Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 228. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 22839 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 41 c 22840 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen 22840 A Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Innovation und Forschung als Wettbewerbsvorteil der deutschen maritimen Wirtschaft Drucksache 18/11725 22840 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Maritime Agenda 2025: Für die Zukunft des maritimen Wirtschaftsstandorts Deutschland Drucksache 18/10911 22840 C c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fünfter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/11150 22840 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Digitalisierung als Ausweg aus der Schifffahrtskrise nutzen Drucksache 18/11742 22841 A Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi 22841 A Herbert Behrens (DIE LINKE) 22842 B Rüdiger Kruse (CDU/CSU) 22843 D Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22845 C Peter Stein (CDU/CSU) 22847 C Johann Saathoff (SPD) 22848 D Herbert Behrens (DIE LINKE) 22849 D Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) 22850 C Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD) 22852 A Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) 22853 A Tagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz) Drucksachen 18/10935, 18/11420, 18/11472 Nr. 1.5, 18/11774 22854 B Antje Tillmann (CDU/CSU) 22854 B Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 22855 B Manfred Zöllmer (SPD) 22856 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22857 B Matthias Hauer (CDU/CSU) 22858 C Dr. Johannes Fechner (SPD) 22859 C Alexander Radwan (CDU/CSU) 22860 B Sarah Ryglewski (SPD) 22861 C Tagesordnungspunkt 5: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) Drucksachen 18/11287, 18/11769 22862 C Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI 22862 D Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) 22863 C Dr. André Hahn (DIE LINKE) 22864 B Annette Sawade (SPD) 22865 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22866 D Michael Donth (CDU/CSU) 22867 D Kirsten Lühmann (SPD) 22868 D Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) 22869 D Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Investitionsstau auflösen – Zukunft des ÖPNV sichern – Jetzt die Weichen für den öffentlichen Verkehr von morgen stellen Drucksache 18/10747 22871 B b) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Britta Haßelmann, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fairen Wettbewerb und kommunale Gestaltungsmöglichkeiten im Nahverkehr sicherstellen Drucksache 18/10978 22871 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22871 C Michael Donth (CDU/CSU) 22872 C Sabine Leidig (DIE LINKE) 22873 D Sören Bartol (SPD) 22874 D Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 22875 D Kerstin Kassner (DIE LINKE) 22877 B Sebastian Hartmann (SPD) 22878 A Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 22878 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22880 B Ulrich Lange (CDU/CSU) 22881 C Birgit Kömpel (SPD) 22882 C Arnold Vaatz (CDU/CSU) 22883 C Tagesordnungspunkt 40: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Verankerung eines Verfahrens zur Überprüfung von Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland) Drucksache 18/8277 22885 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Intelligente Verkehrssysteme Gesetzes Drucksache 18/11494 22885 A c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stiftung Drucksache 18/11507 22885 B d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. März 2014 über die Ausstellung mehrsprachiger, codierter Auszüge und Bescheinigungen aus Personenstandsregistern Drucksache 18/11510 22885 B e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors Drucksache 18/11556 22885 C f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – 2. PStRÄndG) Drucksache 18/11612 22885 C g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung Drucksache 18/11613 22885 C h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksache 18/11615 22885 D i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Regelungen über Funkanlagen und zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen Drucksache 18/11625 22885 D j) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Neustart für eine friedliche und gerechte Europäische Union Drucksache 18/11723 22886 A k) Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tierversuche beenden Drucksache 18/11724 22886 A l) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin Drucksache 18/3566 22886 A m) Beratung der Unterrichtung durch den Deutschen Ethikrat: Stellungnahme des Deutschen Ethikrates: Hirntod und Entscheidung zur Organspende Drucksache 18/4256 22886 B n) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zweiter Bericht der Bundesregierung über den Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin Drucksache 18/7269 22886 B o) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dritter Bericht der Bundesregierung über den Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin Drucksache 18/10854 22886 C Tagesordnungspunkt 41: a)   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BDBOS-Gesetzes Drucksache 18/11139, 18/11660 22886 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11664 22886 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2016/424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG (Seilbahndurchführungsgesetz – SeilbDG) Drucksachen 18/11258, 18/11702 22887 A d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. August 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksachen 18/11557, 18/11766 22887 B e) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Agentur für Flugsicherheit über den Sitz der Europäischen Agentur für Flugsicherheit Drucksachen 18/11558, 18/11768 22887 C f) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Tabea Rößner, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Telekomanteile veräußern – In Breitbandausbau investieren Drucksachen 18/9799, 18/11209 22887 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Biodiversität schützen – Taxonomische Forschung ausbauen Drucksachen 18/10971, 18/11700 22888 A h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Sechste Verordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/11293, 18/11472 Nr. 2.2, 18/11772 22888 A i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Bewirtschaftung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV) Drucksachen 18/11294, 18/11472 Nr. 2.3, 18/11773 22888 B j)–o) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 422, 423, 424, 425, 426 und 427 zu Petitionen Drucksachen 18/11629, 18/11630, 18/11631, 18/11632, 18/11633, 18/11634 22888 C Zusatztagesordnungspunkt 2: a)–e) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 428, 429, 430, 431 und 432 zu Petitionen Drucksachen 18/11751, 18/11752, 18/11753, 18/11754, 18/11755 22889 A Tagesordnungspunkt 7: Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der „Kulturstiftung des Bundes“ Drucksache 18/11728 22889 C Tagesordnungspunkt 8: Vereinbarte Debatte: zur Mitteilung des Vereinigten Königreichs über seine Absicht, aus der Europäischen Union auszutreten Sigmar Gabriel, Bundesminister AA 22889 D Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 22892 C Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) 22893 C Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22895 C Detlef Seif (CDU/CSU) 22897 C Alexander Ulrich (DIE LINKE) 22899 A Axel Schäfer (Bochum) (SPD) 22900 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) 22901 A Dr. Jens Zimmermann (SPD) 22902 B Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 22903 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 22904 B Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) Drucksache 18/11628 22905 C Sigmar Gabriel, Bundesminister AA 22905 C Heike Hänsel (DIE LINKE) 22906 B Jan van Aken (DIE LINKE) 22908 B Henning Otte (CDU/CSU) 22909 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22910 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 22911 D Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 22913 A Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Drucksachen 18/11300, 18/11534, 18/11683 Nr. 10, 18/11776 22914 A Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI 22914 A Herbert Behrens (DIE LINKE) 22915 C Kirsten Lühmann (SPD) 22916 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22917 C Steffen Bilger (CDU/CSU) 22918 C Andreas Rimkus (SPD) 22919 C Ulrich Lange (CDU/CSU) 22920 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Soziale Durchlässigkeit bei Zugang und Zulassung zu Hochschulen durchsetzen Drucksache 18/11418 22922 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) 22922 A Tankred Schipanski (CDU/CSU) 22923 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22925 C Dr. Daniela De Ridder (SPD) 22927 A Katrin Albsteiger (CDU/CSU) 22928 B Oliver Kaczmarek (SPD) 22930 A Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen Drucksachen 18/11133, 18/11727, 18/11733 22931 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frauen verdienen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit Drucksachen 18/4321, 18/6550, 18/11727, 18/11733 22931 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frauen gerecht entlohnen und sicher beschäftigen Drucksachen 18/847, 18/11641 22931 D Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 22931 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 22933 C Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) 22934 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22936 A Dr. Carola Reimann (SPD) 22937 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) 22938 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) 22939 C Namentliche Abstimmungen 22940 D, 22940 D Ergebnisse 22941 C, 22944 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Südsudan – Hungersnot abwenden, Völkermord verhindern Drucksache 18/11732 (neu) 22947 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22947 B Michael Brand (CDU/CSU) 22948 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22949 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) 22950 C Gabriela Heinrich (SPD) 22951 D Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) 22952 D Christoph Strässer (SPD) 22954 A Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 22955 A Tagesordnungspunkt 14: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia Drucksachen 18/11273, 18/11673 22956 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11674 22956 B Jürgen Coße (SPD) 22956 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 22957 C Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) 22958 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22959 D Dr. Mathias Edwin Höschel (CDU/CSU) 22960 D Namentliche Abstimmung 22961 D Ergebnis 22963 C Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gerechte Krankenkassenbeiträge für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gerechte Krankenkassenbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte Drucksachen 18/9711, 18/9712, 18/11771 22962 A Reiner Meier (CDU/CSU) 22962 B Harald Weinberg (DIE LINKE) 22965 B Heike Baehrens (SPD) 22966 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22967 C Maria Michalk (CDU/CSU) 22968 C Dirk Heidenblut (SPD) 22969 C Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts Drucksachen 18/8963, 18/11782 22970 C Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ 22970 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) 22971 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) 22972 C Jörn Wunderlich (DIE LINKE) 22973 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22974 C Gülistan Yüksel (SPD) 22975 C Bettina Hornhues (CDU/CSU) 22976 B Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nutzungsrechte digitaler Güter für Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern Drucksache 18/11416 22977 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Transparenz und Klarheit bei Buchungs- und Vergleichsportalen schaffen Drucksachen 18/10043, 18/11471 22977 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22977 C Kathrin Rösel (CDU/CSU) 22978 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 22980 B Petra Rode-Bosse (SPD) 22981 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 22981 D Dirk Heidenblut (SPD) 22983 B Tagesordnungspunkt 18: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing (Carsharinggesetz – CsgG) Drucksachen 18/11285, 18/11770 22984 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Intelligente Mobilität fördern – Rechtssichere Regelung zur Ausweisung von Carsharing-Stationen schaffen Drucksachen 18/7652, 18/11770 22984 B Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI 22984 C Herbert Behrens (DIE LINKE) 22985 B Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 22986 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22987 B Steffen Bilger (CDU/CSU) 22988 A Arno Klare (SPD) 22989 B Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entkriminalisierung von Drogenkonsumierenden Drucksache 18/11610 22990 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktionen DIE LINKE sowie der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen Drucksachen 18/1613, 18/10445 22990 C Frank Tempel (DIE LINKE) 22990 D Emmi Zeulner (CDU/CSU) 22991 C Frank Tempel (DIE LINKE) 22992 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 22993 C Burkhard Blienert (SPD) 22994 D Tino Sorge (CDU/CSU) 22996 A Frank Tempel (DIE LINKE) 22997 A Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der haushaltsnahen Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Abfällen Drucksachen 18/11274, 18/11781 22999 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wertstoffgesetz jetzt vorlegen Drucksachen 18/4648, 18/9693 22999 B Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB 22999 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) 23000 C Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) 23001 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23002 C Michael Thews (SPD) 23003 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) 23004 C Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Potsdam), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Beteiligung des Bundes am Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam Drucksachen 18/10061, 18/11642 23006 B Tagesordnungspunkt 22: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) Drucksachen 18/10936, 18/11290, 18/11472 Nr. 1.4, 18/11775 23006 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Delegierte Verordnung der Kommission zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Anwendung von Positionslimits für Warenderivate K(2016)4362 endg.; Ratsdok. 15163/16 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kommissionsvorschlag zurückweisen Drucksachen 18/11173, 18/11775 23006 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum Schutz von Verbraucherinteressen stärken Drucksachen 18/8609, 18/9734 23006 D Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Artikel 10-Gesetzes und weiterer Gesetze mit Befugnis für die Nachrichtendienste des Bundes zu Beschränkungen von Artikel 10 des Grundgesetzes (G 10-Aufhebungsgesetz – G 10-AufhG) Drucksache 18/5453 23007 C Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage: Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Absatz 3 des ERP-Verwaltungsgesetzes Drucksachen 18/10825, 18/11779 23007 D Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Willy-Brandt-Korps für eine solidarische humanitäre Hilfe Drucksachen 18/8390, 18/8649 23008 A Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Neufassung) KOM(2016) 861 endg.; Ratsdok. 15135/16 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Neufassung) KOM(2016) 863 endg.; Ratsdok. 15149/16 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) Drucksachen 18/11229 A.16 und A.17, 18/11777 (neu) 23008 B Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/10937, 18/11289, 18/11472 Nr. 1.3, 18/11706 23008 C Tagesordnungspunkt 28: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Gesetzes zur Regelung von Sekundierungen im Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprävention Drucksachen 18/11134, 18/11672 23008 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine aktive zivile Friedenspolitik Drucksachen 18/11166, 18/11670 23009 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zivile Krisenprävention und Friedensförderung stärken – Neue Lösungsansätze erarbeiten und umsetzen Drucksachen 18/11174, 18/11669 23009 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Group of Friends“ für Konfliktprävention im Rahmen der Vereinten Nationen Drucksachen 18/11175, 18/11668 23009 B Zusatztagesordnungspunkt 4: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) Drucksachen 18/9949, 18/11778 23009 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11790 23009 D Tagesordnungspunkt 29: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksachen 18/11276, 18/11659 23010 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sicherheit hat Vorrang – Ohne Stand von Wissenschaft und Technik keine Inbetriebnahme von Schacht Konrad Drucksachen 18/6773, 18/11690 23010 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 23010 B Hubertus Zdebel (DIE LINKE) 23011 C Steffen Kanitz (CDU/CSU) 23012 B Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23014 C Hiltrud Lotze (SPD) 23015 C Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren für die elektronische Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr über das Zentrale Meldeportal des Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes Drucksachen 18/11292, 18/11703 23016 C Tagesordnungspunkt 31: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung Drucksachen 18/11288, 18/11666 23016 D Tagesordnungspunkt 32: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland Drucksachen 18/11280, 18/11665 23017 A Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes Drucksache 18/11627 23017 C Nächste Sitzung 23017 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 23019 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) (Tagesordnungspunkt 5) 23019 D Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen (Tagesordnungspunkt 12 a) 23020 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) 23020 B Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/CSU) 23020 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Potsdam), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Beteiligung des Bundes am Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam (Tagesordnungspunkt 21) 23021 A Rüdiger Kruse (CDU/CSU) 23021 B Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) 23021 D Johannes Kahrs (SPD) 23022 B Hiltrud Lotze (SPD) 23023 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) 23023 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23024 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Delegierte Verordnung der Kommission zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Anwendung von Positionslimits für Warenderivate K(2016)4362 endg.; Ratsdok. 15163/16 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kommissionsvorschlag zurückweisen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum Schutz von Verbraucherinteressen stärken (Tagesordnungspunkt 22 a bis c) 23025 A Matthias Hauer (CDU/CSU) 23025 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 23026 C Christian Petry (SPD) 23027 A Sarah Ryglewski (SPD) 23027 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 23028 B Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23029 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Artikel 10-Gesetzes und weiterer Gesetze mit Befugnis für die Nachrichtendienste des Bundes zu Beschränkungen von Artikel 10 des Grundgesetzes (G 10-Aufhebungsgesetz – G 10-AufhG) (Tagesordnungspunkt 23) 23030 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 23030 B Clemens Binninger (CDU/CSU) 23031 C Uli Grötsch (SPD) 23032 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 23033 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23034 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Absatz 3 des ERP-Verwaltungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 24) 23034 D Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) 23035 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) 23035 D Andrea Wicklein (SPD) 23037 A Thomas Nord (DIE LINKE) 23038 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23039 A Dirk Wiese, Parl. Staatssekretär BMWi 23040 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Willy-Brandt-Korps für eine solidarische humanitäre Hilfe (Tagesordnungspunkt 25) 23040 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) 23041 A Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 23042 B Inge Höger (DIE LINKE) 23043 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23044 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Neufassung) KOM(2016) 861 endg.; Ratsdok. 15135/16 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Neufassung) KOM(2016) 863 endg.; Ratsdok. 15149/16 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) (Tagesordnungspunkt 26) 23044 D Thomas Bareiß (CDU/CSU) 23045 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 23045 D Johann Saathoff (SPD) 23046 D Dr. Nina Scheer (SPD) 23047 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 23048 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23049 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 27) 23050 C Karl Holmeier (CDU/CSU) 23050 C Gero Storjohann (CDU/CSU) 23051 B Stefan Zierke (SPD) 23052 C Thomas Lutze (DIE LINKE) 23053 D Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23054 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Gesetzes zur Regelung von Sekundierungen im Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprävention – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine aktive zivile Friedenspolitik – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zivile Krisenprävention und Friedensförderung stärken – Neue Lösungsansätze erarbeiten und umsetzen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Group of Friends“ für Konfliktprävention im Rahmen der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 28 a bis d) 23055 A Thorsten Frei (CDU/CSU) 23055 B Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (SPD) 23057 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) 23058 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23058 D Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 4) 23059 B Helmut Nowak (CDU/CSU) 23059 C Andrea Wicklein (SPD) 23060 D Michael Schlecht (DIE LINKE) 23062 A Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23062 C Dirk Wiese, Parl. Staatssekretär BMWi 23064 A Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren für die elektronische Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr über das Zentrale Meldeportal des Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 30) 23064 C Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) 23064 C Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD) 23065 B Herbert Behrens (DIE LINKE) 23065 D Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23066 C Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur 23067 A Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung (Tagesordnungspunkt 31) 23067 D Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) 23067 D Martin Burkert (SPD) 23068 B Sabine Leidig (DIE LINKE) 23069 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23069 C Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: 23070 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland (Tagesordnungspunkt 32) 23071 A Dr. Mathias Edwin Höschel (CDU/CSU) 23071 B Karin Strenz (CDU/CSU) 23071 D Matthias Ilgen (SPD) 23072 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 23073 B Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23074 A Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (Tagesordnungspunkt 33) 23074 C Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) 23074 D Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 23075 C Marcus Held (SPD) 23076 A Susanna Karawanskij (DIE LINKE) 23076 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23077 C 228. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017 Beginn: 9.03 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich zur Plenarsitzung. Den anwesenden Gästen und den Fernsehzuschauern möchte ich zum Ausräumen von Irritationen mitteilen, dass die Sitzung nicht deswegen ein bisschen später beginnt, weil die Kolleginnen und Kollegen nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen wären, sondern, weil vorhergehende Fraktionssitzungen, die auch mit Beratungsbedarf verbunden sind, ein bisschen länger gedauert haben, sodass wir nicht ganz pünktlich anfangen konnten. (Christine Lambrecht [SPD]: Man muss Prioritäten setzen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bei der Union natürlich nicht! Ihr von der SPD seid wieder schuld!) Dafür haben Sie hoffentlich Verständnis. Es gibt wieder einmal ein paar Änderungen in der vorgesehenen Tagesordnung, auf die sich die Fraktionen verständigt haben. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass das in der Zusatzpunkteliste jeweils aufgeführt ist: ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Digitalisierung als Ausweg aus der Schifffahrtskrise nutzen Drucksache 18/11742 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 41) a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 428 zu Petitionen Drucksache 18/11751 b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 429 zu Petitionen Drucksache 18/11752 c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 430 zu Petitionen Drucksache 18/11753 d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 431 zu Petitionen Drucksache 18/11754 e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 432 zu Petitionen Drucksache 18/11755 ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wertstoffgesetz jetzt vorlegen Drucksachen 18/4648, 18/9693 ZP 4   – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) Drucksache 18/9949 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/11778 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11790 Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Nach dem Tagesordnungspunkt 28 soll der Entwurf eines Zweiten Bürokratieentlastungsgesetzes mit einer Debattenzeit von 25 Minuten abschließend beraten werden. Der ohne Debatte vorgesehene Tagesordnungspunkt 41 c – hier geht es um die abschließende Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst – wird abgesetzt. Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 9. März 2017 (221. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss), dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) und dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung Drucksache 18/11241 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Der am 9. März 2017 (221. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) Drucksache 18/11325 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Änderungen einverstanden sind. – Das ist der Fall. Dann können wir so verfahren. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie den Zusatzpunkt 1 auf: 3.   a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Innovation und Forschung als Wettbewerbsvorteil der deutschen maritimen Wirtschaft Drucksache 18/11725 b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Maritime Agenda 2025 Für die Zukunft des maritimen Wirtschaftsstandorts Deutschland Drucksache 18/10911 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/11150 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dieter Janecek, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Digitalisierung als Ausweg aus der Schifffahrtskrise nutzen Drucksache 18/11742 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Uwe Beckmeyer das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang dieser Legislaturperiode haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass wir in diesen vier Jahren die maritime Wirtschaft stärken und Deutschland zu einem maritimen Hightechstandort ausbauen wollen; (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und?) denn diese Branche – ich glaube, da sind wir uns einig – ist eine Schlüssel- und Zukunftsbranche der deutschen Wirtschaft. Sie vereint Hochtechnologie mit erheblichem Innovationspotenzial. Forschung, Entwicklung und Innovation sind dabei unsere Schwerpunkte; denn wir haben – und das ist gut so – einen sehr innovativen Mittelstand. Deshalb hat sich diese Bundesregierung für diese Legislaturperiode ein sehr ambitioniertes Programm vorgenommen – und wir haben viel erreicht. Erstens. Schiffbau und Meerestechnik sind integraler Bestandteil der Hightech-Strategie der Bundesregierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit den maritimen Technologieförderprogrammen setzen wir wichtige Anreize, damit die Unternehmen noch mehr in Forschung und Entwicklung investieren; denn wir wollen, dass die maritime Wirtschaft ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhält und ausbaut. Deshalb haben wir seitens der Bundesregierung und seitens des Parlaments für Innovationen an deutschen Werften sehr viel Geld in die Hand genommen. Es sind alleine 35 Millionen Euro pro Jahr aus Bundesmitteln. Hinzu kommen die Komplementärmittel der Länder. Weiterhin wenden wir für Forschung und Entwicklung jährlich rund 32 Millionen Euro auf, ebenfalls mehrere Millionen Euro pro Jahr für die maritime Sicherheit. Wenn man sich das anschaut und auf die Legislaturperiode hochrechnet, kommt man alleine auf Bundesmittel von gut 280 bis 290 Millionen Euro, die hier eingesetzt werden. Wenn man die Landesmittel und noch die Investitionskraft der einzelnen Unternehmen hinzunimmt, dann ist das ein x-Faches. Das zeigt: Wir haben es mit einer sehr potenten Industrie zu tun, und wir tun seitens des Bundes und der Länder vieles, um diese Innovationsfähigkeit noch stärker herauszubilden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Die Bundesregierung bietet exportorientierten Industrien verlässliche Unterstützung durch Hermesdeckung und Investitionsgarantien. Bis Ende 2016 hat der Bund für den Export deutscher Schiffe ein Entschädigungsrisiko von rund 29 Milliarden Euro abgesichert. Ich will das an dieser Stelle deutlich unterstreichen. Drittens. Wir helfen unserem Mittelstand bei der Erschließung von Auslandsmärkten. Unterschätzen Sie das nicht. Wir tun das durch Geschäftsanbahnungsreisen und durch Auslandsmessen. Wir sind dort Gott sei Dank international mit den Unternehmen sehr aktiv. Viertens. Wir haben im Rahmen der Energiewende die Novelle des EEG sowie auch das Windenergie-auf-See-Gesetz hier im Hause verabschiedet. Wir haben damit einen verlässlichen Ausbaupfad festgelegt. Die maritime Energiewende ist zudem ein wesentlicher Baustein auch unserer Industriepolitik. Weniger Schadstoffemissionen, mehr Energieeffizienz, das sind wesentliche Ziele auch für die Schifffahrt. Im Februar hat das Bundeswirtschaftsministerium daher die Förderinitiative „Energiewende im Verkehr“ gestartet. In unserem maritimen Forschungsprogramm ist Green Shipping zukünftig eines von vier oberzentralen Querschnittsthemen. Sie sehen: Wir setzen auf konsequente Technologieförderung, aber auch auf passgenaue Lösungen. Das gilt auch für neue Themen, deren Behandlung wir hier im Parlament verabredet haben und die sinnvollerweise so gestaltet werden, dass keine Einzelinteressen bedient werden, dass keine Doppelförderung entsteht, dass ein kluges Konzept und kein Wettlauf von Finanzierungswünschen dabei herauskommt. Ich spreche vom Deutschen Maritimen Zentrum. Als Koordinator für die maritime Wirtschaft setze ich mich gleichermaßen für die Schifffahrt wie für die Interessen der See- und Binnenschifffahrt, aber auch der See- und Binnenhäfen ein. Prioritäres Ziel hier ist und bleibt die Sicherung des Schifffahrtstandortes selbst. Mit den Kollegen aus dem Bundesverkehrsministerium haben wir deshalb ein Maßnahmenpaket verabredet, das sich sehen lassen kann: Die Anhebung des Lohnsteuereinbehaltes auf 100 Prozent – wir haben uns darüber unterhalten –, die vollständige Erstattung der Lohnnebenkosten, die Weiterführung der Zuschüsse zu den Ausbildungsplatzkosten, die Anpassung der Schiffsbesetzungsordnung, die Befreiung von Schiffserlöspools von der Versicherungsteuer – der Strauß ist riesengroß. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Die Reeder können zufrieden sein!) Nun müssen aber auch die Reeder ihren Beitrag leisten. Wir werden uns diese Entwicklung sehr genau anschauen und vor allen Dingen auch evaluieren. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Häfen gilt es zu stärken. Wir haben hierzu das Nationale Hafenkonzept, wir fördern intelligente Hafentechnologien. Das Letzte, was ich ansprechen möchte, ist die Maritime Agenda 2025. Hier haben wir zum ersten Mal eine ressortübergreifende Strategie für die Branche vorgelegt. Sie definiert klare Handlungsfelder: mit Blick auf die steigenden Anforderungen des Klima- und Umweltschutzes und in Bezug auf die Sicherheit im Seeverkehr, die schärferen Wettbewerbsbedingungen auf globalen Märkten, die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung von Produktions- und Logistikprozessen sowie Produkten und Dienstleistungen. Die maritime Wirtschaft ist in vielen Bereichen Vorreiter des digitalen Wandels. Aber die Transformation läuft rasant. Insofern ist die Digitalisierung Schwerpunkt der 10. Nationalen Maritimen Konferenz nächsten Dienstag in Hamburg. Wir müssen und wollen die maritime Branche hier weiter voranbringen. Deshalb, so ist meine Hoffnung, haben wir alle ins Boot geholt, auch um mit Bund, Ländern, Verbänden und Gewerkschaften eine gemeinsame Erklärung zu verabschieden. Denn: Wer rastet, der rostet. Das gilt nicht nur für Schiffe. (Beifall bei der SPD) Es freut mich daher, dass sich viele von uns bei der 10. Nationalen Maritimen Konferenz in Hamburg wiedersehen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Herbert Behrens für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Anzahl der Seiten des maritimen Berichts, aber auch des Antrags der Koalition stehen in einem krassen Missverhältnis zu dem, was wir uns heute als maritime Bilanz vornehmen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!) Wir haben gesehen, dass unendlich viele Millionen Euro in die maritime Wirtschaft geflossen sind. Wenn wir uns das Ergebnis anschauen, dann stellen wir fest: Es ist mehr als dürftig. Das können wir so nicht hinnehmen. Da müssen wir dringend eine Änderung vornehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Unendlich viele Millionen?) Es geht doch um die Arbeitsplätze der Beschäftigten bei den Werften, bei den Entwicklungsbüros, in den Häfen und auf den Schiffen selbst. Die Kolleginnen und Kollegen wollen doch wissen, wie ihre Zukunft aussieht, was geplant ist, wohin sich dieser Wirtschaftszweig entwickeln soll. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Richtung Planwirtschaft nicht!) 400 000 Arbeitsplätze in dieser Branche – direkt oder indirekt – sollen es sein. Der Kollege Beckmeyer hat ja dargestellt, dass es sich in Teilen um eine Schlüsselbranche handelt, wenn es beispielsweise um neue Technologien geht. Wir wollen, dass in der maritimen Wirtschaft in Zukunft Tarifverträge noch eine Rolle spielen, dass in den Unternehmen ordentliche Arbeitsverhältnisse bestehen und dass kein Wettbewerb um soziales Dumping vorherrscht. (Beifall bei der LINKEN) Das ist das Ziel einer gerechten und guten Hafen- und maritimen Politik. Darum haben die Gewerkschaften Verdi und IG Metall direkt zu diesem Anlass ein sehr gutes Papier verfasst. Sie haben konkrete Vorschläge gemacht – auf sehr viel weniger Seiten, aber dafür mit viel mehr Substanz. Damit kann man etwas anfangen. Sie geben ganz klar die Richtung vor und sagen, worum es gehen muss. Die Linksfraktion begrüßt diese Initiative der Gewerkschaften ausdrücklich. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Die Kolleginnen und Kollegen haben sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie mit der digitalen Zukunft der Arbeitsplätze umgehen wollen. Sie haben darauf hingewiesen, dass in der Hafenwirtschaft in absehbarer Zeit sehr viel mehr Automatisierung passieren wird als in den vergangenen Jahren. Sie haben aber auch darauf hingewiesen, was das Ergebnis dieser Automatisierung ist: Es ist nicht nur die Entlastung auf manch belastendem Arbeitsplatz; es ist auch die Zunahme von Arbeitsintensität, es ist auch eine Zunahme von Hektik, Stress und möglicherweise Gesundheitsgefahren. Sie haben weiter darauf hingewiesen, wie die Erträge dieser Automatisierung verteilt werden. Ich zitiere: Bei Produktivitätssteigerungen durch Automatisierung muss der sich hieraus ergebende Gewinn gerecht verteilt werden, damit Arbeitsplätze abgesichert werden. – So die Gewerkschaften. (Beifall bei der LINKEN) Das ist der richtige Weg. Mehr Produktivität muss dazu führen, dass es zu Arbeitszeitverkürzungen kommt. Für diese Art der sozialen Gerechtigkeit ist die Linke immer zu haben. (Beifall bei der LINKEN) Solche Instrumente findet man in den hier vorgelegten Papieren nicht. Da stehen ausschließlich die auf Kapitalinteressen, auf Markt- und Wettbewerbsinteressen ausgerichteten Forderungen; die Zahlen haben wir vom Kollegen Beckmeyer genannt bekommen. Natürlich lebt niemand vom Zusetzen – das ist uns allen klar; das ist banal –, aber trotzdem müssen wir anerkennen, dass die menschliche Arbeitskraft der Stoff ist, aus dem Wertschöpfung entsteht. Darum kommt es darauf an, dass wir diesen Teil sehr viel stärker gewichten, als das in den Papieren der Fall ist, die uns hier heute vorgelegt werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung wird der Frage von Ausbildung und Beschäftigung nicht im Mindesten gerecht. Ein Satz wie „Deutschland hat die Arbeits- und Lebensbedingungen der Seeleute umfassend und modern geregelt“ ist angesichts der Zukunftsperspektiven der Arbeitsplätze auf See wirklich mehr ein Hohn als eine vernünftige Beschreibung der Situation. Das können wir so nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN) Es muss doch ein Alarmsignal sein, auch für die Bundesregierung, dass mit den zig Millionen, die zur Förderung in diesen Bereich gegangen sind, keine Wende passiert ist, beispielsweise bei den unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen, dass es zu keiner Wende bei den Arbeitsplätzen geführt hat, dass es zu keiner Wende bei den Ausbildungsplätzen geführt hat. Alles das, was hier schon vorgetragen worden ist – der Lohnsteuereinbehalt, der das Ergebnis hat, dass die Reeder die Lohnsteuer nicht mehr an den Staat abführen müssen, wie es bei jedem normalen Unternehmen der Fall ist; Zahlung von Ausbildungszuschüssen; Übernahme von Lohnnebenkosten –, alle diese Millionen, die dort hineingegangen sind, sind seitens der Reeder mit nichts goutiert worden. Der Niedergang der deutschen Seeschifffahrt ist nicht aufgehalten, sondern geht weiter voran. (Johann Saathoff [SPD]: Da klatscht keiner!) Die Antwort der Bundesregierung darauf enthält ganz merkwürdige Formulierungen: Es geht darum, dass man den Dialog fördern will, die Bedeutung globaler Entwicklung unterstreichen will, die Kommission aktiv begleiten will, Forschung und Entwicklung verzahnen will, den passgenauen Zuschnitt bestehender Förderprogramme weiter stärken will usw. usf. Diese wortreiche Untätigkeit der Bundesregierung muss dringend ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN) Den Unternehmern geht es offenbar blendend. 1995 – so die Zahlen des VDR, des Verbands Deutscher Reeder – lag der Umsatz bei 5 Milliarden Euro, im Jahr 2015 bei 24 Milliarden Euro. All das, was seitens der Bundesregierung in den letzten Jahren und Jahrzehnten auf den Weg gebracht worden ist, nämlich das Pampern der Seeschifffahrt, hat nicht dazu geführt, dass etwas bei denen angekommen ist, die dort ihren Arbeitsplatz finden und auf dieser Beschäftigung ihre Zukunft aufbauen wollen. Das muss jetzt ein Ende haben. Die Nationale Maritime Konferenz in Hamburg kann ein Zeichen dafür sein, was die Perspektive sein muss. (Beifall bei der LINKEN) Ich schlage vor, das Motto der Nationalen Maritimen Konferenz zu verändern und zu formulieren: Die Profiteure zahlen! Das ist die Zukunft der maritimen Wirtschaft in Deutschland. (Beifall bei der LINKEN) Die Situation auf den deutschen Werften ist weiterhin dramatisch. Die Zahl der Beschäftigten ist in den letzten Jahren von 22 000 auf 18 000 gesunken. Es wird immer schwieriger, qualifiziertes Personal zu finden, weil sich keiner mehr traut, zu sagen: Ich gehe in diese Branche, weil sie mir eine Zukunft verspricht, weil sie mich und meine Familie in den kommenden Jahren finanzieren kann. – Eine Zukunftsperspektive gibt es in der Seeschifffahrt nicht, und das muss dringend verändert werden. Die Lösungen, die die Bundesregierung dazu vorschlägt, sind: einheitliche Regulierungsmaßnahmen, mehr globaler Wettbewerb, mehr Abkommen auf der Grundlage der WTO und anderer bilateraler Handelsabkommen. Da ist einmal wieder ganz klar sichtbar: Es geht um Freihandel, es geht nicht um fairen Handel, und das kann doch nicht die Perspektive sein für eine vernünftige maritime Wirtschaft, wie wir sie wollen. (Beifall bei der LINKEN) Nach dem Lesen des maritimen Berichts und des langen Antrags mit 78 Punkten, der hier von der Regierungskoalition eingebracht wird, habe ich den Eindruck, dass dies ein notdürftiges Zusammenschreiben von Worthülsen ist. Es ist substanzlos, was dort vorgelegt wird, und das macht noch einmal deutlich, dass die Große Koalition inhaltlich offenbar am Ende ist. Ich denke, dazu gehört auch, dass dieser Großen Koalition auch fühlbar ein Ende gesetzt wird. Mit dieser Bundesregierung wird die maritime Wirtschaft auf jeden Fall keine gute Zukunft haben. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Rüdiger Kruse ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Rüdiger Kruse (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Behrens, es gibt historische Irrtümer, die man gern wiederholt. Deswegen muss man dann auch die richtigen Antworten wiederholen: Umsatz ist nicht Gewinn. Es kann Ihnen mit 5 Milliarden Euro Umsatz tierisch gut gehen, und mit 24 Milliarden Euro Umsatz können Sie große Probleme haben. Wir haben viel getan, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Schifffahrt wiederherzustellen. Wir haben nie behauptet, dass wir damit die internationale Schifffahrtskrise beenden; aber wir stellen uns so auf, dass wir zukunftsfähig sind. Nehmen Sie einen anderen Sektor: die Werften. Ich komme aus dem Norden, wo wir seit langer Zeit die Werftenkrise haben. Wenn Sie international schauen, wie sich dieser Bereich entwickelt hat, dann sehen Sie, dass Europa – und damit schwerpunktmäßig Deutschland – im Werftensektor wesentlich besser dran ist als der gesamte Rest der Welt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Das liegt daran, dass wir nicht gesagt haben: „Oh, wunderbare Zeiten, die sind wunderschön, die müssen wir unbedingt erhalten“, dass wir nicht gesagt haben: Containerschiffe sind gefälligst in Deutschland zu bauen, und wenn das nicht geschieht, dann akzeptieren wir das nicht. – Dieser Sektor hat sich, auch mit der Hilfe des Parlaments, in den letzten Jahren umgestellt auf Innovation, und er hat auf das gesetzt, was wir am besten können, nämlich Avantgarde sein. Wir sind in diesem Sektor nicht allein unterwegs. Im Zehnpunkteplan – man muss es durchaus ernst nehmen, wenn die Chinesen etwas machen – ist eines der Segmente, in denen sie Weltspitze werden wollen, der Hightechschiffbau, nicht der normale Schiffbau. Der Bereich der Massenware ist längst entschieden. Es geht um den Hightechschiffbau, das, was wir machen. Nun kann man sagen: Na ja, was wollt ihr denn? Wenn man ein Kreuzfahrtschiff bauen will, dann macht man das in Deutschland. – Man versuchte das einmal in Japan. Das wurde für die Firma zu einem hohen Verlust. Das macht jetzt kein Mensch mehr. Es ist aber nicht gesagt, dass sich diese Entwicklung für die nächsten zehn Jahre fortschreiben lässt. Das heißt, hier müssen wir wachsam sein. Deswegen investieren wir in diesen Bereich eine gewisse Summe, gar nicht mal so furchtbar viel. Sie haben gesagt: „Der maritime Bereich ist ein wichtiges Thema“, und Herr Beckmeyer hat ein neues Wort geprägt – mal sehen, ob es sich durchsetzt –: „oberzentral“. Natürlich bin ich auch davon überzeugt, dass dieses Thema ganz wichtig ist. Aber selbst die heutige Tagesordnung weist viele andere, ebenfalls wichtige Themen auf. Vielleicht kann man das einordnen und fragen: Gibt es eigentlich einen Bewertungsmaßstab, den man für alle Themen anwenden kann? Die Debatte etwa, die morgen zur gleichen Zeit laufen wird, gilt dem Thema Nachhaltigkeit. Deklinieren wir doch einmal den maritimen Bereich anhand der Nachhaltigkeit durch. Sie hat bekanntermaßen die drei etablierten Säulen Wirtschaft, Umwelt und Soziales. Nach meiner persönlichen Meinung bedarf es noch der Säule Kultur. Denn etwas, das kein Narrativ hat, mit dem man sich nicht auseinandersetzt, kann auch keine nachhaltige Wirkung haben. Wirtschaft. Ich habe gesagt: Wir haben die Wettbewerbsfähigkeit mit verschiedenen Maßnahmen hergestellt. Ist das auch sozial? Wenn man den Lohnsteuereinbehalt, wenn man die 183-Tage-Regel abschafft, dann findet das ja nicht auf dem Rücken der Beschäftigten statt. Beim Lohnsteuereinbehalt haben wir gesagt: Wir verzichten auf Steuereinnahmen. – Das ist vollkommen richtig. Aber wir tun das, um die deutsche Schifffahrt zu erhalten und um diese Arbeitsplätze auch zu sichern. Das ist, glaube ich, eine gute Entscheidung und in keinster Weise gegen die Interessen der Arbeitnehmerschaft. Wenn Sie fragen: „Ist das, was wir gemacht haben, auch umweltgerecht?“, dann sage ich: Die Innovationen, die wir fördern, haben zum großen Teil mit dem Thema Umwelt zu tun. Natürlich ist es ein wirtschaftlicher Vorteil, wenn wir die saubersten Schiffsantriebe bauen und wenn wir Beiträge leisten, mit denen man auch den Klimaschutz nach vorne bringen kann. Wir haben uns in unserem letzten Antrag aber auch mit dem Thema Fischerei beschäftigt. Man muss es wirklich einmal sagen: Dieser letzte Antrag ist Punkt für Punkt abgearbeitet worden, mit Parlament und Regierung gemeinsam, und mit Haushaltsbeschlüssen unterlegt worden. Das ist wirklich eine Erfolgsgeschichte, was wir da gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Birgit Malecha-Nissen [SPD]) – Erfolg kann man auch beklatschen. Erstmalig haben wir uns auch dem Thema der illegalen Fischerei zugewandt. Das hat einen Umweltaspekt. Klar, wir machen uns nicht all die Mühe, mit Fangquoten diesen Eiweißvorrat für die Zukunft zu erhalten, damit andere Leute die Bestände piratenmäßig plündern und vernichten und all diese Ziele, die wir haben, torpedieren. Es ist ja auch ein soziales Thema: Wenn man die Küsten Afrikas illegal leerfischt, haben die Menschen, die eigentlich vom Fischfang leben, ein Problem. Es ist ein soziales Thema, weil es hinsichtlich der Beschäftigungsbedingungen an Bord dieser Schiffe teilweise nur einen einzigen Unterschied zu römischen Sklavengaleeren gibt: Die Jungs müssen nicht rudern. Aber ansonsten ist das, was da passiert, unmöglich. Wir haben gesagt: Da wollen wir nicht mitspielen. Wir wollen die Kontrollen verbessern. – Dazu haben wir einen Beschluss gefasst und diesen im Haushalt mit finanziellen Mitteln unterlegt. Wir haben Stellen geschaffen, damit der angelandete Fisch zukünftig auch entsprechend der Zertifizierung kontrolliert und gegebenenfalls zurückgewiesen wird. Sie haben den Freihandel angesprochen. In unserem Antrag steht, dass wir bei Freihandelsabkommen genau diesen Aspekt der illegalen Fischerei behandelt haben wollen und dass wir unsere Partner dazu bringen wollen, dass sie diese internationalen Regeln einhalten, und dass wir, wenn sie diese nicht einhalten, mit ihnen keinen freien Handel treiben. Was wollen Sie mehr als solche konkreten Bedingungen, die der Umwelt nutzen, die dem Sozialen nutzen und insgesamt auch der Wirtschaft, und zwar bei uns und in den anderen Ländern? Wir haben auf dem sozialen Sektor meines Erachtens sowohl für deutsche Beschäftigte als auch für Beschäftigte in anderen Ländern viel getan. Im Umweltbereich setzen wir dieses Mal auch noch einen weiteren Akzent. Es geht dabei um ein Problem, das viele umtreibt und das auch im Bewusstsein der Bürger einen immer höheren Stellenwert bekommt, nämlich den Plastikmüll, einmal den, den wir sehen können, weil wir mittendrin schwimmen, und zum anderen das Mikroplastik, das wir im Zweifelsfall nicht sehen, das aber irgendwann in der Nahrungskette auf unserem Teller landet. Das ist ein Thema, das weltweit besonders wichtig ist und das sicherlich nicht damit erledigt ist, dass man beim Einkauf auf die Plastiktüte verzichtet. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Kunstrasenfußballplatz irgendeine Auswirkung auf die Weltmeere hat. Inzwischen wissen wir, dass über den Abrieb und über das Regenwasser das Ganze am Ende irgendwo in den Ozeanen landet. Auch diese Punkte sprechen wir in diesem Antrag an. Im Sinne der Nachhaltigkeit sagen wir: Wir wollen rechtzeitig mit anderen Ländern gemeinsam eine Strategie entwickeln, damit wir den Plastikmüll wieder aus dem Meer herausbekommen, und wir wollen vermeiden, dass er überhaupt dorthin gelangt. Ich glaube, dass es ein sehr weitsichtiger Antrag ist, den wir hier vorlegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Birgit Malecha-Nissen [SPD]) Forschung und Entwicklung. Ich habe gesagt: Das Wichtige für uns ist, bei der Innovation ganz weit vorne zu sein, damit wir einen Platz in dieser Wettbewerbswelt haben. Wir geben – der Koordinator der Bundesregierung hat es erwähnt – eine gewisse Menge Geld für Forschung und Entwicklung in diesem Bereich aus, aber immer noch deutlich weniger als im Bereich Luft- und Raumfahrt. Nun kann man sagen: Schiffe gibt es viel länger als Raketen oder Flugzeuge, mit denen man durch die Gegend fliegt. – Aber daran liegt es nicht. Gibt es noch viel zu tun? Es gibt eine ganze Menge zu forschen und zu entwickeln. Aber es gab bisher keine Einrichtung, die das zentral koordiniert. Diese wollen wir schaffen. Koordinator der Bundesregierung heißt auch, mit allen Ressorts übergreifend zusammenzuarbeiten. Der maritime Bereich hat nicht nur im Wirtschaftsministerium und nicht nur im Verkehrsministerium seine Konterparts, die er braucht und die man koordinieren muss. Ich glaube, die Entscheidung, die wir getroffen haben, wo das DMZ angesiedelt wird, ist eine gute. Das Entscheidende ist, dass es jetzt parallel zur 10. Nationalen Maritimen Konferenz kommt. Ich will das Motto nicht ändern, das müssen wir nicht. Es ist ein gutes Motto. Aber es ist ein großer Erfolg, dass der Beschluss vor anderthalb Jahren im Haushalt auch mit Geld unterlegt wurde, das nötig ist, damit er in diesem Jahr zum Tragen kommt und wir das Deutsche Maritime Zentrum bekommen, um an diesen Themen gemeinschaftlich mit der Wirtschaft, aber auch mit Umweltverbänden zu arbeiten und die deutsche maritime Wirtschaft zu stärken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Valerie Wilms erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wo bin ich hier heute Morgen gelandet? Alles still und ruhig. Alles nickert vor sich hin. (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Christine Lambrecht [SPD]: Sie vielleicht! – Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind nicht bei den Grünen!) Der Maritime Koordinator erzählt uns etwas, bei dem ich mich frage: Ist das überhaupt noch realitätsbezogen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ändern Sie das jetzt einmal durch eine fulminante Rede!) was aus dem Wirtschaftsministerium in der Scharnhorststraße, Ecke Invalidenstraße auftaucht, oder sind Sie in einer anderen Welt gelandet, Herr Beckmeyer? Wir haben im maritimen Sektor seit fast zehn Jahren eine Krise in der Schifffahrt. Was passiert? Was macht diese große Stillstandskoalition? Sie redet immer wieder hier im Hohen Hause mit irgendwelchen Sprechblasen um den heißen Brei herum. Papiere können Sie produzieren, Herr Beckmeyer. Wir wollen Taten sehen, nicht nur Papiere! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Grünen sind jetzt wach!) In der Realität kommt nichts an. Jetzt zum Abschied des Maritimen Koordinators – in der nächsten Woche dürfte es Ihre letzte Maritime Konferenz sein – geht es genauso weiter. So wracken Sie von der Großen Koalition die maritime Wirtschaft wirklich ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns das einmal im Detail an. Die Schifffahrtskrise wurde nicht angepackt. Hapag-Lloyd macht deutlich reduzierte Gewinne. Hamburg Süd ist mittlerweile dänisch. Das wissen wir mittlerweile alles, aber Sie tun nichts. Die dringend nötige Neuausrichtung der maritimen Ausbildung wurde verpasst. Mit vernünftigen Rahmenbedingungen für alternative Treibstoffe in der Seeschifffahrt lässt die Bundesregierung bis heute auf sich warten. So darf es nicht weiter gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die deutsche maritime Wirtschaft ist eine vielfältige Branche. Sowohl Häfen als auch Werften oder Reedereien zählen dazu. Diese Branche braucht endlich echte Zukunftsperspektiven für die kommenden Jahre. Mit dem üblichen Herumfrickeln, liebe Damen und Herren von der Großen Koalition – auch wenn Sie hier große Sprüche klopfen, Herr Grosse-Brömer –, ist es nicht getan. Ein reines Abwickeln der kriselnden Branche darf es nicht geben. Wir sollten die Krise als Chance für eine echte Neuaufstellung der Schifffahrtsförderung nutzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was machen Sie hingegen? Sie gehen weiter mit der Fördergießkanne durch das Land. Sie schaffen dann noch ein neues Forschungszentrum, das sogenannte Deutsche Maritime Zentrum mit Sitz in Hamburg, von dem niemand weiß, wozu es gebraucht wird und was es eigentlich machen soll. Dient es etwa nur zur Wahlkreisbeglückung in Hamburg, werter Kollege Kruse? Aber den Mut für wirklich ernsthafte Reformen zeigen Sie hier nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was muss dringend angepackt werden? Durch die vielen Zukäufe an Schiffsraum in den 1990er- und 2000er-Jahren haben sich Überkapazitäten aufgebaut, die jetzt nur sehr schwer wieder wegzubekommen sind. Dadurch stehen die Reeder, die sich an ihrem damaligen Erfolg, gerade durch Steuersparmodelle getrieben, berauscht haben, vor einem echten Dilemma: Verkaufen sie die Schiffe, drückt ein anderer Standort die Schiffsmieten. Verkaufen sie sie nicht, hat die Schiffe zwar nicht der Konkurrenzstandort, die Schiffsmieten bleiben aber weiterhin im Keller. Somit wurde über Jahre hinweg Mikado gespielt: (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: War das noch unter Rot-Grün?) Wer sich zuerst bewegt und Schiffsraum entfernt, hat verloren. Heraus, werte Kolleginnen und Kollegen, kommen wir aus dieser Misere nur, wenn ein Großteil der Schiffe aus dem Markt verschwindet. Ich sage daher: Verschrotten, verschrotten, verschrotten! Nur so kommen wir aus der Krise. Herr Beckmeyer, sorgen Sie mal dafür, dass wir nicht immer nur neu bauen – Spezialschiffe oder so etwas –, sondern wir uns ernsthaft mit vernünftigen Abwrackwerften in Europa, auch in Deutschland, beschäftigen, anstatt die Schiffe in Bangladesch an den Strand zu schieben und da ausweiden zu lassen. So geht es nicht weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie wollen unsere Flotte verschrotten?) Schauen wir als Nächstes auf die Beschäftigten in der Schifffahrt. (Zuruf des Abg. Johann Saathoff [SPD]) – Herr Saathoff, Sie kommen nachher noch dran. – Wir haben hier in Deutschland zwar eine weltweit hoch anerkannte Ausbildung von Seeleuten, doch diese bringt uns nichts – gar nichts. In der internationalen Seeschifffahrt sind deutsche Seeleute schlichtweg zu teuer. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die sind nicht zu teuer, die werden gut bezahlt!) Damit deutsche Seeleute wieder konkurrenzfähig werden, brauchen wir endlich vernünftige, international konkurrenzfähige Lösungen: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen auch für Seeleute den internationalen Tarif anstatt des deutschen Heuervertrages bei gleichzeitiger Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit. So schaffen wir nämlich, dass die Seeleute vor Ort das Gleiche ausgezahlt bekommen, aber wir konkurrenzfähig werden. Das würde der deutschen Schifffahrt und dem maritimen Arbeitsmarkt wieder einen kräftigen Schub geben. Die derzeitige Herumtrickserei und Herumrechnerei mit dem Lohnsteuereinbehalt durch die Reeder und Ausbildungshilfen von einer Stiftung haben das alles nicht gebracht. Schaffen wir das noch in dieser Wahlperiode? Ich glaube, kaum. Sie dauert ja nur noch ein halbes Jahr, Herr Beckmeyer. In den Ministerien ist die Arbeit größtenteils bereits zum Erliegen gekommen. Das wird die Aufgabe einer neuen Bundesregierung sein, dann aber endlich mit rot-grüner Beteiligung – – dann aber endlich mit grüner Beteiligung – (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aha! Aha! Aha!) vielleicht schaffen wir es ja auch mit Rot-Grün, werte Kollegen von der Sozialdemokratie –, also: mit einer grünen Beteiligung, damit wir endlich den Blick nach vorne werfen und nicht immer nur zurück in die Historie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wozu hat die Bundesregierung eigentlich einen Maritimen Koordinator? Man hört und sieht immer nur kurz vor einer Maritimen Konferenz etwas von ihm. Dann dürfen wir uns in der Sitzungswoche vorher mal hier schnell mit der maritimen Wirtschaft beschäftigen. Wenn ich so in die Runde schaue: Allzu viele Kolleginnen und Kollegen sind dann nicht da. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) – Dann machen wir doch nächstes Mal eine namentliche Abstimmung; dann werden es noch mehr. – Sonst ist der Maritime Koordinator untergetaucht. Kein einziges Thema hat er aufgegriffen, das die maritime Wirtschaft wirklich nach vorne gebracht hätte. Stattdessen: Verwaltung des Status quo und weder Kraft noch Ideen für einen zukunftsfähigen maritimen Standort. Seit 2014 liegt das Thema „maritime Wirtschaft“ in der Bundesregierung brach. Maßnahmen zur Förderung der Schifffahrtskrise: wirklich Fehlanzeige! Kann eine inhaltsleere und kaum greifbare Maritime Agenda von Herrn Beckmeyer mit vielen, vielen Seiten wirklich eine Antwort auf die Krise sein? Hier hätte ich in solchen Zeiten schon deutlich mehr erwartet als Worthülsen und Sonntagsreden. Schauen wir uns ein weiteres Beispiel an. Für eine umweltfreundliche Schifffahrt brauchen wir dringend neue Kraftstoffe, weg vom giftigen und schmutzigen Schweröl. Wir Grüne denken hier an LNG, also verflüssigtes Erdgas. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, ist auch Teil der Strategie!) Die schädlichen Abgase sind deutlich reduziert. Zukünftig könnte der Treibstoff auch über Power to Gas, also etwa aus erneuerbaren Energien, erzeugt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Doch auch damit tut sich die Bundesregierung verdammt schwer. Damit LNG als Treibstoff in den Häfen einfach gebunkert werden kann, benötigen wir eine Anpassung von Regelungen, und zwar einheitlich. Aber jeder Hafen erfindet stattdessen die Welt neu. Jetzt kündigen Sie an, LNG über den Bundeshaushalt zu fördern. Das passt aber nicht mit dem Flickwerk an Regularien in den Häfen zusammen. Sobald die ersten Schiffe in den Häfen LNG bunkern wollen, stehen sie vor unlösbaren Genehmigungsproblemen. Das Beispiel der LNG-Barge im Hamburger Hafen sei hier als eines von vielen genannt. Das ist ein Schiff ohne eigenen Antrieb, mit einer sauberen Stromerzeugung aus LNG an Bord. Es soll Kreuzfahrtschiffe mit sauberem Strom versorgen. Und es muss jetzt, wenn es benutzt wird, Tag und Nacht von einem Schlepper bewacht werden. Hier müssen wir doch einmal zu pragmatischen und vor allem bundeseinheitlichen Lösungen kommen. Hosenträger und Gürtel für einige ängstliche lokale Bedenkenträger braucht es nun wirklich nicht. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Werter Herr Präsident, ich komme zum Ende. Sie haben schon gesehen, dass ich in meinem Manuskript weiter nach vorne geblättert habe. Ich hätte noch ein paar mehr Beispiele. (Heiterkeit bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das ist sehr beruhigend. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um meine Ausführungen zu Ende zu bringen: Es wird nun darauf ankommen, dass die lieben Kolleginnen und Kollegen, die in der nächsten Wahlperiode dabei sind, den Scherbenhaufen, den der Maritime Koordinator hinterlassen hat, aufkehren und aus dem Thema etwas machen. Es gibt wirklich genug zu tun. Packen wir es an! Holen Sie den Maritimen Koordinator vom Katzentisch im Wirtschaftsministerium ins Kanzleramt oder zumindest ins Verkehrsministerium! (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ins Bundespräsidialamt!) Da gehört er hin. Dann passiert auch endlich etwas. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun haben Sie, Frau Wilms, beinahe den hohen Wellengang in der Debatte verursacht, den Sie zu Beginn vermisst haben. Wollen wir einmal schauen, wie es weitergeht. Kollege Stein ist für die CDU/CSU-Fraktion der nächste Redner. (Beifall bei der CDU/CSU) Peter Stein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Wilms, mit ein paar Punkten, die Sie genannt haben, kann man durchaus in die Diskussion gehen, aber 80 Prozent Ihrer Rede hat Ihnen wohl der Klabautermann geschrieben. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Stimmung war das jedenfalls zuträglich. Navigare necesse est – das ist der Leitspruch der Hanse, und er gilt noch heute. Schiffe bauen, Waren transportieren, Menschen transportieren, Ozeane und Kontinente erkunden, Fischfang, Rohstoffe und erneuerbare Energie, all das gehört heute zur maritimen Wirtschaft, und das wirkt nicht nur an den Küsten, das wirkt bis tief ins Hinterland, das wirkt in die ganze Welt. Unsere deutsche maritime Wirtschaft hat also eine große gesamtwirtschaftliche Bedeutung, und deshalb liegt Ihnen heute dieser sehr umfangreiche Antrag der CDU/CSU-geführten Koalition vor. An dieser Stelle möchte ich meinen besonderen Dank an Rüdiger Kruse und an diejenigen richten, die daran mitgewirkt haben. Und ja, Herr Behrens: Der Antrag enthält 78 Punkte. Die waren richtig fleißig. (Beifall bei der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber Substanz wäre auch nicht schlecht gewesen!) Wir bekräftigen noch einmal das Engagement der Bundesregierung auf dem Weg der Umsetzung der Maritimen Agenda 2025. Schätzungen gehen von einem jährlichen Umsatzvolumen in der maritimen Branche von etwa 50 Milliarden Euro und von geschätzt 400 000 Arbeitsplätzen aus, die direkt oder indirekt in der maritimen Branche angesiedelt sind. Auch die Bedeutung für den Außenhandel ist enorm. Etwa 60 Prozent der Warenexporte und ein Großteil der Rohstoffexporte gehen über den See- und Wasserweg, bei überseeischen Transporten sind es sogar 90 Prozent. Unsere maritime Wirtschaft, die See- und Binnenschifffahrt, der Schiffbau, sie alle sind aufs Engste mit der Entwicklung des Welthandels und der Logistikwirtschaft verbunden. Auch das zeigt die besondere Stellung der maritimen Branche. Wir sind in diesem Bereich, wie wahrscheinlich in keiner anderen Branche, von globalen Ereignissen, von Veränderungen und Konjunkturschwankungen abhängig. Das ist der Grund, warum sich die Bundesregierung und auch die Koalitionsfraktionen die ganze Legislaturperiode über vehement damit beschäftigt haben, der Branche die Unterstützung zu geben, die sie braucht. An den norddeutschen Küsten, so auch in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und in meinem Wahlkreis Rostock, sind Häfen die Logistikdrehscheibe und auch der Wachstumsmotor für eine brummende Wirtschaft insgesamt. Wir haben die Voraussetzungen zur Neuauflage des Förderprogramms Innovative Seehafentechnologien beim Bundesverkehrsministerium neu geschaffen. Auch die Gesamtsituation der Werften hat sich glücklicherweise stabilisiert. Innovation sowie Forschung und Entwicklung sind dabei der Schlüssel. Unsere gute Ausbildung, unsere Innovationskraft und die jahrelange feste politische Begleitung und auch der feste Wille, unsere Werftstandorte durch alle Tiefen zu begleiten und zu erhalten, haben dazu geführt, dass die Auftragsbücher derzeit wieder voll sind. Das erhält Arbeitsplätze. Forschung und Innovation schafft einen Markt, aber braucht auch einen Markt, braucht Aufträge. Deshalb gilt ein Teil unserer Aufmerksamkeit dem militärischen Teil der maritimen Industrie. Unsere Deutsche Marine und unser Schiffbau sind eine Kernkompetenz der nationalen Verteidigung. (Beifall bei der CDU/CSU) Neben den Aufträgen aus der Marine trägt insbesondere der Boom im Kreuzfahrttourismus zu einem Aufwuchs in der Branche bei. Gerade in diesen beiden Bereichen des Werftbaus hat Deutschland höchste Technologie, erstklassige Qualität und hervorragende Fachkräfte zu bieten. Das Beispiel Mitsubishi zeigt, wie man sich verheben kann; man hatte technologisch zwar alles im Griff, aber wirtschaftlich wurde das Projekt völlig versenkt. Das können wir besser. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch im Spezialschiffbau, in der Tiefseetechnologie oder bei Offshoreprodukten sind wir quantitativ und technologisch führend. Das wollen wir erhalten. Deshalb haben wir die Innovationsförderung im vergangenen Jahr im Bereich Schiffbau und Meerestechnik vorangetrieben und den Mittelansatz des Bundes um 10 Millionen Euro erhöht. Das stärkt die technologische Entwicklung unserer Werften und bei unseren Zulieferern. Das ist unsere Kontinuität. Auch die konkrete Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans habe ich im Blick. Generell sollten Bund und Länder gemeinsam auf eine enge Kooperation in der Planung setzen und diese wirksam werden lassen. Das gilt insbesondere für das notwendige Personal. Im Bereich der Wasserstraßen hat beispielsweise die Seekanalvertiefung in Rostock auf die notwendige Tiefe von 16,5 Metern Priorität im Vordringlichen Bedarf. Auch die Fahrrinnenvertiefung in Wismar ist bestätigt. Herzlichen Dank an alle, auch an die Haushälter, die dazu beigetragen haben, dies zu erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Zusammenhang mit dem Nationalen Hafenkonzept haben wir ein 350 Millionen Euro schweres Ausbauprogramm für Schienenanbindungen aufgelegt. Der Abschluss dieser Maßnahmen ist auch ein Bekenntnis des Bundes, dass die Schiene weiterhin ein wichtiger Teil des kombinierten Ladungsverkehrs ist. Dadurch werden unsere Fährstandorte gestärkt. Die Häfen als Jobmotor fördern wir mit einer gezielten Qualifizierung von zusätzlich 1 000 Facharbeitern. Wir unterstützen die Digitalisierung der Hafenwirtschaft durch ein Programm für innovative Verkehrstechnologien. Wir denken bereits heute daran, das Förderprogramm Innovative Hafentechnologien über das Jahr 2020 hinaus zu verlängern. Auch das ist Teil unseres Antrages. Auch das ist Kontinuität. Den Ansatz zur Fortschreibung der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie und der Förderung der alternativen Kraftstoffe haben wir um 8 Millionen Euro erhöht. Weitere 6 Millionen Euro gehen in den Aufbau einer Tank- und Ladeinfrastruktur im Bereich der alternativen Kraftstoffe und – Frau Wilms, Sie haben das angesprochen – in den prioritären Aufbau der LNG-Hafeninfrastrukturen an unseren Nord- und Ostseehäfen. Auch bundeseigene Schiffe werden – das ist vom Bund in Auftrag gegeben – auf LNG umgestellt. Das hat Vorbildcharakter. Auch das zeichnet unsere maritime Politik aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir reden nicht nur von Technologieoffenheit, sondern wir schreiben sie auch fest, so auch in diesem Antrag. Es sollen weitere Optionen für umweltfreundliche Antriebe geprüft werden, insbesondere Elektroantriebe. Aber auch Wasserstoff halte ich für eine sehr interessante Option für die Zukunft der Schifffahrt. Zuletzt möchte ich den zunehmend wichtiger werdenden Bereich der Hafen- und Schiffssicherheit ansprechen. In den Segmenten der Terrorabwehr, der Sicherheit der Seewege, der Arbeitssicherheit der Crews, des Umweltschutzes, aber auch beim Kampf gegen Schmugglerei, Piraterie und Menschenschiebereien tragen Forschung und Entwicklung in unserer maritimen Branche global erheblich zu Verbesserungen bei. Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss: Die maritime Wirtschaft steht in der Wahrnehmung immer ein wenig im Schatten des Automobilbaus. Da gehört sie definitiv nicht hin. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Schifffahrt hat schon vor Tausenden von Jahren Massen bewegt und große Entfernungen überwunden, und das mit erneuerbarer Energie als Antrieb. Da muss der Automobil- und Flugzeugbau erst einmal noch hinkommen – und der Schiffbau wieder. Stimmen Sie mit uns für diesen Antrag! Stärken Sie so die deutsche maritime Wirtschaft, nicht nur weil sie es braucht, sondern weil sie es verdient! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johann Saathoff (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Wilms, viele, viele Worte habe ich von Ihnen gehört, aber kein Wort zu Ihrem eigenen Antrag. Vielleicht ist das auch besser so, aber wenn ich schon einen Antrag einbringe, dann würde ich darüber schon etwas erzählen. Stattdessen führen Sie hier im Deutschen Bundestag eine Privatfehde mit dem Maritimen Koordinator. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei gehe ich davon aus, dass es in ganz Deutschland keinen Maritimen Koordinator gibt, der Ihre Zustimmung finden würde – keinen außer vielleicht Sie selber. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das einzig Tolle an Ihrer Rede war aus meiner Sicht, dass Sie eine rot-grüne Perspektive aufzeigen wollten, allerdings aus Versehen. An uns, liebe Frau Wilms, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, soll das nicht liegen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, dass das mit Ihrem Beitrag anschließend auch klappt. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wi stahn d’för, wi mutten d’dör, sagt man bei uns in Ostfriesland, wenn man vor großen Herausforderungen steht, diese mutig angehen möchte, ohne zu zögern. Mit diesem Satz habe ich meine erste Rede in dieser Legislaturperiode begonnen. Dieser Satz gilt auch heute noch. Große Aufgaben, insbesondere bei der Digitalisierung und der Automatisierung, liegen vor der maritimen Wirtschaft, Herausforderungen insbesondere für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Häfen und auf See. Mein erster Job im Leben war Lascher im Emder Hafen, also Autos im Schiff festzubinden; so kann man das für die Landratten hier unter uns erklären. Daher kann ich sagen: Auf die Arbeit in und um die Häfen kommen enorme neue Aufgaben zu, und diese Arbeit wird sich maßgeblich verändern. Diese Herausforderung können wir nur gemeinsam mit den Sozialpartnern angehen. Eines ist klar: Wir wollen eine starke maritime Wirtschaft. Sie ist von zentraler Bedeutung für die Exportnation Deutschland, gerade auch angesichts der Renationalisierungstendenzen, die weltweit einsetzen, sich aber hoffentlich nicht durchsetzen werden. Wir wollen eine starke maritime Wirtschaft. Sie bedeutet Wertschöpfung und Arbeitsplätze für ganz Deutschland, nicht nur für den Norden. Mit dem Koalitionsvertrag und der Maritimen Agenda setzen wir die notwendigen Rahmenbedingungen, um die maritime Wirtschaft zukunftsfähig zu gestalten und um Wertschöpfung und Beschäftigung in den deutschen Häfen zu sichern. Wir wollen zum Beispiel das Förderprogramm für den innovativen Schiffbau verstetigen. Der Erfolg der deutschen Werften ist der klaren Ausrichtung auf Spezialschiffbau zu verdanken. Es geht den deutschen Werften im weltweiten Vergleich relativ gut. In den Werften findet Hochtechnologie statt, und das wollen wir fördern. Zur Hochtechnologie gehören auch gute Arbeitsplätze und gute Arbeitnehmer, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gute Arbeitgeber natürlich auch!) die Menschen also, die Hochtechnologie erst möglich machen. Holdings zu gründen und die Sitze außerhalb Deutschlands einzurichten – das will ich an dieser Stelle auch klar sagen –, passt allerdings nicht in dieses Bild. Die Menschen, die die Hochtechnologie möglich machen, sind auch in Fragen der Mitbestimmung bestens geeignet und zu gebrauchen. Das können Sie mir glauben. (Beifall bei der SPD) Die Stärke der maritimen Wirtschaft hängt ganz zentral von einer intakten Infrastruktur ab. Der Ausbau von seewärtigen Zufahrten und Hafenhinterlandanbindungen sowie der Breitbandausbau in den Häfen müssen weiter forciert werden. Dabei liegt mir persönlich natürlich der westlichste Hafen, der Seehafen Emden, ganz besonders am Herzen. Ich freue mich, dass das bei Ihnen auch so ist. In unserem letzten Koalitionsantrag im Oktober 2015 haben wir bereits wegweisende Entscheidungen getroffen, die ein klares Bekenntnis zur deutschen Flagge darstellen. Wir haben auch die Überprüfung mit beschlossen – ich bin froh, dass der Maritime Koordinator darauf hingewiesen hat –, ob diese Maßnahmen anschließend fruchten. Es wäre natürlich wünschenswert, dass die deutsche Flagge anfängt zu wachsen, bevor die ersten Schiffe autonom und ohne Besatzung fahren. Das Bekenntnis zur deutschen Flagge ist für mich auch ein Bekenntnis zum Maritimen Bündnis. Nur im Dialog mit allen Beteiligten an einem Tisch kann die maritime Branche zukunftsfähig gestaltet werden. Deswegen geht mein Dank in diesem Zusammenhang an Uwe Beckmeyer für seine Arbeit als Maritimer Koordinator. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich danke ihm für die Ausrichtung der Maritimen Konferenzen, für die Erarbeitung der Maritimen Agenda 2025 und vor allen Dingen für den kontinuierlichen, unermüdlichen und manchmal sicher auch leidvollen Dialogprozess mit allen Beteiligten. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Saathoff, darf der Kollege Behrens Ihnen zwischendurch eine Frage stellen? Johann Saathoff (SPD): Herr Präsident, mit größtem Vergnügen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das habe ich mir fast gedacht. – Bitte schön. Herbert Behrens (DIE LINKE): Vielen Dank. – Kollege Saathoff, Sie haben eben das Maritime Bündnis erwähnt. Sie haben sicherlich zur Kenntnis genommen, dass das Maritime Bündnis – zumindest was den Bündnispartner Gewerkschaften betrifft – eigentlich tot ist. Die Gewerkschaften haben für sich Folgendes festgestellt: Sie haben über Jahre versucht, zusammen mit Unternehmern und mit der Bundesregierung eine gemeinsame Wende hinzubekommen, aber am Ende haben die Beschäftigten den Kürzeren gezogen und eine Umverteilung zulasten der Steuerzahler und zugunsten der Reeder beobachten müssen. Wovon sprechen Sie, wenn Sie von einer Fortsetzung des Maritimen Bündnisses sprechen? (Beifall bei der LINKEN) Johann Saathoff (SPD): Herr Kollege Behrens, es ist in der Wirtschaft ganz normal, dass es Zeiten gibt, in denen man auf hervorragender Ebene zusammenarbeiten kann, und dass es Zeiten gibt, in denen es schwierig ist, zusammenzuarbeiten. Der Kern der Schwierigkeiten wurde ja sozusagen auf der letzten Maritimen Konferenz geboren. Da ging es gar nicht darum, was beschlossen worden ist, sondern um die Art und Weise, wie es verkündet worden ist. Wir waren damals beide anwesend. Trotzdem ist es so – zumindest aus meiner Sicht –, dass man deshalb nicht von einem Tod des Bündnisses sprechen kann, sondern ganz im Gegenteil: Gerade wenn die Zeiten schlecht sind, muss man sich zusammenraufen und versuchen, den Dialog miteinander zu halten. In der SPD-Küstengang machen wir das regelmäßig, indem wir zum Beispiel versuchen, die Potenziale abzustecken, auf welcher Basis man wieder zueinander kommen kann, und zu schauen, wie man das Maritime Bündnis wieder zu dem machen kann, was es ursprünglich einmal war bzw. wozu es gedacht ist. Die Gespräche, die wir geführt haben, lassen mich voller Hoffnung sein, dass das in Zukunft wieder auf einer vernünftigen Basis vorangeht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte es für richtig, dass die Maritimen Konferenzen, die ihren Ursprung in Emden gehabt haben, weiter geführt werden. Hochtechnologie wie im Schiffbau gibt es auch in der Offshorewindindustrie. Sie sorgt auch für Wertschöpfung und Arbeitsplätze, und zwar in ganz Deutschland. Die Offshoreindustrie hat gezeigt, welche Chancen die Generationenaufgabe der Energiewende mit sich bringt. Die Ziele der Energiewende gelten jedoch nicht nur für die Offshoreindustrie, sondern sie gelten zugleich für die maritime Branche. Hier müssen Beiträge geleistet werden, damit wir die Klimaziele in Paris auch erreichen können. Alternative Antriebe spielen eine entscheidende Rolle. Insbesondere Green Shipping ist ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. LNG-Antriebe haben große klimapolitische Potenziale. Das muss unbedingt gefördert und ausgebaut werden. Auch Elektromobilität wird eine immer wichtigere Rolle spielen. Insbesondere beim Fährverkehr und in der Binnenschifffahrt, aber auch beim Hafenumschlag und -transport wollen wir Elektromobilität verstärkt fördern. Der Bund sollte bei öffentlichen Beschaffungen mit gutem Beispiel vorangehen und diese Schiffe mit alternativen Antrieben ausstatten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Sprichwort gilt: Wi stahn d’för, wi mutten d’dör. Die maritime Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Digitalisierung und Industrie 4.0 werden die Branche nachhaltig prägen. Ich möchte mich abschließend herzlich bedanken bei meiner Kollegin Birgit Malecha-Nissen und bei Herrn Kruse für die gute Zusammenarbeit bei der Erarbeitung des vorliegenden Antrags, an dem zehn Arbeitsgruppen mitgewirkt haben. Das allein zeigt schon, dass viele Kolleginnen und Kollegen daran interessiert sind. Ich freue mich weiterhin auf die gute Zusammenarbeit und die Kooperation mit dem Bundeswirtschaftsministerium einerseits und dem Verkehrsministerium andererseits zum Wohle der maritimen Wirtschaft in Deutschland. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Philipp Murmann erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich auch noch ein Glas Wasser bekommen könnte, wäre das ganz toll. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das ist jedenfalls bis zum Ende der Rede zugesagt, ja. (Heiterkeit – Dem Redner wird ein Glas Wasser gebracht) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Ganz toll, vielen Dank. Ich habe einen wahnsinnig trockenen Mund. (Zuruf von der Regierungsbank: Und das bei dem Thema!) – Und das bei diesen großartigen Reden. Das ist eigentlich verwunderlich. Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie haben sich aber vergewissert, dass es kein Salzwasser ist? (Heiterkeit) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Nein, aber auch damit würde ich zurechtkommen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Frau Wilms, eines hat man Ihnen angemerkt: Opposition macht Ihnen richtig Spaß. Das sollte vielleicht so bleiben, vor allen Dingen wenn ich die Kernthemen Ihrer maritimen Politik zusammenfasse: Verschrotten, verschrotten, verschrotten, und was noch übrig ist versenken. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das, denke ich, kann nicht die Zukunft der maritimen Wirtschaft in Deutschland sein. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es gut, dass wir Maritime Konferenzen haben. Die 9. Maritime Konferenz im vorletzten Jahr war auch von den Themen geprägt, die aus unserem Antrag hervorgegangen sind. Der Bundesverkehrswegeplan hat viele Elemente für die maritime Wirtschaft, die wir mit eingebracht haben: Nord-Ostsee-Kanal, Hafenhinterlandanbindungen, aber auch seewärtige Zufahrten. Wir haben das Nationale Hafenkonzept mit 155 Einzelmaßnahmen. Auch das LNG-Förderprogramm für Greentech, ein wichtiges Element, wurde schon angesprochen. Insofern haben wir schon sehr stark mit dazu beigetragen, dass sich in diesem maritimen Bereich etwas tut. So soll es natürlich auch bei der 10. Maritimen Konferenz in Hamburg sein, die nun vor uns liegt. Man muss ehrlich sagen, Herr Beckmeyer: Die Erwartungen der Branche sind nicht so euphorisch. Sie hätte sich etwas mehr Dialog, wie es bei der 9. Maritimen Konferenz war, gewünscht. