz anderslautender Bekundungen werden mit der Grundgesetzänderung Privatisierungen beim Bau und Betrieb von Autobahnen und Schulen ermöglicht, zwar nicht in Form, wie ursprünglich vom Finanzminister vorgeschlagen, einer materiellen Privatisierung, aber über den Umweg der Beteiligung Privater am Eigenkapital von Tochtergesellschaften der öffentlichen Hand. (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: So ist es!) Das soll grundgesetzlich ermöglicht werden und wird auch passieren, wenn wir im Bundestag nicht noch die Notbremse ziehen. Der mitregierenden SPD sei gesagt, dass sie mit einer Zustimmung zu diesem Gesetzespaket ihrem Kanzlerkandidaten ein gewaltiges Kuckucksei ins Nest – oder ins Kanzleramt – legen würde; denn damit wird die Verfügungsgewalt über öffentliches Eigentum zentralisiert und über Umwege die Möglichkeit eröffnet, öffentliches Eigentum auf privates überzuleiten. (Zuruf von der SPD: Sonst sind Sie doch immer für Zentralisierung!) Der Bundesrechnungshof hat dies als „funktionale Privatisierung“ bezeichnet und eindringlich vor den Folgen gewarnt. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Fratzscher-Kommission des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat maßgeblich die Vorschläge für das Wirtschaftsministerium erarbeitet, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein! Herr Gabriel war das!) die mit dieser Grundgesetzänderung in Gesetzesform gegossen werden sollen. In der Kommission mitgewirkt haben unter anderem die Deutsche Bank und die Allianz AG. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Also ganz schlimm! Furchtbar!) Letztere hat ihre Renditeerwartung aus den ÖPP-Betreibermodellen mit 5 bis 8 Prozent beziffert, und das, obwohl öffentliche Kredite zurzeit für null zu haben sind. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist Eigenkapital!) Aber der Bund selbst hat ja – Herr Spahn hat es gesagt – keine ausreichenden eigenen Planungskapazitäten mehr, um die notwendigen Investitionen überhaupt abzuwickeln. Auch das muss sich ändern. (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zunächst können Bund, Länder und Kommunen sich unter Umgehung der Schuldenbremse an ÖPP-Projekten beteiligen. Aber dann müssen sie bei Einhaltung der Schuldenbremse jahrzehntelang für die überteuerten ÖPP-Projekte zahlen. Das ist heute schon die bittere Erfahrung vieler Kommunen. Was nützt es den Menschen also, ein über ÖPP schön saniertes Schulgebäude stehen zu haben, wenn Hausmeister und Reinigungskräfte entlassen werden müssen, weil die Kommunen kein Geld mehr für deren Bezahlung haben, nachdem die fälligen Raten und Zinsen für die ÖPP-Schulprojekte abgeführt sind? So konkret stellen sich die Fragen, wenn es heute um den Erhalt öffentlichen Vermögens, ehrliche Bilanzierung und richtiges Investieren geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Erhalt und Ausbau von öffentlichem Vermögen müssen natürlich Schwerpunkt solider Haushaltspolitik sein. Das geht aber anders, liebe Grünen, (Beifall bei der LINKEN) nämlich durch ehrliche Bestandsaufnahme, Bestimmung des Nutzungszwecks, solide Finanzplanung, orientiert am Bedarf, sowie transparente und zweckorientierte Investitionsplanung in den jeweiligen Haushaltsjahren. Nur so bleibt das Bundesvermögen ökologisch und ökonomisch in Topform, bedarfsorientiert und zukunftsfähig. Ein börsennotiertes Bundesvermögen kann kein Ziel unserer Haushaltspolitik sein. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Heidrun Bluhm. – Nächster Redner: Dennis Rohde für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dennis Rohde (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem uns vorliegenden Antrag wird behauptet, dass das Vorliegen eines ausgeglichenen Haushaltes in den letzten Jahren keine haushälterische Leistung sei. Natürlich haben wir gute Rahmenbedingungen. Wir haben gute Steuereinnahmen, wir haben eine niedrige Arbeitslosigkeit, wir haben niedrige Zinsen. Aber ein ausgeglichener Haushalt an sich ist keine Selbstverständlichkeit. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausgeglichener Haushalt trotz dieser Bundesregierung!) Wenn wir uns die teilweise milliardenschweren Änderungswünsche von Teilen der Opposition in den letzten Jahren angucken, dann wissen wir: Wir hätten auch eine Neuverschuldung von 20, 30 oder 40 Milliarden Euro haben können. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war mehr Glück als Verstand!) Dass dies nicht der Fall ist, ist Ergebnis einer guten und nachhaltigen Politik, die wir hier betrieben haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für ein Pappkamerad!) Natürlich müssen wir den Blick auch in die Zukunft richten. Wir wissen, dass ausgeglichene Haushalte keine Selbstverständlichkeit sind. (Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Aber auch kein Selbstzweck!) Wir wissen, dass sich die momentan guten Rahmenbedingungen in der Zukunft verschlechtern können. Wir wissen auch, dass neue Herausforderungen auf uns zukommen. Zum Beispiel werden wir im Rahmen der Bund-Länder-Finanzvereinbarungen stärker als bisher dafür verantwortlich sein, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse in unserem Land vorfinden. Wir werden die Aufgabe haben, die Unterschiede zwischen armen und reichen Regionen nicht zu groß werden zu lassen. Das werden dann Investitionen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt unseres Landes sein. Sie lassen sich schlecht bis gar nicht bilanzieren. Aber sie sind unglaublich wichtig für unsere Gesellschaft. Das sind Dinge, die auf uns zukommen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Wir wissen natürlich, dass wir in Bezug auf Investitionen noch besser sein können. Wir haben Herausforderungen, die es anzugehen gilt. Aber man muss noch einmal betonen – der Staatssekretär hat es schon gesagt –: Wir haben in dieser Legislaturperiode Milliarden an Investitionen getätigt. Wir haben in den Breitbandausbau investiert. Wir haben in Kinder und Familien investiert. Wir haben in die Bildung in diesem Land investiert. Wir werden jetzt noch einmal 3,5 Milliarden Euro für Schulen in die Hand nehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben Länder und Kommunen entlastet und ihnen damit ihrerseits die Möglichkeit gegeben, wieder zu investieren. Das alles waren richtige und wichtige Maßnahmen. Das waren einige Maßnahmen von vielen. Doch uns als SPD ist klar, dass es noch viel zu tun gibt. Es ist kein Geheimnis: Wir hätten die Überschüsse im Bundeshaushalt gerne investiert. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habt ihr aber nicht! Hat die SPD nicht gemacht! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätte, hätte, Fahrradkette!) Wir hätten sie gerne in Infrastruktur und Bildung investiert. Wir gestehen ja ein, dass wir uns an der Stelle nicht durchgesetzt haben. Aber wir hielten und halten das nach wie vor für richtig, weil es den Kapitalstock des Bundes nachhaltig erhalten hätte bzw. dazu beigetragen hätte. (Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht durchgesetzt! Ist so!) Zusammenfassend: Wir wissen um die Situation, in der wir uns befinden. Es gibt a) Risiken für den Bundeshaushalt, und wir stehen b) vor Herausforderungen, zu investieren. Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, den Ausgleich zwischen diesen beiden Polen zu finden. Es ist unsere Aufgabe, Schwerpunkte dabei zu setzen. Es ist unsere Aufgabe, festzulegen, wo der Investitionsbedarf am größten ist, weil wir im Endeffekt jeden Euro nur einmal ausgeben können. Es ist auch unsere Aufgabe, zu sagen, wie wir das Ganze refinanzieren wollen. Aber ich möchte deutlich machen, dass es unsere Aufgabe ist, für das Hier und Jetzt zu entscheiden, für die Bundeshaushalte in dieser Legislaturperiode, also 2014, 2015, 2016 und 2017. Ich möchte auch deutlich machen: Es ist Aufgabe eines jeden gewählten Bundestages, mit seinen Abgeordneten seine eigenen Schwerpunkte zu setzen. Ich finde, wir sollten künftige Abgeordnete, wir sollten künftige Bundestage nicht in ein noch engeres Korsett zwängen. Wir sollten nicht weitere Regelungen auf den Weg bringen. Ich finde, jeder Bundestag sollte seine Prioritäten selbst setzen können. (Beifall bei der SPD) Wir sollten aufpassen, dass wir künftigen Bundestagen keine Schattenhaushalte hinterlassen. Ich finde zum Beispiel, dass es unsere Aufgabe im Hier und Jetzt ist, dafür Sorge zu tragen, dass die geplante Bundesfernstraßengesellschaft nicht kreditfähig wird. Das ist eine konkrete Aufgabe, vor der wir im Hier und Jetzt stehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Da sind wir gespannt!) Ich möchte noch auf etwas Weiteres in dem Antrag, der uns vorliegt, eingehen. Sie fordern die Erweiterung der Kameralistik hin zu einer Bilanzierung des Bundesvermögens. Ich habe die Umstellung von Kameralistik auf Doppik in der Kommunalpolitik miterlebt. Ich finde, man kann schon allein darüber streiten – der Staatssekretär hat es gerade zu Recht angesprochen –, ob damit eigentlich das Ziel erreicht wurde, das man sich einmal gesetzt hat, nämlich Kommunalhaushalte transparenter und steuerbarer zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich finde, wenn man sich das anschaut, kann man zumindest Zweifel daran haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn ich erlebe, dass neue Ratsmitglieder erst einmal mehrtägige Schulungen besuchen müssen, um einen kommunalen Haushalt mit einem Volumen von 10 oder 15 Millionen Euro überhaupt lesen zu können, (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Nicht nur Ratsmitglieder, sondern auch Kämmerer!) wenn ich erlebe, dass Bürgerinnen und Bürger mit dem doppischen Haushalt als solchem nichts mehr anfangen können, dann, finde ich, sollte man das zumindest kritisch betrachten. Ich finde, wir sollten auch vorsichtig sein, wenn wir über die Einführung von so etwas für den Bund diskutieren. Nun fordern Sie – das möchte ich zu Recht anmerken – nicht die Einführung der Doppik, sondern eine Bilanzierung des Bundesvermögens. Ich finde, man sollte auch sagen, was dazugehört. Man kann ja darüber diskutieren, aber zur Ehrlichkeit gehört auch, zu sagen, was alles dazugehört. Dazu gehört nämlich, sämtliches Bundesvermögen zu erfassen, zu betrachten und zu bewerten. Dabei geht es wirklich um sämtliche Vermögensgegenstände des Bundes. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Genau!) Sie müssen sich jeden Kilometer Straße anschauen. Sie müssen sich jedes Gebäude anschauen. Sie müssen sich jeden Mobiliargegenstand anschauen. Ich will Ihnen einmal sagen: Meine Gemeinde hat 106 Quadratkilometer. Es hat Jahre gedauert und viel Personal gebunden, um hier eine Eröffnungsbilanz zu erstellen. Man muss auch fragen, wie das Ganze in einem Land, das 357 000 Quadratkilometer groß ist, vonstattengehen soll. Entweder – das ist die Wahrheit – stellt man massiv Personal ein und vergrößert die Ministerien deutlich, oder man macht ein millionen- bis milliardenschweres Förderprogramm für Wirtschaftsberatungsunternehmen. Beides kann nicht in unserem Interesse sein. (Beifall bei der SPD) Es ist auch fragwürdig, ob das Ganze zu einer guten Politik beiträgt, ob es einen Nutzen hat. Ich finde, wir können das Geld wahrlich besser anlegen. Deswegen werden wir den Antrag heute ablehnen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Alois Rainer für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bund hat seine Vermögensrechnung seit einigen Jahren in moderaten Schritten stückweise verbessert. Das wurde auch vom Bundesrechnungshof in seinen Jahresbemerkungen regelmäßig anerkennend erwähnt. Die Verwaltungsvorschriften für die Buchführung und die Rechnungslegung über das Vermögen und die Schulden des Bundes sind für den Kernbereich im Bund einschlägig festgelegt. Des Weiteren dürfte die geforderte Einführung eines kaufmännischen Buchführungssystems – oder zum Teil eines kaufmännischen Buchführungssystems – mit erheblichen Mehrkosten und vor allem mit einem erheblichen Mehr an Bürokratie verbunden sein. Auch können der Nutzen durch diesen bürokratischen Mehraufwand sowie die Mehrkosten für finanzpolitische Entscheidungen eher bezweifelt werden, schon deshalb, weil Erfahrungen gerade auch im kommunalen Bereich zeigten, dass die Einführung eines kaufmännischen Rechnungswesens sehr häufig nicht zu einer Veränderung der Entscheidungsmechanismen beigetragen hat. Meine Damen und Herren, in Ihrem Antrag steht unter anderem, in unserem Land werde zu wenig investiert. Insbesondere sprechen Sie im Hinblick auf die Modernisierung der Infrastruktur von „zukunftsvergessen“. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auch Sie waren ja in den letzten Monaten und Jahren dabei. Ich nenne als Beispiele nur den Bundesverkehrswegeplan, die verschiedenen Bundeshaushalte, die Änderungen des Finanzausgleichsgesetzes, das kommunale Investitionspaket und den Kommunalinvestitionsförderungsfonds. Ich kann Ihnen nur bestätigen, dass diese Bundesregierung so viel investiert wie schon lange nicht mehr. Wenn es Ihnen um die klassische Verkehrsinfrastruktur geht, lassen Sie mich sagen, dass wir die Mittel für die Verkehrsinfrastruktur um circa 25 Prozent erhöht haben. Das ist ein ordentlicher Schluck aus der Pulle. In diesem Zusammenhang möchte ich auch erwähnen, dass diese Bundesregierung die Länder und Kommunen in den letzten vier Jahren finanziell so sehr unterstützt hat wie keine andere Bundesregierung zuvor. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn man ehrlich miteinander umgeht, dann darf man auch sagen: Derzeit ist es faktisch so, dass es planungsrechtlich oder auch im Vollzug nur schwerlich möglich ist, die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, vollständig abzurufen. Der Bund stellt in vielen Bereich mehr Geld zur Verfügung, als überhaupt abgerufen werden kann. Da stellt sich doch meines Erachtens eher die Frage, ob wir im Planungs- und Planfeststellungsbereich etwas ändern sollten. Unabhängig davon macht sich die Nachhaltigkeit unserer Haushalts- und Finanzpolitik nicht nur durch die schwarze Null, sondern auch dadurch bemerkbar, dass wir investieren. Wir investieren nicht nur in Güter, wie vorhin angesprochen, sondern auch in die Menschen in dieser Republik. Das ist allerdings nicht so einfach messbar wie die Investition in eine Straße. Das, meine Damen und Herren, ist meines Erachtens generationengerechte Politik. Sie wollen nachhaltige Haushaltspolitik. Wir machen sie, und wir werden sie auch weiterhin machen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Lieber Kollege Sven-Christian Kindler, lassen Sie mich, da Sie vorhin von der Champions League gesprochen haben, (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind im Tabellenkeller!) sagen: Deutschland spielt in der Champions League gesamtstaatlich ganz oben mit. Reduzieren Sie Ihren Blick nicht auf einige wenige Investitionen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja, die gesamtstaatlichen Investitionen!) Wir stehen im Europa der jetzt 28, bald vielleicht 27 Staaten ganz oben, und das kann sich sehen lassen. Es gibt zwar kein Finale der Staaten in der Champions League, aber faktisch sind wir ganz oben. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man die Tabelle umdreht! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eher Schlusslicht!) Wer hätte das noch vor zehn Jahren gedacht? Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11188 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Widerspruch erhebt sich dagegen nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe hiermit den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksache 18/11397 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Auch dagegen erhebt sich keinerlei Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Christian Lange für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, ein weiteres wichtiges Vorhaben dieser Legislaturperiode beraten können, nämlich den bereits erwähnten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld. Terroranschläge, wie zuletzt im Herzen unserer Hauptstadt, absichtlich herbeigeführte Flugzeugabstürze, wie jüngst beim Germanwings-Flugzeug über Südfrankreich, oder alltägliche Unglücksfälle, bei denen Menschen durch das Verschulden Dritter zu Tode kommen: Stets geht der Verlust geliebter Menschen einher mit Ohnmacht und Wut und vor allem mit dem grenzenlosen seelischen Leid derer, die trauernd und alleine zurückbleiben. Regelmäßig steht dann auch die Frage nach einer Entschädigung für die Hinterbliebenen im Raum. Im internationalen Vergleich zeigt sich das deutsche Schadensersatzrecht in diesem Punkt bisher eher zurückhaltend. Es kennt nämlich bis heute keinen gesetzlichen Anspruch, nach dem Hinterbliebene für das mit dem Tod eines nahen Angehörigen verbundene Leid entschädigt werden. Die Gerichte gewähren Hinterbliebenen derzeit nur ganz ausnahmsweise einen eigenen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld, nämlich dann, wenn sie durch den Tod eines Angehörigen deutlich in ihrem gesundheitlichen Befinden beeinträchtigt sind. Den meisten von Ihnen hier ist in diesem Kontext sicherlich der Begriff „Schockschaden“ geläufig. Der historische Gesetzgeber fand es seinerzeit anstößig, einen immateriellen Schaden in Geld aufzuwiegen. Über die moralischen Beweggründe für diese Entscheidung kann man trefflich streiten. Der Ansatz hat aber zunehmend Kritik erfahren. Der Deutsche Juristentag hat etwa schon in den 60er-Jahren eine gesetzliche Regelung für einen Entschädigungsanspruch beim Tod eines Angehörigen gefordert. In den letzten Jahren ist diese Frage jedoch immer kontroverser diskutiert worden. Insoweit könnte der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, durchaus als Paradigmenwechsel im deutschen Schadensersatzrecht bezeichnet werden. Das seelische Leid und die Trauer von Hinterbliebenen wollen wir künftig im Sinne einer Anerkennung entschädigen. Medizinisch fassbare gesundheitliche Beeinträchtigungen sind dazu nicht mehr erforderlich. Selbstverständlich – dessen sind wir uns bewusst – kann kein Geld der Welt die Trauer der Betroffenen relativieren oder gar kompensieren. Wir wollen aber ein wichtiges Zeichen in Richtung der Hinterbliebenen senden: Die Rechtsordnung verschließt sich eurem seelischen Leid nicht länger. Mit der Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld machen wir nämlich deutlich: Die Gesellschaft steht solidarisch hinter denjenigen, die zurückbleiben, und gewährt ihnen Anerkennung. Mit diesem Gesetzentwurf beenden wir auch bestehende Ungerechtigkeiten; denn bei Ehrverletzungen und selbst bei entgangenen Urlaubsfreuden haben die Betroffenen bereits einen Anspruch auf Ersatz ihres immateriellen Schadens. Hinterbliebenen, die unter dem Verlust ihrer Lieben sicherlich ungleich mehr leiden, bleibt dies bislang verwehrt, und genau dies ändern wir nunmehr. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Letztendlich entfällt mit der Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld auch ein – darin dürften wir uns hier im Hause sicherlich einig sein – nicht wünschenswertes Alleinstellungsmerkmal des deutschen Rechts. Viele Staaten in der Europäischen Union und weltweit kennen bereits seit langem – wenn auch mit unterschiedlicher Begründung und Ausprägung – einen Entschädigungsanspruch für Hinterbliebene. Deutschland zieht hiermit nach. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine ausgewogene Lösung gefunden haben, und das war nicht ganz leicht. Lassen Sie mich deshalb abschließend noch einige Details des Entwurfes skizzieren. Der Anspruch wird im Hinblick auf die Anspruchsberechtigten als „Hinterbliebenengeld“ bezeichnet. Anspruchsberechtigt sind diejenigen Hinterbliebenen, die in einem besonderen Näheverhältnis zum Getöteten stehen. Für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner, Eltern und Kinder wird dies vermutet. Der Gesetzentwurf gibt mit der Anerkennung als Zweck des Anspruchs zugleich den entscheidenden Faktor für seine Bemessung vor. Es geht um eine im Einzelfall angemessene Entschädigung. Deswegen führen wir auch keine Pauschale ein. Denn dies wäre einerseits nicht geeignet, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, andererseits ist es gerade nicht angemessen, in Gestalt einer Pauschale eine Art „Sterbegeld“ zu zahlen. Die Bestimmung der Anspruchshöhe soll also den Gerichten überlassen bleiben. Dass die Rechtsprechung dazu imstande ist, belegen die deutsche Rechtspraxis und die Erfahrungen aus anderen Staaten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass dieser Gesetzentwurf vielen von Ihnen ein Herzensanliegen ist. Deshalb hoffe ich auf Unterstützung unseres Gesetzentwurfes und um angemessene Beratung. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Harald Petzold für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Das letzte Mal haben wir am 1. Dezember des vergangenen Jahres über Hinterbliebenengeld gesprochen. Damals hatte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen sehr guten Antrag vorgelegt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in dem die Regierung aufgefordert wurde, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Einführung eines Hinterbliebenengeldes regelt. Ich will zumindest zu Beginn meiner Rede – ich liege doch nicht falsch, Herr Präsident, dass wir den Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD und nicht den der Bundesregierung beraten? – Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Petzold, Sie liegen richtig. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): – genau – klarstellen, dass es der Bundesregierung bis jetzt nicht gelungen ist, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen – obwohl der Kollege Fechner uns vollmundig zugesichert hat, dass das Bundesjustizministerium jetzt ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren gestartet hat. Der Schmerzensgeldanspruch im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie in weiteren Gesetzen sowie die Gefährdungshaftung würden kommen. Die Aufforderung an die Bundesregierung, tätig zu werden, sei schlicht nicht mehr nötig. Geschehen war nämlich bis dahin nichts. Und geschehen ist seitens der Bundesregierung auch bis heute nichts. Das wollen wir einmal festhalten. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist was Neues!) Ich gehe aber einmal davon aus, dass unsere Kritik damals sowie Ihre Beurteilung, der Antrag der Grünen sei, zumindest inhaltlich, gut, Sie dazu bewogen haben, noch einmal in sich zu gehen und uns heute diesen Gesetzentwurf und damit etwas, mit dem man tatsächlich etwas anfangen kann, vorzulegen. Die Wahlperiode ist fast zu Ende, und jetzt scheint es Ihnen zumindest aufgefallen zu sein, dass der Koalitionsvertrag an dieser Stelle noch nicht umgesetzt worden ist. Ich kann ansonsten meine Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf insoweit kurz machen, als ich feststelle, dass meine Fraktion dieses Vorhaben grundsätzlich unterstützt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, Sie können sich den Tag, an dem ich Sie gelobt habe, im Kalender anstreichen. Ich tue es aber, weil zumindest Ihr Versprechen umgesetzt wurde und ich damit meine Kritik, dass Sie nur ein Ankündigungsabgeordneter sind, Herr Kollege Fechner, zurücknehmen und in aller Höflichkeit diesbezüglich zumindest um Entschuldigung bitten kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ansonsten bitte ich Sie, im parlamentarischen Verfahren zumindest die Punkte, die vonseiten der Opferverbände – zum Beispiel vom Weißen Ring, aber auch vom Deutschen Anwaltverein – gekommen waren, noch einmal auf sich wirken zu lassen. Der Weiße Ring hat uns beispielsweise darum gebeten, auch ein Trauergeld für Angehörige von schwerstverletzten Opfern einzuführen, weil deren eigene Schmerzensgeldansprüche bisher nur immaterielle Schäden eines Verletzten umfassen, nicht aber das darüber hinausgehende Leid einer oder eines Angehörigen, der den Verletzten oder die Verletzte möglicherweise lebenslang pflegt und dadurch täglich mit dessen oder deren Leid konfrontiert ist. Ich denke, das ist ein Anliegen, dem wir uns nicht zu verschließen brauchen. Der Deutsche Anwaltverein hat kritisiert – er bittet uns dahin gehend um Korrektur –, dass im Gesetzentwurf vorgesehen ist, nur die sogenannte deliktische Haftung zu regeln. Er bittet darum, dass auch eine vertragliche Haftung vorgesehen wird. Ich will das anhand eines Beispiels erklären. Es gibt den tragischen Fall – davon haben Sie möglicherweise schon gehört –: Eine Kitagruppe geht auf Wanderung. Eines der Kinder geht leider verloren, und es kommt zu einem sehr tragischen Todesfall. In diesem Fall haben die Eltern auch nach Ihrem Gesetzentwurf keinen Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil kein tätliches Delikt vorliegt und die Kita möglicherweise nachweisen kann, dass sie fachgerechtes Personal eingesetzt hat. Für die Hinterbliebenen muss sich aber aus dem vertraglichen Verhältnis, das sie mit dem Kitaträger und der Kita hat, ein solcher Anspruch ergeben. Das sollten wir auf jeden Fall prüfen. Darüber hinaus will ich den Antrag der Grünen in Erinnerung rufen. Die Grünen haben damals – Sie haben darauf zumindest inhaltlich positiv reagiert – die Forderung aufgemacht, dass die Geschädigten im Fall eines Forderungsausfalls, wenn also vom Schädiger nichts zu holen ist, ebenfalls einen Anspruch, zum Beispiel nach dem Opferentschädigungsgesetz, haben könnten. Auch das müssten wir nachträglich regeln. Das ist in Ihrem Gesetzentwurf bisher nicht vorgesehen. Schließlich werden wir als Linke in der öffentlichen Anhörung zum Gesetz die Frage thematisieren, was ein „besonderes persönliches Näheverhältnis“ bedeutet, das Ansprüche nach dem Gesetzentwurf definieren soll. Hier hat der Bundesrat darum gebeten, dass wir den Personenkreis eindeutig benennen. Ich finde aber Ihren Ansatz gar nicht so schlecht, diesen Kreis auch auf Geschwister und auf nahe Freunde auszuweiten. Ich denke, das sollten wir in der öffentlichen Anhörung thematisieren und nachfragen, wie das in der Fachwelt gesehen wird, und hier eventuell nachbessern. Sie sehen: Nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könnte. In diesem Sinne haben Sie, wie gesagt, die grundsätzliche Zustimmung meiner Fraktion zum Gesetzesvorhaben der Koalitionsfraktionen; das will ich ausdrücklich betonen. Sie machen nichts anderes als das, was auch wir immer machen, wenn wir feststellen: Die Bundesregierung pennt, und sie schläft den Schlaf der Selbstgerechten. – Sie haben nun selber einen Gesetzentwurf vorgelegt. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist doch schön!) Nichts anderes machen wir auch. Ich finde, dieses Vorgehen ist legitim und sollte von der Mitte des Parlaments viel öfter genutzt werden. Insofern haben Sie, wie gesagt, unsere Zustimmung zu dem Verfahren. Ich bin sehr gespannt auf die weiteren parlamentarischen Diskussionen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Da gibt es auch Applaus von uns!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Hendrik Hoppenstedt. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der eine oder andere hat möglicherweise bezweifelt, ob wir die erste Lesung zu diesem Gesetzesvorhaben noch in dieser Wahlperiode erleben werden. Wir erleben sie heute. Ich gebe zu: Auch ich war nicht immer ganz sicher. Aber es ist umso schöner, dass das heute der Fall ist. Es gibt für das Bundesministerium Lob und Tadel zugleich. Ein Stück weit muss ich erst einmal den Herrn Staatssekretär und seine Leute in Schutz nehmen. Es ist nicht so, dass sie nicht geliefert oder nichts getan hätten. Vielmehr wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung morgen im Bundesrat beraten, während wir heute den der Koalitionsfraktionen debattieren. (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Enttäuschen Sie mich nicht, Herr Kollege!) Es ist nicht so, Herr Kollege Petzold, dass die Bundesregierung nichts getan hätte. Es gibt dafür Lob, weil ich finde, dass das, was materiell-rechtlich im Gesetzentwurf vorgelegt wird, wirklich hervorragend ist. Mir fiel, ehrlich gesagt, nichts ein, was man verbessern könnte. Ich bin daher ganz unsicher, Frau Kollegin Keul, ob das Struck’sche Gesetz dieses Mal überhaupt Anwendung finden kann. Aber vielleicht hat die Opposition noch die eine oder andere Idee, was möglich ist. Tadel gibt es in der Tat dafür, dass es insgesamt dreieinhalb Jahre gedauert hat, bis die erste Lesung zu diesem Gesetzesvorhaben durchgeführt werden kann. Das liegt, meine Damen und Herren, hoffentlich nicht daran, dass es die Union war, die dieses Vorhaben in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt hat. Wir jedenfalls hätten uns gewünscht, dass das Ganze deutlich schneller gegangen wäre, weil dann natürlich mehr Menschen, die tragischerweise einen nahen Angehörigen verloren haben, von diesem Gesetzeswerk hätten profitieren können. Meine Damen und Herren, was haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart? Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein, der sich in das deutsche System des Schadensersatzrechts einfügt. Ich betone diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag deswegen so deutlich, weil viele gesagt haben, dass sich die Koalition diesem Thema erst durch den Absturz der Germanwings-Maschine gewidmet hätte. Das ist schlichtweg nicht der Fall. Warum haben wir das in den Koalitionsvertrag geschrieben? Es gibt zwei Gründe dafür. Zum einen ist nicht nachvollziehbar, dass der tiefe seelische Schmerz, unter dem man möglicherweise ein Leben lang leidet, wenn man das eigene Kind durch einen Unfall, den ein Dritter verschuldet hat, getötet wird, von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird, vor allen Dingen dann, wenn man bedenkt, dass für ganz andere Sachen, wie zum Beispiel entgangene Urlaubsfreuden, der Kfz-Nutzungsausfall oder Ehrverletzungen, Entschädigungen gezahlt werden. Andere europäische Rechtsordnungen sehen deswegen ein Angehörigenschmerzensgeld schon lange vor. Zum anderen gibt es einen Wertungswiderspruch. Ein Schädiger steht hierzulande im Fall der Tötung eines Dritten wirtschaftlich besser da als bei einer Körperverletzung. Die Kollegin Keul hat das bei ihrem Antrag in der letzten Sitzung, als wir hier darüber diskutiert haben, ganz plastisch dargestellt, indem sie gesagt hat: Wenn ich auf einer Landstraße eine Person anfahre und verletze, dann ist es wirtschaftlich günstiger, den Rückwärtsgang einzulegen, um dem armen Opfer den Garaus zu machen. – Das ist in der Tat richtig. Man sieht daran allerdings auch, dass die Grünen nur wieder an das Geld denken. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) In der Tat werden nach § 844 BGB, wenn eine Tötung erfolgt, nur die Beerdigungskosten oder gegebenenfalls der Unterhalt ersetzt, falls überhaupt ein Unterhaltsberechtigter da ist, während in der Fallkonstellation, dass der Verletzte am Leben bleibt, ein Anspruch auf alle Vermögens- und Nichtvermögensschäden existiert. Deswegen, meine Damen und Herren, führen wir einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld ein. Dem § 844 BGB, der schon bislang die Ersatzansprüche Dritter bei der Tötung regelt, wird ein neuer Absatz 3 angefügt: Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist bewusst eng gefasst, lässt aber auch eine gewisse Flexibilität zu. Das besondere Näheverhältnis – Herr Staatssekretär Lange hat es schon erwähnt – wird bei Ehegatten, Lebenspartnern, Elternteil oder Kindern vermutet. Bei anderen Verbindungen greift der Anspruch nur dann, wenn das Verhältnis dem entspricht, welches typischerweise zwischen den Ehegatten, Lebenspartnern, Kindern oder Eltern besteht. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld soll auch in Fällen der Gefährdungshaftung bestehen. Das ist tatsächlich eine Konsequenz des Germanwings-Absturzes, weil wir gesagt haben: Es kann in der Sache nicht sein, dass Hinterbliebene beispielsweise einer Fluggesellschaft ein Verschulden nachweisen müssen, was bei solchen Unglücken üblicherweise ziemlich kompliziert werden kann. Zu der Frage der Anspruchshöhe. Was können Angehörige erwarten? Dazu wird vielfach gesagt: Man kann einem Menschenleben kein exaktes Preisschild anhängen. Das ist zumindest missverständlich; denn erstens wird der Verlust eines nahestehenden Menschen durch kein Geld der Welt ausgeglichen werden können. Zweitens ist es aber auch gar nicht das Ziel, dass wir ein Menschenleben materiell bewerten möchten. Ziel des Hinterbliebenengeldes ist nämlich der symbolische Ausgleich des Trauerschmerzes von nahestehenden Angehörigen. Die Zahlung des Hinterbliebenengeldes wird seelisches Leid nicht wirklich ausgleichen können. Mit der Schaffung des Anspruches wird aber gezeigt, dass die Rechtsordnung den empfundenen Schmerz anerkennt. Wir stellen aus gutem Grund die Höhe des Anspruchs in richterliches Ermessen, weil jeder Fall anders gelagert ist. Wir äußern uns aber in der Gesetzesbegründung durchaus zu Orientierungspunkten. Es wäre nämlich falsch, Erwartungen zu wecken, dass künftig in Deutschland Entschädigungssummen in Dimensionen gezahlt werden, wie man sie aus den Vereinigten Staaten von Amerika kennt. Wir hatten hierzu – das sei offen angesprochen – mit dem Koalitionspartner durchaus Diskussionsbedarf, weil die SPD andere Vorstellungen dazu hatte. Dort hat man sich 30 000 bis 60 000 Euro pro Angehörigen vorgestellt. Wir haben gesagt: Es macht mehr Sinn, sich an der Schockschadensumme zu orientieren, die bei ungefähr 10 000 Euro liegt. Andere Fraktionen haben möglicherweise ganz andere Forderungen, sodass man darüber sicherlich diskutieren kann. Aber wir jedenfalls halten das, was jetzt in dem Gesetzentwurf steht, für richtig; denn im Koalitionsvertrag haben wir auch vereinbart, dass sich der Anspruch in das Schadenersatzrecht einfügt. Damit ist nicht nur die systematische Stellung im Gesetz gemeint, sondern auch die Größenordnung der Schadenersatzzahlungen. Im Gesetzentwurf gehen wir von circa 24 000 Haftungsfällen pro Jahr aus. Da beim Hinterbliebenengeld geringere Summen als für Schockschäden zugesprochen werden, ergibt sich auf der Grundlage der Schockschadensummen rechnerisch eine Gesamtschadensumme von maximal 240 Millionen Euro pro Jahr. Wenn man jetzt 30 000 bis 60 000 Euro pro Angehörigen zugrunde legen würde, würde die Gesamtschadensumme zwischen 480 Millionen und circa 1,4 Milliarden Euro liegen. Das würde dazu führen, dass das deutsche Schadenersatzrecht aus der Balance gebracht werden würde, weil natürlich dann auch für andere Schadenfälle wesentlich höhere Schadensummen gezahlt werden müssten. Hinzu kommt, dass natürlich dann die Versicherungsunternehmen die entsprechenden Schäden auf die Versichertengemeinschaft über erhöhte Prämien umlegen müssten. Deswegen tun wir gut daran, dass wir uns, was die Höhe betrifft, genauso wie es im Gesetzentwurf geregelt ist, an der Schockschadenrechtsprechung orientieren. Einen letzten Punkt möchte ich ansprechen, nämlich die Berücksichtigung des Hinterbliebenengeldes beim Zugewinnausgleich. Dazu steht im Gesetzentwurf noch nichts. Darüber müssen wir uns im Ausschuss unterhalten, insbesondere auch deswegen, weil das morgen im Bundesrat Thema sein wird. Von der typischerweise sehr individuell empfundenen Trauer des Anspruchsberechtigten, etwa beim Unfalltod seiner Eltern, wird der Ehegatte regelmäßig nicht so mitbetroffen sein, dass eine nachträgliche Beteiligung über einen Zugewinnausgleich zwingend gerechtfertigt wäre. Deshalb soll das Hinterbliebenengeld beim Zugewinnausgleich dem Anfangsvermögen hinzugerechnet werden, sodass es im Ergebnis tatsächlich nur dem Angehörigen zugutekommt. Unter dem Strich ist das ein wirklich gelungenes Gesetzesvorhaben. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und darauf, dass wir dann hoffentlich dieses Gesetz im Bundesgesetzbuch haben werden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast möchte man ausrufen: Halleluja. Das für 2015 versprochene Weihnachtsgeschenk kommt jetzt zu Ostern 2017. Aber am Ende hat es vielleicht doch geholfen, dass wir Grüne aus der Opposition heraus zwei Jahre lang beim Thema Angehörigenschmerzensgeld Druck gemacht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Wir hätten es auch so hinbekommen! – Rüdiger Veit [SPD]: Sankt Martin sei Dank!) Immer wieder haben Sie unseren Antrag vertagt, am Ende haben Sie ihn sogar abgelehnt. Dabei unterscheidet sich Ihr jetziger Vorschlag gar nicht so wesentlich von unserem. Der Trauerschaden und die seelischen Schmerzen, die eine Person infolge des Todes eines nahen Angehörigen erleidet, sollen auch bei uns in Deutschland künftig zu einem Ersatzanspruch führen. Bislang gilt: Schmerzen für ein verlorenes Bein sind bezifferbar, aber nicht die Schmerzen für ein verlorenes Kind. Das gilt selbst bei Vorsatztaten und führt in der Tat dazu, dass es für einen Täter finanziell attraktiver ist, wenn das Opfer stirbt, als wenn es schwerverletzt überlebt. Meine zugegebenermaßen etwas zugespitzte Formulierung aus der ersten Rede brauche ich jetzt nicht zu wiederholen; das hat der Kollege Hoppenstedt mir dankenswerterweise abgenommen. Aber das Beispiel scheint geholfen zu haben, Sie zu motivieren, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Viele andere europäische Länder haben längst so eine Regelung und gewähren ein Angehörigenschmerzensgeld, dort aber zum Teil mit festen Entschädigungssummen. Wir Grüne hatten in unserem Antrag vorgeschlagen, die Entschädigungssummen in das Ermessen des Gerichts zu geben, wie das sonst auch bei Schmerzensgeldansprüchen üblich ist. Diesem Vorschlag sind Sie gefolgt, und das begrüßen wir. (Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Wir haben das schon durch eigene Überlegung geschafft!) – Ein bisschen Hilfe kann nie schaden. – Ebenso sind wir uns einig, dass der Trauerschaden auf Todesfälle beschränkt sein soll und nicht etwa auf schwere Verletzungen zu erstrecken ist. Auf der anderen Seite muss sich der Anspruch aber auch auf die Gefährdungshaftung beziehen und darf sich nicht auf reines Verschulden beschränken; denn es wäre letztlich nicht nachvollziehbar, Opfer von Unglücksfällen aus Flugzeugabstürzen oder Eisenbahnunfällen von der Regelung auszunehmen. Auch hier sind Sie unseren Vorschlägen gefolgt. Anders als wir haben Sie sich allerdings als Rechtsgrundlage für den § 844 BGB entschieden, also für eine Vorschrift aus dem Deliktsrecht. Das ist aus meiner Sicht nicht so glücklich; denn so sind zwar die Ansprüche aus unerlaubter Handlung oder Gefährdungshaftung umfasst, nicht aber die Ansprüche aus vertraglicher Haftung. (Beifall der Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Deswegen kann es in Einzelfällen zu Schutzlücken kommen; – Kollege Petzold hat es gerade gesagt. Auch der DAV hat das in seiner Stellungnahme kritisiert. Wenn etwa ein Mensch aufgrund einer Verletzung von vertraglich vereinbarten Betreuungspflichten ums Leben kommt, zum Beispiel in einem Pflegeheim oder in einer Kindertagesstätte, würde der § 844 nicht greifen. Die Betreuungspflicht obliegt in diesen Fällen dem Träger der Einrichtung, und dieser haftet nicht, wenn er geltend machen kann, dass er sein Personal sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht hat; denn so ist das eben in der deliktischen Haftung. Der Träger kann sich exkulpieren, anders als bei der vertraglichen Haftung. Deswegen hatten wir uns in unserem Antrag für einen anderen Ansatz entschieden. Wir wollten den Schmerzensgeldanspruch in § 253 BGB regeln. Das sind die allgemeinen Vorschriften zu Art und Umfang von Schadenersatzansprüchen. Auf diese Vorschrift verweist auch das Deliktsrecht, wenn es um den Ersatz eines immateriellen Schadens geht. Auf diesem Wege wären dann ohne Weiteres alle Anspruchsarten, auch die aus vertraglicher Haftung, umfasst. Vielleicht können wir Sie im Verfahren doch noch davon überzeugen, dass auch diese positive Gesetzesvorlage noch verbessert werden kann. Für die Opfer von Straftaten hatten wir auch noch einen Vorschlag gemacht, den Sie nicht übernommen haben. Wir wollen, dass das Opferentschädigungsgesetz reformiert wird und künftig auch Hinterbliebene nach diesem Gesetz Ansprüche geltend machen können, wenn der Straftäter selbst mittellos ist. Bei dieser Gelegenheit will ich auch noch einmal an die Streichung von § 1 Absatz 11 Opferentschädigungsgesetz erinnern, die wir hier anlässlich des Attentats vom Breitscheidplatz diskutiert haben. Für die Hinterbliebenen sollte es keinen Unterschied machen, ob die Tat mittels eines Pkw oder einer anderen Waffe begangen worden ist. Einzelfalllösungen und Härtefallfonds können Rechtssicherheit in solchen Fällen dauerhaft nicht ersetzen. Trotz dieser Defizite begrüßen wir Ihren Gesetzentwurf, weil er erstmals einen Schmerzensgeldanspruch für die Trauer von Angehörigen einführt, und darauf haben wir lange genug gewartet. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Dr. Johannes Fechner spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wir freuen uns auch sehr, dass wir nach intensiven und gründlichen – ich sage nicht „langen“, sondern „gründlichen“ – Vorberatungen heute diesen Gesetzentwurf vorlegen können und damit das Verfahren starten, damit Hinterbliebene endlich eine eigene Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung bekommen. Damit stehen wir hinter den Hinterbliebenen und stellen eines klar: Das seelische Leid von Menschen, die einen nahestehenden Menschen durch einen Unfall oder eine Straftat verloren haben, wird künftig nicht mehr ohne Anerkennung bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das war auch mir eine Herzensangelegenheit. (Beifall bei der SPD) Ich darf mich beim Bundesjustizministerium herzlich für die sehr gute Zu- und Zusammenarbeit bedanken. Herzlichen Dank! Das war wirklich sehr gut. Meine Damen und Herren, der Tod eines nahestehenden Menschen ist der schlimmste Verlust, den man sich vorstellen kann. Wir werden das Leid der Hinterbliebenen sicher nicht durch eine Geldleistung aufheben können. Aber zumindest ein Stück weit können wir das Leid der Hinterbliebenen mit einer eigenen Anspruchsgrundlage lindern. Es ist nach heutiger Rechtsprechung und auch nach heutiger Rechtslage für Hinterbliebene einfach viel zu kompliziert und zu schwierig, einen solchen Entschädigungsanspruch durchzusetzen; denn nach der heutigen Rechtslage haben die Angehörigen nur dann einen Anspruch, wenn sie nachweisen, dass sie über das Maß der normalen Trauer hinaus in ihrer seelischen Verfassung verletzt sind. Das nachzuweisen, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Deswegen müssen wir die Änderung, wie wir sie heute hier vorschlagen, durchführen. Ich halte es für richtig und sinnvoll, dass wir uns nicht am traditionellen Familienbild orientieren, sondern die Formulierung so fassen, dass anspruchsberechtigt etwa auch Patchwork-Familien sein können oder auch ein unverheirateter Hinterbliebener, der einem Verstorbenen sehr nahe gestanden hat. Was die Höhe der Entschädigung angeht, so haben wir darüber in der Tat intensiv diskutiert. Wir waren uns einig, dass wir keine Summe in das Gesetz hineinschreiben sollten. Aber wir hätten eine Orientierung für sinnvoll gehalten. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat vor wenigen Tagen in einem Schreiben deutlich gefragt, warum wir keinen Entschädigungsrahmen in der Gesetzesbegründung vorgegeben haben, und es wird – ich zitiere – „eine extrem voneinander abweichende richterliche Rechtsprechung“ erwartet. Angesichts dessen glaube ich, lagen wir mit unserem Vorschlag nicht so falsch, einen Rahmen, einen Korridor in der Gesetzesbegründung zu nennen. Immerhin haben wir in der Gesetzesbegründung den klaren Hinweis auf die bisherige deutsche und europäische Rechtsprechung. Wir verweisen auf Urteile, die etwa bis zu 25 000 Euro zugesprochen haben, was als Mindestbetrag gelten sollte. Aus meiner Sicht kann sich die Rechtsprechung durchaus dahin gehend entwickeln, dass den Hinterbliebenen höhere Beträge zugesprochen werden; denn ich finde, eines ist doch ganz wichtig: Wenn wir eine eigene Anspruchsgrundlage für die Hinterbliebenen schaffen, dann sollten die Ansprüche auch nicht mit kleineren Summen abgegolten werden, sondern dann muss es eine wirklich angemessene Entschädigungszahlung für die Hinterbliebenen geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Nicht zuletzt die Germanwings-Katastrophe hat uns gezeigt, dass Hinterbliebene eine klare Rechtsgrundlage haben müssen. Gerade in der schweren Zeit der Trauer sollten wir den Hinterbliebenen schwierige und komplizierte Verhandlungen mit den Schädigern oder deren Versicherung ersparen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es darf nicht sein, dass Hinterbliebene in der schweren Zeit ihrer Trauer solch schwierigeren Verhandlungen ausgesetzt sind, nur weil eine klare Rechtsgrundlage fehlt. Künftig wird das nicht mehr vorkommen. Mit der neuen Regelung wird das Risiko minimiert, dass Hinterbliebene wegen der unklaren Rechtslage nicht zu ihrem Recht kommen. Natürlich können wir nicht verhindern, dass Ansprüche gegen den Täter oder den Unfallverursacher ins Leere laufen, wenn der Täter oder der Unfallverursacher kein Vermögen hat – wie etwa der Täter bei dem schrecklichen Anschlag hier auf dem Berliner Breitscheidplatz. Ich möchte deshalb ausdrücklich loben, dass die Bundesregierung gestern einen Beauftragten für die Anliegen der Opfer des Terroranschlags auf den Breitscheidplatz und deren Hinterbliebene bestimmt hat, (Beifall bei der SPD) um die Entschädigung für die Opfer dieses Anschlags und deren Angehörige zu gewährleisten. Ich glaube, mit Kurt Beck wurde eine ebenso vertrauenswürdige wie kompetente Person zum Beauftragten der Bundesregierung für diese Entschädigungen benannt. Ich bin mir sicher: Er wird sich für die Belange der Hinterbliebenen engagiert einsetzen und den Hinterbliebenen ein vertrauenswürdiger Ansprechpartner in dieser schwierigen Rechtsgestaltung sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich sehr, dass wir heute mit diesem wichtigen Gesetz das parlamentarische Verfahren starten können. Wir sollten noch in dieser Legislaturperiode für die Hinterbliebenen die Grundlage schaffen. Für den Leistungsdruck, dem uns die Opposition ausgesetzt hat, möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Das war sehr konstruktiv. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Ja, ernsthaft. Ich glaube, es gibt wenige Themen, die sich für Parteipolitik weniger eignen würden als dieses Gesetz. Lassen Sie es uns zügig beraten und dann noch in dieser Legislaturperiode einvernehmlich beschließen! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Am Ende dieser ersten Beratung des Gesetzentwurfs spricht jetzt der Kollege Alexander Hoffmann für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Statistiken weisen manchmal schwerwiegende Zahlen aus. Statistiken für unser Land zeigen, dass wir im Jahr circa 3 000 fremdverursachte Todesfälle im Straßenverkehr haben sowie circa 1 500 Todesfälle aufgrund ärztlicher Behandlungsfehler. Circa 500 Menschen fallen in unserem Land in jedem Jahr Mord bzw. Totschlag zum Opfer. Dazu kommen circa 1 000 haftungsauslösende Todesfälle aufgrund anderer Ursachen. Diese Statistiken bedeuten auch: Hinter jedem dieser Fälle stehen circa vier Hinterbliebene. Wenn wir dann über Schmerzensgeld für Angehörige reden, dann reden wir – das lässt sich schnell hochrechnen – über circa 24 000 Haftungsfälle im Jahr. Spannend ist die Antwort, die der Rechtsstaat auf all diese Fragen gibt. Es gibt zwei Stränge, den strafrechtlichen und den zivilrechtlichen. Auf der strafrechtlichen Seite ist das, was der Rechtsstaat in unserem Land dazu zu sagen hat, schon sehr komplett. Es kommt zur Strafe. Es kommt zur Geldstrafe. Es geht um Schuld, Sühne, auch um Vergeltung. Der Strafanspruch, den der Staat verwirklicht, zeigt, dass der Staat letztendlich das Rechtsgut schützen will. Der Staat will auch eine Botschaft für Hinterbliebene übermitteln, nämlich: Der Hinterbliebene ist nicht allein; der Staat steht ihm bei. Wenn man auf die zivilrechtliche Seite blickt, dann muss man feststellen, dass das ein ganzes Stück weniger komplett ist. Natürlich gibt es Ersatz für materielle Schäden. Aber Schmerzensgeld für Angehörige gibt es eigentlich nur – der Kollege Fechner hat es angedeutet – im Fall der Schockschäden. Nicht jedes Leid, nicht jeder Schmerz, nicht jede Trauer eines Menschen in dem Moment, in dem er die Information bekommt, dass ein naher Angehöriger ums Leben gekommen ist, ist ein Schock in diesem Sinne; es muss eine traumatische Auswirkung von einigem Gewicht sein. Mehr gibt es auf der zivilrechtlichen Seite für die Hinterbliebenen bislang dem Grunde nach nicht. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass der bayerische Justizminister Winfried Bausback das sehr früh in Worte gefasst hat. Er hat das so beschrieben: Stellen Sie sich vor, Eltern verlieren ihr Kind, während es mit dem Fahrrad auf dem Schulweg unterwegs ist, und der Rechtsstaat gibt als Antwort nur: Wir geben Ersatz für das Fahrrad, aber kein Schmerzensgeld für den Verlust des Kindes. Das war ein wesentlicher und wichtiger Beweggrund für die CSU, dieses Vorhaben in den Koalitionsvertrag hineinzuverhandeln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nachdem im Bundesjustizministerium bedauerlicherweise lange wenig geschah, kam Anfang 2015 aus Bayern ein Gesetzentwurf. Vor diesem Hintergrund sage ich: Es ist heute ein guter Tag, weil wir den Entwurf, der uns heute vorliegt, endlich ins gesetzgeberische Verfahren einbringen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich sage: Wir sind uns sehr wohl darüber im Klaren, dass Geld den Schmerz, das Leid nicht aufwiegen kann. Aber Geld kann zumindest ein Stück Genugtuung geben. Ein Geldbetrag setzt am Schluss auch ein Zeichen, nämlich: Der Staat lässt Hinterbliebene nicht allein. Ich möchte an dieser Stelle noch auf einen zweiten Punkt zu sprechen kommen, der mir durchaus wichtig erscheint und der mir kürzlich in den Sinn gekommen ist, als ich einen Beitrag über die Aufarbeitung der Germanwings-Katastrophe gelesen habe. Ich persönlich glaube, ein Rechtsstaat ist dafür verantwortlich, welche juristischen Diskussionen bei der Aufarbeitung juristischer Fragen im Land geführt werden, und er ist auch dafür verantwortlich, dass diese Diskussionen nachvollziehbar sind. In diesem Beitrag ging es darum, dass Hinterbliebene dieses Absturzes bis heute Diskussionen mit der Fluglinie und auch mit Versicherungen führen. Dabei geht es um Fragen wie diese: Wie lange haben die Passagiere gelebt? Was haben sie noch wahrgenommen? Haben sie gemerkt, dass es jetzt unwiederbringlich dem Ende entgegengeht? Was hat das für sie medizinisch, gesundheitlich bedeutet, oder sind sie gleich verstorben? Insofern glaube ich, dass der Staat in dem Moment seiner Verantwortung gerecht wird, wo er sagt: Diese Diskussion ist für niemanden mehr nachvollziehbar. Deshalb ist das heute ein so wichtiger Schritt. Ich begrüße es außerordentlich, dass wir hier nicht mit Pauschalsätzen um uns werfen. Natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, gleich eine Größenordnung festzusetzen und zu sagen: Ab dieser Größenordnung muss ab jetzt Schadensersatz zugesprochen werden. Das ist gut so, weil wir bislang immer die Höhe des Schadensersatzes in das Ermessen des Gerichts gestellt haben. Die Rechtsprechung zeigt, dass die Entscheidung dort in guten Händen ist. Um noch einmal die Statistik zu bemühen: Der durchschnittliche Wert in Fällen dieser Art betrug in den letzten Jahren ungefähr 10 000 Euro. Damit stimmt das, was der Kollege Hoppenstedt vorhin gesagt hat: Das ist natürlich deutlich weniger als in den USA. Allerdings will ich auch sagen, dass wir nüchtern konstatieren müssen: Am Ende macht es unter Umständen keinen Unterschied, ob es 10 000 oder 50 000 Euro sind, weil es den tatsächlichen Ausgleich nicht geben wird. Das führt mich aber noch zu einem anderen Punkt, der mir ganz wichtig ist: Wir haben mittlerweile im Versicherungsrecht und in der Rechtsprechung ein sehr ausgewogenes und austaxiertes System, was die Bewertung der Schadenshöhen angeht; das wissen Sie. Da gibt es Tabellen, was der Verlust ganzer Gliedmaßen im Versicherungsrecht wert ist. Das mag an mancher Stelle skurril erscheinen, aber es ist ein Gefüge, das in einem gesunden Verhältnis zueinander steht. Letztendlich sollten wir nicht vergessen, dass diese Sachverhalte auch in der Versicherungswirtschaft abgebildet werden müssen. Wenn wir uns jetzt dafür entscheiden, einen höheren Wert festzulegen, worüber man ja unter Umständen reden kann, wird das am Ende des Tages dazu führen, dass wir auch in allen anderen Bereichen nachlegen müssen. Das wird wieder dazu führen, dass die Schadenshöhen und auch die Haftungsrisiken steigen, was am Schluss mit einem Steigen der Versicherungsrisiken einhergeht und eines Tages wieder bei den Prämien ankommen wird. Deswegen finde ich es gut, dass wir bei diesem Entwurf mit sehr viel Augenmaß vorgehen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Verfahren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/11397 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dagegen gibt es weder anderweitige Vorschläge noch Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 14: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sabine Zimmermann (Zwickau), Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Berufsbildungsgesetz novellieren – Ausbildung verbessern Drucksache 18/10281 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen erhebt sich keiner. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Dr. Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke das Wort. Ich bitte die anderen Kolleginnen und Kollegen, Ihre Plätze einzunehmen. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider gehen jetzt die meisten jungen Leute auf den Tribünen. Das ist schade. Ich hatte gehofft, dass Sie diese Debatte noch miterleben können; denn um sie geht es eigentlich. Seit einigen Jahren geben sich Delegationen aus vielen anderen Ländern bei uns die Klinke in die Hand, um sich über das duale Ausbildungssystem in Deutschland zu informieren. Die Bundesregierung hält es deshalb für einen Exportschlager. Auch in Deutschland gibt es viel Zustimmung zur dualen Ausbildung. Gerade darum bedarf es einer soliden Rechtsgrundlage – das ist das Berufsbildungsgesetz –, und dafür ist der Bund zuständig. Laut Koalitionsvereinbarung sollte in dieser Wahlperiode geprüft werden, ob es einen Veränderungsbedarf gibt. Vor einem Jahr wurde ein Evaluationsbericht vorgelegt, und die Bundesregierung hat im Sommer des vergangenen Jahres erklärt, dass sie keinen Novellierungsbedarf sieht. Wir sehen ihn schon und finden uns dabei in guter Gesellschaft mit den Gewerkschaften und vor allem mit der DGB-Jugend, die Anwältin der betroffenen Auszubildenden ist. (Beifall bei der LINKEN) Darum haben wir Ihnen heute einen Antrag vorgelegt, in dem wir wichtige Veränderungsbedarfe darlegen. Weil ich nicht viel Redezeit habe, will ich nur auf wenige Punkte eingehen. Die meisten Vorschläge betreffen die rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen für Auszubildende. Erstens. Wir wollen eine Mindestausbildungsvergütung im Gesetz festschreiben. Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat kürzlich die durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütungen für das Jahr 2016 veröffentlicht. Das sind im Monat 854 Euro brutto. Doch der Teufel steckt im Detail. Und deshalb ist es nicht nur so, dass wir im Westen immer höhere Ausbildungsvergütungen haben als im Osten, sondern wir haben auch ganz niedrige Ausbildungsvergütungen. Zum Beispiel im Fleischerhandwerk im Osten sind es 310 Euro. Das sind nur die tariflich festgelegten Vergütungen. Es gibt auch Ausbildungsvergütungen in Betrieben, die keine Tarifbindung haben, dort sieht es noch düsterer aus. Zweitens. Ein ganzer Strauß Vorschläge zielt auf die Verbesserung der Ausbildungsqualität. Dazu hatten wir schon einmal einen Antrag im Bundestag. Wenn zum Beispiel Ausbildungspläne nicht existieren, Ausbilder gar nicht oder nur sehr selten zu den Auszubildenden kommen, Überstunden geleistet werden müssen oder nach der Berufsschule am gleichen Tag wieder gearbeitet werden soll, dann spricht das für Mängel in der Ausbildungsqualität, die behoben werden müssen. Drittens. Ohne gute Berufsschulen gibt es kein duales Ausbildungssystem. Darum müssen die Berufsschulen dringend aufgewertet werden. (Beifall bei der LINKEN) Das betrifft die Ausstattung der Schulen ebenso wie die Versorgung mit gut ausgebildeten Lehrkräften. Es ist auch nur angemessen, wenn die erreichten Lernergebnisse an den Berufsschulen auf den Kammerzeugnissen regelmäßig vermerkt werden. Sie sind ja Bestandteil der dualen Ausbildung. Aber zurzeit passiert das nur auf freiwilliger Basis. Dabei haben wir sehr wohl im Blick, dass Berufsschulen in der Landesverantwortung liegen, aber die duale Ausbildung kann nicht an Zuständigkeitsschranken – um einen Begriff von Tankred Schipanski zu nehmen – zwischen Ländern und Bund scheitern. Viertens. Ich möchte noch erwähnen, dass die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Prüferinnen und Prüfer deutlich verbessert werden müssen. Hier wird im Evaluationsbericht sogar ein deutlicher Veränderungsbedarf festgestellt, aber die Bundesregierung fühlt sich trotzdem dafür nicht zuständig. Wir halten das für falsch. Prüferinnen und Prüfer arbeiten ehrenamtlich. Ich finde, sie brauchen für diese Aufgabe rechtlich abgesicherte Konditionen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darum müssen die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen genauso ins Berufsbildungsgesetz wie jene, die für andere Bereiche der Ausbildung gelten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir finden: Wer die duale Ausbildung aufwerten will, der muss das Berufsbildungsgesetz besser machen. Wir wollen das. Machen Sie doch einfach mit. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie nämlich nicht mitmachen, dann können Sie sich eigentlich auch die vielen Krokodilstränen über die angeblich nicht vorhandene Attraktivität der dualen Ausbildung künftig schenken. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Rainer Spiering [SPD]: Das wäre gar nicht schlecht!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Thomas Feist für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte einmal drei Facetten des Antrags der Linken zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes betrachten, Frau Hein. Erstens: die Notwendigkeit dieses Antrages. Sie schreiben ganz am Anfang von der angespannten Situation am Ausbildungsmarkt, nur leider hat das mit der Realität nichts zu tun. Denn sowohl das Bundesinstitut für Berufsbildung als auch die Arbeitsagentur sagen etwas völlig anderes, nämlich dass die Lage entspannter ist. Ein zweiter Aspekt hinsichtlich der Notwendigkeit. Wir haben mit diesem Berufsbildungsgesetz in Deutschland eine Jugendarbeitslosigkeit von knapp über 5 Prozent. Im europäischen Durchschnitt sind es 23 Prozent. Jetzt ein gutes Gesetz auf Grundlage Ihrer Angaben zu verschlimmbessern, halte ich für nicht notwendig. (Beifall des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU] – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Verbessern, nicht verschlimmbessern! Das machen Sie schon alleine!) – Verschlimmbessern. Ich bleibe dabei. Zweitens: die Frage der Form, die Art und Weise, wie Ihr Antrag gestaltet ist. Nun ist es so, dass Sie den Berufsbildungsbericht nehmen und darauf aufbauend Ihre Argumentationsketten entwickeln. Dann kommt noch das Hohelied über Gewerkschaftspapiere. Das sei Ihnen vergeben; das ist ja auch in Ordnung. (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie gütig!) Am Schluss ist es allerdings so, dass Sie die Evaluation, die von demselben Ministerium vorgenommen wird, das auch für den Berufsbildungsbericht zuständig ist, als fehl am Platze einschätzen. Da muss man sich doch schon mal überlegen, ob die Quellen, die man nutzt, seriös sind oder nicht – beides in einem Antrag zu behaupten, das geht nicht. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Nur bei Ihnen nicht!) – Nein, das geht generell nicht. Man muss schon ein bisschen stringent vorgehen. In Ihrem Antrag „Berufsbildungsgesetz novellieren“ haben Sie eigentlich alles zusammengefasst, was irgendwie mit Berufsbildung zu tun hat. Das ist auch Ihr gutes Recht; das können Sie gerne machen. Nur sind darin einige gravierende Fehler enthalten. Sie reden zum Beispiel über die Berufseinstiegsbegleiter und behaupten, das entsprechende Programm sei nicht nachhaltig. Ich muss ganz ehrlich sagen: Für junge Leute, die besonderen Förderbedarf haben, ist das eine tolle und nachhaltige Sache. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist so festgelegt; es ist eine gesetzliche Leistung, die im Sozialgesetzbuch verankert ist. Deswegen ist das auch kein „Programm“. Ebenso ist die Assistierte Ausbildung im Sozialgesetzbuch niedergelegt; sie ist – anders, als Sie es im Antrag umschreiben – kein „Programm“. Was Sie schreiben, ist leider völlig falsch. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist befristet! Vielleicht erinnern Sie sich daran!) Drittens. Ich komme zu ein paar Punkten, die den Inhalt betreffen. Nun kann man sagen, einige Forderungen in Ihrem Antrag sind ganz vernünftig, zumindest im Sinne der Auszubildenden. Sie haben die Mindestausbildungsvergütung angesprochen. Nun gibt es ja das Instrument der Bundesausbildungsbeihilfe. Das heißt, wenn jemand nicht bei seinen Eltern wohnt und wenig Lehrlingsgeld bekommt, kann dieses aufgestockt werden, damit er sich eine eigene Wohnung leisten kann. Auch das sind gesetzlich festgeschriebene Leistungen. Ein interessanter Schachzug wäre gewesen – eigentlich habe ich da auf Ihren Vorschlag gewartet –, wenn Sie gesagt hätten: Wir haben das BAföG beim BMBF, und wir sollten das für die Azubis auch beim BMBF regeln. – Das wäre doch etwas Sinnvolles. Denn bis jetzt ist es so, dass Sie Forderungen stellen, die zwar erfüllt werden könnten, aber eben nicht von diesem Ministerium. Ein zweiter inhaltlicher Aspekt ist die Lernmittelfreiheit. Das ist eine ganz tolle Sache für junge Leute. Ich bin auch dafür. Nur, warum sollen wir denn hier im Bund etwas beschließen, was die Länder dann umsetzen müssen? Hier ergibt sich keine Stringenz. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Dann müssen Sie besser lesen!) Einige Dinge mehr sind im Antrag enthalten. Im Übrigen finden sich da auch Karteileichen wie die Ausbildungsplatzabgabe. Nun, Frau Hein, es ist so: Zum ersten Mal wurde vor 41 Jahren, 1976, über die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes gesprochen. Da saßen Sie von der Linken noch nicht hier, da saß auch die Fraktion der Grünen noch nicht hier. Damals stand das auch schon in einer Vorlage, und schon damals ist es abgelehnt worden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie nicht dazulernen! – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Und Sie haben nicht gemerkt, dass wir von einer Umlage reden!) Unsere Meinung ist folgende: Wir werden das gute Gesetz, das wir haben, nicht durch Aufblähen bürokratischer und schlechter handhabbar machen und dadurch für die Unternehmen, die ausbildungswillig sind, verschlimmbessern. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Welche Überraschung!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist bezeichnend. – Es ist bezeichnend, dass wir heute über den Antrag einer Oppositionsfraktion diskutieren. Es ist bezeichnend, dass wir wieder einmal nicht über einen Antrag der Regierungskoalition sprechen. Und es ist erst recht bezeichnend, dass wir heute ganz sicher nicht über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung diskutieren. Beides gibt es nämlich nicht. Ministerin Wanka und die Große Koalition bleiben sich damit treu: Über berufliche Bildung wird viel geredet, aber es wird wenig dafür getan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie dösen immer noch im berufsbildungspolitischen Winterschlaf. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt schon Frühjahrsmüdigkeit!) Und während man sich fragt, ob Sie eigentlich jemals daraus erwachen werden, versuchen die Oppositionsfraktionen, die berufliche Bildung in Deutschland voranzubringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist die Realität nach fast vier Jahren CDU-geführter Bildungspolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, lassen Sie uns das Kind doch beim Namen nennen: Diese Koalition hat abgewirtschaftet! (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Bei den Umfrageergebnissen würde ich das auch sagen!) Liebe Frau Hein, Sie haben absolut recht: Die berufliche Bildung muss im Jahr 2017 die Anforderungen des 21. Jahrhunderts aufnehmen und daran angepasst werden. Und ja: Wenn eine Ausbildung auch in Zukunft noch attraktiv sein soll, müssen wir jetzt für bessere Ausbildungsbedingungen sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Eine Reform des Berufsbildungsgesetzes ist da ein erster Schritt. Heute zeigt sich aber einmal mehr: Ihre Koalition war und ist zu echten Reformen nicht in der Lage. Anstatt der beruflichen Bildung einen zeitgemäßen gesetzlichen Rahmen zu geben, ducken Sie sich lieber weg und verweisen auf die große Allianz für Aus- und Weiterbildung. Ich verrate Ihnen da sicher kein Geheimnis: Diese Kaffeerunde hat überhaupt keine Entscheidungskompetenz. Das wissen Sie so gut wie ich. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände keine Kompetenz?) – Nein. Die Kolleginnen der Linken weisen zu Recht darauf hin, dass die Allianz eben keine gesetzlich definierten Standards für mehr Ausbildungsqualität setzen kann. Das kann sie nicht. Nein! Denn genau das ist die Aufgabe des Gesetzgebers. Und genau das ist die Aufgabe, der sich Union und SPD verweigern. Die Reform des Berufsbildungsgesetzes ist leider nicht die einzige Baustelle, die nach dreieinhalb Jahren übrig bleibt. Letztes Jahr im Herbst hat der damalige Bundeswirtschaftsminister Gabriel großspurig einen Berufsschulpakt verkündet. Die beruflichen Schulen sollten für das digitale Zeitalter fit gemacht werden. Im Haushalt suchen wir die versprochenen Milliarden aber bis heute vergeblich. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Exakt!) Wir Grüne haben schon damals schwarz auf weiß 500 Millionen Euro pro Jahr für die beruflichen Schulen gefordert. Unseren Antrag hat die Koalition damals abgelehnt. Das, meine lieben Kollegen und Kolleginnen, zeigt doch: Sie betreiben reine Symbolpolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Die beruflichen Schulen in Deutschland brauchen aber bare Münze, keine leeren Worte. Geben Sie ihnen doch endlich die Unterstützung, die sie für die Integration von Geflüchteten und für einen modernen Unterricht brauchen. Dann die nächste Baustelle: Behäbig und zögerlich doktern Sie nun an einer kleinen Möglichkeit herum, wie Sie das Kooperationsverbot in der Bildung, das es laut einigen Unionskollegen angeblich ja gar nicht gibt, öffnen können. Gut, das ist ein erster Schritt. Aber seien Sie doch ehrlich! Machen Sie es wie die SPD, und gestehen Sie ein, dass Sie sich jahrelang auf dem Holzweg befunden haben! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Lassen Sie uns diesen Unsinn gemeinsam beenden, damit unser Land endlich eine echte Bildungsrepublik wird. Ihre Bilanz ist, wie ich finde, wirklich kein Grund, sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. Enden will ich heute aber trotzdem mit einem tröstlichen Gedanken: Spätestens am 24. September wird auch diese Bundesregierung aus dem Winterschlaf erwachen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hoffentlich kommen Sie über die 5-Prozent-Hürde!) Eines, lieber Kollege, ist auch heute noch sicher: Der nächste Frühling kommt selbst nach dem härtesten aller Winter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Och! – Fensterrede!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die SPD spricht jetzt der Kollege Rainer Spiering. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rainer Spiering (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen! Kurz zu den Vorschlägen der Linken: Frau Hein, Sie haben einige Aspekte genannt und Überlegungen angestellt, denen man sehr wohl zustimmen kann. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Viele!) Was ich ausgesprochen gut finde, ist, dass in diesem Hause, zumindest von den Grünen und von den Linken, erstmalig die Berufsschule in den Fokus genommen wird. Das freut mich. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Haben wir schon länger, Herr Spiering!) Andere haben da vielleicht noch Nachholbedarf. Ihr Vorschlag, Frau Hein, enthält neben anderen Punkten einen Punkt, der schlicht und ergreifend nicht umsetzbar ist. In Ihrem Antrag fordern Sie die grundgesetzliche Verankerung des Rechtsanspruchs auf einen Ausbildungsplatz. Es kann doch keiner so naiv sein, zu glauben, dass wir per Grundgesetz einen solchen Anspruch erfüllen können. Genau das macht Ihren Antrag absolut nicht zustimmungsfähig. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Die freie Berufswahl steht im Grundgesetz!) – Frau Hein, lassen Sie uns jetzt nicht darüber debattieren, was man braucht, um das Grundgesetz zu ändern. Der vorliegende Antrag ist, was diesen Punkt betrifft, schlicht und ergreifend obsolet. Zweiter Punkt. Über die solidarische Umlagefinanzierung hat man in diesem Land schon häufig und lange nachgedacht. Man kann darüber auch intensiv nachdenken, aber ich weise darauf hin: Wir haben mittlerweile sehr viele kleine Betriebe. Ich rede jetzt nicht von den Mittelständlern, sondern von den Einmann- oder Einfraubetrieben. Man kann diese in die Umlagefinanzierung integrieren, aber es würde für viele dann unendlich schwierig werden, den Auflagen gerecht zu werden. Deswegen würde ich mit solch einer Forderung sehr vorsichtig umgehen. Der dritte Punkt ist die Lernmittelfreiheit. Das haben wir in Niedersachsen ausprobiert, und es lohnt sich, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wenn man bedenkt, wo wir damit gelandet sind, würde ich sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante! – Man kann schnell etwas verlangen, aber eine entsprechende Umsetzung kann am Ende des Tages ausgesprochen schwierig werden. Deshalb sollte man sich vorher mit dem Thema auseinandersetzen und bei denen nachfragen, die das schon einmal ausprobiert haben. Das sind drei Vorschläge von Ihnen, denen man, wie ich sagen würde, überhaupt nicht folgen kann. Was ich gut finde, ist, dass wir das Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Thomas Feist, in diesem Punkt sind wir völlig unterschiedlicher Meinung: Das Bildungssystem in Deutschland hat eine Unwucht, und das können wir nicht gesundbeten. Auf der einen Seite gibt es die Nachfrage nach hochqualifizierten Facharbeitern, der wir nicht ausreichend nachkommen können, auf der anderen Seite – und das tut mir sehr weh – gibt es 2 Millionen junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben und keinen bekommen werden. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr richtig!) Ich glaube, darüber kann man nicht einfach so lax hinweggehen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Thomas Feist schüttelt mit dem Kopf: Werfen Sie einfach einen Blick in den Bericht des BIBB. Es gibt 2 Millionen Menschen, die keine Perspektive haben, die Existenzängste haben und die von der Gesellschaft abgehängt werden. Ich finde, das kann sich ein System wie das deutsche schlicht und ergreifend nicht leisten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Da würde ich auch gerne alle ideologischen Überlegungen und Wettbewerbsfragen außen vor lassen. Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen, und vor allen Dingen auch stellen können, wie ich glaube. Die Frage ist nur, wie wir das tun. Nächste Anmerkung – und das tut mir als Berufsschullehrer so leid –: Das Wirtschafts- und Sozialsystem in Deutschland ist mit keinem Bildungssystem so eng verknüpft wie mit dem Berufsbildungssystem, aber es gibt keine Wertschätzung vonseiten der Öffentlichkeit. Ich finde, hier müssen wir etwas tun. Genau daran müssen wir arbeiten: an der Wertschätzung für das berufsbildende System. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Ich möchte kurz darstellen, was wir anbieten. Ich habe hier mehrfach vier Forderungen vorgetragen – ich werde sie gleich um eine fünfte ergänzen –: knappe, einfache und sinnvolle Veränderungen am Berufsbildungsgesetz – vor allen Dingen unter dem Aspekt der Qualitätssteigerung –, (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Freistellung von über 18-Jährigen für den Berufsschulunterricht – ich habe hier lang und breit erklärt, warum, wieso, weshalb –, Freistellung von Mitgliedern in Prüfungsausschüssen, Finanzierung von Freistellungsansprüchen von Prüfern und verbindlicher Durchstieg von zweijähriger in die dreieinhalbjährige Ausbildung. Ich kann mich im Übrigen auch mit der Mindestausbildungsvergütung sehr anfreunden. Wir haben beim Mindestlohn da sehr gute Erfahrungen gemacht. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das sind einfache und unspektakuläre Schritte. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert eigentlich?) – Dazu möchte ich eine Ansage machen: (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mach doch mal!) Auch die Grünen würden sich, wenn sie Teil in einer Koalition wären, an die Koalitionsabsprachen halten. Das gehört sich so in einem Parlament. (Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die würden ja auch mit der CDU regieren!) Wir haben das hier offen diskutiert, und ich mache an dieser Stelle jetzt die Position der SPD deutlich: Wir brauchen nicht die großen Schritte, wir brauchen die einfachen Schritte. Ich sage auch gleich etwas zu dem großen Wurf, der so gerne mal in den Raum gestellt wird. Kollege Mutlu, wer glaubt, sensible und fragile Systeme wie das Berufsbildungssystem in einem großen Wurf verändern zu können, der irrt. Beteiligt sind IHK, HWK, Zentralverband des Deutschen Handwerks, BDI, BDA, Gewerkschaftsverbände, Kommunen, Länder und die Bundesrepublik Deutschland, und von den Kirchen habe ich noch gar nicht angefangen zu reden. Wer glaubt, in dieses System mit einem großen Schlag einbrechen zu können, kann nur scheitern. Wer an das Berufsbildungsgesetz herangeht, der muss das sehr sorgfältig machen (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) und sich über den Stand der Dinge informieren. Ich glaube, das haben wir ungenügend getan. Wo sieht meine Fraktion einen Anknüpfungspunkt, um wirklich etwas tun zu können? Das zentrale Element im System der Berufsbildung ist momentan die Berufsschule. Wer sich intensiv mit der Frage auseinandersetzt, weiß, dass Innovation für kleine und mittelständische Betriebe heute nur noch über die Berufsschule transportiert werden kann. Das machen übrigens viele Berufsschulen sehr gut vor. Wenn wir fördern wollen, dann ist das Berufsschulsystem das System, das wir schlechthin fördern müssen. An dieser Stelle muss ich auch Kritik an meiner Ministerin hinsichtlich des Wissenschaftsbereichs äußern: Wir haben nach wie vor keine nachhaltige Forschung zur Berufsbildung; wir haben keine Förderung der digitalen Strukturen in den berufsbildenden Schulen; wir haben keine Förderung der Berufsschullehrerausbildung; wir haben keine Zusicherung des Staates für junge Menschen, dass sie einer sicheren Zukunft entgegenblicken können. – Die Berufsschule kann das leisten. Die Berufsschule kann den Einstieg leisten, um junge Menschen zu qualifizieren. Hamburg macht es exemplarisch vor, wie man junge Menschen in Berufsschulen holt und aus den Berufsschulen heraus in den ersten Ausbildungsmarkt bringt. Ja, das geht. Damit komme ich zu der nächsten zentralen Aussage, Thomas Feist: Man kann sich immer gut hinstellen und sagen, dass das eine Forderung an die Länder ist; aber viele Länder sind schlicht und ergreifend völlig überfordert. Wir wissen, dass Kommunen im Grenzbereich der Leistungsfähigkeit sind. Träger der berufsbildenden Schulen sind die Kommunen, Landkreise oder kreisfreien Städte. Wenn ich mir die Finanzen unserer kreisfreien Städte angucke, dann weiß ich, dass die nicht gut sind. Wir müssen endlich einmal begreifen: Auch wenn Bildung an sich keine gesamtstaatliche Aufgabe ist, ist die Berufsbildung das allemal. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir der Berufsschule helfen wollen, dann ist das eine gesamtstaatliche Aufgabe, der sich diese Republik stellen muss. Wenn wir das Hohelied der dualen Berufsausbildung singen und sie im Ausland so präsentieren, dann müssen wir auch willens sein, den Preis dafür zu zahlen. Und ich sage: Der Preis wird nicht niedrig sein. Dann sind wir in der Lage, unsere Berufsschulen so auszustatten, dass sie auch Menschen, die unter schwierigen Bedingungen starten, an die Hand nehmen können, damit sie in dem System Berufsschule, das integrativ ist – ich habe das hier häufig vorgetragen –, vorankommen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Spiering, Sie denken an die Redezeit? Rainer Spiering (SPD): Sie haben vollkommen recht, Herr Präsident. Ich war gerade so in Aufwallung. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen, das Berufsbildungsgesetz wird uns weiter verfolgen, und wir werden es ändern. Wir werden es unter dem Aspekt der Berufsschule ändern. Herzlichen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Antragsberatung hat die Kollegin Uda Heller das Wort für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Uda Heller (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, Gesetze nach Jahren auf den Prüfstand zu stellen und auf ihre Praxistauglichkeit und Aktualität hin zu durchleuchten. Wenn ich mir die Wunschliste im vorliegenden Antrag der Linksfraktion anschaue, frage ich mich, ob Sie den Evaluierungsbericht des BMBFs richtig gelesen haben oder ob wir zwei unterschiedliche Fassungen haben. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Vor allen Dingen habe ich auch die Fragen gelesen!) Erstens. Viele Ihrer Forderungen fallen nicht in die Zuständigkeit des Berufsbildungsgesetzes. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ist es!) Darauf hat bereits Herr Kollege Dr. Feist hingewiesen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Völlig zu Recht! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Der macht auch Fehler!) Zweitens. Einige Ihrer Wünsche sind unzeitgemäß; denn sie berücksichtigen nicht die aktuelle Situation auf dem deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Warten wir einmal morgen die Berichterstattung ab!) Drittens ignorieren Sie, dass einige der in Ihrem Antrag genannten Punkte bereits im Berufsbildungsgesetz verankert sind, im Evaluierungsbericht erläutert und mit Anpassungsvorschlägen versehen wurden und dass auch Handlungsempfehlungen des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung vorliegen. Hier nun ein paar Beispiele: Nicht in die Zuständigkeit des Berufsbildungsgesetzes fällt die Forderung nach der verbindlichen Ausweisung der Berufsschulnote auf dem Kammerzeugnis. Der Evaluierungsbericht erklärt eindeutig, weshalb nicht das BBiG, sondern die Länder für die Ausweisung der Berufsschulnote zuständig sind. Auch die bezahlte Freistellung von ehrenamtlichen Prüfern ist nicht im BBiG geregelt. Hier greift das Arbeitsrecht. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Deshalb wollen wir das ja im BBiG regeln!) Ich stimme der Auffassung zu, dass die technische und personelle Ausstattung in den Berufsschulen verbessert werden muss. Aber das ist, wie auch Sie, Frau Hein, schon gesagt haben, Ländersache. Hier kommt dem Bund nur eine begleitende Funktion zu. Darf ich Sie daran erinnern, dass der Bund mittlerweile viel mehr von dem schultert, was eigentlich Ländersache ist? (Beifall bei der CDU/CSU) Ihre Forderung, einen Rechtsanspruch auf Ausbildung gesetzlich zu verankern, betrifft – das haben Sie zumindest erkannt – nicht das BBiG, sondern das Grundgesetz. Hier frage ich mich allerdings, ob Sie die aktuelle Situation auf dem deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt kennen. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Ja!) Sie blenden ja vollkommen aus, dass die Schulabgängerzahlen seit Jahren rückläufig sind und sich momentan eben auch mehr Schulabgänger für ein Studium entscheiden. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: 80 000 erfolglose Bewerber!) Der Wettbewerb um eine Ausbildung hat sich längst in einen Wettbewerb um Auszubildende gewandelt. Bessere Bedingungen für Ausbildungsplatzsuchende als derzeit hatten wir noch nie. Vielleicht brauchen wir in der derzeitigen Situation eine gesetzliche Ausbildungspflicht. – Sie sehen: Auch ich habe Wünsche, die sich nicht erfüllen lassen. Sehr geehrte Damen und Herren, die Fraktion Die Linke beklagt in ihrem Antrag, dass immer weniger Unternehmen Ausbildungsbereitschaft zeigen, fordert aber im nächsten Atemzug eine solidarische Umlagefinanzierung, die alle Betriebe in die Pflicht nehmen soll. (Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: So wie es die Bauwirtschaft macht!) Auch das ist eine uralte Forderung, und der Ansatz wird auch bei ständiger Wiederholung nicht besser. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Sagen Sie das einmal der Bauwirtschaft! Die macht das seit vielen Jahren!) Durch unverhältnismäßige Bürokratie oder stetig wachsende Anforderungen an ehrenamtliche Prüfer und Ausbilder schrecken zukünftig kleine Ausbildungsbetriebe noch mehr davor zurück, auszubilden. Auch das sollte uns bewusst sein. Die Attraktivität der dualen Ausbildung muss wieder steigen; das wissen wir alle. Dazu werden aber die Überregulierungen im Gesetz und zu eng gefasste Definitionen keinen Beitrag leisten. Nie zuvor wurde in den Bildungs- und Forschungsbereich mehr Geld investiert als in dieser Legislaturperiode. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Es bleibt mir jetzt nur noch, zusammenzufassen: Das Berufsbildungsgesetz hat sich als wirksamer und flexibler Rechtsrahmen bewährt. Daran ist nicht zu rütteln. Mit einem zeitlichen Aufwand von zwei Jahren wurde es intensiv unter die Lupe genommen. Der Evaluierungsbericht des BMBF hat notwendige Anpassungen vorgeschlagen. Ein grundlegender Novellierungsbedarf wurde nicht festgestellt. Das spiegelt nicht nur die Meinung der CDU/CSU-Fraktion wider, sondern vor allem auch die der Fachexperten, die täglich in der dualen Berufsausbildung tätig sind und mit dem Berufsbildungsgesetz arbeiten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit zu der späten Stunde. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank, Frau Kollegin Heller. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10281 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind alle einverstanden, wie ich hier sehen kann. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia Drucksache 18/11273 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Ich freue mich, dass ich im Zusammenhang mit diesem Tagesordnungspunkt eine Reihe von Soldatinnen und Soldaten der Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ heute hier auf der Zuschauertribüne begrüßen kann. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie leisten einen oft gefährlichen, aber stets erfolgreichen Einsatz für den Frieden. Dafür möchte ich Ihnen herzlich danken. Wir freuen uns, dass Sie wieder gesund hierher zurückgekommen sind. (Beifall) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen erhebt sich keiner. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Staatsminister Michael Roth für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Guten Abend, lieber Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen erreichen uns wieder Nachrichten einer humanitären Katastrophe am Horn von Afrika, vor allem in Somalia, dem Land, über das wir hier heute beraten wollen. Über 6 Millionen Menschen – das entspricht etwa der Hälfte der somalischen Bevölkerung – sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Mehr als 1 Million Somalis, darunter sehr viele Kinder, sind akut von Hunger bedroht. Ende Februar hat das Auswärtige Amt daher weitere 16,5 Millionen Euro bereitgestellt, um die drohende Hungersnot am Horn von Afrika zu bekämpfen. Zudem erreichen uns immer wieder Berichte von grausamen Anschlägen, vor allem in der Hauptstadt Mogadischu, die viel zu viele unschuldige Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern. Es ist einfach nur schrecklich, was Menschen dort erleiden müssen. Die Lage, die ich Ihnen schildere, ist von viel Schatten, aber eben auch Licht geprägt. So gibt es durchaus auch ermutigende Zeichen: Anfang Februar ist in Somalia ein neuer Präsident gewählt worden – von einem Parlament, das erstmals in der Geschichte Somalias alle Regionen und die dort lebenden Volksstämme und Clans weitestgehend repräsentiert. Ein langer und schwieriger Wahlprozess ist damit erfolgreich abgeschlossen worden. Niemals zuvor war eine somalische Regierung derart umfassend demokratisch legitimiert. Noch immer ist Somalia aber auch eines der Schlusslichter weltweit, was staatliche Funktions- und Handlungsfähigkeit betrifft. Dennoch hat Somalia heute die besten Zukunftsaussichten seit mehr als 25 Jahren, also seit dem Staatszerfall 1991. Das dauerhafte beharrliche Engagement der internationalen Gemeinschaft und die unerschütterliche Zuversicht der Somalis selbst, ihr Land wieder aufzubauen, tragen inzwischen erste Früchte. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch realistisch bleiben. Die Entwicklung Somalias ist und bleibt wie so oft ein Marathon, der Ausdauer und einen langen Atem verlangt. Das Land wird auch weiterhin auf unsere Unterstützung, auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft angewiesen sein. Deutschland hat zur positiven Entwicklung einen wichtigen Beitrag geleistet – national wie im europäischen Rahmen. Wir werden dies auch weiterhin tun. (Beifall des Abg. Niels Annen [SPD] – Zurufe von der LINKEN) Insbesondere unser ziviles Engagement möchte ich hervorheben: von der humanitären Hilfe über politische und gesellschaftliche Stabilisierung bis hin zur Entwicklungszusammenarbeit. Wir unterstützen den Aufbau eines föderalen Systems in Somalia, in dem sich möglichst alle Somalis wiederfinden. Diesen Prozess begleiten wir nicht nur auf der zentralen Staatsebene, über Verfassungs- und Organisationsberatung in der Hauptstadt Mogadischu, sondern auch in den Regionen beim Aufbau von Gliedstaaten. In Zukunft werden wir dieses Engagement abermals verstärken. Wir wollen die erfolgreichen Programme, mit denen die meist jungen Kämpfer der al-Schabab-Miliz demobilisiert, entwaffnet und vor allem auch wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden sollen, ausweiten. Dabei wollen wir erstmals auch weibliche Kämpferinnen erreichen. Darüber hinaus wollen wir auch den allgemeinen Staatsaufbau weiter unterstützen. Eine funktionierende Finanzverwaltung, der nachhaltige Kampf gegen die grassierende Korruption und eine gesicherte Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, mit Wasser, mit den Grundnahrungsmitteln sowie medizinische Versorgung sind wichtige Pfeiler der weiteren Entwicklung Somalias. Hier engagieren wir uns im Verbund mit unseren internationalen Partnern. (Beifall bei der SPD) Bis hierhin – davon gehe ich fest aus – gibt es Konsens im Hohen Hause. Aber jetzt kommen wir zu dem nach wie vor kontroversen Aspekt. Wichtigste Voraussetzung für unseren vielfältigen Einsatz, den ich Ihnen eben in aller Kürze zu schildern versucht habe, bleibt ein Mindestmaß an Sicherheit. Deshalb gilt es, wieder tragfähige Sicherheitsstrukturen aufzubauen. EUTM Somalia leistet hier durch Ausbildung und Beratung der somalischen Streitkräfte einen wichtigen Beitrag, um das Land dauerhaft zu stabilisieren und zu befrieden. Unser deutsches Engagement ist eben umfassend und setzt auf zahlreiche zivile, aber eben auch militärische Elemente. Deutsche Soldatinnen und Soldaten sind im Rahmen von EUTM Somalia und im Anti-Piraterie-Einsatz EUNAVFOR/Operation Atalanta eingesetzt. Und Deutschland beteiligt sich an den internationalen zivilen Einsätzen, beispielsweise beim Polizeiaufbau im Rahmen der politischen VN-Mission UNSOM und beim Aufbau einer Küstenwache durch die GSVP-Mission, also eine EU-Mission, EUCAP Somalia. Die EU unterstützt die Friedensmission AMISOM der Afrikanischen Union, die derzeit noch eine ganz zentrale Säule für die Sicherheit des Landes und den Kampf gegen die Terrormiliz al-Schabab bildet. Doch nicht mehr lange: Der Abzug von AMISOM und die Übergabe der Verantwortung an die somalischen Sicherheitskräfte sind bereits angekündigt. Bis Ende 2020 soll dies abgeschlossen sein. Dadurch steigt zwangsläufig auch der Erfolgsdruck auf die EU-Mission. EUTM Somalia hat in den vergangenen sieben Jahren über 5 500 Soldaten ausgebildet. Diese beachtliche Zahl wurde unter schwierigsten Bedingungen erreicht. Das General Dhagabadan Training Center, die Ausbildungsstätte von EUTM Somalia und AMISOM, muss aufwendig gesichert werden. Die Sicherheitslage in Mogadischu erlaubt den Ausbildern von EUTM nur einen Aufenthalt im Trainingscamp von wenigen Stunden pro Tag. Aber genau hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir geduldig bleiben. Die Arbeit von EUTM Somalia bleibt wichtig. Wenn wir das Erreichte bewahren und darauf aufbauen wollen, müssen wir die Defizite der Vergangenheit aber auch ganz kritisch ansprechen. Genau dies hat die Bundesregierung getan; denn wir wollen und wir müssen besser werden. Gemeinsam mit anderen EU-Partnern haben wir uns in Brüssel erfolgreich dafür eingesetzt, die Mission neu auszurichten. So wollen wir den schwierigen Verhältnissen besser Rechnung tragen und die Wirksamkeit der Mission weiter erhöhen. Erst auf dieser deutlich verbesserten Grundlage haben wir beschlossen, das EU-Mandat von EUTM Somalia zu verlängern bzw. Sie um Ihre Unterstützung zu bitten. Mein Kollege aus dem Verteidigungsministerium wird Ihnen sicherlich noch die Punkte nennen, die sich in dem Mandat aus unserer Sicht deutlich verbessert haben. Somalia braucht weiterhin internationale Unterstützung. Mit der Entscheidung, die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Beratungs- und Ausbildungsmission EUTM Somalia fortzuführen, würde der Deutsche Bundestag dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Deshalb bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung um Ihre Unterstützung dieses schwierigen, aber auch wichtigen Mandats. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Alexander Neu, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Somalia ist ein seit langem gescheiterter Staat – genau genommen seit 1991. Das westliche Staatsverständnis in Somalia ist nicht oder, besser gesagt, nicht mehr ausgeprägt; wie übrigens in vielen Ländern Asiens und Afrikas das Staatsverständnis nicht mehr ausgeprägt ist, zum Beispiel in Libyen oder Syrien. In diesen Ländern wie auch in Somalia, worum es hier ja speziell geht, dominieren die traditionellen Clanstrukturen. Das heißt, die Clans verfolgen ihre egoistischen Interessen auf Kosten eines funktionierenden Gesamtstaates und somit auf Kosten der einfachen Menschen. Die neueste Föderalisierung Somalias soll gewissermaßen eine Kompromissformel zwischen einerseits den Clanstrukturen und andererseits dem Erfordernis eines funktionierenden Gesamtstaates darstellen. Ob das funktionieren wird, Kollege Roth, bleibt abzuwarten. Ich bin da angesichts des Erfordernisses, dass die Clans mitspielen, noch skeptisch. Heute reden wir über EUTM Somalia. Im Prinzip gibt es ja zwei Militäreinsätze in Somalia, einmal die Operation Atalanta und zum anderen EUTM Somalia. Heute reden wir, wie gesagt, über EUTM Somalia. Die Mission hat Anfang 2010 begonnen, und die Bundeswehr ist – mit einer kurzen Unterbrechung – seit März 2010 dabei. Das Ziel, so die Formulierung, ist der Aufbau von Sicherheitsstrukturen, also von funktionierendem Militär und funktionierender Polizei, zur Gewährleistung des Gewaltmonopols. Die Wiederherstellung der staatlichen Ordnung ist wichtig; das ist überhaupt keine Frage. Dazu gehört auch eine Sicherheitssektorreform; auch das ist keine Frage. Die Sicherheitssektorreform, vor allem in Somalia, leidet aber zum einen unter Stümperhaftigkeit und zum anderen unter nationalen Egoismen. Kommen wir zum nationalen Egoismus: Es gibt neben der Europäischen Union noch viele andere Akteure, die dort bei der Ausbildung der sogenannten somalischen Armee mitmischen. Das heißt, es gibt diverse Ausbildungskonzepte, die mit der somalischen Armee abgesprochen werden. Somit gibt es keine einheitlichen Standards. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Wären Sie sonst dafür?) Warum gibt es keine Vereinheitlichung der Ausbildungsstandards? Weil die Staaten mithilfe ihrer Ausbildungskonzepte dort ihre eigenen Interessen verfolgen. Es geht mal wieder nicht in erster Linie um Somalia, sondern um Interessenverfolgung. Ein anderes Beispiel für die Stümperhaftigkeit: Es kommt immer wieder vor, dass somalische Soldaten oder auch Polizisten ihren Sold nicht erhalten. Das führt zu Korruption oder gar zu Desertation. Bei der von Ihnen genannten Zahl von, ich glaube, 5 500 ausgebildeten Soldaten haben Sie vergessen, zu erzählen, wie viele von denen desertiert oder übergelaufen sind. Das wäre eine wichtige Information gewesen. Hinzu kommt der US-Drohnenterror über Somalia, der nach wie vor zivile Opfer mit sich bringt und damit auch den Terrorismus fördert. Das alles untergräbt letztendlich einen effektiven Staatsaufbau. Wir, die Linke, fordern: Hungerbekämpfung statt Bundeswehr in Somalia; (Beifall bei der LINKEN) denn wichtiger als die Sicherheitssektorreform ist die Hunger- und Armutsbekämpfung. Es wurde angesprochen: Derzeit droht angesichts der schweren Dürre in Somalia und der umliegenden Region eine massive Hungersnot. Der neue UN-Generalsekretär Guterres hat am 7. März 2017, also vor wenigen Tagen, mit Blick auf Somalia getwittert: „Menschen sterben. Die Welt muss jetzt handeln, um das zu stoppen.“ Meine Frage ist: Was tut die Bundesregierung eigentlich gegen diese Hungerkatastrophe, abgesehen von der Anwesenheit der Bundeswehr in Somalia? (Michael Roth, Staatsminister: Habe ich doch gesagt! – Zuruf von der SPD: Zuhören!) – Darauf komme ich gleich. – Haben Sie den Hilferuf von Guterres gehört? Sie sprachen von 16,5 Millionen Euro. Ich glaube, 16,5 Millionen Euro sind wirklich nichts im Vergleich zu dem, was erforderlich wäre. Es ist schändlich, mit 16,5 Millionen Euro hier im Bundestag aufzutreten und so zu tun, als sei man ein großer Helfer mit zivilen Mitteln. (Beifall bei der LINKEN) Ich hätte gerne von Ihnen gehört, welche zivilen Hilfeleistungen Sie jetzt dort einzubringen wirklich planen. Oder möchte die Bundesregierung ihrer internationalen Verantwortung doch wieder nur mit militärischen Mitteln nachkommen? Die Linke erwartet Antworten seitens der Bundesregierung genau auf diese Frage, (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Hat er doch erzählt!) und auch die Menschen in unserem Land erwarten Antworten auf diese Frage. Wie lange gedenkt die Bundesregierung eigentlich noch mit militärischen Aktivitäten in Somalia und anderswo die Übernahme von internationaler Verantwortung vorzutäuschen? (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Die Rede war schon vorgeschrieben! – Franz Thönnes [SPD]: Sehr unflexibel, der Kollege! – Gegenruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Niemals!) Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für kaum ein Land ist der Begriff „Failed State“ leider so zutreffend wie für Somalia – und das seit Jahrzehnten. Seit rund einem Vierteljahrhundert wird das Land, dem die wirtschaftliche Basis fehlt, von Krieg und Konflikten, von Hungersnöten und von der tödlichen Bedrohung durch islamistische Terrormilizen heimgesucht, die in diesem Land ihre Spuren hinterlassen haben, einem Land, das in einer Region am Horn von Afrika liegt, die groß, komplex und insgesamt krisenträchtig ist. Es ist eine bedeutende strategische Frage, aber natürlich auch eine ganz wichtige humanitäre Aufgabe, diese Region zu stabilisieren. Wer behauptet, wir seien dort nur mit dem Militär aktiv und leisteten dort keine Entwicklungshilfe und keine humanitäre Hilfe, der stellt dummdreist falsche Tatsachen in den Raum. Das sind bestenfalls alternative Fakten, die nichts mit der Realität zu tun haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Viel zu wenig!) Ohne den Aufbau wirksamer staatlicher Strukturen in Somalia wird sich die Lage nicht verbessern können – weder in dem Land selbst noch in den angrenzenden Regionen. So schwierig die Lage war und ist: Es sind auch Erfolge zu verzeichnen. Davon war schon die Rede. Seit mehreren Jahren engagieren wir uns auch im Rahmen von EUTM Somalia. Diese Mission begann in Uganda, weil die Sicherheitslage das Engagement in Somalia nicht zugelassen hatte. Seit 2014 sind wir mit dieser Trainingsmission in Somalia, und wir sind zuversichtlich, dass wir dort die Lage weiter verbessern können. Kollege Roth hat es hier angesprochen: In diesem ganzen Prozess, der auch immer wieder mit Rückschlägen behaftet war, gibt es neue Hoffnung dadurch, dass am 8. Februar ein neuer Präsident in einer Weise gewählt worden ist, die einen friedlichen Übergang auf ihn ermöglicht hat. Er übt Macht aus, soweit somalische Stellen Macht ausüben können. Es war aber ein friedlicher Übergang. Ich hatte die Gelegenheit, am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz mit Michael Keating, dem Vertreter des UN-Generalsekretärs dort, über dieses Thema zu sprechen. Sie behaupten ja gerne, das sei eine Konferenz von Militaristen und ganz schlimmen Menschen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sprechen dort mit Menschen, die jeden Tag vor Ort sind und sich couragiert und engagiert für den Frieden und die Stabilität in der Region einsetzen. Und es gibt neue Hoffnung, dass jetzt auch dort ein friedlicher Übergang gelingt, wenn er denn von der internationalen Gemeinschaft unterstützt wird. Wir stehen eben vor der schwierigen Aufgabe, ein von Hungersnot, Dürren und Terroranschlägen bedrohtes Land aus seiner Fragilität herauszuführen. Das ist ein denkbar schwieriger Weg – aber ein Weg, bei dem die somalische Bevölkerung unsere Unterstützung braucht. Es ist, glaube ich, richtig, gelegentlich einmal zu fragen: Wie wäre es denn eigentlich, wenn wir nicht dort wären? Gäbe es dann keine Instabilität? Gäbe es dann keine Dürre? Gäbe es dann keine Hungersnot? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind zwar bei weitem nicht in der Lage, alle humanitären Probleme in Somalia zu lösen, aber wir leisten einen wichtigen Beitrag dazu. Dafür können wir dankbar sein. Und wir können auf unsere Soldatinnen und Soldaten, die diesen Einsatz leisten, stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Weil wir, wie Kollege Roth zu Recht gesagt hat, die Probleme überhaupt nicht übersehen, hat die Europäische Union auch eine strategische Überprüfung durchgeführt. Sie hat reagiert, indem sie die Ausbildungs- und Beratungsmission, die wir dort durchführen, teilweise neu ausgerichtet hat. Dieses neu ausgerichtete Konzept geht nun weg von der Ausbildung einzelner Rekruten bzw. Soldaten hin zu einer clanübergreifenden gemeinsamen Ausbildung ganzer Kompanien. Es wäre ja töricht, sich die Clanstrukturen nur wegzuwünschen. Sie sind da, und wir müssen mit ihnen umgehen. Es gibt im Übrigen – das sei nur der guten Ordnung halber erwähnt – dort auch keine Statistikbehörde, wie wir das hier in Deutschland oder in Europa gewohnt sind, die auflistet, wer nach einer erfolgreichen Ausbildung eben nicht den Dienst leistet, den wir eigentlich von ihm erwartet haben. Ja, solche Fälle gibt es. Aber man kann sie nicht quantifizieren. Das hat mit den Clanstrukturen zu tun. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen, und das tun wir. Deshalb gibt es eine Neuausrichtung, eine Neukonzeption in der Ausbildung. Es war gerade auch uns als Bundesrepublik Deutschland wichtig, dass die Europäische Union mit dieser Neuausrichtung sowohl auf die positiven als auch auf die negativen Erfahrungen reagiert hat. Daran werden wir uns beteiligen. Unsere militärische Beteiligung beträgt – bei einer Obergrenze von 20 – derzeit insgesamt neun Soldaten. Sie soll in dieser Höhe, aber eben mit einer Neuausrichtung in der Konzeption fortgesetzt werden, um den besonderen Strukturen vor Ort gerecht zu werden und um in der angespannten Sicherheitslage dort richtig reagieren zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin ganz sicher: Mit der Fortsetzung der Unterstützung senden wir wichtige und richtige Signale aus – Signale an die Europäische Union, von deren Verantwortung für Sicherheits- und Verteidigungspolitik wir überzeugt sind, und Signale an das Land Somalia, das weiterhin unserer Unterstützung bei seinem Weg aus der Instabilität bedarf. Deswegen bitte ich Sie um Ihre Unterstützung für dieses Mandat. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für das Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Staatsminister hat ja gerade völlig zu Recht die dramatische Lage in Somalia benannt. Da geht es nicht nur um Hunger, da geht es auch um Anschläge; auch das ist gerade erwähnt worden. Nichtsdestotrotz ist es so, dass wir immer, wenn wir hier über Somalia sprechen, auch über Hoffnungsschimmer sprechen. Und das ist auch richtig so. Denn es gibt graduelle Verbesserungen. Vor allem ist Somalia heute sicher nicht mehr das gleiche Land, das in den düsteren Jahren flächendeckend vom Bürgerkrieg überzogen war. Wir haben es jetzt bei den Wahlen gesehen: Sie waren himmelschreiend korrupt. Nichtsdestotrotz ist am Ende ein erstaunlich positives Ergebnis – zumindest im Vergleich zu dem, was man eigentlich erwartet hatte – herausgekommen. Ich möchte an dieser Stelle dem neuen Präsidenten Mohamed Abdullahi Farmajo herzlich zu seiner Ernennung gratulieren – auch wenn es keine Wahl war, sondern eher ein Selektionsprozess. Das Ergebnis war überraschend gut. Es zeigt, dass viele Somalis trotz aller Widerstände und trotz aller Schwierigkeiten weiterhin an ihr Land glauben. Sie geben die Hoffnung nicht auf. Sie investieren, und sie engagieren sich. Diese Menschen sind es, die wir mit allen Kräften unterstützen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb kann ich nur sagen: Wir begrüßen ausdrücklich, dass Deutschland jetzt wieder Entwicklungshilfe leistet. Das ist gut. Wir begrüßen auch ausdrücklich, dass Deutschland zur Polizeiausbildung zumindest beiträgt. Auch das ist gut. Wir müssen an der Seite der Menschen stehen, die das Land aufbauen wollen. Das Problem ist nur, dass wir in den letzten Jahren immer wieder auch auf der falschen Seite gestanden haben, nämlich auf der Seite der Menschen, die Somalia für den eigenen Vorteil ausplünderten. Die nun glücklicherweise abgewählte Regierung hat für Bestechung öffentliches Land verkauft und die Gehälter vieler Beamten ausgesetzt. Sie hat widerspenstige Delegierte im Selektionsprozess bestochen, bedroht und ausgeschlossen. Es ist noch keine zwei Jahre her – da war die vorherige Regierung noch im Amt –, dass Staatsminister Roth von dieser Stelle im März 2015 folgende Worte sprach: Unser gemeinsames Ziel bleibt, dass 2016 – das war letztes Jahr – endlich freie Wahlen in einem ausreichend stabilisierten Land stattfinden. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Es ist doch jetzt frei gewählt worden!) Meine Damen und Herren, wenn das der Indikator für Weitsicht und Realismus in der Somalia-Politik der Bundesregierung ist, dann wird mir angst und bange. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Auswirkungen dieser gigantischen Korruptionsmaschinerie werden noch lange zu spüren sein, auch in der Armee. Damit bin ich beim Kernproblem, nämlich dass die Menschen in der Armee keinen Sold bekommen. Das bemängeln wir seit Jahren. Es ist sehr klar: Wenn Menschen, die an Waffen ausgebildet werden, keinen Sold bekommen, werden sie sich andere Arbeitgeber suchen. Diese Arbeitgeber sind genau diejenigen, die die Gewalt im Land noch weiter antreiben. Wir liefern diesen Milizen damit gut ausgebildetes Personal. Das ist nicht verantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einen etwas anderen Sachverhalt schildert eine somalische NGO mit dem schönen Namen „Marqaati“, die eine tolle Arbeit macht. „Marqaati“ bedeutet „Zeugin“. Diese NGO beobachtet die Korruption im Land. Sie berichtet davon, dass Soldaten der Armee uniformiert bewaffneten Straßenraub begehen. Meine Damen und Herren, wenn wir in den Augen der Menschen in Somalia mit diesen Praktiken assoziiert werden, dann schaden wir nicht nur dem Ansehen unseres Landes, sondern wir verlieren auch Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit in diesem Land. Das bestätigt übrigens auch der interne Bericht, den es zu EUTM Somalia gibt und aus dem ich heute nicht zitieren darf. Das Ergebnis dieses Berichtes ist relativ deutlich. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Bericht vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze. Er ist ein Totalverriss dieses Einsatzes. Es ist geradezu rührend, wie die Bundesregierung versucht, darum herumzureden. Sie schreiben in der Begründung für das Mandat, die Mission – Zitat – „habe ihre Aufgaben nicht wirksam genug umsetzen können“. Das ist richtig. Dann kommen die Vorschläge für Verbesserungen – diese haben wir gerade gehört –: Es soll integrierte Bataillone aus verschiedenen Stämmen und Regionen geben. Das ist gut. Nach sieben Jahren sollen endlich die Daten der Rekruten biometrisch erfasst werden. Auch das ist gut. Aber das Hauptproblem, das gigantische Problem für den Staatsaufbau und für den Aufbau des Sicherheitssektors, ist das Ausbleiben der Bezahlungen. Die Menschen zu bezahlen, ist weiterhin nicht möglich. Solange das aber der Fall ist, bleibt all das, was dort passiert, im besten Falle Flickschusterei. Ja, wir brauchen einen Aufbau der somalischen Sicherheitskräfte. Das ist zweifelsfrei richtig. Aber um das zu erreichen, muss man die Probleme adressieren, statt darum herumzureden. Es ist richtig, dass die neue Regierung Unterstützung braucht. Es ist richtig, dass dazu auch gehört, dass die Streitkräfte aufgebaut werden müssen. Das wird aber nur mit einer anderen Somalia-Politik funktionieren, nicht jedoch mit diesem verkorksten Mandat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Hahn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Horn von Afrika ist in der letzten Zeit angesichts der Vielzahl neuer Krisenherde auf der Welt ein bisschen aus dem Fokus geraten. Deshalb ist es gut, dass wir uns heute mit Somalia beschäftigen, mit dem Land, das als Paradebeispiel eines Failed State gilt. Sie haben erwähnt: Die Korruption ist nach wie vor außerordentlich hoch. – Transparency International kürte Somalia sogar zum korruptesten Staat der Welt. Außerdem steht das Land erneut vor einer riesigen Hungerkatastrophe. Das wäre die dritte Hungersnot innerhalb von 25 Jahren. Durch die extreme Dürre am Horn von Afrika und die anhaltende Gewalt in der Region sind über 22 Millionen Menschen bedroht. Somalia trifft es ganz besonders hart. Laut UN werden bald mehr als 6 Millionen Somalier auf internationale Hilfe angewiesen sein. Das ist etwa die Hälfte der Bevölkerung. Mittlerweile hat die Regierung des nordostafrikanischen Staates in einigen Landesteilen den Ausnahmezustand verhängt. Das alles sind furchtbare Zahlen. Die humanitäre Situation ist derart dramatisch, dass es an dieser Stelle auch nichts zu beschönigen gibt. Guterres, der gestern oder vorgestern dort war, sagte: Die Kombination aus Konflikten, Dürren, Klimawandel, Cholera und Korruption sind ein Albtraum. – Betroffen sind auch Nachbarstaaten wie Nigeria, der Jemen und Südsudan. Trotzdem möchte ich sagen, dass das Land, zumindest politisch gesehen, einen hoffnungsvollen Weg eingeschlagen hat bzw. dass es hier einen Hoffnungsschimmer gibt. Anfang Februar wurde – auch das wurde schon gesagt – ein neuer Präsident gewählt. Er genießt einen exzellenten Ruf und gilt als Kämpfer gegen Korruption. Bereits als Ministerpräsident 2010 hat er sich bemüht, die Korruption in seinem Land einzudämmen. Unter seiner Herrschaft erhielten die Soldaten beispielsweise regelmäßig ihre Gehälter. Natürlich müssen nun erst einmal Taten folgen. Aber ich möchte schon jetzt mit aller gebotenen Vorsicht sagen: Es tut sich etwas in diesem Land. Die Bevölkerung Somalias setzt große Hoffnungen in den neuen Präsidenten. Meine Damen und Herren, unter diesen Gesichtspunkten die Ausbildungsmission abzubrechen, wie es die Grünen und die Linken fordern, wäre ein fatales Zeichen. Gerade jetzt, wo zum ersten Mal so etwas wie eine Aufbruchsstimmung in dem fragilen Land herrscht, einfach zu gehen und Somalia wieder sich selbst zu überlassen, wäre verantwortungslos. Die extreme Dürre stellt ohnehin die erste große Herausforderung für den neu gewählten Präsidenten dar. Das Erreichen unseres langjährigen Ziels, die somalische Regierung zu befähigen, schrittweise selbst für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, und die Unterstützung somalischer Behörden bei der Errichtung nachhaltiger und langfristig selbsttragender Staatsstrukturen sind jetzt so wichtig wie nie. Lassen Sie mich deshalb auf die Kritik der Linken an dem Einsatz eingehen. Letztes Jahr beispielsweise wollte Frau Dağdelen die Mission abbrechen und das Geld lieber in Kitaplätze in Deutschland stecken. Das heißt im Klartext: hier Kitas bauen, statt in Somalia Kindersoldaten zu verhindern. Das ist die Entscheidung, vor die Sie uns stellen wollen. Aber da gehen wir nicht mit. Wir entscheiden uns für die Verantwortung – sowohl für unsere Kinder in Deutschland als auch für die Krisenregionen auf der Welt. Wir investieren auf Rekordniveau in den Kitaausbau hier in unserem Land und beschließen trotzdem die Mission EUTM Somalia zum Aufbau der Sicherheitsarchitektur in Somalia. Lieber Herr Neu, ich habe mit Interesse festgestellt, dass Sie eigentlich nichts dagegen haben, dass man in solchen Ländern wie Somalia auch für Sicherheit sorgt. Der Grund, den Sie genannt haben, warum Sie an dieser Stelle nicht mitgehen können, war die nicht einheitliche Ausbildung, also die unterschiedlichen Akteure, die es da gibt. Wenn ich es richtig verstanden habe: Gäbe es nicht unterschiedliche Akteure, sondern wäre die Ausbildung aus einer Hand und würden die Soldaten regelmäßig bezahlt werden, dann wären Sie dafür. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist fehlinterpretiert!) Ich finde, das ist neu und ganz interessant. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er heißt ja auch so!) Herr Nouripour, Sie haben heute wie auch in der letzten Debatte gesagt, der Hauptgrund, warum Ihre Partei einer Mandatsverlängerung nicht zustimmt, ist, dass die Soldaten ihre Gehälter nicht bekommen und sich früher oder später gegen den Staat wenden werden. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Problem!) Das stellt sich doch aktuell etwas anders dar. Zumindest ein Vertrauensvorschuss für den neuen Präsidenten, der als Ministerpräsident vor sieben Jahren sehr wohl alle Gehälter gezahlt hat, wäre angemessen. Außerdem zahlt die EU Stipendien für die ausgebildeten Soldaten. Hier können wir selbst etwas tun, damit unser Training auch nachhaltig der richtigen Seite zugutekommt. Grundsätzlich gilt: Man kann einem zerrütteten Staat nur helfen, wenn man einen langen Atem beweist. Diesen langen Atem sollten wir auch in Somalia haben, auch wenn dieser Einsatz aktuell nur neun Soldatinnen und Soldaten umfasst. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11273 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind alle einverstanden? – Jedenfalls erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Globale Investitionen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestalten Drucksache 18/11410 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen erhebt sich keiner. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Uwe Kekeritz das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gott sei Dank, jetzt wird alles besser. Wir haben eine neue Superwaffe entdeckt: Das sind die Investitionen. Mit diesen werden wir die Entwicklung in den Entwicklungsländern wirklich positiv vorantreiben. Die Argumentation dahinter ist auch so was von plausibel: Investitionen bedeuten Arbeitsplätze, bessere Bildung, höhere Gehälter, soziale Absicherung, Wohlstandsgewinn und damit eine erhöhte Nachfrage. Das ist doch alles plausibel. – Es stellt sich aber nur die Frage, warum die Entwicklungspolitik das nicht schon seit 60 Jahren mitbekommen hat, wenn das alles so einfach ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Na gut, ab sofort wird alles besser. Heute gibt es den Juncker-Plan, es gibt den Müller’schen Marshallplan mit einem Finanzierungsvolumen von 0 Euro, bisher zumindest, und – damit die Sache auch wirklich gut wird – greift jetzt Finanzminister Schäuble ein. Er schlägt einen „Compact with Africa“ vor. Allerdings haben alle drei Pläne eines gemeinsam: Sie sind weder neu, noch unterscheiden sie sich. Es gab schon immer Förderungen für Investitionen, es gab schon immer hervorragende Beratung, Absicherung von Exporten, und in zig Ländern dieser Welt gibt es Wirtschaftssonderzonen, in denen die Unternehmen keine Steuern zahlen. Also, warum gab es denn bisher noch keine ausreichenden Investitionen? Man hört, das Investitionsrisiko für die Unternehmer sei nun einmal viel zu groß. Das ist eine merkwürdige Argumentation, haben wir doch circa 100 bilaterale Handelsverträge abgeschlossen, die alle ein Schiedsgerichtssystem implementiert haben. Die Sicherheit für die Investitionen ist gegeben. Warum wird also nicht investiert? Um eines klarzumachen: Wir Grüne sind selbstverständlich für private und öffentliche Investitionen, und zwar reichlich. Niemand spricht sich gegen diese Investitionen aus. Allerdings müssen wir sie nachhaltig gestalten. Dafür sind bestimmte Kriterien unbedingt notwendig. Ich will Ihnen eine kleine Auswahl geben. Erstens. Investitionen müssen profitabel sein. Zweitens. Das Geschäftsrisiko muss bei Unternehmen bleiben, nicht beim Steuerzahler. Drittens. Investitionen müssen Wertschöpfungsketten im Entwicklungsland aufbauen. Die LDCs müssen dabei besonders berücksichtigt werden. Viertens. Das Gemeinwohl muss bei der Investition berücksichtigt werden, und die Investition muss inklusiv sein. Fünftens. KMUs müssen im Fokus der Förderung stehen. Sechstens. Geförderte Investitionen müssen den Kriterien der Nachhaltigkeitsagenda und der Pariser Erklärung entsprechen. Siebtens. Soziale Rechte, die ILO-Normen, aber auch die ökologischen Anforderungen müssen erfüllt sein. Achtens. Planungen bei Investitionsprojekten ab einer bestimmten Größe müssen rechtzeitig veröffentlicht werden, damit die Zivilgesellschaft informiert wird. Es müssen Folgeabschätzungen durchgeführt werden. Neuntens. PPPs dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn die Kosten mittel- und langfristig geringer sind, als wenn die öffentliche Hand das Projekt alleine realisieren würde. Zehntens. Eine schleichende Staatsverschuldung durch PPPs muss ausgeschlossen sein. Elftens – das ist das Wichtigste –: Das Prinzip, Verluste zu sozialisieren und Gewinne zu privatisieren, darf es zukünftig nicht mehr geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nicht nur diese Prinzipien müssen eingehalten werden. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, warum bisher tatsächlich so wenig investiert worden ist. Das hat Gründe. Bei allen drei Plänen wird nicht danach gefragt, warum es solche Investitionen bisher nicht in ausreichendem Maße gegeben hat. Das scheint auch nicht so richtig zu interessieren. Aber ich kann Ihnen ein paar Gründe nennen. Das Interesse am Aufbau von Wertschöpfungsketten in Entwicklungsländern gab es nicht, und das gibt es auch heute noch nicht. Als Beleg dafür kann man aktuelle Handelsverträge heranziehen. Keiner ist daran interessiert, die Handelsverträge so zu gestalten, dass die Kriterien, die ich gerade genannt habe, erfüllt sind. Es ist die westliche Agrarpolitik, die nach wie vor die Produktion in den Entwicklungsländern verhindert. Auch unsere Steuerpolitik beweist, dass wir an einer selbstständigen Entwicklung in den Entwicklungsländern wenig Interesse haben. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Kekeritz, denken Sie bitte an die Redezeit. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin am Ende, Herr Präsident. – Für uns muss, bitte schön, klar sein: Ohne Veränderungen in diesem Bereich werden auch die neuen Initiativen scheitern. Je länger das dauert, desto schwerer werden die Entwicklungsländer getroffen, aber auch der Rückschlag auf die westlichen Länder wird umso größer sein. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich darf jetzt den Kollegen Johannes Selle als nächsten Redner für die CDU/CSU ankündigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Johannes Selle (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Weltgemeinschaft steht vor großen Herausforderungen. 2050 werden voraussichtlich 9,7 Milliarden Menschen auf der Erde leben, davon 7 Milliarden in unterentwickelten Verhältnissen. Die Frage nach Sicherstellung der Versorgung, die Frage nach dem Schutz der Menschenwürde, nach sozialem Schutz und die Frage nach dem Erhalt der natürlichen Grundlagen sind von einer nicht mehr zu übersehenden Dringlichkeit geworden. Unser Bundesminister hat gesagt: Wir sind die erste Generation, die die Technik, die Innovationskraft und das Wissen hat, um eine Welt ohne Hunger zu schaffen, eine Welt in Frieden ohne Aids und ohne Tuberkulose. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat schon Karl Marx gesagt!) Aber wir sind auch die erste Generation, die durch ein „Weiter so!“ den Planeten an den Rand der Apokalypse führen kann. Für uns in Europa ist inzwischen auch der Migrationsdruck heftig zu spüren. Man schätzt, dass über 200 Millionen Menschen in Afrika bereit sind, die Heimat zu verlassen. Das geflügelte Wort: „Überall ist es besser, als hier zu krepieren“ macht in verschiedenen Variationen die Runde. Gott sei Dank hat ein weltweites Umdenken begonnen. Das Jahr 2015 hat eine neue Dynamik in die internationale Politik gebracht und kann als Meilenstein gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es gab die Finanzierungskonferenz in Addis Abeba, den UN-Gipfel in New York mit der Agenda 2030 und die Klimakonferenz in Paris. Ein großer Sprung gelang; denn globale Partnerschaft wird mit dringlichen Klimathemen, mit sozialen Fragen, mit nachhaltiger Finanzierung und Stärkung privater Investitionen verknüpft. Die Agenda 2030 kommt vielleicht gerade noch rechtzeitig, um wirtschaftlichen Fortschritt, soziale Gerechtigkeit und ökologische Grenzen gut miteinander zu verbinden. Es sind Rahmenwerke entstanden, die auf Umsetzung warten. Deutschland hat sich in New York verpflichtet, aktiv in der Gruppe der acht Vorreiter bei der Agenda 2030 mitzuarbeiten. Deutschland unterstützt die EU-Investitionsoffensive External Investment Plan. Wir gehen voran mit dem Marshallplan für Afrika und mit dem vom Finanzministerium vorgeschlagenen „Compact with Africa“ für den G-20-Gipfel. Deutschland stellt sich wahrlich der Verantwortung, und das erkennt die Welt auch an. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie schreiben es ja selbst in Ihrem Antrag und geben zu, dass das Bundeskabinett – einschließlich der Bundeskanzlerin – da kohärent arbeitet. Das erleben wir in Form des größten Zuwachses beim BMZ-Haushalt. Wir als Regierung und als Koalition halten am Ziel der ODA-Quote von 0,7 Prozent fest. Das kann noch nicht einmal die Opposition kritisieren. Das wichtigste Ziel bleibt die Bekämpfung von Armut. Die Armut wird am besten bekämpft durch gute Arbeitsplätze. Gute Arbeitsplätze brauchen Investitionen. Gute Arbeitsplätze brauchen die private Wirtschaft. Ich will ausdrücklich hervorheben, dass der Antrag der Grünen das nicht infrage stellt. Dieser Antrag passt eigentlich genau in die Aufbruchstimmung. Man merkt ihm an, dass Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden sollen. Man merkt ihm an, dass er den Partnerschaftsgedanken unterstreicht. Transparenz und Kontrolle sollen Fairness und Nachhaltigkeit sicherstellen. Ich finde auch den Bezug passend, die nationalen Entwicklungspläne zu berücksichtigen, die allerdings oftmals nicht in der Qualität vorhanden sein dürften, wie es im Antrag vorausgesetzt wird. Diese herzustellen helfen, wird zu den Aufgaben gehören, auf die wir uns einstellen können; denn es soll ja gezielt, systematisch und nachhaltig gefördert werden. Ich kann auch gut verstehen, dass keine Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge stattfinden soll. Das sollte weitestgehend beachtet werden. Aber so kategorisch schließen wir das für uns selbst nicht aus; schließlich werden defizitär geführte öffentliche Krankenhäuser der Daseinsvorsorge privatisiert, um die Kommunen von Kosten zu entlasten. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Und die Bürger zu belasten!) Ebenfalls sind Standards für internationale Steuerpolitik sehr wünschenswert. Sie sollten angestrebt werden, aber keine notwendige Voraussetzung sein. Wir erleben das auch unter den entwickelten Ländern, die fehlende Standards zwar beklagen, aber das nicht hinbekommen. Im Kontext mit dem Brexit wird da bereits wieder gedroht. Auch die Investitionsplattformen finde ich sinnvoll. Diese sollten nicht nur auf mögliche Finanzierungen verweisen, sondern auch auf mit den jeweiligen nationalen Entwicklungsplänen abgestimmte Erfordernisse und damit auf Investitionschancen. Unsere Zustimmung findet der Vorschlag, zunehmend Investitionen in Lokalwährungen möglich zu machen – ein Schwerpunkt, den die KfW in der Anhörung benannt hat. Die KfW hat gerade einen afrikanischen Fonds mitgegründet, der regionale Wertschöpfungsketten und die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in lokaler Währung unterstützen soll. Der Antrag ist voll von Regulierungen und Kontrollen. Da wir uns auch gezielt an kleine Unternehmen wenden – das ist ja Inhalt des Antrags –, will ich darauf hinweisen, dass das auch für solche Unternehmen passen muss. Ich denke da an eine Fischzucht und eine Korbflechterei, mit denen ich es jüngst zu tun hatte. Ich möchte nicht, dass bei allen einzuhaltenden Vorschriften der Unternehmer und Investor sein eigenes Ziel nicht mehr sieht und seinen Weg nicht verfolgen kann. Auch bei dem rigorosen Verzicht auf Förderung, wenn fossile Energie im Spiel ist, muss differenziert werden. Wirkungsgradsteigerung und Verlustreduzierung wären bei bestehenden Anlagen nicht mehr möglich; es würde eher klimaschädlich wirken. Im Ausschuss haben wir mehrfach das Thema „Datenschutz bei Investitionen“ behandelt. Auch da geht der Antrag wieder vollständig undifferenziert vor. Diesbezüglich muss Sicherheit gewährleistet sein, damit uns bei unseren Vorhaben die Investoren nicht ausgehen. Die kategorische Ablehnung von Schiedsgerichten verkennt, dass diese gerade in Entwicklungsländern mit schwierigen Rahmenbedingungen und nicht ausgeprägtem Rechtsstaat notwendig sind, um das Interesse eines Investors aufrechtzuerhalten. Der Antrag adressiert wichtige Themen. Wer ihn allerdings unvermittelt liest und die sinnvollen Vorschläge aufnimmt, hat den Eindruck: Die Bundesregierung hat geschlafen. (Beifall des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vieles von dem, was gefordert wird, ist Standard und lang geübte Praxis. Ich würde hier eine sorgfältigere Abgrenzung empfehlen. Grund dafür gibt es genug. Deutschland ist nämlich nicht nur Vorreiter, sondern für viele Länder auch Vorbild. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das alles werden wir hoffentlich konstruktiv im Ausschuss im Detail besprechen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Thomas Lutze von der Linken hat als nächster Redner das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Thomas Lutze (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke den Kollegen der Grünen dafür, dass sie mit ihrem Antrag das wichtige Thema „Entwicklungszusammenarbeit und globale Investitionen“ auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt haben. Schade, dass dieses wichtige Thema zu so fortgeschrittener Zeit behandelt wird. Aber wenigstens geht es nicht, wie so vieles heute, zu Protokoll. Die Grünen nennen alle wichtigen Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene. Als Linksfraktion begrüßen wir, dass Sie die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, immerhin Teil der KfW-Bankengruppe, auch einigermaßen kritisch sehen. Die Linke ist grundsätzlich der Meinung, dass private Investitionen, wenn überhaupt, nur bedingt und durch weitere Maßnahmen begleitet als Instrument der sogenannten globalen Entwicklungshilfe taugen. Die in den letzten Jahren immer stärkere Fokussierung der Bundesregierung, aber auch der Europäischen Union und von Akteuren wie den G 20 auf private Investitionen als Schlüssel für die Entwicklungspolitik sehen wir äußerst kritisch. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Private Investitionen sind nicht automatisch ein Segen für die sogenannten Entwicklungsländer. Die Staatskassen vieler Staaten sind aufgrund der massiven Steuerflucht der Unternehmen trotz zahlreicher privater Investitionen, die es heute schon gibt, in der Regel leer. Bevor ich mich weiter mit den Vor- und Nachteilen von Privatinvestitionen in der Entwicklungszusammenarbeit beschäftige, möchte ich eine grundsätzliche Frage stellen: Weshalb sind wir überhaupt so sehr auf private Gelder angewiesen? Würden die Industriestaaten endlich ihre Verpflichtung einhalten und 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen, wären ausreichende Mittel zur Förderung von nachhaltiger Entwicklung vorhanden. (Beifall bei der LINKEN – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nur naiv, was Sie da erzählen! Das ist doch völlig außerhalb dessen, was real ist!) Die Regierungsfraktionen wollen zukünftig 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für militärische Rüstung ausgeben. Sie haben an dieser Stelle aber immer wieder zu wenig öffentliche Gelder. Ist das wirklich Ihr Ernst? Denken Sie wenigstens einmal darüber nach, ob diese Debatte da nicht einen klitzekleinen Widerspruch in sich hat. (Beifall bei der LINKEN) Grundbedingung für eine nachhaltige Entwicklung ist der Aufbau funktionierender Volkswirtschaften in den sogenannten Entwicklungsländern. Wenn Sie öffentliche Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit verwenden, bestimmen Sie in der Regel auch die Rahmenbedingungen für diese Zusammenarbeit. Bei privaten Unternehmen, die lediglich Absatzmärkte suchen, was in der Natur der Sache liegt, ist so etwas, wenn überhaupt, nur eingeschränkt möglich. Und wenn Sie es mit den Zielen Ihrer Entwicklungshilfe wirklich ernst meinen, dann hören Sie endlich auf, diese Ziele mit den für den Süden unfairen Handelsabkommen zu konterkarieren. (Beifall bei der LINKEN) Setzen Sie sich wirksam gegen Steuerflucht und für internationale Steuergerechtigkeit ein. Neben der notwendigen Hilfe und den sinnvollen Förderprogrammen muss auch immer mitgedacht werden, dass die Ursachen von Hunger, Armut und Unterentwicklung in der Regel hier bei uns im reichen Norden liegen. Ein Beispiel: Wenn wir zum Beispiel im Deutschen Bundestag darüber entschieden haben, dass an der Tankstelle dem Sprit 5 oder 10 Prozent Pflanzenöl beigefügt werden sollen, dann klingt das so, als ob das ganz gut fürs Ökoimage wäre. Doch wenn dieses Öl zum Beispiel aus Palmöl hergestellt wird und riesige Plantagen und Monokulturen in Afrika, in Asien oder in Südamerika die einheimischen Bauern plattmachen, dann sollten wir selbst uns einmal darüber Gedanken machen, wer hier eigentlich wen entwickeln sollte. (Beifall bei der LINKEN) Im Großen und Ganzen können wir dem Antrag der Grünen zustimmen. Bei einigen Detailfragen, wie zum Beispiel dem Unternehmensstrafrecht, sehen wir allerdings noch Gesprächsbedarf. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte hat Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es so, dass in Afrika oft nicht die Länder mit den wenigsten Investoren die ärmsten sind, sondern durchaus die Länder besonders arm sind, die die meisten ausländischen Investoren haben, sowie die Länder, die besonders viele Rohstoffe haben. Da, wo Rohstoffe sind, sind viele ausländische Investoren. Da braucht man nicht zu werben, man braucht nicht einmal Fördermittel der KfW, von internationalen Entwicklungsbanken oder von der Weltbank, sondern ausländische Investoren gehen dorthin, wo Öl, Kohle, Seltene Erden, Gold oder Diamanten vorkommen. Wir erleben, dass in diesen Ländern die Gewinne oft nicht bei den Menschen ankommen, dass die Einnahmen aus solchen Minen zweckentfremdet werden, dass damit oft Bürgerkriege und Kindersoldaten finanziert werden. Deswegen ist der Rohstoffreichtum in Afrika oft mehr Fluch als Segen. Deswegen ist die Zielrichtung des Antrages der Grünen das, was wir als Sozialdemokraten auch immer sagen: Wir wollen, dass die Gewinne der Globalisierung endlich den Menschen zugutekommen und nicht nur ausländischen Investoren und Großkonzernen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Wenn wir Globalisierung gerecht gestalten und dafür sorgen wollen, dass es den Menschen vor Ort dient, wenn dort Investitionen getätigt werden, dann brauchen wir auch verbindliche Regeln. Die SPD-Fraktion hat schon im Mai 2015, Herr Kekeritz, beschlossen: In allen Handels-, Investitions- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und im Allgemeinen Präferenzsystem der EU sind deshalb Regeln für die verbindliche Einhaltung und Umsetzung menschenrechtlicher, ökologischer und sozialer Standards wie der ILO-Kernarbeitsnormen mit konkreten Beschwerde-, Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen zu vereinbaren. Der letzte Punkt ist besonders wichtig, weil es oft in der Prosa von solchen Abkommen steht. Wenn aber dagegen verstoßen wird, greifen keine wirksamen Sanktionen. Deswegen haben wir Sozialdemokraten immer sehr dafür gekämpft. Wir sind auch der Auffassung, dass zum Beispiel die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika nachgebessert werden müssen, in denen diese verbindlichen Regeln nicht enthalten sind, bei denen es keine Sanktionsmöglichkeiten gibt, wenn in Ländern, die zwar offiziell die international vereinbarten Arbeitnehmerrechte bei den Vereinten Nationen unterschrieben haben, aber Kinderarbeit und sklavenähnliche Arbeit an der Tagesordnung sind. Sonst werden wir diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ablehnen. Wir wollen fairen statt freien Handel, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich wünsche mir nicht nur, sondern wir fordern auch von der Europäischen Union und der Kommission, dass sie mit dem, was wir bei den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika fordern, auch dort Ernst machen, wo sie diese Möglichkeiten schon haben, zum Beispiel beim Allgemeinen Präferenzsystem. Wir haben die Initiative „Everything But Arms“, das heißt, die ärmsten Entwicklungsländer dürfen ihre Waren zollfrei in die Europäische Union exportieren, wenn sie Menschenrechte und Arbeitnehmerrechte einhalten. Aber leider sehen wir in den letzten Jahren, dass es viele Länder gibt, für die diese Zollfreiheit gilt, die zum Beispiel Textilien liefern, aber die Arbeitnehmerrechte trotzdem mit Füßen treten. Ich finde es Mut machend, dass es mittlerweile ein Umdenken bei manchen Investoren gibt, auch in der Textilindustrie und auch bei der deutschen. Das zeigt das Beispiel Bangladesch. Die bangladeschische Regierung hat vor ein paar Wochen Gewerkschafter verhaftet. Arbeitnehmer haben für höhere Löhne demonstriert und wurden massenhaft entlassen. Es gibt ein Schreiben – das finde ich sehr bemerkenswert – von den deutschen Gewerkschaften, den deutschen NGOs, der Kampagne für Saubere Kleidung gemeinsam mit dem Textilhandelsverband und den Textilunternehmen, in dem ausdrücklich steht: Wenn die bangladeschische Regierung die Arbeitnehmerrechte nicht einhält, dann fordern wir die Europäische Kommission auf, von ihren Möglichkeiten Gebrauch zu machen, Zölle anzuheben, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer endlich Rechte haben, damit die Näherinnen und Näher, die Frauen, die oft stundenlang unter elenden Bedingungen in Fabriken arbeiten, ihre Kinder ernähren können. – Das ist der richtige Weg. Deswegen müssen wir weiter darauf drängen, dass wir mit solchen verbindlichen Regeln dafür sorgen, dass die Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit die Gewinne für die Investoren erwirtschaften, am Ende gut davon leben können, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Genauso verbindlich müssen wir das auch machen. Ich habe gerade das Beispiel genannt, wenn Investoren nach Afrika gehen, um Seltene Erden, Gold oder andere Rohstoffe auszubeuten. Wir haben viele Jahre dafür gekämpft, dass wir eine verbindliche Regelung im Bereich der sogenannten Konfliktrohstoffe erreichen. Hier möchte ich ein Beispiel dafür nennen, dass die Wirtschaft, dass Investoren am Ende mit uns in einem Boot sitzen können. In meinem Wahlkreis, in Hanau, ist die edelmetallverarbeitende Industrie mit Heraeus und Umicore recht groß vertreten. Schon seit Jahren bin ich deswegen jedes Jahr mit ihnen in Gesprächen, in denen es um ihre Problemstellungen geht. Vor sechs oder sieben Jahren kamen dann zum ersten Mal Forderungen von mir und anderen Entwicklungspolitikern auf: Wir wollen, dass zum Beispiel Gold aus Konfliktregionen wie dem Kongo zertifiziert sein muss, dass nur Gold nach Europa darf, mit dessen Ertrag keine Kindersoldaten finanziert werden und für dessen Gewinnung keine Kinder als Sklaven in Minen arbeiten. Am Anfang war es das typische Konfliktfeld: Da saßen die Fachvereinigung Edelmetalle und auch Firmen aus meinem Wahlkreis, die gesagt haben: Wir wollen hier keine verbindlichen Regeln; das sorgt für Bürokratie, das behindert unsere Wirtschaft. – Auf der anderen Seite saß der Entwicklungspolitiker Raabe, der gesagt hat: Nein, ihr müsst an die Menschen dort, an die Kindersoldaten denken; das muss sein. – Dann haben die immer gesagt: Aber, Herr Raabe, wir nehmen doch schon auf freiwilliger Basis so viele gute Zertifizierungen vor. – Dann habe ich gesagt: Wenn das so ist, dann müsst ihr doch keine Angst davor haben, dass das, was ihr freiwillig macht, in verbindlicher Gesetzesform kommt. Das Schöne war, dass am Ende, als wir in der Europäischen Union auch mit unserem Wirtschaftsminister dafür gekämpft haben, dass es wirklich eine verbindliche Regelung gibt, die deutsche edelmetallverarbeitende Industrie Seite an Seite mit uns war und gesagt hat: Ja, wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen, das heißt, wir wollen, dass sich auch Firmen in anderen Ländern daran halten. – Als einige südeuropäische Länder auf den letzten Metern einen Freiwert von 100 Kilo reingedrückt haben, haben die edelmetallverarbeitenden Firmen hier in Deutschland mit mir gemeinsam einen Brief an das Wirtschaftsministerium geschrieben und gesagt: Wir wollen, dass da keine Schlupflöcher, keine Ausnahmen sind; wir wollen, dass Gold nur aus sauberen Quellen kommt. Daran sieht man: Die Akzeptanz der Verbraucher, die wissen wollen, wo die Sachen herkommen, ist für Investoren – ob jetzt in dem Bereich oder im Bereich der Textilindustrie – wichtig. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Raabe, ich möchte Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Dr. Sascha Raabe (SPD): Ja, mache ich. – Keiner möchte einen Ehering haben, an dem Blut aus solchen Konfliktminen klebt. Es ist wichtig, dass wir uns im Sinne der Menschen vor Ort, aber auch in unserem eigenen Interesse – damit wir mit gutem Gewissen konsumieren können – für Investitionsabkommen und Handelsabkommen einsetzen, die die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitnehmerrechten garantieren. Dafür werden sich die Sozialdemokraten weiter einsetzen. Schön, wenn ihr von den Grünen es genauso seht! Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11410 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung Drucksache 18/11180 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.5 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/11180 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 Drucksachen 18/4842, 18/11428 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.6 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11428, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4842 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt Drucksachen 18/10942, 18/11181, 18/11225 Nr. 7 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/11439 Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Debatte. Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU]) Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Novellierung des Bauplanungsrechts ist in den vergangenen Monaten sehr intensiv diskutiert worden. Ich will mich bei Ihnen allen sehr herzlich dafür bedanken, insbesondere auch bei meinem Kollegen Florian Pronold, der in einem sehr transparenten Verfahren mit Ihnen allen zusammengearbeitet hat. (Beifall bei der SPD) Ich freue mich, dass es gelungen ist, eine breite Zustimmung zu erreichen und heute das parlamentarische Verfahren abschließen zu können. Das ist auch ein starkes Signal an den Bundesrat. Um dies zu veranschaulichen, möchte ich drei wesentliche Elemente ansprechen: Zum einen können wir die Frist einhalten, in der wir die geänderte europäische Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung, die UVP-Richtlinie, umsetzen müssen. Das gelingt uns längst nicht immer, aber hier gelingt es uns. Wenn Bebauungspläne aufgestellt werden, sind die Umweltbelange zu prüfen. Hierzu machen wir nun präzisere Vorgaben. Wir schaffen auch mehr Transparenz. Informationen über die Bebauungspläne müssen künftig immer ins Internet eingestellt werden. Noch wichtiger ist zweitens zweifellos die neue Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“. Wir setzen damit eine Stadtentwicklung in Gang, die auf weniger Flächenverbrauch ausgerichtet ist. Das urbane Gebiet soll es ermöglichen, mehr Wohnraum zu schaffen, gerade in den besonders nachgefragten Innenstädten, und greift damit die Vorstellungen der „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ auf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen eine Stadt der kurzen Wege ermöglichen. Deshalb sehen wir eine höhere bauliche Dichte vor, also mehr Wohnungen auf gleicher Fläche, und eine flexiblere Nutzungsmischung. Der Handwerksbetrieb oder andere Gewerbebetriebe sollen trotz des Wohnungsbaus nicht aus den Innenstädten verdrängt werden. Deshalb wollen wir in Bezug auf Gewerbelärm mehr Flexibilität ermöglichen und in der hierfür geltenden immissionsschutzrechtlichen Verwaltungsvorschrift, der TA Lärm, die Richtwerte für das urbane Gebiet gegenüber dem Mischgebiet um 3 Dezibel erhöhen. Ja, diese Werte belasten die Nachbarschaft etwas mehr. Wir halten das gleichwohl für moderat, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Kommunen zusätzlichen Lärmschutz bei der Aufstellung des Bebauungsplans vorsehen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, an die Länder gerichtet möchte ich betonen, dass es um Möglichkeiten für Kommunen geht, mit denen diese verantwortlich umgehen können und das auch tun werden. Bund und Länder sollten den Kommunen diesen zusätzlichen Spielraum nicht verweigern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich bin sicher, dass wir den Kommunen eine solche Entscheidung zutrauen können. Schließlich will ich ein drittes Element ansprechen, das insbesondere in den Ferienregionen der nord- und ostdeutschen Küstenländer wichtig ist. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Greifswald hatte die Frage aufgeworfen, ob Ferienwohnungen in klassischen Wohngebieten zulässig sind. Dies hat vor allem in touristischen Regionen Kommunen und private Ferienwohnungsbetreiber verunsichert. Hier wollen wir durch eine Klarstellung die nötige Rechtssicherheit herstellen und den Kommunen mehr planerische Möglichkeiten geben. Zum Abschluss möchte ich insbesondere den Mitgliedern des Umwelt- und Bauausschusses für die konstruktive Arbeit danken. Uns ist es in den parlamentarischen Beratungen gelungen, noch weitere Verbesserungen vorzunehmen. Insbesondere freue ich mich, dass wir den Milieuschutz von zehn Jahren auf zwölf Jahre verlängert haben – eine sehr gute Nachricht für die Mieter – und dass wir in § 13b des Entwurfs eine zeitlich enge Begrenzung eingeführt haben, die Vorratsbeschlüsse der Kommunen ausschließt. Ich möchte Sie alle bitten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Die Kommunen und die Menschen vor Ort warten auf dieses Gesetz. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Da die Kollegin Caren Lay im Stau steckte und daher ein bisschen später kommt, sind Sie hoffentlich damit einverstanden, wenn die Kollegin als letzte Rednerin spricht. Dann würde ich jetzt in der Reihenfolge weitermachen und Frau Dött für die CDU/CSU-Fraktion das Wort geben. Danach erhält die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschlands Städte sind attraktiv. Von ihnen gehen Wachstumsimpulse aus, sie sind Innovationszentren und für viele Menschen auch gesuchte Lebens- und Arbeitsorte. Die Städte wachsen. Wohnen, Wirtschaft, Freizeit und der wachsende Verkehr konkurrieren um die Fläche. Mit diesem Gesetz geben wir darauf die richtigen Antworten, damit die Städte auch in Zukunft lebenswerte Heimat für die Menschen sein können. Wenn wir uns die Städte in Deutschland anschauen, stellen wir fest, dass die quirligen und kompakten Viertel besonders beliebt und gefragt sind. Dort finden Wirtschaft, Wohnen und Wohlfühlen nebeneinander statt, und diese Nutzungsmischung überzeugt die Menschen. Die Baugebietskategorien in der Baunutzungsverordnung sind noch immer dem alten Leitbild der räumlichen Trennung der Funktionen verhaftet. Das ist überholt. Städte der Zukunft müssen anders aussehen. Beispielsweise würden die beliebten Gründerzeitviertel heute nicht mehr genehmigungsfähig sein, wenn nicht auf komplizierte und aufwändige Ausnahmeregelungen zurückgegriffen werden könnte. Hier setzen wir an und schaffen die neue Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“. Das urbane Gebiet wird die gewollte funktionale Durchmischung in unseren Städten stärken. Wir ermöglichen eine höhere Bebauungsdichte und damit mehr Stadt in der Stadt. Aber wenn die Nutzungsmischung vielfältiger wird, kann es auch mal etwas lauter werden. Die Stadt der kurzen Wege wird nur dann funktionieren, wenn auch die Geräuschpegel für urbane Gebiete entsprechend gestaltet werden. Ich hoffe deshalb, dass der Bundesrat uns hier folgt und der Änderung der Technischen Anleitung Lärm zustimmt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich weiß, dass Ministerin Hendricks hier noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten hat, aber wir helfen, wo wir können. Meine Damen und Herren, die zentrale Herausforderung in den Städten und auch in den verschiedenen ländlichen Regionen ist der bezahlbare Wohnraum. Wir sind uns einig, dass das Defizit an Wohnraum nur durch zusätzliche Investitionen in den Wohnungsbau zu beheben ist. Sie kennen das von uns: bauen, bauen, bauen. Das Problem ist, dass die Wohnungsbauzahlen der letzten Jahre nie die prognostizierten Bedarfszahlen erreicht haben. Wir brauchen also neue Impulse. Dazu gehört insbesondere die Mobilisierung von Bauland. So begrüßen wir ausdrücklich, dass der Gesetzentwurf auch die Ausweitung des vereinfachten Bebauungsplanverfahrens auf Ortsrandlagen vorsieht. Damit geben wir den Kommunen ein Instrument an die Hand, mit dem sie sehr zügig und deutlich weniger bürokratisch auf den aktuellen Baulandbedarf reagieren können. Ich gebe als Umweltpolitikerin zu, dass die zusätzliche Baulandbereitstellung den Weg zur Erreichung unseres 30-Hektar-Ziels nicht leichter macht. Deshalb haben wir die Fläche begrenzt und die Planung zeitlich befristet. Für uns hat die Innenentwicklung weiterhin Priorität, und ich gehe außerdem davon aus, dass die Kommunen mit diesem Instrument sehr verantwortungsbewusst umgehen werden. Meine Damen und Herren, zum Gesetz haben wir im parlamentarischen Verfahren weitere wichtige Änderungen beschlossen. Ich will sie gar nicht alle erwähnen, aber besonders wichtig ist mir, dass es gelungen ist, die Belange von Familien mit mehreren Kindern in die Planungsleitlinien zu integrieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit setzen wir einen weiteren Baustein für aktive Familienpolitik. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Christian Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich am Anfang der Debatte bei den Berichterstattern für die Berichterstattergespräche und für das kollegiale Miteinander in den Beratungen zur BauGB-Novelle bedanken, ganz explizit auch bei Staatssekretär Florian Pronold. Ich glaube, es war ein gutes Verfahren. Leider wurden wir von der Opposition nur einmal in dieser Legislaturperiode an einem wichtigen Gesetz beteiligt. Ich finde, die Große Koalition hätte öfter den Mut haben können, auf uns von der Opposition zuzugehen, dann wären Ihre Gesetze im Schnitt auch ein bisschen besser gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit der Novelle schreiben wir das urbane Gebiet in das Baugesetzbuch. Das war eine der Ideen, die in der Charta von Leipzig festgehalten wurden. Nach zehn Jahren ist das eigentlich längst überfällig, aber wir Grünen finden die Idee gut, und wir sind froh, dass diese grüne Idee endlich im Baugesetzbuch verankert wird. Dabei geht es um die Logik einer anderen Stadtentwicklung, um die Logik „innen vor außen“, um die Stadt der kurzen Wege. Eine funktionale, eine soziale und eine ästhetische Mischung in der Stadt wird hier festgeschrieben. Das ist gut. Deswegen stimmen wir der Einführung der Baugebietskategorie „Urbanes Gebiet“ zu. Diese Baugesetzbuchnovelle hat aber einen ganz großen Haken. Diese Baugesetzbuchnovelle ist nämlich mit einer Erhöhung des Lärms in diesen Gebieten um 3 dB verbunden. 3 dB, das heißt doppelter Lärm. Frau Hendricks, Sie haben das „moderat“ genannt. Das ist nicht „moderat“, sondern das ist gesundheitsschädlicher Lärm, und davor müssen wir die Menschen in unseren Städten schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 3 dB mehr Lärm sind unzumutbar. Das ist gesundheitspolitisch falsch, das ist umweltpolitisch falsch, und das ist stadtentwicklungspolitisch falsch. Ich hoffe, dass der Bundesrat dieses Vorhaben stoppen wird. Das sehen nicht nur wir Grünen so, sondern das sagen auch das Umweltbundesamt und der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Ich glaube, Sie sollten an dieser Stelle einmal auf Ihre eigenen Expertinnen hören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grünen sagen nicht, wir wollen gar nichts für den Lärmschutz tun; ganz und gar nicht. Wir wollen das Hamburger Fenster, den Hamburger Weg. Wir wollen mehr technischen Lärmschutz ermöglichen. Ich glaube, das ist eine Lösung, mit der die Kommunen abwägen und punktuell, bei wirklichen Lärmschutzproblemen eingreifen können. 3 dB mehr Lärm in allen Gebieten zu erlauben, halten wir für falsch. Wie gesagt, das ist gesundheitspolitisch und lärmschutzpolitisch der völlig falsche Weg. Der zweite Haken an diesem Gesetz ist der § 13b, den die CSU jetzt in dieses Baugesetzbuch hineinschreiben will. Das ist nichts anderes als ein Flächenfraßparagraf; denn damit wird die Außenentwicklung privilegiert. Die ganze Idee der Baugesetzbuchnovelle ist ja, die Innenentwicklung zu privilegieren. Die CSU bringt mit dem § 13b aber sozusagen den Flächenverbrauch im Außenbereich ein. Ich finde, das passt hinten und vorne nicht zusammen. Dass Sie, Frau Hendricks, da mitmachen, zeigt mal wieder, dass es Ihnen nicht gelingt, Umweltschutz und Baupolitik miteinander zu verbinden. Das ist die Bilanz Ihrer Regierungszeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ziel dieser Novelle ist eigentlich die Privilegierung der Innenentwicklung; dem folgt die ganze Logik. Dass dieses Ziel nicht erreicht wurde, ist wirklich schade. Dass die CSU auf ihrer Forderung besteht, kann ich überhaupt nicht verstehen. Das zeigt doch nur, dass Sie als CSU die Dorfkerne und die Innenentwicklung in den Städten längst aufgegeben haben, dass Sie sich sozusagen eher um die Investoren kümmern als um eine gute dörfliche, regionale und städtische Entwicklung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kühn, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pronold zu? Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich lasse gerne eine Zwischenfrage des Kollegen Pronold zu. Florian Pronold (SPD): Lieber Kollege Kühn, mein Melden zu einer Zwischenfrage ist leider zu spät bemerkt worden. Sie bezieht sich auf den Punkt, den Sie zuvor angesprochen haben, auf die wirklich wichtige Frage: Wie bekommen wir einen Konsens zwischen mehr Lärmbelastung und Innenverdichtung hin? Wenn ich Sie richtig verstehe, ist das Hamburger Fenster dazu gedacht, mehr Lärmschutz für die Leute zu schaffen. Das Hamburger Fenster bedeutet jedoch, dass ich eine Lärmbelastung von bis zu 70 Dezibel im Außenbereich haben kann und nicht 63 Dezibel, wie die Koalition sie vorschlägt. Durch die Verlagerung des Messpunktes, wie Sie das wollen, können bis zu 70 Dezibel im Außenbereich, vor dem Fenster, vorherrschen. Ist das die angebliche Lärmreduzierung, die Sie den Leuten versprechen? Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erst einmal ist das ja ein Vorschlag, den das Bundesland Hamburg eingebracht hat, und der Erste Bürgermeister dieses Bundeslandes ist kein Grüner, sondern ein Sozialdemokrat. Das Bundesland Hamburg ist gleichzeitig Land und Stadt. Es hat genau die Probleme, über die wir hier beim urbanen Gebiet reden, täglich vor der Tür: Wie kommen wir an Flächen heran? Wie können punktuelle Lösungen aussehen? Bei der HafenCity ist genau dieses Problem aufgetreten. Daraufhin hat das Land Hamburg überlegt: Wie könnte eine technische Lösung ohne Veränderung des Messpunktes aussehen? Denn sie wäre im Augenblick auch gesetzlich gar nicht möglich. So hat das Bundesland Hamburg ein geschlossenes Fenster entwickelt, das aber eigentlich geöffnet ist. Der Messpunkt ist weiterhin vor dem Fenster, die technische Einheit aber dahinter, der Lärmschutz wird heruntergerechnet, um im Innenpegelbereich zu bleiben. Damit muss der Messpunkt nicht verändert werden. Das ist sozusagen die Gretchenfrage. Auf der einen Seite ist das eine baupolitische Einschätzung und auf der anderen Seite eine immissionspolitische Einschätzung. Das ist kein Bruch mit dem Immissionsschutz, sondern eine punktuelle Erleichterung. Der Vorschlag Hamburgs geht noch weiter. Es geht nicht darum, dass das im ganzen Gebiet so sein muss. Im Außenbereich jeder Wohneinheit muss es einen Zugang geben, sozusagen einen geschützten Außenbereich. Das bedeutet, dass, wenn wir beispielsweise in einem urbanen Gebiet an den Parkplatz eines Supermarktes heranrücken – dort gibt es mehr Lärm –, eine Seite mit dem Hamburger Fenster oder anderen technischen Lärmschutzeinheiten ausgerüstet ist, aber der Innenbereich des urbanen Gebiets weiterhin geschützt ist. Was Sie wollen, ist Folgendes: Die 3 dB sollen vorgeschrieben werden. Dann können die Kommunen abwägen, ob sie daruntergehen. Damit machen Sie aber einen Bruch im Immissionsschutz auf. Denn Sie lassen in einem Gebiet diese 3 dB mehr an gesundheitsschädlichem Lärm zu. Das wird dazu führen, dass in anderen Gebietskategorien der Lärmschutz auch geschliffen wird und dann auch Gerichte einen höheren Lärmpegel erlauben. Deswegen liegen Sie im Umweltministerium falsch. Ich sage Ihnen auch, warum Ihre Immissionsschützer im Umweltministerium das hineingeschrieben haben. Das hat einen Grund. Sie wollen nämlich, dass das scheitert. Ich glaube, dass das Umweltministerium letztlich etwas auf den Weg gebracht hat, bei dem man jetzt die Idee hat, dass die Bundesländer da scheitern müssen. Ich sage Ihnen: In dem Verfahren zwischen dem Bundesrat und der Bundesregierung wird es jetzt auch zu einer anderen Lösung kommen. Am Ende wird es nach meiner Einschätzung der technische Lärmschutz sein – und nicht Ihre Vorstellung von 3 dB. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Barbara Hendricks (SPD): Wenn Sie erlauben, mache ich eine Zwischenbemerkung. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerne. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Was Sie vorschlagen, ist ein echter Bruch. Damit geben Sie nämlich das Verursacherprinzip auf. Das ist der echte Bruch, den Sie dabei veranstalten. Und das ist mit mir als Umweltpolitikerin nicht zu machen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur eine Aussage dazu: Sie als Umweltpolitikerin schreiben in eine Gebietskategorie einen Lärmpegel hinein, den sowohl der Sachverständigenrat für Umweltfragen als auch das Umweltbundesamt für gesundheitsschädlich halten. Das ist als Umweltpolitiker auch nicht hinnehmbar, glaube ich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meines Erachtens haben sowohl die 3 dB als auch der § 13b mit guter Stadtentwicklungspolitik wenig zu tun. Deswegen müssen wir uns als Grüne, obwohl wir das urbane Gebiet sehr schätzen und es für eine sehr gute Idee, eine wirkliche Weiterentwicklung und einen Meilenstein im Baugesetzbuch halten, bei dieser Baugesetzbuchnovelle leider enthalten. Wir Grüne stehen für lebenswerte Städte mit kurzen Wegen, mit einer Nutzungsmischung, mit einer Vielfalt und mit einer kleinräumigen Teilung von Gewerbe, Arbeiten und Leben untereinander in der Stadt. Wir stehen aber nicht für eine Stadt, in der der Flächenfraß im Außenbereich organisiert wird und in dem die Menschen mit Lärm und gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Michael Groß für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Groß (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Chris Kühn, ich glaube, dass unsere Gesetze auch ohne die Opposition gut waren und gut sind. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, die Mitpreisbremse! – Caren Lay [DIE LINKE]: Die Mietpreisbremse war so schön!) – Doch, doch. Ich glaube, dass wir das bisher auch ohne Sie ganz gut hinbekommen haben. Ich muss deutlich sagen – da will ich mich auch noch einmal dem Dank anschließen –, dass wir hier einen sehr guten Prozess gehabt haben. Es gab einen sehr guten Dialog und war sehr transparent. Deswegen wollte ich auch heute in Ergänzung zur Ministerin noch einmal reden und mich herzlich bei Ihnen, bei Herrn Pronold und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMUB, die ich dort hinten sehe, für diesen Prozess bedanken. Herzlichen Dank dafür! Das Ergebnis kann sich auch sehen lassen, glaube ich. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Menschen ziehen in Städte, weil sie viele Dinge miteinander vereinbaren wollen. Kurze Wege sind schon angesprochen worden. Es geht um Gewerbe, um kurze Wege zur Arbeit, aber auch um Leben, Freizeit und Kultur in der Stadtmitte. Sie wissen selber, dass die Städte sich in den letzten Jahren anders entwickelt haben. Es hat eine Entwicklung in den Außenbereichen stattgefunden. In den Innenstädten hat man sich darüber beklagt, dass das Leben dort nicht mehr stattfindet. Insbesondere findet dort kein Leben mehr statt, nachdem Geschäfte schließen. Wir wollen die Leipzig-Charta umsetzen. Die Ministerin hat die Vorteile dargestellt. Meines Erachtens wird es mit diesem Gesetzentwurf gut gelingen, das urbane Gebiet zu ermöglichen und den Kommunen, den Städten und Gemeinden, die Möglichkeit zu geben, mit lokalen Bebauungsplänen deutlich zu machen, wie sie sich eine Stadtentwicklung vorstellen. Das betrifft natürlich auch die Lärmfrage. Herr Kühn, Sie wissen, dass dort nicht steht, dass die Städte 3 dB mehr erlauben müssen. Vielmehr steht da, dass sie es können. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber die Investoren werden das fordern!) Bisher war es auch möglich, dass die Städte passiven Lärmschutz vorgesehen haben. Wir haben jetzt Rechtssicherheit geschaffen, damit die Städte in die Lage versetzt werden, diesen passiven Lärmschutz umzusetzen. Ich glaube, es ist der richtige Weg, vor Ort entscheiden zu können, wie die Menschen vor Lärm geschützt werden können. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Investoren werden die 3 dB wollen, und sie werden dem technischen Lärmschutz nicht zustimmen wollen!) Wir haben als SPD-Fraktion dann einem Bereich zugestimmt, bei dem durchaus ein Problem besteht – ich will noch einmal darauf hinweisen; Herr Kühn hat es angesprochen –, nämlich der beschleunigten Bebauung im Außenbereich. Das ist uns sehr schwer gefallen, weil wir natürlich auch genau die Probleme sehen, die Sie angesprochen haben, Frau Dött. Das ist eine Außenentwicklung, die wir eigentlich nicht wollen. Denn das bedeutet, dass der Flächenverbrauch massiv ansteigen wird, wenn die Kommunen dieses Instrument in Anspruch nehmen werden. Wir hatten uns eigentlich vorgestellt, dass wir dies noch auf Gebiete beschränken, in denen Wohnraum knapp ist. Das ist leider nicht gelungen. Dafür sind Sie uns bei einem anderen Punkt entgegengekommen: beim Milieuschutz. Wir sind sehr dankbar, dass wir den Kompromiss gefunden haben, dass der Kündigungsschutz zwei Jahre länger greift. Ich glaube, das ist ein gutes Signal für die Mieterinnen und Mieter in diesen Milieuschutzgebieten. Da haben wir viel erreicht. Herzlichen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Milieuschutz ist gut!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Dr. Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Erst heute Mittag haben wir hier im Hohen Haus wieder darüber diskutiert, wie die Mieten in unseren Städten bezahlbar bleiben können. Ein entscheidender Baustein zur Lösung ist – wir haben es heute in der Debatte schon gehört –: bauen, bauen, bauen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir eine gute Grundlage, um dem Wohnraummangel entgegenzutreten. Neben der Stärkung der Innenentwicklung durch das urbane Gebiet – dies ist uns ganz besonders wichtig – erweitern wir auch das beschleunigte Bebauungsplanverfahren auf Ortsrandlagen. Denn allein durch Innenentwicklung werden wir es nicht schaffen, den Bedarf von bis zu 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr zu decken. Das haben auch die Experten in der Anhörung verdeutlicht. Deshalb geben wir den Kommunen dort – und nur dort –, wo die Innenentwicklung an ihre Grenzen stößt, ein Planungsinstrumentarium zur Wohnbaulandmobilisierung an die Hand. Die Innenentwicklung hat weiterhin Priorität. § 13b Baugesetzbuch war sicherlich – wir haben es der Debatte gerade schon entnommen – einer der umstrittensten Punkte in den Verhandlungen. Doch wir haben letztendlich einen Kompromiss gefunden und das Instrument zusätzlich zu den Beschränkungen, die bereits vorgesehen waren, auch noch zeitlich eingeschränkt. Um einer möglichen Vorratsbeschlussfassung entgegenzuwirken, muss der Aufstellungsbeschluss im Bebauungsplanverfahren bis zum 31. Dezember 2019 gefasst sein und das Verfahren komplett bis spätestens 31. Dezember 2021 mit dem Satzungsbeschluss abgeschlossen sein. Damit ist das beschleunigte Verfahren eine kurzfristige Antwort, um eine besondere Herausforderung bei der Wohnraumversorgung zu bewältigen und den akuten Bedarf zu decken. Uns ist bewusst, dass jede Neuerschließung von Bauland die Frage des Flächenverbrauchs aufwirft. Ich sage auch als Umweltpolitikerin ganz klar: Es ist und bleibt unser politisches Ziel, den Flächenverbrauch weiter zu reduzieren. Es ist doch aber auch unsere politische Aufgabe, langfristige Ziele mit den unabweisbaren akuten Bedürfnissen der Menschen, der Bevölkerung in Ausgleich zu bringen. Gerade wenn das Instrument nicht nur in großen Städten greift, sondern auch in ländlichen Räumen, führt dies zu einer Entlastung der überhitzten Metropolen und Innenstädte. Der Sickerungseffekt kann vielen Haushalten, insbesondere jungen Familien, dabei helfen, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Das ist doch unser gemeinsames Ziel. Viele Kollegen behaupten immer wieder, dass die Umweltbelange im beschleunigten Verfahren vollkommen unter den Tisch fallen. Da muss man aber bei der Wahrheit bleiben. Das stimmt so nicht. In jedem Fall hat die Kommune die Belange von Umwelt und Naturschutz in ihre Abwägungsentscheidungen mit einzubeziehen. Auch Öffentlichkeit und Bürger werden beteiligt, aber eben in einem vereinfachten Verfahren, in einer vereinfachten Form. Die Interessen der Umwelt und der Bevölkerung fallen also nicht vollkommen unter den Tisch. Abschließend möchte ich noch betonen, dass wir mit dem Instrument lediglich den kommunalen Handlungsspielraum vergrößern. Entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip, das mir immer sehr wichtig ist, vertraue ich jedoch darauf, dass unsere Kommunen auch mit Blick auf den Flächenverbrauch verantwortungsbewusst mit diesem Instrument umgehen. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle etwas Persönliches sagen: Ich war viele Jahre Gemeinderätin und bin immer noch im Kreistag tätig. Aufgrund meiner Erfahrung aus dem Gemeinderat weiß ich, dass Gemeinderäte verantwortungsvoll handeln. Es kann doch nicht sein, dass wir den Kommunen unterstellen, sie würden ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein Baugebiete ausweisen. Das stimmt so nicht, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, es gibt auch andere!) Weiterhin begrüße ich, dass wir im Gesetzgebungsverfahren eine Lösung für das Dauerwohnen in Erholungsgebieten gefunden haben und hier Rechtssicherheit schaffen. Schön ist auch, dass die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere von Familien mit mehreren Kindern, in die Grundsätze der Bauleitplanung aufgenommen werden. In dem vorliegenden Gesetzentwurf regeln wir darüber hinaus einen Aspekt, der mich persönlich, auch als ehemalige Europaabgeordnete, schon lange begleitet: Wir stellen die sogenannten Einheimischenmodelle auf rechtssicheren Boden, indem wir hervorheben, dass diese dem Erwerb von angemessenem Wohnraum durch einkommensschwächere Personen der örtlichen Bevölkerung dienen. Das ist ein weiteres gutes Signal an unsere Kommunen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was lange währt, wird endlich gut; das fasst die Verhandlungen zur vorliegenden Baurechtsnovelle sehr treffend zusammen. Daher möchte auch ich mich bei allen Beteiligten, insbesondere beim BMUB, aber auch bei der Opposition für die gute, wenn auch nicht immer einfache Zusammenarbeit in den letzten Monaten bedanken. Doch die langen und intensiven Diskussionen haben sich ausgezahlt. Am Ende haben wir ein gutes Ergebnis erzielt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzte Rednerin spricht Caren Lay für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte mit den positiven Aspekten des vorliegenden Gesetzentwurfes beginnen und die Punkte erwähnen, bei denen sich zeigt, dass es sich gelohnt hat, die Opposition einzubeziehen. Auch dafür will ich mich natürlich herzlich bedanken. Mir geht es um die Verbesserung des Kündigungsschutzes von Mieterinnen und Mietern in Gebieten mit Erhaltungssatzung, also in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten. Ich finde es sehr gut, dass hier ein Punkt aufgegriffen wurde, den der von uns benannte Sachverständige vom Deutschen Mieterbund in der Anhörung betont hat, nämlich dass wir den Kündigungsschutz von Mieterinnen und Mietern verbessern sollten. Bislang ist es ja so: Nachdem eine Wohnung von einer Miet- in eine Eigentumswohnung umgewandelt wurde, gilt der Kündigungsschutz drei bis maximal zehn Jahre. Diese Frist wird jetzt verlängert; zukünftig gilt er fünf bis zwölf Jahre. Das ist zwar nicht ganz die Regelung, die der Bundesrat vorgeschlagen hat – er hat einen Kündigungsschutz für die Dauer von 7 bis 14 Jahren vorgeschlagen –, aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Ich finde es gut, dass dieser Aspekt aufgegriffen wurde. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Ich persönlich finde, ehrlich gesagt, dass man in Gebieten mit Milieuschutzsatzung gar nicht umwandeln sollte, auch dann nicht, wenn die Wohnung dem Mieter zum Kauf angeboten wird; denn das ist häufig vorgeschoben. Aber darüber können wir ja möglicherweise in rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen sprechen. (Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist mit der Union bestimmt nicht zu machen. Meine Damen und Herren, die Milieuschutzsatzung kann den Kapitalismus bestimmt nicht abschaffen, ihn aber immerhin aufhalten. Deswegen finden wir es gut, dass in § 172 des Baugesetzbuches etwas geändert wurde. Genauso begrüßen wir die Weiterfassung der Umweltverträglichkeitsprüfung. Wir finden es auch richtig – das ist, glaube ich, noch gar nicht angesprochen worden –, die Rechtssicherheit im Hinblick auf Ferienwohnungen an der Küste, zumindest dort, wo sie gefährdet war, zu stärken. Dies ermöglicht einkommensschwachen Familien den Urlaub und päppelt auch das Einkommen vieler Küstenbewohner auf. Gleichzeitig kennen wir das Problem des massiven Missbrauchs von Ferienwohnungen in Großstädten, wo Mieterinnen und Mieter verdrängt werden. Dieses Problem gibt es zum Teil natürlich auch in beliebten Küstenorten. Wir kennen auch die Furcht vor sogenannten Rollladensiedlungen, also leeren Ortschaften, in denen nichts mehr passiert. Deswegen finden wir es gut, dass die Kommunen eine Handhabe bekommen und gestärkt werden, wenn es darum geht, hier zu regulieren. Ich muss an dieser Stelle aber auch sagen, dass ich allen Ländern wirklich empfehle, eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung zu erlassen, um den Missbrauch von Ferienwohnungen zu verhindern. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, auch wir Linke wollen natürlich lebendige, durchmischte Städte. Wir finden deswegen die Einführung eines urbanen Gebietes richtig. Ich habe schon bei der ersten Lesung gesagt: Die derzeit so beliebten Gründerzeitviertel würden heute gar nicht mehr genehmigt werden. Aber genau das wollen wir ja häufig: kurze Wege, eine Mischung aus Wohnen und Arbeiten sowie Unterhaltung. Deswegen ist es gut, dass es das urbane Gebiet gibt. Beim Lärmschutz sind wir uns nicht wirklich einig geworden; das hat schon mehrfach eine Rolle gespielt. Ich finde – das habe ich hier auch gesagt –, darüber können wir reden. Wer in die Stadt zieht bzw. wer in ein Gebiet zieht, das in der Nähe vorhandener Unterhaltungsangebote liegt, kann natürlich nicht erwarten, dass es dort so leise ist wie auf dem Dorf; das habe ich ganz klar gesagt. Ich habe hier auch schon einmal die Position vertreten, dass wir in den Städten – das kann man an Berlin sehr gut sehen – natürlich auch einen Bestandsschutz für die bestehenden Clubs brauchen. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde es, ehrlich gesagt, amüsant, wenn Leute, die als Studenten dorthin gezogen sind, weil es dort so schön munter und lebendig war, zehn Jahre später finden, dass es dort zu laut ist, und versuchen, gegen die bestehenden Clubs zu klagen. So geht es natürlich nicht. Trotzdem hätten wir es vorgezogen, man wäre dem Vorschlag des Bundesrates nachgekommen und hätte die Lärmmessung in den Innenraum verlagert. Ja, das wäre ein Paradigmenwechsel, aber ich finde, einer, der nötig ist, und ich habe es, ehrlich gesagt, nicht verstanden, warum es anders gemacht werden soll. Entscheidend ist im Endeffekt, wie laut oder leise es innen ist. Ich schlage vor, dass wir hier in den Haushaltsverhandlungen über einen Lärmschutzfonds reden, mit dem wir lärmschützende Maßnahmen für die Mieterinnen und Mieter unterstützen, zum Beispiel den Einbau von Hamburger Fenstern. Aber auch die Gewerbebetriebe und die Clubs müssen abgedichtet werden können, ohne dass sie um ihre Existenz fürchten müssen. Ich komme zu meinem letzten Argument: Wir können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil auch wir den § 13b wirklich für falsch halten. Dadurch wird der Sinn des Gesetzes, nämlich die Stärkung der Innenentwicklung, wirklich komplett karikiert. Sie befördern stattdessen mit mehr Eigenheimsiedlungen die Flächenzersiedelung in den Dörfern. Meine Befürchtung ist, dass man in den Außenbereichen der Großstädte – Stichwort Gropiusstadt – Sozialwohnungen baut, weil man die Armen nicht in der Innenstadt haben will. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie haben ihre Redezeit deutlich überschritten. Caren Lay (DIE LINKE): Das finde ich einfach falsch. Deswegen werden wir die Streichung des § 13b beantragen. Wenn das nicht angenommen werden sollte, müssen wir uns enthalten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt. Zu der Abstimmung liegen mir mehrere persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.7 Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11439, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10942 und 18/11181 in der Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung getrennt abzustimmen, und zwar zum einen über Artikel 1 Nummer 16 – Einfügung von § 13b in das Baugesetzbuch – und zum anderen über den Gesetzentwurf im Übrigen. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Artikel 1 Nummer 16 in der Ausschussfassung. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Der Änderungsantrag?) – Wir stimmen jetzt als Erstes über Artikel 1 Nummer 16 in der Ausschussfassung und danach über den Gesetzentwurf im Übrigen ab. (Caren Lay [DIE LINKE]: Und unser Antrag? – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Der Änderungsantrag!) – Dazu kommen wir später. Jetzt stimmen wir erst über Artikel 1 Nummer 16 in der Ausschussfassung ab. Ich glaube, das hat jetzt jeder nachvollziehen können. – Wer stimmt dem Artikel 1 Nummer 16 in der Ausschussfassung zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Artikel 1 Nummer 16 in der Ausschussfassung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen des Kollegen Göppel von der CDU/CSU und der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen worden. Wir kommen nun zu den übrigen Teilen des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11453 vor, über den wir jetzt abstimmen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Merci beaucoup!) – Ja, wir gehen nicht durcheinander vor. – Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Ich bitte nun diejenigen, die den übrigen Teilen des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit sind die übrigen Teile des Gesetzentwurfes mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Alle Teile des Gesetzentwurfes sind damit in zweiter Lesung angenommen worden. Wir kommen damit jetzt auch zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. (Caren Lay [DIE LINKE]: Und einer Gegenstimme!) Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf Drucksache 18/11439 fort. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Ich komme jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11454. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen wir jetzt zum nächsten Tagesordnungspunkt, zum Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Sven-Christian Kindler, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nicht um jeden Preis – Großprojekte im Zeit- und Kostenrahmen realisieren Drucksache 18/8402 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Finanzausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Debatte eröffnen. Bevor ich dem ersten Redner das Wort gebe, bitte ich aber noch einmal die Kollegen, wirklich die Zeit einzuhalten. Wir sind jetzt bei einem Ende um 2.10 Uhr. Es ist einfach unkollegial, wenn man angesichts unserer Zeitlage – das kann man ja schon so sagen – dann auch noch die Redezeit überzieht. Deshalb bitte ich alle, die Zeit einzuhalten. Das ist eben leider nicht der Fall gewesen. Deshalb noch einmal ein Appell an Sie. Als erster Redner in der Aussprache hat Christian Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Also mir als Baupolitiker ist es eigentlich peinlich. Deutschland war einmal bekannt für herausragende bzw. gute Architektur. Das betraf Walter Gropius, Mies van der Rohe und andere. Heute sind diese Zeiten leider längst vorbei. Wir sind in der Welt eher für Planungsdesaster als für gut realisierte Architektur bekannt. 40 Prozent der Projekte, die über einem Kostenrahmen von 10 Millionen Euro liegen, sprengen diesen Rahmen sowie auch den Zeitrahmen. Ich glaube, dies ist der Zeitpunkt, wo wir wirklich darüber nachdenken müssen, ob wir in Deutschland nicht einfach anders planen und mit Großprojekten anders umgehen sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Eröffnungskonzert in der Elbphilharmonie war wahrscheinlich eines der teuersten der Geschichte. Es wurden dafür vom Steuerzahler 600 Millionen Euro mehr als vorgesehen hingelegt. In meinem Bundesland Baden-Württemberg bauen wir einen Bahnknoten aus, der 1995 einmal 2,5 Milliarden Euro hätte kosten sollen. Heute liegen die Kosten irgendwo zwischen 7 Milliarden Euro und 10 Milliarden Euro. Es gibt also eine Vervierfachung der ursprünglich veranschlagten Kosten. Der BER kostet mittlerweile 2,9 Milliarden Euro mehr. Das ist eine Verdoppelung der veranschlagten Baukosten. Den Steuerzahler kostet das – wegen der Nichteröffnung – jeden Tag 1,3 Millionen Euro. Ich finde, es ist jetzt endlich an der Zeit, dass wir uns als Politik ehrlich machen und nicht mehr zulassen, dass solche Projekte gegen die Wand gefahren werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dafür gibt es drei ganz einfache Regeln, die wir in unserem Antrag letztlich mit vielen Maßnahmen unterlegen. Erstens geht es dabei um die Ehrlichkeit bei den Zahlen, zweitens um den Grundsatz: Erst planen und dann bauen. Und drittens sollten staatliche Aufgaben durch staatliche Stellen erledigt werden. Erstens. Jedes Großprojekt des Bundes sollte, finden wir, in Zukunft eine realistische Kostendarstellung erhalten, also die Risiken der Zukunft eingepreist haben, etwa Inflation und anderes. Ich glaube, wir brauchen endlich Kostenwahrheit. Es ist doch peinlich, wenn wir ein Projekt beschließen und nach zehn Jahren schließlich erklären müssen, warum es doppelt so teuer geworden ist. Das ist nicht gut für die Politik, weder für ihr Ansehen noch für den Staat als Bauherrn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Gut geplant ist halb gebaut. Wir sollten darauf achten, dass in Deutschland kein Bauprojekt mehr angefangen wird, bei dem die Planungen noch nicht beendet sind. Als Bund können wir das bei unseren eigenen Projekten tun. Da sollten wir Vorbild sein. Also: Erst planen und dann bauen. Ferner müssen wir gutes Planen fördern. Wir müssen die Bauverwaltungen mit mehr Personal ausstatten, damit das Controlling auf den Baustellen effektiv funktionieren kann. Drittens. Wir sollten davon Abstand nehmen, staatliche Aufgaben durch sogenannte öffentlich-private Partnerschaften realisieren zu lassen. ÖPP ist intransparent. Es ist in der Finanzierung vergleichsweise teuer. Es führt am Ende dazu, dass wir als Parlamentarier keine richtige Kontrolle mehr über diese Projekte haben. Diese brauchen wir aber dringend. Deswegen sagen wir ganz klar: Finger weg von ÖPP, gerade bei Großprojekten! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diese drei Regeln beherzigen. Lassen Sie uns darauf achten, dass bei Großprojekten Kostenexplosionen nicht zum Dauerzustand werden. Lassen Sie uns Großprojekte endlich richtig in den Blick nehmen und kontrollieren. Ich finde, die Bundesregierung muss beispielsweise beim Hauptstadtflughafen als Anteilseigner energischer auftreten und Druck machen, damit die Kosten nicht weiter aus dem Ruder laufen. Lassen Sie uns Planungsdesaster in Zukunft vermeiden. Denn es schadet der Politik; es schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland; es schadet auch dem Architekturstandort Deutschland. Das können wir uns nicht leisten. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Christian Haase für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Christian Haase (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gewissenhaft wie ich bin, versuche ich, alle Anträge der Grünen ernst zu nehmen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!) In diesem Fall hieße das – etwas polemisch gesagt –: Wir sollten in Deutschland am besten gar nicht mehr bauen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie wollen weiter das Geld zum Fenster rausschmeißen!) Die Argumentation liest sich folgendermaßen: (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Politik der CDU: sinnlos Milliarden verschwenden!) Großprojekte sind viel zu teuer. Also: Lasst uns viel Geld ausgeben, um die Bauverwaltung aufzublähen. Diese kann dann lang und ausgiebig prüfen, um am Ende festzustellen, dass gar nicht gebaut wird. – So stellen sich die Grünen offenbar Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes vor. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU stellt sich die Investitionen so vor: Geld verbrennen sinnlos!) Dabei ist es völlig richtig, dass bei den im Antrag genannten Großprojekten viel falsch gelaufen ist. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, daraus hätten wir lernen können!) Dafür werden zutreffende Gründe genannt: mangelnde Kompetenz, politische Änderungswünsche und fehlende Öffentlichkeitsarbeit. Aber der Handlungsbedarf ist doch längst erkannt. Die Bundesregierung hat im letzten Jahr einen Reformbericht vorgelegt, der viele richtige Punkte benennt. Wie Sie angesichts von neun Handlungsfeldern und 34 Maßnahmenempfehlungen im Bericht – Herr Hofreiter, ich hoffe, Sie kennen diese Dinge – und der Ankündigung eines jährlichen Sachstandsberichtes Bundesbau darauf kommen, dass es – ich zitiere aus Ihrem Antrag – „keine weitergehende Initiative“ gibt, ist mir wirklich ein Rätsel. Einen der vielversprechenden Lösungsansätze schließen Sie von vornherein kategorisch aus. Im Antrag wird der vollständige Verzicht auf öffentlich-private Partnerschaften gefordert – mit der fadenscheinigen Begründung, es gebe keine unabhängigen Untersuchungen zu diesem Thema. Herr Kühn, das ist doch Ideologie pur. Klar: Es gibt bei ÖPP-Projekten Risiken, aber diese Partnerschaften sind doch kein Teufelswerk. Mit klaren Regeln und weihwasserdichten Verträgen kann man das in den Griff bekommen. Natürlich muss man bei der Auswahl der privaten Partner auf Qualität und Seriosität achten. Aber anstatt ÖPP-Projekte zu untersuchen und zu verbessern, wollen Sie sie einfach abschaffen. Das ist mal wieder grüne Verbotspolitik in Reinkultur. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach: Der Staat soll öffentliche Aufgaben machen! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen Geldverschwendung zu sein, ist bei Ihnen Verbotspolitik! Sie haben recht: Wir sind für das Verbot von Geldverschwendung! Mein Gott!) ÖPP ist ein guter Ansatz, um Gemeinwohlorientierung und effiziente Leistungserbringung zusammenzubringen. Spezialisierte Unternehmen haben langjährige Erfahrungen im Bau von Großprojekten, anders als viele öffentliche Bauverwaltungen, die solche Projekte vielleicht alle zehn Jahre einmal stemmen müssen. Selbst die Bundesbauverwaltung stellt pro Jahr nur etwa 20 Hochbauprojekte fertig. Herr Kühn, woher sollen denn Ihrer Meinung nach die Spezialisten, die Sie fordern, kommen? Der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Das kann niemals von dem einen auf den anderen Tag geschehen, so wie Sie sich das vorstellen, weil diese guten Leute in den Unternehmen arbeiten. Deshalb ist es viel, viel besser, wir arbeiten mit diesen privaten Unternehmen zusammen, als sie zu verteufeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wie machen wir Großprojekte denn nun zum Erfolg? Ein Hauptgrund für die vielen Negativbeispiele ist sicherlich die Komplexität, verbunden mit dem hohen Kostendruck. Nur Insidern sagen Begriffe wie „RBBau“, „RZBau“ und „ZBau“ etwas. Das sind die kleinteiligen Regelungen zur Umsetzung öffentlicher Bauvorhaben. Natürlich: Wir brauchen Regeln. Aber eine Entrümpelung dieser Vorschriften wäre ein guter Schritt zum Bürokratieabbau. Das wäre ein sicherlich guter Beitrag der Politik, die Komplexität zu senken und die Effizienz zu steigern. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn in dieser Legislaturperiode?) Kommen wir zu den Kosten. Anbieter sind regelrecht gezwungen, zu günstige Angebote zu machen, wenn sie überhaupt eine Chance bei den Ausschreibungen haben wollen. Dabei sind die Planungs- und Ausführungsphasen bei Großprojekten viel zu lang, um belastbare Aussagen über Baukosten und Bauzeiträume zu treffen. Nachher darf es natürlich nicht verwundern, wenn die Kosten explodieren. Man muss sich am Anfang ehrlich machen, auf höhere Qualität setzen und von Anfang an die Preisentwicklung und andere Risiken einplanen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir ja!) Das ist auch nötig, um die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen. Wir dürfen nicht den Eindruck erzeugen, dass ihre Steuergelder verschwendet werden. Aber genau das passiert, wenn die Summen Stück für Stück im Nachhinein nach oben korrigiert werden müssen. Wenn man von Anfang an ehrlich plant, wächst auch die Akzeptanz für Großprojekte. Es ist ja nicht so, dass Großprojekte grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sind. Das Berliner Stadtschloss zeigt, dass man mit der richtigen Herangehensweise auch bei einem großen Projekt Erfolg haben kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Angefangen bei der frühzeitigen Bürgerbeteiligung über eine strukturierte und realistische Planung bis hin zu einer soliden Finanzierung einzelner Bauabschnitte wurde hier vieles richtig gemacht. Das Berliner Stadtschloss ist ein Best-Practice-Beispiel, wie man Großprojekte anpackt. Meine Damen und Herren, Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Im Gegensatz zu den Grünen bin ich daher sehr zuversichtlich, dass wir unsere Effizienz bei Großprojekten in Zukunft steigern werden. Viele dieser Projekte bringen unser Land kulturell, technologisch und wirtschaftlich voran. Darauf können und sollten wir nicht verzichten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sabine Leidig hat als nächste Rednerin für Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der Antrag der Grünen enthält nichts, von dem wir nicht sagen würden: Das ist gut. – Allerdings gehen Sie gutwillig davon aus, dass die Bundesregierung die Großprojekte eigentlich im Kosten- und Zeitrahmen realisieren will, aber nicht die richtigen Instrumente zur Verfügung hat oder nicht genügend kompetent ist. Ich teile, ehrlich gesagt, diese optimistische Grundhaltung nicht. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sind wir halt! Optimisten! – Gegenruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das hilft nur wenig!) Im letzten Jahr sind zwei echte Megaprojekte in Betrieb gegangen: der Gotthardtunnel in der Schweiz und der neue, stark ausgebaute Panamakanal. Bei beiden Großprojekten wurde der Kosten- und Zeitrahmen weitgehend eingehalten. Also: Was im Nachbarland Schweiz oder gar in dem mittelamerikanischen Kleinstaat Panama möglich ist, (Michael Groß [SPD]: Das ist in der Emscher auch möglich! – Michael Thews [SPD]: In der Emscher auch! 4-Milliarden-Projekt! Wird eingehalten!) sollte doch auch hier machbar sein, zumal es in der Schweiz übrigens teilweise die gleichen Baukonzerne sind, die den Plan dort einhalten und hierzulande die Großprojekte aus dem Ruder laufen lassen. Vielleicht steckt ein bisschen System dahinter, wenn es bei Großprojekten schiefläuft. Auch hierzulande sind in bestimmten Zeiten, in den 1980er-Jahren, Dutzende Autobahnen, Flughäfen, Bahnneubaustrecken und mit Kassel-Wilhelmshöhe auch ein großer Bahnhof neu und im Zeit- und Kostenrahmen gebaut worden. Heutzutage sieht aus meiner Sicht das systematische Problem folgendermaßen aus: Man schaltet bestehende Gesetze und Kontrollmechanismen aus und lässt auf diese Weise denen, die von den Bauzeitverlängerungen und von den Kostensteigerungen profitieren – die gibt es auch; es ist ja nur die öffentliche Hand, es sind die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die drauflegen –, freien Raum. Kostensteigerungen sowie fehlende Transparenz und Kontrolle bei Großprojekten werden im Grunde regierungsseitig ermöglicht. Dazu gehört – das ist vielleicht sogar der wichtigste Punkt –, dass Gutachten und Empfehlungen des Bundesrechnungshofes und der Landesrechnungshöfe von Vertretern der Bundesregierung nicht nur ignoriert, sondern auch diskreditiert werden. Das taucht in Ihrem Antrag leider gar nicht auf. Dabei sind die Rechnungshöfe im Grundgesetz und in den Verfassungen der Länder verankerte Kontrollinstitutionen. Sie funktionieren eigentlich sehr gut, bzw. sie würden funktionieren, wenn man auf sie hören und ihre Rechte und Kompetenzen stärken statt schwächen würde. In Ihrem Antrag, liebe Grüne, heißt es, es gebe keine unabhängigen Untersuchungen zu den Kosten von ÖPP-Projekten. Sie fordern den Verzicht auf ÖPP. Das finden wir super. Da sind wir ganz beieinander. Aber der zitierte Satz ist nicht richtig. Es gibt diese unabhängigen Untersuchungen, und diese belegen das Gegenteil dessen, was zum Beispiel Herr Dobrindt und seine Freunde behaupten. Sie belegen: ÖPP verteuert Projekte massiv. Viele davon werden mit ÖPP in den Sand gesetzt. Es waren die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder, die die Belege dafür erbracht haben. Große Publikationen sind dazu erschienen. Nehmen wir Stuttgart 21. Dazu stehen ein bisschen schmallippig in Ihrem Antrag drei Zeilen. Es wird von 6,5 Milliarden Euro überhöhten Kosten gesprochen. Das ist ein bisschen erstaunlich. Wir wissen aus dem Gutachten von Vieregg-Rössler, dass die Kosten bei 10 Milliarden Euro liegen werden. Mit Veröffentlichung des Gutachtens des Bundesrechnungshofes sehen wir das bestätigt. Was machen die Bundesregierung und die Deutsche Bahn? Sie behaupten entweder, den Bericht nicht zu kennen, oder, dass er von falschen Voraussetzungen ausgehen würde. Dabei wissen eigentlich alle, dass der Bundesrechnungshof recht hat. Zum Schluss. Sie schreiben in Ihrem Antrag – das wurde gerade schon moniert –, dass die Bundesregierung zwar eine Analyse veröffentlicht habe, aber keine Initiative habe, um die Kosten von Großprojekten zu senken. Tatsächlich hat Herr Dobrindt einen 100 Seiten starken Endbericht vorgelegt. Darin wird unter anderem empfohlen, außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren einzuführen. Das heißt, private Schiedsgerichte sollen etabliert werden, um zwischen der öffentlichen Hand und den privaten Akteuren auszugleichen, jenseits der vorhandenen Institutionen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Leidig, ich muss auch Sie bitten, zum Schluss zu kommen. Auch Sie haben Ihre Redezeit schon wieder spürbar überschritten. Sabine Leidig (DIE LINKE): Das wäre die gleiche Richtung, in die Sie auch mit TTIP und CETA ziehen wollen. Das lehnen wir ab. Ich kann nur hoffen, dass wir gemeinsam verhindern können, dass eine solche Verschleierungstaktik auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eingeführt wird. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold hat als nächster Redner das Wort für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Christian Kühn, manchmal ist dein Gedächtnis doch ein bisschen schlecht ausgeprägt. Wir hatten vor, glaube ich, einem Dreivierteljahr eine gute Sitzung im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, in der alle, auch die Grünen, den Bericht, den Barbara Hendricks vorgelegt hat, gelobt haben. In diesem Bericht haben wir 300 Hochbauprojekte der letzten 15 Jahre analysiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, das auch du zitiert hast, nämlich dass 60 Prozent im Zeit- und Kostenrahmen liegen, aber viel zu viele, nämlich 40 Prozent, nicht. Dann haben wir eine Ursachenanalyse gemacht und einen Maßnahmenkatalog mit 38 Einzelmaßnahmen vorgestellt, die jetzt in der Umsetzung sind und Stück für Stück abgearbeitet werden. Es ist schön, dass du große Teile deines Antrags aus diesem Bericht abgeschrieben hast – dafür bin ich dir dankbar –, aber das mit der Behauptung zu verbinden, wir würden an der Stelle nichts tun, ist verkehrt. Es ist Barbara Hendricks gewesen, die genau diese Punkte aufgegriffen und einen klaren Kurswechsel für die Zukunft eingeleitet hat. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na ja!) Liebe Frau Leidig, die Streitschlichtungsverfahren, die auch der Kollege Dobrindt für seinen Bereich vorgeschlagen hat, gibt es bei uns im Hochbau schon lange. Das hat überhaupt nichts mit Schiedsgerichten zu tun. Ich will Ihnen einfach einmal sagen, was da tatsächlich passiert. (Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Ich bin zurzeit Bauherr beim Berliner Schloss, wo alles Gott sei Dank im Zeit- und Kostenrahmen ist. Ich kann Ihnen sagen, dass es mit Einzelnen, die dort auf dem Bau tätig sind, Streit gibt, weil sie behaupten, sie hätten alles erfüllt, wir als Bauherr aber sagen: Das ist mangelhaft. – Dann sagen diese Firmen: Wenn wir streiten, stellen wir erst einmal den Bau ein. Dann könnt ihr schauen, wo ihr bleibt. – Wenn das so passieren würde – das ist oft genug passiert –, dann geraten alle anderen Gewerke, die darauf aufbauen, auch in Verzögerung. Dann entsteht ein Dominoeffekt, und zum Schluss führt das zu Baukostensteigerungen. Deswegen machen wir nichts anderes, als dass wir partnerschaftlich damit umgehen und sagen: Lasst uns die Sachen festhalten. Lasst uns da einen Prozess durchführen, der den Bau nicht verzögert, und im Anschluss daran diese streitigen Dinge entscheiden. Nichts anderes machen wir da. Das hat sich bisher bewährt. Wir haben festgestellt, dass es sehr unterschiedliche Ursachen dafür gibt, dass Projekte aus dem Zeit- und Kostenrahmen laufen. Ich sage einmal – genauso wie es im Antrag der Grünen steht und wie es alle in diesem Haus teilen –: Wir verwalten Steuergelder. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben einen Anspruch darauf, dass wir mit dem uns anvertrauten Geld gut umgehen. Deswegen ist uns jede Zeitverzögerung und jede Kostensteigerung ein Dorn im Fleisch, und das wollen wir alle nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt muss man sich aber einmal anschauen, wo die Ursachen liegen. Die Ursachen sind vielfältig. Dieselbe Bundesbauverwaltung, die beim Pergamon-Museum tatsächlich Probleme hat, hat drei Museen auf der Museumsinsel im vorgesehenen Zeit- und Kostenrahmen fertiggestellt. Da kann man doch nicht einfach sagen: Die öffentliche Verwaltung ist nicht in der Lage, im Zeit- und Kostenrahmen zu bauen. – Da muss man sich doch anschauen, wo die Gründe dafür liegen. Die Gründe sind vielfältig. Wir haben zum Beispiel ein Vergaberecht, das oft von Firmen auch dazu benutzt wird, Verzögerungen zu produzieren. Ich finde, da müsste man einen Hebel ansetzen. Da sind wir auch dran. Das kommt in unserem Bericht vor, und die Grünen haben es gut abgeschrieben. Es ist ja schön, wenn wir uns da einig sind. Wir müssen bloß die EU-Kommission davon überzeugen, dass wir das europarechtsfest hinkriegen. Natürlich hat einer, der bei einer Ausschreibung ungerechtfertigterweise unterliegt, einen Schadensersatzanspruch. Aber es geht nicht an, dass er die Möglichkeit hat, den ganzen Bau zu blockieren. Das wollen wir für die Zukunft ändern, und wir sind bereits auf dem Weg. Wir stellen übrigens auch fest, wenn wir als Bundestag bauen – das ist einer der Punkte, die ihr auch von uns abgeschrieben habt –, dass man vorher wissen muss, was man haben will. Wenn man in der Bauphase anfängt, Änderungen bei der Nutzung vorzunehmen, dann wird es teuer. Das haben alle, die hier sitzen, bei vielen Projekten getan. Deswegen sollten wir uns an die eigene Nase fassen und so, wie wir das beim Schloss auch machen, sagen: Nein, während der Bauphase wird nichts mehr geändert, sondern wir wollen die Planung vorher haben, und zwar so exakt, dass man das Projekt entsprechend ausschreiben kann. Ferner muss man sagen, dass über 20 Jahre lang eine Ideologie geherrscht hat, unter der behauptet worden ist, der Staat sei zu fett, und man hat eingespart. Wir erleben jetzt – nicht nur bei der Bundesverwaltung, sondern auch bei den Kommunen –, dass es viel zu wenig Leute gibt, die überhaupt noch die Bauabläufe auf Bauherrenseite kontrollieren können. Darum haben wir im Zuge der letzten Haushaltsberatungen beim BBR 80 neue Stellen geschaffen, damit dieses Defizit ausgeglichen wird und der Bund als Bauherr überhaupt in der Lage ist, die Dinge, die er in der Hand hat, selber zu kontrollieren, wenn er sie schon selber nicht machen kann. Das sind die Voraussetzungen, die wir jetzt schaffen, damit das zukünftig so nicht mehr auftritt. Viele Dinge, die gemacht werden – es sind ja einige da, die auch in der Bau- und Raumkommission des Deutschen Bundestages sitzen und unsere Bundestagsbauten mit begleiten –, hängen nicht vom Bund ab, sondern wir sind sehr oft auf Baufirmen, Planungsfirmen und andere angewiesen, die schlecht erfüllen. Da kommt es dann zu Zeitverzögerungen und zu Kostensteigerungen, die wir zum Schluss, wenn wir Glück haben, über eine gute Versicherung vielleicht wieder ausgleichen; manchmal ist das aber nicht der Fall. Das ist doch ein Ärgernis. Das, was wir machen können, ist in dem Bericht von Barbara Hendricks in 38 Themenfeldern aufgeführt. Es war, glaube ich, der erste Bericht, der diesem Haus vorgelegt worden ist, in dem man schonungslos alle Ursachen aufgezeigt hat, die dazu führen, dass es zu Zeitverzögerungen und Baukostensteigerungen kommt. Einer der Gründe ist auch, dass man von Anfang an eine falsche Darstellung macht. Das Haushaltsrecht, das wir uns gemeinsam gegeben haben, erlaubt es im Regelfall nicht, dass man die zu erwartenden Kosten und die Baukostensteigerungen schon bei der ersten Beschlussfassung mit ausweist. Wenn ein Projekt 10 oder 15 Jahre dauert, dann wird es vielleicht 10 oder 20 Millionen Euro teurer, ohne dass irgendetwas Überraschendes passiert, einfach weil es eine Inflationsrate gibt. Aber es schaut nachher so aus, als wären wir zu blöd, das in dem vorgesehenen Kostenrahmen fertigzustellen. Ich finde, zur Transparenz gehört auch, dass man von Anfang an solche Risiken und solche Preisentwicklungen offen darstellt. Das wäre auch ein Gewinn für Transparenz und Bürgerakzeptanz an dieser Stelle. (Beifall bei der SPD) Liebe Grüne, ihr habt schön abgeschrieben. Aber man muss jemanden, der überzeugt ist, die Dinge zu ändern, nicht dazu anstiften. Darum herzlichen Dank für die Gelegenheit, dass wir unsere gute Arbeit hier noch einmal darstellen durften. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gern, Herr Staatssekretär!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in der Aussprache hat Florian Oßner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Florian Oßner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag der Grünen zum ersten Mal in der Hand hatte, musste ich zweimal das Datum kontrollieren. Aber nein, es handelt sich nicht um einen Aprilscherz. Die Partei, die sich bislang eher als Verhinderer und nicht als Befürworter von Infrastruktur- und Großprojekten hervorgetan hat, fordert tatsächlich ein Programm zur Einhaltung der Zeit- und Kostenrahmen bei Großprojekten ein. Unglaublich! Viele Großprojekte werden bekannterweise durch ständiges Störfeuer und Klagen von grünen Verbänden vor Ort unnötig in die Länge gezogen oder gar verhindert. (Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Damit steigen natürlich zwangsläufig auch die Kosten. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Vor allem beim BER!) Denn was wird günstiger, wenn man es bewusst in die Länge zieht? Sehr geehrte Kollegen der Grünen, am meisten wäre uns und den Großprojekten in Deutschland geholfen, falls Sie das ewige Nörgeln, Aufwiegeln der Bevölkerung und ständige Neinsagen vor Ort endlich beenden würden. (Beifall bei der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: So wie Seehofer bei den Stromtrassen, nicht? – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch bei der CSU, oder? Haben Sie schon mal mit Herrn Seehofer über die Stromtrassen gesprochen?) Insofern ist der Antrag der Grünen schon mal eine gute Sache und geht in die richtige Richtung. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Partei vertreten Sie hier denn? Die Nix-Partei, oder wie?) Allerdings scheinen Sie übersehen zu haben, dass der damalige Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Peter Ramsauer, bereits im Jahr 2013 die Reformkommission Bau von Großprojekten ins Leben gerufen hat. Diese hat bereits im Juni 2015 ihren Abschlussbericht mit Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Verwaltung vorgelegt, also weit vor Ihrer Antragstellung. Es schadet sicherlich nicht, wenn man sich informiert, bevor man einen Antrag stellt, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht das Vorlesen Ihnen Spaß?) liebe Kollegen von den Grünen und Herr Hofreiter. Aber: Besser ist die späte Einsicht als keine Einsicht. Auf der Grundlage der Kommissionsempfehlungen wurde daraufhin der „Aktionsplan Großprojekte“ erarbeitet, der Ende 2015 im Bundeskabinett verabschiedet wurde. Lassen Sie mich bitte kurz auf folgende einzelne Punkte eingehen: (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Muss aber nicht sein!) Es soll sichergestellt werden, dass mit dem Bau erst dann begonnen wird, wenn für das genehmigte Bauvorhaben die Ausführungsplanung mit detaillierten Angaben zu Kosten, zu Risiken und zum Zeitplan sowie eine integrierte Bauablaufplanung im Team vorliegen. Also: Erst planen, dann bauen. Ich denke, da sind wir uns einig. Bei der Vergabe sollen stärker als bisher qualitative Wertungskriterien wie zum Beispiel der technische Wert, die Betriebs- und Folgekosten und die Qualität der Auftragsdurchführung einbezogen werden. Also: Vergabe an den Wirtschaftlichsten, nicht den Billigsten. Um entstehende Konflikte möglichst nicht eskalieren zu lassen, sondern frühzeitig zu lösen und damit kostspielige Gerichtsverfahren zu vermeiden, sollen geeignete Streitbeilegungsmechanismen stärker genutzt werden, also die außergerichtliche Streitbeilegung. Die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für öffentliche Großprojekte setzt den Nachweis einer angemessenen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung einschließlich einer Begründung für die Auswahl des Beschaffungsmodells voraus. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kennen den Text!) Das BMVI, das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, treibt die digitale Revolution im Baubereich zügig voran. Hier gilt der ganz besondere Dank unserem Bundesminister. Alexander Dobrindt hat maßgeblich dazu beigetragen, dass in den Bereich der Entwicklung innovativer Bauplanung in Deutschland erheblich Bewegung gekommen ist. Ein herzliches Dankeschön dafür! (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Projekte sind mit BIM schon umgesetzt?) Es gilt die Maxime: Erst digital, dann real bauen. Der Stufenplan Digitales Planen und Bauen des BMVI hat hierfür bereits den Weg geebnet. Building Information Modeling – kurz gesagt: BIM – wird bis 2020 Standard bei neuen Verkehrsinfrastrukturprojekten des Bundes sein. In der ersten Vorbereitungsphase wurden vier geeignete Pilotprojekte beauftragt und begleitet. Dabei wurden Strukturen, Prozessabläufe und Interaktionen analysiert und ausgewertet. Die Schnittstellen spielen dabei eine ganz besondere Rolle. Dadurch wurden noch nicht ausgenutzte Potenziale identifiziert. Das 5D-Modell wurde geschaffen. Über das sehr bekannte 3D-Modell hinausgehend, werden nun also noch die Funktionen Kosten und Zeit implementiert. In Bayern, so zum Beispiel beim Bau der Bundesstraße B 15 neu, haben wir damit schon erste sehr gute Erfahrungen gesammelt. Deutschland insgesamt wird mit dem System zukunftsfest gemacht. Wie man sehen kann, sind wir bereits auf dem besten Wege, Großprojekte zukünftig besser und effizienter zu planen und umzusetzen. Alle hierzu erforderlichen Schritte sind bereits eingeleitet, sodass für den Antrag der Grünen definitiv kein Bedarf mehr besteht und er damit unnötig wird. Darum sage ich: Ein herzliches „Vergelts Gott!“ fürs Zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8402 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung auch so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 sowie den Zusatzpunkt 10 auf: 20 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Share Economy – Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft nutzen und Herausforderungen annehmen Drucksache 18/11399 ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstützen Drucksache 18/11411 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das jetzt auch so geschehen.8 Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/11399. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Zusatzpunkt 10. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11411 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das auch so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes Drucksache 18/10882 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11431 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.9 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11431, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10882 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11431 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung Drucksachen 18/10884, 18/11025 Nr. 2, 18/11443 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Michael Thews von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Thews (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Klärschlamm kann eine ziemlich zähe Masse sein, und zäh und langwierig war auch die Neuordnung der Klärschlammverordnung. Seit fast zehn Jahren wird an der Novelle gearbeitet. Deswegen ein besonderes Lob an Barbara Hendricks und das BMUB, dass es gelungen ist, diesen Gesetzentwurf jetzt vorzulegen. Ich weiß, dass viele Gespräche und Vermittlungen notwendig waren. (Beifall bei der SPD) Im Mittelpunkt der jahrelangen Diskussion stand die Frage über den Nutzen und den Schaden der Ausbringung von Klärschlamm als Dünger auf landwirtschaftliche Nutzflächen sowie die Notwendigkeit der Phosphorrückgewinnung. Klärschlämme enthalten auf der einen Seite wertvolle Pflanzennährstoffe. Deshalb werden sie als Dünger eingesetzt. Aber sie enthalten auch anorganische Schadstoffe wie Blei oder Quecksilber sowie organische Schadstoffe wie Dioxine, PCB, PFT, aber eben auch Arzneimittelrückstände und sogar Krankheitserreger. Letzten Endes muss uns klar sein: Alles, was unser Abwasser belastet, landet in den Kläranlagen und letztendlich auch im Klärschlamm. Bereits bei der Agrar- und Umweltministerkonferenz im Jahr 2001 forderten einzelne Bundesländer das Verbot der Ausbringung auf landwirtschaftliche Flächen. 