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Aha! Jetzt kommen wir der Sache näher! Das haben wir genau gesagt!) Aber wir haben die Chance, das bei der Maritimen Konferenz mit Dynamik und Angriffslust zu beleben. Wir haben einen neuen Antrag gestellt. Herzlichen Dank dafür an Rüdiger Kruse und Herrn Saathoff als die beiden Federführer für unsere Fraktionen. Ich denke, es sind sehr viele interessante Sachen herausgekommen. Auf einige möchte ich gern im Detail noch eingehen. Das Deutsche Maritime Zentrum wurde angesprochen. Ich meine, das ist eine sehr sinnvolle Sache. Ich bin froh, dass sich das Verkehrsministerium jetzt der Sache angenommen hat, das auch umzusetzen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit überhaupt was dabei rauskommt!) Wir haben eine sehr breit aufgestellte Branche im maritimen Bereich: Häfen, Logistik, Lotsen, Werften, Reeder, Schiffstechnologien, Antriebe, Navigation, Meeres-Offshore-Technologie bis hin zu Bootsbauern mit sehr neuen Materialien. Sie kennen diese Trimarane. Das sind Hightechgeräte, die jetzt beim America’s Cup segeln. Auch solche Schiffsbauer gibt es in unserem Land. Auch sie müssen wir mitnehmen. Das Deutsche Maritime Zentrum hat die Chance, das alles zu koordinieren und auch die Standards auszubauen, über die am Ende in der IMO entschieden wird. Um in der IMO eine starke Stimme zu haben, ist es, denke ich, gut, wenn eine möglichst umfassende Koordination stattfindet. Deswegen bin ich dafür, dass wir das Deutsche Maritime Zentrum einrichten. (Beifall bei der CDU/CSU) Drei Themen aus unserem Antrag möchte ich kurz aufgreifen: Erstes Thema. Systemfähigkeit ist eine Kernkompetenz der deutschen maritimen Wirtschaft. Es geht nämlich nicht nur darum, gute Komponenten zu fertigen, sondern auch darum, daraus ein in sich optimiertes System zu machen. Deswegen haben wir schon vor langer Zeit gefordert – es ist natürlich unsere Bitte, dass das auch umgesetzt wird –, die Systemfähigkeit zu stärken und den Überwasserschiffbau wieder zu einer Kernkompetenz zu erklären, sowohl im Verteidigungsbereich als auch in anderen Bereichen. Denn wir leben in großem Umfang davon, dass wir aus Hightechkomponenten Systeme bauen, die auch wettbewerbsfähig sind. Was die Wettbewerbsfähigkeit betrifft, Herr Behrens, sollten Sie vielleicht einmal mit Ihren Kollegen von der Kommunistischen Partei in China darüber sprechen, wie man das Thema „Maritime Wirtschaft“ dort bearbeitet. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das machen Sie doch öfter als wir!) – Ich habe mit denen noch nie gesprochen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber Ihre Partei!) Das Problem, das wir haben, ist, dass wir bei uns eine mittelständische Wirtschaft haben, die mit Staatskonzernen im Wettbewerb steht. Das ist übrigens nicht nur in China so, sondern auch in Frankreich und zum Teil in Italien. Das alles sind staatliche Firmen. Hier trägt natürlich auch die Politik die Verantwortung, die Rahmenbedingungen für unsere Firmen so zu setzen, dass sie in diesem Wettbewerb bestehen können. Deswegen ist die Systemfähigkeit ein wesentliches Element. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweiter Punkt: das nationale Meeresforschungszentrum. Auch dies ist aus meiner Sicht eine sinnvolle Initiative. Wir haben in Deutschland im Bereich der Meeresforschung eine hervorragende wissenschaftliche Kompetenz. Das ganze Thema „Bewältigung des Klimawandels“ lässt sich eben nur im Rahmen einer vernetzten Kommunikation richtig angehen. Dazu zählt die deutsche Forschungsflotte, die wir unterstützen und ausbauen. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) Aber dazu gehören natürlich auch die Umweltbeobachtung und heutzutage vor allen Dingen in der Meeresforschung die Dateninfrastruktur bzw. die Vernetzung von Daten. Ein drittes wichtiges Thema ist für mich als Finanzpolitiker die Einfuhrumsatzsteuer. Dies ist vielleicht ein etwas spezielles Thema, aber Sie müssen sich einmal Folgendes vorstellen: Wenn man mit dem Schiff nach Rotterdam fährt, kann man mit dem Container, den man an Bord hat, einfach in den Hafen hineinfahren. Man muss nicht erst Umsatzsteuer bezahlen und dann zwei Monate warten, bis man sie zurückbekommt, sondern man kann sie sofort mit der Vorsteuer verrechnen. Das ist für deutsche Häfen ein großer Nachteil. Deswegen ist unsere Bitte ans Finanzministerium, diesen Wettbewerbsnachteil für deutsche Häfen wie Hamburg, Emden oder Bremerhaven zu beseitigen. Die Einfuhrumsatzsteuer ist übrigens auch unnötig, weil sie am Ende gar kein Geld bringt. Dass die Schiffe aus diesem Grund nach Rotterdam fahren – es gibt solche Beispiele –, ist wirklich sinnlos. Deswegen sollten wir auch dieses Thema angehen, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Letzter Punkt. Die Stärkung der maritimen Wirtschaft ist eine nationale Aufgabe. Deswegen hätte ich mir eigentlich erhofft, dass etwas mehr Bayern hier wären. Einige Baden-Württemberger sind ja immerhin da. Dort ist die Wertschöpfung im maritimen Bereich nämlich besonders hoch. Der Küstenkreis war im letzten Jahr in Friedrichshafen, um hier ein Signal zu setzen; ich glaube, das ist auch gut angekommen. Die Stärkung der maritimen Wirtschaft ist, wie gesagt, eine nationale Aufgabe. Ich bitte Sie alle, intensiv daran mitzuwirken und unseren Antrag zu unterstützen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Dr. Birgit Malecha-Nissen das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geisterschiffe haben seit jeher die Fantasie der Menschen beflügelt. Die bekannteste Legende ist sicherlich die vom fliegenden Holländer, von einem Kapitän, dessen Gotteslästerung sein Schiff zum ewigen Kreuzen auf den Weltmeeren verdammte. Künftig könnten Geisterschiffe jedoch nicht sagenumwoben, sondern als Containerriesen dem Horizont entgegenfahren: ohne Kapitän, ohne Besatzung an Bord, stattdessen ferngesteuert von einem Terminal und einer Kapitänin bzw. einem Kapitän am Bildschirm. Das wäre familienfreundlich. Nach der Schicht könnte man nach Hause oder zum Sport gehen oder sein Kind von der Kita abholen. Das hört sich jetzt noch nach Science-Fiction an, ist aber in der Entwicklung – das wissen viele von Ihnen –, und die grundlegende Technik dafür gibt es bereits. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn das autonome Fahren noch Zukunftsmusik ist – da stehen noch viele rechtliche Fragen im Raum –, ist Fakt: Digitalisierung und Automatisierung schreiten immer rasanter voran, und sie werden die Arbeitswelt revolutionieren. Bereits jetzt ist mehr möglich, als sich der Einzelne vielleicht vorstellen kann. Hier wollen wir gewappnet sein. Deshalb ist die Ausrichtung der anstehenden 10. Nationalen Maritimen Konferenz auf das Schwerpunktthema Digitalisierung genau am Puls der Zeit. Ich danke unserem Maritimen Koordinator, Uwe Beckmeyer, für diese Weitsicht. Mit unserem Koalitionsantrag setzen wir einen Meilenstein zur Sicherung und zum Ausbau unserer Marktführerschaft und unseres maritimen Know-hows sowie zur Sicherung von Arbeit und Beschäftigung. Mein Dank geht auch an alle Kolleginnen und Kollegen, die mitgearbeitet haben, ganz besonders natürlich an meinen Kollegen von der CDU, Rüdiger Kruse, und meinen Ko-Lotsen aus der Küstengang, Johann Saathoff. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was ihr in der SPD alles habt!) Tatsache ist, dass wir vor wirklich schwierigen Zeiten stehen und dass sich die deutsche Handelsflotte seit 2013 um mehr als 20 Prozent reduziert hat. Auch die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge hat weiter abgenommen. Zur Sicherung von Arbeit und Beschäftigung haben wir auf der Maritimen Konferenz 2015 entsprechende Maßnahmen vereinbart, wie zum Beispiel die Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts von 40 Prozent auf 100 Prozent. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Und die Folge waren noch weniger Schiffe unter deutscher Flagge!) Man muss sich nun die Frage stellen, ob das auch zielführend ist. Deshalb wird es im Jahre 2020 eine Evaluierung mit scharfem Blick auf Arbeit und Beschäftigung an Land und auf See geben. In diesem Zusammenhang weise ich ausdrücklich auf die Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung und die Reduzierung von fünf auf zwei europäische Seeleute hin. Der Verband Deutscher Reeder hat sich im Gegenzug in einer Vereinbarung mit dem Bundesverkehrsministerium verpflichtet, die Anzahl der deutschen und europäischen Seeleute zu stabilisieren und zu steigern. Auch das muss auf den Prüfstand. Auch hier steht eine Evaluierung an, und zwar 2020. Um es ganz klar zu sagen: Die Anzahl der Schiffe unter deutscher Flagge sagt nicht direkt etwas über die tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse aus. Diese Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung ist ohne den Sozialpartner getroffen worden. Deswegen ist Verdi aus dem Maritimen Bündnis für Ausbildung und Beschäftigung ausgestiegen. Das ist sehr schade, jedoch verständlich. Unser Ziel ist – das hat mein Kollege Johann Saathoff ja auch ganz klar dargestellt –, alle Bündnispartner wieder an einen Tisch zu bekommen; denn mit Blick auf die Arbeit von morgen kann die Antwort nur heißen: Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung. Dafür brauchen wir starke Tarifpartner und alle an Bord. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss komme ich noch zu einem anderen Thema: Mir persönlich liegt der Klimaschutz sehr am Herzen. Ich bin Anrainerin einer Hafenstadt, nämlich der Hafenstadt Kiel. Mit Blick auf gute Luft in den Hafenstädten und mit Blick auf die Feinstaubbelastung ist für mich „Landstrom“ das Zauberwort. Deshalb ist die Ermäßigung – besser noch der Wegfall – der EEG-Umlage für die Landstromversorgung von Schiffen während der Liegezeiten dringend notwendig. Das ist mein Ziel für die nächste Legislaturperiode. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Hans-Werner Kammer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stein, das Wort „Klabautermann“ habe ich in der CDU/CSU-Fraktion für mich geschützt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie haben aber recht: Bei den Beiträgen der Opposition darf man es durchaus verwenden. Bei der Rede des Kollegen Behrens von den Linken habe ich nicht verstanden, in welchem Land, auf welcher Welt er überhaupt lebt. Der Redebeitrag war nicht einmal des Klabautermanns würdig. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein? Wieso? – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Dann zählen Sie die Fakten auf, Herr Kammer!) Zum Thema selbst: Es herrscht raue See für die maritime Wirtschaft. Gerade jetzt, da sich die Schifffahrt nach langer Krise in einer Konsolidierungsphase befindet, bricht der Markt für den Schiffbau ein. Seit 2013 ist der Umfang an Schiffbauaufträgen weltweit um 75 Prozent eingebrochen. Die deutschen Werften sind trotzdem noch gut im Geschäft, weil sie im Frachtschiffbau keine große Rolle spielen. Die maritime Wirtschaft umfasst aber mehr als Werften und Reeder. Betroffen vom Auftragsrückgang sind vor allem die zahlreichen Zulieferbetriebe aus ganz Deutschland. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Was habe ich denn anderes gesagt, als dass es eine Krise gibt?) Wir alle wissen – das gilt auch für die Opposition –: Bei schönem Wetter kann jeder segeln, erst bei Sturm bewährt sich der gute Kapitän. (Beifall bei der CDU/CSU) Die unionsgeführten Bundesregierungen haben seit 2005 viel für die maritime Branche bewegt, etwa im Flaggenrecht, mit der Schiffsbesetzungsverordnung und mit dem Infrastrukturausbau. In schwierigen Zeiten hat sich vor allem das Bundesverkehrsministerium als zuverlässiger Partner erwiesen. Die Branche kann sich nicht nur auf Verkehrsminister Dobrindt, sondern besonders auch auf den Staatssekretär Enak Ferlemann als erfahrenen Lotsen verlassen. Dafür möchte ich einmal Danke sagen. (Beifall bei der CDU/CSU) Daher bin ich zuversichtlich, dass das Bundesverkehrsministerium die verkehrspolitischen Forderungen unseres Antrages so schnell wie möglich umsetzen wird, etwa die Reform der Seelotsenausbildung, die Automatisierung und die Digitalisierung der Hafenprozesse, das Nationale Hafenkonzept und die weitere Modernisierung der Flaggenstaatsverwaltung. Nicht zu vergessen sind die Erhaltung und die Weiterentwicklung des maritimen Know-hows in Deutschland; denn ohne dieses Fachpersonal blutet die maritime Wirtschaft aus. Wichtigster Schwerpunkt wird jedoch die Abarbeitung des Bundesverkehrswegeplans sein. Trotz aller Digitalisierung der Wirtschaft, sehr geehrte Frau Wilms, braucht Deutschland weiterhin eine Optimierung von Straße, Schiene und Wasserstraße. Unser Verkehrsnetz – von der Flensburger Förde bis zum Bodensee – ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Damit das so bleibt, setzen wir auf die seewärtigen Zufahrten und Hinterlandanbindungen der deutschen Seehäfen, Maßnahmen wie die Sanierung des Nord-Ostsee-Kanals, die Elbvertiefung, die zahlreichen Engpassbeseitigungen im Fernstraßen- und Schienennetz sowie bei den Binnenwasserstraßen. Ich persönlich bin davon überzeugt: Ohne klassische Transportinfrastruktur wird die maritime Wirtschaft in Zukunft nicht funktionieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Andrea Wicklein [SPD]) Aber, liebe Frau Wilms, zur Kehrseite der Medaille: Aus Niedersachsen kann ich jede Woche in der Presse eine neue Ankündigung lesen, wie die rot-grüne Landesregierung mit dem SPD-Verkehrsminister mit diesen wichtigen Verkehrsprojekten umgehen will. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eure Nachbarschaft!) Egal, ob Ems, Elbe, Weser, Küstenautobahn oder A 39: Nachhaltig ist bei den Grünen nur die Blockadehaltung. Während die SPD Segel setzen will, werfen die Grünen den Anker. Dann steht das Schiff still. Im Antrag der Grünen macht die Kollegin Wilms den Maritimen Koordinator Uwe Beckmeyer für vier verlorene Jahre verantwortlich. Dazu sage ich: Jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Die Arbeit, die Ihre grünen Parteifreunde seit 2013 in Hannover geleistet haben, ist vertrödelte Zeit. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vertrödelt! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: „Jeder kehre vor seiner eigenen Tür“!) Diese Politik der Verweigerung und des Schlechtredens ist nicht nur ein Handicap für Niedersachsen, sondern für ganz Deutschland. Deshalb machen CDU und CSU diesen Kurs nicht mit. Die deutschen Arbeitnehmer und Arbeitgeber können sich auf eines verlassen: Volle Fahrt voraus für eine maritime Wirtschaft gibt es nur mit der Union. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Birgit Malecha-Nissen [SPD] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war ein schöner Schlusssatz! – Christine Lambrecht [SPD]: Da können wir leider nicht mehr klatschen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen damit zur Abstimmung zu dem Tagesordnungspunkt 3 a über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 18/11725 mit dem Titel „Innovation und Forschung als Wettbewerbsvorteil der deutschen maritimen Wirtschaft“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Zum Tagesordnungspunkt 3 b und 3 c sowie zum Zusatzpunkt 1 wird interfraktionell die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10911, 18/11150 und 18/11742 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz) Drucksachen 18/10935, 18/11420, 18/11472 Nr. 1.5 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/11774 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Auch das ist offensichtlich einvernehmlich. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Antje Tillmann das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Antje Tillmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Im Finanzbereich waren die letzten Jahre von Krisen geprägt, für die wir unter Zeitdruck Lösungen finden mussten. In der Bankenkrise haben wir gefühlt in einer Woche einen immensen Rettungsschirm aufgebaut. 2010 mussten wir in der Griechenland-Krise genauso schnell handeln. Und in der Schuldenkrise haben wir sehr zügig einen Rettungsschirm für europäische Staaten aufgebaut. Es ist gut, dass wir das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz heute ganz ohne Zeitdruck und ganz ohne akute Situationen und Handlungsbedarfe in Ruhe beraten können. Auch ist gut, dass wir hier beraten können, ob wir der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht für den Immobilienbereich zusätzlich differenzierte Instrumente an die Hand geben, mit denen sie dann reagieren kann, wenn es Schwierigkeiten in diesem Sektor gibt. Ich sage ganz deutlich: Weder die Bundesbank noch die BaFin sehen aktuell eine Immobilienkrise. Die Bundesbank weist darauf hin, dass es für das Entstehen einer Blase neben stark steigenden Preisen, wie wir sie in einigen Städten sehr wohl haben, sowie einer laxeren Kreditvergabepraxis auch einer stark expansiven Ausdehnung der Immobilienkredite bedurft hätte. Das Wachstum der Immobilienkredite lag 2016 um 3,7 Prozent höher als im Vorjahr und damit absolut im Rahmen des langjährigen Durchschnitts. Es gibt also keine Krise auf dem Immobilienmarkt. Beide Aufsichtsbehörden empfehlen aber, prophylaktisch Instrumente einzuführen, um, falls es zu einer solchen Situation käme, auch reagieren zu können. Diese Auffassung teile ich. Natürlich hätte die BaFin auch heute schon Instrumente, um in einem solchen Fall einzugreifen. Diese Instrumente sind aber so grobschlächtig, dass davon auch andere Kreditvergaben – zum Beispiel im Bereich der Wirtschaft, bei der es überhaupt keine Schwierigkeiten gibt – betroffen wären. Deshalb wollen wir zielgenauere Instrumente. Der Ausschuss für Finanzstabilität hat uns hierzu vier Instrumente vorgeschlagen: erstens Eingriffe in die Kreditvolumen-Immobilienwert-Relation, also bezüglich der Obergrenze für das Verhältnis zwischen Darlehenshöhe und Immobilienwert; zweitens für die Anforderungen zur Amortisation; drittens für Schuldendienstfähigkeit, also hinsichtlich einer Obergrenze für den Schuldendienst im Verhältnis zum Einkommen, und viertens für eine Gesamtverschuldung-Einkommen-Relation, also in Bezug auf eine Obergrenze für das Verhältnis zwischen Gesamtverschuldung und Einkommen. Nach sehr intensiven Beratungen haben wir uns darauf verständigt, die ersten zwei Instrumente einzuführen. Mit diesen kann die BaFin den Kreditgebern bestimmte Mindeststandards für die Vergabe von Neukrediten für den Erwerb oder den Bau von Wohnimmobilien vorgeben, wenn dies zur Abwehr einer drohenden Gefahr im Wohnimmobilienmarkt erforderlich ist. Wir kombinieren diese Instrumente mit einer Bagatellgrenze und mit Schwellenwerten. Kredite bis 50 000 Euro werden von den neuen Instrumenten gar nicht erfasst. Daneben ziehen wir zwei weitere Schwellenwerte ein. Der erste liegt bei 200 000 Euro. Bei Krediten mit einer Beleihungsgrenze von 80 Prozent des Beleihungswertes bis 200 000 Euro werden auch diese nicht erfasst. Bei 400 000 Euro liegt die Beleihungsgrenze bei 60 Prozent. Auch solche Kredite bis 400 000 Euro werden nicht von den zusätzlichen Regulierungsmaßnahmen erfasst. Darüber hinaus hat jede Bank Freikontingente, wo sie trotz dieser Schwellenwerte bzw. bei Überschreitung Kredite gewähren kann. Daneben haben wir bestimmte Bereiche im Wohnungsbau von dieser Regulierung komplett ausgenommen, zum Beispiel den sozialen Wohnungsbau, die Renovierung von Wohnimmobilien und Anschlussfinanzierungen. Auch für diesen großen Bereich gelten die zusätzlichen Beschränkungen und Regulierungsmaßnahmen überhaupt nicht. Das haben wir deswegen getan, weil wir Wohnungsbau brauchen. Wir fördern ihn deshalb in erheblichem Umfang auch aus dem Bundeshaushalt. Für den sozialen Wohnungsbau stellen wir jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Mit den Instrumenten, die wir über das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz neu beschließen, wollen wir den Aufschwung auf dem Wohnungsmarkt nicht belasten. Wir wollen, dass Menschen Wohnungen bauen; denn der beste Schutz gegen steigende Mieten ist eine hinreichende Anzahl von Wohnungen. Deshalb treten die Instrumente, die wir heute beschließen werden, auch nicht automatisch in Kraft, sondern wir erwarten von der BaFin, dass sie vor Inkraftsetzen den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages informiert. Das haben wir im Gesetz festgelegt. Wir haben dann auch noch festgelegt, dass es eine Frist von sechs Wochen vor Scharfschaltung dieser Instrumente gibt, um mit den betroffenen Verbänden, mit Wohnungsunternehmen und Bauunternehmen, aber auch mit der Kreditwirtschaft zu beraten, ob es einer solchen Scharfschaltung dieser Instrumente tatsächlich bedarf. Auch da haben wir also noch eine Sicherheitsschwelle eingebaut, um mit diesen neuen Instrumenten vernünftig umgehen zu können. In dieser Kombination ist der Gesetzentwurf ausgewogen. Wir erhöhen die Kompetenz der BaFin gegen Überhitzung auf dem Wohnungsmarkt und schützen so die Verbraucherinnen und Verbraucher vor Fehlentscheidungen, und wir würgen den Wohnungsbau nicht da ab, wo wir ihn dringend brauchen. Wir werden diese Instrumente regelmäßig überprüfen, evaluieren und im Blick behalten. Selbstverständlich werden wir nachsteuern, wenn es den Bedarf gibt. Aber vorerst ist es ein gutes Gesetz, ein erster Schritt in die richtige Richtung, und ich kann Sie guten Gewissens um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bitten. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Axel Troost ist für die Fraktion Die Linke der nächste Redner. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beginn der globalen Finanzkrise liegt bald zehn Jahre zurück, und nicht nur wir Linken bezweifeln, dass wir als Parlament genug aus der Krise gelernt haben. Als Auslöser der globalen Finanzkrise gelten das Platzen der Preisblase am US-Immobilienmarkt und der nachfolgende Kollaps einer ganzen Gattung windiger Wertpapiere. Anschließend platzten auch in Island, Irland und Spanien irrwitzige Immobilienblasen. Niemand wird bestreiten, dass Immobilienblasen ein ganz typischer Auslöser für Finanzmarktkrisen sind. Immobilienblasen sind ein immer wiederkehrendes Problem, weil Immobilien nicht nur ein konkretes Bauwerk mit Nutzwert sind, sondern weil es auch eine Geldanlage ist. Sobald es die Erwartung gibt, dass die Preise von Immobilien steigen, werden sie automatisch zum Spekulationsobjekt. Denn man kann damit nicht nur Einnahmen aus Vermietung erzielen, sondern auch Gewinn beim Weiterverkauf. Die Folge: Immer mehr Investoren und Privatleute kaufen Immobilien auf Kredit. Die Preise für Häuser und Wohnungen steigen weiter an. Die Blase bläht sich immer weiter auf. Auch Deutschland ist gefährdet, da zwar die wirtschaftliche Entwicklung gut ist, die Zinsen für Immobilienkredite aber wegen der Krise in den meisten anderen europäischen Ländern extrem niedrig sind. Schon seit Jahren beobachten wir Preissteigerungen für Wohnimmobilien in deutschen Ballungsräumen von teilweise bis zu 10 Prozent jährlich. Wir haben es daher grundsätzlich sehr begrüßt, dass die Bundesregierung aus der Krise immerhin die Konsequenz gezogen hat, ein ernstgemeintes Vorwarnsystem gegen Finanzkrisen aufzubauen. Der dazu installierte Ausschuss für Finanzstabilität, bestehend aus Vertretern des Bundesfinanzministeriums, der Finanzaufsicht BaFin und der Bundesbank, hat seine Aufgabe wirklich ernst genommen und im Zuge der Finanzmarktbeobachtung auf eventuelle Gefahren einer Immobilienblase hingewiesen. Dieser Ausschuss hat dem Parlament konkrete Handlungsempfehlungen vorgelegt, wie durch zusätzliche Instrumente für die Finanzaufsicht die Risiken einer Immobilienblase reduziert werden können. Dann hat die Bundesregierung diese Handlungsempfehlungen tatsächlich in einen Gesetzentwurf umgemünzt. Das ist zwar alles nicht revolutionär, aber immerhin solide Handwerksarbeit. Dann – Tatort Berlin, Februar/März 2017 – lässt sich die Große Koalition im Gesetzgebungsverfahren zwei der vom Ausschuss für Finanzstabilität vorgeschlagenen vier Instrumente gegen eine Immobilienblase kurzerhand von den Banken wieder ausreden. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist ja nicht zu fassen!) Ich sage nur: Wer den Sumpf trockenlegen will, der darf nicht die Frösche befragen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sind nach guter alter Tradition der Bankenlobby wieder komplett auf den Leim gegangen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetzentwurf blamiert sich die Koalition nicht nur selbst, sondern sie blamiert auch ihre eigene Bundesregierung und deren Frühwarnsystem. Bundesbank und BaFin sind sicher unverdächtig, linksradikale Einschnitte ins Bankensystem vornehmen zu wollen, aber selbst deren vorsichtige Vorschläge, wie eine Regulierung zielgerichtet verschärft werden kann, werden von Ihnen sabotiert. Die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesbank und auch des Sachverständigenrates haben auf Nachfrage in der Anhörung betont, dass die vier ursprünglich vorgesehenen Instrumente der Standard seien, den „man eigentlich haben sollte, wenn man die Systemstabilität gewährleisten will“. Andere Länder haben sogar deutlich mehr Instrumente. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das ist gar nicht wahr! – Manfred Zöllmer [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Das weißt du doch auch!) Sie haben zwei dieser Instrumente beseitigt. Es wurde schon darauf hingewiesen: Sie haben weitere Maßnahmen zurückgenommen und letztlich sogar beschlossen, dass die Instrumente, wenn sie überhaupt angewendet werden sollen – wohlgemerkt: das steht jetzt überhaupt nicht an –, vorher im Finanzausschuss noch einmal beraten werden müssen. Es gibt sozusagen keine Regelbindung, sondern man fängt dann an, alles noch einmal zu relativieren und möglicherweise zurückzunehmen. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das geht ja nicht!) So sieht für uns keine vorbeugende Finanzstabilität aus. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen sagt die Linke Nein dazu und wird dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manfred Zöllmer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Autofahrer weiß man: Gleichzeitig Gasgeben und Bremsen ist suboptimal. Das gilt auch für die Finanzmarktstabilität auf dem Markt für Wohnimmobilienkredite, auf dem wir uns hier befinden. Wir brauchen in Deutschland mehr Wohnungen. Wir wollen, dass Menschen dort investieren. Die Bundesregierung unterstützt dies mit einer Vielzahl von Programmen, und das ist auch gut so. Mit dem Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz und dem Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie haben wir Gesetze vorliegen, die in der Gefahr standen, mit einer Überregulierung die Immobilienkreditvergabe übermäßig zu beschränken, also Gasgeben und Bremsen gleichzeitig. Es ist natürlich richtig, dass Blasen auf dem Markt für Wohnimmobilienkredite eine Gefahr für die Finanzmarktstabilität sind. Das haben die Märkte in den USA, in Spanien und in Irland gezeigt. Axel, aber du weißt natürlich auch, dass diese Märkte völlig unterschiedlich sind von den Gepflogenheiten her, die wir hier haben. In Deutschland hat es keine Immobilienblase gegeben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Doch!) Wir haben hier eine ausgeprägte Festzins- und Langfristkultur. Darüber hinaus ist es nachvollziehbar, dass man für den Fall des Falles mithilfe eines Instrumentenkastens handlungsfähig sein wollte. Mit der Wohnimmobilienkreditrichtlinie wurde die Kreditvergabe bereits in vielfacher Weise in Richtung Kreditnehmer reguliert; der Kollege wird dazu gleich noch etwas sagen. Mit dem Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz – ich kann für diesen Titel nichts – haben wir jetzt einen Kasten mit makroprudenziellen Instrumenten geschaffen, das heißt etwas, was für die gesamte Volkwirtschaft gilt. Dieser Instrumentenkasten kann im Bedarfsfall scharfgeschaltet werden. Wir alle kennen das Struck’sche Gesetz. Dieses Gesetz ist auch in diesem Fall wieder zur Anwendung gekommen. Wir haben den vorgeschlagenen Gesetzentwurf überarbeitet und modifiziert. Lieber Axel, das ist die Aufgabe eines frei gewählten Parlaments. Wir haben Obergrenzen für Darlehensvolumen, eine Immobilienwertrelation und Amortisierungsanforderungen vorgesehen. Wir haben diejenigen Instrumente übernommen, die in vielen europäischen Ländern ebenfalls zu finden sind und die auf der vorhandenen Datenbasis wirklich eingesetzt werden können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Durch die Konzentration auf diese beiden Instrumente wird die Gefahr unbeabsichtigter Verzerrungen auf den Immobilienmärkten deutlich reduziert und die robuste Schuldentragfähigkeit der deutschen Haushalte berücksichtigt. Daneben gibt es Freikontingente, eine Bagatellgrenze und Abstufungen, die die Kollegin Tillmann eben erläutert hat. Damit berücksichtigen wir die extrem unterschiedliche regionale Situation auf den Immobilienmärkten in Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Neben einer Reihe städtischer Hotspots wie München, Frankfurt, Hamburg, Berlin oder Köln gibt es eine ganze Reihe überwiegend ländlich geprägter Regionen, in denen man sehr große Probleme hat, eine Immobilie zu verkaufen. Für diese Regionen wollen wir keine Restriktionen im normalen Kreditgeschäft. Deshalb gibt es diese Freigrenze. Wir haben auch den sozialen Wohnungsbau und die Finanzierung des Umbaus einer Wohnung außen vor gelassen. Ich halte das für absolut richtig. (Beifall bei der SPD) Vor einer Scharfschaltung der Instrumente soll der Finanzausschuss informiert werden. Darüber beklagen sich auf einmal die Linken und die Grünen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Bei anderen Gesetzen gibt es das nicht!) Ich kann das nicht verstehen; ich halte das für richtig. Ihr fordert doch sonst immer, dass der Finanzausschuss in solche Maßnahmen einbezogen wird. Jetzt machen wir das, und jetzt kritisiert ihr das. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Weil ihr das bremsen wollt!) Nachvollziehbar ist das nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz ist es uns insgesamt gelungen, die berechtigten Bedenken zu berücksichtigen und eine zusätzliche bürokratische Belastung zu minimieren. Gleichzeitig haben wir ein Instrumentarium geschaffen, das im Krisenfall eingesetzt werden kann, um eine Immobilienblase zu bekämpfen. Nach wie vor bleibt aber das Problem der Diagnose: Wann haben wir eine Blase, und wann sind die Entwicklungen normal? Die Ökonomen sind sich in der Vergangenheit niemals einig gewesen. Blasen sind im Regelfall immer erst hinterher diagnostiziert worden. Mit diesem Problem werden wir leben müssen. Die deutschen Immobilienkreditmärkte sind sehr robust. Eine Immobilienblase hat es bisher nicht gegeben. Ich bin sicher, das wird auch in Zukunft so bleiben. Dann werden diese Instrumente im Koffer bleiben können, und die Menschen, die eine Wohnung suchen, werden auch eine zu bezahlbaren Bedingungen finden. Wir geben Gas beim Wohnungsbau und bremsen erst, wenn Gefahr droht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Gerhard Schick erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf besteht aus zwei Teilen. Trotzdem zieht sich da ein roter Faden durch. Der erste Teil bezieht sich auf das, was man makroprudenzielle Regulierung nennt, das heißt, dass man nicht Regeln für ein einzelnes Institut macht, sondern für den Gesamtmarkt. Das ist gut. Dieses Gesetz hat allerdings eine problematische Entwicklungsgeschichte. Der erste Vorschlag stammte aus einem Gremium – Ausschuss für Finanzstabilität –, in dem die Bundesbank, die Finanzaufsicht und das Bundesministerium der Finanzen vertreten sind. Dieser Vorschlag hat die fachliche Diskussion sinnvoll abgebildet. Dann kamen aber die Bankenverbände und haben in einem ersten Schritt, noch vor dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, gesagt: Das sind zu große bürokratische Lasten. Wir wollen die ganze Datenerhebung, die da vorgesehen ist, herausnehmen. – Es ist natürlich schwierig, ohne Datengrundlagen Fehlentwicklungen einschätzen zu können. Damit kam es zum ersten Punktsieg für die Bankenverbände. Nach der Einbringung des Gesetzentwurfs hatten wir in der Anhörung die interessante Konstellation, dass alle in der Anhörung anwesenden Ökonomen, die Bundesbank und die Finanzaufsichtsbehörde den Gesetzentwurf der Bundesregierung gemeinsam mit Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen unterstützt haben, während aus den Koalitionsfraktionen heftiger Gegenwind kam, und zwar wieder aus der Perspektive der Bankenverbände. Worum geht es? In den USA war die Kreditvergabe lange Jahre relativ normal. Es wurde nämlich immer geschaut, ob die Haushalte die Kredite auch tragen können. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Variabel!) Dann kam es ab dem Jahr 2000 in kurzer Zeit dazu, dass der Anteil der Kredite an Haushalte mit geringem Einkommen, die die Schulden nicht tragen konnten, massiv angestiegen ist. Er hat sich in sechs Jahren auf 600 Milliarden Dollar verdreifacht. Das zeigt eben, dass in wenigen Jahren eine massive Fehlentwicklung eintreten kann. Den Schaden hatten dann nicht nur die Banken, sondern ganz viele Menschen haben das wenige Eigenkapital, das sie hatten, dadurch verloren, dass sie Kredite aufgenommen hatten; denn nachher hatten sie weder das Haus noch ihr Kapital, sondern waren ärmer als vorher. Es war also auch für die Verbraucher schlecht. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das hat es in Deutschland noch nie gegeben!) Genau die Regeln, die eine Kreditvergabe vor dem Hintergrund der Einkommen und der Schuldentragfähigkeit des Haushalts begrenzen würden, wenn es eine Fehlentwicklung gibt, sind auf Betreiben der Bankenverbände aus diesem Gesetz herausgenommen worden. Das war der zweite Punktsieg für die Bankenverbände. Wir halten das für fatal, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) und zwar nicht, weil es schon heute eine solche Fehlentwicklung gäbe, sondern weil uns die Geschichte in anderen Ländern zeigt, dass eine Branche, die vielleicht über Jahrzehnte seriöse Geschäfte macht, plötzlich zu einer Fehlentwicklung beitragen kann. Man braucht also ein Gesetz, um in diesem Fall gegensteuern zu können. Sie haben dem Gesetzentwurf jedoch auf Betreiben der Bankenverbände die Zähne gezogen. So geht das nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Im zweiten Teil des Gesetzentwurfes geht es leider ähnlich weiter. Da geht es darum, die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie zu korrigieren. Aus den Reihen der Bankenverbände gab es den Impuls, für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Daraufhin sind Sie ganz schnell tätig geworden und haben gesagt: Wenn die Banken eine Problemanzeige machen, dann reagieren wir darauf. – An dieser Stelle finden wir das richtig. Rechtssicherheit da zu schaffen, ist gut. Aber es gibt noch andere Punkte, an denen diese Richtlinie nicht gut umgesetzt worden ist. Dort gibt es richtige Probleme – diesmal von Verbraucherseite. Wir haben gesagt: Lasst uns auch das Problem bei den sogenannten Vorfälligkeitsentschädigungen angehen. Da geht es darum, was man einer Bank, wenn man einen Kredit früher zurückzahlt, zum Beispiel, weil man nach einer Scheidung ein Haus verkaufen muss, zahlen muss. Wir wissen, dass sich die Banken regelmäßig zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher verrechnen, dass die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigungen völlig intransparent ist und dass die Rechtsetzung in Deutschland der EU-Richtlinie nicht entspricht. Damit beschäftigt sich jetzt eine Arbeitsgruppe, sodass es in dieser Legislaturperiode nicht zu einer Regelung kommen wird. – Dritter Punktsieg für die Bankenverbände. So geht das nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nächster Punkt: Koppelungsgeschäfte beim Abschluss von Restschuldversicherungen. Auch da hätte man zügig etwas machen können. Wir haben vereinbart, dass das im Rahmen der Umsetzung einer Versicherungsrichtlinie geschieht. Dass wir diesen Zustand überhaupt haben, hat aber auch etwas damit zu tun, dass bisher stärker auf die Banken als auf die Verbraucher gehört wurde. Auf diesem Markt werden teilweise Versicherungsprodukte am Bankschalter verkauft, obwohl nur 20 Prozent der Prämienzahlung irgendetwas mit dem Kundennutzen zu tun hat. Der Rest bleibt im Vertrieb hängen oder ist Gewinn für die Versicherungsgesellschaft. Solche Produkte braucht man nicht. Es gibt massenweise Fehlberatungen. Dagegen hätte man schon mit diesem Gesetzentwurf etwas tun müssen. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Machen wir!) Auch da gab es Bremsmanöver auf Betreiben der Bankenverbände. So geht das nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) So ist es auch bei der Frage der Immobilienverzehrkredite. Sie sind aus dem Anwendungsbereich der Regelungen zu Verbraucherdarlehen herausgenommen worden, obwohl es auch da etwas für die Verbraucher hätte geben müssen. Wieder ein Punktsieg für die Bankenverbände. Wir können einem solchen Gesetzentwurf nicht zustimmen, auch wenn da einzelne gute Regelungen drin sind; denn wir sagen: Es muss faire Bedingungen für Verbraucherinnen und Verbraucher am Finanzmarkt geben. Große Koalitionen scheinen gut für Bankenverbände zu sein. Deswegen muss man sie auch ablösen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Matthias Hauer für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Matthias Hauer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz. Dass dieses Gesetz aus zwei Teilen besteht, das haben wir gerade schon gehört. Wir haben auch sehr viel zum ersten Teil, in dem es um das Thema „Immobilienblasen vermeiden“ geht, gehört. Dass wir die Instrumente, die wir nun an die Hand bekommen, vonseiten der Politik hoffentlich nie brauchen werden, ist, glaube ich, hinreichend erörtert worden. Ich will mich daher auf den zweiten Teil des Gesetzentwurfes konzentrieren und verweise hinsichtlich des ersten Teils auf das, was meine Kollegin Antje Tillmann, die finanzpolitische Sprecherin der Union, schon dargelegt hat. Der Name des vorgesehenen Gesetzes mag recht sperrig sein. Mit dem zweiten Teil des Gesetzentwurfs wollen wir aber für etwas sorgen, was für den Verbraucherschutz in Deutschland sehr wichtig ist: Wir bauen die Hürden ab, die bei der Vergabe von Wohnimmobilienkrediten im vergangenen Jahr entstanden sind. Seit einem Jahr besteht Rechtsunsicherheit. Banken und Sparkassen haben deshalb viele Kredite abgelehnt, gerade Kredite für junge Familien und Senioren. Gerade habe ich gehört: Wir brauchen mehr Wohnungen. – Das stimmt sicherlich. Das gilt aber besonders für junge Familien. Die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie hat zu viel Unsicherheit geführt. Der damalige Gesetzentwurf aus dem Hause von SPD-Minister Heiko Maas – wir haben das schon in der ersten Lesung vor zwei Monaten diskutiert – hatte erhebliche Mängel. In meiner damaligen Rede habe ich diese Mängel im Detail benannt. Ich habe deutlich gemacht, dass ein wichtiger Halbsatz, der eine Ausnahmeregelung betrifft, nicht ins deutsche Gesetz übernommen wurde, und auch, dass durch viele unbestimmte Rechtsbegriffe viel Rechtsunklarheit im deutschen Recht gestiftet wurde. Das reparieren wir heute. Den fehlenden Halbsatz fügen wir ins Bürgerliche Gesetzbuch und ins Kreditwesengesetz ein. Für weitere Klarheit wird eine Rechtsverordnung der Bundesregierung, in diesem Falle eine gemeinsame Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, sorgen. Wir erwarten, dass die Ministerien in die Beratungen auch Vertreterinnen und Vertreter der Kreditwirtschaft und des Verbraucherschutzes einbeziehen, damit wir eine praxisnahe Lösung, eine praxisgerechte Ausgestaltung bekommen, damit diejenigen, die sich einen Kredit leisten können, diesen dann auch bekommen. Mit dem Gesetz wird es nun wieder möglich, bei der Kreditwürdigkeitsprüfung stärker auf den Wert der Immobilie abzustellen, was auch viel Sinn macht. Wir erreichen damit, dass junge Familien wieder leichter Wohneigentum erwerben können und dass ältere Menschen den altersgerechten Umbau ihrer Immobilie besser finanzieren können. Das erreichen wir mit dem Gesetz, und das war auch stets Anliegen von CDU und CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben mit dem Gesetz auch das Thema Koppelungsgeschäfte aufgegriffen. Worum geht es dabei? Wenn eine Bank einen Kreditvertrag abschließt und das Ganze an den Abschluss eines weiteren Vertrages koppelt, dann sorgt das schon mal für Unstimmigkeiten. Es gibt Koppelungen, die Sinn machen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn auch ein Sparkonto eröffnet werden muss und von diesem Sparkonto dann die Kreditraten bedient werden. Es gibt aber auch Koppelungen, die jedenfalls für die Kundinnen und Kunden keinen Sinn machen, sondern nur für die Kreditinstitute. Da fügen wir die Klarstellung ein, dass Koppelungen dem Nutzen für Kundinnen und Kunden dienen müssen. Das regeln wir im Kreditwesengesetz und mit Aufnahme eines Verweises im Bürgerlichen Gesetzbuch. Das ist übrigens erst im Gesetzgebungsverfahren aufs Tableau gekommen. Insofern kann man sagen: Wir haben das Gesetz an der Stelle noch ein Stück besser gemacht. Auch das Thema Vorfälligkeitsentschädigung – Herr Dr. Schick von den Grünen hat es gerade auch angesprochen – haben wir im Gesetzgebungsverfahren intensiv beraten. Wir haben die Sachverständigen in der Anhörung dazu befragt. Ich habe für die Unionsfraktion sehr deutlich gemacht, dass es für den durchschnittlichen Kreditnehmer derzeit kaum möglich ist, die Vorfälligkeitsentschädigung annähernd korrekt zu berechnen. Hier herrscht eine gewisse Intransparenz. Da müssen wir ran. Da müssen wir Klarheit schaffen. Wir wollen also mehr Transparenz für diejenigen, die einen Kredit aufnehmen wollen. Wir wollen aber auch eine gute Lösung, und auf dem Weg dahin sind wir. Es gibt eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, die genau das anstrebt, nämlich Klarheit bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung. Deshalb ist es vernünftig, die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe abzuwarten. Wir erwarten – diese Erwartung möchte ich heute noch einmal deutlich formulieren –, dass uns die Ergebnisse zügig zur Verfügung gestellt werden, damit wir Änderungen im Sinne von mehr Transparenz vornehmen können. Ich hoffe, dass es in dieser Legislaturperiode klappt. Falls es in dieser Legislaturperiode nicht mehr klappt, wird das sicherlich die nächste unionsgeführte Koalition nach der Bundestagswahl angehen. (Sarah Ryglewski [SPD]: Dann dauert es ja noch! – Weitere Zurufe von der SPD) – Nach der kommenden Bundestagswahl. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es ist auch eine Art, sich zu irren!) Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs hatte ich für die Unionsfraktion betont, dass am Ende der Beratung eine Lösung stehen muss, die für mehr Rechtssicherheit sorgt, die aber gleichzeitig bei der Kreditwürdigkeitsprüfung den Bogen nicht überspannt. Das werden wir mit dem Gesetz, das auch mehr Verbraucherschutz bringen wird, erreichen. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung zu dem Gesetz. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wir applaudieren trotzdem!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Johannes Fechner ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Johannes Fechner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Heute beschließen wir ein wichtiges Gesetz. Es ist wichtig, dass wir nicht 20 Jahre warten, bis es wieder eine Legislaturperiode mit einer unionsgeführten Bundesregierung gibt, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) sondern dass wir für die jungen Familien und die Seniorinnen und Senioren schnell tätig werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben noch vor der letzten Sommerpause mit Zustimmung der Union – mit eurer Zustimmung! – das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie beschlossen, und es war richtig; dafür gab es gute Gründe. Auf Basis dieses Gesetzes wollten wir verhindern, dass es in Deutschland zu einer Immobilienblase mit den katastrophalen Auswirkungen kommt, wie wir sie in den USA gesehen haben. Wir haben dann aber relativ bald Klagen gehört, nicht nur von den Bankenverbänden, sondern gerade auch von Familien und Senioren, dass die Banken keine Kredite mehr vergeben mit der Begründung, die Rechtslage sei – angeblich – unklar. Dann kann man natürlich die Frage stellen, ob das tatsächlich so ist oder ob die Banken nicht deshalb so zurückhaltend sind, weil die große Diskussion über den sogenannten Widerrufsjoker, die wir hatten, für Verunsicherungen gesorgt hat. Mein Eindruck war auch, dass die eine oder andere Privatbank den Schwarzen Peter nach Berlin geschoben hat, anstatt einem Kunden zu sagen: Das Einkommen reicht halt nicht. – Da hat man es sich im Einzelfall durchaus etwas einfach gemacht. (Beifall bei der SPD) Jetzt aber stellen wir klar – das halten wir für eine ganz wichtige Maßnahme –, dass die Umsetzung, wie Kollege Binding und ich auch gefordert haben, so gemacht wird wie in Österreich, indem von der strengen Kreditwürdigkeitsprüfung der Bau von Immobilien oder die Sanierung – etwa der altersgerechte Umbau – ausgenommen wird. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Steht ja auch in der Richtlinie!) – Die Möglichkeit dazu steht da drin, und deshalb machen wir es jetzt so, wie es die Österreicher umgesetzt haben. Ich finde, es ist eine wichtige Maßnahme, hier in der Weise für Rechtssicherheit zu sorgen, dass insbesondere der Wert einer Immobilie als Sicherungsmittel berücksichtigt werden kann. Das wird jungen Familien, das wird befristet Beschäftigten und das wird Seniorinnen und Senioren eine große Hilfe sein, weil sie jetzt die Chance haben, einen Kredit zu bekommen. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Es werden dann in der Rechtsverordnung, die schon angekündigt ist, die konkreten Faktoren, die für die Kreditwürdigkeitsprüfung ausschlaggebend sein sollen, geregelt werden können, also: Wie ist das Schuldnereinkommen zu berücksichtigen? Wie ist sein Vermögen zu berücksichtigen? – Auch das wird ganz erheblich zur Rechtssicherheit beitragen. Vor allem gilt dann eines: Die Banken haben dann keine Ausreden mehr. Die müssen dann auf dieser klaren Rechtsgrundlage die Kredite bewilligen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Mit diesem wichtigen Gesetz schaffen wir eine präzise und klare Rechtslage, damit jungen Familien und Senioren Kredite bewilligt werden können. Die Banken sind jetzt in der Verantwortung. Es gibt jetzt keine Ausreden mehr. Lassen Sie uns dieses gute Gesetz verabschieden! Es ist kein Punktsieg für die Bankenlobby, lieber Kollege Schick, sondern es ist ein Punktsieg für Familien, für Senioren und für befristet Beschäftigte. Stimmen wir dem zu! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Radwan (CDU/CSU): Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz, das auch eine Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie beinhaltet. Die Kollegen haben ja schon entsprechend die Details aufgeführt. Lassen Sie mich jeweils zwei Punkte vor die Klammer ziehen, bevor ich dann auf eine grundsätzliche Frage des Aufsichtsrechts eingehe. Ich glaube, wir sind uns heute einig, dass wir ein Gesetz für Deutschland machen und nicht für die USA. Darum sollten wir die USA, die in manchen Grundstrukturen gar nicht mit uns vergleichbar sind, nicht permanent heranziehen, auch wenn sie als Horrorgemälde für den anstehenden Wahlkampf wunderbar geeignet scheinen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Außerdem sollten Gesetzgeber Gesetze immer mit Blick auf das machen, was am Schluss vor Gericht herauskommt. Darum sollten wir, wenn es hier, verursacht durch den Gesetzgeber, Unsicherheiten im Markt gibt, diese nicht vom Tisch wischen, sondern sie auch korrigieren. Das ist angebracht, und das tun wir heute. Wir tun das, meine Damen und Herren, weil wir aufgrund vieler Rückmeldungen gemerkt haben, dass Senioren, dass Geringverdiener, Herr Kollege Troost, dass junge Familien Schwierigkeiten haben, Immobilien zu finanzieren. Das war also die Folge des Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Dabei höre ich regelmäßig von Ihrer Seite, dass Sie fordern, die Immobilienvergabe an diese zu erleichtern. Darum ist diese Korrektur, die wir heute machen, dann, wenn sie die erhoffte Wirkung zeigt, ein Sieg für junge Familien, für Senioren und für Menschen mit geringen Einkommen in Deutschland und nicht für die Bankenlobby. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sie reden jetzt zu einem anderen Teil des Gesetzes!) – Ich rede über den ersten Teil, weil hier regelmäßig gesagt wurde, wir würden nur eine Seite berücksichtigen. Wir machen hier Gesetze für die Bürger in Deutschland. Wenn manche Fraktionen hier meinen, sie müssten für junge Familien und für Senioren und Menschen mit geringen Einkommen keine Politik machen, dann nehmen wir das so zur Kenntnis, finden es aber schade. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist Nebelwerferei, was Sie hier machen! – Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zum Thema Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz hat die Kollegin Tillmann entsprechend vorgetragen, welche Instrumente wir zukünftig für die BaFin vorsehen wollen. Aber, meine Damen und Herren, neben diesen Instrumenten, die wir diskutiert haben, halte ich es schon für grundsätzlich von Wert, darüber nachzudenken, welchen Paradigmenwechsel wir mit diesem Gesetz einführen und wie wir diesen möglicherweise weiterentwickeln. Das, was bei diesem Gesetz neu ist, ist, dass wir – ausgehend von den Empfehlungen des Ausschusses für Finanzstabilität – der BaFin Instrumente an die Hand geben, damit dann, wenn eine Blase drohen sollte – sie ist also noch nicht da –, entsprechend makroökonomisch präventiv gehandelt werden kann. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Und zwar in Deutschland, nicht in den USA!) – Genau, das ist das Entscheidende, Herr Kollege Troost. Darum war ich immer verwirrt, wenn in diesem Zusammenhang von den USA die Rede war. Wir sollten aber auch darüber nachdenken – ich halte diesen Ansatz grundsätzlich für diskussionswürdig –, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aha!) ob wir nicht sagen müssen: Wir können nicht alles gesetzgeberisch regeln. – Das Kernproblem, das sich dahinter verbirgt, ist doch, dass seit der USA-Krise eine Flut von Gesetzen losgetreten worden ist. Ich habe bis jetzt niemanden gefunden, der mir gesagt hat: Letztendlich können wir alle Eventualitäten durch Gesetzgebung erfassen. – Da das nicht der Fall ist, sollten wir der Aufsicht präventiv, damit sie entsprechend flexibel reagieren kann, Instrumente an die Hand geben, aber gleichzeitig, wie es auch der Vorschlag der G 20 ist, die Gesetze überprüfen, die möglicherweise noch nicht zu dem beigetragen haben, was wir uns an Finanzstabilität wünschen. Es kann also ein Paradigmenwechsel sein. Ich denke, wir sollten diese Diskussion fortführen. Darum halte ich zwei Elemente für richtig. Die BaFin soll frei sein in ihrem Agieren im Markt, aber nicht vogelfrei. Vielmehr braucht sie eine entsprechende Legitimation gegenüber dem Deutschen Bundestag. Darum haben wir Berichtspflichten der BaFin gegenüber dem Deutschen Bundestag bzw. dem Finanzausschuss für den Fall, dass ein solches Instrument geschaltet wird, vorgesehen. Das dient dazu, dass erklärt wird, warum ein entsprechendes Instrument angewandt wird, welche Auswirkungen erwartet werden, und dass darüber debattiert werden kann. Ich halte es außerdem für dringend notwendig, dass es mit dem Ausschuss für Finanzstabilität einen regelmäßigen Dialog gibt. Das darf nicht nur in der Form geschehen, dass uns das entsprechende Papier, die entsprechende Meinung übersandt wird. Vielmehr müssen dessen Vertreter auch in den Ausschuss kommen und mit uns darüber diskutieren, welche Entwicklung sie im nächsten Jahr auf dem Finanzmarkt erwarten, damit wir eine Einschätzung haben. Damit bekommen wir eine gewisse Stabilität für die Verbraucher, den Gesetzgeber und die Finanzindustrie. Ich glaube, wir können hier einen guten neuen Anstoß geben und sollten das andere durchaus kritisch weiter begleiten. Letztendlich sage ich noch einmal: Es ist ein guter Tag für Leute mit niedrigem Einkommen, für junge Familien, für Rentner, die zukünftig eine Immobilie finanzieren wollen. Stimmen Sie doch zu! Das wäre ein Signal an diejenigen, die sich hier entsprechend etwas leisten wollen. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält die Kollegin Sarah Ryglewski für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sarah Ryglewski (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Lieber Herr Radwan, ja, das ist ein guter Tag für Familien und Seniorinnen und Senioren in Deutschland; das ist in der Tat so. Ich finde es richtig, dass wir hier diese Änderungen vornehmen. Wir tragen diese Änderungen gemeinschaftlich, genauso wie wir auch die erste Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie gemeinsam getragen haben. Aber ich finde, wir müssen aufpassen, dass wir die Debatte nicht verzerren. Es gibt Gründe, warum wir die Regelungen der Wohnimmobilienkreditrichtlinie auch in Deutschland brauchen. Natürlich sind wir nicht Spanien, nicht Griechenland und auch nicht die USA. Aber auch in Deutschland gibt es Gefahren. Es wurde ja in der Debatte über den ersten Teil des Gesetzentwurfs, als es um die Makroebene ging, deutlich, dass es auch auf einem stabilen Markt schnell Entwicklungen geben kann, die zu einer Blasenbildung führen, eben weil Kredite unsauber vergeben werden oder weil wir in eine Situation kommen, wo Kredite vielleicht nicht mehr so tragfähig sind. Deswegen war es richtig, dass wir die Wohnimmobilienkreditrichtlinie hier auch umgesetzt haben. Wir haben das also nicht nur gemacht, weil es EU-Recht ist, sondern auch, weil es Sinn macht, Leute vor Krediten zu schützen, die sie am Ende nicht mehr bedienen können. (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) – Danke schön. – Insofern, finde ich, müssen wir schauen, dass wir die Debatte versachlichen. Wir verfolgen hier zwei Zielsetzungen: Wir wollen, dass Menschen, die einen Kredit brauchen und sich leisten können, ihn auch bekommen, aber wir wollen eben auch die Menschen schützen, die möglicherweise im Zuge des Immobilienbooms dazu verlockt werden, sich ein Haus zu kaufen oder zu bauen, und dann am Ende vor dem Nichts stehen. Wir haben hier entsprechende Klarstellungen vorgenommen; darauf muss ich im Detail nicht mehr eingehen. Mir ist es aber noch einmal ganz wichtig, zu sagen, dass wir aufpassen müssen, in der Diskussion nicht aus dem Auge zu verlieren, dass wir jetzt eine Klarstellung vorgenommen haben, damit die Banken anhand klarer Kriterien, die wir in der Verordnung regeln werden, die Kreditwürdigkeit feststellen können. 110-Prozent-Finanzierungen, wie es sie in Deutschland auch gibt, bei denen zusätzlich zum Immobilienkredit noch einmal der Dispo ins Exorbitante erhöht wird, will ich dann aber auch nicht mehr sehen; die passen nicht dazu. Wir haben jetzt klare Kriterien. Das heißt, auch die Banken sind in der Verpflichtung und auch in der Haftung, wenn sie Kredite vergeben, die für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht tragfähig sind. (Beifall bei der SPD) Man bekommt natürlich, Herr Kollege Schick, immer viel Applaus draußen, wenn man über Lobbyismus und über die Abgeordneten schimpft, die sich allzu leicht davon beeindrucken lassen. Aber wir haben doch das Ansinnen der Banken in diese Richtung abgelehnt. Wir haben gesagt: Ihr bekommt eure Verordnung, ihr bekommt Rechtssicherheit, aber ihr seid auch in der Verpflichtung, entsprechend vernünftig zu prüfen. Wenn ihr das nicht tut, dann seid ihr in der Haftung. – Das ist richtig, und dazu stehen wir auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Einen letzten Satz möchte ich zum Thema Vorfälligkeitsentschädigung sagen. Hier ist die Lage aktuell in der Tat so, dass das Ganze sehr zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher geht: einmal aufgrund von Intransparenz, zum anderen deswegen, weil die Gebühren, die dafür erhoben werden, teilweise massiv überzogen sind. Hier hätte ich mir deutlich mehr gewünscht. Das habe ich auch im Ausschuss gesagt. Ich glaube, das Problem ist hinlänglich bekannt. Die Arbeitsgruppe hätte hier zügig zu einem Ergebnis kommen sollen. Deswegen finde ich es wichtig – wir müssen da dranbleiben, Herr Kollege Hauer, und dafür sorgen, dass die vielleicht noch ein bisschen Gas geben –, dass wir hier noch in dieser Legislaturperiode zu einem Ergebnis kommen. (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Ist das Ministerium von Herrn Maas nicht in der Arbeitsgruppe?) – Ich habe nur gesagt, wir als Abgeordnete sollten ein Auge darauf haben, dass die gemeinsame Arbeitsgruppe jetzt auch gründlich arbeitet und zu einem guten Ergebnis kommt, (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Das ist richtig! Das haben wir verstanden!) damit wir am Schluss einen noch besseren Tag für Familien und für Verbraucherinnen und Verbraucher haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ergänzung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11774, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den beiden Drucksachen 18/10935 und 18/11420 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken und bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen der Gesetzentwurf angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11784. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) Drucksache 18/11287 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11769 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Das scheint unstreitig zu sein. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Enak Ferlemann das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir können jetzt, wo wir auf die Zielgrade der Legislaturperiode einbiegen, sagen, dass wir wohl eine der erfolgreichsten Legislaturperioden für die Verkehrspolitik seit den Zeiten, als Verkehrsminister Seebohm die Verantwortung für die Verkehrspolitik trug – damals noch von der legendären Deutschen Partei –, haben. Wir haben in dieser Legislaturperiode wirklich gemeinsam Unglaubliches geleistet. Ich darf mich an dieser Stelle ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen bedanken und insbesondere auch, lieber Michael Meister, beim Finanzminister, weil er uns immer sehr unterstützt hat und das hoffentlich auch weiter tut. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Neben den vielen Gesetzen, die wir gemeinsam verabschiedet haben – eine unglaubliche Investitionsinitiative mit sage und schreibe 271 Milliarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur bis 2030 –, und vielem anderen setzen wir heute mit der Verabschiedung des Schienenlärmschutzgesetzes dem Ganzen noch die Krone auf. Viele Millionen Menschen haben auf dieses Gesetz gewartet, und sie haben wahrscheinlich – wenn man ehrlich ist – nie geglaubt, dass in dieser Wahlperiode ein solcher Gesetzentwurf von uns vorgelegt wird und von Ihnen heute beschlossen werden kann. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass wir im Verkehrsausschuss als dem federführenden Fachausschuss eine einstimmige Beschlusslage hinbekommen haben. Das ist bei so einem komplizierten Thema nicht selbstverständlich. Was regeln wir? Viele Menschen sagen: Ein ICE oder ein IC läuft relativ leise, das gilt in aller Regel auch für Nahverkehrszüge, aber warum ist es bei Güterzügen nicht so? – Hintergrund ist: Güterzüge bremsen wir mit Stahl auf Stahl, das heißt, das Stahlrad wird mit einer Stahlbremse gebremst. Das raut das Rad auf, und weil es dadurch unrund wird, fängt das Rad an zu holpern – was wir mit dem menschlichen Auge nicht sehen, aber das erzeugt die lauten Geräusche. Bei Fernverkehrs- oder Nahverkehrszügen bremsen wir mit einer Kompositsohle, die das Rad nicht aufraut. Deswegen bleibt das Rad glatt und erzeugt damit nicht die hohen Lärmfrequenzen. So war es klug, dass wir vor einiger Zeit ein Förderprogramm aufgesetzt haben und gesagt haben: Wir wollen, dass die Güterwagen von der Bremsung mit Stahl auf die Bremsung mit Kompositsohle oder sogenannter Leichtlaufsohle, mit der man nach einer kleinen Nachrüstung den gleichen Effekt erzielen kann, umgerüstet werden. Das ist sehr erfolgreich gelungen. Wir haben damals gesagt: Wenn bis 2016 nicht etwa die Hälfte der Güterwagen, die hier in Deutschland fahren, umgerüstet ist, wollen wir den entsprechenden Güterverkehr mit bestimmten Maßnahmen eingrenzen. Da wir mit der Umsetzung des Programmes sehr erfolgreich sind – ich gehe davon aus, dass wir um die 50 Prozent der Güterwagen in Deutschland umgerüstet haben –, haben wir uns dazu entschlossen, den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das zur Fahrplanperiode 2020/2021 die Fahrten mit lauten Güterwagen in Deutschland komplett verbietet. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vorbild für uns ist dabei – wie bei Eisenbahnthemen so häufig – die Schweiz. Sie hat das im gleichen Zeitraum vor. Die Niederländer unterstützen es ebenso. Alle anderen europäischen Länder wundern sich, welches vermeintliche Luxusproblem da Deutschland bewegt. Aber wir wollen mehr Verkehr, gerade Güterverkehr, von der Straße auf die Schiene bringen, und obwohl fast alle Bürger sagen, das sei grundsätzlich richtig, ist es für die Leute eine Schreckensnachricht, wenn der Güterverkehr dann tatsächlich kommt. Sie klagen: Dieser ganze Lärm, dieser Krach! – Darum ist es im Sinne der Steigerung der Akzeptanz des Verkehrsträgers Schiene wichtig, dass wir sagen: Wir müssen mit dem Lärm deutlich runter. – Deswegen wollen wir den Lärm bis 2020 im Vergleich zu den Jahren 2008/2009 in ganz Deutschland halbiert haben. Dafür brauchen wir diese Maßnahmen. Damit die Wirtschaft weiß, dass wir nicht nur darüber reden, sondern es ernst meinen, braucht es dieses Gesetz, um auch noch die letzten, vor allem ausländischen Wagenhalter zur Umrüstung zu bewegen, damit wir das große Ziel insgesamt erreichen können. (Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Haben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege? Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege Willsch. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Das ist lieb, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, Sie haben es selbst angesprochen: Es ist eine gute Nachricht, auch für den Rheingau, aus dem ich komme, dass wir die Klapperkisten wegbekommen. Sie gehören ins Museum und nicht auf die Schiene. Aber mehr Verkehr ist dennoch problematisch. Deswegen diskutieren wir ja auch über eine Alternativtrasse für das Mittelrheintal. Da ist im Bundesverkehrswegeplan etwas Entsprechendes vorgesehen. Meine Frage ist: Geht es da vorwärts? Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geehrter Herr Kollege, wir reden zwar heute über ein Gesetz, das das Rad-Schiene-System verändert, aber Sie stellen eine Frage zur Infrastruktur. Gleichwohl will ich sie Ihnen gerne beantworten. – Es ist eine der größten Herausforderungen, das herrliche Mittelrheintal vom Schienenlärm zu befreien. Dazu gibt es unter anderem die Maßnahmen, über die wir heute reden. Aber wir werden um eine neue Infrastruktur nicht herumkommen. Dieses Projekt steht im sogenannten Potenziellen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans. Bund-Länder-Arbeitsgruppen sind dabei, das zu bewerten. Potenzieller Bedarf heißt: Fällt die Bewertung positiv aus, rückt das Projekt automatisch in die höchste Kategorie, den sogenannten Vordringlichen Bedarf. Wir haben es hier mit einem Projekt zu tun, bei dem wir mit rund 7 Milliarden Euro Kosten rechnen. Wir werden keinen durchgängigen Tunnel bauen können. Wir werden sicherlich Tunnel an Tunnel legen, um dieses Problem zu beheben. Ich glaube, es ist auf einem sehr guten Weg. Sie können am Wochenende sehr erfreut zu den Bürgerinnen und Bürgern Ihres Wahlkreises fahren und die gute Nachricht überbringen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Sollten weitere Fragen dieser Art kommen, will ich sie gerne beantworten. Das können wir aber auch an anderer Stelle fortsetzen. Das Gesetz, das wir heute verabschieden werden, ist wirklich gut. Es gibt allerdings eine unterschiedliche Bewertung. Der Verkehrsausschuss hat gesagt: Wir wollen den diskriminierungsfreien Zugang zum deutschen Netz anders gestalten, als das Verkehrsministerium es vorgesehen hat. Wir haben unsere Bedenken dazu angesichts des großen juristischen Sachverstandes im Verkehrsausschuss zurückgestellt, weil die Experten gesagt haben, die Regelung sei europarechtskonform. Wir kennen uns als Verkehrsministerium damit aus: Auch die Maut ist europarechtskonform gewesen. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na, mal sehen!) Wir glauben, dass das auch in diesem Fall so sein wird. Deswegen werden wir das Gesetz mittragen und auch auf europäischer Ebene vorlegen und durchbringen. Damit bin ich bei dem letzten Problem. In Europa ist man noch nicht so weit in Sachen Schallschutz auf der Schiene, wie wir Deutschen, die Niederländer und die Schweizer das sind. Es wird viel Überzeugungskraft kosten, die Europäische Kommission dazu zu bringen, das Gesetz, das wir heute beschließen, europaweit anwendbar zu machen. Es muss unser Ehrgeiz sein, dafür zu sorgen, dass in ganz Europa der Schienenverkehr leiser wird. In diesem Sinne freue ich mich sehr, wenn wir den vorliegenden Gesetzentwurf heute über die Hürde heben und auch der Bundesrat in seiner nächsten Sitzung diesen Gesetzentwurf verabschiedet, sodass das Gesetz in Kraft treten kann. Es ist ein wahres Highlight der Verkehrspolitik, was wir heute beschließen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Jetzt hat Dr. André Hahn für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Heimat, die Sächsische Schweiz mit der Oberelbe, umgeben von einem fantastischen Sandsteingebirge, ist eines der touristischen Kleinode in Deutschland. In diesem Naturschutzgebiet und in den umliegenden Gemeinden gibt es zwei Dinge, die Einwohner und Touristen gleichermaßen stören: die im Tiefflug über die Sächsische Schweiz hinwegdonnernden Militärflugzeuge sowie der ebenso erheblich lärmverursachende Eisenbahnverkehr im oberen Elbtal von Coswig hoch bis an die tschechische Grenze in Schmilka, vor allem durch die täglich 130 bis 140 durchfahrenden Güterzüge. Lärm macht krank, und es ist daher auch Aufgabe der Politik – hier sind wir uns hoffentlich alle einig –, die Lärmemissionen auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Erwartungen an uns Abgeordnete diesbezüglich sind hoch, wie ich aus meiner Arbeit als Mitglied des Kreistages und nach vielen Gesprächen mit Bürgerinitiativen, betroffenen Bürgern und Unternehmen in meinen Wahlkreisen Sächsische Schweiz – Osterzgebirge sowie Meißen weiß. Ich kann den Unmut über die derzeit dort bestehende Situation sehr gut verstehen. Hier muss endlich Abhilfe geschaffen werden. (Beifall bei der LINKEN) Die am 14. März dieses Jahres in Dresden vorgestellte Machbarkeitsstudie zum Lärmschutz im Elbtal war ein Schritt in die richtige Richtung. Die nachfolgende Diskussion mit Kommunalpolitikern und Anwohnern machte aber auch deutlich, welche Fragen noch zu klären sind. Dies betrifft insbesondere die Gestaltung und Wirksamkeit der vorgesehenen Lärmschutzwände. Ich erwarte vor allem, dass die Bundesregierung die notwendige Finanzierungsvereinbarung mit der Bahn und dem Land Sachsen zur Umsetzung der Maßnahmen zur Lärmreduzierung kurzfristig abschließt, damit die Realisierung noch 2017 beginnen kann. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, Schienenlärm ist nicht nur in meiner Region für die Anwohner ein großes Problem, sondern existiert entlang vieler Bahnstrecken, insbesondere solchen mit zahlreichen lauten Güterzügen. Deshalb läuft seit 2012 ein Förderprogramm des Bundesverkehrsministeriums zur Umrüstung alter Graugussbremssohlen auf sogenannte Flüsterbremsen – auch wenn der Begriff leider eine Übertreibung ist. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Damit sollen die Lärmemissionen um bis zu 10 Dezibel reduziert werden, was allerdings nur funktioniert, wenn alle Wagen in einem Zug diese neuen Bremsen haben. Ende 2016 – wir haben es gehört – war bereits rund die Hälfte der deutschen Güterwagen umgerüstet; bis zum Jahr 2020 sollen nahezu alle deutlich leiser sein. Der Entwurf der Bundesregierung für ein Schienenlärmschutzgesetz ist – im Unterschied zu vielen anderen Gesetzentwürfen aus dem Hause Dobrindt – grundsätzlich sinnvoll. (Zurufe von der CDU/CSU: Hey! – Gegenruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist echt die Ausnahme!) – Ja, warum soll man das nicht auch sagen? – Daran haben die zahlreichen Bürgerinitiativen gegen Bahnlärm, denen ich an dieser Stelle für ihre engagierte Arbeit sehr herzlich danken möchte, einen großen Anteil. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Selbst in der Anhörung des Verkehrsausschusses gab es große Einigkeit in Bezug auf den Gesetzentwurf, und in der abschließenden Beratung des Ausschusses gestern wurden weitere Verbesserungen vorgenommen, sodass die Linke dem Gesetzentwurf in der nun vorliegenden Fassung zustimmen wird. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gegenruf von der LINKEN: Nicht erschrecken!) Gleichwohl gibt es aus unserer Sicht noch weitere Maßnahmen, die sinnvoll und notwendig wären. Ich will nur drei Punkte nennen. Erstens sollten neben der Auflage, dass Züge mit lauten Güterwagen nur noch mit verminderter Geschwindigkeit fahren dürfen, diese über ein verändertes Preissystem für die Trassennutzung auch deutlich stärker zur Kasse gebeten werden, zumal durch langsame Fahrten die Durchlässigkeit der jeweiligen Strecke eingeschränkt wird. Zweitens sollten die Lärmemissionen der Züge nicht nur anhand von theoretischen Annahmen bewertet werden, sondern auch in der realen Praxis mithilfe der ohnehin im Bahnnetz vorgesehenen Monitoringstationen. (Beifall bei der LINKEN) Laut Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage vom vergangenen Monat betreibt die DB Netz AG im oberen Elbtal bislang keine Schienenlärmmessstelle und beabsichtigt auch nicht, dort eine zu schaffen. Das ist nicht akzeptabel. Ich meine, dass eine solche Messstelle dringend benötigt wird. (Beifall bei der LINKEN) Drittens ist und bleibt es Aufgabe der Bundesregierung, sich auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes für ein EU-weites echtes Verbot von lauten Güterwagen einzusetzen. Mein Landkreis liegt direkt an der tschechischen Grenze. Auf der Bahnstrecke im Elbtal verkehren viele Güterzüge mit Waggons aus Tschechien, Österreich und Ungarn. Auch dort muss sich etwas ändern, wenn der Bahnlärm nachhaltig minimiert werden soll. Meine Damen und Herren, bis zum 13. Dezember 2020, dem Tag, ab dem mit Inkrafttreten des Netzfahrplans für das Folgejahr die Nutzung lauter Güterwagen auf dem deutschen Schienennetz verboten sein wird, ist es noch ein ganzes Stück hin. Aber auch danach wird es durch Schienenverkehr verursachten Lärm geben, vor allem, wenn die Güterwagen zwar leiser werden, aber die Zahl der fahrenden Züge immer größer wird. Wir als Linke sind der Überzeugung, dass alle Menschen in diesem Land ein Recht darauf haben, vor krankmachendem Verkehrslärm geschützt zu werden, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) egal ob von der Schiene oder von der Straße verursacht. Hier muss der Staat seine Hausaufgaben machen. Auch wenn die Deutsche Bahn und das Verkehrsministerium bei diesen Themen bisher eher im Schneckentempo unterwegs waren: Der vorliegende Gesetzentwurf ist überfällig und wird von uns unterstützt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin spricht Annette Sawade für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Annette Sawade (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Besuchertribünen! „Der Zug fährt quasi durch mein Schlafzimmer. Ich habe schon seit Jahren nicht mehr ruhig geschlafen. Auch tagsüber wird das Gespräch unterbrochen, wenn ein Zug vorbeifährt. Der permanente Lärm hat mich schon ganz krank gemacht.“ Solche und ähnliche Beschwerden kennen wir alle von Bürgerinnen und Bürgern, die an lauten Bahnstrecken wohnen. Sie hoffen auf Gesetze und vor allem auf wirksame Maßnahmen, die diese Missstände beheben. Zahlreiche Petitionen, Bürgerinitiativen und Verbände machen sich seit langem für ein Verbot von lauten Güterwagen stark. Auch als Mitglied im Petitionsausschuss habe ich viele Petitionen zum Thema Lärm, ob im Elbtal, im Rheintal oder in Düsseldorf, bearbeitet. Ich habe viele Besuche an der Strecke gemacht, wurde sogar mit einer Feuerwehrleiter die Hänge hochgefahren, damit ich höre, wie laut diese Güterzüge sind. Wir haben uns also auch vor Ort kundig gemacht. Denn wir alle wissen: Lärm macht krank und belastet die Mitmenschen in ihrem täglichen Leben. Das nehmen wir ernst. Mit dem vorliegenden Schienenlärmschutzgesetz wollen wir nun endlich Abhilfe schaffen. Ab 2020 dürfen in Deutschland keine lauten Güterwagen mehr fahren. Wir wollen doch alle, dass mehr Verkehr auf die Schiene verlegt wird. Aber er muss leiser werden. Dann gelingt uns die Verlagerung auch, weil die berechtigten Proteste der Anwohner weniger werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Gesetz schafft für alle Beteiligten die geforderte Rechtssicherheit. Unternehmen können die Umrüstung und Beschaffung von leisen Güterwagen besser planen. Auch unsere europäischen Nachbarn können sich entsprechend darauf vorbereiten. In den Anhörungen haben wir gehört, dass es auch hier eine sehr positive Entwicklung gibt. Wir wollen den Lärm an der Quelle beseitigen und damit den Lärmschutz für unsere Bürgerinnen und Bürger verbessern. Es ist einfach sinnvoller, wirtschaftlicher und auch nachhaltiger, den Lärm an der Quelle zu reduzieren, als riesige Lärmschutzwände zu bauen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Schienenlärmschutzgesetz enthält unter anderem drei wesentliche Bestimmungen, die wir im Laufe der Debatten so hineinverhandelt haben. Erstens. Ab 2020 dürfen Züge mit lauten Güterwagen nicht mehr für den Jahresfahrplan angemeldet werden. Diese sollen nur noch im sogenannten Gelegenheitsverkehr fahren dürfen. Das ist ein bisschen schwierig zu erklären, aber man kann es ja nachlesen. Der Grund: Um künftig die Lärmschutzvorgaben einzuhalten, muss ein lauter Zug entsprechend langsam fahren. Damit blockiert er die Strecke für nachfolgende Züge – das wurde schon gesagt –, und die Streckenkapazität wird dadurch erheblich eingeschränkt. Das wäre letztlich eine Bestrafung für diejenigen, die ihre Züge bereits auf leise Bremsen umgerüstet haben, und für die Hersteller, die Investitionen getätigt haben. Durch diese Vorgaben wird für laute Güterzüge die Attraktivität, das deutsche Streckennetz zu nutzen, erheblich eingeschränkt. Es ist so, dass bereits einzelne laute Güterwagen den Gesamtlärm erheblich beeinflussen, da es sich um eine logarithmische und nicht arithmetische Addition der einzelnen Lärmquellen handelt. Diese Erklärung ist für die Mathematiker unter uns. Es ist ein bisschen schwierig, das zu erklären, aber ich glaube, man kann es verstehen. Das heißt: „Laut plus laut“ gleich laut. „Laut plus leise“ bleibt immer noch laut. Das klingt mathematisch nicht ganz richtig, aber logarithmisch ist es so. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Nur „leise plus leise“ ergibt leise. Das heißt also, bereits ein lauter Güterwagen in einem ansonsten leisen Zug erhöht die Lärmmenge erheblich. Zweitens. Bei Nichteinhalten der vorgeschriebenen Geschwindigkeit bei lauten Güterzügen gibt es Bußgelder für die Lokführer. Diese haben wir allerdings auf eine angemessene Höhe abgesenkt, und sie sind gestaffelt. Wir haben also auch da eine gute Regelung gefunden. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber warum für die Lokführer und nicht für die Firmen?) – Die Hersteller müssen auch zahlen, und zwar wesentlich mehr. Der Lokführer hat die Information aber vorher, wie der Zug zusammengestellt ist. Drittens. Es werden Monitoringstationen eingerichtet, die die Lautstärke der Güterwagen überwachen; denn, wie bereits gesagt, auch ein einzelner Güterwagen erhöht die Lärmmenge. Die Überwachung übernimmt das Eisenbahn-Bundesamt. Aber auch in Zukunft sind Forschung und Entwicklung von neuer leiserer Technik für Güterwagen essenziell. Deshalb erhalten laute Züge keine Ausnahmegenehmigung mehr, wenn die Technik, um sie umzurüsten, zur Verfügung steht. (Birgit Kömpel [SPD]: Sehr gut!) Unter Berücksichtigung der Anmerkungen des Bundesrates haben wir einige wenige Ausnahmen für den Betrieb lauter Wagen zugelassen. Diese betreffen zum Beispiel Fahrten auf Steilstrecken, da solche Fahrten aus Sicherheitsgründen zurzeit nur mit diesen Graugussbremsen möglich sind. Die entsprechenden Züge dürfen aber nur auf Steilstrecken fahren und nicht durch die ganze Republik. Eine weitere Ausnahme gibt es bei Anschlussbahnen. Dort gilt die TA Lärm. Wir wollen eigentlich immer noch in Richtung Gesamtlärmbetrachtung gehen, aber im Moment ist es so, dass Anschlussbahnen da ausgenommen sind. Auch für Güterwagen mit kleinen Rädern gibt es eine Ausnahme. Ich habe in der Diskussion darüber viel gelernt. Das sind die Güterwagen für die Autoreisezüge. Es gibt offensichtlich noch technische Probleme, diese auf leise Bremsen umzurüsten, aber es gibt wohl Möglichkeiten, dies zu tun. Deshalb müssen wir auch da etwas ändern. Für die Fahrten mit Traditionszügen gibt es ebenfalls eine Ausnahme. Wir alle wollen doch mit unseren Kindern und Enkeln in diesen schönen alten Zügen fahren, die Krach machen und stinken. In diesem Fall sollte das erlaubt sein. Insofern finde ich diese Ausnahme sinnvoll. Ein Verbot wäre meines Erachtens auch ein Affront gegen die Vereine, die sich sehr engagiert um die Instandhaltung der alten Strecken bemühen und die alten Wagen mühsam erhalten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war ein langer Weg. Bereits im Oktober 2015 hat mein Büro die erste Anfrage an das Ministerium gestellt und gefragt, wann dieser Gesetzentwurf endlich vorgelegt wird; es war ja im Koalitionsvertrag vereinbart. Heute sind wir so weit. Es ist schön, dass wir den Gesetzentwurf jetzt verabschieden können. Ich kann Ihnen sagen, dass nicht nur ich, sondern auch – davon bin ich überzeugt – die Verbände, die Unternehmen und vor allem die Bürgerinnen und Bürger froh sind, dass wir diesen Gesetzentwurf endlich verabschieden, und zwar, wie ich höre, mit großer Zustimmung aller Fraktionen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Matthias Gastel hat als Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jetzt das Wort. Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zu anderen Themen führen wir hier im Deutschen Bundestag lautere Debatten als zum Schienenlärmschutzgesetz. Denn wir sind uns im Grundsatz einig: Wir wollen bis zum Jahr 2020 den von den Menschen empfundenen Schienenlärm halbieren. Wir brauchen diese Lärmreduzierung; denn es geht um die Gesundheit der Menschen, die entlang der Schienenstrecken wohnen. Wir brauchen diese Reduzierung auch zur Verbesserung der Akzeptanz des Schienengüterverkehrs, von dem wir mehr wollen und nicht weniger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Um die Akzeptanz in der Bevölkerung steht es nicht zum Besten. Wir wissen aus Umfragen des Umweltbundesamtes, dass etwa jeder dritte Bürger, jede dritte Bürgerin sagt: Ich bin von Schienenlärm betroffen. Mich stört dieser Lärm. – Wir Grüne haben sehr lange auf diesen inzwischen vorgelegten Gesetzentwurf gedrängt. Wir hatten auch einen entsprechenden eigenen Antrag eingebracht, um dieser Forderung nach einem besseren Lärmschutz an der Schiene Nachdruck zu verleihen. Jetzt geht alles ganz schnell. Wir haben letzte Woche eine, wie ich finde, sehr gute Anhörung durchgeführt, bei der auch neue Erkenntnisse erzielt wurden. Manches, was wir bereits gefordert hatten, wurde bestätigt. Viele dieser Punkte sind jetzt in die Änderungsanträge der Fraktionen, auch in die der Großen Koalition, eingeflossen. Das ist sehr gut. So können wir diesen Gesetzentwurf heute in verbesserter Form verabschieden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Von Anfang an fanden wir an diesem Gesetzentwurf gut, dass laute Güterzüge ab Dezember 2020 aus dem deutschen Schienennetz verbannt werden sollen und müssen. Wir fanden auch gut, dass ein Zug bereits dann als laut gilt, wenn auch nur ein einziger an den Bremsen nicht umgerüsteter Wagen in diesem Zugverbund enthalten ist. Das ist auf jeden Fall das Positive. Leider ist aber die Konsequenz doch nicht ganz so eindeutig, wie es gerade geklungen hat. Es sind einige Ausnahmen und Befreiungen zumindest im ursprünglichen Gesetzentwurf enthalten gewesen, beispielsweise die Regelung, dass auch nichtumgerüstete Züge weiterhin fahren dürfen, wenn sie so langsam fahren, dass sie trotzdem leiser sind. Das würde aber bedeuten, dass sie maximal 30 km/h schnell fahren dürften, und hätte gravierende Auswirkungen auf die Netzkapazität. Das können wir nicht wollen, wenn wir mehr und nicht weniger Güter auf der Schiene haben wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Problematisch ist auch, dass auf lärmsanierten Strecken auch mit nichtumgerüsteten Zügen gefahren werden darf. Das ist eine weitere Ausnahme, die aus unserer Sicht nicht notwendig ist. Jetzt hat es, wie gesagt, einige Änderungen aufgrund der in der Anhörung gewonnenen Erkenntnisse gegeben. Dazu gehört, dass ursprünglich vorgesehen gewesen ist, dass etwa 6 000 Wagen bauartbedingt ohne Umrüstung hätten fahren dürfen. Hierbei hat sich aber herausgestellt, dass die Umrüstung technisch möglich ist. Nach dem Gesetzestext muss dann auch die Umrüstung erfolgen. Es ist gut, dass es hier keine Ausnahme gibt. Ursprünglich war auch vorgesehen gewesen, dass laute Züge bereits zum Jahresfahrplan und damit lange im Voraus hätten angemeldet werden müssen. Praktikabel ist eine solche Regelung nicht. Denn wer weiß schon lange im Voraus, welche Wagen in einem Zug enthalten sein werden, wenn es erst Monate später tatsächlich auf die Schiene geht? Hier ist klargemacht worden, dass diese Züge im Rahmen des Gelegenheitsverkehrs angemeldet werden können und dies nicht bereits vorab zur Erstellung des Jahresfahrplans erfolgen muss. Diese Änderungen haben wir aufgrund neuer Erkenntnisse beschlossen. Ich finde es schade – das möchte ich hier auch noch einfließen lassen –, dass wir keinen gemeinsamen Änderungsantrag zustande gebracht haben. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich schade!) Wir haben uns darum bemüht. Das hätten wir machen können: nicht nur gemeinsam abstimmen, sondern gemeinsam Verbesserungen beantragen. Es gibt aber auch noch Kritikpunkte, die nicht korrigiert wurden. Dazu gehört der zu geringe Kontrolldruck. Die Evaluation ist nur in der Gesetzesbegründung und nicht im Gesetzestext enthalten. Wir hätten sie natürlich lieber im Gesetzestext gehabt. Ende 2019 muss evaluiert werden. Da muss klar sein: Wirkt das Gesetz, oder reicht es nicht? Wir hätten uns auch eine stärkere Spreizung der Trassenpreise gewünscht, damit laute Güterzüge höher bepreist werden, damit es einen klaren ökonomischen Anreiz zum Umrüsten gibt – und keinen Anreiz, bis zum letzten Drücker zu warten, weil vielleicht die Politik doch noch umschwenkt. Dieser ökonomische Druck hat gefehlt. Aber viele Dinge sind richtig. Ich möchte noch einen Hinweis geben: Wir erhöhen mit diesem Gesetz die Akzeptanz des Schienengüterverkehrs. Aber es steht um den Schienengüterverkehr insgesamt nicht gut. Was wir unbedingt brauchen – das vermissen wir sehr stark bei der Großen Koalition –, sind innovative, neue Ideen zur Stärkung des Schienengüterverkehrs, damit weniger Lkw auf der Autobahn unterwegs sind und mehr Güter auf der Schiene befördert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mein letzter Punkt: Wir reden jetzt immer über das Jahr 2020. Wir müssen uns aber auch Gedanken machen, wie es danach weitergeht. Unsere Anstrengungen dürfen nicht mit dem Jahr 2020 aufhören. Es geht auch danach weiter im Bemühen, den Schienenlärm zu reduzieren. Dazu müssen wir beispielsweise die Lokomotiven verstärkt in den Blick nehmen. Wir müssen auch andere, noch innovativere Bremstechnologien in den Blick nehmen. Es geht um die Akzeptanz. Es geht um den Gesundheitsschutz. Der Weg ist gut, auf dem wir gemeinsam sind, aber er ist noch lange nicht zu Ende. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Annette Sawade [SPD]: Das haben Wege so an sich!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Michael Donth für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Donth (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! „Der Güterzug ist das neue Hassobjekt der Deutschen“ – so titelte die Zeitung Die Welt vor circa einem Jahr. Hintergrund waren massive Einwohnerproteste in Niedersachsen gegen Neubaustrecken für Güterzüge. Meine Damen und Herren, ich halte eine solche Entwicklung für fatal für unser Land, das eine Exportnation ist und gleichzeitig ehrgeizige Klimaschutzziele verfolgt. Wir wollen, dass unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt, und wir wollen mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern. Das geht aber nur, wenn wir eine entsprechende Infrastruktur schaffen, und das wiederum geht nur, wenn wir dafür die Akzeptanz der Bevölkerung haben. Aber die Menschen sind immer weniger bereit, donnernde und kreischende Güterzüge zu erdulden. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, den Schienenlärm in Deutschland bis zum Jahr 2020, ausgehend von 2008, zu halbieren. Es freut mich sehr, dass wir heute mit dem Schienenlärmschutzgesetz einen weiteren ganz wichtigen Baustein setzen, um dieses Ziel zu erreichen. Das Gesetz verbietet ab dem 13. Dezember 2020 grundsätzlich den Betrieb lauter Güterwagen auf unserem deutschen Schienennetz. Wenn ab diesem Zeitpunkt trotzdem ein Güterzug, in den laute Wagen eingestellt sind, unterwegs ist, so muss er so langsam fahren, dass er genauso leise ist wie ein Zug, der nur aus neuen oder umgerüsteten Wagen besteht. Bereits heute sind die Trassenpreise, die sogenannte Schienenmaut, lärmabhängig differenziert. Mit lauten Wagen langsam zu fahren, wird die Eisenbahnverkehrsunternehmen in Zukunft zusätzlich viel Zeit und damit auch viel Geld kosten. Dies sollte schon unter unternehmerischen Gesichtspunkten ein großer Anreiz sein, bis Ende 2020 alle Güterwagen umzurüsten oder durch leise zu ersetzen. Dennoch besteht das Risiko, dass einige Unternehmen aus ganz Europa diese Umstände in Kauf nehmen und versuchen, das Netz weiterhin mit alten, lauten Wagen, aber dann eben mit niedriger Geschwindigkeit zu befahren. Die Fachleute haben uns davor gewarnt, dass schon wenige langsame Züge unser gesamtes Netz schwer belasten würden. Das ist eigentlich logisch; denn hinter einem lauten und deshalb langsamen Zug muss auch ein Zug, der schnell fahren dürfte, langsam fahren. Das wollen wir von SPD, CDU und CSU verhindern. Unser Ziel ist, den Güterverkehr attraktiv zu machen. Deshalb ist vorgesehen, dass für solche Züge Einzelfahrgenehmigungen beantragt werden müssen und der Fahrplan nicht von vornherein vorsorglich für langsame Trassen blockiert wird; denn meistens wissen die Betreiber von Güterbahnen ein Jahr im Voraus auch noch nicht, welche Waggons, die sie dann durch Europa ziehen sollen, man ihnen bringt. Wir wollen damit auch verhindern, dass die Betreiber wegen des Betriebs von Güterwagen, für die es noch keine Lärmreduktion gibt, bestraft werden. Manche Güterwagen, nämlich solche mit kleinen Rädern, können technisch noch nicht umgerüstet werden. Die Kollegin hat das gerade angesprochen; auch ich habe viel über die Technik lernen dürfen. Sie müssen genauso umgerüstet werden wie die anderen; aber es muss zunächst eine anerkannte und zugelassene Technologie für die Lärmreduktion vorhanden sein. Deshalb sind sie so lange ausgenommen, bis es diese Technik gibt. Allerdings kann man sagen: Daran wird bereits mit Hochdruck gearbeitet. Wir gehen den Weg zum Verbot lauter Wagen nicht allein. Unsere südlichen Nachbarn in der Schweiz verbieten den Betrieb lauter Güterzüge bereits zum 1. Januar 2020 ohne Ausnahme, ohne Wenn und Aber. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass alle Güterzüge, die aus Südeuropa über die Eidgenossenschaft zu uns kommen oder dorthin fahren wollen, leise unterwegs sein werden. Das ist eine sehr gute Nachricht, nicht nur, aber natürlich vor allem für uns in Baden-Württemberg. (Beifall bei der CDU/CSU – Margaret Horb [CDU/CSU]: Ja, ganz genau!) Mit Blick auf das zukünftige Verbot lauter Güterwagen rüstet die Branche in Deutschland ihren Bestand schon jetzt kräftig um. Unterstützt werden die Unternehmen dabei durch ein Förderprogramm der Bundesregierung mit einem Volumen von 152 Millionen Euro. Dieses Programm nutzen übrigens auch ausländische Wagenhalter, die mit ihren Fahrzeugen bei uns unterwegs sind. Durch den heute vorgelegten Gesetzentwurf haben die Unternehmen jetzt auch die Gewissheit, dass sich ihre Investitionen in die leisere, aber teurere Technik auch in Zukunft lohnen werden. Dass die Anreize, die die Bundesregierung bisher gesetzt hat, wirken, sieht man daran, dass schon jetzt die Hälfte der in Deutschland verkehrenden Güterwagen umgerüstet und damit leise ist. (Margaret Horb [CDU/CSU]: Sehr gut!) Mit unserem Schienenlärmschutzgesetz zeigen wir, dass unsere Politik verlässlich ist. (Margaret Horb [CDU/CSU]: Richtig!) Mit fortschreitender Umrüstung wird der Schienenlärm schon heute – jedes Jahr ein bisschen mehr und nicht erst nach 2020 – deutlich reduziert. Der Schienenverkehr in Deutschland wird leiser: Das ist unser Ziel, und das schaffen wir. Das ist die gute Nachricht des heutigen Tages an die lärmgeplagten Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Kirsten Lühmann hat als nächste Rednerin das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr verehrte Anwesende! Der Gesetzentwurf, den wir hier heute verabschieden, ist in unserem Koalitionsvertrag ein zentraler Punkt unserer Schienenpolitik. Er ist umso wichtiger geworden, weil wir unsere Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einhalten müssen, und das können wir nur, wenn wir mehr Verkehr auf die Schiene bringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Regierung war in diesem Punkt nicht untätig. Wir haben in dieser Legislaturperiode im Bundesverkehrswegeplan Prioritäten auf die Engpassbeseitigung, auf die Elektrifizierung von wichtigen Güterverkehrsstrecken, auf die Implementierung des 740-Meter-Netzes und auf die Grundlagen des Deutschland-Taktes, um auch für den Personenverkehr attraktiver zu werden, gesetzt. Das alles reicht aber noch nicht. Ganz wichtig beim Thema Güterverkehr ist es, die Wirtschaftlichkeitslücke zwischen der Schiene und der Straße zu schließen. Wir müssen uns über die Senkung von Trassenpreisen und der Stromsteuer Gedanken machen. Sonst wird unser Konzept nicht aufgehen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Donth [CDU/CSU]) Bei unserer Politik für die Schiene gibt es, wie so oft im Leben, zwei Seiten einer Medaille. Die zweite Seite zeigen uns die Anwohner. Unsere Politik bedeutet für die Menschen, die an der Schiene wohnen, noch mehr Lärm vor ihrer Haustür. Das haben wir erkannt, und darum haben wir in diesem Punkt auch gehandelt: Mit der sogenannten Schall 03 haben wir die Berechnung des Schienenlärms verändert und aktualisiert, wir haben die Mittel für den freiwilligen Lärmschutz jährlich um 30 Millionen Euro erhöht, und wir haben neue Techniken für die Lärmminderung eingeführt – sei es als Versuch oder sei es im richtigen Betrieb. Insbesondere wenn wir die großen Bürgerforen durchführen, zum Beispiel an der Rheintalbahn oder an der Alpha-Bahntrasse in Norddeutschland für den Hafenhinterlandverkehr, sagen uns die betroffenen Menschen: Das ist schön, aber das reicht uns nicht. – Und sie haben recht. Denn was nützt es uns, wenn wir 6 Meter hohe Lärmschutzwände hübsch anmalen, damit man besser draufgucken kann? Das bringt nur wenig. Viel wichtiger ist es doch, den Lärm an der Quelle zu vermeiden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das werden wir mit diesem Gesetzentwurf tun. Bis 2020 wird die Bundesregierung in ihrem Umrüstungsprogramm über 150 Millionen Euro den betroffenen Unternehmen zur Verfügung gestellt haben. Wir haben heute sehr theoretisch geredet und gesagt: Ein umgerüsteter Zug ist bis zu 10 Dezibel leiser als ein nichtumgerüsteter Zug. – Wenn man sich aber einmal an die Schiene stellt und sich das anhört – über 50 Prozent der Wagen sind bis jetzt umgerüstet –, dann merkt man erst, was für ein Vorteil die mehrfache Halbierung des Lärms ist. Ich empfehle allen, sich einmal an die Schiene zu stellen und sich einen umgerüsteten Zug anzuhören. Dann sieht man: Das, was wir hier heute auf den Weg bringen, ist eine echte Erleichterung für die Betroffenen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Natürlich müssen wir auch weiterhin einen diskriminierungsfreien Zugang ermöglichen. Es gibt technische Grenzen. Auch solche Züge müssen auf die Schiene kommen. Wir haben aber gesagt: Auch wenn sie nicht umgerüstet und laut sind, müssen sie unsere Lärmobergrenzen einhalten, wenn sie auf unseren Schienen unterwegs sind. Das geht nur, indem sie langsam fahren. Wir alle wissen – auch aus dem Straßenverkehr –, dass wir die Einhaltung einer Regel kontrollieren müssen, wenn wir sie aufstellen. Wenn wir kontrollieren und feststellen, dass jemand die Regel verletzt, dann muss er ein Bußgeld zahlen. Wir haben die Bedenken der Gewerkschaften GDL und EVG sehr ernst genommen, die uns gefragt haben: Warum geht ihr denn an Lokomotivführer ran? – Das ist richtig, aber wir gehen nicht nur an den Lokomotivführer ran, sondern das Bußgeld wird auch für den Unternehmer fällig, der so etwas angeordnet hat. Wir können den Lokomotivführer aber nicht ganz außen vor lassen, genauso wie wir den Lkw- oder den Pkw-Fahrer nicht ganz außen vor lassen können, der eine Ordnungswidrigkeit begangen hat. Wir haben das, wie gesagt, ernst genommen und gesagt: Die Bußgelder müssen verhältnismäßig sein. Ein Lokomotivführer hat weniger Geld zur Verfügung als der Unternehmer; also muss auch die Höchstgrenze für den Lokomotivführer deutlich geringer sein. Wir haben den Höchstbetrag halbiert. Er liegt jetzt bei maximal 1 000 Euro. Ich denke, damit haben wir den Interessen der Betroffenen Rechnung getragen. Wir haben das Problem der langsam fahrenden Züge, die unsere Trassen verstopfen, dadurch ein wenig entschärft, indem wir gesagt haben: Sie dürfen nur noch als Gelegenheitsverkehr fahren, das heißt auf Trassen, die sowieso leer geblieben sind. Dort, wo sie keinen anderen stören, dürfen sie also fahren. Das finde ich mit Blick auf den diskriminierungsfreien Zugang richtig und wichtig. Abschließend: Das Gesetz, das wir heute beschließen, ist ein gutes Gesetz für die Umwelt, ist ein gutes Gesetz für die Anwohnenden. Aber es ist nicht der Schluss der Debatte. Wir Politiker und Politikerinnen können uns jetzt nicht zurücklehnen, sondern wir haben den Auftrag, nach vorne zu schauen und die Entwicklung und Forschung weiter voranzutreiben, um noch leisere Güterwagen, noch leisere Lokomotiven und noch leisere Gleisbaufahrzeuge in Deutschland zu bekommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Dirk Fischer hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion als letzter Redner in dieser Aussprache das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Schall von Güterzügen mit alter Bremstechnik ist mit einem Presslufthammer, der in 7 Metern Entfernung von uns arbeitet, zu vergleichen. Das entspricht einem Lärmpegel von 90 Dezibel. Dass ein solcher Lärm von Anliegern als störend empfunden wird und der Gesundheit schadet, ist ja wohl sonnenklar. Die Prognose unseres Ministeriums für den Schienengüterverkehr: bis 2030 ein Zuwachs von über 43 Prozent. Wir tun das dafür Notwendige und unterstützen damit ausdrücklich das Ziel der Bundesregierung, mehr Güter auf der Schiene zu transportieren; denn das bedeutet eine umweltfreundliche und klimaschonende Bewältigung des Güteraufkommens. Der Staat als Eigentümer muss dafür natürlich das Schienennetz weiter ausbauen und neue Kapazitäten schaffen, um diesen Zuwachs bewältigen zu können. Das bedeutet aber für die Anlieger von Strecken nicht weniger, sondern in der Zukunft noch viel mehr Verkehr. Dieser Realität müssen wir uns stellen. Der Schienenlärmschutz für die Bevölkerung ist daher ein Kernziel dieser Koalition, das sie mit einer Vielzahl von Maßnahmen und immensen Investitionen – einiges ist schon angesprochen worden – vorantreibt. So hat sich der Bund die Strategie „Leise Schiene“ als klares Ziel gesetzt. Demnach soll der Schienenverkehrslärm, ausgehend vom Jahr 2008, bis 2020 halbiert werden. Dadurch würde im Volk die Akzeptanz für Schienenverkehr deutlich steigen. Die Parole lautet: Mehr Mobilität bei weniger Lärm! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ein Meilenstein für den aktiven Lärmschutz, weil er eine Reduzierung des Lärms direkt an der Quelle vorsieht. Die neuen innovativen Verbundstoffbremssohlen können die Rollgeräusche der Güterwagen um bis zu 10 Dezibel reduzieren. Das ist in der menschlichen Wahrnehmung eine Halbierung des Lärms. Im Juni 2013 ist die sogenannte LL-Sohle durch den Internationalen Eisenbahnverband für die europaweite Umrüstung zugelassen worden. Das ist ökonomisch eine sehr sinnvolle Lösung, da man nur die Bremsklötze austauschen muss; das kann bei jedem Wartungstermin erledigt werden. Zwar sind in Europa neu angeschaffte Güterwagen und die meisten Personenzüge schon seit 2006 mit einer leisen Bremstechnologie ausgestattet, aber es verkehren in Europa noch viel zu viele nicht umgerüstete Güterwagen. Erfreulich ist die Meldung der DB AG vom Montag dieser Woche, dass bis Ende 2017 die Zahl der umgerüsteten Wagen des Unternehmens von 33 000 auf 40 000 steigen wird und dass bis Ende 2020 sämtliche 64 000 Wagen der Flotte umgerüstet sein werden. Auch andere Güterwagenhalter haben bei der Umrüstung vergleichbare Fortschritte erzielt, sodass man mit gutem Gewissen sagen kann: Die deutschen Güterwagenhalter haben die Zeichen der Zeit erkannt und können in Europa als positives Beispiel genannt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir erhöhen mit dem Gesetz den Druck auf diejenigen Wagenhalter, die bislang keine Umrüstung ihrer Güterwagen vorgenommen haben. Denn laute Güterwagen können, wie dargestellt, für den regulären Fahrplanwechsel 2020/2021 nicht mehr angemeldet werden. Sie können dann nur noch im Gelegenheitsverkehr auf noch nicht vergebenen Schienentrassen gefahren werden. Das vorliegende Gesetz ist insoweit, denke ich, auch eine sehr sinnvolle regulatorische Ergänzung für das, was in den letzten Jahren bereits umgesetzt worden ist. Der Kollege Donth hat ja das Förderprogramm angesprochen. Wir fördern die Umrüstung der auf unserem deutschen Netz fahrenden deutschen und ausländischen Güterwagen mit 152 Millionen Euro. Ich fordere hier aber auch die Europäische Union auf, ebenfalls ein solches Programm mit Umrüstungsbeihilfen für investitionsschwache Länder aufzulegen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) und sich aktiv an der Umrüstung der europäischen Güterwagenbestände zu beteiligen, damit schnellstens eine einheitliche gesamteuropäische Lösung geschaffen werden kann. Mit der Umrüstung der Güterwagen auf leisere Bremstechnik ist eine flächendeckende Lärmminderung möglich. Lärmschutzwände und Schallschutzfenster dagegen können nur örtlich und begrenzt ihre Wirksamkeit entfalten. Seit dem Fahrplanwechsel 2012/2013 müssen laute Züge höhere Trassenpreise als leise Züge zahlen. Für besonders leise Wagen wird auch noch eine Innovationsprämie als Belohnung gezahlt. Der Bund investiert auf Initiative des Bundestages – das sage ich hier mit einigem Stolz – jährlich mittlerweile 150 Millionen Euro in eine freiwillige Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen. Das Zukunftsinvestitionsprogramm des Bundes für die Jahre 2016 bis 2018 sieht zusätzliche Investitionen für Lärmschutz vor, damit insbesondere Lärm an Brennpunkten weiter reduziert werden kann und damit innovative Techniken entwickelt werden können. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss möchte ich sagen: Wir können auch noch weitere Maßnahmen ergreifen: superschnelles Schleifen für glatte, geräuscharme Schienen, Schallabsorber an den Rädern, neu dimensionierte Schallschutzwände – also konkav und nicht mehr steil –, Entdröhnung von Brücken und nahtlose Verschweißung. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Ich bin am Ende meiner Ausführungen, Frau Präsidentin. – Die nahtlose Verschweißung dient dazu, dass nicht alle Hundert Meter ein Knacken im Netz zu hören ist. Da haben wir einiges zu tun. Auch die Digitalisierung kann einen Beitrag leisten. Ich bin überzeugt, dass wir in den Jahren bis 2020 deutliche Verbesserungen erleben werden. Ich wünsche den Anwohnerinnen und Anwohnern der Metropolen, des Rheintals, des Inntals, des oberen Elbtals und anderer Regionen bald ruhigere Nächte und bitte deswegen um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen. Zu der Abstimmung liegt mir eine Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor.1 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11769, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11287 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden. (Beifall im ganzen Hause) Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gibt es jemanden, der dagegenstimmen möchte? – Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das passiert nicht so häufig, ist aber hier – wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen – in der Sache gut. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Matthias Gastel, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Investitionsstau auflösen – Zukunft des ÖPNV sichern – Jetzt die Weichen für den öffentlichen Verkehr von morgen stellen Drucksache 18/10747 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Britta Haßelmann, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fairen Wettbewerb und kommunale Gestaltungsmöglichkeiten im Nahverkehr sicherstellen Drucksache 18/10978 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einfach einsteigen und losfahren, ohne sich vorher im Tarifdschungel zu verirren und lange Fahrpläne zu studieren, bargeldlos ein elektronisches Ticket für verschiedene Verkehrsmittel oder über Verbundgrenzen hinweg erwerben, ein Leihfahrrad oder Carsharingauto in die Reisekette einbauen, und zwar alles mit einem Ticket: Wir wollen, dass das keine Vision bleibt, sondern endlich Standard im öffentlichen Verkehr wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen eine Mobilitätskarte, den MobilPass, um einfach und bequem verschiedene Verkehrsmittel miteinander kombinieren zu können. Für unsere Idee droht ungewohnte Unterstützung. Verkehrsminister Alexander Dobrindt versprach unlängst vollmundig die Abschaffung des Papierfahrscheins bis 2019. Doch leider entpuppten sich die Ankündigungen, wie so oft bei Herrn Dobrindt, bei näherer Betrachtung als reiner PR-Gag. Jeder Verkehrsverbund darf weiter an seinen Apps und Plattformen herumbasteln. Eine Strategie für die digitale Vernetzung aller öffentlichen Verkehrsmittel ist das nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Wirrwarr bei den Tarifen muss endlich durch bundesweit einheitliche Standards beendet werden. Ein Meilenstein im öffentlichen Verkehr wäre daher ein bundesweit einheitliches Vertriebssystem, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) damit eine Familie in einem Verkehrsverbund auch in einem anderen Tarifgebiet als Familie gilt. Auch gelten bisher bei Kindern und Jugendlichen sowie Senioren unterschiedliche Altersgrenzen. Wir haben in Deutschland etwa 450 Verkehrsbetriebe und über 130 Tarifverbünde. Die bestehende Exklusivität der jeweiligen Tickets und die heutigen Vertriebswege in den Nahverkehrskönigreichen sind nicht mehr zeitgemäß. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie verhindern das durchgängige Buchen und Bezahlen über Tarifgrenzen hinweg und damit auch über Verkehrsmittel. Daher sollten regionale Verbundtarife möglichst bald durch einen für alle Unternehmen im Eisenbahn-, Regional- und Nahverkehr verbindlichen Deutschlandtarif ergänzt werden. So könnten Bus- und Bahnfahren einfach und bequem werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, während in den letzten Jahren die Bundesmittel für Eisenbahn, Autobahnen und Wasserstraßen in Milliardenhöhe gestiegen sind, werden die ÖPNV-Investitionen von dieser Bundesregierung sträflichst vernachlässigt. Die Infrastruktur bröckelt teilweise kräftig. Der Investitionsstau allein im kommunalen Schienennetz beträgt schätzungsweise 4 Milliarden Euro. Damit sind die Kommunen überfordert. Zudem platzt der Nahverkehr in vielen Städten aus den Nähten. Wer wissen will, wie sich wohl die Ölsardinen in der Dose fühlen, muss nur zur Rushhour in Frankfurt, Berlin oder München mit der S-Bahn fahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die jährlich vorgesehenen 330 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm reichen hinten und vorne nicht aus, um mit Ausbau und Neubau adäquat auf die wachsende Nachfrage zu reagieren. Seit 20 Jahren wurde der Etatansatz nicht erhöht. Das bedeutet praktisch jedes Jahr weniger Geld zum Bauen. Statt die Investitionen zu erhöhen, plant die Große Koalition mit der Änderung des Grundgesetzartikels 125c, die Bundesmittel auf der derzeitigen Höhe bis 2025 einzufrieren. Meine Damen und Herren, das käme einer Investitionsbremse gleich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zwischen dem bereits anerkannten Bedarf und den bis 2025 verfügbaren Mitteln aus dem Bundesprogramm klafft mittlerweile eine Lücke von etwa 4 Milliarden Euro. Zwei von drei Projekten, die im Nahverkehrsprogramm des Bundes aufgelistet sind, haben also absehbar keine Chance auf Umsetzung, wenn es bei der jetzigen Förderkulisse bliebe. Die Zuverlässigkeit und die Qualität des Nahverkehrs werden darunter leiden. Nur mit einer Nahverkehrsoffensive und Bundesmitteln in Höhe von jährlich 1 Milliarde Euro wird es gelingen, den öffentlichen Verkehr zum Leistungsträger einer ökologischen Verkehrswende zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer die Klimaziele des Verkehrssektors erreichen will, wer die Luftqualität in den Städten wirksam verbessern will, muss jetzt Geld für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in die Hand nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir nehmen in unseren Anträgen auch die Mobilität in ländlichen Regionen in den Blick. Viele Bürger fühlen sich sprichwörtlich abgehängt. Der ÖPNV ist oft keine Alternative zum eigenen Auto. Bislang fehlt eine Definition des Mindestangebots, das dem im Grundgesetz verankerten Anspruch der Daseinsvorsorge gerecht wird. Wir müssen gemeinsam mit den Ländern darüber diskutieren, wie wir für die Bürgerinnen und Bürger in ländlichen Regionen zu einer Mobilitätsgarantie kommen, die dem Anspruch gleichwertiger Lebensverhältnisse gerecht wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten, und unterstützen Sie unsere Initiative. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Michael Donth für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Donth (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der öffentliche Personennahverkehr auf Schiene und Straße garantiert jeden Tag die Mobilität von Millionen Menschen in unserem Land. Die Fahrgastzahlen steigen erfreulicherweise immer weiter, und ich glaube, man kann sagen, auch weil wir die Zuständigkeiten den Ländern übertragen haben; diese machen das eigentlich ganz gut. Ich finde es daher schön, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass Sie sich darüber Gedanken machen, wie der ÖPNV weiter verbessert werden kann. Allerdings frage ich mich, warum Sie dann Anträge ohne jegliche Verbesserungsvorschläge vorlegen. Ihr Antrag soll dem Titel nach – ich beziehe mich auf Tagesordnungspunkt 6 b – einen fairen Wettbewerb sicherstellen. Das ist aber eine Mogelpackung; denn Sie fordern genau die Maßnahmen, die einen fairen Wettbewerb abschaffen würden. Wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten ein bewährtes Miteinander von kommunalen und privaten Nahverkehrsunternehmen. Die Privaten sind oft mittelständische Familienunternehmen wie zum Beispiel das der Familie Steinbrück in Gotha – diesen Betreiber kennen wir alle –, die Buslinien eigenwirtschaftlich betreiben, das heißt ohne kommunale Zuschüsse. Der Wettbewerb zwischen privaten Unternehmen auf der einen und kommunalen Unternehmen auf der anderen Seite sorgt für Qualität im Angebot, für Effizienz und auch für Wirtschaftlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei gilt getreu unserer Verfassung der Grundsatz: Markt vor Staat. – Das heißt, Verkehre, die sich aus den Fahrgeldeinnahmen alleine finanzieren, haben Vorrang vor denen, die sich nur mit Zuschüssen realisieren lassen. Nun baut Ihr Antrag auf zwei Behauptungen auf. Eigenwirtschaftliche Verkehrsanbieter besäßen erstens einen weitreichenden Konkurrenzschutz und würden zweitens kommunale Verkehrsunternehmen aus dem Markt drängen. Beides ist falsch. Dazu ein paar Zahlen: In den letzten zehn Jahren ist das Marktvolumen der Verkehrsleistungen im ÖPNV, das direkt, das heißt ohne Wettbewerb, vergeben wurde, um 88 Prozent gestiegen. Von diesen Direktvergaben sind wiederum 96 Prozent an kommunale Unternehmen gegangen. 96 Prozent! Ein Krümel von gerade einmal 4 Prozent verbleibt für die Privaten. Sieht so die von Ihnen behauptete Verdrängung aus dem Markt aus? Ja, Sie haben recht: Es findet eine brutale Verdrängung statt, aber bezogen auf die privaten Verkehrsunternehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Zahl der privaten Busunternehmen ist im gleichen Zeitraum – das ist ein weiterer Beleg – um fast ein Drittel zurückgegangen; sie sind vom Markt verschwunden. Da gab es übrigens keine Beschwerdebriefe von Verdi. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so, das ist eine Rede gegen Verdi!) Daran sieht man, dass der angeblich weitreichende Konkurrenzschutz nicht vorhanden ist, sonst müssten diese Zahlen bundesweit ganz anders aussehen. Zahlen und Fakten sprechen eine andere Sprache als Ihre grünlackierten Fake News. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Fahren wir fort. In Ihrem Antrag behaupten Sie des Weiteren, die Angebotskonzepte der kommunalen Aufgabenträger ließen sich oft nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen durchsetzen, und deshalb müssten wir das Gesetz ändern. Nach der geltenden Regelung des Personenbeförderungsgesetzes kann die Verkehrsgenehmigung versagt werden, wenn der beantragte Verkehr nicht im Einklang mit dem Nahverkehrsplan steht. Die Genehmigung muss sogar versagt werden, wenn der Antrag die in der Bekanntmachung beschriebenen Anforderungen nicht erfüllt. Das heißt, die Kommunen können Anforderungen und Standards, auch Sozial- oder Ökostandards, vorgeben und sind keinesfalls der Willkür der privaten Anbieter ausgeliefert. Die Kommunen geben die Richtschnur vor; sie definieren, wie der ÖPNV aussehen soll. Aber sie müssen sich auch die Mühe machen, einen Nahverkehrsplan mit allen Beteiligten auszuarbeiten. Der Kollege Lange kann ein Lied davon singen und ich auch im Kreistag. Ein Nahverkehrsplan, der Antworten auf all diese Fragen gibt – das ist, glaube ich, Uli, echt ein G’schäft. Sie behaupten weiter, der Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre – ich zitiere, wenn ich darf – „kann zu einer Genehmigung von Nahverkehrsleistungen führen, … ohne dass eigene kommunale Unternehmen den vorab genehmigten eigenwirtschaftlichen Verkehren Konkurrenz machen können“. Dass auch das nicht stimmt, zeigt ein Blick ins Gesetz. Der eigenwirtschaftliche Antrag des Privaten erhält nur dann den Zuschlag, wenn er ein besseres Angebot macht. Von den Vorgaben der Kommunen darf der Antrag, wenn überhaupt, nur unwesentlich abweichen. Obendrein hat der kommunale Bestandsunternehmer bei qualitativ ähnlichem Antrag einen Bestandsschutz und kommt so zum Zuge. Ich finde, diese Regeln sind ausgewogen und fair. Gleichzeitig sorgen sie für einen Wettbewerb um die beste Qualität. Würden wir auf die Forderungen Ihres Antrags eingehen und die Kommunen und ihre Unternehmen noch stärker stellen, wäre ein Wettbewerb mit privaten Unternehmen nicht mehr möglich, und sie würden vom Markt verschwinden. Ich erinnere an die Zahlen, die ich genannt habe. Das entspricht aber nicht dem Ziel, das Sie im Titel Ihres Antrags genannt haben. Vielleicht entspricht das Ihren Absichten, aber uns, vor allem in der CDU/CSU-Fraktion, gefällt es auf jeden Fall nicht. Ich möchte noch kurz auf Ihren zweiten Antrag eingehen. Die Maßnahmen und Instrumente, die Sie darin für die Zukunft des ÖPNV fordern, sind von der Bundesregierung zum großen Teil schon aufgegriffen worden oder betreffen die Kompetenz der Länder. Dann wollen Sie die Finanzmittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, GVFG – Kollege Kühn hat es dargestellt –, mit dem der Bund große Investitionen im Nahverkehr in den Ländern mit einem Anteil von 60 Prozent unterstützt, von 333 Millionen Euro auf 1 Milliarde Euro aufstocken. Erst vor einem Jahr haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, die Regionalisierungsmittel, die hauptsächlich dem Schienenpersonennahverkehr zugutekommen, um fast 1 Milliarde Euro pro Jahr zu erhöhen. Nun werden auch noch die Mittel aus dem GVFG vom Bund über 2019 hinaus weitergeführt, obwohl die Länder ursprünglich diese Mittel nach 2019 selber aufbringen wollten. Das zeigt doch, wie stark sich der Bund hier zugunsten des ÖPNV, für den primär die Länder zuständig sind, engagiert, (Beifall bei der CDU/CSU) ganz zu schweigen von den 9,5 Milliarden Euro pro Jahr, die die Länder durch den neuen Länderfinanzausgleich vom Bund erhalten. Im Jahr 2020 sind das annähernd 20 Milliarden Euro pro Jahr, die im vergangenen Jahr beschlossen wurden und die die Länder nach dem heute noch geltenden Grundgesetz nicht bekommen würden. Und jetzt kommen Sie und sagen: Aber die GVFG-Mittel muss der Bund auch noch zusätzlich auf 1 Milliarde Euro erhöhen. – Ich bitte Sie: Das ist fast schon unverschämt. Da war sogar der grüne Ministerpräsident aus Baden-Württemberg gemäßigter. Der hat nämlich diesem Kompromiss zugestimmt und war damit mehr als zufrieden. Vielleicht sollten Sie, Kollege Kühn, bei ihm einmal 14 Tage hospitieren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sabine Leidig hat als nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Linke will öffentlichen Nahverkehr für alle, und zwar in guter Qualität, barrierefrei und bezahlbar, am besten zum Nulltarif. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erstens können und werden dann wesentlich mehr Leute vom Auto auf Bahn und Bus umsteigen; das bestätigt übrigens auch der ADAC. Das wiederum bedeutet weniger Lärm, weniger gesundheits- und klimaschädliche Abgase, weniger Stau und mehr Platz auf den Straßen für schöne Dinge. Zweitens können mit den Öffis, wie die Österreicher es nett ausdrücken, wirklich alle mobil sein – Kinder, Alte, Menschen mit Behinderung, Umweltbewusste und auch die, die sich kein Auto leisten können –, und genau das wollen wir. (Beifall bei der LINKEN) Dafür muss umverteilt werden, und zwar vom Autoverkehr hin zum öffentlichen Nahverkehr. So wie es jetzt ist, sind die Verkehrsverhältnisse schlicht ungerecht, und zwar sehr konkret. In Kassel zum Beispiel, wo ich wohne, kostet eine Stunde Parken in der Innenstadt 2 Euro, aber ein Fahrschein für eine Fahrt in die Innenstadt kostet 2,90 Euro. Im Kaufhaus wird die Parkgebühr erstattet, aber nicht das Busticket. Parken ohne Parkschein kostet 10 Euro, aber Fahren ohne Fahrschein kostet 60 Euro. Für den Haushalt der Stadt sieht es so aus, dass 88 Prozent der Kosten für den ÖPNV gedeckt sind; aber beim Straßenverkehr sind es nur 34 Prozent. Das heißt, die Stadt legt dafür ordentlich drauf. Nun unterstützt der Bund – nach langem Ringen – auch in Zukunft den ÖPNV über das sogenannte Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz mit 330 Millionen Euro pro Jahr; so ist es vorgesehen. Das klingt nach viel, ist aber viel zu wenig. Wenn man diese Summe zum Beispiel mit den Dieselsubventionen vergleicht, stellt man fest: Es ist nur 5 Prozent davon. Ich rede von einer Dieselsubvention, die vor allen Dingen dem Lkw-Verkehr nützt, die sage und schreibe 7,4 Milliarden Euro jährlich kostet, und das, obwohl wir wissen, dass Dieselabgase besonders gesundheitsschädlich sind, dass immer mehr Menschen von Reizhusten geplagt sind und dass Kinder besonders darunter leiden. Ich finde, das ist wirklich unerträglich. (Beifall bei der LINKEN) Diese Subvention muss weg. Mit den Mehreinnahmen könnte der öffentliche Nahverkehr wirklich ordentlich gefördert werden. Ein anderes Beispiel. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist eine ganze Reihe Straßenbauvorhaben vorgesehen, die überteuert und überdimensioniert sind, die keinerlei Engpass beseitigen, die aber massiv zur Zerstörung von Natur führen werden. (Gustav Herzog [SPD]: Unsinn!) Zu diesen widersinnigen Vorhaben gehören zum Beispiel die Küstenautobahn A 20 quer durch Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die A 100 in Berlin oder die A 46 in Nordrhein-Westfalen. Für zwölf solcher unnützer Projekte sind 10 Milliarden Euro vorgesehen. Der BUND nennt sie das „dusselige Dutzend“. Dieser Einschätzung schließen wir uns an. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Von Ihnen ist noch nicht einmal ein Dutzend da!) Wir sagen Nein zu diesen Fehlinvestitionen. Das Geld muss anders investiert werden, und zwar in den flächendeckenden Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Unser Vorschlag ist ein Verkehrswendefonds, gefüllt mit 10 Milliarden Euro, die der Bund zweckgebunden an Kommunen und Länder ausgibt und damit verbindet, dass eine Mobilitätsgarantie gewährt wird, insbesondere für die ländlichen Räume, damit alle die Garantie haben, dass sie binnen einer halben Stunde das nächste Oberzentrum erreichen. Dafür gibt es Konzepte. Das lässt sich realisieren, und das fordern wir. (Beifall bei der LINKEN) Es muss überall eine gute Alternative zum Auto geben. Das ist schließlich die Voraussetzung für Freiheit, die Sie immer einfordern. Mehr und besserer ÖPNV ist also notwendig, auch für eine sozialökologische Verkehrswende. Außerdem böte ein solches öffentliches Investitionsprogramm sinnvolle Perspektiven auch für viele Beschäftigte in der Automobilindustrie, die jetzt wegen Dieselgate um ihre Arbeitsplätze bangen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sören Bartol hat als nächster Redner für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Sören Bartol (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr Investitionen für den ÖPNV, da sind wir Sozialdemokraten natürlich dabei. Das gilt genauso, wenn es darum geht, für fairen Wettbewerb im Nahverkehr zu sorgen. Aber gerade dafür brauchen wir keinen Antrag der Grünen. Wir müssen den Bund nicht auffordern, einen Gesetzentwurf zur Änderung des PBefG vorzulegen. Es gibt schon eine gute Initiative des Bundesrates, zu der sich der grüne Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg übrigens enthalten hat. Diese Initiative unterstützen wir. Sie sollte schnell beraten werden, damit soziale und ökologische Standards verbindlich definiert werden können und nur die Verkehrsunternehmen, die sie erfüllen, den Zuschlag bekommen. Der Gesetzesantrag der Länder hat drei Ziele: Das Nichteinhalten von Anforderungen wie soziale und Umweltstandards soll ein Ablehnungsgrund sein können. Regelungen zur Tariftreue und zum Personalübergang sollen in Nahverkehrspläne und Vorabbekanntmachungen aufgenommen werden können. Bei den Anträgen auf eigenwirtschaftlichen Verkehr muss die wirtschaftliche Erbringbarkeit über den gesamten Zeitraum dargelegt werden. Ich weiß, dass gerade die letzten beiden Punkte von vielen Omnibusunternehmen kritisch gesehen werden. Deswegen möchte ich mich auf den Punkt konzentrieren, den ich zentral finde: Die Nichteinhaltung zuvor definierter sozialer Standards muss ein Ablehnungsgrund sein können – die Hauptforderung auch des Antrages der Grünen. Hier brauchen wir Rechtssicherheit, die wir mit der Bundesratsinitiative schaffen können, gerade auch deshalb, weil wir es mit einem hochkomplexen Zusammenspiel aus öffentlichen und privaten Verkehrsunternehmen, Aufgabenträgern, Genehmigungsbehörden, Verkehrsverbünden zu tun haben. Wir haben in der letzten Legislaturperiode das PBefG novelliert. Ich war an der Kompromissfindung beteiligt und habe natürlich gehofft, dass der Kompromiss länger trägt. Aber wenn uns fast 200 Personalräte öffentlicher Verkehrsunternehmen anflehen, tätig zu werden, wenn Verdi, VDV, die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, der Städtetag mit einer Stimme sprechen, dann kann man das nicht ignorieren; dann zeigt das, dass es einfach große Sorgen gibt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich kenne die Einwände. Sicherlich, man kann vorbringen: Es handelt sich nicht um ein Vorhaben des Koalitionsvertrages. Warum der Zeitdruck? Warum nicht in Ruhe diskutieren, wie das PBefG in der nächsten Legislaturperiode geändert werden sollte? Man kann auch vorbringen: Die – das kann ich mir jetzt nicht verkneifen: wenig aussagekräftige – Evaluierung des PBefG soll zunächst beraten werden. Aber es gibt ein schlagendes Argument dafür, schnell zu sein: Aufgrund der im Jahr 2019 auslaufenden Übergangsfrist für die entsprechende Verordnung wird in den kommenden zwei Jahren die Mehrheit der über 500 kommunalen Aufgabenträger Ausschreibungen oder Direktvergaben durchführen. Davon werden nach Schätzungen von Verdi drei Viertel aller Betriebe in Deutschland, circa 100 000 Beschäftigte direkt und 20 000 bis 30 000 in Subunternehmen betroffen sein. Aktuell haben sich mit nur einer Ausnahme alle Kommunen bei abgelehnten Anträgen auf eigenwirtschaftlichen Verkehr mit Klagen auseinanderzusetzen und können den Auftrag nicht endgültig rechtssicher vergeben. Deswegen möchte ich Sie alle an dieser Stelle bitten, einen Ausgleich zu finden zwischen denen, die sich zu Recht um ihre Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen sorgen, und denen, die befürchten, ihre Geschäftsgrundlage, ihre Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen. Ich habe die Art und Weise, wie wir bei der letzten Novellierung einen Ausgleich erreicht haben, sehr geschätzt. Daran wollen wir anknüpfen und haben deshalb in den vergangenen Wochen Gespräche mit den antragstellenden Bundesländern und auch mit unserem Koalitionspartner geführt. Die Gespräche mit den Ländern waren sehr konstruktiv – ihr Gesetzesantrag gibt unsere Haltung eins zu eins wieder –; die mit dem Koalitionspartner – das hat man gerade vom Kollegen Donth gehört – waren noch nicht ganz so erfolgreich. (Gustav Herzog [SPD]: Die sind noch in der Lernphase!) Aber ich möchte trotzdem, dass wir zueinanderkommen können. Denn es geht mir und meiner Fraktion ausdrücklich nicht um die Abschaffung der Eigenwirtschaftlichkeit. Die muss es weiter geben. Was aber nicht geht, ist, dass Eigenwirtschaftlichkeit durch Sozialdumping erreicht wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE] – Michael Donth [CDU/CSU]: Wir wollen das doch auch nicht!) Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich gehe davon aus, dass die meisten Verkehrsunternehmer verantwortungsbewusste Arbeitgeber sind. Angesichts des Mangels an Personal ist dies ja ohnehin geboten. Aber wenn ich als Politiker die Möglichkeit habe, durch eine schlanke Änderung des PBefG – nennen wir es einfach mal so – eine Präzisierung zu erreichen, nämlich dass, wer wirtschaftlich ist, weil er Sozialstandards unterläuft, den Auftrag nicht bekommt, dann will ich die ergreifen. (Beifall bei der SPD) Ich verstehe übrigens nicht, wie man sich dem versperren kann. Deswegen bitte ich die Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitiker insbesondere der Union, sich einen Ruck zu geben. Lassen Sie sich von Ihren Kolleginnen und Kollegen aus der Kommunalpolitik überzeugen! Reden Sie mit denen, die bei Ihnen für die Arbeitnehmerinteressen einstehen! Hören Sie auf die Bürgermeister aus Ihrer Partei! Und dann können Sie eigentlich nur zu dem Ergebnis kommen – das gilt dann am Ende natürlich auch für die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen –, den Gesetzesantrag der Länder zu unterstützen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Thomas Jarzombek für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich mehr zur Sache reden, aber nachdem der Kollege Bartol hier eine Wahlkampfrede gehalten hat, kann das nicht völlig unwidersprochen bleiben. (Sebastian Hartmann [SPD]: Er hat zur Sache geredet!) Ich sage nur eines dazu: Natürlich müssen die Dinge, die wir gemeinsam verabredet haben, auch gemeinsam getragen werden. Was das Thema „potenzielles Sozialdumping im öffentlichen Nahverkehr“ betrifft, muss erst einmal ein vernünftiger Regelungsvorschlag her; (Sören Bartol [SPD]: Gibt es im Bundesrat!) denn, lieber Kollege Bartol, wir in Nordrhein-Westfalen sind gebrannte Kinder durch Tariftreuegesetze, die den Mittelständlern und gerade den kleinen Mittelständlern so viel bürokratisches Blei ans Bein binden, dass kein kleines Unternehmen mehr Aufträge bekommen kann. (Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU] – Widerspruch bei der SPD – Zuruf des Abg. Andreas Rimkus [SPD]) Deshalb müssen diese Dinge auch umsetzbar sein. Daran, dass sich Andreas Rimkus so aufregt, merke ich, dass er dadurch offensichtlich getroffen ist. (Zurufe von der SPD) Ich kann nur sagen: Das Tariftreuegesetz in Nordrhein-Westfalen, das Unternehmen und Handwerksbetrieben Regelungen vorgibt, um auch noch für den dritten Subunternehmer zu bürgen, dass auch der sich tariftreu verhält, und von Zertifikaten und von Siegeln spricht, von denen keiner weiß, wie er sie bekommen soll, ist mittelstandsfeindlich. Wir müssen mittelstandsfreundliche Regelungen schaffen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Sind Sie für Tariftreue oder dagegen? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Davon abgesehen, wollte ich Ihnen eigentlich eine gute Nachricht präsentieren, auch wenn es für einen Düsseldorfer jetzt ein schwerer Gang ist, gerade den in Köln beheimateten VRS zu zitieren: „Erneuter Rekord bei Fahrgastzahlen und Einnahmen.“ Das ist eine Pressemitteilung des VRS von Montag. Der öffentliche Nahverkehr schreibt seit Jahren in Deutschland eine riesige Erfolgsgeschichte. Es gibt jedes Jahr mehr Fahrgäste, und der öffentliche Nahverkehr ist eindeutig ein Gewinner der Digitalisierung; denn Kunden, die früher nicht wussten, wann eine Straßenbahn kommt, können dies jetzt mit einer App erfahren. Sie können gleich ein Ticket kaufen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn denn eine Straßenbahn kommt! Die kommt nämlich meistens nicht, jedenfalls nicht im ländlichen Raum!) Beim Warten an der Haltestelle sind sie jetzt beschäftigt. Sie sind auch beim Fahren im Verkehrsmittel häufig mit ihrem Handy beschäftigt. Gerade junge Leute sagen: Ich fahre lieber mit Bus und Bahn, da kann ich weiter auf Facebook und Co etwas machen, was ich beim Autofahren nicht kann. Deshalb sind die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe Gewinner. Aber sie müssen es auch bleiben. Hier stehen wir natürlich vor Herausforderungen. Kollege Kühn, zu Recht haben Sie das herausgestellt: Wir müssen aus dieser Kleinstaaterei heraus und brauchen endlich eine gemeinsame Plattform. Ich habe auf meinem Handy nachgezählt und festgestellt, ich habe neun Mobilitäts-Apps, die ich alle regelmäßig brauche: drei davon für die Rheinbahn, für die BVG und für die Deutsche Bahn. Diese müssen integriert werden. Richtig ist, dass der Bundesverkehrsminister 16 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat, um eine einheitliche Plattform zu machen; (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um ein Forschungsprojekt zu machen!) denn natürlich möchte ich mit der Rheinbahn-App auch Tickets bei der Bahn und bei der BVG kaufen, und wenn ich nach Frankfurt, Hamburg oder München fahre, dann eben auch dort. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt man mit 16 Millionen Euro nicht weit!) Ich möchte aber insbesondere, und das ist meine Forderung an die Nahverkehrsunternehmen und an die Verbünde, weg von diesen albernen Karten. Warum brauchen Sie als Rheinbahnticket noch eine Karte im Portemonnaie? Wir machen jetzt gerade die Novelle des Personalausweisgesetzes. Der Personalausweis sollte als universelle ID – genauso wie alternativ eine Bankkarte – doch ausreichend sein, um als Verkehrsticket zu dienen. Gerade die Kunden, die wenig fahren, verschrecken Sie damit, dass man sich erst aufwendig solche Karten beschaffen und diese dann auch noch transportieren muss. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein weiteres wichtiges Thema ist Open Data. Wir werden hier morgen im Deutschen Bundestag das erste Open-Data-Gesetz einbringen. Darauf bin ich persönlich stolz, weil das wirklich ein großer Meilenstein ist. Diese Open-Data-Strategie, nämlich dass die Daten, die der Allgemeinheit gehören, auch der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden müssen, ist eine Innovationsquelle. Die öffentlichen Nahverkehrsunternehmen dürfen hier nicht auf Datentöpfen sitzen. Ich weiß von Leuten, die innovative Verkehrs-Apps programmieren, wie schwer es ist, mit jedem einzelnen Verkehrsverbund zu verhandeln, wie man an die Fahrplandaten, an Echtzeitdaten und auch noch an eine Schnittstelle kommt, um Tickets zu verkaufen. Die Aufgabe der Nahverkehrsunternehmen besteht nicht darin, Google Konkurrenz zu machen, mit großem Aufwand eine eigene Plattform zu produzieren und dann die Daten darin abzuschließen, sondern die Aufgabe der Nahverkehrsunternehmen besteht darin, auf so vielen Plattformen wie möglich für ihr Produkt zu werben. Das bedeutet, dort Verbindungen präsent zu machen, dort Angaben zu platzieren und Menschen zu ermuntern, mit dem öffentlichen Nahverkehr zu fahren. Wir stehen darüber hinaus vor einer großen Herausforderung, die damit einhergeht, dass beispielsweise BMW angekündigt hat, dass schon in vier Jahren Fahrzeuge selbst fahren. In dieser Woche haben wir auch den Gesetzentwurf zum automatisierten Fahren hier im Plenum. Das wird auch eine große Herausforderung für die Nahverkehrsunternehmen. In der letzten Woche haben wir auf der CeBIT mit unserer Arbeitsgruppe schon in einem selbstfahrenden Bus mitfahren können, der neun bis zwölf Leute transportieren kann und für die Schweizerische Post im Kanton Wallis unterwegs ist. Das ist ein tolles Projekt. Es gibt auf dem EUREF-Campus hier in Berlin etwas Vergleichbares, und ich glaube, es ist wichtig, dass der öffentliche Nahverkehr dieses Thema sehr deutlich voranstellt. Die Zeit der großen Gefährte ist langsam, aber sicher vorbei. Die Menschen haben immer individuellere Bedürfnisse. Gerade über die Apps lernen Nahverkehrsunternehmen, wo Kunden herkommen und wo sie wirklich hinfahren wollen. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die sollen die S-Bahnen in Berlin ersetzen?) Und das müssen wir berücksichtigen. Deshalb erwarte ich von den Nahverkehrsunternehmen, dass sie auch auf diese Plattform setzen und sich mit diesen selbstfahrenden Fahrzeugen an die Spitze der Bewegung setzen. Der allerletzte Punkt ist ein ganz wichtiger: Um den Erfolg, den wir heute haben, auch fortzusetzen, brauchen wir WLAN, und zwar nicht nur an den Haltestellen, sondern auch in den Verkehrsmitteln. Das ist gerade für junge Leute ein immer wichtigerer Aspekt. Deshalb ist es wichtig, dass die Nahverkehrsunternehmen beim Thema WLAN die Initiative ergreifen. Dafür werbe ich und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Kerstin Kassner hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Kerstin Kassner (DIE LINKE): Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf der Tribüne! Wir haben es hier mit einem Thema zu tun, das für uns alle sehr wichtig ist und das, glaube ich, in der Zukunft noch viel bedeutendere Anforderungen an uns alle stellen wird als heute. Diesen Anforderungen gilt es zu genügen; das ist unsere Aufgabe. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe eigentlich immer gerne recht. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Ich hätte mir aber gewünscht, dass das, was meine Kolleginnen und Kollegen in ihrer Erklärung zur Novelle des Personenbeförderungsgesetzes im Jahre 2012 prognostiziert haben, nicht wahr wird, nämlich dass es einen Verdrängungswettbewerb geben wird und dass der Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre dazu führt, dass kommunale Unternehmen verdrängt werden. (Michael Donth [CDU/CSU]: Andersrum ist es richtig! Gucken Sie sich die Zahlen an!) Wer das leugnet, Herr Donth, dem sage ich: Schauen Sie sich an, was in der Zwischenzeit passiert ist. Ein 104 Jahre altes Unternehmen mit 250 Beschäftigten musste aufgeben. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Weil sie unfähig waren!) In Hildesheim steht Ähnliches bevor. Dort schätzt man, dass der Tariflohn um 30 Prozent gesenkt werden müsste, damit die kommunalen Unternehmen mit den sogenannten eigenwirtschaftlichen Verkehren konkurrieren können. Das ist in meinen Augen Dumping. Das muss man eindeutig so benennen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wollen wir nicht. Deshalb gehört dieser Vorrang abgeschafft. (Beifall der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Ich sage Ihnen: Neben diesem ersten Punkt, dass die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, für ihre Arbeit ordentlich entlohnt werden, also den sozialen Standards, die mir besonders wichtig sind, gibt es noch einen zweiten Punkt, der mir auf der Seele brennt. Das ist die Frage: Bedeutet eigenwirtschaftlich wirklich eigenwirtschaftlich? Wir alle wissen, dass es Ausgleichszahlungen für schwerbehinderte Menschen gibt, damit diese ein entsprechendes Ticket für die kostenlose Benutzung des Nahverkehrs bekommen. Das ist gut so; das finde ich auch richtig. Aber wenn dadurch das Geld fehlt, um Busse absenkbar zu machen und so die Möglichkeit zu schaffen, dass man überhaupt in den Bus hineinkommt, und um zu gewährleisten, dass man mit dem Rollstuhl einen Platz hat und auch tatsächlich mitgenommen werden kann, dann muss ich sagen, dass bei den Regelungen tatsächlich etwas fehlt. Hier muss mehr getan werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Als ehemalige Landrätin der Insel Rügen ist mir natürlich auch sehr wichtig, dass es einen kommunalen Gestaltungsspielraum gibt. Ich kann Ihnen sagen: Der Kampf um den Nahverkehrsplan ist jedes Mal ein Ringen um den Status quo. Die Insel Rügen ist vielleicht nicht das typischste Beispiel, weil wir sehr viele Gäste haben, die das ÖPNV-System nutzen. Aber ich kenne in meiner Heimatregion ländlich geprägte Räume, wo wirklich nur noch der Schulbus in die einzelnen Orte kommt. An der Stelle, sage ich, muss mehr getan werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielleicht erinnern Sie sich alle noch an die Kreativitätsspiele in der Schule, wo man einmal aufmalen sollte, wie man sich die verkehrliche Anbindung der Kommune der Zukunft vorstellt. Da gibt es bestimmt viele kreative Vorschläge und Ideen, was man dort umsetzen könnte. Es scheitert aber daran, dass die Kommunen diese Ideen kaum aufnehmen können, weil sie keine Möglichkeiten haben, das finanziell zu untersetzen. Da sind meiner Meinung nach ein bargeldloses Zahlungssystem oder eine WLAN-Anbindung für viele wirklich noch lächerliche Nebensächlichkeiten. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!) Erst einmal muss ein Bus kommen. Es muss möglich sein, aus dem Dorf in das jeweilige Oberzentrum zu gelangen. Dafür brauchen wir Ansätze, die müssen wir gemeinsam finden. (Beifall bei der LINKEN) Da wünschte ich mir, dass es eine Innovationsoffensive gibt, damit den Kommunen Unterstützung gegeben wird, solche Lösungen zu finden. Der Bürgerbus alleine wird es nicht lösen. Also machen wir uns auf den Weg. Gehen wir mit unseren Kommunen in die Zukunft, auch auf diesem Gebiet. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner spricht Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, herzlichen Dank für die Initiative und die Gelegenheit, noch einmal deutlich zu machen, dass wir auch in einer Großen Koalition deutliche Unterschiede haben. Das ist gut so, und das ist wichtig, gerade mit Blick auf den Wahlkampf. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir eindrucksvoll festgestellt!) Das erste Wort deswegen auch an den Kollegen Jarzombek. Es ist doch absurd, jemandem vorzuwerfen, eine Wahlkampfrede zu halten. Wahlkampf ist die Hochphase der Demokratie. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE]) Wir machen deutlich, worin die Unterschiede bestehen, damit die Wählerinnen und Wähler diese erkennen und eine gute Wahl treffen können. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu euch wollen wir noch arbeiten und regieren!) Eine schlechte Wahl würden sie treffen, wenn sie den Kollegen der Union folgen würden. Zu dem, was Sie als Nordrhein-Westfale gerade zum Thema Tariftreue gesagt haben, sage ich: Vorsicht an der Bahnsteigkante! – Das wollte ich als Verkehrspolitiker unbedingt einmal sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn Sie dem folgen, was Sie zum Thema Tariftreue ausgeführt haben, dann schädigen Sie das System Nahverkehr in Deutschland nachhaltig. Sie schädigen die Beschäftigten, (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) die auf gute Rahmenbedingungen angewiesen sind. Sie schädigen auch diejenigen, die auf guten Nahverkehr angewiesen sind, die in den Bussen und Bahnen transportiert werden. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber das wussten Sie beim Personenbeförderungsgesetz!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Sebastian Hartmann (SPD): Sofort. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Bitte, Herr Jarzombek. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Herr Kollege Hartmann, der Unterschied zwischen uns ist vielleicht der, dass wir noch bis zum Sommer gewählt sind und regieren und konstruktiv arbeiten wollen (Zurufe von der SPD: Oh! – Buh!) und nicht schon im März in den Wahlkampfmodus gehen. Meine Frage an Sie: Sie haben gesagt, dass Sie sich von dem, was ich vorhin gesagt habe, unterscheiden. Ich habe gesagt, dass wir sehr dafür sind, dass es für die Unternehmen im Nahverkehrsbereich eine Tariftreuepflicht gibt, aber diese Regelungen so ausgestaltet sein müssen, dass deren Einhaltung auch für Mittelständler und für Handwerker leistbar ist und das Ganze nicht zum Bürokratiemonster wird. Was genau haben Sie daran zu kritisieren? Sebastian Hartmann (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege Jarzombek, Sie kommen auch aus Nordrhein-Westfalen. Ich habe am Freitag der letzten Woche angekündigt: Wenn die Union mir noch ein einziges Mal ein Bürokratiemonster vorhält, dann werde ich Sie daran erinnern, was Sie bei der Pkw-Maut an Datenkraken usw. beschlossen haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke Ihnen herzlich, dass ich in meiner ersten Rede nach der Pkw-Maut nun diese Gelegenheit habe, Ihnen das mit großer Freude zurückzuspielen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Punkt ist ein anderer. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Können Sie einmal auf die Frage antworten?) – Nein, Sie müssen jetzt zuhören. Sie haben die Frage gestellt, und Sie haben mir die Chance gegeben, worüber ich mich freue. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sie haben auf eine Frage geantwortet, die ich gar nicht gestellt habe!) Wenn wir in 14 von 16 Bundesländern Tariftreueregelungen haben und zwei Länder nicht, nämlich Sachsen und Bayern, dann müssen sich doch die beiden Länder fragen lassen, warum sie diese Regelungen nicht haben. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Es kann doch nicht sein, dass wir im öffentlichen Personennahverkehr ein Tarifdumping bei den Sozialstandards haben und wir noch nicht einmal in der Lage sind, die Standards zu dokumentieren, die wir schützen wollen. Der dritte Punkt ist: Wir haben das Tariftreuegesetz auf den Weg gebracht. Auch wenn wir nicht im Landtag von Nordrhein-Westfalen sind, sage ich: Es geht um den Schutz von Beschäftigten. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Wenn Sie sich hierhinstellen und das als Bürokratiemonster darstellen, dann sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Beschäftigte der Betriebe, all diejenigen in Nordrhein-Westfalen, die vielleicht an den 14. Mai denken: Achten Sie darauf, wer die Regelung abschaffen will. Achten Sie darauf, wer sie schützen will. Achten Sie darauf, wer sie in den Koalitionsvertrag geschrieben hat. – Danke, Hannelore Kraft. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das war keine Antwort auf meine Frage, aber eine Wahlkampfrede!) Ich bleibe dabei: Wahlkampf ist die Hochphase der Demokratie. Man muss den Unterschied deutlich machen. Ich komme zu den anderen Unterschieden. Der Kollege Bartol hat doch völlig recht. Wir wollen das Personenbeförderungsgesetz behutsam weiterentwickeln. Wir merken, dass wir an Ausschreibungsgrenzen kommen, wenn es darum geht, Eigenwirtschaftlichkeit und gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen in Einklang miteinander zu bringen. Natürlich ist es richtig, was die Grünen gesagt haben. Der ÖPNV ist ein Erfolgsmodell in Nordrhein-Westfalen wie in anderen Bundesländern auch. Über 10,2 Milliarden Menschen sind mit dem Nahverkehr in Deutschland unterwegs. Damit tun wir etwas für die Metropolräume und für den ländlichen Raum. Es ist ganz wichtig, dass wir den Nahverkehr schützen und weiter ausbauen. Ich sage als Verkehrspolitiker, der auf Bundesebene Verantwortung trägt: Ja, ich freue mich, dass das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz fortgeschrieben wird. Ja, es ist eine gute Vereinbarung, dass man sich da entschieden hat, verschiedene Regelungen der Entflechtung zurückzuführen. Aber ich gebe genauso offen zu – davor verschließe ich nicht die Augen –, dass wir mehr Investitionen in den kommunalen ÖPNV brauchen. Wir müssen den Erhaltungs- und Sanierungsstau auflösen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch mit Blick auf die Wahlen, die nun kommen, sage ich: Lassen Sie uns das als Ausgangspunkt dafür nehmen, dass diese bundesgesetzliche Regelung fortgeschrieben wird. Aber wir können in einer neuen, besseren Koalition, als wir sie heute haben, mehr für den öffentlichen Nahverkehr tun, indem wir dort mehr investieren und sagen: Ja, man muss den kommunalen Investitionsstau abbauen. – Das ist das Ziel der sozialdemokratischen Verkehrspolitik, meine Damen und Herren auf den Tribünen, die Sie am 24. September darüber entscheiden, wie zukünftig der Verkehr in Deutschland organisiert wird. (Zurufe von der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist es aber ein bisschen viel! Mann, Mann, Mann!) – Aber das ist doch nicht verwerflich. – Wir haben doch hier im Plenum jede Menge Alternativen, sodass man eine freie Wahlentscheidung treffen kann. Das Tolle in unserem demokratischen, freien Land ist, dass es hier Entscheidungsmöglichkeiten gibt. Ich schließe nun an die Frau Landrätin außer Dienst an. Natürlich, auch ich trage Kommunalverantwortung. Als stellvertretender Landrat des Rhein-Sieg-Kreises sage ich: Ja, wir haben Ausschreibungen vorgenommen. – Zu den Ausschreibungen hören wir aus den Kommunen: Wir haben Sorgen, was die Rechtssicherheit angeht, wir haben Sorgen, wie wir die Sozialstandards so abbilden können, dass wir europäisches Recht berücksichtigen, weil wir dieses Regime beachten müssen, und wir wollen es künftig so gestalten, dass Eigenwirtschaft nicht gegen Gemeinwirtschaft ausgespielt wird. – Man sollte nicht dem Denkfehler unterliegen, dass der private Unternehmer automatisch raus ist, wenn es um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag geht. Wer ist denn Subunternehmer in den Kommunen? Auch dort ist ein Zusammenspiel erkennbar. Ich kenne jede Menge private Unternehmen, die sich auch an Tarifregeln halten und dafür sind, dass es gute Arbeit gibt. (Michael Donth [CDU/CSU]: So ist es!) Lassen Sie uns da doch nicht den einen gegen den anderen ausspielen, sondern lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass demjenigen, der Tarifrecht bricht und mit Sozialdumping einen Vorteil erlangen will, eine rote Karte gezeigt wird, Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD) Mich freut als Nordrhein-Westfale umso mehr, dass mein Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen, wenn es darum geht, das Personenbeförderungsgesetz fortzuentwickeln, einen guten Vorschlag eingebracht hat. Wenn sich die Grünen im Bundesrat nur enthalten haben – Kollege Bartol hat es dargestellt –, heißt das noch lange nicht, dass der Bundesrat nachher nicht einvernehmlich darauf achtet, dass wir als Bundestag hier unserer Verantwortung nachkommen. Wir haben Evaluierungspflichten in das Gesetz geschrieben und gesagt, dass wir uns das Personenbeförderungsgesetz noch einmal anschauen müssen. Das heißt dann für uns als Gesetzgeber: Wenn wir es in dieser Koalition nicht hinbekommen, dann werden wir es vielleicht nach der Wahl umso dringender tun müssen. Wir werden in der nächsten Zeit, nämlich innerhalb der nächsten zwei Jahre, deutlich mehr Ausschreibungen und deutlich mehr offene Fragen haben. Darauf zu reagieren, ist unsere Verantwortung. Wir würden uns freuen, wenn wir es schon jetzt, in der laufenden Wahlperiode, auf den Weg bringen könnten. Herr Jarzombek, da bin ich komplett bei Ihnen: Wir sind jetzt nicht im Wahlkampfmodus, (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sie schon, ich nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hörte sich gerade aber anders an!) sondern müssen nach wie vor unserer gesetzgeberischen Verantwortung nachkommen, also das Gesetz jetzt schon anpacken und nicht erst den Wahltermin verstreichen lassen. So würden wir schneller Rechtssicherheit schaffen. (Beifall bei der SPD) Das Angebot steht, ich bleibe dabei. Ich freue mich auch auf die morgige Aussprache zum E-Government-Gesetz, das wir auf den Weg bringen werden. Da können wir aber in der Koalition noch mutiger sein; denn wir sollten als Bund immer mit gutem Beispiel vorangehen. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, der öffentliche Nahverkehr ist in Deutschland auf dem Erfolgsweg. Wir haben nicht nur mit der Erhöhung der Regionalisierungsmittel dafür gesorgt, dass deutlich mehr in den schienengebundenen Nahverkehr investiert wird, sondern haben auch die Chance, das GVFG, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, fortzuentwickeln. Das ist ein großes Angebot. Den uns von den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zugespielten Ball nehmen wir auf. Das Gute erhalten, das andere noch viel besser machen, mehr Investitionen in den Nahverkehr – so schützen wir Metropolen, so gestalten wir den ländlichen Raum. Das ist das Ziel der sozialdemokratischen Verkehrspolitik. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Britta Haßelmann hat als nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Sie so aufheulen und wir hier schon einen kleinen Vorgeschmack der nächsten fünf Sitzungswochen bekommen, was das Wahlkampfgeplänkel zwischen Union und SPD angeht, dann kann unser Antrag zu einem fairen Wettbewerb für die kommunalen Verkehrsunternehmen, für die Menschen vor Ort, die den Nahverkehr nutzen, nicht so falsch gewesen sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, eine kleine Vorbemerkung zur Pkw-Maut: Vorhin fand ein Schlagabtausch zu diesem Thema statt, und man konnte den Eindruck gewinnen, dass eigentlich niemand mehr so recht für dieses unsinnige, bürokratische und europafeindliche Projekt Verantwortung übernehmen will. (Michael Donth [CDU/CSU]: Hey!) Letzten Freitagmorgen ist dieses Projekt mit den Stimmen von Union und SPD wider jede Vernunft hier verabschiedet worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Das ist ein sehr gutes Gesetz!) – Herr Donth, ganz kurz zu Ihnen: Dass Sie sich hier in einer solch platten Art und Weise im Sinne von: „Wir sind für die Privaten, ihr wollt die Planwirtschaft“ äußern, das hat doch mit Sachverstand nichts zu tun. Ich bitte Sie! (Michael Donth [CDU/CSU]: Doch! So steht es da drin!) Das ist eins zu eins eine Position, die Sie wahrscheinlich von einer Presseerklärung des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmer übernommen haben. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen: Das Problem ist wesentlich komplexer. Die kommunalen Spitzenverbände, 200 Personalräte, Verdi und viele weitere Arbeitnehmervertreterorganisationen, die Sören Bartol eben genannt hat, warnen uns vor diesem Problem und bitten uns darum – und zwar nicht nur die Länder, sondern auch den Gesetzgeber Deutscher Bundestag –, zu sagen: Beim Personenbeförderungsgesetz ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Die Entwicklung geht in die falsche Richtung, wenn es um das Thema „fairer Wettbewerb“ geht. Alle, die sich in den Kommunen, in den Ländern und auch auf Bundesebene mit diesem Thema beschäftigen, wissen, dass es ein Problem gibt, weshalb wir nachsteuern müssen. Deshalb ist es bedauerlich, Herr Donth, dass Sie so eine Linie aufmachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Unterhalten Sie sich doch einmal mit Michael Dreier, dem Bürgermeister von Paderborn. Er hat kein Parteibuch meiner Partei, sondern er ist CDU-Mitglied. Er bittet uns alle darum, sowohl die Landesebene als auch die Bundesebene, endlich aktiv zu werden, weil 2016 viele Verkehrsverträge ausgelaufen sind und weitere 2017 auslaufen, sodass sich die Problematik für die kommunalen Verkehrsträger zuspitzt. Dann wird es schwer sein, dem fairen Wettbewerb überhaupt noch eine Chance zu geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist der Grund, weshalb wir das Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben. Es geht um nicht weniger als um die Existenz vieler kommunaler Verkehrsbetriebe. 2012 wurde der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit für private Verkehrsunternehmen im Personenbeförderungsgesetz neu justiert. Derzeit machen sich viele Bürgermeister und Gewerkschafter ernsthaft Sorgen darüber, wie die Zukunft ihrer kommunalen Verkehrsbetriebe aussehen könnte. Sie alle kennen den Fall Pforzheim, wo ein städtischer Verkehrsbetrieb – das wurde bereits von zwei Rednern angesprochen – in den letzten Jahren komplett abgewickelt werden musste, weil eine Tochter der DB Regio eine eigenwirtschaftliche Genehmigung zum Betrieb des gesamten Stadtverkehrs bekommen hatte. In Hildesheim lief es ganz ähnlich. Hier konnte der eigenwirtschaftliche Antrag allerdings gerade noch abgewehrt werden. Was war der Preis dafür? Es mussten veränderte Arbeitsbedingungen vereinbart werden, um den Vertrag noch weiterführen zu können. Das alles geschah auf dem Rücken der Beschäftigten, weil Standards abgesenkt wurden. Das betrifft auch viele andere Städte: Kiel, Leverkusen, Hamm, Gotha, Esslingen, Oldenburg und Saarlouis; um nur ein paar zu nennen. Dort lief es ganz genauso. 2017 werden viele weitere Verkehrsverträge auslaufen. Sich zu positionieren nach dem Motto: „Privat vor Staat, die wollen das alles ganz anders“, ist doch völliger Quatsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Wir wollen, dass kommunale Verkehrsunternehmen faire Wettbewerbschancen haben. Das wird durch den beschriebenen Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit verhindert. Ich finde es wichtig, dass wir uns als Deutscher Bundestag dazu verhalten und nicht allein auf den Bundesrat warten oder das Thema nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Die Bundesratsinitiative geht nicht nur von einem Bundesland aus, sondern von Nordrhein-Westfalen, von Niedersachsen und von Schleswig-Holstein. Dort regieren Grüne und SPD gemeinsam und haben eine entsprechende Initiative auf den Weg gebracht. Hier im Bundestag ist das für uns aber kein Grund, uns jetzt wegzuducken, uns einen schlanken Fuß zu machen und zu sagen: Bis zum 24. September passiert gar nichts, wir warten auf die Bundesratsinitiative. – Jede und jeder von uns weiß: Eine Bundesratsinitiative kann auch versauern. Sie wird einfach liegen gelassen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Bundestag muss sich dazu positionieren, um endlich den fairen Wettbewerb und nicht den Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit für Private so festzuschreiben, wie er heute festgeschrieben ist. Das sichert nicht die Zukunft der kommunalen Verkehrsunternehmen. Das verzerrt den Wettbewerb in den Kommunen, den wir an dieser Stelle gar nicht scheuen. Deshalb ist es wichtig, dass sich der Bundestag positioniert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist ja eine muntere Debatte, die wir aus Nordrhein-Westfalen heraus heute hier in Berlin führen. Wir sind noch immer der Bundestag und nicht der Landtag. Liebe Kollegin Haßelmann, ich freue mich, dass Sie sich heute erstmals zu verkehrspolitischen Themen äußern. Herzlich willkommen in der Verkehrspolitik heute Vormittag im Deutschen Bundestag! (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da können Sie nur noch etwas lernen, Herr Lange! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darf sie sich nicht zur Verkehrspolitik äußern, oder was? – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Davon können Sie noch etwas lernen!) Zur Erinnerung – Kollege Bartol hat das eben angesprochen –: Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode fraktionsübergreifend mit diesem doch sehr komplexen Thema auseinandergesetzt und haben einen sehr guten Kompromiss gefunden, in dem sich am Ende alle wiedergefunden haben. (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ein paar haben dagegengestimmt! Wir haben dagegengestimmt!) All die Positionen, über die wir heute diskutieren, lagen schon damals eins zu eins auf dem Tisch. Sie sind also nicht neu. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz hat – das erlaube ich mir als Kommunalpolitiker zu sagen – zumindest bei mir den Praxistest bestanden. Über einen guten Nahverkehrsplan, für dessen Ausarbeitung man sich natürlich Zeit nehmen muss und über den man in den kommunalen Gremien viel diskutieren muss, kann man Verkehre auch eigenwirtschaftlich organisieren. Das funktioniert. Das wollten wir damals so. So werden wir auch in weitere Gespräche dazu gehen. Liebe Kollegin Kassner von den Linken, liebe Kollegin Haßelmann von den Grünen: Der Angriff der Privaten auf die Kommunen in der Form, wie Sie es beschrieben haben, findet derzeit nicht statt. Die Zahlen belegen – hören Sie sich das in Ruhe an – etwas anderes: 27-mal ging der Verkehr von Privat an Kommune und nur ganz selten – dazu zählt das Beispiel Pforzheim, das von allen rauf- und runterdekliniert wird – anders herum. Wir sollten es in dieser Debatte also ein bisschen ruhiger angehen lassen. Vor allem wissen wir doch, dass wir in dem Personenbeförderungsgesetz – lieber Sören Bartol, Sie waren damals auch in verantwortlicher Position – Sozialstandards regeln können. Ich verweise auf die Vorabbekanntmachung des § 8 Absatz 2 in Verbindung mit § 13 Absatz 2a PBefG. Sie nicken. Sie wissen ganz genau, dass an dieser Stelle Sozialstandards geregelt werden können. Man braucht also kein neues Gesetz, um das zu regeln, was hier geregelt werden soll. Man muss ein Gesetz umsetzen und sollte nicht immer reflexartig nach einem neuen Gesetz rufen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie von der CDU/CSU doch immer in der Sicherheitspolitik!) Ich will jetzt nicht über Bürokratiemonster, Nebelkerzen und sonstige rot-rot-grüne Träume, lieber Kollege Hartmann, reden. Ich sage nur eines: Es besteht die Möglichkeit, auf Landesebene die Dinge zu regeln und sie so in den Griff zu bekommen – so schreibt es auch der VDV, der jetzt nicht verdächtig ist, in einer besonderen Nähe zu uns zu stehen –, dass es keine Probleme gibt. So hat man in Bayern die Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt. Da kann ich nur Richtung Nordrhein-Westfalen oder Richtung Brandenburg sagen, in Richtung Rot-Grün und Rot-Rot: Erklären Sie doch die Tarifverträge für allgemeinverbindlich. Dann haben Sie das Problem nicht. Danke schön, Horst Seehofer. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der weitere Antrag kann nur unter dem Aspekt „Ich ziehe etwas auf“ verstanden werden. Denn die Regionalisierungsmittel im Schienenpersonennahverkehr betragen 8,2 Milliarden Euro. Kollege Donth hat es gesagt: Noch nie wurde so viel Geld für den Schienenpersonennahverkehr bereitgestellt. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für das Angebot! Nicht für die Infrastruktur!) Der Bund stellt Entflechtungsmittel in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Im Rahmen des GVFG-Bundesprogramms gibt es weitere 330 Millionen Euro. Lieber Enak Ferlemann, der Hinweis vorhin in der Debatte zum Schienenlärmgesetz, dass es in den letzten Jahren und Jahrzehnten keine so erfolgreiche Verkehrspolitik wie diese gegeben hat, ist richtig. Deswegen gibt es auch keinen Grund, hier daran herumzumäkeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir glauben nicht, dass man mit irgendwelchen kleinen schnellen Maßnahmen bei diesem sehr komplexen Thema derzeit etwas ändern sollte. Man kann ein Gesetz umsetzen. Dazu fordere ich die Länder auf. Man kann Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären; dafür sind die Länder ebenfalls zuständig. Auch dazu fordere ich die Länder auf. Eine Bitte an die kommunalen Gremien: Nutzen Sie die Möglichkeiten des Nahverkehrsplans. Er bietet unendlich viel. In diesem Sinne bin ich sicher, dass wir den öffentlichen Personennahverkehr weiterhin mit einem ausgewogenen und sehr guten Personenbeförderungsgesetz stärken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Birgit Kömpel hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Birgit Kömpel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge der Grünen befassen sich mit dem Problem des öffentlichen Nahverkehrs. Dieses Problem nehmen auch wir in der SPD sehr ernst. Für uns gilt: Wir brauchen gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland, egal ob in der Stadt oder auf dem Land. (Beifall bei der SPD) Dazu zählt für uns natürlich auch die Mobilität. Wir haben uns insbesondere im letzten Jahr in unserer Fraktion sehr viele Gedanken gemacht, unter anderem in verschiedenen Projektgruppen. Eine davon hieß #NeuerZusammenhalt. Dort ging es unter anderem um das Dialogpapier mit dem Titel „Deutschlandweit mobil – auch in ländlichen Regionen“. Denn besonders der ländliche Raum ist auf eine gut funktionierende Mobilität angewiesen. Ich komme selber vom Land und kann nur bestätigen: Noch immer fährt man hier mit dem Auto. Es gibt ja auch wenig Alternativen. Morgens ist der Schulbus zwar voll ausgelastet – Herr Kühn, Ihr Ausdruck „Ölsardine“ passt da durchaus, gerade was die Schülerbeförderung betrifft –, aber in den Randzeiten kommt man nicht von A nach B, weil der Bus oder die Regionalbahn eben nur zwei-, drei- oder viermal am Tag fährt. Der im Schichtdienst arbeitenden Krankenschwester nutzt das überhaupt nichts. Das nutzt dem Facharbeiter, der morgens um 6 Uhr seine Schicht beginnt, genauso wenig. Klar ist aber auch: Der ländliche Raum kann niemals ein vergleichbares Angebot an öffentlichen Verkehren bereitstellen wie große Städte oder unsere Ballungszentren. Aber wir brauchen und wir müssen im ländlichen Raum Wege und Möglichkeiten finden, um jungen und älteren Menschen sowie mobilitätseingeschränkten Menschen eine aktive Teilnahme am öffentlichen Leben zu ermöglichen. (Beifall bei der SPD) Der Bund muss sich – da sind wir Ihrer Meinung, liebe Grüne – fortlaufend und in ausreichender Höhe an der Finanzierung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur beteiligen. Dafür steht die SPD-Bundestagsfraktion. Dafür stehe auch ich als Abgeordnete eines ländlichen Raums. (Beifall bei der SPD) Trotzdem: Geld allein wird in Zukunft nicht reichen; denn unser ländlicher Raum steht vor großen Herausforderungen. Dazu gehört zunächst einmal der demografische Wandel in unseren Dörfern. Die Bevölkerungszahl nimmt zum Teil erheblich ab, und die Bevölkerungsstruktur verschiebt sich. Es gibt weniger Schülerinnen und Schüler, dafür gibt es mehr ältere Menschen. Für die öffentlichen Verkehre bedeuten diese fortlaufenden Veränderungen ein hohes Maß an Unsicherheiten; dessen müssen wir uns auch klar sein. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, langfristig sicher und gut zu planen und vor allen Dingen die Finanzierung auch zu sichern. Geld allein reicht nicht, um das Problem der öffentlichen Verkehre zu lösen; das habe ich gerade schon gesagt. Dafür braucht es viel Engagement der Bürgerinnen und Bürger sowie gute Rahmenbedingungen vonseiten der Politik. Mehr Mobilitätskonzepte müssen erarbeitet werden; denn es geht nicht um ein Immer-mehr-und-immer-Schneller, sondern wir brauchen ein ganzheitliches Konzept. Konkret heißt das zum Beispiel: In den Randzeiten sollen Bürgerbusse, Kombibusse und Sammeltaxen flexibel eingesetzt werden. Ergänzen kann man das durch Fahrgemeinschaften sowie Hol- und Bringdienste. Aber wie erfahren die Bürgerinnen und Bürger davon? Wie können sie sich – auch in unseren Städten – informieren und vernetzen? Meine Damen und Herren und insbesondere Herr Kollege Jarzombek, Carsharing könnte auch ein Konzept für die Mobilität im ländlichen Raum sein. (Michael Donth [CDU/CSU]: Ja! – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Da haben Sie zwar recht, aber dazu habe ich gar nicht gesprochen!) Aber hier wiederum ist eine moderne Telekommunikationsinfrastruktur ganz wichtig. Auch wir Landeier – das war eigentlich der Punkt, an dem ich Sie ansprechen wollte – (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das habe ich mir schon gedacht!) benutzen Smartphones. Für uns ist das Internet keinesfalls Neuland. Wir sind daher auf eine flächendeckende Breitbandversorgung und ein ausreichendes Funknetz geradezu angewiesen. (Beifall bei der SPD – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das sind Allgemeinplätze!) Bei der Daseinsvorsorge gehören im ländlichen Raum Mobilität sowie Breitbandversorgung und Funknetze schlicht und einfach zusammen. Das eine geht ohne das andere nicht. Mit der Breitbandversorgung sind wir bereits auf einem guten Weg. Jetzt muss die Verbindung mit der Mobilität gestaltet werden. Gute Mobilität im ländlichen Raum wird auch in Zukunft möglich sein, wenn wir jetzt darangehen und heute die Voraussetzungen dafür schaffen. Die SPD-Fraktion hat mit ihrem Positionspapier die anstehenden Schritte klar benannt und zum Teil bereits umgesetzt. Wir werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass die Menschen überall in Deutschland gut leben und mobil sein können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in der Aussprache hat Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch für die Zuschauer auf den Tribünen möchte ich jetzt ein bisschen dazu beitragen, die Diskussion auf den eigentlichen Inhalt der Anträge zu lenken, über die wir heute reden. Einer der Anträge der Grünen ist mit den Worten überschrieben: „Investitionsstau auflösen – Zukunft des ÖPNV sichern – Jetzt die Weichen für den öffentlichen Verkehr von morgen stellen“. Mit genau diesem Thema haben wir uns vor vier Jahren befasst, als wir den Koalitionsvertrag zwischen SPD, CSU und CDU niedergeschrieben haben. Damals haben wir uns zu dieser Aufgabe bekannt. Dabei ist erstens eine der größten Leistungen der Verkehrsfinanzierung in der jüngeren Geschichte nach der Wiedervereinigung Deutschlands herausgekommen. Wir haben nämlich jetzt Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr in Höhe von 8,2 Milliarden Euro jährlich mit 1,8 Prozent Steigerung pro Jahr dynamisiert bereitgestellt. Das ist übrigens eine Steigerung in Höhe von 12 Prozent gegenüber dem Vorzustand und eine enorme Summe. Zweitens. Wir haben auch erreicht, dass das Bundesprogramm im Gesetz für Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden über das Jahr 2019 hinaus fortgeführt wird und unbefristet mit einer Drittelmilliarde Euro jährlich für kommunale ÖPNV-Vorhaben verwendbar ist. Das schafft Planungs- und Finanzierungssicherheit, die Sie gefordert haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir wissen aber, dass allein mit diesen Mitteln die erforderlichen Sanierungsaufgaben noch nicht zu leisten sind. Deshalb sind wir noch einen Schritt weiter gegangen. Wir haben außerdem beschlossen, ab dem Jahr 2020 Umsatzsteuerpunkte zur Verfügung zu stellen. Jetzt hoffen wir, dass diese Umsatzsteuermittel in den Ländern in die Kanäle fließen, für die sie gedacht sind. Wir haben darauf nämlich keinen Einfluss. (Beifall bei der CDU/CSU) Darauf Einfluss haben alle hier vertretenen Parteien, aber insbesondere die Grünen, die heute diesen Antrag gestellt haben. Herr Kühn, Sie haben vollkommen recht, wenn Sie sagen, dass wir noch weit hinter dem zurück sind, was wir uns für die Zukunft in Sachen Abschaffung von Kleinstaaterei und bei der Koordinierung und Vereinheitlichung von Zugriffen auf den öffentlichen Personennahverkehr vorstellen können – überhaupt keine Frage. Aber: Sie regieren in elf Ländern mit. Ich hätte die Bitte, dass Sie Ihre Verkehrspolitiker einmal zusammenholen und versuchen, wie wir es teilweise schon seit Jahrzehnten tun, dort eine gemeinsame Sprache hineinzubringen – ich arbeite da gerne mit Ihnen zusammen –, damit wir an dieser Stelle mehr Koordination zustande bringen. Nur, bis jetzt ist das nicht gelungen, und Sie haben verschwiegen, dass das bei Ihnen, in Ihren Reihen, ganz offensichtlich auch nicht klappt. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich jetzt nicht verstanden! Das müssen Sie mir noch mal erklären!) Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu einer anderen Frage. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo gibt es denn eine unterschiedliche Sprache? Erklären Sie mir das doch noch mal!) – Ich will jetzt noch kurz etwas zu der Auseinandersetzung über das Personenbeförderungsgesetz sagen; erlauben Sie mir das auch bitte. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe das aber immer noch nicht verstanden!) Ich glaube, hier nähern wir uns allmählich einer Grundfrage. Die Grundfrage, die hier eine Rolle spielt, wird von der rechten und der linken Seite dieses Parlaments unterschiedlich beantwortet. Sie lautet: Ist der ÖPNV für den Bürger da, ist der ÖPNV also ein Dienstleister für den Bürger, oder ist der Bürger ein Dienstleister für den ÖPNV? (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Was ist das denn für eine Frage? Ich glaube, die Frage hat sich niemand gestellt!) Hat der Bürger das Einkommen und die Arbeitsplätze beim ÖPNV zu sichern, oder hat der ÖPNV nicht vielmehr die Aufgabe, dem Bürger nach dem günstigsten Preis-Leistungs-Verhältnis eine Dienstleistung anzubieten? Das ist die Frage, um die es geht. (Ulli Nissen [SPD]: Und was ist mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?) Unsere Seite des Parlaments sagt: Der ÖPNV ist der Dienstleister für den Bürger. – Sie hingegen befassen sich mit der Besitzstandswahrung eines Teils der Öffentlichkeit zulasten eines anderen Teils der Öffentlichkeit, (Widerspruch bei der SPD) nämlich derjenigen, die im privaten Gewerbe tätig sind. Diese Arbeitsplätze sind Ihnen nicht wichtig. (Widerspruch bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Steile These!) Sie senden das Signal aus: Den privaten Verkehrsdienstleistern geht es jetzt an den Kragen. – Das ist Ihre Botschaft. (Sören Bartol [SPD]: Nein, eben nicht! Quatsch!) Das ist genau die Botschaft, die wir vermeiden wollen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Sie hätten bei unseren Reden mal besser zuhören sollen! Dann würden Sie so etwas jetzt nicht behaupten!) Jetzt noch eine Bemerkung zu dem wichtigen Thema Wahlkampf. Sebastian Hartmann hat sehr richtig gesagt: Der Wahlkampf gehört zur Demokratie; er ist die Würze der Demokratie. Da hat man die Möglichkeit, scharf konturiert Unterschiede darzustellen, damit der Bürger weiß, wem er aus welchem Grund seine Stimme gibt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bürgerin aber auch!) Das ist richtig. Aber es gibt da ein Problem. Im Wahlkampf geht nämlich etwas schief, wenn man die Dinge so vergröbert, dass am Ende Unwahrheiten herauskommen. Bei Ihnen ist es so, dass Sie eines nicht erklären: wie Sie den Wettbewerb im öffentlichen Personennahverkehr aufrechterhalten wollen, wenn Sie die Wettbewerber, die zur Verfügung stehen, vom Markt fegen. (Klaus Barthel [SPD]: Aber das wollen wir doch gar nicht!) Genau das tun Sie im Augenblick. Sie sind nicht bereit, Wettbewerb wirklich zuzulassen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Herr Vaatz, bleiben Sie bei der Wahrheit! Das ist doch eine Lüge!) Jetzt komme ich auf die Situation in Pforzheim zu sprechen. Sie argumentieren mit dem Alter der Verkehrsbetriebe usw. usf. Ich argumentiere mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis. Das Preis-Leistungs-Verhältnis hat sich dort dramatisch verbessert. Es werden pro Jahr 3 bis 7 Millionen Euro eingespart, und das bei einer verbesserten Verkehrsleistung. Jetzt verstehe ich natürlich auch, warum manche öffentliche Personennahverkehrsdienstleister die Hosen voll haben. (Zuruf von der SPD: Ach ja? Bei wem ist das denn so?) Sie fürchten nämlich, dass sie mit ihrem Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr zukunftsfähig sind, wenn es darum geht, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. (Kirsten Lühmann [SPD]: Aber auf Kosten der Beschäftigten!) Ich sage Ihnen: Wir wollen Marktwirtschaft, und wir wollen auch im öffentlichen Personennahverkehr vernünftige Bedingungen. Wir wollen kein Lohndumping. Sie können das Lohndumping verhindern, indem Sie von Ihren gesetzgeberischen Möglichkeiten in den Ländern Gebrauch machen. Tun Sie das, und verbreiten Sie hier keine Illusionen, die Sie am Ende nicht verwirklichen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10747 und 18/10978 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 o auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Verankerung eines Verfahrens zur Überprüfung von Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland) Drucksache 18/8277 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Verteidigungsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Intelligente Verkehrssysteme Gesetzes Drucksache 18/11494 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss Digitale Agenda c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stiftung Drucksache 18/11507 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. März 2014 über die Ausstellung mehrsprachiger, codierter Auszüge und Bescheinigungen aus Personenstandsregistern Drucksache 18/11510 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors Drucksache 18/11556 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – 2. PStRÄndG) Drucksache 18/11612 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung Drucksache 18/11613 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Drucksache 18/11615 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Regelungen über Funkanlagen und zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen Drucksache 18/11625 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Neustart für eine friedliche und gerechte Europäische Union Drucksache 18/11723 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Tierversuche beenden Drucksache 18/11724 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung l) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin Drucksache 18/3566 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung m) Beratung der Unterrichtung durch den Deutschen Ethikrat Stellungnahme des Deutschen Ethikrates Hirntod und Entscheidung zur Organspende Drucksache 18/4256 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung n) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht der Bundesregierung über den Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin Drucksache 18/7269 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung o) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritter Bericht der Bundesregierung über den Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin Drucksache 18/10854 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Bei diesen Tagesordnungspunkten handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist auch das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b, 41 d bis 41 o sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 e auf. Hierbei handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 41 a: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BDBOS-Gesetzes Drucksache 18/11139 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/11660 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11664 Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11660, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11139 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 41 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2016/424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG (Seilbahndurchführungsgesetz – SeilbDG) Drucksache 18/11258 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11702 Mit diesem Gesetz werden eine Verordnung der Europäischen Union über Seilbahnen umgesetzt und ein neuer Rechtsrahmen für die Vermarktung und CE-Kennzeichnung von Teilsystemen und Sicherheitsbauteilen geschaffen. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11702, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/11258 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist dieser Gesetzentwurf in der zweiten Beratung einstimmig angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 41 d: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. August 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/11557 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/11766 Da es sich um einen internationalen Vertrag handelt, erfolgen hierzu nur zwei Lesungen. – Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11766, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11557 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer enthält sich? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 e auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Dezember 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Agentur für Flugsicherheit über den Sitz der Europäischen Agentur für Flugsicherheit Drucksache 18/11558 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11768 Mit der Umsetzung des Abkommens werden der Sitz der Europäischen Agentur für Flugsicherheit in Köln (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eine gute Stadt!) auf eine gesicherte rechtliche Grundlage gestellt sowie die Rechte und Befugnisse der Agentur und ihres Personals in Deutschland geregelt. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11768, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11558 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich möchte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich zu erheben. – Gibt es jemanden, der dagegenstimmen möchte? – Gibt es jemanden, der sich enthalten möchte? – Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 41 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Tabea Rößner, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Telekomanteile veräußern – In Breitbandausbau investieren Drucksachen 18/9799, 18/11209 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11209, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/9799 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 41 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Biodiversität schützen – Taxonomische Forschung ausbauen Drucksachen 18/10971, 18/11700 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11700, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/10971 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition – keine Gegenstimmen – angenommen worden. Tagesordnungspunkt 41 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Sechste Verordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/11293, 18/11472 Nr. 2.2, 18/11772 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11772, der Verordnung auf Drucksache 18/11293 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 41 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung über die Bewirtschaftung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Gewerbeabfallverordnung – GewAbfV) Drucksachen 18/11294, 18/11472 Nr. 2.3, 18/11773 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11773, der Verordnung auf Drucksache 18/11294 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Opposition angenommen worden. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 41 j bis 41 o sowie den Zusatzpunkten 2 a bis 2 e. Hierbei handelt es sich um Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 41 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 422 zu Petitionen Drucksache 18/11629 Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 422 einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 41 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 423 zu Petitionen Drucksache 18/11630 Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist auch die Sammelübersicht 423 einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 41 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 424 zu Petitionen Drucksache 18/11631 Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 41 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 425 zu Petitionen Drucksache 18/11632 Wer stimmt dafür? – Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 41 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 426 zu Petitionen Drucksache 18/11633 Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 426 mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Tagesordnungspunkt 41 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 427 zu Petitionen Drucksache 18/11634 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist die Sammelübersicht 427 ebenfalls einstimmig angenommen worden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nein! Wir haben dagegengestimmt!) – Entschuldigung. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Sammelübersicht 427 nicht angenommen, sondern dagegengestimmt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Die Linke! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wir sind doch die Linke! – Zuruf: Und die Grünen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie es noch mal!) – Ich muss erst einmal meinen Kloß im Hals hier wegkriegen. – Die Fraktion Die Linke hat bei Sammelübersicht 427 auch dagegengestimmt. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir auch!) Zusatzpunkt 2 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 428 zu Petitionen Drucksache 18/11751 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 428 einstimmig angenommen worden. Zusatzpunkt 2 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 429 zu Petitionen Drucksache 18/11752 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht ebenfalls einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 2 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 430 zu Petitionen Drucksache 18/11753 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Zusatzpunkt 2 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 431 zu Petitionen Drucksache 18/11754 Wer stimmt zu? – Gibt es jemand, der dagegenstimmt? – Der sich enthält? – Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden. Zusatzpunkt 2 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 432 zu Petitionen Drucksache 18/11755 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen durch die Opposition – keine Enthaltung – angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der „Kulturstiftung des Bundes“ Drucksache 18/11728 Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/11728? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Wahlvorschlag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke – keine Gegenstimmen – bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Vereinbarte Debatte zur Mitteilung des Vereinigten Königreichs über seine Absicht, aus der Europäischen Union auszutreten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? – Nein, das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen. Als erster Redner in dieser Aussprache hat der Bundesminister Sigmar Gabriel für die Bundesregierung das Wort. Sigmar Gabriel, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat die britische Premierministerin nun formell mitgeteilt, dass das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union austreten möchte. Ich denke, alle hier im Parlament hätten sich kurz nach dem 60. Jubiläum der Europäischen Union am letzten Wochenende ein anderes Geburtstagsgeschenk gewünscht. Aber Lamentieren hilft nichts. Wir respektieren die britische Entscheidung. Doch machen wir uns nichts vor: Der Brexit zwingt auch die verbleibenden Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu, ihren weiteren Weg neu zu vermessen. Wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union sich dazu entschließt, die Union zu verlassen, dann kann der Rest nicht „business as usual“ machen und so tun, als sei nichts geschehen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Hat sie aber gemacht!) Für uns ist nach wie vor klar: Die Europäische Union ist und bleibt das größte Zivilisationsprojekt des 20. Jahrhunderts, und auch im 21. Jahrhundert gibt es – bis heute – keine Region in der Welt, in der man so frei, so sicher und auch so demokratisch leben kann wie bei uns in der Europäischen Union. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frieden und Wohlstand für alle sind die Versprechen der Europäischen Union, und wir sehen gerade, wie brüchig der Frieden dort ist, wo die friedenstiftende Hand der Europäischen Union nicht wirksam ist auf unserem Kontinent. Natürlich ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Europäischen Union, auch das Wohlfahrtsversprechen endlich wieder einzulösen. Nichts untergräbt die Legitimität der europäischen Einigung so sehr wie mehr als 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern im Süden der Europäischen Union. Europa wird nur gelingen, wenn es auch für die nächste Generation in Europa ein Projekt der Hoffnung ist, und nicht ein Projekt der Hoffnungslosigkeit. Deshalb ist der Kampf um mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze, bessere Bezahlung und mehr soziale Sicherheit so ungeheuer wichtig. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es!) Denn wie zuvor in Irland, in Frankreich und in den Niederlanden haben auch gerade die Arbeiterbezirke des Vereinigten Königreiches gegen Europa gestimmt. Auch in Großbritannien sind es Mittelschichten, Menschen mit nicht so hohen Einkommen, die jedenfalls in der Europäischen Union keine Hilfe für ihre Zukunft mehr gesehen haben. Sie haben gegen die Mitgliedschaft in der Europäischen Union gestimmt, nicht nur weil sie der dummen Propaganda von UKIP und anderen aufgesessen sind, sondern weil sie die Hoffnung verloren hatten, dass sich ihre Lebenssituation durch Europa verbessert. Dem Vereinigten Königreich attestiert die Bank of England für die vergangenen zehn Jahre die schwächste Reallohnentwicklung seit Mitte des 19. Jahrhunderts, seit Mitte des 19. Jahrhunderts! Diese eher schwache Entwicklung der Löhne geht zudem einher mit einer unterschiedlichen, vielfach außerordentlich ungerechten Verteilung der Reallohnentwicklung innerhalb des Landes. Konkret: In einer Zeit, in der der Reichtum zum Beispiel am Finanzplatz London bereits obszöne Größenordnungen erreicht hatte, wurden große Teile der britischen Gesellschaft vom Wohlfahrtsversprechen ausgeschlossen. Wer verhindern will, dass es in den Bevölkerungen der Mitgliedstaaten Europas weiter mehr Frustration als Hoffnung über ihre eigene Zukunft gibt, der muss vor allem dafür sorgen, dass das Leben, das Einkommen und die sozialen Bedingungen in Europa wieder für alle besser werden. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für mich ist das deshalb wichtig, weil uns heute in Europa nicht nur unser zukünftiges Verhältnis zu Großbritannien beschäftigen muss. Nicht nur der Brexit, auch die zahlreichen anderen Krisen der jüngeren Vergangenheit haben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Europäische Union beschädigt. Das wirtschaftliche Abrutschen der Länder am Mittelmeer, der Umgang mit Flüchtlingen, Unsicherheit und Pessimismus: Die Staatengemeinschaft wirkt so zerbrechlich wie nie zuvor. Das europäische Einigungsprojekt wird wie selten zuvor von Populisten angefeindet, die einfache Lösungen vorgaukeln, die Europa zurückbauen oder sogar zerstören wollen. Deswegen war das Signal von Rom am Wochenende mehr als nur eine gute Nachricht. Denn darin ist endlich ein Bekenntnis zu einem stärkeren sozialen Europa enthalten. Damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin nicht naiv. Ich glaube auch nicht, dass der Text allein sofort alles ändert. Aber er ist ein erstes Zeichen dafür, dass sich die anderen 27 Mitgliedstaaten auf einen Paradigmenwechsel einlassen und sich auf dem Binnenmarkt von einem reinen Wettbewerbseuropa hin zu einer sozialen Marktwirtschaft entwickeln wollen. Dafür ist noch viel zu tun. Aber der Wechsel in diese Richtung ist endlich eingeleitet. (Beifall bei der SPD) Es gibt aber auch wirklich tolle Nachrichten aus Europa. Es ist erstaunlich: In fast jedem Land Europas – so zeigen es Umfragen – sind es derzeit eher die Älteren, die die EU schlecht finden. Das war bei der Gründung der Europäischen Union anders. Da waren es die Alten, die ihre Söhne und Töchter im Krieg verloren hatten, deren Kinder gestorben, ermordet oder verwundet waren, also die Elterngeneration, die nach dem Krieg wusste: Das wollen wir nicht noch einmal erleben. Wir wollen nicht, dass wieder Eltern heranwachsen, die ihre Kinder im Krieg verlieren. – Heute verteidigen die Jungen Europa. Sie treten immer entschiedener für einen europäischen Zusammenhalt ein. Sie wollen ein starkes Europa; denn sie wissen, dass sie selber und ihre eigenen Kinder in einer sich total verändernden Welt, in der Asien, Lateinamerika und Afrika größer werden, während wir schrumpfen, nur dann eine Stimme haben werden, wenn es eine gemeinsame europäische Stimme ist. Selbst das starke Deutschland wird in dieser Welt von morgen kein Gehör finden, es sei denn, unsere Stimme ist eine europäische Stimme. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diejenigen, die jetzt jeden Sonntag auf unseren Plätzen den kräftigen Pulse of Europe zeigen, sind stärker als all die plumpen Antieuropäer von links und rechts außen. Die Demonstranten, die den Puls Europas zeigen, sind übrigens unsere stärksten Verbündeten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Großbritannien war jahrzehntelang Teil und wichtiger Akteur dieser großen Gemeinschaft. Die gemeinsame Geschichte mit uns Deutschen – keine einfache, oft eine schmerzvolle – verbindet. Heute sind wir Partner in einem friedlichen Europa mit gemeinsamen Interessen und Werten. Unzählige Deutsche studieren und arbeiten in Großbritannien. Junge Briten leben bei uns, beleben die Kulturszene, führen Unternehmen und gründen Start-ups. Ich glaube, dass wir trotz aller Auseinandersetzungen rund um den Brexit sicherstellen müssen, dass diese gewachsene Freundschaft zwischen den Menschen unserer Länder durch die jetzt anstehenden Verhandlungen nicht gefährdet wird. Wir müssen Freunde bleiben. Auch wenn sich dieser Spruch bei privaten Trennungsgeschichten, die es ja manchmal gibt, nicht immer realisieren lässt: Ich glaube, dass das eine gute Überschrift für das ist, was wir anstreben sollten: Wir sollten Freunde bleiben, vielleicht mit Ausnahme des Fußballplatzes. Die Brexit-Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich, die die Europäische Union für uns führen wird, werden nicht einfach. Sicherlich kennt der eine oder andere den Spruch, dass es zuerst schwer werden wird, bevor es wieder leichter wird. Das trifft auch auf diese Verhandlungen zu. Sie werden zuerst schwer werden, bevor sie wieder leichter werden. Sosehr der Austritt Großbritanniens aus der EU auch falsch ist, sosehr er dem Vereinigten Königreich, wie ich glaube, am Ende mehr schaden wird als uns – man darf keine Zweifel daran haben, dass er auch uns schadet –, so wenig Interesse haben wir aber, die Verhandlungen so zu führen, dass am Ende ein völlig zerrüttetes oder verfeindetes Verhältnis zwischen uns entsteht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für die Bundesregierung ist allerdings klar: Die wichtigste Bedingung bei den Verhandlungen über den Austritt des Vereinigten Königreichs ist die Wahrung der Interessen der Bürgerinnen und Bürger der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten, des Zusammenhalts sowie der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Interessen der Mitgliedstaaten und übrigens auch der Interessen der Institutionen der Europäischen Union. Bei all dem gibt es keinen Britenrabatt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viel Detailarbeit wird nötig sein. Wir sollten den Austrittsprozess aber selbstbewusst und ohne Schaden für die 27 verbleibenden Mitgliedstaaten betreiben. Man braucht klare Leitlinien dafür. Für mich gibt es vier Aspekte, die wir berücksichtigen müssen. Erstens werden wir immer besondere Beziehungen zum Vereinigten Königreich haben, schon wegen der Bedeutung unserer Zusammenarbeit in der Außenpolitik, bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus, bei Forschung und Entwicklung sowie insbesondere bei unseren sicherheitspolitischen Aufgaben. Zweitens hat der Brexit ein großes Gefühl der Unsicherheit für unsere Wirtschaft, vor allen Dingen aber auch für mehr als 3 Millionen EU-Bürger geschaffen, die im Vereinigten Königreich leben, davon 300 000 Deutsche. Wir werden deshalb vor allen Dingen am Anfang dafür sorgen müssen, dass sie durch den Brexit möglichst keine Nachteile erleiden. Das Motto von EU-Chefverhandler Michel Barnier lautet deshalb zu Recht: Citizens first, Bürgerinnen und Bürger zuerst! So wichtig die wirtschaftlichen Beziehungen sind: Zuallererst müssen der Rechtsstatus und die Interessen der Bürgerinnen und Bürger Europas in Großbritannien gesichert werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ebenso müssen wir die Finanzierung von EU-Programmen sicherstellen, wie zum Beispiel des Europäischen Sozialfonds oder des Investitionsplans von Kommissionspräsident Juncker. Dafür erwarten wir, dass das Vereinigte Königreich seine eingegangenen Verpflichtungen einhält. Drittens ist klar, dass eine Partnerschaft außerhalb der Europäischen Union, wie sie das Vereinigte Königreich anstrebt, zwingend weniger als eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union sein muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ein Freihandelsabkommen – und sei es noch so weitgehend und innovativ – ist zwangsläufig weniger handelsfreundlich als der barrierefreie Binnenmarkt. Wir haben es immer wieder zu Recht betont: Der Binnenmarkt ist kein À-la-carte-Menü, seine vier Freiheiten sind unteilbar, und hierzu gehört die Personenfreizügigkeit, die Europa ausmacht. Das hat auch London verstanden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viertens muss unseren britischen Partnern klar sein: Je enger unsere Partnerschaft sein soll, desto mehr gemeinsame Spielregeln brauchen wir. Das gilt nicht nur für gleiche Standards bei Wettbewerb, Beihilfe und Arbeitnehmerschutzregeln, sondern auch für andere Bereiche wie beispielsweise Umwelt- und Datenschutz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie geht es jetzt weiter? Wir müssen zunächst den Rahmen für die Verhandlungen abstecken. Das werden wir durch die Leitlinie des Europäischen Rates tun. Übrigens: Der Austrittsprozess ist eine „EU only“-Angelegenheit. Der sich anschließende Verhandlungsprozess über die Frage des zukünftigen Verhältnisses betrifft dann ein gemischtes Abkommen, das der Deutsche Bundestag und der Bundesrat ratifizieren müssen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir jedenfalls, auch wenn wir bei den Austrittsverhandlungen nicht unmittelbar eine Rolle spielen – das habe ich gestern auch im EU-Ausschuss gesagt –, ein Interesse daran haben, eng miteinander zusammenzuarbeiten, Sie immer zu informieren und, wann immer Sie es für nötig halten, auch zu Ihnen zu kommen. Auch wenn es dabei, wie gesagt, nicht um das gemischte Abkommen geht, ist es, finde ich, angemessen, den Deutschen Bundestag so eng wie möglich in diese Verhandlungen einzubeziehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden unter den 27 Staaten ein Verhandlungsmandat beschließen und vermutlich ab Ende Mai die eigentlichen Verhandlungen beginnen, zunächst zu den zentralen Fragen des Austritts und dann, auf der Basis dessen, was den Austritt ausmachen soll, auch über ein zukünftiges Abkommen mit Großbritannien. Wir müssen die Impulse, die wir in Rom besprochen haben, aufnehmen, weiterdenken und umsetzen. Wir brauchen nicht in allen Bereichen mehr Europa, aber in vielen Bereichen ein besseres und auch ein sozialeres Europa, das sein Wohlfahrtsversprechen ebenso einlöst wie das Versprechen auf Frieden, Sicherheit der Grenzen und Schutz seiner Bevölkerung, ein Europa, in dem alle nach ihren Kräften mitmachen können, ein Europa der Solidarität und des Miteinanders und ein Europa, in dem nicht einige große Länder für alle anderen reden, sondern in dem wir alle gleich viel wert sind und uns auf Augenhöhe begegnen, das aber auch gemeinsam handelt und sich nicht durch andere spalten lässt. Um es offen zu sagen: Meine größte Sorge ist, dass dieses Auseinanderdividieren Europas bereits angefangen hat. Ich finde es schmeichelhaft, wenn China, die USA und Russland immer mit Deutschland verhandeln wollen. Aber darin liegt auch eine Gefahr. Es ist eine Falle, in die wir nicht gehen dürfen. Wir müssen immer klar machen: Ja, wir reden gerne, und wir haben auch einen Stabilitätsauftrag und Verantwortung für Europa. Aber am Ende reicht es nicht, mit Deutschland zu reden, sondern alle sind hier gleich viel wert. Europa besteht aus viel mehr kleinen als großen Staaten. Deswegen wollen wir bei niemandem den Eindruck erwecken, er werde ausgegrenzt. So wichtig selbst das deutsch-französische Tandem ist – am Ende ist es nicht genug. Gerade die kleineren Mitgliedstaaten müssen wissen, dass wir sie als gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe sehen und dass wir dafür sorgen wollen, dass alle anderen aus anderen Teilen der Welt am Ende mit Europa verhandeln und nicht nur mit Teilen von Europa. Ich glaube, dass das von großer Bedeutung ist. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine letzte Bemerkung. Für dieses Europa braucht man vielleicht ein bisschen Mut; keine Frage. Ich habe vor ein paar Wochen im Uhrensaal im französischen Außenministerium gestanden, in dem Robert Schuman seine berühmte Rede gehalten hat. Ich habe gedacht: Mein Gott, was müssen das für mutige Frauen und Männer gewesen sein! So kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – er war ja noch nicht lange vorbei – laden sie Deutschland ein, an den Tisch der zivilisierten Völker Europas zu kommen, das Land, das vorher brandschatzend und mordend durch Europa gezogen ist. Ich glaube nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger in Luxemburg, in Frankreich, in den Niederlanden, in Belgien, in Italien oder anderswo damals nur Beifall dafür geklatscht haben, dass ihre politischen Führerinnen und Führer gesagt haben: Komm, wir laden die Deutschen ein. – Ich glaube, es hat viel Kritik gegeben. Trotzdem hatten sie den Mut, das durchzuhalten. Ich glaube, dass wir auch heute Mut brauchen, aber ich vermute, nicht so viel Mut, wie sie damals gebraucht haben. Wenn man sieht, was geht, wenn man weiß, wo man hinwill, dann, finde ich, kann man diesen Mut aufbringen, und dann muss uns um Europa nicht bange sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster hat das Wort Dr. Diether Dehm von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dennoch: Der Brexit war auch ein Ergebnis des Krisenmanagements der Kanzlerin. Ich habe bei Ihnen, Herr Bundesminister, zwar neue Töne gehört, aber wie lange wurden linke Kritiker, die die nicht sozialen Strukturen der EU ansprachen, als antieuropäisch oder europafeindlich verleumdet?! Wir haben immer gesagt: Diese im Kern kapitalbesessene EU spaltet Europa. (Beifall bei der LINKEN) Herr Bundesminister, lassen Sie uns doch gemeinsam die soziale Fortschrittsklausel auf den Weg bringen, wie es der DGB, die SPD-Arbeitnehmerschaft und die Linke immer gefordert haben. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen: Mit mehr Sozialstaatlichkeit wäre es nie und nimmer zum Brexit gekommen. (Thorsten Frei [CDU/CSU]: Um Gottes willen! – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Nie und nimmer. – Auch in Italien, in den Niederlanden, in Spanien, Griechenland, Dänemark und Frankreich wäre die EU kein Projekt auf Abruf, und ein vereinigtes Europa könnte durchaus Herzenssache für die arbeitenden Menschen werden, vor allem derer, die Angst vor Altersarmut haben. Für die aber wurde die EU zu einem Moloch, der über Marktfreiheiten und Finanzplätze wacht: für RWE, Deutsche Bank, Daimler, Monsanto-Bayer und all die Superreichen bei uns und im Königreich. Seit zehn Jahren werden Arbeitende vom Europäischen Gerichtshof belehrt, dass es absolut vertragskonform sei, wenn Konzerne sie in ein anderes Land entsenden, aber nach den schlechteren Bedingungen des Heimatlandes entlohnen. Jahrelang verhinderten Cameron und Schäuble Arm in Arm, dass die EU für Kapitalverkehrskontrollen und gegen Steuerdumping und Steuerhinterziehung ermächtigt wird, siehe Panama Papers. Auch „Sankt Martin“ Schulz hat in dieser Zeit in Brüssel nicht nur Radieschen gezüchtet. Zockerbanken aber wurden über Nacht mit Steuermilliarden gerettet, während in Großbritannien, in Südeuropa, aber auch in Deutschland Vollzeitarbeitsplätze und Tarifschutz abgebaut wurden. Die Hunderttausenden von Demonstranten gegen die Freihandelspläne von TTIP und TiSA haben Sie anfänglich nur ausgelacht. Aber der eigentliche Witz ist, dass der Kanzlerin nun mit Großbritannien ausgerechnet der neoliberale Mitstreiter gegen soziale Rechte von der Fahne geht, mit dem Sie dem guten Europa diese kranke und viel zu deutsche EU aufgepresst haben. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ja, wir wollen ein europäisches Deutschland, keine deutsche EU. (Beifall bei der LINKEN) Sie feiern sich zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge, sagen nicht ein Wort zur Krisenanalyse, nichts zu den Ängsten vor Krieg mit Russland und nichts zu den sozialen Sorgen und zu den Lohn- und Renteneinbußen. Nun, per EU-Verteidigungspolitik gemeinsam Waffen kaufen zu dürfen, wird die EU-Begeisterung auch nicht in die Höhe treiben. Dann soll für Trump auch noch der NATO-Kriegsetat auf 2 Prozent erhöht werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wahnsinn!) – Wahnsinn. Jetzt wollen die einen den weiteren Marktzugang zementieren, aber dafür kleinere Mitgliedstaaten übergehen. Die anderen wollen einen „harten Brexit“ als Strafexpedition. Beides wird aber nicht die Kapitalbesessenen treffen, sondern die Arbeiterklasse und dort Feindseligkeit mehren, und davon haben wir nicht zu wenig. Nötig aber ist kein Säbelrasseln, um ein Wort des Bundespräsidenten an dieser Stelle einmal abzuwandeln, sondern ein feineres, ein soziales Skalpell beim Brexit. (Beifall bei der LINKEN) London darf sich auch nicht seinen Verpflichtungen entziehen, weder bei der Überwindung des Nord-Süd-Gefälles noch bei den UN-Umweltzielen. Im Norden Irlands darf keine undurchlässige EU-Außengrenze entstehen, damit der Frieden dort um Gottes willen nicht zerbricht. (Beifall bei der LINKEN) Was im Karfreitagsabkommen vereinbart wurde, muss auch nach dem Brexit gelten. (Beifall bei der LINKEN) Verwöhnt von Rabatten, Sonderklauseln und Opt-outs, dürfte die City, also die Börse in London, den Brexit für einen noch gewerkschaftsfeindlicheren Kurs nutzen wollen. Dagegen helfen nur Wachsamkeit und internationale Solidarität. (Beifall bei der LINKEN) Rechte Scharfmacher, denen der neoliberale Kampf gegen Löhne und soziale Rechte noch nicht weit genug geht – wie UKIP und AfD mit Alexander Gauland, einem alten Frankfurter Elitepartner der Deutschen Bank –, rufen nach EU-Austritt. Aber Sie von der Bundesregierung haben denen ja über lange Zeit die Hasen in die Küche getrieben; denn wer Marktextreme nicht bändigt, produziert Rechtsextreme. (Beifall bei der LINKEN) Nur wer beides stoppt, hilft Europa auf die Beine, neu laufen lernen. Dazu ruft die Linke auf. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das Wort Ralph Brinkhaus von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Dr. Dehm, lieber Kollege, es sind leider auch einige üble Linksextreme produziert worden; auch das gehört zur Wahrheit dazu. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wer denn? Kennen Sie jemanden? Erzählen Sie mal!) Meine Damen und Herren, gestern hat die britische Premierministerin die Scheidungsdokumente in Brüssel eingereicht, und das war ein ganz schlechter Tag für die Europäische Union. Es war übrigens nicht nur ein schlechter Tag für die Europäische Union. Es war auch ein schlechter Tag für Deutschland. Es war deswegen ein schlechter Tag für Deutschland, weil uns so unglaublich viel mit dem Vereinigten Königreich verbindet. Wir haben sehr viele wunderbare persönliche Beziehungen, wir haben kulturelle Beziehungen, wir haben unglaubliche viele Städtepartnerschaften. Wir arbeiten im Bereich Wissenschaft und Forschung sehr gut zusammen. Das Vereinigte Königreich ist ein unverzichtbarer Partner im Bereich Sicherheit und Terrorbekämpfung. Wir haben natürlich auch sehr viele wirtschaftliche Beziehungen. Das Vereinigte Königreich ist eine der größten Volkswirtschaften in Europa und somit ein ganz wichtiger Partner für uns. Es war aber auch deswegen ein schlechter Tag für Deutschland, weil das Vereinigte Königreich in sehr vielen Punkten mit uns einer Meinung war, weil wir Partner am Brüsseler Verhandlungstisch waren, weil wir über viele Dinge gleich gedacht haben. Es war nicht zuletzt deswegen ein schlechter Tag für Deutschland, weil wir dem Vereinigten Königreich so unendlich viel zu verdanken haben. Die Demokratie, die Pressefreiheit und viele andere Dinge, die wir heute wertschätzen, sind nach dem Zweiten Weltkrieg von unseren britischen Freunden hier mit entwickelt worden. Deswegen, meine Damen und Herren, weil die Verbindungen so eng sind, weil das so eine wichtige Beziehung ist, sollten wir die Verhandlungen, die wir jetzt führen, nicht mit Zorn und Wut, sondern mit gegenseitigem Respekt führen. Das sind wir unseren britischen Freunden schuldig. (Beifall bei der CDU/CSU) Das bedeutet, dass wir miteinander zunächst einmal fair umgehen. „Fair umgehen“, das bedeutet, dass wir respektieren, egal wie die Kampagne dort auch verlaufen ist, dass es eine demokratische Entscheidung in Großbritannien war. Das haben wir zu akzeptieren. Zur Fairness gehört auch, dass wir anerkennen sollten, dass in dem Austrittsschreiben von gestern von Theresa May ausdrücklich stand, dass sich diese Entscheidung nicht gegen Europa richtet, und in diesem Schreiben auf jegliche Schärfe verzichtet worden ist. Auch das, meine Damen und Herren, gilt es anzuerkennen. Ich glaube, wir sollten uns bei diesem Verhandlungsprozess noch etwas vor Augen führen: Mit welchem Langmut und welcher Geduld haben wir mit einigen unserer europäischen Partner Verhandlungen geführt! Großbritannien war immer ein harter Partner bei den Verhandlungen, aber eines ist auch richtig: Das Vereinigte Königreich hat keine Verträge gebrochen. Das Vereinigte Königreich hat Zusagen eingehalten. Das Vereinigte Königreich hat nicht mit falschen Zahlen operiert. Auch das sollten wir uns vor Augen halten. Deswegen geht es in einem fairen Verhandlungsprozess nicht darum, das Vereinigte Königreich zu bestrafen, sondern es geht darum, das Beste für uns alle zu erzielen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn es aber so ist, dass die Briten, dass das Vereinigte Königreich unsere Freunde sind, dann kann man auch eines sagen: Unter Freunden kann man offen sein, und wir sollten auch offen und klar sein. Ich bin dankbar, dass der Außenminister gerade das eine oder andere klargestellt hat; denn zur Offenheit gehört auch das, was die Bundeskanzlerin angesichts der Brexit-Debatte letztes Jahr im Juni hier gesagt hat: Es wird kein Rosinenpicken geben. Es kann nicht sein, dass man an allen Vorteilen der Union partizipiert, aber nicht bereit ist, die Lasten der Union zu tragen. Offen bedeutet auch, dass wir ganz klar feststellen müssen: Wenn die Briten einen freien Zugang zu den Kapitalmärkten, zu den Dienstleistungs- und zu den Gütermärkten haben wollen, dann müssen sie dafür eine Gegenleistung erbringen. Zu dieser Gegenleistung gehört auch, dass die Bewegungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit der EU-Bürger im Vereinigten Königreich verhandelt werden müssen. Das sind wir insbesondere unseren osteuropäischen Partnern schuldig, und da werden wir uns nicht auseinanderdividieren lassen. Zur Offenheit, meine Damen und Herren, gehört auch dazu, dass wir der City in London – Herr Kollege Dehm, Sie hatten sie angesprochen –, sagen, dass wir es nicht akzeptieren können, dass die wesentlichen Finanzrisiken der Europäischen Union und der Euro-Zone außerhalb der Regulierung der Europäischen Union und der Euro-Zone gemanagt werden können. Das ist ganz wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen haben Gespräche mit den Vertretern der City geführt. Da ist auch eine gewisse Überheblichkeit zu spüren gewesen, nach dem Motto: Ihr seid auf uns angewiesen, wir sind diejenigen, die eure Realwirtschaft mit Liquidität versorgen. – Um es an dieser Stelle ganz klar zu sagen: Ein Hard Brexit würde uns vor das eine oder andere Problem stellen, aber wir werden uns nicht unter Druck setzen lassen. Schaut man sich an, was momentan teilweise durch britische Medien kolportiert wird, nämlich: „Wir müssen hart kämpfen, wir sind in einer guten Position“, dann ist das nicht die Grundlage für eine gute Verhandlung. Es geht um Gemeinsamkeit, es geht um ein gemeinsames Ziel, es geht darum, dass beide Seiten gesichtswahrend da herauskommen. Dementsprechend lautet die ganz klare Adresse an die Freunde im Vereinigten Königreich: Unter Druck setzen, das bringt gar nichts. Eines ist auch wichtig in diesen Verhandlungen: Das Vereinigte Königreich muss zu seinen finanziellen Verpflichtungen stehen, und das sollten wir besser am Anfang des Verhandlungsprozesses klären und nicht am Ende. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich bin froh, dass Sie eines adressiert haben, was auch ganz wichtig ist: Es verhandeln 27 gegen einen. Wir werden es nicht zulassen, dass irgendjemand einen Keil zwischen uns treibt, und bilaterale Verhandlungen wird es nicht geben. Auch das muss klar unter Freunden gesagt werden. Ich glaube, wenn wir auf der einen Seite fair verhandeln, aber klar unsere Linien definieren, dann kommen wir auch zu einem guten Ergebnis. Meine Damen und Herren, dieses gute Ergebnis ist auch notwendig. Wir sehen mit großer Sorge, was in Großbritannien passiert. Das Land hat sich durch diese Abstimmung gespalten: Jung gegen Alt, katholische Nordiren gegen protestantische Nordiren, Schotten gegen Engländer; das ist nicht gut. Das schottische Parlament möchte das Referendum zur Unabhängigkeit wiederaufleben lassen. Der eine oder andere in Deutschland hat hier Schadenfreude. Die ist nicht angebracht. Mit ganz großer Sorge schaue ich nach Irland. Irland ist wirtschaftlich sowohl von der Europäischen Union als auch vom Vereinigten Königreich abhängig, und das muss sich in den Verhandlungen niederschlagen. Die Botschaft an unsere irischen Freunde ist ganz klar: Wir werden da an eurer Seite stehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Dehm, Sie haben gerade nicht ganz viele richtige Dinge gesagt, aber ich bin froh, dass Sie eine Sache angesprochen haben, nämlich Nordirland. Dieses Referendum gefährdet das Karfreitagsabkommen und den sehr brüchigen Frieden in Nordirland. Wir alle wissen, wie dünn das Eis dort ist, und wir alle stehen in der Verantwortung, dass dieser Friedensprozess jetzt nicht durch diese Verhandlungen, die wir führen, scheitert. In Nordirland sind schon viel zu viele Menschen für nichts gestorben. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen uns natürlich auch Sorgen machen um die wirtschaftliche Verfasstheit. Da gibt es Leute, die sagen: Na ja, die sind selbst schuld, wenn sie kein Wachstum mehr haben. Die sind selbst schuld, wenn das alles nicht mehr so läuft. – Wir haben nichts davon, wenn es dem Vereinigten Königreich wirtschaftlich schlecht geht. Wir haben etwas davon, wenn es den Menschen dort gut geht: um der Menschen willen, aber auch um unserer Wirtschaft willen. Deshalb sollten wir daran arbeiten, dass wir auch dort ein gutes Ergebnis erzielen. Meine Damen und Herren, das ist der eine Teil der Wahrheit. Der andere Teil ist – das hatten Sie in Ihrer Rede angesprochen; das hatten wir auch letztes Jahr im Juni schon gesagt –: Wir müssen uns natürlich fragen, warum das alles so gekommen ist, und wir müssen uns natürlich auch infrage stellen mit all dem, was wir in Europa gemacht haben. Sind die europäischen Institutionen, sind die europäischen Regeln und sind auch die handelnden Personen auf europäischer Ebene wirklich geeignet, dieses Europa optimistisch und zuversichtlich in das 21. Jahrhundert bzw. in das nächste Jahrzehnt zu führen, oder müssen wir da eine ganze Menge infrage stellen? Man kann natürlich, so wie es in Ihrer Rede angeklungen ist, sagen: Wir brauchen jetzt noch mehr Geld, das wir dort hineinstecken können, und wir müssen die Integration weiter vertiefen. – Ich würde stattdessen eine andere Idee zur Diskussion stellen: das Geld besser ausgeben, die Institutionen verbessern, die Regeln verbessern und vor allen Dingen auch darauf achten, dass diese Regeln eingehalten werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Nichtsdestotrotz muss es auch so sein, dass Europa immer eine emotionale Frage ist. Bei allem Respekt vor den Menschen, die sich unglaubliche Verdienste um Europa erworben haben: Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, dass die Geschichte Europas nicht mehr von übernächtigten Politikern in Brüssel oder von grauen Beamtengesichtern erzählt wird, sondern zum Beispiel von meinem Studienfreund, der durch das Erasmus-Programm seine Frau in Schweden kennengelernt hat und mit ihr zusammenlebt, oder dem Tischler in meinem Wahlkreis, der seine Küchen jetzt auch in Großbritannien, in Frankreich und Spanien verkaufen kann und dadurch einen sicheren Arbeitsplatz hat, oder vielleicht auch von denjenigen, die sich noch an Krieg und Vertreibung erinnern und die es wertzuschätzen wissen, was Frieden für diesen Kontinent bedeutet. Ich glaube, wenn wir diese Geschichte Europas emotional erzählen und wenn wir die Vorteile klarmachen, dann wird nicht noch einmal das passieren, was in Großbritannien passiert ist, sondern dann werden die Völker in Europa sagen: Die Europäische Union ist eine gute Sache, wir wollen dabei sein, und wir wollen nicht raus. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Brinkhaus. – Als Nächster hat der Kollege Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Countdown für den Brexit hat begonnen. Großbritannien hat sein Austrittsgesuch in Brüssel eingereicht. Damit steht die Europäische Union vor der größten Belastungsprobe ihrer Geschichte. Erstmals dreht sich das Rad der europäischen Integration nicht vorwärts, sondern leider rückwärts. So schwer es auch fällt: Wir müssen die Entscheidung Großbritanniens respektieren. Darauf hat Bundesaußenminister Gabriel hingewiesen; darauf haben alle Redner bis jetzt hingewiesen. Denn es war ohne jeden Zweifel eine demokratische Entscheidung. Das heißt aber auch, dass wir den Blick nach vorne richten müssen; denn die wichtigste Botschaft heute ist: Einer geht, aber 27 andere bleiben in der Europäischen Union, und um die müssen wir uns jetzt gemeinsam kümmern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Tag eins des Brexit-Countdowns sollte für uns alle auch der Tag eins sein, um an einer starken und geschlossenen Europäischen Union der 27 zu arbeiten. Das oberste Verhandlungsziel mit London – ich bin froh, dass der Bundesaußenminister das so klar gesagt hat – muss es sein, ein starkes Europa zu haben. Damit meine ich eine Europäische Union, die fest zusammenhält, eine EU, die sich fit macht für die Zukunft, die so attraktiv ist, dass künftig niemand mehr einen Antrag auf Austritt aus der Europäischen Union stellen möchte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das können wir nur erreichen durch ein Mehr an Transparenz, durch ein Mehr an Bürgernähe in Brüssel, aber eben auch durch Investitionen in die Zukunft Europas, durch Strukturreformen, die dringend anstehen. Wir von Bündnis 90/Die Grünen bezeichnen das als einen Green New Deal. Wir wollen nicht einfach Investition um der Investition willen. Wir brauchen sicherlich nicht mehr Autobahnen im Süden Europas. Wir brauchen nicht mehr Hochhäuser an den Küsten Europas. Was wir brauchen, ist Breitband in der gesamten Europäischen Union. Was wir brauchen, sind die besten Hochschulen in der Europäischen Union. Was wir brauchen, ist eine konkurrenzfähige Wirtschaft in der Europäischen Union. Die wird es nur geben, wenn die Lebensverhältnisse in der gesamten Europäischen Union so sind, dass alle wissen: Europa lohnt sich, Europa ist gut für die Bürger. Das darf uns ruhig etwas wert sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Aber ich will mich auch an den Kollegen Dehm wenden, weil ich mit Bedauern gehört habe, dass auch die Kollegen der Linkspartei leider immer wieder in dieses nationale Horn stoßen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?) Was war denn der Grund dafür, dass die britische Wirtschaft heute so dasteht, wie sie dasteht? Es war doch nicht die Europäische Union, die gesagt hat: Ihr müsst euch deindustrialisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es war die Entscheidung der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die einseitig auf den Finanzstandort London gesetzt hat. Man muss zur Ehrlichkeit dazu sagen: Die sozialdemokratischen Nachfolger haben es auch nicht viel anders gemacht. Das war doch der Grund, warum Großbritannien so dasteht, wie es dasteht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Politik, dass man die Verantwortung für nationales Versagen immer in Brüssel ablegt, muss endlich einmal ein Ende haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) An die Kollegen der Linkspartei gerichtet – nicht an alle, aber an manche –: Der Linkspopulismus gegen Europa ist mir nicht sympathischer als der Rechtspopulismus in Europa. Wir brauchen gar keinen Populismus gegen Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Wir brauchen endlich Mut, Ehrlichkeit und die Bereitschaft, sich für Europa einzusetzen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sagt der Richtige!) Wir müssen deutlich machen, dass wir das Mandat nicht aus der Hand geben. Ich bin froh, dass alle Rednerinnen und Redner bis jetzt deutlich gemacht haben, dass es dabei auch um die vier Grundfreiheiten geht. Den freien Verkehr für Personen und Waren, für Dienstleistungen und für Kapital gibt es nur im Paket. Es kann nicht sein, dass man sich das herauspickt, was man gerne hätte, und auf den Rest verzichtet. So haben wir in der Europäischen Union nicht gewettet. Deshalb muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass am Ende drei Dinge Bestand haben: Der Zusammenhalt der Europäischen Union, die Integrität des Binnenmarktes und die Einheitlichkeit des Europarechts stehen nicht zur Verhandlung. Die gibt es nur im Paket. Die müssen wir erhalten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen auf der einen Seite deutlich machen, was passiert, wenn man sich für den Exit entscheidet. Der erste Staatsgast, den US-Präsident Trump empfangen hat, war bezeichnenderweise Theresa May. Jeder, der in Europa mit Exit-Fantasien herumläuft, sollte sich gut überlegen, wer einen dann erwartet und was einen dann erwartet. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Auf der anderen Seite muss einem auch klar sein: Wenn ich als Mitglied der Europäischen Union ins Weiße Haus gehe, wenn ich als Mitglied der Europäischen Union nach China gehe, dann vertrete ich den größten Binnenmarkt der Welt, dann habe ich doch viel mehr zu sagen, als wenn ich als Einzelner hingehe. Deshalb bin ich froh, dass wir hier als Konsens haben: Wir verhandeln nicht nur als Deutschland, wenn wir irgendwohin gehen, sondern wir sind auch immer als Europäer unterwegs. Wenn es alle so machen in Europa, dann schaffen wir gemeinsam mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Ich will noch einmal sagen, dass es jetzt nicht darum geht, verbrannte Erde zu hinterlassen. Wir brauchen freundschaftliche Beziehungen zu Großbritannien. Sie haben vieles aufgezählt, was wir von den Briten gelernt haben, sei es die parlamentarische Demokratie, seien es andere Dinge, in denen sie heute noch eng mit uns zusammenarbeiten. Ich hätte mir noch den britischen Humor, ich denke da beispielsweise an Monty Python, gewünscht. Davon könnten wir Deutsche auch noch etwas gebrauchen. Das würde uns in der Europäischen Union durchaus guttun, insbesondere uns in Deutschland. Wir werden in vielen Feldern zusammenarbeiten. Aber der entscheidende Unterschied ist jetzt auch klar: Wir, die EU der 27, haben uns dafür entschieden, unsere Interessen zusammen zu vertreten. London kämpft ab jetzt alleine. Wir schauen nach vorne und sind uns hoffentlich einig darin, dass ein Land alleine die globalen Herausforderungen von der Bekämpfung des Terrorismus bis zum Klimawandel nicht bewältigen kann. Wir sind stärker, wenn wir uns als Europäische Union zusammentun: auch bei der Bekämpfung von Fluchtursachen, auch bei dem Thema, dass wir die Welt in einen Zustand verwandeln wollen, dass die Menschen dort, wo sie leben, menschenwürdig leben können. Das kann keiner allein, aber wenn wir 27 uns zusammentun, macht es einen Unterschied, meine Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der immer wieder in Großbritannien genannt wurde, nämlich das Thema Migration. Ich will daran erinnern, dass die Freizügigkeit im Jahre 2004, als die osteuropäischen Länder Mitglied der Europäischen Union geworden sind, durch die Bundesrepublik Deutschland für sieben Jahre ausgesetzt wurde. Die Briten sind damals einen anderen Weg gegangen, ganz bewusst. Viele vergessen das heute. Das spielte in der Debatte eine wichtige Rolle. Aber zur Ehrlichkeit würde dazugehören, dass die britische Wirtschaft nicht gerade unerheblich von den Menschen aus Polen, aus Osteuropa profitiert hat. Sie jetzt wie den letzten Dreck zu behandeln, ist auch nicht sehr anständig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Das macht man nicht. Das hat mit britischer Kultur, wie wir sie kennen und wie wir sie schätzen, nicht sehr viel zu tun. Insofern wird es sehr darauf ankommen, dass wir jetzt deutlich machen, dass die Menschen aus Großbritannien, die bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, innerhalb der Europäischen Union der restlichen 27 leben, bei uns willkommen sind, dass sie Teil Europas sind. Wir sollten es ihnen leichter machen, Bürger unseres Landes, deutsche Staatsbürger, und damit auch Unionsbürger zu werden. Es wäre doch schön, wenn wir da jetzt gemeinsam eine Initiative starten und deutlich machen könnten: Bei uns sind Briten, die bei uns in Kontinentaleuropa leben, hier arbeiten, hier ihre Steuern zahlen, herzlich willkommen. Sie sind Europäer, sie bleiben Europäer, und wir werden sie in unserem Land einbürgern; für uns gehören sie dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu gehört aber auch, dass wir uns um über 3 Millionen Menschen kümmern müssen, die in Großbritannien leben und EU-Bürger sind, die sich gerade große Sorgen machen, was mit ihnen passieren wird, die Angst haben, was aus ihrem Status wird. Wir haben von deutschen Staatsbürgern gehört, von denen man verlangt, dass sie ihre Ein- und Ausreisen in den letzten Jahrzehnten nachweisen, als Beleg dafür, dass sie dort Anspruch auf die Staatsbürgerschaft haben. Das kann nicht angehen. Darum bitte ich Sie, dass Sie bei den Verhandlungen auch die Situation der EU-Bürger in Großbritannien mit behandeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch um die müssen wir uns jetzt kümmern. Es kann nicht sein, dass jetzt innerhalb Europas – nicht innerhalb der Europäischen Union, aber innerhalb Europas – neue Grenzen errichtet werden, wo wir doch gerade dabei waren, die alten abzureißen. Meine Damen, meine Herren, ein starkes Europa ist Zukunft, ein starkes Europa ist das beste Erbe, das wir unseren Kindern, unseren Enkeln mitgeben können. Verhalten wir uns auch entsprechend! Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Özdemir. – Als nächster Redner kommt Detlef Seif von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Detlef Seif (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die britische Premierministerin Theresa May hat gestern in ihrer Rede vor dem Unterhaus betont, dass sie einen klaren und ehrgeizigen Plan für die Verhandlungen habe – eine Partnerschaft, die auf Zusammenarbeit basiere, eine Partnerschaft, die für Europa, Großbritannien und die Welt am besten sei, denn genau jetzt brauche die Welt, vielleicht mehr als je zuvor, die liberalen und demokratischen Werte Europas, Werte, die auch das Vereinigte Königreich teile. Kein bestehendes Modell außerhalb der Europäischen Union kann auch nur annähernd dieselben Vorteile und denselben Einfluss wie die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union bieten. – Wissen Sie, meine Damen und Herren, wer die Feststellung in dieser Form getroffen hat? Das war niemand anders als die britische Regierung selbst in einem Report vom März 2016. Stellt man nur auf die wirtschaftliche Seite ab – hierauf legen die Briten ja ganz großen Wert –, so ist festzustellen, dass das Durchschnittseinkommen mutmaßlich um bis zu 2,6 Prozent schrumpfen wird. Bei dem Bruttoinlandsprodukt geht man sogar von einem Rückgang von bis zu 55 Milliarden Pfund aus. Zurzeit reden sich in Großbritannien noch einige oder sogar viele froh: Die vorhergesagten wirtschaftlichen Nachteile seien nach dem Brexit-Referendum bekanntlich nicht eingetreten. – Das ist richtig. Aber Großbritannien ist ja noch Mitglied der Europäischen Union, bei vollem Zugang zum Binnenmarkt. Auf der anderen Seite ist das Pfund Sterling gefallen, sodass ein deutlicher Anstieg der Nachfrage aus dem Ausland aufgetreten ist. Dann ist es kein Wunder, dass zurzeit keine deutlichen wirtschaftlichen Nachteile zu sehen sind. Es mag sein, dass zukünftig einige protektionistische Maßnahmen der Briten in dem einen oder anderen Wirtschaftsbereich vielleicht sogar Vorteile für das Land bieten. Aber in einer Zeit, in der der internationale Wettbewerb von Tag zu Tag wichtiger wird und neue, globale Wirtschaftsbündnisse entstehen, ist das, was die Briten auf den Weg gebracht haben, mehr als fahrlässig. Ich bin der Meinung, es wird Zeit, dass die britische Regierung ihren Bürgern endlich einmal reinen Wein einschenkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wohlklingende Sätze wie: „Wir werden ein wahrhaft globales Großbritannien; wir bekommen unsere Souveränität zurück; wir machen aus dem Brexit einen Erfolg; jedem wird es nach dem Brexit besser gehen“, sind nicht nur fromme Wünsche, sondern leere Phrasen, die durch nichts belegt sind und eigentlich genau das Gegenteil von dem aussagen, was alle Wirtschaftsexperten vorhersehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) May wiederholt in ihrem Brief immer wieder – ich habe es nicht gezählt, aber in vielen Passagen tauchen diese Wörter auf –: Sie strebt eine neue und tiefe Partnerschaft mit der Europäischen Union an, und zwar in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit. – Wenn man aber genau hinschaut, dann stellt man fest: Der Brief lässt den zwingenden Schluss zu, dass Großbritannien einer Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit nur zustimmen wird, wenn ein Wirtschaftsabkommen vereinbart wird. Das ist ein äußerst primitiver Erpressungsversuch. (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) Für ein derartiges Vorgehen in der aktuellen Sicherheitslage, gerade angesichts der Terrorerfahrungen Großbritanniens, kann man kein Verständnis haben, und auch die britische Bevölkerung wird kein Verständnis dafür haben, dass man nicht jede Möglichkeit nutzt, die Sicherheit zu stärken und gegen Terroristen und sonstige Schwerverbrecher intensiv und möglichst effektiv zu arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) An anderer Stelle betont May – ich glaube, da sind wir alle auf ihrer Seite; wenn sie es denn ernst meint –: Über die Rechte der Briten in den anderen EU-Mitgliedstaaten und von EU-Bürgern in Großbritannien müssen wir möglichst früh eine Vereinbarung treffen. Die aktuelle Situation ist für die Betroffenen sehr anstrengend, teilweise bis zum Grad gesundheitlicher Beeinträchtigung. Menschen dürfen an dieser Stelle nicht zur Verhandlungsmasse werden. Wenn wir der Meinung sind, wir teilen gemeinsame Werte und die Menschen stehen im Mittelpunkt, dann müssen wir alle ein Interesse daran haben, möglichst frühzeitig eine Vereinbarung zu erzielen, damit die Betroffenen auch wissen, dass sie in den jeweiligen Ländern bleiben können und dass sie sich auf uns verlassen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien werden beginnen, sobald die Leitlinien stehen und das Verhandlungsmandat erteilt ist. Niemand kennt den genauen Zeitpunkt, aber wir gehen von Juni oder Juli aus. Wir können davon ausgehen, dass die britische Regierung nicht soft verhandeln wird. Sie wird – das ist legitim – jede Gelegenheit nutzen, um ihre Position zu stärken. Wir müssen darauf achten, dass die Verhandlungsposition der Europäischen Union stark ist und stark bleibt. Ich empfand es als sehr vorbildlich – hier wurde bereits Stärke bewiesen –, dass weder EU-Institutionen noch Mitgliedstaaten im Vorfeld Vorverhandlungen aufgenommen haben. Je geschlossener wir auftreten, umso größer ist die Schlagkraft. Es ist sehr wichtig, dass die Verhandlungsführung allein bei der EU-Kommission, allein bei Michel Barnier liegen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) In diesen Tagen wird viel darüber gesprochen, dass man Großbritannien in den Verhandlungen zeigen müsse, dass sich ein Austritt nicht lohne. Es dürften keine Anreize für andere Länder geschaffen werden. Aber das Land hat sich durch die Brexit-Entscheidung bereits selbst bestraft und ins Abseits gestellt. (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD] – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Genau!) Bereits dies ist das abschreckende Beispiel, das anderen Mitgliedstaaten den Appetit auf einen Exit völlig verdirbt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Mit Großbritannien werden wir auch zukünftig freundschaftlich verbunden sein. Deshalb dürfen wir Großbritannien auch nicht schlechter behandeln als jedes andere Land, das eine Zusammenarbeit mit der EU anstrebt. Und es gibt sie noch, die Britenhasser, die Großbritannien schnell und schmerzhaft aus der EU rausschmeißen wollen. Glaubt denn jemand, dass François Hollande seine Meinung geändert hat, der nach dem Referendum davon sprach: „Ich will britisches Blut sehen“? Auf der anderen Seite dürfen wir Großbritannien keine Zugeständnisse machen, die wir anderen Nicht-EU-Ländern auch nicht zubilligen. Beispiel: Mit der Schweiz hat die EU viele bilaterale Abkommen geschlossen. Obwohl sich die Schweiz zur Übernahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit verpflichtet hat, ist sie im Banken- und Dienstleistungsbereich leider nur zu circa 20 Prozent beteiligt und hat hier keinen vollen Zugang zum Binnenmarkt. Wie soll es da möglich sein, dem Vereinigten Königreich den vollen Zugang zum Banken- und Dienstleistungsbereich zu geben, wenn es das europäische Recht und die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes nicht akzeptieren will? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege. Detlef Seif (CDU/CSU): Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, viel Arbeit liegt vor uns. Viele Fragen sind zu klären. Ein großer gordischer Knoten ist zu lösen. Wenn alle ein echtes Interesse an einer guten und engen Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union haben, dann bin ich davon überzeugt, dass die Verhandlungen zu einem positiven Ausgang gebracht werden können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Seif. – Als nächster Redner hat das Wort Alexander Ulrich von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Özdemir, gestatten Sie mir folgenden Einwurf – schließlich hatten Sie uns ja auch angesprochen –: Man muss in Europa schon mit festverschlossenen Augen unterwegs sein, um nicht die riesengroßen sozialen Verwerfungen zu erkennen. Wenn wir diese thematisieren, dann wird das hier auch noch als Linkspopulismus dargestellt. Wir haben in Europa riesengroße soziale Probleme, (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo streiten wir das ab?) nicht nur in Großbritannien, sondern auch in vielen anderen Ländern. Das ist der Grund, warum sich die Menschen von Europa abwenden. In der Analyse war das, was der Bundesaußenminister heute gesagt hat, dann auch schon Linkspopulismus; denn er hat diese Themen sehr deutlich angesprochen. Dafür sind wir dankbar, Herr Gabriel. (Beifall bei der LINKEN) Wer die europäische Politik versteht, dem ist klar: Oftmals ist es die Politik der nationalen Regierungen, die eine sehr große Rolle dabei spielt, wohin sich europäische Politik entwickelt. Es war zum Beispiel das Schröder/Blair-Papier, das zu einem europaweiten Sozialabbau geführt hat; (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Gestützt von Fischer!) dieses wurde übrigens von den Grünen und Joschka Fischer unterstützt. Natürlich war das dann auf einmal Grundlage europäischer Politik, diese Angriffe auf Gewerkschaften und Arbeitnehmer. Deshalb: Es waren immer nationale Regierungen, die auf europäischer Ebene für solche Entwicklungen gesorgt haben. Der Ball muss also an beide Seiten gespielt werden, an die jeweiligen Regierungen und nach Europa zu den Staats- und Regierungschefs. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Verhandlungen mit Großbritannien wird die erste entscheidende Aufgabe sein, dass verbindliche Lösungen für die vielen Menschen gefunden werden, die aus der EU kommen und in Großbritannien leben, aber auch für die Briten, die in der EU leben. Hier brauchen wir klare Ansagen, dass diese Menschen dort leben bleiben können, wo sie bisher leben, dass sie dort arbeiten können und dass gute Lösungen bei der Problematik ihrer Sozialversicherung gefunden werden. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen darüber hinaus relativ schnell, bevor es zu neuen Unruhen kommt, Sicherheit hinsichtlich der Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland; das wurde schon angesprochen. Die Verhandler müssen frühzeitig dafür sorgen, dass hier keine neue Hard Border entsteht mit all den Problemen, die in diesem Zusammenhang entstehen könnten. Neben dem Austrittsabkommen, Herr Gabriel, wird es aber auch ein umfassendes Handelsabkommen geben müssen; starke und berechtigte Interessen an guten, gegenseitigen Marktzugangsbedingungen gibt es schließlich auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Es wäre daher witzlos und falsch, aus Trotz und Angst vor Nachahmern die Briten abstrafen zu wollen. (Beifall bei der LINKEN) Ein schlechter Deal für Großbritannien wäre auch ein schlechter Deal für uns in Europa, gerade für uns in Deutschland. Wenn wir uns die Bedeutung Großbritanniens für die deutsche Wirtschaft ansehen, dann stellen wir fest, dass sich die deutschen Exporte nach Großbritannien auf jährlich fast 90 Milliarden Euro belaufen. Damit ist Großbritannien unser drittwichtigster Absatzmarkt. Gerade im Automobilsektor, aber auch in der Chemieindustrie und im Maschinenbau hängen sehr viele Arbeitsplätze vom Marktzugang auf der Insel ab. Bekennen wir uns also zum Wunsch nach einer starken Kooperation in Europa und beginnen konstruktive Gespräche über unsere gemeinsame Zukunft mit Großbritannien. (Beifall bei der LINKEN) Was die Zukunft der EU angeht – ich habe es angesprochen –, müssen sich auch die restlichen 27 EU-Länder die Frage stellen, warum es zum Brexit gekommen ist. Der Brexit ist unseres Erachtens der letzten Warnschuss, um Europa noch zu retten. Wer das nicht erkennt, wer den Brexit nur auf die Insel bezieht, auf Großbritannien, der wird Europa in eine noch tiefere Krise führen, als sie eh schon ist. Die entscheidenden Stimmen kamen von den Arbeitern in den gebeutelten Industriemetropolen, von Menschen, die mit der EU vor allem noch mehr Wettbewerb zwischen den Arbeitern und den Standorten, Lohndrückerei, europarechtliche Angriffe gegen ihre Rechte und Bürokratie verbinden. Der Brexit war auch Protest gegen die britische Cameron-Regierung, für die Europa nicht mehr war als eine Freihandelszone mit Parlament. Auch die Europavision der Bundesregierung reicht leider nicht viel weiter. Sie haben die bürgerferne, technokratische und unsoziale EU von heute maßgeblich mit aufgebaut. Deswegen tragen Sie eine Mitverantwortung für den Brexit und eine große Mitverantwortung für den desolaten Zustand der Europäischen Union. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Hat der Gabriel auch gesagt!) Das Gerede von Frau Merkel vom Europa mehrerer Geschwindigkeiten ist nicht gerade hilfreich, wenn es darum geht, den Laden zusammenzuhalten. Das Problem ist nicht die Geschwindigkeit, sondern die politische Richtung, in die diese EU sich bewegt. (Zuruf von der SPD: Alles dummes Zeug!) Die EU braucht jetzt eine politische 180-Grad-Wende, Deutschland müsste dabei eine Vorreiterrolle übernehmen. Daran glaubt jedoch kaum noch jemand. Ginge es nach dem Bundesfinanzminister, würden wir erst einmal Griechenland aus der Euro-Zone schmeißen und sie dann um all die Länder verkleinern, in denen nicht genügend gekürzt, liberalisiert und privatisiert wird. Dann würden wir einen europäischen Währungsfonds schaffen, der unter deutscher Führung nationale Haushaltsentscheidungen torpediert. Die Alternative Martin Schulz steht europapolitisch für noch mehr Macht für technokratische EU-Institutionen, auch hinsichtlich der Lohnentwicklung. Er steht vor allem im Bereich der Verbriefungen für eine weitere Deregulierung der Finanzmärkte. Er steht für einen mächtigen Euro-Finanzminister, der quasi per Dekret in nationale Politikprozesse eingreift. All das steht in dem Bericht der fünf Präsidenten, den Schulz als Präsident des EU-Parlaments mit verfasst hat. Wir brauchen eine umfassende Demokratisierung aller Entscheidungsebenen, eine Stärkung des Europäischen Parlaments, starke soziale Rechte für alle (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und militärische Entspannung und Abrüstung. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir das tun, dann ist Europa zu retten. Dann war der Brexit vielleicht ein unangenehmer, aber noch rechtzeitig erfolgter Warnschuss. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Ulrich. – Als Nächstes spricht Axel Schäfer von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit zwei persönlichen Bemerkungen beginnen, die meine besondere Traurigkeit ausdrücken. Erstens. Meine Stadt Bochum ist seit 67 Jahren partnerschaftlich mit Sheffield verbunden. Es haben Schüleraustausche, vielfache Begegnungen und Solidaritätsaktionen für Arbeitsplätze stattgefunden, aber am Ende war das Gemeinsame schwächer als das Trennende. Zweitens. Ich bin besonders traurig, dass unsere Labour-Kollegin Jo Cox von einem fanatischen EU-Hasser ermordet worden ist. Deshalb sage ich hier ganz offen: Politiker wie Johnson und Farage mit ihren Hetzreden haben eine moralische Mitverantwortung für den Brexit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt wird es darauf ankommen, dass wir im Dialog mit unseren Bürgerinnen und Bürgern einige Dinge ganz, ganz klar aussprechen. Erstens. Der Zusammenhalt dieses vereinten Europas ist das Allerwichtigste – jeden Tag, bei allen Verhandlungen, bei allem, was wir tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Der Brexit ist nicht gut für die EU, aber er ist besonders tragisch für Großbritannien. Er verursacht eine Situation, die bis zu einer Spaltung des Landes führt. Drittens. In den Verhandlungen wird es letztlich nicht um möglichst gute Lösungen gehen, sondern darum, dass wenig Schlechtes dabei herauskommt. Denn wir sind nicht mehr in einer Win-win-Situation. Am Ende wird eine Lose-lose-Situation bestehen. Darüber darf es überhaupt keine Illusionen geben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Viertens. Stellen wir uns darauf ein, dass die britische Regierung bei allen Konflikten in den Gesprächen sagen wird: Ihr Europäer behandelt uns schlecht. – Das ist so, als würde Frau May eine Scheidung anstreben, aber weiterhin jede Nacht im europäischen Ehebett verbringen und keinen Unterhalt für die gemeinsamen Kinder zahlen. So geht es weder im richtigen Leben noch in der Politik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt aber auch Gutes im Schlechten. Ich bin ganz sicher: Die Verhandlungen werden zeigen, was wir in Europa gemeinsam erreicht haben. Die Verhandlungen werden vielen Menschen die Augen öffnen über die Erfolge der EU, die so selbstverständlich geworden, jetzt aber leider gefährdet sind. Ich hoffe, sie werden auch manchen das Wort im Hals stecken bleiben lassen, die immer wieder über die Bürokratie und alles Schlechte aus Brüssel gelästert oder, christlich formuliert, falsches Zeugnis wider den Nächsten geredet haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In den nächsten Jahren wird sich zeigen, dass die Europäische Kommission als zentrale Institution mit einer außergewöhnlichen Kompetenz, mit Power in der Lage sein wird – übrigens ebenso wie bei der deutschen Einheit –, dieses Regelwerk überhaupt hinzubekommen. Es gibt nirgendwo in der EU, in keinem Staat so viel Sachverstand, um das überhaupt bewerkstelligen zu können. Denn am Ende wird es, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Lösungen und um Antworten gehen, für die wir heute noch nicht einmal die Fragestellung kennen. Ich bleibe optimistisch insbesondere aufgrund der vielen jungen Menschen, die sich für Europa engagieren. Wir hoffen, dass auch verstockte konservative und ängstliche Labour-Politiker auf einen anderen Weg zurückkommen. Wir wollen dieses gemeinsame Europa, so wie wir weiterhin Englisch sprechen, den Fußball lieben und die Errungenschaften für die Demokratie in Großbritannien wertschätzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. – Als Nächste spricht Andrea Lindholz von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vereinte Europa begann als Traum von wenigen, es wurde zur Hoffnung für viele, und es schafft heute Wohlstand und Frieden für Millionen von Menschen. Trotzdem hat die britische Regierung gestern offiziell den Austrittswillen für 60 Millionen Briten bekundet. Das ist ein donnernder Weckruf für Europa. Es war kein Tag der Freude. Ich bedaure diese Entscheidung sehr; denn uns verbindet mit Großbritannien viel. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist ein Privileg und kein Zwang. Wenn sich ein Land allerdings entscheidet, auszutreten, ist das legitim. Die Entscheidung des britischen Volkes ist natürlich zu respektieren. Die Folgen sollten allerdings allen Europäern klar sein. Aus jedem Trennungsprozess ergeben sich auch Chancen. Diese Chancen sollten wir für die verbleibenden 27 Mitgliedstaaten nutzen und dringend notwendige Reformen vollziehen. Europa hat in den letzten Monaten zum Beispiel mit Blick auf die Flüchtlingskrise nicht immer ein gutes und nicht immer ein einheitliches Bild abgegeben. Die Zukunft des Vereinigten Königreiches steht vor einigen Herausforderungen. Schottlands Regierung und das schottische Parlament fordern ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Die britische Wirtschaft braucht unbedingt den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Das Aufenthaltsrecht Tausender EU-Bürger ist plötzlich unklar. Die Menschen erwarten zu Recht zügig Antworten. Dafür tragen die Kommission, der Rat und die britische Regierung jetzt die Verantwortung. Denn echte Verantwortung gibt es nur, wo es wirkliche Antworten gibt – das schrieb bereits der jüdische Philosoph Dr. Martin Buber. Wir erinnern uns aber auch an die Brexit-Befürworter. Sie haben zentrale Wahlversprechen nur wenige Stunden nach der Abstimmung öffentlich als Fehler bezeichnet und die Verantwortung verweigert. Die Folgen des Brexit müssen jetzt andere bewältigen. Die Antworten, die wir geben müssen, werden nicht einfach sein. Es geht zum einen darum, die Vereinbarungen für den Austritt Großbritanniens selbst, aber auch für die künftigen Beziehungen zu regeln. Zum anderen – das ist viel wichtiger – geht es darum, dass wir die Einheit und Stärke der verbleibenden Mitgliedstaaten erhalten und gemeinsam unsere Interessen vertreten und unsere Werte schützen. Das Ausmaß der Verhandlungen – wir haben das in den letzten Monaten hier erlebt und durch unsere Ausschüsse erfahren – ist gewaltig. Da ist natürlich auch potenzielles Streitpotenzial in erheblichem Umfang vorhanden. Das Vereinigte Königreich ist mit der Europäischen Union auf vielen Ebenen eng verwachsen. Nicht nur die Beziehungen innerhalb Europas sind zu regeln, sondern auch das Verhältnis zu Drittstaaten muss neu geregelt werden. Mit dem jetzt zunächst einmal anstehenden Austrittsabkommen ist die Möglichkeit da, einvernehmlich eine Trennung zu schaffen. Das Verhandlungsmandat wird in den nächsten Wochen erteilt. Es geht hier erst einmal um einige technische Angelegenheiten. Es geht vor allen Dingen auch um die Rechte der Bürger, zum Beispiel um den Bestandsschutz für erworbene Rechte im Bereich der Pensionsansprüche. Es geht aber auch um den finanziellen Ausgleich zwischen Europa und Großbritannien. Gerade dieser Punkt wird mit Sicherheit nicht einfach sein. Parallel dazu müssen noch ein oder mehrere Handelsabkommen hinzutreten, wie man in Zukunft gemeinsam weiterarbeitet. Es gibt dabei wichtige Themen – sie sind angesprochen worden – wie den Bereich Sicherheit und Wirtschaft. Aber – ich bin Herrn Bundesminister Gabriel sehr dankbar, dass er das heute noch einmal klar formuliert hat – erst einmal müssen die Eckpunkte für den Austritt stehen. Ich halte das für die richtige Vorgehensweise. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Insgesamt müssen über 200 000 Rechtsakte geändert werden. Dafür braucht es konstruktive, faire und geordnete Verhandlungen und vor allen Dingen Grundregeln, auf die wir uns verständigen. Für mich sind es drei – ich habe sie formuliert –: Erstens. Die Europäische Union muss hart und geschlossen handeln, ohne unnötig Porzellan zu zerschlagen. Die Werte und Interessen der 27 Mitgliedstaaten müssen zuerst kommen. Trotzdem wollen und müssen wir die freundschaftlichen Beziehungen zum Vereinigten Königreich natürlich wahren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Wer die Privilegien der EU beansprucht, der muss auch ihre Pflichten akzeptieren. Freien Zugang zum Binnenmarkt darf es nur geben, wenn alle vier Grundfreiheiten – die Freizügigkeit für Waren, Kapital, Dienstleistungen und Menschen – untrennbar miteinander verbunden sind. Eine Rosinenpickerei darf es an dieser Stelle nicht geben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Drittens. Theresa May hat es in ihrem Austrittsschreiben selbst betont: Ein harter Brexit wäre die schlechteste Lösung. Er würde bedeuten, dass es nach den zweijährigen Austrittsverhandlungen keine Übergangsregelungen gibt. Das wäre für die nachfolgenden Verhandlungen denkbar schlecht, vor allen Dingen für das Vereinigte Königsreich. Denn wenn man Großbritannien wie einen beliebigen Drittstaat behandeln würde, dann wären die Folgen allein für den britischen Finanzsektor desaströs. Deswegen liegt es an der Europäischen Union und an Großbritannien, die Verhandlungen mit dem Ziel zu führen, einen harten Brexit zu vermeiden. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Verhandlungen sind das eine, die technische Abwicklung ist das andere. Viel wichtiger ist aber: Es muss uns in den Verhandlungen darum gehen, unserer Jugend ein stabiles und starkes Europa zu überlassen. Der Brexit selbst ist kein existenzielles Risiko für die Europäische Union – auch Putin, Erdogan, Trump, die Migrationskrise, die Populisten und die Terroristen nicht. Das größte Risiko für die Zukunft Europas sind der wachsende Nationalismus und Egoismus. Ohne Kompromissbereitschaft und ohne aufeinander zuzugehen gibt es keine gute Zusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es war der starke politische Wille der Europäer, einen Beitrag zu Versöhnung, Kooperation und Freundschaft zu leisten, der Europa nach den Kriegen stark gemacht hat. Diesen Willen müssen wir auch in diesen Verhandlungen bekräftigen. In diesen Tagen gehen viele junge Leute auf die Straße: in Paris, in Warschau, in London, in Berlin, in Madrid, in Frankfurt und auch in meinem Wahlkreis. Sie demonstrieren für Europa – das ist ein gutes Zeichen –, und sie wissen: Die beste Antwort im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung in Europa ist ein gutes, gemeinsames und geschlossenes Europa. Darauf sollten wir hinarbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Als Nächster spricht Dr. Jens Zimmermann von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern haben wir alle den berühmten Brief von Frau May zu lesen bekommen. Eine Woche zuvor waren unser aller Gedanken bei den Kolleginnen und Kollegen im britischen Parlament, die eine Debatte geführt haben, wie wir sie gerade führen, und dann von der Polizei im wahrsten Sinne des Wortes dort eingeschlossen und bewacht wurden. Ich glaube, der verheerende Anschlag in London hat doch gezeigt, dass uns die gleichen Herausforderungen umtreiben, dass es nicht darum geht, ob man in Berlin oder in London ist, sondern dass wir gerade im Bereich der Sicherheit nur zusammen etwas erreichen können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Umso tragischer ist natürlich, dass wir jetzt den Austritt Großbritanniens aus der EU verhandeln müssen. Aber ich glaube – das ist in dieser Debatte auch deutlich geworden –, wir alle haben ein Interesse daran, zu einem konstruktiven Ergebnis zu kommen, um eine gemeinsame, konstruktive und gute Zukunft im Verhältnis zwischen Deutschland, zwischen Europa und Großbritannien zu haben. Wir müssen aber eben auch zur Kenntnis nehmen: Das wird ein ganz schweres Stück Arbeit. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, mir die Titelseiten der britischen Zeitungen von heute Morgen anzuschauen. Das soll man eigentlich nicht machen, aber sie spiegeln die Stimmung in Großbritannien doch ganz gut wider. – Die Times schreibt: „May-Drohung zum EU-Antiterrorpakt“, der Guardian schreibt: „Die EU warnt: Erpresst uns nicht“, die Daily Mail schreibt: „Prost, auf eine großartige Zukunft“ mit Herrn Farage, und man sieht dort ein Pint Bier, und die Sun schreibt: „Euer Geld oder euer Leben“, womit sie auf die Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung anspielt. Das spiegelt ein gutes Stück die Stimmung wider, die nach wie vor in Großbritannien herrscht. Ich glaube, das müssen wir in den Verhandlungen berücksichtigen. Glücklicherweise ist die Stimmung bei uns ein bisschen anders. Ich habe mir heute auch einmal die Zeitung mit den vier großen Buchstaben angeschaut. Darin geht es heute darum, dass Hape Kerkeling seinen Freund geheiratet hat. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herzlichen Glückwunsch!) Das ist ungefähr der Unterschied zwischen der öffentlichen Debatte in Großbritannien und der öffentlichen Debatte, die wir teilweise hier bei uns haben. Eigentlich müsste man in Deutschland „Keep calm and carry on“ sagen. So ist es aber eben nicht. Wir müssen uns anstrengen und alles dafür tun, dass wir uns nicht auf diese Debatte einlassen, die von gewissen Teilen der Medien in Großbritannien uns aufzudrängen versucht werden wird. Das sind nämlich diejenigen, die schon dafür gesorgt haben, dass es überhaupt zum Brexit gekommen ist. Das sind die Nationalisten, die dort in ihren Redaktionen sitzen und sich jeden Tag überlegen, was für eine Sauerei sie am nächsten Tag in der Zeitung schreiben können. Ich glaube, wir als deutsche und als europäische Seite müssen versuchen, mit der notwendigen Gelassenheit an diese Verhandlungen heranzugehen, weil wir wissen, dass wir eine gemeinsame konstruktive Zukunft mit unseren Freunden in Großbritannien haben wollen – sicher nicht um jeden Preis und sicher nicht auf der Grundlage der Yellow Press. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. – Als Nächster hat Dr. Heribert Hirte von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern war ein trauriger Tag für alle von uns, und das ist in vielen der Reden auch schon zu Recht gesagt worden. Wir wollen – das ist ein Ziel der jetzt beginnenden Verhandlungen – gute Freunde der Briten bleiben. Auch das unterstütze ich nachdrücklich. Das Beispiel des Fußballplatzes wurde schon angeführt. Ich sage: Wir wollen solche Freunde bleiben wie die Spieler auf dem Feld, und wir denken hier eher nicht an die Tribünen. Die Populisten auf beiden Seiten des Kanals instrumentalisieren den Brexit nämlich für ihre Zwecke, um auf diese Weise Stimmung zu machen. Wir sollten uns an dieser Diskussion nicht beteiligen. Deshalb gilt: Wir müssen mit den Briten als Erstes über die Frage reden, wie wir zu fairen Verhandlungen kommen. Es treibt mich hier schon ein bisschen um, dass man gesagt bekommt, dass britische Vertreter auch auf der Seite der Kommission und des Europäischen Parlaments sitzen, also auf beiden Seiten des Tisches, und ein bisschen an der Formulierung der Position mitarbeiten, die wir als Europäer gegenüber dem Vereinigten Königreich aufbauen wollen. Das geht so nicht. Man kann nicht Diener zweier Herren sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich gehe nun einen Schritt weiter und könnte eigentlich sagen: Herr Brinkhaus, mein Kollege, hat das alles schon gesagt. Wir sind nämlich in Scheidungsverhandlungen, und man kann nicht über die rosige Zukunft nach den Scheidungsverhandlungen nachdenken, solange die Scheidung nicht durch ist. Bis die Scheidung durch ist, müssen wir klären, was die Verbindlichkeiten aus dem aktuellen Stand der Dinge sind. Welche Zahlungen hat das Vereinigte Königreich noch zu erbringen? Wir müssen uns nicht an den Diskussionen über die Frage beteiligen, ob das so und so viele Milliarden Euro oder Pfund sind; aber wir müssen uns vor allen Dingen über die Antwort auf die Frage einig sein, wer darüber entscheidet, wie hoch die Verbindlichkeiten sind. Daran kann aus meiner Sicht, aus der Sicht des Rechtspolitikers, kein Zweifel bestehen: Für die Auslegung unserer EU-Verträge und einer etwaig zu schließenden Vereinbarung ist der Europäische Gerichtshof zuständig. Wenn man sich einmal in einen solchen Streitschlichtungsmechanismus begeben hat, dann kann man nicht einfach gehen und sagen: Jetzt entscheiden das andere. – Das bedeutet für uns: Wir werden gar nicht zustimmen können, wenn bei solchen Vereinbarungen eine andere Schiedsinstanz eingerichtet werden soll. Ich sage ganz deutlich: Ich glaube, wir können das verfassungsrechtlich gar nicht tun, weil wir dann nämlich eine Schiedsinstanz begründen würden, zu deren Einführung uns das Verfassungsgericht nicht die Kompetenz geben würde. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dass die britische Premierministerin ihren Abgeordneten dies offensichtlich so nicht gesagt hat – hier knüpfe ich an den Kollegen Seif an –, ist mit Sicherheit fahrlässig; denn das wird dazu führen, dass der Europäische Gerichtshof noch für lange Zeit – manche sagen 20, manche sagen 40 Jahre – für die Auslegung dieser Streitigkeiten in der Pflicht ist. Das sind für die Kollegen im Vereinigten Königreich keine rosigen Aussichten, weil sie genau diese Rechtsprechung aus für mich unverständlichen Gründen nicht akzeptieren wollen. Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Ja, das Ziel sollte sein, gemeinsam ein anspruchsvolles Freihandelsabkommen zu verhandeln. Aber auch bei Freihandelsabkommen spielt die Frage eine Rolle: Wie legen wir die Nichtdiskriminierungsklauseln aus? Wir haben hier in dieser Konstellation zusammengesessen, auch mit dem damaligen Wirtschaftsminister Gabriel, und über die Frage geredet, wie Schiedsgerichtsvereinbarungen bei TTIP und CETA ausgestaltet werden sollen. Wir haben erreicht, dass sie anders ausgestaltet werden als bisher. Es gibt keine sogenannten „privaten Schiedsgerichte“, sondern institutionelle Gerichte werden entscheiden. Nun liest man in der britischen Presse, man habe da alte Erfahrungen, wie man solche Schiedsgerichte ausgestalten könne; daran könne man anknüpfen. – Das sind dieselben Briten, die gemeinsam mit uns und Ihnen, Herr Gabriel, damals in Ihrer Funktion als Wirtschaftsminister, mit Kanada über eine moderne Schiedsgerichtsinstitution verhandelt haben. Ich weiß nicht, wie das Problem mit den Schiedsgerichten gelöst werden soll; das macht mich wirklich ratlos. Ich bin vor allen Dingen völlig unsicher, warum die Engländer nicht auf die Idee kommen, das vorher einmal durchzuspielen. Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Wir verhandeln jetzt – das ist das Ziel der Briten; das ist auch völlig richtig so – über Übergangsvorschriften. Schon jetzt hören wir, dass die Übergangsvorschriften eine Dauer von vielen Jahren haben sollen und dass die Finanzindustrie – da schaue ich den Kollegen Dehm an – natürlich besonders lange Fristen für die Übergangsvorschriften fordert. Vor diesem Hintergrund verlaufen die Verhandlungen in eine Richtung, die dazu führen könnte, dass die Briten eine Art Sondermitgliedschaft in der Europäischen Union bekommen: Sie bekämen die Vorteile, müssten aber keine Pflichten mehr übernehmen. Das können wir nicht zulassen, auch – das sage ich wieder als Jurist – aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN) Über all dies darf nicht in Vergessenheit geraten: Was waren die Gründe für die Brexit-Entscheidung? Vieles davon ist schon gesagt worden. Es war erstens Unmut über die Migration und zweitens Unmut über die fehlenden Möglichkeiten, die britische Wirtschaft wieder fit zu machen. Wir haben über diese Dinge mit den Verantwortlichen aus dem Vereinigten Königreich verhandelt. Vor etwas mehr als einem Jahr hat der Europäische Rat eine ganze Reihe von Rechtsänderungen für den Fall zugesagt, dass das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bleibt. Eine ganz zentrale Änderung, die in der Diskussion eine große Rolle gespielt hat, war die Indexierung von Kindergeldzahlungen an EU-Ausländer, deren Kinder im Heimatland verblieben sind. Ich bin froh, dass der Koalitionsausschuss letzte Nacht genau in diesem Punkt gesagt hat: Wir in Deutschland gehen weiter in diese Richtung. Ich erwarte deshalb jetzt von der Bundesregierung, dass sie auch die entsprechenden europäischen Rechtsänderungen unterstützt, damit diese falschen Anreize bei den Sozialleistungen zurückgenommen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist der Korb 4 der damaligen Verhandlungen. Das kann man eins zu eins kopieren. Das sollten wir auch tun und fordern, zumal die 26 anderen europäischen Partner hier schon ihre Zustimmung signalisiert haben. Letzter Punkt. Ebenfalls dazu gehört natürlich Korb 2, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere für die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Da haben die Briten schon erkannt, dass es bei uns in der europäischen Rechtsetzung durchaus Defizite gibt. Das können und sollten wir aufgreifen. Das sollten wir gemeinsam tun. Dann zeigen wir den Briten als EU Rest-27, dass wir am Ende ein stärkeres Europa haben und dass Europa eine Zukunftsvision ist, für die wir alle gemeinsam stehen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Hirte. – Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht nun Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Auch ich persönlich bedaure außerordentlich die Entscheidung der Briten, aus der Europäischen Union auszutreten. Ich sage dies aber nicht nur als Privatperson, sondern auch in meiner Funktion als Vorsitzender der deutsch-britischen Parlamentariergruppe. Es ist ein schwerer Fehler, den die Briten jetzt begangen haben. Wir müssen das aber akzeptieren und auch respektieren. Es ist mit Sicherheit unbestreitbar: Die jetzt bevorstehenden Verhandlungen werden die schwierigsten und komplexesten sein, die die Europäische Union, aber auch Großbritannien jemals geführt haben. Natürlich ist es auch richtig, dass es in diesen Verhandlungen keine Rosinenpickerei geben darf, keinen Britenrabatt geben darf und keine Extrawürste für die Briten geben darf. Es stimmt natürlich auch, dass unser prioritäres Ziel sein muss, dass die EU der verbleibenden 27 Länder zusammenbleibt. Ich bin der festen Überzeugung: Kein Land in der Europäischen Union hat ein so großes Interesse daran, dass die EU zusammenbleibt und noch stärker wird, als Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland befindet sich im Zentrum Europas. Wir haben die meisten Nachbarn in Europa. Und wir sind das größte Land, auf das natürlich auch immer sehr intensiv geblickt wird. Ich sage aber auch ganz offen: Ich hielte es für falsch, wenn die anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien jetzt mit dem Duktus der Schadenfreude bzw. dem Duktus der enttäuschten Liebe geführt werden. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel vollkommen recht hat, wenn sie darauf hinweist, dass es einen klaren Unterschied machen muss, ob sich ein Land innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union befindet. Ich sage aber auch dazu: Auch die britische Premierministerin Theresa May hat recht, wenn sie darauf hinweist, dass Großbritannien zwar aus der EU, aber nicht aus Europa austritt. Deswegen – das sage ich auch ganz offen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen – passt das Beispiel der Scheidung nicht so ganz gut. Nach einer Scheidung kann man sich, wenn man will, für immer und ewig aus dem Weg gehen. Aber Großbritannien bleibt in Europa. Großbritannien bleibt Mitgliedsland der NATO. Großbritannien bleibt Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Und Großbritannien bleibt ein wichtiger und zentraler Partner für Deutschland. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In vielfältiger Hinsicht arbeiten wir bestens und hervorragend mit Großbritannien zusammen. Ich sage ganz ausdrücklich: Wir dürfen dies auch aus deutschem Interesse bei den jetzt anstehenden Verhandlungen nicht gefährden. Ich möchte nur die Zusammenarbeit im Terrorismusbereich und in der Sicherheitspolitik erwähnen. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Hier in Berlin sind wir im letzten Jahr fünf Tage vor Weihnachten auf schreckliche und tragische Weise Opfer eines verheerenden Anschlags geworden. Die Briten wurden vor einer Woche Opfer eines ähnlich gravierenden Anschlags. Dies schweißt uns auch zusammen; das gilt gerade jetzt im Hinblick auf den Kampf gegen den internationalen bzw. islamistischen Terrorismus. Auch im Bereich der internationalen Friedensarbeit und bei der internationalen Konfliktbewältigung sind die Briten für uns einer der wichtigsten Partner. Ich sage auch ganz offen: Natürlich ist die Wirtschaft nicht alles. Aber ordentliche und vernünftige Wirtschaftsbeziehungen sind die Grundlage dafür, dass wir uns hier in Deutschland vieles leisten können und dass sich auch Großbritannien vieles leisten kann. Wir dürfen bei den anstehenden Verhandlungen nicht außer Acht lassen, dass wir Deutsche für die Briten der wichtigste Exportmarkt für Güter sind. Und Großbritannien ist für Deutschland nach den USA der zweitwichtigste Exportmarkt für Güter. Jährlich werden Güter im Wert von fast 100 Milliarden Euro von Deutschland nach Großbritannien exportiert. Es gibt 2 500 deutsche Unternehmen, die in Großbritannien engagiert sind; sie beschäftigen 400 000 Mitarbeiter. Britische Unternehmen beschäftigen in Deutschland 250 000 Mitarbeiter. Unternehmen wie Siemens, BMW, Eon, RWE und Bosch sind wichtige Arbeitgeber in Großbritannien. Wir dürfen dies – das sage ich auch ganz deutlich – nicht dadurch gefährden, dass wir in den Verhandlungen, vielleicht getrieben auch von Emotionen, zu stark die Muskeln spielen lassen. Mir ist dies wirklich sehr ernst, weil ich die große Gefahr sehe, dass ansonsten wirklich das dabei herauskommt, was Herr Kollege Schäfer apostrophiert hat, nämlich dass es am Schluss der Verhandlungen eine Lose-lose-Situation gibt. Ich sehe es nicht ganz so fatalistisch wie Sie. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Realistisch!) Ich sehe es nicht als gesetzt an. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir klug sind, dann müssen wir die Verhandlungen so führen, dass wir die Briten nicht als unsere Gegner, sondern als unsere Verhandlungspartner ansehen, getrieben davon, dass wir am Schluss zu einer für beide Seiten möglichst akzeptablen und vernünftigen Lösung kommen. Natürlich, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, bin ich nicht so naiv, anzunehmen, dass die Briten nicht alles tun werden, um zu einem für sie optimalen Ergebnis zu kommen. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass Großbritannien und Deutschland engstens verwoben sind, etwa auf Ebene des Parlamentes, etwa auf Ebene der Städtepartnerschaften. Es gibt ungefähr 600 Partnerschaften zwischen deutschen und britischen Städten. Die Leiter des British Museum und des Victoria and Albert Museum sind Deutsche. Der Leiter des Humboldt Forums in Berlin ist Brite. Ich hoffe also, dass die Verhandlungen nicht von Emotionen getrieben geführt werden, sondern dass uns Ratio und Klugheit leiten. In diesem Sinne: Die Verhandlungen sind mit Sicherheit schwierig, aber wenn man sie konstruktiv, vernünftig und mit dem notwendigen Respekt und der notwendigen Fairness führt, dann kann nach meiner festen Überzeugung am Ende für beide Seiten ein ordentliches und vernünftiges Ergebnis herauskommen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Kollege Mayer. – Damit schließe ich die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) Drucksache 18/11628 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Sigmar Gabriel. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Sigmar Gabriel, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr könnt ruhig klatschen. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Kollege von der CDU/CSU hat geklatscht!) – Er hat geklatscht? Sie jedenfalls nicht; das weiß ich. (Zurufe von der CDU/CSU: Ich nicht!) – Na gut, aber man kann sich im Leben auch mal verändern. Jetzt aber einmal ernsthaft weiter: Es ist ja nicht immer so im Bundestag, dass aufeinanderfolgende Tagesordnungspunkte auch inhaltlich zusammenhängen, aber jetzt ist das der Fall. Wir haben gerade im Plenum über die Absicht des Vereinigten Königreichs debattiert, die Europäische Union zu verlassen, also den Brexit. Man könnte sich fragen: Wo ist da der Zusammenhang mit dem Einsatz der Bundeswehr in Mali? – Ich glaube, er besteht in zweierlei Hinsicht. Erstens machen die Entwicklungen in Mali seit Beginn der Krise in den Jahren 2012/2013 eines deutlich: Wir Europäer sind von den Krisen und Kriegen in der Welt immer stärker direkt betroffen. Wir können uns nicht mehr abkapseln. Wir haben deshalb auch nicht den Luxus, uns allein auf interne institutionelle Fragen in Europa zu konzentrieren. – Vielleicht als Reminiszenz an die vorangegangene Debatte: So wichtig das ist, darf es nicht dazu führen, dass wir jetzt ausschließlich über unsere inneren Verhältnisse reden. Es gibt so viele Dinge um uns herum, die sich verändern, dass wir auch dort gefragt sind. Europa ist mehr denn je als Akteur in der Welt gefragt, der auch bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, und das, obwohl die Europäische Union gar nicht als weltpolitischer Akteur konstruiert worden ist. Sie ist dafür gar nicht gemacht worden. Trotzdem können uns die Konflikte um uns herum nicht egal sein. Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt: Unser Engagement in Mali zeigt, dass wir dort, wo Europa bereit ist, sich gemeinsam zu engagieren, durchaus Vorzeigbares leisten können. Der Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten in der europäischen Ausbildungs- und Trainingsmission EUTM Mali gehört dazu. Mehr noch: Er ist Teil eines umfassenden Ansatzes. Denn unsere europäische Stärke ist es ja gerade, dass wir Krisen mit einem breiten Instrumentenkasten angehen: mit diplomatischen, zivilen und polizeilichen Mitteln und auch militärisch. Gerade die Europäische Union ist in der Lage, alle diese Instrumente zur Verfügung zu stellen. Das ist ein Markenkern europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, den wir beibehalten und ausbauen müssen und den wir – das sage ich ganz offen – nicht wieder verkleinern dürfen aufgrund der von den Vereinigten Staaten ausgehenden Debatte, in der Sicherheit auf Militärausgaben reduziert wird. Diese werden dort ja erhöht, und gleichzeitig werden die Mittel für die zivile Krisenprävention im Außenministerium gekürzt. Europa ist das genaue Gegenteil davon, und das ist auch gut so. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, unser Engagement in Mali ist auch deshalb so wichtig, weil die Stabilisierung Malis ein Schlüssel für Sicherheit und Entwicklung in der gesamten Region ist. Denn grenzüberschreitender Terror und organisierte Kriminalität bedrohen auch die Sicherheit der Nachbarn und mittelbar eben auch die Europas. Mali gewinnt als Transit- und Herkunftsland für irreguläre Migration und Flucht an Bedeutung. Als eines der ärmsten Länder der Welt steht Mali außerdem nicht nur vor enormen politischen Herausforderungen. Es muss auch durch Bekämpfung von Hunger und Armut der eigenen Bevölkerung eine tragfähige Zukunftsperspektive bieten. Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel zu? Sigmar Gabriel, Bundesminister des Auswärtigen: Selbstverständlich. Heike Hänsel (DIE LINKE): Danke schön. – Herr Minister Gabriel, ich möchte Sie aus aktuellem Anlass fragen. Sie haben gerade gesagt, Europa stellt in der Sicherheitspolitik das genaue Gegenteil zu den USA dar. Aber Kriegseinsätze ähneln sich doch und bedeuten viel Leid und Tote vor Ort. Uns liegen aktuell Meldungen vor, dass der Tornadoeinsatz der Bundeswehr mit dazu beigetragen hat, dass über 33 Zivilisten in einer ehemaligen Schule in Syrien getötet wurden. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist eine ungeheuerliche Behauptung! Die Tornados haben überhaupt nicht dazu beigetragen!) – Die Meldungen sind da, und ich hätte gern den Minister gefragt, was er zu diesen Meldungen sagt (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Dann müssen Sie einmal die Meldungen richtig lesen!) und ob die Bundesregierung gegebenenfalls erwägt, diesen Tornadoeinsatz zu stoppen bzw. zu beenden und zu untersuchen, was passiert ist? Sigmar Gabriel, Bundesminister des Auswärtigen: Wenn Sie gestatten, würde ich gerne auf beides antworten, sowohl auf Ihren Hinweis, dass militärische Einsätze immer auch schlimme Folgen haben, als auch auf den konkreten Fall. Gerade wir Deutsche selbst haben doch erfahren – das sage ich nicht mit übertriebenem Pathos –, dass wir am Ende Gewalt und Terror in unserem Volk – zum Beispiel damals durch die Nationalsozialisten – nicht stoppen konnten, ohne dass uns andere mit Militäreinsatz zu Hilfe gekommen sind. Auschwitz hat sich nicht selbst befreit, sondern es war die Rote Armee, die Auschwitz befreit hat. Hätten amerikanische Eltern ihre Söhne und manchmal auch ihre Töchter nicht in den Zweiten Weltkrieg geschickt, würden wir heute unter Hitler oder unter Stalin leben. Das zeigt: In der Ultima Ratio können Sie manchmal das Leben von Menschen nur schützen, wenn Sie militärische Mittel einsetzen. Wenn die Weltgemeinschaft nicht so lange zugesehen hätte, hätten vielleicht nicht Millionen Menschen in Ruanda im Völkermord untergehen müssen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch ich wünsche mir eine Welt, in der man so etwas nicht braucht. Aber Sie sollten wissen: Man kann sich schuldig machen durch den Einsatz militärischer Mittel, man kann sich auch schuldig machen durch die Verweigerung militärischer Mittel. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Durch Nichtstun!) Man muss sich immer darüber im Klaren sein, was man macht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zu Ihrem konkreten Fall. Nach meinem Kenntnisstand ist der Tornadoeinsatz nicht verantwortlich dafür, was dort passiert ist. Es gab auch eine Unterrichtung im Verteidigungsausschuss dazu. Insofern kann ich jetzt nur wiedergeben, dass nach meinem Kenntnisstand, nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung, der Zusammenhang, den Sie beschrieben haben, nicht existiert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich möchte eigentlich die Mali-Mission begründen, weil diese gerade dazu dienen soll, das Voranschreiten von Terrorismus und Mord zu begrenzen. Aber da Sie, wie ich sehe, anderer Meinung sind, will ich es noch ein wenig zuspitzen: Was, glauben Sie, würde passieren, wenn Europa oder die internationale Völkergemeinschaft im Fall von Mali sagt: „Wir ziehen uns zurück“? Diese Position kann man einnehmen. Dann muss man aber bereit sein, zu sagen: Ja, ich bin dann auch bereit, die Verantwortung dafür zu tragen, dass Boko Haram wieder nach vorne geht, dass sich die Tuareg nicht in einen zivilen Friedensprozess begeben und dass mehr Menschen weiter unter Terror, Gewalt, Mord und Vergewaltigung leiden. – Man muss sich einfach über die Konsequenzen seines Handelns in beiden Fällen im Klaren sein. Man muss auch wissen: Wenn man militärische Einsätze begleitet, kann das immer dazu führen, dass Unschuldige sterben. Wir haben übrigens die Waffen an die Peschmerga im Wissen geliefert, dass die Waffen in einem späteren innerirakischen Konflikt vielleicht für falsche Ziele eingesetzt werden. Darum wissend hat uns der viel zu früh verstorbene Pazifist Rupert Neudeck geraten – wohlgemerkt: als Pazifist –: Ihr müsst Waffen an die Peschmerga liefern, weil sonst die Volksgruppe der Jesiden ausgerottet wird. Ich will nur sagen: Es geht hier, wie ich finde, um eine der schwersten Entscheidungen, die man als demokratischer Politiker treffen kann, aber man muss sich immer im Klaren darüber sein, dass Verantwortung nicht nur dadurch entsteht, wenn man eine Entscheidung trifft, sondern auch, wenn man eine Entscheidung verweigert. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, klar ist: All diese komplexen Herausforderungen kann Mali nicht alleine bewältigen, aber eben auch nicht alleine nur mit deutscher Hilfe. Unser Engagement in Mali ist daher eingebettet in den Rahmen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union. Das ist übrigens auch wichtig. Wir haben uns einmal dazu bekannt, dass Militäreinsätze dann möglich sind, wenn sie von den Vereinten Nationen gefordert werden. Man kann doch nicht sagen: „Wir wollen weg von unilateralen Kriegseinsätzen und hin zu einem Mandat der Vereinten Nationen“, aber dann, wenn die Vereinten Nationen sagen, dass sie die Menschen nur mithilfe von Militär und vielem anderen retten können, auf einmal sagen: „Jetzt sind uns die Vereinten Nationen egal.“ Auch das ist für uns von großer Bedeutung. Europa leistet hier einen großen Beitrag. Im Rahmen der europäischen Trainingsmission in Mali haben militärische Einheiten aus verschiedenen Mitgliedstaaten der EU, zurzeit auch 140 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland, seit 2013 über 9 000 malische Soldatinnen und Soldaten ausgebildet. Inzwischen konzentriert sich die Mission verstärkt auf die Ausbildung der Ausbilder; denn wir können nicht jeden malischen Soldaten ausbilden. Aber wir können Strukturen aufbauen. Sofern es die Sicherheitslage zulässt, wird EUTM Mali diese Ausbildung direkt vor Ort an den Standorten der malischen Armee vornehmen. Die zivile Schwestermission von EUTM, die EUCAP Sahel Mali, bildet zudem Polizei, Nationalgarde und Gendarmerie aus. Auch hier ist Deutschland mit Polizistinnen und Polizisten, zivilen Expertinnen und Experten engagiert, und wir stellen auch den Leiter der Mission. Nicht zuletzt unterstützen wir – das wissen Sie – die Friedensmission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA. Neben ihrem politischen Auftrag, die Umsetzung der Friedensabkommen zu unterstützen, ist die Friedensmission im Norden und im Zentrum des Landes im Einsatz, um Sicherheit zu gewährleisten. Deutschland hat mit seinen aktuell mehr als 800 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, Hubschraubern und Aufklärungsdrohnen einen wesentlichen Anteil daran. Ich will mich ausdrücklich bei den eingesetzten Soldatinnen und Soldaten bedanken, übrigens auch bei den Familien, die, obwohl zurzeit niemand in Gefahr geraten ist, verwundet oder getötet wurde, natürlich Angst um ihre Angehörigen haben. Ich will ausdrücklich meinen großen Respekt vor der Leistung der Soldatinnen und Soldaten und auch dem, was Familien dort mittragen, ausdrücken. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir unterstützen den Friedensprozess. Wir bekämpfen die Ursachen des Konflikts, indem wir helfen, die Gräben der malischen Gesellschaft zu überwinden, übrigens auch durch Förderung von Dezentralisierung, sodass alle Bevölkerungsgruppen stärker teilhaben können. Und wir unterstützen Projekte, die die Lebensumstände der Bevölkerung und die staatliche Handlungsfähigkeit spürbar verbessern. Insgesamt haben wir aus dem Haushalt des Auswärtigen Amts seit 2010 mehr als 50 Millionen Euro in zivile Maßnahmen in Mali investiert. Für 2017 sehen wir noch einmal mehr als 23 Millionen Euro vor, davon 6 Millionen Euro für humanitäre Hilfe. Meine Damen und Herren, mir geht es nicht um eine Vergleichsrechnung, aber ich finde, das Beispiel Mali zeigt, wie wichtig es ist, einen umfassenden Sicherheitsbegriff zugrunde zu legen. Das meinte ich mit dem Unterschied zu der aktuellen Debatte in den Vereinigten Staaten. Natürlich müssen wir uns fragen, welche Ergebnisse wir in Mali bislang erzielt haben, und nüchtern fragen, wo wir stehen. Die Sicherheitslage im Norden und zunehmend auch in der Mitte des Landes bleibt angespannt. Angriffe gegen die Zivilbevölkerung gehören leider weiterhin zum Alltag für viele Menschen in Mali. Der Friedensprozess ist fragil, das Tempo der politischen Reformen langsamer, als wir es uns wünschen. Gleichzeitig gibt es aber auch wichtige Fortschritte: Im November konnten nach zweijähriger Verzögerung Kommunalwahlen abgehalten werden, auch in weiten Teilen des Nordens. In Gao, Ménaka und Kidal wurden unter Vermittlung durch die Friedensmission der Vereinten Nationen Übergangsverwaltungen eingesetzt. Das war lange ein erbitterter Streitpunkt zwischen den Konfliktparteien. Trotz eines verheerenden Anschlags im Januar hat es erste gemeinsame Patrouillen von Regierungstruppen, regierungsnahen Milizen und ehemals separatistischen Tuareg-Gruppen in Gao gegeben. Das sind keine Meldungen, die es bei uns auf die Titelseiten schaffen, aber es sind wichtige Schritte, auch wenn sie noch klein sind. Dennoch ist klar: Friedenskonsolidierung ist mühsam, langwierig und verläuft nicht linear. Aber mich jedenfalls stimmt es positiv, dass die Konfliktparteien trotz aller Störversuche, weiterhin bestehenden Misstrauens und Umsetzungsproblemen dem Friedensprozess verpflichtet bleiben. Ich will in Kürze nach Mali reisen, auch um die Regierung darin zu bestärken, den Friedensprozess entschlossen voranzutreiben und dafür auch die notwendigen Reformen auf den Weg zu bringen. Natürlich will ich mir vor Ort auch einen Eindruck verschaffen, was unsere deutschen zivilen Helferinnen und Helfer sowie Soldatinnen und Soldaten leisten, die dort einen, wie gesagt, oftmals gefährlichen Dienst tun. Meine Damen und Herren, die Trainingsmission der Europäischen Union ist ein wichtiger Bestandteil unseres Engagements für Frieden und Sicherheit in Mali. Sie ist gleichzeitig Baustein einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Meine Hoffnung ist jedenfalls, dass wir in Europa gerade auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik noch enger zusammenrücken. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zur Fortsetzung unserer Beteiligung an der europäischen Trainingsmission EUTM Mali. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Noll: Vielen Dank, Herr Minister Gabriel. – Als Nächster hat das Wort Jan van Aken von der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wollen hier den Einsatz der Bundeswehr in Mali zur Ausbildung der malischen Armee um ein weiteres Jahr verlängern. (Henning Otte [CDU/CSU]: Genau!) Ich finde, Sie machen da einen großen Fehler. (Beifall bei der LINKEN) Zum einen, weil die Situation in Mali mittlerweile ganz fatal an Afghanistan erinnert. Sie unterstützen dort, in Mali, eine zutiefst korrupte Regierung. Sie bilden dort eine Armee aus, die auch gegen Minderheiten im eigenen Land vorgeht. Und Sie sind dort Teil eines Bürgerkrieges, der immer weiter eskaliert. Die Zahl der Anschläge, auch auf UN-Truppen, steigt unaufhörlich. Genau wie in Afghanistan fing der Einsatz in Mali ganz klein, kompakt und überschaubar an. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Niemals!) Mittlerweile ist dort mit der Operation MINUSMA der mittlerweile größte Auslandseinsatz der Bundeswehr unterwegs. Zuletzt haben Sie Kampfhubschrauber in die Region geschickt. Wie in Afghanistan – das, finde ich, ist das Entscheidende – haben Sie keinen politischen Plan. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir sind nicht bei den Linken!) Außerdem haben Sie – das ist jetzt auch eine militärische Frage – keinerlei messbare Ziele für diesen Einsatz definiert. Das halte ich für das Fatalste. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt machen Sie auch noch genau den gleichen Fehler wie damals in Afghanistan: Auf eine sich immer weiter verschärfende Sicherheitslage reagieren Sie mit immer weiterer militärischer Eskalation. Wenn ich dann lese, was Sie in Ihrer Mandatsbegründung über den Friedensprozess in Mali und über einen angeblichen Durchbruch im politischen Prozess schreiben, dann muss ich mich doch fragen: Auf welchem Planeten leben Sie eigentlich? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass sich die Situation in Mali immer weiter verschlechtert, dass sie sich eben überhaupt nicht stabilisiert. Ihr Bundeswehreinsatz wird daran überhaupt nichts ändern. (Beifall bei der LINKEN) Herr Gabriel, Sie haben gerade etwas hypothetisch gesagt: Wenn die internationalen Truppen jetzt aus Mali abgezogen werden würden, dann würden zum Beispiel die Tuareg im Norden nicht mehr am Friedensprozess teilnehmen. – Das zeigt: Sie sind nicht richtig informiert. Im Moment sind die internationalen Truppen vor Ort und die Tuareg nehmen nicht teil am Friedensprozess. Sie haben gerade – zusammen mit einigen anderen Gruppen – ihre Teilnahme an der internen malischen Friedenskonferenz abgesagt. Da läuft politisch sehr viel schief, und das hat nichts mit der Präsenz der internationalen Truppen zu tun. Da Sie eben weiter ausgeholt haben, was allgemein Auslandseinsätze angeht, möchte auch ich ein Stück weiter zurückgehen. Sie haben gerade die Waffenlieferungen an die Peschmerga als ein schönes Beispiel dafür genannt, was man Sinnvolles tun kann. Sie haben sinngemäß gesagt: Das wurde getan, um das Überleben der Jesiden zu sichern. – Das ist aus zweierlei Gründen komplett falsch, und Sie wissen das auch. Erstens. Es waren damals eben nicht die Peschmerga, die Sie mit Waffen beliefert haben, die die Jesiden aus den Bergen gerettet haben, damals, am 4. August 2014, (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]) als 40 000 Jesiden in den Bergen von Shingal festsaßen. Es war, ob Ihnen das gefällt oder nicht, die PKK, die die 40 000 Jesiden gerettet hat. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Mittlerweile sind es – auch das wissen Sie, Herr Gabriel – die Peschmerga, die mit deutschen Waffen die Jesiden angreifen. Tatsache ist, dass die Jesiden im Moment durch die deutschen Waffenlieferungen stärker bedroht sind, als wenn Sie diese Waffen nicht geliefert hätten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Um noch einen Schritt weiter zurückzugehen – das ist ja, wie ich finde, eine ganz spannende Debatte –: Sie sagen, man könne sich nicht nur durch die Entsendung von Militär, sondern auch, wenn man nicht militärisch eingreift, schuldig machen. Was Sie dabei aber völlig ausblenden, ist die dritte Option: Man kann sich noch viel schuldiger machen, wenn man nicht viel frühzeitiger politisch und diplomatisch eingreift. Das zu übersehen, ist der Fehler, den Sie als Bundesregierung immer wieder machen. (Beifall bei der LINKEN) Dass Sie so lange abwarten und nichts tun, bis militärisch eingegriffen werden muss, das ist der Fehler, den ich Ihnen vorwerfe. Ich komme zurück zu Mali. Die entscheidende Frage ist doch: Was wollen Sie in Mali eigentlich mit dieser Ausbildungsmission erreichen? Sie sagen in Ihrem Antrag zur Mandatsverlängerung, es gehe um die Stabilisierung des Landes. – Das wäre ein gutes und richtiges Ziel. Aber dann muss man sich doch auch einmal fragen: Warum ist Mali denn so instabil? Was sind denn die Ursachen, die darunter liegen, die dazu führen, dass Mali im Moment so instabil ist? Das Kernproblem ist doch die malische Regierung selbst. Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat dazu neulich eine, finde ich, ziemlich kluge Analyse veröffentlicht. Darin wird die malische Regierung als autoritär, als korrupt und vor allem als reformunwillig bezeichnet. Sie wissen doch selbst, dass der Großteil der Gewalteskalation in Mali auf eine jahrzehntelange verfehlte Politik der Zentralregierung zurückzuführen ist. Der Norden wurde systematisch von der wirtschaftlichen Entwicklung ausgeklammert. Die Tuareg im Norden haben jahrzehntelang vergeblich um Autonomierechte gekämpft – bis vor vier Jahren die Gewalt eskaliert ist. Wenn das aber die zentrale Ursache für die Konflikte, für die Probleme in Mali ist, warum glauben Sie dann, dass die Lösung militärischer Natur sein kann? Das ist doch völlig hirnrissig. (Beifall bei der LINKEN) Ihr Bundeswehreinsatz ist überhaupt keine Lösung für die tatsächlichen Probleme in Mali. (Henning Otte [CDU/CSU]: Ausbildung!) Wenn die Regierenden in Mali die Reformverweigerer sind – das sage nicht nur ich; das schreibt auch die Stiftung Wissenschaft und Politik –, (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na denn!) dann können Sie doch nicht genau diese Regierung auch noch militärisch unterstützen. Damit machen Sie sich zum Teil des Problems und sind nicht mehr Teil der Lösung. (Beifall bei der LINKEN) Zum Abschluss möchte ich noch kurz auf einen Punkt eingehen. Ich finde es wirklich schändlich, dass Sie diesen Bundeswehreinsatz ganz offensiv und unverhohlen mit der Flüchtlingsabwehr verknüpfen. Auch Sie haben das eben wieder gemacht, Herr Gabriel. Sie wissen ganz genau: Die Zentralregierung in Mali braucht die internationalen Truppen und die Bundeswehr als Sicherheitsdienstleister. Damit setzt die EU sie gerade unter Druck und versucht, ein Abschiebeabkommen durchzusetzen. Sie benutzen die Bundeswehrsoldaten in Mali als Faustpfand, um Malier schneller aus Deutschland abschieben zu können. Das ist ein Schlag ins Gesicht aller Malier, die vor dem Krieg geflüchtet sind, aber noch viel mehr ein Schlag ins Gesicht der Bundeswehrsoldaten, die Sie jetzt da runterschicken. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Jan van Aken (DIE LINKE): Ich bin fertig. – Es galt doch in der Flüchtlingspolitik ganz lange die Grundregel: Keine Abschiebung in Kriegsgebiete! – Mit dieser richtigen und wichtigen Regel brechen Sie jetzt in Mali. Ich finde das ganz falsch. Und Sie wissen: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland gar keine Waffen mehr exportieren sollte, Herr Otte. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Aber an die PKK?) – Auch nicht. Tschüs! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Michaela Noll: Das Wort hat jetzt der Kollege Henning Otte von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Henning Otte (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr van Aken, Sie haben eben Tschüs gesagt, aber Sie sind noch da. Deswegen darf ich kurz auf Ihre Rede eingehen. Es ist keine andere politische Meinung, die Sie dargestellt haben, sondern es ist offensichtlich eine bewusste Falschdarstellung. Es sind gerade die Jesiden ausgebildet worden, um sie unabhängiger zu machen. Zusammenfassend kann ich sagen, dass keiner Ihrer Beiträge hier einen Verbesserungsvorschlag enthalten hat; es war lediglich ein Schlechtmachen, und damit wird die Welt nicht besser. (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Kommen wir zum heutigen Thema, nämlich zur Verlängerung und Ausweitung des Mandats EUTM Mali als Ausbildungs- und Beratungsmission für die malischen Streitkräfte mit dem Ziel, dass diese selbst für Sicherheit und Stabilität im Land sorgen können. Terroristische Gruppen bedrohen den Friedensprozess, den Reformprozess, der sich seit einigen Jahren entwickelt. Das stellt gerade in Mali eine hohe Belastung für das Land und für die Bevölkerung dar. Um das Land zu stabilisieren, ist, wie der Außenminister dargestellt hat, EUCAP Sahel Mali dabei. Es ist eine zweite Militärmission, nämlich MINUSMA, dabei. Auch dabei ist Deutschland mit Aufklärungs- und Hubschraubereinheiten beteiligt. Das Ziel ist, die malischen Sicherheitskräfte so auszubilden, dass sie nach und nach selbst für Sicherheit sorgen können und internationale Kräfte eines Tages überflüssig machen. Die Missionen in Mali sind gute Beispiele dafür, wie sich internationale Missionen gegenseitig ergänzen können. Die Gesamtstärke von EUTM Mali beträgt zurzeit 550 Soldaten aus 27 Nationen, davon 22 Nationen aus der Europäischen Union. Deutschland leistet einen Beitrag mit bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten. Die Hälfte davon ist zurzeit als Ausbildungs- und Beratungselement wie auch als Stabs- und Unterstützungspersonal im Einsatz. Seit Beginn der Mission im Jahr 2013 sind über 9 000 Soldatinnen und Soldaten der malischen Streitkräfte ausgebildet worden. Die Lage hat sich in Südmali stabilisiert und kann dort als kontrollierbar bezeichnet werden. Aus mehreren Besuchen weiß ich selbst, welch große Herausforderungen und Anstrengungen dies auch für unsere Soldatinnen und Soldaten bedeutet. Deswegen ist es wichtig, noch einmal darzustellen, warum wir diesen Einsatz in Mali unterstützen: Wir müssen mehr Engagement dort zeigen, wo Konflikte entstehen, um diese Konflikte zu deeskalieren, zu entschärfen, auch, damit Konflikte nicht nach Europa wandern. Dafür haben wir einen breiten Instrumentenkasten, wie es der Bundesaußenminister eben dargestellt hat. Das militärische Engagement ist ein Werkzeug darin. Meine Damen und Herren, Mali hat eine Schlüsselfunktion in dieser Region. Die gesamte Region ist von dem Konflikt bedroht. Es gibt den IS-Terror, es gibt die Tuareg-Rebellen, es gibt Boko Haram in Nigeria, und es muss unbedingt verhindert werden, dass es hier einen Zusammenschluss gibt. Jetzt gilt es, zusammen mit der internationalen Gemeinschaft das Land weiter zu stabilisieren, hin zu einer friedlichen Entwicklung. Ein stabiles Mali strahlt in die gesamte Region positiv aus. Ein zusammenbrechendes Mali würde in gleicher Weise eine negative Kettenreaktion bedeuten. Deswegen ist es auch für die Sicherheit in Europa wichtig, dass wir die Ausbreitung des Terrorismus eindämmen und verhindern, dass Migrationsgründe entstehen. Deswegen kommt EUTM Mali eine so große Bedeutung zu. Es verlangt von der Bundeswehr große Anstrengungen und viel Kraft, neben der Bündnisverteidigung vielschichtige Aufgaben auch in der Krisenprävention zu erfüllen; aber ich glaube, dass solche internationalen Verpflichtungen für uns, für Deutschland, eher mehr werden als weniger. Wir reagieren darauf mit der Ausweitung des Auslandsverwendungszuschlags auf die einsatzgleichen Verpflichtungen, aber auch, indem wir deutlich sagen: Deutschland nimmt bewusst Verantwortung wahr in der Gemeinschaft. Das ist eine Herausforderung für eine moderne Armee im vernetzten Einsatz. Deswegen sagen wir: Wir müssen in die Sicherheit Deutschlands investieren. Deswegen haben wir das 2-Prozent-Ziel weiterhin im Auge, denn wir sagen: Wir müssen Lücken in der Ausrüstung schließen, wir müssen Systeme modernisieren, wir müssen eine wirksame Cyberabwehr aufbauen und entsprechendes Personal dafür gewinnen, um die Sicherheit und die Souveränität Deutschlands zu erhöhen. Wir haben in dieser Legislaturperiode mit einer Attraktivitätssteigerung und mit den Trendwenden finanziell, personell, aber auch materiell viel unternommen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit. Diese Ausgaben sollten in den kommenden Monaten im Wahlkampf nicht gegen soziale Maßnahmen ausgespielt werden. Ich sage deutlich: Sicherheitspolitik ist auch soziale Politik, weil sie dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger dient. Wir nehmen als CDU/CSU-Fraktion diese Verantwortung wahr. Wir danken allen Soldatinnen und Soldaten und auch zivilen Kräften und Polizisten für den Einsatz. Wir danken auch den Familien für ihr Verständnis. Wir werden der Mission EUTM Mali in der parlamentarischen Beratung zustimmen, weil wir dies für notwendig und sinnvoll erachten und weil dies auch der Sicherheit unseres Landes dient. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Hellmich [SPD]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es lohnt sich, einen Blick auf den Beginn dieser Mission zurückzuwerfen. 2013 hat sich die Europäische Union für die Ausbildungsunterstützung der malischen Sicherheitskräfte entschieden. Damals war die Lage so, dass ein Teil der Armee gewaltsam geputscht hatte, nachdem der Norden des Landes von Rebellen und Terroristen überrannt worden war. Die Armee war in einem sehr schlechten Zustand. Ausbildung muss auch Ausbildung mit Anspruch heißen. Es geht nicht nur darum, militärische Grundfertigkeiten zu vermitteln, sondern auch um solche Dinge wie die Einhaltung der Menschenrechte oder des Völkerrechts. Das Ziel ist sehr ehrgeizig: eine miteinander funktionierende Truppe, in der auch verfeindete Gruppen in gemeinsamen Strukturen handeln, die politisch kontrolliert ist und die sich vor allem dem Schutz der Bevölkerung verpflichtet fühlt. 2012 wäre es sicherlich unvorstellbar gewesen, was vor kurzem stattgefunden hat und schon vom Minister erwähnt worden ist, nämlich dass trotz zahlreicher Verzögerungen und Rückschläge gemeinsame Patrouillen der Rebellengruppen und der malischen Streitkräfte im Norden stattgefunden haben. Das ist sicherlich ein kleiner Lichtblick. Heute beraten wir erneut über eine Verlängerung, und das zeugt von Realismus. Ich kann mich noch erinnern, wie am Anfang dieser Mission einige meinten, der Zeithorizont würde zwei bis vier Jahre beinhalten, bis die Aufgabe erfüllt sein würde. Wir Grüne haben damals schon gesagt, dass es hier einen langen Atem und viel Geduld und Engagement braucht. Zu einer realistischen Sicht gehört aber auch ein klares Bild von den Gefahren, Grenzen und Chancen von Ausbildung. Eine nachhaltige, gut konzipierte und engagierte Ausbildung kann ein, aber eben nur ein Baustein auf dem Weg zu einer Stabilisierung sein. Ob Irak, Somalia oder Mali: Bei der Bundesregierung hat man den Eindruck, dass das Schlagwort „Ertüchtigung“ ihre Standardantwort auf viele Krisen dieser Welt ist. Wir Grüne sagen dazu nicht blind Ja und auch nicht reflexartig Nein, sondern wir prüfen jeden Einzelfall sehr sorgfältig und sehr kritisch. Heute Abend werden wir auch über die Ausbildungsmission in Somalia abstimmen. Dieses Mandat werden wir als Grüne sehr klar ablehnen, während wir in den vergangenen Jahren bei Mali immer zugestimmt haben. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!) Ausbildung und Militäreinsätze alleine können natürlich niemals einen Konflikt lösen. Zentral ist es, dass die Ursachen, die hinter einem Konflikt stehen, bearbeitet werden. Deshalb kommt es auf den Rahmen an, in dem eine solche Mission stattfindet. Dieser ist zum Beispiel in Mali sehr anders als in Somalia. Es gibt die Friedensmission der Vereinten Nationen, deren Aufgabe es ist, ein Friedensabkommen zwischen vielen Gruppen zu begleiten und zu stützen. Oder man kann es auch so zusammenfassen wie ein General, den ich auf einer meiner Mali-Reisen im Rahmen eines Besuches bei der EUTM-Mission gesprochen habe. Er hat gesagt: Es geht ja gar nicht darum, die Streitkräfte so auszubilden, dass sie den Norden erobern und dauerhaft halten können. Vielmehr müssen beide Seiten endlich verstehen, dass es Frieden nur gemeinsam und nur durch Kooperation geben kann. Ja, es gibt Lichtblicke: die gemeinsamen Patrouillen, das Friedensabkommen, den Versöhnungsprozess. Trotzdem darf man die Lage in Mali nicht schönreden. Sie ist fragil, und gerade im Norden ist sie gefährlich und instabil. Es gibt auch keine Gewissheit, dass dieses Engagement zum Erfolg führen wird. Ein großes Problem ist aktuell doch, dass alle Akteure, die an diesem Friedensprozess beteiligt sind, die Gruppen im Norden ebenso wie die malische Regierung und ihr nahestehende Milizen, diesen Prozess oft genug mit Blick auf den eigenen Vorteil verschleppen oder gar behindern und ihn damit auch gefährden. Wenn man möchte, dass das internationale Engagement, zu dem auch diese EU-Ausbildungsmission gehört, am Ende erfolgreich sein soll, dann muss das jetzt von allen Seiten mit Nachdruck eingefordert werden, auch von der malischen Regierung. Da muss ich sagen, dass mir die sanften Worte der Bundesregierung nicht ausreichen. Da müssen Sie dringend mehr tun, und da müssen Sie mehr einfordern. Hier ist Kritik angebracht und notwendig. Völlig fehl geht aber eine andere Kritik, die wir derzeit nachlesen und nachhören können, nämlich die des konservativen französischen Präsidentschaftskandidaten, der, offensichtlich weil er selbst unter Druck steht, fordert, dass Deutschland sich in der Sahelzone stärker militärisch engagieren müsse. Deutschland ist nicht nur im Rahmen vieler ziviler Projekte und im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit vor Ort, sondern beteiligt sich auch an der EU-Ausbildungsmission und der VN-Friedensmission in einem erheblichen Maße, gerade durch den Einsatz der Aufklärungsfähigkeiten und der Hubschrauber. Wer das tut und sich hier in hohem Maße einbringt, der kann auch Ansprüche an den französischen Freund und Partner stellen. Die Bundesregierung ist aber nicht bereit, hier Kritik zu äußern. Es wäre doch ein erster Schritt, einmal ein Mindestmaß an Transparenz über die französischen Antiterroroperationen in der Region herzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es muss auch klar sein, dass eigene Interessen nicht über das Ziel gestellt werden dürfen, eine friedliche Zukunft für die Menschen in Mali zu erreichen. Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich dafür in einem sehr gefährlichen Umfeld engagieren, ob sie es in Uniform oder ohne tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Denn sie liefern einen Beitrag dazu, dass die Chance besteht, dass diese Ausbildungsmission in ein paar Jahren erfolgreich ist und dass es mehr Frieden und Sicherheit in Mali gibt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Roderich Kiesewetter. (Beifall bei der CDU/CSU) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jeder von uns, der schon einmal in Mali war, weiß um die schwierige Lage dort, weiß aber auch um die Fortschritte, die zumindest durch die Ausbildungsmission und einige andere Einsätze vor Ort erreicht wurden. Wenn wir heute über die Ausbildungsmission sprechen, dann muss uns bewusst sein, dass sie nur ein Mosaikstein unter vielen anderen ist; der Herr Bundesaußenminister hat das angesprochen. Ich will aber trotzdem noch einmal die UNO-Mission MINUSMA ansprechen, weil sie damit verzahnt ist, ebenso die französische Antiterrormission Barkhane, eine ganze Reihe ziviler Bereiche wie beispielsweise die EUCAP-Mission und vor allen Dingen auch unsere Anstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeit. Es freut mich ganz besonders, dass – das finden wir nicht oft in den Mandatstexten – in diesem Mandatstext auch sehr klar über die entwicklungspolitischen Anstrengungen gesprochen wird, insbesondere im Bereich Dezentralisierung, gute Regierungsführung, aber auch in so handfesten Bereichen wie Wasser- und Abwasserversorgung und nachhaltige Landwirtschaft. Das alles zusammen macht den Einsatz in Mali aus. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Soldaten sind keine Entwicklungshelfer!) Wir dürfen durch die Mechanik unserer Debatten nicht den Linken auf den Leim gehen, indem wir uns ständig in eine militärische Debatte ziehen lassen. Es ist ein ganzheitlicher Einsatz, den wir dort haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was unsere Debattenkultur im Bundestag angeht, ist es entscheidend, einmal herauszustellen, wie die Gesamtlage aussieht. Gestern hatten wir hier in Berlin eine Konferenz über Sicherheit, Frieden und Entwicklung in Afrika. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Schlimm genug!) Bei dieser Konferenz wurde auch sehr klar, dass die erste Voraussetzung für weitere Entwicklungen nun einmal Sicherheit ist. Angesichts dieses Engagements wird deutlich, dass unsere Anstrengungen beispielsweise beim Valletta-Gipfel im November 2015 oder bei verschiedenen EU-Gipfeln nicht umsonst waren; denn wir erleben, dass sich auch die Regionen selber miteinander vernetzen. Es gibt relativ neu eine Gruppe von fünf Sahelstaaten – Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad –, die versuchen, in einer gemeinsamen Sicherheitskooperation gegen den Terror vorzugehen und zugleich Entwicklungsperspektiven für ihre Bevölkerungen zu entwickeln. Warum ist das so entscheidend? In Subsahara-Afrika leben rund 700 Millionen Menschen. Jedes Jahr kommen 2 Millionen Menschen dazu. Bei uns würde das bedeuten: 2 Millionen Kindergartenplätze, 2 Millionen Schulplätze, 2 Millionen Arbeitsplätze. Dort bedeutet es aber in der Regel: aufwachsen in der Hoffnung auf Migration. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Das ist so nun auch nicht!) Es kann doch nicht unser Ziel sein, die militärischen Engagements dort einzustellen und die Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr zu schützen, um dann noch mehr Migration zu erzeugen. Unser Ziel muss doch sein, die Feuer, die dort sind, auszutreten. Lesen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, einmal das Friedensgutachten. Gerade das unlängst veröffentlichte Friedensgutachten macht deutlich: Die Präsenz von UN-Truppen stärkt die nachhaltige Entwicklung in der Region, weil sie erstens zur Ausbildung, zweitens zur Rückversicherung der jeweiligen Regierung, drittens zu einer bestimmten Kontrolle und viertens auch zu einem gewissen Gefühl wachsender Sicherheit in der Bevölkerung beiträgt. Das bedeutet für die Entwicklungszusammenarbeit auch das Schaffen einigermaßen stabiler Umwelten, von denen aus man investieren kann. 700 Millionen Menschen leben in der Region, aber für Mali selbst bedeutet das: fast 140 000 Flüchtlinge außerhalb des Landes und 40 000 Flüchtlinge innerhalb des Landes. Wenn wir also diese Ausbildungsmission betrachten, stellen wir fest, dass sie eingebettet ist in einen weitaus größeren Ansatz. Deshalb möchte ich abschließend einige Punkte ansprechen, die mir am Herzen liegen. Wenn die Europäische Union sich stärker auf Afrika fokussieren will – ich glaube, darin sind wir uns alle einig – und wenn wir als Bundesrepublik Deutschland uns stärker um Afrika kümmern wollen, so sollten wir eine abgestimmte Strategie haben. Die Europäische Union hat in der Handelspolitik bereits das Zepter übernommen und organisiert die Handelspolitik. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist ja die Katastrophe! Das ist doch das Problem!) Deshalb sollten wir in den nächsten Jahren alles daransetzen, dass auch die Entwicklungszusammenarbeit stärker koordiniert wird. Die Ansätze, die die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit Frankreich und vielen anderen Partnern leistet, könnten wir von Brüssel aus stärker koordinieren durch Fordern von unserer Seite, aber auch durch entsprechende Förderprogramme, die wir alleine zu leisten nicht in der Lage sind. Deshalb halte ich es für sehr sinnvoll, solche Mandate, wenn wir im Bundestag darüber sprechen, im übergeordneten Zusammenhang zu betrachten. Ein weiterer Aspekt neben der Strategieentwicklung ist die entwicklungspolitische Orientierung; das heißt, wir setzen nicht auf die ausschließlich militärische Fokussierung von Einsätzen. Aber, Herr Außenminister, ich bitte Sie auch, Investitionen in Verteidigung und Sicherheit einerseits und diplomatisches Engagement und Entwicklungsengagement andererseits nicht auseinanderzudividieren. Wir müssen sehr deutlich und klar sagen, dass das gemeinsame Engagement für bessere Verteidigungsbemühungen, für mehr diplomatische Anstrengungen und für nachhaltige Entwicklungspolitik das verdient, was Ischinger und Altbundespräsident Gauck angesprochen haben: dass wir das 2-Prozent-Ziel mit verstärktem entwicklungspolitischem und diplomatischem Engagement verknüpfen und in Richtung eines 2,5- oder 3-Prozent-Zieles gehen, damit wir das, was wir leisten wollen, stärker miteinander verschränken und vor allen Dingen unserer Bevölkerung klarmachen, dass es eben nicht – wie die Linke ständig suggerieren will – um einen Militäreinsatz geht, sondern um ein abgestimmtes, gemeinsames Engagement für die Stabilisierung Afrikas und für Partnerschaft auf Augenhöhe. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Staaten wie Mali, Mauretanien, Tschad, Niger, Burkina Faso stellen für uns alle eine ganz besondere Herausforderung dar. Heute diskutieren wir unser Bemühen um eine Militärmission in Mali. Ich möchte an das anknüpfen, was der Kollege Kiesewetter gesagt hat: Es geht nicht nur ums Militärische, Herr van Aken. Zunächst geht es natürlich darum, der Bevölkerung Lebenshilfe zu leisten, ihre akute Not angesichts der Übergriffe zu lindern und eine Bleibeperspektive zu schaffen. Es setzt logischerweise einen Hauch von Staatlichkeit voraus, so etwas zu ermöglichen. Ein Hauch von Staatlichkeit in einer Region mit historisch, kulturell und wirtschaftlich konkurrierenden Volksgruppen kann ja nur in dezentralen, föderalen Strukturen gelingen. Darum wird es in der nächsten Zeit gehen. Am Anfang muss aber die Beendigung bewaffneter Auseinandersetzungen stehen. Am Anfang müssen gewaltsame Übergriffe auf die Zivilbevölkerung verhindert werden, und das geht eben auch nur mit Gewalt. Ich bin deswegen für die klaren Worte von Ihnen, Herr Minister, dankbar, mit denen Sie das Grundsätzliche und die Ambivalenz unserer Entscheidung dargestellt haben – was es bedeutet, nichts zu tun, und was es bedeutet, sich auf militärischem Gebiet zu engagieren. Für den ganzen nordafrikanischen Raum gilt es, islamistisch-terroristische Landnahmen zu verhindern. MINUSMA, die robuste Mission, haben wir beschlossen; der Bundestag hat sich entschieden, dass Deutschland sich daran beteiligt. Dennoch ist es nach wie vor wichtig, der Bevölkerung die Sinnhaftigkeit dieses deutschen Engagements südlich der Sahara, so weit weg von uns, zu erläutern. Die Migrationsströme der vergangenen Monate – auch aus diesem Teil der Welt – nach Europa und insbesondere zu uns, nach Deutschland, haben deutlich gemacht, dass es schon aus humanitären Gründen gerechtfertigt ist, Hilfe zu leisten. Aber darüber hinaus ist es unser ureigenes europäisches Interesse, einen Beitrag zur Stabilisierung der afrikanischen Staaten zu leisten. Gemeinsam muss es uns gelingen, für die Menschen in dieser Region Bleibeperspektiven zu schaffen, und das beginnt nun einmal mit der Aufgabenstellung der Mission, um die es heute hier geht, nämlich mit dem Einsatz des Militärs und der Beratung und Unterstützung des Militärs durch uns. Aber auch ich lege Wert darauf, dass darüber hinaus, wie Kollege Kiesewetter es ausgeführt hat, eine ganzheitliche Entwicklungsperspektive in all diesen Subsahara-Staaten zu erarbeiten ist. Dazu gehören ganz konkrete, realistische Lösungsansätze, die Hilfe für die Menschen bedeuten. Menschen, die wir zu Handwerkern ausgebildet haben, Menschen, die in Gewerbeparks Arbeit finden, Menschen, die Bewässerungsanlagen errichten und reparieren können, schaffen eine Oase der Zukunft in einer konfliktanfälligen Region. Das ist unsere eigentliche Aufgabe, unser Ziel, dem wir uns verschrieben haben. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wir sprechen hier über einen Bundeswehreinsatz!) – Ich habe gerade erläutert – ich hoffe, Sie haben zugehört –, dass dies mit einem Bundeswehreinsatz beginnen muss, der aber nicht das Endziel sein kann. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Kommen Sie mal zum Thema zurück! Da geht es um Töten und Sterben!) Menschen sollen sich zutrauen, Lebensperspektiven in ihrer Heimat zu schaffen, statt ihr Leben und ihr Vermögen kriminellen Schlepperbanden anzuvertrauen. Das ist unser eigentliches Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn es uns auch nur ansatzweise gelingt, für viele Menschen südlich der Sahara Lebensperspektiven zu schaffen, ist es möglicherweise nicht mehr nötig, nördlich der Sahara Auffangcamps zu errichten, in denen Rückkehrer aus Europa untergebracht werden können; denn dann haben wir die Menschen schon überzeugen können, in ihrer Heimat zu bleiben, statt unter Einsatz ihres Lebens die Sahara zu durchwandern. (Beifall bei der CDU/CSU) Der heutige Beschluss über die Fortsetzung der Militärmission EUTM Mali soll also die Grundlage für sehr viel mehr sein. Das ist die Überlegung, um die es hier geht. Der intensive Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit, die Schaffung von Bleibeperspektiven und damit die Verringerung von Fluchtgründen für die Menschen in dieser konfliktbeladenen Region, das sind unsere Aufgaben. Deswegen bedanke ich mich auch bei den Grünen. Frau Brugger, Sie haben sehr differenziert argumentiert – im Gegensatz zum Vertreter der Linken. (Jan van Aken [DIE LINKE]: Ich fand es superdifferenziert!) Der Geist, der stets verneint, mit dem sich auseinanderzusetzen einfach keinen Sinn macht. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sinn ergibt sich, er macht sich nicht, Herr Kollege!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11628 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Widerspruch sehe ich keinen. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Drucksachen 18/11300, 18/11534, 18/11683 Nr. 10 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11776 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache insgesamt 38 Minuten vorgesehen. – Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteilte zu Beginn das Wort dem Bundesminister Alexander Dobrindt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Das automatisierte Fahren entscheidet, ob Deutschland Innovationsland bleibt oder Stagnationsland wird. Das ist der Grund, warum wir uns zu Beginn der Wahlperiode für eine umfassende Strategie für automatisiertes und vernetztes Fahren entschieden haben, die wir mit einer Reihe von Elementen gefüllt haben, beispielsweise mit dem Digitalen Testfeld Autobahn auf der A 9, einem Leuchtturmprojekt: einer intelligenten Straße, der einzigen Straße auf der Welt, die mit eigener Sensorik und eigener Intelligenz ausgestattet ist. Damit haben wir für die Infrastruktur und für die entsprechende Kommunikation gesorgt, die automatisiertes Fahren im Realverkehr möglich machen. Das ist eines der ganz großen Forschungsprojekte und wird übrigens weltweit von Unternehmen anerkannt. Viele internationale Firmen erforschen ihre Produkte auf dem Digitalen Testfeld Autobahn auf der A 9 in Bayern und entwickeln diese Produkte weiter. Wir erweitern gerade das Testfeld auch auf städtische Bereiche, sodass wir den komplexen Zusammenhang im Stadtverkehr erproben und automatisierte Fahrsysteme weiterentwickeln können. Des Weiteren haben wir eine Ethik-Kommission, die unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio tagt, eingesetzt, um die ethischen Fragen zu den Grundsätzen automatisierten Fahrens zu erörtern. Die Kommission wird noch im ersten Halbjahr dieses Jahres ihre Ergebnisse präsentieren. Das ist bedeutsam und wichtig, weil es Vertrauen in die neue Technologie des automatisierten Fahrens schaffen kann. Wir bieten übrigens auch Leitplanken für die Hersteller und für die Programmierer, indem wir klare Vorgaben machen, innerhalb derer Automobile mit entsprechender Funktionalität für den Bereich des automatisierten Fahrens angewandt werden können. Jetzt kommt der nächste große Schritt. Wir machen nun den Weg frei für die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für das automatisierte Fahren und schaffen mit der heutigen Entscheidung das modernste Straßenverkehrsrecht der Welt. Wir stellen damit den menschlichen Fahrer und den Computer als Fahrer rechtlich gleich. Das ist ein großes Highlight. Wir sind das erste Land der Welt, das diesen Schritt jetzt geht. Deswegen wird intensiv beobachtet, was dieses Gesetz leistet. Im Klartext steht im Gesetzentwurf: Der Computer kann in Zukunft ans Steuer. Der Fahrer kann sich in dieser Zeit abwenden, kann im Netz surfen, kann E-Mails checken, kann Filme streamen. Vieles ist an neuer Zeitgestaltung möglich. Die Haftungsfragen sind in unserem Gesetzentwurf ebenfalls geklärt: Wenn das Fahrzeug im automatisierten Modus gesteuert wird, dann ist klar, dass die Haftung beim Hersteller liegt und nicht beim Menschen, der im Fahrzeug sitzt. Meine Damen und Herren, das sind ganz wesentliche Entscheidungen, die wir damit treffen. Wir sorgen auch für die Sicherheit im Fahrzeug, indem wir vorsehen, dass eine Blackbox die Überprüfung der Fahrfunktionen ermöglicht, sodass man feststellen kann, wer dieses Fahrzeug gesteuert hat, der Computer oder ein menschlicher Fahrer. (Andreas Rimkus [SPD]: Das ist richtig!) Wir wollen durch das Gesetz die Voraussetzungen schaffen, dass automatisiertes Fahren möglich wird, das heißt, wir wollen mehr Mobilität schaffen. Das soll nicht nur bei denjenigen, die eine besondere Affinität zum Auto haben, zur Freude führen, sondern wird grundlegend die Mobilität in unserem Land verändern: Automatisierte Fahrsysteme können auch Menschen im hohen Alter individuelle Mobilität ermöglichen. Sie verschaffen mehr Zeit, weil man im Fahrzeug in der Lage ist, sich anderen Dingen zuzuwenden. Es wird erheblich weniger Unfälle geben; 90 Prozent der Unfälle werden heute auf menschliches Fehlverhalten zurückgeführt. Es wird durch automatisiertes Fahren natürlich deutlich weniger Stau, weniger Parkplatzsuche und weniger Umweltbelastungen geben. Wir wollen bei dieser technologischen Revolution an der Spitze stehen. Warum ist das so bedeutsam? Wir sind das Autoland Nummer eins. Für uns steht in der Tat viel auf dem Spiel, wenn man dem Grundsatz anhängt, dass der Wohlstand von heute ohne das Auto nicht denkbar wäre und der Wohlstand von morgen ohne das Auto nicht möglich sein wird. Das heißt, wir wollen unsere Kernkompetenz natürlich auch beim digitalen Automobil erhalten, wollen uns dieser Herausforderung stellen. Deshalb sorgen wir dafür, dass in Zukunft Wertschöpfung nicht nur aus der Karosserie, aus dem Motor möglich ist und dass in Zukunft Wertschöpfung, die aus der Software, aus den Daten, aus den Algorithmen kommt, nicht irgendwo auf der Welt stattfindet, sondern in Deutschland, in Europa. Deswegen müssen wir an der Spitze bleiben, wenn es darum geht, das beste Auto zu entwickeln, nicht nur im Bereich des Maschinenbaus, sondern vor allem, wenn es darum geht, das Betriebssystem für das moderne Auto zu entwickeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Die SPD ist auch begeistert!) Diesen Wettbewerb müssen wir erfolgreich angehen und müssen all denjenigen auf der Welt, die sich, sei es in Asien oder in Amerika, mit diesen Zukunftstechnologien auseinandersetzen, auf Augenhöhe begegnen. Das erfordert natürlich eine positive Einstellung zu neuen Technologien, zur Digitalisierung, zum automatisierten Fahren. Ich habe die Kritik, die es in den vergangenen Tagen gegeben hat, natürlich sehr wohl wahrgenommen. Lieber Herr Kühn, Sie haben Ihre Vorwürfe deutlich formuliert. Sie haben einerseits in der ersten Lesung zu diesem Gesetz gesagt, dass wir beim automatisierten Fahren keine gesetzgeberischen Schnellschüsse brauchen. Sie haben andererseits im September 2016, als wir hier über das Wiener Übereinkommen beraten haben, die Bundesregierung aufgefordert, schnellstmöglich ein Gesetz zum automatisierten Fahren zu erlassen. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie wollen, dass wir bei neuen Technologien Spitzenreiter sind und wir dadurch Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand schaffen, oder ob Sie wollen, dass wir zu den Skeptikern gehören, die abwarten, dass andere etwas entwickeln, das sie uns dann verkaufen und für das wir zahlen können. So können wir aber keine Wertschöpfung schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede haben wir schon einmal gehört, oder?) Beides geht nicht. Sie haben an dieser Stelle möglicherweise den Überblick verloren. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe schon fast gedacht, Sie vergessen uns! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der schlechteste Minister dieser Bundesregierung!) So wie Sie sich wieder aufregen, befinden Sie sich in der Tradition Ihres Kollegen Michael Cramer aus dem Europaparlament. Er hat öffentlich gesagt: Das Auto ist der Irrsinn des Jahrhunderts. – Sie stehen dem offensichtlich nahe. Ich sage: Das Gegenteil ist der Fall. Das Auto bietet Mobilitätschancen für eine digitale Gesellschaft. Wir wollen es deswegen mit dem automatisierten Fahren stärken. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Herbert Behrens. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verkehrsminister hat noch einmal deutlich gemacht, worum es hier eigentlich geht: Es geht nicht darum, eine moderne Mobilität, eine moderne Verkehrspolitik auf den Weg zu bringen, sondern es geht darum, ein neues Geschäftsfeld für die Automobilindustrie in Deutschland zu entwickeln. Das passt nun wirklich nicht zusammen. Denn wir müssen darüber nachdenken, wie wir ein sicheres Verkehrssystem schaffen, und zwar für die Leute, die hinter dem Lenkrad sitzen oder künftig sozusagen nicht mehr hinter dem Lenkrad sitzen sollen, und für die, die sich auf der Straße bewegen. Sicherheit ist doch das oberste Ziel, das wir in der Verkehrspolitik anstreben müssen. Dazu steht in diesem Gesetzentwurf überhaupt nichts. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Im Gegenteil: Hier wird suggeriert, dass wir diesen Schritt nur zwangsläufig machen, um die neuen Technologien, die es in den Autos gibt, in der Gesetzgebung nachzuvollziehen. Ich habe den Eindruck, dass die Autofahrerinnen und Autofahrer hier zu Versuchskaninchen gemacht werden und Folgendes herausfinden sollen: Was geht im Straßenverkehr mit dem Auto? Wann muss der Autofahrer übernehmen? Wann schaltet sich die Technik aus? Dann wird festgestellt, ob es funktioniert oder nicht funktioniert. Das ist keine vorausschauende Politik, wie wir sie machen müssen. Wir müssen uns das Ganze grundsätzlich anschauen, dann entscheiden, was wir wollen, und dann ein Gesetz auf den Weg bringen, das Rechtssicherheit schafft. Sie haben das Ganze von den Füßen auf den Kopf gestellt, und das geht bei diesem Thema überhaupt nicht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben die scharfe Kritik des Bundesrats zwar offenkundig wahrgenommen, aber nicht ernst genommen. In der Stellungnahme des Bundesrates steht beispielsweise, dass die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher weitgehend unberücksichtigt bleiben. Dort steht auch, dass klare Regelungen fehlen, die verlässliche Bedingungen schaffen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat festgestellt, dass es aus verbraucherschutzrechtlicher Sicht hoch riskant ist, was Sie bei der Haftung geregelt haben. Es wird immer wieder darauf hingewiesen: Der Fahrzeughalter, der Fahrzeugführer muss doch wissen, wofür er haftet. – Das kann nicht erst dann geklärt werden, wenn ein Unfall geschehen ist. Das muss von vornherein klar sein, und das ist es eben nicht. Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hat deutlich darauf hingewiesen und versucht, zu erreichen, dass die Regelungen präzisiert werden. Wenn es denn bei diesem Gesetzentwurf bleibt, dann sollte man doch zumindest eine Regelung einführen, die besagt, dass der Fahrzeugführer bzw. der Fahrzeughalter festlegt, was gespeichert wird und was nicht, dass Daten, die erfasst werden, nur dann genutzt werden dürfen, wenn ein Auto in einen Unfall mit Personen- oder Sachschaden verwickelt worden ist. Erst dann ist es doch erforderlich, festzustellen, wer das Auto zu dem Zeitpunkt geführt hat, ob es der Computer oder der Autofahrer, die Autofahrerin gewesen ist. Dieses Problem wird zwar wahrgenommen, aber nicht ernst genommen. Das ist angesichts dieses wichtigen Themas, das hier auf der Tagesordnung steht, viel zu wenig. Darum ist dieses Gesetz überhaupt nicht zukunftstauglich. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben versucht, die Bedenken und die Hinweise der Datenschutzbeauftragten im Gesetzentwurf unterzubringen. Darum haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt, in dem wir ganz klar das übernehmen, was die Datenschutzbeauftragte gesagt hat. Damit präzisieren wir: Wann ist der Halter verantwortlich? Wann ist der Fahrer verantwortlich? Wann ist der Computer verantwortlich? Wir haben weiterhin gesagt, dass Daten nur erhoben und gespeichert werden dürfen, wenn es wirklich um die Aufklärung eines Unfalls geht – nicht darüber hinaus. Es gibt einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, der aufgenommen worden ist. Darin heißt es zwar: „Die Speicherzeit der Daten von drei Jahren ist nicht sinnvoll, wir reduzieren sie daher auf sechs Monate“, aber all diese Daten werden erhoben, über ein Navigationssystem abgesaugt und an anderer Stelle gespeichert, ohne dass die Fahrerin oder der Fahrer genau weiß, was dort über ihn und seine Fahrweise gesammelt worden ist. Diese Art der Gesetzgebung in diesem wichtigen Feld, auf dem es wirklich um zukunftsweisende Fragen geht, können wir so nicht akzeptieren. Da können wir nicht mitmachen. Die Ethikkommission – Sie haben es gesagt – ist von Ihnen eingesetzt worden, und sie hat ihre Arbeit aufgenommen. Aber an den Ergebnissen sind Sie offenbar nicht interessiert. Im Juni erst wird diese Kommission ihre Arbeit beenden und wird Handlungsempfehlungen geben; das hoffe ich zumindest. Diese hätten doch abgewartet werden müssen, um festzustellen: An welchen Stellen besteht eigentlich Regelungsbedarf? Was haben wir möglicherweise bei der Gesetzgebung nicht gesehen? Insofern bleibt es dabei: Dieser Gesetzentwurf ist zu diesem Zeitpunkt völlig falsch. Damit werden völlig falsche Signale gesendet, weil die grundlegende Frage: „Wer soll künftig auf der Straße das Sagen haben – der Computer oder der Autofahrer?“, vorher geklärt sein muss – nicht erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Verehrte Anwesende! Mit der Geschichte des Automobils ist in eindrucksvoller Weise auch die Geschichte des technischen Fortschritts verbunden. In den über 130 Jahren seit der Erfindung des Benz-Patentmotorwagens hat die Menschheit eine rasante technische Entwicklung erlebt. Viele der technischen Innovationen im Automobilbereich sind mit dem Namen deutscher Automobilherstellender verknüpft. Doch dieser Fortschritt ist anfangs von einigen Menschen noch sehr skeptisch betrachtet worden. Dazu passt der Ausspruch eines ehemaligen deutschen Staatsoberhaupts: Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung. Dieses bekannte Zitat von Kaiser Wilhelm II. ist, nebenbei bemerkt, nicht die einzige große Fehleinschätzung des letzten deutschen Kaisers. Aber lassen Sie uns von der Monarchie zur Demokratie und zu dem Gesetzentwurf zurückkehren, den wir heute verabschieden wollen. Konkret befassen wir uns mit der Einführung eines rechtlichen Rahmens für die Verwendung von hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen. „Hoch- und vollautomatisiert“ – es geht also nicht um das autonome Fahren. (Andreas Rimkus [SPD]: So ist es!) Davon sind wir auf öffentlichen Straßen noch weit entfernt, und eine Prognose zur Serienreife autonomer Fahrzeuge gebe ich hier besser nicht ab. Das eingangs erwähnte Zitat zeigt, dass man in Bezug auf technische Neuerungen oft auch danebenliegen kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Warum benötigen wir diese Gesetzesänderung? Die Systeme erhöhen die Verkehrssicherheit maßgeblich, und hierbei gibt es noch sehr viel zu tun, um unsere Vision Zero, also unser Ziel, dass es keine Verkehrstoten mehr geben soll, einzuhalten. Trotz abnehmender Tendenz starben im vergangenen Jahr über 3 200 Menschen auf Deutschlands Straßen. Mit hoch- und vollautomatisierten Fahrzeugen können viele dieser Unfälle mit Todesopfern und Schwerverletzten vermieden werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Erhöhung des Fahrkomforts ist sicherlich auch im Sinne der Verbrauchenden. Wer freut sich nicht darüber, wenn er zum Beispiel die komplette Fahrzeugsteuerung auf einer monotonen Autobahnfahrt an das Auto übergeben kann? Weitere Vorteile sind die bessere Auslastung bestehender Verkehrsinfrastrukturen und die Einsparung von CO2-Emissionen. Auch wenn viele Kollegen es nicht wahrhaben wollen: Die Technik fährt nun mal sicherer und sauberer als der Mensch – auch als der Mann. (Heiterkeit bei Abgeordneten aller Fraktionen – Zuruf von der CDU/CSU: Was? – Gustav Herzog [SPD]: Frau Kollegin, ich muss doch bitten!) Allerdings haben wir den vom Ministerium vorgelegten Entwurf in einigen Aspekten verändert. Wir haben die berechtigte Kritik vom Bundesrat, von den Sachverständigen in der Anhörung des Verkehrsausschusses und auch von den Verbänden ernst genommen. Damit haben wir Klarheit und Rechtssicherheit für die Verbrauchenden hergestellt. Denn eines muss aus Sicht der SPD klar sein: Der Fahrende darf nicht das Versuchskaninchen für die neue Technik sein, Rechte und Pflichten müssen klar definiert sein. Das haben wir mit diesem Änderungsantrag getan. Wir haben den Gesetzentwurf in drei wesentlichen Bereichen optimiert: Erstens haben wir klare und verbindliche Vorgaben für die Fahrzeugherstellenden gemacht. Zweitens haben wir die Rechte von Fahrzeugführenden deutlich klargestellt. Drittens haben wir eine Konkretisierung vorgenommen, um zu einem guten Datenschutz zu kommen. Was heißt das? Das Fahrzeug muss den Fahrenden technisch sofort darauf hinweisen, wenn er das System regelwidrig benutzt. Außerdem müssen die Herstellenden verbindlich erklären, dass ihre Fahrzeuge den jeweiligen Bestimmungen entsprechen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind die ja gut drin! Das haben wir ja gelernt!) Und: Das Fahrzeug muss dem Fahrenden die Rückübernahme der Steuerung mit ausreichender Zeitreserve anzeigen. Ja, über die Formulierung „mit ausreichender Zeitreserve“ haben wir lange diskutiert. Alle Sachverständigen haben uns erklärt: Es ist nicht sinnvoll, eine feste Sekundenzahl in das Gesetz zu schreiben, weil die Frage „Ausreichend oder nicht?