2007 wurde daher ein Entwurf für eine neue Klärschlammverordnung vorgelegt, der eine Einschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung und vor allem strengere Grenzwerte für anorganische und organische Schadstoffe vorsah. Also bereits 2007 war allen Beteiligten klar, dass ein Weiter-so in der Klärschlammverwertung nicht möglich ist. Trotzdem kam keine Einigung zustande. Dabei sprachen die Erkenntnisse aus dem Umweltbundesamt eine deutliche Sprache. In mehreren Studien und Berichten seit 2011 kam man zu dem Ergebnis, dass Schadstoffe in den Nahrungskreislauf gelangen können, und zu der Schlussfolgerung, dass Monoverbrennung von Klärschlämmen bei gleichzeitiger Rückgewinnung von Phosphor die geeignetste Entsorgungsmethode ist. Immer wieder tauchen auch heute Probleme bei der Ausbringung von Klärschlämmen auf den Böden auf. So führen neue Arzneimittelrückstände und auch das aktuelle Thema Mikroplastik – kleinste Kunststoffteilchen, die auf dem Weg der landwirtschaftlichen Nutzung von Klärschlämmen in die Gewässer und die Meere gelangen, wo sie bereits zu einem globalen Umweltproblem geworden sind – dazu, dass wir neue Wege gehen müssen. Ich meine, hier muss gehandelt werden. Dies können wir nicht weiter zulassen. (Beifall bei der SPD) Der Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Nutzung ist wegen der möglichen Gefährdung von Umwelt und Menschen notwendig. Hier stimme ich hundertprozentig dem Umweltbundesamt zu, genauso wie der Einschätzung, dass bei einem Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Nutzung eine Phosphorrückgewinnung wegen der Bedeutung von Phosphor als Pflanzennährstoff notwendig ist. Der vorliegende Entwurf zur Neuordnung der Klärschlammverordnung hat daher zwei Schwerpunkte. Zum ersten Mal werden die Betreiber von Abwasserbehandlungsanlagen als Klärschlammerzeuger und die Betreiber von Klärschlammverbrennungsanlagen oder -mitverbrennungsanlagen grundsätzlich dazu verpflichtet, den in Klärschlamm bzw. in Klärschlammaschen enthaltenen Phosphor nach einer gestaffelten Übergangsfrist von 12 bzw. 15 Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung zurückzugewinnen. Warum so lange Übergangsfristen, wenn doch die Diskussion schon so lange andauert? Das hat einen relativ einfachen Grund. Es müssen ganz neue Kapazitäten im Bereich der Klärschlammverbrennung und natürlich auch bei Verfahren zur Phosphorrückgewinnung aufgebaut werden. Dazu ist der komplette Neubau von entsprechenden Anlagen notwendig. Von der Planung über die Genehmigungsphase bis zur baulichen Fertigstellung benötigen wir natürlich Zeit. Aus diesem Grund sind die entsprechenden Übergangszeiten festgeschrieben worden. Ich bin überzeugt, dass in diesem Zeitrahmen der Umstieg gelingen kann. Den Startschuss setzen wir heute mit dieser Verordnung. Der zweite Schwerpunkt ist der Phosphor selbst. Phosphor ist ein wichtiger Rohstoff für die Landwirtschaft. Die Europäische Kommission hat mit Datum vom 26. Mai 2014 Phosphor als kritischen Rohstoff eingestuft. Noch gibt es keine akuten Engpässe; aber viele Abbaustätten von Phosphor liegen in Krisenregionen, und der Bedarf steigt ständig. Im Sinne eines nachhaltigen Ressourcenschutzes und der Verringerung der Importabhängigkeit müssen wir Phosphor aus dem Klärschlamm wiedergewinnen und als Sekundärstoff einsetzen. Dies ist praktizierte Kreislaufwirtschaft. Bei den Verfahren werden bewusst keine technischen Vorgaben gemacht, um zukünftige Innovationen zu ermöglichen. Es ist zu erwähnen, dass es bereits lange Zeit Forschung in diesem Bereich gibt und eine Reihe von technischen Verfahren in Pilotanlagen getestet wurden. Wir fangen nicht bei null an, sondern haben schon jetzt die Möglichkeit, bekannte Verfahren umzusetzen. Noch ein Wort zu den Kosten. Klärschlammentsorgung kostet Geld; der Bau neuer Anlagen ist auch nicht umsonst. Aber glaubt irgendjemand, dass die Einhaltung strengerer Grenzwerte und die Erfüllung der Anforderung, Medikamentenrückstände und Mikroplastik aus dem Umweltkreislauf zu beseitigen, umsonst zu haben sind? Die zukünftigen Kosten hängen an vielen Faktoren, wie zum Beispiel an den Preisen für Energie oder für Phosphor auf dem Weltmarkt. All jene, die behaupten, sie könnten heute schon eine generelle Verteuerung voraussagen, haben wohl eher in die Glaskugel geschaut; sie wissen es schlicht nicht. Angesichts der Belastungen für den Boden haben bereits viele Abwasserverbände und Betreiber von Kläranlagen längst die Konsequenzen gezogen und sind aus der landwirtschaftlichen Klärschlammverwertung ausgestiegen. Nur noch ein Drittel des Klärschlamms wird in der Landwirtschaft verwertet. Sehr geehrte Damen und Herren, mit der heute vorgelegten Verordnung werden wir die Klärschlammverwertung verbessern. Wir setzen die fünfstufige Abfallhierarchie fort, beginnen den Einstieg in die Phosphorrückgewinnung und schränken die negativen Auswirkungen auf Umwelt, Boden, Gewässer und den Nahrungskreislauf ein. Nach einer über zehnjährigen Vorarbeit sind wir nun auf dem richtigen Weg. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vorbildlich! – Als nächster Redner hat Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Klärschlamm ist unappetitlich, aber er fällt nun einmal beim Reinigen unserer Abwässer an. Im Klärschlamm gibt es nützliche Bestandteile wie Phosphor, bedenkliche wie Polyamide, also Kunststoffe, und giftige wie Schwermetalle. Für mich als Techniker hat dieser Verordnungsentwurf der Koalition doch ein paar lobenswerte Ziele: Strengere Normen gelten beim Ausbringen von Klärschlamm in der Landwirtschaft. Das schützt unser Essen vor Schwermetallen und Kunststoffen. Auch die Differenzierung der Methoden zur Behandlung von Klärschlamm nach seiner Zusammensetzung und nach anfallender Menge hilft kleinen und mittleren Abwasserbetrieben. Dass Klärschlamm überwiegend verbrannt werden soll, begrüßt die Linke. Wie Sie es nicht anders erwarten, hat diese Verordnung für uns aber leider auch einige bedenkliche und schädliche Bestandteile. (Sören Bartol [SPD]: Wäre auch komisch, wenn ihr mal alles gut fändet! – Gegenruf des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir denken dialektisch!) Es ist bedenklich, wenn Sie fordern, dass die Abwasserreiniger den Mangelrohstoff Phosphor für die Landwirtschaft – ich zitiere aus dem Verordnungsentwurf – „in pflanzenverfügbarer Form“ bereitstellen müssen. Wer trägt dafür die Kosten? Der Ausbau der Monoverbrennung von Klärschlamm ist technisch langwierig und teuer. In einer Machbarkeitsstudie für die Stadtentwässerung Göppingen wird festgestellt, dass die Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlammmonoaschen nur theoretisch die effektivste Methode ist. Dem Vorteil einer Rückgewinnung von Phosphor stehen die hohen Kosten und neue Risiken für die Umwelt entgegen. Zur Rückgewinnung des Phosphors aus der Asche werden große Mengen giftiger Schwefelsäure benötigt. Die Folgen bei Havarien wären schlimm. Sie von der Koalition ignorieren außerdem, dass der Phosphoranteil im Abwasser kontinuierlich sinkt. 2013 trat das völlige Verbot von Phosphaten in Waschmitteln in Kraft, am 1. Januar 2017 das Verbot von Phosphaten in Geschirrspülmitteln. Es ist schwachsinnig, wenn man neue Verfahren gesetzlich einführt, und dies mit der theoretischen Betrachtung alter Zahlen begründet, die aus der Zeit vor den Phosphatverboten stammen. Trotzdem setzt diese Verordnung auf den Bau von Monoverbrennungsanlagen. Das ist teuer und ökologisch zweifelhaft. (Beifall bei der LINKEN) Der Hammer sind jedoch Ihre Vorstellungen zur Finanzierung der Phosphorrückgewinnung. In der Begründung des Verordnungsentwurfes heißt es zum Erfüllungsaufwand – ich zitiere –: Eine Belastung der kommunalen Haushalte erfolgt … nicht, da die für Abwasserentsorgung und Abfallentsorgung anfallenden Kosten über die Erhebung von Gebühren an die Bürger weitergereicht werden. Im Klartext: Bürgerinnen und Bürger müssen als Gebührenschuldner für Investitionen in teure Monoverbrennung und Phosphorrückgewinnung zahlen. Das lehnt die Linke ab. (Beifall bei der LINKEN – Karsten Möring [CDU/CSU]: Wer soll zahlen?) Unklar ist aber dann der Text hinsichtlich der Belastung der Bürgerinnen und Bürger durch diese Verordnung. Ich zitiere erneut: Für Bürgerinnen und Bürger entsteht kein Erfüllungsaufwand. Was meinen Sie denn nun, liebe Koalition? Entsteht ein Aufwand oder nicht? Oder sind Bürgerinnen und Bürger für Sie keine Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler? Da sollten Sie offen und ehrlich sein. Sie lasten es den Bürgerinnen und Bürgern an. Die sollen sicherstellen, dass Phosphat für die Landwirtschaft bereitgestellt werden kann. Das ist der falsche Finanzierungsweg. (Beifall bei der LINKEN) Im günstigsten Fall kostet die einmalige Umstellung auf Monoverbrennungsanlagen 400 Millionen Euro. Hinzu kommen bisher nicht kalkulierte höhere Verbrennungskosten für die Klärschlämme. Wieso sollen Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler – ich kann es nur wiederholen – die Phosphorrückgewinnung für Düngemittelhersteller bezahlen? Eine technisch unausgereifte, ökologisch zweifelhafte Phosphorrückgewinnung mit nicht kalkulierten Kosten bringt nur neue Profite für die Anlagenhersteller. Leider muss die Linke wegen dieser giftigen Bestandteile die ansonsten sinnvolle Verordnung ablehnen. Sozial und ökologisch handeln, dafür steht die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Eine Kurzintervention, aber bitte wirklich kurz. Michael Thews (SPD): Ich darf mich ganz kurz fassen. – Herr Lenkert, Sie wissen schon, dass gerade der Phosphor – den haben Sie als den Bestandteil erwähnt, der dann für die Landwirtschaft bereitgestellt wird – bei dem ganzen Verfahren Geld einbringt, weil er am Ende verkauft wird. Insofern ist das keine Ausgabe. Das ist eine falsche Darstellung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Lenkert, Sie haben das Wort zur Erwiderung. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Herr Kollege, der Verkauf von Phosphor bringt in etwa 60 Euro. Die Kosten für die Gewinnung derselben Menge Phosphor liegen bei 400 Euro. Ich kann nicht erkennen, wie man da Gewinne machen kann. Es tut mir echt leid. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Karsten Möring für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Karsten Möring (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Lenkert, es ist wie so oft bei den Linken: Es zahlt immer der liebe Gott oder irgendein edler Spender. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Nein, der Gebührenzahler!) Verraten Sie mir einmal den Unterschied zwischen dem Gebührenzahler, der für das Abwasser zahlt, und dem Steuerzahler, der dafür zahlt, wenn es die Kommune bezahlt. Ich sehe da keinen nennenswerten Unterschied. Insofern brauchen wir uns darüber nicht zu streiten. Wir haben schon x-mal festgestellt, dass Umweltschutz, Recycling und alles, was damit zusammenhängt, Geld kosten. Dieses Geld bringt immer der Endverbraucher, der Steuerzahler, der Stromkunde auf. Das ist so, und das können Sie nicht wegreden. – Das als Vorbemerkung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer von Ihnen hat schon einmal ein Vespasiani benutzt – das könnten Sie in Rom getan haben – (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt machen wir eine Fragestunde! Das finde ich gut!) oder ein Vespasienne? Das könnten Sie in Paris getan haben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vespa! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Vespa meinen Sie?) – Nein, meine ich nicht. Wenn es angesichts des Themas, um das es geht, nicht vielleicht ein bisschen befremdlich wäre, müsste man sagen: Diese Benennung ist zu Ehren einer Person gefunden worden, die vor rund 2 000 Jahren etwas gemacht hat, was wir heute auch machen, in diesem Fall der römische Kaiser Vespasian. Vespasian war derjenige, der die öffentlichen Toiletten in Rom nutzte, um Urin zu sammeln und diesen Urin den Gerbern zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Gerbprozesse durchführen konnten. Er war auch der Erfinder, der dieses Verfahren zusätzlich besteuert hat, was ihm Krach mit seinem Sohn bescherte, der sich über den Geruch der öffentlichen Toiletten beschwerte. Als sein Vater ihm einen Geldschein oder eine Geldmünze, die er dafür eingenommen hatte, unter die Nase hielt, hat er den berühmten Spruch geprägt: Pecunia non olet! Geld stinkt nicht! (Beifall bei der CDU/CSU) Hat der Kollege das gewusst? (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], auf Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] bezogen: Er hat das gewusst! Er hat das große Latinum!) – Das verbindet uns. Ich habe es auch. Aber kehren wir zum Kern des Themas zurück. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wieder zum Klärschlamm!) Was machen wir, um die Recyclingquote zu verbessern? Es muss jetzt heißen: Recycling stinkt nicht, sondern ist notwendig. Mit der Verordnung sorgen wir letztendlich dafür, dass sich die Recyclingquote erhöht. Aber – die Problematik ist schon angerissen worden – womit haben wir es zu tun? Wir haben es damit zu tun, dass wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben, dass wir das Ausbringen von Klärschlamm reduzieren wollen, weil das eine Schadstoffbelastung mit sich bringt und der Aufwand groß ist, die Schadstoffe herauszufiltern. Zudem wird sowieso schon ein großer Teil nicht mehr ausgebracht, sondern verbrannt, und damit ist alles, was an nützlichen Stoffen im Klärschlamm enthalten ist, weg. (Beifall bei der CDU/CSU) – Danke für die Gelegenheit zur Trinkpause. Wie machen wir das? Wir machen das, indem wir die Rückgewinnung von Phosphor vorschreiben. Warum ist Phosphor für uns von so großer Bedeutung? 1 Gramm Phosphor ist notwendig zur Erzeugung von 100 Gramm Biomasse. Als wir in einer Zeit lebten, als Phosphor noch in Waschmitteln enthalten war und dadurch in unsere Gewässer gelangte und wir das Problem der Überdüngung hatten, hatten wir zusätzlich das Problem, dass der Abbau der so erzeugten Biomasse wiederum 150 Gramm Sauerstoff verbrauchte, was dazu führte, dass viele Gewässer umkippten. Diese Zeiten sind vorbei. Jetzt haben wir ein zweites Problem, nämlich dass wir uns bei der Versorgung mit Phosphor, das wir dringend für den Pflanzenwuchs brauchen, dessen Vorkommen aber endlich ist und das leider in Gegenden der Welt vorkommt, in denen die politischen Verhältnisse nicht sehr menschenwürdig und auch nicht sehr stabil sind, mehr auf unsere eigenen Vorkommen besinnen müssen, und die finden wir eben im Kreislaufprozess im Zusammenhang mit Klärschlamm. Es geht also darum, möglichst viel Phosphor rückzugewinnen. Das ist unser Hauptziel. Trotzdem haben wir in der Verordnung eine gestaffelte Übergangszeit festgelegt; Kollege Thews hat schon begründet, warum das notwendig ist. Wir haben aber Anlagen in der Größenordnung „50 000 Einwohner und kleiner“ von dieser Regelung ausgenommen, weil – Herr Lenkert, hören Sie gut zu! – wir uns natürlich über die Belastung der Gebührenzahler Gedanken machen. Es ist ganz einfach so, dass bei den großen Anlagen durch Skaleneffekte die Rückgewinnung von Phosphor preiswerter ist als bei kleinen Anlagen. Deshalb haben wir in der Abwägung verschiedener Ziele diesen Kompromiss gefunden, und ich meine, es ist ein guter Kompromiss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer zahlt das Ganze? Es zahlt – die Berechnungen in der Begründung der Vorlage, was die Größenordnung angeht, sind möglicherweise richtig; genau wissen wir es auch noch nicht, weil wir die großtechnischen Anlagen für die Rückgewinnung noch nicht entwickelt haben – letztlich der Gebührenzahler oder der Steuerzahler. Darüber gibt es noch Streit. Sie wissen, dass die Gegenargumente des VKU, der kommunalen Vertreter, genau auf diesen Punkt zielten. Sie befürchten, dass sie auf einem Teil der Kosten sitzenbleiben. Das ist eine Frage, der sicherlich noch geklärt werden muss, genau wie die Frage, mit welchen Anlagen wir das Ganze erreichen können. Wir haben die Möglichkeit der Monoverbrennung, um den Phosphor aus der Asche zurückzugewinnen. Es gibt Verfahren, mit denen wir Magnesiumammoniumphosphat direkt gewinnen können; die Ausbeute ist zwar nicht besonders groß, aber es wäre direkt als Dünger verwendbar. Wie die Vermarktung später aussieht, wissen wir auch noch nicht. Der Kostenunterschied wurde eben angesprochen; das ist richtig. Also entweder steigt der Phosphorpreis wegen der Knappheit irgendwann so stark, dass die rückgewonnenen Mengen an Phosphor damit konkurrieren können, oder wir werden die Beschaffung von Phosphor auf irgendeine Weise subventionieren müssen. Da es sich um einen begrenzten Stoff handelt, den wir zwingend brauchen, ist das auch gerechtfertigt. Das ist ein weiterer Grund dafür, weshalb wir lange Übergangszeiten brauchen: Wir brauchen Zeit, um die nötigen Entwicklungen voranzubringen und wichtige Abschätzungen vornehmen zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir könnten davon sprechen, dass wir hier eine Klärschlammschlacht schlagen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir tun das auch. Aber anders als bei anderen Schlammschlachten gehe ich davon aus, dass diese Schlammschlacht keine Verletzungen verursacht, hoffentlich auch keine Verschmutzungen, sondern dass es eine Klärschlammschlacht ist, bei der es letztlich nur Gewinner gibt. Es gewinnt die Umwelt, es gewinnt die Landwirtschaft, und über beides gewinnen unsere Bürgerinnen und Bürger. Angesichts der späten Stunde schenke ich dem Plenum die letzten zwei Minuten meiner Redezeit. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit zu dieser späten Stunde. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Ich gebe zu: Ich habe nicht erwartet, dass die Debatte insgesamt so interessant werden würde. (Heiterkeit) Also, liebe Kollegen, es lohnt sich auch, spät ins Plenum zu kommen. Peter Meiwald hat als letzter Redner in der Aussprache das Wort. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peter, das ist jetzt schwer zu toppen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Letzte Chance, sich beliebt zu machen!) Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat gut, dass die zumeist kommunalen Betreiber der Kläranlagen mit diesem aus einem langen Prozess hervorgetretenen Konstrukt nun endlich Planungssicherheit für die dringend anstehenden Investitionen bekommen. Das ist positiv; das kann man nur so sagen. Auch dass die Phosphorfrage angegangen wird, ist grundsätzlich positiv. Das ist in der Tat ein langfristiges Thema. Im Moment bzw. solange es noch keine Knappheit gibt, ist der Preis für das Produkt noch nicht hoch. Das ist offensichtlich. Grundsätzlich ist es trotzdem richtig, sich über die zukünftige Phosphorversorgung Gedanken zu machen. Ob sich die Monoverbrennung am Ende sinnvollerweise wirklich durchsetzt oder die eben angesprochene MAP-Technologie oder eine andere Technologie, das sollte sich im Laufe der weiteren Entwicklung zeigen. Ich glaube, da muss man erst einmal noch technologieoffen denken. Die Klärschlammausbringung insgesamt zu beenden, ist auch aus anderen Gründen sinnvoll. Die Belastung des Klärschlamms konnten wir an vielen Stellen reduzieren – durch Grenzwerte und Kontrollen konnten wir einiges machen –; aber sowohl Medikamentenrückstände als auch Schwermetallrückstände sind leider nach wie vor an vielen Stellen im Klärschlamm enthalten, wenn auch nicht überall. Eine Geschichte ist relativ neu. Dieses Thema ist bei vielen, glaube ich, noch gar nicht richtig angekommen. Es geht um eine aktuelle Untersuchung, die das Alfred-Wegener-Institut im Auftrag des OOWV, des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbandes, und des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz durchgeführt hat. Man hat geguckt, was an Mikroplastik im Klärschlamm enthalten ist. Dabei hat sich herausgestellt, dass allein der Klärschlamm der 46 Klärwerke des OOWV ungefähr 93 Milliarden Mikroplastikpartikel pro Jahr enthält. Bei 10 000 Tonnen bedeutet das, dass wir in einer Tonne Klärschlamm durchschnittlich 930 000 Mikroplastikpartikel haben, und da sind die Fasern noch nicht mitgerechnet, weil die noch gar nicht erfasst werden konnten. Das heißt, wir haben über die weiter gehende Schwermetallbelastung und die Medikamentenbelastung hinaus ein Thema, das wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Wir wissen noch zu wenig darüber. Wir wissen zwar, dass wir über unsere Kläranlagen einen ganzen Teil an Mikroplastik aus unseren Abwässern herausfiltern können. Wenn wir das aber über den Klärschlamm hinterher wieder der Natur zuführen, haben wir nichts gewonnen. Insofern hilft es der Umwelt nicht – das ist auch unsere Kritik an diesem Verordnungsentwurf –, wenn wir an diesem Punkt stehen bleiben und uns auf die Anlagengröße beziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Alfred-Wegener-Institut hat bei der Untersuchung festgestellt, dass es eben nicht von der Größe der Anlage abhängig ist, wie viel Mikroplastik am Ende im Klärschlamm ist. Deswegen halten wir es für sinnvoll, mit einer durchaus längeren Übergangsfrist – darum geht es ja gar nicht – auch die kleinen Anlagen langfristig einzubeziehen. Das fehlt in diesem Entwurf. Deswegen können wir ihm in dieser Form nicht zustimmen. Wir haben hier den Bedarf, unsere Umwelt zu schützen. Wir haben an vielen Stellen mit Mikroplastik zu kämpfen; das wissen wir alle. Aber wenn wir wissen, dass solche Mengen Mikroplastik im Klärschlamm enthalten sind, sollten wir das unserer Umwelt und den Äckern nicht zumuten. Deswegen müssen wir hier eine Bremse einbauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gerade ist die Frage der Monoverbrennung aufgeworfen worden. Da haben wir durch Skaleneffekte bei den größeren Anlagen einfach bessere Möglichkeiten. Ich glaube, es gibt auch die Möglichkeit, die Verbrennung des Klärschlamms mehrerer Kläranlagen durch Zweckverbände und Ähnliches zusammenzuführen. Insofern sollte das für uns kein Hinderungsgrund sein, langfristig auch den Klärschlamm aus den kleinen Anlagen zu verbrennen. Wir haben aktuell ja keinen Nährstoffmangel. Wenn man sich die Gülleproblematik und andere Dinge anschaut, muss man feststellen, dass wir im Moment keinen Bedarf an Klärschlamm haben. Wir müssen nicht sagen: Die Landwirtschaft braucht die Klärschlämme unbedingt. – Ich habe bis vor wenigen Wochen auch noch anders argumentiert und gesagt: Es ist wichtig, dass wir die humosen Bestandteile des Klärschlamms nicht sinnlos verbrennen. – Nach den vorliegenden Erkenntnissen zur Mikroplastikbelastung bleibt uns aus meiner Sicht aber keine andere Wahl, als letztlich – mittelfristig – alle Klärschlämme zu verbrennen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11443, der Verordnung auf Drucksache 18/10884 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing (Carsharinggesetz – CsgG) Drucksache 18/11285 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wenn die Kolleginnen und Kollegen zügig ihre Plätze einnehmen, kann ich die Debatte eröffnen. – Als erster Redner in der Debatte hat Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Steffen Bilger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Automobilität heißt heute nicht mehr nur, mit dem eigenen Pkw unterwegs zu sein. Ein Auto ist für viele Menschen nach wie vor wichtig, aber sie benötigen dafür nicht immer zwangsläufig ein eigenes. Unterschiedliche Verkehrsmittel werden vermehrt flexibel genutzt und kombiniert. Das gilt in ganz besonderem Maße für jüngere Menschen. Für diese veränderte Nachfrage sind in den letzten Jahren viele neue Angebote entstanden. In den Metropolen und größeren Städten kann man es jeden Tag besonders gut beobachten: Carsharing boomt und ist inzwischen aus unseren Städten nicht mehr wegzudenken. Carsharing bietet ein riesiges Potenzial und viele Vorteile für eine intelligente und nachhaltige Mobilität. Das wollen wir fördern. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein Gesetz, das dieser veränderten Wirklichkeit der Menschen Rechnung trägt und Hemmnisse für Carsharing abbaut, ist daher ein wichtiger Schritt. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt dafür die notwendigen Weichen. Seit Anfang der 2000er-Jahre ist die Anzahl der Carsharing-Fahrzeuge und -Nutzer massiv gestiegen. Seit dem Jahr 2011 erleben wir sogar einen richtigen Boom. Hatten wir im Jahr 2011 noch circa 300 000 fahrberechtigte Nutzer, so waren es im Jahr 2016 bereits knapp 1,3 Millionen. Auch die Zahlen zu Fahrzeugen und Stationen belegen dieses rasante Wachstum. Kräftig wachsen nicht nur die stationsabhängigen Carsharing-Dienste. Insbesondere die sogenannten Free-Floating-Angebote, also stationsunabhängige Carsharing-Systeme, wie wir sie besonders in den großen Städten wie Berlin, Hamburg, München oder Stuttgart finden, erfreuen sich in jüngster Zeit immer größerer Beliebtheit. Die Gründe für dieses Wachstum sind komplex und vielschichtig. Neue Nachfrage- und Nutzungsstrukturen, veränderte urbane Wohnformen und eine steigende Anzahl von Bewohnern in größeren Städten, um nur einige wichtige Punkte zu nennen, tragen zum großen Erfolg des Carsharings bei. Hieraus eröffnen sich enorme Chancen, flexible und nachhaltige Verkehrskonzepte zu fördern, die Elektromobilität weiter voranzubringen, Umweltbelastungen in vielerlei Hinsicht zu reduzieren und die Lebensqualität in den Städten deutlich zu erhöhen. (Sören Bartol [SPD]: Zwölf Jahre hat es jetzt gedauert!) Doch wir müssen auch erkennen, dass diese Entwicklung vermehrt an ihre Grenzen stößt. Carsharing benötigt entsprechende Flächen für Parkraum, die gerade in der Stadt knapp sind. Wir als Politiker haben die Aufgabe, diesen veränderten Realitäten Rechnung zu tragen und die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Carsharing attraktiv bleibt und weiter wachsen kann. Der vorliegende Gesetzentwurf kommt diesem Ziel in hervorragender Weise nach. Gut Ding braucht Weile. Gerade kam schon der Zwischenruf: Zwölf Jahre hat es gedauert. – Es ist kein Geheimnis, dass auch wir uns gewünscht hätten, die nun vorliegende Regelung hätte früher zur Abstimmung gestanden. Auch die ursprünglich angedachte Kopplung mit dem Elektromobilitätsgesetz war wegen der vielen rechtlichen Parallelen und der gemeinsamen Grundlage der nachhaltigen Mobilität ein guter Gedanke. Es hat etwas länger gedauert. Aber mit diesem Gesetz wird es gelingen, Carsharing auf der Überholspur zu halten und Hemmnissen frühzeitig zu begegnen. Ländern und Kommunen räumt das Gesetz die Möglichkeit ein, Sonderparkplätze oder kostenfreies Parken für Carsharingfahrzeuge im öffentlichen Verkehrsraum einzurichten. Hierfür gab es bislang keine Ermächtigungsgrundlagen. Dies wird mit dem Gesetz nun in aller Klarheit im deutschen Recht verankert. Zudem schaffen wir die notwendigen Regelungen für eine Kennzeichnung der Fahrzeuge. Kommunen haben in Zukunft die Möglichkeit, Carsharing in ihrer Stadt oder Gemeinde besser zu unterstützen, und zwar ganz unabhängig davon, ob es sich um stationsgebundenes Carsharing oder Freefloating handelt. So schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass Carsharing weiter adäquat wachsen kann. Der vorliegende Gesetzentwurf trägt auch Aspekten der Stadtentwicklung Rechnung. Parksuchverkehre für Carsharingfahrzeuge werden durch die Regelungen deutlich vermindert. Zudem entsteht durch die Ausweitung von Carsharing auch insgesamt ein Entlastungseffekt für den öffentlichen Raum, da weniger Parkplätze und Stellflächen benötigt werden und die sich neu eröffnenden Räume anderweitig genutzt werden können. Zusätzlich werden wir auch die Elektromobilität und alternative Antriebe mit dem Gesetz weiter voranbringen. Das Angebot von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben wird ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl geeigneter Anbieter für die Zuweisung von Sonderstellflächen sein. Somit enthält der Gesetzentwurf einen zusätzlichen Hebel für eine nachhaltige Mobilität und die Verbesserung der Luftqualität in den Städten, den ich sehr begrüße. Nicht zuletzt deshalb gehört Carsharing zu den Maßnahmen, die in unseren großen Städten bewirken sollen, dass Fahrverbote aufgrund von Schadstoffgrenzwertüberschreitungen vermieden werden können. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz die richtigen Weichen für eine weitere Verbreitung des Carsharing stellen, das aus Klima-, Umwelt- und städtebaulicher Sicht viele positive Wirkungen entfalten wird. Ich bitte Sie daher um Unterstützung für dieses Vorhaben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist der Kollege Herbert Behrens. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde eben schon gesagt: Von null auf 100 in zwölf Jahren, das ist selbst für Verkehrspolitiker eine beeindruckende Hausnummer. Aber es geht ja auch darum, die wichtige Frage, die 2005 gestellt worden ist, zu entscheiden: Darf es im öffentlichen Raum privilegierte Parkflächen für Carsharingfahrzeuge geben? Jetzt, im Jahr 2017, wird die Frage mit Ja beantwortet. Besser spät als nie, könnte man sagen. (Sören Bartol [SPD]: Stimmt!) Das ist auch nicht ganz falsch. Aber, ich denke, man kann daran auch sehen, wie die Große Koalition Verkehrspolitik macht. Wann wird eine schnellere Gangart eingelegt? Das ist jetzt der Fall. Wenn wir uns ansehen, wie sich der Carsharingmarkt zusammensetzt, erkennen wir, warum. Erst jetzt, wo große Unternehmen wie BMW oder Daimler auf dem Markt sind, wird man aktiv. Früher waren es überwiegend ehrenamtlich organisierte Vereine, die ihren Mitgliedern Autos zur Verfügung stellen konnten. Die Vereinsmitglieder wollten auf ein privates Auto verzichten. Sie wollten ein Auto nur für wenige Fahrten nutzen. Dieses konnten sie sich mit anderen teilen. Dahinter steckte und steckt die Idee einer anderen Verkehrspolitik: weg vom motorisierten Individualverkehr, hin zum gemeinschaftlich genutzten Verkehrsmittel. Ich meine, das ist eine kluge Verkehrspolitik, die unbedingt unterstützt werden muss. (Beifall bei der LINKEN) Inzwischen haben sich auch die Vereine verändert. Sie haben sich zusammengeschlossen und sind teilweise bundesweit am Start. Sie treten mit den großen Autofirmen in die Konkurrenz um Kundinnen und Kunden. Doch eines hat sich nicht geändert: Bei den kleinen Anbietern werden die Autos weiterhin auf festen Stellplätzen stationiert. Die Freefloater stehen an allen möglichen Stellen, häufig dort, wo es nicht erlaubt ist, zum Beispiel in den Halteverboten und auf Fahrradwegen. Manchmal wird so argumentiert, dass sie ja auch total schnell wieder weg sind, weil sie über das Smartphone geordert werden können. So hat es mir zumindest jemand berichtet, der das einmal mit seinem Smartphone gemessen hat. Dass in Zukunft zwischen den unterschiedlichen Carsharinganbietern eine Konkurrenz um die Sonderparkplätze eintritt, ist nicht ausgeschlossen. Die Städte werden noch viel Fantasie und Kreativität aufbringen müssen, um zu verhindern, dass es zu einer Verdrängung von Vereinsfahrzeugen kommt. Darum ist es wichtig, dass nach vier Jahren geprüft wird, ob Sinn und Zweck des Gesetzes erreicht wurden, ob es die Folgen hat, die es haben sollte. Die Linke sieht das stationsbasierte Carsharing als eine Chance für weniger Autos in Städten. Das belegen auch die Zahlen. Der Sprecher des Bundesverbandes CarSharing, bcs, Herr Nehrke, sagt in der Berliner Zeitung: 78 Prozent der Nutzer von stationsgebundenen Autos haben kein eigenes Auto, bei den Nutzern von Freefloatern sind es nur 43 Prozent. Da wird auch der Unterschied, über den wir hier reden, deutlich: Es sind zwei unterschiedliche Systeme, die mit einem Gesetz reguliert werden sollen. Das kann durchaus zu Problemen führen. Stationsbasierte Autos werden dann genutzt, wenn der öffentliche Personennahverkehr oder das Fahrrad nicht ausreicht und diese Lücke gefüllt werden muss; das Angebot, das gemacht wird, ist also sehr gezielt. Stationsunabhängige Freefloater werden häufig genutzt, um sich ein Taxi zu sparen oder nicht in den Bus steigen zu müssen. Die Bundesregierung verbindet trotzdem große Ziele mit diesem Gesetz. Geworben wird mit dem Klimaschutz und mit der Verminderung des motorisierten Individualverkehrs, weil Menschen auf ihr privates Auto verzichten. Carsharing könnte mit einer Marktdurchdringung mit neuen umweltschonenden Antriebstechnologien wie E-Mobilität verbunden werden. Ich weiß nicht, ob dieses Gesetz das wirklich leisten wird. Doch beide Systeme des Carsharings sind aus unserer Sicht eine sinnvolle Ergänzung des Mobilitätsangebotes. Darum stehen wir auch dazu. Wir werden bei der weiteren Beratung des Gesetzentwurfes auf das Kleingedruckte achten müssen. Das werden wir auch tun; denn eine sozial-ökologische Verkehrswende ist für die Linksfraktion die Grundlage für eine menschen- und klimaverträgliche Mobilitätspolitik. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Arno Klare das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arno Klare (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Solche Debatten – das hat Ihre Vorgängerin auf dem Präsidentenstuhl gesagt – sind manchmal lehrreich. Wir haben heute schon verschiedene Sprichwörter und etwas von Vespasian gehört. Man kann es auch mit einem deutschen Sprichwort ausdrücken: Was lange währt, wird endlich gut. – Es ist wirklich gut geworden. Als ich vor drei Jahren in den Deutschen Bundestag kam, hat mir Sören Bartol gesagt: Es gibt da so ein Carsharinggesetz. Das ist keine große Sache, aber es dauert schon zehn Jahre. – Jetzt sind drei weitere Jahre hinzugekommen. Er hat mir persönlich dann mit auf den Weg gegeben: Bring das endlich zu Ende. – Das habe ich natürlich nicht allein geschafft. Herr Bilger und viele andere waren dabei. Jetzt ist dieser Gesetzentwurf aber Gott sei Dank auf der Zielgeraden. Wir müssen uns eines klarmachen: Es gibt in den Köpfen der Menschen so etwas wie eine Verkehrswende. 20 Prozent der Führerscheininhaber können sich laut einer Umfrage vorstellen, auf das eigene Auto zu verzichten; 20 Prozent, das ist ein Fünftel. Es gibt eine Studie für die Stadt Hamburg, die zu dem Ergebnis kommt, dass eine relativ geringe Zahl von Carsharingfahrzeugen die Hälfte der privaten Kfz ersetzen könnte, ohne dass es Mobilitätsverluste gäbe, einfach deshalb, weil das Auto geshared, also von vielen benutzt wird. Für New York gibt es im Übrigen eine Studie, die zu einem ähnlichen Ergebnis kommt. Im wahrsten Sinne des Wortes – wirklich im wahrsten Sinne des Wortes – ist Carsharing die Chance für urbane Räume, wieder Luft zum Atmen zu haben. (Beifall bei der SPD) Insofern ist dieser Gesetzentwurf aufgrund der ökologischen Dimension, die darin enthalten ist, in der Tat sehr wichtig, auch wenn die Einschätzung von Sören Bartol, dass er keine ganz große Sache ist, im Prinzip richtig war. Aber er ist ein Mosaikstein in der Verkehrswende. Ich stelle fest, dass auch die OEMs – weil die Kanzlerin in ihrer Anhörung im Untersuchungsausschuss gefragt hat, was OEMs sind, und dieser Begriff dann erläutert werden musste, erkläre ich ihn auch hier –, also die Automobilhersteller, umdenken. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das war keine Anhörung! Das war eine Vernehmung!) Denn die Unternehmen sagen nicht mehr: „Wir sind Automobilhersteller“, sondern sie sagen: „Wir sind Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen der Zukunft.“ Dazu gehört – integriert – auch das Carsharing, und zwar in der Form des Freefloating. Das heißt, die Zukunft wird nicht von dem Auto, das ich besitze, bestimmt, sondern von Mobilität, die multimodal und intermodal sein wird. Carsharing ist ein Element davon. Das gilt übrigens auch für die ländlichen Räume, Stichwort „Dorfauto“. Das gibt es heute schon. Wir haben uns – wenn ich „wir“ sage, dann meine ich die SPD-Fraktion und vor allen Dingen die Verkehrspolitiker in der SPD-Fraktion – eine Regelung im Straßenverkehrsrecht gewünscht. In dem Diskussionsprozess haben wir dann aber lernen müssen – auch ich habe das lernen müssen –, dass wir das nicht bundeseinheitlich im Straßenverkehrsrecht regeln können – der Bund ist nun einmal nicht für Landstraßen und Stadtstraßen zuständig –, sondern dass wir das sozusagen gestuft machen müssen. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt Studien, die etwas anderes sagen!) – Ja, ich kenne diese Studien auch, ich habe sie alle gelesen. – Wir haben uns dieser Rechtsauffassung aber irgendwann einmal gebeugt und gesagt: Wir machen das so. Ich stelle fest, dass die ganze Szene des Carsharings – auch der Carsharingverband – mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf hochzufrieden ist. Gleichwohl müssen wir in der Debatte drei Punkte eventuell noch einmal in den Blick nehmen. Das ist ja immer so, wenn wir anfangen, über etwas zu debattieren. Einen Punkt hat Herr Bilger gerade schon erwähnt: Der Parkdruck in den Innenstädten wird deutlich verringert. Das steht als expliziter Begründungszusammenhang bisher aber nicht im Gesetzentwurf. Das sollten wir eventuell noch als wichtigen Punkt aufnehmen. Zweiter Punkt. Wir müssen uns vielleicht auch noch einmal Gedanken darüber machen – das ergibt sich aus der Rückmeldung der Verbände und vor allen Dingen des Städte- und Gemeindebundes sowie der kommunalen Spitzenverbände –, ob wir beim Vergabeverfahren mit diesem riesengroßen „Besteck“ aufwarten müssen oder ob es nicht vielleicht auch kleiner geht. Das Gleiche gilt – das ist der dritte Punkt, den ich noch anmerken möchte – in Bezug auf die Verlängerung des fünf Jahre laufenden Vertrages. Wir müssen uns fragen, ob es nicht eine Möglichkeit gibt – zum Beispiel im Interessenbekundungsverfahren –, sich davon zu lösen. In kleineren und mittleren Städten wird es nämlich wahrscheinlich gar nicht wahnsinnig viele Bewerber geben, sondern man wird einen finden müssen, und man wird vielleicht froh sein, wenn man dann einen gefunden hat. Insofern müssen wir darüber noch einmal nachdenken. Ich hoffe, dass wir konstruktive Debatten darüber führen werden. Mit allen bisherigen Äußerungen – auch denen von Herbert Behrens und vom Kollegen Bilger – war ich sehr zufrieden, weil das, was wir hier gehört haben, sehr konstruktiv war. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nachher hier im Deutschen Bundestag ein Carsharinggesetz verabschieden werden, das nach zwölf Jahren endlich diese Möglichkeiten einräumt. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wir sind immer konstruktiv!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt spricht Matthias Gastel für Bündnis 90/Die Grünen. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mobilität verändert sich. Mobilität ist heute nicht mehr automatisch Automobilität, und Automobilität bedeutet heute nicht mehr automatisch, Eigentum am Auto haben. Die Mobilität ändert sich auch durch steigende Anteile des öffentlichen Nahverkehrs und durch eine Zunahme des Radverkehrs sowie dadurch, dass zunehmend verschiedene Verkehrsmittel miteinander kombiniert werden, dass zum Beispiel mit dem Fahrrad zum Bahnhof gefahren oder mit der Bahn möglichst nah ans Ziel herangefahren wird, um dann mit dem Carsharingauto endgültig ans Ziel zu fahren. Seit zehn Jahren wird diskutiert, dass ein Carsharinggesetz notwendig ist, um die erforderliche Rechtssicherheit beim Parken zu schaffen. Acht Jahre davon haben Große Koalitionen regiert. Initiativen vom Bundesrat und auch von uns Grünen wurden in dieser Zeit abgeschmettert. Jetzt liegt endlich ein Gesetzentwurf vor. Endlich haben wir etwas, woran wir uns abarbeiten können. Endlich liegt etwas vor, bei dem wir noch versuchen können, es besser zu machen, als es jetzt eingebracht wurde. Dazu möchte ich vier kritische Aspekte anmerken. Erstens. Der Bundesregierung fehlt ein Mobilitätskonzept mit Carsharing als einer von mehreren Säulen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Menschen kombinieren zunehmend verschiedene Verkehrsmittel. Sie nutzen die Verkehrsmittel also rationaler als früher. Sie wählen für den jeweiligen Weg das jeweils passende Verkehrsmittel und kombinieren diese. Die Bundesregierung denkt die Verkehrsmittel aber noch viel zu stark separat jeweils für sich. Die Bundesregierung übersieht, dass Carsharing auch eine Chance für das Thema Elektromobilität ist. Wer über Carsharingautos Elektromobilität auf der Straße erlebt, wird fasziniert sein und dann, wenn es um die Anschaffung eines Autos geht, vielleicht eher an ein Elektroauto denken und auch dafür werben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Der Gesetzentwurf ist zu bürokratisch und zu kompliziert. Die Länder müssen für die Rechtssicherheit der Kommunen und der Anbieter sorgen. Es liegen mehrere Rechtsgutachten vor, die belegen, dass es auch anders gehen kann, nämlich über das Straßenverkehrsrecht und damit über das Bundesrecht. (Sören Bartol [SPD]: Das machen wir jetzt nicht mehr! Das ist jetzt vorbei!) Drittens. Der Gesetzentwurf enthält keine Umweltvorgaben für die Carsharingflotten. Wir brauchen zunächst einmal ganz generell klare und realistische Angaben für die CO2-Emissionen und die Stickoxidemissionen des Automobils. Dann können wir auch entsprechende Vorgaben für den Bereich des Carsharings machen – so wie es ursprünglich im Referentenentwurf für dieses Gesetz vorgesehen war. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Das private Carsharing ist von diesem Gesetzentwurf nicht erfasst. Auch der Bundesrat hat das moniert. Wir hoffen, dass sich hier noch eine Lösung findet. Das ist in der Tat nicht ganz einfach. Wir hoffen, dass sich im weiteren Verfahren noch eine Lösung dafür finden lässt. Unser Fazit: Es ist gut, dass endlich ein Gesetzentwurf für die Stärkung des Carsharings vorliegt; denn Carsharing braucht Rechtssicherheit, um seine Potenziale noch besser als bisher ausschöpfen zu können. Ich erinnere daran, dass ein Carsharingauto mindestens sechs Privatfahrzeuge ersetzen kann. Ich habe unsere Kritik an dem Gesetzentwurf vorgebracht. Das Gesetz ist allerdings nicht so schlecht, dass es nicht auch noch gut werden könnte. Deswegen setzen wir auf das weitere Verfahren. Wir werden uns hier kritisch und konstruktiv in der Hoffnung einbringen, dass am Ende noch etwas wirklich Gutes daraus wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich ist Carsharing ein Thema, von dem ich dachte, dass wir es alle hier im Haus fraktionsübergreifend sehr positiv begleiten. Deswegen war ich ein bisschen verwundert, Kollege Gastel, als Sie hier so ein wenig, finde ich, unbotmäßig laut aufs Dach gehauen haben. Denn wenn Sie die Große Koalition dafür kritisieren, dass es ein bisschen gedauert hat, dann heißt das ja nur, dass wir uns sorgfältig um das Thema gekümmert haben. Sie haben leider verschwiegen, dass Sie, als die Grünen in der Bundesregierung waren, gar nicht auf die Idee gekommen sind, ein Carsharinggesetz auf den Weg zu bringen. (Sören Bartol [SPD]: Das stimmt nicht! Das ist nicht wahr!) – Wie auch immer, meine Damen und Herren, jedenfalls hat es nicht zum Erfolg geführt. (Sören Bartol [SPD]: Das war die Neuwahl, die dazwischenkam! Das tut mir jetzt leid!) – Das mag Ihnen leidtun, Herr Bartol, aber damit können Sie leben und ich auch. Meine Damen und Herren, Carsharing ist ein wichtiger Baustein der Mobilitätspolitik. (Kirsten Lühmann [SPD]: Man sollte schon bei der Wahrheit bleiben!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: So, aber jetzt hat Herr Müller das Wort. (Kirsten Lühmann [SPD]: Auch wenn er nicht die Wahrheit sagt?) – Er darf sagen, was er will. Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Es ist deswegen ein wichtiger Baustein, weil es erstens klima- und umweltfreundlich ist und weil damit zweitens richtigerweise der Ansatz verfolgt wird, umwelt- bzw. klimafreundliches Verhalten zu privilegieren, anstatt zu verbieten. Es bevorzugt kluges, intelligentes Verkehrsverhalten, und es schafft Anreize, anstatt Hürden aufzubauen. Das ist so ein bisschen das Gegenteil von dem, was einige Mitglieder des Hauses sich wünschen, nämlich Steuererhöhungen, Fahrverbote, Verteufelung der Dieseltechnologie und Bevormundung. Bei dem zweiten Ansatz, den wir ausdrücklich nicht für richtig halten, würde vollkommen ausgeblendet, dass sich damit nicht hinzunehmende soziale Konsequenzen für die Bürgerinnen und Bürger ergäben und das Handwerk und der Mittelstand zu leiden hätten. Meine Damen und Herren, fest steht: Um Klimaziele zu erreichen, müssen die Treibhausemissionen bis zum Jahr 2050 im Vergleich zu 1990 um bis zu 95 Prozent reduziert werden. Der Verkehrsbereich hat hierzu einen ganz erheblichen Beitrag zu leisten. Insofern ist das ein wichtiges Gesetz. Des Weiteren müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, intelligente Verkehrsverlagerungen zu unterstützen. Kollege Klare hat richtigerweise gesagt: Integrative Mobilitätskonzepte sind hier die Antwort der Wahl. Carsharing kann hierbei ein besonders wichtiges Puzzlestück sein. Der Vorredner hat eben allerdings richtigerweise gesagt, dass es eine Reihe von Studien gibt, die nachweisen, dass bis zu 6 Privatfahrzeuge durch ein Carsharingfahrzeug ersetzt werden können, teilweise geht man sogar von bis zu 20 aus. Relativ unbestritten ist jedoch, dass die CO2-Emissionen durch umfangreiches Carsharing um rund 6 Millionen Tonnen pro Jahr verringert werden können. Das sind immerhin 4 Prozent der verkehrsbedingten CO2-Emissionen, die wir haben. Der oft diskutierte Schwefeldioxidausstoß würde um 5 Prozent zurückgeführt werden. Bei den Stickoxiden würden wir sogar eine Reduktion um mehr als 6 Prozent erreichen können. Ganz wichtig – deswegen ist das ein Thema, das die Leute bewegt – ist eben auch der Gesichtspunkt, dass wir die Städte vom Verkehr entlasten, Parkdruck lindern und auch Anreize für neue Geschäftsmodelle setzen. Auch das liegt uns als Union außerordentlich stark am Herzen. Meine Damen und Herren, ich finde, wir sollten Folgendes ebenfalls betonen: Carsharing bietet eine gute Möglichkeit bzw. einen guten Ansatzpunkt, um auch Elektromobilität dort, wo es sehr viel Sinn macht, zu unterstützen und zu fördern. Es geht – das will ich abschließend gerne noch ansprechen – nicht nur um Elektromobilität, sondern auch um sonstige alternative Antriebskonzepte. Deswegen finde ich es wichtig, in diesem Zusammenhang auch das Thema der steuerlichen Privilegierung von Erdgasantrieben und von Flüssiggasantrieben zu erwähnen. Da sind wir im Moment in der Beratung. Gerade das Thema Carsharing eignet sich dafür, weil die Ladeinfrastruktur vorhanden ist und auch die Art des Nachladens und des Nachbetankens aus meiner Sicht gerade beim Carsharing sinnvoll kombiniert werden kann. Wir wollen das Thema der steuerlichen Privilegierung in der nächsten Zeit hier in diesem Hause beraten. Wir als Union wollen uns insbesondere für das Thema Gasantrieb insgesamt einsetzen. In der Kombination mit Carsharingangeboten haben wir hier gute Chancen, der Umwelt Gutes zu tun. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Gestatten Sie eine Frage der Kollegin Lühmann? – Sie sind fertig. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Damit sind wir am Ende der Aussprache. – Wenn der Herr Kollege keine Frage zulässt, lässt er keine zu. Er darf das selbst entscheiden. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kirsten Lühmann [SPD]: Ich möchte eine Kurzintervention machen!) – Ich verstehe jetzt gar nichts. (Kirsten Lühmann [SPD]: Eine Kurzintervention!) – Eine Kurzintervention wird nicht vom Platz aus beantragt. Dafür hätte schon die Geschäftsführerin kommen müssen. Jetzt ist aber die Zeit abgelaufen. (Heiterkeit im ganzen Hause – Sören Bartol [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Da habt ihr Glück gehabt!) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11285 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es hierzu weitere Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze Drucksache 18/11272 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.10 Interfraktionell wurde vereinbart, den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/11272 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Auch hierzu sehe ich keine anderen Vorschläge. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes Drucksachen 18/11281, 18/11407 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.11 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 18/11281 und 18/11407 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Notifizierungsverfahrens für dienstleistungsbezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016) 821 endg.; Ratsdok. 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen KOM(2016) 822 endg.; Ratsdok. 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016) 823 endg.; Ratsdok. 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektronischen Europäischen Dienstleistungskarte und entsprechender Verwaltungserleichterungen KOM(2016) 824 endg.; Ratsdok. 5284/17 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/11442 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wir müssen die Reihenfolge der Redner etwas umstellen, da noch nicht alle eingetroffen sind. Die Kollegin Lena Strothmann von der CDU/CSU-Fraktion darf die Debatte eröffnen. – Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Lena Strothmann (CDU/CSU): Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Europäische Kommission hat im Zuge ihrer Binnenmarktstrategie am 10. Januar dieses Jahres ihr Dienstleistungspaket vorgelegt. Ziel dieser Binnenmarktstrategie ist unter anderem, das Potenzial des europäischen Binnenmarktes freizusetzen, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und Hemmnisse im Dienstleistungsverkehr abzubauen. Eine vorbereitende Maßnahme war zum Beispiel die Transparenzinitiative der Europäischen Kommission, die zwei Jahre lang die reglementierten Berufe auf den Prüfstand gestellt hat. In ihren länderspezifischen Empfehlungen aus dem Jahr 2011 hat die Kommission die reglementierten Berufe und den deutschen Meister erstmals als Binnenmarktschranke bezeichnet und die Aufweichung der Berufsreglementierungen gefordert. 5 600 reglementierte Berufe, das ist eindeutig zu viel, so die Aussage der zuständigen EU-Kommissarin Bienkowska. Aus ihrer Sicht gibt es noch immer zu viele Hürden bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung. Ursache ist laut Kommission vor allen Dingen die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten. Circa 50 Millionen Menschen – 22 Prozent aller Erwerbstätigen in Europa – arbeiten in reglementierten Berufen. Deutschland hat lediglich 149 reglementierte Berufe, davon 41 im Handwerk. Im europäischen Durchschnitt sind es mit circa 200 deutlich mehr. Das Dienstleistungspaket soll jetzt eine höhere Durchlässigkeit und mehr Wettbewerb schaffen. Diese Maßnahmen schießen jedoch eindeutig über das Ziel hinaus. Inhalt des Dienstleistungspakets sind vier Einzelmaßnahmen, von denen drei als Richtlinie rechtlich verbindlich sein sollen: die elektronische Dienstleistungskarte, das Notifizierungsverfahren und die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Berufsreglementierungen. Zudem gibt es noch eine Verordnung zur Dienstleistungskarte und eine Empfehlung zur Berufsreglementierung. Die Hoffnung, dass das gesamte Dienstleistungspaket empfehlenden Charakter haben wird, hat sich leider zerschlagen. Die aktuellen Vorschläge zielen darauf ab, unsere vergleichsweise hohen Anforderungen und Qualitätsstandards für Berufszugänge aufzuweichen. Das Dienstleistungspaket ist ein weiterer Schritt in Richtung Deregulierung. Das, meine Damen und Herren, ist nicht gut für Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Betroffen sind vor allem Unternehmensdienstleistungen und freie Berufe wie Architekten, Ingenieure, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie der gesamte Bausektor. Aber auch das Handwerk mit den Ein- und Ausbaugewerken und den Gebäudereinigern ist betroffen, und damit auch der deutsche Meister. Er steht bei uns noch immer für Qualität und Ausbildung. Hier legt die Kommission die Axt an den deutschen Meister. Auch das dürfen wir nicht zulassen. Das Handeln der Kommission ist nicht nachvollziehbar. Auf der einen Seite bewertet sie unser duales Ausbildungssystem als Best Practice gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit vor allen Dingen in Südeuropa. Auf der anderen Seite stuft die Kommission den Meisterbrief als Hemmnis für den Berufszugang im Binnenmarkt ein. Auch wenn die Kommission dabei immer wieder betont, den deutschen Meister nicht abschaffen zu wollen, laufen die jetzt vorgelegten Richtlinienvorschläge darauf hinaus. Meine Damen und Herren, mit ihren Richtlinienvorschlägen wie dem geplanten Notifizierungsverfahren verletzt die Kommission die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit sowie der Subsidiarität nach dem Vertrag von Lissabon. Auch im Blick auf die Berufsreglementierung überschreitet sie ihre Kompetenzen. Für die Reglementierung der freien sowie der Handwerksberufe sind die Mitgliedstaaten zuständig. Auch hier verletzt der Kommissionsvorschlag die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität, sodass wir eine Subsidiaritätsrüge gegen das Dienstleistungspaket erheben. Dies tun ebenfalls der Bundesrat und auch das französische Parlament. Der Deutsche Bundestag hat von dem Instrument der Subsidiaritätsrüge seit dem Vertrag von Lissabon nur selten Gebrauch gemacht. Deshalb ist es, meine Damen und Herren, an der Zeit, dass wir als nationales Parlament unser Kontrollrecht nutzen und die Verstöße gegen die Subsidiarität rügen. Trotz der knappen Frist haben wir es geschafft, eine gemeinsame Rüge mit dem Koalitionspartner auf den Weg zu bringen. An dieser Stelle möchte ich ein herzliches Dankeschön an den Koalitionspartner für die gute Zusammenarbeit und die schnelle und unkomplizierte Abstimmung richten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Vor allem die osteuropäischen Staaten, aber auch die Skandinavier und die Briten – trotz Brexit – unterstützen die Vorschläge. Für mich als Handwerksmeisterin und Sprecherin unserer Fraktion für das Handwerk sind zwei Punkte besonders kritisch: einmal die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Berufsreglementierungen und zum anderen die Elektronische Europäische Dienstleistungskarte. Deshalb will ich auf beide gesondert eingehen. Die Europäische Kommission kritisiert unverhältnismäßige und veraltete Reglementierungen als Hemmnis zum Berufszugang. Sie schlägt daher Verhältnismäßigkeitsprüfungen bei der Verabschiedung neuer Reglementierungen oder Änderungen vor. Hierzu werden elf neue Prüfkriterien vorgeschlagen, durch weitere zehn ergänzt, die die Entscheidungskompetenzen der nationalen Gesetzgeber einschränken. Die Annahme, dass Deregulierung und Liberalisierung zu mehr Wachstum führen, ist durchaus fraglich. Auch rechtlich gibt es da Zweifel. Der EuGH hat bisher stets anerkannt, dass Berufsreglementierungen Sache der Nationalstaaten sind. Zudem gibt es bereits vier Verhältnismäßigkeitskriterien des europäischen Gesetzgebers im Rahmen der Anerkennungsrichtlinie. Auch die Mobilität im Binnenmarkt ist durch die Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifizierungen gewährleistet und funktioniert vor allen Dingen. Die Prüfkriterien der Richtlinie schränken die Entscheidungsautonomie nationaler Gesetzgeber weiter ein. Außerdem müssen neue, unabhängige Stellen für die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Berufsreglementierungen eingerichtet werden. Das widerspricht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und schafft neue, unnötige Bürokratie. Die Dienstleistungskarte soll grenzüberschreitende Arbeiten erleichtern. Praktisch soll die Karte von Dienstleistern in ihrem Herkunftsland beantragt werden, um in einem anderen Mitgliedstaat Leistungen zu erbringen. Das Zielland muss die Dienstleistungskarte akzeptieren und kann keine weiteren Anforderungen stellen. In der Praxis sind die geplanten Prüffristen von zwei Wochen viel zu kurz, sodass faktisch Genehmigungen ohne Prüfung erteilt werden. Auch hier sollen die Mitgliedstaaten entsprechende Behörden einrichten. So werden Doppelstrukturen geschaffen, da es bereits den einheitlichen Ansprechpartner in den Mitgliedstaaten gibt. Das Herkunftslandprinzip, das wir bei der Dienstleistungsrichtlinie noch verhindert haben, wird hier durch die Hintertür eingeführt. Das lehnen wir strikt ab. Auch für Dienstleister aus anderen EU-Staaten müssen weiter unsere Anforderungen gelten. Der Vorschlag schießt weit über das Ziel hinaus und schränkt die Kompetenzen der nationalen Parlamente ein. Es ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Verwaltung und das öffentliche Wirtschaftsrecht der Mitgliedstaaten. Es kann nicht Ziel sein, neue, kostenintensive bürokratische Verwaltungsstrukturen in den Mitgliedstaaten zu schaffen. Die Schwierigkeiten im grenzüberschreitenden Dienstleistungsbereich liegen an anderer Stelle, zum Beispiel in mangelnden Sprachkenntnissen und unterschiedlichen technischen Ausstattungen. Mit der Subsidiaritätsrüge senden wir ein wichtiges Signal nach Brüssel. Außerdem wehren wir uns dagegen, dass jetzt schnell im informellen Trilog solche einschneidenden Entscheidungen getroffen werden. In unserem Entschließungsantrag zur Binnenmarktstrategie im Juni letzten Jahres haben wir uns bereits klar gegen solche Eingriffe positioniert. Europa steht vor großen Herausforderungen und ringt um Wege aus der Krise. Einmischungen in die Subsidiarität und der Ausbau unnötiger und unverhältnismäßiger Bürokratie in den Mitgliedstaaten bringen die Bürger immer mehr gegen die EU auf. Maßnahmen wie das Dienstleistungspaket treiben sie in die Arme der Europagegner. Ich weiß nicht, wie ich das meinen Handwerkern zu Hause erklären kann. Ich bitte daher um Ihre Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als nächstes hat Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ja jetzt zu später Stunde noch heftige Kost. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Seid ihr ja schuld!) – Ja, zu Recht; das wollte ich gerade sagen. Es ist doch sehr wichtig, dass wir das hier diskutieren – Sie wollten das ja einfach so abstimmen lassen –; denn das Thema ist sehr komplex. Das Thema ist, weil es hochjuristisch ist, sicherlich keines, das die Herzen der Menschen erwärmen wird. Eher das Gegenteil ist der Fall. Wenn man falsch argumentiert, droht die Gefahr, dass es wieder zur Stimmungsmache gegen Europa taugt. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns differenziert mit der Kritik auseinandersetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man muss hier zwischen materieller Kritik, dem, was man inhaltlich in den Richtlinien falsch findet, und der Subsidiaritätsfrage trennen. Frau Strothmann, das haben Sie hier aus meiner Sicht leider alles durcheinandergebracht; denn die Frage der Subsidiarität lautet: Hat die EU hier eine Kompetenz? Darf die EU hier rechtlich aktiv werden? Wir reden nicht darüber, wie viele Wochen man jetzt eine Prüffrist hat. Das kommt später im Verfahren. Jetzt ist die Frage: Hat die EU hier Gesetzgebungskompetenz? Das ist ein großer Unterschied. Gerade in Zeiten, in denen es in Europa so stürmisch zugeht, sollte man als Gesetzgeber diesen Unterschied immer berücksichtigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte noch einmal daran erinnern: Die Dienstleistungsfreiheit ist eine der vier Grundfreiheiten innerhalb der EU. Dienstleistungen machen heute zwei Drittel der Wirtschaftsleistungen der EU aus. Sie schaffen laut EU-Kommission etwa 90 Prozent der neuen Arbeitsplätze in unserem Binnenmarkt. Das heißt, es ist jetzt nicht irgend so ein Pipifax, über den wir hier reden. Es ist eine feste Säule unserer Europäischen Union. Zugleich – da bin ich auch bei der materiellen Kritik – erinnere ich mich sehr gut an die harten Diskussionen zur Dienstleistungsrichtlinie 2004 bis 2006. Ich war da nämlich zufälligerweise Mitarbeiterin im Europäischen Parlament, und ich habe ganz persönlich hart dafür gekämpft, dass das Herkunftslandprinzip aus der damaligen Dienstleistungsrichtlinie herauskam. Dafür haben einige gekämpft, Sie als Konservative bekanntermaßen leider nicht. Nichtsdestotrotz: Diese Dienstleistungsrichtlinie wurde auch gegen die Stimmen von uns Grünen hier angenommen. Sie haben damals nicht infrage gestellt, dass die Europäische Kommission hier eine Kompetenz hat. Deswegen verwundert es mich schon, dass Sie jetzt plötzlich sagen, die europäische Ebene darf hier nicht aktiv werden; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn die drei Richtlinienvorschläge, um die es hier geht, sind Verbesserungen der bestehenden Dienstleistungsrichtlinie. Ja, ich sehe in den drei Richtlinien massive Probleme, die Sie zum Teil auch angesprochen haben. Es geht nicht, dass wir bei der Berufsreglementierung überhaupt keine Verhältnismäßigkeitsprüfung mehr haben. Es kann nicht sein, dass der EuGH plötzlich umgangen wird. Es kann auch nicht sein, dass die Systematik des Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 258 des EU-Vertrages plötzlich aufgekündigt wird. Das geht alles nicht. Auch ich habe große Sorge, wie es die IG BAU formuliert, dass das Herkunftsprinzip durch die Hintertür eingeführt wird. Aber noch einmal: Bei der Subsidiaritätsrüge geht es um die Frage: Darf die Kommission hier tätig werden? Aus meiner Sicht darf sie das, rechtlich gesehen, erst einmal prinzipiell. Wir haben das in Artikel 56 des Lissabon-Vertrages, Dienstleistungsfreiheit, geregelt. Die EU-Kommission ist die Hüterin der Verträge, und als Hüterin der Verträge muss sie handeln, wenn etwas nicht korrekt läuft. Das macht sie eben mit diesen Vorschlägen. Sie haben die Notifizierung angesprochen. Dieser Richtlinienvorschlag ist sicherlich der kritischste. Wir haben ihn uns ganz genau angeguckt. Wir sehen, dass die Rechtsgrundlage, die hier gewählt wurde – ich komme zum Schluss, Artikel 53 und Artikel 114, es nicht trifft. Aber das ist immer noch kein Grund für eine Subsidiaritätsrüge, sondern das wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Lange Rede, kurzer Sinn: Materiell können diese Richtlinien nicht so bleiben, wie sie derzeit sind. Das müssen wir im Gesetzgebungsverfahren ändern, aber das dürfen wir nicht über das Instrument der Subsidiaritätsrüge machen, gerade in stürmischen Zeiten nicht; denn das hat Verhetzungspotenzial, was wirklich gefährlich wäre. Ich möchte noch einmal an das erinnern, was Sie gerade gesagt haben. Sie haben gesagt: Wir haben das noch nie gemacht. Jetzt wird es einmal Zeit, dass wir Deutschen auch dieses Instrument nutzen. – Das ist nun komplett die falsche Argumentation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das hat sie nicht!) Deswegen bitte ich Sie: Lassen Sie uns das materiell prüfen, aber nicht mit falschen rechtlichen Instrumenten hantieren. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Sabine Poschmann für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Sabine Poschmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt einmal deutlich machen, gerade nach Ihrer Rede: Wir haben hier in diesem Parlament bereits zwei Stellungnahmen abgegeben, mehrheitlich. Wir haben ganz klar gemacht, dass wir das Ziel der EU-Kommission, den Binnenmarkt zu vertiefen, grundsätzlich begrüßen. Da waren wir alle einer Meinung; ich glaube, das ist auch weiter so. Gleichzeitig wollen wir uns aber hiermit kritisch zu einzelnen Aspekten der Binnenmarktstrategie äußern. Das Dienstleistungspaket besteht aus vier Einzelmaßnahmen. Dazu gehören die Dienstleistungskarte, die Stärkung des Notifizierungsverfahrens und ein Analyseraster zur Verhältnismäßigkeitsprüfung. Außerdem gibt die Kommission eine rechtlich nicht verbindliche Reformempfehlung für Berufsregulierung vor. Zu allen Vorschlägen hatten wir uns bereits in unseren vorherigen Stellungnahmen kritisch positioniert. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber darum geht es gar nicht!) Da ist der Koalitionsantrag für eine Subsidiaritätsrüge jetzt nur folgerichtig. Bei den Richtlinienvorschlägen zum Notifizierungsverfahren und zur Verhältnismäßigkeitsprüfung sehen wir das Subsidiaritätsprinzip der EU-Verträge verletzt. Sie schränken den Handlungsspielraum des nationalen Gesetzgebers – darum geht es uns jetzt – unverhältnismäßig ein und sind nicht von den EU-Verträgen abgedeckt. Das Notifizierungsverfahren betrifft neue oder auch zu ändernde Regelungen, die in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie fallen. Es geht also in erster Linie um Berufszulassungs- und Berufsausübungsregeln, von denen insbesondere die Baubranche, aber auch Unternehmensdienstleistungen und der Fremdenverkehr betroffen sind. Regeln in diesem Bereich werden nicht nur vom Bundestag und den Länderparlamenten beschlossen, sondern auch von den Kammern im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsbefugnisse. Eine Notifizierungspflicht gibt es bereits heute, und so richtig überzeugend kann die EU-Kommission nicht begründen, warum das geltende Verfahren reformiert werden muss. Umso kritischer sehen wir die mit dem vorgeschlagenen Verfahren verbundene Einschränkung. So soll es während des laufenden nationalen Gesetzgebungsverfahrens eine dreimonatige Stillhaltefrist geben, in der die Kommission sowie die anderen Mitgliedstaaten die Regeln prüfen und noch einmal kommentieren können. Gibt es Bedenken, kann es zu einer Vorwarnung kommen, und das Gesetzgebungsverfahren kann für weitere drei Monate ausgesetzt werden. Schließlich kann die Kommission das Gesetz sogar komplett stoppen. Dem Mitgliedstaat selbst bleibt dann nur der Gang zum Europäischen Gerichtshof, um gegen diese Entscheidung zu klagen. Das ist meiner Ansicht nach eine Umkehrung des bisher geltenden Prinzips, wonach die Kommission vor den Europäischen Gerichtshof ziehen musste, wenn sie nationale Regelungen für EU-rechtswidrig hielt. Ein solches Verfahren geht weit über die Kompetenz der EU hinaus, Regelungen für die gegenseitige Anerkennung von Zeugnissen und anderen Nachweisen zu schaffen. Zum anderen widerspricht dieses Verfahren unserem Demokratieprinzip: Jede parlamentarische Tätigkeit mit Bezug zu Dienstleistungen stünde dann unter Genehmigungsvorbehalt der EU-Kommission. Unabhängig davon würde es die nationalen Gesetzgebungsprozesse und somit auch notwendige Reformen natürlich verlangsamen. Gerade weil wir alle bemüht sind, Bürokratie, die nicht sein muss, zurückzudrängen, ist die Frage, warum wir sie hier doppelt aufbauen. Hinsichtlich der vorgeschlagenen detaillierten Verhältnismäßigkeitsprüfung haben wir ebenfalls erhebliche Bedenken. Wir sind bereits heute dazu verpflichtet, Berufsregulierungen auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Die Kriterien dafür wurden vom EuGH entwickelt und sind in der Berufsanerkennungsrichtlinie festgeschrieben. Auch bei diesem Vorschlag ist meines Erachtens nicht ersichtlich, weshalb nun eine Richtlinie gebraucht wird. Laut dieser soll sich die Verhältnismäßigkeit von neuen oder geänderten Berufsregulierungen an EU-einheitlichen Maßstäben orientieren. Das dafür vorgesehene Analyseraster enthält 21 detaillierte Prüfkriterien. Zudem sollen empirische Begründungen der Notwendigkeit sowie ökonomische Wirkungsanalysen vorgelegt werden. Auch das würde diesen Prozess sehr verlängern. Ich denke, eine Umsetzung dieses Vorschlags wird nicht zu einer verbesserten Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Mitgliedstaaten führen, sondern eher zu einer schematischen Abarbeitung der Prüfkriterien Es ist sogar zu befürchten, dass die tatsächlich nötige inhaltliche Auseinandersetzung mit der Verhältnismäßigkeit dabei auf der Strecke bleibt. Mit unserer Kritik sind wir übrigens nicht alleine. Gerade kam ja der Vorwurf, dass wir die Verhältnismäßigkeit im Grunde gar nicht so ins richtige Licht rücken würden. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch nicht! Die Bundesregierung sieht das wie wir!) Nein, beide Kammern des französischen Parlaments sowie der Bundesrat teilen unsere Subsidiaritätsbedenken. Das Dienstleistungspaket beinhaltet darüber hinaus die Dienstleistungskarte. Frau Strothmann hat es gerade angesprochen. Wir halten eine Subsidiaritätsrüge zu diesem Vorschlag nicht für notwendig. Deshalb differenzieren wir schon sehr. Wir werden das inhaltlich diskutieren müssen und uns damit auch noch weiter kritisch auseinandersetzen. Denn wir sehen hier die Gefahr, dass das Herkunftslandprinzip durch die Hintertür eingeführt wird, was wir entschieden – alle zusammen, glaube ich – ablehnen. Sehr geehrte Damen und Herren, bei aller Kritik, die ich hier vorbringe, möchte ich zum Schluss noch einmal betonen, dass wir Erleichterungen für den europäischen Dienstleistungsmarkt grundsätzlich begrüßen. Und ich möchte auch ganz klar sagen, dass es uns nicht darum geht, ausländische Konkurrenz aus unserem Land fernzuhalten. Wir sind wie die EU-Kommission an einem freien Dienstleistungsmarkt interessiert, aber wir sollten dabei nicht übers Ziel hinausschießen. Die EU-Kommission sollte, wie sie es auch von ihren Mitgliedsländern verlangt, die Verhältnismäßigkeit wahren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Zum Abschluss der Debatte hat jetzt der Kollege Dr. André Hahn die Gelegenheit, hier kurz für die Fraktion Die Linke zu reden. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion wird der vorliegenden Entschließung zustimmen. Gründe dafür sind von den Vorrednern, die ebenfalls dieses Votum abgeben wollen, ausreichend genannt worden. Die muss ich an dieser Stelle nicht wiederholen und spare Ihnen und mir die Redezeit. Das Votum der Fraktion habe ich bekannt gegeben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das Besondere ist, dass Sie den Applaus fast des gesamten Hauses haben. Das kommt ja nicht so häufig vor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Damit sind wir am Schluss der Aussprache angelangt. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11442, in Kenntnis der auf Drucksache 18/11229 unter den Buchstaben A.8 bis A.11 genannten Unterrichtungen eine Entschließung gemäß Protokoll Nummer 2 zum Vertrag von Lissabon in Verbindung mit § 11 des Integrationsverantwortungsgesetzes anzunehmen. Es handelt sich um eine Subsidiaritätsrüge. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union Drucksache 18/11242 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Die Reden hierzu sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.12 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11242 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch da sehe ich von Ihrer Seite keine anderen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises Drucksache 18/11279 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden.13 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11279 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch da sehe ich von Ihrer Seite keine anderen Vorschläge. Dann ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik Drucksachen 18/10939, 18/11282 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/11438 b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen (Videoüberwachungsverbesserungsgesetz) Drucksachen 18/10941, 18/11183, 18/11225 Nr. 8 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/11435 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Günter Baumann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Günter Baumann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit zwei Beispielen beginnen. Ein Bundespolizist geht im Hautbahnhof Hannover Streife. Er hat die Aufgabe, auf die Sicherheit zu achten. Er ist ausgebildet und darauf geschult, auf Gefahren zu achten, wo Gefahren entstehen können. Bei der Personenkontrolle eines 16-jährigen Mädchens wird er mit einem Messer am Hals schwer verletzt. Ein zweites Beispiel: eine Demonstration in Berlin. Junge Polizistinnen und Polizisten geraten zwischen die Fronten von Chaotengruppen und werden mit Pflastersteinen beworfen und schwer verletzt. Das sind nur zwei Beispiele, liebe Kolleginnen und Kollegen, die symbolisch zeigen, dass in unserem Land leider Gewalt zunimmt, vor allem – das ist das Schlimme – Gewalt gegen Polizisten. Das müssen wir akzeptieren. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Unterschied!) – Kollege von Notz, das ist einfach so, auch wenn Sie den Kopf schütteln. Bei normalen Streifengängen, bei Einsätzen bei Fußballspielen oder bei Demonstrationen gibt es eine ansteigende Anzahl von Angriffen gegen die Polizei. Wir hatten im Jahr 2015 fast 15 000 Fälle von leichter Körperverletzung gegen Polizisten. Wir hatten über 4 000 Fälle von schwerer gefährlicher Körperverletzung. Das war in beiden Fällen ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Das heißt, die Politik ist gefordert, zu handeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen alle Möglichkeiten, die die Politik hat, nutzen, um darauf einzuwirken, dass Hemmschwellen wieder absinken und Polizeibeamte ihrer Arbeit sicherer nachgehen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Abbau von Polizeikräften in den meisten Bundesländern und die Stagnation der Bundespolizei in den letzten Jahren waren natürlich keine Beispiele, die Sicherheit in unserem Land zu erhöhen. Wir haben Entwicklungen einfach falsch eingeschätzt. Ich denke, man kann mit Recht sagen, wir haben in der letzten Zeit als Koalition darauf reagiert. Wir haben ein enormes Stellenzuwachsprogramm bei der Bundespolizei. Wir haben mehr Geld für den Haushalt in die Hand genommen. Auch die meisten Bundesländer stocken ihre Polizei wieder auf. Das heißt, wir sind wieder auf einem guten Weg. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zwölf Jahre lang gespart! So ist es halt!) – Ich habe gesagt, wir sind jetzt wieder auf einem guten Weg und haben vorher einige Fehler gemacht, Herr von Notz. Das habe ich hier eingestanden. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also noch einmal zwölf Jahre!) Wir müssen aber auch eines sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: In unserer Gesellschaft haben leider der Respekt und die Achtung des Gegenübers, eines Nachbarn, eines Fremden oder einer Sicherheitskraft abgenommen, was von einem moralischen Verfall unserer Grundwerte in unserem Land zeugt. Wir müssen überlegen, an welchen Stellen wir stärker einwirken müssen; dies geht in den Familien, in den Schulen. Unsere Medien sind auch nicht immer der beste Weg. Wir haben als Koalition heute einen weiteren Baustein vorgelegt, einen Baustein, bei dem wir mehr Schutz für unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gewährleisten können. Ein Beispiel für mehr Sicherheit: Ein einjähriger Feldversuch hat in mehreren Bundesländern gezeigt, dass Bodycams ein Baustein für mehr Sicherheit sein können. Wir haben am Montag in der Anhörung von Fachexperten gehört, dass Polizisten, die vor Ort Versuche gemacht haben, gefragt worden sind. 92 Prozent von ihnen sagen ganz klar: Es ist sinnvoll, mit Kameras ausgestattet zu sein. 67 Prozent geben an, dass ihr Gegenüber nicht mehr so aggressiv ist. 76 Prozent sagen, es ist auch zum Nutzen ihrer Eigensicherung. Bodycams können sowohl präventiv, das heißt als Abschreckung für einen möglichen Gegner dienen, aber auch repressiv, das heißt für eine Aufklärung von Straftaten von erheblichem Nutzen sein. Die Kameras bewirken ein deeskalierendes Verhalten des Gegenübers. Ich denke, wenn solche Mittel zur Verfügung stehen, sind wir verpflichtet, diese auch einzusetzen. Es gibt auch vereinzelte Fälle, in denen nach Veranstaltungen gesagt wird, dass es zu Übergriffen von Polizisten gekommen ist. Auch hier kann man mit Aufzeichnungen der Bodycams leichter feststellen, was passiert ist, und es konkret aufklären. Auch die Datenverwertbarkeit wurde am Montag von den Experten eindeutig bestätigt. Sie ist sichergestellt, und wir können die Kameras nutzen. Ich denke, wir sollten neben anderen Mitteln – weitere Verbesserung der Personalausstattung, weiterer Einsatz von Geld für Technik – auch die Mittel, die wir hier an der Hand haben, nutzen. Ich denke, es ist ein Schritt, der in die richtige Richtung geht. Damit werden wir nicht alles lösen, aber es kann ein Baustein sein. Ich denke, dass wir alle die Meinung vertreten – auch die Opposition –, dass wir für den Schutz unserer Polizisten relativ viel tun müssen, sodass wir heute alle gemeinsam dem Gesetz zustimmen können. Ich freue mich darauf. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Frank Tempel. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein ehemaliger Kollege, ein Polizeibeamter, hat mich vor wenigen Stunden gefragt, was es denn im Bundestag zu Mitternacht Wichtiges zu besprechen gibt. Meine Antwort: Ich habe sage und schreibe vier Minuten Zeit, um zu zwei Gesetzen zu sprechen, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Skandalös! – Gegenruf von der CDU/CSU: Wahlergebnis!) die nach öffentlicher Verlautbarung mehr Sicherheit bringen sollen. Das Fazit der nächtlichen Debatte ist auch schon klar – Herr Wendt, da werden Sie mir recht geben –: Wer dem Gesetz nicht zustimmt, ist gegen mehr Sicherheit, zumindest nach Auffassung der Regierungskoalition. (Marian Wendt [CDU/CSU]: Kann man so sehen!) Für die Fraktion Die Linke bleibt aber das entscheidende Kriterium: Bringen Ihre Vorschläge im Rahmen der Verhältnismäßigkeit tatsächlich mehr Sicherheit? (Marian Wendt [CDU/CSU]: Natürlich! Sonst hätten wir sie nicht gemacht!) Dann würden wir auch zustimmen. Prüfen wir mal! In der Problemstellung zum Videoüberwachungsverbesserungsgesetz – schöner Name! – beschreiben Sie: Terroristen und Straftäter nehmen für Anschläge auch hochfrequentierte öffentlich zugängliche Anlagen in ihren Fokus, um größtmöglichen Schaden anzurichten … So weit ist es richtig. Als Ziel Ihres Gesetzes bezeichnen Sie dann, „solche potentiellen Schäden frühestmöglich zu verhindern.“ Weiter unterstreichen Sie deutlich, Sie wollten „die Sicherheit der Bevölkerung präventiv … erhöhen.“ (Günter Baumann [CDU/CSU]: Ja, richtig! – Marian Wendt [CDU/CSU]: Jawohl! Gut erkannt!) So steht es in Ihrem Gesetzentwurf, und danach müssen wir ihn bewerten. Erreichen wollen Sie das Ziel durch eine Verbesserung der Videoüberwachung. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Lachhaft! – Günter Baumann [CDU/CSU]: Als ein Baustein!) Es gibt bereits solche Videokameras, und es gibt auch immer wieder Beispiele dafür, dass sie bei der Aufklärung von Straftaten geholfen haben – eben weil sie den Täter nicht von der Tat abgehalten haben, weil die Prävention in diesem Bereich versagt hat. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Die Aufklärung von Straftaten ist auch ein rechtsstaatlich wichtiges Thema!) Terroristen wollen sogar häufig öffentliche Bilder haben, um ihre Taten verbreiten zu können. Sie behaupten, Kameras wären ein präventives Mittel, um Anschläge zu verhindern, und das ist entweder inkompetent oder bewusst gelogen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei der Gefahrenabwehr machen sinnvoll postierte Kameras nur Sinn, wenn entsprechendes Personal die Gefahren live zur Kenntnis nimmt und entsprechende Maßnahmen einleiten kann. In der Regel gibt es aber genau dieses Personal nicht. Somit ist das im Gesetzentwurf genannte Ziel der verbesserten Prävention von Anschlägen mit Ihren Vorschlägen nicht zu erreichen. Der Gesetzentwurf ist daher als untauglich abzulehnen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Zur Prävention sind die Kameras nicht geeignet. (Günter Baumann [CDU/CSU]: Das sagt ein Polizist!) Ich möchte auf einen zweiten Aspekt Ihres Gesetzentwurfs zu sprechen kommen. Ich habe ja gesagt: Wer Nein sagt, der braucht nach Ihrer Auffassung gar nicht prüfen, ob die Gesetze etwas taugen, sondern ist per se dagegen. – Das Gleiche gilt für die Bodycams. Wir haben ja in der ersten Lesung deutlich Gesprächsbereitschaft beim Thema Bodycams signalisiert. Weil das Gesetz im Grunde genommen etwas stümperhaft war, haben wir Ihnen ein paar Hinweise gegeben, woran man da arbeiten muss, um es tauglich zu machen. Zum Beispiel ist leider nach wie vor die Gerichtsverwertbarkeit der Aufnahmen nicht gewährleistet. Die Frage der Manipulationssicherheit der Aufnahmen ist nach wie vor nicht geregelt. Der Beamte kann nach Ihrem Entwurf weiterhin selbst entscheiden, welchen Teil einer Situation er aufnimmt. Auch das ist gewissermaßen eine Art und Weise der Manipulation; denn der Verdacht wird immer im Raum stehen, dass mit diesen Teilaufnahmen tatsächliche Abläufe verzerrt werden könnten. Sie, liebe Kollegen von der Regierungskoalition, möchten gern im Wahlkampf die Schlagzeile sehen, für mehr Sicherheit von Polizeibeamten gesorgt zu haben. Das ist aber genau das – – (Zurufe von der CDU/CSU) – Es ist wie im Innenausschuss: Immer dazwischenbrabbeln, aber nie etwas Gescheites dazugeben. Machen Sie doch die Gesetze besser. Dann brauchen wir Sie nicht ständig darüber zu belehren, was Sie machen müssen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU) Alle diese Punkte sind in der ersten Lesung eingebracht worden. Wir haben eine Anhörung dazu gemacht. Nicht einen einzigen Punkt haben Sie nachgebessert. (Zuruf von der CDU/CSU: Weil die Sachverständigen es unterstützt haben!) Ihre Art und Weise, Gesetze zur inneren Sicherheit zu machen, ist genauso, als wenn Sie jemandem erzählen, dass Sie ihm schönes Haus bauen wollen, es aber dann, wenn er hineingeht, zusammenfällt, weil Sie gepfuscht haben. So geht es nicht. (Zurufe von der CDU/CSU) Wenn es Ihnen mit der Sicherheit von Polizeibeamten und Bürgern ernst ist, dann machen Sie Ihre Hausaufgaben gründlich und lassen Sie uns gemeinsam beraten, wie man die Sache mit den Bodykameras besser regeln kann – sie können unter Umständen ja ein Mittel für mehr Sicherheit sein –, und über Personalstärken, Schutzausrüstung und vor allen Dingen auch ein besseres Deeskalationstraining für Polizeibeamte reden. Bei so vielen fachlichen Defiziten müssen wir auch Ihren zweiten Gesetzentwurf leider ablehnen, weil er einfach stümperhaft ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Reden wir mal über Straftäter!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächster hat Sebastian Hartmann, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU]) Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition redet nicht nur, sie handelt auch, liebe Vertreter der Opposition. Wir haben die Chancen der Digitalisierung und der Technik ernst genommen und aufgenommen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Unzureichend! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Phrasendreschmaschine ist angeworfen!) Wir werden an zwei Stellen handeln, wo wir auch die technischen Möglichkeiten haben, um die Sicherheitslage in einem der sichersten Länder der Welt, nämlich Deutschland, weiter zu verbessern. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Ich nehme den Ball der Opposition auch auf. Sie würden ja gerne mitmachen. Sie haben Ihre Vorschläge eingebracht. Wir haben das auch eingehend geprüft, aber ein gutes Gesetz kann man mit solchen Vorschlägen nicht noch besser machen. Dann muss man das beschließen, was wir vorgelegt haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Denn es nicht so, als hätten wir das im luftleeren Raum beschlossen. Wir haben hier einen Vorschlag eingebracht. Es ist ein maßvoller Vorschlag, mit dem wir punktuell an zwei Stellen das bestehende gute Gesetze verbessern werden. Der eine Punkt betrifft, wie schon angesprochen, die Bodycams. Das Ziel ist doch klar: Wenn sich Menschen für Sicherheitsbehörden entscheiden, wenn sie sich dafür entscheiden, als Polizistin oder als Polizist dafür zu sorgen, dass dies ein sicheres Land bleibt, dann ist es unsere Verantwortung als Gesetzgeber, dafür zu sorgen, dass diese Menschen im Dienst geschützt werden. Wenn wir eine Verrohung der Sitten feststellen und dass die Gewalt gegen Polizeibeamte ansteigt, müssen wir uns als Gesetzgeber doch fragen, was wir dagegen tun können, dass diese Polizistinnen und Polizisten nicht ausreichend geschützt sind. Unsere Antwort darauf ist auf der einen Seite eine Sammlung von Gesetzen, mit denen wir noch einmal klarmachen, wie die Ordnung hier herzustellen ist, und auf der anderen Seite die Erlaubnis, Bodycams eben auch punktuell einzusetzen. In der Anhörung haben wir Folgendes gehört: Die einen sagen, dass 2 500 Kameras überhaupt nicht ausreichen, wenn man über 40 000 Polizisten redet. Die anderen sprechen über die disziplinarrechtlichen Probleme, die sich ergeben. Wir sagen: Lassen Sie uns uns doch auf den Weg machen. Lassen Sie uns doch prüfen, ob wir es dadurch nicht weiter verbessern können. Wenn wir auf dem Weg dorthin feststellen, dass manche der Bedenken, die hier mal so eben in den Raum gestellt worden sind, zutreffen, dann können wir es immer noch verbessern. Der zweite Punkt ist die Videoüberwachung von öffentlich zugänglichen Plätzen. Als wir darüber hier redeten, haben wir festgestellt – auch unter dem Eindruck von aktuellen Taten –, dass die Überwachung eines Bereichs von öffentlich zugänglichen Plätzen von privaten Akteuren betrieben wird. Diese privaten Akteure brauchen auf dem Weg zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit auch klare Maßgaben, wie sie dafür sorgen können – zum Beispiel durch Videoüberwachung –, dass Kundinnen und Kunden von Einkaufszentren besser geschützt werden. Ich gebe uns aber eine Empfehlung: Lassen Sie es nicht zu einer Übertreibung, zu einem Überbietungswettbewerb kommen. Genau genommen haben wir eine Zahl von etwa 3 100 Kameras identifiziert, die möglicherweise infolge dieses Gesetzes dann rechtssicher aufgestellt sind. Wir regeln sowohl das Extrem, dass ein Privater sagt: „Ich weiß gar nicht, wie ich das machen soll, also lasse ich es lieber ganz bleiben“, obwohl er den Bedarf sieht, als auch das gegenteilige Übermaß, indem wir klar sagen: Genau hier wollen wir für die Schutzgüter Leben und körperliche Unversehrtheit handeln. – Das haben wir getan. Die Anhörung hat ergeben, dass wir mit dem Gesetz auf einem guten Weg sind. Die Expertinnen und Experten haben doch einerseits gesagt: Es ist mit dem Bundesdatenschutzgesetz und unserem hohen Schutzniveau für Daten gut vereinbar, dass wir hier, um einen guten Zweck zu erreichen, alle erforderlichen Maßnahmen anstreben. Damit kann man das guten Gewissens beschließen. Andererseits wollen wir keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung betreiben. Das ist ja auch behauptet worden. So ist es nicht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz haben Sie ja schon verabschiedet! – Zuruf von der CDU/CSU: Zum Glück!) – Nein, so ist es eben nicht. – Wir haben den Zweck genau festgelegt. So wollen wir dafür sorgen, dass wir dann, wenn es zu einem Terroranschlag oder einer Bedrohungssituation in unserem Land kommt, einen Zugriff auf bestimmte Daten haben. Einsicht nehmen könnten wir dann vielleicht in Daten aus einem öffentlich überwachten Raum, aber nicht in die aus einem Einkaufszentrum. Dadurch hätten wir in Zukunft dann verbesserte Chancen, für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu sorgen. Das sind wir ihnen schuldig, und wir haben aufgrund der aktuellen Lage erkannt, dass wir hier handeln müssen. Deswegen lade ich Sie ein, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gab natürlich einiges an Hin und Her. Auf der einen Seite wurde behauptet – die Opposition muss sich wirklich überlegen, was sie will –: Wir bauen einen riesen Datenhaufen auf, den sich nie irgendjemand angucken kann, also bringt das alles nichts. – Auf der anderen Seite wurde behauptet: Durch Kameras wird ein Placeboeffekt von öffentlicher Sicherheit erzeugt, und es kommt zu Verhaltenseffekten. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal die Rechtsprechung, Herr Kollege! Das ist kein Widerspruch!) Wir haben hier auf der Basis der aktuellen Erfahrung und im Einklang mit dem geltenden Recht gesagt: Wir geben den Privaten eine Auslegungsregel an die Hand, damit sie mithilfe von Videotechnik ihren Bereich schützen können. Es ist nicht so, dass damit eine öffentliche Aufgabe privatisiert wird. Wir geben vielmehr den Privaten lediglich eine Auslegungsregel mit an die Hand, damit sie wissen, wie das funktioniert. Die Erkenntnisse der Anhörungen nehmen wir mit auf den Weg. Die Datenschützer waren sich einig. Wir haben auch die Hinweise der Polizeibediensteten, die sich sehr eingebracht haben, und ebenso die Hinweise des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen ernst genommen. Darum sagen wir: Wir sind auf einem guten Weg. Man kann das Gesetz guten Gewissens beschließen. Wir sorgen dafür, dass Deutschland nicht nur eines der sichersten Länder der Welt ist, sondern auch bleibt. Wir verbessern dafür einige Gesetze und laden die Opposition herzlich zur Zustimmung ein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dr. Konstantin von Notz. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Guten Morgen, meine Damen und Herren! (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Guten Morgen! – Zuruf von der CDU/CSU: Sternstunde des Parlamentarismus!) Die beiden Gesetze, die wir heute diskutieren, werden von der Bundesregierung und auch von den Fraktionen in den Kontext der derzeitigen terroristischen Gefährdungslage gestellt. Die drei inhaltlich völlig unterschiedlichen Maßnahmen, die hier in zwei Gesetzentwürfe gepackt wurden, sollen die öffentliche Sicherheit verbessern; so hieß es ja auch in den Reden. Dabei geht es erstens um die Erleichterung des Einsatzes von Überwachungskameras, zweitens um die automatische Kennzeichenerfassung und drittens um die Einführung von Bodycams bei der Polizeiarbeit. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Alle drei Maßnahmen sind sinnvoll und verhältnismäßig!) Nach der Anhörung in dieser Woche gibt es aber überhaupt keinen Zweifel: Keine einzige dieser Maßnahmen hätte auch nur eines der schrecklichen Vorkommnisse, die wir letztes Jahr erlebt haben, verhindern können, weder den Anschlag auf den Breitscheidplatz, noch Ansbach, noch den Amoklauf von München. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Immer wieder die alte Leier!) Denn die Videoüberwachung – Kollege Tempel hat es gesagt – hat eben keine Präventivwirkung, insbesondere nicht auf salafistische Terroristen wie Anis Amri. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Vielmehr zelebrieren es diese sogar noch, wenn ihre Taten auf Video aufgenommen werden. Deswegen helfen Ihre Gesetze bei diesen Problemen überhaupt nicht weiter. Videoüberwachung kann natürlich – das sage ich ganz deutlich für meine Fraktion – an neuralgischen Punkten im öffentlichen Raum helfen, Straftaten aufzuklären, (Marian Wendt [CDU/CSU]: Ach!) wie das jüngst bei dem Angriff auf den Obdachlosen in Berlin der Fall war. (Zurufe von der CDU/CSU) Aber die Terrorismusbekämpfung und Mittel zur Strafverfolgung auf Dritte, auf Private zu übertragen, das führt auf die schiefe Bahn; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) denn beides sind originäre Aufgaben des Staates, meine Damen und Herren, und dürfen nicht outgesourct werden. Dass Ihnen nicht einmal die Tatsache zu denken gibt, dass der Deutsche Richterbund Ihre Pläne für verfassungswidrig hält, spricht auch eine deutliche Sprache. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was, selbst die?) Ähnlich liegen die Dinge bei der automatischen Kennzeichenerfassung. Sehenden Auges schaffen Sie hier ein Gesetz der anlasslosen und verdachtsunabhängigen Massenüberwachung und Schleierfahndung, (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Wird sofort gelöscht! – Günter Baumann [CDU/CSU]: Gerade das machen wir nicht!) welches verfassungsrechtlich nicht weniger heikel ist als das andere. Die Zulässigkeitsvoraussetzung haben Sie so wachsweich formuliert, dass es sich um einen Freifahrtschein handelt, und ich sage Ihnen: Das wird wieder nicht, wie bei den beiden Landesgesetzen, Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ganz zu schweigen, Herr Kollege Wendt, von der wahnsinnigen Arbeitsbelastung für die Bundespolizei, die damit einhergeht – wegen der Bearbeitung von Fehltreffern. Ich wünsche frohe Verrichtung. Wenig Nutzen, viele Probleme – willkommen in der GroKo! Ein solches Gesetz machen wir nicht mit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) All dies macht es für Ihre dritte Regelung umso trauriger; denn die Bodycams für Polizeibeamte sind tatsächlich eine gute Idee. Auch wenn sie mit Blick auf terroristische Bedrohungslagen keinen Effekt haben, wären sie, isoliert gesehen, durchaus zustimmungswürdig und -fähig. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch zu!) In der Tat sind die gewalttätigen Übergriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte – das wurde schon angesprochen – ein sehr ernstes Problem. In bestimmten Situationen können Bodycams tatsächlich deeskalierend wirken. (Günter Baumann [CDU/CSU]: Aha!) Sie vermischen dieses Gesetz aber nicht nur mit der automatischen Kennzeichenerfassung – das ist ja wirklich ein Irrsinn –, sondern Sie bleiben auch völlig unklar hinsichtlich der Frage, wie die Auswertung des Datenmaterials genau erfolgen soll, welche Standards die Technik zu erfüllen hat und wie die Einhaltung der Rechte der Betroffenen gewährleistet wird, übrigens auch die der Beamtinnen und Beamten. Sie wären es den Bürgerinnen und Bürgern und den Polizeibeamtinnen und -beamten schuldig gewesen, diesen Gesetzentwurf nachzubessern, statt hier heute Nacht einen solchen Schnellschuss durchzupeitschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr von Notz. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Sie wollen hier eben kein ordentliches Gesetz machen. Sie wollen das hier heute Nacht abhaken. So erklärt sich auch dieser Debattenplatz; der Kollege Tempel hat es angesprochen. Wir haben hier vier Minuten, um drei so wesentliche Maßnahmen zu besprechen. Das zeugt von Lieblosigkeit gegenüber diesem Thema. So sieht der Stellenwert aus, den Sie den Bürgerrechten, der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und der Sicherheit der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten beimessen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt ist aber Schluss. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hier nachts solche Gesetzentwürfe durchzuwinken, geht nicht an, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Danke schön. – Jetzt ist der Kollege Marian Wendt von der CDU/CSU-Fraktion dran. (Beifall bei der CDU/CSU) Marian Wendt (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute ist wieder ein guter Tag für die innere Sicherheit in unserem Land, wie bereits in der letzten Sitzungswoche. Wir haben auch heute zahlreiche gute Gesetzentwürfe für die Sicherheit in unserem Vaterland beschlossen bzw. werden sie noch beschließen. Das Gesetz zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, das sogenannte E-ID-Gesetz, das Videoüberwachungsverbesserungsgesetz und das Bodycamgesetz sind, glaube ich, sehr gute Maßnahmen, um die Sicherheit im Land noch weiter zu verbessern und die Lage stabil zu halten. Die Entwicklungen des letzten Jahres, die Anschlagsversuche und die durchgeführten Anschläge unter anderem in Berlin, Bonn, Würzburg und München haben gezeigt, dass wir insbesondere im Bereich Videoüberwachung noch einiges tun müssen. Was tun wir? Wir fordern nicht die Privaten auf, überall Kameras zu installieren. In § 6b des Bundesdatenschutzgesetzes sagen wir klar, wo wir uns den Einbau von Kameras besonders wünschen, ohne dass wir eine Verpflichtung zum Einbau hineinschreiben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der nächste logische Schritt, Herr Kollege!) – Das ist nicht wahr. Sie unterstellen uns da etwas, was wir überhaupt nicht vorhaben. Ich denke, dass es im Interesse des Rechtsstaates und auch im Sinne der Opposition ist, dass wir Dinge, die gleich sind, in Deutschland auch gleich regeln. Wenn wir dafür sorgen, weil wir es für richtig erachten, dass in öffentlich zugänglichen Räumen wie Einkaufszentren, Parkplätzen und Sportstätten einheitliche Regelungen für die Datenerhebung und vor allen Dingen die Datenverwendung im Nachhinein bei entsprechenden Taten gelten, wenn die Polizei das Material braucht, dann ist das, glaube ich, vor allen Dingen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Weiterhin ist es, glaube ich, richtig, dass wir versuchen, einheitliche Maßstäbe im ÖPNV-Bereich festzulegen. Es gibt Länder, in denen Bus- und Bahnunternehmen Kameras installieren. Dort wird aufgezeichnet; aber es gibt keine einheitliche Regelung, ob das Material 24 Stunden gespeichert wird, eine Woche oder zwei Monate. Die Speicherdauer wollen wir gerne harmonisieren. Wir müssen darüber nachdenken, ob wir dafür in Zukunft eine einheitliche deutschlandweite Lösung finden. 24 Stunden sind, glaube ich, keine angemessene Frist, insbesondere, wenn wir Straftaten auch im Nachhinein aufklären und bewerten wollen. Wir wollen durch das Gesetz die öffentlich-private Partnerschaft solidarisch ausgestalten. Wir wollen, wie gesagt, dass auch private Plätze sinnvoller überwacht werden können – können, wie gesagt. Außerdem wollen wir die Anwender und Nutzer in eine rechtsklare Position bringen. Das sollte auch Ihnen, lieber Kollege von Notz, ein wichtiger Anknüpfungspunkt sein. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kennzeichenerfassung. Ich selber wohne an einer Transitstraße, wie ich das nennen würde, nämlich der B 87. Von mir in Sachsen aus ist man in anderthalb Stunden in Polen. Da wünschen sich natürlich viele Bürgerinnen und Bürger, dass es unterwegs zum Beispiel Kennzeichenlesegeräte und auch mobile Polizeikontrollen gibt, um gegebenenfalls bei Diebstahl die Fahrzeuge entsprechend kontrollieren zu können bzw. mögliche Treffer anzeigen zu können. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ich dachte, die Bösen kommen aus Sachsen-Anhalt!) Deswegen ist es richtig, dass wir diesen Weg gehen und auch dafür sorgen, dass die Bundespolizei dieses Mittel zur besseren Grenzüberwachung an die Hand bekommt. Der letzte Punkt ist für mich und auch für meine Kollegen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion ein sehr entscheidender, nämlich der Schutz unserer Beamtinnen und Beamten im Einsatz. Es geht um das Thema „Videoüberwachung durch Bodycams“. Da haben der letztjährige Feldversuch, aber auch die Maßnahmen, die bereits in den Bundesländern stattfinden, gute Wirkungen gezeigt. Es gibt gute Belege dafür, dass es sich dabei um ein sehr sinnvolles Einsatzmittel handelt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Deswegen unterstützen wir das auch; denn es hilft sowohl den Bundespolizisten als auch den Bürgerinnen und Bürgern, weil Situationen besser dargestellt werden können. Wir haben ja enge Regelungen getroffen. Ich denke an die 30-Sekunden-Vorlaufzeit und die Löschung dieses Materials, wenn es nicht zu einem Einsatz kommt. Es ist wichtig – das sage ich gerade auch an die Adresse der Fraktion der Grünen –, unseren Beamtinnen und Beamten auch ein bisschen Vertrauen entgegenzubringen, dass sie genau wissen, wann ein Einsatz beginnt, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) wann sie den Knopf drücken und damit die Szene filmen und wann nicht. Vor allen Dingen geht es im nächsten Gedankengang auch darum – da sind wir, etwas weiter gefasst, natürlich wieder bei dem Punkt „digitale Verwaltung“ –, wie wir diese Daten auswerten. Denn Sie können sich ja vorstellen, dass 2 500 Beamte, die Videomaterial aufzeichnen, auch ein entsprechendes Volumen herstellen. Wie man dieses Volumen verarbeitet, sinnvoll speichert (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind ja im digitalen Zeitalter! Da wird das doch möglich sein!) und auch in einen möglichen Datenverarbeitungsakt einführt, wird uns in den nächsten Wochen und Monaten noch beschäftigen. Ich freue mich, dass wir heute diese beiden wichtigen Gesetze beschließen. Das ist gut für die Sicherheit im Land. Ich danke Ihnen und wünsche eine gute Nacht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Sebastian Hartmann [SPD]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 30a zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11438, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10939 und 18/11282 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 30b. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11435, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10941 und 18/11183 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Wer enthält sich? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 sowie Zusatzpunkt 11 auf: 31 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BDBOS-Gesetzes Drucksache 18/11139 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen Drucksache 18/11409 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Beim BDBOS-Gesetz geht es um die Errichtung einer Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.14 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/11139 und 18/11409 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration Drucksachen 18/11136, 18/11182 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/11441 Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden, sofern Sie damit einverstanden sind. – Ich sehe, das ist der Fall. 15 Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11441, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11136 und 18/11182 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen Drucksache 18/11233 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Haushaltsausschuss Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.16 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11233 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch hiermit sind Sie einverstanden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes Drucksache 18/11234 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind einverstanden. 17 Wir kommen zur Abstimmung. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11234 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keine weiteren Vorschläge. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen Drucksache 18/11291 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.18 Interfraktionell wurde vereinbart, den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/11291 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Sie sind einverstanden, wie ich sehe. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 36: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/10883 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11432 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.19 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11432, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10883 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 37: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes Drucksache 18/10818 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11200 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.20 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11200, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10818 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der dritten Lesung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten Drucksache 18/11240 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Gesundheit Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind damit einverstanden.21 Interfraktionell wurde vereinbart, den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/11240 an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zu überweisen. – Niemand hat dazu einen anderen Vorschlag. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung Drucksache 18/8486 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/11437 Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Sie sind damit einverstanden.22 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11437, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8486 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Alle, die zustimmen wollen, bitte ich, aufzustehen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 40 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben Drucksache 18/8831 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/11445 Die Reden werden nicht zu Protokoll gegeben. Vielmehr sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Johannes Fechner von der SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe zwei Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Es sind drei!) – Drei? Oh, entschuldigen Sie bitte; Sie habe ich übersehen. – Im Ernst: Der Sport hat eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung. Wir müssen deshalb alles tun – ein erster Ansatz war das Anti-Doping-Gesetz –, um die Glaubwürdigkeit des Sports zu schützen. Sportwettbetrug und die Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben beeinträchtigen nicht nur die Glaubwürdigkeit, sondern schädigen auch das Vermögen anderer und insbesondere das Vertrauen in den Sport. Das gefährdet den Sport in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Relevanz. Der Wettskandal rund um den ehemaligen Schiedsrichter Robert Hoyzer im Jahr 2005 hat die Glaubwürdigkeit nicht nur des Fußballsports nachhaltig erschüttert. Betrug und Manipulation nehmen dabei deutlich zu. Zuletzt brachte im Januar dieses Jahres eine wissenschaftliche Studie drei Bundesligaschiedsrichter mit auffälligen Wettsetzungen in Verbindung. Die brisante Studie der Universität Bielefeld und zweier Universitäten in den USA kommt zu dem Ergebnis, dass bei den Spielen dieser drei Schiedsrichter auffällig hohe Wettbeträge gesetzt werden, und zwar auf sogenannte Über/Unter-Wetten, bei denen es darum geht, ob mehr oder weniger als 2,5 Tore fallen, und das in einer statistischen Häufung, die nach Ansicht der Wissenschaftler auch bei Wettbetrug zu erwarten wäre. Es fällt schwer, hier noch an einen Zufall zu glauben. Solchen Manipulationen müssen wir daher auch mit den Mitteln des Strafrechtes entgegentreten. Es ist deshalb richtig, dass wir diesen Gesetzentwurf hier heute beraten. Es gibt eine Lücke im Strafrecht. Nach der heutigen Rechtslage ist bei einem Betrug nur dann eine Strafbarkeit gegeben, wenn auch ein Erfolg eintritt. Genau das ändern wir mit diesem Gesetzentwurf. Wir gestalten den Sportwettbetrug als abstraktes Gefährdungsdelikt. Es muss also nicht zu einem entsprechenden Erfolg und Vermögensschaden kommen. Darüber hinaus schaffen wir einen Qualifikationstatbestand des besonders schweren Falles, wenn sich die Tat auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht oder der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt. In diesen Fällen wird zudem eine Befugnis zur Telekommunikationsüberwachung eingeräumt. Ich glaube, auch das wird dazu beitragen, das Vertrauen in den Sport wiederherzustellen. (Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist doch die FIFA vor!) Die Umsätze, die allein in Deutschland mit Sportwetten erzielt werden, liegen im Milliardenbereich. Die Anreize zur Manipulation werden dadurch immer größer. Mit dem heutigen Gesetzentwurf setzen wir deshalb ein Signal für den sauberen Sport, für einen Sport ohne Betrug und ohne Bestechung. In diesem Sinne stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Johannes Fechner. – Schönen guten Abend bzw. guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Günter Baumann [CDU/CSU]: Guten Morgen!) Nächster Redner: Dr. André Hahn für Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf fand am 7. Juli 2016 statt. Die Reden wurden zu Protokoll gegeben, da der Tagesordnungspunkt erst zu nächtlicher Stunde aufgerufen worden wäre. Am 28. September 2016 lud der federführende Ausschuss namhafte Experten zu einer öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf ein. Solche Anhörungen haben das Ziel, die Abgeordneten mittels externen Sachverstands zu beraten und zu unterstützen, damit sie sachgerechte Entscheidungen treffen und eventuell auch noch Änderungen am Gesetzentwurf vornehmen können. Mit großem Interesse habe ich die schriftlichen Stellungnahmen der Experten gelesen und ihre Antworten auf meine Fragen in der Anhörung verfolgt. Dabei wurde deutlich, dass es eine ganze Reihe von rechtlich fragwürdigen Regelungen in diesem Gesetzentwurf gibt und die Koalition gut daran täte, das Papier noch einmal gründlich zu überarbeiten. Warum erzähle ich das? (Günter Baumann [CDU/CSU]: Das ist die Frage!) Ich erzähle das, Herr Kollege Baumann, weil es bis zu dieser Woche, ein halbes Jahr später, noch immer kein Protokoll von dieser Anhörung im Rechtsausschuss gibt. Das erschwert nicht nur den Abgeordneten die Arbeit unnötig, sondern das ist in meinen Augen auch eine Missachtung der Arbeit der Sachverständigen. (Beifall bei der LINKEN) Vielleicht ist das fehlende Anhörungsprotokoll ja ein Grund dafür, dass wir einen so halbherzigen Änderungsantrag der Koalition vorliegen haben, der die zentralen Fragen und Kritikpunkte nicht aufgreift. Nach monatelangem Stillstand soll die Beschlussfassung nun aber im Schweinsgalopp durchgezogen werden. Erst gestern fanden die abschließenden Beratungen in den Ausschüssen statt – jetzt muss man „vorgestern“ sagen –, ohne dass es dort tiefgehende Debatten gegeben hätte. Die Opposition durfte noch zwei, drei Kritikpunkte anbringen, die von der GroKo wie immer ignoriert wurden, und heute soll der Gesetzentwurf im Plenum durchgewunken werden – (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die GroKo!) wieder zu nächtlicher Stunde und damit de facto ohne Öffentlichkeit. Das ist nicht nur parlamentarisch schlechter Stil, sondern das wird auch dem wichtigen Anliegen dieses Gesetzentwurfs nicht gerecht. (Beifall bei der LINKEN) Ich halte dieses Prozedere, das man jetzt anscheinend häufiger praktizieren will, für meine Fraktion und auch für mich persönlich für wirklich inakzeptabel. Nun aber zu einigen inhaltlichen Aspekten: Nach dem Anti-Doping-Gesetz wird nun auch ein Gesetz gegen Wettbetrug und Manipulation im Sport verabschiedet, indem neue Tatbestände ins Strafrecht eingefügt werden. Schutzgut soll damit zum einen die Integrität des Sports – wir haben es eben gehört – und zum anderen das Vermögen sein. Begründet wird dies mit der herausragenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Sports, der unter anderem auch aus diesen Gründen einen strafrechtlichen Schutz benötige. Bisher sei aus Sicht der Koalition eine strafrechtliche Verfolgung nur unzureichend möglich. Das ist eben auch vorgetragen worden. Nun greift man zu einer neuen Regelung, die auch nicht wirklich überzeugen kann. Gänzlich neu im Gesetzentwurf – das will ich durchaus sagen – ist der geplante Tatbestand zur Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe, ein Handeln, das bisher noch nie strafrechtlich geregelt worden ist. Danach macht sich strafbar, wer einen Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt oder als Gegenleistung dafür den Verlauf oder das Ergebnis einer Sportveranstaltung wettbewerbswidrig beeinflusst. Das ist der Fall, wenn zum Beispiel der Trainer einer Fußballmannschaft dieser aufträgt, ein Spiel bewusst zu verlieren, wenn ein Torwart gegen Entgelt absichtlich Tore zulässt oder wenn ein Schiedsrichter bewusst spielentscheidende Fehlentscheidungen trifft. Hier soll insbesondere die Integrität des Sportes geschützt werden. Grundsätzlich – das will ich klar sagen – spricht sich selbstverständlich auch die Linke für einen besseren Schutz gegen Sportwettbetrug aus. (Beifall bei der LINKEN) Ich darf darauf verweisen, dass wir schon in unserem Antrag zum Anti-Doping-Gesetz – Drucksache 18/2308 – gefordert hatten, dass der Staat zum Schutz des Sportes und seiner Werte und nicht zuletzt sportlicher Wettbewerbe selbst ein solches Regelwerk schaffen muss. Angesichts der teilweise exorbitanten Summen, die auf legale oder auch illegale Weise durch den Sport umgesetzt werden, sowie der schweren Schäden, die durch Betrug verursacht werden können, besteht durchaus dringender Handlungsbedarf. Der Sport allein kann dieses Problem nicht lösen. Deshalb brauchen wir neben den sportlichen auch staatliche Sanktionsmechanismen, die sich gegenseitig ergänzen. Ich habe aber Fragen: Reichen die derzeit geltenden strafrechtlichen Bestimmungen wirklich nicht aus, um Schuldige zu belangen? Warum soll Manipulation nur bei berufssportlichen Wettbewerben als Straftatbestand angewandt werden? Was geschieht zum Beispiel, wenn beim Fußballspielen im Amateurbereich Spiele gekauft werden, die am Ende aber über den Aufstieg in den Profibereich entscheiden? In wie vielen und welchen Sportarten gibt es überhaupt echte Profis? Und ist es nicht so, dass selbst die Spitzenathleten in vielen Sportarten nicht von der Ausübung ihrer Sportart leben können und zusätzliche Unterstützung benötigen? Soll dort dann straffrei manipuliert werden können? Diese und andere Fragen sind nicht wirklich hinreichend beantwortet. Es bestehen viele Lücken und Graubereiche, beispielsweise hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Amateur- und Berufssport. Deshalb lautet mein Resümee: Nicht alles, was in bester Absicht vorgelegt wird und auf den ersten Blick gut aussieht, ist letztlich wirklich geeignet. Deshalb können wir als Linke dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern werden uns der Stimme enthalten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. André Hahn. – Der nächste Redner ist Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hahn, ich darf gleich am Anfang etwas berichtigen. Es ist nicht richtig, dass das Protokoll der Anhörung bis zu diesem Moment nicht vorliegt. Es wurde heute Mittag kurz nach zwölf verschickt. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Heute Mittag!) – Ja gut, wir wollen bei der Wahrheit bleiben. Jetzt haben wir 0.37 Uhr. Das heißt, es wäre ein bisschen Zeit gewesen, um das eine oder andere noch nachzulesen, wenn es für Sie so interessant gewesen wäre. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung? Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Aber wahnsinnig gerne. (Zuruf von der CDU/CSU: Der Tag ist noch jung!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, das glaube ich Ihnen. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Ich bedanke mich, dass ich kurz eine Frage stellen kann. – Können Sie mir sagen, wie ein Abgeordneter, ohne dass er dieses Protokoll – es lag zum Zeitpunkt der Beschlussfassung im Ausschuss nicht vor; es liegt mir auch jetzt nicht vor – lesen konnte, in den Ausschusssitzungen auf die wirklich gravierenden rechtlichen Einwände der Sachverständigen eingehen und eventuell daraus Änderungsanträge ableiten konnte? (Frank Tempel [DIE LINKE]: Anhörungen sind bei der Union nur Placebos!) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Die Frage ist unglaublich spannend, lieber Kollege Hahn. Die habe ich mir nämlich vorhin auch gestellt, weil Sie meiner Erinnerung nach just bei der Ausschusssitzung, in der dieses Gesetz besprochen worden ist, gar nicht anwesend waren. Darum habe ich überhaupt nicht verstanden, warum Sie die Beratungen im Rechtsausschuss beklagt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern Abend gab es eine Sternstunde des internationalen Sports. Der FC Barcelona besiegte Paris Saint-Germain mit 6:1, nachdem es für Barcelona nach dem mit 0:4 verlorenen Hinspiel sehr schlecht aussah. Vor allem die Tore in der 88., 91. und 95. Minute erzeugten das, was viele Medien heute als Fußballwunder bezeichnet haben. Meine Damen und Herren, was ist es, was die Menschen am Sport so begeistert? Ich glaube, es sind drei Dinge. Das sind einmal die Hochleistungen, erzeugt durch Technik, Schnelligkeit und Kraft. Dann ist es der Siegeswille, der immer zu spüren ist. Und es gibt noch eine dritte Komponente, die, glaube ich, heute sehr wichtig ist, nämlich die Unvorhersehbarkeit des Ausgangs. Niemand besucht ein Fußball- oder Tennismatch, wenn er weiß, wie das Ergebnis am Ende aussieht, egal wie gut die Sportler auf dem Platz sind. Diese Begeisterung hat in den letzten Jahrzehnten einen echten internationalen Wirtschaftssektor geschaffen. Es geht um Geld. Da, wo es um Geld geht, wetten Menschen, um etwas von diesem Geld abzubekommen. Dann gibt es auch diejenigen, die auf illegale Art und Weise an das Geld kommen wollen. Dann muss der Rechtsstaat überlegen: Müssen wir einschreiten? Müssen wir die Bürger, müssen wir Rechtsgüter schützen? In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Reichen die §§ 263 und 299 StGB aus? Diese Frage kann man stellen. Mit Blick auf § 299 StGB kann man immerhin sagen: Der internationale Sportbereich ist doch ein Wirtschaftssektor. Ist das nicht so etwas wie ein geschäftlicher Verkehr? Er greift aber deswegen nicht, weil es eben nicht um den Bezug von Waren und Dienstleistungen geht. § 263 StGB kam hin und wieder zur Anwendung, nämlich über die Beihilferegelungen für Sportler und auch für Schiedsrichter, aber immer nur dann, wenn es einen Wettbezug gibt. Hinzu kommt noch eine dritte Komponente. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das ist ein Dreiklang, so will ich es einmal beschreiben. Die Begeisterung für Sport ist der Grund für die wirtschaftliche Existenz dieses Sektors. Diese Begeisterung wird hervorgerufen durch Hochleistung, Siegeswillen und den ungewissen Ausgang. Wer Spiele verschiebt, der führt Leistungen und den Siegeswillen ad absurdum. Er zerstört eben auch die Begeisterung an dem ungewissen Ausgang. Damit wird genau die Grundlage dieses internationalen Wirtschaftssektors vernichtet. Deshalb ist es richtig, dass wir die Verletzung der Integrität des Sportes in einem separaten Straftatbestand abbilden. Wir etablieren zwei neue Straftatbestände: § 265c StGB – Sportwettbetrug – für Manipulationsabreden mit Bezug auf Sportwetten, und § 265d StGB, Manipulationsabreden ohne Sportwettbezug. Wichtig ist mir am Ende eins: Ich glaube, eine Abbildung beispielsweise durch eine Veränderung von § 299 StGB alleine wäre nicht sachgerecht gewesen. Natürlich kann man sagen: § 299 StGB ist doch so etwas Ähnliches. Er schützt die Integrität des geschäftlichen Verkehrs. Aber ich will Ihnen ein Gegenbeispiel nennen. Nehmen wir den Abschluss von Energielieferverträgen. Wer da manipuliert, der schadet natürlich dem Ansehen der Branche. Manche Menschen werden sich von dem einen Unternehmen abwenden und sich dem anderen zuwenden. Aber sie werden sich nicht von der ganzen Branche abwenden, weil Energie erforderlich ist und sie Energie beziehen müssen. Beim Sport ist das anders. Schauen Sie sich die Beispiele an, die wir haben, etwa die Dopingskandale im Radsport, die mittlerweile dazu geführt haben, dass in vielen Ländern die Berichterstattung der Tour de France gestoppt wurde. Wir müssen damit rechnen, dass sich Menschen bei Betrug oder Manipulationen im Sport von ganzen Sportbereichen abwenden. Deswegen ist es wichtig, dass wir Betrug und Manipulationen in anderen Straftatbeständen abbilden. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetz. Ich werbe um Ihre Zustimmung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Die nächste Rednerin: Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass der Gesetzentwurf, den wir jetzt beraten, wieder einmal ein Musterbeispiel für den verfehlten Einsatz des Strafrechts durch die Große Koalition ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ja, Sport hat eine herausragende gesellschaftliche Rolle, und zwar sowohl der Profibereich als auch der Bereich der Amateure; der letzte Bereich mittlerweile vielleicht sogar mehr. Ja, Fairness und Integrität sind Grundvoraussetzungen, machen etwas aus und können gesellschaftlichen Einfluss haben. Aber Fairness und Integrität sind einschließlich des Verbots von Spielmanipulationen und des Verbots der Herausgabe von Insiderkenntnissen in den Regelkatalogen der Vereine und Verbände schon enthalten. Ich finde, dahin gehören sie, nicht in ein Strafgesetzbuch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen keinen zusätzlichen speziellen Straftatbestand. Mit dem, was bereits vorhanden ist, nämlich mit den §§ 263 und 299 StGB, Betrug sowie Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, können wir gegen Sportwettbetrug vorgehen. Deshalb kommen wir zu dem Ergebnis: Dieses Gesetz ist unnötig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit stehen wir nicht alleine, sondern sowohl der Deutsche Anwaltverein als auch der Deutsche Richterbund haben in den Anhörungen von einem solchen Gesetz, von einer solchen Regelung abgeraten. Die Integrität des Sports – das haben wir schon beim Doping diskutiert – und das rein wirtschaftliche Interesse der Sportwettenanbieter sind keine Rechtsgüter, die für meine Begriffe eine solche Rechtsqualität aufweisen, dass sie durch das Strafgesetzbuch geschützt werden müssen. Dann werden Sie demnächst auch Musikwettbewerbe, vielleicht den Eurovision Song Contest, Frau Präsidentin, den Architektenwettbewerb und andere Wettbewerbe strafrechtlich schützen müssen. Ich finde, dass solche Begriffe wie Integrität gar nicht in das Strafgesetzbuch gehören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun lasse ich einmal Details beiseite, die in diesem Gesetzentwurf noch enthalten sind. Was ist eigentlich Berufssport? Soll sich die Staatsanwaltschaft jetzt alle Spiele ansehen und dann, wenn eine Rote Karte fälschlicherweise gezogen wurde, am nächsten Morgen einen Prüfvorgang anlegen? Das ist nicht Ihr Ernst, oder? Ich finde, dass dieses Gesetz mehr Unklarheiten schafft als Klarheiten. Wir sind der festen Überzeugung, dass hier etwas mit den Mitteln des Strafgesetzbuchs geregelt wird, was der Sport selbsttätig regeln kann und müsste. Warum sind wir hier am Gängelband vom DFB und anderen, um deren Hausaufgaben zu erledigen, damit Herr Grindel dann sagt: „Wir tun ja viel“? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir tun viel in einem Bereich, der wirtschaftlich nicht gerade darbt. Es gibt Jungs, die so viel Geld haben, dass sie sich fragen, wohin damit. Manche bringen es in die Karibik. Die haben so viel Geld, dass sie das Personal bezahlen könnten, das notwendig ist, um für andere Strukturen zu sorgen. So wie es in einem berühmten Lied heißt: „Es kann die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter sein“, heißt es hier: Es kann die Integrität des Sportes nur das Werk des Sportes sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir könnten klare Vergaberegeln für Sportgroßveranstaltungen auflegen. In korruptionsbelasteten Staaten gibt es keine Sportgroßveranstaltungen mehr. Ich höre, dass 18 Vereine einen Wettanbieter als Sponsor haben. Was ist das denn? Da lebt man als Sponsor davon, dass einer auf Halbzeitergebnisse wettet oder darauf, dass die Rote Karte falsch ist. Meine Damen und Herren, das meinen Sie doch nicht ernst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht könnten die Liga und der DFB einmal Seriositätskriterien in Bezug auf den Werbepartner festlegen. Sie sollten nicht mit Sportwettenanbietern zusammenarbeiten, die sich in ausländischen Niedrigsteuergebieten bewegen. Ich kann Ihnen nur mit Fragen kontern: Warum gründet der Sport nicht endlich selbst eine unabhängige Anti-Korruptions-Agentur? Warum hat die Bundesregierung 2013 die angekündigte nationale Plattform gegen Spielmanipulationen nicht durch- und umgesetzt bzw. gar nicht eingerichtet? Warum soll eigentlich die Allgemeinheit finanziell und personell das regeln, was der Sport mit seinen Geldern tun kann? Warum sollen eigentlich wir mit den engen personellen Kapazitäten und angesichts eines Generalbundesanwalts, der den Ländern sagt: „Schickt mir mehr erfahrene Staatsanwälte“, etwas regeln, was der Sport selber regeln kann und muss? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Renate Künast. – Der nächste Redner: Matthias Schmidt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Wahrheit liegt auf dem Platz.“ Otto Rehhagel meinte mit seiner Fußballwahrheit jeden Fußballplatz vom Bolzplatz bis zur Bundesliga. Auf dem Bolzplatz lernten viele von uns und lernen auch heute noch viele Jungs und viele Mädchen die Werte des Sports: Fairness, Respekt, Leistungsbereitschaft, Disziplin, Teamplay, Hinfallen und Aufstehen und im weitesten Sinne auch die Demokratie. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ich habe immer versucht, Elfmeter herauszuschinden!) – André, das hätte ich nicht von dir gedacht. Um die Wahrheit auf dem Platz feststellen zu können, brauchen wir Regeln, Spielregeln, die transparent sind für alle und ohne Ausnahme gelten. Es gibt aber Einzelfälle im Sport, da gelten diese Regeln nicht. Da wird betrogen und manipuliert, und der autonome Sport, Frau Künast, ist nicht in der Lage und war nicht in der Lage, das alleine zu regeln. Darum braucht es einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, und das ist gut so. Ich möchte an dieser Stelle neben der rechtlichen Notwendigkeit aus der Perspektive des Sports auf die Bedeutung des Gesetzentwurfs eingehen, insbesondere mit Blick auf einen wirksamen Schutz vor Manipulation und Wettbetrug. Ob auf dem Bolzplatz oder in großen Stadien: Winkt ein Gewinn, versuchen manche, die Regeln zu umgehen. Das Streben nach persönlichem Profit verleitet kriminelle Geister zu Betrug und Manipulation, erst recht dann, wenn, wie das bisher der Fall war, kaum rechtliche Konsequenzen zu befürchten sind. Darunter leiden alle, die sich dem Sport verbunden fühlen, zuallererst seien hier die Fans genannt. Nicht nur ihr Team, sondern gleich die ganze Sportart nimmt Schaden und gerät ins Zwielicht. Es fällt auch auf die unbescholtenen Sportlerinnen und Sportler zurück, und wo Spielmanipulation und Sportwettbetrug nicht ausreichend geahndet werden, ist auch die Debatte um Doping nicht weit. Auch die Glaubwürdigkeit der Schiedsrichter leidet. Die Missetat eines Einzelnen – wir haben das alle noch im Kopf – fällt auch allen anderen auf die Füße. Aber auch jene, die auf ehrliche Weise mit Sportwetten Geld verdienen, werden in Mitleidenschaft gezogen. Ja, auch der dahinterstehende Wirtschaftszweig muss hier mitberücksichtigt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nicht zuletzt leiden auch die Sportvereine, ob große oder kleine, unter Sportwettbetrug und Manipulation, wenn Verdächtigungen und Misstrauen aufkeimen. Sport fungiert als zentraler Träger der Werte, die ich eingangs nannte. Deswegen tragen wir hier im Deutschen Bundestag eine große Verantwortung für den Sport und für unsere Gesellschaft. Die strafrechtliche Verfolgung derlei Geschäfte ist bislang nur unzureichend möglich. Darum schließt der vorliegende Gesetzentwurf eine Lücke und bestraft Wettbetrug wenigstens. Nichtsdestotrotz sollten wir uns auch die Frage nach möglichen Präventionsmaßnahmen stellen: Wie können wir frühzeitig gegen Betrug und Manipulation im Sport vorgehen? Wir dürfen die Strukturen, die kriminelles Verhalten begünstigen, nicht aus den Augen verlieren. Zusätzlich muss aber Aufklärungsarbeit geleistet werden. Die Menschen müssen davon überzeugt werden, dass sich Betrug nicht lohnt, auch abseits von gesetzlichen Vorgaben. Spielsüchtigen Menschen muss geholfen werden, da ihre Lage sie scheinbar zu Betrug und Manipulation zwingt. Ich bin zusätzlich der Meinung, dass wir auch international zum Handeln aufgefordert sind, nicht zuletzt wegen der nicht enden wollenden niederschmetternden Erkenntnisse im Zuge mehrerer FIFA-Skandale. Wir können heute deutlich machen, dass uns der Sport und die Werte, die er vermitteln sollte, nicht egal sind. Der Gesetzentwurf schließt eine Lücke und hilft auch, durch Abschreckung kriminellen Machenschaften eine klare Absage zu erteilen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit oder, um es mit Trapattoni zu sagen: Ich habe fertig. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Matthias Schmidt. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Ingo Wellenreuther für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, Sie alle um diese Uhrzeit hier zu sehen. – In den Koalitionsverhandlungen haben wir beschlossen, ein deutliches Signal für einen sauberen, manipulationsfreien Sport zu setzen. Nach dem Anti-Doping-Gesetz im letzten Jahr verabschieden wir heute ein Gesetz gegen den Sportwettbetrug und gegen die Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe und stellen dies unter Strafe. Wir sind dies den ehrlichen Sportlerinnen und Sportlern schuldig, aber auch den Anbietern von Sportwetten, Wettteilnehmern, Sportvereinen, Veranstaltern, Sponsoren und auch der Öffentlichkeit ganz allgemein. Aber auch der organisierte Sport, insbesondere der Deutsche Fußballbund, begrüßt die Einführung der neuen Straftatbestände. Es geht hier um Manipulationsabreden im Sport. Diese werden in Zukunft als Sportwettbetrug in § 265c StGB unter Strafe gestellt, wenn sie einen Bezug zu Sportwetten haben, und in § 265d StGB, wenn sie berufssportliche Wettbewerbe betreffen, ohne einen Bezug zu Sportwetten zu haben. Letzteres ist der Union zu verdanken, weil wir es nicht nur den Verbänden überlassen wollten, interne Strafen auszusprechen; denn eine strafrechtliche Verurteilung wird den Taten eher gerecht. Auch die Abschreckungswirkung ist durch einen Straftatbestand eine andere. Wir waren auch aus rechtspolitischer Sicht aufgerufen, die Integrität des Sports sowie die Vermögensinteressen vieler Beteiligter zu schützen. Der Verlauf und das Ergebnis sportlicher Wettbewerbe dürfen weiterhin nicht voraussehbar sein. Gerade dies macht ja den Sport für viele Menschen so attraktiv und reizvoll. Die bisherigen Straftatbestände waren nicht ausreichend. Kriminelles Verhalten von Sportlern konnte oft nur als Beihilfe geahndet werden, und die Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe war gar nicht strafbar. Darüber hinaus gab es Beweisschwierigkeiten, oder die Strafbarkeit scheiterte am konkreten Nachweis eines Vermögensschadens. Kern des abstrakten Gefährdungsdelikts beim Sportwettbetrug ist die Unrechtsvereinbarung, mit welcher die Vorteilsannahme als Gegenleistung für die Beeinflussung des Wettkampfs mit dem Vermögensvorteil einer Sportwette verknüpft wird. Täter sind Spieler oder Trainer. Dazu zählen in Zukunft dank unseres Einsatzes auch Athletiktrainer, Technik- oder Torwarttrainer, wenn sie auf Geschehnisse Einfluss nehmen können. Dank des Einsatzes der Union ist der Sportwettbetrug auch in den Katalog der Geldwäschevortaten aufgenommen worden. Bei der Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe reicht es aus, wenn Ergebnisse manipuliert werden, auch ohne dass eine Sportwette damit in Zusammenhang steht. Dazu gehören Absprachen über den Spielausgang, etwa zur Verhinderung des eigenen Abstiegs. Das konnte man ja – das ist schon lange her – 1971 beim damaligen Bundesliga-Skandal beobachten. Für beide Straftatbestände ist es durch die Änderung von § 100a StPO auch gelungen, den Behörden die Befugnisse zur Überwachung der Telekommunikation einzuräumen. Besser wäre es meines Erachtens gewesen, wenn in besonders schweren Fällen der Strafrahmen ausgeweitet worden wäre. Vor dem Hintergrund der Millionenbeträge, die gewettet werden, wäre ein höherer Strafrahmen schuldangemessener gewesen und hätte auch eine bessere abschreckende Wirkung erzielt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich sehr zufrieden bin, dass wir in dieser Wahlperiode, nachdem wir im letzten Jahr zunächst das Anti-Doping-Gesetz verabschiedet haben, nunmehr mit diesem Gesetz im Kampf gegen Spielmanipulationen mit und ohne Bezug zu Sportwetten ein deutliches Signal für einen sauberen, ehrlichen und fairen Sport setzen können. Ich hoffe auf eine präventive Wirkung des Gesetzes, damit es zu solchen Taten erst gar nicht mehr kommt, meine Damen und Herren. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Wellenreuther. – Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11445, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8831 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD. Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten hat sich die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD. Dagegengestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten hat sich die Linke. Ich begrüße die Gäste auf der Tribüne, die so zahlreich, warum auch immer, jetzt erschienen sind, (Beifall) und rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) Drucksachen 18/9982, 18/10344, 18/10444 Nr. 1.6 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/11450 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und aussagekräftig ausgestalten – Umsetzung der CSR-Richtlinie Drucksachen 18/10030, 18/11450 Nach interfraktioneller Vereinbarung sind 25 Minuten für die Aussprache vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Sie wollen also nicht länger debattieren. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat Metin Hakverdi. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Metin Hakverdi (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die Europäische Union. (Zuruf des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Heute ist ein guter Tag für die Entwicklung der Unternehmenskultur in unserem Land, aber auch in Europa. Mit der Umsetzung der CSR-Richtlinie stellen wir wichtige Weichen für die Unternehmensführung, für die Zukunft von Unternehmen und ihrer Berichterstattung in Deutschland und ganz Europa: Einführung der Berichtspflichten in den Bereichen Umwelt, Arbeitnehmer und Sozialbelange, in den Bereichen der Achtung der Menschenrechte und der Bekämpfung von Korruption bis in die internationale Lieferkette hinein. Das bedeutet, dass Unternehmen zukünftig nicht nur das Ziel verfolgen dürfen und sollen, mit guten und wettbewerbsfähigen Produkten und Dienstleistungen Geld zu verdienen; nein, sie sollen auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen, diese nicht nur beachten, sondern in ihren Berichten darüber auch öffentlich Rechenschaft ablegen. Wir glauben fest daran, dass Profit und Verantwortung kein Widerspruch sein muss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Corporate Social Responsibility, das ist schwer zu übersetzen. Ich versuche es mal mit „gesellschaftliche unternehmerische Verantwortung“ oder „soziale unternehmerische Verantwortung“. Es ist eine Verantwortung, an die die Unternehmen in jedem Jahr bei ihrer Berichtserstellung erinnert werden. Es geht aber um mehr. Es geht um Verbraucherinnen und Verbraucher, die die Produkte und Dienstleistungen immer mehr danach bewerten, inwieweit Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung auch tatsächlich nachkommen. Deshalb legen größere Unternehmen auch jetzt schon, ohne die gesetzliche Pflicht, CSR-Berichte vor. Im Übrigen spielt die nichtfinanzielle Information in den Berichten zum Umgang mit Menschenrechten, Umweltbelangen und sozialen Belangen auch auf dem Kapitalmarkt eine immer größere Rolle. Ein Satz am Ende zu den Vorschlägen der Grünen. Wir hätten uns auch mehr gewünscht. Sicherlich hätten wir uns einen größeren Anwendungsbereich gewünscht. Sicherlich hätten wir uns die Debatte über die Verbraucherbelange an prominenterer Stelle gewünscht. Aber dies ist ein erster guter Schritt. Wir wünschen uns, dass wir in Zukunft, nach der Evaluierung auf europäischer Ebene und nach den Berichten über die Erfahrungen auf nationaler Ebene, auf dieser Schiene weiterfahren, um den Konflikt zwischen Gewinn und sozialer Verantwortung in Zukunft nicht größer werden zu lassen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, in Anbetracht der Uhrzeit besonders bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung. Einen schönen Abend! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Hakverdi. – Nächste Rednerin: Birgit Menz für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Birgit Menz (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Wirtschaft soll dem Gemeinwohl dienen. Doch tut sie das, wenn immer weniger Konzerne immer größere Profite einstreichen und gleichzeitig immer mehr Menschen schlechte Arbeitsbedingungen haben? Wenn deutsche Unternehmen bei der Herstellung ihrer Produkte die Schädigung der Gesundheit von Arbeiterinnen und Arbeitern, die Zerstörung der Umwelt und die Missachtung von Sozialstandards in Kauf nehmen, dient das nicht dem Gemeinwohl. Nennen wir die Dinge beim Namen: Das Bekleidungsunternehmen KiK oder der Spielzeughersteller Schleich lassen in Bangladesch oder China produzieren, um fairen Löhnen, guten Sozialstandards und strengen Umweltschutzregeln aus dem Weg zu gehen. Zweck ist ausschließlich die Profitmaximierung. Die damit verbundenen Umwelt- und sozialen Kosten aber tragen gerade die armen Menschen, die am stärksten unter den Folgen des sozialen und ökologischen Raubbaus leiden und weniger in der Lage sind, ihre Interessen durchzusetzen. Für die Linke möchte ich klarstellen: Wer Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung verursacht, soll sich dafür verantworten müssen. (Beifall bei der LINKEN) Das Verursacherprinzip muss in unserem Wirtschaftssystem wieder durchgesetzt werden. Einige deutsche Unternehmen zeigen, dass man Produkte unter fairen Bedingungen herstellen und zu fairen Preisen auf den Markt bringen kann. Auch wenn Waren aus den Ländern des Südens bezogen werden, kann jedes Unternehmen sicherstellen, dass die Lieferbeziehungen fair sind. Das setzt aber voraus, dass man für seine gesamte Lieferkette Verantwortung übernimmt. Leider sind die meisten Unternehmen dazu nicht freiwillig bereit. Sie werden erst dann wirklich handeln, wenn sie rechtlich dazu verpflichtet werden. Mit der Umsetzung der europäischen CSR-Richtlinie sollen Unternehmen über ihr nichtfinanzielles Wirtschaften Bericht erstatten. Sie sollen öffentlich über die Achtung von Menschenrechten, Umweltschutzstandards, Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechten sowie über Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung informieren. Verbraucherinnen und Verbraucher können sich so Klarheit verschaffen, ob Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden. Damit werden die Unternehmen gestärkt, die sich tatsächlich der Gemeinwohlökonomie verpflichtet fühlen. Diese Idee ist gut und richtig, aber die Bundesregierung setzt sie nicht konsequent genug durch. Statt klarer Berichtspflichten können sich fast alle Unternehmen vor Auskünften drücken. Nur 3 Prozent der großen Unternehmen in Deutschland werden nach dem Vorschlag der Bundesregierung einen Bericht vorlegen müssen. Der Gesetzentwurf sieht sogar vor, dass Unternehmen Angaben über nachteilige Entwicklungen weglassen können. Und: Die Berichte müssen nicht einmal durch unabhängige Gutachter geprüft werden. Lebensmittelkonzerne wie Aldi und Lidl, die derzeit wieder wegen massiver Verletzung von Arbeiterrechten auf den Plantagen in der Kritik stehen, müssen nicht ein Wort über ihr unverantwortliches Handeln sagen. Das ist nicht hinnehmbar. Die Linke fordert, dass alle deutschen Unternehmen, die im globalen Handel tätig sind, ab sofort verpflichtet werden, die Einhaltung von Menschenrechten, Umweltschutzstandards, Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechten und Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung durchgängig zu garantieren. (Beifall bei der LINKEN) Was wir brauchen, ist eine Pflicht zur Gemeinwohlökonomie, und zwar für alle Unternehmen. Wenigstens das sind wir den Menschen schuldig, die in anderen Ländern unseren Wohlstand produzieren. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Birgit Menz. – Der nächste Redner: Dr. Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Frau Präsidentin, schönen guten Morgen! Vizepräsidentin Claudia Roth: Guten Morgen! Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Den Kolleginnen und Kollegen ebenfalls einen guten Morgen! Das Faszinierende ist, zu sehen, dass wir selbst zu dieser morgendlichen oder nächtlichen Stunde noch viele Zuschauer haben. Der Einwand, dass wir hier nicht vor Publikum diskutieren, wie wir ihn gerade eben von den Linken (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und auch von den Grünen gehört haben, ist überhaupt nicht wahr. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben dafür gesorgt!) Wir diskutieren hier freudig weiter. Ich habe Zeit bis morgen früh. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Morgen ist Samstag!) Ich bin Kölner. Ich kann das nur bestätigen: Wir können weitermachen. Vielleicht ist auch die Präsidentin dann irgendwann zu Hause. Aber gerne auch zur Sache. Liebe Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es bei Corporate Social Responsibility? Kollege Hakverdi hat es eben schon gesagt: Den Wert eines Unternehmens machen nicht nur die Waren aus, die im Regal stehen, sondern auch das, was sozusagen drumherum ist oder auf das man drumherum einwirkt, nämlich die Belastungen auf die Umwelt. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir diese Werte einerseits und die Belastungen andererseits in die Bewertung des Unternehmens, wie das in der Bilanz gemacht wird, einbeziehen. Kollege Hakverdi hat das eben erläutert. Das ist der Konzeptansatz der europäischen Richtlinie, mit der auf europäischer Ebene jetzt versucht wird, dies zu vereinheitlichen, und die wir heute hier umsetzen wollen. Das Umsetzungsgesetz sieht dabei eine Erweiterung der allgemeinen Berichtspflichten im Lagebericht durch die Einführung einer sogenannten nichtfinanziellen Berichterstattung für kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern vor. Die Unternehmen können dabei grundsätzlich wählen, ob sie diese Berichtspflichten innerhalb des Lageberichts oder gesondert auf der Homepage erfüllen. Wenn sie diese Berichterstattung vornehmen, muss diese – das haben wir noch ein kleines bisschen klarer formuliert – in Anlehnung an andere Regelungen spätestens innerhalb von vier Monaten nach dem Abschlussstichtag erfolgen. Wir haben aber andererseits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens klargestellt, dass es nicht notwendig ist, diesen Bericht zu erstellen, wenn ein irgendwo liegendes Mutterunternehmen einen vergleichbaren Bericht erstellt hat. Es ist nicht erforderlich, dass es ein Mutterunternehmen mit Sitz im EWR ist. Inhaltlich muss berichtet werden über Umweltbelange, Arbeitnehmerbelange, Sozialbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption. Im Gesetzestext finden sich dafür jeweils Beispiele. Dabei ist insbesondere über die wesentlichen Risiken, die mit den Geschäftsbeziehungen und der Gesellschaft verbunden sind, ihren Produkten und Dienstleistungen und die sehr wahrscheinlich schwerwiegenden negativen Auswirkungen zu berichten. Wir haben dabei sichergestellt, dass nur berichtet werden muss, soweit die Angaben von Bedeutung sind und die Berichterstattung über diese Risiken verhältnismäßig ist. Bei allem Verständnis nach weiteren zusätzlichen Informationen – das haben die Grünen in ihrem Antrag zusätzlich gefordert, und die Linken haben es auch gesagt; ich habe immer ein unbegrenztes Informationsinteresse – müssen wir die Frage stellen, ob der Aufwand für die Beschaffung und die Kontrolle dieser Informationen verhältnismäßig und angemessen ist. Deshalb ist es richtig, dass wir bei der Umsetzung dieser Richtlinie nicht festlegen, dass die Angaben durch einen externen Prüfer überprüft werden müssen, sondern es dabei belassen, dass der Aufsichtsrat den entsprechenden Bericht auf die Richtigkeit, die Stimmigkeit überprüft. Natürlich kann der Aufsichtsrat einen externen Prüfer beauftragen. Andererseits gilt, wenn er die Prüfung selbst vornimmt, dass er natürlich mehr tun muss, als nur festzustellen, dass der Bericht vorgelegt worden ist. Er muss ihn zumindest selbst auf Plausibilität überprüfen. Was die inhaltliche Seite angeht, sehe ich den Kollegen Kelber an. Wir haben natürlich darüber gestritten – er ist noch wach, ich sehe es; ich hoffe, ich habe ihn nicht geweckt –, ob wir die Angaben zum Daten- und Verbraucherschutz in die Berichtspflicht aufnehmen sollten. Ich bin nach wie vor der Meinung – Sie haben sich unserer Meinung angeschlossen; angeschlossen nicht, wir merken, der Dialog funktioniert –, dass es an dieser Stelle systemfremd wäre, dies einzubauen. Ich bin nicht gegen Verbraucherschutz, aber er gehört nicht in das Bilanzrecht. Bei der Frage, ob ein Rahmenwerk heranzuziehen ist, haben wir noch einen weiteren Punkt klargestellt. Man muss offenlegen, welches Rahmenwerk man herangezogen hat oder ob man keines herangezogen hat. Wir haben nicht vorgesehen, dass ein bestimmtes Rahmenwerk herangezogen werden muss; denn das ist aus verfassungsrechtlichen Gründen bedenklich. Ein letzter Punkt. Wir setzen das Gesetz rückwirkend zu Beginn dieses Geschäftsjahres in Kraft, weil wir es nicht geschafft haben, es rechtzeitig vor der Jahreswende zu verabschieden. Das liegt mit Sicherheit daran, dass wir als Unionsfraktion gesagt haben – Herr Kelber, ich stelle das gerne klar –, Gesetze, die die Wirtschaft belasten, wollen wir nicht vorziehen, wenn andere Gesetze, die Begünstigungen für die Wirtschaft vorsehen, verzögert werden. Das war das Insolvenzanfechtungsgesetz. Wir bekommen es rückwirkend umgesetzt. Das ist rechtlich kein Problem, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht. Deshalb glaube ich, wir haben einen guten Kompromiss, und dafür bitte ich um Ihre Zustimmung. Vielen Dank und gute Nacht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Noch nicht. Vielen herzlichen Dank. Sie hören jetzt sicher noch den drei nächsten Rednern zu. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Aber natürlich!) – Vielen Dank, Herr Dr. Hirte. – Nächste Rednerin: Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich finde – das sage ich an die Koalition gerichtet –, Sie haben eine Chance verpasst. Sie haben erstens die Chance verpasst, deutschen Unternehmen zu helfen, verstärkt auf den Weg der Nachhaltigkeit zu gehen. Es geht doch nicht um Anfeindung oder Bürokratie. Gucken Sie sich einmal die großen Unternehmen an, die international tätig sind. Sie wissen doch, woher ihre Produkte kommen, wie, unter welchen Bedingungen und Kriterien, sie hergestellt worden sind, und haben zur Zusammenstellung dieser Informationen die entsprechende Technik. Herr Professor Hirte, Sie sagen, Sie hätten auch ein unbändiges und unstillbares Informationsbedürfnis, aber das alles würde nicht in diesen Bericht hineingehören. Sie schreiben es nicht hinein. Aber das ist für die Kunden am Ende uninteressant; denn im digitalen Zeitalter tauschen wir die Daten aus. Wir wissen, wer in Bangladesch zu welchen Bedingungen produziert. (Zuruf des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) – Nein. – Man findet das am Ende alles heraus. Dann müssten Sie doch eigentlich an der Stelle denken, dass man es lieber systematisch aufschreiben lassen sollte; denn es ist dann wenigstens ein Wettbewerbsvorteil für die Unternehmen, (Zuruf des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) und sie bauen es tatsächlich in ihr Management ein. Zweitens haben Sie es bei dem, was Sie dann irgendwie aufgrund der europäischen Richtlinie regeln mussten – sonst hätten Sie es ja gar nicht angepackt –, verpasst, eine Regelung zu schaffen, die zu aussagekräftigen und vergleichbaren Ergebnissen führt. Sie haben blinde Flecken in diesem Gesetz. Ich verstehe gar nicht, warum man die Unternehmen nicht dazu verpflichten sollte – man kann das im Rahmen der Richtlinie –, dass sie über die Risiken für Mensch und Umwelt berichten, die sich aus ihrer unternehmerischen Tätigkeit ergeben. Dann würden sie auch berichten, wie sie diese minimieren wollen – das interessiert uns doch. Aber am Ende ist es so: Bei Ihnen gilt die Berichtspflicht nur, wenn dadurch Gewinneinbußen für Unternehmen drohen; das soll das Unternehmen selber beurteilen. Für wie blöd halten Sie uns, wenn Sie meinen, wir glaubten, dass ein Unternehmen schreibt: Wir verhalten uns beim Färbeprozess so, dass wir das ganze Färbewasser in den nächsten Fluss gießen; das wird uns wirtschaftlich schaden, und deshalb müssen wir darüber berichten. – So macht die Geschichte meines Erachtens überhaupt keinen Sinn. Die Unternehmen können jetzt faktisch selber festlegen, über was sie berichten und über was sie lieber nicht berichten. Meine Damen und Herren, ich sage es noch mal: Die NGOs, die Gewerkschaften merken es am Ende doch – warum dann nicht systematisch machen? Warum nutzen Sie nicht die Chancen, die in der europäischen Richtlinie liegen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was haben Sie bei anderen konkreten Punkten gemacht? Zum Anwendungsbereich – wer ist berichtspflichtig? – wurde schon gesagt: nur kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern. In der Antwort auf eine Frage des Kollegen Gerhard Schick kam damals heraus: Nach einer vorläufigen Schätzung des Bundesanzeigers … dürften … ca. 300 Unternehmen berichtspflichtig sein. Wer ist draußen? So unbedeutende Unternehmen wie zum Beispiel die Deutsche Bank. Sonst ist die Deutsche Bank überall dabei, nur hier soll sie nicht über Nachhaltigkeit usw. berichten. Aldi ist nicht dabei, obwohl sie große, internationale Auftraggeber in vielen Bereichen sind, auch in Entwicklungsländern, mit langen Produktions- und Lieferketten. Warum sollen sie eigentlich nicht berichten, meine Damen und Herren? dm, Ferrero und viele andere müssen auch nicht berichten. Daran sieht man doch, wie eng Ihre Umsetzung der CSR-Richtlinie ist, meine Damen und Herren. Wir meinen, es muss nicht nur um börsennotierte Unternehmen gehen, sondern auch um Unternehmen gehen, die wegen ihrer Größe von öffentlichem Interesse sind. Sie sind gerade auf die Standardisierung eingegangen. Sie machen nicht einmal die Vorgabe, dass man den Bericht anhand standardisierter Rahmenwerke erstellen muss, also zum Beispiel anhand der Standards der Global Reporting Initiative, des Deutschen Nachhaltigkeitskodex oder der Leitsätze der OECD. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das geht verfassungsrechtlich nicht!) In der Anhörung gab es vernichtende Kritik. Alle haben gesagt, das mache keinen Sinn, weil die Berichte nichts aussagten, wenn man sie nicht vergleichen könne. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Da war kein Verfassungsrechtler dabei!) Jetzt sagen Sie: Okay, das ändern wir. – Man soll dann angeben, warum man ein bestimmtes Rahmenwerk nicht benutzt. Toll! Dann würde ich als Unternehmen einfach schreiben: Das passt bei uns nicht. Ihre Umsetzung der Richtlinie, meine Damen und Herren, führt am Ende zu Berichten, die am Ende nicht aussagekräftig, nicht vergleichbar sind. Damit nutzt sie aber auch nichts – nicht den Unternehmen und nicht den Kunden. Warum Sie am Ende noch sagen, die Verbraucher gehörten nicht hinein, verstehe ich gar nicht; denn für sie, meine Damen und Herren, produziert man doch am Ende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Können Sie an die Redezeit denken? Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. – Ich bin der festen Überzeugung: Transparenz ist das gute Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher – zu wissen, wie produziert wurde, was die Umweltauswirkungen sind. Sie selber haben ja gesagt, Sie wollten nachhaltigen Konsum. Weil Sie das alles nicht schaffen, haben Sie am Ende nicht nur Schlechtes für die Verbraucher getan, sondern Sie nutzen auch nicht die Chancen, die für die deutschen Unternehmen darin lägen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Renate Künast. – Nächster Redner: Dr. Hans-Joachim Schabedoth für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Nachtschwärmer! Das Netz geschäftlicher Beziehungen wurde in den letzten Jahrzehnten immer weiter gesponnen und wurde dadurch immer enger. Die Kommunikationsmöglichkeiten haben sich erweitert. Für die meisten Unternehmen war und ist die Globalisierung eine Riesenchance. Mehr Umsatz und die Maximierung der Gewinne gingen aber oft zulasten der Umwelt, der Belegschaften und sogar der Menschenrechte. Viele Verbraucher machten das mit. Warum sich Gedanken machen, wenn man vielleicht selber nicht viel Geld im Portemonnaie hat? Doch für immer günstigere Kleidung schuften Menschen Zigtausende Kilometer von unseren Wohlstandszonen und Einkaufsmeilen entfernt oft bis zum Umfallen, oft zu Hungerlöhnen und teils unter lebensgefährlichen Bedingungen. Das mag nur ein Aspekt sein, der die Problematik verdeutlicht. Auf beiden Seiten der Ladentheke ist jedoch inzwischen etwas in Bewegung geraten. Das sollten wir nicht ignorieren. Verbraucher achten immer mehr darauf, was sie kaufen, wo es herkommt und wie es dort aus welchen Materialien oder Rohstoffen produziert wurde. Viele Firmen haben für sich schon erkannt – ohne grüne Nachhilfe –, dass ein niedriger Preis nicht mehr der Weg zum höchsten Profit ist. Transparente Lieferketten und faire Produktion haben an Bedeutung gewonnen. Das dürfen wir doch nicht ignorieren. Das begründet schon lange ein neues Geschäftsmodell, mit dem sich auch in der Zukunft gutes Geld verdienen lässt. Das gilt nicht nur für Schokolade, Kleidung oder Handys, die zu großen Teilen im Ausland hergestellt werden, sondern auch für lokal produzierte Waren. Mit der Umsetzung der EU-CSR-Richtlinie soll dieser bereits von vielen Unternehmen eingeschlagene Weg ausgebaut werden. Sie verpflichtet vor allem die Big Player dazu, in einem nichtfinanziellen Bericht Rechenschaft abzulegen. Das bezieht sich auf die Arbeitsbedingungen, Lieferketten, ökologisches und soziales Engagement und das Vorgehen gegen Korruption. Doch nicht alle haben das Potenzial der transparenten Berichterstattung erkannt. Manche verkennen den Nutzen solcher Offenlegungen. Deshalb muss es jetzt die Verpflichtung geben. Manche sagen: Das reicht nicht. Der Anwendungsbereich ist zu klein, die Sanktionen nicht hart genug oder die Berichtspflichten nicht ausführlich genug. – Ihnen halte ich entgegen: Manchmal ist es besser, eine Kerze anzuzünden, als immer über die Dunkelheit zu jammern. (Beifall bei der SPD) Ich bin sicher: Das, was wir heute verabschieden, wird zu einer Art Schneeballeffekt führen. Je mehr Unternehmen verpflichtet werden, desto mehr werden nachziehen, wenn sie nicht ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen wollen. Nichtfinanzielle Aspekte werden die Bewertung einer Firma und Investitionsentscheidungen dann sicherlich ebenso beeinflussen wie die klassischen finanziellen Eckdaten. Das erfolgreiche Geschäftsmodell von morgen ist der Nachweis einer fairen, sozialen und ökologischen Produktion. Mit der Umsetzung der Richtlinie wollen wir das unterstützen. Ich bin sicher: Wir haben damit einen Stein ins Wasser geworfen, der Kreise ziehen wird. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Dr. Schabedoth. – Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr. Volker Ullrich. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bilanz und Anhang einer Kapitalgesellschaft dienen dem Zweck der steuerlichen Gewinnermittlung und der Verteilung des Gewinns auf die Anteilseigner. Darüber hinaus sollen Gläubiger und solche, die Interesse an der finanziellen Solidität der Gesellschaft haben, über deren Geschäftsvorfälle informiert werden. Aber für Gesellschaften, die eine Vielzahl von Beziehungen haben, globalisiert sind, eine Lieferkette in viele Staaten dieser Erde haben, reicht allein der finanzielle Rechenschaftsbericht nicht aus, sondern Anteilseigner, Verbraucher, aber auch interessierte Menschen, die Öffentlichkeit, haben ein Interesse daran: Wie produzieren diese Unternehmen? Wie beschaffen sie ihre Ware? Welchen Stellenwert haben sie in einer globalisierten Wirtschaft? – Diese Fragen sind nicht trivial. Unternehmen haben selbst eine Verantwortung für Produktionsbedingungen, für Arbeitsplätze, für Menschenrechte, auch für die ökologischen Verhältnisse dort, woher sie ihre Waren beziehen. Es gibt einen Anspruch darauf, dass diese Daten geliefert und transparent gemacht werden, auch im Interesse der Unternehmen selbst. Viele Unternehmen nehmen diese Verpflichtung bereits wahr; denn Sie wissen, dass ihre Aufgabe mehr ist, als nur Gewinne zu erzielen. Sie wollen auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Aber die gesellschaftliche Verantwortung muss stärker dokumentiert werden. Deswegen ist es richtig, dass die Europäische Union mit dieser Richtlinie diesen Weg gegangen ist. Wenn man sich die Zahlen ansieht, dann stellt man fest, dass gerade viele große deutsche Unternehmen mit ihren Umsatzzahlen eine regelrechte Marktmacht haben. Allein der größte deutsche Konzern hat einen größeren Umsatz als das Bruttoinlandsprodukt von 50 afrikanischen Staaten. Das zeigt, dass in einer verflochtenen, globalisierten Welt die Fragen: „Woher beziehen Unternehmen ihre Waren? Werden Menschenrechte eingehalten? Wird der Kampf gegen Korruption wahrgenommen?“ wichtige Fragen sind. Wenn Unternehmen das zukünftig dokumentieren werden, dann können Verbraucher deutlich erkennen, wie die Unternehmen mit diesen Fragen umgehen. Deswegen ist es richtig, dass in den Rechenschaftsberichten der Gesellschaften diese Fragen zukünftig verstärkt thematisiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD]) Natürlich kann man sich die Frage stellen: Warum betrifft das nur rund 300 Unternehmen, warum nicht 500 oder 1 000 Unternehmen? (Frank Tempel [DIE LINKE]: 2 000!) Ich will eines deutlich machen: Zunächst einmal handelt es sich bei den 300 Unternehmen um börsennotierte Gesellschaften. Es geht um viele Milliarden Euro Umsatz und um viele Millionen Arbeitsplätze. Wir bilden damit einen guten Teil unserer Wirtschaft ab. Zudem darf man bei den Berichtspflichten eine Sache nicht vergessen: Bei der Abwägung zwischen Aufwand und Ertrag bei der Erfüllung von bürokratischen Vorschriften geht es immer um ein gesundes Verhältnis. So wie wir auf der einen Seite von Unternehmen verlangen, dass sie ihre Berichtspflichten wahrnehmen und die Vorgänge dokumentieren, so wollen wir auf der anderen Seite kleinere und mittelständische Unternehmen nicht mit einer solchen Berichtspflicht überfordern. Ich vertraue darauf, dass gerade mittelständische Unternehmen, die dieser Berichtspflicht nicht nachkommen müssen, sich trotzdem an die Vorgaben halten. Größere Unternehmen, gerade solche, die börsennotiert sind, sollten die Berichtspflicht wahrnehmen. Wir haben insgesamt für ein gesundes Augenmaß gesorgt, wenn es darum geht, wie die Vorschriften umgesetzt werden sollen. Wir können Verantwortung nicht allein durch mehr bürokratische Regelungen erreichen. Wir können Verantwortung aber dokumentieren, indem eines klargemacht wird: Unternehmen, gerade solche, die im globalen Wettbewerb stehen, stehen nicht außerhalb der Welt, sondern sie stehen mit ihrer Verantwortung in der Welt. Dass sie diese Verantwortung stärker dokumentieren, das beschließen wir heute. Ich bitte deswegen um Zustimmung zum Gesetzentwurf. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans-Joachim Schabedoth [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Volker Ullrich. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11450, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/9982 und 18/10344 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Tagesordnung 41 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/11450 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10030 mit dem Titel „Zukunftsfähige Unternehmensverantwortung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und aussagekräftig ausgestalten – Umsetzung der CSR-Richtlinie“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a und 42 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht Drucksache 18/11137 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/11451 b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform Drucksachen 18/8827, 18/9238, 18/9596 Nr. 1.6 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/11451 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind einverstanden.23 Tagesordnungspunkt 42 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11451, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11137 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich habe gesehen, Sie haben sich alle erhoben. Dann gibt es keine Gegenstimmen und keine Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen aller Fraktionen im Haus einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 42 b. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften aufgrund der europäischen Patentreform. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11451, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/8827 und 18/9238 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit Zustimmung von allen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Niemand stimmt dagegen, niemand enthält sich. Der Gesetzentwurf ist einstimmig von allen Fraktionen im Haus angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen Drucksache 18/407 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Drucksache 18/11436 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind einverstanden.24 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11436, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/407 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen war niemand, enthalten haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD. Dagegen hat niemand gestimmt. Enthalten haben sich die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität Drucksache 18/11275 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind.25 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11275 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Haben Sie andere Vorschläge? – Nein. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 46 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Trilaterale Partnerschaften in der ASEAN-Region stärken – Deutsches Know-how nutzen Drucksachen 18/10651, 18/11226 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind einverstanden.26 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11226, den Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10651 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten hat sich die Linke. Dagegen war demnach niemand mehr. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 47 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland Drucksache 18/11280 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Sie sind einverstanden.27 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11280 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch dazu haben Sie keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 48 a und 48 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern Drucksache 18/11278 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Corinna Rüffer, Katja Keul, Katja Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Einführung eines gerichtlichen Genehmigungserfordernisses bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gegenüber Kindern Drucksache 18/9804 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Auch damit sind Sie einverstanden.28 Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/11278 und 18/9804 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Auf meinem Sprechzettel steht jetzt: Die Tagesordnung ist erschöpft. – Wir auch! (Heiterkeit und Beifall) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf heute, Freitag, den 10. März 2017, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich bedanke mich bei Ihnen für die breite Präsenz und wünsche Ihnen einen wunderschönen Abend. Außerdem bedanke ich mich herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Haus, bei den Damen und Herren, die Protokoll geführt haben, bei den Assistenten hier im Saal, beim Parlamentarischen Staatssekretär und bei meinen beiden hier oben. Und jetzt schlafen Sie gut! Schöne Träume! (Schluss: 1.40 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 09.03.2017 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 09.03.2017 Beermann, Maik CDU/CSU 09.03.2017 Binder, Karin DIE LINKE 09.03.2017 Böhmer, Dr. Maria CDU/CSU 09.03.2017 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 09.03.2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 09.03.2017 Ehrmann, Siegmund SPD 09.03.2017 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 09.03.2017 Gabriel, Sigmar SPD 09.03.2017 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 09.03.2017 Katzmarek, Gabriele SPD 09.03.2017 Kühn-Mengel, Helga SPD 09.03.2017 Kunert, Katrin DIE LINKE 09.03.2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 09.03.2017 Leutert, Michael DIE LINKE 09.03.2017 Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU 09.03.2017 Marks, Caren SPD 09.03.2017 Mosblech, Volker CDU/CSU 09.03.2017 Nahles, Andrea SPD 09.03.2017 Röspel, René SPD 09.03.2017 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 09.03.2017 Rüthrich, Susann * SPD 09.03.2017 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 09.03.2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 09.03.2017 Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 09.03.2017 Schulte, Ursula SPD 09.03.2017 Strebl, Matthäus CDU/CSU 09.03.2017 Veit, Rüdiger SPD 09.03.2017 Vogt, Ute SPD 09.03.2017 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 09.03.2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 09.03.2017 Weber, Gabi SPD 09.03.2017 Wöllert, Birgit DIE LINKE 09.03.2017 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 09.03.2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Wir alle haben den großen Zuzug von Menschen nach Deutschland in den letzten Jahren erlebt und erleben ihn auch derzeit noch. Unter ihnen sind viele von Krieg, Flucht und Verfolgung betroffene Menschen, aber auch nicht wenige, die allein aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen. Nach ihrer Ankunft ist dann nicht immer sofort klar, wer überhaupt hier bleiben darf und wer nicht, und es ist nicht klar, wie lange die Menschen bleiben werden. Eines ist für mich jedoch glasklar: Alle Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, müssen sich an unsere Gesetze, an unsere Regeln halten. Dabei ist es mir bewusst, dass nicht alle Menschen, die herkommen, sofort alle unsere kulturellen, größtenteils ungeschriebenen Regeln kennen und unmittelbar befolgen können. Es gibt jedoch einige Regeln, die für unsere Gesellschaft zentral und wichtig sind. Hier genügt es nicht, einfach darauf zu hoffen, dass mit der Zeit ein gewisser Integrationseffekt entsteht und die Menschen sich den Regeln anpassen. Stattdessen müssen wir diesen zentralen Regeln auch per Gesetz Geltungskraft verleihen Das Gebot, Gesicht zu zeigen, gehört für mich zu diesen zentralen Regeln unseres Landes. Das Verhüllen oder Verschleiern des Gesichts verstößt gegen unsere Grundwerte einer offenen Gesellschaft. Besonders die Burka und die Nikab sind für mich ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass sich jemand den Werten unserer Gesellschaft entzieht. Nun gehört es zu unserer freien, liberalen Gesellschaft auch, dass wir die Freiheit des Einzelnen achten. Der Staat sollte und darf den Menschen nur bis zu einem gewissen grundrechtlichen Schutzbereich vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. In bestimmten Situationen ist der Schutzbereich allerdings eingeschränkt. Dies gilt dann, wenn Personen ein öffentliches Amt ausüben, eine sonstige Tätigkeit für unseren Staat verrichten oder wenn sie sich gegenüber staatlichen Stellen identifizieren müssen. Gerade in diesen Bereichen verstößt es gegen unsere gesellschaftlichen Regeln, sich zu verhüllen, und ich meine, dass wir hier eine gesetzliche Regelung brauchen, die dieses verbietet. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Wir werden uns den Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren noch im Detail anschauen, aber im Grunde legt das Gesetz vor allem zwei Regeln fest, die sehr zu begrüßen sind. Erstens: Bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug darf das Gesicht nicht verhüllt werden. Dies dient der Gewährleistung einer funktionsfähigen Verwaltung und der Erhaltung des Selbstverständnisses unseres demokratischen Rechtsstaates. Nur wenn das Gesicht unverhüllt bleibt, ist eine vertrauensvolle Kommunikation zwischen staatlichen Funktionsträgern und Bürgerinnen und Bürgern möglich. Dabei ist es essenziell, den Beamten und Beamtinnen auch ins Gesicht schauen zu können. Denn Kommunikation kann nur stattfinden, wenn man seinem Gesprächspartner auch ins Gesicht schauen sowie seine Gestik und Mimik sehen kann. Die Sprache allein macht eben nur einen Teil aus. Hinzu kommt, dass die Beamten zur Neutralität gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet sind. Deswegen sollen mit diesem Gesetzentwurf das Bundesbeamtengesetz, das Beamtenstatusgesetz und das Soldatengesetz geändert werden. Die zweite Regel lautet, dass eine ausweispflichtige Person ihr Gesicht bei einem Lichtbildabgleich in vollem Umfang zeigen muss. Dazu wird eine Änderung des Personalausweisgesetzes, des Aufenthaltsgesetzes und des EU-Freizügigkeitsgesetzes nötig. Ebenfalls wird die Bundeswahlordnung geändert, nach der ein fehlender Abgleich des Gesichtes mit dem Ausweispapier zu einer Zurückweisung durch den Wahlvorstand führt. Ich meine, dass dieser Gesetzentwurf eine wichtige Regel unseres Zusammenlebens aufgreift und mit Gesetzeskraft ausstattet. Ich freue mich auf die nun anstehenden Beratungen im parlamentarischen Verfahren. Dr. Lars Castellucci (SPD): Der vorliegende Gesetzentwurf regelt vermeintlich eine ganze Reihe von Sachverhalten. Ich darf aus dem Text zitieren: „Durch eine Änderung des Bundesbeamtengesetzes, des Beamtenstatusgesetzes und des Soldatengesetzes wird es Beamtinnen und Beamten sowie Soldatinnen und Soldaten untersagt, bei Ausübung ihres Dienstes oder bei Tätigkeiten mit unmittelbarem Dienstbezug das Gesicht durch Kleidung o. ä. zu verhüllen … Eine Änderung des Bundeswahlgesetzes sieht ein entsprechendes Verbot auch für die Mitglieder der Wahlausschüsse und Wahlvorstände … vor. Zur Durchsetzung von Identifizierungspflichten wird eine Änderung des Personalausweisgesetzes dahingehend vorgenommen, dass die ausweispflichtige Person einen Abgleich mit dem Lichtbild ermöglicht, indem sie ihr Gesicht in dem dem Lichtbild entsprechenden Umfang zeigt. An die Änderung im Personalausweisgesetz anknüpfend werden Änderungen im Aufenthaltsgesetz und im Freizügigkeitsgesetz/EU vorgenommen, die ebenfalls einen Abgleich mit dem Lichtbild des Identifikationspapiers bzw. mit dem des Ankunftsnachweises ermöglichen.“ Und schließlich: „Eine Änderung der Bundeswahlordnung sieht vor, dass eine Wählerin oder ein Wähler dann vom Wahlvorstand zurückgewiesen werden kann, wenn sie oder er sich nicht ausweist oder die Feststellung ihrer oder seiner Identität durch den Wahlvorstand unmöglich macht und die zur Feststellung ihrer oder seiner Identität erforderliche Mitwirkungshandlung zum Abgleich mit dem Ausweispapier verweigert.“ So weit die verschiedenen Regelungen, die wir in diesem Gesetz erlassen wollen. Ich habe mich bei der Lektüre des Textes gefragt, welche Probleme wir mit dem Gesetz lösen wollen. Denn Recht ist ja ein Entscheidungssystem für soziale Sachverhalte und Konflikte, die nach materiellen Regeln in einem vorgeschriebenen Verfahren gelöst werden. Die Leistung des Rechts besteht also darin, dass es das Konfliktpotenzial „entfesselter” subjektiver Freiheiten durch Gleichheit verbürgende Normen zähmt. Also an dieser Stelle nochmals die Frage: Welche Probleme sollen mit dem Gesetz gelöst werden? Ich selbst kann mich an keinen Fall erinnern, in dem eine Soldatin oder Beamtin mir verschleiert gegenübergetreten wäre, vielleicht mit Ausnahme des Karnevals. Ich habe aus der Zeitung von dem Fall in Neukölln erfahren, bei dem eine Referendarin ein Kopftuch tragen wollte und gegen dieses Verbot geklagt hat. Nachdem sie recht bekommen hatte, hat sie die Stelle dann aber doch nicht antreten wollen, soweit ich das mitbekommen habe. Insofern kann ich die Intention des Entwurfs verstehen, hier Regelungen zu schaffen, die die Neutralität des Staates und seiner Bediensteten klarstellen. Allerdings scheint mir die Fallzahl relativ gering zu sein. Weiterhin ist mir kein Fall bekannt, bei dem die Wahlvorstände bei Bundestagswahlen verschleiert ihren Dienst verrichtet hätten. Allerdings haben wir in Deutschland nach meinen Recherchen rund 60.000 Stimmbezirke, sodass mehrere Hunderttausend Bürgerinnen und Bürger auch in diesem Jahr dankenswerterweise wieder an der Durchführung der Bundestagswahlen mitwirken. Insofern kann eine Klarstellung wohl auch nicht wirklich schaden. Ich finde, ein Problem mit dem Gesetzestext zeigt sich in der Äußerung des Bundesrates und der Erwiderung der Bundesregierung: Der Bundesrat hat an einigen Stellen den Vorschlag gemacht, eine präzisere Formulierung zu wählen. Im Kern geht es mehrfach um den Zusatz „sowie zu ermöglichen, ihr Gesicht mit dem Lichtbild … abzugleichen“. Das sieht die Bundesregierung nicht so, da dies schon im Passgesetz etc. enthalten sei. Und so geht es mir an ganz vielen Stellen des Gesetzestextes: Eigentlich sollte das doch klar sein. Es kann doch niemand auf die Idee kommen, vollverschleiert in die Wahlkabine laufen zu wollen, ohne dass eine kurze Überprüfung stattfindet, ob es sich tatsächlich um den oder die Wahlberechtigte handelt. Alles andere wäre doch absurd. In der Summe stelle ich fest, dass die hier angestrebten Änderungen in weiten Teilen selbstverständlich sein müssen. Wenn es dazu noch dieser Klarstellungen bedarf, dann kann man dem auch zustimmen. Ich möchte auf den Anfang meiner Rede zurückkommen und die Frage, welche Funktion Recht hat. Recht hat nur eine begrenzte Reichweite; zum Beispiel hat das Recht nur einen begrenzten Zugriff auf den privaten Bereich. Viele Dinge, die wir nicht gut finden müssen, sind rechtlich nicht zu beanstanden. Ich selbst habe auch Probleme mit vollverschleierten Frauen. Ich – ganz persönlich – empfinde das als einen Ausdruck eines Frauenbildes, das ich nicht gut finde. Diese Konflikte werden wir aber nicht durch Gebote und Verbote lösen. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die uns alle einschließt und von allen auch eine gewisse Offenheit für den Anderen benötigt – eine Tugend, die mir in den letzten Monaten zum Teil etwas in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Hinter dem sperrigen Titel „Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung“ verbirgt sich der Versuch, ein Problem zu regeln, das gar nicht besteht. Es soll Beamtinnen und Beamten verboten werden, während ihres Dienstes ihr Gesicht zu verhüllen. Auch wenn jeder konkrete Bezug sorgsam vermieden wird, ist doch klar, dass sich der Gesetzentwurf auf muslimische Frauen bezieht, die eine Vollverschleierung tragen, zum Beispiel einen Nikab oder eine Burka, die oft nicht einmal mehr die Augen freilässt. Mir persönlich ist es unverständlich, warum sich jemand – auch im Namen einer Religion – so eine Kleidung antut. Und wenn eine solche Vollverschleierung auf den Druck zumeist männlicher Familienmitglieder zurückzuführen ist, dann lehne ich das entschieden ab. Doch um Rechte der Frauen geht es im vorliegenden Gesetzentwurf überhaupt nicht. Vielmehr sorgt sich die Bundesregierung um die „Funktionsfähigkeit der Verwaltung“. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass diese von der Frage abhängt, ob Beamtinnen oder Beamte eine Gesichtsverhüllung tragen oder nicht? Wenn es Ihnen um eine effektive Verwaltung ginge, dann würden Sie den öffentlichen Dienst nicht kaputtsparen und die Beamten mit sinnlosen bürokratischen Schikanen auf Trab halten. Eine Gesichtsverhüllung stehe einer „vertrauensvollen Kommunikation der staatlichen Funktionsträger mit den Bürgerinnen und Bürgern“ entgegen, meint die Bundesregierung. Ein Großteil dieser Kommunikation erfolgt heute telefonisch, per Post oder per E-Mail. Ob die Beamtin am anderen Ende der Leitung Nikab oder Minirock trägt, ob sie Christin, Atheistin oder Muslima ist, kann ich da nicht erkennen, und es ist genauso wenig von Interesse für meine Belange. Für eine „vertrauensvolle Kommunikation“ mit einer Behörde ist das gänzlich egal. Die einzigen mir bekannten Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die ihr Gesicht verhüllen, sind Mitglieder von Polizeisonderkommandos. Deren Auftreten etwa am Rande von Demonstrationen erscheint mir in der Tat nicht als besonders vertrauensbildende Maßnahme. Ansonsten ist mir kein einziger Fall bekannt, wo eine Beamtin tatsächlich vollverschleiert zum Dienst erschienen ist. Auch die Bundesregierung konnte bislang kein praktisches Beispiel für den Nutzen eines solchen Gesetzes beibringen. Somit handelt es sich um ein reines Vorratsgesetz, wenn nicht gar um ein rechtlich unzulässiges Einzelfallgesetz. Es bestand bislang keine Notwendigkeit für solch ein Gesetz und ich sehe auch in der Zukunft keine Notwendigkeit dafür. Nur eine winzige Minderheit der in Deutschland lebenden Muslimas trägt einen Nikab oder gar eine Burka. Doch dieses an sich sinnlose Sondergesetz, das faktisch nur gegen Angehörige einer Religionsgemeinschaft gerichtet ist, wird auch von anderen Muslimen, die für sich persönlich eine Vollverschleierung ablehnen, als Element einer wachsenden Islamfeindschaft verstanden. Mit diesem Gesetzentwurf werden der rechte Rand, die Pegida-Stammtische und das AfD-Klientel bedient. In Sachsen-Anhalt gelang es der AfD bereits, mit einem entsprechenden Antrag die CDU-SPD-Grünen-Regierung vor sich her zu treiben. Im Innenausschuss des Landtages einigten sich Koalition und AfD auf einen Antrag, um Gesichtsschleier im öffentlichen Raum – so wörtlich – „zu begrenzen“. Ich bezweifle, dass in ganz Sachsen-Anhalt mehr als eine Handvoll vollverschleierter Frauen lebt, und ich bin sicher, dass keine einzige davon Beamtin ist. Aus so einem Antrag spricht die blanke Hysterie; bedient wird damit zugleich dumpfe Fremdenfeindlichkeit. Dass auch die Grünen darauf aufspringen, ist bezeichnend. Aber was soll man von einer Partei halten, die ihren Restpazifismus bereitwillig opferte, um die Bundeswehr zur Befreiung der afghanischen Frauen von der Burka an den Hindukusch zu schicken? Fassen wir also zusammen: Der vorliegende Gesetzentwurf hat kaum praktische Relevanz; er ist völlig überflüssig. Doch er ist Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten, und er trägt in völlig unnötiger Weise dazu bei, das allgemeine Klima gegenüber Muslimen weiter zu vergiften. Daher lehnt die Linke dieses Gesetz ab. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist nicht gut gebrüllt; es ist eher Much Ado About Nothing, was Sie dort zur Gesichtsverhüllung von SEK-Beamtinnen und Feldjägerinnen veranstalten. Sie sollen fortan Karnevalsmasken nur noch tragen dürfen, wenn es aus gesundheitlichen Gründen erforderlich ist, wohl weil die Karnevalszeit ja leider Gottes nicht selten mit der einen oder anderen Grippewelle zusammenfällt. Das ist sicherlich gesundheitspolitisch lobenswert – wenn auch schlussendlich nicht überzeugend –, hat aber eben wenig mit dem Kampf zur Befreiung der unterdrückten Frau und schon gar nichts mit sinnvoller Terrorbekämpfung zu tun. Aber genug der Polemik. Wenn dem so ist, dass man auf Grundlage des geltenden Rechts Richterinnen nicht verbieten kann, das Gesicht während der Verhandlung zu verhüllen, nun gut, dann kann man das meinetwegen regeln. Klare Regeln sind im Rechtsstaat tendenziell richtiger als juristische Verschwommenheit. Aber müssen wir über diese nichtexistenten Fälle tatsächlich eine monatelange Debatte führen und dem bayerischen Ministerpräsidenten eine bundespolitische Lichtung zum Röhren geben? Das ist doch Irrsinn. Es ist gut, dass die Reden zu diesem Thema heute zu Protokoll gehen; denn ehrlich gesagt kann man sich das alles nicht weiter anhören. Frauen in Burka sind sicherlich kein Anblick, den ich vermissen würde, wenn es ihn nicht mehr gäbe. Dennoch würde ich im Zweifel jeder Frau erst einmal das Recht zubilligen, sich so zu kleiden, wie sie es will. Belege dafür, dass sich Frauen hierzulande gegen ihren Willen in solche Verkleidungen sperren lassen, gibt es nicht. Aber auch wenn: Wie wollen Sie, liebe grauhaarige Verfechter der Emanzipation aus der CSU, diese Frauen denn aus ihrer wandelnden Textilhaft befreien, wenn Sie ihnen faktisch den Zugang zum öffentlichen Raum noch erschweren? Es ist gut, dass die Koalition diesen Forderungen nicht nachgegeben hat und Säkularität nicht ebenso falsch versteht wie die parlamentarische Mehrheit in Frankreich, die aus der laizistischen Trennung von Staat und Kirche in dieser Sache ein Instrument der republikanischen Unterdrückung selbstgewählter Lebensstile gemacht hat. So schafft man nicht mehr Freiheit, sondern weniger. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung zum Kopftuch die positive Religionsfreiheit gestärkt. Der Staat hat demnach nicht zu beurteilen, welche Bekleidungsvorschriften jemand aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen für sich als verpflichtend ansieht oder nicht. Pauschale Verbote kann es nach diesem Urteil nicht mehr geben. Entsprechende Regelungen müssen zudem diskriminierungsfrei erfolgen, also für alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen gelten. An diesen Leitprinzipien hat sich auch die Debatte um das Verbot von Burka und Nikab zu orientieren. Das Grundgesetz gibt hier zu Recht hohe Hürden vor. Partielle Verbote der Vollverschleierung müssen gut begründete Ziele haben. Wir Grünen haben – anders als manch anderer in diesem Hohen Hause – zur Vorstellung der Kirchen von Geschlechterrollen und zur Sexuallehre kein Blatt vor den Mund genommen. Genauso werden wir auch gegen frauenfeindliche Haltungen im Islam streiten. Burka und Nikab können Ausdruck eines patriarchalischen, frauenfeindlichen Gesellschaftsbilds sein, das wir ablehnen und sind es oft auch. Auch die große Mehrheit der Muslimas und Muslime in Deutschland sieht die derartig weit gehende Verhüllung nicht als religiöses Gebot. Aber diese Entscheidung treffen die individuellen Grundrechtsträgerinnen, also die Frauen selbst, und niemand anders für sie. Wer diesen Frauen dieses Recht von vornherein abspricht, befördert im Ergebnis antimuslimische Ressentiments und lenkt von den tatsächlich sicherheitspolitisch entscheidenden Maßnahmen ab: von dem Bedarf einer besseren Ausstattung der Polizei, von deutlich verbesserten Präventionskonzepten. Wer wirklich etwas für die Selbstbestimmung von Frauen tun will, sollte Beratungsstellen finanziell fördern, Frauen über ihre Rechte aufklären und ihnen Schutz gewähren, wenn sie in ihrer Freiheit und Selbstbestimmung bedrängt oder bedroht werden – in bundesweit besser finanzierten Frauenhäusern zum Beispiel. Summa summarum: Nicht alles, was man falsch findet, kann man verbieten. Ich wünsche mir dennoch, dass trotz aller bereichsspezifischer Verbote der Gesichtsverhüllung die karnevalesken Traditionen aufrechterhalten werden und dass man den Rekruten in den Bundeswehrkasernen in ihrer Freizeit die kleine Freude des Alltags nicht verwehrt, mit übergezogenen Kopfkissenbezügen Kissenschlachten zu veranstalten. In diesem Sinne ein nachhallendes Alaaf! Und bis gleich! Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Wer sein Gesicht offen zeigt, begegnet seinen Mitmenschen in Offenheit. Diese Offenheit ist aus meiner Sicht eine Grundfeste unserer gemeinsamen Werteordnung. Ein vollverschleiertes Auftreten in der Öffentlichkeit kommt hingegen einer Ablehnung unserer Werte gleich. Die Vollverschleierung beeinträchtigt daher den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Dem entgegenzuwirken hält im Übrigen auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für legitim. Denn wenn das Gesicht im Verborgenen bleibt, sind die Möglichkeiten des Kennenlernens stark eingeschränkt. Das behindert Kommunikation, die eben nicht allein aus Worten besteht. Gerade für Menschen, die neu in unser Land kommen und von denen wir zu Recht die Integration verlangen, ist die Vollverschleierung ein Hemmnis. Im Verbergen des Gesichts manifestiert sich geradezu die Ablehnung der aufnehmenden Gesellschaft. Zu unserer Gesellschaft gehört auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau. In meinen Augen ist die Burka ein unerträgliches Symbol der Unterdrückung von Frauen. Eine derart manifestierte Diskriminierung können wir – auch zum Schutz von jungen Frauen und Mädchen – nicht hinnehmen. Ich halte es daher für geboten, dass jeder in der Öffentlichkeit sein Gesicht zeigt. Was für die zwischenmenschlichen Beziehungen allgemein gilt, muss für das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern erst recht gelten: Vertrauen in das Amt des Beamten kann nicht entstehen, wenn im Dienst das Gesicht komplett verhüllt ist. Eine offene Kommunikation mit den Bürgern wäre unmöglich und die Integrität des Staates beeinträchtigt. Auch für die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Staatsdiener untereinander ist die offene Kommunikation essenziell. Der Gesetzgeber kann und muss daher zum Schutz der staatlichen Integrität vorausschauend handeln. Wir müssen nicht abwarten, bis der Streit um die Vollverschleierung im Dienst vor einem Gericht ausgetragen wird. Rechtsstreitigkeiten um religiös motivierte Bekleidung haben in den letzten Jahren zugenommen. Ein frühzeitiges Handeln des Gesetzgebers ist daher geboten. Wir senden mit dem Gesetzentwurf daher auch ein klares Signal: Unser Zusammenleben beruht auf Offenheit. Wer die offene Gesellschaft ablehnt, kann unseren demokratischen Rechtstaat nicht repräsentieren. Klar ist auch: Nicht alles, was wir ablehnen, können wir verbieten. Grundsätzlich steht es jedem frei, sich so zu kleiden, wie es ihr oder ihm gefällt. Dies gilt umso mehr, wenn die Bekleidung unter den Schutz der Religionsfreiheit fällt. Dieses Spannungsfeld löst der vorgelegte Gesetzentwurf umsichtig auf. Denn die Regelungen betreffen nicht jede Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit. Der Gesetzentwurf ist vielmehr das Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung der betroffenen Rechtskreise. Er beschränkt sich auf die Bereiche, in denen es für die Funktionsfähigkeit des Staates unabdingbar ist, dass ein Gesicht erkennbar ist. Dies trifft für Beamte in Bund und Ländern, für Soldaten sowie für Richter bei Ausübung ihres Dienstes und bei Tätigkeiten mit unmittelbarem Dienstbezug zu. Entsprechendes gilt auch für Mitglieder der Wahlausschüsse und Wahlvorstände. Zudem soll dort, wo gesetzliche Identifizierungspflichten bestehen, das Zeigen des Gesichts im Bedarfsfall auch durchgesetzt werden können. Immer dann, wenn Identitätspapiere vorgelegt werden, muss der Abgleich des Lichtbilds mit dem Gesicht der Person möglich sein. Darüber hinaus gibt es weitere Bereiche, in denen ein Verbot der Vollverschleierung aus meiner Sicht geboten wäre. Dazu zählen zum Beispiel der Unterricht an Schulen oder die Betreuung in Kindergärten. Hier sind die Länder in der Pflicht, entsprechende Regelungen zu treffen. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf beinhaltet also kein pauschales Verbot dessen, was mir und vielen von uns nicht gefällt. Aber er sendet das starke Signal, dass das Auftreten der staatlichen Repräsentanten mit unverhülltem Gesicht für den demokratischen Rechtsstaat unabdingbar ist. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 (Tagesordnungspunkt 18) Margaret Horb (CDU/CSU): Die Fraktion Die Linke ist überraschend traditionsbewusst. So traditionsbewusst sogar, dass sie das Thema Staatsleistungen regelmäßig vor Wahlen auf ihre Agenda setzt. Im Jahr 2012 wollten Sie die Staatsleistungen noch ganz abschaffen. Ihre Intention hat sich seitdem nicht geändert und ist immer noch genauso durchschaubar. Sie wollen die Ablösung der Staatsleistungen quasi zum Nulltarif, auch wenn Sie in Ihrem jetzigen Antrag die Einsetzung einer Kommission beim BMF zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 vorschieben. Dabei bauen Sie Ihre Argumentation auf der Annahme auf, dass sich die Staatsleistungen über die Jahre verringert hätten. Es seien ja schon sehr lange Zahlungen an die Kirchen geleistet worden. Dabei verstehen Sie jedoch die Situation komplett falsch. Staatsleistungen sind der dauernde Ersatz für den Ausfall wirtschaftlicher Erträge. Die Länder erstatten die Einnahmen, die die Kirchen aus dem enteigneten Besitz erwirtschaftet hätten. Staatsleistungen sind somit keine Subventionen und schon gar keine „Ewigkeitsrente“, wie es in Ihrem Antrag heißt. Wer das nicht begriffen hat, der lässt wichtige historische Gegebenheiten außer Acht. Man sollte annehmen, dass wir das bereits ausgiebig und verständlich hier im Bundestag klargestellt haben. Klar ist auch, dass wir gemäß Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung einen Verfassungsauftrag haben. Der Bund soll hiernach Rahmenbedingungen schaffen. Der Auftrag lautet aber nicht, den Ländern und Kirchen komplizierte Detailvorgaben überzustülpen. Der Antrag der Linken überschreitet daher die Linie der Zuständigkeit. Besonders kritisch sehe ich die Größe der vorgeschlagenen Evaluierungskommission: „(Kirchen-) Historikerinnen und (Kirchen-) Historiker, Kirchen- und/oder Verfassungsrechtlerinnen und -rechtler, Ökonominnen und Ökonomen sowie Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer sowie der beiden großen Kirchen“. Zusätzlich müssten Vertreter der Städte und Kommunen, der Kirchengemeinden, des Heiligen Stuhls und gegebenenfalls weitere dazukommen. Wenn man alle Beteiligten an einen Tisch holen sollte, werden das ja mindestens hundert Personen. Und Sie gehen davon aus, dass die zahllosen historisch gewachsenen Besonderheiten der Staatsleistungen in jedem einzelnen Bundesland, in jeder Kommune, in jeder Kirchengemeinde in diesem „kleinen“ Kreis effizient und schnell bearbeitet werden können. Das klingt nicht nach einer realistischen Herangehensweise. Was von einem solchen Gremium zu erwarten ist, zeigt ein Blick in die Geschichte. Es gab nämlich in meiner Heimat bereits einen Arbeitskreis, der die Staatsleistungen bemessen und prüfen sollte. Im Jahr 1820 wurde von König Wilhelm I. von Württemberg eine „gemeinschaftliche Kommission“ einberufen, die das Ziel verfolgte, die gerade mal 17 Jahre zuvor erfolgten Enteignungen der evangelischen Kirche abzulösen. Sage und schreibe 98 Jahre später war sie immer noch zu keinem Ergebnis gekommen und wurde mit dem Ende der Monarchie aufgelöst. Diese Kommission erinnert mich doch stark an den jetzt vorgebrachten Antrag. Liebe Kollegen von der Fraktion Die Linke, auch Ihre Expertenrunde würde frühestens am Sankt-Nimmerleins-Tag zu einem Ergebnis kommen – wenn überhaupt. Wie gut die Länder und Kirchen sich einigen können, beweisen zahlreiche Beispiele. Nicht nur Hamburg und Bremen haben Antworten gefunden. Auch in Hessen und Brandenburg wurden Ablösungen vorbildlich durchgeführt. In Baden-Württemberg laufen ebenfalls Gespräche zur Ablösung der Staatsleistungen. Eine Kommission, die sich aus dem fernen Berlin einmischen würde, wäre nur kontraproduktiv. Wie stellen Sie sich das überhaupt in der Praxis vor? Wie sollte eine so heterogene Expertenrunde in Berlin eine Evaluierung beispielsweise für den Kölner Dom, die Heiliggeistkirche in Heidelberg oder die evangelische Kirche in Merchingen-Ravenstein vornehmen? Das können die Kirchen mit den Ländern besser. Liebe Kollegen der Fraktion Die Linke, ich wiederhole meinen Vorschlag an Sie vom 15. April 2016: Installieren Sie doch eine Kommission zur Evaluierung der Staatsleistungen in Thüringen; denn dort sind Sie seit Jahren in der Regierungsverantwortung. Interessanterweise hört man aus Erfurt nichts, aber auch gar nichts. Auch hier im Bundestag ist es diesbezüglich still – kein Berichterstattergespräch, keine öffentliche Anhörung, ja, nicht einmal eine Debatte in den beratenden Ausschüssen haben Sie angestoßen. Und das, obwohl wir vonseiten der Regierungskoalitionen sowohl in der vergangenen als auch in der aktuellen Wahlperiode Gesprächsbereitschaft signalisiert und auch konkrete Angebote gemacht haben. Ich habe den Verdacht, dass Sie das Thema regelmäßig vor den Wahlen aus der Schublade holen, einzig und allein, um mit populistischen Äußerungen unsere Kirchen zu diskreditieren. Sie, liebe Frau Wawzyniak, sagten es ja selbst in Ihrer Rede vom 15. April 2016, dass Die Linke mit der Frage, „ob überhaupt noch Staatsleistungen zu zahlen sind“, in den Wahlkampf ziehen sollte. Aber dieses „linke“ Manöver ist mit uns nicht zu machen! Die Kirchen in unserem Land leisten eine wertvolle und unbezahlbare Arbeit für unser aller Gemeinwohl. Dieser Einsatz für unsere Gesellschaft ist von unschätzbarem Wert, und es ist mir eine Herzensangelegenheit, meine Rede mit dem ausdrücklichen Dank an alle Haupt- und Ehrenamtlichen in unseren Kirchen zu beenden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht keinen Handlungsbedarf hinsichtlich der Einsetzung einer Evaluierungskommission. Wir werden daher den Antrag ablehnen. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Staatsleistungen haben ihre Grundlage darin, dass kirchliche Güter im Rahmen der Säkularisierung, namentlich im Reichsdeputationshauptschluss im Jahre 1803, umfangreich enteignet wurden. Diese Güter befinden sich zumeist noch heute in staatlichem Eigentum. Damals übernahmen die Landesherren zugleich die Verpflichtung, die Besoldung und Versorgung der Pfarrer – sofern erforderlich – sicherzustellen. Es handelt sich also um eine Art von Pachtersatzleistungen. Diese Staatsleistungen sind durch Artikel 140 des Grundgesetzes mit dem dadurch geltenden Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung verfassungsrechtlich verbürgt. Diese Entschädigungszahlungen werden noch heute an die beiden großen Amtskirchen in fast allen Bundesländern – mit Ausnahme von Hamburg und Bremen – erbracht. Sie betragen rund 480 Millionen Euro jährlich. Wir diskutieren heute den Antrag der Fraktion Die Linke, welcher die Einrichtung einer Expertenkommission beim Bundesministerium der Finanzen fordert. Sinn und Zweck dieser Kommission soll sein, den Umfang der enteigneten Kircheneigentümer und der bisher geleisteten Entschädigungszahlungen zu evaluieren und zu prüfen. Die Fraktion Die Linke zielt darauf ab, die Ablösesumme der Staatsleistungen zu ermitteln und die Zahlungen der Staatsleistungen somit zu beenden. Mit diesem Vorhaben sind sie zu Recht bereits im Jahr 2012 mit einem ähnlichen Gesetzentwurf gescheitert. Lassen Sie mich kurz erläutern, warum seitens des Bundes kein Anlass besteht, die Initiative zu einer Ablösung der Staatsleistungen zu ergreifen. Erstens ist festzustellen, dass der Bund selbst nicht Schuldner der Staatsleistungen ist. Wenn wir die Länder als Träger der Staatsleistungen betrachten, ist ferner zu unterstreichen, dass es diesen freisteht, einvernehmlich mit den Kirchen die Staatsleistungen zu verändern und neue Rechtsgrundlagen zu schaffen. Eine individuelle Lösung zwischen den Bundesländern und Kirchen zu finden, ist im Rahmen der Länderhoheit die einfachere und sachgerechtere Vorgehensweise. Die Länder haben bislang jedoch nicht erkennen lassen, mit Gesprächen über die Ablösung der Staatskirchenleistungen beginnen zu wollen. Um die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen, ist eine explizite Initiative allerdings Grundvoraussetzung. Aus diesem Grund besteht aktuell erst recht nicht für den Bund die Notwendigkeit, diesbezüglich tätig zu werden. Ich darf noch darauf verweisen, dass auch der Koalitionsvertrag keine Maßnahmen in diesem Bereich vorsieht. Das System der Kirchensteuer und des Staatskirchenrechts hat sich bewährt. Eine Kommission, wie die Fraktion Die Linke sie in ihrem Antrag fordert, ist bürokratisch und verkennt die Gestaltungsautonomie auf Länderebene. Der Antrag der Fraktion Die Linke ist somit abzulehnen. Weder für die Einsetzung einer solchen Kommission noch für den Erlass eines Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen des Bundes besteht akuter Handlungsbedarf. Andreas Schwarz (SPD): Wir reden heute über ein altes Thema und über einen diskussionswürdigen Antrag. Bis ins Jahr 1803 müssen wir zurückblicken, um verstehen zu können, worum es hier eigentlich geht. Der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 hat sicherlich nicht erwartet, dass sich fast auf den Tag genau 214 Jahre später ein gesamtdeutsches Parlament mit dessen Auswirkungen beschäftigen wird. Worum geht es im Einzelnen? Im Jahr 1803 wurden im Rahmen der staatlichen Säkularisierung die Kirchen teilweise enteignet. Von Klöstern bis zu ganzen Ländereien. Seither fließen Entschädigungszahlungen des Staates an die Kirchen, nicht ohne Grund, so zum Beispiel um die Seelsorge trotzdem in der ländlichen Region aufrechtzuerhalten. Im Jahr 1919 wurden viele Kirchenrechtsregelungen in die Verfassung der Weimarer Republik aus dem Kaiserreich übernommen. Aber eben auch, dass die Regelungen zur Kirchenfinanzierung neu verhandelt und neu geordnet werden müssten, und zwar in Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung. Dieser Auftrag wurde mit Artikel 140 im Jahr 1949 auch ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Seither, und das ist doch einigermaßen erstaunlich, ist nichts geschehen. Ich möchte nicht verhehlen, dass auch ich glaube, dass wir hier tätig werden müssen. Mit „wir“ meine ich aber nicht zwangsläufig den Bund als Initiator dieser Initiative, sondern am Ende einer notwendigen Kette. Bei der Berechtigung, die diese Debatte sicherlich hat, sind aber auch ein paar sensible Besonderheiten dieses Themas zu beachten. Die Kirchen in unserem Land tragen eine nicht hoch genug einzuschätzende Verantwortung für das Gemeinwohl in Deutschland. Nicht zuletzt in der Flüchtlingsfrage sind die Kirchen in unserem Land unverzichtbarer Partner einer humanen und menschenwürdigen Flüchtlingspolitik. Die kirchliche Seelsorge gibt den Menschen in unserem Land in einer immer schneller werdenden Welt Halt und Konstanz. Das gilt insbesondere für eine alternde Gesellschaft im ländlichen Raum. Hier ist die Kirche Hort des Zusammenkommens und auch des Gehörtwerdens. Ohne die sozialen und karitativen Leistungen der Kirchen sähe der gesellschaftliche Zusammenhalt in unserem Land ganz anders aus. Diesen Umstand sollten und dürfen wir bei jeder Debatte über die Finanzierung von Kirchen und Religionsgemeinschaften in unserem Land nie vergessen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wie bereits in der ersten Debatte zu Ihrem Antrag möchte ich heute auch noch mal betonen, dass wir gar nicht alles völlig abwegig finden, was Sie an Forderungen aufführen. Sie fordern im Wesentlichen vier Punkte. Drei von diesen Punkten können wir etwas abgewinnen. Einem jedoch nicht. Da dieser jedoch der zentrale Punkt des Antrages ist, werden wir den gesamten Antrag leider nicht mittragen können. Ja, Sie fordern nicht zu Unrecht, dass es Zeit wird, den Umfang der Säkularisierungsverluste aus dem Jahr 1803 zu ermitteln. Dann spielt natürlich eine Rolle, wie hoch die Entschädigungszahlen seit dem Jahr 1919 sind. Ich glaube übrigens, dass die Differenz aus beiden Zahlen Sie eher überraschen würde als mich. Und jetzt stoßen wir aber auf das aus meiner Sicht entscheidende Problem. Und ich möchte das auch heute nochmals ausführen. In Ihrem Antrag fordern Sie die Einsetzung einer Kommission im Bundesfinanzministerium, bestehend aus – ich zitiere – Expertinnen und Experten wie Kirchenhistorikerinnen und Kirchenhistorikern, Kirchen- und/oder Verfassungsrechtlerinnen und -rechtlern, Ökonominnen und Ökonomen sowie Vertreterinnen und Vertretern der Bundesländer sowie der beiden großen Amtskirchen. Wenn Du nicht mehr weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis. Ich glaube eine derartig aufgeblähte Kommission wird uns weitere 214 Jahre in der Debatte kosten, bis diese sich auch nur ansatzweise auf ein konkretes Ergebnis einigen könnte. Und, da wiederhole ich mich nur ungern, wenn sie schon in solch großem Rahmen über Staatsleistungen und deren Zukunft diskutieren wollen, dann frage ich mich: wo sind die anderen Religionsgemeinschaften, die von Staatsverträgen profitieren? Ob es nun die jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt oder die in Hamburg lebenden Muslime und Aleviten sind. Sollen diese nicht an der Debatte beteiligt werden? Nein, ich glaube Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Ja, wenn der Verfassungsauftrag erfüllt werden soll, muss der Bund irgendwann gesetzgeberisch tätig werden. In welcher Form auch immer. Aber zuvor muss es Gespräche auf viel kleinerer Ebene geben. Die Staatsverträge sind zwischen Bundesländern und Kirchen geschlossen und können nur zwischen diesen einvernehmlich geregelt werden. Einige Bundesländer zahlen sehr viel, andere weniger. Teilweise erfolgen bis auf kommunale Ebene gar keine Zahlungen mehr. Das bedeutet: Gespräche zwischen Landeskirchen und den jeweiligen Bundesländern und Kommunen sind nötig. Und sowohl Kirchen als auch Länder sind doch dazu bereit. Hier gibt es klare Signale der Gesprächsbereitschaft. Diese sollten aufgenommen werden, und dann freue ich mich auf die Initiative aus den Ländern, die dann etwa Bodo Ramelow anführen kann. Ich traue ihm da vielleicht mehr zu als seine Bundestagsfraktion. Erst danach kann und sollte der Bund tätig werden. Wie unfassbar Komplex diese Gespräche sind, kann ich als ehemaliger Bürgermeister gern mal im Einzelnen berichten, etwa Fragen rund um Unterhalts- und Kirchenbaulastfragen. Aus den genannten Gründen und nicht zuletzt, weil wir uns in einer Koalition befinden, können wir diesem Antrag nicht zustimmen. Christine Buchholz (DIE LINKE): In zwei Jahren wird ein Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften betreffend, 100 Jahre alt. Der Artikel 140 unserer Verfassung hat den Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung aus dem Jahr 1919 zum Bestandteil des Grundgesetzes gemacht. Er lautet: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Die Staatsleistungen im engen Sinne – altrechtliche Staatsleistungen genannt – liegen gegenwärtig im gesamten Bundesgebiet bei rund 460 Millionen Euro jährlich. Gut Ding will Weile haben, aber 98 Jahre sind eine beachtlich lange Zeit, und deshalb ist aus unserer Sicht die Erfüllung des damals gegebenen Auftrages mehr als überfällig. In der vergangenen Legislaturperiode hatte meine Fraktion einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen vorgelegt, der abgelehnt wurde. Das passiert uns hin und wieder mit unseren Vorschlägen, trotzdem blieb im Ergebnis dieser Ablehnung ein weiterhin nicht eingelöster Verfassungsauftrag. Mit unserem Antrag zur Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen seit 1803 haben wir die Hürden für Ihrer aller Zustimmung niedriger gelegt. Wir sehen uns bestätigt, da es in allen Fraktion Stimmen gibt, nach denen die Ablösung der Staatsleistungen endlich in Angriff genommen werden muss. Und auch die beiden großen Kirchen sind bereit, darüber zu verhandeln. Wir sind davon ausgegangen, dass niemand etwas dagegen vorbringen kann, eine Kommission, bestehend aus Kirchenhistorikerinnen, Kirchen- und Verfassungsrechtlerinnen, Ökonominnen, Vertreterinnen der Länder und beider großer Amtskirchen einzusetzen, die sich des zu erfüllenden Auftrags annimmt und einen Vorschlag unterbreitet, wie er konsensual erfüllt werden kann. Die CDU/CSU hat die mögliche Ablösesumme als ein Problem ausgemacht. Und ja, das ist eine Frage, die diskutiert werden muss. Durch Aussitzen kommt man an dem Punkt aber nicht weiter. Und weil es in der Vergangenheit immer wieder zu Verwirrungen und falschen Behauptungen geführt hat: Wir reden hier nicht von Subventionen für Religionsgesellschaften zur Unterstützung ihrer Tätigkeit in Bereichen wie Sozialarbeit, Kindergärten, Schule, Jugendhilfe, Denkmalpflege. Die Leistungen der Kirchen sind hoch zu achten und tragen viel zum Zusammenhalt und friedlichen Zusammenleben in unserer Gesellschaft bei, vor allem auch wenn es um die Unterstützung und Hilfe für sozial benachteiligte Menschen geht. Lothar Binding von der SPD hat in der ersten Lesung darauf verwiesen, dass dabei nicht die Handlungsfähigkeit der Kirchen auf dem Spiel steht, sondern dass die Summe der Staatsleistungen gerade mal 2 Prozent des Etats für die kirchliche Arbeit ausmacht. Das Ablösungsgebot hat einen guten Grund, ist es doch eine rechtliche Voraussetzung für einen säkularen und bekenntnisneutralen Staat und somit wichtig für die Entflechtung der finanziellen Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Man kann mit Fug und Recht sagen, gerade in Zeiten einer weitaus größeren religiösen Vielfalt, als wir sie vor 100 Jahren hierzulande hatten, verstößt eine Bevorzugung bestimmter Kirchen gegenüber anderen Bekenntnisgemeinschaften und nichtreligiösen gesellschaftlichen Gruppen gegen das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche. Und auch im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot gegenüber allen Religionsgemeinschaften lässt sich auf Ewigkeit und Dauer die Bevorzugung nur zweier von ihnen nicht rechtfertigen. Aber es bleibt die Frage zu klären, inwieweit die Zahlungen im engeren Sinne heute noch angemessen und zeitgemäß sind. Wir sagen, das sind sie nicht. Wir wollen aber, dass darüber, ob dies so stimmt oder nicht, eine Expertinnen-kommission befindet. Die Voraussetzungen dafür sind gut, wie gesagt, beide große Kirchen haben mehrfach die Bereitschaft signalisiert, über die Ablösung der Staatsleistungen zu verhandeln. Dem sollte der Deutsche Bundestag nicht nachstehen. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Jubiläum steht vor der Tür. Es fällt unter die Kategorie unerledigte Geschäfte. 2019 feiern wir 100 Jahre Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Weder der Reichstag der Weimarer Republik noch der Bundestag haben bislang ernsthaft Anstrengungen unternommen, dem Auftrag der Verfassung an den Gesetzgeber nachzukommen. Das ist verfassungspolitisch ein unguter Zustand. Wir Grüne wollen den seit 1919 nicht umgesetzten Verfassungsauftrag – zur Ablösung der historischen Staatsleistungen an die großen christlichen Kirchen – endlich entschlossen umsetzen. Die Kirchen erhalten vom Staat bis heute Leistungen als Entschädigung für Enteignungen in der Zeit der Säkularisierung. Der grundgesetzliche Auftrag zur Ablösung dieser Staatsleistungen ist bislang nicht umgesetzt. Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass durch die Bundesregierung unverzüglich eine Expertenkommission eingesetzt wird, die eine Gesamtübersicht über die Staatsleistungen im Sinne des Artikels 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 anfertigt und Vorschläge für eine entsprechende Ablösungsgesetzgebung unterbreitet. Gegenstand der heutigen Beratung sind also die finanziellen Beziehungen zwischen Staat und Kirchen, genauer: zwischen den Ländern und den christlichen Bistümern und Landeskirchen, die durch staatliches Handeln während der Reformationszeit und des Reichsdeputationshauptschlusses enteignet worden waren. Um den finanziellen Unterhalt der verloren gegangenen Besitztümer fortzuführen, werden die sogenannten Staatsleistungen bezahlt. Die Linksfraktion ist bisher nicht durch gesteigertes Interesse an religionspolitischen Themen aufgefallen. Aber da sie dieses Thema ja nicht ohne Hintergedanken aufruft, zwei Bemerkungen zum Antrag: Man kann skandalisieren, dass jährlich über 500 Millionen Euro den ohnehin reichen Kirchen „geschenkt“ werden. Man muss aber auch anerkennen, dass Institutionen, die enteignet wurden, ein Recht auf Entschädigung besitzen. Man kann skandalisieren, dass seit 1949 laut Humanistischer Union über 17 Milliarden Euro aus der Staatskasse an die Kirchen bezahlt worden sind. Man muss aber auch anerkennen, dass es sich bei den Staatsleistungen nach Auskunft der allermeisten Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler eben nicht um eine einmalige Entschädigung handelt, sondern um Unterhaltsleistungen, die den durch die enteigneten Güter entgangenen Gewinn entschädigen. Es ist wie im Familienrecht: Ein Vater kann den Unterhalt für sein Kind (oder auch für seine armen Eltern) ja nicht einfach unter Verweis darauf einstellen, jetzt hätte er aber genug gezahlt. Damit ist hinsichtlich der Vorgaben, die der Antrag für die einzusetzende Kommission macht, für uns klar: Unter der Hand will uns die Linksfraktion hier eine Vorfestlegung abringen. Das aber werden wir nicht mittragen. Hier geht es um Verfassungsrecht, und da muss man sich auch dann an die verfassungsrechtlichen Festlegungen halten, wenn sie einem nicht so gefallen. Die Staatsleistungen sind hinsichtlich ihrer historischen Herleitung wie ihres Umfangs und Charakters eine schwierige und komplizierte Materie. Deswegen ist es sinnvoll und richtig, dass die Bundesregierung eine Kommission einsetzen soll, die genau das evaluiert und die dann auch am besten berufen ist, Vorschläge zu machen, wie ein Grundsätzegesetz, das allein der Bund zu erlassen ermächtigt ist, aussehen könnte. Es soll aber noch erwähnt werden, dass ein solches Grundsätzegesetz es den Ländern ermöglichen würde, eine gesetzliche Ablösung voranzutreiben. Es gibt nämlich noch die Alternative der vertraglichen Ablösung. Soweit ersichtlich, haben zahlreiche Bundesländer von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Kirchenbaulasten im Vertragswege abzulösen oder die auf mannigfaltiger Rechtsgrundlage gezahlten Staatsleistungen zu pauschalieren. Darauf ist in der Debatte schon verschiedentlich hingewiesen worden. Dieser Weg ist durch das Vorgehen des Bundes den Ländern weder verbaut, noch können sie dazu verpflichtet werden, nach Erlass eines Grundsätzegesetzes ihrerseits gesetzlich vorzugehen. Die Länderautonomie ist also in jedem Fall gewahrt. Der Ablösungsauftrag richtet sich an den Staat, nicht an die Kirchen. Darauf hinzuweisen ist keine Petitesse, denn die Kirchen werden immer wieder für die Staatsleistungen kritisiert, bis hin zu der Forderung, auf sie zu verzichten. Abgesehen davon, dass es Sache der Vertragsparteien ist, ihre vertraglichen Rechte wahrzunehmen oder auch nicht, ist es ein Versäumnis allein des Staates, der die Ablösungsverpflichtung des Artikel 138 Weimarer Reichsverfassung nicht umgesetzt hat. Die Kirchen haben immer wieder deutlich gemacht, dass sie gegen eine Ablösung keine Einwände erheben würden – vorausgesetzt, sie stünden finanziell anschließend nicht schlechter da als bisher. Diese Bedingung aber ist in der verfassungsrechtlichen Literatur zu den Staatsleistungen ohnehin breit anerkannt. Insofern ist die Einsetzung einer Expertenkommission die konsequente Fortführung der Diskussion um dieses randständige, aber wichtige Thema und liegt auch im Interesse der Kirchen – allerdings ohne die einschränkenden Bedingungen, die die Linke formuliert. Die Umsetzung des Verfassungsauftrages würde mehr Transparenz schaffen und die Chance zur Befriedung einer Debatte bringen, die teilweise erbittert geführt wird und das gesellschaftliche Klima vergiftet. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt (Tagesordnungspunkt 19) Josef Göppel (CDU/CSU): Der neue § 13b im BauGB ermöglicht die Ausweisung neuer Wohnbaugebiete am Außenrand eines jeden Ortsteils in Deutschland. Bei 11 162 Gemeinden mit durchschnittlich 30 Ortsteilen ergibt das 335 000 Baumöglichkeiten. Wenn nur die Hälfte der Gemeinden davon Gebrauch machen, wird der tägliche Flächenverbrauch von 60 auf 120 Hektar pro Tag verdoppelt. Das ist ein massiver Verstoß gegen den Koalitionsvertrag, in dem Union und SPD die Reduzierung auf 30 Hektar pro Tag beschlossen haben. Die Gemeinden können solche Flächen zwei Jahre lang ohne Umweltprüfung und Naturausgleich in beschleunigten Verfahren ausweisen. Damit sind auch Wasserschutzgebiete, Frischluftschneisen und Freiräume für Erholung gefährdet. Landwirtschaftliche Flächen nehmen weiter ab. Besonders empörend finde ich, dass ein Bürgermeister den Vorrang der Innenentwicklung mit einer einfachen Erklärung „Es geht nicht“ abfertigen kann. Der § 13b fordert keine vorherige Aufnahme von Leerständen im Ortszentrum und keinen Nachweis konkreter Verhandlungen mit Eigentümern. Schließlich fehlt dieser Gesetzesänderung jede Zielgenauigkeit. Zusätzliche Baumöglichkeiten machen Sinn in Gemeinden mit angespanntem Mietmarkt. Generelle Baulandausweisungen im ganzen Land führen aber nicht zu mehr Wohnungen, sondern zu mehr Planungsruinen. Insgesamt handelt es sich hier um verantwortungslosen Umgang mit Natur und Heimat, dem ich nicht zustimmen kann. Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Dem heute zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurf stimme ich lediglich mit Einschränkung zu. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Die Koalition stellt sich mit dem Gesetzentwurf aktuellen Herausforderungen der Stadtentwicklung und des Wohnungsbaus. Die Baugebietskategorie „Urbane Gebiete“ unterstützt die Entwicklung lebendiger Stadtviertel. Zu begrüßen ist auch die befristete Ausweitung der beschleunigten Bebauungsplanverfahren auf Ortsrandlagen, um den Wohnungsbau zu erleichtern. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Vorhabens ist die rechtliche Klarstellung zur Zulässigkeit von Ferienwohnungen durch den neuen § 13a BauNVO. Das Gesetz verfolgt dabei den richtigen Ansatz, indem es den Kommunen viel Entscheidungsfreiheit einräumt. Damit trägt es dem Umstand Rechnung, dass Kommunen unterschiedliche Bedürfnisse hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit von Ferienwohnungen haben. Gleichwohl greift der Entwurf insoweit zu kurz, als er die Möglichkeiten der Kommunen, Ferienwohnungen in reinen Wohngebieten zuzulassen, unnötigerweise einschränkt. In reinen Wohngebieten sind Ferienwohnungen nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn der Bebauungsplan kleine Beherbergungsbetriebe erlaubt und die fragliche Immobilie überwiegend zum Dauerwohnen genutzt wird. Viele Vermieter unterhalten jedoch in ihrem Haus mehrere Ferienwohnungen. Die Neuregelung kann in vielen touristisch geprägten Kommunen zu unbeabsichtigten Härten führen und negative Auswirkungen auf das touristische Angebot haben. Eine erneute Welle von Gerichtsverfahren, die sich speziell mit diesem Problemfeld befassen, ist daher möglich. Sinnvoll wäre gewesen, auch für reine Wohngebiete auf die Entscheidungskompetenz der Kommunen zu vertrauen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Share Economy – Wachstumschancen der kollaborativen Wirtschaft nutzen und Herausforderungen annehmen. – des Antrags der Abgeordneten Dieter Janecek, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Share Economy – Ökologische Chancen nutzen und Teilen statt Besitzen unterstützen (Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesordnungspunkt 10) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Der Gedanke der gemeinsamen Nutzung sowie des Teilens von Gütern ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Neu und geradezu revolutionär ist aber, dass sich damit äußerst erfolgreich Geschäftsmodelle betreiben lassen. Getrieben durch die rasante technologische Entwicklung im Zuge der Digitalisierung haben sich in wenigen Jahren innovative Geschäftsmodelle entwickelt, die alle nach demselben Prinzip funktionieren: Egal ob die Kunstplattform Etsy, der Büroraumvermittler WeWork oder die populären Unterkunfts- bzw. Transportvermittler Airbnb und Uber, sie alle eint, dass sie als Internetplattformen Produkte und Dienstleistungen für einen bestimmten Zeitraum zur Nutzung vermitteln und zeitweilige Geschäftsbeziehungen ermöglichen. Wichtigste Branchen sind die Personenbeförderung, das Crowdfunding, Dienstleistungen für Haushalte, Unterkunftsvermittlung und die Vermittlung freiberuflicher und technischer Dienstleistungen. Und sie alle eint, dass es sich bei den Unternehmen allesamt um relativ junge Firmen handelt. Eine dritte Gemeinsamkeit ist: Sie alle scheinen einen Nerv bei Anlegern und Kapitalgebern zu treffen. Bereits 2015 wurde in den Wirtschaftsbereich der Share Economy mehr investiert als in den gesamten Social-Media-Sektor, obwohl dieser Giganten wie Facebook und Twitter hervorgebracht hat. Es existieren bereits 17 Firmen der Share Economy, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet werden. Wie sehr die Geldgeber an das Geschäftsmodell glauben, zeigt sich auch daran, wie schnell es die Unternehmen in den Milliardenclub schaffen: Die Hälfte der Firmen erreichte bereits in weniger als fünf Jahren nach Gründung dieses schwindelerregende Niveau. In Deutschland ist die Share Economy großen Teilen der Öffentlichkeit weniger aufgrund des damit verbundenen ökonomischen Marktpotenzials als vielmehr aufgrund der kontroversen Debatte um den Fahrdienstvermittler Uber – Stichwort mangelnder Versicherungsschutz – und die Unterkunftsplattform Airbnb – Stichwort Wohnraumnutzungskonkurrenz – bekannt. Beide Aspekte, Potenzial wie Herausforderung, sind wichtig und haben ihre Berechtigung. Sie zeigen die Ambivalenz, die für die Branche Share Economy charakteristisch ist: auf der einen Seite neue Unternehmen mit innovativen Geschäftsideen und entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten, auf der anderen Seite neue Herausforderungen, etwa in Bezug auf sozialpolitische Fragestellungen oder Fragen des Verbraucherschutzes bzw. einerseits der geringere Ressourcenverbrauch durch die bessere Auslastung und höhere Effizienz, das größere Angebot und das Mehr an Transparenz sowie die flexiblere Verfügbarkeit und andererseits sozialpolitische Fragestellungen, vor allem im Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz. Das Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft als ordnungspolitischer Rahmen in Deutschland ist grundsätzlich dazu geeignet, auch die Share Economy zu erfassen. Das heißt, offener Marktzugang für neue Akteure ja, aber nur unter der Voraussetzung, dass sich der Wettbewerb mit herkömmlichen Anbietern auf Augenhöhe – sprich nach denselben Spielregeln, etwa im Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz – vollzieht. Das bedeutet jedoch gerade nicht, dass geltende Spielregeln zwingend aufrechtzuerhalten sind und damit zementiert werden. Es ist gerade das Kernanliegen des Antrags der Koalitionsfaktionen, die Bundesregierung dazu aufzufordern, die bestehende Rechtsordnung vor dem Hintergrund innovativer Geschäftsmodelle zu durchleuchten: Die Monopolkommission hat es zutreffend als asymmetrische Regulierung benannt, wenn konventionelle Dienste, die einer strikten Regulierung unterliegen, auf neue Wettbewerber der Share Economy treffen, die demgegenüber weniger oder gar nicht reguliert werden. Hier kann es sich in manchen Fällen empfehlen, die bestehende Regulierung zu reduzieren oder abzubauen. In anderen Fällen ist es jedoch gegebenenfalls sinnvoller, die bestehende Regulierung auch auf neue Akteure zu übertragen. Der Anspruch lautet daher: gleiche Spielregeln für alle, um ein einheitliches „level playing field“ zu erreichen. Hier liegt noch einiges an Arbeit vor uns. Die EU-Kommission hat im letzten Sommer wichtige Impulse zur Frage formuliert, welche Leitlinien für die Share Economy von Bedeutung sind. Hierzu hat sie im Rahmen einer Mitteilung an die Mitgliedstaaten erste Vorschläge für Leitlinien unterbreitet, an der sich die Share Economy orientieren kann. Konkret fordert die EU-Kommission die Mitgliedstaaten auf, Vorgaben zu Haftungsregelungen, Verbraucher- und Nutzerschutz, Definition von Selbstständigen und Arbeitnehmern und Besteuerung zu erarbeiten. Dieser Aufforderung schließen sich die Koalitionsfraktionen an. Wir fordern die Bundesregierung auf, bis zum Ende der Legislaturperiode entlang dieser Punkte Handlungsbedarf und Rechtssetzungsbedarf zu identifizieren und damit einen Ordnungsrahmen für einen fairen und funktionsfähigen Wettbewerb zu erarbeiten. Hier bietet sich unserer Ansicht nach auch die große Chance, sich von überholter Regulierung zu verabschieden und damit die Wirtschaft von überflüssigen Auflagen zu entlasten. Wir fordern die Bundesregierung auf, Schwellenwerte und Abgrenzungskriterien zu ermitteln, um professionelle von gelegentlichen Tätigkeiten zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist wichtig, damit Privatpersonen etwa anhand einer maximal zulässigen Zahl an Übernachtungen in Privatunterkünften klar erkennen können, unter welchen Rechtsrahmen sie fallen und dadurch Rechtssicherheit erlangen. Wir fordern die Bundesregierung auf, insbesondere bestehende Fragen zu Datenschutz und Haftung im Zusammenhang mit Share Economy zu klären. Wir fordern die Bundesregierung auf, in ihrem Engagement für den Breitbandausbau nicht nachzulassen. Dieser wird die grundlegende Voraussetzung für die weitere Verbreitung der Share Economy in Deutschland bleiben. Wir sind hier auf einem guten Weg, die entsprechende Infrastruktur für die Digitalisierung technologieoffen zu errichten und eine konvergente gigabitfähige Infrastruktur zu schaffen. Dabei wird insbesondere der Ausbau des Glasfasernetzes, auch für neue Technologien wie 5G, eine wichtige Rolle spielen, gerade um auch im ländlichen Raum den Menschen die Nutzung der digitalen Möglichkeiten zu ermöglichen. Als Deutscher Bundestag werden wir die Bundesregierung hier weiter unterstützen. Aus rein wirtschaftlicher Perspektive betrachtet ist der Trend der Share Economy an Europa bislang mehr oder weniger vorbeigegangen. 12 der 17 „Milliarden-Start-ups“ stammen aus den Vereinigten Staaten, nur ein einziges Unternehmen hat in Großbritannien und damit auf europäischem Boden seinen Sitz. Dieser Zustand ist bedauerlich. Aber wir dürfen bei aller Euphorie und Begeisterung von Investoren über neue Geschäftsmodelle nicht vergessen, dass Wirtschaft Spielregeln zu folgen hat. Regulierung ist kein Selbstzweck, sondern folgt in der Regel einem berechtigten Anliegen. Für uns als Union ist die Existenz neuer Marktakteure und Geschäftsmodelle grundsätzlich positiv konnotiert. Marktzugangsanforderungen sind daher nur dort akzeptabel und gerechtfertigt, wo sie erforderlich und verhältnismäßig sind. Dies gilt erst recht für komplette Verbote. Daher würde ich mir wünschen, wenn wir die sich uns bietende Chance nutzen, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der ausgewogen und am Allgemeinwohl orientiert für eine nachhaltige Entwicklung der Share Economy sorgt. Es bietet sich uns jetzt die Gelegenheit, die entsprechenden Strukturen im Sinne unserer Wirtschaft und vor allem der Menschen in unserem Land zu schaffen. Gehen wir es an. Axel Knoerig (CDU/CSU): Teilen und Tauschen – das sind die ältesten Grundlagen des Handels. Mit dem Begriff „Share Economy“ bezeichnen wir heute das gemeinsame Nutzen von Waren, Dienstleistungen oder Informationen. Das kann sowohl kostenlos als auch gegen Bezahlung erfolgen. In der digitalen Wirtschaft sind viele innovative Geschäftsmodelle entstanden: Die Plattform Wimdu bietet Unterkünfte an. Die Website MyHammer vermittelt Handwerker. Und namhafte Autohersteller bieten Car-Sharing an, etwa BMW mit DriveNow und Mercedes mit car2go. Diese neuen Konzepte fordern etablierte Anbieter wie das Taxi- oder Hotelgewerbe heraus. Hier müssen wir gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer schaffen. Es handelt sich um einen Milliardenmarkt. Share Economy bietet aber auch viele Vorteile, wie unser Antrag zeigt: Erstens. Über Online-Plattformen kommen Geschäftsbeziehungen leicht zustande. Angebot und Nachfrage lassen sich gut aufeinander abstimmen. Zweitens. Es entstehen neue Arbeitsbeziehungen. Für uns als Union halte ich hier fest: Beschäftigte der Share Economy müssen genauso abgesichert sein wie Kollegen in anderen Branchen. Und auch für sie muss der Mindestlohn gelten. Zugleich ist eine gewisse Flexibilität nötig. Drittens. Verbraucher profitieren von einer größeren Vielfalt bei Produkten und Dienstleistungen. Viertens. Das Prinzip des Teilens verspricht auch Nachhaltigkeit, wie zum Beispiel einen niedrigeren Ressourcenverbrauch. Diese Effekte müssen wir nutzen. Die genauen Wirkungen und Möglichkeiten der Share Economy müssen noch geklärt werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat hierzu schon mehrere Projekte initiiert. Das ist ein guter Auftakt. Weitere Projekte müssen folgen. Auch die anderen Ressorts investieren in die Share Economy. So wird heute ebenso das Carsharing-Gesetz des Bundesverkehrsministeriums beraten. In unserem Antrag gehen wir auf die Regelungsdefizite aller Branchen ein. Wir stellen daher in 18 Punkten einen Prüfauftrag an die Ministerien. Einige Forderungen habe ich bereits genannt, weitere möchte ich hervorheben: Die Bundesregierung soll Schwellenwerte für die einzelnen Branchen vorschlagen, zum Beispiel in Bezug auf die Anbieter von Unterkünften: Ab welchem Grenzwert sind sie gelegentlich tätige Privatpersonen oder gewerbliche Anbieter? Zu klären ist auch, wie Start-ups und unser Mittelstand in der Share Economy noch gezielter unterstützt werden können – zum Beispiel durch Beratungsangebote und Forschungsförderung. Daran schließt eine weitere Forderung an: Wir erwarten einen Bericht zu den neuen Marktperspektiven für unsere Unternehmen. Deutsche und europäische Portale müssen mit den amerikanischen Plattformen mithalten können. Es gilt, die Chancen der Share Economy zu nutzen. Zugleich müssen wir Rechtssicherheit für Unternehmen, Beschäftigte und Verbraucher schaffen. Matthias Ilgen (SPD): Fakt ist: Share Economy ist ein Motor für mehr Arbeitsplätze. Das liegt unter anderem daran, dass die Beliebtheit von Share Economy bei den Bürgerinnen und Bürgern in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Mit der Zahl der Anbieter wächst auch das Wachstumspotenzial jährlich. Eine Bevölkerungsbefragung hat ergeben, dass zukünftig noch mehr Menschen Share-Economy-Angebote nutzen wollen. Auch bei älteren Bürgern, die bisher seltener solche Angebote wahrgenommen haben, steigt das Interesse stark an. Fest steht für mich aber auch: Die Share-Economy-Anbieter empfinden die unklare Gesetzeslage in Deutschland als problematisch. Daher stehen wir Parlamentarier vor der Herausforderung, die Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten soweit wie möglich zu reduzieren. Hierbei müssen wir darauf achten, dass wir keine nationalen oder am Ende sogar lokalen Sonderregelungen schaffen. Dadurch, dass die Anwendbarkeit von Steuerrecht und Verbraucherschutz teilweise unklar ist, laufen wir Gefahr, einen unfairen Wettbewerb zu schaffen. Die Monopolkommission hat es zutreffend als asymmetrische Regulierung charakterisiert, wenn konventionelle Dienste, die einer strikten Regulierung unterliegen, auf neue Wettbewerber der Share Economy treffen, die demgegenüber weniger oder gar nicht reguliert werden. Hierbei kann es sich in manchen Fällen empfehlen, bestehende Regulierung zu reduzieren oder vielleicht sogar ganz abzubauen, auch wenn das manch einer von Ihnen sicherlich nicht hören möchte. Ein Thema liegt mir in dieser Debatte als Koordinator für Existenzgründung besonders am Herzen: die junge digitale Start-up-Szene. Gemeinsam mit meiner Fraktion setze ich mich dafür ein, dass die Rahmenbedingungen für junge innovative Unternehmen und ihr Zugang zu Wagniskapital weiter verbessert werden. Nur so ist es uns möglich, innovative Plattformen für Share Economy in Deutschland und Europa zu schaffen. Ich halte eine Unterstützung in Form von Beratungsangeboten für kleine und mittlere Unternehmen sowie Start-ups im Share-Economy-Bereich für äußerst wichtig. Sie ermöglichen unseren jungen digitalen Unternehmen, im globalen Wettbewerb zu bestehen, und helfen, dass unsere Start-ups und KMUs nicht allein zu Lieferanten von internationalen Plattformen werden. Abschließend möchte ich noch auf zwei Punkte verweisen, die wir bei der Debatte um Share Economy nicht aus den Augen verlieren dürfen. Zum einen, dass die Kriterien zur Definition von Selbstständigen und Arbeitnehmern in der Share Economy nicht auf der Strecke bleiben dürfen. Dazu gehört, dass die bewährten arbeitsrechtlichen Standards – wie Abhängigkeit, Art der Arbeit oder Vergütung – nicht umgangen werden dürfen. Außerdem muss die soziale Absicherung der Leistungserbringer – wie Clickworker und Scheinselbstständige – gewährleistet sein. Zum anderen – und damit möchte ich schließen – brauchen wir als eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für die Verbreitung der Share Economy den flächendeckenden Breitbandausbau in Deutschland mit deutlich höheren Übertragungsgeschwindigkeiten im Gigabitbereich. Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): So lange ist es noch nicht her, da hat man noch zum Handy in der Größe eines Briketts gegriffen, um schnurlos und fernab eines Telefonanschlusses zu telefonieren. Heute kann man sich eine Welt ohne auf schlanke Smartphones schauende Menschen fast nicht mehr vorstellen. Bis vor kurzem war es größter Wunsch, ein eigenes Auto zu besitzen. Heute wollen viele Menschen das Auto gar nicht mehr besitzen, sie wollen sie nutzen und mit anderen teilen, die das Auto auch nur nutzen wollen. Nutzen oder besitzen? Diese Frage stellt sich auch für andere Güter. Weitere Beispiele sind wie schon immer die Bücher und mehr und mehr Werkzeuge wie Bormaschine, Trennschleifer usw. Und es gibt auch den Wunsch nach Unterstützung bei Reparaturen und im Haushalt, sogar ein Austausch gegen eigene Dienstleistungen. Wie wird geteilt? Nebst analoger Share-Läden, die vor allem in Großstädten zu finden sind, prägen Onlineplattformen und ihre Apps die Teilwirtschaft – die Share Economy. Besonders beliebt, gerade in Großstädten, das Car Sharing. Die Wagen von Car2Go und DriveNow gehören in Berlin fest zum Stadtbild. Und im Reisebereich ist Airbnb aus dem Business nicht mehr wegzudenken. Immer mehr Menschen beziehen auch haushaltsnahe Dienstleistungen über Internetplattformen wie Book a Tiger oder Helpling. Dass es sich bei diesen Entwicklungen um einen komplexen Vorgang handelt, zeigen nicht zuletzt die vielen verschiedenen Dinge, die man auf diverse Arten teilen kann. Analog dazu gibt es zig verschiedene Handlungsansätze und Papiere, die aktuell zu den Themen Plattformökonomie und Teilwirtschaft kursieren. Jeder Ansatz ist für sich genommen gut und richtig. Doch anstatt in der Dunkelheit und mit der Hand Schmetterlinge fangen zu wollen, sollte man es mal bei Tageslicht mit einem Netz versuchen. Viele grundsätzliche Fragen sind bislang nicht abschließend beantwortet worden, zum Beispiel: Wie kann Share Economy einheitlich definiert werden? Wie gestalten sich die Arbeitsbedingungen? Wie viele Menschen sind davon betroffen? Wer haftet? Bevor man mit dem Regulierungshammer draufhaut und womöglich den Nagel durch die Wand treibt, müssen diese erstmal beantwortet werden. Was wir jetzt brauchen, ist erst einmal eine solide Datengrundlage. Denn wir wollen Rahmenbedingungen auf den Weg bringen, die weder die Plattformen zu sehr in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken noch die Verbraucherrechte der Nutzer aushebeln. Das kann auch helfen, die laufenden, teils sehr emotionalen Debatten über die verschiedenen regulatorischen Aspekte der Share Economy besser einzuordnen. Viele Diskutanten haben dabei noch die schwarz-weiß Brille auf. Plattformen sind die Spielwiese prekärer Beschäftigung; jedwede regulatorische Eingriffe schränken die Wettbewerbsfähigkeit ein; Plattformen sind der Altar, auf dem die Handels- und die Dienstleistungsbranche, wie das Abendland sie bisher kannte, dem digitalen Wandel und dem Wunsch nach Fortschrittlichkeit geopfert werden. Nun mal die SIM-Karte im Handy lassen! Von Entweder-oder ist hier nicht die Rede, es gilt ganz klar ein „Sowohl als auch“-Ansatz. Wirtschaftliche Chancen nutzen, beschäftigungsrelevante Risiken eindämmen! Bedenken und Fragen dazu haben wir in unserem Antrag aufgegriffen. Und schon jetzt können wir Veränderungen in der Branche beobachten. Ein Vorwurf, mit dem sich viele Plattformen konfrontiert sehen, lautet: Ihr Profit basiere auf einer modernen Tagelöhnerei. Dieser Vorwurf lässt sich nicht völlig entkräften, doch manche Firmen haben bereits einen Kurswechsel eingeleitet. Weg von der Vermittlung von Freiberuflern, hin zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und Bezahlung nach Tarif. Sie haben erkannt, dass sich Prozesssicherheit, Qualität und das Vertrauen der Kunden auf diese Weise schlicht besser gewährleisten lassen. In Zukunft wird die kollaborative Wirtschaft weiter wachsen. Mehr Menschen werden in diesem Bereich ihr Geld verdienen. Wir sollten diesen Prozess aufmerksam begleiten und dafür sorgen, dass gute Arbeit in diesem Wirtschaftsfeld der Zukunft möglich ist, auch ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen einzuschränken. Wie in vielen anderen Bereichen wird auch hier die anfängliche Aufregung der Routine weichen. Vielleicht wird ein eigenes Auto irgendwann wirklich ebenso exotisch wie das Briketthandy von damals. Klaus Ernst (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und SPD, Sie fordern uns in Ihrem Antrag unter anderem auf, Ihre Maßnahmen der Digitalen Agenda und Ihr Engagement zur Gestaltung der Arbeit im digitalen Zeitalter zu begrüßen. Wollen wir uns einmal anschauen, was da von Ihrer Seite bisher vorgelegt wurde. Ein wesentlicher Bestandteil der Digitalen Agenda ist der flächendeckende Breitbandausbau. Die Notwendigkeit eines solchen Ausbaus ist unstrittig. Auf der Seite des BMWi liest man: „Deutschland will eine Vorreiterrolle bei der Durchdringung und Nutzung digitaler Dienste einnehmen. … Deshalb braucht Deutschland flächendeckend Hochgeschwindigkeitsnetze.“ Auch hier könnte die LINKE vollumfänglich zustimmen. Nur ist ihre Forderung alles andere als neu. Schon 2009 hatte Kanzlerin Merkel Highspeedanschlüsse für 75 Prozent der Haushalte bis 2014 versprochen, mit mindestens 50 Mbit/s. Das ist drei Jahre her. Passiert ist seither nicht viel. Der Blick auf den Breitbandatlas des BMVI zeigt: Bereits ab einer Bandbreite über 6 Mbit pro Sekunde herrschen gravierende Versorgungslücken im Bundesgebiet. Um sich einmal klarzumachen, was 6 Mbit/s bedeuten, möchte ich ein einfaches Anschauungsbeispiel nennen. Nehmen wir an, Sie machen mit Ihrem Handy ein Bild und wollen dieses Ihrer Bekannten schicken. Sagen wir, das Bild hat die übliche Datengröße von 6 MB. Ihre Bekannte wohnt nun vielleicht im Landkreis Bayreuth. Oder im südwestlichen Schwarzwald. Oder auf dem Land in Sachsen. Bei einem Internetanschluss von 6 Mbit pro Sekunde – was einem Datendurchsatz von 0,75 MB pro Sekunde entspricht – nimmt das Bild eine Downloadzeit von 8 Sekunden in Anspruch. Sie können jetzt gerne einmal bis acht zählen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie lange das ist. Von einer internationalen Vorreiterrolle sind wir Lichtjahre entfernt. Fakt ist: Die Bundesrepublik hat beim Breitbandausbau im internationalen Vergleich den Anschluss verloren. Wir rangieren im internationalen Ländervergleich auf den hintersten Plätzen, noch weit abgeschlagen hinter Rumänien, Tschechien und Irland. Während andere Staaten wie Australien und Südkorea bereits mit einer Breitbandversorgung von 100 Mbit planen, will die Bundesregierung bis zum Jahr 2018 eine flächendeckende Grundversorgung mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde fördern. Zu begrüßen wäre gewesen, hätte die Bundesregierung 2009 ihr Wort gehalten und den Breitbandausbau bis 2014 umgesetzt gehabt. So bleibt diese Maßnahme eine längst überfällige Maßnahme, die von der Bundesregierung seit Jahren verschleppt wurde. Nun zum Bereich der zukünftigen Gestaltung von Arbeit und zu dem Dialogprozess „Arbeiten 4.0“. Als Ergebnis des Arbeitszeitdialoges mit Arbeitgebern und Gewerkschaften hat Ministerin Nahles angekündigt, den Achtstundentag in einem Feldversuch aufweichen zu wollen. Künftig sollen Gewerkschaften und ausgewählte Arbeitgeber die Möglichkeit bekommen, bei der Arbeitszeit über die gesetzlichen Regeln hinauszugehen, sofern sie dies in einem Tarifvertrag vereinbart haben. Nahles will dabei herausfinden, ob Flexibilität und Schutz vor Überlastung zusammengehen. Die Idee, Menschen durch flexible und längere Arbeitszeiten vor Überlastung schützen zu wollen, ist absurd. Denn in der Realität richten sich flexible Arbeitszeiten vor allem nach den Interessen der Arbeitgeber. Um Beschäftigte vor Überlastung zu schützen, müsste man vielmehr eine Verkürzung der realen Wochenhöchstarbeitszeit anstreben. Wie schon bei der Leiharbeit sollen jetzt gesetzliche Regelungen durch Tarifverträge verschlechtert werden können. Die Bundesregierung kehrt den Sinn von Tarifverträgen um und bedient damit Interessen der Arbeitgeber. Das ist ein Missbrauch der Tarifbindung. Um Beschäftigte effektiv zu schützen, brauchen wir eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte auf das Arbeitsvolumen und mehr individuelle Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Um Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu schützen, braucht es auch ein Recht auf Nichterreichbarkeit während der Freizeit: eine Anti-Stress-Verordnung. Es ist oberstes Gebot einer sozialen Politik, sich schützend vor die Beschäftigten zu stellen und dem Trend, dass Arbeit zunehmend krank macht, entgegenzuwirken. Nun geht es in dem Antrag in erster Linie um die sogenannte Share Economy. Sie stellen völlig zu Recht fest: „Der ursprüngliche Gedanke der Share Economy bezog sich zunächst meist auf das unentgeltliche Teilen und Tauschen von Gütern unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten.“ Dieser ursprüngliche Gedanke lebt in bestimmten Nischen fort und hat seine Existenzberechtigung und gehört auch aus unserer Sicht gefördert. Dazu haben die Grünen in ihrem Antrag durchaus ein paar richtige Positionen, weshalb wir dem Antrag auch zustimmen werden. Doch um was es bei Ihnen im Kern im Antrag geht, hat mit der ursprünglichen Share Economy fast nichts mehr zu tun. Insofern tue ich mich auch schwer, dies überhaupt mit dem Begriff „Share Economy“ oder „kollaborative Wirtschaft“ fassen zu wollen. Oftmals geht es bei diesen vermeintlich innovativen Geschäftsmodellen in erster Linie um die Unterlaufung bestehender Standards und Regelungen, insbesondere auch von Verbraucher und Arbeitnehmerschutzrechten. Insofern ist in den meisten Fällen für mich nicht erkennbar, warum darüber nachgedacht wird, hier Regelungen unter dem tatsächlichen oder vermeintlichen Druck neuer Geschäftsmodelle aufweichen zu wollen. Da schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. Davor kann ich nur warnen. Es muss vielmehr gesichert sein, dass die bestehenden Regeln und Schutzstandards umfassend, effektiv und überprüfbar angewendet werden können. Doch so weit sind wir ja noch nicht; erst einmal wollen Sie viel prüfen, berichten und vorschlagen lassen. Insofern sage ich in Richtung der Regierung: Prüfen Sie ehrlich! Differenzieren Sie, wo es um primär ökologische und soziale Gesichtspunkte geht und wo um knallharte Geschäftsinteressen bzw. wo Geschäftsmodelle primär durch die Unterlaufung von Standards funktionieren! Und schlagen Sie hier differenzierte, aber wirksame Lösungen vor! Wir sind gespannt, aber skeptisch, ob die Prüf- und Berichtsaufträge hier mit der richtigen Intention abgeschickt werden. Insofern können wir diesem Antrag nicht zustimmen. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Sache gleich vorweg, weil das in der öffentlichen Debatte oftmals nicht und im Antrag der Koalitionsfraktionen leider gar nicht deutlich wird: Share Economy ist mehr als Uber und Airbnb. Es ist richtig und wichtig, dass die Themen solidarische Wirtschaft und gemeinschaftliche Konsumformen heute Eingang in die Tagesordnung des Deutschen Bundestags gefunden haben. Wir brauchen dringend neue Ideen, wie wir gleichzeitig unseren Wohlstand erhalten und Ressourcen einsparen können, und innovative Geschäftsmodelle, die Teilen statt Besitzen ermöglichen. Immer mehr Menschen nutzen die bereits existierenden Angebote, registrieren sich für Carsharing, anstatt sich ein Privatfahrzeug zuzulegen, und erkennen, dass für ihre persönliche Lebensqualität die Verfügbarkeit von Dingen entscheidend und Eigentum kein Selbstzweck ist. Die Akteure der Share Economy sind vielfältig, aktiv und kreativ. Mit dieser Debatte hier im Deutschen Bundestag haben wir die Chance, dies entsprechend zu würdigen und Modellen des gemeinwohlorientierten Teilens auch politisch Angebote zu machen. Innovation in diesem so zentralen Bereich für die ökologisch-soziale Modernisierung unserer Wirtschaft ist unbedingt unterstützenswert. Leider hat die Große Koalition diese Chance heute verpasst. Aus Ihrem Antrag geht doch ziemlich deutlich hervor, dass der Begriff Share Economy in Ihrer Vorstellung eher so etwas wie ein Platzhalter für Uber und Airbnb ist. Die Vielfalt der Szene und die zahlreichen, innovativen Social Entrepreneurs und grünen Gründungen klammern Sie in Ihrem Antrag vollständig aus. Stattdessen konzentrieren Sie sich auf die etablierten, großen Plattformen, vor allem im Bereich der Vermittlung von Dienstleistungen. Und es genügt Ihnen, in diesem Zusammenhang die altbekannten Problemstellungen zu beschreiben, ohne – und das ist zugegebenermaßen auch nicht ganz einfach; da werden wir auch noch viele Gespräche und die eine oder andere ausführliche Diskussion führen müssen – abschließende Antworten zu finden. Aber selbst dort, sehr geehrte Damen und Herren der Großen Koalition, wo Sie von Chancen sprechen, verkennen Sie das Offensichtliche und ignorieren das Selbstverständnis der Mehrheit der Szene. Sie tun gerade so, als wäre Share Economy nicht mehr als ein trendiges Label für einen Marktsektor unter vielen, den Sie dann in guter schwarz-roter Tradition nach Ihren klassischen Kriterien für wirtschaftlichen Erfolg bemessen und dem Sie vor allem vor dem Hintergrund möglicher Wachstumschancen zunehmende Bedeutung zumessen. Dabei geht gerade der Ansatz, die Chancen der Share Economy unter dem Titel Wachstumschancen zu diskutieren, völlig am Kern der Szene und ihrer Leitidee vorbei und zeigt leider wieder einmal, wie wenig sich Ihre Fraktionen unter dem Thema nachhaltiges Wirtschaften vorstellen können und wie schwer sie sich damit tun, moderne Antworten auf die Digitalisierung zu finden. Wir haben in diesem Plenum bereits mehrmals darüber gesprochen, zuletzt auch in der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht in Gegenüberstellung zum grünen Jahreswohlstandsbericht: Es ist allein schon nicht mehr zeitgemäß, im Bereich der klassischen Ökonomie wirtschaftlichen Erfolg ausschließlich mit Blick auf quantitatives Wachstum und Innovation in erster Linie über die Zahl von Neugründungen zu messen. Dass Sie das aber gerade bei der Share Economy tun, die ja nicht zufällig in einem engen Zusammenhang mit konsum- und wachstumskritischen sozialen Bewegungen steht, muss als komplette Themaverfehlung gewertet werden. Dabei ist das eigentliche Potenzial der Share Economy und der daraus resultierende politische Handlungsbedarf doch schon durch den Begriff ersichtlich: Es muss darum gehen, Teilen statt Besitzen zu unterstützen und die damit einhergehenden ökologischen Chancen zu nutzen. Die Chancen der Share Economy liegen in ressourcenschonenden Lebensentwürfen, nachhaltiger Mobilität, neuen Einstellungen zu Konsumgütern, einer gestärkten Rolle der Zivilgesellschaft in der Ökonomie, und – und das kann man gar nicht deutlich genug betonen – sie kann einen wichtigen Beitrag zur ökologisch-sozialen Modernisierung unseres Wirtschaftssystems leisten. Sie ist kein Wirtschaftszweig wie jeder andere, der momentan aufgrund guter Entwicklungschancen Ihre Aufmerksamkeit verdient, sondern sie ist und kann unter den entsprechenden politischen Rahmenbedingungen eine bedeutende soziale Innovation sein, die sich quer durch die verschiedenen Branchen zieht und dort zu Ressourceneinsparungen und Effizienzgewinnen führt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Vorschläge, die Sie mit Ihrem Antrag vorlegen, sind ja alle so nicht verkehrt. Niemand hat etwas dagegen, unseren Informationsstand zur Share Economy zu verbessern, Rechtsunsicherheiten zu benennen, die Bedingungen für KMU und Start-ups zu verbessern oder den Breitbandausbau voranzutreiben. Nur haben die meisten Ihrer Forderungen mit Share Economy erst einmal nur bedingt etwas zu tun. Und wenn Sie den Begriff dann doch aufgreifen, dann machen Sie keinerlei Vorschläge, wie Sie konkret und explizit Modelle des allgemeinwohlorientierten Teilens unterstützen wollen. Die Tatsache, dass Sie Ihren eigenen Antrag offensichtlich weder im Plenum noch in den Ausschüssen debattieren möchten, spricht da auch für sich. Wir werden uns deshalb, was Ihren Antrag betrifft, sehr geehrte Damen und Herren der Großen Koalition, enthalten. Wenn es Ihnen tatsächlich darum geht, die Potenziale der Share Economy zum Tragen zu bringen, dann sorgen Sie für Folgendes: Die Ideen und Konzepte gemeinschaftlicher Konsumformen müssen endlich Einzug in die klassische Wirtschaftspolitik finden, fest verankert in einer politischen Strategie „Solidarische Wirtschaft“ mit Zuständigkeit einer Staatssekretärin oder eines Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium. Modelle des gemeinwohlorientierten Teilens müssen politisch gestärkt werden, wobei gerade nicht profitorientierte Gründungen eine besondere Berücksichtigung erfahren müssen und durch gezielte Maßnahmen wie Bürokratieabbau, eine Ausweitung der elektronischen Verwaltungsdienstleistungen und die Überarbeitung veralteter Regularien mehr Freiräume erhalten. Meine Fraktion hat Ihnen dazu ja bereits Vorschläge vorgelegt. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über die Einrichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes (Tagesordnungspunkt 21) Karl Holmeier (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf passen wir das Güterkraftverkehrsgesetz an mehreren Stellen redaktionell an und nehmen verschiedene Klarstellungen vor. Gleiches gilt für das Fahrpersonalgesetz, das Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, das Straßenverkehrsgesetz und das Gesetz über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes. Im GüKG besteht darüber hinaus bei der nationalen Erlaubnis die Besonderheit, dass diese im Falle der Wiedererteilung unbefristet erteilt wird. Dies stellt eine Diskrepanz zum europäischen Recht dar und bereitet Schwierigkeiten im Verwaltungsvollzug. Darüber hinaus ist es erforderlich, eine Ermächtigungsgrundlage für die Speicherung bestimmter Verstöße des Unternehmers und des Verkehrsleiters zu schaffen. Hiermit wird eine aus dem europäischen Recht stammende Vorgabe umgesetzt. Transport und Logistik bilden das Rückgrat unserer Industrie, unserer Wirtschaft und unseres täglichen Lebens. Der jährliche Umsatz der Logistikbranche hat sich in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt, auf etwa 250 Milliarden Euro. Transport und Logistik haben damit als Wirtschaftsfaktor und Arbeitsplatz enorme Relevanz für die deutsche Volkswirtschaft. Nahezu 3 Millionen Beschäftigte in Deutschland zeigen täglich ihre Flexibilität, Kreativität und Schaffenskraft in der Logistikbranche. Rund 10 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland arbeiten in der Logistikbranche. Jeder Sechste von ihnen fährt auf unseren Straßen und ist wesentlicher Stützpfeiler unseres wirtschaftlichen Erfolges. Die Branche ist dabei auf faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen angewiesen. Gerade durch den zunehmenden Wettbewerb osteuropäischer Fuhrunternehmen geraten die Sozialstandards im Straßengüterverkehr hierzulande verstärkt unter Druck und bringen sozial verantwortlich handelnde Unternehmen in Bedrängnis. Dem gilt es politisch entgegenzuwirken, um fairen Wettbewerb und gute Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Mehr als 40 Prozent aller mautpflichtigen Verkehre in Deutschland werden inzwischen durch gebietsfremde Transportunternehmen, insbesondere aus den östlichen EU-Mitgliedstaaten, geleistet. Seit der fünften Erweiterung der Europäischen Union 2004 hat sich das Lohn- und Sozialkostengefälle im Straßengüterverkehr verstärkt. Es bestehen starke Anreize, große Fuhrparkflotten aus Deutschland in die neuen EU-Länder zu verlegen. Die Dienstleistungsfreiheit im Verkehr wird dabei oft ausgenutzt, um Betriebsstandorte lediglich formell zu verlegen. Ausgeflaggte Fuhrparkkapazitäten bleiben faktisch in Deutschland und auf den Hauptmärkten. Fahrzeuge und Fahrerinnen und Fahrer sind zu Arbeitsbedingungen ihres Entsendelands tätig. Mittelständische Transportunternehmen, die bei Lohn-, Sozialkosten und Arbeitsbedingungen den westeuropäischen Standards entsprechen, werden aus dem Markt gedrängt. Viele Fahrerinnen und Fahrer kehren erst nach Wochen oder Monaten an ihren Betriebsstandort zurück. Ruhezeiten und private Freizeit werden im Führerhaus, an Raststätten, Umschlags- oder Hafenanlagen verbracht. Selbst minimale Sozialstandards werden ihnen dabei vorenthalten. Hier muss dringend gehandelt werden. Das tun wir. Es gilt, einen fairen Wettbewerb im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr zu ermöglichen sowie Lohn- und Sozialdumping zu unterbinden. Dem Umflaggen von Fuhrparkflotten und der Gründung von Briefkastenfirmen muss zum Wohle des deutschen Arbeitsmarktes entgegengewirkt werden. Die Bundesregierung muss die wettbewerbsverzerrenden und unfairen Arbeitsbedingungen bekämpfen. Dies alles haben wir zum Wohle des deutschen Transportlogistikgewerbes ausführlich in unserem Entschließungsantrag aufgeführt und gefordert. Im Fall des Verbringens der wöchentlichen Ruhezeit im oder um das Führerhaus haben wir mit unserem Änderungsantrag eine wichtige Klarstellung gemacht: Die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit darf nicht im Fahrerhaus verbracht werden. Eine Zuwiderhandlung führt zu einer Sanktion. In einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt muss mittelfristig eine europäische Regelung geschaffen werden. Solange diese nicht vorliegt, müssen wir als nationaler Gesetzgeber handeln. Mit unserer Regelung wollen wir vor allem die ohnehin sehr belasteten Fahrer – wie uns im Rahmen der Expertenanhörung eindrucksvoll verdeutlicht worden ist – vor menschenunwürdigen Verhältnissen schützen und somit gleichzeitig die Attraktivität des Kraftfahrerberufs verbessern. Das ist gleichzeitig auch ein wesentlicher Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit auf unseren Straßen und stellt faire Wettbewerbsbedingungen sicher. Wir wollen schließlich auch der zum Teil prekären Situation auf deutschen Rastplätzen an den Grenzen zu den Nachbarländern Rechnung tragen. Im Grenzbereich zu den Mitgliedstaaten der EU, die bereits durch nationale Regelungen Sanktionen in Bezug auf Verstöße gegen die Regelungen zur regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit eingeführt haben, kommt es auf den Rastplätzen zunehmend zu Ausweichentwicklungen, die zu unmenschlichen Zuständen auf den Rastanlagen führen. Unser Gesetzentwurf ist ein erster Schritt. Eine europäische Regelung ist dringend notwendig, und so werden wir die Thematik in der kommenden Wahlperiode erneut auf die Tagesordnung bringen, in enger Zusammenarbeit mit dem deutschen Transportlogistikgewerbe und zu seinem Wohle. Oliver Wittke (CDU/CSU): Mit unserem heutigen Beschluss nehmen wir Änderungen am Güterkraftverkehrsgesetz, am Fahrpersonalgesetz, am Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, am Straßenverkehrsgesetz und am Gesetz über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes vor. Eine ganz wesentliche Änderung ist dabei die Aufnahme eines Bußgeldtatbestands in das Fahrpersonalgesetz, der eine Bußgeldbewehrung vorsieht, wenn die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit in der Fahrerkabine verbracht wird. Wir sorgen damit für eine dringend benötigte Klarstellung des heute schon im EU-Recht geltenden Verbots, geben der Bundesregierung das notwendige Werkzeug zur Ahndung an die Hand und schieben dem Nomadentum von Lkw-Fahrern an deutschen Autobahnraststätten einen Riegel vor. Damit schützen wir die Kraftfahrer vor den teils menschenunwürdigen Verhältnissen, die wir heute noch an Autobahnraststätten und Parkplätzen vorfinden. Wir verbinden diesen Schritt auch mit der Hoffnung, der Diskussion auf europäischer Ebene durch unseren Schritt neue Dynamik zu verleihen. Nachdem Belgien, Frankreich und jetzt auch Deutschland eigene nationale Regelungen getroffen haben, steigt der Druck auf die Länder, die sich derzeit noch einer klar formulierten europaweiten Regelung verweigern. In diesem Zusammenhang begrüße ich auch den von Minister Dobrindt im Januar in Paris unterzeichneten Aktionsplan Deutschlands und acht weiterer westeuropäischer Länder. Wir werden in unserem Kampf gegen das Sozialdumping im Straßengüterverkehr nicht nachlassen und weiterhin für die Rechte der Lkw-Fahrer und faire Wettbewerbsbedingungen für unsere Unternehmen kämpfen. Vor diesem Hintergrund haben CDU/CSU und SPD auch einen Entschließungsantrag eingebracht, der sich mit diesen und weiteren Herausforderungen beschäftigt. In den kommenden Jahren müssen wir Antworten auf die drängenden Fragen finden, wie wir fairen Wettbewerb und die Beachtung europäischer und nationaler Sozialvorschriften sicherstellen. Dafür bedarf es der Weiterentwicklung des Rechtsrahmens in Europa und Deutschland. Wichtig ist uns auch die Stärkung der Attraktivität des Berufs des Kraftfahrers. Die heute zu beschließende neue Regelung zu den Lenk- und Ruhezeiten leistet zwar einen Beitrag hierzu, aber weitere Schritte müssen folgen. Dazu gehören familienfreundliche Arbeitszeiten oder auch bessere Bedingungen an den Laderampen. Wir müssen die Meldepflichten und -systeme und die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen Behörden verbessern, die Kontrollen intensivieren und Verstöße konsequenter sanktionieren. Wir dürfen nicht weiter zulassen, dass sich insbesondere osteuropäische Wettbewerber mit niedrigeren Sozial-, Lohn- und Sicherheitsstandards einen Vorteil vor unseren inländischen Unternehmen verschaffen. Viele der relevanten Regelungsbereiche liegen in der Zuständigkeit der Europäischen Union. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, sich auf Europäischer Ebene für eine entsprechende Weiterentwicklung des Rechtsrahmens einzusetzen. Dazu gehört nicht nur die bereits erwähnte Regelung zur Verbringung der Lenk- und Ruhezeiten, sondern auch der Einsatz für eine stärkere Betonung der sozialen Aspekte in der erwarteten Straßenverkehrsinitiative der Europäischen Kommission. Wichtig ist uns zudem, dass die Bundesregierung zügig zu einem Abschluss des Vertragsverletzungsverfahrens zur Anwendung des Mindestlohns im Transportgewerbe kommt. Hier brauchen wir endlich eine Lösung, die fairen Wettbewerb zwischen in- und ausländischen Unternehmen sicherstellt. Spätestens im Frühjahr 2018, wenn die Bundesregierung an den Verkehrsausschuss berichtet, werden wir das Thema erneut auf der Tagesordnung haben. Die Transport- und Logistikbranche mit ihren fast 3 Millionen Beschäftigten kann sich darauf verlassen, dass wir die Entwicklungen weiterhin aktiv begleiten und notwendige Anpassungen energisch einfordern und umsetzen werden. Udo Schiefner (SPD): Katastrophal und menschenunwürdig geht es auf deutschen Autobahnrastplätzen gerade an den Wochenenden und vor allem in Grenznähe zu Frankreich, Belgien und den Niederlanden zu. Bei unseren westlichen Nachbarn wird das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit mit Bußgeld bestraft. Die Lkw stehen deshalb alle auf unserer Rheinseite. Auf Rastplätzen für normalerweise 90 befinden sich regelmäßig über 200 Fahrzeuge. Deren Fahrer haben nicht das Geld, um kostenpflichtige Toiletten oder Duschen zu benutzen. Sie sind monatelang unterwegs, nicht nur wochenlang. Sechs oder neun Monate sind keine Seltenheit. Die Fahrer kommen nicht mehr nach Hause; sie haben keine sozialen Kontakte mehr, keine Bindung zu ihrer Familie. Das sind unwürdige Zustände. Mit diesen deutlichen Worten wurden uns die Zustände auf unseren Autobahnraststätten am Montag dieser Woche geschildert. In der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzespaket, das heute zur Abstimmung steht, wurde ausgiebig und eindrücklich aus der Praxis auf der Straße geschildert. Wir alle kennen die Bilder und Geschichten über die Bedingungen im Straßengüterverkehr inzwischen aus zahlreichen Fernsehberichten. Einige von uns konnten das Elend auch persönlich in Augenschein nehmen. Ich war zuletzt Weihnachten bei Fahrern auf Autobahnrastplätzen, die das Fest der Familie fern ihrer Heimat verbringen mussten. In dem Zusammenhang will ich all den deutschen Fahrern danken, die sich in Kraftfahrerkreisen organisieren und zum Beispiel Weihnachtsaktionen für ihre Kollegen, vor allem aus Osteuropa, durchführen. Die eindrücklichen Schilderungen in der Anhörung haben alle Anwesenden im Verkehrsausschuss spürbar berührt. Sollten noch Zweifel daran bestanden haben, dass wir gegen das moderne Nomadentum dringend handeln müssen: Seit Montag hat diese Zweifel sicher keiner mehr. Uns wurde vor Augen geführt, dass wir über Güterkraftverkehr und Fahrpersonal nicht sprechen können, ohne über faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen zu sprechen. Auf deutschen Autobahnen sollte beides selbstverständlich sein. Doch wir sehen, wie erschreckend anders die Realität aussieht. Das Leid der Fahrer ist dabei die eine Seite der Medaille. Leiden tut auch das Gewerbe. Große Teile des deutschen Transportlogistikgewerbes sind akuten Wettbewerbsverzerrungen ausgesetzt. Ehrliche Logistik- und Transportunternehmen, die ihre Mitarbeiter fair bezahlen, soziale Standards einhalten und Umläufe so planen, dass die Fahrer regelmäßig am Wochenende zu Hause sein können, verlieren zunehmend Aufträge. Ihre Existenz ist bedroht. Die Spediteure und ihre Fahrerinnen und Fahrer, die Menschen am Steuer der Lkw, fahren am Limit. Sie leiden darunter, dass auf deutschen Autobahnen zu viele schwarze Schafe zu unscharfe Regeln ausnutzen und geltendes Recht missachten. Diese schwarzen Schafe stammen keineswegs nur aus Osteuropa. Auch für einige in Westeuropa ansässige große Unternehmen gehört das zu ihrem Geschäftsmodell. Wir müssen politisch handeln. Das wissen wir seit Jahren. Endlich tun wir es. Am Montag wurde auch deutlich benannt, wie wir handeln können: Ein Instrument, etwas zu ändern, wäre es, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit vernünftig und menschenwürdig zu regulieren. Genau das Instrument, über das wir heute hier diskutieren, ist meiner Meinung nach eines der Schlüsselelemente, schrieb uns Udo Skoppeck, aktiver Fernfahrer und Aktivist für Fernfahrerrechte, ins Lastenheft. Wir haben die Forderung aufgenommen und im Verkehrsausschuss eine kleine, aber entscheidende Änderung zum Fahrpersonalgesetz beschlossen. Um Missverständnissen vorzubeugen, will ich noch einmal benennen, was wir verbieten. Es geht um die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw. Mit Artikel 8 Nummer 8 der EU-Verordnung 561/2006 ist die Voraussetzung gegeben, um zu unterbinden, dass die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug verbracht wird. Die EU-Verordnung sagt: In zwei jeweils aufeinanderfolgenden Wochen hat der Fahrer mindestens zwei regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten oder eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit und eine reduzierte Wochenruhezeit von mindestens 24 Stunden einzuhalten. Wichtig sind hier die zu unterscheidenden Begriffe „regelmäßige“ und „reduzierte“ wöchentliche Ruhezeit. Weiter heißt es nämlich, dass nicht am Standort eingelegte tägliche Ruhezeiten und reduzierte wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug verbracht werden können. Regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug werden in dieser Ausnahme explizit nicht benannt. Dem EU-Recht folgend können und müssen wir das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Fahrzeug verbieten und ahnden. Keine Frage: Die Klarstellung zum Verbot des Verbringens der wöchentlichen Ruhezeit im Lkw, die wir nun beschließen, ist nur ein Mosaikstein. Eigentlich wäre eine europäische Regelung notwendig, die keinerlei Interpretationsspielraum bietet. Eigentlich müssen wir noch viele weitere Aspekte angehen, wollen wir fairen Wettbewerb und faire Arbeitsbedingungen im Transport- und Logistikgewerbe garantieren. In unserem Entschließungsantrag haben wir dazu Punkte benannt. Der Bundesregierung haben wir damit wichtige Aufgaben gestellt. Ich erwarte, dass wir im Frühjahr 2018 erste Ergebnisse präsentiert bekommen. Schon jetzt aber kommt, wenn uns der Bundesrat zustimmt, der kleine Mosaikstein, der, wie ich sicher bin, große Wirkung haben wird. In der Diskussion um das Fahrpersonalgesetz wurde im Vorfeld häufig angezweifelt, dass das Verbot des Verbringens der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit durchsetzbar sei. Dazu haben wir Montag wichtige Hinweise erhalten: Niederlande, Belgien und Frankreich zeigen bereits, dass das Verbot kontrollierbar ist. Die Problematik der Kontrollen liegt bislang einzig darin, dass das „Schwert nicht schneidet“. Mit dem heutigen Beschluss schärfen wir in jedem Fall das Schwert. Damit es schneidet, sind die Kontrollbehörden in der Pflicht und haben alle Möglichkeiten – wie ihre Kolleginnen und Kollegen in unseren westlichen Nachbarstaaten –, das Verbot durchzusetzen. Ich erwarte effektive Schwerpunktkontrollen, die deutlich abschreckenden Charakter haben müssen. Dazu sind integrative Kontrollen unter Einbindung von Polizeien, BAG, Zoll und auch Ämtern für Arbeitsschutz notwendig. Zudem müssen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung noch besser nutzen. Mit dem digitalen Tachografen wird schon bald vieles einfacher. Ein obligatorischer digitaler Frachtbrief ist darüber hinaus dringend geboten. Das fordern wir in unserem Entschließungsantrag. Ich will enden mit einem Zitat aus der Anhörung, das sich mir eingebrannt hat: „Ich weiß nicht, warum die Bevölkerung und die gesamte Politik – ich spreche jetzt die ganze Runde an – glauben, dass wir Kraftfahrer das stoisch mitmachen, nur weil es sich so eingebürgert hat.“ Vollkommen richtig; Nicht das Gewohnheitsrecht, sondern das gesetzte Recht muss gelten. Zur Frage der Ruhezeit im Lkw gibt es eine EU-Verordnung und nun auch eine entsprechende Klarstellung im Fahrpersonalgesetz, und diesen Regelungen verschaffen wir Geltung. Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Erteilung nationaler güterkraftverkehrsrechtlicher Zulassungen erfolgt bislang für bis zu zehn Jahre. Bei einer Verlängerung ist diese bisher aber unbefristet zu erteilen. Dass dies nun, in Übereinstimmung mit dem EU-Recht, dahin gehend geändert werden soll, auch diese nur für zehn Jahre zu erteilen, ist sinnvoll. Verstöße von Güterkraftverkehrsunternehmen werden bislang nicht in der Verkehrsunternehmensdatei beim BAG geführt, sondern an zwei anderen Stellen gespeichert, um Dopplungen zu vermeiden. Die EU hat nun vorgeschrieben, dass klar definierte, schwerste Verstöße in diese Datei aufzunehmen sind. Dies anzupassen war notwendig. Im Entschließungsantrag der Koalition werden eine Reihe sinnvoller Dinge gefordert, die über den Änderungsantrag hinausgehen. Dem können wir bis auf eine Ausnahme zustimmen. Dass es sich hierbei jedoch ausgerechnet um die wöchentlichen Ruhezeiten handelt, ist äußerst bedauerlich. Im Antrag wird sich dafür ausgesprochen, entgegen dem mit dem Änderungsantrag eingeführten klaren Verbot, die Regelungen auf EU-Ebene dahin gehend zu regeln, dass wöchentliche Ruhezeiten im Fahrerhaus verbracht werden können. Die Ruhezeiten im Fahrerhaus sollen zwar verkürzt werden, dennoch reicht diese Regelung nicht aus. Verdi hat in der Anhörung des Verkehrsausschusses zu Recht darauf hingewiesen, dass der Änderungsantrag der Koalition nicht ausreichend ist. Die Formulierung, dass „nicht geeignete Schlafmöglichkeiten“ sanktioniert werden sollen, ist alles andere als rechtssicher. Der Bundesrat hat einen Vorschlag gemacht, der dies eindeutig in einem neuen Paragrafen definiert hätte. Dem hätte man folgen sollen. Zur Verbringung der wöchentlichen Ruhezeiten hatten wir ein Berichterstattergespräch, bei dem Frau Staatssekretärin Bär auf Zeit spielen wollte, während sich alle vier Fraktionen dafür aussprachen, den untragbaren Zuständen insbesondere in Grenznähe zu Belgien und Frankreich einen Riegel vorzuschieben. Wir begrüßen daher, dass diesbezüglich nun zumindest überhaupt etwas geschieht. Da sowohl die Unternehmen als auch die Fahrer bestraft werden können, bleibt unklar, inwieweit die Haftungsfrage geregelt ist: Wer muss bei Vergehen etwas zahlen? Es wäre durchaus möglich gewesen, lediglich die Unternehmen haften zu lassen. Bei Verstößen könnte das Fahrzeug dann so lange festgehalten werden, bis das Unternehmen die Buße hinterlegt hat. So sind jetzt jedoch Streitigkeiten über das Verursachen der Verfehlungen vorprogrammiert. Besser wäre es gewesen, den Weg des Bundesrates zu gehen, der dies explizit als Verbot regeln will und Sanktionen zudem nur für Unternehmen, nicht auch für Fahrer, einführen möchte. In etwa zwei Monaten ist ein Urteil des EuGH zur Frage der Reichweite des EU-Rechts zu erwarten. Auch nach der Anhörung ist mir nicht klar, warum man das Urteil nicht einfach abwartet und dann schaut, was national zu regeln ist. Der Entschließungsantrag beschreibt in seinem Feststellungsteil zutreffend die schwierige Situation des nationalen Güterkraftverkehrs. Es sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass man bei Kroatien keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht hat, die dortigen Unternehmen weiter von der Kabotage auszuschließen. Dies wird mit dem Gesetzentwurf nachvollzogen, ist aber bereits seit Sommer 2015 wirksam. Hier hat man sich also weitere Konkurrenz sozusagen ins Haus geholt. Den Prüfauftrag hinsichtlich der verkürzten wöchentlichen Ruhezeiten, die eben doch in der Fahrerkabine verbracht werden dürfen, also die Umläufe von zwei auf drei Wochen im EU-Recht zu verankern, sehen wir kritisch. Deswegen enthalten wir uns bei diesem Antrag, auch wenn wir allen weiteren Forderungen zustimmen können. Die Durchsetzung des Mindestlohns ist uns natürlich ebenfalls ein großes Anliegen. Deswegen begrüßen wir die Anpassung der Meldepflichten. Der Prüfauftrag an dieser Stelle ist allerdings zu schwach. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf der Seite des Bundesverkehrsministeriums habe ich folgende Definition zum Begriff „Logistik“ entdeckt: „Unter dem Begriff ‚Güterverkehr und Logistik‘ werden alle Maßnahmen verstanden, die notwendig sind, um Güter in der richtigen Menge, im richtigen Zustand, zum richtigen Zeitpunkt, mit den richtigen Informationen und zu minimalen Kosten am richtigen Ort bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen“. Ende des Zitats. Von vernünftigen Arbeitsverhältnissen und fairer Entlohnung der Beschäftigten ist nicht die Rede; stattdessen werden die minimalen Kosten besonders hervorgehoben. Die „Billigstrategie“ im Bereich des Straßengüterverkehrs hat dabei in eine fatale Abwärtsspirale geführt und Sozialdumping erst ermöglicht. Die Folge sind katastrophale soziale Verhältnisse: Fernfahrer, die teilweise länger als ein halbes Jahr ihre Familien in den Heimatländern nicht gesehen haben und praktisch ein Leben im Lkw verbringen, bzw. Beschäftigte, die kaum mehr als 500 Euro im Monat erhalten und von ihren Unternehmen disponiert werden, wie die Ware, die sie quer durch Europa transportieren. Und um das hier auch noch einmal klarzustellen: Dies ist keine Problemlage, die allein durch osteuropäische Transportunternehmen zu verantworten ist. Vielmehr ist es oft so, dass deutsche bzw. westeuropäische Unternehmen praktisch ihre Logistikabteilung über Briefkastenfirmen in Osteuropa im Sinne der erwähnten „Billigstrategie“ ausgelagert haben. Im Straßengüterverkehr finden wir daher Arbeitsverhältnisse vor, von denen wir früher geglaubt haben, dass diese Zeit der Ausnutzung und des sozialen Elends längst überwunden sei. Ihre Gesetzesinitiative zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes verbessert die Lage der Fernfahrer nur unzureichend. Sie hätten der Position des Bundesrats folgen sollen. Das wäre eine echte Verbesserung gewesen. Der Bundesrat hat richtigerweise gefordert, dass der Unternehmer dafür zu sorgen hat, dass das Fahrpersonal die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit nicht mehr im Fahrzeug verbringt. Die Ruhezeit sollte in festen Unterkünften mit Sanitäreinrichtungen und ausreichenden Versorgungsmöglichkeiten verbracht werden. Die Ruhezeit sollte nach dem Willen der Mehrheit der Länder weiterhin am Wohnort des Fahrers bzw. Unternehmenssitz verbracht werden und nur in Ausnahmefällen unterwegs. Ihr Vorschlag bringt leider keine Rechtssicherheit. Was ist bitte unter der weit gefassten Formulierung einer „geeigneten Schlafmöglichkeit“ zu verstehen? Dabei hätte auch ein Blick in Richtung unserer westeuropäischen Nachbarn Frankreich und Belgien genügt, um Anregungen zu bekommen. Klare Verbote in Verbindung mit wirksamen Kontrollen und spürbaren Bußgeldern für die Transportunternehmen zeigen dort seit Jahren Wirkung. Dagegen sieht Ihr Vorschlag sogar vor, die Fahrer mit zur Kasse zu bitten – ein völlig falscher Ansatz, da der Fahrer am wenigsten Einfluss auf die Disposition der Fahrten hat. Die Anhörung im Verkehrsausschuss zu Beginn dieser Woche hat es noch einmal ganz deutlich gezeigt: Die besten Gesetze und Verordnungen laufen ins Leere, wenn wir uns nicht um ihren wirksamen Vollzug kümmern. Regelmäßig berichten Fernfahrer, dass sie relativ selten von der Polizei oder dem Bundesamt für Güterverkehr kontrolliert werden. Wenn ein Fahrer in vier Jahren nur einmal in eine umfassende Kontrolle geraten ist, dann zeigt das schlaglichtartig, welche Defizite wir im Vollzug derzeit haben. Seltene Kontrollen in Verbindung mit milden Strafen und Bußgeldern sind für Transportunternehmer geradezu eine Einladung, gelegentliche Gesetzes- und Regelverstöße in ihre Kostenkalkulation einzubeziehen: Es dürfte oft billiger sein, als sich an die Regeln zu halten. Wir brauchen also mehr Kontrollen. Der Bund ist hier mit dem Bundesamt für Güterverkehr direkt zuständig und könnte den Ländern ein gutes Vorbild sein, indem er das Kontrollpersonal massiv aufstockt. Staatssekretär Barthle wies in der Anhörung lapidar darauf hin, dass sich durch die Änderung des Fahrpersonalgesetzes für den Bund kein erhöhter Erfüllungsaufwand ergeben würde. Das klingt nach Aussitzen, nicht nach Anpacken. Wenn wir dem Sozialdumping auf unseren Straßen den Kampf ansagen, dann brauchen wir dringend klare Zuständigkeiten und schlagkräftige Strukturen. Ineffiziente Kontrollen müssen der Vergangenheit angehören. Sicherlich lässt sich einiges durch die zügige Einführung des digitalen Tachografen sowie des digitalen Frachtbriefs vereinfachen. Wir müssen aber gleichzeitig darüber diskutieren, ob wir beim BAG künftig einen Großteil der Kompetenzen zur Kontrolle des Straßengüterverkehrs bündeln. Ich hatte es in meiner letzten Rede zu diesem Gesetzentwurf schon gesagt: Wir stehen bei der Bekämpfung des Sozialdumpings im Straßengüterverkehr erst ganz am Anfang. So gesehen ist Ihr Gesetzentwurf ein erster kleiner Schritt – aber auch nicht mehr. Das ist kein großer Wurf, sondern nur der kleinste gemeinsame Nenner der sogenannten Großen Koalition. Auf mehr können Sie sich kurz vor Ende der Legislaturperiode offenbar nicht mehr einigen. Schade! Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Strafe muss spürbar sein. Anders ist manchen Menschen leider oft nicht beizubringen, dass sie sich an gewisse Regeln zu halten haben: dass sie fremde Sachen nicht wegnehmen dürfen, dass es falsch ist, ohne Ticket mit dem Bus zu fahren oder dass sie ihren Unterhaltspflichten nachzukommen haben. Die Aufgabe des Richters im Strafverfahren ist es daher, die richtige Strafe zu finden, die, aus der der Täter auch wirklich lernt und später nicht zum Wiederholungstäter wird. Dafür stehen dem Richter im deutschen Strafrecht aktuell zwei Mittel zur Verfügung: die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe. Als ehemalige Staatsanwältin kann ich bestätigen, dass wir mit diesen beiden Mitteln bedauerlicherweise oft nur bedingt etwas bewirken können. So werden gerade bei kleinerer bis mittlerer Kriminalität Freiheitsstrafen oft zur Bewährung ausgesetzt und von den Tätern dann wie ein Freispruch empfunden. Geldstrafen werden nicht selten von nahen Angehörigen beglichen, die es gut meinen. Oder die bisweilen auch hohen Tagessätze schmerzen deshalb nicht, weil der Täter schlicht vermögend ist. Der Anspruch des Strafrechts und unseres Rechtsstaates ist es aber, auch diesen Tätern beizukommen. Vor dem Gesetz sind schließlich alle Menschen gleich, und so sollte ein Strafurteil auch für jeden Straftäter eine spürbare Konsequenz haben. Um das zu erreichen, wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Katalog der Strafen um das Fahrverbot erweitern. Wir wollen, dass das Fahrverbot nicht nur dann verhängt werden kann, wenn die Straftat einen Straßenverkehrsbezug aufweist, sondern grundsätzlich bei allen Straftaten. Dabei soll der Charakter des Fahrverbots als Nebenstrafe beibehalten werden. Wir versprechen uns davon, den einen oder anderen Täter damit stärker beeindrucken zu können als mit einer anderen Strafe. Warum? Weil Autos und Autofahren in unserer Gesellschaft einen Stellenwert haben wie sonst kaum anderswo auf der Welt. Ein Auto bedeutet Freiheit und Mobilität und für manch einen ist es hierzulande auch ein geliebtes Statussymbol. Sicher treffen wir hier einen empfindlichen Nerv. Das zeigt uns jedenfalls die aktuelle Erregung der Öffentlichkeit, und das zeigen uns auch die zahlreichen Gerichtsverfahren, in denen regelrecht leidenschaftlich darum gerungen wird, den Führerschein nicht abgeben zu müssen. Und genau das ist von uns gewollt; denn nur so können wir abschrecken und nur so können wir Wiederholungstaten vermeiden. Aus denselben Gründen wollen wir auch im Jugendstrafrecht die Sanktionsmöglichkeiten öffnen und um das Fahrverbot bei allen Straftaten erweitern. Dies halten wir erzieherisch für richtig, wenn mit einer anderen Strafe einem jungen Straftäter das Unrecht seines Verhaltens nicht deutlich genug vor Augen zu führen ist. Um den vielen Kritikern aus Jugendverbänden den Wind aus den Segeln zu nehmen, will ich an dieser Stelle an den sogenannten Warnschussarrest erinnern, der zum Ende der letzten Wahlperiode ins Jugendgerichtsgesetz eingeführt wurde. Da war der Aufschrei zunächst auch groß, und keiner wollte ihn haben. Inzwischen hat er den Praxistest jedoch mit Bravour bestanden und es wird von den Jugendgerichten vielfach auf ihn zurückgegriffen. Für nicht weniger sinnvoll als das Fahrverbot als Strafe erachte ich die in diesem Gesetzentwurf geplanten Neuregelungen zur Blutentnahme, die uns im Wesentlichen dorthin zurückführen, wo wir schon einmal waren. Es geht insbesondere um die Fälle, in denen Polizeibeamte vermeintlich alkoholisierte Autofahrer aus dem Verkehr ziehen. Um in diesen Fällen später das Fahren unter Alkoholeinfluss nachweisen zu können, braucht es eine Blutentnahme. Diese muss wiederum von einem Richter angeordnet werden, denn sie steht unter dem sogenannten Richtervorbehalt. Vor 2007 haben Polizisten diese Eingriffe trotz des Richtervorbehalts regelmäßig selbst angeordnet. Begründet wurde das mit der besonderen Eilbedürftigkeit, da der Alkohol vom Körper recht schnell abgebaut wird und sich in einem späteren Gerichtsverfahren dann Nachweisprobleme ergeben können. Vor zehn Jahren hat das Bundesverfassungsgericht schließlich klargestellt, dass der Richtervorbehalt leerliefe, wenn man diese Praxis weiterverfolge. Damit hat er den Richtervorbehalt gestärkt. Weitere Urteile haben jedoch Folgefragen aufgeworfen und dadurch zu allerlei uneinheitlicher Rechtsprechung von Oberlandesgerichten geführt. Mit den geplanten Neuregelungen, werden wir nun wieder Klarheit schaffen: Wir wollen gesetzlich festschreiben, dass es in solchen Fällen wie denen von Trunkenheit am Steuer keine richterliche Anordnung braucht. Stattdessen soll es reichen, wenn die Staatsanwaltschaft oder die Polizei die Blutentnahme anordnet. Dies ist nur recht und billig; schließlich wird der Täter dadurch weder schutzlos gestellt, noch ist der Richtervorbehalt aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend geboten. Diese Änderung steht letztlich im Zeichen der Sicherstellung einer effektiven Strafverfolgung und wird die ohnehin schon stark belastete Justiz entlasten – gerade bei einem Massendelikt wie dem der Trunkenheitsfahrt. Es ist eine mehr als gute Regelung also. Neben der Einführung des Fahrverbots als Strafe und der Änderung der Anordnungskompetenz bei der Blutentnahme enthält der vorliegende Entwurf außerdem noch weitere Neuregelungen, die wichtige Anliegen sind und die ich nicht unterschlagen will. Dazu gehören insbesondere die verschärfte Strafbarkeit organisierter Formen von Schwarzarbeit oder auch die Erleichterung der Strafzurückstellung bei betäubungsmittelabhängigen Mehrfachtätern. Alles in allem also ein runder Gesetzentwurf. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung wurde ein Bündel einzelner Reformvorhaben vorgelegt, welches Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz der Strafverfolgung enthalten soll. Dabei möchte ich mich auf zwei Punkte beschränken. Zum einen auf das Fahrverbot als Nebenstrafe und zum anderen auf die Abschaffung des Richtervorbehalts in § 81a Absatz 2 StPO. Nach derzeitiger Rechtslage wird ein Fahrverbot als Nebenstrafe ausschließlich für Straftaten vorgesehen, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurden. Sie ist damit eine Reaktion auf schuldhaft begangene Verkehrsverstöße, die als „Denkzettelmaßnahme“ den Täter vor einem Rückfall warnen und ihm das Gefühl geben soll, was es bedeutet, vorübergehend ohne Führerschein zu sein. Es wird vorgesehen, den Katalog der strafrechtlichen Sanktionen um die Möglichkeit der Verhängung eines Fahrverbots durch Einführung eines deliktsunabhängigen Fahrverbots als Nebenstrafe zu ergänzen. Damit soll eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen werden, um in geeigneter Weise auf Straftäter einzuwirken. Es sollen Straftäter erreicht werden, bei denen die herkömmlichen Sanktionen der Geld- und der Freiheitsstrafe wirkungslos sind. Weiterhin wird die Höchstdauer des Fahrverbots von drei Monaten auf sechs Monate erhöht. Im Jugendstrafrecht soll es aufgrund des im Vordergrund stehenden Erziehungsgedankens und jugendkriminologischer Erwägungen bei einer Höchstdauer von maximal drei Monaten verbleiben. Um taktische Anfechtungen allein wegen des aus Sicht des Verurteilten zu frühen Beginns des Fahrverbots zu vermeiden, wird das Fahrverbot erst einen Monat nach Rechtskraft des Urteils wirksam. Zudem ist mit § 44 Absatz 4 StGB-E eine Regelung zur Nacheinandervollstreckung mehrerer Fahrverbote vorgesehen. Die Union verschließt sich diesem Vorhaben grundsätzlich nicht. Jedoch ist zu bedenken, dass die Bedeutung des Führens eines Kraftfahrzeugs für den Einzelnen heute sehr unterschiedlich sein kann. Ein Berufskraftfahrer oder ein Pendler, der zum Erreichen seines Arbeitsplatzes auf sein Kraftfahrzeug angewiesen ist, wird durch ein Fahrverbot wesentlich stärker belastet als jemand, der auf den öffentlichen Nahverkehr ausweichen kann und damit leichter auf das Autofahren verzichten kann. Dies gilt zum Beispiel für Menschen, die ihren Wohnsitz in ländlicheren Gebieten haben und denen anders als in Großstädten kein vergleichbarer öffentlicher Personennahverkehr zur Verfügung steht. Klar ist, dass auch Freiheitsstrafen und Geldstrafen unterschiedlich wirken. Isoliert verhängte Geldstrafen und zu vollstreckende Freiheitsstrafen können insbesondere in spezialpräventiver Hinsicht unter Umständen ihren Zweck nicht erreichen oder unerwünschte Nebenfolgen haben. So beeindrucken Geldstrafen wirtschaftlich gutsituierte Täter nicht immer in hinreichender Weise, und dort, wo die Zahlung von Dritten übernommen wird, stößt diese Sanktion ins Leere. Verurteilungen zu vollstreckbaren Freiheitsstrafen haben neben den hohen Vollstreckungskosten nicht selten auch zur Folge, dass Straftäter ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnung verlieren und dass ihre sozialen Beziehungen erheblich gestört oder aufgelöst werden. Dies erschwert die Wiedereingliederung der Täter nach der Entlassung und erhöht die Gefahr neuer Straffälligkeit. Die Freiheitsstrafe ist generell sehr belastend, und die unterschiedliche Wirkung der Geldstrafe wird durch die Bemessung der Tagessätze jedenfalls teilweise ausgeglichen. Bei dem Fahrverbot scheint es angesichts der verschiedenen Lebensumstände und Vorlieben der Betroffenen kaum möglich, für eine annähernde Wirkungsgleichheit der Strafe zu sorgen. Noch verstärkt werden dürfte dieser Umstand dadurch, dass die Befolgung des Fahrverbots nur schwer kontrollierbar ist. Sinnvolle Anwendungsfälle lassen sich aber zum Beispiel bei Gewalttaten junger Menschen denken. Es spricht einiges dafür, dass sich ein solcher Täter einen neuen Rechtsbruch sehr genau überlegen wird, wenn er sein Auto oder Motorrad bereits für maximal drei Monate nicht benutzen darf. Der zweite Punkt ist das Thema „Abschaffung des Richtervorbehalts bei der Blutprobenentnahme“. Von Fahrzeugführern, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen, gehen erhebliche Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs und andere Verkehrsteilnehmer aus. Sie sind eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle mit schweren, oft tödlichen Folgen. Eine jederzeit effektive Verfolgung der Täter ist daher von besonderer Bedeutung. Das bisher geltende Recht enthält in § 81a Absatz 2 StPO einen Richtervorbehalt für alle körperlichen Untersuchungen. Ausnahmen sind nur für den Fall vorgesehen, dass der Untersuchungserfolg bei einer Verzögerung gefährdet würde. Dann steht die Anordnungsbefugnis der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen zu. Zur Beschleunigung der Beweissicherung im Straf- und Bußgeldverfahren insbesondere bei dem Verdacht auf ein Trunkenheitsdelikt und damit zur Verbesserung des Schutzes der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs vor ungeeigneten Fahrzeugführern soll der Richtervorbehalt zukünftig für die Fälle der Entnahme einer Blutprobe gestrichen werden. Der Richtervorbehalt ist nicht erforderlich, da es sich bei einem vergleichsweise milden Eingriff um ein Massenphänomen in der Strafjustiz handelt. Außerdem gehört der Richtervorbehalt – anders als bei der Wohnungsdurchsuchung – nicht zum rechtsstaatlichen Mindeststandard, und er kann aufgrund der Gegebenheiten in der Anwendungspraxis seiner Funktion als vorbeugende Kontrolle kaum gerecht werden. Denn der Richter hat keine echte Überprüfungsmöglichkeit. Er muss fast immer telefonisch und unter Zeitdruck eine Entscheidung treffen, auf Grundlage dessen, was ihm der Polizeibeamte zum Sachverhalt berichtet. Ein rechtstaatlicher „Mehrwert“ für den Beschuldigten ist selten ersichtlich. Zudem bleibt auf Antrag des Betroffenen nachträglich die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Anordnung entsprechend § 98 Absatz 2 Satz 2 StPO überprüfen zu lassen. Wir sollten über diese Punkte noch intensiv debattieren, um Antworten zu finden und die Defizite im geltenden Straf- und Strafprozessrecht auszugleichen. Dies könnte ein Schritt sein, das Strafverfahren unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze noch effektiver und praxistauglicher zu gestalten. Dr. Johannes Fechner (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetz schaffen wir zahlreiche Verbesserungen und Verfahrensvereinfachungen im Strafprozessrecht und wir schließen Strafbarkeitslücken im Strafgesetzbuch. Wichtigste Regelung ist die Abschaffung des Richtervorbehaltes bei der Blutentnahme zur Feststellung des Blutalkohols bei Verkehrskontrollen. Nach geltendem Recht muss ein Richter diese anordnen. In der Praxis hat sich aber nun gezeigt, dass wir einerseits sehr gut geschultes Personal bei der Polizei haben, das verantwortungsvoll mit dieser durchzuführenden Messmethode umgeht. Zudem hat sich gezeigt, dass die Rückfrage bei einem Richter oft nur pro forma erfolgte und erfolgen kann. Der Richter kann sich den Sachverhalt am Telefon schildern lassen, muss praktisch aber immer den Angaben des Polizisten vor Ort vertrauen. Die Erfahrung und alle Berichte zeigen, dass die Polizei verantwortungsvoll vorgeht. Den Richtervorbehalt braucht es deshalb nicht mehr. Vor allem war der Richtervorbehalt mit einem erheblichen Arbeitsaufwand für die Polizei verbunden, da jede Blutalkoholentnahme in Absprache oder auf Anordnung eines Gerichtes erfolgen muss. Mit der Abschaffung des Richtervorbehaltes erleichtern wir deshalb der Polizei ganz erheblich ihrer Arbeit, und wir verhindern, dass sich der Alkohol im Blut schon rapide abgebaut hat, bis die Entnahme endlich möglich ist. Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nehmen leider auch bei uns zu. Dabei lassen sich die gut organisierten Tätergruppen einiges einfallen, um die tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse zu verschleiern. Diese neuen Methoden sind vom heutigen Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nicht erfasst, sodass wir diese Lücke schließen müssen. Es ist deshalb gut, dass zukünftig mit der Einführung eines neuen besonders schweren Falls derjenige Arbeitgeber härter bestraft werden kann, der Beiträge zur Sozialversicherung vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft. Schließlich fügen wir als neue Nebenstrafe die Verhängung eines Fahrverbotes ein. Gerichte haben damit die Möglichkeit, in bestimmten Konstellationen, in denen eine Geldstrafe möglicherweise nicht die spürbarste Sanktion ist, durch die Verhängung eines Fahrverbotes auf den Täter einzuwirken. Dies kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn kurze Freiheitsstrafen oder Geldstrafen bei vermögenden Tätern keine entsprechende zielgenaue Wirkung erwarten lassen. Leider nimmt der illegale Wildtierhandel zu, was eine massive Bedrohung für den Artenschutz ist. Es ist deshalb richtig und gut, dass wir im Bundesnaturschutzgesetz regeln, dass das leichtfertige Töten und Zerstören von streng geschützten wildlebenden Tieren oder geschützten seltenen Pflanzenarten zukünftig strafbar ist. Durch dieses Gesetz schaffen wir eine ganze Reihe von strafprozessualen Verbesserungen, und wir schließen mehrere strafrechtliche Lücken. Es ist deshalb ein gutes Gesetz, weshalb wir diesem zustimmen sollten. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Da ist sie wieder: die Ausweitung des Fahrverbots auf alle Strafen unabhängig der Verkehrsbezogenheit der Delikte. Der Gedanke ist ja nicht neu, wurde immer wieder einmal hochgeholt und dann wieder versenkt, – zu Recht, wie ich meine. Gerade diese Ausweitung halte ich im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Strafrechts und der erwünschten Wirkung auf den Täter für problematisch, weil eine neue Ausbildungsstelle, ein neuer Arbeitsplatz, die Einbindung in soziale Netzwerke integrativ und reduzierend auf die Wahrscheinlichkeit der Begehung einer erneuten Straftat wirken können. All dies kann aber mit einer derartigen Sanktion gefährdet werden. Auch wird diese neue Strafe nicht auf alle Angeklagten anwendbar sein, sondern nur auf diejenigen mit Führerschein. Das Ziel, eine umfängliche dritte Sanktionsform zu schaffen, kann also nicht erreicht werden. Vielmehr sind hier schwer zu begründende Ungleichbehandlungen denkbar, so zum Beispiel, wenn bei Mittätern der eine ein Fahrverbot erhalten soll und der andere mangels Führerschein eine kurze Freiheitsstrafe verbüßen soll. Es sollten Sanktionsformen gewählt werden, die mit der Tat im Zusammenhang stehen, da diese für den Täter auch nachvollziehbar sind. Dies wäre hier gerade nicht der Fall. Ferner fehlt es an einem objektiven Verrechnungsmaßstab des Fahrverbots gegenüber der Geldstrafe beim führerscheinlosen Täter. Anders als beim Freiheitsentzug und der Geldstrafe fehlt es beim Fahrverbot an einer Einheit mit allgemeiner Gültigkeit, da die Folgen des Fahrverbots je nach Täter unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Auswirkungen haben können. Da sich im Gesetzentwurf keine detaillierten Angaben finden lassen, in welchen Fällen das Fahrverbot verhängt werden soll, ist neben den beschriebenen Problemen überdies die Gewährleistung des Bestimmtheitsgebots problematisch. Daneben wird statistisch nur der allergeringste Teil der Fahrer ohne Fahrerlaubnis überhaupt entdeckt. Das Risiko besteht, dass die Verurteilten dennoch weiterfahren und als Konsequenz lernen, dass die Verurteilung wirkungslos bleibt und ein Verstoß nicht weiter schadet. Das würde die Zielsetzung des Strafrechts ad absurdum führen. Als Gegenargument in den Medien wird vorgebracht, dass das Fahrverbot insbesondere gegen Väter, die den vorgeschriebenen Unterhalt an die alleinerziehende Mutter nicht zahlen, eingesetzt werden soll. Häufig wäre eine Geldstrafe hier nicht erfolgreich. Nach einer Bertelsmann Studie würden 2,3 Millionen Kinder in einem Ein-Eltern-Haushalt aufwachsen. Die Hälfte würde dabei gar keinen Unterhalt und 25 Prozent nur unregelmäßig welchen erhalten. Dies sei für die Mütter eine schwere Belastung. Zwar stimmt es, dass hier ein großes Problem für die Mütter besteht, jedoch bleibt die Forderung nach einem Fahrverbot für solche Fälle rein populistisch. Denn in den allermeisten Fällen scheitert es nicht an dem Unwillen der Väter, sondern vielmehr an ihrer aktuellen Zahlungsunfähigkeit. Hier springen dann vorerst die Ämter ein, die später versuchen, das Geld zurückzubekommen. Sofern es sich tatsächlich um Zahlungsunwillige handelt, wäre wiederum eine konsequentere Zwangsvollstreckung das deutlich bessere Mittel. Denn damit kommt auch das Geld auf das Konto, im Gegensatz zu einem Fahrverbot. Daneben ist der Vorschlag auch absurd, weil er zivilrechtliche und strafrechtliche Probleme vermischt; reiner Populismus also. Sinnvoller für eine wirksame Strafe wäre unter Umständen eine Änderung des § 40 Absatz 2 StGB, welcher regelt, was bei der Berechnung der Tagessätze berücksichtigt wird. Hier müssten tatsächlich ermittelte Vermögenswerte und weitere Verbindlichkeiten ausreichende Berücksichtigung finden. Die Ergänzungen der Regelbeispiele zur Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung sind problematisch. Insbesondere die geplante Nummer 3 will eine Strafbarkeit für den Fall regeln, dass jemand „fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet“. Dabei ist allerdings in der Nummer 2 bereits das Verwenden solcher Belege geregelt. Hier soll dagegen noch einmal speziell das Verschaffen solcher unter Strafe gestellt werden. Damit handelt es sich also um eine Vorverlagerung der Strafbarkeit, die ich generell kritisch sehe. Auch die Abschaffung des Richtervorbehalts bei Blutprobeentnahmen bei Straßenverkehrsdelikten ist nicht ohne, da diese einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellen. Nur durch einen Richtervorbehalt kann die strukturelle Ungleichheit im Verfahren ausgeglichen werden. Untersuchungen, die bedeutsame Defizite in der Erreichbarkeit von Richtern in der Nachtzeit feststellen konnten und folglich die Beweissicherung gefährdet hätten, sind zudem nicht bekannt. Sollten hier dennoch Lücken auftreten, müssten diese beseitigt werden, um, wie ich es heute Mittag bereits sagte, der Gerechtigkeit endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Das grundlegende Ziel, Drogenabhängige schneller einer Therapie zuzuführen, ist zu begrüßen. Dies entspricht auch den Wünschen aus der Praxis. Vielleicht sollte man sogar so weit gehen, nur zwei Drittel zu vollstrecken und den Rest bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Zurückstellung nach 35 Betäubungsmittelgesetz mit entsprechender Auflage zur Bewährung auszusetzen. So könnten auch die hier Betroffenen schneller einer Therapie zugeführt werden. Denn in der Haft können nur schwer die erforderlichen Therapien angeboten werden. Schon wenn es sich um Freiheitsstrafen von mehreren Monaten handelt, kann dies den Therapieerfolg ernsthaft gefährden. Zur Stärkung der Bewährungshilfe und Straffälligenarbeit lässt sich konstatieren, dass die Vereinfachungen und Klarstellungen mit Rücksicht auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht im Interesse einer effizienten Gefahrenabwehr liegen. Daneben können Daten zu den persönlichen Verhältnissen des Verurteilten die Qualität der Behandlungsuntersuchung zu Beginn der Inhaftierung und die Entlassungsvorbereitung an deren Ende verbessern. Die neuen Tatbestände auch zur leichtfertigen Tötung und Zerstörung von streng geschützten wildlebenden Tier- und Pflanzenarten sind grundsätzlich sinnvoll und unterstützenswert. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu Beginn dieser Legislatur gab es große Ankündigungen aus dem Bundesjustizministerium, die Strafprozessordnung grundlegend zu überarbeiten. Dazu wurde eine Kommission einberufen mit vielen Vertretern aus Wissenschaft und Praxis, die umfassende Empfehlungen für eine Reform vorgelegt haben. Fast 200 Seiten umfasst der Abschlussbericht der Experten. Auf Grundlage dieses Berichts erarbeitete das Justizministerium zwei Gesetzentwürfe, die wir in dieser Woche debattieren. Beide Vorlagen verdienen die Bezeichnung „Reform“ nicht. Von den umfassenden Vorschlägen der Kommission wurde zu wenig aufgegriffen. Der Gesetzentwurf zu diesem Tagesordnungspunkt 24 beschert uns eher kleinere Änderungen im Strafprozessrecht. Aber auch kleinere Änderungsvorschläge sind nicht davor gefeit, unsinnig und falsch zu sein. Und so verhält es sich mit dem Vorschlag, das Fahrverbot als Nebenstrafe für alle Straftaten zu ermöglichen. Bisher konnte dies nur verhängt werden, wenn zwischen der Tat und dem Führen eines Kfz ein Zusammenhang besteht oder die Tat unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde. Die Erweiterung ist nicht nur Unsinn, sondern führt gleich in mehrfacher Hinsicht zu Ungleichbehandlungen, was in meinen Augen sogar verfassungsrechtlich bedenklich ist. Anders als die Geldstrafe, deren Höhe sich an dem Einkommen des Verurteilten orientiert, kann das Fahrverbot nicht individuell schuldangemessen ausgestaltet werden. Das heißt, einen Verurteilten, der in einer größeren Stadt lebt, in der viele Möglichkeiten bestehen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, trifft ein Fahrverbot weniger hart als zum Beispiel einen Lehrling oder ein Elternteil auf dem Lande, der auf das Auto angewiesen ist, um damit zur Arbeitsstelle, zum Einkauf zu gelangen oder die Kinder zur Schule zu bringen. Auch den, der den Führerschein zwingend zur Ausführung seiner Arbeit benötigt, zum Beispiel einen Kurierfahrer, trifft die Strafe ungleich hart. Hier kann das Fahrverbot existenzbedrohend sein. Hingegen sind für Wohlhabende Fahrverbote leichter zu verschmerzen, können Sie sich doch problemlos per Taxi chauffieren lassen. Die Bundesregierung behauptet, dass das Fahrverbot als Ergänzung zu anderen Sanktionen sinnvoll sei, insbesondere wo Geldstrafen keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, eine Freiheitsstrafe zu einschneidend sei oder eine eigentlich angezeigte Freiheitsstrafe dadurch abgewendet werden könne. Was aber ist mit demjenigen, der gar keinen Führerschein hat? Er wird keine Freiheitsstrafe abwenden können und ist somit benachteiligt. Dieselbe Strafe kann also faktisch zu Ungleichbehandlungen führen. Es ist auch schwer vermittelbar, warum bei einer Tat, die nicht im Zusammenhang mit dem Führen eines Kfz steht, das Führen eines Fahrzeugs verboten wird. Das macht bei Rasern oder anderen Straßenverkehrsdelikten Sinn – aber eben nicht bei sämtlichen Straftaten. Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagene Ausweitung eines Fahrverbots als Nebenstrafe auf alle Straftaten im Jugendstrafrecht lehnen wir ebenfalls ab. Nach § 2 Absatz 1 Satz 2 Jugendgerichtsgesetz orientiert sich das Jugendstrafrecht vorrangig am Erziehungsgedanken. Die Bundesrechtsanwaltskammer weist in ihrer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf zu Recht darauf hin, dass bei der Verhängung eines Fahrverbots als Nebenstrafe in Fällen, in denen die Tat in keinem Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr und Nutzung eines Kraftfahrzeugs steht, keinerlei Erziehungsfunktion der Sanktion erkennbar sei. Diese Kritik, die ebenfalls aus der Wissenschaft und von Fachverbänden geäußert wurde, teilen wir. Ein weiterer Teil dieses Gesetzentwurfs betrifft die Aufhebung des Richtervorbehalts bei der Anordnung einer Blutentnahme im Bereich der Straßenverkehrsdelikte. Als einfachgesetzlicher Richtervorbehalt unterliegt § 81a Absatz 2 Strafprozessordnung grundsätzlich der Disposition des Gesetzgebers, da im Normbereich von Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen von Verhältnismäßigkeit und Wesensgehaltgarantie Eingriffe aufgrund eines Gesetzes zulässig sind und kein grundgesetzlicher Richtervorbehalt besteht. Die Einschaltung eines Richters als „neutraler Wächter“ soll die Kontrolle über die Anordnungsvoraussetzungen und die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes garantieren. Die StPO-Kommission des Bundesjustizministeriums hielt die Einschaltung eines Richters in diesem Bereich für verzichtbar – angesichts der geringen Eingriffstiefe und der weitgehenden Ungefährlichkeit der Blutentnahme, die ja in jedem Fall von einem Arzt vorzunehmen ist. Zudem muss der Richter schon heute meist am Telefon aus der Ferne entscheiden und sich dabei auf die von der Polizei vorgetragene Sachlage verlassen, ohne die Ermittlungsakten selbst einsehen zu können. Insofern spricht auch aus unserer Sicht vieles für die Aufhebung des Richtervorbehaltes, zumal Verkehrsdelikte unter Alkoholeinfluss ein Massenphänomen mit erheblichem Gefährdungspotenzial sind. Hinzu kommt, dass momentan keine einheitliche Praxis besteht, in welchen Fallkonstellationen die Polizei Blutproben schon wegen Gefahr im Verzug anordnen darf und wann dies dem Richter vorbehalten bleibt bzw. wann zumindest die Staatsanwaltschaft zu befassen ist. Der Gesetzentwurf sieht nun vor, dass die Anordnungsbefugnis durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen erfolgen kann. Das bedeutet wohl auch, dass trotz Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft die Polizei als verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft ohne vorherige Weisung durch sie tätig werden kann, davon geht jedenfalls die Stellungnahme des Bundesrates aus. Was aber fehlt, ist eine ausdrückliche Dokumentationspflicht der Polizei, sofern sie die Anordnung vornimmt. Nur durch eine detaillierte Dokumentation der jeweiligen Gründe für die Anordnung einer Blutentnahme ist im Zweifel eine umfassende nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme möglich. Allerding darf die Aufhebung des Richtervorbehalts im Bereich der Straßenverkehrsdelikte nicht Einfallstor sein für weitere Verzichte auf dieses wichtige rechtsstaatliche Kontrollinstrument. Praktische Erwägungen wie etwa, dass die Entscheidungen ja ohnehin meist nur aus der Ferne getroffen werden, dürfen nicht allein als Argument für die Aufhebung einer richterlichen Kontrolle ausreichen. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir befassen uns heute in erster Lesung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze. Mit der Ausweitung des Fahrverbots setzen wir eine Vorgabe des Koalitionsvertrags um. Ein Fahrverbot stellt ein spürbares und empfindliches Übel dar. Um den Gerichten diese Strafmöglichkeit auch jenseits von verkehrsbezogenen Delikten zur Verfügung zu stellen, soll das Fahrverbot – unter Beibehaltung seines Rechtscharakters als Nebenstrafe – für alle Straftaten zugelassen werden. Seine Verhängung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn eine Geldstrafe allein beim Verurteilten keinen hinreichenden Eindruck hinterlässt oder dadurch Verurteilungen zu spezialpräventiv eher kontraproduktiven kurzen Freiheitsstrafen vermieden werden können. Zudem soll die Höchstdauer des Fahrverbots im Strafgesetzbuch von derzeit drei auf sechs Monate angehoben und das Fahrverbot erst einen Monat nach Rechtskraft wirksam werden. Damit wollen wir den Gerichten einen erweiterten Bemessungsspielraum eröffnen und der Einlegung taktischer Rechtsmittel entgegenwirken. Zwar wurden gegen die Ausweitung des Fahrverbots von Teilen der Wissenschaft und der Verbände Einwände erhoben. Diese könnten aber fast durchgehend auch gegen das Fahrverbot in seiner jetzigen Form erhoben werden. Wie schon beim bisherigen Fahrverbot werden zum Beispiel die Gerichte auch beim ausgeweiteten Fahrverbot zu berücksichtigen haben, welche Auswirkungen das Fahrverbot für den konkret betroffenen Täter hätte, wie stark ihn das Verbot also treffen würde. Die Beibehaltung des Fahrverbots als Strafe, die nur neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe verhängt werden kann, wird es den Gerichten erleichtern, sachwidrige Ungleichbehandlungen zu vermeiden und zielgenauer als bisher zu einer angemessenen Sanktionierung des Täters zu gelangen. Die besonders kritischen Argumente vieler Fachleute im Jugendstrafrecht haben wir ebenfalls nicht einfach übergangen; siehe etwa die Begrenzung der Höchstdauer des Fahrverbots im Jugendstrafrecht auf drei Monate. Letztlich muss immer der Jugendrichter im Einzelfall entscheiden, ob ein Fahrverbot konkret wirklich das Ziel fördert, eine erneute Straffälligkeit zu vermeiden, oder ob es womöglich sogar eher zusätzliche Probleme erwarten lässt. Auch die übrigen Inhalte dieses Gesetzentwurfs tragen nach meiner Überzeugung zu einer effizienteren Strafverfolgung bei. Im Bereich der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung werden mit der Schaffung von zwei neuen Regelbeispielen für besonders schwere Fälle solche Verhaltensweisen mit einer höheren Strafandrohung bedroht, die sich durch den hohen Organisationsgrad der Täter deutlich vom Grundtatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt abheben. Im Strafverfahrensrecht wollen wir für bestimmte Straßenverkehrsdelikte eine Ausnahme von der vorrangigen richterlichen Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben schaffen, um der Polizei ein schnelleres Handeln zu ermöglichen und die Aufklärung von Verkehrsstraftaten insgesamt zu fördern. Außerdem enthält der Entwurf im Bereich des Strafvollstreckungsrechts Regelungsvorschläge, die eine Strafzurückstellung bei betäubungsmittelabhängigen Mehrfachtätern erleichtern. Im Bereich der Bewährungshilfe wird die Zulässigkeit der Übermittlung von Daten durch den Bewährungshelfer gesetzlich klargestellt. Der Gesetzentwurf sieht schließlich Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz vor. Diese gehen einerseits auf die sogenannte EU-Richtlinie Umweltstrafrecht zurück. Andererseits ist im Bereich der Wilderei und der illegalen Entnahme von gefährdeten Tieren sowie des illegalen Wildtierhandels eine nachhaltigere strafrechtliche Abschreckung erforderlich, die durch eine Anhebung der Strafandrohung erreicht werden soll. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Vorhaben. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25) Clemens Binninger (CDU/CSU): Dass wir das Sicherheitsüberprüfungsgesetz dringend gründlich überarbeiten müssen, dürfte spätestens seit November vergangenen Jahres klar sein. Damals wurde bekannt, dass sich ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Internet unter falschem Namen islamistisch geäußert und auch Dienstgeheimnisse verraten hatte. Es ist der Behörde damals gelungen, den Islamist in den eigenen Reihen zu identifizieren. Was zeigt uns dieser Vorfall? Das Gesetz in seiner jetzigen Form ist nicht mehr zeitgemäß; es wird der herrschenden Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, aber auch durch andere extremistische Bestrebungen nicht gerecht. Die Regelungen greifen zu kurz und werden den Anforderungen im Sicherheitsbereich nicht mehr gerecht. Wir müssen die Effektivität und die Qualität des personellen und des materiellen Geheimschutzes verbessern. Angesichts des Vorfalls im Bundesamt für Verfassungsschutz ist es richtig, den Blick auf das Verhalten der Bewerber und Mitarbeiter der Nachrichtendienste im Internet zu richten. Soziale Netzwerke und Internetauftritte werden bei der Selbstdarstellung gegenüber und in der Kommunikation mit anderen immer wichtiger. Künftig müssen die Bewerber und Mitarbeiter der Nachrichtendienste daher angeben, ob und welche eigenen Internetseiten sie betreiben und darlegen, in welchen sozialen Netzwerken sie Mitglied sind. Aus den Reihen der Opposition erreichen mich in diesem Zusammenhang immer wieder datenschutzrechtliche Bedenken. Man muss aber in der Debatte ehrlich sein: Die öffentlich zugängliche Internetpräsenz einer Person – es geht also ausschließlich um öffentlich verfügbare Daten – in die Überprüfung miteinzubeziehen, ist angesichts der jüngsten Erfahrungen nur konsequent und absolut richtig. Anderes zu behaupten, wäre weder seriös noch zeitgemäß. Zu einem modernen Sicherheitsüberprüfungsgesetz, das den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht wird, gehört auch, dass die Lebensumstände der potenziellen Geheimnisträger mit beachtet werden. Es ist nicht mehr unüblich, für eine bestimmte Zeit im Ausland zu leben. Das bedeutet aber, dass es für die Nachrichtendienste wichtig ist, bei der Sicherheitsüberprüfung auch mit den jeweiligen ausländischen Stellen zusammenarbeiten zu dürfen. Das werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf – unter strengen Voraussetzungen und mit der ausdrücklichen Zustimmung des Betroffenen – ermöglichen. Wenn wir den empfindlichen Sicherheitsbereich vor extremistischen Bestrebungen schützen wollen, ist es außerdem notwendig, den materiellen Geheimschutz aufzuwerten. Bisher sind die Bestimmungen zum Schutz von Verschlusssachen nur untergesetzlich geregelt. Das reicht meiner Meinung nach nicht. Eine gesetzliche Verankerung im Sicherheitsüberprüfungsgesetz macht die gemeinsame Verantwortung für das Wohl und den Schutz unseres Landes deutlich. Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz jetzt zu überarbeiten, ist richtig und zeitlich notwendig. Man muss aber weiterdenken. Es ist doch so: Der Sicherheitsbereich endet nicht am Zugang zu Verschlusssachen oder dem Sabotageschutz. Deshalb haben wir auch erst im letzten Jahr beschlossen, dass sich alle Soldaten künftig schon zum Zeitpunkt ihrer Einstellung bei der Bundeswehr einer einfachen Sicherheitsüberprüfung unterziehen müssen und nicht erst, wenn sie Berührung mit Verschlusssachen haben oder aus Gründen des Sabotageschutzes. An diesem Beispiel wird deutlich: Wir verhindern so, dass amtsbekannte, gewaltbereite Extremisten die Möglichkeit einer militärischen Ausbildung bei der Bundeswehr für ihre eigenen Zwecke nutzen. Wir werden daher in der Koalition darüber sprechen, ob und wie der zu überprüfende Personenkreis gegebenenfalls erweitert werden muss. Nur so können wir den sich ständig wandelnden Anforderungen im Sicherheitsbereich entgegentreten. Susanne Mittag (SPD): Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz ist mittlerweile 22 Jahre alt und steht nun zur Überarbeitung an. Das ist auch nötig. Ein wenig angestaubt wirkt das derzeitige Gesetz schon, nicht nur, weil wir heute – einen Tag nach dem Internationalen Frauentag – in diesem Gesetz eine geschlechtsneutrale Personenbezeichnung durchführen, nein es werden vor allem wichtige technische Neuerungen nachvollzogen, die bisher unbeachtet geblieben sind. Aber um mal zum Ausgangspunkt des Gesetzes zu gehen: Warum brauchen wir eigentlich ein Sicherheitsüberprüfungsgesetz? Ganz einfach: Es gibt Aufgaben und Tätigkeiten in unserem Staat, aber auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen, bei denen wir schon genau wissen sollten, ob der oder diejenige, der sie erledigt, auch zuverlässig und auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht. Das gilt für Extremisten aller Ausprägung – also seien es Reichsbürger, Rechts- oder Linksextreme oder Islamisten oder ganz einfach Straftäter. Ich möchte keinen Polizisten, keinen Mitarbeiter von Nachrichtendiensten, keine sonstigen Mitarbeiter mit sensiblen Aufgaben betraut sehen, an dem Zweifel bei der Zuverlässigkeit bestehen. Aber nicht nur extremistische Einstellungen werden bei der Sicherheitsüberprüfung betrachtet, sondern eben auch die Lebenssituation des Einzelnen. Jemand der stark überschuldet ist, könnte anfälliger sein für Anwerbeversuche anderer Nachrichtendienste! Gerade bei hochsensiblen Informationen, die den Bestand oder die Sicherheit unseres Staates gefährden, muss der Staat wissen, wem er solche Informationen und Aufgaben anvertrauen kann. Es werden daher aber eben nicht nur die Antragsteller, sondern auch die Lebenspartner in den Blick genommen. Das ist sicherlich ein Eingriff, der je nach Schutzbedürfigkeit der Verschlusssachen abgestuft erfolgt. Die Überprüfung unterliegt aber der Freiwilligkeit des Bewerbers. Jemand, der mit streng geheimen Verschlusssachen umgeht, muss anders durchleuchtet werden als jemand der nur mit „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ in Kontakt kommt. Dazu dient das Sicherheitsüberprüfungsgesetz. Was soll geändert werden? Als Erstes machen wir natürlich einen Schritt in Richtung der Digitalisierung. Vor 20 Jahren war das noch kein Thema, heute schon. Endlich kann man im Jahre 2017 seine Zustimmung zur Sicherheitsüberprüfung auch elektronisch erklären, und es bedarf nicht mehr einer eigenhändigen Unterschrift. Es werden also in Zukunft Schriftformäquivalente, wie sie im E-Government-Gesetz geregelt sind, genutzt werden. Darüber hinaus regeln wir materiellen Geheimschutz auch gesetzlich. Bisher hatten diesen nur die Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum materiellen Geheimschutz von Verschlusssachen, die sogenannten VSA, also eine untergesetzliche Regelung. Das hat zwar auch funktioniert, aber gesetzlich geregelt ist es sicherer. Darüber hinaus stärken wir erneut das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik – kurz BSI – als zuständige Behörde für den materiellen Geheimschutz in der Bundesverwaltung. Das BSI hat nun die Aufgabe und die Befugnisse für ein durchgängig hohes Niveau des materiellen Geheimschutzes im Geltungsbereich der VSA zu sichern. Dazu gehören Beratung, Zulassung und Überprüfung von organisatorischen und technischen Sicherheitsmaßnahmen. Der Umgang mit sicherheitssensiblen Informationen bedarf klarer technisch aktueller Regeln. Mit dem neuen Sicherheitsüberprüfungsgesetz schreiben wir den Grundsatz der „Kenntnis, nur wenn nötig“ gesetzlich fest. Dieser Grundsatz beschränkt die Weitergabe von eingestuften Informationen auf den zur Aufgabenerfüllung notwendigen Teil. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der gleichen Medaille ist aber auch, dass eine Verschlusssache zur Kenntnis bekommt, wenn sie für seine oder ihre Aufgabe benötigt wird. Das ist das sogenannte Need-to-share-Prinzip, das hier zum Tragen kommt. Gerade bei unserer Arbeit im NSA-Untersuchungsausschuss mussten wir immer wieder feststellen, dass dieses Prinzip eben nicht in allen Bereichen durchgängig geklappt hat. Man hat eher das Gefühl gehabt, dass „Kenntnis, nur wenn nötig“ den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass eben auch wichtige Informationen nicht weitergegeben wurden. Aber es kam eben auch vor, dass, wenn jemandem etwas aufgefallen ist, nicht nachgefragt wurde. Die Begründung war dann immer: Das musste ich nicht für meine Aufgabe wissen. Ich hoffe, nein, ich erwarte, dass sich das verbessert. Insgesamt soll die gesamte Sicherheitsüberprüfung transparenter gestaltet werden. In Zukunft sollen alle betroffenen Personen über das Ergebnis ihrer Sicherheitsüberprüfung informiert werden. Das gilt für abgelehnte wie für zugelassene Personen. Ein jede und ein jeder muss wissen, welche Hinderungsgründe für eine Ablehnung in einem sicherheitssensiblen Bereich bestehen. Das muss heute Standard sein. Allerdings gibt es auch dort eine Ausnahme. Bewerberinnen und Bewerber von Nachrichtendiensten des Bundes wird das Ergebnis nicht mitgeteilt. Denn ausländische Nachrichtendienste versuchen immer wieder mit fingierten Bewerbungen, den Kenntnisstand der Nachrichtendienste bzw. die Einstellungspraktiken auszukundschaften. Bei aller Offenheit, so leicht sollten wir es den ausländischen Diensten nicht machen. Deshalb kann ich diese Ausnahme auch gut mittragen. Aber das wissen die Bewerber auch. Bei solch einer Sicherheitsüberprüfung fallen naturgemäß auch persönliche Daten an. Wir regeln nun in diesem Gesetz, dass, spätestens ein Jahr nachdem eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nicht oder nicht mehr ausgeübt wird, die personenbezogenen Daten gelöscht werden müssen. Davon kann allerdings abgewichen werden, wenn die betroffene Person einer längeren Speicherung zustimmt, da sie anstrebt, in Zukunft erneut eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit auszuüben. Ich denke, wir haben hier einen sehr ausgewogenen Gesetzentwurf, den wir nun ins parlamentarische Verfahren geben. Für interessant halte ich die Anmerkungen der Bundesrates zu diesem Entwurf: Es versteht sich von selbst, dass Bewerberinnen und Bewerber für so sensible Tätigkeiten ihre öffentlich zugänglichen Accounts sozialer Netzwerke und ihre eigenen Internetseiten angeben. Wir sollten uns dabei aber wirklich nicht nur auf die eigenen Seiten beschränken, sondern sollten auch die Möglichkeit nutzen, öffentlich zugängliche Seite einzusehen, die eben nicht von den Betroffenen verwaltet werden. In Zeiten von mit Hassnachrichten explodierenden Kommentarzeilen von Onlinezeitungen und anderen Internetseiten erscheint es nur sinnvoll, eben auch diese für die Bewertung heranzuziehen. Es kann ja sein, dass jemand auf seinem Facebook-Profil nur Katzenbilder teilt. Das heißt aber nicht, dass dieser sich auf anderen Seiten nicht rassistisch oder extremistisch äußert. Das muss bei der Sicherheitsüberprüfung berücksichtigt werden. Ich denke, das werden wir hier im Saal alle nachvollziehen können. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Die letzte grundlegende Reform des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes liegt inzwischen fast ein Vierteljahrhundert zurück. Angesichts der seitdem eingetretenen Veränderungen durch wachsende Terrorgefahren und erhebliche technische Fortentwicklungen erscheint es nachvollziehbar, das entsprechende Gesetz einer intensiven Überprüfung zu unterziehen. Die Bundesregierung hat dazu nun einen Entwurf vorgelegt, den wir heute in erster Lesung behandeln. Ich will eingangs für meine Fraktion Die Linke eines ganz klar festhalten: Auch aus unserer Sicht gibt es gute Gründe, in bestimmten hochsensiblen Bereichen genau hinzuschauen, wen man mit extrem sicherheitsrelevanten Aufgaben betraut. Exemplarisch nenne ich hier nur Flughäfen, Atomkraftwerke und andere besonders kritische Infrastruktureinrichtungen. Und natürlich bestreitet auch niemand die Notwendigkeit von Vorsorgemaßnahmen gegen potenzielle Terroranschläge. Für manche dieser Bereiche, wie beispielsweise die AKWs, existieren eigene gesetzliche Grundlagen, für alle anderen greifen die Bestimmungen des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes. Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf sollen die Regelungen zum materiellen Geheimschutz aus einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift in das Sicherheitsüberprüfungsgesetz überführt werden. Das erscheint durchaus sinnvoll; denn aus unserer Sicht ist eine gesetzliche Regelung einfachen und jederzeit änderbaren Verwaltungsvorschriften in aller Regel vorzuziehen. Der uns vorgelegte Gesetzentwurf bringt jedoch in der Praxis kaum wirkliche Verbesserungen. Die Kriterien für die Einstufung als „Sicherheitsrisiko“ bleiben nach wie vor unscharf, wenig nachvollziehbar, und sie sollen vor allem auch künftig nicht anfechtbar sein. Einer solchen Fassung können und werden wir als Linke nicht zustimmen. Aus Platzgründen kann ich hier nur einige wenige Problemfelder ansprechen. Nach wie vor gibt es keine klare Definition, wer nach welchen Kriterien entscheidet, ob sich jemand einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen muss, und, falls ja, für welche Stufe dies erfolgt. Das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos wird durch die Novelle wesentlich weiter gefasst als bislang. Demnach sollen nun schon „mögliche Anbahnungs- und Werbungsversuche“ ausländischer Nachrichtendienste als kriminell verdächtigter Vereinigungen oder extremistischer Organisationen ausreichen, um als ein solches Sicherheitsrisiko angesehen zu werden. Vor derartigen Anbahnungsversuchen ist aber letztlich niemand wirklich gefeit, der zum Umgang mit Verschlusssachen ermächtigt ist. Zudem fehlen eindeutige Kriterien, wem die Erteilung der Sicherheitsüberprüfung aus welchen Gründen verweigert werden kann. Gleichzeitig nimmt der Gesetzentwurf Erweiterungen bei der Überprüfung selbst vor. Dies führt zu einer immer stärkeren Durchleuchtung und Abfrage der Lebensumstände sowie des Umfeldes der zu überprüfenden Personen. Für die Betroffenen sind die Entscheidungen oft weder nachvollziehbar noch anfechtbar. Es ist dringend geboten, ablehnende Bescheide über die Erteilung einer Sicherheitsüberprüfung in Zukunft gerichtlich überprüfen lassen zu können. An der Frage, ob eine Sicherheitsüberprüfung erteilt wird oder nicht, können im Zweifel ganze berufliche und auch familiäre Existenzen hängen, wenn jemand deshalb seinen Job verliert oder gar nicht erst bekommt. Ohne einen klaren Kriterienkatalog und die verwaltungsgerichtliche Überprüfbarkeit sind der Willkür Tür und Tor geöffnet. Auch deshalb plädieren wir dafür, dass die Betroffenen zu ihrer Anhörung von einem Anwalt oder einer Person ihres Vertrauens begleitet werden können. Davon ist im vorliegenden Gesetzentwurf allerdings leider keine Rede. Auch zukünftig sollen nicht näher definierte sogenannte „amtliche Stellen des Bundes“ über die Einstufung von Verschlusssachen befinden. Jedes Ministerium, jedes Amt soll weiterhin völlig frei entscheiden können, was geheim ist und was nicht. Eine bundesweit einheitliche Einstufungspraxis ist daher auch in Zukunft nicht zu erwarten. Wohin das führt, haben wir nicht zuletzt in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen leidvoll erfahren müssen. In den letzten drei Jahren der großen Koalition ist ein Trend zur immer restriktiveren Einstufung von Dokumenten festzustellen. Das behindert wirksame Kontrolle der Opposition. Teilweise werden sogar Fakten als geheim eingestuft, die bereits presseöffentlich waren. Zum anderen wird ein und dieselbe abgefragte Information in Bezug auf den BND als verschlusswürdig angesehen, wohingegen die Antwort auf den gleichen Sachverhalt beim Verfassungsschutz offen erfolgt oder umgekehrt. Und schließlich: Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund, warum unbedingt Geheimdienste, insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Sicherheitsüberprüfungen durchführen müssen. Wir meinen, dass es in aller Regel ausreichen sollte, Abfragen bei der Polizei und den zuständigen Staatsanwaltschaften durchzuführen. Durch eine solche Bindung an klassische Exekutivbehörden wäre zudem die verwaltungsgerichtliche Überprüfbarkeit der Ergebnisse auch deutlich einfacher umzusetzen. In der vorliegenden Form kann die Linke den Gesetzentwurf nur ablehnen, sofern es im Ergebnis der Ausschussberatungen nicht noch zu deutlichen Korrekturen kommt. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf regelt Fragen des personellen und des materiellen Geheimschutzes. Wichtige Fragen bleiben dabei aber unbeantwortet, und manche Antwort, die gegeben wird, ist – bei näherer Betrachtung – gar keine. Dafür findet der Antrag vermeintliche Lösungen für Probleme, die zwar in der Praxis bestehen mögen, ihre Ursache aber gerade nicht in der bestehenden gesetzlichen Regelung haben. Das gilt in besonderem Maße für den Fall „Roque M.“, den die Presse den Maulwurf beim Verfassungsschutz nannte. Es geht um einen Mitarbeiter beim Verfassungsschutz, der für die Überwachung von mutmaßlichen islamistischen Attentätern zuständig war, aber im Netz offen seine Sympathie für den IS erklärt haben soll. Darauf reagiert nun der vorliegende Gesetzentwurf und ordnet an, dass zukünftig „Einsicht in den öffentlich sichtbaren Teil der Profilseiten in sozialen Netzwerken und in öffentlich sichtbare eigene Internetseiten“ genommen werden kann. Dabei können bereits nach geltender Rechtslage Daten aus allgemein zugänglichen Quellen einschließlich des Internets im Rahmen einer Bewerbung beim Bundesamt für Verfassungsschutz erhoben werden, wenn die Daten Feststellungen über die Eignung, Befähigung und Leistung des Bewerbers ermöglichen. Insbesondere hinsichtlich der Sicherheitsüberprüfungen beim BfV ist der Gesetzentwurf daher in erster Linie ein Placebo. Der Gesetzentwurf zielt aber auch darauf ab, die Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Bewerber einzuschränken, wenn zukünftig höchstpersönliche Äußerungen pauschal und ohne jeden Bezug zur Tätigkeit abgefragt werden sollen. Sinnvoll wäre vielleicht gewesen, sich einmal bereichsspezifisch zu fragen, welche Sachverhalte für die Überprüfung zum Zweck der jeweiligen Tätigkeit überhaupt relevant sind. Denn nur ein im Einzelfall begründeter Überprüfungsbedarf verhindert Wertungswidersprüche, wenn das private Profil oder die eigene Homepage ohne nennenswerte Reichweite im Einzelfall beispielsweise viel weniger relevant sind als die Beiträge, die jemand für eine einschlägige Zeitschrift oder einen einschlägigen Blog schreibt. Im Sinne der Rechtssicherheit ist aber auch für die nötige Rechtsklarheit zu sorgen. Was ist der „öffentlich sichtbare Teil“ einer Profilseite in einem sozialen Netzwerk? Ist es der für wirklich jeden, also auch Nichtnutzer des Netzwerks, einsehbare Teil, oder ist es der für alle Nutzer des Netzwerkes unabhängig vom Zugriffsrecht bzw. Friend-Status einsehbare Teil? Diese Fragen sind wichtig, auch um einen gerechten Ausgleich zwischen dem öffentlichen Sicherheitsinteresse und der Wahrung der Rechte und Interessen der Betroffenen zu schaffen. Diese Ausgewogenheit kommt im vorliegenden Entwurf aber zu kurz. Das gilt auch für den materiellen Geheimschutz. Auch hier fehlt dem Gesetzentwurf die nötige Ausgewogenheit. Es genügt eben nicht, zu definieren, was als Verschlusssache besonders geheim zu halten ist. In der Demokratie hat auch das Interesse, Sachverhalte öffentlich zu diskutieren, besonderes Gewicht. Notwendig wäre mindestens ein einheitliches Verfahren, in dem die Einstufung als geheimhaltungsbedürftig verwaltungsseitig schnell und einfach überprüft werden kann. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dazu bereits in der letzten Wahlperiode einen eigenen Antrag mit dem Titel eingebracht: „Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln“, Bundestagsdrucksache 17/6128. Die gleichen Fragen haben uns aber auch beim Archivgesetz beschäftigt. Diese Fragen haben für die parlamentarische Kontrolle der Regierung und die Demokratie große Bedeutung, und gerade in sicherheitspolitisch schwierigen Zeiten ist es wichtig, die demokratischen Institutionen zu stärken. Ich hoffe daher sehr, dass das parlamentarische Verfahren jetzt genutzt wird, die offenen Fragen zu klären und diesen Gesetzentwurf so weiterzuentwickeln, dass er tatsächlich die Demokratie und die Sicherheit gleichermaßen stärkt. Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, werden sicherheitsüberprüft. Dies betrifft sowohl den öffentlichen Bereich, also die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesbehörden, als auch den Bereich der Wirtschaft. Seit nunmehr knapp 23 Jahren regelt das Sicherheitsüberprüfungsgesetz die Voraussetzungen und das Verfahren hierzu. Das Gesetz hat sich in dieser Zeit bewährt, aber es ist in die Jahre gekommen. In den vergangenen 23 Jahren hat sich unsere Gesellschaft stark verändert: Das Internet ist mittlerweile allgegenwärtig, immer mehr Menschen verbringen einen Teil ihres Lebens im Ausland und auch die Sicherheitsbedrohungen sind andere geworden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf trägt die Bundesregierung diesen veränderten Rahmenbedingungen Rechnung. Er ergänzt zunächst die Maßnahmen, die bei einer Sicherheitsüberprüfung durchzuführen sind, um aktuelle Bedürfnisse: Soziale Netzwerke und Internetauftritte nehmen einen immer größeren Stellenwert ein und werden zunehmend als Selbstdarstellungs- und Kommunikationsplattformen genutzt. Vor diesem Hintergrund können wir gerade bei Sicherheitsüberprüfungen vor Informationen im Internet nicht die Augen verschließen, sondern müssen diese als Erkenntnisquelle nutzen. Sind die Informationen für jeden sichtbar ins Internet eingestellt – und damit öffentlich –, können sie daher nach dem Gesetzentwurf in einem gewissen Umfang insbesondere bei den für die Mitarbeiter und Bewerber der Nachrichtendienste durchzuführenden Sicherheitsüberprüfungen berücksichtigt werden. Der Bundesrat hat hierzu in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf eine Ausdehnung des Umfangs der Recherchen, vor allem aber auch des davon betroffenen Personenkreises gefordert. Darüber wird im weiteren parlamentarischen Verfahren zu reden sein. Die Bundesregierung verschließt sich dieser Diskussion nicht, und ich hoffe, dass wir hier gemeinsam eine Lösung finden, die der Bedeutung von sicherheitsrelevanten Informationen im Internet gerecht wird. Doch nicht nur das Internet verbindet uns mit der Welt. Es ist mittlerweile weit verbreitet, dass Menschen Teile ihres Lebens im Ausland verbringen. Das Studiensemester in den USA, der nächste Karriereschritt durch ein berufliches Angebot in Polen oder die Entsendung an die deutsche Botschaft in Brasilien, solche Stationen sind in Lebensläufen längst keine Seltenheit mehr. Diese Auslandsaufenthalte machen bei Sicherheitsüberprüfungen grundsätzlich eine Zusammenarbeit mit ausländischen Stellen notwendig, die in dem vorliegenden Gesetzentwurf erstmals explizit geregelt wird. Bildet der Aufenthalt im Ausland den Lebensmittelpunkt, muss auch die dort verbrachte Zeit sicherheitsmäßig bewertet werden. Sonst entstehen Lücken in der Überprüfung, die nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken mit sich bringen können. Bei der Kooperation mit ausländischen Stellen werden auch immer die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen berücksichtigt. Der Gesetzentwurf definiert klar diejenigen Daten, die zum Zwecke einer Anfrage an ausländische Stellen übermittelt werden dürfen, und begrenzt sie somit zugleich. Zudem ist eine Anfrage im Ausland immer von der Zustimmung der betroffenen Person abhängig. Sie hat damit die Letztentscheidung über die Datenübermittlung. Durch Berücksichtigung dieses Zweiklangs von öffentlichem Interesse an der Anfrage und den schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person erzielt der Entwurf eine praxistaugliche Lösung für die Herausforderung der Globalisierung. Doch es gehen nicht nur Deutsche ins Ausland, sondern es kommen auch Ausländer nach Deutschland. Der Gesetzentwurf schafft daher die Möglichkeit, im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen in bestimmten Fällen künftig auch auf Daten aus dem Ausländerzentralregister zuzugreifen. Mit dieser Anpassung wird eine wichtige Erkenntnisquelle erschlossen, die bereits in fünf Sicherheitsüberprüfungsgesetzen der Länder, im Luftsicherheitsgesetz und im Atomgesetz zur Verfügung steht. Die Maßnahme trägt damit auch dazu bei, ein vergleichbares Niveau der verschiedenen Überprüfungsarten zu gewährleisten. Der veränderten Sicherheitslage trägt der Gesetzentwurf mit der Erweiterung der möglichen Ablehnungsgründe bei Sicherheitsüberprüfungen Rechnung. Die bisherige Fokussierung auf ausländische Nachrichtendienste bei Anbahnungs- und Werbungsversuchen in Bezug auf Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, ist überholt. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass auch kriminelle, extremistische oder gar terroristische Vereinigungen an Informationen über den Wissensstand der Sicherheitsbehörden interessiert sind und versuchen werden, sich Zugang zu diesen Informationen zu verschaffen. Entsprechend müssen diese Gruppierungen im Sicherheitsüberprüfungsgesetz berücksichtigt werden. Besteht für eine Person in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit eine besondere Gefährdung, beispielsweise weil sie für solche Gruppierungen erpressbar ist, darf sie nicht länger in diesem Aufgabenbereich eingesetzt werden. Besonders sensible Informationen, die im öffentlichen Interesse geheim gehalten werden, sind aber nicht nur dadurch bedroht, dass Innentäter diese weitergeben könnten; auch Versuche von Unbefugten, ohne Hilfe von innen an diese Informationen zu gelangen, sind keine Seltenheit. Hier hilft das Instrument der Sicherheitsüberprüfung wenig. Wichtig sind an dieser Stelle vielmehr die organisatorischen und technischen Vorkehrungen zum Schutz von Verschlusssachen, also ein funktionierender materieller Geheimschutz. Dessen Grundsätze werden mit dem vorliegenden Entwurf erstmals auf Gesetzesebene verankert, und die bislang nur untergesetzlichen Bestimmungen werden damit aufgewertet. Da es nicht ausreicht, nur zum Zeitpunkt der Durchführung der Sicherheitsüberprüfung ein hohes Sicherheitsniveau zu erreichen, sondern dieses hohe Niveau über den gesamten Zeitraum der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit konstant aufrechtzuerhalten ist, werden nunmehr regelmäßige Wiederholungsüberprüfungen für alle Arten der Sicherheitsüberprüfung eingeführt. Der Entwurf sieht vor, bereits fünf Jahre nach erfolgreichem Abschluss der Erstüberprüfung die Maßnahmen der einfachen Sicherheitsüberprüfungen erneut durchzuführen; nach zehn Jahren steht dann die große Wiederholungsüberprüfung mit erneuter Durchführung aller Maßnahmen an. Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Der vorliegende Entwurf schafft ein modernes Sicherheitsüberprüfungsgesetz, das den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird, das Gesamtgefüge der Sicherheitsgesetze sinnvoll ergänzt und die Sicherheit in unserem Land damit nachhaltig stärkt. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union (Tagesordnungspunkt 27) Clemens Binninger (CDU/CSU): Die IT-Sicherheitslage in der Bundesrepublik ist in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren zu Recht häufig thematisiert worden. Wir alle erinnern uns an den Cyberangriff auf die Telekom im vergangenen Jahr. Der Angriff, der bei knapp 1 Million Routern zu Störungen geführt hat, hat deutlich gezeigt, dass viele Systeme angreifbar sind und dass diese Systeme auch angegriffen werden. Wir erleben auch, dass die Zahl der Cyberangriffe insgesamt stark zunimmt. Die Sicherheit der digitalen Infrastruktur ist in der heutigen Gesellschaft daher von höchster Relevanz. Viele Bereiche des privaten und beruflichen Lebens der Bürgerinnen und Bürger und auch der Wirtschaft wären ohne eine funktionierende und sichere IT so nicht mehr denkbar. Daher ist es dringend notwendig, europaweit ein hohes Sicherheitsniveau zum Schutze aller EU-Bürger zu gewährleisten. Auch bei uns in Deutschland wurde die Bedeutung der Bedrohung im Cyberraum in der Vergangenheit lange unterschätzt. In den letzten Jahren haben wir auf nationaler Ebene bereits einiges erreicht: der Umbau des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI, die Einrichtung des Nationalen Cyber-Abwehrzentrums, der Nationale Cyber-Sicherheitsrat und zuletzt die Umsetzung des IT-Sicherheitsgesetzes. Neben diesen wichtigen nationalen Maßnahmen benötigen wir jetzt vor allem auf europäischer Ebene eine verbesserte Zusammenarbeit. Deshalb war es auch wichtig, dass das Europäische Parlament mit der NIS-Richtlinie gemeinsame Regeln zum Schutz vor diesen neuen Gefahren beschlossen hat. Bereits mit dem IT-Sicherheitsgesetz haben wir in Deutschland die meisten Vorgaben dieser Richtlinie erfüllt und sind mit gutem Beispiel vorangegangen. Mit dem IT-Sicherheitsgesetz haben wir bereits eine gesetzliche Meldepflicht für Betreiber kritischer Infrastrukturen geschaffen. Diese Meldepflicht wird jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch auf digitale Dienste wie Onlinemarktplätze und Suchmaschinen ausgeweitet und erfüllt damit die Vorgaben der EU-Richtlinie. Gerade diese Meldepflicht ist zur Erstellung eines Lagebilds unabdingbar. Nur dadurch können wir nachvollziehen, wie umfangreich die Angriffe sind und welche neue Schadsoftware im Umlauf ist. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden die Befugnisse des BSI zur Überprüfung der technischen und organisatorischen Sicherheitsanforderungen erweitert und die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz von Mobilen Incident Response Teams, MIRTs, geschaffen, die andere Stellen bei Bedarf, bei der Abwehr von Cyberangriffen mit besonders hoher technischer Qualität, vor Ort unterstützen können. Zusätzlich wird es dem BSI ermöglicht, die Einhaltung der Vorgaben bei Betreibern von kritischer Infrastruktur vor Ort zu kontrollieren. Damit stärken wir das BSI weiter bei der Bündelung der Kompetenzen im Cybersicherheitsbereich und verbessern den Schutz von Staat, Wirtschaft und der Bevölkerung vor Angriffen. Diese Erweiterung der Befugnisse des BSI ist nach den Angriffen der letzten Jahre auch dringend notwendig. Dabei ist aber auch zu betonen: Die Befugniserweiterung des BSI darf den Datenschutz nicht untergraben. Um dies zu gewährleisten, werden daher auch weiterhin keine sensiblen Daten erfasst. Alle personenbezogenen Daten, die für die Wiederherstellung der Sicherheit bei Betreibern kritischer Infrastruktur wichtig sind, werden deshalb sofort gelöscht, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Zudem verpflichten wir das BSI mit dem vorliegenden Entwurf, bei grenzüberschreitenden Vorfällen die Behörden des jeweiligen EU-Staates zu informieren. Diese internationale Kooperation ist für ein hohes Schutzniveau in der gesamten Union mitentscheidend und wird deshalb auch zu Recht in der EU-Richtlinie gefordert. Neben den bereits erwähnten Maßnahmen zeigt auch die Einrichtung der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, ZITiS, im Bundesinnenministerium, welche Bedeutung der Cybersicherheit von den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zugemessen wird. Bei der Diskussion über Cyberangriffe muss man aber auch immer erwähnen – und das ist durch die Angriffe in der Vergangenheit auch mehr als deutlich geworden –: Eine absolute Sicherheit vor solchen Angriffen gibt es nicht. Mit dem IT-Sicherheitsgesetz haben wir es aber geschafft, einheitliche Mindeststandards in der Bundesrepublik zu schaffen. Die Umsetzung der Richtlinie ist für die europäische Zusammenarbeit im Bereich Cybersicherheit ein wichtiges Signal und zeigt, dass wir unserer Vorreiterrolle in Europa nun auch endlich im Bereich der Cybersicherheit gerecht werden. Gerold Reichenbach (SPD): Die Digitalisierung durchdringt unser Leben immer weiter in nahezu allen Bereichen, ein Ende ist nicht absehbar. Das bereits heute bestehende Ausmaß an Vernetzung unserer Alltags- und Arbeitswelt, der Industrie und der Wirtschaft, dem Gesundheitswesen und vielem mehr macht uns in hohem Maße anfällig für Angriffe im und aus dem Cyberraum. Sicherheitslücken und Cyberangriffe können dramatische Folgen haben. Der Angriff auf Internetrouter Ende vergangenen Jahres, bei dem auch großflächig Router der Telekom ausfielen und circa 1 Million Kunden betroffen waren, oder auch der Hackerangriff, der das Krankenhaus Neuss Anfang 2016 lahmgelegt hat, lassen erahnen, was für ein Gefahrenpotenzial im Bereich unsicherer IT-Produkte schlummert und wie sehr ihr Ausfall das öffentliche Gemeinwesen schädigen kann. Um solche Situationen geht es bei der Umsetzung der Richtlinie zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Europäischen Union, über die wir hier in erster Lesung beraten. Wir begrüßen daher diese vom Europäischen Parlament vorgelegte Richtlinie. Sie bildet die Grundlage für einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen, einen EU-weiten Ausbau nationaler Kapazitäten für die Cybersicherheit und eine stärkere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich. Dies ist wichtig, denn IT-Sicherheit ist längst keine nationale Frage mehr. Es werden außerdem Mindestanforderungen und Meldepflichten nicht nur für die Betreiber wesentlicher Dienste, also für Betreiber kritischer Infrastrukturen, sondern auch für die Betreiber bestimmter digitaler Dienste geschaffen. Deutschland ist mit dem IT-Sicherheitsgesetz von 2015 bereits gut aufgestellt. Vorausschauend haben wir hier bereits mit Blick auf die NIS-Richtlinie viele Regelungen, die die Richtlinie nun vorgibt, umgesetzt, sodass die jetzt nötigen Änderungen gering gehalten werden können. Die Anforderungen der Richtlinie, die über das bestehende IT-Sicherheitsgesetz hinausgehen, sind sinnvoll. Die Meldepflichten und stärkeren materiellen Vorgaben für Unternehmen, die nun beispielsweise Konzepte zur Bewältigung von Sicherheitsvorfällen vorlegen müssen, erachten wir als dringend erforderlich. Aktuelle Cyberangriffe im Telekommunikationsbereich haben gezeigt, dass die Meldewege von der Bundesnetzagentur zum BSI bei Vorfällen in Telekommunikationsnetzen nicht mehr gerecht werden. Insbesondere der Telekom-Vorfall hat gezeigt, dass Meldewege optimiert werden müssen. Wir begrüßen daher auch die mit dem Umsetzungsgesetz eingeführte Doppelmeldepflicht von Sicherheitsvorfällen beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und bei der Bundesnetzagentur. Durch die parallele Meldung wird es dem BSI ermöglicht, seine Ressourcen und Kompetenzen zeitnah und besser einzusetzen. Zur Erhöhung des Niveaus der Cybersicherheit wird das BSI insbesondere durch die Nachweis- und Meldepflichten der Betreiber kritischer Infrastrukturen weiter gestärkt. Fortan müssen zudem nicht nur Ausfälle, sondern auch erhebliche Störungen gemeldet werden. Wir wollen uns den vorliegenden Gesetzentwurf noch näher anschauen mit Blick auf die Frage, wo sich aus den jüngsten Sicherheitsvorfällen noch weiterer Bedarf zur gesetzlichen Reaktion ergibt. Besonderes Augenmerk liegt dabei darauf, wie Sicherheitslücken in IT-Endgeräten, wie beispielsweise jene im genannten Router-Vorfall, vermieden werden können, aber auch, welche Möglichkeiten Netzbetreiber benötigen, um künftig Angriffe schneller abwehren oder sogar verhindern zu können. Denn je mehr beispielsweise die klassische Telefonie auf Voice-over-IP übergeht – und in wenigen Jahren wird Telefonie flächendeckend über Voice-over-IP laufen –, desto mehr ist auch die Möglichkeit der Absetzung eines Notrufs von einer funktionierenden Internetverbindung abhängig. So werden zum Beispiel Router Teil einer sicherheitsrelevanten Infrastruktur. Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion besteht darum auch im Bereich der Produkthaftung und der Einführung eines verlässlichen Gütesiegels Handlungsbedarf. Da zunehmend alles mit allem vernetzt ist – Stichwort Internet der Dinge/Internet of Things, IoT –, stellt sich immer drängender die Frage, wie die IT-Sicherheit der vernetzten Dinge sichergestellt werden kann und wer in der Haftung ist. Denn nicht nur offensichtlich internetfähige Geräte wie Computer, Smartphones und Tablets sind heutzutage vernetzt und eine potenzielle Gefahrenquelle, auch Alltagsgegenstände wie Wecker, Zahnbürsten, Babyphones, Kaffeemaschinen und Kühlschränke sind heute mit einer IP-Adresse ausgestattet und damit internetfähig. Das Internet der Dinge hat in einem sehr kurzen Zeitraum eine enorme Größe erreicht. Selten finden bei diesen Geräten Softwareupdates statt – oft weil die Hersteller keine sicheren Produkte auf den Markt bringen, oft weil die Nutzerinnen und Nutzer keine Softwareupdates durchführen oder diese auch nicht mehr zur Verfügung stehen. So entstehen weltweit bei Millionen Geräten Sicherheitslücken. Diese Geräte können leichter gehackt und für den Aufbau von Bot-Netzen und DDoS-Angriffe genutzt werden, die zu weiteren Ausfällen von Diensten und von ganzen Infrastrukturteilen führen können. So werden Massenwaren, die von jeder Privatperson gekauft werden können, zum Bestandteil einer kritischen Infrastruktur. Sicherheitsmängel bei privat erworbenen und genutzten Geräten werden so zu einem Sicherheitsrisiko für ganze Teile der Bevölkerung, wenn diese Geräte gehackt als Teil eines Bot-Netzes beispielsweise für den Angriff auf einen Wasserversorger genutzt werden können. Ein Gütesiegel, basierend auf BSI-Mindeststandards halten wir daher für einen wichtigen ersten Schritt, um die Angreifbarkeit von IT-Produkten einzudämmen. Selbstverständlich macht das Internet nicht an nationalen Grenzen Halt. Insofern gilt es, europäische und internationale Lösungen und Standards für diesen Bereich zu finden und durchzusetzen. Deutschland sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen und eine Vorreiterrolle einnehmen. Denn ein hohes Maß an IT-Sicherheit bedeutet nicht nur eine Erhöhung der öffentlichen Sicherheit, sondern auch einen Standortvorteil für Wirtschaft und Unternehmen. Wir sollten Regelungen für die Erhöhung der Sicherheit von IT-Produkten durch die Einführung eines Gütesiegels im weiteren gesetzgeberischen Verfahren daher prüfen. Martina Renner (DIE LINKE): Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Richtlinie zur Verbesserung der Netz- und Informationssicherheit, NIS-Richtlinie, in nationales Recht zu überführen. Wesentliche Regelungen der sogenannten NIS-Richtlinie allerdings wurden bereits mit dem im Sommer 2016 in Kraft getretenen deutschen IT-Sicherheitsgesetz umgesetzt. Dies betraf beispielsweise die sogenannten wesentlichen Dienste, sprich: Betreiber kritischer Infrastrukturen aus den Bereichen Energie, Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung sowie Finanz- und Versicherungswesen. Seinerzeit nicht adressiert wurden die von der europäischen Richtlinie bereits erfassten „digitalen Dienste“. Das sind Onlinemarktplätze, Suchmaschinen und Cloud-Computing-Dienste. Diese Regelungslücke soll nun geschlossen werden. So weit, so scheinbar unspektakulär. Doch werden bei näherem Hinsehen drei grundlegende Mängel im Regierungsentwurf deutlich. Erstens. Rechtssicherheit für die Anbieter von „digitalen Diensten“ wird nicht erreicht. Der Regierungsentwurf zum Umsetzungsgesetz bleibt sowohl in der Definition als auch in der Konkretion der Anforderungen für digitale Diensteanbieter völlig unbestimmt. Insbesondere bleibt unbeantwortet, wie diese von den bereits im Rahmen des IT-Sicherheitsgesetzes regulierten Anbietern von Telemediendiensten abzugrenzen sind. Im Zweifel müssten sich die Anbieter an beide Regelungen halten. Geschaffen wird so eine Doppelregulierung und ein undurchsichtiges Dickicht an Sicherheitspflichten. Beides läuft der Gewährleistung der Netz- und Informationssicherheit und damit dem Zweck der Richtlinie zuwider. Weder Verbrauchern noch Anbietern ist damit gedient. Dringend notwendig ist es daher, eine inhaltliche Systematisierung der IT-Sicherheitspflichten für alle Anbieter und Dienste vorzunehmen. Zweitens. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI, wird mit dem Umsetzungsgesetz weiter zu einer operativen Behörde ausgebaut. Erstmals erhält es operative Befugnisse zur Cyberabwehr, um mit eigenen Kräften – wie es im Entwurf des Gesetzestextes heißt – bei der „Wiederherstellung der Sicherheit oder Funktionsfähigkeit informationstechnischer Systeme“ mitwirken zu können. Zum Ausdruck kommt die Ausweitung des Aufgabenbereichs auch in einem erneuten Stellenaufwuchs. Wurden dem BSI mit Verabschiedung des IT-Sicherheitsgesetzes bereits 220 Stellen zusätzlich zugewiesen, so kommen nun noch einmal 181,5 Stellen hinzu. Zugleich wird die Behörde allerdings nicht institutionell gestärkt, sondern bleibt dem Bundesinnenministerium unterstellt. Die Unabhängigkeit des BSI ist nicht gewährleistet. Der Präsident des BSI hat gerade erst erklärt, bei Ermittlungen zu Cyberattacken müssten am Ende Indizien interpretiert werden. Dies bedarf natürlich einer Unabhängigkeit der Untersuchungsbehörde. Zudem wird das schwammige Verhältnis des BSI zu den polizeilichen Sicherheitsbehörden und den Geheimdiensten von der Bundesregierung ausdrücklich gewollt. Dessen intensive Zusammenarbeit mit BND, BfV und MAD national via Cyber-Abwehrzentrum oder international in der Kooperation mit der NSA soll nicht durchbrochen werden. Das Vertrauensproblem der für die Cyberabwehr zuständigen Bundesbehörde wird auf diese Weise nicht gelöst. Gerade die Sensibilität der beim BSI gesammelten Informationen über Sicherheitslücken und -strukturen sowie der Umgang mit persönlichen Daten aus Unternehmen und von Privatpersonen erfordert zwingend, sie als unabhängige Bundesbehörde mit unzweideutigem Sicherheitsauftrag aufzustellen. Drittens. Die Bundesregierung verzichtet erneut darauf, Regelungen zur Produktsicherheit und Produkthaftung für IT-Produkte und IT-Dienste einzuführen. Das war bereits bei Verabschiedung des IT-Sicherheitsgesetzes der Fall und ist es jetzt erneut. Ausgangspunkt von Sicherheitsproblemen aber sind in den allermeisten Fällen Sicherheitslücken in der eingesetzten Software. Zum Kern des Problems in der IT-Sicherheit vorzudringen, heißt daher, Haftungsverschärfungen für IT-Sicherheitsmängel im IT-Sicherheitsrecht aufzunehmen. Aus diesen Gründen werden wir dem Umsetzungsgesetz nicht zustimmen und uns enthalten. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Smartphone wird zum verwanzten, ja fast allgegenwärtigen Begleiter, das Smart TV zum Schlüsselloch Per-Remote-Control ins Büro oder Wohnzimmer. Der aktuelle CIA-Leak fügt sich ein in die Reihe digitaler Sicherheitsvorfälle auf ganz unterschiedlichen Feldern: von den Snowden-Enthüllungen über die Stuxnet-Attacke bis zu ausgefallenen Telekom-Routern, gehackten Mittelständlern und Krankenhäusern oder auch den jüngst stundenlang blockierten Servern im Deutschen Bundestag. All dies sollte auch den letzten tatsächlich oder auch nur vorgeblich Ahnungslos-Gutgläubigen in verantwortlicher Position zeigen: Was fehleranfällig ist, wird auch zu Fehlern führen, was potenziell hackfähig ist, das wird auch mit hoher Wahrscheinlichkeit gehackt werden, und zwar rund um die Uhr, weltweit. In einer immer digitalisierteren Welt birgt die Frage nach der Sicherheit unserer digitalen Infrastruktur und Kommunikation multiple systemische Risiken in so gut wie jedem Gesellschaftsbereich. Eigentlich sollte dies im Jahr 2017 eine Binsenerkenntnis sein, ist es jedoch angesichts einer Bundesregierung nicht, die immer nur in Sonntagsreden die Wichtigkeit und Dringlichkeit des Themas betont, wenn es aber im eigenen Verantwortungsbereich konkret wird, wieder einmal nur unbeteiligt mit den Schultern zuckt, sie es wieder und wieder sagt – selbst um Mitternacht in einer übervollen Tagesordnung nur zu Protokoll. Allein dieser Debattenplatz widerspricht den großen Worten, die an anderer Stelle auf Podien und in Interviews so gern in den Mund genommen werden. Denn auch wenn es sich bei den CIA-Operationen offenbar um gezielte Maßnahmen handelt, beruhen sie doch auf Sicherheitslücken in verbreiteten Betriebssystemen, die auf einem grauen Markt gehandelt und zum Schaden der Allgemeinheit offengehalten und ausgenutzt werden, statt umgehend gemeldet und geschlossen zu werden. Hier mischen neben Kriminellen offensichtlich auch Geheimdienste mit, die sie wiederum mit Steuergeldern bei ihren Exploit-Ankäufen auch noch subventionieren. Zudem zeigt der CIA-Leak nach den Snwoden-Enthüllungen abermals auf, dass selbst diese hochgerüsteten Akteure ihre eigenen Daten und Informationen nicht zu sichern in der Lage sind. Bezeichnend ist, dass die Bundesregierung es noch in ihrer letzten Cybersicherheitsstrategie fertig brachte, die Erkenntnisse der Aufklärungsarbeit seit Snowden nicht auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Es ist und bleibt der Kardinalfehler dieser Großen Koalition, dieses Thema weitgehend dem Bundesinnenminister und den Sicherheitsbehörden zu überlassen. Solange dies so ist, werden noch so richtige Ansätze auf dem Papier und noch so löbliche Anstrengungen der zuständigen Stellen an dieser immanenten sicherheitspolitischen Ambivalenz scheitern. Wie will denn der Staat für Vertrauen in Sachen digitaler Sicherheit sorgen, wenn sich beispielsweise ein betroffener Betreiber einer kritischen Infrastruktur gar nicht sicher sein kann, dass ebendiese staatlichen Stellen nach seiner Meldung einzig und allein an der umgehenden Lösung seines Sicherheitsproblems interessiert sind und nicht an dessen Offenhaltung zu ganz anderen Zwecken? So verwundert es kaum, dass die Zahlen der gemeldeten Anlagen und Betreiber in den vom IT-Sicherheitsgesetz bereits berücksichtigten Branchen ebenso hinter den großspurigen Ankündigungen zurückbleiben wie die wenigen erfassten Störfälle im Vergleich zum realistisch zu erwartenden Umfang der Problematik. Es fehlt der Bundesregierung in diesem so sensiblen und immer komplexeren Feld bereits am notwendigen Überblick des Marktes – von umfassenden Lösungsansätzen und dem politischen Willen zu ihrer Umsetzung ganz zu schweigen. Hier scheinen sich die Befürchtungen zu bestätigen, wonach Unternehmen aufgrund des Kosten- und Kontrolldrucks umfassende Meldungen scheuen und damit die Erfassung des eigentlichen Umfeldes völlig unzureichend erfolgt. Umso unverständlicher ist es, dass bei den bisher nach dem deutschen IT-Sicherheitsgesetz gemeldeten Störfällen dem Parlament trotz wiederholter Nachfragen pauschal nähere Informationen verweigert werden. Und just hier setzt nun auch die Europäische Union mit der NIS-Richtlinie in vielen Punkten strengere Nachweis- und Meldepflichten vor. Doch solange bei der Erhebung, Verarbeitung und Weitergabe von Daten zu diesen hochsensiblen Vorgängen weiterhin die Abgrenzung gegenüber Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten so unklar geregelt bleibt wie in diesem Gesetzentwurf, wird sich an der Zögerlichkeit der Betreiber wenig ändern. Umso atemloser werden nun kurzlebige Strategien, Abwehrzentren und zuletzt gar Cyberwehrpläne präsentiert. Diesem Aktionismus ist auch geschuldet, dass das erst 2015 verabschiedete IT-Sicherheitsgesetz bereits nach einem Jahr in vielen Punkten von der NIS-Richtlinie überholt wurde. Anstatt die Vorlage aus Brüssel abzuwarten, wollte das Innenministerium partout vor der Europäischen Kommission punkten und darf nun das eigene Gesetz überarbeiten, das aufgrund der fehlenden Verordnungsbasis in den unterschiedlichen Bereichen der kritischen Infrastrukturen noch nicht einmal umgesetzt war. Aber auch im zweiten Versuch versäumt nun die Bundesregierung überfällige Korrekturen, sei es bei der Rechtsunsicherheit im Bereich der digitalen Dienste, sei es beim so wichtigen Haftungsansatz, sei es bei der pauschalen Ausnahme in eigener Sache, nämlich diese Sicherheitsvorgaben auch auf die öffentliche Verwaltung anzuwenden. Demgegenüber gälte es, dieser Problematik umfassend, entschlossen und gut koordiniert zu begegnen. Die Zuständigkeiten der Cybersicherheitsfragen müssen dringend zusammengeführt werden. Neben der notwendigen Ausstattung bedarf es vor allem der entsprechenden Unabhängigkeit, um als vertrauenswürdiger Akteur auch ernst und angenommen zu werden. Umso mehr stellt sich diese Frage, als das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nun abermals ausgebaut wird und immer noch im Schatten des Bundesinnenministeriums agieren muss. Darüber hinaus gilt es auf allen Ebenen die IT-Resilienz strukturell zu stärken, angefangen bei der Sicherheit einzelner IT-Produkte sowie tragender Softwarelemente des Internets bis hin zum präventiven Umgang mit der inhärenten Verletzlichkeit dieser Systeme. Hier stellen sich wegweisende Fragen, die in viel größerem Kontext – international wie zivilgesellschaftlich – unter Einbeziehung zahlreicher Akteure auf eine ganze andere Basis gestellt gehören. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Cybervandalismus ist eine ernste Bedrohung für unsere Gesellschaft. Lassen Sie mich nur eine Zahl herausgreifen: 70 Prozent der größeren Unternehmen in Deutschland waren bereits von einem Cyberangriff betroffen. Die Zeit der digitalen Sorglosigkeit ist vorbei. Unsere Anstrengung richtet sich darauf, Deutschland zu einem der sichersten digitalen Standorte weltweit zu machen. Wir haben für Deutschland im letzten Jahr daher das IT-Sicherheitsgesetz auf den Weg gebracht. Dies war ein bedeutender Meilenstein der nationalen Digitalisierungspolitik. Wir haben damit bereits einen Rechtsrahmen, bei dem Staat und Wirtschaft für mehr Cybersicherheit zusammenarbeiten. Auf europäischer Ebene soll durch die sogenannte NIS-Richtlinie mehr Cybersicherheit in der gesamten EU erreicht werden. Das deutsche IT-Sicherheitsgesetz war die Blaupause für die Verhandlungen in der EU, die die Bundesregierung so in wesentlichen Punkten mitgestalten konnte. Der vorgelegte Gesetzentwurf setzt die Vorgaben dieser EU-Richtlinie nun um. Ziel der Richtlinie ist es, in allen Mitgliedstaaten Kapazitäten der Cybersicherheit aufzubauen und wie in Deutschland Betreiber von kritischen Bereichen stärker in die Pflicht zu nehmen. Aufgrund des IT-Sicherheitsgesetzes und der ständig fortgeschriebenen Maßnahmen besteht bei uns nur sehr geringer Umsetzungsbedarf. Dies betrifft erstens den Schutz kritischer Infrastrukturen nach dem Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSIG, sowie Spezialgesetze für bestimmte Branchen. Soweit noch nicht erfolgt, müssen diese spezialgesetzlichen Regelungen auf das nach dem Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSIG, geltende Niveau angehoben werden. Die NIS-Richtlinie verpflichtet uns zu einer umfassenderen Vorabkontrolle der Betreiber kritischer Infrastrukturen. Die Aufsicht durch das BSI muss so angepasst werden, dass dies möglich ist. Der kooperative Ansatz des IT-Sicherheitsgesetzes, der auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Betreibern setzt, soll aber Prämisse für das Handeln des BSI bleiben. Zweitens muss das BSIG um Regelungen zu Sicherheitsanforderungen und Meldepflichten für Anbieter der sogenannten digitalen Dienste ergänzt werden: Onlinemarktplätze, Suchmaschinen und Cloud-Computing-Dienste. Die NIS-Richtlinie führt für diese Dienste wegen ihrer übergeordneten Bedeutung für das Internet europaweit einheitliche Vorgaben ein. Der Gesetzentwurf orientiert sich daher weitestgehend am Wortlaut der Richtlinie. Schließlich verpflichtet die NIS-Richtlinie die Mitgliedstaaten auch, wirksame Maßnahmen für ein Incident Response, das heißt zur Bewältigung konkreter Vorfälle, zu treffen. Es soll deshalb auch eine Rechtsgrundlage für den Aufbau mobiler Einsatzkräfte, Mobile Incident Response Teams, beim BSI geschaffen werden. Wie in der vom Kabinett im November verabschiedeten „Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland 2016“ vorgesehen, sollen diese Teams künftig die Verwaltung, kritische Infrastrukturen und vergleichbare Einrichtungen unterstützen können, wenn daran ein öffentliches Interesse besteht. Deutschland hat bei der Cybersicherheit in Europa eine Vorreiterrolle inne. Trotzdem – und auch gerade deshalb – können wir Cybersicherheit nur gewährleisten, wenn wir weiterhin erfolgreich mit unseren Partnern zusammenarbeiten und uns aktiv in die Gestaltung der Rahmenbedingungen in Europa einbringen. Hierzu gilt es jetzt, die Vorgaben der NIS-Richtlinie rechtzeitig und zeitnah umzusetzen. Hiermit schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass das IT-Sicherheitsgesetz EU-weit als Vorbild dienen kann, und werden wir unserer Vorreiterrolle in Europa gerecht. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tagesordnungspunkt 28) Heinrich Zertik (CDU/CSU): In erster Lesung sprechen wir heute über das Gesetz zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises. Der elektronische Identitätsnachweis im handlichen Format ersetzte den alten Personalausweis, weil er den Zugang in die digitale Welt sicher und verlässlich für alle Nutzerinnen und Nutzer öffnet. Seit 2010 wird der elektronische Identitätsnachweis ausgegeben. Im Regierungsprogramm „Digitale Verwaltung 2020“ hatten wir festgelegt, dass die Nutzung des elektronischen Ausweises vereinfacht und die Anwendung erweitert wird. Leider bleibt die Nutzung der Onlineausweisfunktion, die die Inhaber wahlweise einschalten konnten, hinter den Erwartungen zurück. Obwohl sich die Nutzerinnen und Nutzer mit dieser Funktion gegenüber ihren Kommunikationspartnern sicher identifizieren könnten, scheint die Hemmschwelle, diese Funktion zu aktivieren, groß zu sein. 61 Millionen Dokumente wurden bisher ausgegeben. Davon nutzt nur circa ein Drittel der Ausweisinhaber die elektronischen Funktionen umfänglich. Das Gesetz soll dazu beitragen, dass sich das ändert. Ich kann verstehen, dass es eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Einführung dieser Identitätskarte gibt. Erstaunlicherweise besteht diese Skepsis gegenüber vielen anderen Onlinedienstleistungen nicht. Viele Internetnutzerinnen und -nutzer geben bereitwillig ihre EMail-Adresse preis und scheuen sich nicht, persönliche Angaben wie Geburtsdatum, Adresse, Kreditkartennummer usw. anzugeben. Datenklau, das sogenannte Phishing, ist die Folge. Geschädigte Nutzerinnen und Nutzer können davon berichten. Ich erinnere nur an den gigantischen Datenklau in 2014, als 18 Millionen Daten samt Zugangswörtern innerhalb weniger Tage abgefischt wurden. Dann ist es natürlich ein Leichtes für Kriminelle im Netz, Schadsoftware zu installieren und sich in Bankkonten oder EMail-Verkehr einzuhacken. Tausende von Schadprogrammen, so das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, werden täglich neu im Internet in Umlauf gebracht. Sie sind nicht zu kontrollieren. Was bietet der elektronische Identitätsnachweis nun für Vorteile, und was will der Gesetzgeber bezwecken? Erstens ist mit der Onlineausweisfunktion, kurz eID, eine verlässliche und sichere Identifizierung möglich. Deshalb wird diese Funktion zukünftig standardmäßig eingeschaltet sein. Damit soll das physische PostIdent-Verfahren, bei dem der Ausweisinhaber eine zertifizierte Stelle wie zum Beispiel die Deutsche Post aufsuchen muss, durch ein digitales Verfahren ersetzt werden. So kann mit dem Smartphone und der entsprechenden Ausweisapp der Identitätsnachweis erbracht werden. Vom heimischen PC aus können sich die Nutzerinnen und Nutzer über ein Kartenlesegerät mit dem elektronischen Identitätsnachweis identifizieren, ohne vorher mit ihren alten Ausweisen Behörden oder Institutionen aufsuchen und vor Ort ihre Identität nachweisen zu müssen. Das spart viel Zeit, und umständliche bürokratische Abläufe können vereinfacht werden. Ob der elektronische Nachweis dann genutzt wird, bleibt nach wie vor eine freiwillige Entscheidung des Inhabers. Zweitens. Auch in der Wirtschaft wurde der elektronische Nachweis nur sehr zögerlich eingesetzt. Unternehmen haben bisher oftmals auf das elektronische Verfahren verzichtet, weil sie es als zu aufwendig und umständlich angesehen haben, die notwendige Berechtigung für den Umgang mit dem elektronischen Identitätsnachweis zu erlangen. Da viele Nutzerinnen und Nutzer die elektronische Funktion gar nicht aktiviert haben, hatten auch Unternehmen und Firmen die Anwendungsmöglichkeiten gar nicht erst angeboten. Für Firmen und Unternehmen schafft der Gesetzgeber deshalb jetzt die hohen Hürden ab und bietet ein vereinfachtes Verfahren an, um sich zertifizieren zu lassen. Damit steigt die Attraktivität für Behörden und Unternehmen, ihre Angebote und Dienstleistungen für Kundinnen und Kunden elektronisch anzubieten. Die Berechtigungszertifikate werden zukünftig nicht mehr nur für einen Geschäftsvorgang ausgestellt, sondern auf den Namen der Behörde oder des Unternehmens. Das bedeutet deutlich weniger Bürokratie und spart ebenfalls Zeit ein. Dadurch können sich auch Kundinnen und Kunden darauf verlassen, dass das Unternehmen, mit dem sie Geschäfte machen, auf Herz und Nieren geprüft ist. Datenschutzbehörden werden regelmäßig überprüfen, dass mit den Benutzerdaten kein Missbrauch getrieben wird. Auch Behörden sollen aufgefordert werden, ihre Dienstleistungen auch elektronisch anzubieten. Vorreiter ist hier als einziges Bundesland Sachsen. Hier können Bürgerinnen und Bürger bereits auf elektronischem Weg BAföG-Anträge stellen und ihr Auto abmelden. Drittens. Es geht auch um Sicherheit für digitale Dienstleistungen. Leider beschäftigen Passfälschungen in erheblichem Maße Polizei und Sicherheitsbehörden, weil es geschickten Fälschern immer wieder gelingt, mit gefälschten Dokumenten neue Identitäten zu produzieren. Sozialbetrug ist eine Folge, die die Steuerzahler zu tragen haben. Das ist ärgerlich und ungerecht. Mit dem elektronischen Identitätsnachweis und dem elektronischen Aufenthaltstitel für Drittstaatsangehörige geben wir den Behörden ein fälschungssicheres Dokument an die Hand, welches betrügerische Machenschaften weitgehend unterbindet und die Vernetzung der Behörden in allen EU-Ländern möglich macht. Auch das ist ein Baustein in unserer Sicherheitsarchitektur, die wir in der dieser Legislaturperiode konsequent ausgebaut haben. Der Staat kommt damit auch seiner Fürsorgepflicht nach, die Daten seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Die elektronische Identitätskarte gilt aufgrund ihres Aufbaus derzeit als ein äußerst sicheres Ausweisdokument weltweit. Mehrere Staaten nutzen bereits diesen elektronischen Identitätsnachweis. Viertens knüpfen wir damit an das moderne digitale Zeitalter an und ermöglichen den elektronischen Handel zwischen Produzent und Konsument europaweit, ohne dass auch im internationalen Handel aufwendige Identitätsnachweise erbracht werden müssen. „Die eIDAS-Verordnung ist der erste konkrete Schritt in Richtung digitaler Binnenmarkt“, erläuterte Antonello Giacomelli, italienischer Staatssekretär für Kommunikation. Er signierte das Gesetz im Rahmen der italienischen Ratspräsidentschaft digital. Damit ist der Weg frei für den digitalen Binnenmarkt Europa – mit über 400 Millionen Nutzern. Im Bereich der elektronischen Identifizierung setzt die EU-Verordnung auf eine gegenseitige Anerkennung der verschiedenen nationalen eID-Systeme, damit nicht jedes der 27 Mitgliedsländer das gleiche System neu einführen muss. Seit 1. Juli 2016 können auch Behörden aus den anderen EU Mitgliedstaaten auf Daten elektronisch zugreifen. Sogenannte Vertrauensdienste werden als „Zwischeninstanz“ beauftragt, damit es nicht zu Datenmissbrauch kommt. Bei den Vertrauensdiensten wurden neue, vereinfachte Werkzeuge definiert und die Voraussetzungen für ein europaweit vereinheitlichtes Sicherheitsniveau geschaffen. Zukünftig können elektronische Transaktionen EU-weit effizient und rechtsverbindlich durchgeführt werden. Öffentlich einsehbare Vertrauenslisten und das EU-Vertrauenssiegel stellen sicher, dass der Dienstleister rechtskonforme Vertrauensdienste anbietet. Das ist ein Meilenstein auf dem Weg zu Wirtschaftswachstum und globalem Handel, von dem Wirtschaft und Bürger profitieren werden. Schon der 1993 in Kraft getretene „analoge“ Europäische Binnenmarkt hatte große Wachstumsimpulse ausgelöst und für mehr Beschäftigung gesorgt. Allein in Deutschland stieg durch das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas das Bruttoinlandsprodukt im Zeitraum 1992 bis 2012 um durchschnittlich 37 Milliarden Euro pro Jahr. Mit Einführung des digitalen Systems werden Handel und Austausch im Netz im wahrsten Sinne grenzenlos. Knapp 60 Prozent der deutschen Ausfuhren gehen in EU-Länder. Deshalb hat Deutschland ein ureigenes Interesse an einer Weiterentwicklung des Binnenmarkts und baut mit am digitalen Weg. Ich werbe ausdrücklich für dieses Gesetz; denn es bringt wesentliche Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger im europäischen Raum. Es schafft ein hohes Maß an Sicherheit für Nutzerinnen und Nutzer im digitalen Handel, und es ist hoffentlich auch ein Instrument, mit dem der Datenmissbrauch eingedämmt werden kann. Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Im Jahre 2010 wurden ein Personalausweis und ein elektronischer Aufenthaltstitel eingeführt, die über eine Funktion zum elektronischen Identitätsnachweis, genannt eID-Funktion, verfügen. Mithilfe dieser Funktion besteht nunmehr die Möglichkeit, sich gegenüber Behörden und Unternehmen im Internet zuverlässig und vertrauenswürdig auszuweisen. Erreicht wird dies über eine 2Faktor-Authentisierung. Beide Seiten, also die Ausweisinhaberinnen und Ausweisinhaber einerseits und die Behörden und Unternehmen andererseits, identifizieren einander: Der Staat stellt hier also eine sichere und verlässliche Infrastruktur zur gegenseitigen Identifizierung im Internet zur Verfügung. So ist beispielsweise die Beantragung eines Führungszeugnisses mit der eID-Funktion erheblich einfacher geworden. Das hört sich zunächst alles sehr vorteilig an, bedenkt man insbesondere, dass mit der Nutzung dieser Funktion der eine oder andere Behördengang und damit auch in der Regel ein nicht unerheblicher Zeitaufwand eingespart wird. Dennoch müssen wir feststellen, dass die Bürgerinnen und Bürger bis jetzt die eID-Funktion ihres Personalausweises wenig bis gar nicht nutzen. Genau genommen ist sie ein Ladenhüter. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Sicherlich bestehen bei den Bürgerinnen und Bürgern mitunter Bedenken ob des faktischen und des rechtlichen Datenschutzes. Diese Bedenken sind ernst zu nehmen und zu respektieren. Schon der Koalitionsvertrag stellt zutreffend fest, dass die Voraussetzung für die Akzeptanz elektronischer Behördendienste Datenschutz und Sicherheit der Kommunikation sind, wenn es um entspreche Angebote zwischen Bürger und Staat geht. Gerade deshalb wird im Koalitionsvertrag die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als unerlässlich gesehen. Wir bekennen uns nach wie vor zu diesem Ansatz und wollen fortwährend dafür sorgen, dass ein Mehr an digitalen Verwaltungsdienstleistungen und Nutzung dieser Möglichkeiten nicht zu einem Weniger an Datenschutz und letztlich persönlicher Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger führt. Andererseits stehen wir als Gesetzgeber vor der Aufgabe, der Digitalisierung speziell in der Verwaltung Rechnung zu tragen und sie fit für die Zukunft zu machen, aber auch im Sinne einer verantwortlichen Wirtschaftspolitik Unternehmen die Möglichkeit zu geben, die Vorteile der eID-Funktion in ihre Geschäftsabläufe zu implementieren und diese somit zu optimieren – nicht zuletzt auch im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Im Strudel dieses vermeintlichen Dualismus aus Förderung der eID-Funktion und Sicherstellung des Datenschutzes und der Datensicherheit bewegt sich dieser Gesetzentwurf. Die eingangs angesprochene sehr geringe Nutzung der eID-Funktion durch die Bürgerinnen und Bürger geht letztlich auch auf den Umstand zurück, dass sie in vielen Personalausweisen und Aufenthaltstiteln gar nicht erst bei Aushändigung eingeschaltet ist. Die bisherige Rechtslage sieht vor, dass eine Bürgerin oder ein Bürger bei der Beantragung eines solchen Dokuments aktiv gefragt wird, ob sie oder er diese Funktion einschalten lassen und damit grundsätzlich nutzbar machen möchte. Viele entscheiden sich dagegen. Somit ist ihnen die Möglichkeit, diese Funktion zu nutzen, direkt zu Beginn genommen. Hier möchten wir ansetzen und diesen Verfahrensablauf durch rechtliche Änderungen modifizieren. Fortan soll die eID-Funktion zunächst standardmäßig eingeschaltet sein. Die Bürgerinnen und Bürger sollen bei Beantragung ihres Ausweisdokumentes ausführlich und präzise über die Rahmenbedingungen und die Vorteile der eID-Funktion aufgeklärt werden. Wir erhoffen uns davon, dass dadurch Vorurteile und die mitunter ablehnende Haltung gegenüber der eID-Funktion abgebaut werden und ihre Nutzung insgesamt gefördert wird. Allerdings ist der freie Wille der Bürgerinnen und Bürger auch hier maßgeblich. So können sie letztlich selbst entscheiden, ob sie ausführlich informiert werden möchten, beispielsweise per Informationsbroschüre oder per E-Mail, oder eben auch nicht. Wenn sie eine eingeschaltete eID-Funktion nicht wünschen, haben sie auch fortan die Möglichkeit, diese deaktivieren zu lassen. Diese sogenannte Opt-out Lösung haben wir als Sozialdemokraten durchgesetzt. Über die genaue Ausgestaltung dieser Möglichkeit wird in den Ausschussberatungen noch zu befinden sein. Dass diese Möglichkeit bestehen wird, ist allerdings ein unumstößlicher Bestandteil dieses Gesetzentwurfs. Den Bürgerinnen und Bürgern soll nichts gegen ihren Willen aufgezwängt werden. Ein anderer Aspekt dieses Gesetzentwurfs betrifft die Frage, wie man die Implementierung der eID-Funktion für Unternehmen attraktiver gestalten kann. Denn auch hier schlummern Potenziale: So könnten in Zukunft Onlinedienstleistungen von Unternehmen, wie beispielsweise die Anbahnung eines Versicherungsvertrages, auf ein datenschutzsichereres Fundament gestellt werden, wenn beide Seiten zur Identifizierung die eID-Funktion nutzen. Eine weitere Verbreitung dieser Identifizierungsmöglichkeiten bei den Unternehmen ist somit auch aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher begrüßenswert, die diese Dienstleistungen zwar jetzt schon in Anspruch nehmen, bei allerdings deutlich geringerem Datenschutzniveau. Wiederum ist es derzeit für die Unternehmen nicht hinreichend attraktiv, die eID-Funktion zu implementieren, da sie insgesamt so wenig genutzt wird. Dieses Missstands will sich der Gesetzentwurf annehmen. Aber auch an dieser Stelle sei deutlich betont: Dieser richtige und wichtige Grundgedanke wird nicht zulasten der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gehen. Unternehmen, die diese eID-Funktion in ihre Geschäftsabläufe integrieren möchten, müssen auch in Zukunft hohe Standards für ihre Dienste einhalten, damit sie die entsprechende Berechtigung dafür bekommen. Denn die eID-Funktion ist und bleibt eine staatliche, hoheitliche Einrichtung und ist kein Wirtschaftsgut. Unterm Strich: Wir gehen mit diesem Gesetzentwurf einen Schritt in die richtige Richtung. Die eID-Funktion muss stärker gefördert werden, damit ihre Vorteile zukünftig von deutlich mehr Bürgerinnen und Bürgern genutzt werden, ganz gleich, ob bei der Inanspruchnahme von Verwaltungs- oder Unternehmensdienstleistungen. Allerdings werden wir es nicht zulassen, dass diese Förderung der eID-Funktion zulasten des Datenschutzes und der Datensicherheit der Bürgerinnen und Bürger geht und ihnen durch den Gesetzentwurf Nichtgewolltes aufgenötigt wird. Daher glaube ich, dass wir in den Ausschussberatungen noch an der einen oder anderen Schraube werden drehen müssen. Kritisch sehen wir nämlich nach wie vor die Ausgestaltung der Erteilung von Berechtigungszertifikaten für Dienstanbieter, und auch der automatisierte Lichtbildabruf unter anderem für Nachrichtendienste braucht einen klar gezeichneten und umgrenzten gesetzlichen Tatbestand. Gleichzeitig bin ich aber auch sehr zuversichtlich, dass wir am Ende zu einem sinnvollen und ausgewogenen Ergebnis kommen werden, und ich ergänze: ein Ergebnis, das unsere Verwaltungseinheiten in den Kommunen nicht belastet, sondern entlastet und damit Prozesse beschleunigt. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung überschreibt ihren Gesetzentwurf mit „Förderung des elektronischen Identitätsnachweises“. Das ist ein reiner Euphemismus. Tatsächlich birgt der Gesetzentwurf eine Verschlechterung der Datensicherheit für die Bürgerinnen und Bürger. Es geht um den sogenannten ePass bzw. den elektronischen Identitätsnachweis im neuen Personalausweis. Der enthält seit 2010 einen Chip, mit dem sich die Inhaber, zum Teil unterstützt durch eine PIN, gegenüber Behörden, aber auch der Privatwirtschaft ausweisen können. Das funktioniert dann ähnlich, als wenn man am Ladentisch seinen Ausweis zeigt. Über die Vor- und Nachteile dieses Chips wurde schon viel geschrieben; das Fazit, das die Linke schon vor Jahren gezogen hat, bleibt bestehen: Sicher ist er nicht und notwendig schon gar nicht. Unsere Skepsis wird von der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger geteilt. Von den 51 Millionen Deutschen, die in den letzten Jahren diesen neuen Personalausweis bekommen haben, entschieden sich zwei Drittel dafür, die Onlinefunktion von vornherein zu deaktivieren. Für diese Option kann man sich nämlich derzeit noch bei Aushändigung des Ausweises entscheiden. Und von dem anderen Drittel haben auch nur 5 Prozent das notwendige Kartenlesegerät für den Heimcomputer. Der Bundesregierung ist diese Boykotthaltung ein Dorn im Auge. Aber was macht sie jetzt? Anstatt sich Mühe zu geben, die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen, greift sie einfach zum Zwangsmittel. Der Ausweis soll ab sofort immer mit bereits eingeschalteter Onlinefunktion ausgehändigt werden; die Bürger haben nicht mehr die Wahl, ganz nach dem Motto: Wenn die Bürger die falschen Antworten geben, hören wir einfach auf, sie zu fragen. Willkommen zurück im Obrigkeitsstaat! Das eigentliche Motiv hinter diesem Manöver kann man leicht aus der Gesetzesbegründung herauslesen: Es geht um die Durchsetzung einer neuen Technologie im Interesse der Wirtschaft. Der Handel, heißt es da, warte darauf, dass eine größere Anzahl potenzieller Nutzer die Investition in die neue Technologie rechtfertigt. Und diese größere Anzahl wird dem Handel jetzt per Gesetz zugeführt. Deswegen ist der Preis für einen Personalausweis von 8 Euro auf über 28 Euro angestiegen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen für eine Technologie bezahlen, die sie nicht wollen und die sie auch gar nicht brauchen. Und noch schlimmer: Es ist eine Technologie, der sie zu Recht nicht trauen. Der Chaos Computer Club weist darauf hin, es sei „nur eine Frage der Zeit“, bis der Chip geknackt, das Lesegerät ferngesteuert oder die PIN gestohlen wird. Kriminelle können sich dann über das Internet mit falschen Identitäten ausweisen. Die Bundesregierung behauptet natürlich, jeglichem Missbrauch werde „sicher“ vorgebeugt. Aber wenn eines im IT-Bereich sicher ist, dann dieses: Es gibt keine Sicherheit, schon gar nicht langfristig. Im Auffinden und Schließen von Sicherheitslücken befinden sich Cyberkriminelle und IT-Industrie seit Jahren in einem unendlichen Wettlauf. Da nutzt es nichts, wenn die Bundesregierung den Nutzern empfiehlt, ihr Betriebssystem regelmäßig zu aktualisieren: Bis die Sicherheitslücke entdeckt ist, kann es schon zu spät sein. Und wenn man bedenkt, dass der Ausweis zehn Jahre lang gültig sein soll, kann man nur sagen: Das ist eine Einladung zum Knacken. Von der Praxis der Geheimdienste, sich in Privatcomputer einzuschleichen, ganz zu schweigen. Völlig zu Recht hat die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder am 24. Januar dieses Jahres gewarnt, dass „das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger übergangen und Datenschutz sichernde Standards unterlaufen“ werden. Ich will noch einen Punkt des Gesetzentwurfs ansprechen, der ebenso eine Verschlechterung des Datenschutzes vorsieht: den erweiterten und rascheren Zugriff der Sicherheitsbehörden auf die bei den Personalausweisbehörden gespeicherten Passbilder. Bislang ist dies der Polizei vorbehalten, die den automatisierten Abruf nur durchführen darf, wenn Gefahr im Verzug ist. In Zukunft wird dies praktisch völlig voraussetzungslos erlaubt, und zwar auch den Geheimdiensten. Die haben also dann freien Zugriff auf sämtliche Passbilder. Die Begründung dafür ist abenteuerlich: Das Anwerben von VLeuten durch die Geheimdienste könne gefährdet sein, heißt es da, wenn die VMann-Führer persönlich bei den Angestellten der Behörden ein Passbild abholen müssten, weil es ja sein könnte, dass die Angestellten den VMann kennen und damit die Geheimhaltung platzt. Hier wird eine datenschutzfeindliche Maßnahme mit einem demokratiefeindlichen Zweck begründet. Die Linke lehnt es ab, dass den Geheimdiensten ständig mehr Befugnisse eingeräumt werden, und die VMann-Praxis hat sich sowieso schon längst als absolut schädlich herausgestellt. Ich erinnere nur daran, dass die V-Männer des Verfassungsschutzes jahrelang die Naziterroristen vom NSU unterstützt haben. Die Datenschutzbeauftragten lehnen daher auch diese Änderung ab, und da schließt sich die Linke voll und ganz an. Wir wollen nicht, dass der Datenschutz auf den Altären von Geheimdiensten und Privatwirtschaft geopfert wird. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Stellen Sie sich vor, sie sind eine mit dem Politbetrieb nicht näher vertraute Bürgerin und werden gefragt, was Sie von den Maßnahmen der Merkel-Regierungen zum E-Government halten. Wie muss die Antwort lauten? Richtig: nichts! Denn Sie können beim besten Willen überhaupt keine einzige bekannte Maßnahme nennen. Auf Nachfrage Ihrerseits wird man Ihnen womöglich die EGovernment-Ruinen der letzten Jahre wieder in Erinnerung rufen, darunter De-Mail, ELENA, elektronische Gesundheitskarte oder der neue elektronische Personalausweis. Richtig, der Personalausweis, werden viele sagen, da war doch was; der war irgendwie ziemlich teuer, aber warum denn noch genau? Wir erläutern es gerne: Es wurde nie wirklich kommuniziert, worin der Mehrwert dieses elektronischen Ausweises liegt, was er kann. Das hatte eine gewisse Schlüssigkeit, weil der Ausweis auch nie wirklich sonderlich viel Vorweisbares konnte und kann. Die Vorstellung jedenfalls, dass der nPA zum zentralen Onlineidentitätstool der Bürger im geschäftlichen Leben als auch im Umgang mit Behörden wird, ist deshalb absurd, weil es schlicht bis heute an den dazugehörigen Angeboten fehlt. Man hat eben auch die Wirtschaft nicht ins Boot holen können, ganz zu schweigen von den Verwaltungen, die bei der Digitalisierung nach wie vor überwiegend eisern mauern und sich der Entwicklung insgesamt zu verweigern versuchen. Es kann also keine Akzeptanz der eID-Funktion auf dem neuen Personalausweis geben, denn in wohl kaum einem anderen Bereich hat diese sogenannte Große Koalition ihre nachhaltige Untätigkeit durch markige Reden und Symbolpolitik so umfänglich kaschiert wie im EGovernment. Die Digitale Agenda ist ein Stückwerk geblieben; von Open Data über Cybersicherheit bis hin zu Behördenangeboten online sind wir praktisch nicht vorangekommen. Natürlich handelt es sich um ein komplexes Feld. Aber die Probleme Ihrer Koalition sind eben auch hausgemacht: mangelnde Koordination der Digitalisierung ihrer eigenen Regierung, mangelhafte Beachtung von Akzeptanz- und Vertrauensfaktoren wie Rechtsstaatlichkeit, IT-Sicherheit und Datenschutz, aber auch die Kniepigkeit des Bundesfinanzministers. Vor diesem Hintergrund mutet es umso wunderlicher an, was Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf versuchen: ein disparates Artikelgesetz rund um Pass, Personalausweis und elektronische Aufenthaltstitel. Getrieben vom Scheitern des nPA versuchen Sie es nun mit der Brechstange, einfach indem Sie den rechtsstaatlich-datenschutzrechtlichen Rahmen aufweichen. Die Onlineausweisfunktion des elektronischen Personalausweises soll „leichter anwendbar“ werden. Dazu sieht ihr Gesetzentwurf (Drucksache 18/11279) vor, dass die sogenannte eID-Funktion zum elektronischen Identitätsnachweis künftig bei jedem Ausweis automatisch und dauerhaft eingeschaltet wird. Dies soll die eID-Funktion schneller verbreiten und dadurch einen Anreiz für Behörden und Unternehmen schaffen, mehr Anwendungen bereitzustellen. Dieses Vorgehen ist von beispielloser Frechheit und grenzt an magisches Denken. Das BMI merkt, dass die Bürgerinnen und Bürger in freier Entscheidung zu zwei Dritteln der rund 51 Millionen ausgegebenen Ausweise/eAT die eID-Funktion deaktivieren lassen haben, und schafft diese freie Entscheidung ab. Zur Strafe für die Ausübung ihrer Freiheiten wird den Pass- und Personalausweishaltern schlicht das Recht entzogen, überhaupt noch frei entscheiden zu können, ob die eID-Funktion eingeschaltet wird. Und diese Zwangsbeglückung soll dann den Erfolg eines Modells sicherstellen, bei dem von vornherein doch klar ist, dass nur bei hinreichenden Angeboten zur Nutzung der eID seitens der Wirtschaft und der Verwaltung überhaupt Transaktionen zustande kommen, ganz zu schweigen vom notwendigen Vertrauen aller Seiten in den Einsatz der Technik. Auch Unternehmen und Behörden implementierten die eID bislang nur zögerlich in ihre Geschäftsabläufe. Das hat sicherlich viele Gründe, ganz sicherlich aber wird sich daran nicht einfach dadurch etwas ändern, dass Sie die Funktion per Default freischalten. Denn sie muss von den Nutzern auch angewendet, also akzeptiert werden. Daher soll dem Gesetzentwurf zufolge nun aber auch noch das Verfahren vereinfacht werden, mit dem Unternehmen und Behörden berechtigt werden, die eID-Daten auszulesen. Kurz gesagt, Sie senken die datenschutzrechtlichen Anforderungen an den Nachweis der Erforderlichkeit bei den Unternehmen, die mit der eID arbeiten wollen. Die Mehrarbeit der Überprüfung sollen die Datenschutzbehörden tragen. Selbstverständlich führen Sie nicht aus, mit welchen Mitteln. Abgesehen davon, dass wir zum Gegenstand der Sachverständigenanhörung die Auffassung der Datenschutzbehörden zu dieser Form der Zwangsbeglückung machen werden, wird auch diese Aufweichung der rechtsstaatlichen Standards Ihnen nicht die Akzeptanz bringen. Denn sie hintertreiben damit zugleich die Vertrauenswürdigkeit der gesamten Idee der eID, die wesentlich auf dem dahinterliegenden Datenschutzkonzept basiert. Dass Sie aber keine Akzeptanz für die eID finden, hat zahlreiche andere Gründe, die Sie in Ihrem Entwurf überhaupt nicht erwähnen oder angehen, darunter die fehlenden Angebote der Behörden selbst, die fehlenden Apps für mobile Anwendungen bzw. das durchaus in der Praxis funktionierende, wenn auch unsichere Identifizieren per SMS, das von Anbeginn ungelöste Problem der Kartenlesegeräte, die von der Bundesregierung nicht gefordert wurden, und, und, und. Es gehört deshalb zu der großen Ironie dieses Gesetzentwurfs, dass Sie das Kopieren des Passes bzw. des Personalausweises erstmalig per Gesetz zulassen, nachdem über Jahrzehnte und völlig zu Recht – zusätzliche Sicherheitsrisiken für Betroffene – aus Datenschutzgründen Unternehmen belehrt wurden, genau dieses nicht zu tun. Der Hammer aber, ein klassischer BMI-Move, wie er im Lehrbuche steht, ist die im Gesetz sorgfältig auf den hinteren Seiten versteckte Einführung des voraussetzungslosen automatisierten Pass- bzw. Personalausweisfotoabgleichs durch alle bundesdeutschen Geheimdienste. Dieses ist nichts anderes als der offene Einstieg in eine bundesweite biometrische Bilddatenbank aller Bundesbürger. Die Aufrüstung der Geheimdienste unter der Großen Koalition spottet jeder Beschreibung. Und das, obwohl Skandale uns immer wieder zeigen, dass uns der notwendige rechtsstaatliche Zugriff auf die Dienste bis heute fehlt. Deutlicher kann man Demokratie- und Rechtsstaatgleichgültigkeit nicht zum Ausdruck bringen. Mit Sicherheit hat dieses Vorhaben übrigens sicherlich nichts zu tun. Es dürfte vielmehr große Teile der Bevölkerung massiv beunruhigen. Wir fordern den Bundestag und insbesondere die SPD auf, dieses Gesetzesvorhaben noch zu stoppen. Der Sachverständigenanhörung am 24. April sehen wir mit Interesse entgegen. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Wir alle erledigen heute einen Großteil unserer Geschäfte über das Internet. Wir bestellen Bücher oder Kleidung bei Onlinehändlern. Wir schließen online eine Versicherung ab oder eröffnen ein neues Bankkonto. Bei allen diesen Vorgängen müssen wir uns identifizieren. Dies geschieht meist über eine Kombination von Benutzernamen und Passwort. Viele Menschen besitzen so eine Menge Benutzernamen und Passwörter. Den Überblick zu behalten, ist fast unmöglich. Und: Das System „Benutzername/ Passwort“ macht es Identitätsdieben und Betrügern leicht. Benutzername und Passwort können gestohlen und anschließend betrügerisch eingesetzt werden. Diese Nachteile vermeidet die Onlineausweisfunktion des Personalausweises. So wie man den Personalausweis bis heute beim Bankschalter oder in der Behörde vorlegt, um sich zu identifizieren, kann man ihn seit 2010 auch bei Geschäften im Internet einsetzen. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die Nutzung des elektronischen Personalausweises weiterzuentwickeln. Personalausweise und elektronische Aufenthaltstitel mit geprüften Identitätsdaten sollen künftig durchgängig mit einer einsatzbereiten Onlineausweisfunktion ausgegeben werden. Der zweite wichtige Punkt betrifft das Verfahren zur Erteilung von Berechtigungen und Berechtigungszertifikaten: Anbieter von Onlinedienstleistungen – also etwa Banken, Versicherungen, aber auch Behörden im EGovernment – benötigen nach geltendem Recht eine spezielle Berechtigung für jeden Service, um die Onlineausweisfunktion anbieten zu dürfen. Hierfür müssen sie gegenwärtig für jeden neuen Service immer wieder erneut ein aufwendiges Genehmigungsverfahren durchlaufen. Der Regierungsentwurf sieht hier wesentliche Erleichterungen vor. Drittens erweitert der Regierungsentwurf die Anwendungsmöglichkeiten des elektronischen Personalausweises. Dies betrifft zunächst das sogenannte „Vor-Ort-Auslesen“. Bürgerinnen und Bürger können ihren Ausweis in Zukunft am Bank-, Post- oder Behördenschalter dazu nutzen, ihre üblichen Personendaten – also etwa Namen und Adresse – auf elektronischem Wege, aber eben „vor Ort“ in ein elektronisches Formular zu übertragen. Das geht schnell und verhindert Schreibfehler. Außerdem können in Zukunft sogenannte Identifizierungsdiensteanbieter die Identifizierung mittels Onlineausweisfunktion übernehmen. Unternehmen und Behörden benötigen so künftig keine eigene Informationstechnologie mehr, um diese Funktion anzubieten. Sie können für diesen sicheren Service einen spezialisierten Dienstleister beauftragen. Schließlich enthält der Regierungsentwurf noch zwei weitere Regelungen. Zum einen erhalten Sicherheitsbehörden künftig die Möglichkeit, die Pass- und Ausweisregister zum automatisierten Abruf von Passbildern zu nutzen. So können Personen, von denen Sicherheitsrisiken ausgehen, schneller überprüft werden. Der automatisierte Abruf von Passbildern erleichtert die Arbeit der Sicherheitsbehörden und erhöht die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Zum anderen enthält der Entwurf einen neuen Passversagungsgrund. Er soll Auslandsreisen verhindern, die mit dem Ziel vorgenommen werden, eine sogenannte Ferienbeschneidung von Mädchen vornehmen zu lassen. Solche „Ferienbeschneidungen“ sind als Verstümmelung weiblicher Genitalien nach § 226a StGB strafbar und müssen auch präventiv bekämpft werden. Hierzu dient der neue Passversagungsgrund. Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf zu unterstützen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BDBOSGesetzes – des Antrags der Abgeordneten Irene Mihalic, Matthias Gastel, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen (Tagesordnungspunkt 31 und Zusatztagesordnungspunkt 11) Marian Wendt (CDU/CSU): Kommunikationstechnologie unterliegt einem ständigen Wandel. Staatliche Kommunikationsinfrastrukturen sind unmittelbar betroffen. Sind sie veraltet, unzuverlässig oder nicht leistungsfähig genug; so kann der Staat seinen Aufgaben nicht nachkommen. Sind sie obendrein unsicher; so geht von ihr eine Gefahr für die Menschen aus, einerseits weil die Gefahrenabwehr, eine der zentralen Aufgaben des Staates, nicht zuverlässig gewährleistet werden kann, andererseits weil sie Angriffen auf sie selbst nicht standhalten können. Die Bundesrepublik Deutschland hat also die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ihre Kommunikationsinfrastruktur, namentlich vor allem die Netze des Bundes, aber auch alle anderen Kommunikationsinfrastrukturteile der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, sicher sind, funktionieren und einem modernen Stand der Technik entsprechen. Ein entscheidender Faktor bei der Sicherstellung moderner und sicherer Kommunikationsinfrastrukturen ist es, die öffentliche Verwaltung in die Lage zu versetzen, möglichst flexibel auf die zukünftigen Herausforderungen zu reagieren und die Anforderungen stets anpassen zu können. Die bisherige Schwerfälligkeit, gegeben durch die verstreute Zuständigkeit und behäbige Apparate, muss überwunden werden. Eine Bündelung der Zuständigkeit in möglichst wenigen verantwortlichen Positionen ist der richtige Weg. In Bezug auf die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben bedeutet dies, dass die Aufgaben dieser Behörde schneller und flexibler an den Bedarf angepasst werden müssen, wenn es nötig wird. Die öffentliche Sicherheit wird durch den Digitalfunk für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben wesentlich gestärkt. Ein modernes Kommunikationssystem für Sicherheitskräfte ist unerlässlich. Der Wechsel von den analogen Vorläufersystemen hat lange genug gedauert. Daher ist es richtig und wichtig, jetzt den nächsten Schritt zu gehen und das neue, moderne System noch fitter für die Zukunft zu machen. Doch es geht auch um mehr. Die Erfahrung rund um den Aufbau und den Betrieb von Digitalfunknetzen und anderen Kommunikationsnetzen soll nun auch, wenn es nötig ist, in anderen staatlichen Bereichen genutzt werden. Die stellt eine effiziente Nutzung der erworbenen Kenntnisse und des Materials in diesem Bereich dar. Es vermeidet eine Doppelbeschaffung. Um einen Ausblick auf die kommenden Herausforderungen zu geben, möchte ich auf einen besonders wichtigen Punkt hinweisen. Die Einführung eines überall und stets verfügbaren Breitbandnetzes für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ist der nächste und höchst wichtige Schritt. Genau wie in der Industrie, in der Fertigung und in vielen anderen, auch privaten Bereichen ermöglicht der technologische Fortschritt immer bessere und effizientere Wege. Die Nutzung dieser Technologien ist auch im Bereich der öffentlichen Sicherheit nicht nur denkbar, sondern geboten. Dass der Staat eine zumindest in Teilen autarke und im Katastrophenfall von Dritten unabhängige Infrastruktur betreibt und nutzen kann, die verlässlich und sicher ist, muss das Ziel der Bemühungen um eine neue Sicherheitspolitik sein, für die ich mich in Zukunft persönlich einsetzen will. Der geplante Schritt, den Betrieb der Netze des Bundes in die Hand der Bundesanstalt für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben zu legen, ist der richtige Weg zu diesem Ziel. Auch wirtschaftlich gesehen ist es eine vernünftige Maßnahme. Bei einer Fremdvergabe des Betriebes der Netze des Bundes, im Gegensatz zu einem Betrieb durch die BDBOS, entstünden ungefähr 70 Millionen Euro mehr Kosten als in der gewählten Variante. Dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entspricht unser Vorgehen also auch. Es ist geboten, weil es nicht zu rechtfertigen ist, wenn ein Staat einen möglichen Gewinn an Sicherheit bei bewältigbaren Kosten nicht ergreift. Die Tatsache, dass es hier im Hause bisher keinen Streit über eine Notwendigkeit der Novellierung des BDBOS-Gesetzes gegeben hat, zeigt mir überdies, dass es einen breiten Konsens über die Modernisierung und Straffung staatlicher sicherheitsrelevanter Kommunikation gibt. Auch der Bundesrat hat am 10. Februar 2017 beschlossen, keine Einwände zu erheben. Dies stimmt mich überaus positiv. Gerold Reichenbach (SPD): Vor knapp zehn Jahren wurde in Deutschland das weltweit größte Digitalfunknetz für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, die sogenannten BOS, aufgebaut. Dies war keineswegs banal. Schließlich verfügte Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten bereits im Analogfunk über ein Integriertes Funknetz für die BOS. Nach einem längeren Bund-Länder-Abstimmungsprozess fiel dann der Startschuss mit dem am 1. September 2006 in Kraft tretenden „Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“, dem sogenannten BDBOS-Gesetz. Am 2. April 2007 wurde die BDBOS gegründet. Es war damals ein wichtiger Schritt, um ein Herzstück unseres polizeilichen und nicht polizeilichen Sicherheitssystems, nämlich die Kommunikation und den Datenaustausch, zu modernisieren. Der Digitalfunk ersetzte den bis dahin technisch veralteten, von der Polizei in Bund und Ländern, den Feuerwehren, den Rettungskräften sowie von den Katastrophenschutz- und Zivilschutzbehörden in Bund und Ländern genutzten Analogfunk. Mitte 2009 haben wir mit dem ersten „Gesetz zur Änderung des BDBOS-Gesetzes“ die Voraussetzungen geschaffen, das in Deutschland bereits bestehende integrierte BOS-Funknetz von der analogen in die moderne digitale Funktechnik zu überführen. Damit wurde gewährleistet, dass die von Bund und Ländern für ihre jeweiligen Bedarfsträger dezentral beschafften digitalen Funkgeräte bestimmte Mindestanforderungen erfüllen und so störungsfrei mit den sonstigen Komponenten des BOS-Digitalfunknetzes sowie mit allen anderen Funkgeräten in diesem Netz zusammenarbeiten. Das BOS-Digitalfunknetz in Deutschland ist weltweit das Größte seiner Art und verfügt im Vergleich zum Analogfunk über einige Vorteile: Er ist abhörsicher, hochverfügbar, und hat eine verbesserte Sprachqualität. Der BOS-Digitalfunk wird heute bereits von über 700 000 registrierten Teilnehmern genutzt und hat sich nicht nur im Alltag, sondern auch bei Großeinsatzlagen bewährt. Dieses Ergebnis konnte durch die gute und enge Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Ländern und der BDBOS erreicht werden. Mit dem nun heute vorliegenden zweiten und auch zu begrüßenden „Gesetz zur Änderung des BDBOS-Gesetzes“ wollen wir sicherstellen, dass der öffentlichen Verwaltung die notwendige Flexibilität für die Zukunftsherausforderungen und Zukunftsanforderungen gegeben werden, die durch den Wandel in staatlichen Kommunikationsstrukturen verursacht werden. Wir nehmen in das bestehende BDBOS-Gesetz eine Öffnungsklausel auf, mit der das Aufgabenspektrum der BDBOS jederzeit erweitert werden kann, um auf Entwicklungen im Bereich staatlicher Kommunikationsstrukturen flexibel zu reagieren. Der Zweck der BDBOS liegt aber auch nach einer möglichen Übertragung weiterer Aufgaben nach wie vor im Aufbau und Betrieb des Digitalfunks. Zunächst ist vorgesehen, den Eigenbetrieb der Netze des Bundes, NdB, als eine gesonderte Aufgabe an die BDBOS zu übergeben. Gerade mit der steigenden Gefahr durch Cyberattacken und dem schnellen technologischen Fortschritt sollen die Netze des Bundes mithalten können. Bund und Länder sitzen beim BDBOS nach wie vor in einem Boot. So wollen wir mit dem Änderungsgesetz die Möglichkeit des weiteren Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei Planung, Errichtung und Betrieb der für ihre Aufgabenerfüllung benötigten informationstechnischen Systeme einführen. Ebenso stellen wir klar, dass der beim BDBOS bestehende Verwaltungsrat allein für die in § 2 Absatz 1 Satz 1 BDBOSG geregelten Belange des Aufbaus, Betreibens und der Weiterentwicklung des Digitalfunks der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben sowie der Sicherstellung ihrer Funktionsfähigkeit zuständig ist. Dabei soll dem Verwaltungsrat insoweit die Entscheidung über die grundsätzlichen Angelegenheiten, soweit die zuvor genannten Belange nach § 2 Absatz 1 Satz 1 BDBOSG betroffen sind oder die Übertragung von Aufgaben nach § 2 Absatz 1 Satz 2 BDBOSG-E im Raum steht, obliegen. Außerdem soll der vom Verwaltungsrat aufzustellende Jahresabschluss auf die in § 2 Absatz 1 Satz 1 BDBOSG geregelten Aufgaben fixiert werden. Wir legen fest, dass der jährlich zum 31. Oktober für das folgende Geschäftsjahr zu erstellende Wirtschaftsplan Investitionen und Aufwendungen für die in § 2 Absatz 1 Satz 1 und 2 BDBOSG fixierten Aufgaben gesondert auszuweisen hat und die Aufhebung der in § 18 BDBOSG geregelten Übergangsvorschriften und der in § 19 BDBOSG vorgesehenen Änderungen des Bundesbesoldungsgesetzes. Natürlich sehen wir an einigen Stellen noch Umsetzungs- und Nachverdichtungsprobleme, insbesondere auch in der sogenannten In-House-Versorgung. Hier sind die Länder oder auch die Betreiber der jeweiligen Einrichtungen weiter in der Pflicht. Der Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen greift damit auch nur einen Aspekt der notwendigen weiteren In-House-Verdichtung heraus, der der Sicherstellung einer lückenlosen BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG. Auch ohne den Antrag der Grünen ist auch heute schon die Deutsche Bahn AG genauso wie zum Beispiel Flughafenbetreiber in der Pflicht, technisch alles in die Wege zu leiten, damit Polizei und Rettungskräfte im Falle einer Krisensituation über den Digitalfunk vor Ort kommunizieren können. Übrigens nicht nur für den von den Grünen angeführten Fall eines Terroranschlages. Im Gegenteil, sie ist auch und gerade für die alltäglichen Einsätze der Polizei, der Feuerwehren und Rettungsdienste notwendig. Wir wissen, dass es keine bundesweit einheitliche Rechtsverpflichtung der Betreiber zur Objektfunkversorgung gibt. Die Verantwortung für Anlagen der Eisenbahninfrastruktur tragen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Sie sind für die Gewährleistung des sicheren Betriebs ihrer Anlagen uneingeschränkt verantwortlich, wozu unter anderem auch Rettungskonzepte mit deren notwendigen Kommunikationsmöglichkeiten für die BOS gehören. Es ist doch schon seit Jahren mit Bundesmitteln aus der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung möglich – auch für die Deutsche Bahn AG und ihre Eisenbahninfrastrukturunternehmen –, die Ausrüstung mit BOS-Funk zu finanzieren, dabei ist es sogar egal, ob analog oder digital. Dafür muss im jeweiligen Einzelfall ein funktionierendes Rettungskonzept vorliegen und eine Aus- bzw. Umrüstung mit BOS-Digitalfunk erforderlich sein. Der Deutschen Bahn AG obliegt es jetzt schon in ihrer eigenen unternehmerischen Verantwortung, dies an ihren Bahnhöfen zu ändern; daraus wollen wir sie auch nicht entlassen. Für den Gesetzentwurf bitte ich um Ihre Zustimmung. Den Antrag von Bündnis90/Die Grünen halten wir durch die bestehende Rechtslage für erledigt. Frank Tempel (DIE LINKE): Im vorliegenden Gesetzentwurf will die Bundesregierung die Möglichkeit schaffen, der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, BDBOS, neue Aufgaben jenseits des bisherigen Betriebes des TETRA-basierten Digitalfunk BOS zukommen zu lassen. Angedacht ist die Übertragung des Eigenbetriebes der Netze des Bundes, NdB. Das Netz des Bundes als zukünftige Netzinfrastruktur der Bundesverwaltung ist unzweifelhaft Teil der kritischen Infrastruktur und auf das Engste mit den Kernaufgaben des Staates verbunden. Solch kritische Infrastrukturen in Betrieb privater Firmen bilden ein potenzielles Sicherheitsrisiko. Die bisherigen zwei Netze, das BVN/IVBV – Bundesverwaltungsnetz/Informationsverbund der Bundesverwaltung – und das IVBB – Informationsverbund Berlin-Bonn – wurden von zwei Privatfirmen, Verizon und T-Systems, betrieben. Darüber erfolgten die Regierungskommunikation sowie die Kommunikation der Bundesverwaltung. Via BVN/IVBV wird ebenfalls ein Teil der Datenverkehre des Deutschen Bundestages abgewickelt. Mit den Snowden-Leaks wurde bekannt, dass Verizon zu jenen Firmen zählt, mit denen der US-amerikanische Geheimdienst NSA strategische Partnerschaften zur Datenüberwachung unterhält. Der Vertrag mit Verizon über den Betrieb des Bundesverwaltungsnetzes wurde daraufhin später zu Recht gekündigt. Die Änderung des BDBOS-Gesetzes schafft die Möglichkeit, dass die Netze des Bundes, NdB, in Eigenbetrieb durch die Bundesbehörde geführt werden können. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Zudem sollen bis 2019 die einzelnen Fernkommunikationsnetze des Bundes zusammengefasst und migriert werden. Gegenüber einem Fremdbetrieb soll der Kostenvorteil des NdB in Eigenbetrieb zudem laut dem Gesetzentwurf rund 160 Millionen pro Jahr betragen. Andererseits bleibt die Fraktion Die Linke skeptisch. Die Geschichte der Einführung des digitalen BOS-Netzes als auch des Netzes des Bundes war und ist ein Trauerspiel. Schon zur Fußballweltmeisterschaft 2006 sollte in den Austragungsorten der digitale BOS-Funk verfügbar sein. Im Jahr 2007 gab es einen Neustart des gesamten Projektes. Seitdem ist die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben für den Aufbau des Digitalnetzes zuständig. Immer größere Kosten, ein Ausbaurückstand von zwei Jahren und Berichte über ein Organisationschaos bei der BDBOS begleiteten deren Arbeit. Beim Aufbau des digitalen Polizeifunks waren erhebliche Unregelmäßigkeiten zu beobachten. Der Bundesrechnungshof listete im Jahre 2010 unglaubliche Zustände beim BDBOS auf. Mitarbeiter wurden ohne Arbeitsvertrag angestellt, externe Dienstleister schrieben sich selbst die Arbeitsaufgaben zu, und die Rechnungslegung war über weite Strecken nicht nachvollziehbar. Die ursprünglich geplanten Kosten von 5,1 Milliarden Euro, die inzwischen auf 7,2 Milliarden Euro angestiegen sind, werden wohl noch um einige Milliarden anschwellen. Grund dafür ist die immer noch nicht erreichte vollständige Abdeckung des Netzes. Insbesondere in Tälern, dichten Wäldern und innerhalb von Gebäuden ist der Empfang schwierig bis unmöglich. Deshalb muss die Stationsdichte nachträglich erhöht werden. Der heute vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geht in diese Richtung und wird natürlich von den Linken unterstützt. Weiterhin ist die Übertragung digitaler Daten beim Polizeifunk so unterdimensioniert, dass jedes normale Handy einen weit höheren Funktionsumfang aufweist. Die Übertragung von Fahndungsfotos oder Fingerabdrücken ist faktisch unmöglich. Es steht also ein milliardenschwerer Ausbau bei den Bandbreiten an. Nach Jahren der Kritik von Katastrophenschützern und auch unserer Fraktion haben die Bundesregierung und die Länder endlich die Notwendigkeit erkannt, das digitale BOS-Netz gegen längere Stromausfälle zu härten. Bereits nach zwei Stunden ist heute das Netz tot und sind Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und THW der Kommunikation beraubt. Der Puffer soll nun auf 72 Stunden ausgebaut werden. Wann dies abschließend der Fall ist, steht aber in den Sternen. Auch das Projekt „Netze des Bundes“ ist dem Zeitplan um Jahre hinterher. Neben Diskussionen um die Sicherheit des Netzes wegen bekannter Trassenverläufe im ehemaligen Leerrohrnetz der amerikanischen Armee gibt es auch erhebliche Kritik des Bundesrechnungshofes an Fehlausgaben in Milliardenhöhe. Sie verstehen sicherlich, dass wir trotz des nachvollziehbaren Ansatzes in ihrem Gesetz große Befürchtungen gegenüber Ihren Plänen hegen. Es ist schon viel zu viel Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eingesetzt worden, und die Nutzbarkeit von digitalem BOS und des Netzes des Bundes ist trotzdem nicht auf dem versprochenen Stand. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Viele haben sicher nie davon gehört, aber: Die Umstellung des Analogfunks von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben auf BOS-Digitalfunk ist eines der größten technischen Modernisierungsprojekte in Deutschland. Die ursprünglichen Planungen sahen die Inbetriebnahme eines Rumpfnetzes in Berlin zur Fußball-WM 2006 vor. Die Gesamtumstellung sollte dann bereits im Jahr 2012 abgeschlossen sein. Nach der Umstellung soll der neue BOS-Digitalfunk den Behörden mit Sicherheitsaufgaben in Bund und Ländern, wie der Polizei, den Feuerwehren, dem THW oder den Sanitäts- und Rettungsdiensten, ein zuverlässiges und modernes Funknetz bieten. Der Ausschreibungs- und Planungsprozess war allerdings so miserabel, dass dieses Ziel weit verfehlt wurde und die Umstellung bis heute nicht vollständig abgeschlossen ist. Die eigens 2007 gegründete Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, also der BDBOS hat die bestehenden Probleme offensichtlich nicht im Griff, und der BOS-Digitalfunk entwickelt sich mehr und mehr zu dem Berliner Flughafen des Bundesinnenministeriums. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht nun die Übertragungen von weiteren Aufgaben an die BDBOS vor, die bisher nur den Ausbau und den Betrieb des BOS-Funks zu verantworten hat. Mir erscheint das Vorhaben so, als würde man jetzt dem neuen Berliner Flughafen auch noch den Betrieb von Tegel anvertrauen. Dabei haben die Verantwortlichen aus der Misere offensichtlich nicht viel gelernt, wenn man den vorliegenden Gesetzentwurf betrachtet. Dieser soll es ermöglichen, dass weitere Aufgaben an die BDBOS übertragen werden, ohne dass diese genau spezifiziert sind. Dabei ist der Gedanke, weitere Aufgaben im Bereich der staatlichen Kommunikation an einer Stelle zu bündeln und dadurch beispielweise die Resilienz gegen Hackerangriffe zu stärken, sicherlich sinnvoll. Aber setzt dies nicht eine genaue Planung voraus? Ich frage mich: Wo möchte die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf hin? Offensichtlich weiß man das selbst nicht so genau. Die Übertragung des Betriebs der sogenannten Netze des Bundes als mögliche Option bleibt mir an dieser Stelle zu unkonkret, insbesondere im Hinblick darauf, dass es sich allein hier um ein Projekt mit einem Erfüllungsaufwand von 100 Millionen Euro handelt und dass ein jährlicher Erfüllungsaufwand von rund 92 Millionen Euro veranschlagt ist, nach bisherigen Zahlen der Bundesregierung. Weitere Kosten, für die möglichen neuen Aufgaben, kann die Bundesregierung nicht einmal benennen. Vielleicht wäre es auch im Hinblick auf die gegenwertige sicherheitspolitische Lage angebracht, sich erstmal auf die bestehenden Probleme im BOS-Digitalfunk zu konzentrieren und der Behörde nicht pauschal so weitreichende Aufgaben zu übertragen. Die terroristische Anschlagsgefahr prägt die politische Debatte derzeit wie kaum ein anderes Thema. Es werden im Eiltempo neue Gesetze verabschiedet und Markplatzreden über die Ausstattung der Sicherheitsbehörden und insbesondere der Polizei gehalten. Den Polizistinnen und Polizisten, die täglich ihren Dienst ausüben, helfen diese Gesetze und warmen Worte wenig, wenn wir immer wieder erleben, dass diese unter grundlegenden Ausstattungsdefiziten leiden. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht, nachzubessern und eben auch für einen funktionierenden und zuverlässigen Behördenfunk zu sorgen. Ohne einen störungsfreien Funkverkehr ist keine zuverlässige Kommunikation sichergestellt, und diese ist Grundlage eines erfolgreichen Einsatzes. Die Bewältigung einer komplexen Lage, wie zum Beispiel bei einem Amoklauf oder einem Terroranschlag, ist nur durch eine absolut zuverlässige Kommunikation zwischen den verschiedenen Polizeieinheiten, aber auch anderen Behörden mit Sicherheitsaufgaben, wie der Feuerwehr oder den Rettungsdiensten, möglich. Aber auch im alltäglichen Dienst stellen die bestehenden Probleme im Digitalfunk ein erhebliches Risiko für die Beamtinnen und Beamten dar. Wie soll beispielsweise Verstärkung gerufen werden, wenn man sich gerade in einem „Funkloch“ befindet? Mit einem zuverlässigen BOS-Digitalfunk würde die Bundesregierung einen wertvollen Beitrag für die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit der Polizistinnen und Polizisten leisten und nicht mit einer Strafverschärfung, wie kürzlich beschlossen. Die Probleme im Aufbau des BOS-Digitalfunks sind Jahre nach der Einführung immer noch vielseitig. In der Fläche besteht teilweise immer noch ein Mangel an Basisstationen, die eine zuverlässige Netzabdeckung garantieren. Aus diesem Grund greifen Einsatzkräfte immer wieder auf private Mobiltelefone zurück, um Meldungen abzugeben oder zusätzliche Kräfte anzufordern. Der Mangel in der Fläche sorgt auch immer wieder für eine schlechte Funkverbindung innerhalb von Gebäuden. Des Weiteren ist die Umstellung in den Behörden mit Sicherheitsaufgaben selbst noch nicht vollständig abgeschlossen, wie eine Kleine Anfrage von uns ergeben hat. Hier gilt es dringend nachzubessern. Die größte Herausforderung liegt aber in der Objektfunkversorgung von großen Gebäuden, wie verschiedene Zwischenfälle und Berichte in den letzten Jahren gezeigt haben. Dieses Problem greift unser Antrag „Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen“ auf. Bahnhöfe sind besonders sensible Orte, die täglich von vielen Menschen frequentiert werden. Daraus ergeben sich bereits im alltäglichen Geschehen besondere Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf terroristische Ereignisse. Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Missstände endlich zu beheben und gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG für eine flächendeckende und zuverlässige Objektfunkversorgung in den Bahnhöfen und den Tunnelanlagen zu sorgen. Ich möchte eindringlich um eine Unterstützung unseres Antrages werben, der einen erheblichen Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung und die Beamtinnen und Beamten im Dienst bedeutet. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Digitalisierung führt zu grundlegenden Veränderungen in unserem Land. Neben der Wirtschaft und Gesellschaft ist gerade auch der Staat von diesen Veränderungen betroffen. Die Bundesverwaltung ist heute in ihrer Handlungsfähigkeit entscheidend auf eine moderne, sichere und zuverlässige IT-gestützte Kommunikation angewiesen. Dabei spielen Netzinfrastrukturen eine besondere Rolle. Sie stellen die übergreifende Sprach- und Datenkommunikation sicher, vernetzen bundesweit Rechnernetze und bilden somit eine Art „zentrales Nervensystem“ für die moderne Verwaltung. Die kurzen Entwicklungszyklen auf dem IT-Markt führen allerdings dazu, dass alte Technologien den stetig wachsenden Anforderungen kaum noch Rechnung tragen. Daneben ist die Bedrohungslage der Netze durch hochentwickelte Schadprogramme wie zum Beispiel Trojaner gestiegen. Die Regierungsnetze werden täglich gezielt angegriffen. Auch hat die Vielfalt der Netze innerhalb der Bundesverwaltung zu einer hohen Komplexität geführt, welche die Beherrschbarkeit und damit die Sicherheit der Regierungskommunikation gefährden kann. Die aktuellen Netzinfrastrukturen der Bundesverwaltung sind historisch gewachsen und weisen eine Vielzahl von parallelen Flächennetzen und Spezialnetzen auf. Dazu kommt, dass unsere heutigen Netze kein einheitliches Sicherheitsniveau und keine redundanten Netzwerkstrukturen für eine größtmögliche Verfügbarkeit besitzen: Punktuelle Modernisierungen und Erweiterungen der bestehenden Regierungsnetze können den Anforderungen einer vernetzten, modernen Verwaltung nicht dauerhaft gerecht werden. Deshalb wird derzeit mit dem Projekt „Netze des Bundes“ eine einheitliche Netzinfrastruktur mit erhöhtem Sicherheitsniveau auf den Weg gebracht. Hierdurch werden die notwendige Größenvorteile, Krisensicherheit sowie Leistungssteigerung gewährleistet. Durch redundante Anbindungen wird die Verfügbarkeit der Netze erheblich gesteigert. Es ist vorgesehen, der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, kurz: BDBOS, den Betrieb der Netze des Bundes als gesonderte Aufgabe zu übertragen. Hierzu bedarf es der vorliegenden Gesetzesänderung, die eine solche Aufgabenübertragung an die BDBOS ermöglicht. Gegenwärtig bestehen die zentralen Aufgaben der BDBOS im Aufbau, Betrieb und der Weiterentwicklung des bundesweit einheitlichen digitalen Sprech- und Datenfunksystems für die Einsatzkräfte der Polizei, der Feuerwehr, der Rettungskräfte sowie der Katastrophen- und Zivilschutzbehörden in Bund und Ländern. Die Bundesanstalt ist besonders geeignet den Betrieb der Netze des Bundes zu übernehmen, da sie bereits für den Betrieb des designierten Backbones für die Netze des Bundes, dem „Kerntransportnetz Bund“, verantwortlich ist und aufgrund ihrer gefestigten Strukturen in der Lage ist, frühzeitig am Projekt Netze des Bundes mitzuwirken. Der Bund sichert sich mit der Übertragung der Aufgabe an eine Bundesanstalt im Vergleich zum Betrieb durch einen externen Dienstleister uneingeschränkte Einflussmöglichkeiten. Dies ist gerade auch bei besonderen sicherheitsrelevanten Lagen von Bedeutung. Auch die Einfluss- und Kontrollrechte des Parlaments bleiben so gewahrt. Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, die Leistungsfähigkeit und Sicherheit der für das Funktionieren der Bundesverwaltung wichtigen behördlichen Netzinfrastrukturen weiterhin zu gewährleisten und auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten. Deshalb bitte ich Sie um die Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration (Tagesordnungspunkt 32) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Häufig ist der Vorwurf zu hören, Deutschland und Europa schotteten sich ab. Migranten seien in Europa nicht mehr willkommen. Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt, dass die europäische Migrationspolitik in eine ganz andere Richtung geht. Mit den drei EU-Richtlinien, die wir heute in deutsches Aufenthaltsrecht umsetzen, erleichtern wir Nichteuropäern, die auf legalem Weg nach Europa gekommen sind, die Arbeitsmigration innerhalb der EU. Natürlich brauchen wir in Europa qualifizierte und motivierte Zuwanderer. Allerdings muss diese Zuwanderung in jedem Fall klaren Regeln folgen, die jederzeit in allen EU-Mitgliedstaaten eingehalten und konsequent umgesetzt werden müssen. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die ganz große Mehrheit der Migranten in Europa unsere geltenden Zuwanderungsgesetze einhält. Die Phasen der hohen unkontrollierten und illegalen Migration, wie wir sie zuletzt erlebt haben, sind die Ausnahme und müssen die Ausnahme bleiben. Andernfalls erodiert die öffentliche Akzeptanz für die Freizügigkeit in Europa noch weiter. Der Fortbestand des grenzfreien Schengen-Raums ist heute durch das dysfunktionale Asylsystem der EU akut bedroht. Die EU-Staaten müssen deutlich machen, dass es klare Regeln gibt, wer unter welchen Bedingungen und auf welchem Wege zu uns kommen darf. Dafür braucht die EU ein klares, verbindliches und glaubwürdiges Zuwanderungsregime. Diejenigen Migranten, die unser geltendes Recht einhalten, sollen auch von den Vorzügen des vereinten Europas profitieren können, aber eben unter bestimmten und kontrollierten Voraussetzungen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt die Bundesregierung ihrer Pflicht nach, drei EU-Richtlinien in das deutsche Aufenthaltsrecht umzusetzen. Nichteuropäer erhalten durch die Umsetzung der Rest-Richtlinie, der ICT-Richtlinie und der Saisonarbeitnehmer-Richtlinie mehr Möglichkeiten und Freiheiten in der EU. Diese Reform wird vielen Migranten, die nicht aus der EU stammen, das Leben und Arbeiten in Europa und Deutschland erleichtern. Zum Beispiel sollen Studenten und Forscher leichter zu Studien- oder Forschungszwecken in andere EU-Staat wechseln dürfen. Ebenso sollen mit dem Gesetzentwurf die Regeln für unternehmensintern transferierte Arbeitnehmer vereinfacht werden. Auch für Praktikanten und Teilnehmer von europäischen Freiwilligendiensten, die aus Drittstaaten stammen, wird das Aufenthaltsrecht verbessert. Zudem werden die Vorschriften zu Ein- und Ausreise von Saisonarbeitnehmern vereinheitlicht und vereinfacht. In der Landwirtschaft, der Gastronomie und der Bauindustrie werden seit Jahren zusätzliche saisonale Arbeitskräfte gebraucht. Es ist daher richtig, Drittstaatlern die Einreise für Kurzaufenthalte bis zu 90 Tagen oder längere Aufenthalte bis zu sechs Monaten zu ermöglichen, um in Deutschland vorübergehend zu arbeiten. Saisonarbeiter müssen dafür einen gültigen Arbeitsvertrag und eine bezahlbare Unterkunft nachweisen. Zu begrüßen ist auch, dass in § 41 Aufenthaltsrecht eine Möglichkeit zum Widerruf der Arbeitserlaubnis verankert wurde, um unsere heimischen Arbeitnehmer vor Lohndumping zu schützen. Eine noch weiter gehende Verbesserung der Schutzstandards für Saisonarbeitnehmer vor Missbrauch und Ausbeutung wäre sicherlich zu begrüßen. Allerdings ist das vorliegende Gesetz dafür nicht der richtige Ansatzpunkt. Wichtig ist auch, die Anreize für illegale Migration und das Überziehen der Aufenthaltsgestattung zu minimieren. In diesem Zusammenhang wird erneut deutlich, wie wichtig die zügige Einführung des geplanten zentralen Einreise-Ausreise-Registers der EU ist. Dieses Register ist für die europaweite Identifikation sogenannter Visa-Overstayer von großer Bedeutung. Natürlich ist Migration für unsere Volkwirtschaft, für die internationale Forschung und Lehre und die Unternehmen in Europa von großer Bedeutung. Zudem haben die letzten Jahre in vielfacher Hinsicht gezeigt, wie wichtig eine verbindliche Ordnung und eine verlässliche staatliche Kontrolle bei der Einwanderung sind. Migration und Einwanderungskontrolle schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern müssen als zwei Seiten der gleichen Medaille begriffen werden. Wer Migration nicht kontrolliert, riskiert, dass irgendwann Mauern gebaut werden. Um das zu vermeiden, braucht es vorausschauende, verbindliche und allgemein nachvollziehbare Regeln. Auch ich würde es begrüßen, wenn Deutschland ein einfaches Einwanderungsgesetz erhalten würde, wie es manche fordern. Diese Forderungen ignorieren jedoch die Tatsache, dass wir als EU-Mitglied unser Aufenthaltsrecht immer im europäischen Kontext denken und regeln müssen. Dadurch wird das Ausländerrecht in Deutschland automatisch komplizierter als zum Beispiel in Kanada. Allerdings verkomplizieren wir mit der heutigen Novellierung das deutsche Aufenthaltsrecht und unsere Einwanderungsregeln zusätzlich. Es muss eine Aufgabe aller EU-Staaten sein, für Einwanderungsregeln zu sorgen, die weltweit nachvollzogen und respektiert werden. Unter dem Strich verfügt Deutschland bereits über ein sehr liberales Einwanderungsrecht. Mit der heutigen Umsetzung der drei Richtlinien zur Arbeitsmigration stellen wir das erneut unter Beweis. Dazu bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Nina Warken (CDU/CSU): Laut dem kürzlich veröffentlichten Migrationsbericht der Bundesregierung ist der deutsche Arbeitsmarkt so beliebt wie nie. Fast 1 Million Unionsbürger sind allein 2015 nach Deutschland gekommen, um bei uns zu arbeiten oder um ein Studium oder eine Ausbildung aufzunehmen. Auch die Zahlen der Hochqualifizierten aus Drittstaaten sind erneut gestiegen. 2015 kamen rund 29 000 Fachkräfte aus Drittstaaten, fast doppelt so viele wie noch vor sechs Jahren. Mit 7 Prozent Zuwachs wird Deutschland auch für Studierende und Wissenschaftler immer attraktiver. Nicht ohne Grund hat die OECD unser Zuwanderungsrecht für Fachkräfte als eines der liberalsten weltweit ausgezeichnet. Dennoch liegt Deutschland im internationalen Wettbewerb um hochqualifizierte Fachkräfte, die unsere Wirtschaft dringend braucht, noch nicht so weit vorne, wie es eigentlich sein könnte. Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der drei EU-Richtlinien zur Arbeitsmigration von Drittstaaten, den wir heute beschließen wollen, schafft hierbei Abhilfe: Erstens sorgen wir mit der Umsetzung der sogenannten REST-Richtlinie dafür, dass Wissenschaftler und Studenten aus Drittstaaten deutlich einfacher bei uns forschen und studieren können. Für sie reicht künftig ein gültiger Aufenthaltstitel in einem EU-Mitgliedsland aus, und es muss in Deutschland für einen vorübergehenden Aufenthalt nicht auch noch ein solcher beantragt werden. Wenn also zum Beispiel der argentinische Krebsforscher, der bereits ein Visum für Spanien hat, auch unkompliziert in Deutschland forschen kann oder der Informatikstudent aus Kamerun, der in Warschau studiert, für ein Semester auch zu uns kommen kann, sorgen wir nicht nur für mehr Mobilität und wissenschaftlichen Austausch, sondern wir stärken und fördern damit den Wirtschaftsstandort Deutschland. Zweitens wird es mit der Umsetzung der ICT-Richtlinie für Arbeitnehmer aus Drittstaaten deutlich einfacher, an mehreren Standorten ihres Unternehmens in Europa zu arbeiten. Führungskräfte, Spezialisten und Trainees, also genau die Arbeitnehmer, die wir hierzulande dringend brauchen, benötigen für Aufenthalte bis zu drei Monaten keinen zusätzlichen deutschen Aufenthaltstitel mehr. Auch für längere Entsendungen wurde das Verfahren deutlich vereinfacht, sodass die klügsten Köpfe leichter zu uns kommen können. Drittens wird mit dem Gesetzentwurf die Saisonarbeitnehmerrichtlinie umgesetzt und werden damit die Voraussetzungen festgelegt, unter denen Drittstaatsangehörige als Saisonarbeiter beschäftigt werden können. Ich möchte aufgrund der Kritik der Opposition nochmal ganz deutlich betonen, dass es sich hierbei um absolut faire und transparente Regeln handelt: Sowohl Kurzaufenthalte bis zu 90 Tagen als auch längere Aufenthalte bis zu sechs Monaten sind möglich. Dafür müssen ein gültiger Arbeitsvertrag und eine bezahlbare Unterkunft nachgewiesen werden. Gleichzeitig wurden die Rechte der Saisonarbeiter gestärkt, um eine Ausbeutung zu verhindern. Die Kritik der Opposition an diesen Regelungen für Saisonarbeiter verkennt völlig, dass die Mobilität, die dadurch entsteht, nicht nur unseren Unternehmen in der Landwirtschaft, der Gastronomie oder der Baubranche hilft. Sie ist auch im Sinne der Arbeitnehmer. Mobilität bedeutet, für kurze Zeit und auch in wiederkehrenden Abständen in verschiedenen Ländern arbeiten zu können, ohne dass man seinen dauerhaften Wohnsitz dorthin verlegen muss. Das gehört zu einer modernen Gesellschaft dazu, und glauben Sie mir – auch wenn sich das die Opposition vielleicht nur schwer vorstellen kann –, es gibt Menschen, die auch dann weiterhin in ihrem Heimatland leben wollen, wenn die wirtschaftliche Lage dort nicht so gut ist wie bei uns. Lassen wir uns nicht von haltloser Kritik in die Irre führen. Betrachten wir lieber die Fakten. Fakt ist: Mit diesem Gesetzentwurf wird nun ein EU-weit einheitlicher Rechtsrahmen im Bereich der Arbeitsmigration in Deutschland umgesetzt. Auch der Bundesrat begrüßt das ausdrücklich in seiner Stellungnahme und sieht so gut wie keinen Änderungsbedarf. Die wenigen Änderungswünsche wurden von der Bundesregierung sorgfältig geprüft, mit dem Ergebnis, dass diese bei genauerer Betrachtung entweder bereits in den Regelungen des Gesetzentwurfs enthalten sind oder aber nicht zielführend wären. So stellt die Bundesregierung beispielsweise völlig zu Recht klar, dass die Unterscheidung zwischen anerkannten Flüchtlingen und anderen Drittstaatsangehörigen bei der Umsetzung der REST-Richtlinie sehr wohl gerechtfertigt ist. Die Verantwortung des aufnehmenden Mitgliedslandes endet nicht mit dem Asylverfahren, sondern gilt auch im Hinblick auf die Integration. Diesen Grundsatz einer konsequenten Trennung zwischen Flucht und Migration müssen wir auch bei diesem Gesetzentwurf beibehalten, um keine falschen Anreize zu erzeugen. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt nicht nur europäisches in nationales Recht um, sondern er stärkt den Forschungs- und Wissensstandort Deutschland, er schafft neue und erleichterte Einsatzmöglichkeiten für hochqualifizierte Arbeitskräfte und sorgt für einen fairen Rechtsrahmen für Saisonarbeiter. All das ist sowohl im Interesse unseres Landes als auch im Interesse der Menschen, die bei uns leben und arbeiten wollen. Lassen Sie uns deshalb den Gesetzentwurf mit breiter Mehrheit beschließen. Sebastian Hartmann (SPD): Deutschland ist schon seit langem ein Einwanderungsland, und Migration ist gelebte deutsche Realität. Sowohl nach Deutschland als auch in umgekehrte Richtung migrieren pro Jahr Millionen von Menschen. Migration prägt also die deutsche Gesellschaft nachhaltig, auch wenn sich die Erkenntnis von Deutschland als Migrations- und Einwanderungsgesellschaft nur langsam durchgesetzt hat. Lassen Sie uns klarstellen: Während es beim vorliegenden Gesetzentwurf heute um eine Eins-zu-eins-Umsetzung einer europäischen Richtlinie in deutsches Recht geht, steht dahinter doch immer der nachhaltige Anspruch einer Steuerung und Regulierung der Einwanderung insgesamt, den die SPD-Bundestagsfraktion mit unserer Forderung nach einem Einwanderungsgesetz auch hier noch einmal bekräftigt. Deutschland verzeichnet dabei sowohl aus Mitgliedstaaten der EU als auch aus Drittstaaten seit Jahren einen steigenden Zuzug. Mit seiner starken Wirtschaft, einer guten Kinderbetreuung, einer exzellenten Gesundheitsversorgung und vor allem freien, individuellen Entfaltungsmöglichkeiten ist Deutschland ein attraktives Zielland für hochqualifizierte Einwanderer. Und auch Deutschland profitiert dabei in hohem Maße von der Zuwanderung. Schon heute kann der Bedarf an beruflich qualifizierten Fachkräften in bestimmten Wirtschaftszweigen ohne Zuwanderung aus Drittstaaten nicht mehr abgedeckt werden. Viele Stellen bleiben unbesetzt. Es fehlen gut 1 Million Pflegekräfte, Ärzte oder Ingenieure. Das behindert unternehmerisches Wachstum. Zudem bedroht der demografische Wandel unsere Sozialsicherungssysteme. In den nächsten zehn Jahren würde Deutschland ohne Migration über 6 Millionen Erwerbstätige verlieren. Diese enorme Zahl kann auch nicht alleine durch Zuwanderung aus der EU aufgefangen werden; denn andere EU-Länder stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Dabei wanderten in den letzten zehn Jahren bereits knapp 3,8 Millionen Menschen von außerhalb Europas nach Deutschland ein. Allerdings nehmen im Zuge der Globalisierung auch Emigrationsbewegungen aus Deutschland heraus zu; das positive Migrationssaldo ist also deutlich geringer und liegt bei etwa 200 000 Zuzügen jährlich. Um gegen die bestehenden und künftigen Arbeitskräfte- und Qualifikationsdefizite in der EU vorzugehen, müssen wir also weitere Anreize schaffen. Dazu trägt der vorliegende Gesetzentwurf bei. Er greift eine ganze Reihe von Maßnahmen auf, die bestehende Regeln vereinfachen und Bürokratie abbauen. Konkret werden die ICT-Richtlinie, die Saisonarbeitnehmerrichtlinie und die REST-Richtlinie im deutschen Aufenthaltsrecht umgesetzt. Damit stellen wir Regeln für ausländische Arbeitnehmer auf, die innerhalb ihres internationalen Unternehmens zeitweise in Deutschland arbeiten möchten. Zweitens regeln wir den Aufenthalt von Nicht-EU-Ausländern in Deutschland als Saisonarbeitnehmer, und drittens werden die Bedingungen für ausländische Studenten und Wissenschaftler, die in Deutschland forschen oder Studien absolvieren möchten, sowie für Praktikanten und Au-pair-Kräfte definiert. Durch diesen Gesetzentwurf wird der Zugang zum und die Bedingungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt und an deutschen Hochschulen transparent und fair gestaltet. Zudem schaffen wir unnötige bürokratische Hindernisse ab und entlasten damit die deutsche Verwaltung. So müssen Wissenschaftler aus Drittstaaten nicht mehr einen eigenen Aufenthaltstitel beantragen, wenn sie bereits an einer anderen europäischen Hochschule forschen und dort einen Aufenthaltstitel haben. Der wissenschaftliche Austausch über Länder- und Hochschulgrenzen hinweg ist wichtig für Innovation in der Forschung. Er wird in der Zukunft deutlich einfacher. Auch wird es nun möglich, vom Aufenthaltszweck des Studiums zu einer Ausbildung zu wechseln. Diese Flexibilität kann helfen, die unzähligen unbesetzten Ausbildungsplätze in Deutschland zu füllen, wenn ausländische Personen das deutsche Ausbildungssystem kennen- und schätzen gelernt haben. Die Migration aus EU-Staaten nach Deutschland ist nur schwer zu prognostizieren. Aber davon ist abhängig, wie hoch der Bedarf an Arbeitsmigration aus Drittstaaten ist. Um diese bedarfsorientiert und flexibel steuern zu können, setzt sich die SPD aus Überzeugung für ein Einwanderungsgesetz ein. Wir haben dazu einen Entwurf vorgelegt, der nach einem transparenten Punktesystem verständliche Regeln aufstellt und damit Einwanderung in geordnete Bahnen lenkt. Wir werden bei diesem Thema auch nicht locker lassen. Aber heute stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, der eins zu eins die EU-Richtlinien in deutsches Recht umsetzt. Ähnlich verhält es sich mit Saisonarbeitnehmern und ihren Rechten im deutschen Arbeits- und Sozialsystem. Sie werden künftig mit einer erhaltenen Arbeitserlaubnis kein zusätzliches Visum beantragen müssen. Auch hier entbürokratisieren wir die Abläufe. Das hat jedoch nichts mit dem von der Opposition erhobenen Vorwurf zu tun, dass die sozialen Rechte von Saisonarbeitnehmern in dem Gesetzentwurf fehlen. Um das an dieser Stelle klar zu sagen: Als SPD-Bundestagsfraktion achten wir natürlich besonders auf die sozialen Rechte von Saisonarbeitnehmern und stehen für diese ein. Dafür ist jedoch das Sozialgesetzbuch der richtige Regelungsort und nicht das Aufenthaltsrecht. Heute geht es darum, aufenthaltsrechtliche Vorgaben der EU in Bundesgesetzen umzusetzen. Gleiches gilt für die Absicherung sozialer Rechte auch auf europäischer Ebene. Abschließend sei noch einmal betont, dass Arbeitsmigration ein Gewinn für den deutschen Arbeitsmarkt ist; denn wir profitieren vom sozialen Kapital ebenso wie von Erfahrungen und Qualifikationen von Drittstaatsangehörigen. Darüber hinaus entstehen neue Ideen im Austausch mit Ausländern. Verschiedene kulturelle Hintergründe in Arbeitsteams, internationale Universitäten und heterogen besetzte Forschungseinrichtungen regen zur Zusammenarbeit und gemeinsamer Veränderung an. In einer zunehmend globalisierten Welt wird es immer Ein- und Auswanderung geben. Für uns in der Politik gibt es den Auftrag, diese zu gestalten. Eine Einwanderungsgesellschaft wandelt sich permanent. Das bedeutet, dass die Regelstrukturen für die Entwicklung dieser Gesellschaft auch entsprechend angepasst werden müssen. Die vorliegenden Regeln tragen zu einem solchen System mit klaren und einfacheren Einwanderungsregeln bei. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Umsetzung von aufenthaltsrechtlichen EU-Richtlinien im Zusammenhang mit Arbeitsmigration vor. Konkret geht es dabei um Saisonarbeiterinnen und -arbeiter, Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Forschende sowie unternehmensinterne Transfers sogenannter Drittstaatenangehöriger, also von Nicht-EU-Bürgern. Laut der EU-Richtlinie zur Saisonarbeit sollen Saisonarbeiter aus Drittstaaten anderen EU-Bürgern hinsichtlich Arbeitsschutz, Bezahlung, Arbeitszeiten und Arbeitsschutz gleichgestellt werden. Teil der Richtlinie ist allerdings ein aus unserer Sicht hochproblematisches Mitteilungsverfahren zur Kontrolle und Steuerung der Arbeitsmigration. Konkret bedeutet dieses Mitteilungsverfahren, dass die Mitgliedsländer der Bundesagentur für Arbeit und dem BAMF im Gesetzentwurf nicht weiter spezifizierte Daten des Drittstaatenangehörigen mitzuteilen und diese darauf zu prüfen haben, ob es Einwände gegen eine Einreise gibt. Begründet wird dieses Verfahren in zweierlei Weise. Zum einen wird behauptet, man benötige dieses Verfahren, um Arbeitnehmer aus Drittstaaten vor Ausbeutung, zum Beispiel in Hinblick auf das Arbeitsentgelt, schützen. Das klingt erst einmal schön. Doch in der Praxis bedeutet diese scheinbare Fürsorge, dass Arbeitnehmern die Einreise kurzerhand ganz verweigert werden kann, wenn die Befürchtung besteht, dass sie nicht den entsprechenden Lohn erhalten. „Schutz des Ausländers und Verhinderung von Ausbeutung“, wie es in der Richtlinie behauptet wird, sehe ich durch ein solches Verfahren kaum gegeben. Ganz im Gegenteil, es kann nicht angehen, dass sich diese Regelungen gegen die Arbeitnehmer richten. Stattdessen braucht es effektivere Kontrollen und Sanktionen für Unternehmer, sobald die Befürchtung besteht, dass Arbeiter ausgebeutet werden könnten. Hier müssen klare Regelungen erfolgen. Der zweite Aspekt, mit dem das Mitteilungsverfahren begründet wird, ist nicht weniger kritikwürdig. So sollen sicherheitsrelevante Mitteilungen an das BAMF erfolgen, um den potenziellen Arbeitnehmer durchleuchten zu lassen und etwa die Einreise verweigern zu können. Die Bundesregierung räumt ein, dass die Betroffenen zwar schon einen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedsland hätten, aber nur so könne man nachträgliche Veränderungen berücksichtigen. Wohlgemerkt, es geht nicht um Mitarbeiter in Atomkraftwerken oder anderen sicherheitsrelevanten Bereichen, sondern um Erntehelfer und ähnliche Berufsgruppen. Das ist reine Vorverurteilung, die übrigens auch zulasten einer ohnehin schon vollkommen überforderten Bundesbehörde, der BAMF, geht. Dem BAMF noch mehr Aufgaben aufzubürden, bedeutet, noch größere Einbußen bei Qualität und Dauer der Asylverfahren auf Kosten von Flüchtlingen hinzunehmen. Immer wieder redet die Bundesregierung von Integration und Qualifikation von Geflüchteten. Der Bundesrat hat zu Recht vorgeschlagen, dass auch Geflüchteten, die studieren und über einen internationalen Schutzstatus verfügen, die Möglichkeit von Studienaufenthalten in Deutschland gewährt werden muss. Dieser Vorschlag, der die vielen Beschwernisse, denen studierende Flüchtlinge ausgesetzt sind, wenigstens etwas erleichtern sollte, wurde von der Bundesregierung schlichtweg ignoriert. Auch das ist nichts anderes als Ungleichbehandlung und Diskriminierung. Ich fasse zusammen: Durch den Gesetzentwurf werden Arbeitsmigrantinnen und -migranten unter Generalverdacht gestellt; es findet kein Schutz vor Ausbeutung statt, und Geflüchtete werden diskriminiert. Insofern können wir diesen Antrag nur ablehnen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jede Rede zu fortgeschrittener nächtlicher Stunde weckt Erinnerungen an die Zeiten, in denen dieses Haus noch in meinem heiß geliebten Rheinland tagte. Hier in Berlin habe ich oft mit Sehnsucht und Verlangen an Vater Rhein gedacht. Doch genug des Schwelgens in Erinnerungen – es geht um ein wichtiges Thema. Ich kann nur wiederholen, was ich vor drei Wochen hier gesagt habe: Es wäre schön, wenn die Bundesregierung bei der Umsetzung der Aufnahmerichtlinie, der Qualifikationsrichtlinie und der Verfahrensrichtlinie ebenso emsig wäre wie bei der Umsetzung der Richtlinien zur Arbeitsmigration. Auf die Umsetzung des Beratungsanspruchs für Asylsuchende im Verfahren, auf die Einhaltung der Vorgaben zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten und auf so manch andere Verbesserung der Situation für Schutzsuchende in Deutschland warten wir jedoch seit geraumer Zeit vergebens. Dennoch begrüße ich nach wie vor, dass die Bundesregierung bemüht ist, im Bereich der Arbeitsmigration die Vorgaben des europäischen Rechts umzusetzen. Ich bedauere allerdings, dass die Gelegenheit nicht genutzt wurde, um das Recht der Arbeitsmigration endlich deutlich zu liberalisieren, zu systematisieren und zu entbürokratisieren. Das wäre angesichts des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels in vielen Sektoren und Regionen notwendig. Zugegeben: Die SPD hat das erkannt, zumindest ihr Fraktionsvorsitzender, der kürzlich ein Einwanderungsgesetz präsentiert hat, das er in Auftrag gegeben hatte. Ob dieser Vorschlag rechtssystematisch kohärent ist – damit würde ich mich gerne hier befassen. Liebe Genossen, wann bringt ihr diesen Entwurf denn endlich ein, damit wir ihn sinnvoll beraten können? Oder zieht ihr hier den Schwanz ein wie bei der Ehe für alle, die Sie immer wieder versprechen, aber es kommt nichts?! Und wo bleibt Ihr Vorschlag zur Umsetzung des Shanghaier Kugelfischabkommens, den wir schon seit Jahrzehnten sehnsuchtsvoll erwarten? Sie trauen sich wohl einfach nicht. Im Detail habe ich ja schon in meiner letzten Rede begrüßt, dass der Gesetzentwurf Verbesserungen beim Zugang zum Studium vorsieht und das Aufenthaltsrecht von Forscherinnen und Forschern neu regelt. Nach wie vor halte ich es aber – wie auch der Bundesrat – für bedauerlich, dass Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz genießen, von diesen Verbesserungen ausgeschlossen werden. Dafür gibt es einfach keinen nachvollziehbaren Grund. Integrations-, arbeitsmarkt- und forschungspolitisch ist das ein verheerendes Signal. Hier müssen wir mehr wagen. Erwägungsgrund 29 der sogenannten REST-Richtlinie sieht die Möglichkeit der Erteilung nationaler Aufenthaltstitel zu Studien- und Forschungszwecken ausdrücklich vor. Von dieser Möglichkeit macht der Gesetzentwurf nur unzureichend Gebrauch. Dem Bundesrat ist insofern zuzustimmen: Es ist einfach nicht nachvollziehbar, warum Studieninteressierte oder Forschende, die gerade erst internationalen Schutz erhalten haben, gegenüber Menschen derselben Staatsangehörigkeit, die sich noch im Herkunftsstaat befinden, schlechter gestellt werden sollen. Angesichts der hohen Anforderungen an die Titelerteilung – Sicherung des Lebensunterhalts bei Studierenden, Kostenübernahme der Forschungseinrichtung bis zu sechs Monaten nach der Aufnahmevereinbarung bei Forschenden – ist Missbrauch nicht zu befürchten. Zudem war die Koalition offenbar taub für die Forderung der Arbeitsgeber, bei der Richtlinienumsetzung für mehr Praxistauglichkeit und weniger Bürokratie zu sorgen. Die Gestaltungsspielräume der ICT-Richtlinie hätten etwa weitaus großzügiger genutzt werden können. Auf das Mitteilungsverfahren bei innereuropäischer Mobilität hätte man beispielsweise auch verzichten können. Wir brauchen endlich – ich wiederhole es – den Mut zu einem Einwanderungsgesetz, das die Regelungen der Arbeitsmigration liberalisiert, systematisiert, entbürokratisiert und durch die Möglichkeit der angebotsorientierten, also vom Nachweis eines Arbeitsangebots unabhängigen Einwanderung ergänzt. Nur so können wir den Herausforderungen des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels und der zunehmenden internationalen Mobilität von Fachkräften, Studierenden, Forscherinnen und Forschern und ihren Familienangehörigen gerecht werden. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen (Tagespunkt 33) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Bei der Bekämpfung legaler Steuervermeidung gehen wir heute einen weiteren – grundlegenden – Schritt voran. Mit der sogenannten Lizenzschranke wollen wir künftig verhindern, dass internationale Konzerne konzerninterne Lizenzeinnahmen für Forschungsleistungen bzw. Patente in Niedrigsteuerländer verschieben, ohne dass dort tatsächlich Forschungsleistungen erbracht werden. Einem der bekanntesten legalen Steuertricks wollen wir damit einen Riegel vorschieben. Viele internationale Konzerne nutzen solche Steuergestaltungen. Von den Filialen, in denen sie ihre Produkte verkaufen, nehmen sie hohe Patent- bzw. Lizenzgebühren. Damit schrumpft zum Beispiel der zu versteuernde Gewinn in Deutschland. Die Einnahmen fließen in ein Land, wo sie unter einem Deckmantel der „steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung“ gar nicht oder nur gering besteuert werden. Tatsächlich findet in diesem Staat aber keine Forschungs- oder Entwicklungstätigkeit statt. Einige unserer europäischen Nachbarn helfen bei diesen Gewinnverschiebungen leider mit und besteuern Lizenzeinkünfte nur marginal. Steuervermeidung ist ein großes Problem. Der Verlust an Steuersubstrat wird immer größer, weil gerade die internationalen Unternehmen schnell wachsen. Gleichzeitig – und das ist gravierend – werden unsere deutschen Unternehmen im Wettbewerb benachteiligt. Denn unser Steuerrecht funktioniert. Die deutschen Unternehmen zahlen hier ihre Steuern. Die Steuerquoten liegen zwischen 20 und über 30 Prozent. Bei Google oder Apple aber fällt auf, dass die Konzernsteuerquoten zwar bei 20 bzw. 24 Prozent liegen, die Gewinne in Europa aber nur mit 3 bzw. 1 Prozent belastet sind. Das heißt, diese Unternehmen zahlen hier bei uns – obwohl sie hier vielfältig Geschäfte abwickeln – kaum Steuern. Staaten, die derartig unfairen Steuerwettbewerb fördern, können nicht erwarten, dass wir dieser für uns schädlichen Praxis weiter zusehen. Rabatte auf Lizenzeinkünfte, Lizenzboxen, dürfen von Staaten daher zukünftig nur noch gewährt werden, wenn das Unternehmen dort auch wirklich forscht und entwickelt, also Wertschöpfung betreibt. Erfüllt ein Staat diese Anforderung für Zwecke des schädlichen Steuerwettbewerbs nicht, greifen die Regelungen des Gesetzentwurfs: Das Unternehmen darf sich die Lizenzaufwendungen nicht vom zu versteuernden Gewinn abziehen, wenn damit im Empfängerland Lizenzeinnahmen entstehen, die aufgrund eines als schädlich eingestuften Präferenzregimes nicht oder nur niedrig besteuert werden. Diese nationale Regelung kann allerdings das Problem leider nicht an der Wurzel packen. Denn schädlicher Steuerwettbewerb ist ein internationales Problem. Daher ergänzt die Regelung das internationale Programm gegen „die Aushöhlung von Steuerbemessungsgrundlagen und Gewinnverlagerung“ – Base Erosion and Profit Shifting, kurz BEPS –, das Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bereits im Jahr 2012 auf Ebene der G 20 und der OECD mitinitiiert hat. Nach Aktionspunkt 5 des BEPS-Projekts darf ein Staat Unternehmen nur dann eine spezielle Lizenzboxregelung gewähren, wenn das Unternehmen in dem Staat Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten durchgeführt und dafür effektiv Ausgaben getätigt hat, sogenannter Nexus-Ansatz. Bereits im Jahr 2016 bestehende Lizenzboxen, die diesem Nexus-Ansatz nicht entsprechen, müssen spätestens bis zum 30. Juni 2021 abgeschafft werden. Diesen Programmpunkt müssen wir nicht umsetzen, da wir keine Lizenzbox in Deutschland anbieten. Allerdings schützen wir uns mit dem vorliegenden Gesetz schon vor dem Jahr 2021 vor Verlust von Steuersubstrat durch ausländische, nicht dem Nexus-Ansatz entsprechende Lizenzboxen. Auch wenn die Lizenzbox in den Staaten der OECD und G 20 ein Auslaufmodell sein sollte, bleibt die Lizenzschranke auch nach 2021 von Bedeutung. Denn Staaten, die sich dem BEPS-Projekt nicht angeschlossen haben, könnten das Steuermodell auch nach 2021 noch anbieten. Umso wichtiger ist es, dass wir uns international abstimmen und das Steuerrecht weiter harmonisieren. Wir wollen den internationalen Steuerwettbewerb dabei nicht abschaffen, sondern fairer gestalten. Gewinne sollen dort besteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden. Alles andere führt zu Wettbewerbsverzerrungen, die vor allem unseren Mittelstand treffen, der hier in Deutschland fair seine Steuern zahlt. Deutsches Steuersubstrat darf außerdem nicht geschmälert werden. Die Umsetzung des BEPS-Projekts darf aber auch nicht zu Wettbewerbsnachteilen für unsere Exportindustrie führen. Vor allem Doppelbesteuerung, hier und zugleich am Exportstandort, muss vermieden werden. Das werden wir auch im kommenden Gesetzgebungsverfahren wieder berücksichtigen. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Die Beobachtungen der letzten Jahre haben gezeigt, wie multinationale Unternehmen die unzureichende Abstimmung der nationalen Steuersysteme und den schädlichen Steuerwettbewerb zwischen den Staaten in ihrem Sinne nutzen und so ihre Steuerlast auf ein Minimum senken können. Üblicherweise setzt hier das bekannte Unternehmensbashing ein, die Beschimpfung der Unternehmen wegen ihrer Steuerhinterziehung. Aber jeder der sich in die Rolle des Finanzvorstandes versetzt, würde ähnlich handeln – dorthin gehen, wo die Steuern unanständig niedrig sind, wenn die anderen Verhältnisse in diesem Niedrigsteuerstaat, etwa gut ausgebildete Arbeitnehmer, innere Sicherheit, kulturelles Angebot, Gesundheitsvorsorge etc., vergleichbar sind. Wir sprechen also heute davon, wie sich Staaten durch Steuerkonkurrenz gegenseitig das Leben schwer machen, um Unternehmen anzulocken. Ich bin froh, dass wir uns an diesem ruinösen Wettbewerb nicht beteiligen, indem wir das Gleiche tun wie eine ganze Reihe ansonsten seriöser Staaten. Vor einiger Zeit wäre unser Finanzminister ja auch dieser Versuchung unterlegen – er hatte öffentlich eine Patentbox für Deutschland überlegt. Dieser Gedanke ist glücklicherweise mit dem heutigen Gesetzentwurf überwunden. „Steuerlast auf ein Minimum zu senken“, funktioniert über folgenden Mechanismus: Gewinne verschieben und damit die Bemessungsgrundlage kleinrechnen, wir sagen auch: erodieren. Die Bemessungsgrundlage ist ja das, wonach sich die Steuer bemisst, also Steuersatz, Tarif, mal Bemessungsgrundlage. Insofern versuchen die Unternehmen, im eigenen Land einerseits die Bemessungsgrundlage zu verkürzen – ist sie null, ist der Steuersatz gleichgültig. Klar: 30 Prozent auf nix ist ziemlich wenig. Andererseits wird versucht, den Gewinn in Länder zu verschieben, in denen der Steuersatz niedrig ist. Auch klar: Ist der Steuersatz niedrig oder null, ist die Bemessungsgrundlage gleichgültig. Null mal Egal-wie-viel ist auch ziemlich wenig Der im Auftrag der G-20-Staaten entwickelte Anti-BEPS-Aktionsplan der OECD zeigt verschiedene fiskalische Maßnahmen dagegen auf. Sie verfolgen das Ziel, die Transparenz und den Informationsaustausch unter den Staaten zu verbessern, die Steuersysteme aufeinander abzustimmen und gegen schädlichen Steuerwettbewerb vorzugehen. Im Dezember haben wir Teile davon auf Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie umgesetzt. Den automatischen Informationsaustausch zwischen den Staaten zu verbessern, war ein überaus wichtiger erster Schritt. Damit sorgen wir für mehr Transparenz bei der Verrechnungspreisdokumentation und einen automatischen Austausch von Tax-Rulings und länderbezogenen Berichten, Country-by-Country Reporting. Was gefehlt hat, waren Maßnahmen gegen schädlichen Steuerwettbewerb. Es liegt im Wesen eines ersten Schrittes, dass weitere folgen sollen. Der Bundesrat hat unter Führung der SPD-regierten Länder zur Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie durch einen Entschließungsantrag deutlich gemacht, dass auch Handlungsbedarf gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Lizenz- und Patentboxen besteht. Mit Lizenz- und Patentboxen, also zum Beispiel Tochterunternehmen, in denen die eigenen Patente liegen und die extrem niedrig besteuert werden, bieten sich Staaten als Präferenzregime an. Damit treten Staaten dann untereinander in Steuerwettbewerb. Auf der Grundlage dieses Entschließungsantrages gehen wir nun mit einem passenden Gesetzentwurf dagegen vor und unternehmen einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Umsetzung des Anti-BEPS-Aktionsplanes – am Beispiel der Gewinnverlagerung durch Lizenzzahlungen an eine ausländische Patentbox. Als Beispiel für „musterhaftes BEPS-Verhalten“ wird häufig die Steuergestaltungsstrategie von Google genannt: Das Mutterunternehmen in den USA überträgt Lizenzen für die Nutzung der Suchmaschine an eine eigene Tochtergesellschaft auf den Bermudas. Für den europäischen Markt werden die Lizenzen an eine weitere Tochter in den Niederlanden weitergegeben und von der irischen Tochter gegen Gebühr genutzt. In den Niederlanden erfahren Einnahmen für Lizenznutzung eine steuerliche Begünstigung. Man spricht hier von einer sogenannten Lizenzbox, also etwa eine GmbH bzw. Limited, die das Patent hält. Die Lizenzzahlungen mindern in den Quellenstaaten den steuerpflichtigen Gewinn und werden im Empfängerstaat im Rahmen der Lizenzbox nicht oder nur niedrig besteuert. Die Besteuerung erfolgt im Ergebnis nicht in dem Staat, in dem die wirtschaftliche Aktivität stattfand, sondern in dem Staat, der den höchsten Steuerrabatt gewährt. Dies ist ein Paradebeispiel für schädlichen Steuerwettbewerb, den sich die Staatengemeinschaft nicht mehr bieten lassen darf, weil am Ende alle Staaten arm und einige Konzerne reich sind. Wir nennen das „Race to the Bottom“. Unter anderem mit dieser Vorgehensweise befasst sich der fünfte Punkt des Anti-BEPS-Aktionsplans. Die teilnehmenden Staaten haben sich darauf geeinigt, dass solche Präferenzregime schädlich sind, und sich gegen sie ausgesprochen, es sei denn, die Präferenzregime folgen dem sogenannten Nexus-Ansatz. Nexus bedeutet Zusammenknüpfen, abgeleitet von nectere oder binden, verknüpfen. Dieser Ansatz knüpft die steuerliche Begünstigung an eine eigene aktive Forschungstätigkeit im jeweiligen Staat. Es ist aber nicht sicher, dass auch alle Staaten ihre Lizenz- oder Patentboxen auf den Nexus-Ansatz eingrenzen, und Staaten außerhalb der OECD haben sich erst gar nicht dazu bekannt. Es besteht auch deshalb weiterhin Steuerwettbewerb. In vielen Doppelbesteuerungsabkommen ist ein Nullsteuersatz auf Lizenzzahlungen zwischen Deutschland und dem jeweils anderen Staat vereinbart. Auf diese Weise könnten Unternehmen auch weiterhin durch Gewinnverlagerung Steuervermeidung betreiben. Deshalb hat der vorliegende Gesetzentwurf das Ziel, im Falle eines schädlichen Steuerwettbewerbs die steuerliche Abzugsfähigkeit für Lizenzzahlungen einzuschränken. Es wird eine sogenannte Lizenzschranke heruntergefahren. Die Voraussetzung dafür ist, dass die entsprechenden Einnahmen beim Empfänger aufgrund eines als schädlich eingestuften Präferenzregimes, zum Beispiel einer Lizenzbox, nicht oder nur niedrig besteuert werden. Wie gehen wir dabei vor? Wir schaffen eine Grenze für schädliche Niedrigbesteuerung. Diese liegt bei 25 Prozent Ertragssteuerbelastung. Das Abzugsverbot ist dann abhängig von der Differenz zwischen der tatsächlichen Besteuerung und der Sollbesteuerung von 25 Prozent. Das Ergebnis setzen wir dann wiederum ins Verhältnis zur Sollbesteuerung. Wer im anderen Staat zum Beispiel nur mit 5 Prozent Ertragsteuern belastet wird, erhält ein Abzugsverbot für 80 Prozent seiner Aufwendungen. Wir rechnen: 25 Prozent Sollbesteuerung minus 5 Prozent tatsächliche Steuer ergibt eine Differenz von 20 Prozent. Diese 20 Prozent setzen wir ins Verhältnis zu 25 Prozent Sollbesteuerung. Wir dividieren also 20 Prozent durch 25 Prozent. 25 Prozent sind ein Viertel, und die Division durch ein Viertel entspricht einer Multiplikation mit vier, dem Kehrwert. 20 Prozent mal vier ergibt 80 Prozent. Wer den Zusammenhang lieber in einer Formel nachvollziehen möchte: Abzugsverbot der Aufwendungen=(25 Prozent – tatsächliche Ertragsteuer Prozent)/(25 Prozent). Der Anwendungsbereich des Gesetzes erstreckt sich auf Tochterunternehmen und auf Betriebsstätten des jeweiligen Unternehmens. Erfasst werden also nur konzerninterne Lizenzzahlungen. Dabei achten wir ferner darauf, dass sich ein Unternehmen nicht mithilfe von zwischengeschalteten Gläubigern – gemeint sind konzernfremde Unternehmen, quasi Strohmänner – dem Abzugsverbot entziehen kann. All dies wird in einem neuen § 4j im EStG geregelt. Um Doppelbesteuerung zu vermeiden, wird dieser Paragraf in den Ausnahmenkatalog für die Hinzurechnungsbesteuerung des AStG aufgenommen. Wir sind dafür, dass Präferenzregime, die eine Vorzugsbesteuerung erlauben, auf internationaler Ebene abgeschafft werden. Dabei sollten keine Ausnahmen gemacht werden. Die am Anti-BEPS-Projekt der OECD beteiligten Staaten haben sich aber leider auf eine solche Ausnahme verständigt. Eine steuerliche Begünstigung bei eigener Forschungstätigkeit im betreffenden Staat ist möglich. Dabei ist eine Niedrigbesteuerung von Lizenzeinnahmen ungeeignet, um Forschung und Entwicklung zu fördern. Die Begünstigung kommt viel zu spät – ex post –, und sie wirkt sich nur im Erfolgsfall aus. Eine direkte Forschungsförderung wäre viel effektiver. Diese Einigung bildet nun aber die Grundlage für die im Gesetzentwurf enthaltene Rückausnahme von der Abzugsbeschränkung, wenn die Patentbox dem sogenannten Nexus-Ansatz – im Englischen Nexus Approach – entspricht, das heißt, wenn die Niedrigbesteuerung vom Umfang der eigenen Forschung und Entwicklung im Empfängerland abhängig gemacht wird. Die beschlossene Ausnahme für den Nexus-Ansatz sollte hier nur eine Übergangslösung auf dem Weg zu einer konsequenten Abschaffung von Präferenzregimen sein. In den anstehenden Gesetzesberatungen werden wir außerdem die Begrenzung der Abzugsbeschränkung auf konzerninterne Lizenzzahlungen hinterfragen, denn eine schädliche Niedrigbesteuerung kann auch bei Lizenzzahlungen an Dritte vorliegen. Dieser Gesetzentwurf ist ein Instrument, mit dessen Hilfe wir gegen eine Form des schädlichen Steuerwettbewerbs vorgehen können. Wir prüfen nun Möglichkeiten, wie dieses Instrument noch weitreichender und schärfer wirken kann. Immer wenn ein Steuerbürger zu wenig Steuern zahlt, bedeutet das: Andere Steuerbürger müssen zu viel bezahlen. Denn die öffentliche Infrastruktur wollen alle benutzen. Ich bin gespannt, wer in diesem Hase-Igel-Spiel den nächsten Zug macht. Richard Pitterle (DIE LINKE): Nehmen wir einmal an, es gäbe ein Möbelunternehmen mit schickem blau-gelben Logo und der tollen Idee, riesige Möbelhäuser an die Autobahnen in den Vorstädten zu bauen. Das Geschäft brummt, und das Unternehmen macht satte Gewinne. Darauf fallen hierzulande natürlich Steuern an. Und obwohl das Unternehmen von der gegebenen Infrastruktur hierzulande, der Autobahn etc. mächtig profitiert, will es diese Steuern nicht zahlen, sondern den Gewinn am liebsten komplett für sich behalten. Um das zu erreichen, wird folgende Konstruktion gebastelt, die auch Lizenz- oder Patentbox genannt wird: Das Unternehmen gründet ein Tochterunternehmen in einer europäischen Steueroase wie Irland, Luxemburg oder den Niederlanden, wo auf den Gewinn, den wiederum das Tochterunternehmen macht, nur minimal Steuern anfallen. Dann überträgt das große Möbelunternehmen die Rechte an seiner Möbelmarke auf das Tochterunternehmen, und damit es die Marke weiter nutzen darf, werden Lizenzgebühren an das Tochterunternehmen gezahlt. Diese vom Möbelunternehmen zu zahlenden Lizenzgebühren werden mit dem hierzulande erwirtschafteten Gewinn verrechnet, und siehe da: Das arme Möbelunternehmen macht kaum noch Plus und muss in Deutschland dementsprechend bedeutend weniger Steuern zahlen, während das Tochterunternehmen ordentlich Kasse zu Ministeuersätzen in der Steueroase macht. Diese dreiste Trickserei ist leider völlig normal bei international tätigen Unternehmen. IKEA, Google oder Amazon machen von diesen Lizenzboxen seit Jahren Gebrauch und heizen den schädlichen internationalen Wettbewerb um die niedrigsten Steuersätze somit kräftig an. Jetzt endlich legt die Bundesregierung ein Gesetz vor, das diese Machenschaften bekämpfen soll. Wir von der Linken haben das schon lange gefordert und freuen uns, dass die Bundesregierung hier zumindest mal einen Schritt in die richtige Richtung zustande bringt. Kern des Gesetzes ist grob gesagt, dass die oben beschriebenen Lizenzaufwendungen hierzulande nicht mehr vollständig von der Steuer abgesetzt werden können, wenn der Empfänger sie mit weniger als 25 Prozent versteuern kann und wie im obigen Beispiel ein entsprechendes Näheverhältnis zum zahlenden Unternehmen besteht. Inwiefern das Gesetz im Detail noch nachgebessert werden muss, wird sich in den kommenden Beratungen im Finanzausschuss zeigen. Eines ist jedoch jetzt schon klar: Die große Koalition hat ihrem Ruf als Koalition des Stillstands im Kampf gegen Steuerumgehung wieder alle Ehre gemacht. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD großspurig angekündigt, man wolle „sicherstellen, dass der steuerliche Abzug von Lizenzaufwendungen mit einer angemessenen Besteuerung der Lizenzerträge im Empfängerland korrespondiert.“ Das war Ende 2013. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, was haben Sie in den letzten drei Jahren eigentlich gemacht? Jedes Jahr muss die Gemeinschaft der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auf Milliarden verzichten, weil Sie es nicht schaffen, entschlossen und zügig zu handeln. Und bevor Sie nun wieder mit der Ausrede kommen, dass Sie auf die Mitwirkung auf europäischer und internationaler Ebene angewiesen wären, werfen wir noch einmal einen kurzen Blick in Ihren Koalitionsvertrag. Da steht im selben Absatz, dass Sie „in Deutschland erforderlichenfalls gesetzgeberisch voranschreiten“ würden. Vom Voranschreiten kann keine Rede mehr sein, im Gegenteil, Sie schleichen hinterher. Auf internationaler Ebene wurde inzwischen vereinbart, schädliche Lizenzboxregelungen bis Mitte 2021 abzuschaffen, danach ist das vorliegende Gesetz aller Voraussicht nach nahezu wirkungslos. Böse Zungen könnten also behaupten, die große Koalition hätte den Kampf gegen Lizenzboxen so lang wie möglich hinausgezögert, um die Megakonzerne so wenig wie möglich mit lästigen Steuerforderungen zu behelligen. Für die Linke ist dieses Schneckentempo bei der Bekämpfung solcher Gewinnverlagerungskonstruktionen zur Steuerumgehung jedenfalls nicht hinnehmbar. Steuern müssen grundsätzlich da gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfindet, und das muss auch gegen mächtige internationale Konzerne konsequent durchgesetzt werden. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung bringt heute einen Gesetzentwurf mit dem Kurztitel „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken“ ein. Ich begrüße diese Initiative der Bundesregierung sehr. Denn Maßnahmen gegen „schädliche Steuerpraktiken“ – und das ist eine vornehme Beschreibung der Tatsache, dass sich viele international tätige Unternehmen einer fairen Besteuerung entziehen – sind überfällig. Es ist im Übrigen erschütternd, dass die Bundesregierung und die Koalition dieses wichtige Thema an den äußersten Rand im Plenum schieben. Nachts um 3 Uhr 20 eine solche Debatte anzusetzen, zeigt sehr deutlich, dass die Bundesregierung offensichtlich verhindern will, dass dieses wichtige Thema in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Vielleicht auch deshalb, weil dieser Gesetzentwurf viel zu spät kommt und man die Kritik scheut. Denn die richtige Wirkung hätte dieses Gesetz vor zwei Jahren erzielt – um nämlich mehr Druck auszuüben zur Schaffung einer internationalen Vereinbarung gegen schädliche Steuerpraktiken. Schon vor zwei Jahren hatte England die sogenannte Lizenzbox eingeführt und war damit dem Beispiel von Luxemburg oder auch den Niederlanden gefolgt. Mit mehr Druck vonseiten Deutschlands hätte im Rahmen der OECD eine Regelung gefunden werden können, die zeitnah und wirksam die Steuerschlupflöcher auf der Basis von Lizenzzahlungen schließt. Und wir wissen doch seit mehreren Jahren, dass vor allem US-amerikanische IT-Konzerne mit diesem Werkzeug sich einer angemessenen Steuerzahlung in vielen europäischen Ländern entziehen. Lassen Sie mich das Thema etwas näher beleuchten. Es ist bekannt, dass der Steuerwettbewerb in den vergangenen Jahren eher zu- als abgenommen hat. Dieser „Wettbewerb“ wird nicht nur über Steuersätze ausgetragen, sondern auch über die Frage, welche Einkünfte in welcher Höher in die Steuerbemessungsgrundlage einfließen. In Europa sind unter dem Deckmantel der Forschungsförderung in vielen Staaten sogenannte Lizenzboxen eingeführt worden. In einer Lizenzbox werden Einkünfte aus immateriellen Vermögensgegenständen, wie zum Beispiel Patenten, besonders niedrig besteuert. Mit Lizenzzahlungen in ein solches Sondersteuerregime können internationale Konzerne ihre Gewinne gezielt dort anfallen lassen, wo die Staaten Steuervergünstigungen anbieten, und so ihre Gesamtsteuerbelastung minimieren. Wenn also die Firma Fiat ihren Hauptsitz in die Niederlande und den Steuersitz nach England verlegt, dann sicher nicht deshalb, weil in den Niederlanden so perfekt italienisch gesprochen wird oder in England viele italienische Designer arbeiten. Oder Starbucks, das ein Tochterunternehmen in den Niederlanden gründet – aber nicht, um Kaffee auszuschenken, sondern um als Auffangbecken für Lizenzzahlungen zu dienen. Dies geht nicht nur zulasten des deutschen bzw. nationalen Steueraufkommens, sondern schadet auch dem Wettbewerb, weil Konzerne sich damit gegenüber nationalen Konkurrenten einen Kostenvorteil erschleichen. Es sollte doch selbstverständlich sein, dass dem Staat, in dem die Wertschöpfung stattfindet, auch ein fairer Anteil des Steuersubstrats zusteht. Aus diesem Steueraufkommen finanziert der Staat schließlich nicht nur Infrastruktur und Bildung, sondern garantiert auch Rechtssicherheit. Allesamt wichtige Grundvoraussetzungen für erfolgreiche Unternehmen. Staaten, die mit dem höchsten Steuerrabatt ausländische Unternehmen anlocken wollen, handeln unsolidarisch und untergraben sich gegenseitig die Finanzierungsbasis ihrer Gemeinwesen. Leider gibt es diesen schädlichen Steuerwettbewerb auch in Europa. Die internationalen Bemühungen im Rahmen des BEPS-Projektes haben nicht zu einer ausreichenden Eindämmung des Problems der Gewinnverschiebung geführt. Zwar hat man sich bei der OECD und in der G 20 darauf geeinigt, dass zukünftig nur noch Lizenzzahlungen zu begünstigen sind, die dem sogenannten modifizierten Nexus-Ansatz entsprechen. So soll eine begünstigte Besteuerung nur noch dann gewährt werden, wenn die zugrunde liegende Forschungs- und Entwicklungstätigkeit vom steuerpflichtigen Tochterunternehmen selbst ausgeführt wird. Allerdings gestatten die vereinbarten Übergangsfristen eine Beibehaltung der bisherigen Systeme bis zum Juni 2021. Da die Lizenzzahlungen in Ländern der Europäischen Union und des EWR nicht mit einer Quellensteuer belegt werden können, weil die Zins- und Lizenzrichtlinie dies verbietet, ist es notwendig, dass Deutschland zeitnah und konsequent nationale Abwehrmaßnahmen gegen die Gewinnverlagerung ergreift, um den Anreizsystemen anderer Staaten zu begegnen und kurzfristig das inländische Besteuerungssubstrat zu sichern sowie langfristig jenen Staaten entgegenzuwirken, welche die Beschränkung auf den Nexus-Ansatz nicht einhalten. Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene erstmalige Anwendung der Lizenzschranke ab dem Jahr 2018 kommt nach meiner Bewertung deutlich zu spät. Wir werden im weiteren parlamentarischen Verfahren die Möglichkeit einer rückwirkenden Anwendung ab dem 1. Januar 2017 prüfen. Wir müssen in Europa stärkeren Druck ausüben und uns intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie das Steuerdumping schnell und effektiv beendet werden kann. Ich möchte zum Schluss betonen, dass Lizenzzahlungen an fremde Dritte auch zukünftig weiter uneingeschränkt abzugsfähig gestellt werden sollen, um wirtschaftlich notwendige Geschäftsabläufe nicht zu behindern. Dies ist wichtig zu erwähnen, weil in der Öffentlichkeit fälschlicherweise der jetzt vorliegende Gesetzentwurf mit Blick auf die nicht unerheblichen, aber gerechtfertigten und vom Gesetz gar nicht betroffenen Lizenzzahlungen zwischen unabhängigen Unternehmen diskreditiert wird. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Vor gut einem halben Jahr habe ich Ihnen an dieser Stelle den Entwurf des Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetzes vorgestellt. Mit jenem Gesetz, das zwischenzeitlich im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist, haben wir einen ersten großen Schritt zur Umsetzung der Maßnahmen aus dem BEPS-Projekt von OECD und G 20 gegen steuerlich motivierte Gewinnverlagerungen getan. Schon damals hatte ich angekündigt, dass wir im Kontext des BEPS-Projekts klug analysieren müssen, wo noch konkreter Handlungsbedarf besteht. Und ich habe auch gesagt, dass wir, wenn wir einen solchen Handlungsbedarf festgestellt haben, dazu auch gesetzgeberische Vorschläge machen werden. Einen weiteren Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit haben wir dann jüngst mit dem Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz getan. Nach Bekanntwerden der sogenannten Panama-Papers haben wir kurzfristig einen Gesetzentwurf erarbeitet, der im Februar hier in der ersten Lesung war. Mit dem Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz wollen wir die Grundlage dafür schaffen, dass Steuerpflichtige künftig nicht mehr mithilfe sogenannter Briefkastenfirmen steuerliche Tatbestände verheimlichen können. Diesen eingeschlagenen Weg zu mehr Steuergerechtigkeit setzen wir mit dem jetzt vorliegenden Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen konsequent fort. Anlass für das Gesetz ist, dass in der jüngeren Vergangenheit immer mehr Staaten sogenannte Patent- oder Lizenzboxregime eingeführt haben. Diese werden von multinationalen Unternehmen in hohem Maße genutzt, um Gewinne in solche Staaten zu verlagern und dadurch Steuern zu vermeiden. Die Patent- oder Lizenzboxen mögen sich im Detail von Staat zu Staat unterscheiden. Eines haben diese Boxen jedoch stets gemeinsam: Einnahmen aus der Überlassung von Lizenzen, Patenten, Marken oder anderen Rechten werden entweder gar nicht oder sehr niedrig besteuert. OECD und G 20 haben im Rahmen des BEPS-Projekts die bestehenden Lizenzboxen analysiert. Dabei wurde festgestellt, dass keine einzige dieser Boxen den Kriterien des sogenannten Nexus-Ansatzes entspricht, der als Maßstab für eine zulässige Maßnahme im internationalen Steuerwettbewerb angesehen wird. Die steuerliche Folge der Nutzung einer Lizenzbox ist: Die Lizenzaufwendungen, die der Schuldner für die Nutzung des Rechts hat, können von diesem im einen Staat, zum Beispiel in Deutschland, als Betriebsausgaben abgezogen werden. Die korrespondierenden Einnahmen werden aber im anderen Staat – dem Lizenzboxstaat – entweder gar nicht oder nur niedrig besteuert. Konzerne, die schädliche Lizenzboxen nutzen, erzielen dadurch einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Unternehmen, die solche Boxen nicht nutzen. Diesen Zustand wollen wir nicht länger hinnehmen. Künftig sollen daher Zahlungen, die ein Unternehmen in ein schädliches – weil nicht dem Nexus-Ansatz entsprechendes – Lizenzboxregime leistet, nur noch beschränkt als Betriebsausgaben abgezogen werden können. Der Nexus-Ansatz besagt vereinfacht, dass die Staaten Steuervergünstigungen durch Lizenzboxen nur dann gewähren dürfen, wenn das zugrunde liegende Recht der Lizenzaufwendungen auch in diesem Staat geschaffen wurde. Ist dies der Fall, wird die Lizenzbox nach internationalem Verständnis nicht als schädlich eingestuft. Solche Lizenzboxen haben wir daher bewusst von unserer Regelung ausgeklammert. Unsere Regelung ergänzt und flankiert somit die internationalen Vereinbarungen, die wir im BEPS-Projekt getroffen haben. Uns war wichtig, eine ausgewogene Regelung zu schaffen, die einerseits geeignet ist, als schädlich einzustufende Gestaltungen effektiv zu verhindern, andererseits aber möglichst zielgenau wirkt und keine unnötigen Belastungen für die ganz große Mehrheit der Steuerpflichtigen mit sich bringt, die solche Gestaltungen nicht nutzen. Von der Beschränkung der Abzugsfähigkeit werden daher ausschließlich Zahlungen für Rechteüberlassungen erfasst, die in ein Lizenzboxregime fließen, das die folgenden drei Kriterien kumulativ erfüllt: Erstens. Die Zahlung wird beim Empfänger abweichend von der Regelbesteuerung besteuert. Zweitens. Die Zahlung wird beim Empfänger niedrig besteuert, das heißt unter 25 Prozent. Drittens. Das Lizenzboxregime ist als schädlich einzustufen, weil es nicht dem auf OECD-Ebene vereinbarten Nexus-Ansatz entspricht. Sind alle diese Voraussetzungen sowie die weiteren Tatbestandsmerkmale erfüllt, gilt Folgendes: Je niedriger die Belastung beim Gläubiger ist, desto niedriger soll künftig auch die steuerliche Abziehbarkeit der Aufwendungen beim Schuldner sein. Dagegen bleiben Aufwendungen für Rechteüberlassungen vollumfänglich abzugsfähig, wenn die ausländische Präferenzregelung dem Nexus-Ansatz entspricht. Das heißt auch: Unternehmen, die keine Gestaltungen mit schädlichen Lizenzboxen durchführen, werden durch die Regelung keinerlei Mehrbelastung erfahren. Wir haben damit eine möglichst zielgenaue, ausgewogene und verhältnismäßige Regelung vorgelegt, die einer ungerechtfertigten Verlagerung von Besteuerungssubstrat ins Ausland entgegenwirkt und eine faire Besteuerung sicherstellt. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch diesen Gesetzentwurf mit Wohlwollen beraten. Wir sind davon überzeugt, dass er ein guter Beitrag dazu ist, die Steuergerechtigkeit und damit auch die Akzeptanz von Steuerzahlungen in diesem Land zu heben. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 34) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Mit der Einführung eines neuen Messverfahrens zur Ermittlung von Emissionswerten bei Autos schlagen wir ein neues Kapitel im Verkehrsrecht auf. Durch das sogenannte WLTP-Verfahren (Worldwide Harmonized Light-Duty-Vehicles Test Procedure) werden wir zukünftig realitätsnähere CO2-Emissionswerte im Zuge der Ermittlung von Abgasemissionen erhalten. Die Einführung dieser weltweit harmonisierten Testprozedur vollziehen wir durch die Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes, das wir heute debattieren. Das neue WLTP-Verfahren löst das bisher geltende NEFZ-Verfahren (Neuer Europäischer Fahrzyklus) ab. Im Gegensatz zum NEFZ-Verfahren, bei dem die Emissionswerte der Autos unter „Laborbedingungen“ ermittelt werden, wird das WLTP-Verfahren unter realitätsnahen Bedingungen die Emissionswerte messen. Wobei diese Realitätsnähe natürlich differenziert zu betrachten ist, da der tatsächlich CO2-Ausstoß auch immer vom persönlichen Fahrverhalten abhängt. Realitätsnähe heißt also: So wie ein Auto tatsächlich im Straßenverkehr genutzt wird, so wird auch der Emissionsausstoß gemessen: kein erhöhter Reifendruck, keine abgebauten Außenspiegel zur Reduzierung des Luftwiderstandes, kein leerer Tank, keine ausgebaute Klimaanlage. Ab dem 1. September 2018 gilt: Für jedes zum Straßenverkehr neu zugelassene Auto ist die Abgasmessung mit dem neuen WLTP-Verfahren verpflichtend. Alle anderen Autos auf unseren Straßen, die vor diesem Stichtag zugelassen wurden, haben aber natürlich Bestandsschutz. Eine grundlegende Erneuerung, die mit dem neuen Messverfahren einhergeht, ist also auch das Zulassungsverfahren. Werden Fahrzeuge bisher „autobezogen“ zugelassen, wird es in Zukunft zu einer „typenbezogenen“ Zulassung kommen. Demnach wird es nicht mehr nur eine Rolle spielen, ob man einen Golf, eine S-Klasse oder einen Corsa fährt, sondern welche konkreten Besonderheiten das Fahrzeug aufweist: mit oder ohne Klimaanlage? Schmale oder breite Reifen? Wie viele Airbags? Wie viel Hubraum? Innerhalb eines Autotyps wird es perspektivisch zu einer Bildung von „Familien“ kommen. Denn, und das ist nicht neu, nicht jeder Golf ist gleich. In der Konsequenz heißt das: Nicht nur der Prüfzyklus wird kleinteiliger, auch die Zulassung von Fahrzeugen wird differenzierter. Nach der Veröffentlichung des Gesetzentwurfes waren die ersten – empörten – Reaktionen: Das neue Messverfahren führe zu einer versteckten Erhöhung der Kfz-Steuer. Schnell war man sich einig, dass dies Betrug am Wähler sei. Denn die Kfz-Steuer wird von der Änderung der Testprozedur beeinflusst, da die CO2-Emissionen eine wesentliche Komponente bei der Ermittlung der Höhe der Kfz-Steuer sind. Weil hier oft Fakten durcheinandergeraten, möchte ich folgende Punkte klarstellen. Erstens. Der vorliegende Gesetzentwurf regelt ausschließlich die Einführung eines neuen Messverfahrens im Verkehrsrecht. Die konkrete technische Ausgestaltung des Messverfahrens – die im Übrigen noch gar nicht endgültig feststeht; auch das könnte man kritisieren – wird hingegen über eine unmittelbar wirkende EU-Verordnung ins deutsche Recht implementiert. Diese Verordnung beschreibt dann genau, wie der Testzyklus auszusehen hat. Wir als Gesetzgeber haben darauf keinen Einfluss. Die Verordnung kommt aller Voraussicht nach im Mai 2017. Ab dann gilt prinzipiell auch die Anwendung des WLTP-Verfahrens bei Neufahrzeugen. Um bei Käufern und Herstellern Planungs- und Rechtssicherheit zu schaffen und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen, ist der Stichtag zur Anwendung des neuen Messverfahrens zur Ermittlung der CO2-Werte für die Besteuerung aber erst der 1. September 2018. Klarzustellen ist: Bestandsfahrzeuge bleiben unangetastet. Zweitens. Anzunehmen ist, dass das neue Messverfahren andere, realitätsnähere CO2-Werte zutage fördern wird, als es das NEFZ-Verfahren bisher tut. Das ist die klare Absicht dieser Verfahrensumstellung. Wissenschaftlichen Einschätzungen zufolge werden die Messergebnisse des WLTP-Verfahrens einen um 15 Prozent höher liegenden CO2-Ausstoß nachweisen. Im Vorhinein können jedoch weder Aussagen über erwartete CO2-Werte gemacht, noch kann die dadurch zu erwartende Höhe der Kfz-Steuer prognostiziert werden. Denn für welches Fahrzeug sich die Käufer in Zukunft entscheiden, das wissen wir heute nicht. Was ich an dieser Stelle aber anmerken möchte: Als Neuwagenkäufer treffe ich eine ganz bewusste Entscheidung für oder gegen ein CO2-armes Auto. Je nachdem, wie meine Entscheidung ausfällt, beeinflusst das natürlich auch die Höhe der Kfz-Steuer. Wir setzen mit diesem Gesetz also auch einen ganz klaren Anreiz, sich für ein emissionsarmes Fahrzeug zu entscheiden. Drittens. Das vorliegende Gesetz bringt ausdrücklich keine Steuersatzerhöhung mit sich. Was sich ändert, ist ausschließlich die Bemessungsgrundlage der Kfz-Steuer, und auf die, so habe ich es ausgeführt, haben wir keinen Einfluss. Eine realitätsnähere Ermittlung des Emissionsausstoßes bei Autos auf EU-Ebene wird im Übrigen auch nicht erst seit dem VW-Abgasskandal forciert. Es gab auch im Vorfeld dieses Ereignisses immer wieder Diskussionen über eine Veränderung von Messzyklen. Abschließend möchte ich noch kurz auf den sehr in Verruf geratenen Diesel zu sprechen kommen. Mit Blick auf die massive Vertrauenskrise, ausgelöst durch VW, haben wir durch das neue Messverfahren auch die Chance, Vertrauen zurückzugewinnen. Die Dieseltechnologie bleibt ein wichtiges Modul in der Motorenfamilien; denn am Ende zählt die Summe aller Emissionen, und dabei spielt natürlich auch der niedrigere Verbrauch pro km eine wichtige Rolle. Und genau hier liegt auch eine wirkliche Chance, die hochinnovative deutsche Dieseltechnologie wieder nach vorne zu bringen. Abschließend möchte ich festhalten: Erstens. Unser Ziel, mit der Kfz-Steuer eine Lenkungswirkung zu erreichen und kleinere und emissionsarme Fahrzeuge zu bevorteilen, wird mit dem neuen Messverfahren weiter verstärkt. Zweitens. Wie sich das Aufkommen der Kfz-Steuer tatsächlich entwickelt, haben Sie in der Hand, die Käufer neuer Fahrzeuge, je nachdem wofür Sie sich entscheiden. Sie haben die Freiheit und damit auch die Verantwortung. Drittens. Unser wirtschaftspolitisches Leitziel gilt weiter: Deutschland soll ein attraktiver Standort für moderne Fahrzeugtechnologien bleiben – für die Fahrer ebenso wie für die Autohersteller und ihre Technologiezulieferer. Dafür werden wir uns auch weiter einsetzen. Andreas Schwarz (SPD): Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs etablieren wir ein neues Prüfverfahren zur Ermittlung der Abgaswerte für Personenkraftwagen und setzen damit eine Vorgabe der EU um. Dieses neue Verfahren WLTP, Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure, wird genauere bzw. realistischere Daten liefern als die alte Messmethode NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus, die von den realistischen Fahrbedingungen im Alltag offenkundig stark abweicht. Wir begrüßen das, denn bislang lag der tatsächliche Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs teilweise deutlich höher als der vom Hersteller angegebene Normverbrauch. Hier musste endlich etwas unternommen werden. Das Bekanntwerden der Abgasmanipulation bei Volkswagen mag diesen Prozess beschleunigt haben, die Forderung nach realistischeren Messergebnissen wird aber bereits seit Jahren erhoben. Sowohl von der Autoindustrie als auch den Umweltschützern. Wir führen das WLTP-Verfahren schrittweise ein, damit sich die Autofahrerinnen und Autofahrer darauf vorbereiten können. Die Anwendung der neuen WLTP-Norm gilt hier in Deutschland für neu zugelassene Fahrzeuge erst ab dem 1. September 2018. Und da auch erst einmal nur für Modelle, die ab September 2017 etwa nach einem Modellwechsel eine neue Typgenehmigung benötigen. So weit, so gut. Wir nähern uns den Tretminen. Wie ist es denn um die Einnahmeseite bestellt? Was kommt auf die Bürgerinnen und Bürger zu? Viele Fachleute gehen inzwischen davon aus, dass durch das neue Messverfahren der gemessene CO2-Ausstoß so sehr ansteigt, dass folglich auch für viele Fahrzeuge die Kfz-Steuer ansteigen wird. In unserem Berichterstattergespräch wurde auf meine Nachfrage hin, ob und wenn ja, in welcher Höhe es durch das neue Prüfverfahren zu Mehrbelastungen für die Autofahrerinnen und Autofahrer kommen könnte, vom BMF erklärt, man könne zum jetzigen Zeitpunkt schlicht noch keine verlässlichen Aussagen darüber treffen, ob die Umstellung des Prüfverfahrens generell zu höheren Belastungen führe. Es sei möglich, dass die Kfz-Steuer bei einigen Fahrzeugtypen steige, bei anderen wiederum sinke. Das überraschte etwas, denn der Referentenentwurf hatte dem Fiskus im Zeitraum von 2018 bis 2022 noch Mehrreinnahmen in Höhe von circa 1,1 Milliarden Euro prognostiziert. Das BMF meint also, das Steueraufkommen sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht seriös zu beziffern. Ist diese Berechnung in dem vorliegenden Gesetzentwurf möglicherweise nicht mehr enthalten, weil sich damit das eigene Mantra „Mit uns keine Steuererhöhungen“ leicht in Luft auflöst? Jedenfalls darf man sich schon fragen, warum beispielsweise Einnahmeprognosen zur Maut erstellt werden konnten, für die Einführung des WLPT-Verfahrens aber nicht. Im bisherigen Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens habe ich mich maßgeblich dafür eingesetzt, dass ein Jahr nach Inkrafttreten überprüft wird, ob man eventuell gegensteuern muss. Nur so können wir mögliche Fehlentwicklungen korrigieren. Sabine Leidig (DIE LINKE): Mit der vorgelegten Änderung am Kfz-Steuer-Gesetz macht die Bundesregierung nicht mehr, als unbedingt notwendig. Es geht darum, dass die KfZ-Steuer künftig an die weltweit harmonisierte Testprozedur WLTP für Abgasmessung angepasst wird. Dazu drei kritische Anmerkungen: Erstens. Es ist absurd, dass nach dem neuen Fahrzyklus die CO2-Emissionen höher liegen dürften als bisher. Das ist offenbar dem Einfluss der Bundesregierung zu „verdanken“, die wiederum unter massivem Einfluss der Automobilindustrie steht – und das dient nicht dem Wohle der Allgemeinheit. Zweitens. Immerhin werden künftig nicht mehr die manipulierten Werte der „Prüfstände“ Grundlage der Kfz-Steuer-Bemessung sein, sondern Messmethoden, die dem wirklichen Schadstoffausstoß näher kommen – und der ist ja erheblich höher als angegeben. Als Stichtag für die neue CO2-Messung ist der 1. September 2018 zwingend vorgegeben. Allerdings werden neue Fahrzeugtypen bereits ein Jahr vorher entsprechend gemessen. Für die könnte man also auch vorher schon die neue Kfz-Steuer einführen. Das ist aber nicht gewollt. Aber warum nicht?! Drittens. Die Bundesregierung behauptet, es ergäben sich „keine haushalterischen Auswirkungen.“ Das ist allerdings wirklich falsch. Klar, die neue Kfz-Steuer kostet nichts. Aber dass seit Jahren und noch weiter auf die Besteuerung nach tatsächlichem Verbrauch/CO2-Ausstoß verzichtet wird, das führte und führt weiterhin zu erheblichen Einnahmeausfällen. Im Auftrag der Linksfraktion im Bundestag hat das „Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft“ eine Studie erstellt und kommt zu folgenden Ergebnissen: Die auf dem Prüfstand im Labor gemessenen Typprüfwerte zum Ausstoß von Kohlenstoffdioxid, CO2 und Stickstoffoxiden, NOx von Pkw wichen in den vergangenen Jahren immer gravierender von tatsächlich auf der Straße festgestellten Emissionen ab. Dies hat Auswirkungen auf Verbraucherinnen und Verbraucher, Wettbewerb, Politik, Umwelt, Klima und Gesundheit. Weniger beachtet sind die Auswirkungen auf die Kraftfahrzeugsteuer aufgrund der verfälschten Bemessungsgrundlage sowie zu Unrecht gewährter Steuerbefreiungen, die im Rahmen dieser Studie quantifiziert werden. Allein die Mindereinnahmen aufgrund nicht dem Realverbrauch auf der Straße entsprechender CO2-Angaben in den Herstellerbescheinigungen werden für den Zeitraum 2010 bis 2015 auf rund 3,3 Milliarden Euro geschätzt. Es ist davon auszugehen, dass dieser Betrag in den kommenden Jahren deutlich und beschleunigt zunehmen wird, falls keine Gegenmaßnahmen eingeleitet werden sollten. Die Mindereinnahmen durch Steuerbefreiungen, die vermeintlich schadstoffarmen Fahrzeugen der Klasse Euro 6 aufgrund unzutreffender NOx-Werte zu Unrecht gewährt wurden, belaufen sich auf etwa 10 bis 18 Millionen Euro. Der systematische Betrug durch die Spitzen der Automobilkonzerne, der von der Bundesregierung ermöglicht wurde, kommt die Allgemeinheit also in jeder Hinsicht teuer zu stehen. Es ist höchste Zeit, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und für den Schaden zur Kasse zu bitten. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn der Untersuchungsausschuss „Abgasskandal“ eines zutage gefördert hat, dann, dass die VW-Affäre nur die Spitze eines Eisbergs ist. Ein Eisberg, der tief in Politik und Automobilwirtschaft reicht. Auch abgesehen von dem vorsätzlichen Betrug durch den Einbau illegaler Abschalteinrichtungen, haben wir ein ganz grundsätzliches Problem mit dem aktuellen Testverfahren – dem Neuen Europäischen Fahrzyklus, NEFZ. Das aktuelle Testverfahren NEFZ misst falsch. Das Fahrverhalten und die äußeren Bedingungen im Labor – Beschleunigung, Schaltverhalten, die motorfreundliche Umgebungstemperatur – entsprechen nicht der Beanspruchung auf der Straße. Zudem bietet NEFZ den Automobilherstellern zahlreiche – legale und illegale – Schlupflöcher, um die Autos für den Test zu optimieren: rollwiderstandsoptimierte, schmalere Autoreifen; abgeklebte Autoteile für eine bessere Aerodynamik; abgeschaltete Klimaanlagen und Navigationssysteme; moderne Software, die erkennt, wann sie sich auf dem Prüfstand befindet. Der Fantasie der Automobilhersteller wird derzeit leider kaum Grenzen gesetzt, um Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen künstlich niedrig zu halten. Deswegen weichen die im Realbetrieb gemessenen CO2-Emissionen systematisch von den im NEFZ gemessenen Laborwerten ab. Und der Abstand wird immer größer. Das ergeben die Studien des International Council on Clean Transportation, ICCT. 2014 lag die Differenz zwischen den CO2-Emissionen im Realverkehr und den im NEFZ gemessenen Werten bei durchschnittlich 40 Prozent. 2001 lag dieser Wert noch bei rund 8 Prozent. Das ist ein Problem für die Verbraucherinnen und Verbraucher, denn sie werden durch unrealistische Verbrauchswerte getäuscht und in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst. Das ist ein Problem für die Umwelt, denn durch die falschen Angaben werden die Gesundheits- und Umweltkosten des Pkw-Verkehrs verschleiert und die europäischen Grenzwerte für Pkw-CO2-Emissionen konterkariert. Das sollte aber auch den Finanzminister umtreiben. Seit dem 1. Juli 2009 wird die Kfz-Steuer nämlich nach dem CO2-Ausstoß berechnet. Durch die Differenz zwischen Realität und Laborwert entgingen dem Fiskus laut Berechnungen des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, FÖS, allein für den Zeitraum 2010 bis 2015 Steuereinnahmen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro. Wir müssen uns auch die Frage stellen, inwiefern hier durch falsche Angaben seitens der Automobilhersteller systematisch Steuerhinterziehung betrieben wird und wurde. Im Zuge der Aufarbeitung des VW-Skandals ließ das Bundesverkehrsministerium die gesundheitsschädlichen Stickoxidemissionen von 53 Fahrzeugtypen prüfen. Im Abschlussbericht wurde festgestellt, dass nicht nur VW, sondern die gesamte Branche manipuliert hat. Im Zuge der Abgastests hat das Verkehrsministerium auch CO2-Emissionen auf Prüfstand und Straße ermitteln lassen. Die CO2-Emissionen wurden in diesem Bericht aber nicht veröffentlicht mit dem Verweis, dass die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind und zu einem späteren Zeitpunkt in einem eigenen CO2-Prüfbericht veröffentlicht würden. Das war im April 2016, und wir warten immer noch auf die Ergebnisse. Es ist mir unverständlich, warum der Finanzminister hier nicht mehr Druck auf seinen Kollegen Verkehrsminister ausübt. Warum Herr Schäuble Herrn Dobrindt nicht auffordert, die Ergebnisse der Nachmessungen zu veröffentlichen. Denn die wären doch eine gute Grundlage für das Finanzministerium, Berechnungen über mögliche Nachforderungen anzustellen. Nachforderungen, die sich aus manipulierten CO2-Werten für die KfZ-Steuer ergeben. Sie können sich schon mal darauf einstellen, dass ich da im Finanzausschuss nachhaken werde. Angesichts der unrealistischen CO2-Werte des NEFZ ist es natürlich zu begrüßen, dass das alte Prüfverfahren durch die Einführung eines neuen ersetzt wird: die weltweit harmonisierte Testprozedur zur Ermittlung der Abgasemissionen, kurz WLTP. Das neue Testverfahren WLTP beruht auf realen Fahrstatistiken. Es macht auch strengere Vorgaben, beispielsweise in Bezug auf die individuelle Ausstattung des Fahrzeuges oder die Testbedingungen. Allerdings gilt die realistischere Berechnung nach WLPT nur für neu zugelassene Fahrzeuge. Für die circa 40 Millionen Bestandsfahrzeuge ändert sich nichts. Außerdem ist leider auch das neue Verfahren WLPT nicht vor Manipulationen gefeit. Deshalb fordern wir Grüne: Die Tests müssen von wirklich unabhängigen Behörden kontrolliert werden. Und es muss auch harte Sanktionen geben für Tricksereien und falsche Angaben zu CO2-Werten. Und noch eine Lehre muss aus dem VW-Abgas-Skandal gezogen werden: Die Strategie der deutschen Automobilindustrie, den Dieselmotor als klima- und umweltfreundliche Brückentechnologie zu verkaufen, ist gescheitert. Autos, die nur unter Laborbedingungen Umweltvorgaben einhalten können, haben keine Zukunft. Deshalb fordern wir Grünen einen schrittweisen Abbau der Dieselsubvention. Das Ziel sollte sein, dass die Energiesteuersätze für einen Liter Benzin und einen Liter Diesel in zehn Jahren steuerlich auf dem gleichen Niveau sind. Gleichzeitig wollen wir die Fahrer von Diesel-Pkw entlasten, indem wir die Kfz-Steuer konsequent nach dem CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen ausrichten. Wir fordern, dass die Bundesregierung einen Ausstiegsplan aus der Dieselsubvention vorlegt. Wir fordern, dass die Bundesregierung Konsequenzen aus dem Abgasskandal zieht, dass Herr Dobrindt endlich die realen CO2-Emissionen der geprüften Modelle öffentlich macht. Wir brauchen eine wirklich unabhängige Behörde, die Messungen überprüft. Es braucht Sanktionen für diejenigen, die manipulieren. Das brächte Transparenz für Verbraucher und Klarheit für die Automobilindustrie. Denn nur mit echten Konsequenzen lässt sich der dringend notwendige Wechsel hin zu effizienten und emissionsfreien Antrieben begleiten – das wäre ein echter Dienst für einen zukunftsfähigen Industriestandort Deutschland. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Bevor ich Ihnen den Inhalt des Entwurfes eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vorstelle, ist es zum besseren Verständnis der sehr technischen Materie sinnvoll, einen kleinen Exkurs voranzustellen. Dies halte ich auch deshalb für wichtig, weil zu dem Gesetzentwurf einige fehlerhafte Informationen und irreführende Schlussfolgerungen in der Presse und in der Öffentlichkeit herumgeistern, die ich heute hier ins rechte Licht rücken möchte. Zur Vorgeschichte: Bereits im Jahre 2009 hat der Deutsche Bundestag in einer grundlegenden Entscheidung den Regierungsentwurf der damaligen großen Koalition beschlossen, der die Umstellung der Bemessung der Kraftfahrzeugsteuer bei Personenkraftwagen, Pkw, auf eine vorrangig nach Kohlenstoffdioxidemissionen bemessene Steuer regelte. Nach dieser sogenannten CO2-Reform der Kraftfahrzeugsteuer ist grundsätzlich seit dem Stichtag 1. Juli 2009 für Pkw-Erstzulassungen neben dem Hubraum vorrangig der von den Zulassungsbehörden festgestellte CO2-Wert für die Höhe der Kraftfahrzeugsteuer maßgeblich. Diese Änderung der ökologischen Komponente der Kraftfahrzeugsteuer diente und dient noch heute in besonderem Maße dem Ziel einer klimagerechten Zukunftspolitik. Mit dem Ziel vor Augen, bis 2020 den CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent zu senken, sind auch im Verkehrssektor weiterhin Emissionsminderungen notwendig. Neben der Steigerung des Anteils von Elektrofahrzeugen ist die CO2-basierte Kraftfahrzeugsteuer mit ihrer daraus resultierenden Lenkungswirkung eine zentrale Maßnahme, um den Straßenverkehr umweltverträglicher zu machen und einen adäquaten Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen zu leisten. Der rechtliche Rahmen, nach dem die Zulassungsbehörden den CO2-Wert feststellen, wird unmittelbar durch das Unionsrecht vorgegeben, nämlich konkret durch die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007. Es handelt sich dabei um den sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus, das sogenannte NEFZ-Messverfahren. Dieses stammt noch aus den 1990er-Jahren und führt als veralteter Prüfzyklus zu realitätsfernen CO2-Werten. Bekanntlich lässt sich das Unionsrecht nicht von heute auf morgen ändern. Doch vorliegend ist noch für dieses Frühjahr mit dem Inkrafttreten einer Änderungsverordnung der bereits angesprochenen Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu rechnen. Hintergrund hierfür ist die Entwicklung einer auf Ebene der Vereinten Nationen weltweit harmonisierten Testprozedur zur Ermittlung der Abgasemissionen leichter Kraftfahrzeuge, die „Worldwide harmonized light duty test procedure“. Dieses sogenannte WLTP-Verfahren verfolgt das Ziel, künftig realitätsnähere Emissionswerte für CO2 im Rahmen der Typgenehmigung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge zu erhalten. Die Art der Ermittlung der CO2-Emissionen nach WLTP wird sich erheblich von dem derzeit maßgeblichen NEFZ-Verfahren unterscheiden. Die verpflichtende WLTP-Einführung im Verkehrsrecht soll schrittweise und nur für Neufahrzeuge erfolgen. Sie beginnt mit der Verabschiedung und dem Inkrafttreten entsprechender Rechtsakte der Europäischen Union bis zum Frühjahr 2017. Die nach WLTP ermittelten CO2-Werte sollen dann ab dem 1. September 2017 bei der Genehmigung neuer Typen verbindlich werden. Ab dem 1. September 2018 werden sie zur Bedingung für die Erstzulassung von Pkw. Die Automobilhersteller müssen demzufolge auch ihre auf dem Markt befindlichen Fahrzeugmodelle nach WLTP nachprüfen lassen, wenn sie sie weiter produzieren werden. Es liegt nahe, dass einige Hersteller damit voraussichtlich kurz nach der Verkündung der EU-Vorschriften beginnen. Und damit komme ich nun unmittelbar zum Grund für das aktuell eingebrachte steuerrechtliche Gesetzesvorhaben des 6. Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetzes. Was regeln wir nun eigentlich im nationalen Kraftfahrzeugsteuergesetz? Das Kraftfahrzeugsteuergesetz beinhaltet eine gleitende dynamische Außenverweisung auf die maßgeblichen Vorschriften der Europäischen Union zur Ermittlung der CO2-Werte. Durch diese Verweisung würden sich die neuen CO2-Werte nach WLTP bereits mit dem Inkrafttreten der geänderten EU-Vorschriften ab Mitte 2017 auf die Kraftfahrzeugsteuer auswirken. Hier genau setzen wir an und schaffen frühzeitig Rechts- und Planungssicherheit, indem wir in Anlehnung an das Verkehrsrecht ebenfalls den 1. September 2018 als einheitlichen Stichtag zur Anwendung der nach WLTP ermittelten realitätsnäheren CO2-Werte für die Kraftfahrzeugsteuer in Deutschland bestimmen. Nur neue erstmals zugelassene Pkw werden betroffen sein. Auswirkungen aufgrund neuer CO2-Werte nach WLTP auf die Steuererhöhe für davor zugelassene Pkw sind demzufolge ausgeschlossen. Leider wurde dies in der öffentlichen Wahrnehmung durch die eine oder andere unzutreffende Sachdarstellung verfälscht. Durch den einheitlichen Stichtag stellen wir die Gleichmäßigkeit der Besteuerung von Pkw sicher. Würden wir im Kraftfahrzeugsteuergesetz kein verbindliches Datum für die Anwendung der CO2-Werte nach WLTP festlegen, wirkte sich unter anderem die optionale, frühzeitige oder spätere Umstellung auf WLTP vor dem 1. September 2018 durch die Fahrzeughersteller, die von unternehmerischen Erwägungen geprägt ist, auf die Besteuerung aus. In diesem Übergangszeitraum könnte die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht sichergestellt werden, da die von den Zulassungsbehörden übermittelten CO2-Werte bis zur verbindlichen Anwendung des WLTP nicht auf einem einheitlichen Verfahren beruhen. Der gleitende Einstieg in das ab 1. September 2018 verbindliche Verfahren wäre für Verbraucher zudem intransparent. Wir erhöhen also nicht die Kraftfahrzeugsteuer, wie fälschlicherweise behauptet wurde, sondern wir sorgen – unter Inkaufnahme von vorübergehenden Mindereinnahmen – für Rechts-und Planungssicherheit und Steuergerechtigkeit. Nochmal: Bestandsfahrzeuge sind nicht betroffen. Und wir vermeiden Unsicherheit und Ungewissheit für die Bürgerinnen und Bürger, die sich in der Zeit vom Frühjahr 2017 bis zum 31. August 2018 für die Anschaffung eines Neuwagens entscheiden. Wir schaffen Klarheit. Der einheitliche Stichtag 1. September 2018 wird für alle Pkw-Neuzulassungen gelten. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen (Tagesordnungspunkt 35) Hubert Hüppe (CDU/CSU): Selbstverständlich wollen alle Menschen wissen, wo sie herkommen. Das kann jeder von uns nachvollziehen. Von wem stamme ich ab? Wer sind meine Eltern? Wer sind meine Großeltern? Antworten auf diese Fragen sind für die Identität jedes Menschen wichtig. Inzwischen wissen wir, dass viele, die keine Antworten hierauf finden, unter ihrem Nichtwissen leiden. Vielfach hört man von emotionalem Leid bei Menschen, die ihre Eltern früh verloren haben, die anonym zur Adoption freigegeben wurden oder die durch anonyme Samenspende entstanden sind. Eine Vereinigung von Betroffenen, Spenderkinder e. V., formuliert, dass Anonymität ungünstige Dynamiken fördere. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat 2015 entschieden, dass durch heterologe Verwendung von Samen gezeugte Kinder einen Anspruch auf Auskunft über die Identität des anonymen Samenspenders haben. Zurückverfolgen lässt sich eine Samenspende vor allem über die verschiedenen Entnahmeeinrichtungen, und die sind über ganz Deutschland verstreut. Ein zentrales Register gibt es bisher nicht – das ändern wir jetzt. Es ist deshalb begrüßenswert, dass das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aufgegriffen wird; wo wir als Gesetzgeber Menschen zu Antworten über ihre biologischen Väter verhelfen können, sollten wir es tun. Im vorliegenden Entwurf sehen wir zwei Dinge vor. Im Gesetz zur Errichtung eines Samenspenderregisters und zur Regelung der Auskunftserteilung über den Spender nach heterologer Verwendung von Samen, Samenspenderregistergesetz, wird eine zentrale Informationsstelle eingerichtet und die organisatorischen und verfahrenstechnischen Voraussetzungen für deren Führung geschaffen. Darüber hinaus wird im Gesetzentwurf durch eine Änderung des BGB sichergestellt, dass ein Samenspender nicht als rechtlicher Vater eines durch künstliche Befruchtung in einer deutschen Einrichtung zur medizinischen Versorgung gezeugten Kindes festgestellt werden kann. Beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI, werden die Daten des Samenspenders, der Mutter und die Geburtsdaten des Kindes zusammenlaufen und für 110 Jahre gespeichert werden. Personen können per Antrag Informationen anfordern, wenn sie den Verdacht hegen oder wissen, dass sie durch heterologe Verwendung von Samen entstanden sind. Die Entnahmeeinrichtung erhebt die Daten des Spenders. Neben dem Namen meldet die Einrichtung den Geburtstag und -ort, die Staatsangehörigkeit und die Anschrift an das DIMDI. Vor jeder Spende muss der Spender aufgeklärt werden, dass eventuelle Kinder Zugang zu diesen Daten haben. Dem kann der Spender nicht widersprechen. Außerdem muss er erfahren, dass Samenspender nicht als rechtliche Väter festgestellt werden können. Diese Aufklärung ist zentral, damit potenzielle Spender sich über die Konsequenzen im Klaren sind. Möchten sie von ihren biologischen Kindern gefunden werden, möglicherweise viele Jahre später? Bei falschen Angaben droht ein Bußgeld. Die Entnahmeeinrichtung kennzeichnet die Daten des Spenders mit einer eindeutigen Spendennummer oder einer Spendenkennungssequenz. Der Spender kann freiwillig weitere Angaben machen, zum Beispiel könnte er den Grund für seine Samenspende angeben. Die Daten der Mutter sammelt die Einrichtung zur medizinischen Versorgung, in der die künstliche Befruchtung durchgeführt wird. Die Einrichtung meldet dem DIMDI außerdem den Zeitpunkt der Verwendung des Samens, den Beginn der Schwangerschaft und den errechneten Geburtstermin. Das tatsächliche Datum der Geburt und die Anzahl der geborenen Kinder werden unverzüglich gemeldet, die Meldepflicht liegt diesbezüglich bei der Empfängerin der Samenspende. Samen darf nur zur künstlichen Befruchtung eingesetzt werden, wenn die eindeutige Spendennummer oder die Spendenkennungssequenz vorliegt. Das schließt auch aus, dass deutsche Ärzte anonyme Samenspenden aus dem Ausland verwenden. Nur wenn die vorgeschriebenen Daten und eine eindeutige Identifikation per Spendennummer oder Spendenkennungssequenz vorhanden sind, kann ausländischer Samen benutzt werden. Zwar haben wir auf ausländische Entnahmeeinrichtungen keinen Einfluss, aber wir können die Verwendung von ausländischem Samen in deutschen Einrichtungen unterbinden, wenn keine Daten vorliegen. Damit wird, soweit realistisch möglich, das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung auch bei durch Verwendung von ausländischem Samen hervorgegangenen Kindern abgesichert. Die persönlichen Angaben des Spenders, der Mutter und des Kindes unterliegen natürlich dem Datenschutz. Nur das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information darf die Daten speichern und nur auf Antrag dem erfassten Kind des Spenders übermitteln bzw. vor dem sechzehnten Geburtstag des Kindes seinen Eltern. Was jetzt realistischerweise gesetzlich geregelt werden kann, regeln wir mit unserem Entwurf. Einige Formen der künstlichen Befruchtung, zum Beispiel außerhalb einer Einrichtung der medizinischen Versorgung oder im Ausland, können nicht von einem deutschen Gesetz erfasst werden. Private Samenspenden etwa sind nicht vom Gesetzentwurf betroffen. Wenn ein persönlicher Freund einem lesbischen Paar Samen spendet, wird er nicht vom Register erfasst – auf der anderen Seite ist er auch nicht von der Feststellung als rechtlicher Vater ausgeschlossen. Wir werden die parlamentarische Debatte mit einer Anhörung weiterführen. Wir werden prüfen, ob an einigen Stellen noch eine Feinjustierung nötig ist. Das grundsätzliche Anliegen des Gesetzentwurfes, Spenderkindern die Wahrnehmung ihres Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu ermöglichen, haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir greifen damit das Anliegen Betroffener auf, ihren biologischen Vater zu finden. Die im Gesetzentwurf vorgestellten Regelungen stellen dafür eine praxistaugliche Grundlage dar. Sie sind im Vergleich zum Status quo ein großer Fortschritt. Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Wer bin ich, wo komme ich her? Diese Frage mag sich der ein oder andere schon einmal ernsthaft oder auch weniger ernsthaft gestellt haben. In den meisten Fällen handelt es sich mehr um eine philosophische Fragestellung und nur seltener um ein reales Informationsbedürfnis im Hinblick auf die eigene Persönlichkeit und Identität. Da der Mensch sich sehr intensiv über seine Außenweltbeziehung definiert, bekommt diese Frage aber eine ganz andere Bedeutung, wenn es um das Verhältnis zur eigenen Familie und dort insbesondere zu den Eltern, also Mutter und Vater, geht. Nun mag es gelegentlich vorkommen, dass dieses Verhältnis in bestimmten Lebensphasen, sehr häufig zum Beispiel in der Pubertät, gespannt ist und aus spontanen Reaktionen heraus die Verbindung, das heißt die Abstammung, gerne negiert würde. Abgesehen von diesen oberflächlichen Befunden ist die Frage der Abstammung für die Persönlichkeit und die Frage der Selbstreflexion von enormer Wichtigkeit, wenn nicht sogar in manchen Fällen existenziell und für die psychische und physische Verfassung ursächlich. So hat das BVerfG schon im Jahre 1988 festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung umfasst. Auslöser des damaligen Falles war das Adoptionsrecht, das nach der damals geltenden Regelung ein sogenanntes Adoptionsgeheimnis vorsah, das Ausforschungen der Adoptivfamilie verhindern sollte und nur bei Zustimmung von Kind und Annehmenden ausgeforscht werden durfte. Dem sah das BVerfG das Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gegenüber, das es aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableitete. Damit war die Bedeutung der Abstammung für die Prägung der Individualität höchstrichterlich anerkannt und seither unstreitig. Diese Variante der rechtlich konstruierten Abstammung hat nur durch den medizinischen Fortschritt und die Möglichkeit der künstlichen heterologischen Insemination eine neue Qualität gefunden, mit der sich der BGH im Jahre 2015 beschäftigen musste. Unter Beibehaltung der grundrechtlichen Bewertung bejahte das Gericht auch in diesem Fall ein entsprechendes Auskunftsrecht, wobei es aber in dogmatischer Hinsicht auf die seit Jahrzehnten immer wieder gerne bemühte und bewährte Krücke der Vorschrift des § 242 BGB und den Grundsatz von Treu und Glauben zurückgreifen musste. Diese mithin festgestellte Regelungslücke ist nun konsequent und vollständig mit dem im Kurztitel als Samenspenderregister bezeichneten Gesetz normiert worden. Es beinhaltet die notwendigen Regelungen zur Datenerfassung bei der Samenspende bzw. Abgabe und die Bedingungen, unter denen und mit welchem Inhalt Auskunft über den Spender erteilt werden kann. Damit ist dem grundrechtlichen Anspruch auf Abstammungserkenntnis ausreichend Rechnung getragen worden. Dabei wurde auch darauf geachtet, dass der Prozess der Auskunftserteilung wie auch der Prozess der anschließenden Kontaktaufnahme, der durchaus ein hochemotionaler Vorgang ist, in geeigneter Form begleitet und beraten werden sollte. Irritierend, aber konsequent ist die Aufbewahrungsfrist von 110 Jahren, die sich an der Lebenserwartung orientiert und alle Möglichkeiten offenlässt, auch zu einem späteren Zeitpunkt des Entstehens des Informationsbedürfnisses dieses zu befriedigen. Die Erfahrung hat gelehrt, dass sowohl die Entstehung als auch die Bereitschaft zur Einholung der Abstammungsinformation fast in jeder Lebensphase entstehen kann, egal ob noch jung oder schon älter. Entscheidend ist bei der Regelung, dass durch frühzeitige Löschung der Information kein psychologisch problematisches Vakuum entsteht. Eine wichtige Begleitregelung ist aber auch die Frage der Anordnung der Abstammung in zivilrechtlicher Hinsicht, die nur für den Fall der ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung unter heterologer Verwendung von Samen nach dem Samenspenderregister erfolgt und eine Feststellung als zivilrechtlicher Vater mit entsprechenden Folgen im Unterhalts-, Sorge- und Erbrecht ausschließt. Hier geht der Gesetzgeber im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon aus, dass nur im Rahmen der streng normierten Spende mit begleitender und unwiderruflicher Aufklärung über das Auskunftsrecht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden kann, dass der Spender gerade keine Verantwortung als Vater übernehmen wollte. Dies sieht die Rechtsprechung bei privaten Spenden bzw. privater Befruchtung nicht zwingend als gegeben an, weil – um mit der etwas trockenen Sprache der Juristen zu sprechen – Spender und Empfängerin einen mehr oder weniger engen sozialen Kontakt miteinander haben. So der BGH noch im Jahre 2013. Das Gesetz schließt daher eine wichtige Regelungslücke und führt mit den korrespondierenden Regeln des Zivilrechts hoffentlich zu einer Verbesserung der Spenderbereitschaft, um dem Kinderwunsch ungewollt kinderloser Paare Rechnung tragen zu können. Gleichzeitig wird aber dem dringenden Bedürfnis nach Abstammungskenntnis und damit dem Wunsch nach Identitätsfindung Rechnung getragen. Die Frage „ Wer bin ich, wo komme ich her?“ bleibt zukünftig nicht mehr unbeantwortet. Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Gesetz. Mechthild Rawert (SPD): Die reproduktive Medizin, ihre technischen Möglichkeiten und damit verbundene ethische Fragen und gesellschaftliche Auswirkungen sind zentrale gesellschaftspolitische Themen. Es geht um die Freiheit, unterschiedliche Familienformen selbstbestimmt zu gestalten und zu verantworten, es geht um die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und um die Erfüllung im Leben. Es geht schlicht darum, dass Kinder entstehen und geborgen aufwachsen können. Es geht also um etwas sehr Lebensnahes, was die allermeisten Menschen zutiefst berührt. Damit hole ich weit aus. Der Regelungsinhalt des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen ist im Vergleich dazu viel spezifischer und abgegrenzter, greift aber Regelungen auf, die der rechtlichen Klarstellung dienen. Jeder Mensch hat das aus dem Persönlichkeitsrecht folgende Recht auf Kenntnis seiner Abstammung. Wir regeln nun, dass dieses Recht auch für Menschen gilt, die durch Samenspende gezeugt wurden. Wir schaffen zum einen die rechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung und Führung eines bundesweiten Samenspenderregisters beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI. In dieser zentralen Datenbank werden die Daten sehr lange – 110 Jahre – aufbewahrt. Endlich werden auch Verfahren vereinheitlicht und vereinfacht. Wir regeln aber auch, dass der Samenspender weder durch das Kind noch durch dessen Eltern als rechtlicher Vater in Anspruch genommen werden kann. Zwischen Samenspendern und den durch die Samenspende gezeugten Personen entstehen also keine Erbschafts- bzw. Unterhaltsansprüche. Die biologischen Spender werden entlastet, bei Wunsch des Kindes auf Kenntnis der Abstammung Verantwortung übernehmen zu müssen. Diese Rechtssicherheit führt voraussichtlich auch zu einer größeren Spendebereitschaft. Ich bin davon überzeugt: Die mit dem Gesetz hergestellte Rechtssicherheit hilft allen, den Frauen, den biologischen Spendern, den durch Samenspende gezeugten Kindern. Dank der nun hergestellten Rechtssicherheit wird die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme, eines Kennenlernens erleichtert. Die Notwendigkeit dieser gesetzlichen Regelungen ergibt sich aus mehreren Gerichtsurteilen. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Januar 1998, des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. Februar 2013 und zuletzt des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2015. Dieses Urteil stellt klar, dass durch Samenspende gezeugte Personen unabhängig von ihrem Alter ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben. Wie gesagt: Dieses Gesetz ist klar umrissen, es verfolgt nicht den Anspruch einer umfassenden Regelung der vielen Fragen zum Abstammungsrecht. Dennoch stellen sich mir auch bei diesem abgegrenzten Sachverhalt Fragen und Forderungen, die Gegenstand einer Anhörung sein sollten. Der Gesetzentwurf nimmt ausschließlich Bezug auf die ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung, auf die „offizielle“ Samenspende. Gerade damit haben aber lesbische oder alleinstehende Frauen ein Problem, denn ihnen wird derzeit von vielen Ärztinnen und Ärzten, von Ärztekammern genau diese Form der Samenspende verwehrt. Ich plädiere dafür, dass für lesbische Frauen bzw. Paare oder alleinstehende Frauen die gleichen Rechte gelten wie für heterosexuelle Menschen, wenn es um die künstliche Befruchtung geht. Ich bin der Meinung, dass eine heterologe Insemination allen offenstehen sollte. In unserer bunten Lebenswirklichkeit finden derzeit zahlreiche „private“ heterologische Inseminationen statt. Sollen diese gesondert geregelt werden? Oder ist es sinnvoller, die Anreize für eine private Insemination zu reduzieren, zum Beispiel indem wir gesetzlicherseits den Kreis derer ausweiten, die berechtigt sind, eine künstliche Befruchtung vorzunehmen, indem Ärztinnen oder Ärzte zum Beispiel lesbische Paare nicht mehr abweisen dürfen? Wir leben in einer bunten Lebenswirklichkeit mit einer Vielfalt von Familienkonstellationen. Wir leben auch mit einem enormen wissenschaftlichen Fortschritt im Bereich der Reproduktionsmedizin – und daraus folgenden zahlreichen Fragestellungen, die vielfach noch rechtlicher Regelungen bedürfen. In der politischen und gesellschaftlichen Debatte wird dabei auch das jeweilige Familienbild berührt. Wir wissen längst, dass die sexuelle Identität der Eltern nicht entscheidend für das Kindeswohl ist. Die Vielfalt der sexuellen Identitäten der Eltern muss aber auch beim Abstammungsrecht immer mitbedacht werden, damit keine Person, die eine Familie gründen möchte, diskriminiert wird. Ich stelle mir auch die Frage, welche Regelungen wir hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der Abstammung finden, wenn der biologische Spender in einer ausländischen Samenbank aufgeführt ist. Darf es, kann es eine Ungleichbehandlung der Rechtsfolgen für die Beteiligten zu dem beim DIMDI existierenden Samenspenderregister geben? Vielleicht ist diese Frage aber auch noch nicht im Zusammenhang dieses Gesetzes zu klären. Es besteht grundlegender Reformbedarf im Abstammungsrecht. Um diesen Reformbedarf zu prüfen und um Lösungen vorzuschlagen, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Februar 2015 den interdisziplinären Arbeitskreis „Abstammung“ eingerichtet. Hier sitzen Sachverständige für die Bereiche Familienrecht, Verfassungsrecht, Ethik und Medizin bzw. Psychologie zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Bundes- und Landesministerien. Im Sommer 2017 wird es den Abschlussbericht dieser Gruppe geben. Ich bin mir sicher: Zu den Ergebnissen des sehr breiten Themen- und Regelungsbereichs Abstammungsrecht wird es eine intensive gesellschaftliche und politische Debatte geben – und das ist auch gut so. Schließlich erleben wir den medizinisch-technischen und gesellschaftlichen Wandel mit seinen zahlreichen Fragestellungen und Herausforderungen. Wir wollen aber auch sicherstellen, dass eine Geburt ein Freudenereignis ist, wollen, dass Familie mit Sicherheit und Geborgenheit verbunden wird und nicht mit drohenden Rechtsstreitigkeiten oder unklarer Zugehörigkeit. Mein Fazit: Ich begrüße den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung mit seinen spezifischen Regelungen als einen guten Aufschlag. Wir werden wie bei allen Gesetzen dazu intensive parlamentarische Beratungen führen. Ich bin aber schon jetzt sehr gespannt auf die große gesellschaftliche und politische Debatte, die wir nach Veröffentlichung des Abschlussberichtes des AK „Abstammung“ zu führen haben. Ich lade Sie ein: Diskutieren Sie mit uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern dazu. Es geht um unser aller Zusammenhalt in Vielfalt. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Der heute vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung greift ein Anliegen auf, mit dem sich die Betroffenen immer wieder aktiv an die Politik gewendet haben: Auch Menschen, die mit einer Samenspende gezeugt wurden, haben das Recht darauf, ihre Abstammung zu kennen. In Deutschland werden jährlich etwa 1 200 Kinder nach einer heterologen Insemination, also einer Befruchtung der Frau mit Spendersamen, geboren. Insgesamt leben über 100 000 so gezeugte Menschen in Deutschland. Ihnen wird dieses Gesetz leider nicht mehr helfen können, ihren genetischen Vater zu finden, obwohl viele dieses Bedürfnis im Laufe ihres Lebens entwickeln. Bislang werden die Daten lediglich bei den Entnahmeeinrichtungen festgehalten. Die Suche nach der Herkunft erfordert also das Abfragen einzelner Samenbanken, in der Hoffnung, die richtige zu finden und dort auch die richtigen Daten zu erhalten, die bisher auch nur 30 Jahre aufbewahrt werden müssen. Die Idee, diese derzeit völlig zersplitterten Daten zukünftig zentral bei einer Bundesbehörde wie dem DIMDI, dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, zu sammeln und bereitzustellen, löst das Problem der zersplitterten Daten für die Zukunft. Gleichzeitig muss geregelt werden, dass sich aus einer Samenspende kein Verwandtschaftsverhältnis begründet. Dieses könnte nämlich zu ziemlich schwierig zu lösenden rechtlichen Fragen führen – zum Beispiel im Bereich des Unterhalts- und Erbschaftsrechts. Der Verein „Spenderkinder“ hat zudem darauf gedrungen, dass sowohl der Spender als auch die sozialen Eltern vor der Samenspende ein verpflichtendes Beratungsangebot erhalten, um zu verstehen, dass die Kinder später das Bedürfnis haben könnten, ihren genetischen Vater kennenzulernen, und dass ein offener Umgang mit der Art der Zeugung für die familiäre Beziehung zwischen den sozialen Eltern und dem Kind positiv sein kann. Dem kommt der Gesetzentwurf zumindest teilweise nach. Leider hat die Bundesregierung die Anregung nicht aufgegriffen, eine Möglichkeit zu schaffen, den genetischen Vater in irgendeiner Weise in den Abstammungsdokumenten der Kinder zu nennen und trotzdem rechtliche Ansprüche auszuschließen. Wir werden in der weiteren Beratung des Gesetzes prüfen, ob es nicht doch Möglichkeiten gibt, diesen Wunsch der Betroffenen zu berücksichtigen. Auch weitere wichtige Vorschläge bleiben leider unberücksichtigt. So vermisse ich zum Beispiel eine Begrenzung der Zahl der Kinder, die mit den Samen eines einzelnen Spenders gezeugt werden dürfen. Dieses wäre angezeigt, um zu verhindern, dass unter Umständen sehr viele genetisch verwandte Spenderkinder gezeugt werden, die dann ein höheres Risiko haben, unwissentlich mit einem Halbgeschwister eine Familie zu gründen, wodurch die Kinder aus solchen Familien höheren Risiken für Erbkrankheiten ausgesetzt wären. Ebenfalls nicht nachzuvollziehen ist, dass das Register nicht auch genutzt wird, um die Daten von Zeugungen in Form einer Embryonenspende zu erfassen. Auch wenn dieses Verfahren meiner Ansicht nach nicht vereinbar ist mit dem Embryonenschutzgesetz, wird es in Deutschland dennoch angewandt. Auch diese Kinder haben das Recht, ihre Abstammung zu kennen. So ist es wohl doch so, dass die unselige Tradition fortgesetzt wird, dass die Gesetzgebung hinter den Anforderungen neuer Techniken in der Reproduktionsmedizin herhinkt. Deswegen hoffe ich, dass wir hier im Lauf der Beratung noch zu Verbesserungen kommen werden. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Wissen eines Menschen, wo sie oder er herkommt, hat eine erhebliche Bedeutung für die eigene Persönlichkeit. Geprägt wird man von den Eltern, die einen großziehen. Wenn sich aber herausstellt, dass der eigene Vater nicht auch der biologische Erzeuger ist, oder wenn von vorneherein klar ist, dass die genetischen Eltern andere sind, kann dies Menschen – zumindest vorübergehend – in eine schwere Krise stürzen. Zumindest kann es den Wunsch auslösen, diesen biologischen Elternteil auch kennenzulernen. Die Rechtsprechung hat diese Bedeutung schon länger erkannt. Das Oberlandesgericht Hamm hat bereits im Jahr 2013 in einem richtungsweisenden Urteil den Anspruch von durch Samenspende gezeugten Kindern auf Kenntnis des Spenders anerkannt. Die Bundesregierung hat sich allerdings viel Zeit gelassen, diesen Anspruch auch in Gesetzesform zu gießen. Und sie tut es mit diesem Gesetzentwurf auch nur halbherzig. Punkt 1: Der Anspruch auf Kenntnis der eigenen Abstammung besteht verfassungsrechtlich für alle Kinder, die mittels Samenspende gezeugt wurden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schafft allerdings nur Abhilfe für die Kinder, die zukünftig gezeugt werden. Alle bereits lebenden Personen werden konsequent ausgeklammert. Für sie ist die geplante Gesetzesregelung also überhaupt keine Hilfe. Sie bleiben weiterhin darauf verwiesen, sich mühsam auf dem Rechtsweg gegenüber den beteiligten Samenbanken und reproduktionsmedizinischen Zentren eine Auskunft zu erstreiten. Punkt 2: Der Vorschlag der Bundesregierung ist verfassungsrechtlich fragwürdig, weil er zulasten der gezeugten Kinder geht. Die Koalition will nämlich auf der einen Seite jegliche Vaterschaftsfeststellung im Hinblick auf den Spender ausschließen. Sie schafft aber auf der anderen Seite keine Möglichkeit für andere Personen, von Beginn an in die Rechte und Pflichten eines zweiten Elternteils einzutreten. Selbst wenn diese dazu bereit wären, kann der spätere Vater bzw. die spätere Co-Mutter des gezeugten Kindes nicht schon vorab als Elternteil anerkannt werden. Der Vorschlag der Koalition nimmt damit dem Kind einen Unterhaltsanspruch, ohne ihm einen gleichwertigen Anspruch als Ersatz zu geben. Und dies ist auch das zentrale Manko des Gesetzentwurfes: Die Koalition drückt sich vor der eigentlich entscheidenden Frage, wie familienrechtliche Konstellationen in diesen Fällen geregelt werden sollen. Sie scheut davor zurück, weil sie grundsätzlich nicht weiß, wie sie mit neuen oder atypischen Familienkonstellationen umgehen soll. Und dieses Zögern geht wieder einmal zulasten der betroffenen Kinder. Wir Grünen sind da schon längst weiter, auch beim Thema Samenspende. Wir haben bereits vor einem Jahr einen Antrag vorgelegt, in dem wir das neue familienrechtliche Instrument der sogenannten Elternschaftsvereinbarung fordern. Damit wird auch dem nicht biologischen Elternteil ermöglicht, schon vor der Geburt in sämtliche Rechte und Pflichten einzutreten. Das Kind erhält damit von Anfang an zwei gleichberechtigte Elternteile. Wie sinnvoll und wichtig eine solche Regelung ist, hat sich in der Anhörung zu diesem Antrag gezeigt. Es wird also Zeit, dass auch die Koalition dies zur Kenntnis nimmt und ihren Gesetzentwurf entsprechend verbessert. Wir sind Ihnen dabei gern behilflich. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 36) Alexander Funk (CDU/CSU): Die geplante Änderung des Raumordnungsgesetzes verfolgt im Wesentlichen drei wichtige Ziele: Erstens. Da ist zum einen die verstärkte Öffentlichkeitsbeteiligung, mit der die Bürger nun bereits deutlich früher eingebunden werden sollen, als dies bisher der Fall war. Zweitens. Darüber hinaus geht es um die Umsetzung einer europäischen Richtlinie zur maritimen Raumplanung. Damit ist sichergestellt, dass künftig alle EU-Länder maritime Raumordnungspläne schaffen, so wie Deutschland dies bereits 2009 etwa für die Schifffahrt, die Offshorewindenergie oder den Umweltschutz in der Nord- und Ostsee getan hat. Dies sollen alle anderen EU-Länder in Zukunft entsprechend handhaben, und sie sollen ihre Festlegungen dann grenzüberschreitend abstimmen. Drittens. Dritter Punkt ist das Thema Hochwasserschutz. Hier soll der Bund künftig die Kompetenz erhalten, im Bedarfsfall länderübergreifende Pläne aufzustellen. Der Hochwasserschutz liegt ja grundsätzlich in der Kompetenz der Länder. Wenn man sich einmal die Hochwassersituationen der letzten Jahre genauer anschaut, so muss man feststellen, dass eine Unterstützung der Länder durch einen länderübergreifenden Schutz erforderlich und angemessen ist. So wichtig die maritime Raumplanung und ihre grenzüberschreitende Abstimmung und so notwendig der länderübergreifende Schutz gegen Hochwasser auch sind, so unstrittig sind diese Regelungsfelder auch. In diesem Hause gibt es wohl niemanden, der den jeweils vorgesehenen Schutzzweck der Norm auch nur ansatzweise ernsthaft bestreiten würde. Möglicherweise sieht dies bezüglich der künftig besseren Beteiligung der Öffentlichkeit bei dem einen oder der anderen schon etwas anders aus. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, worum es konkret geht: Es geht um eine obligatorische Öffentlichkeitsbeteiligung – einschließlich der Prüfung von Projektalternativen – bereits im Raumordnungsverfahren. Beim Raumordnungsverfahren handelt es sich um ein frühes Stadium eines Vorhabens, genauer: um planerische Festlegungen, und eben noch nicht um konkrete Vorhaben, sprich: Genehmigungsverfahren, Planfeststellungsverfahren. Diese greifen erst zu einem späteren Zeitpunkt Platz. Als Beispiel: Beim Autobahnbau, der Errichtung von Schienenstrecken oder auch bei dem Projekt Stuttgart 21 ist die Raumordnung dem Planfeststellungsverfahren vorgelagert. Und genau hier, in diesem Stadium, soll künftig die Öffentlichkeit eingebunden werden. Warum? Weil wir maximale Transparenz insbesondere bei der Durchführung von Infrastrukturvorhaben, aber etwa auch bei Geothermie-Anlagen walten lassen möchten, und zwar von Anfang an. Es gilt: Wer neue Projekte ins Auge fassen, erfolgreich planen und vor allem erfolgreich umsetzen will, der braucht eine Bevölkerung, die diese Projekte auch mitträgt! Minister Dobrindt hat in diesem Zusammenhang vom Begriff der größtmöglichen Transparenz gesprochen. Zu Recht! Es geht um eine umfassende, vollumfängliche und damit transparente, daneben aber vor allem auch frühzeitige Information der Öffentlichkeit. Alle relevanten Informationen müssen der Öffentlichkeit zugänglich sein. Transparenz hat ja bekanntermaßen zwei Funktionen: den offenen Zugang zu Informationen und gleichzeitig auch die Rechenschaft. Nebenbei bemerkt: Mit der frühen Information der Öffentlichkeit haben wir ja inzwischen sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich spreche hier von der ersten Öffentlichkeitsbeteiligung beim Bundesverkehrswegeplan. Dazu gab es fast 40 000 Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern, die sich zur Hälfte per Post, zur Hälfte online geäußert haben. Dementsprechend ist es richtig, die Öffentlichkeit auch bei Raumordnungsverfahren in Zukunft nicht mehr außen vor zu lassen, sondern direkt einzubinden und zu beteiligen. Mit den letzten Änderungen am Gesetzentwurf zur Änderung des Raumordnungsgesetzes, die vor der abschließenden Beratung im Verkehrsausschuss erfolgt sind, sollten alle Seiten gut leben können: Neben der Korrektur eines Redaktionsversehens in § 7 ROG, die der Bundesrat vorgeschlagen hatte, und einigen Folgeänderungen in den §§ 9, 15 und 17, die natürlich absoluter Konsens sind, sollten auch die weiteren Änderungen nicht für Probleme sorgen: Der Änderungsantrag Artikel 1 Nummer 12 § 9 Absatz 2 Satz 4 (neu) ROG entspricht einem Vorschlag des Bundesrates und steht in Zusammenhang mit einer Präklusionsregelung im Entwurf des Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben. Mit der Änderung soll eine entsprechende Präklusionsvorschrift sowie der Hinweis auf die Präklusion im Raumordnungsgesetz normiert werden. Die Präklusionsvorschrift bei Raumordnungsplänen ist relevant, um die Auswirkungen eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. April 2015 für die Verwaltung praktikabler zu gestalten. Ähnlich sieht es bei dem Änderungsantrag zu Artikel 1 Nummer 13a § 10 Absatz 2 ROG aus, der auch auf einen Vorschlag des Bundesrates zurückgeht. Diese Änderung steht ebenfalls in Zusammenhang mit einer Regelung über Rechtsbehelfsbelehrungen im Entwurf des Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben. Die Änderung soll eine entsprechende Vorschrift im Raumordnungsgesetz normieren und somit zu einer klaren und eindeutigen Rechtslage führen. Schließlich gibt es noch den Änderungsantrag zu Artikel 1 Nummer 14b § 11 Absatz 2 ROG, ebenso auf Vorschlag des Bundesrates. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung würde zu einer Aufhebung des geltenden § 12 Absatz 2 ROG führen. Dieser dient jedoch der Gewährleistung der Rechtssicherheit und soll daher beibehalten werden. Mit dem Gesetz zur Änderung raumordnungsrechtlicher Vorschriften soll auch § 48 Absatz 2 Satz 2 (neu) Bundesberggesetz-E geändert werden. Konkret soll hier eine Raumordnungsklausel eingeführt werden. Das heißt, auch bei Vorhaben nach dem Bundesbergrecht sind künftig die Ziele der Raumordnung zu beachten. Daraus folgt, dass auch hier der Rechtsschutz auf die planerische Ebene vorverlagert wird. Nun könnte man zu der Ansicht gelangen, eine Raumordnungsklausel im Bundesberggesetz hätte Konsequenzen für die Zulassung von Rohstoffgewinnungsvorhaben in Deutschland und könnte zu verzögernden Klagen in einem frühen Stadium der Vorhaben führen. Dementsprechend sei die Raumordnungsklausel aus dem Gesetzentwurf zu streichen. Aber das Gegenteil ist hier zutreffend: Eine solche Streichung würde der Intention des Gesetzgebers und damit dem Regelungszweck diametral entgegenstehen. Wie eingangs ausgeführt, kommt es uns ja gerade darauf an, die Bevölkerung von Anfang an über geplante Vorhaben zu informieren und einzubinden. Und das muss selbstverständlich auch für untertägige Projekte gelten, wenn wir es mit der Transparenz ernst meinen. Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag sowie zum Gesetz. Annette Sawade (SPD): Unser gemeinsamer Raum, das ist unsere Umgebung, wo wir wohnen und leben. Die Änderung des mittlerweile neun Jahre alten Raumordnungsgesetzes von 2008 befasst sich ganzheitlich mit der maritimen sowie der untertägigen Raumplanung, mit der Mitbestimmung von Bürgern bei Großprojekten und mit den Herausforderungen des Klimawandels für unseren gemeinsamen Raum. Vier Ziele liegen der Gesetzesänderung zugrunde: erstens die Umsetzung der EU-Richtlinie 2014/89/EU zur Schaffung eines Rahmens für die maritime Raumplanung, zweitens die frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Großprojekten sowie Prüfung von Alternativen, drittens der Hochwasserschutz und viertens die bergrechtlichen Vorschriften, die die Raumordnung gewissermaßen dreidimensional entwickeln. Nationalen und europäischen Herausforderungen des Klimawandels können wir nur gemeinsam begegnen. Das Thema Hochwasserschutz gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung. Wer erinnert sich nicht an Gerd Schröder in Gummistiefeln an der Elbe? Matthias Platzeck an der Oder? Und die Starkstromregenfälle aus 2016 haben erneut gezeigt, dass Flüsse nun einmal nicht an der Landesgrenze enden. Gerade meinen Wahlkreis Schwäbisch Hall – Hohenlohe hatte es mit Braunsbach, aber auch anderen Orten ganz besonders hart getroffen. Deswegen ist es gut, dass die Länder endlich beim Hochwasserschutz zusammenarbeiten müssen und der Bund die Kompetenz bekommt, bei Bedarf einen länderübergreifenden Raumordnungsplan für den Hochwasserschutz aufzustellen. Lassen Sie mich über den Punkt sprechen, der mir auch als Vorsitzende des Unterausschusses Kommunales besonders wichtig ist: das Mitspracherecht der Bürgerinnen und Bürger zu Belangen der Raumordnung. „Wer an den Dingen seiner Gemeinde nicht Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger“, formulierte Perikles im fünften Jahrhundert. Wir möchten, dass unsere Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden können, wenn unser gemeinsamer Raum neu gestaltet wird oder geschützt werden muss. Die Großprojekte in Deutschland, die verspätet und mit höheren Kosten zum Teil immer noch nicht abgeschlossen sind, haben häufig den Protest der Bürgerinnen und Bürger hervorgerufen. Und dazu muss man leider oft sagen: zu Recht! Weil unter anderem Alternativen und die dazugehörige Transparenz fehlten. Die Gesetzesänderung möchte solche Geschehnisse in Zukunft vermeiden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung wird sogar obligatorisch. Größtmögliche Transparenz und Alternativplanungen zum Großprojekt, die ernsthaft in Betracht kommen, sollen zur Sprache gebracht werden und Gehör finden. Unsere Bürgerinnen und Bürger sollen sich aktiv an der Raumordnung beteiligen können. Dazu gehört es natürlich auch, dass die Vorhaben von Großprojekten digital veröffentlicht und kommentiert werden können. Deshalb meine Bitte auch an die Bürgerinnen und Bürger: Informieren Sie sich, was um Sie herum passiert! Sprechen Sie aus, wie unsere gemeinsamen Räume gestaltet werden sollen! Nach drei Jahren der großen Koalition – das ist schneller als die Umsetzung so mancher Großprojekte in Deutschland –, setzen wir nun die EU-Richtlinie und weitere Änderungen am Raumänderungsgesetz um. Sabine Leidig (DIE LINKE): Wir begrüßen es, dass nun auch für den Hochwasserschutz länderübergreifende Raumordnungspläne aufgestellt werden können. Hier arbeiten die Länder ja oft aneinander vorbei, auch wenn diese das offenkundig anders sehen, wie aus ihrer Stellungnahme hervorgeht. Die Frage ist aber, ob es einen solchen Raumordnungsplan geben wird. Für Häfen und Flughäfen ist hier bislang überhaupt nichts passiert. Auf eine schriftliche Frage von Herbert Behrens hin antwortete das BMVI, dass dies nicht nötig sei, weil die verkehrliche Anbindung von Häfen und Flughäfen durch Hafenkonzept, Flughafenkonzept und Bundesverkehrswegeplan ausreichend berücksichtigt seien. Diese beiden Konzepte leisteten aber eben nicht das, was man eigentlich bräuchte, nämlich eine wirkliche Standortpriorisierung. Hier wird eine Chance vertan. Was für uns gar nicht geht, ist, dass der bisherige Absatz 6 des § 17 ersatzlos gestrichen werden soll. Hierin ist bislang die Beteiligung des Deutschen Bundestages geregelt. Ich möchte mich aber nicht selbst entmachten und kann die Begründung nicht verstehen, nach der der Deutsche Bundestag bei Rechtsverordnungen, als solche werden die Raumordnungspläne des Bundes erlassen, nicht beteiligt wird. Im Grundsatz stimmt das schon, aber bei den Verordnungen nach dem BImSchG ist das anders. Und ein Plan, der die Anbindung der Häfen und Flughäfen regelt, den muss man im Verkehrsausschuss, der ja schließlich auch den Bundesverkehrswegeplan beschlossen hat, schon gerne beraten. Ebenso der Umweltausschuss den zum Hochwasserschutz. Falls es den denn jemals geben wird. Die Frage ist eben nur, warum man diese Bundesraumordnungspläne ins Gesetz schreibt, wenn das Ministerium dann meint, man braucht die sowieso nicht. Wir begrüßen, dass eine Öffentlichkeitsbeteiligung nunmehr – zumindest im regulären, nicht im beschleunigten Verfahren – vorgeschrieben ist, auch wenn dies in den meisten Ländern bereits so gehandhabt wurde. Die Begründung, dass man damit Akzeptanz für Großprojekte schaffen will, teilen wir aber nicht. Denn es geht nicht nur um die Akzeptanz, also das Durchsetzen von Großprojekten, sondern eben auch darum, ob eine solche Maßnahme überhaupt nötig ist. Immerhin sollen nun „ernsthaft in Betracht kommende Alternativen“ geprüft werden, dies schließt explizit auch solche ein, die von Teilnehmern im Beteiligungsverfahren eingebracht wurden. Aber die Anpassung an das neue URG, die der Bundesrat vorschlug, ist abzulehnen, weil sie Beteiligungsrechte einschränkt. Dass die Bundesregierung den Aufbau Ost für abgeschlossen hält, in der Begründung heißt es explizit, „dass sich 26 Jahre nach der Wiedervereinigung räumliche Disparitäten … nicht mehr feststellen lassen“, ist für uns ebenfalls nicht nachvollziehbar. Es wird suggeriert, dass es die krassen Disparitäten zwischen Ost und West nicht mehr gibt, sondern es quasi überall strukturpolitische Schwächen und Stärken gebe. Das ist aber aus unserer Sicht eben nicht der Fall, weil sich bei allen Strukturdaten wie beispielsweise Arbeitslosigkeit, Bruttoinlandsprodukt, kommunale Steuereinnahmen oder FuE-Ausgaben immer die DDR abzeichnet, weil es eben im Osten großflächig eine größere negative Betroffenheit gibt. Selbst die schwächsten Westbundesländer sind immer noch „reicher“ als die stärksten Ostländer. Bedenken haben wir wegen der neuen Bestimmungen zu Vorranggebieten. Denn hierzu heißt es in der Begründung, damit kann beispielsweise „eine Siedlungsentwicklung den Freiraumschutz ausschließen, desgleichen ein Infrastrukturausbau die Erfordernisse des Biotopverbundes oder der vorbeugende Hochwasserschutz die Belange des Naturschutzes“. Genau das wollen wir nicht. Dass quantifizierte Vorgaben zur Verringerung der Flächeninanspruchnahme als neuer Grundsatz explizit verankert werden, findet unsere Zustimmung, weil damit die Umsetzung des 30-Hektar-Zieles der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie unterstützt wird. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute geht es um die Zukunft der Meere. In Nord- und Ostsee haben wir viele unterschiedliche Interessen, die unter einen Hut gebracht werden müssen. Es ist zu begrüßen, dass wir dafür jetzt einen europäischen Rahmen haben. Doch wie bei allen Richtlinien, die die Europäische Union auf den Weg bringt, kommt es auch hier auf die konkrete Umsetzung an. Und ich möchte ergänzen: Es kommt auch auf den Zeitpunkt der Umsetzung an. Hier hat die Bundesregierung ein weiteres Mal geschlampt und ist eine geraume Weile im Verzug. Setzen Sie daher die Richtlinie um – aber bitte vernünftig. Wir geben Ihnen gerne Vorschläge für eine bessere Umsetzung mit auf den Weg. Ähnlich wie an Land gibt es auch auf dem Meer viele unterschiedliche Interessen. Wir müssen einerseits unsere Meere so weit schützen wie möglich. Wir müssen unsere artenreichen Meere auch für die folgenden Generationen bewahren. Die Meere sind eine entscheidende Lebensgrundlage. Gefährden wir den guten Zustand der Meere, bringt dies vielseitige negative Auswirkungen wie eine Verstärkung des Klimawandels, Artensterben oder eine Versauerung der Meere mit sich. Die Ozeane sind daher besonders schützenswert, und es muss deren Schutz zukünftig eine deutlich höhere Bedeutung beigemessen werden. Die maritime Raumplanung kann ein Instrument sein, Nutzungsinteressen aufzuzeigen, frühzeitig dem Schutz der Meere, Ressourcen und Lebewesen einen größeren Raum zu geben und die Interessen auszugleichen. Es ist sinnvoll, frühzeitig einen Überblick darüber zu erhalten, wo menschliche Nutzung stattfindet und wie Meeresschutz nötig und möglich ist. Der Schutz der Meere ist vielseitig. Hier geht es vor allem um die Beibehaltung einer hohen Wasserqualität, damit die Meere im ökologischen Gleichgewicht bleiben. Es geht außerdem um den Schutz der im Wasser lebenden Tier- und Pflanzenarten. Vor allem der Schutz der Fischbestände wird in Zukunft aufgrund drohender Überfischung einiger Arten eine große Rolle spielen. Aber es wird auch darum gehen, Gebiete zu schützen, um Lebewesen eine Rückzugsmöglichkeit zu bieten. Wenn wir uns in Nord- und Ostsee umsehen, welche vielseitigen Nutzungsinteressen bestehen, ist eine langfristige maritime Raumplanung sehr wichtig. Denn der Meeresschutz steht Nutzungsinteressen von Öl- und Gasförderungen, der Schifffahrt, dem Tourismus, der Fischerei oder Offshorewindanlagen häufig entgegen. Manchmal können Interessen aber auch ausgeglichen werden. Bisher spricht sich Deutschland im Rahmen seiner maritimen Raumplanung als Bund mit den Küstenländern im Rahmen des Integrierten Küstenzonenmanagements, IKZM, einigermaßen ausreichend ab. Allerdings finden manche Planungsansätze wie Öffentlichkeitsbeteiligung darin noch nicht ausreichend Berücksichtigung. So ist das leider auch mit dem aktuellen Gesetzentwurf. Gut gemeint, aber noch lange nicht gut gemacht. So ist im Gesetzentwurf zwar die aus der EU-Richtlinie verlangte Öffentlichkeitsbeteiligung enthalten. Aber hier muss die Bundesregierung dringend ihre Auffassung von Öffentlichkeitsbeteiligung anpassen. Sie darf nicht so aussehen, dass zwei Wochen in einem Amt ein Ordner mit Planungsunterlagen ausliegt, zu dem in einem sehr begrenzten Zeitraum die Bürger Stellung nehmen können – und am Ende weder Lob noch Kritik Berücksichtigung finden. Eigentlich hätte Ihnen die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Bundesverkehrswegeplan eine Lehre sein sollen. Rund 40 000 Stellungnahmen – aber kaum Einfluss der Bürger auf das Vorhaben. Am Ende war es eine Farce und das Papier nicht wert, auf dem der Bericht zur Öffentlichkeitsbeteiligung veröffentlicht worden war. Eine solche Lachnummer darf sich nicht wiederholen. Dasselbe gilt für die sogenannte Alternativenprüfung. Diese soll auch für die maritime Raumplanung vorgesehen sein. Aber wir zweifeln stark daran, dass diese auch wirklich ernst gemeint ist. Die Erfahrungen aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 zeigen: Das stand nur auf dem Papier. Eine objektive Prüfung oder gar Realisierung tatsächlich vernünftiger Alternativen fanden nicht statt. Diese Pseudoprüfung darf sich nicht wiederholen. Diese Lehrbeispiele aus der kürzlich beendeten Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans 2030 zeigen: Bitte wiederholen Sie diese Fehler nicht. Denn: Wo Öffentlichkeitsbeteiligung draufsteht, muss auch eine echte Beteiligung der Öffentlichkeit drin sein. Ein simples Gehörtwerden der Bürger reicht dazu nicht. Die Bürger müssen sich sicher sein, in einem Beteiligungsprozess auch Lösungsvorschläge einbringen zu können, die ernsthaft abgewogen werden. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes (Tagesordungspunkt 37) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Die Modernisierung und insbesondere die Digitalisierung der Binnenschifffahrt kommen voran. Der verstärkte Einsatz von Binnenschifffahrtsinformationsdiensten und vor allem der Nutzung des automatisierten Schiffsidentifikationssystems AIS auch in der Binnenschifffahrt tragen enorm zu einer Steigerung der Verkehrssicherheit auf den deutschen Wasserstraßen bei, etwa durch eine bessere Überwachung von Risikotransporten. Andere Maßnahmen wie der zunehmende Automatikbetrieb von Schleusen dienen der Effizienzsteigerung. Ziel dieser Optimierung des Verkehrsträgers Wasserstraße ist es, seine Attraktivität zu erhöhen und so eine umweltfreundliche Verlagerung von Transporten auf das Wasser zu erreichen. Diese Modernisierung macht jedoch zahlreiche rechtliche Änderungen notwendig, denn technischer Fortschritt im Informationszeitalter bedeutet immer eine massive Zunahme der anfallenden Daten und Informationen. Gerade der Staat, in diesem Fall die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung, muss damit sehr verantwortungsvoll umgehen. Daher ist eine vernünftige Rechtsgrundlage zwingend erforderlich. Diese schafft die Große Koalition mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme die Abschaffung des Länderfachausschusses kritisiert. Aber dieses Gremium hat seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr getagt. Während der gesamten WSV-Reform war bislang keine Sitzung nötig. Der Ausschuss ist absolut verzichtbar, weil sich Bund und Länder auf vielen anderen Wegen über die Wasserstraßen austauschen. Das wird auch in Zukunft so sein, gerade bei der von den Ländern angeführten Debatte um die Zukunft der Nebenwasserstraßen. Alle Beteiligten wissen doch, dass es hier ohne Beteiligung der Länder gar nicht zu einer Lösung kommen kann. Die Abschaffung des Länderfachausschusses ist daher konsequent und lange überfällig. Anderen Bedenken des Bundesrates tragen wir hingegen mit den vom Ausschuss eingebrachten Änderungen Rechnung. Zum einen mildern wir eine unverhältnismäßige Härte bei der Sanktionierung von Datenschutzverstößen durch Transportbeteiligte ab. Zweitens erschweren wir Führerscheintourismus nach einem Entzug der deutschen Fahrerlaubnis. Dieses Feintuning am Entwurf ist gelungen. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der Koalition sowie der Grünen für die konstruktive Zusammenarbeit bei diesem Gesetz. Was die Linken bei dem Gesetz umtreibt, verstehe ich hingegen nicht. Im Ausschuss lehnen Sie, Herr Behrens, dieses Gesetz ab. Zugleich wollten Sie aber auf die heutige Aussprache verzichten? Wer ein Gesetzesvorhaben ablehnt, sollte auch von sich aus bereit sein, das zu begründen. So werden jedoch zwei Dinge offenkundig: Erstens ist die Kritik der Linken an diesem Gesetz unberechtigt. Zweitens fehlt ihnen der Respekt für die Arbeit dieses Parlaments. Matthias Lietz (CDU/CSU): Mit der heutigen Debatte passen wir das Binnenschifffahrtsaufgabengesetz noch einmal an die bestehende Verwaltungssituation der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) an. Und das ist gut so und richtig; denn der Frühjahrsputz ist dringend nötig. Es ist höchste Zeit, den Staub wegzuwischen. Zum einem muss das Binnenschifffahrtsaufgabengesetz eine Rechtsgrundlage für die WSV bilden, um Daten zur Erfüllung konkret benannter Verwaltungsaufgaben zu nutzen. Zum anderen muss – auch gegen den Willen der Länder – aufgeräumt und entsorgt werden. Es kann nicht angehen, dass ein Länderfachausschuss, der seit der europäischen Handelsliberalisierung 1996 nicht mehr getagt hat und mittlerweile gegenstandslos geworden ist, beibehalten wird. Das entbehrt jeder Grundlage und widerspricht unseren Zielen der WSV-Reform, die straffere Strukturen schaffen soll. Die jetzige Anpassung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes setzt die Reform der WSV weiter richtig um. Durch den verstärkten Einsatz von Binnenschifffahrtsinformationsdiensten (RIS) und der Nutzungspflicht des automatischen Schiffsidentifikationssystems (AIS) werden durch die WSV mehr Daten verarbeitet, die nun auch für entsprechende Logistik- und Verwaltungsabläufe in der voranschreitenden Digitalisierung genutzt werden sollen. Nur so kann das Personal der Verwaltung weitaus sinnvollere Aufgaben übernehmen, als etwa Binnenschifffahrtsstatistiken noch mit Meldungen der Primärerhebungen zu füllen. Dies geht in vielen Fällen auch automatisiert und verringert Zeitaufwand und Kosten. Dieser Schritt war lange fällig und zeichnet ein wirtschaftliches Entlastungspotenzial von rund 170 000 Meldungen oder 360 000 Euro auf. Das ist Bürokratieabbau, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Das entlastet die Verwaltung, und das spart Kosten. So beantworten wir eben auch die Fragen, die wir uns zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung gestellt haben: „Welche Aufgaben müssen durch die WSV selbst wahrgenommen werden und welche nicht?“ und „Wo können Aufgaben sogar völlig entfallen?“. Beide Fragen gehen wir mit dem Binnenschifffahrtsaufgabengesetz an. Wir lösen damit auch das Versprechen ein, den Betrieb von Schifffahrtsanlagen wirtschaftlicher zu gestalten, weil es eben zukünftig automatisierte und fernbediente Schifffahrtsanlagen geben wird. Und das versteht sich von selbst. Der Gesetzentwurf schafft die Grundlage für ein zukunftsfähiges Verkehrs-, Unfall-, Schleusen- und Liegestellenmanagement. So werden Sicherheit, Interoperabilität und Effizienz des Verkehrssystems Binnenschiff bzw. Wasserstraße noch einmal deutlich erhöht. Dabei sind wir uns der Sensibilität bestimmter Daten durchaus bewusst und sorgen dafür, dass logistikrelevante Daten nicht uferlos gesammelt oder weitergegeben werden. Wir tragen dem Rechnung, indem wir die gesteigerte Schutzbedürftigkeit der betroffenen Binnenschiffer nicht gefährden und die Privatsphäre der zahlreichen Partikuliere schützen, bei denen das Schiff als Wohn- und Arbeitsstätte gleichermaßen den Lebensmittelpunkt von Familien bildet. Und diesen Schutz behalten wir nicht nur in der Datenübermittlung bei, sondern weiten ihn auch auf das Fahrerlaubnisregister aus. Ein Riegel wird somit dem Führerscheintourismus mit ausländischen Fahrerlaubnissen vorgeschoben. Denn der Gesetzentwurf sieht vor, die Löschungsregel des künftig zentralen Fahrerlaubnisregisters für Befähigungszeugnisse zu präzisieren. Deutsche Fahrerlaubnisse werden nicht schon bei Entzug, sondern erst drei Jahre später aus dem zentralen Register gelöscht. Damit können Zuwiderhandlungen bei Routinekontrollen aufgedeckt werden, und so erschweren wir die Nutzung von ausländischen Fahrerlaubnissen, die das Fahrverbot unerlaubterweise umgehen könnten. Und das schafft bereits heute Fakten. Wir bleiben für eine zukunftsfähige, digitalisierte Binnenschifffahrt am Ball, und wir werden für eine straffere Wasser- und Schifffahrtsverwaltung weiter den Staubwedel schwingen. Gustav Herzog (SPD): Die Digitalisierung hat auch vor der Binnenschifffahrt nicht Halt gemacht. Bereits heute fallen auf unseren Bundeswasserstraßen in zunehmenden Mengen Telematikdaten an und machen eine gesetzliche Regelung für ihre Nutzung dringend notwendig. Im Gesetzgebungsverfahren wurden in der Abwägung einzelner Regulierungsbereiche aber auch ernstzunehmende Interessengegensätze insbesondere zur Nutzung der Daten deutlich. Inwieweit können sich personenbezogene Daten ableiten, und in welchem Maße dürfen die Daten zur polizeilichen Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten herangezogen werden? Diese Fragen wurden kontrovers diskutiert und heute beraten wir abschließend in zweiter bzw. dritter Lesung das Dritte Gesetz zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes. Binnenschifffahrtsinformationsdienste wie der RIS, River Information Service, oder die Einführung der Nutzungspflicht des automatischen Schiffsidentifikationssystems AIS generieren mittlerweile erhebliche Datenmengen. In erster Linie dienen sie zwar der Sicherheit und Erleichterung des Schiffsverkehrs, können aber auch zur Verbesserung der Interoperabilität und Effizienz des gesamten Verkehrssystems Wasserstraße herangezogen werden. Die zugrundeliegenden Daten können die Effizienz von Logistikketten verbessern und die Verwaltung des Schiffsverkehrs deutlich erleichtern. Daten fallen hierbei nicht nur auf den Schiffen und in den Häfen, bei Logistikpartnern und bei der Passage von Schleusen an, sie fließen vor allem auch bei der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, WSV, zusammen. Mit der Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes erlauben und regeln wir die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung dieser Daten durch die bundeseigene Verwaltung. Dabei gehen wir über die rein statistische Auswertung hinaus und schaffen unter anderem auch die Voraussetzungen für ein optimiertes Verkehrs-, Unfall-, Schleusen- und Liegeplatzmanagement. Die Effizienz unserer Infrastruktur wird dadurch erheblich aufgewertet. Ein wichtiger und ernsthaft diskutierter Punkt war das Ausmaß der Weitergabe dieser Daten, deren Auswertung und Verwendung durch Dritte in der Logistikkette, wie zum Beispiel an die Hafenbetreiber. Als Teil der Lösung haben wir die Datenweitergabe mit strikten Regeln, Speicherfristen und Löschpflichten sowie mit einem angemessenen Sanktionierungsmechanismus bei Missbrauch versehen. Das dient insbesondere dem Schutz personenbezogener Daten, die aus den Datenströmen abgeleitet werden können. Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzentwurf der Bundesregierung mit Änderungen zu, wird aber insbesondere diesen Bereich zum Schutz persönlicher Daten intensiv begleiten und auch zukünftig aufmerksam beobachten. Herbert Behrens (DIE LINKE): Wie auf hoher See werden auch in der Binnenschifffahrt größere und schnellere Schiffe eingesetzt. Das stellt erhöhte Anforderungen an die Wasserstraßen. Niedrigwasser, Hochwasser oder Eisgang führen gerade für größere Schiffe zu erheblichen Einschränkungen der Schiffsauslastung und der Fahrtenplanung. Um optimal mit diesen Einschränkungen umzugehen, setzen Binnenschiffer in Europa zunehmend Telematiksysteme, die in die sogenannte River Information Systems, RIS, europaweit harmonisiert wurden, ein. Zudem wird mit der nach dem vorliegenden Gesetzentwurf verpflichtenden Nutzung des Automatic Identification System, AIS, die Verkehrssicherheit verbessert. Über das AIS vermitteln Schiffe unter anderem Position, Kurs und Geschwindigkeit sowie weitere Daten an andere Schiffe und an die Schifffahrtsbehörden. Dies dient vor allem der Vermeidung von Kollisionen. So weit, so gut. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass mit der Änderung des Binnenschifffahrtsaufgabengesetztes eine Rechtsgrundlage für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zum Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten zur Optimierung und Sicherung der Schifffahrt geschaffen wird. Doch ein Aspekt der Gesetzesänderung ist sehr kritisch zu sehen. Denn die Änderung schreibt auch eine „vermehrte Automatisierung von Schifffahrtsanlagen“ vor und schafft dafür einen weiteren rechtlichen Rahmen. Das Ziel dabei ist, und ich zitiere, „den Betrieb der Schifffahrtsanlagen wirtschaftlicher zu gestalten“. Und „wirtschaftlicher“ heißt auch in diesem Fall: mit weniger Personal. Der Schleusenwärter vor Ort soll von einem Kollegen, der aus weiter Ferne bis zu zehn Schleusen gleichzeitig von einer Leitzentrale heraus bedient, ersetzt werden. Da zeigt sich der neoliberale Geist der WSV-Reform in der Urfassung von Peter Ramsauer. Die Automatisierung der Schleusen ist bereits in vollem Gange. Die Schleusen der Mittelweser, die Mindener Schleusen und die Schleusen am Stichkanal Osnabrück werden künftig von einer Fernbedienzentrale in Minden aus bedient und überwacht. Die Schleusen Petershagen und Schlüsselburg wurden bereits im März 2004 an die Fernbedienzentrale angeschlossen. Seit 2005 werden die Schleusen Landesbergen und Drakenburg ferngesteuert. Die Anbindung der Schleuse Langwedel ist im September 2010 erfolgt. 2015 hat Staatssekretär Ferlemann angekündigt, dass alle Schleusen an der Oberen Havel-Wasserstraße automatisiert werden. Auch am Main, Donau und Main-Donau-Kanal sind 52 Schleusen längst automatisiert und werden aus einer Entfernung von bis zu 120 Kilometern gesteuert. Das Ganze findet nicht in einem luftleeren Raum statt. Die Kollegen der WSV sind schon Jahrzehnte dauerhaftem Personalabbau ausgesetzt. Seit 1993 wurde jede dritte Stelle bei der WSV abgebaut. Ausscheidende Kolleginnen und Kollegen wurden nicht ersetzt. Auszubildende wurden nach ihrem Abschluss nicht übernommen. Nur unter dem Druck der Belegschaften ist es im Jahr 2013 gelungen, den weiteren Personalabbau, der bereits an den Kern der Verwaltung ging, zu beenden, um die krassesten Folgen der Kahlschlagpläne abzuwehren. Die Schleusenautomatisierung führt zu langsameren Schleusungen, was auf häufiger befahrenen Wasserstraßen leicht zu Staus führen kann. Nach Angaben der WSV verlängert sich ein Schleusenvorgang sogar nach Ablaufoptimierung um drei bis vier Minuten gegenüber einer Schleusung mit Bediener. Der bis 2015 amtierende Leiter des WSA Eberswalde Heymann bestätigte dies gegenüber dem „Nordkurier“: „Es ist einfach so, dass ein Wärter die Boote sprichwörtlich besser stapeln kann.“ In dem Artikel vom 18. August 2014 bemängelte Heymann den Personalabbau, der verhindert, dass Schleusen durchgängig mit Wärtern betrieben werden, und fügt hinzu: „Das ist letztlich von der Politik so gewollt.“ Auch was die Sicherheit angeht, führt die Schleusenautomatisierung zu Problemen. Wenn eine Schleusung schiefgeht, müssen die Leitzentralen erstmal Rettungskräfte, die nicht für den Umgang mit Schiffen ausgebildet sind, zur Hilfe rufen. So blieb an der Schleuse Lehmen im Mai 2016 ein Sportboot mit dem Heck auf dem Betondrempel unterhalb des Oberwassertores hängen, während das Wasser abgesenkt wurde. Weil kein Schleusenwärter vor Ort war, der den Unfall hätte verhindern können, mussten 40 Feuerwehrleute aus Lehmen, Brodenbach und Kobern-Gondorf zur Rettung anrücken. Genau diese Schieflage wollen Sie, Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, zum neuen Standard machen. Die Digitalisierung darf nicht für die verfehlte Sparpolitik von Union, SPD und Grünen auf Kosten der Beschäftigten und der Sicherheit auf den Wasserstraßen missbraucht werden. Deswegen können ich und die Fraktion Die Linke dem vorliegenden Änderungsentwurf sowie dem Änderungsantrag nicht zustimmen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung soll eine Rechtsgrundlage für die Bundesverwaltung geschaffen werden, auch sogenannte AIS-Daten der Binnenschiffe zu nutzen. Dies ist sinnvoll und begrüßen wir. Denn dadurch wird eine bessere Bewältigung des Verkehrs möglich, aber auch eine bessere Steuerung oder sogar Optimierung des Verkehrs auf Binnenwasserstraßen. Die Erfassung der automatisch gesendeten Daten auch durch die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung, WSV, ist längst nötig geworden in einer Zeit, in der zunehmend Informationen digitalisiert übermittelt werden. Dem Gesetzentwurf werden wir daher zustimmen. Dazu sollen aber meiner Auffassung nach zukünftig auch Schiffsdokumente in der Binnenschifffahrt zählen. In der Seeschifffahrt hat teilweise der Prozess schon in Richtung digitalisierte Schiffs-, Besatzungs-, Fracht- oder Zollpapiere begonnen – Stichwort European Single Maritime Window. Dieser Prozess muss sich auch in der grenzüberschreitenden Binnenschifffahrt durchsetzen. Das würde die Nutzung des Binnenschiffs enorm vereinfachen und Verwaltungsprozesse beschleunigen. Bringen Sie also die WSV als Dienstleister für die Binnenschifffahrt auf Vordermann, und modernisieren Sie bei dieser Gelegenheit auch die Verwaltungsprozesse. Es wird ja viel gesprochen von Verwaltungsvereinfachung und -modernisierung. Wo bleibt in diesem Zusammenhang die im Koalitionsvertrag angekündigte Zusammenführung der Schifffahrtsgesetze zu einem Schifffahrtsgesetzbuch? Die vielen verstreuten Gesetze und Verordnungen, die oft zu deutlich ins Detail gehen, lassen die Beteiligten schnell verzweifeln. Ich empfehle daher: Nehmen Sie von der unvorteilhaften Regelungstiefe in Gesetzen und Verordnungen Abstand. Regeln Sie stattdessen die Details auf der Ebene der technischen Vorschriften. Als Vorbild einer solchen Entwicklung nenne ich exemplarisch das Vorgehen bei der EU-Maschinenrichtlinie. Hier wurde das sehr gut und nachvollziehbar vollzogen. Führen Sie also schleunigst die bestehenden Regularien in einem Schifffahrtsgesetzbuch zusammen, und nehmen Sie tiefergehende Regelungen ausschließlich in Form von Richtlinien vor. Lassen Sie mich abschließend noch eine Frage stellen: Wann wird die Bundesregierung an der Umsetzung der WSV-Reform eigentlich weiterarbeiten? Seit Beginn der Wahlperiode wurde auf Druck der SPD die Arbeit an einer sehr wichtigen Reform fast vollständig eingestellt. Man hat in Bonn eine zusätzliche Behörde geschaffen, die aber weder richtig in Gang kommt noch Erleichterungen für die Nutzer mit sich bringt. Das eigentliche Ziel, durch eine Reform als Verwaltung besser und lösungsorientierter arbeiten zu können – und dadurch dem miserablen Zustand der Schleusen entlang der Wasserstraßen ein Ende zu setzen, wurde nicht erreicht. Bei der Binnenschifffahrt ist die Reform nicht angekommen. Sie hat weiterhin mit maroden Schleusen zu kämpfen. Sie sollten die WSV eigentlich als Dienstleister für die Wasserstraßennutzer sehen. Stattdessen pflegen Sie die kaiserlich-wilhelminische Amtsschimmelstruktur weiter. Das ist schlecht für unser Land und gegen eine ökologisch sinnvolle Verlagerung der Gütertransporte auf das Binnenschiff. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten (Tagesordnungspunkt 38) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Jedem Menschen steht es grundsätzlich selbst zu, über die eigene Gesundheit „nach eigenem Gutdünken“ – wie der Bundesgerichtshof es formuliert hat – zu entscheiden. Das ist richtig so und deshalb auch verfassungsrechtlich garantiert. Ärzte können daher Eingriffe, selbst wenn sie medizinisch angezeigt sind, grundsätzlich nicht vornehmen, ohne vorab eine Einwilligung der Patientin oder des Patienten eingeholt zu haben. Fehlt die Einwilligung, kann sich der Arzt wegen einer Körperverletzung nach dem Strafgesetzbuch strafbar machen. Bei Menschen, die psychisch krank sind oder denen aus einem anderen Grund die Einsichtsfähigkeit fehlt, ist das anders. Wenn sie nicht erkennen, dass ihre Gesundheit auf dem Spiel steht und sie sich deshalb einem ärztlichen Eingriff verweigern, können sie einer medizinischen Zwangsbehandlung unterzogen werden. Da es sich hierbei um einen erheblichen Grundrechtseingriff handelt, sind solche Zwangsmaßnahmen jedoch nach geltendem Recht nur in ganz engen Grenzen zulässig. Insbesondere muss sich die Patientin oder der Patient aufgrund eines Gerichtsbeschlusses in einer freiheitsentziehenden Unterbringung befinden. Nur dann kann der Betreuer einer solchen Maßnahme zustimmen und sie dann durch das Gericht genehmigen lassen. So sieht es das Gesetz vor. Doch was ist in den Fällen, in denen nicht einsichtsfähige Patienten nicht freiheitsentziehend untergebracht sind? Und wenn diese Unterbringung auch gar nicht nötig ist, weil er oder sie weder in der Lage noch willens ist, sich durch Flucht zu entfernen? Wenn also beispielsweise eine psychisch schwer kranke und deshalb betreute Frau querschnittsgelähmt ist und man dann bei ihr ein Herzleiden feststellt; wenn dieses Leiden dringend eine OP erfordert, die Frau sich aber vehement weigert, sich der OP zu unterziehen, was dann? Nach aktueller Rechtslage können hier tatsächlich zwangsweise keine medizinischen Behandlungen durchgeführt werden. Im schlimmsten Fall drohen also schwerwiegende gesundheitliche Schäden, wenn nicht gar der Tod. In einem ähnlich gelagerten Fall hat das Bundesverfassungsgericht im Juli des vergangenen Jahres klargestellt, dass der Staat auch in solchen Fällen einzugreifen hat. Er habe hier ebenso eine Schutzpflicht, die sich aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergibt. Mit anderen Worten: Wenn der Mensch nicht in der Lage ist, sich selbst zu schützen, dann obliegt es dem Staat, für ihn schützend einzugreifen. Die gesetzliche Lücke, die das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle offenbart hat, wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nun schließen. Der Entwurf sieht daher vor, dass die Einwilligung eines Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme künftig von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt wird. Die freiheitsentziehende Unterbringung soll nicht mehr zwingende Voraussetzung sein. Stattdessen wollen wir als Voraussetzung, dass die Maßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt wird. Damit lassen sich die Behandlungen dann auch auf offenen Stationen durchführen, eben weil die freiheitsentziehende Unterbringung gerade nicht notwendig ist, und ambulante Zwangsbehandlungen bleiben weiterhin ausgeschlossen. Im Übrigen belassen wir es in diesem Entwurf bei den strengen materiellen und verfahrensrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen. Und das muss auch so sein, denn vor dem Hintergrund des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs darf die Zwangsmaßnahme auch nach der Neuregelung wirklich nur Ultima Ratio sein, also das letzte anzuwendende Mittel. Um dies zu untermauern, wollen wir außerdem eine neue Regelung einführen, mit der klargestellt wird, dass auch bei Zwangsmaßnahmen die Vorschrift des § 1901 a BGB zu beachten ist. Demnach wird ausdrücklich vorausgesetzt, dass Betreuer und Betreuungsgerichte bei der Entscheidung „Zwangsmaßnahme oder nicht“ stets die in einer Patientenverfügung getroffenen Festlegungen berücksichtigen. Sollte eine Patientenverfügung nicht vorliegen oder die dort zum Ausdruck gebrachten Erklärungen nicht der aktuellen Behandlungssituation entsprechen, dann müssen die Behandlungswünsche und der mutmaßliche Wille des Betreuten zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden. Darüber hinaus wollen wir als Regelverpflichtung für Betreuer einführen, dass diese in geeigneten Fällen die Betreuten auf die Möglichkeiten der Patientenverfügung hinweisen und sie gegebenenfalls bei der Errichtung unterstützen. In meinem oben gebildeten Fall wäre der Betreuer also dann dazu aufgefordert, die Frau auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen, wenn sie sich gerade in einem Zustand der Einwilligungsfähigkeit befindet. Das Ziel dieser Regelungen und des Gesetzentwurfs insgesamt ist ganz klar, Zwangsbehandlungen möglichst zu vermeiden. Sie müssen das letzte Mittel bleiben. Gleichermaßen wollen wir mit diesem Gesetz das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen stärken und die Verbreitung von Patientenverfügungen fördern. Ich denke, das sind wirklich wichtige Anliegen, und ich denke, wir können sie mit diesem Gesetzentwurf umsetzen. Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Am 1. Januar 1992 trat das Betreuungsrecht in Kraft. Damals, vor inzwischen 25 Jahren, wurde aus Vormundschaft Betreuung, aus Entmündigung eine unterstützte Entscheidung des Betroffenen. Das Gesetz brachte für alle Menschen, die ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst regeln können und deshalb auf die Hilfe anderer angewiesen sind, entscheidende Verbesserungen mit sich: Es hat die Selbstbestimmung jedes Einzelnen gestärkt. Ein großer Schritt für unsere Gesellschaft. Trotzdem liegt auch heute noch ein gutes Wegstück vor uns. Das Betreuungsrecht hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt, es wurde mehrfach umfassend reformiert und modernisiert, so wie im Jahre 2013 mit dem Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme. Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung knüpft genau an diese Reform an. Mit der geplanten Änderung soll eine durch das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr festgestellte Regelungslücke geschlossen werden. Bitte stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Mensch, der beispielsweise infolge einer Altersdemenz unter rechtlicher Betreuung steht und nicht mehr fähig ist, über seine medizinische Behandlung selbst zu entscheiden, muss gegen seinen natürlichen Willen ärztlich behandelt werden. Ohne Behandlung würde ihm ein ernsthafter gesundheitlicher, lebensbedrohlicher Schaden entstehen. Bislang, nach geltender Rechtslage, dürfte dieser Mensch aber nur dann gegen seinen Willen behandelt werden, wenn er durch einen Gerichtsbeschluss in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht ist. Es gibt aber auch Situationen, und darauf basiert die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in denen eine solche freiheitsentziehende Unterbringung nicht angeordnet werden darf. Dies betrifft nach geltender Rechtslage Personen, die sich freiwillig in einer Klinik befinden oder sich krankheitsbedingt räumlich nicht entfernen können. Folglich können sie nicht ärztlich zwangsweise behandelt werden, selbst dann nicht, wenn sie lebensbedrohlich erkrankt sind. Das ist das Dilemma, das es zu beseitigen gilt. Deswegen begrüßen wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der nicht nur diese Schutzlücke schließt, sondern überdies das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten weiter stärkt. Der Entwurf sieht konkret vor, dass zukünftig eine zwangsweise medizinische Behandlung nur dann zugelassen werden kann, wenn sich der Betreute stationär in einem Krankenhaus aufhält. Der Entwurf spricht an dieser Stelle von einer „Entkopplung“ der ärztlichen Zwangsbehandlung von der freiheitsentziehenden Unterbringung. Ich gebe zu, es ist eine komplizierte Thematik. In aller Kürze lässt sich der Kerninhalt der geplanten Regelung folgendermaßen verständlich zusammenfassen: Künftig sollen ärztliche Zwangsbehandlungen nicht nur auf geschlossenen Stationen eines Krankenhauses, sondern nun auch auf offenen Stationen in einem Krankenhaus möglich sein. Ganz wichtig zu erwähnen ist, dass der Gesetzentwurf keine Ausweitung auf ambulante ärztliche Zwangsbehandlungen vorsieht. Das begrüße ich. Auch wenn ich die Argumentation vieler nachvollziehen kann, die sich für ambulante zwangsweise Behandlungen aussprechen, empfinde ich den Weg des stationären Aufenthalts im Krankenhaus als den richtigen. Denn wir dürfen hierbei Folgendes nicht außer Acht lassen: Wir bewegen uns bei dieser Thematik in einem grundgesetzlichen Spannungsverhältnis. Zwangsbehandlungen greifen mit einer sehr hohen Intensität in die Grundrechte des Betreuten ein. Sie sollten also nur als letztes Mittel angeordnet werden dürfen, wenn die drohende Gefahr besteht, dass der Patient einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleiden könnte. Ich verstehe den Einwand und die damit zusammenhängenden Bedenken, dass Betroffene, die beispielsweise in speziellen Pflegeheimen leben, aus ihrer gewohnten Umgebung „herausgerissen“ und in ein Krankenhaus verlegt werden müssen, um medizinische Hilfe zu bekommen. Mit dem Ausschluss ambulanter Zwangsbehandlungen stellen wir aber sicher, dass den Betroffenen einerseits die erforderliche medizinische Nachbehandlung zukommt und andererseits, dass ihr Wohn- und Lebensbereich nicht durch ärztliche Zwangsmaßnahmen beeinträchtigt wird. Zurückkommend auf den Anfang meiner Rede möchte ich nochmals den Meilenstein erwähnen, den wir vor 25 Jahren erreicht haben. Damals hat der Gesetzgeber das Selbstbestimmungsrecht von betreuten Personen maßgeblich gestärkt. Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf rückt die Selbstbestimmung weiter in den Vordergrund. Patientenverfügungen, Behandlungswünsche, die jemand vor der Erkrankung mit seinem freien Willen geäußert hat, und auch der mutmaßliche Wille der Betreuten sollen mehr Beachtung finden. Dies wird nun im Gesetz klargestellt. Im Sinne der Selbstbestimmung, und das ist besonders wichtig, will der Gesetzentwurf das Instrument der Patientenverfügung weiter verfestigen und damit ärztliche Zwangsbehandlungen auf das unbedingt erforderliche Maß begrenzen. Das Aufgabenfeld des rechtlichen Betreuers wird dadurch verpflichtend erweitert. Zukünftig müssen Betreuer Betroffene über die Patientenverfügung aufklären und diese auf Wunsch der Betreuten in geeigneten Fällen schriftlich fixieren. Der Gesetzentwurf weitet damit außerdem den Aufgabenbereich der Beratungsleistung der Betreuungsvereine aus. Diese Aufgabenerweiterung unterstreicht die in den letzten Jahren wahrgenommene Tendenz eines gestiegenen Arbeitsaufkommens bei den Betreuungsvereinen. Auch vor diesem Hintergrund erscheint die Anhebung der Betreuervergütung, die derzeit als paralleles Gesetzgebungsverfahren hier im Deutschen Bundestag diskutiert wird, als wichtiger Bestandteil eines funktionierenden und qualitativ hochwertigen Betreuungswesens. Der Gesetzentwurf bietet also meiner Meinung nach eine gute Grundlage für die weitere parlamentarische Debatte, in der wir insbesondere die Praktikabilität dieser Änderung prüfen werden. Dr. Matthias Bartke (SPD): Das Gesetz, über das wir heute erstmals beraten, ist das Resultat des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2016. Der Fall, der hinter diesem Beschluss steht, macht uns nachdenklich. Wann ist ein Wille nicht mehr frei? Welche Rolle kann ein Wille noch spielen, wenn der Betroffene nicht mehr einsichtsfähig ist? Im Ausgangsverfahren ging es um eine 63-jährige Frau, die psychisch schwer erkrankt war – eine Mischung aus Schizophrenie, Manie und Depression. Eine Autoimmunkrankheit führte zusätzlich zu großflächigen Hautausschlägen und massiver Muskelschwäche. Im Zuge der Behandlungen wurde dann auch noch Brustkrebs festgestellt. Die erkrankte Frau aber war gegen eine Operation wie auch gegen Bestrahlung. Ihre rechtliche Betreuerin beantragte deswegen ärztliche Zwangsmaßnahmen zur Behandlung des Brustkrebses. Es war klar: Ohne ärztliche Maßnahmen würde sich der Krebs ausbreiten und letztlich zum Tod der Patientin führen. Zwangsbehandlungen sind bei psychisch Kranken grundsätzlich möglich. Sie stehen aber zu Recht unter sehr engen Voraussetzungen. Dazu zählt, dass nur zwangsbehandelt werden darf, wer auch zwangsuntergebracht ist. Diese Zwangsunterbringung hatten die Gerichte bei der 63-Jährigen aber abgelehnt. Die Frau war nämlich so krank und schwach, dass sie nicht mehr weglaufen konnte. Damit erübrigte sich die Zwangsunterbringung und damit auch die Zwangsbehandlung. Der Fall ging durch die Instanzen und landete schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht, das sich mit der Frage befasste: Muss man Bürger vor sich selbst schützen? Im Juli letzten Jahres hat es die Antwort darauf gegeben: Unter bestimmten Umständen: Ja. Die geltende Rechtslage bestimmt Folgendes: Hilfsbedürftige Menschen, die stationär in einer nicht geschlossenen Einrichtung behandelt werden und sich nicht aus eigener Kraft fortbewegen können, dürfen notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen nicht ärztlich behandelt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen: Diese Rechtslage verstößt gegen die Schutzpflicht aus Artikel 2 Absatz 2 GG. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das Recht zur Selbstbestimmung umfasst grundsätzlich auch das Recht auf Krankheit. Der Patient kann Entscheidungen treffen, die anscheinend unvernünftig sind. Wenn ich eine lebenserhaltende Therapie ablehne und mich zum Sterben entschließe, ist das Ausdruck meiner Selbstbestimmung. Die Voraussetzung dafür ist aber mein freier Wille. Manche Betreute können keinen freien Willen mehr bilden. Wegen ihrer psychischen Erkrankung oder wegen einer seelischen oder geistigen Behinderung können sie die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung nicht erkennen, oder aber sie können nicht nach dieser Einsicht handeln. So kann eine schwere Demenz eine Person nicht verstehen lassen, dass eine Operation lebensrettend ist. Halluzinierte Befehle zur Selbsttötung können die Selbstbestimmungsfähigkeit aufheben. Eine schwere Depression kann dazu führen, dass der Erkrankte keine Entscheidung mehr treffen oder zum Ausdruck bringen kann. Es liegt ein großer Unterschied zwischen einer freien Entscheidung und einer Entscheidung, der es an Einsichtsfähigkeit fehlt. Lehne ich eine Chemotherapie ab, weil ich die Qualen der Behandlung bei unsicheren Heilungschancen nicht in Kauf nehmen will und akzeptiere ich im Gegenzug meinen Tod, oder lehne ich die Chemotherapie ab, weil mir die Behandlung qualvoll erscheint und ich nicht begreife, dass ich ohne sie auf jeden Fall an dem Krebs sterben werde? Doch auch wenn Patienten die Konsequenzen ihrer Weigerung nicht abschätzen können, so haben sie doch einen natürlichen Willen. Wegen des verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechts ist auch dieser Wille grundsätzlich zu beachten. Ein Eingriff in dieses Recht muss auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen und verhältnismäßig sein. Ein Handeln gegen den natürlichen Willen lässt sich nur rechtfertigen, wenn es anderen, gewichtigeren Rechtsgütern dient. Bereits in der letzten Legislatur hat der Bundestag ein Gesetz zur Regelung der ärztlichen Zwangsmaßnahmen beschlossen. Nach der bis dahin geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde die gesetzliche Regelung im Paragrafen zur freiheitsentziehenden Unterbringung gesehen. 2012 entschied der Bundesgerichtshof dann aber, dass diese Regelung nicht ausreichend war. Damit gab es keine Zwangsbefugnisse zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen mehr. Betroffenen drohte ein schwerwiegender gesundheitlicher Schaden oder sogar der Tod. Der Bundestag beschloss daher ein neues Gesetz, dass die bis dahin geltende Rechtslage möglichst nah abbildete. Dazu zählte, dass eine Zwangsbehandlung nur im Rahmen einer Unterbringung erfolgen kann. Wie die Unterbringung bedurfte damit auch die Zwangsbehandlung der gerichtlichen Genehmigung und unterlag denselben strengen verfahrensrechtlichen Anforderungen. Die Regelung sollte ganz bewusst nur für untergebrachte Personen gelten, um den Grundrechtseingriff möglichst zu minimieren. Auch die SPD-Fraktion hat daher diesem Gesetz zugestimmt. Tatsächlich führte diese Regelung nun aber zu der paradoxen Situation, dass Betroffene untergebracht werden müssen, damit sie zwangsbehandelt werden können. Das Bundesverfassungsgericht hat uns die Hausaufgabe mit auf den Weg gegeben, die festgestellte Schutzlücke unverzüglich zu schließen. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Der Gesetzentwurf liegt nun vor. Die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme wollen wir von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppeln. Ärztliche Zwangsmaßnahmen werden stattdessen an das Erfordernis eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus gebunden. Die materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Einwilligung bleiben ansonsten erhalten. Das Gleiche gilt auch für die strengen verfahrensrechtlichen Anforderungen. So muss die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden. Der Betreute muss einwilligungsunfähig sein. Ein in einer Patientenverfügung zum Ausdruck gebrachter oder mutmaßlicher Wille des Betreuten darf der Zwangsmaßnahme nicht entgegenstehen. Es muss – ohne Druck und mit der notwendigen Zeit – mindestens ein Überzeugungsversuch gemacht worden sein. Der drohende gesundheitliche Schaden darf durch keine andere weniger belastende Maßnahme abgewendet werden können. Außerdem muss der zu erwartende Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen. Vor allem mit dem Verweis auf die Patientenverfügung bzw. den mutmaßlichen Willen wird klargestellt, dass der Wille des Betreuten unbedingt Beachtung finden muss. Liegt eine Patientenverfügung vor, muss dieser Geltung verschafft werden. Kommt keine Patientenverfügung zum Zug, ist der Betreuer an den mutmaßlichen Willen des Betreuten gebunden. Dafür muss der Betreuer konkrete Anhaltspunkte finden: Ausschlaggebend sind frühere schriftliche oder mündliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und auch sonstige persönliche Wertvorstellungen. Bei der Suche nach dem mutmaßlichen Willen muss er auch nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen einbeziehen. Dieser Weg ist wichtig, um dem Willen des Betreuten gerecht zu werden. Er ist aber auch aufwendig und wird nie ganz sicherstellen können, wie der Betreute tatsächlich zu den ärztlichen Zwangsmaßnahmen steht. Aus diesem Grund stärken wir mit dem vorliegenden Gesetz auch die Patientenverfügung. Betreuer sind damit verpflichtet, auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und bei der Errichtung zu unterstützen. Das ist vor allem dann hilfreich, wenn der Betreute nach einer Phase der Einwilligungsunfähigkeit wieder einwilligungsfähig ist. Für den Fall einer erneuten Einwilligungsunfähigkeit kann der Betreute dann festlegen, welche Behandlungen vorzunehmen und welche zu unterlassen sind. Auch zukünftig dürfen ärztliche Zwangsmaßnahmen nur das letzte Mittel sein, das bei drohender erheblicher Selbstgefährdung in Betracht kommt. Wir gehen damit den schmalen Grat zwischen Selbstbestimmungsrecht und Schutz der Betroffenen. Ich denke, wir haben eine gute Lösung gefunden. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Wie im Gesetzentwurf der Bundesregierung zutreffend festgestellt wird, gibt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2016 Anlass zur Änderung des Betreuungsrechts. Die Koppelung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme an eine freiheitsentziehende Unterbringung führt zu der Situation, dass es Fallkonstellationen gibt, in denen außerhalb einer geschlossenen Unterbringung keine Möglichkeit besteht, einen Menschen gegen seinen Willen ärztlich zu behandeln, selbst wenn schwerste Gesundheitsschäden drohen. Infolgedessen hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, unter Berücksichtigung der Schutzpflicht des Staates, die sich aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes – „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – eine Regelung zu treffen, um diese Schutzlücke zu schließen. Dazu ist es, wie der Gesetzentwurf anführt, in der Tat erforderlich, die Einwilligung in die ärztliche Zwangsbehandlung von der freiheitsentziehenden Unterbringung abzukoppeln, wobei immer zu beachten ist, dass staatliche Eingriffe in Grundrechte nur als Ultima Ratio und so gering wie möglich erfolgen dürfen. Ob dies hier der Fall ist, müssen die Beratungen zeigen. Nach den vorgeschlagenen Regelungen sind vor einer Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Behandlung gegen den Willen des Betreuten insgesamt sieben Voraussetzungen kumulativ zu erfüllen, bevor der Betreuer zu der Einwilligung die zusätzlich erforderliche Genehmigung des Betreuungsgerichts einholen kann. Einerseits erspart die vorgeschlagene Regelung dem Betroffenen die zusätzlich belastende geschlossene Unterbringung, andererseits besteht die Gefahr, dass die vorgeschlagene Neuregelung quasi die Tür zur Akzeptanz von ambulanten Behandlungen gegen den Willen des Betroffenen werden kann. Solche Behandlungen waren und sind aber nicht gewollt. Von daher ist dies äußerst kritisch zu betrachten. Sehr schön ist, dass in dem nun vorgeschlagenen § 1906 a BGB auch als Voraussetzung gefordert wird, dass „zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen“, während in der geltenden Regelung des 1906 BGB nur von dem Versuch der Überzeugung gesprochen wird. Auf dieses dringende Erfordernis hat die Linke bereits vor mehr als vier Jahren hingewiesen. Es soll – so ergibt es sich aus dem Gesetzestext bzw. aus der Begründung – kein Erfüllungsaufwand entstehen, weder für den Staat noch für die Bürger noch für die Wirtschaft. Oder anders gesagt: Es bleibt bei den geltenden Kostenregelungen im Gesundheitswesen, wobei wir aus früheren Beratungen spätestens seit 2012 wissen, dass es Einrichtungen gibt, die offenbar auf Zwangsbehandlungen in Gänze verzichten können, eben weil sie mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Druck die Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Hilfe überzeugen. Dies kostet Zeit; es kostet Nerven, und es kostet Geld. Kosten, die, wie wir alle wissen, aufgrund der Kostenregelungen des Gesundheitssystems nicht von der Kasse in dem erforderlichen Umfang erstattet werden. Hier muss in diesem Kontext auch nachgebessert werden. Insbesondere ist die Linke der Auffassung, dass es sich bei der notfalls einzuwilligenden Zwangsbehandlung nicht um die Behandlung der Anlasserkrankung handeln darf. Denn Psychopharmaka heilen nicht; sie stellen ruhig. Die Nebenwirkungen von Psychopharmaka sind – das ist unbestritten – ganz erheblich. Aber insofern dürfte eine solche Behandlung schon an den genannten Voraussetzungen scheitern. Besser wäre es allerdings dies ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen. Keinesfalls darf suggeriert werden, dass diese Regelung, so sie denn verabschiedet werden sollte, Spielräume für ambulante Zwangsbehandlungen eröffnet. Allerdings ist, wenn die Voraussetzung der Behandlung nach dem neuen § 1906a Absatz 1 Nummer 4 BGB ernst genommen wird, eine Zwangsbehandlung so gut wie nicht mehr erforderlich. Man muss sich aber auch die Zeit für den Patienten nehmen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Gesetz zur Neuregelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Jahr 2013 scheint es – zumindest ersten veröffentlichten Zahlen zufolge – gelungen zu sein, Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Erfolg, der keinesfalls durch das Anliegen, Zwangsbehandlungen auf Personen auszuweiten, die deswegen nicht untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen können oder wollen, gefährdet werden darf. Ziel muss sein, die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Schutzlücke zu schließen, ohne dabei die Voraussetzungen für Zwangsbehandlungen im Allgemeinen auszuweiten. Das gelingt der Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf nur teilweise. Wir begrüßen, dass der Gesetzentwurf die Möglichkeit einer Zwangsbehandlung auf einen stationären Krankenhausaufenthalt beschränkt und eine ambulante Zwangsbehandlung ausgeschlossen bleibt. Menschen müssen sich zu Hause sicher fühlen können. Kritisch ist, dass mit der Gesetzesänderung Zwangsbehandlungen psychiatrischer Erkrankungen auf offenen psychiatrischen Stationen ermöglicht werden. Das kann sich nicht nur negativ auf das Klima in offenen Stationen auswirken, sondern birgt auch die Gefahr, dass psychisch erkrankte Menschen davon abgeschreckt werden, sich freiwillig in die stationäre Behandlung zu begeben. Eine ähnlich unerwünschte Ausweitung ergibt sich aus der neuen Rechtsgrundlage für eine Verbringung der betreuten Person in ein Krankenhaus, die vor allem auf Personen abzielt, die wegen einer somatischen Erkrankung in einem Krankenhaus zwangsbehandelt werden sollen. Die Regelung ermöglicht jedoch gleichermaßen, ohne ein vorgeschaltetes Unterbringungsverfahren Personen für eine Zwangsbehandlung in ein psychiatrisches Krankenhaus zu bringen. Um der unterschiedlichen Natur somatischer und psychischer Erkrankungen und Behandlungen gerecht zu werden, spricht einiges dafür, wie im Maßregelvollzugsrecht und dem Unterbringungsrecht der Länder, auch im Betreuungsrecht zwischen psychiatrischer und somatischer Zwangsbehandlung zu unterscheiden. Um den geltenden Schutz vor unverhältnismäßigen Zwangsbehandlungen weiter zu stärken, plädieren wir dafür, den Erforderlichkeitsgrundsatz im neuen § 1906a BGB zu konkretisieren, zumindest jedoch den entsprechenden Wortlaut der Regelung zur Unterbringung im § 1906 Absatz 1 BGB zu übernehmen. Auch die Vorschläge des Betreuungsgerichtstags zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts finden wir sinnvoll, wie die Klarstellung in § 1906a Absatz 1 Nummer 3 BGB, dass die Zwangsbehandlung dem früher erklärten Willen der betreuten Person entsprechen muss. Um Zwangsbehandlungen weiter zu reduzieren, ist uns wichtig, psychiatrische Krankenhäuser zu verpflichten, Patientinnen und Patienten mit wiederkehrenden Krisen eine Behandlungsvereinbarung anzubieten. So können Betroffene, wenn sie es möchten, gemeinsam mit ihrem Arzt oder Psychotherapeuten verbindlich festlegen, wie sie im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit behandelt werden möchten. Als geeignetes Instrument zur Zwangsvermeidung hat sich auch die Qualifizierung von Verfahrenspflegerinnen und -pflegern herausgestellt, vgl. Werdenfelser Weg. Hier wünschen wir uns eine gesetzliche Konkretisierung. Sinnvoll, aber nicht ausreichend ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Evaluation der Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen auf die Anwendungspraxis. Notwendig ist ein dauerhaftes Monitoring über Anzahl, Dauer und Durchführung von Zwangsbehandlungen, um Missstände in der Praxis und gesetzliche Fehlentwicklungen zu erkennen und zu korrigieren. Zwangsmaßnahmen sind schwere Eingriffe in die Grundrechte von Menschen, die, solange sie stattfinden, streng kontrolliert werden müssen. Wir sollten dieses Gesetzgebungsverfahren als Chance nutzen, um Zwang in der Psychiatrie weiter zu reduzieren und hoffen hierbei auf die Aufgeschlossenheit der Koalitionsfraktionen für Nachbesserungen. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Die Bundesregierung hat dem Bundestag den Gesetzentwurf zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vorgelegt, über den heute in erster Lesung beraten werden soll. Mit dem Entwurf wollen wir die vom Bundesverfassungsgericht am 26. Juli 2016 festgestellte Schutzlücke im Betreuungsrecht unverzüglich schließen. Aktuell sieht das Betreuungsrecht vor, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen zwar grundsätzlich möglich sind, wenn die Betroffenen aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können. Weitere zwingende Voraussetzung ist aber eine freiheitsentziehende Unterbringung. Die Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme ist also nur dann möglich, wenn die betroffene Person freiheitsentziehend untergebracht ist. Ist eine solche Unterbringung jedoch nicht erforderlich, weil sich die betroffene Person gar nicht entfernen kann oder will, so führt das dazu, dass diese auch dann nicht gegen ihren natürlichen Willen behandelt werden kann, wenn ihr ein erheblicher gesundheitlicher Schaden droht. Denn in diesen Fällen ist es nicht erlaubt, die Betroffenen geschlossen unterzubringen, weil dies nicht erforderlich ist. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass diese Rechtslage mit der Schutzpflicht des Staates für das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hilfebedürftiger Personen unvereinbar ist (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes). Wie das Bundesverfassungsgericht sind auch wir der Meinung, dass hilfebedürftige Menschen nicht alleingelassen werden dürfen und es die Aufgabe des Staates ist, ihnen wie allen Menschen die erforderliche medizinische Versorgung zu ermöglichen. Ziel des Entwurfs ist es, diese Regelungslücke in angemessener Weise unter Beachtung des Ultima-Ratio-Gebots zu schließen. Denn Zwang darf trotz allem immer nur das letzte Mittel sein. Das erreichen wir, indem wir ärztliche Zwangsmaßnahmen von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppeln. Stattdessen soll eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus möglich sein, „in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist“. Gleichzeitig wollen wir das Selbstbestimmungsrecht von Betroffenen stärken. Dazu sieht der Entwurf ausdrücklich vor, dass die Festlegungen in einer Patientenverfügung, die früher mit freiem Willen geäußerten Behandlungswünsche des Betroffenen bzw. sein mutmaßlicher Wille beachtet werden müssen. Damit wird noch deutlicher gemacht, dass der schon nach geltendem Recht zu beachtende Wille des Betreuten die maßgebliche Grundlage für die Entscheidung über die ärztliche Zwangsmaßnahme überhaupt ist. Außerdem wollen wir die Verbreitung von Patientenverfügungen und Behandlungsvereinbarungen fördern, indem wir den Betreuer verpflichten, den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und ihn auf seinen Wunsch bei deren Erstellung zu unterstützen. Wir müssen nämlich – und das ist uns ganz besonders wichtig – alles dafür tun, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen nach Möglichkeit vermieden werden. Solche Maßnahmen stellen einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen dar. Auch vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention gilt es, das Selbstbestimmungsrecht zu stärken und Eingriffe auf das unbedingt erforderliche Maß zu reduzieren. Beiden Aspekten – der staatlichen Schutzpflicht auf der einen und der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts auf der anderen Seite – wird mit dem Entwurf besser als bisher Rechnung getragen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesen Gesetzentwurf möglichst rasch beraten und noch vor dem Ende dieser Wahlperiode verabschieden. Wir wollen den Menschen, um die es geht, möglichst schnell auf einer sicheren Rechtsgrundlage helfen. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung (Tagesordnungspunkt 39) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung kaufrechtlicher Vorschriften stellen wir die rechtlichen Rahmenbedingungen für Bauverträge auf ein neues und stabiles Fundament und beseitigen die Haftungsfalle für Handwerker. Damit setzen wir zentrale Anliegen der Union aus dem Koalitionsvertrag um. Bevor ich zu den inhaltlichen Ausführungen komme, möchte ich mich beim Kollegen Kelber stellvertretend für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMJV ausdrücklich für die sehr gute Zusammenarbeit bedanken. Änderungswünsche der Koalitionsfraktionen wurden engagiert aufgegriffen und äußerst konstruktiv und ergebnisorientiert mit beeindruckend viel juristischer Fantasie umgesetzt. Ich hoffe, dass Sie es ebenso sehen wie ich, dass sich die besten Argumente durchgesetzt haben und wir heute ein gutes Gesetz beschließen werden. Weil insbesondere das Bauvertragsrecht sehr umstritten schien und Verzögerungen befürchtet wurden, sind zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens insbesondere von Handwerksseite Bedenken erhoben worden, die Verknüpfung der Änderungen im Mängelgewährleistungsrecht mit der Schaffung gesetzlicher Regelungen zum Bauvertragsrecht sei nicht sachgerecht und führe zu Verzögerungen. Deshalb möge man beide Teile des Gesetzentwurfs abtrennen und den kaufvertraglichen Teil vorab beschließen. Allerdings besteht schon im Hinblick auf den Adressatenkreis ein sachlicher Zusammenhang zwischen den Regelungsmaterien, denn es sind jeweils Werkunternehmer beteiligt. Im Ergebnis war es dann umgekehrt so, dass wir uns beim Bauvertragsrecht im Prinzip schnell einig waren. Zur Verzögerung kam es, weil der SPD-Fraktion der Gesetzentwurf des eigenen Ministers in der AGB-Frage nicht weit genug ging. Beginnen möchte ich mit der Reform des Bauvertragsrechts. Damit schaffen wir für Bauvorhaben neue Rechtsgrundlagen und damit Rechtssicherheit und Transparenz sowohl für Bauherren wie für Bauunternehmen. Reformbedarf ergibt sich insbesondere daraus, dass das Werkvertragsrecht des BGB auf den kurzfristigen punktuellen Austausch von Leistung und Gegenleistung ausgelegt ist. Die Durchführung von komplexen, auf längere Zeit angelegten Bauvorhaben kann man damit nicht sachgerecht abbilden. Nach langjährigen Diskussionen und der Vorarbeit zweier Arbeitsgruppen in den beiden vergangenen Wahlperioden wird das Bauvertragsrecht erstmals ausführlich im BGB geregelt. Für den Bauvertrag, den Verbraucherbauvertrag sowie für den Architekten- und Ingenieurvertrag werden spezielle Regelungen in das Werkvertragsrecht des BGB eingefügt. Ein Kernpunkt der Reform ist die deutliche Erhöhung des Verbraucherschutzes bei Bauverträgen, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Angesichts niedriger Zinsen ist Bauen aktuell auch für Private sehr attraktiv. Der Bau eines Eigenheims ist häufig eine Entscheidung für das ganze Leben und bedeutet für Verbraucherinnen und Verbraucher regelmäßig die größte finanzielle Belastung, die sie in ihrem Leben schultern. Deshalb sind sie besonders schutzwürdig. Bauunternehmer müssen Verbraucherbauherren deshalb künftig vorab eine detaillierte Baubeschreibung zur Verfügung stellen, die Vertragsinhalt wird. Die angebotenen Leistungen werden auf diese Weise transparent. So können Verbraucher realistisch vergleichen und sich für das qualitativ beste Angebot entscheiden. Um wirksam zu sein, muss der Verbraucherbauvertrag in Textform geschlossen werden. Damit sie die Entscheidung gründlich überdenken können, bekommen Verbraucherinnen und Verbraucher ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Durch die Begrenzung der Höhe von Abschlagszahlungen wird eine finanzielle Überforderung der Häuslebauer verhindert. Fast immer ergeben sich während der Bauausführung gegenüber den Planungen Änderungswünsche, egal ob es sich um ein privates Eigenheim oder ein Industriegebäude handelt. Bislang wird oft darüber gestritten, ob die Änderungen erforderlich sind und wer diese zu bezahlen hat. Schließlich dauert es zu lange, bis gerichtlich darüber entschieden ist. Streitigkeiten während der Bauausführung führen häufig zu Baustillständen. Das hat negative Folgen für Zeitplanung und Baukosten. Künftig wird die einvernehmliche und zügige Lösung von solchen Konflikten erleichtert. Es wird eine 30-tägige Frist für die Reaktion des Bestellers auf ein entsprechendes Nachtragsangebot des Unternehmers vorgesehen. Äußert er sich nicht, soll die Einigung als gescheitert gelten. Das ursprünglich im Entwurf vorgesehene zusätzliche Einigungsverfahren mit Sachverständigenbeteiligung vor der möglichen Inanspruchnahme einstweiligen Rechtschutzes haben wir im Sinne der angestrebten Beschleunigung aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Für den Fall, dass sich Besteller und Unternehmer nicht einigen, haben wir das grundsätzlich aus der VOB/B bekannte einseitige Anordnungsrecht des Bauherrn in das BGB-Bauvertragsrecht übernommen. Klarheit über die konkrete Anordnung wird dadurch erreicht, dass sie in Textform erfolgen muss. Natürlich ist klar, dass ein solches Anordnungsrecht einen tiefen Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellt. Dieser ist aber gerechtfertigt; denn auch der Bauunternehmer bekommt ein scharfes Schwert an die Hand: Nach dem neuen Bauvertragsrecht führt eine solche Anordnung des Bestellers unmittelbar zu einer Preisanpassung zugunsten des Bauunternehmers. Dieser kann 80 Prozent der geforderten Mehrvergütung verlangen. Damit wird seine Liquidität sichergestellt und das Insolvenzrisiko verringert. Zur Vermeidung des Missbrauchs dieser 80-Prozent-Regelung wird zum Schutz des Bestellers eine Verzinsungspflicht des Bauunternehmers eingeführt. Eine schnelle Rechtsdurchsetzung wird dadurch erreicht, dass Streitfälle aufgrund der Zuständigkeitskonzentration beim Landgericht durch mit der Materie besonders gut vertraute Richter schnell und effizient gerichtlich entschieden werden können. Spezialkammern sind deshalb sinnvoll, weil es sich um ein komplexes und schwieriges Rechtsgebiet handelt, dessen Behandlung besondere Einarbeitung, Kenntnisse und Erfahrungen erfordert. Schon der 70. Deutsche Juristentag hatte sich 2014 dafür ausgesprochen, bei den Landgerichten Spezialkammern unter anderem für Bausachen einzurichten. Die Detailprivilegierung der Vorschriften der VOB/B zum Anordnungsrecht und zur Vergütungsanpassung wurde aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Diese Regelung hätte sonst dazu geführt, dass in der Praxis regelmäßig die AGB-rechtlich privilegierten VOB/B-Bestimmungen vereinbart und so die zugunsten des Unternehmers einzuführende 80-Prozent-Abschlagszahlung auf Basis seines Angebots umgangen worden wären. Wir hätten damit unser eigenes gesetzliches Leitbild demontiert. Mit dem Erfordernis einer Schlussrechnung wird eine zusätzliche Fälligkeitsvoraussetzung eingeführt. Das hat folgenden Grund: Ein Bauvertrag ist typischerweise komplex und besteht regelmäßig aus vielen Einzelleistungen. Damit besteht generell ein Bedürfnis des Bestellers, die geltend gemachte Rechnungssumme anhand einer Aufschlüsselung der erbrachten Einzelleistungen überprüfen zu können. Die Reform des Bauvertragsrechts wird insgesamt zu einem sachgerechten Interessenausgleich und zu mehr Rechtssicherheit führen. Das ist nicht nur gut für die Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern ist auch und gerade im Interesse der Bauwirtschaft und der Architekten. Zum zweiten Teil des Gesetzes: Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, beenden wir zum 1. Januar 2018 die Haftungsfalle für Handwerker. Sie werden im Kaufrecht erstmals einen gesetzlichen Anspruch gegen den Verkäufer auf Ersatz der Aus- und Einbaukosten erhalten, wenn er ihnen mangelhaftes Material geliefert hat. Handwerker sind gegenüber ihren Kunden aufgrund des geschlossenen Werkvertrags zum Ausbau des fehlerhaften und zum Einbau des mangelfreien Baumaterials verpflichtet. Bislang mussten sie die Kosten des Aus- und Wiedereinbaus selbst tragen. Das ändern wir mit der Neuregelung, und wir verbessern damit die Rechte der Handwerker signifikant und nachhaltig. Für die Kosten des zusätzlichen erforderlichen Aus- und Wiedereinbaus werden zunächst die Verkäufer haften, die gegebenenfalls wiederum bei ihren Lieferanten Regress nehmen können, sodass letztlich derjenige die Kosten zu tragen hat, der dafür verantwortlich ist. Im Interesse des Handwerks haben wir den Anwendungsbereich des Nacherfüllungsanspruchs konkretisiert, um den Einbaufällen vergleichbare Sachverhalte abzudecken. Wir haben dabei primär die Maler und Lackierer vor Augen, die mangelhafte Farben oder Lacke nicht im Wortsinne eingebaut, sondern angebracht haben und diese abschleifen und erneut anbringen müssen. Auch sie sollen die dafür erforderlichen Kosten vom Verkäufer erstattet bekommen. Um Folgeprobleme zu vermeiden, die sich aufgrund unterschiedlicher Verträge in der Leistungskette ergäben, wird das streitanfällige sogenannte Selbstvornahmerecht des Verkäufers zugunsten eines reinen Aufwendungsersatzanspruchs gestrichen. Es gab Befürchtungen, dass die neuen gesetzlichen Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgehebelt werden könnten. Selbst unser Koalitionspartner war zunächst der Meinung, der Gesetzentwurf des eigenen SPD-Justizministers sei insoweit nicht ausreichend. Deshalb haben die Verhandlungen länger gedauert als ursprünglich geplant. Tatsächlich handelt es sich bei der AGB-Frage um eine rechtlich sehr komplexe Regelungsmaterie. Glücklicherweise konnten wir diese Irritationen im Rahmen der Berichterstattergespräche ausräumen. In der AGB-Frage hat sich die CDU/CSU-Fraktion gegenüber der SPD durchgesetzt. Das heißt, es bleibt bei dem im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehenen Klauselverbot. Wir haben uns auf eine Lösung verständigt, die Verbraucher und kleine Handwerksbetriebe schützt, aber im unternehmerischen Geschäftsverkehr eine flexible Inhaltskontrolle durch die Gerichte erlaubt, sodass die besonderen Gegebenheiten von Geschäften im B2B-Bereich berücksichtigt werden können. Mit der Indizwirkung wird Einzelfallgerechtigkeit erreicht. Vielfältige Konstellationen erfordern nun einmal die Möglichkeit flexibler Entscheidungen durch die Gerichte. Nehmen wir einmal an, der Bundestag wäre dem Vorschlag der SPD gefolgt und hätte die Verwendung dieser einen Klausel generell verboten. Dann hätte dieses Klauselverbot unmittelbar für die gesamte Wirtschaft gegolten, auch für große international tätige Unternehmen. Das wäre nicht sachgerecht. Die Regelung hätte zu einem Dammbruch geführt: Es wäre eine Debatte über die AGB-feste Ausgestaltung aller in § 308 und § 309 BGB geregelten Klauselverbote entbrannt, weil Kleinunternehmer mit dem Argument ihrer Schutzbedürftigkeit jeweils eine unmittelbare Geltung gefordert hätten. Dazu kommt, dass eine solche Regelung angesichts der Diskussion, ob das deutsche AGB-Recht im internationalen Vergleich nicht ohnehin viel zu restriktiv ist, Gift für den Rechts- und Wirtschaftsstandort Deutschland gewesen wäre. Nach eingehender Prüfung und Beratung ist der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz daher zu dem Ergebnis gekommen, dass eine solche Regelung mit Blick auf die Rechtsprechung zur Indizwirkung der Klauselverbote für den unternehmerischen Bereich nicht erforderlich ist. Die Union hat sich für die Vertragsfreiheit eingesetzt, hält aber zugleich gegenüber den Handwerkern Wort und lässt sie bei den Aus- und Einbaukosten nicht im Stich. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung steht am heutigen Tag nach langen Verhandlungen vor der Verabschiedung im Deutschen Bundestag. Mit den eingebrachten Änderungen ist uns ein sinnvoller Interessenausgleich für alle Seiten gelungen. Durch die initiale Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im kaufrechtlichen Mängelgewährleistungsrecht ergaben sich erhebliche Ungerechtigkeiten zulasten von kleinen Handwerksbetrieben. Mit diesem Gesetzentwurf wird die Kostentragungspflicht bei den Einbau- und Ausbaufällen im Rahmen der Nacherfüllung an die Hersteller der mangelhaften Baumaterialien weitergereicht. Es ist das Ziel erreicht, dass kleine Handwerksbetriebe vor existenzbedrohenden Haftungsfällen geschützt werden. Im Interesse des Handwerks konnten wir weitere Änderungen durchsetzen. Maler oder Lackierer, welche mangelhafte Farben oder Lacke verarbeiten, sehen sich ebenfalls der Pflicht zum Abschleifen und erneuten Anbringen der Farben oder Lacke ausgesetzt. Solche Sachverhalte erscheinen mit den Einbau- und Ausbaufällen vergleichbar, sodass wir den Anwendungsbereich des Nacherfüllungsanspruchs konkretisieren. Das Klauselverbot bei der Nacherfüllung bleibt jedoch auf Allgemeine Geschäftsbedingungen beschränkt, die gegenüber einem Verbraucher verwendet werden. Im Ergebnis sind die kleinen Handwerksbetriebe weiterhin geschützt. In der Rechtsprechung wird einem Klauselverbot gegenüber Verbrauchern eine Indizwirkung für den unternehmerischen Bereich zugeschrieben. Ein Ausschluss oder die Einschränkung der Haftung des Baustoffhändlers für Nacherfüllungsaufwendungen durch AGB werden nach den allgemeinen Regeln der Inhaltskontrolle unwirksam sein. Der zweite Teil dieser umfassenden Gesetzesänderungen betrifft den Bauvertrag und den Verbraucherbauvertrag, welche eine Regelung als eigenständige Vertragstypen im Bürgerlichen Gesetzbuch erfahren. Bei langwierigen Bauvorhaben ergeben sich oftmals Veränderungen zum ursprünglich geschlossenen Vertrag, welche eine Anpassung des Vergütungsanspruchs erfordern. Bei Streitigkeiten über die Höhe der Vergütung für zusätzliche Leistungen wird ein Anspruch auf Abschlagszahlung in Höhe von 80 Prozent der im Angebot festgesetzten Vergütung geschaffen. Die genaue Berechnung der Mehrvergütung bleibt weiterhin der Schlussrechnung vorbehalten. Mit der vorläufigen Pauschalierung möchten wir jedoch das Insolvenzrisiko von Bauunternehmen verringern, da diese selbst für Materialien in Vorleistung gehen müssen. Durch eine nachträgliche Änderung des Gesetzentwurfs verpflichten wir die Unternehmen jedoch, keine überhöhten Forderungen bei der Mehrvergütung zu stellen. Überzahlungen sind mit einer Verzinsung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs von bis zu 9 Prozent zurückzugewähren. Einem möglichen Missbrauch der Unternehmer wird damit entgegengetreten. Als weitere Änderung konnte die AGB-rechtliche Privilegierung der VOB/B wieder aus dem Gesetzentwurf gestrichen werden. Es sind keine zwingenden Gründe ersichtlich, dass die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB bei der Berechnung der Vergütungsanpassung keine Anwendung finden soll. Einem Rosinenpicken der günstigsten Bedingungen verhandlungsstarker Besteller möchten wir keine gesetzliche Grundlage schaffen. Mit den exemplarisch aufgezeigten Änderungen in diesem umfassenden Gesetzesvorhaben möchte ich verdeutlichen, dass uns sinnvolle Regelungen mit Blick auf alle Interessen gelungen sind. Es ist nun abzuwarten, ob sich die Verbesserungen auch in der Praxis niederschlagen werden. Ich kann jedenfalls mit gutem Gewissen um Zustimmung zu diesem Gesetz bitten. Dr. Johannes Fechner (SPD): Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf zum neuen Bauvertragsrecht und den wichtigen Änderungen im Kaufrecht schließen wir ein Gesetzgebungsvorhaben ab, bei dem viele intensiv mitgearbeitet hatten – zum Teil über Jahre. Zu danken gilt es deshalb allen Beteiligten. Hierzu gehören die Mitglieder der Expertenkommission zum Bauvertragsrecht, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Justizministerium und alle Verbände, die sich durchweg konstruktiv an der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes beteiligt haben. In Deutschland gibt es rund 600 000 Handwerksunternehmen, die über 500 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften und in denen über 5 Millionen Personen beschäftigt sind. Für die SPD war deshalb klar, dass wir das Handwerk, unsere Wirtschaftsmacht von nebenan, unterstützen. Und das wollen wir nicht nur in Sonntagsreden tun, sondern mit diesem Gesetzentwurf erleichtern wir den Handwerkern in Deutschland das Geschäft. Zukünftig kann ein Handwerker grundsätzlich von seinem Baustofflieferanten, der ihm mangelhaftes Material geliefert hat und das er bei seinem Kunden eingebaut hat, nicht nur neues Material, sondern auch die Ersetzung der Ein- und Ausbaukosten verlangen. Erfasst sind jetzt auch Fälle, bei denen mangelhaftes Material angebracht und nicht nur eingebaut wurde. Verwendet also etwa ein Maler mangelhafte Farbe, kann er die Kosten der Neulackierung von seinem Lieferanten verlangen. Wichtig ist auch, dass in einem solchen Fall der Handwerker entscheiden kann, wer den Schaden repariert. Ihm und seinem Kunden bleibt also die Situation erspart, dass der Baustofflieferant und damit ein dem Kunden völlig Unbekannter die Reparatur vornimmt. In einem Punkt hat sich die SPD nicht durchgesetzt. Dies war bekanntlich der Grund, warum wir für diesen Gesetzentwurf so lange gebraucht haben. Wir hätten gerne die Haftung des Baustofflieferanten für Ein- und Ausbaukosten bei Materialfehlern AGB-fest geregelt. Leider wollten dies unsere Kolleginnen und Kollegen von der Union aus Rücksicht auf die Interessen des Handels nicht. Es mag sein, dass es Argumente gibt für die Annahme, die Rechtsprechung werde solche AGB-Ausschlüsse schon für unwirksam erklären. Aber wenn das genau unser Ziel ist, wenn wir also verhindern wollen, dass Handwerker in langwierigen, aufwendigen, teuren Prozessen für ihre ordentlich erbrachte Arbeit ihrem Geld hinterherlaufen müssen, dann hätten wir das auch gleich ins Gesetz so hineinschreiben können. Immerhin konnten wir eine verbindliche Evaluierung festschreiben, die ausdrücklich untersuchen wird, wie die Praxis das AGB-Klauselverbot handhabt. Einen großen Fortschritt gibt es im Bauvertragsrecht für Bauherren, aber auch für Bauunternehmen. Ausdrücklich haben Bauherren nun auch nach Vertragsabschluss einen Rechtsanspruch auf Änderungen des Bauwerks. Eigentlich gilt ja der Grundsatz „pacta sunt servanda“, aber da man gerade eine Immobilie in der Regel ein Leben lang nutzt, muss es möglich sein, wenn während der Bauausführung ein neuer Wunsch entsteht, diesen auch umsetzen zu können. Hierfür haben wir klare Regeln geschaffen. Dem neuen Anordnungsrecht des Bauherrn steht der Anspruch des Bauunternehmers gegenüber, dieses nur ausführen zu müssen, wenn eine angemessene Vergütung hierfür bezahlt wird und wenn der Bauunternehmer auch in der Lage ist, die angeordnete Änderung auszuführen. Durch klare Regelungen zur Ausübung des Anordnungsrechtes und zur Berechnung der angemessenen Mehrvergütung für den Bauunternehmer verhindern wir zudem Rechtsstreitigkeiten und damit einhergehende Bauverzögerungen. Handwerker, Bauherren und Bauunternehmen erhalten durch dieses Gesetz mehr Rechtssicherheit. Wir schaffen mehr Rechte für Verbraucher, Handwerker und Bauunternehmen. Stimmen wir also diesem intensiv beratenen und ausgewogenen Gesetz zu. Sabine Poschmann (SPD): Als Handwerksbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion begrüße ich, dass es uns mit dem vorliegenden Bauvertragsrecht und im Speziellen mit den Regelungen zur kaufrechtlichen Mängelgewährleistung gelungen ist, ein zentrales Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Mit der vorliegenden Regelung bleiben nun – wie zwischen Union und SPD vereinbart – „Unternehmer nicht pauschal auf den Folgekosten von Produktmängeln sitzen“. Dennoch hätte sich meine Fraktion gewünscht, dass wir dieses Versprechen an die Handwerksunternehmen ohne Hintertüren für den Handel umgesetzt hätten. Denn ohne die von uns geforderte AGB-feste Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts bleibt es dem Handel weiterhin möglich, die Übernahme der Einbau- und Ausbaukosten zu verweigern. Ein entsprechender Passus in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen genügt. Da ist es auch nur wenig tröstlich, dass die Handwerker gegen entsprechende Klauseln rechtlich vorgehen können. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Malermeister in einen langwierigen und kostspieligen Rechtsstreit mit einer Baumarktkette begibt, ist äußerst gering. Meine Fraktion hat frühzeitig auf diese Lücke im Gesetzentwurf hingewiesen. Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme deutlich gemacht, dass man durch die Ausweitung des entsprechenden Klauselverbotes auf Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmern Rechtssicherheit für die Handwerksunternehmen hätte herstellen können. Ich bedauere sehr, dass sich unser Koalitionspartner dieser Auffassung nicht angeschlossen hat und unserem Vorschlag für eine AGB-feste Ausgestaltung nicht gefolgt ist. Umso wichtiger ist es, dass der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz die im Gesetzestext festgeschriebene Evaluierung der Regelungen konkretisiert hat. Wir legen Wert darauf, dass hierbei die Auswirkungen des Gesetzes auf die unternehmerische Praxis genau unter die Lupe genommen werden. Sollte es hier Fehlentwicklungen geben, die das Handwerk benachteiligen, müssen wir nachbessern. Nur dann werden wir dem Versprechen an die vielen kleinen Handwerksunternehmen in unserem Land gerecht, dass sie nicht länger für unverschuldete Folgekosten aufkommen müssen. Karin Binder (DIE LINKE): Fast zehn Jahre haben die Bundesregierung und Koalition gebraucht, um endlich eine Reform des Vertragsrechts vorzulegen und die Verbraucherinnen und Verbraucher besser zu schützen. Knapp ein Jahr brauchte der Bundestag, um nach der Anhörung den Gesetzentwurf endlich zu verabschieden. Damit hat sie über Jahre hinweg Menschen, die sich ihr eigenes Zuhause finanzieren, im Regen stehen lassen. Bei anderen Gesetzesvorhaben, die ihr wichtig sind, ist die Koalition schneller. Das ist unverantwortlich. Der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern ist beim Bau eines Eigenheims besonders wichtig. Die Realität ist, dass 97 Prozent der Bauverträge Mängel aufweisen. Die privaten Haus- und Wohnungsbesitzer sind aber Verbraucherinnen und Verbraucher, denen die Kompetenz fehlt, um das einschätzen zu können. Für die meisten ist der Bau die größte Investition ihres Lebens. 20 bis 30 Jahre geht ein Großteil ihres Einkommens in die Finanzierung der Wohnimmobilie. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bauvertragsrecht hat Licht und Schatten. Er schlägt wichtige Verbesserungen vor, hat aber auch Mängel und benachteiligt Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber den Bauunternehmen und Banken, die den Bau finanzieren. Zu begrüßen ist, dass Bauunternehmer gegenüber privaten Bauherren zu einer Baubeschreibung verpflichtet werden und dass es verbindliche Vereinbarungen zur Bauzeit und ein zweiwöchiges Widerrufsrecht geben soll. Außerdem sollen Obergrenzen für die Abschlagszahlungen eingeführt werden. Die Bauunternehmen werden auch verpflichtet, die Bauunterlagen herauszugeben – was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Zudem soll auch dem Bauunternehmer künftig der Aufwand für den Austausch fehlerhafter Produkte von den Herstellern erstattet werden. Das erleichtert die gute Bauausführung. All das schafft mehr Klarheit für Verbraucherinnen und Verbraucher. Doch die generelle Benachteiligung privater Bauherren gegenüber den Unternehmen wird nicht ausgeglichen. Für Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben erhebliche Nachteile bestehen, wenn sie bauen oder sanieren wollen: So ist völlig unzureichend beschrieben, was eigentlich ein Verbrauchervertrag ist. Regelungen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher sollen an einem bestehenden Gebäude nur bei erheblichen Umbaumaßnahmen greifen. Viele Bauleistungen sind damit überhaupt nicht erfasst. Übliche Einzelleistungen, wie der Rohbau eines Hauses oder der Einbau von Fenstern und Türen, werden nicht in das neue Gesetzeswerk einbezogen. Das wird dazu führen, dass Unternehmer die Bauvorhaben in zahlreiche Einzelverträge aufteilen, um sich vor gerechtfertigten Ansprüchen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu drücken. Eine solche erhebliche Verhinderung von Verbraucherschutz ist für die Linke nicht hinnehmbar. Außerdem ist es in der Baubranche üblich, Kasse zu machen, bevor gebaut wird. Es muss doch endlich unterbunden werden, dass Unternehmen von Verbraucherinnen und Verbrauchern hohe Abschlags- und Sicherheitszahlungen verlangen, ohne dass eine Fertigstellungsgarantie gegeben wird. Wir sagen: Die Höhe der Sicherheitsleistung muss bei 20 Prozent gedeckelt werden. Häufig werden Verbraucherinnen und Verbraucher vertraglich genötigt, vor der Schlüsselübergabe 100 Prozent des Vergütungsanspruchs an die Werkunternehmer auszuzahlen. Das macht es aber erheblich schwerer, später berechtigte Mängelansprüche durchzusetzen. Wir sagen: Ein Bauvertragsrecht, das Verbraucherschutz ernst nimmt, muss sicherstellen, dass erst gezahlt wird, wenn die Leistung ordnungsgemäß erbracht wurde. Bauherren müssen zuerst die Möglichkeit haben, mit Expertinnen und Experten ihrer Wahl den Bau in Ruhe abzunehmen. Dringend erforderlich ist außerdem ein gesetzlich geregeltes Kündigungsrecht der Verbraucherinnen und Verbraucher bei Insolvenz des Bauunternehmens. Bei einer Insolvenz erhöhen sich die finanziellen und zeitlichen Risiken für die Eigenheimbauer erheblich. Leider zeigt sich auch bei dem Gesetzentwurf zum Bauvertragsrecht, dass es sich die Bundesregierung zur Aufgabe macht, Unternehmen vor Verbrauchern zu schützen, anstatt den Verbraucherschutz zu stärken. Den Gesetzentwurf lehnen wir daher ab. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieses Gesetz war jetzt zwar auch eine Weile in der Versenkung verschwunden, aber am Ende muss ich positiv vermerken, dass die Zeit offenbar sinnvoll genutzt worden ist. Es ist ja leider eher selten in dieser Legislatur, dass die Erkenntnisse aus Anhörungen tatsächlich noch berücksichtigt und eingearbeitet werden. Hier ist es jedenfalls mal tatsächlich so gelaufen, und das verdient auch das Lob der Opposition. Zunächst zur kaufrechtlichen Mängelhaftung: Handwerker, die vom Hersteller mit fehlerhafter Ware beliefert wurden, sollen künftig auch für die Kosten für den Ein- und Ausbau der Waren beim Kunden entschädigt werden. Zwei Probleme wurden im Verfahren erkannt und behoben. Auch Handwerker, die ihre Ware nicht direkt einbauen, sondern verarbeiten, wie beispielsweise die Maler ihre Farbe, sollen von der Neuregelung erfasst werden. Das ist zu begrüßen. Außerdem sollte der Lieferant im Ursprungsentwurf ein Wahlrecht haben, ob er dem Handwerker den Schaden ersetzt oder die Arbeiten selbst vornimmt. Dabei wäre es für den eigentlichen Kunden zu der befremdlichen Lage gekommen, dass er plötzlich ein anderes als das von ihm beauftragte Unternehmen in sein Haus lassen müsste. Dieses Wahlrecht ist nunmehr zu Recht gestrichen worden. Mit diesen Verbesserungen wurde den Interessen der Beteiligten angemessen Rechnung getragen. Nicht ganz so schlank und eindeutig sind die Neuregelungen zum Bauvertragsrecht geworden. Unstreitig sind da zunächst mal die Verbesserungen für die Verbraucher, also die klassischen „Häuslebauer“. Hier werden endlich Pflichten zur Baubeschreibung und zu Vereinbarungen über eine verbindliche Bauzeit eingefügt, die für mehr Klarheit und Rechtssicherheit sorgen. Ob die Verbraucher allerdings mit ihrem neuen Widerrufsrecht bei Bauverträgen glücklich werden, wage ich zu bezweifeln. Läuft alles nach Plan, wird der Verbraucher ordnungsgemäß darüber belehrt, dass er fristgerecht widerrufen kann, aber die bis dahin angefallenen Kosten tragen muss. Ist der Verbraucher nicht ordnungsgemäß belehrt worden, läuft die Widerrufsfrist nicht ab, und er kann noch ein ganzes Jahr lang widerrufen, wobei dann bereits erheblich Summen verbaut sein können. In diesem Fall ist es unangemessen, wenn das Gesetz trotz fehlerhafter Belehrung eine verschuldensunabhängige einseitige Kostentragung festlegt. Ein solches Widerrufsrecht ist für den Verbraucher letztlich gefährlicher als gar kein Widerrufsrecht. Problematisch ist ebenfalls, dass die Ausnahme von der Pflicht zur Stellung einer Bauhandwerkersicherung nicht mehr für Verbraucher schlechthin, sondern nur noch für Verbraucherbauverträge im Sinne des § 650h BGB gilt. Das ist eine unnötige Schlechterstellung der Verbraucher gegenüber heute. Nicht nur für Verbraucher, sondern für alle Auftraggeber soll es künftig ein Anordnungsrecht für Änderungen am Bau geben. Das Baurecht soll damit flexibler werden. Dem Änderungswunsch des Bestellers steht aber logischerweise ein Anspruch auf Vergütungsanpassung des Unternehmers gegenüber. Die Ermittlung der Höhe dieses Anspruchs ist leider extrem kompliziert. Zunächst soll der Unternehmer ein Angebot über die Mehrvergütung abgeben und sich darüber mit dem Bauherrn einigen. Wenn innerhalb von 30 Tagen keine Einigung erzielt wird, kann der Bauherr entweder seinen Änderungswunsch zurücknehmen, oder der Unternehmer kann 80 Prozent der Summe aus seinem Angebotsvorschlag als Abschlagszahlung geltend machen. Dem Besteller bleibt als Alternative nur, die Höhe der Vergütungsanpassung durch eine einstweilige Verfügung vor Gericht klären zu lassen. Immerhin haben Sie das zusätzliche Sachverständigengutachten wieder gestrichen, das noch vor einer gerichtlichen Verfügung hätte eingeholt werden sollen. Das ganze Verfahren ist ohnehin schon so kompliziert, dass es für private Verbraucher eher nicht handhabbar sein dürfte. Da ist es mehr als gerecht, dass Sie die ursprüngliche Bevorzugung der öffentlichen Hand als Bauherr wieder gestrichen haben. Im Regierungsentwurf war noch vorgesehen, dass im Bereich der öffentlichen Aufträge der Rückgriff auf Einzelteile der VOB/B möglich sein sollte. So hätten sich verhandlungsstarke Unternehmer die besten Regelungen herauspicken können und zum Beispiel die Abschlagszahlung von 80 Prozent umgehen können. Das wäre eine ungerechtfertigte Besserstellung gewesen. Ob das neue Anordnungsrecht trotz seiner komplizierten Regelung den Praxistest bestehen wird, bleibt abzuwarten. In einem so streitanfälligen Bereich wie dem Baurecht wird es mit Sicherheit nicht lange dauern, bis wir die erste Gerichtsentscheidung dazu evaluieren können. Damit die Gerichte dazu auch gute und schnelle Entscheidungen treffen können, ist die Einrichtung von Spezialkammern an den Zivilgerichten sicherlich hilfreich. In ihrem Änderungsantrag haben Sie dies jetzt im Gerichtsverfassungsgesetz verbindlich vorgeschrieben – leider ohne Beteiligung derjenigen, die diese Vorgaben in der Praxis umzusetzen haben, den Ländern. Ihr Hinweis, es handele sich nicht um ein Zustimmungsgesetz, ist vorsichtig ausgedrückt nicht gerade diplomatisch. Trotz der genannten Kritikpunkte sehe ich das berechtigte Bedürfnis nach Neuregelungen im Bauvertragsrecht und bei der kaufrechtlichen Mängelhaftung. Daher stimmen wir dem Gesetz zu. Eine gründliche Evaluation halte ich allerdings für unumgänglich. Das vollständige Plenarprotokoll erscheint im Laufe des 13. März 2017. 1)  Ergebnis Seite 22097 C 2)  Ergebnis Seite 22121 C 3)  Ergebnis Seite 22123 D 4)  Ergebnis Seite 22126 D 5)  Anlage 2 6)  Anlage 3 7)  Anlage 4 8)  Anlage 5 9)  Anlage 6 10)  Anlage 7 11)  Anlage 8 12)  Anlage 9 13)  Anlage 10 14)  Anlage 11 15)  Anlage 12 16)  Anlage 13 17)  Anlage 14 18)  Anlage 15 19)  Anlage 16 20)  Anlage 17 21)  Anlage 18 22)  Anlage 19 23)  Anlage 20 24)  Anlage 21 25)  Anlage 22 26)  Anlage 23 27)  Anlage 24 28)  Anlage 25 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 221. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 221. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 9. März 2017 III Plenarprotokoll 18/221