“ von der jeweiligen Situation und auch von der automatisierten Fahrfunktion abhängt. Wir haben auch im Bereich des Datenschutzes vielfältige Verbesserungen eingearbeitet. Zu nennen sind die deutlich verkürzten Speicherfristen und die Reduzierung des Umfangs der gespeicherten Daten auf das Nötigste. Denn, liebe Kollegen und Kolleginnen, wichtig bei einem Unfall, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Straftat ist doch allein die Frage: Wer hat das Fahrzeug gefahren, Mensch oder Maschine? (Gustav Herzog [SPD]: Genau! Sehr richtig!) Nur diese beiden Daten werden gespeichert, weil nur sie erforderlich sind. Wir gehen nicht darüber hinaus, und das ist gut und richtig. (Beifall bei der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Herr Kollege Behrens, hören Sie genau zu!) Abschließend weise ich darauf hin, dass wir uns im Bereich der Gesundheit und in vielen anderen Bereichen, beispielsweise im Flugzeug oder im Operationssaal, bereits heute komplexer Technik anvertrauen. Wichtig ist aber, dass diese Techniken ausgereift sind und den Vorgaben des Gesetzgebers entsprechen. Dafür haben wir in Bezug auf hoch- und vollautomatisiertes Fahren mit dieser Gesetzesänderung gesorgt. Deutschland ist damit das erste Land, das hierfür einen rechtlichen Rahmen schafft: für die Fahrzeugherstellenden, für unsere Wirtschaft und auch für die Menschen, die von dieser Technik profitieren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächster spricht der Kollege Stephan Kühn für Bündnis 90/Die Grünen. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dobrindt, Ihre Angriffe auf uns sind ja mittlerweile sehr erwartbar. Auch sie scheinen schon im vollautomatisierten Modus abzulaufen. (Heiterkeit des Abg. Sören Bartol [SPD]) Ich finde, Sie sollten den Modus ab und zu einmal wechseln; denn sonst schlafen wir ein, was man weder hier noch am Steuer tun sollte. Wir brauchen ja auch hier eine gewisse Grundaufmerksamkeit. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, dieses Gesetz verdient angesichts der Tragweite, die es hat, in erster Linie Sorgfalt. Sie von den Regierungsfraktionen haben den Gesetzentwurf zwar nachgebessert – in der Tat –, aber viele Fragen bleiben offen, und Kernprobleme sind weiter nicht gelöst. Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden Sie mit diesem Gesetz nicht vom hoch- und vollautomatisierten Fahren überzeugen. Der Automobilindustrie tun Sie mit Sicherheit auch keinen Gefallen, wenn die Hersteller dann auf ihren Produkten sitzen bleiben. Ohne eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, was wir Maschinen überlassen wollen, wird Deutschland nicht zum Leitmarkt für hochautomatisiertes oder vollautomatisiertes Fahren oder später vielleicht zum Leitmarkt für autonomes Fahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Dobrindt, mir fehlt, ehrlich gesagt, jegliches Verständnis dafür, dass man als Verkehrsminister zu den ethischen Fragen des automatisierten Fahrens zwar eine Kommission einrichtet, deren Ergebnisse man aber nicht abwartet, sondern bereits vorher Gesetzentwürfe beschließt. Die Ethikkommission will ihren Abschlussbericht im Juni dieses Jahres vorlegen. Das hätte man abwarten müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) So geht man doch nicht mit einem hochrangig besetzten Gremium um. So schafft man übrigens auch keine Akzeptanz für neue Technologien. Wenn es bei Ihrem Gesetz wirklich nicht nur um die Interessen der Automobilhersteller geht, sondern auch das Ziel verfolgt wird, automatisiertes Fahren für die Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiv zu machen, sollten Sie von den Koalitionsfraktionen dieses Gesetz so nicht beschließen. Es reicht nicht, nur in der Begründung zum Gesetzestext zu formulieren, was der Fahrer bedenkenlos tun darf, während der Computer das Auto lenkt. Gesetzesbegründungen binden die Richter nicht. So schaffen Sie keine Rechtssicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Das muss schon ins Gesetz selber hineingeschrieben werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Dobrindt, Sie haben bei der Einbringung des Gesetzentwurfes und auch heute hier großspurig die Gleichstellung von Mensch und Computer angekündigt. Warum gilt dann weiter: „Das Auto lenkt, der Fahrer haftet?“ Wenn die technischen Systeme das Fahrzeug führen, dann muss die Haftung auch auf die Hersteller übertragen werden. (Kirsten Lühmann [SPD]: Richtig! Das ist so!) Automatisiertes Fahren soll die Verkehrssicherheit erhöhen und Schäden reduzieren. Die Haftungshöchstgrenze bei Unfällen wird aber von derzeit 5 Millionen Euro auf 10 Millionen Euro angehoben. Wer zahlt das denn? Das zahlen die Verbraucherinnen und Verbraucher, und zwar über höhere Haftpflichtbeiträge. Nach den Beratungen in den Ausschüssen sind weitere wichtige Fragen offengeblieben. Der Gesetzentwurf verlangt von den Fahrzeugführern, die technischen Systeme jederzeit manuell übersteuern und deaktivieren zu können. Ist die Möglichkeit der Übersteuerung und Deaktivierung durch den Fahrer überhaupt in jedem Fall sinnvoll? Eine Systemübernahme in kritischen Verkehrssituationen könnte den Fahrer wohl eher überfordern. Was muss das Auto eigentlich tun, wenn der Fahrzeugführer die Kontrolle doch nicht so schnell wie erforderlich übernehmen kann? Muss der Computer den Warnblinker anschalten und sofort rechts ranfahren und anhalten? Regelungen, wie das Auto in kritischen Situationen in einen risikominimierten Zustand versetzt wird, fehlen in diesem Gesetzentwurf. Die vorgenommenen Konkretisierungen zum Datenschutz täuschen darüber hinweg, dass auch weiterhin viel zu viele Daten zu lange, nämlich mindestens sechs Monate, gespeichert werden. Ich habe bisher keine Begründung gehört, warum das erforderlich sein soll. Ein Unding ist auch, dass viele wichtige Regelungen zur Speicherung der Daten und zum Schutz der Daten vor Hackern und Manipulationsversuchen erst später in einer Verordnung getroffen werden sollen. Diese Regelungen brauchen wir jetzt. Auch sie sind entscheidend für das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine neutrale Stelle, die bei der Datenweitergabe zwischengeschaltet wird, ein sogenanntes Trust-Center, wie vom Bundesverband der Verbraucherzentralen vorgeschlagen, könnte den Datenschutz stärken und dafür sorgen, dass die Daten rechtmäßig übertragen werden. Aber auch davon liest man im Gesetzentwurf nichts. Immerhin enthält der Gesetzentwurf einen Passus, nach dem mit dem Ablauf des Jahres 2019 eine wissenschaftliche Evaluierung vorgenommen wird. Somit besteht zumindest die Chance, in der nächsten Legislaturperiode die handwerklichen Fehler in diesem Gesetz zu beseitigen und das automatisierte Fahren dann tatsächlich zum Erfolg zu führen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Steffen Bilger. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Steffen Bilger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von der reinen Quantität her ist das sicherlich ein recht schlanker Gesetzentwurf, über den wir heute abschließend debattieren. Auf dem Papier handelt es sich ja nur um einige wenige Änderungen im Straßenverkehrsgesetz. Die Tragweite dieser Änderungen, die wir heute auf den Weg bringen werden, ist dafür umso größer. Wir stellen Mensch und Computer beim Autofahren rechtlich gleich. Damit wird sich auch die Zukunft des Automobils nachhaltig verändern. Innovationen und der technische Fortschritt im Automobilbereich sind schon lange ein wichtiger Garant für den Wohlstand unseres Landes. Wenn wir die Automobilindustrie auch in Zukunft stark halten wollen, dann muss es uns auch immer um die Arbeitsplätze gehen, die damit verbunden sind. In Zukunft werden diese Innovationen wichtiger denn je. Daher stellen wir mit dem Gesetzentwurf auch eine entscheidende Weiche für die Zukunft unseres Automobilstandortes. Ich glaube, wir können sagen: Auf dem Gebiet des automatisierten Fahrens ist Deutschland bereits jetzt Vorreiter. Diese Erfolgsgeschichte wollen wir weiter fortsetzen. Das Autoland Deutschland muss auch beim automatisierten Fahren weltweit an der Spitze stehen. Die Automobilität wird schon in einigen Jahren nicht mehr so sein, wie wir sie heute kennen. Der Computer wird immer öfter die Fahraufgabe übernehmen. Für die heute geborene Generation werden selbststeuernde Autos eine Selbstverständlichkeit sein. Die Zahl der Verkehrsunfälle wird durch diese Technologie enorm zurückgehen, aber bis zum vollständigen autonomen Fahren ist es – das wurde vorhin schon gesagt – zweifelsohne noch ein sehr weiter Weg. Mit diesem Gesetzentwurf schaffen wir jetzt aber frühzeitig die Grundlagen, um diesen Weg konsequent weiterzuverfolgen. Solch große Veränderungen werfen natürlich viele Fragen auf. Die dringend erforderlichen rechtlichen Antworten wurden in diesem Gesetzentwurf auf breiter Ebene diskutiert und abgestimmt. In den letzten Wochen haben wir im Ausschuss diskutiert und uns mit unserem Koalitionspartner intensiv ausgetauscht, um die letzten strittigen Punkte zu klären. Ich denke, uns liegt ein wirklich hervorragender Gesetzentwurf vor, der auch an den Verbraucher- und Datenschutz hohe Ansprüche stellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte nun nicht noch einmal auf alle Inhalte des Gesetzentwurfes eingehen, aber schon den Kern der Regelung herausstellen: Der Gesetzentwurf sieht ausdrücklich vor, dass sich der Fahrer vom Verkehrsgeschehen abwenden kann, wenn das System die Kontrolle über das Fahrzeug übernommen hat. Mit der Aktivierung von hoch- und vollautomatisierten Fahrsystemen kann die Zeit im Auto wirklich für viele sinnvolle Dinge genutzt werden. Wir schaffen also zusätzliche Vorteile für den Autofahrer. Der Fahrzeugführer muss aber wahrnehmungsbereit sein, sodass er jederzeit in der Lage ist, die Fahrzeugsteuerung wieder zu übernehmen, wenn er dazu aufgefordert wird. Es ist wichtig, zu betonen: Hier geht es um das hoch- und vollautomatisierte Fahren, nicht um das autonome Fahren. (Andreas Rimkus [SPD]: So ist es!) Auch bei offensichtlichen Umständen, wie zum Beispiel einem geplatzten Reifen, muss der Fahrer aktiv werden. Ich denke, wir regeln damit, rechtlich vernünftig, das schwierige Zusammenspiel zwischen menschlichem Fahrer und Computer. Das ist so bislang weltweit einmalig. Dabei trägt der Gesetzentwurf auch dafür Sorge, dass für Fahrer und Halter keine neuen Risiken in der Haftung entstehen können. Zur Klärung von Haftungsansprüchen ist es zwingend erforderlich, dass aufgezeichnet wird, ob bei Unfällen oder Schadensereignissen der Computer oder der Mensch die Fahraufgabe innehatte. Ich glaube, das ist im Interesse aller Beteiligten: der Fahrzeughalter, der Fahrzeugführer, möglicher Unfallbeteiligter und natürlich auch der Hersteller. So schaffen wir klare Regelungen in Bezug auf die Haftungsfrage. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Natürlich müssen wir mit den anfallenden Daten sehr sensibel umgehen. Daher verbleiben die Daten, die das Fahrzeug aufzeichnen muss, in einem Datenspeicher, einer Art Blackbox im Auto. Eine Übermittlung ist nur zulässig, wenn sie für die Aufklärung von Unfällen, Schadensereignissen oder Verkehrsverstößen notwendig ist, und wird auch dann auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt. Hoch- und vollautomatisierte Fahrsysteme sind bislang noch nicht auf dem Markt, werden aber bereits in wenigen Jahren verfügbar sein. Wir stellen mit dem Gesetzentwurf sicher, dass die Industrie ihrer Verantwortung nachkommen kann, ausgereifte und sichere Systeme auf den Markt zu bringen, die auch mit denkbar schwierigen Situationen im Verkehrsgeschehen zurechtkommen. Zudem haben wir uns im parlamentarischen Verfahren darauf verständigt, dass die Systeme erkennen müssen, wenn diese nicht bestimmungsgemäß verwendet werden. Nun liegt der Ball bei der Industrie. Sie muss entsprechende Systeme zur Marktreife bringen. Dazu erhalten die Hersteller mit diesen Regelungen die notwendige Sicherheit und Verlässlichkeit. Meine Damen und Herren, das automatisierte Fahren ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg in eine intelligente, vernetzte und nachhaltige Mobilität von morgen. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf, mit dem wir Deutschland als Land der Innovation weiter nach vorne bringen und Mobilität für den Einzelnen angenehmer, effizienter und sicherer machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächster Redner ist der Kollege Andreas Rimkus für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Andreas Rimkus (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörende auf den Rängen! Liebe autonom Fahrende! Liebe automatisiert Fahrende! Das geht ja manchmal kreuz und quer, aber dazu werde ich gleich etwas sagen. Ich glaube, Aufklärung tut not, auch bei der Frage der Grundaufmerksamkeit, liebe Kollegen. Wenn wir an utopische Konzepte zur Mobilität denken, sozusagen an Zukunftsvisionen, wie wir sie zum Beispiel in Filmen, in der Forschung, aber auch in der Kunst gezeigt bekommen, ist das autonome Fahren davon offenbar immer ein Bestandteil. Mal am Boden, mal ein wenig schwebend, oftmals auch hoch in der Luft – die Vorstellungen von einer Zukunft, in der der Verkehr so gestaltet ist, sind vielfältig, aber scheinen oft noch sehr abstrakt. Mit dem vorliegenden Gesetz machen wir schon sehr konkret deutlich, was unsere mittelfristige Vision zur Einbindung dieser Technologien in unser Verkehrssystem ist. Daher wollen wir hier ausdrücklich nicht das autonome Fahren, sondern ganz gezielt das hoch- und vollautomatisierte Fahren regeln – natürlich aber immer in dem Bewusstsein, eines Tages eben nicht mehr Fahrender, sondern tatsächlich Passagier in einem autonom fahrenden Fahrzeug zu sein. Insofern ist diese Unterscheidung ganz sinnvoll und notwendig. Das geht oftmals durcheinander. Ich habe gerade noch einmal nachgeschaut: Es gibt eine Ethikkommission zum automatisierten Fahren. Dieser Name stimmt tatsächlich. Man muss aber sehen, dass Di Fabio natürlich auch vom autonomen Fahren spricht. Das ist vollkommen richtig; denn auf diesem Gebiet sind die ethischen Fragen zu stellen. Deswegen ist es vollkommen korrekt, wenn wir schon heute die Grundlagen dafür schaffen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich denke, dass das mehrere Kolleginnen und Kollegen verstanden haben, Herr Minister. Ich bin aber vielleicht der Erste, der es ausspricht. Das ist ja in Ordnung. Mit diesem Gesetz schaffen wir als erster Staat weltweit einen Rechtsrahmen, um auf der einen Seite Innovationen auf unseren Straßen zu ermöglichen, auf der anderen Seite aber Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen. Insbesondere mit unserem Änderungsantrag, den wir eingebracht haben, schlagen wir sehr deutliche Verbesserungen vor. Diese sind notwendig, weil der Gesetzentwurf in seiner Ursprungsfassung aus Sicht des Parlamentes, aber auch aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger sowie der Fachleute leider nicht ausreichend war. Er war eine gute Grundlage, aber nicht ausreichend. So haben wir beispielsweise im Bereich des Datenschutzes klargestellt, welche Daten wem zu welchem Zweck zur Verfügung gestellt werden. Auch haben wir klargestellt, wer diese übermittelt und welche Speicherfristen es gibt. Daten sind ja kein Spielzeug. Sie handeln nämlich immer von uns, von realen Menschen, und davon, wie wir leben bzw. was wir tun oder auch nicht tun. Dem Rechnung zu tragen, sollte Grundlage politischer Entscheidungen sein. Diesem Grundsatz haben wir, wie ich finde, mit unseren Änderungen zum Umgang mit den erfassten Daten vollumfänglich entsprochen. (Beifall bei der SPD) So soll unter anderem die Übermittlung von Daten explizit von der Halterin bzw. vom Halter veranlasst werden. Nur er oder sie kann das tun. Zum Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern haben wir ebenfalls die Beteiligung der Datenschutzbeauftragten bei der Erstellung kommender Verordnungen und Festlegungen im Hinblick auf Speichermedien und Kriterien zur Datensicherheit festgeschrieben. Ebenfalls zum Schutz der Nutzenden werden Hersteller nun dazu verpflichtet, Fahrsysteme zu entwickeln, die technisch so ausgelegt sind, dass eine missbräuchliche Verwendung – beispielsweise durch Geofencing – nicht möglich ist oder dass das System die fahrende Person darauf hinweist, dass sie die Technik nicht vorschriftsmäßig nutzt. Ich will nämlich zukünftig keine Videos mehr im Internet sehen, wo Fahrende auf den Rücksitz krabbeln oder irgendeinen anderen Unfug machen. Vielmehr sollen sie das tun, was sie tun dürfen wie das Nutzen von Entertainmentsystemen und Ähnlichem. Denn solange wir noch nicht mit autonomen Fahrzeugen unterwegs sind, sind wir immer noch Fahrzeugführerinnen bzw. Fahrzeugführer. Wir müssen natürlich im Fall der Überforderung dieser technischen Systeme auch einschreiten können. Deshalb ist es für die fahrende Person von herausragender Bedeutung, zu wissen, was das Fahrzeug kann und was es nicht kann. Darum sollten Hersteller in der Systembeschreibung darauf hinweisen, was es mit der sogenannten „bestimmungsgemäßen Verwendung“ des Fahrzeugs auf sich hat. Das sollte genau beschrieben werden. Es muss für Nutzende möglich sein, transparent und verständlich nachzuvollziehen, wo die Grenzen der Technik liegen. Das war und ist uns wichtig. Ganz besonders freue ich mich, dass wir eine deutlich klarere Formulierung zur Haftung gefunden haben. Durch die Konkretisierung wird deutlich, dass sich die Fahrerin bzw. der Fahrer abwenden darf. Die Hände dürfen vom Lenkrad genommen werden. Der Blick darf von der Straße abgewendet werden. E-Mails dürfen beantwortet werden. Und es dürfen Infotainmentsysteme benutzt werden. Dabei muss die fahrende Person aber grundsätzlich immer wahrnehmungsbereit bleiben. Ich glaube, dass wir mit dieser Klarstellung ein wichtiges Problem gut gelöst haben und hier für mehr Klarheit sorgen konnten. Diese Klarheit wird nicht nur meinem Kollegen Arno Klare gefallen, sondern – da bin ich sicher – dem gesamten Hause. Wie ich ja bereits in meiner Rede zur ersten Lesung gefordert habe, ist eine Ausweitung der Evaluierung auf die gesamte Gesetzesänderung von herausragender Bedeutung. Wir können heute auf viele Fragen noch keine Antwort geben. Deshalb ist es wichtig, neue Technologien immer wieder zu überprüfen. Von daher ist es also gut, dass wir die Evaluation aufgenommen haben. Den Bedenken des Bundesrates konnten wir, glaube ich, gut Rechnung tragen. Dabei ging es – das war wichtig – um Anpassungen beim Datenschutz sowie um Haftung und Verbraucherschutz. Sie sind im Änderungsantrag auf gute Weise berücksichtigt worden. Wir haben im parlamentarischen Verfahren jetzt fundamentale Änderungen vorgenommen. Dazu haben wir uns bewusst entschlossen. Was wir gemacht haben, ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher mit Blick auf den Datenschutz von eminenter Wichtigkeit. Der Entwurf der Bundesregierung ist damit verbessert worden. Gerade das Parlament ist somit seiner Aufgabe, die Nutzenden auch vor Technologien zu schützen, nachgekommen. Der Anspruch ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Innovationen fördern, aber auch die Menschen vor zu starken Eingriffen schützen und ihnen Orientierung geben. Ich finde, das ist gelungen. Ich bedanke mich von dieser Stelle aus für die konstruktive Zusammenarbeit mit der AG, mit den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, vor allen Dingen aber auch mit denjenigen, die uns gute Ratschläge gegeben haben. Ich glaube, es hat sich gelohnt. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als letzter Redner in dieser Debatte spricht der Kollege Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ulrich Lange (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute weder über das Roboterauto noch über, wie ein privater Nachrichtensender berichtet, ein Gesetz zum autonomen Fahren; es geht vielmehr um das automatisierte Fahren. Es ist schon ein paarmal angesprochen worden, dass immer wieder Dinge durcheinandergehen bzw. dem einen oder anderen nicht klar ist, worüber wir reden. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das kann bei Gesetzen sehr gefährlich sein!) Wir reden darüber, dass der Fahrer jederzeit wieder eingreifen können muss. Wir reden noch nicht über die übernächste Stufe: vom Fahrer zum Passagier. Wir reden aber beim automatisierten Fahren über das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine, und wir meinen, dass das in diesem Gesetzentwurf gut austariert ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ja, wir können es: Wir können technisch innovativ sein. Die deutsche Industrie nimmt eine Vorreiterstellung bei der Anmeldung von Patenten zum autonomen und automatisierten Fahren ein. Ja, wir können auch beim Rechtsrahmen innovativ sein. Man traut es Juristen gar nicht zu, lieber Bundesminister, dass auch ein Rechtsrahmen innovativ sein kann, statt nur zu verhindern. Ja, wir brauchen uns vor dem Silicon Valley und den Techniken dort nicht zu verstecken. Wir haben keine Innovationsskepsis, und wir warten auch nicht verzagt ab, was in der EU oder international geregelt wird. Nein, wir können mutig voranschreiten, lieber Bundesminister. Dieser Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, ist ein Leuchtturm. Wir haben damit einen Meilenstein geschaffen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir befinden uns in einem technisch hochinnovativen Umfeld. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es fehlt noch der Begriff „Hochlauf“!) Deswegen werden wir, wie schon angesprochen, dieses Gesetz auch immer wieder anpassen. Technik und Gesetz werden in einem, wie ich meine, interessanten Wechselspiel weiterentwickelt. Insofern, lieber Kollege Kühn, ist die Generalkritik wirklich nicht angebracht. Ich verweise nur auf § 1 der Straßenverkehrsordnung, der übrigens für Fahrrad und Droschke genauso gilt wie für das automatisierte Fahren: Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Genau diesem Grundsatz folgt auch dieser Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie können also ganz beruhigt zustimmen. Wir haben bei den Pflichten der Automobilhersteller parlamentarisch nachgeschärft. Wir haben bei den Regelungen zur Rücknahme nachgeschärft. Wir haben beim Datenschutz nachgeschärft. Ich denke, wir haben nach intensiver Diskussion insgesamt einen innovativen Gesetzentwurf geschaffen. Die Änderungen erhöhen die Rechtssicherheit für den Fahrer weiter und schaffen gleichzeitig Klarheit für die Entwickler. Das bedeutet zusammengefasst innovative Technik in einem innovativen Rechtsrahmen mit den richtigen Leitplanken. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es fehlt noch der Hochlauf!) Der heute zur Abstimmung vorliegende Gesetzentwurf hat den ersten TÜV bestanden und ist straßentauglich. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11776, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/11300 und 18/11534 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11786 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Jetzt kommen wir zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Soziale Durchlässigkeit bei Zugang und Zulassung zu Hochschulen durchsetzen Drucksache 18/11418 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dagegen erhebt sich keiner, sondern es herrscht allgemeine Zustimmung. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Linke unterbreitet mit diesem Antrag Vorschläge, wie Nachwuchssorgen zu lösen sein könnten. Ich meine damit nicht die Geburtenzahlen. Zuerst einige wichtige Fragen: Wie bekommt unser Nachwuchs den gewünschten Studienplatz und einen Job, und das möglichst ohne Vitamin B und unabhängig vom Geldbeutel der Eltern? Wie finden Firmen geeigneten Nachwuchs für ausscheidende Akademikerinnen und Akademiker? Wieso stellen dieselben Firmen eigentlich keine Bachelorabsolventen ein? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!) Wozu sind die entnervenden Warteschleifen vor dem Studium gut? Warum gibt es zu viele taxifahrende Germanistikabsolventen und zu wenige Mathelehrerinnen an unseren Schulen? Wieso werden Ärztinnen und Ärzte in Deutschland gesucht, und wieso dürfen trotzdem wegen des Numerus clausus, der Studienplatzbegrenzung, viele Abiturienten nicht Medizin studieren? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das verstehe, wer will!) Die Linke möchte diese Zustände verändern. (Beifall bei der LINKEN) Wir wollen, dass Hochschulen genügend Geld erhalten, um ausreichend Studienplätze zu schaffen, und dass die Zahlungen des Bundes aus dem Hochschulpakt um 10 Prozent gesteigert werden. (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Mehr Geld für alle!) Wenn die Hochschulen dieses Geld richtig einsetzen würden, brächte das mehr Studienqualität und weniger Abbrüche. Größere Studienkapazitäten würden die Wartezeiten auf den Studienplatz und dann auf Pflichtseminare oder Praktika verkürzen. (Beifall bei der LINKEN) Ein weiterer wichtiger Schritt wäre, dass die Bundesagentur für Arbeit zusammen mit Hochschulen und Studentenwerken in Abiturklassen berät und dass über alle Fragen zum Studium – angefangen bei Organisation, über Studienangebot und Inhalte bis zu Jobchancen nach dem Abschluss – informiert wird. Mancher Studienabbruch, manche schwere Enttäuschung könnte vermieden werden, wenn Jugendliche wüssten, was sie wollen und was sie erwartet. Wir wollen, dass jeder, der die Studienbefähigung hat, spätestens nach einem Wartejahr seine gewünschte Fachrichtung studieren kann. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke hält ewige Warteschleifen für Zeitverschwendung, sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft. Die Wiedereinführung einer gemeinsamen Bund-Länder-Behörde, die stets bundesweit Angebote zu und Nachfragen nach Studienplätzen sowie Angaben zu Bewerbungen veröffentlichen soll, würde die Vermittlung der Studierenden verbessern und es allen Beteiligten leichter machen. (Beifall bei der LINKEN) Wichtig: Der Lebensunterhalt Studierender muss gesichert sein. Niemand bezweifelt doch ernsthaft, dass ein Student, der vier Stunden täglich an der Supermarktkasse sitzt, dass eine Studentin, die von 22 Uhr bis 2 Uhr kellnert, nicht wirklich optimal studieren kann. Wer ewig lange Fahrwege zur Uni hat oder in überfüllten WGs lebt, hat keine Ruhe zum Lernen. Es wäre logisch und lukrativ für das Gesamtsystem, BAföG in ausreichender Höhe zu zahlen und in gutes studentisches Wohnen zu investieren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In meiner ehemaligen Firma, bei Zeiss, gab es kaum Stellenpläne für Bachelorabsolventen nach ihrer dreijährigen Ausbildung. Traditionell waren Arbeitsabläufe auf Diplom-Ingenieure, heute Master, abgestimmt. Umstellungen benötigen Zeit. Auch deshalb fordert die Linke, dass jeder Student und jede Studentin mit Bachelorabschluss nahtlos ein fortführendes Masterstudium und bei Wunsch an derselben Hochschule absolvieren kann. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für die Vereinbarkeit von Studium und Kinderwunsch, für die Pflege von Angehörigen oder auch aus persönlichen Gründen wollen wir Teilzeitstudiengänge ausweiten. Dafür sollen die Hochschulen zusätzliche Mittel vom Bund erhalten. Das Zusammendenken von Familie und Studium ist für die Linke Bestandteil guter Hochschul- und Forschungspolitik und gut für unsere Familien. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damit wir die Familienfreundlichkeit in Deutschland stärken, damit unser Nachwuchs – das meint die Kinder armer und durchschnittlich verdienender Eltern ebenso wie die Kinder reicher Eltern – optimistische Perspektiven durch ein Hochschulstudium erhält, damit genügend qualifizierter Nachwuchs für unser Bildungssystem, für Firmen, Verwaltungen und Sozialeinrichtungen bereitsteht, dafür unterbreiten wir Linken heute diese Vorschläge. Jetzt sind Sie dran – von SPD, von Grünen und von der Union. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Tankred Schipanski. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier – das ist die passende Überschrift zu dieser Debatte. Die Fraktion Die Linke holt hier altbekannte, vom Bundestag mehrmals abgelehnte Anträge aus ihren Archiven, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Macht es doch mal richtig! Dann bräuchten wir es nicht zu machen! Setzt es endlich um!) um ihre Ideologie wieder einmal im Plenum des Parlaments, den Besuchern auf der Tribüne und dem Publikum an den Bildschirmen zu präsentieren. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben es noch nicht aufgegeben, dass Sie etwas lernen! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wir glauben an die Lernfähigkeit – auch bei der Union!) Diesen Antrag, in sprachlich anderem Kleid, haben wir in diesem Hohen Hause bereits am 14. April 2011 sowie am 25. Oktober 2012 umfangreich debattiert und abgelehnt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn wir das beim Mindestlohn nicht gemacht hätten, hätten wir ihn heute immer noch nicht! Ein bisschen mäßigen!) Immerhin will ich Ihnen zugestehen, dass Sie den heutigen Antrag ein bisschen in seiner Struktur geändert haben. Drei große Themenblöcke rufen Sie auf, erstens das Thema Hochschulzulassung, zweitens das Thema Hochschulpakt und drittens das Thema BAföG. Ich möchte mich schwerpunktmäßig mit den Ausführungen zur Problematik der Hochschulzulassung auseinandersetzen, ausgehend, wie Sie das in Ihrem Antrag tun, von verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat einen Grundsatz geprägt, den Sie leider wieder einmal verzerrt, eigentlich rechtsbeugend darstellen. Das Bundesverfassungsgericht sagt ausdrücklich, dass ein sogenannter Numerus clausus und das mit ihm zusammenhängende Verfahren zulässig sind. Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass das Auswahlverfahren jedem Zulassungsberechtigten eine Chance geben muss. Es sagt gerade nicht, dass durch das Verfahren eine Zulassung zum Studium garantiert werden muss. Schon begrifflich schließt die Einräumung von Chancen das Risiko eines Fehlschlages ein. (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Gerne verweise ich auf die Ausführungen in meiner Rede vom 14. April 2011 zu diesem Thema hier im Parlament. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gleichheitssatz des Grundgesetzes und somit auch das Gleichheitsverständnis in der Bundesrepublik sehr entscheidend geprägt. Es geht um Chancengleichheit und nicht um Gleichmacherei. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es geht um Chancengleichheit und nicht um Chancengerechtigkeit! Das ist ein Unterschied!) Gleichmacherei ist ein Ansatz Ihrer linken Ideologie, den Sie in diesen Debatten immer wieder propagieren. Artikel 3 des Grundgesetzes und das Bundesverfassungsgericht sprechen aber von Chancengleichheit und somit von Chancengerechtigkeit. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ein Unterschied! Den kennen Sie offenkundig nicht!) Artikel 3 des Grundgesetzes spricht eben nicht von einer Ergebnisgleichheit, wie Sie das immer wieder als Fake News darstellen und verkaufen wollen. Gleiches gilt im Übrigen für Artikel 12 des Grundgesetzes, auf den sich Ihr Antrag hier stützt. Unser Bildungssystem, insbesondere das Hochschulsystem, wird dem Grundsatz der Chancengerechtigkeit vollkommen gerecht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was denn jetzt? Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit? Das ist nicht dasselbe!) Eine mangelnde Durchlässigkeit, wie Sie in Ihrem Antrag behaupten, gibt es nicht. Wir haben das durchlässigste Bildungssystem der Welt, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!) und das Ganze kostenlos für junge Menschen. Unser Motto ist: Kein Abschluss ohne Anschluss. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie gut, dass es die Indemnität gibt!) Das deutsche Bildungssystem ist durchlässig wie nie zuvor. So lautet auch das Ergebnis der jüngsten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Diese Durchlässigkeit trägt Früchte. So hat sich der Bildungsstand der Gesamtbevölkerung in den letzten Jahren deutlich verbessert. Lesen Sie das bitte im nationalen Bildungsbericht aus dem Jahre 2016 nach. Auch die OSZE stellt in ihrem Bildungsbericht von 2016 im Ergebnis fest, dass in kaum einem anderen Land Menschen egal welcher Herkunft einen so erschwinglichen Zugang zu Bildung haben, wie das in Deutschland der Fall ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hören Sie also auf, unser Land mit Ihrer Ideologie schlechtzureden. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten die ideologische Brille ablegen, wenn Sie lesen!) Die Linken behaupten weiter in ihrem Antrag, es gebe ein Zulassungschaos an Hochschulen und der Bund müsse nun zwingend tätig werden und dieses Chaos auflösen. Als Allheilmittel schlagen Sie wieder Ihren Gassenhauer, ein Bundeshochschulzulassungsgesetz, vor. Bereits das Wort ist ein Ungetüm, der Vorschlag aber erst recht. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das haben Sie fehlerfrei ausgesprochen!) Es bestehen bei der Stiftung für Hochschulzulassung, die in der Öffentlichkeit mehr unter der Internetadresse www.hochschulstart.de bekannt ist, keine rechtlichen, sondern technische Probleme. Diese technischen Schwierigkeiten kann man durch ein Bundeshochschulzulassungsgesetz gerade nicht lösen. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Richtig!) Ferner ist der Bund für Ihre Debatte hier der völlig falsche Adressat. Die Stiftung für Hochschulzulassung ist eine auf einem Staatsvertrag beruhende Einrichtung der Bundesländer. Adressat Ihrer Forderung ist somit die KMK, die mit Blick auf diese Stiftung wohl auch eine entsprechende Taskforce eingerichtet hat. (Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär: Sehr richtig!) Meine Damen und Herren, die Linken wissen spätestens seit der Beantwortung einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung vom 9. Oktober 2015, dass es ein sogenanntes dialogorientiertes Serviceverfahren zur Koordinierung und Zulassung von Studienbewerbern gibt. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Null Vorschläge!) Dessen Software wurde mit finanzieller Förderung des Bundes in Höhe von 15 Millionen Euro entwickelt und den Ländern im Zusammenwirken mit der von der Hochschulkonferenz getragenen Stiftung für Hochschulzulassung seit April 2011 einsatzbereit zur Verfügung gestellt. Die Weiterentwicklung der Software und die Koordinierung mit den Hochschulen sowie die Verantwortung für die gesamte Durchführung des Verfahrens liegen allein in der Hand der von den Ländern und Hochschulen getragenen Stiftung für Hochschulzulassung. Es ist somit mehr als unredlich, dass die Linken heute hier im Plenum wieder den Eindruck erwecken, die Fragestellung habe irgendetwas mit dem Bund zu tun; das ist schlichtweg falsch. Es ist Sache der Länder. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deshalb haben wir eine Bundesbildungsministerin!) Die Länder haben sich in Form eines Staatsvertrags verständigt. Ich erachte es als sinnvoll, dass der Bund diese Einigung nicht durch ein Bundesgesetz gefährdet oder gar infrage stellt. Im Übrigen empfehle ich Ihnen eine Pressemitteilung der Stiftung für Hochschulzulassung vom 9. März dieses Jahres. Darin wird deutlich, dass es mit dem dialogorientierten Serviceverfahren gut vorangeht. Mehr Hochschulen beteiligen sich daran, und die Zahl der Bewerber über dieses Verfahren ist um 20 Prozent gestiegen. Ich habe nicht den Eindruck, dass eine öffentlich-rechtliche Stiftung Fake News verbreitet; das tun andere. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Linken ist wieder ein Spiegelbild dessen, was die linke Ideologie verherrlicht. Es ist eine Absage an die Leistungsbereitschaft der Menschen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Klar! Aus welchem Buch haben Sie das denn?) Forderten Sie schon früher immer populistisch „Master für alle“ – was Sie heute ja auch wieder tun –, erweitern Sie heute ihre Utopie und fordern ein Studium für alle. Gemeint ist – das führen Sie auch aus –, dass es für die Zulassung zum Studium – auch für die Zulassung zu einem Masterstudium – keine Rolle mehr spielen soll, welche Leistung ein Student erbringt. Sie schreiben wörtlich: „Zensuren spielen bei der Vergabe keine Rolle.“ Meine Damen und Herren, für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spielt der Leistungsgedanke eine tragende gesellschaftliche Rolle. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir setzen darauf, dass sich Menschen anstrengen, um etwas zu erreichen. Wir setzen auf Motivation, auf Bemühen, auf Ansporn. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!) Wir sind der Überzeugung, dass nur demjenigen der nächsthöhere Abschluss zustehen soll, der sich dafür qualifiziert, und zwar qualifiziert durch Leistung, qualifiziert durch eine gute Note. Wir erteilen der Linkenforderung nach dem Verschenken von Studienplätzen, auch nach dem Verschenken von Masterstudienplätzen eine ganz klare Absage. Wir setzen auf Leistung und nicht auf Geschenke. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gucken Sie sich mal die Notenvergabe an, wie viele Einsen und Zweien da heute vergeben werden!) Meine Damen und Herren, abschließend noch ein Wort zum Hochschulpakt. Ich finde es unredlich, wie auch bei diesem Thema von den Linken ein völlig falscher Eindruck erweckt wird und die Menschen somit vorsätzlich falsch informiert werden. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Damit kennt ihr euch ja aus!) Wir haben nach dem Grundgesetz bei der Hochschulausbildung eine klare Zuständigkeit der Länder. Freiwillig, ohne grundgesetzliche Verpflichtung, gibt der Bund im Rahmen des sogenannten Hochschulpakts allein in der dritten Phase 9,9 Milliarden Euro an die Länder. Natürlich leistet der Bund auch einen Riesenanteil zu Bildungsvorhaben von nationaler und internationaler Bedeutung. Wie Sie wissen, geben wir jetzt sogar im Bereich der Schulen im Rahmen des Digitalpaktes 5 Milliarden Euro. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fehlt im Haushalt völlig! Das hat Herr Schäuble noch nicht eingestellt! Die Verteidigungsausgaben steigen stattdessen! – Zuruf des Abg. Martin Rabanus [SPD]) Nochmals: Wir wollen kein Verteilen mit der Gießkanne, sondern wir wollen mit den eingesetzten Bundesmitteln einen Mehrwert erreichen. Wir wollen Bundesgeld an klare, überprüfbare Kriterien knüpfen, nachdem wir bei der Übernahme der BAföG-Finanzierung ein Debakel erleben mussten, weil manche Länder das Geld zweckentfremdet eingesetzt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines muss weiterhin klar sein: Die Finanzierung der Hochschulen und Schulen ist und bleibt Sache der Länder. Schauen Sie dazu ins Grundgesetz! Zu gerne wird von Rot-Rot-Grün verschwiegen, dass Steuermehreinnahmen auch aufseiten der Länder und Kommunen erfolgen. Daher ist es gar nicht schlimm, dass diese Zuständigkeit bei den Ländern liegt. 281 Milliarden Euro haben die Länder laut Steuerschätzung des BMF im vergangenen Jahr eingenommen. Das sind 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Steuerschätzung für die weiteren Jahre sagt eine kontinuierliche jährliche Steigerung voraus. Da kann man wohl selbstverständlich erwarten, dass die Länder das Geld dort investieren, wo sie zuständig sind. (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!) Die Zahlen zeigen deutlich, dass die Länder das auch können, wenn sie es denn wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei der Nachfolge des Hochschulpakts stellen wir uns nicht quer. Wir legen Wert auf sinnvolle und zielführende Ideen. Wir wollen die Qualität steigern und nicht die Quantität. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gehört zusammen! – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Kann man beides tun!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zusammenfassend: Dieser Antrag ist reiner Populismus, gepaart mit linker Ideologie und gespickt mit linker Utopie. Wir lehnen derartigen Blödsinn ab. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mann, Mann, Mann, Sie haben es echt gut mit der Indemnität!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Als Nächster spricht der Kollege Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen. (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Die Ein-Mann-Fraktion! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Angesichts des Vorredners bin ich fast geneigt, schon jetzt zu klatschen! Es kann nur besser werden!) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zu meinem Vorredner sage ich sehr klar: Wir haben allen Anlass, über Bildungschancen und die soziale Schieflage beim Zugang zur Hochschule einmal mehr zu debattieren. Der Mangel an Gerechtigkeit ist weiter das Hauptproblem des deutschen Bildungssystems. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Warum Kollege Schipanski im Namen der Unionsfraktion das deutsche Bildungskastensystem verteidigt und so etwas wie ein Bundesparadies Deutschland aufmalt, ist mit Fakten nicht zu erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Bildungsrepublik Deutschland!) Gerecht – sowohl chancen- als auch leistungsgerecht – geht es in Deutschland nämlich erst dann zu, wenn Zugangschancen zu Universitäten und Fachhochschulen nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das tun sie auch nicht!) Ob IGLU, PISA, Befragungen von Studienberechtigten: Alle Studien kommen zu dem Schluss: Die Mission „Bildungsgerechtigkeit und Durchlässigkeit für alle“ ist noch nicht erfüllt. Wir haben ein Übermaß an sozialer Auslese, und das muss sich ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Von 100 Akademikerkindern studieren 77. Von 100 Kindern, deren Eltern keinen Hochschulabschluss haben, schaffen nur 23 den Sprung an die Hochschule. Der sogenannte Bildungstrichter ist die wohl bekannteste Grafik aus der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Seine Bekanntheit wurde dem Bildungstrichter jetzt offensichtlich zum Verhängnis. In der nächsten Sozialerhebung soll er fehlen; das BMBF hat ihn rausgekegelt. Ein Unding, meine Damen und Herren! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Anstatt den engen Zusammenhang von Chancen und sozialer Herkunft unter den Tisch zu kehren, möchte ich, dass Politik in Bund und Ländern dafür sorgt, dass dieser Zusammenhang aufgelöst wird. „Chancen für alle“ und „Jedes Talent optimal fördern“, das sind und bleiben richtige Ziele. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) In den letzten Jahren gab es einige Rekorde bei den Studierendenzahlen. Dennoch ist die soziale Öffnung der Hochschulen weiter eine große Aufgabe. Zuallererst brauchen wir dafür auch nach 2020 ausreichende Studienplätze; denn auch nach Ende des Hochschulpaktes werden viele Studieninteressierte erwartet. Der Nachfolger vom Hochschulpakt muss ausreichend Studienplätze bringen, Lehre und Studienbedingungen verbessern und auch die soziale Infrastruktur auf dem Campus stärken. Das steht an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Aus Studienanfängern sollen erfolgreiche Absolventen statt Abbrecher werden, und zwar egal mit welchem Abschluss. Der Bachelor ist nämlich nicht nur eine Fernsehsendung, sondern auch ein ernstzunehmender erster akademischer Abschluss. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die CDU noch nicht gemerkt!) Mit ihm gibt es in der Mehrzahl der Fächer sehr gute Einstiegsbedingungen in den Arbeitsmarkt. Darum: Wir brauchen keinen Masterzwang, wir brauchen Masterstudienplätze für alle, die ein Masterstudium wollen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nein! Die das können!) Das drückt im Übrigen auch die NCs runter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ohnehin gilt es, keine Barrikaden vor dem Campus aufzutürmen. Mich und viele andere Studierende der ersten Generation hätten Studiengebühren vom Studium abgehalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Deshalb sagen wir als Grüne im Bundestag und im Landtag NRW klar Nein in Richtung FDP und CDU. Die wollen im größten Bundesland Studiengebühren wieder für alle einführen. (Zurufe von der CDU/CSU: Stimmt ja gar nicht!) Das träfe ein Viertel aller Studierenden bundesweit. Die Campusmaut soll in der Mottenkiste bleiben; da, wo wir sie zu Recht hingesteckt haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach beschämend!) Studieren öffnet Horizonte; das wissen eigentlich alle. Dennoch ist es für Arbeiterkinder nicht selbstverständlich, sich für ein Studium zu entscheiden; denn es gibt sie immer noch, diese gewisse Ehrfurcht vor der fremden Welt der Wissenschaft. Es gilt, eigene Schranken im Kopf zu überwinden. Häufig helfen dabei Mutmacher. Bei mir war es meine Grundschullehrerin, Frau Hennecke. Sie sagte: Kai, du hast das Zeug fürs Gymnasium und zum Studium. – Wir brauchen mehr Leute in der Republik wie diese Frau Hennecke und mehr Unterstützung für Mutmacherinnen und Mutmacher wie sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Darum bin ich wirklich froh, dass Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen ein Talentscouting-Programm aufgelegt hat. Diese tolle Idee der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen hat als ganz kleines Projekt angefangen. Weil es wirkt, wird es nun schrittweise auf ganz Nordrhein-Westfalen ausgeweitet. Von Arbeiterkind e.V. bis Talentscouting – wir sagen: mehr davon, mehr Ermutigung, mehr Mentoring. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Simone Raatz [SPD]: Die duale Ausbildung ist auch nicht schlecht! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ein Landtagswahlkampf!) – Ich rede zum Antrag der Linken und zu grünen Vorschlägen, falls Sie das nicht gemerkt haben. Talentscouting ist eine tolle Idee. Das sollten Sie sich einmal angucken; denn es gibt ja noch eine Bundesbildungsministerin, auch wenn man das manchmal gar nicht mehr merkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist wichtig, für ein Studium zu motivieren, und es ist richtig, für eine Studienfinanzierung zu sorgen, die zum Leben reicht. Das BAföG muss substanziell verbessert werden. Dass das BAföG 2017 weniger wert ist als 2010, ist ein Fehler der jetzigen Koalition aus Union und SPD, den wir Grüne schleunigst korrigieren wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Nur weil ihr laufend redet, müsst ihr nicht ständig dasselbe sagen!) Auch das wäre ein Gewinn für Zugänge, und deshalb gibt es Anträge von Linken und von Grünen, noch 2017 das BAföG zu erhöhen. Das ist wichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Deutschland eine unheimlich vielfältige Wissensgesellschaft mit vielen kreativen Köpfen. Wenn wir künftig noch stärker darauf setzen, alle Talente zu fördern, dann brächte das ein Plus für die Chancen jedes Einzelnen und für den Wohlstand in unserem Land insgesamt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war einmal eine richtig gute Rede in der Debatte! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo er recht hat, hat er recht!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Dr. Daniela De Ridder spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Daniela De Ridder (SPD): Lieber Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Liebe Studierende! Vor allem: Lieber Ralph Lenkert! Die Frage der sozialen Gerechtigkeit liegt der Linken am Herzen. Ich verstehe das, wenn es um das Studium geht. Unserer Fraktion geht es genauso. Ich komme aber gleich zu den kritischen Punkten. Die Linke kritisiert das dialogorientierte Serviceverfahren, das irgendwann einmal die zentrale Studienplatzvergabe ersetzt hat. Ja, wir haben eben gehört: Umstellungen brauchen Zeit, auch die bezüglich der Studienplatzvergabe. Aber man darf zur Kenntnis nehmen, dass hier Entwicklung stattgefunden hat. In der Tat – wir haben es vorhin vom Kollegen Schipanski gehört – haben sich die Hochschulen deutlich stärker beteiligt, als das noch vor einem Jahr der Fall war. Wir haben bei den Hochschulen, die an diesem Verfahren teilnehmen, einen Zuwachs von 15 Prozent zu verzeichnen, und auch die Zahl der Hochschulen, die sich für die Teilnahme an diesem Verfahren bewerben, ist um 30 Prozent gestiegen. Ja, es ist richtig, lieber Ralph Lenkert: Man darf ab und zu auch einmal die Regierung fragen, wie es mit einem Zwischenbericht aussieht, zumal dann, wenn man gehört hat, dass die Umstellung in diesem Verfahren bis 2018 laufen soll. Das ist durchaus kritisch zu würdigen. Ich hätte mich gefreut, wenn wir heute zu Beginn der Debatte auch noch einmal die Ministerin hätten hören können. In der Tat: Prozesse, die Zeit brauchen, sollte man sich noch einmal genauer anschauen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ministerin ist doch kaum da!) Da geht es um Qualifizierung des Personals, das die Umstellung vornehmen muss. Da geht es um die Digitalisierung von Prozessen, um die technische Realisierbarkeit und nicht zuletzt um die Klagefestigkeit. Denn keinem Studierenden ist geholfen, wenn nachher der Studienplatz wieder kassiert werden muss. Auch diese Kriterien müssen sichergestellt werden. Aber, lieber Herr Schipanski, die vielen Millionen Euro, die Sie hier für die Digitalisierungsstrategie angekündigt haben, sollten am Ende auch zum Teil in dieses Verfahren einfließen, damit diese Ankündigung keine Luftnummer bleibt. (Sven Volmering [CDU/CSU]: Bund und Länder verhandeln ja! Das wissen Sie doch!) Ich habe mir dann noch einmal angeschaut, lieber Ralph Lenkert, was der Vorschlag der Linken ist, um Abhilfe zu schaffen. Ich musste es wirklich zweimal lesen und in meinen Kalender schauen: Ihr Vorschlag ist, eine neue Behörde zu schaffen. (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Da sind die ganz groß drin!) So staatstragend habe ich die Linke selten erlebt. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Staatstragend!) Ich schaute in den Kalender und dachte: Der 1. April ist doch erst am Samstag. Die Idee ist also, glaube ich, nicht die beste. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber sehr staatstragend! In Thüringen ist die Linke extrem staatstragend!) Mich ärgert in der Tat, dass immer wieder vonseiten der Opposition so getan wird, als würden wir nicht genug tun, um Studienanfängerinnen oder Studierende, die ihr Studium rechtzeitig absolvieren wollen, ausreichend zu unterstützen. Auch das haben wir eben schon gehört: 9,9 Milliarden Euro stellen wir bis 2020 zur Verfügung. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das?) Wer das für wenig Geld hält, der ist strukturblind, (Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Oder Mitglied der Linkspartei!) und es ist mir dann egal, auf welchem Auge, ob auf dem linken oder auf dem rechten. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Oder auf beiden!) Das ist einfach unzureichend und ungerechtfertigt in Anbetracht dieser hohen Summe. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ja, es ist richtig: Wir haben noch eine Menge vor uns. Ich freue mich darauf und hoffe, dass ich auch im nächsten Bundestag wieder hier sitzen darf und dass wir dann noch einmal die Chance haben, an Artikel 91b des Grundgesetzes weiterzuarbeiten, (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn da noch verändern? Das ist ja eine ganz neue Botschaft! Was ist denn das?) um das Grundgesetz in diese Richtung zu verändern und die Studierenden im Sinne der sozialen Gerechtigkeit zu unterstützen. Aber ein „anything goes“ wird es nicht geben, auch nicht mit absurden Ideen. Wenn es tatsächlich um soziale Gerechtigkeit und um Studienplätze geht, dann frage ich mich, warum in dem Ansatz, den ihr verfolgt, lieber Ralph Lenkert, nicht einmal die Fachhochschulen Erwähnung gefunden haben. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Weil der Antrag aus dem Jahr 2011 ist!) Denn das sind wirklich die Institutionen, die soziale Gerechtigkeit für Bildungspioniere garantieren und bei denen, wie gesagt, die Eintrittsschwelle niedrig ist. Das hätte doch zumindest einmal erwähnt werden dürfen. Das hat mich wirklich geärgert. (Beifall bei der SPD) Wenn ich mir anschaue, was hier im Hinblick auf Teilzeitstudiengänge gefordert wird, dann kann man, finde ich, nicht einfach ignorieren, was die Länder, auf die ja immer verwiesen wird, an erheblichen Anstrengungen unternommen haben, sogar was die Unterstützung durch BAföG angeht. Auch das wird völlig ausgeblendet. Einen weiteren Punkt, der ausgeblendet wird, will ich noch einmal erwähnen, weil ich das wirklich ärgerlich finde. Da geht es um die Beratung von Schülerinnen und Schülern. Da sollen möglichst viele Akteurinnen und Akteure zusammenwirken. Warum schaut ihr denn nicht einmal hin, was an den Hochschulen bereits stattfindet? Es gibt Abimessen, die Vertreter der Hochschulen gehen in die Schulen hinein und stehen zum Teil sogar auf den Marktplätzen und werben für ihre Studiengänge. Was sollen die denn noch tun? Irgendwann ist auch das saturiert, was die Hochschulen an der Stelle alles leisten können und sollen und warum geht es eigentlich nur um die Schülerinnen und Schüler bis Sekundarstufe II? Was ist denn eigentlich mit den beruflich Qualifizierten, die uns doch eigentlich allen ans Herz gelegt werden? Sollen die keine Ansprache finden? Da gibt es eine riesige Lücke. Das hat mich wirklich gewundert. Insofern können wir hier noch ein bisschen mehr tun. Ich will noch einmal deutlich machen: 1,17 Milliarden Euro aus den BAföG-Mitteln sind verteilt worden. Das mag unzureichend sein. Aber auch das ist nicht nichts; das sollte man zur Kenntnis nehmen. An einem Punkt – das will ich abschließend sagen – will ich versöhnlich sein. In der Tat: Was die Abschaffung der Studiengebühren und Studienbeiträge angeht, sind wir, glaube ich, einer Meinung, und das ist auch gut. Niemand, der ernsthaft das Thema „soziale Gerechtigkeit im Studium“ bedienen will, kann an einer Campusmaut festhalten. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb haben wir sie in NRW abgeschafft!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Katrin Albsteiger spricht jetzt für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Katrin Albsteiger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Tatsächlich ist es so: Im Antrag der Linken befinden sich altbekannte Forderungen, die wir schon oft gehört und debattiert haben. Wie es oft der Fall ist, hat sich an den Forderungen nichts geändert. Ebenso hat sich an unserer Haltung zu diesen Forderungen nichts geändert. Wir werden sie ablehnen. Auf drei Punkte möchte ich noch einmal genauer eingehen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sind Sie ja durch mit Ihrer Rede!) Vieles ist schon gesagt worden. Ich konzentriere mich erstens auf das Thema BAföG, das sich auch in diesem Antrag findet. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!) Tatsächlich ist es so: Um unabhängig vom sozialen Hintergrund ein Studium zu ermöglichen, haben wir schon seit mehr als vier Jahrzehnten dieses sozialpolitisch wichtige und richtige Instrument. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört!) An dieser Stelle sind wir uns durch die Bank einig. Weil es so richtig und wichtig ist, haben wir in dieser Legislaturperiode – man kann es nicht oft genug sagen – eine riesige BAföG-Reform gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU) Es wurde viel Geld investiert, was den Bundeshaushalt ganz schön belastet, aber tatsächlich – an dieser Stelle darf ich das sagen – zu Recht belastet. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon merken die Studis wenig!) Wir haben nämlich in die Studierenden investiert. Wir haben die Bedarfssätze und die Einkommensfreibeträge erhöht, und wir haben von Bundesseite – das wissen wir hier im Hause alle – die komplette Finanzierung übernommen. Das kostet uns jährlich über 1 Milliarde Euro. Auf der anderen Seite entlastet es die Länder jährlich um genau diesen Betrag. Das ist ein ganz schöner Batzen Geld, den die Länder sinnvoll investieren können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD]) Bei der letzten BAföG-Debatte – ich glaube, es ist gerade erst einmal drei Sitzungswochen her – habe ich schon gesagt: Die Ausgaben für das BAföG im Bundeshaushalt haben sich in dieser Legislaturperiode massiv erhöht, und zwar um zwei Drittel. Während wir 2014 noch 1,5 Milliarden Euro für das BAföG ausgegeben haben, haben wir für das Jahr 2017 schon 2,6 Milliarden Euro eingeplant. Bei uns ist das Glas meistens halb voll, bei der Opposition ist es im Gegensatz meistens halb leer, deshalb sage ich: Wir haben das BAföG fast verdoppelt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das ist ganz schön viel, was der Haushalt verkraften muss. Das muss man auch einmal sehen. Hinzu kommt: Wir haben jetzt die alleinige Entscheidungshoheit darüber, ob wir die Bedarfssätze und die Einkommensfreibeträge erhöhen. Selbstverständlich wollen wir das auch. Aber das kann nur dann passieren, wenn wir es auch finanzieren können. So leid es mir an der Stelle tut – ich kann es immer nur wiederholen –: Es ist in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich. Das heißt aber selbstverständlich nicht, dass es in der nächsten nicht möglich sein wird. Wir wollen auch, dass das BAföG familienfreundlicher gestaltet wird. Auch wir haben Pläne, aber sie müssen verantwortungsvoll gegenüber der jüngeren Generation sein. Mein zweiter Punkt. Im Zusammenhang mit Ihrer Forderung nach einem einheitlichen Bundeshochschulzulassungsgesetz – ein Zungenbrecher – sprechen Sie auch den Zugang zum Medizinstudium an. Es wird kritisiert bzw. dargestellt, dass der Numerus clausus ein Auswahlkriterium ist, das unter den Hochschulbewerbern stark sozial selektiv ist. Ich stelle hier nicht infrage, dass die Zahl stimmt. Das mag sogar sein. Ich stelle nur fest: Es ist ja keine Begründung. Es ist nicht zwangsläufig so, dass es der NC sein muss, der dafür zuständig oder dafür verantwortlich ist, dass es möglicherweise tatsächlich mehr Studierende aus bessergestellten Familien gibt, die ein Medizinstudium aufnehmen. Das hat nicht zwangsläufig etwas mit dem NC zu tun, zumindest lässt es sich nicht beweisen. Das kann vielleicht auch daran liegen, dass sich gerade diese jungen Leute dieses Studium zutrauen, weil sie mehr Erfahrungen bei diesem Thema haben, weil es beispielsweise in der Familie Ärzte gibt. Jedenfalls kann man nicht eindeutig darauf schließen, dass es am NC liegt. Dennoch sind wir uns wahrscheinlich einig, dass der NC als alleiniges Auswahlkriterium auch bei der Zulassung zum Medizinstudium keine Aussage darüber trifft, ob jemand ein guter oder schlechter Arzt wird. Genau deswegen haben wir uns in den Verhandlungen über das Medizinstudium 2020 dafür eingesetzt, dass wir auch andere Auswahlkriterien heranziehen. An dieser Stelle kann man sich eine Menge Kriterien vorstellen. Viele werden tatsächlich schon von der einen oder anderen Hochschule berücksichtigt. Das ist absolut gut. Was aber gar nicht geht, ist die Forderung aus Ihrem Antrag – wir können sie nicht unterstützen –, die Zulassung beispielsweise zum Medizinstudium für jeden, der will, zu gewährleisten, und das auch noch gesetzlich garantiert und selbstverständlich innerhalb von zwei Jahren. Das geht nicht. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: In Österreich geht’s, und zwar auch für ausländische Studenten!) Was würde dann passieren? Man stelle es sich einfach mal vor! Jeder von uns, der sich damit beschäftigt, weiß, dass bei einem Medizinstudium die Zahl der Studienplatzbewerber zur Zahl der Studienplätze im Verhältnis 5 : 1 steht. Das bedeutet konkret: Wenn man Ihrem Antrag folgte, müssten wir die Zahl der Medizinstudienplätze, um für wirklich jeden eine Zulassung zu gewährleisten, verfünffachen. Jetzt wissen wir, dass das Medizinstudium nicht das günstigste Studium ist, und das im Übrigen zu Recht, weil es qualitativ sehr gut ist. Es müsste dann so sein, dass wir im ersten und zweiten Semester radikal aussieben. Man stelle sich mal vor, wie es zu bewältigen wäre, wenn fünfmal so viele Medizinstudenten an unseren deutschen Hochschulen wären. Dann müsste man aussieben, und zum Schluss hätten wir tatsächlich nur unzufriedene Studenten, frustrierte Eltern und im Übrigen eine Opposition – da schließe ich uns sogar mit ein –, die auch nicht zufrieden sein könnte. Warum nicht? Weil wir zum Schluss Anträge von der Opposition diskutieren müssten, die sich darüber beklagen würde, wie sozial selektiv denn das Aussieben an unseren deutschen Hochschulen wäre. Wir wären auch deswegen nicht zufrieden, weil dann das Geld, das wir in diesen Bereich investieren müssten, nicht mehr da wäre, um andere sinnvolle Instrumente im Bildungs- und Forschungsbereich auf den Weg zu bringen und zu verbessern, geschweige denn für eine ausreichende Finanzierung des BAföG. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Übrigen sind wir uns in einem Punkt einig – das sage ich auch ganz deutlich –: Studienberatung und auch Berufsberatung – darauf legen wir ganz besonderen Wert – sind wichtig; das ist gar keine Frage. Selbstverständlich wollen wir, dass unsere Schüler darüber Bescheid wissen, welche Wege, welche Möglichkeiten es gibt und was vor allem dahintersteckt. Ja, auch ich wünsche mir Mutmacher. Aber ich wünsche mir Mutmacher, die nicht nur jemandem zum Studium antreiben – ich wünsche mir auch Leute, die sagen, dass es kein Fehler ist, eine berufliche Ausbildung aufzunehmen. Es ist nicht alles verloren, wenn man zum Schluss nicht an einer Universität oder einer Fachhochschule landet; auch in der beruflichen Ausbildung gibt es großartige Chancen. (Beifall bei der CDU/CSU) Drittens. Sie fordern in Ihrem Antrag auch – ich zitiere – „unverzüglich eine Aufstockung und Verstetigung des bestehenden Hochschulpaktes zu verhandeln“. Sie wissen, dass wir da tatsächlich unterschiedlicher Meinung sind. Unserer Ansicht nach ist es eben nicht unsere Aufgabe – die Aufgabe des Bundes –, uns Zuständigkeiten der Länder anzueignen, schon gar nicht langfristig. Der Hochschulpakt wurde damals richtigerweise von den Ländern und dem Bund entwickelt, um einer schwierigen Situation gerecht zu werden, in der viele Hochschulbewerber an die Universitäten, an die Fachhochschulen gedrängt sind sowie die doppelten Abiturjahrgänge und gleichzeitig die Aussetzung der Wehrpflicht zu bewältigen waren. Und der Schritt war richtig, er war auch notwendig. Wir haben als Bund zusätzliches Geld gegeben und in dem Fall, obwohl wir nicht zuständig gewesen sind, bewiesen, dass wir in schwierigen Zeiten Verantwortung übernehmen können und die Länder nicht alleinlassen. Aber es ist keine Entschuldigung und schon gar keine Garantie dafür, auf Dauer die Übernahme von so wichtigen Aufgaben der Länder durch den Bund zu rechtfertigen. Die Grundfinanzierung der Hochschulen ist eine Kernaufgabe der Bundesländer. Ja, auch wir möchten weiterhin helfen; aber wir setzen da weniger auf Quantität, sondern mehr auf Qualität, und das ist auch richtig so. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Zum Abschluss dieser Beratungen hat der Kollege Oliver Kaczmarek für die SPD das Wort. (Beifall bei der SPD) Oliver Kaczmarek (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst eine Bemerkung zum Antrag machen und da anknüpfen, wo auch Frau Albsteiger eingestiegen ist, nämlich bei der Frage, ob der Numerus clausus wirklich ein zentrales Kriterium im Hinblick auf soziale Ungleichheit ist. Wenn Sie schreiben, dass sich der Numerus clausus sozial selektiv auswirkt, was sich insbesondere am Beispiel Medizin zeige, dann stelle ich mir die Frage: Was heißt das denn ganz konkret? (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Versuchen Sie es doch mal!) Heißt das, dass tatsächlich mehr Arbeiterkinder Medizin studierten, wenn wir den Numerus clausus abschafften? Ich halte das für eine ziemlich oberflächliche Betrachtung sozialer Ungleichheit, gerade vor dem Hintergrund, dass die erste Generation von Studierenden aus Arbeiterfamilien über Leistungen zu ihren besonderen Berufen kamen, nämlich weil sie herausragende Abiturnoten erworben hatten. Wer sich mit sozialer Ungleichheit, mit mehr Chancengleichheit und gleichen Zugängen zum Studium beschäftigt, der muss viel tiefer gehen, der darf sich doch nicht mit solchen Oberflächlichkeiten aufhalten, der muss sich um frühzeitige Studienorientierung kümmern, der muss sich um eine gezielte Talentförderung – das Talentscouting in Nordrhein-Westfalen ist gerade schon angesprochen worden – kümmern, der muss sich um eine Strategie gegen Verschuldungsangst kümmern, was gerade für Studierende der ersten Generation ein riesiges Thema ist, und er muss natürlich dafür sorgen, dass Studiengebühren abgeschafft bleiben; das bleibt von zentraler Bedeutung, weil dieses Dogma von einigen Bundesländern aufgekündigt wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Insofern glaube ich: Man muss das alles genau betrachten, aber der Numerus clausus ist, wenn wir über soziale Ungleichheit reden, allenfalls ein Thema, aber nur ein Randthema und nicht so zentral, wie das in Ihrem Antrag aufgebaut wird. Kommen wir zur Betrachtung des gesamten Sachverhalts. Ich will an die zentralen Herausforderungen anknüpfen. Wir, Bund und Länder gemeinsam, haben enorme Anstrengungen unternommen, um abzusichern, dass heute so viele Menschen wie noch nie ein Studium beginnen können. Das ist eine enorme Kraftanstrengung. Dazu hat natürlich beigetragen, dass wir 1998, als das BAföG am Boden lag, eine Wende eingeleitet haben, die tatsächlich von allen nachfolgenden Bundesregierungen übernommen worden ist, und damit erweiterte Zugänge zum Studium geschaffen haben. Dazu hat auch beigetragen, dass Bund und Länder Pakte beschlossen haben, wie den Pakt für Forschung und Innovation, den Qualitätspakt Lehre und insbesondere den Hochschulpakt. Es waren enorme ideelle, aber auch finanzielle Anstrengungen, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Ich glaube, dass sich die Ergebnisse insgesamt sehen lassen können. Unser Wissenschaftssystem hat sich deutlich weiterentwickelt. Die Studienkapazitäten sind an die steigende Nachfrage angepasst worden. Das ist insbesondere ein Verdienst des Hochschulpaktes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Innovationskraft hat sich erhöht, insbesondere durch die Möglichkeit, Profilbildung an Standorten durchzuführen, oder durch die strukturelle und strategische Kooperation von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Außerdem ist der Forschungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland heute sehr viel internationaler, als er das vor 20 Jahren noch war, und zwar sowohl für Studierende als auch für Forscherinnen und Forscher, und das nicht nur an wenigen Orten, sondern überall in Deutschland. Diese Weiterentwicklung in den letzten 20 Jahren ist ein großes Verdienst des Hochschulsystems, das sich sehen lassen kann. Es ist richtig: Die Pakte laufen aus. Wir werden uns spätestens in der nächsten Wahlperiode mit der Frage beschäftigen müssen, welchen finanziellen Beitrag der Bund zur Weiterentwicklung des Hochschulsystems leisten will. Wir als SPD schlagen einen Zukunftsvertrag für Wissenschaft und Forschung vor. Ich glaube, wir müssen uns zwei zentralen Herausforderungen stellen. Erstens. Ja, es ist so, die Studierendenzahlen bleiben hoch. Die Annahme zu Beginn des Hochschulpaktes, dass die Zahl nach einem Berg wieder abflachen würde, hat sich nicht bestätigt und wird sich nach allen Prognosen auch nicht bestätigen. Es bleibt eine Herausforderung, allen Menschen, die eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben und studieren wollen, einen Studienplatz zur Verfügung zu stellen. Das ist auf der einen Seite eine Herausforderung für die Qualität der Lehre, auf der anderen Seite aber auch für diejenigen, die Lehre leisten müssen. Zweitens. Es ist auch eine Herausforderung, gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft bei gleichbleibend hohen Studierendenzahlen zu schaffen. Deshalb ist für mich und für uns ganz wichtig: Der Bund muss zu seiner Verantwortung für ein ausreichendes Studienplatzangebot, für gute Lehre und für berechenbare Finanzierungsperspektiven der Hochschulen stehen. Die jetzigen Hochschulpaktmittel müssen auch weiterhin zu großen Teilen für gute Lehre und sichere Studienplatzfinanzierung in der Breite eingesetzt werden. (Beifall bei der SPD) Wir führen jetzt in Bezug auf die Qualität eine Auseinandersetzung darüber – und es ist wichtig und gut, dass man in Wahljahren die Alternativen gegenüberstellt –, ob man sich auf Spitzenförderung allein bezieht, ob der Bund weiterhin in der Verantwortung für vergleichbare Lebensbedingungen steht und ob der Bund einen dauerhaften und verlässlichen Beitrag zur Grundfinanzierung der Hochschulen leistet. Unser Qualitätsverständnis ist da ein etwas anderes: Verlässliche Rahmenbedingungen in der Breite lassen sich an guter Lehre ablesen. Nur so ist eine gute Qualität in der Lehre gewährleistet. Wir sind der festen Überzeugung: Wer den Beitrag des Bundes zum Hochschulpakt aufkündigen will, der schwächt die Qualität unseres Wissenschaftssystems. Das ist die Entscheidung, die bei den jetzt anstehenden Wahlen getroffen werden muss. (Beifall bei der SPD) Eine kurze Anmerkung noch zum Thema „Zugang zu den Hochschulen“. Ich glaube, dass wir weiterhin vor Herausforderungen stehen werden. Herr Gehring hat es angesprochen: Die Ungleichheit beim Zugang zu Hochschulen ist nach wie vor das größte bildungspolitische Problem. Wir werden dazu das BAföG erweitern. Die 25. Novelle war ein guter Wurf, und wir werden auch eine 26. und eine 27. Novelle verabschieden (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zack, zack!) und damit auf die neue Herausforderungen eingehen. Aber es ist eben auch notwendig, auf die soziale Infrastruktur zu achten. Hierbei geht es um Mensen, um Beratung und um Betreuungsmöglichkeiten, um das Studieren mit Kind zu ermöglichen. Insbesondere geht es aber auch um einen Beitrag zum studentischen Wohnen; denn die Wohnbedingungen an attraktiven Studienstandorten dürfen nicht zu sozialer Auslese führen. Da müssen wir gegensteuern. Es geht darum, dass wir für den Ausbau der Infrastruktur Geld in die Hand nehmen und die Zahl der Wohnheimplätze erhöhen. Wir stellen uns vor, dass der Bund hierbei eine besondere Rolle übernimmt. Ich komme zum Schluss. Die Wissenschaftsfinanzierung des Bundes muss in den entscheidenden 2020er-Jahren, also in der nächsten Wahlperiode, in eine verlässliche Architektur überführt werden. Wir sind der Meinung, der Bund muss die Gesamtverantwortung für die Grundfinanzierung übernehmen und darf sich nicht auf eine Nischenfinanzierung zurückziehen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11418 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen Drucksache 18/11133 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksachen 18/11727, 18/11733 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frauen verdienen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit Drucksachen 18/4321, 18/6550, 18/11727, 18/11733 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Ulle Schauws, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frauen gerecht entlohnen und sicher beschäftigen Drucksachen 18/847, 18/11641 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über zwei dieser Änderungsanträge werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Darüber besteht allgemeines Einverständnis. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin Frau Bundesministerin Manuela Schwesig das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Es ist heute ein guter Tag. Ich freue mich, dass wir den Entwurf eines Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit, für gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer beschließen, den Entwurf des sogenannten Entgelttransparenzgesetzes. Wir haben lange über diesen Gesetzentwurf diskutiert: in der Koalition, mit Frauenverbänden, mit Vertretern der Wirtschaft, mit Tarifpartnern. Diskussion gehört in der Politik dazu; aber man muss auch zum Abschluss kommen und gemeinsam handeln. Ich bin sehr froh, dass wir gemeinsam zu einem guten Ergebnis gekommen sind. Wir zeigen damit, dass wir den Auftrag aus Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes ernst nehmen. Das Grundgesetz verpflichtet uns, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern durchzusetzen und bestehende Nachteile zu beseitigen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, solange es eine Lohnlücke zwischen Frauen und Männern in Deutschland von 21 Prozent gibt, besteht Handlungsbedarf. Wir müssen etwas tun. Deshalb brauchen wir dieses Gesetz. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Wie jedes Jahr haben sich auch in diesem Jahr viele an den Demonstrationen anlässlich des Equal Pay Day beteiligt und gegen die Lohnlücke protestiert, weil es eine Frage der Gerechtigkeit ist, dass Frauen in Deutschland genauso fair bezahlt werden wie Männer. Nicht mehr für gleiche und gleichwertige Arbeit, aber eben auch nicht weniger – darum geht es. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Maik Beermann [CDU/CSU]) In der Diskussion wurden oft solche Fragen gestellt: Gibt es die Lohnlücke überhaupt? Sind die Frauen nicht selbst schuld, wenn sie einen anderen Beruf haben als die Männer, wenn sie in Teilzeit arbeiten, wenn sie nicht gut verhandeln? Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist das Typische in Deutschland. Ich meine, wenn es seit Jahrzehnten eine feste, strukturelle Lohnlücke zum Nachteil von Frauen gibt, die regelrecht manifestiert ist – diese Lohnlücke von 21 Prozent führt, egal wie schön man sie sich rechnet, im Lebensverlauf von Frauen sogar zu einer Einkommensdifferenz von 50 Prozent –, dann kann man nicht sagen: Es ist alles gut. Ich möchte mich an die wenden, die es immer noch nicht begriffen haben: Wenn es diese Lohnlücke gibt, obwohl Frauen in Deutschland genauso gut ausgebildet sind wie Männer, obwohl Frauen 80 Prozent der Arbeit für Kinder und Pflegebedürftige in unserem Land übernehmen, obwohl viele Frauen Berufe haben, in denen sie eigentlich schon längst besser verdienen müssten, obwohl gerade Frauen soziale Berufe ausüben, dann können wir nicht sagen: „Die Frauen sind schuld an der Lohnlücke“, sondern dann müssen wir das Problem ernst nehmen und gemeinsam handeln. Wer das Bestehen dieser Lohnlücke nicht akzeptiert und sie immer wieder kleinreden will, der nimmt die Lebenswirklichkeit von Frauen nicht ernst. Damit muss Schluss sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb haben wir in der Großen Koalition es uns in dieser Legislaturperiode zur Aufgabe gemacht, gegen die verschiedenen Ursachen dieser Lohnlücke vorzugehen. Nur weil man diese Lohnlücke erklären kann, heißt das noch lange nicht, dass die Ursachen dafür gerechtfertigt sind. Zum Beispiel haben viele Frauen weniger Chancen, länger arbeiten zu gehen, weil die entsprechende Infrastruktur, zum Beispiel Kitaplätze oder Ganztagsschulen, fehlt. Deshalb haben wir Gelder für den Kitaausbau und die Ganztagsschulen bereitgestellt. Deswegen haben wir das Elterngeld Plus auf den Weg gebracht. Damit wollen wir bewirken, dass nicht immer nur die Frauen für die Kinder da sind. Auch die Väter, die das wollen, werden dadurch unterstützt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]) Wir haben das Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen vorangebracht, damit mehr Frauen in Toppositionen kommen und dort über Arbeits- und Lohnbedingungen von Frauen mitentscheiden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben viele strukturelle Gesetze auf den Weg gebracht, die sozusagen indirekt eine Verringerung der Lohnlücke bewirken. Aber bisher fehlt Transparenz bei der Lohnfindung. Immer wieder bekommen Frauen den Vorwurf zu hören: Dann müsst ihr besser verhandeln. – Wie kann ich denn gut verhandeln, wenn ich gar keine Vergleichsgröße habe, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wenn die Lohnfindung in großen Teilen eine Blackbox ist? Deshalb muss mit dem Tabu „Über Geld spricht man nicht“ Schluss sein. Wir brauchen mehr Transparenz bei der Lohnfindung. Frauen und Männer in Unternehmen und im öffentlichen Dienst müssen sich sicher sein, dass sie fair bezahlt werden. Darum geht es in diesem Gesetz. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]) Wir schreiben den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ für alle fest. Wir fordern große Unternehmen auf, sich mit den vielschichtigen Ursachen der Lohnlücke auseinanderzusetzen. Das betrifft auch den öffentlichen Dienst. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind gerade einmal 5 Prozent!) Wir wollen, dass in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Auskunftsanspruch eingeführt wird, damit man sich mit einer Gruppe, die den gleichen Job macht, die gleichwertige Arbeit macht, vergleichen kann. So kann man feststellen, ob man fair bezahlt wird. Wenn es Unstimmigkeiten gibt, hat man oder eben auch Frau die Möglichkeit, dies zum Beispiel gemeinsam mit dem Betriebsrat oder mit dem Arbeitgeber zum Thema zu machen und notfalls auch zu klagen. Alle Frauen, die in diesem Land erfolgreich gegen Lohnunterschiede geklagt haben, hatten ihre Info über diese Lohnunterschiede oft nur durch Zufall. Damit, dass so etwas nur durch Zufall bekannt wird, muss Schluss sein. Frauen und Männer bekommen mit diesem Gesetz das Recht auf mehr Transparenz. Darum geht es. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Es gab viele Diskussionen und auch den typischen Vorwurf, das sei viel zu viel Bürokratie. Dazu muss ich ganz ehrlich sagen: Es nervt in diesem Land, dass immer dann, wenn Rechte von Frauen durchgesetzt werden sollen, die Leute um die Ecke kommen und sagen, das sei ihnen viel zu viel Bürokratie. Es wird Zeit, dass sich die Gegner ehrlich machen und sagen: Wir wollen das einfach nicht. – Lohntransparenz ist keine Bürokratie, sondern führt auch in den Unternehmen zu mehr Zufriedenheit. Das sagt Christina Boll, die Forschungsdirektorin des Hamburgischen WeltWirtschaftsinstitutes. Sie sagte in der Anhörung: Transparenz ist gut für die Gleichstellung in unserer Arbeitswelt, und sie ist ökonomisch sinnvoll. Ich möchte mich ganz herzlich bei meiner Fraktion bedanken, (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Und der CDU/CSU-Fraktion!) die dieses Gesetz von Anfang an zu hundert Prozent unterstützt hat. Ich möchte mich aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen in den Reihen des Koalitionspartners bedanken, die gesagt haben: Wir haben diesen Kompromiss in schweren und zähen Verhandlungen gefunden. Diesen ziehen wir heute gemeinsam durch. – Herzlichen Dank an die Frauen und Männer in der Unionsfraktion, die sich dafür eingesetzt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist wichtig, dass die Frauen in unserem Land, die hart arbeiten, oft in Jobs, in denen es zu wenig Geld gibt, zum Beispiel in der Pflege, dass die Frauen, die zum Beispiel in MINT-Berufen und in der IT-Branche arbeiten, die genauso gut sind wie Männer, aber immer noch schlechter bezahlt werden, und dass die Frauen, die ungewollt in Teilzeit sind, von der Politik Rückendeckung und die Botschaft bekommen: Wir nehmen eure Lebenslage ernst. Wir wollen, dass ihr Frauen genauso fair bezahlt werdet wie Männer. – Das ist eine Frage, die nicht nur Frauen betrifft, sondern auch Männer. Denn kein Mann kann wollen, dass seine Partnerin schlechter bezahlt wird, nur weil sie eine Frau ist. Kein Vater kann wollen, dass seine Tochter schlechter bezahlt wird, nur weil sie ein Mädchen ist. Deshalb herzlichen Dank an alle Frauen und Männer, die gemeinsam für Gleichberechtigung kämpfen und dafür sorgen, dass wir endlich vorankommen, um die Lohnlücke von 21 Prozent zu verkleinern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Manuela Schwesig. – Ihnen einen schönen Nachmittag von mir. – Weiter geht es mit Sabine Zimmermann für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was haben Deutschland, Estland, die Tschechische Republik und Österreich gemeinsam? Ich sage es Ihnen: In diesen Staaten ist der Verdienstabstand von Frauen zu Männern besonders groß. In Deutschland verdienen Frauen – die Ministerin hat es gesagt – 21 Prozent weniger als Männer. 21 Prozent bedeuten bei einem Männerverdienst von 3 000 Euro, dass frau 630 Euro weniger hat. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) 630 Euro – das ist eine Menge Geld, und dabei reden wir nur vom Durchschnitt. Das lässt sich auch nicht schönreden. Das ist aus unserer Sicht einfach nur ungerecht. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein sehr beliebtes Argument lautet: Frauen arbeiten vermehrt in Branchen, in denen schlecht bezahlt wird. – Das ist einfach nur falsch. Frauen gehen doch nicht bevorzugt dorthin, wo Löhne am niedrigsten sind, sondern vielmehr wird dort, wo überwiegend Frauen arbeiten, schlechter bezahlt. Das ist die Wahrheit, und das muss sich verändern. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch der internationale Vergleich zeigt deutlich, wie sehr solche Beschönigungen danebenliegen. In der gesamten EU beträgt der Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen 16 Prozent. Deutschland liegt mit 21 Prozent 5 Prozentpunkte darüber. Nur in Estland ist der Abstand noch größer. In Luxemburg, Italien, Belgien und Polen sind es dagegen nur 6 bis 8 Prozent. Um 4 Euro liegt der Stundenlohn von Frauen im Schnitt unter dem von Männern. Jede zweite sozialversicherungspflichtig beschäftigte Frau arbeitet in Teilzeit – und nicht immer freiwillig. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) Bei den Männern ist es nur jeder zehnte. 27 Prozent aller Frauen arbeiten im Niedriglohnsektor. Bei den Männern sind es halb so viele. Das zeigt deutlich: Frauen werden in Deutschland am Arbeitsmarkt massiv benachteiligt. Damit muss Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dass eine Benachteiligung der Frauen beim Entgelt besteht, erkennt nun auch die Bundesregierung. Nur wird Ihr Gesetzentwurf, Frau Ministerin, an den Verhältnissen nichts ändern. Sie betreiben eine reine Alibipolitik. Denn die Frage ist doch, was ein Auskunftsanspruch und die Aufforderung zur Durchführung von Prüfverfahren überhaupt bringen werden. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts!) – Genau. – Das nur auf Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten zu begrenzen, schließt doch aber von vornherein viele Frauen aus. Das, meine Damen und Herren, ist doch das Ungerechte daran. Außerdem werden viele Frauen ihren Auskunftsanspruch gar nicht erst nutzen; denn sie haben Angst, ihr Arbeitsverhältnis zu gefährden. Wer es dennoch tut, müsste den nicht einsichtigen Arbeitgeber mit einer Klage belegen. Davor schrecken natürlich die meisten Frauen zurück, und das ist auch verständlich. Da müssen wir sie unterstützen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit Ihrem Gesetzesentwurf, Frau Ministerin, unterstützen Sie die Frauen nicht im Kampf um gleiche Löhne bei gleicher und gleichwertiger Arbeit, sondern Sie verlagern Ihre Verantwortung als Bundesregierung allein auf die einzelne Frau im Unternehmen. Das kann es doch nicht sein. Das verschärft doch die Situation der Frauen dort. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wirklich notwendig, um die Diskriminierung von Frauen zu beenden, ist: ein Verbandsklagerecht, damit Frauen nicht allein auf sich gestellt sind, ein Auskunftsrecht für alle Beschäftigten in allen Betrieben und eine Aufwertung frauentypischer Beschäftigung. Das ist notwendig, und das fordern wir. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber letztlich liegt das Problem doch viel tiefer. Immer weniger Unternehmen sind tarifgebunden. Niedriglöhne, befristete und prekäre Beschäftigung und fehlende soziale Absicherung, gerade im Falle von Erwerbslosigkeit – übrigens sind das alles natürlich Auswirkungen der Agenda 2010, meine Damen und Herren –, nehmen den Beschäftigten auch den Mut und die Chance, sich gegen ungerechte Arbeitsbedingungen zu wehren. Auch davon sind viele Frauen bzw. überdurchschnittlich Frauen betroffen. Die Linke steht für eine Politik, die den Gewerkschaften wieder Kraft gibt, berechtigte Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchzusetzen, und nicht für eine Alibipolitik, wie sie hier betrieben wird. Eine echte Gleichstellung – das muss ich immer wieder sagen – geht nur mit einer starken Linken. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wohl kaum! Sie machen alles nur noch schlimmer!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Sabine Zimmermann. – Nächste Rednerin: Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern es ist auch gesetzlich geregelt, dass Frauen und Männer für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten müssen. Dass das aber in der Realität nicht immer der Fall ist, zeigen einige Beispiele, die wir aus den Medien zur Genüge kennen. Da ist zum Beispiel die Firma Birkenstock, die ihren weiblichen Angestellten über Jahre hinweg mehr als 1 Euro weniger pro Stunde bezahlt hat als ihren männlichen Kollegen. Wenn man das einmal summiert, kommt man bei einer 40-Stunden-Woche in fünf Jahren auf über 10 000 Euro Lohnunterschied. Das kann ja wohl nicht sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Aber das hat die Firma – zur Ehrenrettung muss man das sagen – glücklicherweise längst geändert. Das war auch dringend notwendig. In den Medien wird auch oft die Tischlermeisterin Edeltraud Walla genannt, die von ihrem Arbeitgeber monatlich 1 200 Euro weniger Bruttogehalt bekommen hat und deshalb vor Gericht gezogen ist. Auch ich kenne es, dass Berufseinsteigerinnen trotz der gleichen Qualifikation weniger Einstiegsgehalt bekommen als ihre männlichen Kollegen. Diese Beispiele zeigen, dass wir Maßnahmen brauchen, um das Gebot „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wirksamer umzusetzen. Heute beschließen wir eine davon. Klar ist: Auch mit diesem Gesetz werden wir nicht auf Knopfdruck Lohngerechtigkeit herstellen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das behauptet ja auch keiner!) Was wir aber heute schaffen, ist die Möglichkeit für Frauen, zu beweisen, dass es in ihrem Unternehmen eine ungleiche und ungerechtfertigte Bezahlung gibt, und dagegen vorzugehen. Wenn eine Frau ahnt, dass ihre männlichen Kollegen in gleicher Position und Verantwortung mehr verdienen als sie, dann hat sie mit dem heutigen Gesetz nun einen Auskunftsanspruch. Damit kann sie Transparenz einfordern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie erfährt, warum sie wie bezahlt wird, und sie kann auch erfahren, wie viel eine vergleichbare Gruppe im Schnitt verdient. Verdient sie weniger und gibt es keinen sachlichen Grund dafür, handelt es sich um Diskriminierung. Dann kann sie bei ihrem Arbeitgeber einen gerechten Lohn einfordern – wenn er diesem Anspruch nicht nachkommt, natürlich auch vor Gericht. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das muss sie ganz alleine tun!) Das ist ein großer Fortschritt. Denn Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts darf es in unserem Land nicht geben. Sie muss aufgedeckt und beseitigt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gleichzeitig werden die Unternehmen mit diesem Gesetz aufgefordert, Prüfverfahren durchzuführen. Auch dies ist eine wichtige Maßnahme. Viele von Ihnen kennen ja Prüfverfahren wie Logib-D oder eg-check. Das sind bewährte Verfahren, um die Entgeltstrukturen in den Unternehmen zu überprüfen und Rückschlüsse darauf zu ziehen, ob es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Bei mir vor Ort macht ein Unternehmen das schon sehr lange, und zwar die Marienhausklinik. Ich habe mir das auch schon einmal selbst angesehen; das ist sehr zu empfehlen. Der positive Effekt dieser Prüfverfahren ist, dass es im Unternehmen regelmäßig eine Diskussion darüber gibt, ob denn für Frauen und Männer gute Chancen und Möglichkeiten im Unternehmen bestehen und was man verbessern kann. Dabei kommen automatisch auch Fragestellungen wie Flexibilität, Kinderbetreuung, Aufstiegschancen, Weiterbildungsmöglichkeiten, Karrieremöglichkeiten und vieles mehr zur Sprache. Genau das ist es doch, was wir brauchen. Wir brauchen diese Diskussionen, um die strukturellen Probleme zu lösen und weite Teile der Lohnlücke zu schließen, nämlich die etwa 6 Prozent, die man nicht erklären kann – deshalb führen wir jetzt den Auskunftsanspruch ein –, und die 15 Prozent, die man dadurch erklären kann, dass Frauen öfter in Teilzeit arbeiten, öfter aus dem Beruf aussteigen und auf der Karriereleiter nicht nach oben kommen. Wir haben gerade in dieser und auch in den vergangenen beiden Legislaturperioden sehr vieles gemacht – teilweise zusammen mit Ihnen von der SPD, aber eben auch in der Koalition, die es dazwischen gab –, damit die Gleichberechtigung von Frauen und Männern gestärkt wird, damit es eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt, damit es mehr Partnerschaftlichkeit gibt und damit Frauen bessere Aufstiegschancen in den Unternehmen haben. Ich erinnere nur an den Kitaausbau, an das Thema „Frauen in Führungspositionen“ und an das Elterngeld, das wir in dieser Legislaturperiode mit dem Elterngeld Plus noch einmal flexibler gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben also viel getan, um die Lohnlücke – sowohl die bereinigte als auch die unbereinigte Lohnlücke – zu schließen, und ich sage ganz ausdrücklich: Beide Teile der Lohnlücke sind ein Problem; denn im Alter entwickelt sich die Lohnlücke von 21 Prozent zu einer Rentenlücke, die wesentlich größer ist. Das ist tatsächlich problematisch; denn das ist natürlich ein wichtiger Grund für die Altersarmut von Frauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verabschieden den Gesetzentwurf heute so, wie er von Frau Schwesig in den Bundestag eingebracht wurde. (Lachen der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sönke Rix [SPD]: Er ist auch von Frau Merkel mit eingebracht worden!) Das ist ja ziemlich ungewöhnlich, weil es nach dem Struck’schen Gesetz eigentlich immer Veränderungen gibt. Natürlich gibt es viele Wünsche – auch in unserer Fraktion –, das will ich gar nicht verhehlen. Auf der einen Seite sind die Wirtschaftspolitiker, die sagen: Das ist eine Belastung für Unternehmen – das kann man ja auch nicht bestreiten –, (Sönke Rix [SPD]: Gerechtigkeit kann keine Belastung für Unternehmen sein!) und das ist zu bürokratisch. Auf der anderen Seite sind die Frauen, die sagen: Eigentlich ist uns das zu wenig; wir hätten gerne mehr gehabt. (Sönke Rix [SPD]: Das stimmt!) An dieser Stelle will ich gerne sagen, dass auch das Wahlprogramm der Unionsfraktion das Thema „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ enthält und dass das Thema Lohngerechtigkeit auch uns ein Herzensanliegen ist. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!) Deshalb wurden gerade von der Unionsfraktion diese und viele weitere Maßnahmen immer vorangetrieben und haben wir sehr dafür gekämpft. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben uns mit dem Koalitionspartner dazu entschlossen, den Gesetzentwurf jetzt so zu verabschieden, wie er von Frau Schwesig eingebracht wurde. (Sönke Rix [SPD]: Und von Frau Merkel!) Im Vorlauf gab es einen mühsam ausgehandelten Kompromiss zwischen dem Ministerium und den Sozialpartnern. Das war vielleicht ein ungewöhnliches Verfahren, aber es trägt dazu bei, dass es einen Mittelweg zwischen den Anliegen der Sozialpartner – ich sage ausdrücklich: sowohl der Arbeitgeberverbände als auch der Gewerkschaften – gibt. Deshalb bin ich froh, dass wir mit dem heutigen Gesetzentwurf einen deutlichen Schritt nach vorne hin zu mehr Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen machen. Wir werden die Lohnlücke mit diesem Gesetz nicht beseitigen, aber wir geben den Frauen damit Werkzeuge an die Hand, mit denen sie dagegen vorgehen können. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht! Das tun Sie nicht!) Herzlichen Dank an alle, die uns in den letzten Wochen auf diesem Weg begleitet haben und diesen Gesetzentwurf heute mit uns verabschieden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird alles schöngeredet!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Nadine Schön. – Nächste Rednerin: Ulle Schauws für Bündnis 90/Die Grünen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Schön, Sie haben gerade gesagt, dass Sie die Lohnlücke mit diesem Gesetz nicht beseitigen werden. Das stimmt. Die Große Koalition will heute ein Gesetz beschließen lassen, das eigentlich für mehr Lohngerechtigkeit für Frauen sorgen sollte. Es sollte eigentlich den ungerechten Gender Pay Gap von 21 Prozent in unserem Land effizient angehen, und die Frauen sollten von Ihnen eigentlich ein wirksames Gesetz erwarten können. Mit dem Gesetz, mit dem Sie hier heute antreten – auch Sie, Frau Ministerin –, verfehlen Sie alle Ziele, die Sie zu Beginn angekündigt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]) Dieses Gesetz schafft keine Entgeltgleichheit. Es sorgt noch nicht einmal für eine wirkungsvolle Transparenz. Nein, Sie versuchen hier, ein Gesetz schönzureden, das wie eine bunt schillernde Seifenblase ist. Wenn man einmal dranstupst, dann zerplatzt sie und dann zeigt sich, was dahintersteckt, nämlich leider eine Luftnummer. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!) Ich will Ihnen auch genau sagen, warum wir Grüne das so kritisieren: Realistisch ist, dass die allermeisten Frauen mit diesem Gesetz in Bezug auf das Auskunftsrecht schlicht nicht erreicht werden. Es wird eben für Betriebe ab 200 Beschäftigte gelten, und die meisten Frauen arbeiten in kleinen oder mittleren Betrieben. Für sie wird dieses Gesetz einfach nicht gelten. Wenn 60 Prozent der Frauen nicht erreicht werden, dann ist dieses Gesetz, mit Verlaub, nicht wirkungsvoll. Im Gegenteil: Es ist ein fatales Signal für die Frauen in diesem Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Wenn Ihr Kanzlerkandidat Schulz, liebe SPD-Fraktion, am Wochenende, kurz vor der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzes, erklärt, er wolle „die Abschaffung einer der größten Ungerechtigkeiten“, nämlich die, dass Frauen für gleiche Arbeit weniger als Männer verdienen, nach der Wahl sofort angehen, dann muss man einmal ernsthaft fragen: Was gilt denn nun? Haben Sie von der SPD bei diesem Gesetz die Federführung, oder haben Sie sie nicht? Es gehört eine Menge Chuzpe dazu, auf der einen Seite von der Abschaffung einer der größten Ungerechtigkeiten zu sprechen und auf der anderen Seite so ein mickriges Gesetz vorzulegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nein, meine Damen und Herren, ich sage ganz klar: Das passt nicht zusammen. Das zeigt: Sie meinen es mit der Lohngerechtigkeit nicht wirklich ernst. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Entgeltgleichheit muss für alle Frauen gelten. Deshalb hat meine Fraktion einen Änderungsantrag vorgelegt, der einen Auskunftsanspruch für Frauen in Unternehmen ab zehn Beschäftigten vorsieht. Nur so werden Frauen wirklich erreicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, Ihre Annahme, dass dieses Gesetz wenigstens ein erster Schritt hin zu mehr Entgeltgleichheit sei, stimmt einfach nicht. Sie haben das Gesetz in den letzten Monaten Ihrer Verhandlungen in den wesentlichen Punkten völlig entkernt. Im ersten Referentenentwurf vom Dezember 2015 war noch die Verpflichtung zur betrieblichen Prüfung drin. Es war auch noch drin: die Anwendung zertifizierter Prüfverfahren. Diese Kernbestandteile zur Beseitigung von Entgeltdiskriminierung haben die Union und die Wirtschaft rausgekickt. Übrig geblieben ist nur noch die Aufforderung zur Durchführung von Prüfverfahren. Der individuelle Auskunftsanspruch ist in der nun vorgesehenen Ausgestaltung nichts wert. So hat es der djb in der öffentlichen Anhörung auf den Punkt gebracht. Ich sage vor allem in Richtung Union: Das Gesetz ist so mickrig, dass es peinlich ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, noch einmal: Was Sie hier machen, ist, dass Sie den Frauen etwas vorgaukeln. (Zurufe von der SPD: Oh!) Sie reden über vermeintlich wirksame Instrumente zur Erlangung von Lohngleichheit, obwohl Sie nichts vorzuweisen haben. Deshalb haben wir Grünen einen weiteren Änderungsantrag zur Prüfpflicht und zu zertifizierten Verfahren heute eingebracht. Gerade Sie, Frau Ministerin, wissen doch von dem Quotengesetz, das Sie eben erwähnt haben, dass unverbindliche Vorgaben bei der Wirtschaft zu nichts führen. Erst kürzlich haben Sie eine Verschärfung für die nächste Wahlperiode angedroht. Seien Sie doch wenigstens hierbei ehrlich! Oder besser noch: Stimmen Sie unseren Anträgen zu! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, was nutzt es letztlich Frauen, wenn sie wissen, dass sie für die gleiche oder gleichwertige Arbeit weniger Lohn bekommen, ihnen aber wirksame Instrumente zur Durchsetzung von Lohngerechtigkeit fehlen? Da bieten Sie nichts. Da ist Ihr Gesetz blank. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Wir fordern daher in einem dritten Änderungsantrag die Einführung des so wichtigen Verbandsklagerechts. Diese Einschätzung haben die Sachverständigen in der Anhörung, insbesondere der Deutsche Juristinnenbund, der DGB und der Katholische Deutsche Frauenbund, voll geteilt; denn nur so gibt es eine wirkliche Chance, vor allem gegen strukturelle Entgeltdiskriminierung vorzugehen. Frauen sind dann nicht alleine auf den risikoreichen individuellen Klageweg angewiesen. Ich sage ganz klar: Es muss um die Stärkung von Frauen gehen. Da können wir von Ihnen mehr erwarten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]) Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist kein Grund zum Feiern, vor allem nicht für die vielen Frauen, die jahrelang für die Beseitigung dieser ungerechten Lohnlücke gekämpft haben. Ich appelliere an Sie alle: Hören Sie auf, Frauen etwas vorzugaukeln! Hören Sie auf, Seifenblasen zu produzieren! Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zu! Lassen Sie uns gemeinsam Nägel mit Köpfen machen – für echte Entgeltgleichheit und Fairness für alle Frauen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ulle Schauws. – Die nächste Rednerin: Dr. Carola Reimann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Carola Reimann (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beschließen jetzt ein wichtiges Gesetz. Mit dem Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen werden wir dazu beitragen, das Gebot „Gleicher Lohn für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit“ endlich auch in der Praxis umzusetzen. Wir knüpfen damit an eine ganze Reihe von Maßnahmen an, die wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben, Maßnahmen, mit denen wir der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt den Kampf angesagt haben. Dazu zählt der Mindestlohn, von dem vor allem Frauen profitieren. Auch zählt die Frauenquote dazu, die dafür sorgt, dass Frauen besser in Führungspositionen aufsteigen können. Und dazu gehören auch Maßnahmen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, wie Elterngeld Plus und Kitaausbau. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern hat verschiedene Gründe. Deshalb setzen wir auch an ganz verschiedenen Stellen an. Das Ziel ist aber immer das gleiche: gleicher Job – gleiche Leistung – gleiches Geld, für Frauen und Männer. Das muss in Deutschland endlich eine Selbstverständlichkeit sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit dem Gesetz machen wir, Kolleginnen und Kollegen, einen nächsten wichtigen Schritt. Wir gehen nämlich ein lange bestehendes gesellschaftliches Tabu an: Über Geld spricht man nicht. Wer kennt nicht diese sehr typisch deutsche Redewendung? Sie wird nicht nur häufig verwendet, nein, fast alle halten sich auch daran. Sie reden nicht über ihr Erspartes, sie reden nicht über den Preis des letzten Urlaubs, und schon gar nicht reden sie über das eigene Gehalt. Vielen ist das gar nicht bewusst. Aber dieses Tabu bzw. diese Verschwiegenheit hat gravierende Folgen, vor allem für Frauen. Viele Frauen wissen gar nicht, dass sie schlechter bezahlt werden. Genau hier setzt die Stärke des Gesetzes an. Es setzt nämlich auf Transparenz. Mit dem individuellen Auskunftsanspruch, mit der Berichtspflicht und mit der Aufforderung zu Prüfverfahren leistet es einen Beitrag, um Lohnstrukturen und Lohnfindung transparent zu machen. (Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht!) Faire Bezahlung von Frauen und Männern beginnt mit Transparenz. Und dafür steht dieses Gesetz. Kolleginnen und Kollegen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das ist eine Frage der Gerechtigkeit – aber nicht nur. Es ist auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. Wir haben diese Diskussion – auch bei der Quote – ja schon oft geführt. Chancengleichheit, Offenheit und Transparenz sind keine Hindernisse für wirtschaftlichen Erfolg, sondern Grundvoraussetzungen dafür. Ich bin fest davon überzeugt: Den Wettbewerb um die besten Fachkräfte wird nur der gewinnen, der eine offene und wertschätzende Unternehmenskultur hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es wird höchste Zeit, dass sich Gleichberechtigung endlich auch auf dem Lohnzettel widerspiegelt. (Beifall bei der SPD) Seit zehn Jahren weist der Equal Pay Day auf die bestehende Lohnlücke hin. Ich will, dass dieser Tag nicht im März und nicht im Februar, sondern gleich am 1. Januar zu feiern ist. (Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz wird das aber nicht ändern!) Dann haben wir unser Ziel erreicht, ein Ziel, für das sich ganz viele Frauen seit vielen Jahren einsetzen. Denen gebührt mein besonderer Dank; denn ohne sie wären wir nicht da, wo wir heute stehen. (Beifall der Abg. Petra Crone [SPD]) – Genau. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Großer Dank an all diejenigen, die da mitgeholfen haben. Ich will, dass die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern möglichst bald der Vergangenheit angehört. Deshalb ist dieses Thema für die SPD-Bundestagsfraktion noch lange nicht abgeschlossen. Wir wollen durchaus noch eine Schippe drauflegen – beim Auskunftsrecht, bei der Berichtspflicht und auch bei den verpflichtenden und zertifizierten Prüfverfahren. Zu Beginn habe ich darauf hingewiesen, dass wir zur Bekämpfung der Lohnlücke an verschiedenen Stellen ansetzen müssen. Gestern Abend hatten CDU und CSU die Möglichkeit, einer weiteren wichtigen Verbesserung für Frauen am Arbeitsmarkt zuzustimmen – nämlich dem Rückkehrrecht von Teilzeitarbeit in die vorherige Arbeitszeit. (Beifall bei der SPD) Diese wichtige Verbesserung für Frauen haben Sie gestern im Koalitionsausschuss verhindert. Ich bedaure das sehr – genauso wie die vielen Frauen, die in diesem Land in der Teilzeitfalle feststecken. Denn auch das Rückkehrrecht in Vollzeit ist ein zentrales Element zur Bekämpfung der Lohnlücke. (Beifall bei der SPD) Ich kann Ihnen versichern: Wir bleiben an diesem Thema dran. Wir wissen: Die Lohnlücke verschwindet nicht von allein und auch nicht durch gute Reden. Sie können sicher sein, dass wir, die SPD-Bundestagsfraktion, uns in Zukunft weiter aktiv dafür einsetzen werden. Danke. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Carola Reimann. – Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen darüber informieren, dass wir gerade mitten in einer Debatte sind und dass es vielleicht sinnvoll ist, bei einer Debatte zuzuhören, zumal Herr Lehrieder auch noch kommt. Es würde echt Ärger geben, wenn Sie dann dauernd dazwischenquatschen würden. – Aber zuerst kommt Ursula Groden-Kranich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Liebe Frauen! Das Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen wurde heftig kritisiert und war auch sicher keine leichte Geburt. Aber das hat schon so manche Mutter erlebt, und das Kind hat sich dann prächtig entwickelt. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Gott!) Erlauben Sie mir daher eine Bemerkung vorab: Wenn wir lange und intensiv über ein Vorhaben diskutieren und wenn verschiedene Gruppen mit Herzblut ihre Interessen vertreten und am Ende einen Kompromiss finden, dann ist das für mich kein Zeichen von Schwäche oder politischer Inkompetenz, (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch nicht um Sie; es geht um die Frauen!) sondern genau das Gegenteil: ein Beispiel dafür, wie Politik ganz praktisch funktioniert, zumindest in einer intakten Demokratie. Dort, wo Gesetze per Dekret von oben erlassen werden, dient das in aller Regel nicht den Frauen und schon gar nicht dem Ziel der Gleichstellung. Ich habe es hier schon mehrfach gesagt, und ich wiederhole es gerne immer wieder: Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern schließen wir nicht mal eben mit einem Gesetz und überhaupt mit keinem Einzelgesetz. Das sehen wir am Beispiel von Skandinavien mehr als deutlich: Weder Transparenz noch irgendeine politische Maßnahme alleine führen zum Ziel. Die unbequeme Wahrheit lautet: Die Lohnlücke schließen wir mittelfristig nur mit einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen junge Frauen von Anfang an stärken und sie viel früher in Sachen Beruf und Finanzen informieren, und wir müssen bei allen Maßnahmen immer auch den Arbeitsmarkt im Blick haben. Denn in Zeiten von hybriden Arbeitsverhältnissen und gebrochenen Erwerbsbiografien gehen manche Regelungen, die wir hier beschließen, an den eigentlichen Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorbei, oder sie sind schon wieder überholt, bevor sie in Kraft treten. Auch wenn dieses Gesetz also nicht die Lösung der Entgeltfrage bringen wird, (Dagmar Ziegler [SPD]: Ja, weil es so lange dauert!) hat es bereits jetzt einen gar nicht unwichtigen Zweck erfüllt: Wir reden über Gehälter und Transparenz, und zwar öffentlich und auf allen Ebenen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie schon seit 20 Jahren!) Ich erwarte davon durchaus eine gewisse Signalwirkung, ähnlich wie bei der Quote, die ja zunächst auch belächelt wurde, und jetzt stellen wir fest, dass sie dort, wo es sie gibt, wirkt und dass trotzdem und völlig überraschend die Welt nicht untergegangen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Wenn wir über dieses Gesetz reden und wenn wir durch dieses Gesetz über Gehälter reden, müssen wir aber auch so ehrlich sein, ein paar unangenehme Fragen zu stellen: an die Wirtschaft, an die Politik und vor allem an uns selber. Denn natürlich könnten unterschiedliche Gehälter innerhalb einer Entgeltgruppe ein Zeichen von Diskriminierung sein. Viel spannender ist aber doch die Frage, warum jemand wo eingruppiert wird und wie ich aus einer Entgeltgruppe in die nächste aufsteige. Damit sind nämlich oft die Bedingungen vorgegeben, die im Laufe des Berufslebens weiter verstärkt werden. Noch schwieriger wird die Bewertung über Berufe und Branchen hinweg. Auch hier müssen wir endlich so ehrlich sein, den Finger in die Wunde zu legen: (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie ja gar nicht!) Die typischen Frauenberufe werden nicht nur von Arbeitgebern oder von den Sozialpartnern unterbewertet, sondern von allen, die diese Dienstleistungen gerne in Anspruch nehmen, aber nicht wirklich bereit sind, dafür auch anständig zu zahlen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen doch gar nichts dagegen!) Auch heute noch gilt Familienarbeit wie Pflege und Erziehungsarbeit als eine Leistung, die Frauen quasi selbstverständlich und natürlich unbezahlt erbringen sollen. Wie der Bericht über die Schwarzarbeit in privaten Haushalten gezeigt hat, geht das sogar noch viel, viel weiter. Auch die Frage nach den Rollenstereotypen, die unbestritten zum Pay Gap beitragen, bringt ein paar unangenehme Antworten mit sich. Inzwischen belegen nämlich zahlreiche Studien, dass diese Rollenstereotype nicht nur in den Köpfen der Männer, sondern genauso in den Köpfen der Frauen verfestigt sind. Ein US-amerikanisches Fachblatt hat soeben Studienergebnisse veröffentlicht, wonach Frauen und Männer gleichermaßen dazu neigen, Frauen pauschal geringere Löhne zuzugestehen als den gleich qualifizierten Männern. Solche unangenehmen Wahrheiten und verfestigten Rollenbilder lösen wir natürlich nicht mit einem Entgelttransparenzgesetz auf. Aber ich bin überzeugt, dass das Gesetz mit seinem Mehr an Transparenz durchaus dazu beitragen wird, die bestehende Lücke zu schließen. Wenn wir uns häufiger mit den unterschiedlichen Gehältern von Männern und Frauen sowie mit den Gründen für die Differenzen beschäftigen, erkennen wir den Wert der eigenen Arbeit und der Arbeit anderer möglicherweise besser. Wir müssen Frauen dazu bewegen, aktiver zu werden. Ich weiß, dass Aktivwerden immer unangenehmer ist, als wenn der Gesetzgeber alles regelt. Aber das Entgelttransparenzgesetz ist eine Etappe auf dem Weg der Gleichstellung, den Feministinnen seit Einführung des Frauenwahlrechts beschritten haben. Das Ziel dieses Gesetzes sind Entgelttransparenz und dadurch Entgeltfairness im Sinne einer leistungsgerechten und geschlechtsunabhängigen Entlohnung. Damit hätten wir dann in der Tat gar nicht so wenig erreicht und einen gar nicht so kleinen Schritt auf dem Weg der Gleichstellung getan. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das Gesetz einmal gelesen?) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Groden-Kranich. – Darf ich noch einmal versuchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie daran zu erinnern, entweder die interessanten Debatten, die Sie hier im Hintergrund führen, draußen fortzusetzen oder sich hinzusetzen. Das gilt auch für die Grünen-Männer, die so engagiert reden. Es sind keine Frauen dabei. Ich bitte Sie, dem letzten Redner in der Debatte Ihr Gehör zu schenken. Der letzte Redner in der Debatte ist Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin aus zwei Gründen sehr glücklich: zum einen, dass ich als siebter Redner und als erster Mann in dieser Debatte überhaupt sprechen darf, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) und zum anderen, dass so viele Kolleginnen und Kollegen Interesse an dieser Debatte zeigen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das Plenum füllt sich. Drei leibhaftige Ministerinnen sitzen bislang auf der Regierungsbank. Mich freut, dass dieses Thema so viel Resonanz im Parlament findet. Das verdient es auch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten in einer Vielzahl von Berichterstattergesprächen, Abstimmungsrunden und Sitzungen über den Entwurf eines sogenannten Entgelttransparenzgesetzes debattiert. Wir haben kontrovers diskutiert und bisweilen gestritten, und zwar nicht nur zwischen den Koalitionspartnern, sondern auch intern. Das war nötig, um ein vernünftiges und akzeptables Ergebnis zu erzielen. Doch am Ende herrschte weitestgehend Einigkeit. Bezüglich geschlechtergerechter Bezahlung besteht Handlungsbedarf. Die bestehende Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen ist nicht länger hinnehmbar. Ja, es ist richtig: Kaum jemandem ist zu vermitteln, dass unsere Töchter bei gleicher Ausbildung später weniger verdienen als unsere Söhne. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Frau Schauws, fragen Sie ruhig. Dann habe ich mehr Zeit. Aber ich werde auch so auf Sie eingehen. Einigkeit gab es in diesem Punkt schon bei den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“ vor knapp dreieinhalb Jahren. Aus diesem Grund wurde die Forderung nach mehr Transparenz durch einen individuellen Auskunftsanspruch in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Zitat: Unternehmen werden dazu aufgefordert, mithilfe verbindlicher Verfahren und gemeinsam mit den Beschäftigten und unter Beteiligung der Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter im Betrieb in eigener Verantwortung erwiesene Entgeltdiskriminierung zu beseitigen. Wir wollen eine Initiative gemeinsam mit den Tarifpartnern starten, um die Muster von struktureller Entgeltungleichheit in Tarifverträgen zu erkennen und zu überwinden. So unser Koalitionsvertrag. Frau Ministerin, Sie haben zum Auftakt Ihrer Rede die 21 Prozent Lohndifferenz angesprochen. Für die Kollegen, die mit der Materie nicht so vertraut sind: Wir reden über zwei Entgeltlücken. Die unbereinigte Entgeltlücke liegt bei 21 Prozent. Sie resultiert daraus, dass viele Frauen in schlecht bezahlten Jobs tätig sind. Aber was wir mit diesem Gesetz überwinden können und überwinden wollen, ist die sogenannte bereinigte, nicht erklärliche Entgeltlücke von 6 Prozent. So viel verdienen Frauen bei gleicher Beschäftigung und Ausbildung durchschnittlich weniger als Männer. Wir können nur versuchen, diese zu schließen. Wir können Frauen nicht verbieten, als Verkäuferinnen zu arbeiten, oder ihnen geschwind eine Bezahlung auf dem Niveau eines Diplomingenieurs verschaffen. Das wird nicht funktionieren. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gar nicht! Das haben Sie immer noch nicht verstanden! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer redet davon? Sie!) Wir haben uns in der letzten Debatte zu diesem Thema ausgetauscht. Ich glaube, neben dem Beseitigen der Entgeltlücke und neben dem Auskunftsanspruch ist es wichtig, Frauen zu stärken, damit sie selbstbewusster verhandeln. Wir sollten nicht erst dann handeln, wenn die Entgeltlücke, Frau Ministerin, erkannt ist. Schon beim Eintritt in ein Unternehmen sollte die Frau sagen: Ich als Frau bin diesen Lohn wert. – Sie soll auf den Tisch hauen und dasselbe wie der Mann bzw. ein ordentliches Gehalt verlangen. Es gehört auch dazu, über entsprechende Mentoringverfahren zu diesem Ziel beizutragen. Wir sollten das eine tun, ohne das andere zu lassen. Dann tun wir den Frauen alle gemeinsam etwas Gutes. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich freue mich auch, dass es uns mit diesem Gesetz gelungen ist, die Bürokratie für die Unternehmen, die zwangsläufig mit diesem Gesetz entsteht, zu kompensieren und sogar abzubauen. So wird eine Regelung eingeführt, wonach in der Vergabeverordnung die Bürokratie, die zusätzlich auf die Unternehmen zukommt, gegengerechnet werden kann. Das heißt, es gibt keine bürokratische Mehrbelastung für die Unternehmen. Es ist wichtig, den Menschen zu sagen, dass wir uns an das „One in, one out“, das Sigmar Gabriel vor Jahren gefordert hat, halten. Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Ihnen, Frau Ministerin, dass uns das gelungen ist. Das war in der ersten Lesung noch nicht der Fall, jetzt aber haben wir es hinbekommen. Es wird auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes möglich sein, verschiedene Arbeitnehmer unterschiedlich zu bezahlen. Sie haben auch jetzt schon die Situation, dass bei ähnlicher Tätigkeit der eine Kollege mehr, der andere weniger bekommt und dass es Leistungszulagen gibt. Das wird es auch in Zukunft geben. Aber dieses Gesetz wird bedingen, dass der Chef erklären muss, worauf die Leistungszulage beruht, warum die Frau weniger als der Mann, der dasselbe tut, bekommt. Ich glaube, das Gesetz wird einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung bringen. Ich freue mich. Heute ist ein guter Tag für die Frauen, heute ist ein guter Tag für das Parlament. Ich wünsche Ihnen alles Gute und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Frau Präsidentin, es blieb auch noch relativ ruhig; wir haben es gut hinbekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön, Herr Lehrieder. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen. (Unruhe) – Wir warten jetzt einfach, bis Sie aufpassen, worum es eigentlich geht. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksachen 18/11727 und 18/11733. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11133 anzunehmen. Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Zu zwei dieser Änderungsanträge hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentliche Abstimmung verlangt. Wir beginnen zuerst mit der Abstimmung über einen Änderungsantrag durch Handzeichen. Ich frage Sie: Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/11758? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit haben zugestimmt Grüne und die Linken, dagegengestimmt hat die Große Koalition. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Nun kommen wir zu den beiden namentlichen Abstimmungen, und zwar zunächst über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/11756. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich darf fragen, ob die Plätze an den Urnen besetzt sind. – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/11756. Gibt es noch Kolleginnen oder Kollegen, die ihre Stimme nicht abgegeben haben? – Ich stelle fest: Alle Kolleginnen und Kollegen haben ihre Stimme abgegeben. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ihnen später bekannt geben.2 Wir kommen jetzt gleich zur zweiten namentlichen Abstimmung, und zwar über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/11757. – Ich frage auch diesmal: Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das scheint so zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/11757. Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht abgestimmt haben? – Gut. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.3 Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung. (Unterbrechung von 17.46 bis 17.53 Uhr) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich möchte Ihnen nun vorlesen, wie die namentlichen Abstimmungen über die Änderungsanträge ausgegangen sind. Abstimmung über den Änderungsantrag zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen, Drucksachen 18/11133, 18/11727, 18/11733 und 18/11756. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 553. Mit Ja haben gestimmt 102, mit Nein haben gestimmt 451, Enthaltungen gab es keine. Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 553; davon ja: 102 nein: 451 enthalten: 0 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Anette Hübinger Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Joachim Poß Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Brigitte Zypries Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Abstimmung über den zweiten Änderungsantrag zum gleichen Gesetzentwurf. Ich lese nur die letzte Drucksachennummer vor, das ist die Drucksache 18/11757. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 551. Mit Ja haben gestimmt 102, mit Nein haben gestimmt 449. Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 549; davon ja: 101 nein: 448 enthalten: 0 Ja DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck (Bremen) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Anette Hübinger Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. h.c. Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Joachim Poß Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Brigitte Zypries Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Wir kommen jetzt zum Gesetzentwurf auf Drucksache 18/11133. Mir liegen zum Gesetzentwurf zwei Erklärungen nach Artikel 31 der Geschäftsordnung vor.4 Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt hat die Große Koalition, dagegengestimmt haben die Grünen, enthalten hat sich die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen mit Zustimmung der Großen Koalition – CDU/CSU, SPD –, Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Tagesordnungspunkt 12 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksachen 18/11727 und 18/11733 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4321 mit dem Titel „Gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Gegenstimmen von der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6550 mit dem Titel „Frauen verdienen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die CDU/CSU, die SPD, Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und von der Linken. Tagesordnungspunkt 12 c. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Frauen gerecht entlohnen und sicher beschäftigen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11641, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/847 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf – möglicherweise gibt es einen Platzwechsel; deswegen lese ich langsam vor –: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Südsudan – Hungersnot abwenden, Völkermord verhindern Drucksache 18/11732 (neu) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, andersartige Gespräche, die nichts mit dem Thema, über das wir jetzt debattieren, zu tun haben, draußen zu führen. Das meine ich wirklich ernst, sonst eröffne ich die Debatte nicht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Uwe Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der VN-Nothilfekoordinator, Stephen O’Brien, wies neulich darauf hin, dass die größte humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg auf uns zurollt. Er spricht in erster Linie von der Hungersnot in den Ländern Jemen, Südsudan, Somalia und Nigeria. Es sind weit über 20 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Laut UNICEF sind inzwischen 1,4 Millionen Kinder stark unterernährt, sie kämpfen bereits mit dem Tod. Um wirklich helfen zu können, braucht die Weltgemeinschaft circa 4,4 Milliarden Dollar. Die deutsche Bundesregierung hat allerdings noch keine klaren Aussagen über Mittelfreigaben gemacht, plant aber gleichzeitig, den Wehretat bis 2020 um 5 Milliarden Euro zu erhöhen. Der Südsudan ist im Würgegriff des Hungers, gleichzeitig gibt es immer mehr Gewaltexzesse bestialischer Art. Die Gewaltspirale verstärkt sich laufend, trotz internationaler Schutztruppen, die zurzeit leider hilflos zusehen müssen, wie sich die Situation täglich verschlechtert. Trotzdem ist auch die weitere Unterstützung der Blauhelme von UNMISS unabdingbar. Frithjof Schmidt hat in seiner letzten Rede zum UNMISS-Mandat darauf hingewiesen. Trotzdem ... müssen wir dringend über eine qualitative Aufstockung und Verbesserung dieser UN-Mission reden. Sie reicht so, wie sie ist, einfach nicht aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich wende mich an dieser Stelle an die Linke. Bitte denken Sie schon einmal darüber nach: Alles abzulehnen, ist gut, aber wir würden von Ihnen gerne Alternativen hören. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Kommt gleich!) Eine Schwächung oder gar ein Abzug von UNMISS wäre für all diese Menschen, die Schutz finden, eine absolute Katastrophe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Der UN-Sonderberater zur Verhinderung von Völkermord, Adama Dieng, warnte bereits im letzten Jahr vor Völkermord im Südsudan, und er vergleicht die Situation heute mit der Situation in Ruanda 1994. Ich muss niemandem erklären, was damals passierte. Seit neun Monaten eskaliert die Gewalt. Menschenrechte werden bestialisch mit Füßen getreten. Die Folge davon: Über 2 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, 1,5 Millionen Menschen sind in die Nachbarländer geflohen. Zivilisten sind inzwischen Zielscheibe der Gewalt. Massenvergewaltigungen, Folter, Plünderungen, Tötungen und willkürliche Inhaftierungen sind an der Tagesordnung. Dörfer werden niedergebrannt, Kirchen und Krankenhäuser angegriffen und Menschen zwangsrekrutiert, auch Kinder. Die VN-Menschenrechtskommission spricht von einem ungeheuerlichen Ausmaß der sexualisierten Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Die sexuelle Versklavung gehört leider dazu. Frauen und Mädchen wird unendliches Leid zugefügt, sie haben oftmals nach einer Vergewaltigung oder einer Schwangerschaft aufgrund einer Vergewaltigung keine Möglichkeit mehr, zu ihren Familien zurückzukehren. Sie werden verstoßen. Im Oktober letzten Jahres traf ich mich mit dem Generalvikar der katholischen Diözese von Tambura. Der Vikar bot mir Bilder an. Er sagte: Hier können Sie einmal sehen, was passiert, wenn Regierungssoldaten ein Dorf überfallen. – Er erklärte allerdings, diese Bilder sind nicht zum Anschauen. Diese Bilder muss man aushalten. Und diese Bilder muss man ertragen. Er hatte leider recht. Ich erspare Ihnen jetzt die Beschreibung dieser Bilder. Ich glaube, jeder von Ihnen kann sich vorstellen, was ich zu sehen bekam. Aber die Bilder bestätigten die beängstigende bestialische Brutalität und die Menschenverachtung in diesem Land. Deswegen muss die Bundesregierung unverzüglich mit den europäischen Partnern einheitlich vorgehen. Auch die schmutzige verbrecherische Rolle von Salva Kiir muss auf das Tableau. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Deutschland und Europa müssen mit China, Russland, den USA, der AU und anderen Ländern nach Lösungsmöglichkeiten suchen, die zu einer Stabilisierung des Landes führen. Der Weg über den Sicherheitsrat muss gut vorbereitet und schnell gefunden werden. Es ist jedoch unabdingbar, in einem ersten Schritt ein UNWaffenembargo durchzusetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Neben vielen Maßnahmen, die wir im Antrag aufzählen, muss die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft verstärkt werden. Aus den Gefängnissen der Regierung Salva Kiir müssen Menschenrechtsverteidiger und Journalisten sofort befreit werden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das Thema der Straflosigkeit und, damit zusammenhängend, die Frage der Beweissicherung müssen jetzt aufgegriffen werden. Jeder, der sich heute an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt, sollte wissen, dass er mit einer strafrechtlichen Verfolgung zu rechnen hat. Deutschland und Europa müssen ihre Beiträge zur Bekämpfung der Hungersnot deutlich erhöhen und auch die kaum mehr vorhandene medizinische Versorgung verbessern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Michael Brand [CDU/CSU] und Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Das alles muss sehr schnell gehen; denn die Regenzeit kommt, und mit der Regenzeit werden weite Teile des Landes einfach nicht mehr passierbar sein. Mit Beginn der Regenzeit können also kaum mehr Unterstützung und Hilfe geleistet werden. Wenn es uns nicht gelingt, jetzt Hilfestellung zu leisten, kommt mit dem Regen auch der massenhafte Tod in den Südsudan, und das können und wollen wir nicht verantworten. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Uwe Kekeritz. – Nächster Redner: Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Michael Brand (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Achol Amman ist damit beschäftigt, dass ihre Kinder schon jetzt Hunger leiden. Die Mutter sitzt vor dem Eingang des Saint Mary’s Hospital in einem Dorf unweit von Wau auf einer Mauer und wiegt den dreijährigen Majok auf dem Schoß. In ihrer Hütte blieben Majoks Geschwister mit leeren Bäuchen zurück. Ammans Mann ist in irgendeiner Schlacht gefallen, und die Südsudanesin hatte in den vergangenen Wochen nichts als Brennholz zu verkaufen, um ihren Kindern etwas Hirse zu beschaffen. Majoks Kopf wirkt riesig im Vergleich zum verzehrten Rest seines Körpers. An Ärmchen und Beinchen ist kein Fleisch mehr an den Knochen. Seine Augen treten aus dem eingefallenen Gesicht hervor. Die Haare sind in Büscheln ausgefallen. Was wird die Mutter tun, wenn sie den nach Erdnussbutter schmeckenden Kalorienkuchen aus UN-Beständen von den Helfern erhält? Die Ärzte werden verlangen, dass sie die Kalorienmedizin Majok gibt. Denn der Junge ist dabei, zu verhungern. Dann bekommen aber seine Geschwister auch weiterhin nur Hirse – zu wenig. Teilt sie den Kuchen unter ihren Kindern auf, wird Majok sterben. Die Mutter muss sich entscheiden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so beschreibt es in einer aktuellen Reportage ein Journalist, der gerade mit der Aktion Deutschland Hilft, einem Bündnis deutscher Hilfsorganisationen, im Südsudan unterwegs war. Ja, „Hungersnot abwenden, Völkermord verhindern“ – so heißt es im Grünenantrag –, das ist in der Tat der Auftrag, der an alle geht. Die Lage im Südsudan ist eine schiere Katastrophe. Und ja, die Gewalt birgt das Potenzial eines Völkermords. Mädchen werden vergewaltigt, Jungen werden wie Tiere abgeschlachtet, wie Augenzeugen in diesen Tagen berichten. Die Lage spitzt sich weiter zu. Hunger wird auch als Waffe eingesetzt. Hunderttausende müssen fliehen. Wer die Menschen im Südsudan jetzt im Stich lässt, wird bald mit den Bildern von sterbenden Kindern konfrontiert werden, von Menschen, die dreckiges Wasser trinken und krepieren. Die Mittel der Staatengemeinschaft für humanitäre Hilfe im Südsudan – das ist meine Sicht der Dinge – müssen verdoppelt werden. Allein das BMZ hat im letzten Jahr über 50 Millionen Euro für die Aufbereitung von Wasser zur Verfügung gestellt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, Europa muss sich insgesamt stärker für Afrika interessieren und engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich meine es nicht parteipolitisch, sondern glaube, dass es eine breite Mehrheit hier im Deutschen Bundestag so sieht – ich könnte auch alle anderen aufzählen, die seit vielen Jahrzehnten in dem Bereich aktiv sind und denen das Schneckentempo viel zu langsam ist –: Der Appell von Gerd Müller und auch von Ursula von der Leyen gestern auf der Konferenz der Bundesregierung zu Sicherheit, Frieden und Entwicklung in Afrika war zutreffend; denn Afrikas Stabilität beeinflusst die Stabilität Europas. Auch das ist meine Einschätzung: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit, auch um stärker zu unterstützen, dass zum Beispiel die lokale und auch die internationale Privatwirtschaft in Arbeitsplätze investiert, um Einkommen und Entwicklung in Afrika zu sichern. Und ja, vieles ist von afrikanischen Politikern, von den sogenannten Eliten hausgemacht. Korruption, Macht und fehlendes Interesse an der eigenen Bevölkerung gehören zu den größten Versagen. Wahr ist auch: Die UN-Missionen am Golf von Guinea und an Afrikas großen Seen haben tatsächlich zur Friedenssicherung beigetragen. Auch in Mali hat der internationale Einsatz Erfolg gebracht; Herr Kollege Kekeritz, die Differenzierung, die Sie eben vorgenommen haben, trifft es ziemlich gut. Es ist an der Zeit, endlich aufzuwachen und mehr zu tun. Und da Sicherheit niemals rein militärisch verengt werden darf, muss das 2-Prozent-Ziel – vielleicht kommt das in der heutigen Diskussion noch zum Tragen – auf 3 Prozent des BIP erhöht werden, und zwar für Verteidigung und eben auch – und jetzt kommt der Schwerpunkt – für die Entwicklungszusammenarbeit, (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein, nein, nein! Das ist ein billiger Trick!) für die humanitäre Hilfe und für die Diplomatie. Das ist machbar, das ist erforderlich, und ich glaube, dass dieser strategische Mix auch zielführend ist. Er dient der Krisenprävention und der Krisenbewältigung. Sie müssen endlich aus den ideologischen Gräben rauskommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wer steckt denn drin?) Wir brauchen beides. Wir brauchen diese Anstrengung an allen Ecken und Enden. Sie wissen doch auch, dass die humanitären Helfer an vielen Stellen gar nicht ihre Arbeit tun können, wenn sie kein sicheres Umfeld haben. Genauso wahr ist, dass Militär allein keinen Frieden schaffen kann. Deutschland engagiert sich auf vielen politischen Ebenen für die Bewältigung der Krise im Südsudan. Im Jahr 2016 wurde ein Schwerpunkt gesetzt – Staatsminister Roth sitzt hier auf der Regierungsbank –: Fast 60 Millionen Euro wurden zur Verfügung gestellt, 2017 werden es 40 Millionen Euro sein. Ich prognostiziere: Es werden mehr als 40 Millionen Euro werden müssen, wenn man dem Elend nicht zuschauen will. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage von Frau Keul? – Ja oder Nein? Michael Brand (CDU/CSU): Ja. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. (Niels Annen [SPD]: Schwere Entscheidung!) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Ich möchte nachfragen, ob ich das mit den 3 Prozent richtig verstanden habe. Wir haben gerade gehört, dass die Bundesregierung 2016 für den Südsudan rund 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat; Sie haben zu Recht gesagt, das muss mehr sein, man muss die Mittel auf 100 Millionen Euro verdoppeln. Jetzt fordern Sie 3 Prozent vom BIP. Ich habe das ausgerechnet. Das hieße im Groben, dass sich der Einzelplan 14 des Bundeshaushalts, der Verteidigungshaushalt, von 30 auf etwa 55 Milliarden Euro erhöhen würde. Wir sprechen von 25 Milliarden Euro zusätzlich für den Verteidigungshaushalt. Können Sie mir erklären, wie das im Verhältnis stehen soll zu den 50 Millionen Euro für die Trinkwasseraufbereitung? Michael Brand (CDU/CSU): Das haben Sie falsch verstanden; vielleicht auch nicht ganz unbeabsichtigt. Ich habe davon gesprochen, dass die Ausgaben von 2 Prozent auf 3 Prozent des BIP erhöht werden sollten, aber nicht nur für das Militär, sondern auch für einen Mix aus Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber Sie wollen die 2 Prozent!) Die Diskussion kennen Sie vielleicht auch von Herrn Ischinger, der diesen Vorschlag im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz gemacht hat. Ich glaube, dass der Vorschlag, Mittel zu erhöhen – Sie haben meine Aussage auf das Militär reduziert; dabei habe ich ausdrücklich gesagt: auch in den anderen Bereichen sind die Mittel deutlich zu erhöhen –, ein Beitrag ist, um das System der vernetzten Sicherheit, an dem wir seit Jahren in unterschiedlichen Konstellationen der Regierungsarbeit und der Parlamentsarbeit hier im Deutschen Bundestag arbeiten, zu unterstützen. Dazu bedarf es einer Kraftanstrengung an mehreren Stellen. Wir sollten die Mittel, die durch die Erhöhung auf 3 Prozent des BIP zusätzlich kommen, in allen Bereichen nutzen – nicht allein im Rüstungsbereich, sondern vor allen Dingen in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Diplomatie –, (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Damit wollen Sie nur das NATO-Ziel erreichen! Ein ideales Feigenblatt!) um den gemeinsamen Ansatz zu stärken. Wir brauchen nicht die Diskussionen von gestern zu führen, die am Ende vielleicht manche Ideologie bedienen, aber den Menschen vor Ort wenig helfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Üble Trickserei! – Stefan Rebmann [SPD]: Entwicklung erhöhen und Verteidigung entlasten!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein großes Problem ist der Zugang zu humanitärer Hilfe. Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn humanitäre Hilfe kommt oftmals gerade nicht dort an, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Ich will auch sagen, dass humanitäre Hilfe – deswegen müssen wir in Bezug auf das 2- oder 3-Prozent-Ziel über den Tag hinausdenken und nicht nur bei der Tagespolitik bleiben, Frau Keul – neben der Erhöhung der Mittel nicht zum Alibi der Staatengemeinschaft verkommen darf, Konflikte nicht politisch zu lösen. Es braucht neben der Verdopplung der Mittel für die humanitäre Hilfe durch die Staatengemeinschaft endlich das, was Kollege Kekeritz gesagt hat: ein Waffenembargo, Reisebeschränkungen und das Einfrieren ausländischer Bankkonten der Rädelsführer im Südsudan. Es muss Schluss damit sein, dass das viele Geld aus Ölexporten in den Taschen einiger weniger Familien landet oder in einem schmutzigen Krieg verpulvert wird, während die Bevölkerung hungert. Deswegen ist die Blockade des Beschlusses des UN-Sicherheitsrates durch China und Russland eine Schande. Sie ist auch Salz in den Wunden der hungernden Bevölkerung. Das muss ein Ende haben. Es gibt eine moralische Verpflichtung, alles zu versuchen, auch um die Sicherheit dort zu stabilisieren. Der Sudan grenzt an Libyen, und Millionen werden sich auf den Weg machen, wenn das Elend weitergeht. Das sind sogenannte vergessene Krisen. (Zurufe von der LINKEN: Ja, ja!) – Ja, das gehört auch dazu. Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Michael Brand (CDU/CSU): Ich muss Perspektiven für die Leute vor Ort schaffen, damit sie sich nicht auf den Weg machen. Auch das ist praktizierte Nächstenliebe. Ich glaube, Deutschland tut eine ganze Menge in dem Bereich. Wahr ist aber auch – das ist die bittere Wahrheit –: Man kann nie genug tun. Deswegen müssen wir unsere Anstrengungen weiter stärken. Ich möchte abschließend eine Aussage des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler zitieren, der sich seit Jahrzehnten für den Kontinent Afrika engagiert. Er schaut nicht nur mitleidig auf Afrika, sondern sieht auch die Chancen, die in diesem Kontinent liegen. Er hat recht, wenn er sagt: Kein Land der Welt, so reich und mächtig es auch sein mag, kann auf Dauer seinen Wohlstand erhalten, ohne auf die Perspektiven der anderen Länder Rücksicht zu nehmen. Daher müssen wir zu einem neuen Verständnis von nationalem Interesse finden, das sich im Kontext eines globalen Gemeinwohls definiert. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Darf ich die Kollegen bitten, sich tendenziell oder ziemlich konkret an die Redezeit zu halten? Das gilt wirklich für alle. – Danke schön. Nächste Rednerin: Kathrin Vogler für die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz einfach: Mikro abdrehen! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Die Linke fordert: Mikro abdrehen! – Gegenruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wenn ihr die Zeiten überzieht! Zuhören! – Gegenruf des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU]: Ja, ja! Immer die Ruhe bewahren, Herr Kollege!) – Vorsicht jetzt, bitte! Jetzt ist Frau Vogler dran, und wir kommen bitte wieder runter. – Frau Vogler, bitte. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich finde auch, da dies ein ernstes Thema ist, sollten wir versuchen, uns darauf zu konzentrieren. Ich kann mich noch gut erinnern an die Menschen, die ich, als ich Ende 2010 im Südsudan war, dort kennengelernt habe. Ich wollte mir selber ein Bild machen von der Lage vor dem Referendum. Ich weiß noch, wie sehr das ganze Land vor lauter Anspannung und Aufregung gebebt hat. Viele haben sich damals dafür starkgemacht, dass die Abstimmung über die Abspaltung vom Norden friedlich und ohne Gewalt vonstattengeht. Die Hoffnungen, die die Menschen mit einem eigenen Staat verbunden haben, waren damals wirklich riesengroß. Sie haben gehofft, dass es endlich Frieden, Wohlstand und Sicherheit für alle Menschen im Land geben würde. Aber schon damals haben wir gespürt, dass das nicht so einfach werden würde; denn die inneren Konflikte in der südsudanesischen Gesellschaft – Konflikte um knappe Ressourcen, Konflikte zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern und Konflikte zwischen den verschiedenen Stämmen – standen schon damals auf der Tagesordnung. Sie wurden nur überlagert vom großen Konflikt mit dem Norden. Die neue Regierung unter Salva Kiir hat die Bürgerkriegsmilizen damals nicht einfach aufgelöst, sondern sie zum größten Teil bewaffnet in einen gigantischen Militär- und Polizeistaatsapparat integriert. Es kam so, wie wir es schon damals befürchtet haben: Seit 2013 herrscht wieder Bürgerkrieg im Südsudan, und die Zivilbevölkerung leidet massiv, vor allem die Jugendlichen und die Frauen. Ja, die Berichte sind erschreckend: Mord, Folter, Vergewaltigung als Kriegswaffe und Hunderttausende auf der Flucht. Allein im Nachbarland Uganda erwartet man bis Ende Mai 800 000 Geflüchtete. Hier dürfen wir nicht untätig zusehen. Deshalb ist es gut, dass die Grünen das Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben. Vielen Dank dafür. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Die Bundesregierung schlägt uns immer wieder dasselbe oder mehr vom Selben vor: die Verlängerung, den Ausbau des Bundeswehreinsatzes im Südsudan. Nun fordern leider auch die Grünen eine Ausschöpfung oder Aufstockung des Bundeswehrmandats für die UN-Mission UNMISS. Ich finde es ein bisschen widersprüchlich, wenn man auf der einen Seite die Bemühungen der Bundesregierung um eine massive Erhöhung des Rüstungsetats beklagt und auf der anderen Seite die Aufstockung von Militärmissionen fordert. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 20 Leute! Um 5 auf 20 Leute!) Aber damit müssen Sie klarkommen. Die Lösung, die Sie uns hier vorschlagen, ist keine Lösung. (Beifall bei der LINKEN) Schon bisher hat UNMISS die Bevölkerung nicht wirksam schützen können. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Sondern?) UNMISS selbst verursacht immer wieder Negativschlagzeilen, weil die Soldaten zu spät reagieren oder sogar untätig dabeistehen, wenn Frauen vergewaltigt werden, wenn sexuelle Gewalt verübt wird. Das belegen interne Berichte der UNO. In diesen Untersuchungen wird auch das Problem beschrieben, dass die Soldaten auf ihren Patrouillen häufig nur durch die Sehschlitze ihrer Panzerfahrzeuge schauen können und gar nicht mitkriegen, wo sich Gewalt anbahnt, wo Frauen bedrängt und Jugendliche bedroht werden. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Was heißt das?) – Das heißt, dass man sich auch über andere Dinge Gedanken machen muss. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke hat bereits vor drei Jahren einen Antrag eingebracht, der genau diese Lücke füllen sollte. Zumindest die nicht abgerufenen Mittel aus der Bundeswehrmission wollten wir dafür verwenden, den unbewaffneten Schutz der Zivilbevölkerung, wie er von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Südsudan musterhaft praktiziert wird, zu unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Dass diese Maßnahmen wirksam sind – dies wird da und dort immer wieder bestritten –, hat inzwischen auch der UN-Sicherheitsrat festgestellt. Ich wundere mich ein bisschen, dass dieses Instrument des unbewaffneten zivilen Peacekeeping, zu dem wir eine wunderbare Anhörung im Bundestag hatten, von den Grünen gar nicht zur Kenntnis genommen wird und nicht in dem Antrag auftaucht. Viele andere Vorschläge können wir mittragen, etwa die sehr wichtigen Forderungen nach einem Waffenembargo sowie nach verstärkten Bemühungen um Verhandlungslösungen und die Forderung, dass zivilgesellschaftliche Akteure besser geschützt werden. Das finden wir richtig. Ich will darauf hinweisen: Das Allerwichtigste, das nun sofort getan werden muss, ist der massive Ausbau der humanitären Hilfe. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben es mit zwei Krisen zu tun. Das sind der Bürgerkrieg und die Hungerkrise. Beide hängen miteinander zusammen und verschlimmern sich gegenseitig. Die UN befürchten, dass in kürzester Zeit bis zu 250 000 Kinder verhungern werden, wenn nicht schnell Hilfe kommt. Hier könnte die Bundesregierung ganz konkret Menschenleben retten. Die bisherigen Zusagen der Bundesregierung an die Vereinten Nationen sind völlig unzureichend. Allein für den Südsudan fehlen akut noch 1,4 Milliarden US-Dollar für die Nothilfe. Die Bundesregierung hat jetzt 43 Millionen Dollar bereitgestellt; das ist ein Zweiunddreißigstel. Würden wir nur nach unserem Bruttoinlandsprodukt gehen, dann müsste dieser Anteil mindestens 100 Millionen US-Dollar betragen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Gut. – Auch weil die Regenzeit bevorsteht und die Hilfe die Menschen dann nicht mehr erreichen wird, fordere ich Sie auf: Handeln Sie jetzt. Handeln Sie schnell. Zeigen Sie Menschlichkeit. In vier Wochen kann es zu spät sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Vogler. – Nächste Rednerin: Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabriela Heinrich (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste! Stellen Sie sich vor, alle Menschen in Niedersachsen wären auf Hilfe angewiesen, um zu überleben, ganz Berlin wäre auf der Flucht, alle unter 18-Jährigen in Hamburg wären akut vom Hungertod bedroht. Dieser Vergleich mit Deutschland zeigt die Dimension der aktuellen Hungerkatastrophe im Südsudan. Stephen O’Brien – Kollege Kekeritz hat es bereits erwähnt –, der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, spricht von 7,5 Millionen Menschen, die akut Hilfe brauchen. Das sind ungefähr so viele, wie Niedersachsen Einwohner hat. Stephen O’Brien hat an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geschrieben: Wir stehen an einem kritischen Punkt der Geschichte. Schon am Anfang des Jahres stehen wir vor der größten humanitären Krise seit der Gründung der Vereinten Nationen. Dieses Zitat bezieht sich, wie auch bereits erwähnt, nicht allein auf den Südsudan, sondern auf die aktuelle Hungerkatastrophe in Teilen der Länder Nigeria, Kenia, Somalia und Jemen. Insgesamt 20 Millionen Menschen könnten verhungern, wenn sich die internationale Gemeinschaft nicht bewegt. Im Südsudan hungern die Menschen jedoch nicht in erster Linie wegen Dürre oder Überschwemmungen, wegen Klimaveränderungen oder fehlendem Saatgut. Hier im Bundestag werden wir seit Jahren auf die drohende Katastrophe im Südsudan hingewiesen. Jedes Mal geht es um brachliegende Felder und ausbleibende Ernten, weil die Menschen auf der Flucht sind vor Gewalt in ihrem eigenen eigentlich reichen und fruchtbaren Land. 58,5 Millionen Euro an humanitärer Hilfe hat das Auswärtige Amt 2016 allein für den Südsudan bereitgestellt. 2017 werden weitere Gelder folgen. Die bilaterale Entwicklungsarbeit musste in weiten Teilen ausgesetzt werden, weil die Sicherheitslage außerhalb der Hauptstadt jede Unterstützung unmöglich macht. Alle Konfliktparteien greifen immer wieder ganz gezielt Zivilisten an. Menschen wurden in Frachtcontainer eingepfercht und zum Sterben in die Sonne gestellt. Milizen und die Regierungsarmee plündern und brennen Häuser nieder. Krankheiten, zum Beispiel die Cholera, breiten sich aus. Und die Frauen? Auch vor dem Krieg wurden die Menschenrechte von Frauen im Südsudan massiv verletzt. Jetzt im Krieg, in diesem Bürgerkrieg, in dem die Frauen marodierenden Banden schutzlos ausgeliefert sind, ist alles noch viel schlimmer. Täter vergewaltigen Frauen ganz systematisch. Diese sexuelle Gewalt scheint auch eine ethnische Dimension bekommen zu haben. Soldaten des Regierungslagers vergewaltigen gezielt Frauen, die nicht der Bevölkerungsgruppe der Dinka angehören. Die Täter gehen natürlich straflos aus, während die vergewaltigten Frauen nicht nur völlig traumatisiert, sondern oft auch aus ihrer Gemeinschaft ausgestoßen werden. Alle beteiligten Konfliktparteien verüben solche Verbrechen: Regierungstruppen, Mitglieder des nationalen Sicherheitsdienstes, Polizisten, Rebellen. Die Kriegsgewinnler sind vor allem die beiden verfeindeten Anführer, Präsident Salva Kiir und sein ehemaliger Stellvertreter, Riek Machar. Ihre Familien leben beide in einem Nobelviertel von Nairobi. Kinder und Enkel gehen dort auf teure Privatschulen. Finanziert wird das alles über intransparente Kanäle, durch Baufirmen, durch Öl. Im Antrag, der heute auf der Tagesordnung steht, ist zu lesen: Die südsudanesische Regierung ist für den Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten verantwortlich und derzeit nicht ... in der Lage, ihre Zivilbevölkerung vor der endemischen Gewalt zu schützen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nicht in der Lage? Nicht willens!) Sie haben auch recht, dass die südsudanesische Regierung ihre Zustimmung zu einer internationalen Schutztruppe widerrufen hat und keinerlei Anstrengungen unternimmt, die schweren Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land zu unterbinden und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Man wird an dieser Stelle auch nicht weiterkommen; denn die Hauptakteure selbst sind für diese Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Das muss ein Ende haben. Im Antrag nennen Sie durchaus viele wichtige Maßnahmen. Gezielte Sanktionen gegen alle maßgeblichen Akteure des Konflikts halte ich für sinnvoll, wie das Einfrieren von Konten und die Einschränkung der Reisefreiheit. Die humanitäre Katastrophe werden wir nicht allein durch humanitäre Hilfe abwenden können. Wir müssen uns weiter dafür einsetzen, eine politische Lösung zu finden. Dazu gehört auch dringend die Übereinkunft über ein Waffenembargo. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dazu gehört meiner Auffassung nach auch UNMISS; denn wir werden die Hilfe zu den Menschen kommen lassen müssen. Bei der Unterstützung ist völlig zu Recht die Zivilgesellschaft genannt. Wir müssen vor allen Dingen auch die Frauen schützen und dafür sorgen, dass Vergewaltigungen und Verbrechen an Frauen und Kindern angeklagt werden. Bis es mit einer politischen Lösung so weit ist, müssen wir weiter die Not lindern. Der eingangs zitierte UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien hat an den Sicherheitsrat geschrieben: Es ist möglich, die Krise, die Hungersnot und die drohende menschliche Katastrophe abzuwenden. Allerdings braucht er für den Südsudan, Jemen, Somalia, Nord-Nigeria 4,4 Milliarden Dollar bis Juli 2017. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Gabriele Heinrich. – Nächste Rednerin: Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Unity“ bedeutet im Englischen „Einheit“; es bedeutet aber auch „Einigkeit“ und „Geschlossenheit“. Im Bundesstaat Unity im Südsudan leben 1,4 Millionen Menschen. Sie sind im Südsudan zurzeit am stärksten von der Hungersnot, von Kämpfen, von permanenter Angst und vielem mehr bedroht, und viele Kinder sind traumatisiert. Diese Menschen haben nichts von Einigkeit, Einheit und Geschlossenheit. Im Südsudan wurde eine offizielle Hungersnot ausgerufen. Das ist nicht nur die erste Stufe einer Warnung, die ausgerufen wird, bevor sich eine Hungersnot anzeigt. Eine offizielle Hungersnot ist der schlimmste aller Fälle, das Schlimmste, was man sich in diesem Bereich überhaupt vorstellen kann. Südsudan ist der jüngste Staat der Welt. Wie euphorisch waren wir alle hier im Plenum gewesen – viele Kolleginnen und Kollegen erinnern sich noch daran –, als wir diesen Staat nach 22 Jahren Bürgerkrieg endlich haben aus der Taufe heben können! Zwei Jahre hat das gehalten. Danach ging wieder der Bürgerkrieg los. Der Bürgerkrieg ist der entscheidende Unterschied zu anderen Ländern Afrikas, die zurzeit auch bedroht sind von Dürre oder Überschwemmungen, ausgelöst von Naturkatastrophen wie El Niño, die die Ernten vernichten. Im Bürgerkrieg wird Aushungern als Waffe eingesetzt, Bauern werden ausgeplündert, das Vieh getötet – man sagt, zuerst stirbt das Vieh, und dann stirbt der Mensch. Das Getreide wird vernichtet, es kommt zu Massenvergewaltigungen, Zivilisten werden gezielt bombardiert, Kinder zu Kindersoldaten rekrutiert und vieles andere mehr. Es findet eine ethnische Säuberung statt – eine ethnische Säuberung im Zuge des Konflikts zwischen zwei rivalisierenden Gruppen, und zwar denen von Salva Kiir, also den mit der Regierung verbündeten Milizen, und den Truppen seines Gegners, denen des Rebellenführers Riek Machar. Beide stehen sich hier in nichts nach. Es ist ein gewolltes Chaos, das hier herbeigeführt wurde. Das Vermögen beider hat sich während des Bürgerkriegs – das ist von den Kolleginnen und Kollegen schon angesprochen worden – um ein Vielfaches vermehrt. Es geht um die Macht im Land. Es geht aber auch um die großen Ölvorkommen im Land, die 97 Prozent der Staatseinnahmen ausmachen und die ausschließlich an China fließen. Da braucht man sich nicht zu wundern, dass das Waffenembargo, das der Weltsicherheitsrat verhängen wollte, an China und Russland gescheitert ist. Auch wenn der Sicherheitsrat diese Woche einen neuen Anlauf unternommen hat, sind wieder nur Empfehlungen herausgekommen. Auch diesen Worten werden keine Taten folgen. Wir müssen sehen, dass es hier um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht. Es gibt im Land über 3 Millionen Flüchtlinge, allein 2 Millionen Binnenflüchtlinge, und 1,5 Millionen Menschen haben Zuflucht in den Nachbarländern gesucht. Allein in Uganda sind es 800 000 Menschen. Der Kollege hat vollkommen zu Recht gesagt, dass die Menschen bisher noch in die Nachbarländer fliehen – vor Hunger und Vergewaltigungen, aus Angst und um ihre Familien in Sicherheit zu bringen. Aber die Grenze zum Sudan ist offen, und Sudan grenzt an Libyen. Wir wissen, was vor der libyschen Küste liegt, nämlich Europa. Auch das muss man in diesem Zusammenhang sehen. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die allermeisten gehen nach Uganda! Das ist eine absurde Theorie!) Das ist eine Conditio, die gewichtig ist. Die Weltgemeinschaft muss aufwachen. Wir müssen sehen, was hier passiert. Ich bin Ihnen für diese Debatte dankbar; denn zu 1 Million Menschen haben wir keinen humanitären Zugang. Das Ministerium hat inzwischen auf Hungermodus umgeschaltet. Wir unterstützen jetzt primär die vulnerable Bevölkerung, also Familien, Kinder und Frauen, die vergewaltigt wurden. Wir müssen deswegen dafür sorgen, dass wir Zugang zu den entsprechenden Gegenden bekommen. Auch internationale Hilfsorganisationen werden zurzeit daran gehindert, in große Teile des Landes vorzudringen. UNMISS wird ebenfalls daran gehindert, unterstützend tätig zu werden. Ich glaube, ein ganz großes Dankeschön müssen wir den vielen Helfern sagen, die dort trotz großer Gefahr für Leib und Leben noch im Land aktiv sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Seit 2013 sind dort 97 Helfer und Helferinnen gestorben, die für die Ärmsten der Armen da waren – allein 6 in der letzten Woche, als sie versucht haben, mit einem Konvoi mit Hilfsmitteln nach Unity vorzudringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die dortige Regierung schämt sich auch nicht, mit diesen Hilfeleistungen Geld zu machen. Früher hat ein Visum 100 Dollar gekostet, jetzt kostet das Visum für einen Helfer fast 10 000 Dollar – das muss man sich einmal vorstellen –, nur damit sich die Regierung und die vielen an der Spitze dieses Landes die Taschen vollmachen können. (Michael Brand [CDU/CSU]: Eine Schande ist das!) Ich möchte zum Schluss kommen. – Ich glaube, eines muss man auch sehen: Auch wir sind gefragt, die Weltgemeinschaft ist gefragt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich die Weltgemeinschaft an die Katastrophen gewöhnt hat. Es ist selbstverständlich geworden, dass man darüber redet. Die Welt ist aber nicht mehr aufgeschreckt. Ich glaube, wir dürfen nicht mehr wegschauen. 1,6 Milliarden US-Dollar sind notwendig, um das Überleben der Menschen im Südsudan zu sichern. Davon fehlen immer noch 1,4 Milliarden US-Dollar. Das darf einfach nicht sein und ist eine Schande für uns Christen. Ich glaube, alle sind hier gefordert. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dagmar Wöhrl. – Nächster Redner: Christoph Strässer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christoph Strässer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor ungefähr zweieinhalb Jahren habe ich auf Vermittlung einer großen internationalen Kinderrechtsorganisation – ich kann den Namen nennen und ein bisschen Werbung machen; es war Plan International – eine Patenschaft für einen Jungen aus dem Südsudan übernommen. Das ist ganz einfach; das kann jeder machen. Das kostet nicht viel Geld, aber mit dem wenigen Geld konnte vieles finanziert werden: der Zugang zur Schule, Kleidung und alles, was man so braucht. Vor ungefähr vier Monaten habe ich von Plan International die Nachricht erhalten, dass sie die Patenschaft leider nicht mehr aufrechterhalten können, weil sie nicht mehr gewährleisten können, dass erstens dieser Junge noch lebt und dass zweitens irgendetwas, was sie tun können, bei diesem Kind auch ankommt. Dieser Junge – ich habe ihn selber nie live gesehen, aber einige Mitteilungen von ihm bekommen – kommt aus der Nähe von Rumbek, einer Stadt im Bundesstaat Lakes im Südsudan. Das liegt noch nicht im Zentrum der Auseinandersetzung, aber auch dort ist die Situation natürlich dramatisch schlecht. Das Schicksal dieses Jungen teilen Millionen von Menschen im Südsudan. Ich spreche darüber aber auch noch aus einem anderen Grund: Der Menschenrechtsausschuss des Bundestages hatte im Jahre 2004, also ein Jahr, bevor der umfassende – ich sage das jetzt einmal in Anführungsstrichen – „Friedensvertrag“ zwischen dem Sudan und der damaligen Provinz Südsudan abgeschlossen wurde, Zugang zum Südsudan. Wir sind dort mit einem sogenannten Buschflieger, einer privaten Maschine, eingeflogen und auf einer Piste mitten im Busch gelandet. Anders war der Südsudan damals nicht erreichbar. Nachdem wir ausgestiegen waren, sahen wir neben dieser Piste zwei große Lagerstätten – Holzlager ohne Dach. Wir haben unsere Begleiter gefragt, was das ist und was darin ist, und sie sagten: Geht mal hin und guckt euch das an. – Wir haben in diese Lager mitten im Südsudan geschaut und gesehen, dass sie vollgepackt waren mit funktionsfähigen Kleinwaffen und allem, was man sich vorstellen kann – und das für jedermann zugänglich. Das sage ich auch deshalb, weil wir hier über ein Waffenembargo reden. Natürlich muss es dieses Waffenembargo geben. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Aber selbst wenn es das geben würde, wären die Probleme im Südsudan dadurch nicht gelöst, weil das Land vor Kleinwaffen überläuft, und das sind die gefährlichen Waffen, die gerade gegen Kinder, Frauen und Zivilisten allgemein eingesetzt werden. Nach der Vereinigung der beiden Staaten ist unter anderem falsch gelaufen, dass keine wirkliche Entwaffnung stattgefunden hat. An der einen oder anderen Stelle sind den Kämpfern zwar die Waffen weggenommen worden, aber sie sind im Land geblieben und in solchen Lagern gelandet, die für alle möglichen Menschen zugänglich sind. Das kann in einem Land, das 22 Jahre lang – und davor noch einmal 15 Jahre lang – im Bürgerkrieg gewesen ist, nicht funktionieren. Deshalb ist das Waffenembargo wichtig; ich glaube aber, man muss der Ehrlichkeit halber auch sagen, dass die EU vor einigen Jahren schon ein Waffenembargo gegen den Südsudan ausgesprochen und Lieferungen dorthin verboten hat. Man muss sich zugleich die Frage stellen, woran ein entsprechendes Waffenembargo der UN eigentlich scheitert. Bei der letzten Abstimmung im Sicherheitsrat haben sich nur 7 von 15 Ländern für ein Waffenembargo ausgesprochen, 8 haben sich enthalten. Unter diesen acht Ländern – das muss man auch einmal sagen – waren zwei ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrates, nämlich China und Russland. Auch das ist ein Teil der Wahrheit, der uns nicht davon abhalten sollte, die Umsetzung des Waffenembargos weiter zu verfolgen. Neben diesem Aspekt möchte ich gerne noch zwei Dinge sagen, die für die politische Situation im Südsudan wichtig sind. Uwe, ich finde euren Antrag gut; das sage ich ganz deutlich. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!) Er hat aber an einer Stelle eine Macke – das hat auch Frau Wöhrl schon angesprochen –: Es findet sich in eurem Antrag kein Satz dazu, dass die Verrohung des Völkerrechtes im Südsudan eine neue Dimension dadurch erfahren hat, dass es eben nicht mehr gelingt, wie Sie es gesagt haben, humanitäre Hilfe dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wird. Wenn Helferinnen und Helfer bei ihrer Arbeit in Lebensgefahr sind, dann wird man sich sicherlich die Frage stellen müssen: Was passiert dort eigentlich? Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist der sogenannte nationale Dialog, der dort stattfinden sollte, aber nicht funktioniert. Ich behaupte – das ist wissenschaftlich nicht bewiesen –: Ein nationaler Dialog zwischen zwei Männern, die nichts anderes gelernt haben, als Krieg zu führen, und zwar auf Kosten der Zivilbevölkerung, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Deshalb ist meine dringende Bitte an die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass dieser nationale Dialog, wenn er denn erfolgreich sein soll, in einem inklusiven Prozess, also unter Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, insbesondere von Frauenorganisationen, durchgeführt wird. Nur dann bietet dieser politische Prozess eine Lösungsperspektive. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Frau Präsidentin, als ich zum Pult gekommen bin, hatte ich eine Vision. Sie alle kennen ja den Ausspruch des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt: Wer Visionen hat, der soll nicht ins Parlament, sondern zum Arzt gehen. – Ich habe trotzdem diese Vision. Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen zur Verhinderung von Genozid, Dieng, hat sehr deutlich gesagt: Das, was im Südsudan passiert, ist etwas Neues – wie es damals in Ruanda, wie es damals in Srebrenica etwas Neues war –, nämlich ein permanenter Prozess des Völkermordes. Meine Vision, bei allen Differenzen, die wir in vielen Fragen haben, war: Das, was den Menschen hilft – das wissen sie vielleicht nicht –, wäre eine starke und einhellige Abstimmung, eine Resolution dieses Hohen Hauses zur Verhinderung von Genozid – nicht nur im Südsudan, aber da ganz besonders. Ich hoffe, wir bekommen das hin. Das wäre ganz toll. Ich glaube, die Menschen würden sich über ein solches Signal nicht nur freuen, sondern sie würden auch etwas davon haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Christoph Strässer. – Der letzte Redner in dieser sehr intensiven Debatte: Frank Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD]) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist tatsächlich eine sehr intensive Debatte, genau. – Was kann man denn, nachdem man sich die Daten und Fakten, die wir gehört haben, vergegenwärtigt hat, noch hinzufügen? Zunächst ein Dank an Sie als Grüne, dass wir als Parlament dieses Thema zu dieser Tageszeit diskutieren können und das Thema nicht nur für uns, sondern auch für die Öffentlichkeit präsent machen. Das Bewusstsein für die verheerende Lage ist mir persönlich tatsächlich noch viel zu gering ausgeprägt. Es ist wichtig, dass die Situation im Südsudan, die wir heute debattieren und von der Sie als Zuschauer ein bisschen schockiert sind, den Menschen draußen klargemacht wird. Was sollte man noch hinzufügen? Ich werde natürlich ein paar Dinge noch einmal in Erinnerung rufen, die schon von den Kollegen gesagt wurden. Aber wir als Weltgemeinschaft müssen handeln, und wir dürfen uns nicht mit weniger als dem Besten, was wir haben, zufriedengeben. Im Südsudan droht Völkermord; Herr Strässer hat es zum Schluss seiner Rede gesagt. Auch die UN haben das aufgenommen. Es ist ein schleichender, aber ein voranschreitender Prozess, der möglicherweise dahin führt, was wir in unseren Erinnerungen mit Ruanda verbinden. Täglich sterben 20 Menschen den Hungertod, viele davon sind Kinder. 1 Million Kinder sind akut unterernährt. Es droht eine verlorene Generation. Und die Krise ist – das haben wir mehrfach gehört – keine neue Krise: seit drei Jahren Bürgerkrieg, 300 000 Tote, Vertreibung eines Drittels der Bevölkerung und Kollaps der Wirtschaft. Die Inflation schießt um 800 Prozent in die Höhe; nicht nur Visa sind also exorbitant teuer. Die Regierung hat kein Geld mehr übrig, zumindest nicht für Humanitäres. Was machen Menschen, wenn sie kein Geld haben, der Handel nicht funktioniert und sie nicht selber etwas produzieren können? Viele Familien haben alle Wege ausgeschöpft, sich ohne Hilfe von außen am Leben zu erhalten. Wenn Beeren da sind, werden die gesammelt. Sonst aber – das habe ich gelernt – müssen sie auf Zweige, Baumrinden und Wasserlilien zurückgreifen. Humanitäre Hilfe, auch von uns, ist die einzige Hoffnung und Chance. Natürlich spielt der Klimawandel mit der Dürre in Ostafrika eine Rolle. Wirklich verantwortlich für das Leid der Menschen in den vergangenen Jahren sind aber – das ist hier mehrfach angesprochen worden – die südsudanesischen Machtkämpfer. Auch da stehen wir, was den Geist dessen anbelangt, was ihr Grüne vorschlagt – das sollt ihr wissen –, natürlich voll hinter euch. Obwohl die Wirtschaft am Boden liegt, scheint es immer noch Möglichkeiten der persönlichen Bereicherung der Eliten zu geben. Der Sentry-Report belegt, dass mit dem Beginn des Krieges 2013 für die Herrscherclique wirtschaftlich fette Jahre begonnen haben. Er listet auf, wo die Mächtigen ihre mondänen Häuser im Ausland haben und wie sie das Land ausplündern. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Werbung „Mein Haus, mein Boot, mein Auto“. Der Kampf der kleptokratischen Netzwerke um politische Macht und um den Zugang zu den Ölressourcen hat den Zusammenbruch des Landes herbeigeführt. Die Verantwortung liegt oben, den Preis zahlen die unten. Dem Leid der eigenen Bevölkerung steht – zumindest sieht es so aus – die Elite nicht nur gleichgültig gegenüber, sondern das, was zum Leid führt, wird von der Clique noch angetrieben. Genau in der Region, wo die UN die Hungersnot ausgerufen haben, führt die südsudanesische Regierung eine Art Vernichtungskrieg gegen ihre eigene Bevölkerung. Sie wird gezielt ausgehungert. Massenvergewaltigungen – das wurde mehrfach genannt – betreffen zwei Drittel bis drei Viertel aller Frauen. Vermehrt ethnisch motivierte Gewalt und Hassrhetorik sind Vorboten genozidärer Gewalt. Davor hat der gerade genannte Adama Dieng schon im November gewarnt. Natürlich bin ich – auch das ist hier schon zitiert worden – dankbar für das, was unser Land bzw. die Bundesregierung schon tut. Ich denke dabei an die regionale Schutztruppe zur Verstärkung von UNMISS, an die zivile Konfliktprävention und an den von uns unterstützten Ausbau der Friedens- und Sicherheitsarchitektur der Afrikanischen Union. Das alles ist toll. Und dann kommen wir nicht einmal diplomatisch damit durch, dass das Waffenembargo tatsächlich klappt und dass gezielte Sanktionen verhängt werden. Das ist so, weil sich auch Länder, mit denen wir sehr befreundet sind, nicht zu mehr als einer Enthaltung durchringen können. Wir stoßen an die Grenzen unserer diplomatischen Mittel. Tun wir aber genug? Die Aufforderungen nehmen wir sehr wohl wahr. Wenn wir die humanitäre Hilfe mit dem zusammenrechnen, was das BMZ gibt, kommen wir auf knapp 100 Millionen Euro. Tun wir genug? Für Frieden, Sicherheit und Stabilität ist der politische Wille der verantwortlichen Akteure vor Ort unerlässlich. Die Machthaber müssen endlich die Krise anerkennen und ihre Verantwortung gegenüber den 13 Millionen Südsudanesen übernehmen. Natürlich müssen sich auch die Afrikanische Union und die Nachbarländer mit ihren Einflussmöglichkeiten – allein wegen ihres Eigeninteresses an Stabilität und Frieden in der Region – stärker in die Pflicht nehmen lassen. Ich appelliere auch an die afrikanischen Nachbarländer, unsere Partner, mehr Druck auf diese Regierung auszuüben, sich zusammenzuschließen, um Frieden zu schaffen. Gestern Abend gab es eine Konferenz – sie wurde vorhin genannt –, auf der Ministerin von der Leyen und Minister Müller betonten, dass Sicherheit, Frieden und Entwicklung einander bedingen. Deshalb ist es gut, wenn wir mit dem Marshallplan und dem „Compact with Africa“ den Schwerpunkt in der G 20 auf Afrika legen. Aber beide Seiten müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Wir müssen das diplomatisch, finanziell und moralisch und mit vielem anderen, was in dem Antrag steht, machen. Aber wir müssen den Akteuren des Bürgerkrieges auch sagen: Übernehmt in eurem schönen Land, dem Südsudan, die Verantwortung für eure 13 Millionen Bürger. Ich danke. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frank Heinrich. – Ich schließe die Aussprache. Vielleicht, lieber Christoph Strässer, können wir uns daran orientieren, wie Ernst Bloch „Vision“ definierte: als das noch nicht Seiende. – Vielen herzlichen Dank für diese Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11732 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vielen Dank. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia Drucksachen 18/11273, 18/11673 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11674 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind 25 Minuten für die Aussprache vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze einzunehmen, damit ich die Aussprache eröffnen kann. Ich gebe Jürgen Coße für die SPD als erstem Redner das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jürgen Coße (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Krisenprävention ist besser, als einen Konflikt lösen zu müssen, wenn er schon ausgebrochen ist. Aktive Krisenprävention und Friedensförderung sind jede Mühe von uns allen in diesem Haus wert und braucht die breiteste Unterstützung, die wir bekommen können. Aber was ist, wenn die Krise schon da ist? Wir alle kennen die schockierenden Bilder der Hungernden aus Somalia. Von der Wasserknappheit sind dort zurzeit 6,2 Millionen Menschen betroffen. Das ist über die Hälfte der Bevölkerung. Mitte März hat das Auswärtige Amt die humanitäre Hilfe für das Horn von Afrika verdoppelt. Es stimmt: Humanitäre Hilfe ist unabdingbar, aber für eine langfristige Stabilisierung müssen wir viel mehr tun. Ja, wir müssen die somalische Regierung in die Lage versetzen, das Land effektiv zu regieren und auch die humanitäre Hilfe zu schützen. Anders gesagt: Ohne Frieden und Sicherheit kann es keine tragfähige Entwicklung in Somalia geben. Deswegen bildet die EU seit 2010 Soldaten der somalischen Armee in der Mission EUTM Somalia aus. Sie stützt sich auf eine Einladung der somalischen Regierung und auf eine Resolution des Sicherheitsrates. Diese Ausbildungs- und Trainingsmission leistet mit 155 Soldaten einen zahlenmäßig kleinen, aber wichtigen Beitrag zur Stabilisierung Somalias. So konnten bereits mehr als 5 400 somalische Soldaten ausgebildet werden. Vielen Dank an die elf deutschen Soldaten, die derzeit dort ihren Dienst tun! Sie leisten unter schwierigen Bedingungen sehr, sehr gute Arbeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ja, die Sicherheitslage in Somalia ist zwar immer noch angespannt, hat sich aber verbessert. Auch der politische Prozess macht Hoffnung. Gemessen an den Umständen waren die letzten Monate ein kleiner Erfolg. Nach einem komplizierten Auswahlprozess und der friedlichen Machtübernahme ist Mohamed Abdullahi als Präsident vereidigt worden. Er ist demokratisch legitimiert; er hat vielleicht sogar die höchste demokratische Legitimation, die ein Präsident in Somalia je hatte. Der neue Präsident kommt aus dem Exil und hat sich bereits 2010 als Premierminister mit seinem Eintreten gegen Korruption einen Namen gemacht. Er sorgte damals dafür, dass die Soldaten regelmäßig ihren Sold erhielten. Lassen Sie uns ihm und seiner Regierung jetzt und auch weiterhin eine Chance geben. Eine Chance hat die Regierung aber nur, wenn sie über ein gut ausgebildetes Militär verfügt. Dafür vermittelt EUTM Somalia Spezialwissen, hauptsächlich an Offiziere. Der Lehrplan umfasst unter anderem zivil-militärische Zusammenarbeit, humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte. Damit wird ein Grundstein für eine Armee gelegt, die Zivilisten schützen kann. Zweifellos gibt es bei der Ausbildung einiges zu verbessern. Das tut die EU aber auch. 2016 beschloss die EU, die Ausbildung stärker stammübergreifend auszurichten. Bereits Anfang dieses Jahres hat die Mission die Ausbildung einer stammübergreifenden Infanteriekompanie abgeschlossen. Diese Fortschritte können sich sehen lassen, auch wenn sie klein sind. Trotzdem macht sich heute keiner meiner Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus die Entscheidung leicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wer gegen den Antrag stimmt, muss eine Frage beantworten: Was ist denn die Alternative? Wenn wir uns nicht in Somalia engagieren, überlassen wir das Land auf jeden Fall den Terroristen von al-Schabab. Das kann niemand in diesem Hause ernsthaft wollen. Sicherlich: Die Parole „Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme“ ist ein gutes Ziel. Es zu erreichen, liegt auch im europäischen Interesse. Aber so weit sind wir noch nicht. Noch gibt es eine geteilte Verantwortung bei der Bewältigung von Krisen und Konflikten auf unserem Nachbarkontinent. Was nicht nationalstaatlich gelöst werden kann, wird auf Ebene der afrikanischen Regionalorganisationen oder der Afrikanischen Union gehoben, und es wird versucht, eine Lösung anzustreben. Erst danach kommen die Vereinten Nationen und die Europäische Union ins Spiel. Im Bundestag, liebe Kolleginnen und Kollegen, reden wir häufig über Krisen und Konflikte in Afrika, die bislang noch nicht gelöst worden sind. Aber es gibt auch Erfolge. Über diese sollten wir vielleicht öfter reden. Erst Anfang des Jahres gelang es der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, in Gambia einen letztlich friedlichen Machtwechsel durchzusetzen. Auch die Afrikanische Union macht Fortschritte. Für den neuen Generalsekretär der Afrikanischen Union stehen Sicherheit und Frieden ganz oben auf der Agenda. Er hat sich in Somalia ein Bild von der Lage vor Ort gemacht. Auf jeden Fall müssen wir anerkennen, welche Entwicklung die afrikanische Sicherheitsarchitektur bereits genommen hat. Die Afrikanische Union gibt es erst seit 15 Jahren. Ihre Vorgängerin, die Organisation für Afrikanische Einheit, stand noch klar unter dem Prinzip der Nichteinmischung. Interventionen, wie sie die Afrikanische Union heute vornimmt, wären damals undenkbar gewesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir etwas umfassender zurückblicken, sehen wir: Die afrikanische Sicherheitsarchitektur ist auf dem Weg nach vorne, auch wenn es langsam vorangeht. Bis das Ziel „Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme“ erreicht ist, wird allerdings noch viel Wasser Nil, Kongo und Niger hinunterfließen. Bis es so weit ist, sollten wir uns nicht verweigern, wenn wir helfen können. Genau deswegen stimmt die SPD diesem Antrag zu. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Coße. – Nächste Rednerin: Sevim Dağdelen für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der gerade vorangegangenen Debatte über die Hungersnot im Südsudan gesprochen. Hier kann man eigentlich nahtlos anschließen. Somalia steht nämlich am Abgrund. Die Menschen in Somalia stehen vor einer humanitären Katastrophe. 6,2 Millionen Menschen hungern, davon allein 300 000 Kinder. Wenn nicht schnell Hilfe ankommt, werden Tausende Menschen sterben. Das Welternährungsprogramm berichtet davon, dass massiv Mittel fehlen, um auch nur die nötigste humanitäre Hilfe in Somalia zu leisten. Die Bundesregierung hat im letzten Jahr 38 Millionen Euro ausgegeben. Ende Februar 2017 hat sie zusätzlich 16,5 Millionen Euro bereitgestellt. Das begrüßen wir ausdrücklich. Das ist gut. Aber es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie stellen den Hungernden in Somalia damit pro Kopf 2,66 Euro zur Verfügung. Tausende Menschenleben, die gerettet werden könnten, werden so nicht gerettet. Den Vereinten Nationen, sagt der Sondergesandte von UN-Generalsekretär Guterres, Michael Keating, fehle es an Geld. Zitat: Das Vorbeugungsprogramm gegen Hunger braucht 864 Millionen Dollar bis Juni, um 5,5 Millionen Menschen zu erreichen. 30 Prozent des versprochenen Geldes ist da. Da fragt man sich natürlich: Was tut man, was tut die Bundesregierung, um den Hungernden zu helfen, also einer existenziellen Krise entgegenzuwirken, und das notwendige Geld aufzutreiben? Warum ist die Bundesregierung nicht bereit, wenigstens die 8 Prozent, die Deutschland zum UN-Budget leistet, oder sogar 10 Prozent – das wäre angesichts der schwerwiegenden Situation mehr als angemessen – als Anteil zu übernehmen? Warum ist man dazu nicht bereit? Das wäre eigentlich angemessen angesichts der wirtschaftlichen Kraft, die wir haben, und entspräche dann 86 Millionen Dollar. (Beifall bei der LINKEN) In diese Richtung gehen Sie aber einfach nicht. Stattdessen soll die Ausbildungsmission für somalische Sicherheitskräfte durch die Bundeswehr fortgeführt werden. Für diese Mission sollen heute hier im Bundestag 4,1 Millionen Euro für ein Jahr bereitgestellt werden, also ein Viertel der Summe, die Sie hier zusätzlich für humanitäre Hilfe einsetzen wollen. Das geschieht, obwohl Sie noch nicht einmal sagen können, wie viele der von Ihnen ausgebildeten Soldaten desertiert oder beispielsweise mitsamt der ganzen Ausrüstung und den Waffen zu den Al-Qaida-Milizen übergelaufen sind. Es gibt überhaupt keine Kontrolle. Sie sind seit sieben Jahren die Antwort auf die Frage schuldig, wo die ausgebildeten Soldaten letztendlich geblieben sind. Mit dieser Mission beteiligt sich die Bundesregierung weiterhin am somalischen Bürgerkrieg und unterstützt natürlich auch fragwürdige Akteure wie die somalische Regierung. Die Präsidentschaftswahlen fanden erst jüngst durch nichtgewählte Abgeordnete in einem Hangar in Mogadischu statt, der von der AMISOM bewacht wurde. Es gibt keinerlei Strukturen in Somalia, um Kriegsverbrechen der somalischen Regierungstruppen oder der AMISOM zu ahnden. Aber es ist genau diese Straflosigkeit, die das internationale Recht immer weiter erodieren lässt. Auch die Bundesregierung muss in puncto Straflosigkeit endlich Farbe bekennen, und das gilt nicht nur für Somalia. Wir müssen endlich eine lückenlose Aufklärung über die Kriegsverbrechen, an denen die Bundeswehr beteiligt ist, erhalten. Frau von der Leyen, lassen Sie mich hier sagen: Wenn sich die Berichte über die Beteiligung der Bundeswehr an dem Angriff auf die Schule in Syrien erhärten, dann müssen Sie hier natürlich auch die politische Verantwortung übernehmen und die Konsequenzen ziehen. (Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Würden Sie den Begriff „Kriegsverbrechen“ noch einmal erklären?) Die Bundesregierung beteiligt sich auch an den US-Kriegsverbrechen in Somalia durch die Drohnenmordaktionen. Das wissen Sie schon seit längerem. Hier in Deutschland wird weiterhin die notwendige Infrastruktur für diese Drohnenmorde auch in Somalia vorgehalten. Das empfinden wir als unerträglich. Wir fordern Sie deshalb auf: Beenden Sie diese Beihilfe zu Kriegsverbrechen! Leisten Sie in Somalia eine ausreichende humanitäre Hilfe, statt immer wieder die Verlängerung von Militärmissionen zu beschließen, über deren Bilanz offen und transparent zu sprechen Sie bis heute nicht in der Lage sind. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gerade wieder einen typischen Beitrag aus der Linksfraktion erlebt, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wahrheitsgemäß!) den ich aber dennoch kurz einordnen muss. Ich muss schon sagen: Diesen kleinen Beitrag zu einer Ausbildungs- und Trainingsmission mit neun oder elf Soldaten hier als einen Beitrag zur Beteiligung an Kriegsverbrechen (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Im Bürgerkrieg, ja!) zu diskreditieren, das ist infam, Frau Kollegin. Dafür sollten Sie sich entschuldigen. Das sollten Sie zurücknehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist ja ein Witz!) Für mich ist das Anlass, den Soldatinnen und Soldaten der deutschen Bundeswehr, die dort Ausbildung betreiben und die die Soldatinnen und Soldaten der somalischen Streitkräfte in die Lage versetzen, (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal was zu den Drohnenmorden!) sich gegen eine terroristische Al-Schabab-Miliz zur Wehr zu setzen, einmal herzlich für den schweren Dienst, den sie in Somalia leisten, zu danken. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die Menschen hungern da!) Unsere Soldaten leisten einen Beitrag zu mehr Frieden in diesem Land – überschaubar, aber es ist ein Beitrag dazu, dass dieses Land befriedet werden kann. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es sollte auch schon angesichts der Zahl, über die wir gesprochen haben – der Kollege Coße hat es aus meiner Sicht vollkommen richtig einsortiert –, jetzt nicht der Eindruck erweckt werden, als wären diese Soldatinnen und Soldaten, die in der Tat schon über 5 000 Angehörige der Streitkräfte in den vergangenen Jahren dort ausgebildet haben – das ist beachtenswert genug –, die Lösung aller somalischen Probleme. Diesen Eindruck hat hier niemand erweckt, (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Gerade eben haben Sie es noch getan!) und das ist auch gar nicht der Anspruch, den wir mit dieser Mission verfolgen. Aber wir müssen schon zur Kenntnis nehmen, dass es in diesem Land, das in den letzten Jahren und Jahrzehnten einige Heimsuchungen hat erleben müssen, doch eine vorsichtige Entwicklung zum Positiven gegeben hat. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie könnten mal sagen, wie viele desertieren!) Es gibt in der Tat – auch darauf ist vom Kollegen Coße hingewiesen worden – einen neuen Präsidenten, der aus dem Exil kommt, der das Richtige will, der eine integrative Regierung gebildet hat, der sich dafür einsetzt, dass Menschenrechte in diesem Land geachtet werden, und der Korruption bekämpfen will. Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen und in dem Land etwas Neues herbeiführen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ist das Demokratie für Sie, was da ist?) Aber diese neue Regierung braucht unsere Unterstützung. Sie braucht erst einmal Sicherheit in diesem Land. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die brauchen was zu essen in diesem Land! Die hungern, die Menschen dort!) Dazu müssen wir einen bescheidenen, aber doch notwendigen Beitrag auch mit dieser Mission leisten. Das ist richtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an die Kolleginnen und Kollegen der Grünenfraktion zu appellieren, noch einmal darüber nachzudenken, ob man hier nicht doch zustimmen kann, wenn sie nach wie vor anstreben – in welcher Konstellation auch immer; die Zahlen lassen dieses Vorhaben ein wenig wackelig erscheinen –, nach der Bundestagswahl an einer Bundesregierung beteiligt zu sein. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsicht im Glashaus!) – Herr Kollege Lindner, Sie strahlen eigentlich immer aus, dass Sie dabei sein wollen, wenn regiert wird. (Rainer Arnold [SPD]: Das ist ja ein Koalitionsangebot an die da drüben!) Deshalb sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, ob Sie diesem Einsatz nicht doch zustimmen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist deplatziert bei diesem Thema!) – Frau Lemke, Sie wollen vielleicht nicht beteiligt werden. Das zeigt die Zerstrittenheit der Grünen. Aber das müssen Sie untereinander regeln. Sie fordern doch immer wieder ein, dass wir klare völkerrechtliche Grundlagen für die Einsätze brauchen. Wir haben es hier mit einer somalischen Regierung zu tun, (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die demokratisch legitimiert ist aus Ihrer Sicht!) die die Europäische Union eingeladen hat. Es gibt eine Resolution des UN-Sicherheitsrates. Sie verlangen immer wieder, dass wir die Autorität des Sicherheitsrates unterstützen und dass wir ihm dadurch zu Glaubwürdigkeit verhelfen, dass wir diese Missionen auch wahrnehmen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Welche Legitimation hat denn die Regierung dort?) Hier sind wir nun einmal gemeinsam mit unseren europäischen Partnern diejenigen, die in Somalia auf einer klaren völkerrechtlichen Grundlage tätig werden können. Insofern sollte man das auch tun. Sehen Sie doch die in der Tat bescheidenen, aber durchaus vorhandenen Vorteile dessen, was sich in Somalia entwickelt hat: eine neue Regierung, ein neuer Ansatz. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wieder eine Marionettenregierung eingesetzt!) Man versucht, die verschiedenen Strukturen des Landes einzubeziehen. Berücksichtigen Sie das, was wir an Entwicklungshilfe, was wir an humanitärer Hilfe dort leisten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will den Einsatz nicht überhöhen. Diese Zahl von Soldatinnen und Soldaten kann in diesem Land nicht alles regeln. Wir können sicherlich nicht versprechen, dass nur deswegen, weil unsere Soldatinnen und Soldaten dort sind, alles besser wird. Aber auch hier gilt der Grundsatz: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. – Wir tun ein bisschen etwas Gutes. Wir leisten einen Beitrag dazu, dass dieses so gescholtene Land, das sich in so schwierigen Verhältnissen befindet, zu ein bisschen mehr Stabilität finden kann. Sie sollten Ihren Teil dazu beitragen, indem Sie diesem Einsatz zustimmen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Agnieszka Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in der vorhergehenden Debatte über die drohenden Hungerkatastrophen im Südsudan, aber auch schon in Nigeria, im Jemen und in Somalia gesprochen. 1,4 Millionen Kinder, die vom Hungertod bedroht sind, das ist schockierend. In Somalia ist allein die Hälfte der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Damit sich die Hungerkatastrophe von 2011 mit 250 000 Toten nicht wiederholt, muss jetzt schnell geholfen und gehandelt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Düster ist auch die Sicherheitslage. Auch wenn al-Schabab mittlerweile an Macht und Territorium eingebüßt hat, werden nach wie vor in hoher Regelmäßigkeit grausame Anschläge auf Regierungsgebäude, Hotels und Sicherheitskräfte verübt. Die Vergangenheit hat für die Menschen in Somalia viele Grausamkeiten, enttäuschte Hoffnungen und Rückschläge bedeutet. Viele von ihnen geben aber trotzdem die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft nicht auf, und sie gilt es zu unterstützen. Leider ist es nicht gelungen, den neuen Präsidenten in einer freien, fairen Wahl direkt durch die Bürgerinnen und Bürger bestimmen zu lassen. Trotzdem: Insbesondere vor der Folie der korrupten Vorgängerregierung bedeuten ein neues Parlament und ein neuer Präsident auch neue Chancen. Positiv ist auch, dass Deutschland wieder Entwicklungszusammenarbeit leistet. Aber angesichts der extrem schwierigen Lage in Somalia gibt es eine Sache, an der es da nicht mangelt: Das ist die Vielzahl der Akteure, gerade wenn es um den Sicherheitssektor geht. Die Afrikanische Union, die Europäische Union, die Türkei, Großbritannien, die USA, die Vereinigten Arabischen Emirate und sogar private Militärfirmen sind in diesem Bereich aktiv – mit ihren jeweils eigenen Interessen und auf eigene Rechnung. Was in Somalia nämlich eindeutig fehlt, das ist eine Strategie für einen nachhaltigen Aufbau politisch kontrollierter Sicherheitskräfte, die im Dienste aller Menschen stehen. In diesem Umfeld findet die europäische Ausbildungsmission EUTM Somalia statt. Sie wurde 2010 begonnen, hat die ersten Jahre in Uganda stattgefunden, und die Bundesregierung hat sich damals aus guten Gründen nicht daran beteiligt, weil sie berechtigte Zweifel hatte, ob diese Mission so zum Ziel führt. Statt wirklich auf eine echte und nachhaltige Neuausrichtung dieser Mission zu drängen, hat die Bundesregierung sich irgendwann entschieden, sich doch einfach daran zu beteiligen. Im Mandat umschreiben Sie die zahlreichen Probleme, die diese Mission hat, mit der Formulierung, sie habe ihre Aufgaben nicht wirksam genug umsetzen können. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das ist verharmlosende Schönrederei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) In den letzten Jahren gab es eine Reihe von wirklich sehr vielen glaubwürdigen Hinweisen dazu, was bei dem Versuch, die somalische Armee auszubilden, alles schiefgelaufen ist. Es gibt die Analyse des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, unheimlich viele Berichte, Augenzeugenberichte von Nichtregierungsorganisationen und sogar eine eigene Auswertung der Europäischen Union. Sie alle stellen dieser Mission ein verheerendes Zeugnis aus. Es gibt Berichte über uniformierte Soldaten, die die eigene Bevölkerung ausrauben, statt sie zu schützen, über Soldaten, die keinen Sold bekommen und nach der Ausbildung mit ihrer Ausstattung zu den Milizen überlaufen. Das ist wirklich kein Beitrag zu mehr Sicherheit in Somalia. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Seit Jahren ist immer wieder die Rede von hohen Desertionsraten. Wir Grüne haben oft nachgefragt, die Linken auch. Ich lese Ihnen einfach einmal vor, was man dann so als Antwort von der Bundesregierung bekommt, zum Beispiel am 8. März dieses Jahres von Herrn Brauksiepe aus dem Verteidigungsministerium: Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu Desertionen von somalischen Soldaten nach dem Abschluss ihrer Ausbildung im Rahmen der EU-geführten militärischen Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia oder über generelle Desertionsraten in der somalischen Armee vor. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung handelt hier nach dem Motto: Was ich nicht sehen will, das gibt es einfach nicht. – Ihre Devise ist, mit einem möglichst geringen Beitrag dazubleiben, auf den ersten Blick schöne Statistiken zu präsentieren und kleine Kurswechsel als große Lehren zu verkaufen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da fragt man sich schon: Ist das noch naiv und blauäugig, oder ist das nicht schon verantwortungslos? Meine Damen und Herren, wir Grüne können dem Appell des Kollegen Wadephul nicht folgen, sondern wir appellieren an die Bundesregierung, das alles endlich ernst zu nehmen; denn so können wir dem Mandat natürlich auf keinen Fall zustimmen, und zwar nicht deshalb, weil wir die Menschen in Somalia alleinlassen wollen, sondern deshalb, weil Sie seit Jahren nicht bereit sind, die zahlreichen Fehler zu korrigieren, und so ganz sicher nicht zu einem nachhaltigen Aufbau von Sicherheitsstrukturen in Somalia beitragen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe) Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen und auch dem nach unserer Redeliste letzten Beitrag in dieser Debatte vor der namentlichen Abstimmung die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken. (Beifall des Abg. Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]) Ich meine diese Bitte sehr ernst und richte sie an alle Fraktionen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Der linke Block sitzt gleich komplett!) Das gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen der SPD, die dort hinten stehen. (Zuruf von der SPD: Weitermachen!) – Nein, wir werden nicht weitermachen. Ich werde dem Kollegen Höschel zu seiner ersten Rede im Hohen Hause nicht das Wort erteilen, bevor nicht die notwendige Aufmerksamkeit hergestellt ist. (Beifall) Ich bitte, das auch in die Unionsfraktion hinein und gegebenenfalls an die Vertreter, die auf der Regierungsbank Platz nehmen könnten, zu übermitteln. Wir werden hier nicht fortfahren, bevor Ruhe eingekehrt ist. Der Kollege Höschel hat das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Mathias Edwin Höschel (CDU/CSU): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute die Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an der EU-geführten Mission in Somalia, an der EUTM Somalia, einer Ausbildungs-, Beratungs- und Trainingsmission. Somalia ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Es ist eines der ärmsten Länder. Es ist eines der krisengeplagtesten Länder der Welt. Dürre, Hungersnöte, Krankheiten und Leid bestimmen das Leben dort – und das alles bei einem gewaltigen Bevölkerungszuwachs. In den letzten 20 Jahren hat sich die Bevölkerung in Somalia verdoppelt, nämlich von 6 auf 12 Millionen Menschen. Große Teile der Menschen dort brauchen humanitäre Hilfe zum Überleben. Hinzu kommt der brutale Terror der al-Schabab-Miliz. 1 Million Somalier sind ins Ausland geflüchtet. Ebenso viele werden als Inlandsflüchtlinge gezählt. Nur der Raum Mogadischu gilt als einigermaßen sichere Region. Diese Faktoren – Dürre, Hunger, Krankheiten und Terror – haben nicht nur Somalia zu einem Failed State gemacht, sondern sie sind auch die Grundlage für die Destabilisierung der ganzen Region. Unsere Aufgabe ist es, dort Hilfe zu leisten: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) im Rahmen eines ganzheitlichen und internationalen Konzepts; humanitäre Hilfe durch die Verbesserung der Lebensmittelversorgung und auch durch Entwicklungshilfeprojekte. Aber gleichzeitig gilt es, einen Beitrag dazu zu leisten, Sicherheit und Stabilität zurückzugewinnen. Über diese Unterstützung, über diesen Beitrag unterhalten wir uns heute hier. Es geht um die weitere Entsendung von bis zu 20 Soldaten nach Somalia, die die Aufgabe haben, Soldaten auszubilden, Ausbilder auszubilden und den dort Verantwortlichen strategische Beratung in Sicherheitsfragen zu geben. Das deutsche Kontingent ist ein kleiner, aber wichtiger Teil dieser internationalen Mission; denn in dem Antrag der Bundesregierung wird als Auftrag der deutschen Streitkräfte auch explizit die Zusammenarbeit mit anderen EU-Missionen und EU-Operationen in der Region genannt. Hieran sehen wir den Stellenwert des ganzheitlichen Ansatzes der Bundesrepublik und der Europäischen Union in Somalia. Die militärische Mission ist nur eine Komponente in diesem Bemühen. Der ganzheitliche Ansatz umfasst auch die humanitäre und die diplomatische Komponente. Es gibt, wenn wir über Somalia sprechen, natürlich eine Reihe von Problemen, diese Sicherheitskonzepte auch zu realisieren. Es gibt die Probleme mit den Clanstrukturen in der Wirtschaft, in der Politik, aber auch in der Armee. Es gibt die gewaltige Korruption, die den Staat in seiner Funktion fast zum Erliegen bringt, und es gibt das Problem der Überläufer in der Armee. Aber das sind doch keine Gründe dafür, die Ausbildung sein zu lassen, sondern ganz im Gegenteil: Das muss uns doch dazu treiben, die Ausbildung in Somalia und diese Mission zu unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben ja auch Erfolge: mehr als 5 000 ausgebildete Soldaten oder die Mission Atalanta, die in den Gewässern um Somalia erfolgreich zu einem erheblichen Rückgang der Piraterie geführt hat. Atalanta bekämpft die Piraten auf See, und wir sorgen mit unserer Ausbildungsmission dafür, dass die Kriminellen an Land bekämpft werden. In der Gesamtheit kann das funktionieren. Wir müssen uns aber auch die Frage stellen: Was passiert, wenn wir uns nicht beteiligen, wenn wir unser Engagement in Somalia beenden? Wollen wir das Land und seine Bevölkerung dem islamistischen Terrorregime überlassen? (Zuruf von der CDU/CSU: Nein!) Ich glaube, das können wir nicht ernsthaft wollen. In meiner ersten Rede als Abgeordneter möchte ich nicht versäumen, meinen Dank den Soldaten und deren Familien auszusprechen für die Bereitschaft, in solch gefährlichen Missionen Deutschland, Europa, der NATO und auch den Vereinten Nationen zu dienen. Mein herzlicher Dank! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin mir sicher, meine Damen und Herren, dass wir mit einem langen Atem und mit der Kombination aus militärischer und ziviler Hilfe die Situation der Menschen in Somalia auf lange Sicht verbessern werden. Ich bedanke mich, wenn Sie dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Höschel, Sie sind am 7. Dezember 2016 in den Deutschen Bundestag eingetreten. Ihre Fraktion hat entschieden, dass Sie Ihre erste Rede hier als letzter Redner vor der namentlichen Abstimmung, das heißt vor dem gesamten Haus, halten können. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit. (Beifall) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 18/11673 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/11273 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Schriftführer an ihrem Platz? – Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.5 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gerechte Krankenkassenbeiträge für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gerechte Krankenkassenbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte Drucksachen 18/9711, 18/9712, 18/11771 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Reiner Meier für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Reiner Meier (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird in diesen Tagen viel von Gerechtigkeit geredet. Ich denke, jeder von uns im Hohen Haus strebt nach Gerechtigkeit. Das ist nichts, was Einzelne für sich gepachtet haben. Mit der Gerechtigkeit ist es aber so eine Sache: Jeder weiß, was für ihn selbst gerecht ist. Aber der Nächste kann etwas völlig anderes darunter verstehen. Klar ist: Wenn Gerechtigkeit mehr als eine leere Worthülse sein soll, dann muss sie sich mit den Tatsachen auseinandersetzen. Meine Damen und Herren, wenn heute so getan wird, als würden Selbstständige in der GKV geschröpft, dann müssen wir uns natürlich fragen: Was vergleichen wir denn? Ein Arbeitnehmer bezahlt von seinem Bruttoeinkommen 7,3 Prozent Krankenversicherungsbeitrag plus Zusatzbeitrag, dazu kommen 7,3 Prozent Arbeitgeberbeitrag. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Plus Zusatzbeitrag!) Bei den Selbstständigen gibt es weder ein Bruttoeinkommen noch einen Arbeitgeberbeitrag; stattdessen wird das steuerlich relevante Netto nach Abzug der Betriebsausgaben herangezogen. Das ist genauso kompliziert, wie es klingt. Insbesondere kann der Gewinn in gewissen Grenzen gesteuert werden. Netto kann man nicht mit Brutto vergleichen. Deshalb ist es richtig und gerecht, wenn die GKV von einem typisierten Einkommen ausgeht. Der Selbstständige kann wiederum nachweisen, dass er weniger verdient, und bezahlt dann abgesenkte Beiträge. Wenn man nicht – wie Sie – Äpfel mit Birnen vergleicht, ist diese Logik auch sachgerecht. Denn was Sie bei Ihrem Obstsalat ausblenden, ist die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts: Danach müssen die Beiträge der freiwillig Versicherten im Durchschnitt die Kosten decken. Davon sind Ihre Anträge weit entfernt, und das wissen Sie auch. Statt uns mit Schaufensteranträgen zu befassen, haben wir deshalb konkrete Verbesserungen für die freiwillig Versicherten verabschiedet. So werden pro Kind künftig drei Jahre auf die Vorversicherungszeit in der GKV angerechnet. Damit zahlen viele Rentnerinnen und Rentner nur noch den günstigeren Beitrag in der Krankenversicherung der Rentner. Ebenso haben wir Waisenrentner bis zum 25. Lebensjahr von den Krankenversicherungsbeiträgen befreit. Beides war wichtig und richtig, meine Damen und Herren. Natürlich beziehen nicht alle Selbstständigen Spitzeneinkommen. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegenteil! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist aber euphemistisch ausgedrückt!) Das gilt besonders in der Gründungsphase eines Unternehmens. Deshalb gibt es hierfür völlig zu Recht Unterstützung. Ein anderes Thema ist aber, wenn Menschen dauerhaft nicht von ihrer Arbeit leben können, sei es nun aufgrund von Scheinselbstständigkeit oder weil sie sich in ihrer Selbstständigkeit finanziell überhoben haben und es sich nicht lohnt. So gewichtig diese Probleme sind: Es sind Fragen des Arbeits- und Sozialrechts, nicht der Gesundheitspolitik. Schon gar nicht geht es hier um eine alleinige Aufgabe der gesetzlich Versicherten, meine Damen und Herren. Ebenso wenig ist es übrigens eine Aufgabe der GKV, Doktoranden oder Langzeitstudierende zu finanzieren. Wer ohne besondere Gründe nach 14 Fachsemestern keinen Abschluss erreicht, braucht vielleicht auch von außen einen Anreiz. Meine Damen und Herren, wenn wir darüber sprechen, die Beitragslast für freiwillig Versicherte neu zu regeln, sollten wir auch an die Gerechtigkeit gegenüber der Solidargemeinschaft denken. Natürlich werden wir uns die Beitragsbemessung bei den Selbstständigen genau ansehen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann denn? In dieser Wahlperiode anscheinend nicht mehr!) Wir sollten es aber nicht isoliert tun, sondern im Kontext der Beitragsstrukturen insgesamt. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist niemandem geholfen, wenn die vermeintliche Lösung einer Fragestellung an anderer Stelle neue Fragen aufwirft oder dadurch gar Ungerechtigkeiten auftreten. Ihr Antrag kommt diesem Gedanken in keinster Weise nach, und deshalb werden wir ihn heute auch ablehnen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt – es ging um die Drucksachen 18/11273 und 18/11673 –: abgegebene Stimmen 538. Mit Ja haben 435 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 103. Es gab keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 537; davon ja: 435 nein: 102 enthalten: 0 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Dr. Mathias Edwin Höschel Anette Hübinger Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Iris Ripsam Johannes Röring Kathrin Rösel Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr. h.c. Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Jürgen Coße Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wackernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Markus Paschke Jeannine Pflugradt Joachim Poß Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Nein SPD Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Cansel Kiziltepe Christian Petry Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Harald Weinberg (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenden wir uns einfach einmal den Tatsachen zu. Über welches Problem reden wir eigentlich? Wir haben in Deutschland 4,2 Millionen Selbstständige. Über 50 Prozent davon – also mehr als die Hälfte, nämlich 2,3 Millionen – sind Solo-Selbstständige, haben also selber keine Beschäftigten. Es ist insofern keine kleine Gruppe. Ein Drittel davon – jeder Dritte von den 2,3 Millionen – hat einen Verdienst von unter 1 100 Euro im Monat. Das ist Tatsache. Die nächste Gruppe, das nächste Drittel, hat ebenfalls ein sehr niedriges Einkommen. Wir erleben eine Strukturverschiebung: Waren früher viele der Solo-Selbstständigen in der Landwirtschaft, im Handel oder auf dem Bau zu finden, so sind sie heute vielfach im Bereich der personen- und unternehmensnahen Dienstleistungen beschäftigt. Ich mache es mal an ein paar Beispielen deutlich: Es ist der Paketzusteller, der als Subunternehmer des Subunternehmers von DHL, Hermes oder UPS usw. usf. tätig ist. Es sind Menschen in der Gastronomie. Es sind Pflegekräfte als Subunternehmer von Pflegediensten. Es sind ehemals angestellte Kraftfahrer, denen dann plötzlich gesagt worden ist: Du arbeitest jetzt auf eigene Rechnung, wir stellen dir das Fahrzeug, und du bist jetzt ein Selbstständiger. – Es sind Lehrkräfte, beispielsweise in den Integrationskursen – im Moment durchaus ein relativ großes Thema –, denen auch einfach gesagt worden ist: Es gibt kein Angestelltenverhältnis mehr, ihr seid jetzt selbstständige Honorarkräfte. – Es sind Crowd- und Clickworker. Es sind Reinigungskräfte. – Das sind alles Berufe, die jetzt nicht gerade besonders gut und üppig bezahlt werden. Wo kommt das her? Da hat der Vertreter des DGB in der Anhörung schon das Zutreffende gesagt: Diese prekäre Selbstständigkeit ist Ergebnis einer jahrelangen Deregulierung des Arbeitsmarktes, und sie hat einen Namen – das muss man sehen –: Es war die Agenda 2010. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Neben der Schaffung eines Niedriglohnsektors wurde der Bereich der prekären Selbstständigkeit gefördert. Natürlich müsste man dort auch in der Arbeitsmarktpolitik ansetzen – da gebe ich Ihnen sogar recht – und eine neue Ordnung der Arbeit schaffen. Dann hätten wir viele dieser Probleme nicht. (Beifall bei der LINKEN) Was bewirkt das im Bereich der Krankenversicherungsbeiträge? Da ja ein Mindesteinkommen von 2 178 Euro angenommen wird, das unter sehr strengen Bedingungen auf 1 452 Euro abgesenkt werden kann, kommen teilweise absurde Beitragsbelastungen auf geringverdienende Solo-Selbstständige zu. Zwischen 30 und 50 Prozent ihres Einkommens müssen sie dann für Krankenversicherungsbeiträge berappen. Sie müssen also ein Drittel bis die Hälfte dessen, was sie verdienen, ausgeben, um krankenversichert zu sein. Häufig führt das zu Beitragsschulden und dadurch faktisch zu einem Wegfall des Rechts auf gesundheitliche Versorgung für diese Betroffenen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das findet Herr Meier gut!) Die andere Möglichkeit ist: Die kleinen Selbstständigen werden in die private Krankenversicherung abgedrängt, die sie in jungen Jahren mit durchaus noch günstigen Beiträgen ködert. Diese steigen dann allerdings relativ schnell, und das wird ebenfalls zu einem riesengroßen Problem. Die Beitragsschulden sind übrigens auch für die Krankenversicherungen selber zunehmend ein Problem. Die Höhe der Beitragsschulden nimmt von Jahr zu Jahr zu. Bei den gesetzlichen Krankenversicherungen haben sich inzwischen Beitragsschulden in Höhe von über 5 Milliarden Euro angehäuft. Ist das alles ein von den Linken neu entdecktes Problem? Nein, das ist es nicht. Wir haben dazu schon in der 16. Wahlperiode etliche parlamentarische Initiativen ergriffen, wir hatten in der letzten Wahlperiode mehrere parlamentarische Initiativen ergriffen, und wir haben auch in dieser Wahlperiode eine Große Anfrage zu diesem Problem an die Regierung gerichtet und dafür gesorgt, das im Februar eine Debatte zu diesem Thema geführt wurde. Wir stehen vor der Situation, dass wir seit zehn Jahren auf das Problem aufmerksam machen, aber seit zehn Jahren ist nichts passiert. Seit mehr als zehn Jahren warten die Betroffenen auf eine Lösung, und das ist aus unserer Sicht ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Kleine und mittlere Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler sind in der Tat gut beraten, ganz genau hinzuschauen, wer ihre Interessen wirklich ernst nimmt, und das ist mit Sicherheit die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Zu unserer Politik für kleine und mittlere Unternehmen, für Selbstständige und Freiberufler gehört auch der vorliegende Antrag, der in der Anhörung immerhin das kleine Wunder bewirkt hat, dass alle dort Anwesenden – bis auf den Vertreter der PKV natürlich – gesagt haben, dass die Beitragshöhen ein Problem seien und unbedingt etwas getan werden müsse. Nun werden Sie gleich wortreich begründen – wir haben es ja eben schon gehört –, warum Sie unseren Antrag ablehnen werden; das war ja schon im Ausschuss so. Aber ich fordere Sie auf: Hören Sie auf, zu reden, und tun Sie endlich etwas! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Heike Baehrens das Wort. (Beifall bei der SPD) Heike Baehrens (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Expertenanhörung hat gezeigt: Es besteht Handlungsbedarf. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Aber ganz so einfach geht es nicht, wie es die Linke in ihren Anträgen vorschlägt. Einerseits ist die Forderung nach einer Senkung der Bemessungsgrenze für den Mindestbeitrag zwar berechtigt und wirtschaftlich vernünftig, andererseits sollten wir tunlichst alles vermeiden, was benutzt werden könnte, um Menschen in ungesicherte Solo-Selbstständigkeit zu drängen. Seit längerem beobachten wir einen Wandel in der Arbeitswelt: Die Formen der Erwerbstätigkeit verändern sich, individuelle Erwerbsbiografien verlaufen weniger geradlinig, Erwerbstätige wechseln häufiger zwischen den verschiedenen Arbeitsformen, bauen sich kleine Existenzen auf oder wechseln wieder ins Angestelltenverhältnis. Von wem also reden wir heute? Wir reden von jenen Solo-Selbstständigen, die nur geringe Einkommen erzielen. Vor allem bei Dienstleistern und in der Kultur- und Kreativwirtschaft gibt es solche Formen schlecht bezahlter Arbeit. Da muss man oftmals tatsächlich bis zur Hälfte des Bruttoeinkommens für die Krankenkassenbeiträge aufwenden. Das führt zu Überforderung, und das muss geändert werden; darin stimmen wir mit den Antragstellern durchaus überein. Wir haben auch bereits gehandelt und im Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz durch die Verfahrensvereinfachung immerhin eine erste Verbesserung auf den Weg gebracht, die ab dem kommenden Jahr greift. (Beifall bei der SPD) Mehr war mit unserem jetzigen Koalitionspartner bisher an dieser Stelle nicht zu erreichen. Aber wir als SPD werden an diesem Thema dranbleiben. Darauf können sich die Betroffenen verlassen; denn Menschen, die in Arbeitsfeldern tätig sind, in denen sie kaum Verdienstmöglichkeiten haben, dürfen durch Sozialversicherungsbeiträge in einem solidarischen System der Krankenversicherung nicht überfordert werden. Aber – das sage ich für uns als SPD ganz klar – wir wollen genauso wenig, dass Arbeitgeber Druck auf Beschäftigte ausüben, eine bislang sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in eine selbstständige Tätigkeit umzuwandeln. Genau das ist nicht nur in Industriebetrieben oder bei Gebäudereinigern, sondern zum Beispiel auch im Umfeld von Pflegedienstleistern der Fall. Dieser Aspekt muss bei der Lösungssuche sehr sorgfältig mitbedacht werden. Das ist im Interesse stabiler Beitragseinnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung, aber noch viel mehr im Interesse der betroffenen Menschen; denn als Solo-Selbstständige müssen sie ihren Krankenkassenbeitrag und ihren Beitrag zur Alterssicherung allein aufbringen, während sie als Arbeiter oder Angestellte bei den Sozialversicherungsbeiträgen zur Hälfte vom Arbeitgeber entlastet werden. Gerade bei der Rente hat das oft fatale Auswirkungen; denn Lücken im Versicherungslauf führen zu erheblichen Renteneinbußen, bis hin zu Armut im Alter. Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, können wir bei der Analyse Ihrer Anträge mitgehen, aber nicht bei der vermeintlich einfachen Lösung, die Sie vorschlagen. Es braucht eine klare Antwort gegenüber Arbeitgebern, die sich aus der sozialen Verantwortung stehlen wollen. Dazu haben Sie heute etwas gesagt; aber in Ihrem Antrag haben Sie dazu keinen Vorschlag gemacht. Ich kann es auch hier nur noch einmal betonen: Solch ein Ausnutzen unserer Solidarsysteme tragen wir als SPD nicht mit. (Beifall bei der SPD) Wir haben in der nächsten Legislaturperiode die Chance, unser Gesundheitssystem weiterzuentwickeln, damit es auf Dauer gerecht, solidarisch und finanzierbar bleibt. Darum setzen wir als SPD auf den Einstieg in die Bürgerversicherung (Beifall bei der SPD – Reiner Meier [CDU/CSU]: Oh Gott! Alte Kamellen!) – ich habe erwartet, dass Sie so reagieren –; denn eine solche Krankenversicherung für alle bezieht selbstverständlich auch jene Selbstständigen mit ein, die wenig verdienen. Die Bemessungsgrenze muss daher so festgelegt werden, dass der Beitrag auch für sie bezahlbar ist. Gleichzeitig tragen dann Gutverdienende, und zwar auch selbstständige Gutverdienende, einen Beitrag entsprechend ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit. Meine Damen und Herren, so funktioniert aus unserer Sicht Solidarität. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Aber nicht in der Realität!) Als SPD werden wir den Weg bereiten für eine solidarische Lastenverteilung in unserem Gesundheitssystem. Die Bürgerversicherung wird kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das erzählen Sie aber schon so lange!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Maria Klein-Schmeink hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen hier im Saal! Es ist nicht das erste Mal, dass wir über die soziale Situation von Selbstständigen in Deutschland sprechen. Wir haben viel Grund, darüber zu sprechen. Das hat die Anhörung zu den Anträgen der Linken deutlich gezeigt. Sie hat gezeigt: Auch die Selbstständigen brauchen unsere Solidarität. Da, denke ich, müssen wir vorankommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir uns das anschauen, stellen wir fest, dass es um eine ziemlich komplizierte Thematik geht. Unserem gesetzlichen Krankenversicherungssystem lag ja ursprünglich ein ganz anderer Gedanke zugrunde. Es wurde vorausgesetzt, dass ein Selbstständiger gut verdient, Vermögen hat und daher in allen sozialen Lagen für sich selber sorgen kann. Die Realität heute ist eine vollkommen andere. Dabei geht es nicht nur um die prekäre Beschäftigung, die nach der Agenda 2010 weiter um sich gegriffen hat, sondern es geht um ganz viele Formen der Selbstständigkeit, gerade im Dienstleistungsbereich. Der Pizzabäcker, die Schneiderin, die Dolmetscherin, die Frau, die für das BAMF einen Sprachkurs gibt – die Bandbreite ist groß. Wir wissen, dass auch die Probleme groß sind. Das hat uns die Anhörung zu den Anträgen noch einmal deutlich gezeigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von daher reicht es nicht, zu sagen: „Wir werden die Bürgerversicherung einführen“; denn ein wesentliches Grundproblem, nämlich dass bestimmte Bevölkerungsgruppen originär nicht in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen wurden, werden wir damit allein nicht lösen können. Wir lösen damit die Probleme des Verschiebebahnhofs zwischen PKV und GKV. Wir müssen uns aber ganz grundsätzlich darüber Gedanken machen, wie wir einen Selbstständigen verbeitragen wollen. Das bleibt unabhängig davon, ob wir die Bürgerversicherung einführen oder bei dem jetzigen Zustand bleiben, ein Problem, das wir lösen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da sind wir leider in dieser Wahlperiode an der mangelnden Erkenntnis und Bereitschaft der CDU/CSU, überhaupt etwas zu tun, gescheitert, aber auch an einer SPD, die sich dieses Themas – bislang jedenfalls – nicht angenommen hat. Das muss man ganz klar sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Meier, es geht nicht darum, dass die GKV kleine Selbstständige übervorteilen will. Vielmehr haben wir als Gesetzgeber Regelungen geschaffen, die besagen: Wir setzen für den gesetzlich Versicherten Mindesteinkommen voraus, die dann zu verbeitragen sind, und zwar unabhängig davon, ob die Menschen genau dieses Mindesteinkommen überhaupt erlösen oder nicht. Dafür brauchen wir eine Lösung. (Reiner Meier [CDU/CSU]: Aber nicht auf Kosten der kleinen Leute!) – Ich gebe Ihnen recht. Auch viele der Sachverständigen haben betont, dass der Königsweg nicht unbedingt darin liegen kann – so hat es die Linke vorgeschlagen –, das Einkommen, das vorausgesetzt wird, auf die Geringfügigkeitsgrenze abzusenken. Denn dann hätten wir tatsächlich ein Problem, weil wir zwischen Brutto- und Nettoeinkommen unterscheiden müssten. Die Höhe der Beiträge, die ein versicherungspflichtig Beschäftigter heute in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlt, richtet sich nach dem Bruttolohn und eben nicht nach dem Nettoeinkommen. Dieser wesentliche Unterschied muss natürlich mit in Betracht gezogen werden; sonst haben wir kein gerechtes System. Zur Lösung dieses Problems machen Sie keinen konkreten Vorschlag. Wir haben einen anderen Vorschlag gemacht, der Sie demnächst hier im Hause beschäftigen wird. Dieser sieht die Absenkung auf das Niveau der sonstigen freiwillig Versicherten vor, das heißt, dass round about 1 000 Euro vorausgesetzt werden. Das würde dazu führen, dass wir eine vergleichbare Einkommensbetrachtung hätten, und wir würden einen Ausgleich zwischen Selbstständigen und versicherungspflichtig Beschäftigten möglich machen. Darum muss es im Kern gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was nicht geht, ist, gänzlich zu ignorieren, dass wir eine Lösung brauchen. Das müssen wir jetzt anpacken, und wir müssen es so anpacken, wie es zum Beispiel der Verband der Gründer und Selbstständigen nahegelegt hat, als er sagte: Es gibt nicht nur ein Problem bei der gesetzlichen Krankenversicherung und der Krankenversicherungsabsicherung allgemein, sondern auch bei der Rente. – Vielen Menschen in den Gruppen, über die wir hier reden – immerhin, so wird geschätzt, betrifft dies 320 000 Menschen in Deutschland; diese Zahl wurde genannt –, fehlen auch die Mittel für eine vernünftige Altersabsicherung. Das müssen wir zusammenbringen. Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit? Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu diesem Thema haben wir Ihnen einen Vorschlag vorgelegt, über den wir hier irgendwann nach Ostern debattieren werden. Ich hoffe, dass Sie sich dann mit etwas mehr Sorgfalt mit diesem Thema auseinandersetzen. Die vielen kleinen Selbstständigen, die einen wesentlichen Beitrag für die gesellschaftliche Entwicklung hier in Deutschland leisten, haben es verdient, dass Sie da genauer hinschauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Maria Michalk. (Beifall bei der CDU/CSU) Maria Michalk (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Grundlage für diese Debatte sind zwei Anträge der Linken. Ich möchte einmal die Titel vorlesen: „Gerechte Krankenkassenbeiträge für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung“ und „Gerechte Krankenkassenbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte“. Ich sage: Man könnte, wenn man nicht weiterliest, glauben, die Linke habe jetzt ihr Herz für alle Selbstständigen entdeckt. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ich war selber zwölf Jahre Unternehmer! – Gegenruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist etwas ganz anderes!) Das wäre auch gut; denn Selbstständige verdienen – und zwar immer, nicht nur in dieser Debatte – unsere Hochachtung, weil sie für sich selbst, ihren Arbeitsplatz und ihre Mitarbeiter zuständig sind. Sie kümmern sich selbst und ständig um Arbeitsplätze. Das muss hier einfach einmal gesagt werden. Deshalb haben sie unsere Hochachtung verdient. (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Danke für Ihre Hochachtung! Ich war selber Unternehmer! – Gegenruf des Abg. Tino Sorge [CDU/CSU]: Dann sollten Sie es auch besser wissen, Herr Kollege! – Weiterer Gegenruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ich kenne die Situation besser als Sie, Herr Kollege!) Jeder Unternehmer arbeitet mit großem Risiko, und jeder Unternehmer haftet ganz allein für das, was er tut: für seine Gesellschaft, für sein Unternehmen, für seinen Arbeitsplatz. Er verschuldet sich gelegentlich, auch in Form von Bürgschaften, bis zur letzten Kaffeetasse im Schrank. Das muss man einmal sagen. Denn gerade von Ihrer Seite höre ich immer wieder: Das sind die Schurken der Nation. (Widerspruch bei der LINKEN) Jetzt sage ich es noch einmal – dies ist wichtig –, dass jeder Selbstständige Hochachtung verdient. In Deutschland – Sie haben die Zahl 4,2 Millionen genannt, in der Anhörung wurde auf 3,5 Millionen abgestellt; das lasse ich einmal dahingestellt sein – sind 60 Prozent der Selbstständigen freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert; das sage ich zur allgemeinen Kenntnisnahme. 50 Prozent derjenigen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, haben ein Jahreseinkommen von maximal 23 000 Euro. Das ist das Problem. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Da sind wir uns in der Analyse fraktionsübergreifend einig. Davon kann man keine Familie ernähren. Trotzdem muss ich darauf hinweisen, dass auch Solo-Selbstständige in Ehe- oder in Bedarfsgemeinschaften mit Partnern zusammenleben. Deshalb ist auch bei ihnen die Frage der Versicherung zu prüfen. Denn wenn man in Partnerschaft lebt, ist es für Bezieher geringer Einkommen nicht so einfach, Aufstockerleistungen zu bekommen, weil man die Bedürftigkeitsprüfung erst einmal überstehen muss. Deshalb ist Ihre einfache Antwort – das betrifft leider auch unseren Koalitionspartner –, das Problem könne man in der nächsten Legislaturperiode durch Einführung der Bürgerversicherung lösen, nicht richtig. Da lobe ich mir eine differenzierte Betrachtung. Denn man muss auch wissen, dass, wenn Sie das einführen, alle Betroffenen, egal ob sie ein großes oder ein kleines Unternehmen führen, eingebunden sind. Allerdings haben diejenigen mit höherem Einkommen die finanzielle Möglichkeit, sich neben der Bürgerversicherung noch zusätzlich zu versichern. Damit schaffen Sie auch keine Einheitsversicherung, die ich persönlich aufgrund der Erfahrung der letzten 40 Jahre vor der Wiedervereinigung ablehne. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie uns doch nichts!) Deshalb ist es wichtig, dass wir an unserem gegliederten Versicherungssystem festhalten. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie? Nichts!) Aber ehrlich gesagt: Die Betrachtung der Wirtschaftsstärke von Selbstständigen ist ein Thema. In der Anhörung wurden uns Vorschläge – das machen Sie auch – mit Blick auf die Mindestbemessungsgrenze auf den Tisch gelegt. Sie wissen auch, dass da unterschiedliche Betrachtungsweisen vorgetragen worden sind. Der GKV-Spitzenverband spricht von einer Herabsetzung der Grenze von 2 231 Euro um ein Drittel, also auf 1 487 Euro. Der vdek spricht von einer Herabsetzung auf 991 Euro. Sie haben jetzt von 1 000 Euro gesprochen. Vorschläge gibt es viele. Das beweist, dass eine einfache Lösung eben nicht so einfach zu erreichen ist. Deshalb ist es richtig – Herr Weinberg, Ihre letzte Feststellung ist falsch –: Die Koalition hat jedenfalls bis zur Bemessungsgrenze eine Lösung für die freiwillig Versicherten im Gesetzblatt stehen, die sich – das kann man nicht oft genug sagen – an der Belastbarkeit orientiert. Es ist ein fließender Beitragssatz zu zahlen. Das heißt: Wer in einem Jahr Umsatzeinbrüche hatte, für den wird der Beitrag abgesenkt. Mit diesem niedrigen Beitrag geht er in das nächste Wirtschaftsjahr. Ist die Ertragslage besser, muss er vielleicht nachzahlen. Diese Struktur der Belastbarkeit ist gerecht. Gleiche Leistungen, wenn man medizinische Hilfe braucht: Das ist die Grundphilosophie, auf der die Union mit ihren Konzepten für die Zukunft weiter aufbauen wird. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dirk Heidenblut hat für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dirk Heidenblut (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Erst einmal muss ich sagen: alle Hochachtung dafür, wie man es mit Anträgen, die ein kleines Segment herausgreifen, schafft, eine so breite Diskussion aufzumachen. Das ist aller Ehren wert; das kann man nicht anders sagen. Ich muss zugeben: Das freut an der einen oder anderen Stelle; denn ich habe schon aus dem ersten Beitrag des Kollegen Meier in dieser Debatte herausgehört – ich hoffe, das habe ich nicht falsch verstanden –, dass wir uns einig sind, dass wir bei vielen Fragen, um die es hier geht, doch noch einmal an arbeitsrechtliche und andere Dinge heranmüssen. Das wird man auch im Ministerium mit Sicherheit gern hören. Ich habe darüber hinaus gehört – ich zitiere da einmal –, dass wir über das Ganze im Kontext der gesamten Beitragsstrukturen diskutieren müssen. Wir sind ja sehr dafür, über die Beitragsstrukturen insgesamt zu diskutieren. Ich will nicht – die Kollegin Baehrens hat das schon gemacht; das führt ja immer zu großen Freudenstürmen – das Wort „Bürgerversicherung“ erneut in den Mund nehmen – ach, jetzt habe ich es gemacht! –, (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) aber es ist natürlich durchaus ein Herzensanliegen von uns, an dieser Stelle voranzukommen. Übrigens: Wer bei der Anhörung der Sachverständigen aufgepasst hat – ich bin mir nicht ganz im Klaren darüber, warum die Kollegin Klein-Schmeink bei der Frage, welche Probleme die Bürgerversicherung lösen und welche sie nicht lösen kann, auf einmal so kleinmütig wird –, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musst du im gleichen Kontext erklären!) der hat sehr deutlich gehört, dass einer der Sachverständigen gesagt hat, die Lösung liege darin, alle Selbstständigen in die gesetzliche Krankenversicherung einzubeziehen, und zwar zwingend. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Das ist ein Aspekt, der sich mit der Bürgerversicherung durchaus deckt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir ja d’accord! Ihr müsst aber trotzdem noch sagen, wie das verbeitragt wird!) – Dass wir die Frage der Verbeitragung an dieser Stelle trotzdem lösen müssen, allerdings im Rahmen eines Gesamtkonzepts der Bürgerversicherung, will ich gar nicht bestreiten; das ist auch nicht ganz so einfach. (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also haben Sie keine Antwort darauf?) In Ihren Anträgen werden positive Aspekte angerissen, und sie beinhalten viele Punkte, an denen wir weiterarbeiten können. Sie sind aber – das ist zur Genüge gesagt worden – ein wenig zu kleinräumig und nicht zielführend. Es ist auch nicht wirklich gerecht, wenn man die Lösung des Problems an einer im Zweifel gewürfelten Größenordnung festmachen möchte. Deshalb können wir natürlich nicht zustimmen. Aber wir wollen diesen Weg weiter beschreiten. Die kleinen Selbstständigen standen nämlich schon immer im Fokus unserer Betrachtungen. Das hat auch etwas mit der Bürgerversicherung zu tun. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 18/11771. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9711 mit dem Titel „Gerechte Krankenkassenbeiträge für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9712 mit dem Titel „Gerechte Krankenkassenbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherte“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts Drucksache 18/8963 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Drucksache 18/11782 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Manuela Schwesig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Heute ist ein guter Tag für die Frauen; denn nachdem wir vor einigen Stunden hier im Parlament das neue Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit auf den Weg gebracht haben, wollen wir nun auch das neue Mutterschutzgesetz auf den Weg bringen. Der Mutterschutz ist für das Kind, aber auch für die Mutter ganz wichtig. Es gibt ihn in Deutschland schon lange, und das ist auch gut so. Das entsprechende Gesetz ist aber aus 1952, und man kann sich vorstellen, dass sich seitdem sehr viel verändert hat und dass wir dieses Gesetz modernisieren und auf die Höhe der Zeit bringen müssen. Mir ist besonders wichtig, dass wirklich jede Mutter und jedes Kind von diesem Schutzgedanken erfasst wird. Das ist bisher nicht so. Für Schülerinnen, Praktikantinnen und Studentinnen gab es bisher keinen Mutterschutz, und es ist gut, dass das jetzt so kommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein weiterer Punkt liegt mir besonders am Herzen. Wenn Kinder mit einer chronischen Erkrankung oder einer Behinderung geboren werden, dann ist das eine ganz besondere Situation und Herausforderung. Deshalb war es mir besonders wichtig, dass wir den Mutterschutz im Falle einer Behinderung des Kindes ausbauen und verbessern. Auch das sieht dieser Gesetzentwurf vor. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben auch eine bessere Regelung für die wirklich schwierige Situation einer Fehlgeburt gefunden. Das ist auch sehr wichtig. Daneben sorgen wir dafür, dass der Mutterschutz wirklich einen Schutz bietet. Das bisherige Gesetz in der neuen Form soll aber nicht dazu führen, dass man auf einmal ein Arbeitsverbot erhält, nur weil man schwanger ist. Ich wurde von vielen Frauen angesprochen, die gesagt haben: Der Schutz in der Schwangerschaft und nach der Geburt ist wichtig, er darf aber nicht dazu führen, dass ich nur deshalb, weil ich schwanger bin, auf einmal ein Arbeitsverbot erhalte. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es, ja!) So geht es gerade vielen im Gesundheitswesen. Viele Ärztinnen haben sich deshalb gewünscht, dass wir mit der neuen Regelung eine gute Balance zwischen dem Schutz und der Selbstbestimmung der Frau finden, damit sie selbst mitentscheiden kann, ob sie noch weiterarbeiten kann oder nicht. Auch das ist uns gelungen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch um diesen Gesetzentwurf wurde lange gerungen, weil es immer wieder Details gab, die man miteinander abstimmen musste. Ich bin sehr froh, dass das den beiden Fraktionen gelungen ist, wofür ich mich ganz herzlich bedanken möchte. Ich möchte meine kurze Redezeit nutzen, um auch der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Widmann-Mauz zu danken. Es ist schön, dass Sie heute auf der Regierungsbank sitzen. Sie haben mit mir gemeinsam federführend diese Punkte des Koalitionsvertrages verhandelt. Fast am Ende dieser Legislaturperiode können wir jetzt sagen: Bei vielen Dingen, die wir zur Verbesserung der Situation von Frauen verhandelt haben – Frauenquote, Lohngerechtigkeit, Elterngeld Plus und auch den Schutz von Prostituierten –, waren die Verhandlungen nicht leicht, und es war auch nicht leicht, diese Dinge hier auf den Weg zu bringen. Es ist uns aber gemeinsam gelungen, und deshalb sage ich auch Ihnen persönlich vielen Dank für die gute Grundlage. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, dass wir jetzt den Mutterschutz für die Frauen in unserem Land weiter verbessern. Wenn wir gemeinsam auch noch das Pflegeberufsgesetz hinkriegen, dann können wir, glaube ich, sagen: Wir haben gemeinsam für die Familien und vor allem für die Frauen in unserem Land geliefert. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Jutta Krellmann hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während früher Schwangere vor dem Zugriff der Arbeitgeber geschützt waren, sollen sie nun verhandeln dürfen, in welchem Umfang sie Schutz für sich und ihr ungeborenes Kind in Anspruch nehmen. (Maik Beermann [CDU/CSU]: Genau! Das finde ich gut!) Als Frau und als Gewerkschafterin schrillen bei mir die Alarmglocken, wenn ich so etwas höre. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Im ersten Moment liest sich der Gesetzentwurf so, als sei alles im grünen Bereich. Gut ist zum Beispiel – das ist ja auch schon gesagt worden –, dass Schülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnen in das Mutterschutzgesetz aufgenommen werden – und einiges mehr. Wir haben eben ja auch schon einiges gehört. Dass die Bundesregierung gleichzeitig aber Schutzrechte für Frauen im Mutterschutzgesetz aufweicht, geht gar nicht. (Beifall bei der LINKEN) Diese Bundesregierung stellt sich wieder einmal klar an die Seite der Arbeitgeber und ihrer Lobbyisten. Diese haben nun den Fuß in der Tür, um weitere Schutzrechte für alle Beschäftigten abzubauen. Es muss doch niemand glauben, dass es, wenn es einmal beschlossen ist, bei diesem einen Abbau bleibt. Bisher garantierte und organisierte der Staat den Schutz. Nun sollen die einzelnen Beschäftigten individuell darüber verhandeln, wie viel Schutz sie in Anspruch nehmen. (Zuruf von der CDU/CSU: „Mitbestimmung“ heißt das!) Wer da der Sieger sein wird, wissen wir doch. (Sönke Rix [SPD]: Die Aufsichtsbehörden werden doch nicht abgeschafft! – Zuruf von der CDU/CSU: Kein Generalverdacht!) Meine Damen und Herren von der CDU und SPD, dieses Spiel lassen wir Ihnen nicht durchgehen. (Beifall bei der LINKEN) Schutzrechte von Beschäftigten sind nicht verhandelbar. Bisher waren Schwangere vor Nachtarbeit ab 20 Uhr und vor Sonn- und Feiertagsarbeit geschützt. Diese Regelung weichen Sie nun auf und erlauben, dass Schwangere bis 22 Uhr und am Wochenende arbeiten können. Sie haben eine falsche Vorstellung von Selbstbestimmung. Ich frage Sie: Welche Verkäuferin – nicht Ärztin, nicht Höherqualifizierte – kann denn ihrem Chef widersprechen und sagen, dass sie nicht bis 22 Uhr an der Kasse sitzen will? (Sönke Rix [SPD]: Die Aufsichtsbehörde ist doch nicht ausgeschaltet! – Widerspruch bei der CDU/CSU) Welche Angestellte im Service kann den Wunsch ihres Chefs ablehnen, am Wochenende zu arbeiten? (Sönke Rix [SPD]: Das macht doch die Aufsichtsbehörde!) Wer wie die CDU ein Gesellschaftsbild hat, bei dem die Frauen hinter dem Herd stehen, (Widerspruch bei der CDU/CSU) der braucht wahrlich keinen Mutterschutz für beschäftigte Arbeitnehmerinnen. (Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Da haben Sie in Teilen recht, aber nur in Teilen!) Mit diesem Gesetzentwurf laufen Sie weiter gegen die Rechte der Beschäftigten Amok. Zuerst haben Sie mit den Hartz-Gesetzen die Axt an den Schutz der sozialen Sicherungssysteme gelegt: Sie haben die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld gekürzt, die Zumutbarkeitsregeln abgeschafft und Hartz IV eingeführt. Anschließend haben Sie mit der Agenda 2010 den Arbeitsmarkt zerlegt: Sie zwangen Menschen in prekäre Beschäftigung und haben damit den größten Niedriglohnsektor in ganz Europa geschaffen. (Maik Beermann [CDU/CSU]: Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit!) Sie nahmen den Beschäftigten die Sicherheit und den Schutz des Normalarbeitsverhältnisses. Dank Ihrer Politik gibt es für viele Menschen nur noch die Arbeitsschutzgesetze, die zwischen ihnen und den Arbeitgebern stehen. Diese demontieren Sie jetzt auch noch. Dass Sie damit bei den Verletzlichsten in der Gesellschaft anfangen, ist regelrecht ekelhaft. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Na, na, na!) Sie verstehen einfach nicht, dass Beschäftigte im Kapitalismus per Gesetz geschützt werden müssen. (Sönke Rix [SPD]: Das sind aber lange vier Minuten!) Sie brauchen keine Wahlfreiheiten für alle möglichen Optionen. Selbst das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, dass Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern eben nicht auf Augenhöhe stattfinden. (Petra Crone [SPD]: Vier Minuten Redezeit!) Wenn diese Erkenntnisse und medizinische Grundlagen nicht das Handeln bestimmen, dann sind wir mittlerweile im postfaktischen Zeitalter angekommen. So geht das nicht. (Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Ich glaube, die Uhr der Präsidentin ist stehen geblieben!) Finger weg vom Mutterschutz! Arbeitsrechte sind Schutzrechte! Schutzrechte sind nicht verhandelbar. Deshalb werden wir als Linke diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Marcus Weinberg hat für die CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Krellmann, ich habe Sie in den letzten Jahren bei den intensiven Debatten über den Mutterschutz im Familienbereich nicht erlebt. Ich muss sagen: Schade! Es hätte wahrscheinlich viel Spaß gemacht, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Diese Mischung aus Kapitalismuskritik im Allgemeinen und Unwissenheit über einen vorliegenden Gesetzentwurf: (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das – darf ich sagen – hat Ihrer Fraktion nicht gutgetan. Wie bei allen guten Dingen im Leben gilt: Das Beste dauert – zumindest meistens – neun Monate. Eigentlich heißt es: „Der Weg ist das Ziel“, aber dieses Mal ist es das Ergebnis. Auch dieses Gesetz haben wir intensiv beraten und neun Monate lang diskutiert. – In der Psychoanalyse wird man vielleicht irgendwann feststellen, warum Gesetzesberatungen mit der SPD immer neun Monate dauern. (Petra Crone [SPD]: Mit Ihnen brauchen wir länger!) Ob man daraus irgendwelche Rückschlüsse ziehen kann, weiß ich nicht. Wichtig ist uns, die Bedeutung dieses Themas klarzumachen – Frau Krellmann, ich komme gleich auf Ihre Kritik im Einzelnen zu sprechen –; denn genau diese drei Punkte hatten bei uns in der Diskussion Priorität. Erstens. Es gibt natürlich kein Wenn und Aber bei den Themen „Gesundheitsschutz für die Schwangere“ und „Gesundheitsschutz für das ungeborene Leben“. Das hat immer oberste Priorität. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Der zweite Punkt ist die Selbstbestimmtheit der Frauen. Es gibt Veränderungen in der Arbeitswelt. Auch wir – das gilt also auch für mich – reden gelegentlich mit Frauen. Dabei haben wir mitgenommen, dass viele Frauen gesagt haben: Wir wollen doch die Freiheit haben, zu entscheiden, ob wir möglicherweise bis 22 Uhr arbeiten. In dem Zusammenhang stimmt Ihre Darstellung des bisherigen Gesetzes nämlich nicht. Danach gab es Branchen, die komplett freigestellt waren. Dort mussten die Frauen bis 22 Uhr arbeiten. Jetzt sagen wir: Die Frau muss entscheiden, der Arzt muss es bestätigen. Das ist auch gut so. Danach wird es gemeldet. Wenn dann die dafür zuständige Behörde sieht, dass es möglicherweise Probleme mit dem Arbeitgeber gibt, kann auch ein Verbot ausgesprochen werden. Das ist klug so, weil es die Selbstbestimmtheit der Frau stärkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist auch nicht verwerflich, wenn man in diesem Land sagt: Wir wollen doch gerade, dass Frauen eingestellt werden. Wir wollen, dass Arbeitgeber sagen: Es macht für mich im Vergleich zu anderen Personen keinen Unterschied, eine Frau einzustellen, die möglicherweise schwanger wird und wo es möglicherweise gewisse Einschränkungen durch den Mutterschutz gibt. Deswegen war es uns wichtig, zu sagen: Viele Maßnahmen müssen tatsächlich auch im Hinblick auf die Folgewirkungen für die Wirtschaft abgestimmt werden. Unternehmer müssen sagen können: Ich finde es toll, wenn bei mir eine Frau arbeitet, die Mutter wird. Das ist für einen kleinen mittelständischen Betrieb gut. Deswegen war es auch eine unserer Aufgaben, uns zu fragen: Wo können wir Bürokratie abbauen? Und wo können wir die Entlastung bzw. Flexibilität so gestalten, dass Unternehmen sagen: Jawohl, das machen wir gerne mit. Der dritte Punkt war also, auch die Interessen der Wirtschaft mit im Auge zu haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Das alte Gesetz stammt aus dem Jahr 1952. Auch damals hat man schon zwei Jahre darüber diskutiert. Wir haben hier das letzte Mal, glaube ich, intensiv über den Begriff der Lustbarkeiten diskutiert. Ich will noch einmal daran erinnern und verdeutlichen, in welchem Maße wir uns weiterentwickelt haben und wie dieses Gesetz zwischenzeitlich weiterentwickelt wurde: Damals, in den 50er-Jahren, wurde beispielsweise beim mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz während der Schwangerschaft eine Ausnahmeregelung eingeführt. Sie bestand darin, dass Tagesmädchen und Haushaltsgehilfinnen nach dem fünften Schwangerschaftsmonat gekündigt werden durfte. Man stelle sich das einmal vor: In der Bundesrepublik Deutschland gab es einmal eine solche Regelung. Damals – so konnte man nachlesen – haben die Ausschussmitglieder darüber beraten, ob denn dem Arbeitgeber eine schwangere Haushaltsgehilfin zuzumuten ist. Ich stelle einmal die These auf: Vielleicht hatte der eine oder andere Arbeitgeber auch Angst, dass das Kind der Haushaltsgehilfin eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm haben könnte. Deswegen konnte man ihr nach dem fünften Schwangerschaftsmonat kündigen. Sie sehen also: Wir sind weitergekommen. (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was war uns wichtig? Unser Leitgedanke ist, dass wir so viel Mutterschutz wie notwendig haben wollen. Das haben wir – nach den Debatten mit der SPD, unserem Koalitionspartner – am Ende, glaube ich, auch in ein sehr gutes Gesetz gegossen. Natürlich hat der Staat eine Schutzfunktion für Schwächere. Er hat eine Schutzfunktion für diejenigen, die einen besonderen Schutz brauchen. Und Schwangere sind eine Gruppe, die einen besonderen Schutz benötigt. Es kann aber auch nicht richtig sein, eine Schutzglocke zu schaffen, die die Freiheiten der Frau einschränkt. Die Ministerin hat das Thema Beschäftigungsverbot angesprochen. Es wäre nicht gut, wenn Frauen, die arbeiten wollen, durch staatliche Regelungen in ein Beschäftigungsverbot gedrängt werden. Das wäre, glaube ich, sowohl für die Schwangeren als auch für die Unternehmen völlig kontraproduktiv. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Weinberg, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Wunderlich? Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Aber natürlich. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Kollege. – Herr Kollege Weinberg, ich würde mich freuen, wenn Sie in dem Kontext auch noch etwas zur Gefährlichkeit oder Gefährdung bei der Arbeit sagen würden. Früher war es ja so: Wenn eine Gefährdung vorlag, war die Arbeit im Rahmen des Schwangerschafts- oder Mutterschutzes untersagt. Inzwischen wird in dem Gesetzentwurf zwischen zumutbarer und unzumutbarer Gefährdung differenziert. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Verantwortbarer“ und „unverantwortbarer“!) – Oder „verantwortbarer“ und „unverantwortbarer“. – Ab wann ist denn eine Gefährdung für die Schwangere und ihr Kind verantwortbar oder nicht mehr verantwortbar? Gilt das ab 50 Prozent oder ab 70 Prozent Gesundheitsgefährdung? Ab wann ist es nicht mehr verantwortbar? (Beifall bei der LINKEN) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Ich bin verzweifelt, dass ich Ihnen das in zwei Minuten erklären muss. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmt etwas mit der Regelung nicht!) Eigentlich aber steht es im Gesetzentwurf. Vielleicht stellen wir ganz einfach die Frage, was für uns wichtig ist. Wichtig für uns ist, dass es drei Möglichkeiten gibt. Zunächst einmal muss man den Unternehmen auch sagen, dass zur Klarstellung des Gefährdungsbegriffs und der Gefährdungsbeurteilung die Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz jetzt in das Gesetz aufgenommen wird. Anhand der Verordnung hätte man auch schon vor vielen Jahren die abstrakte Gefährdungsbeurteilung überprüfen können. Danach gibt es doch drei Möglichkeiten. Erstens sollte am Arbeitsplatz sichergestellt werden, dass es keine Einschränkungen für die schwangere Frau gibt. Dann steht die Ampel auf „Grün“. Dann gibt es zweitens die Möglichkeit, zu schauen, ob es unter Umständen Gefährdungen geben kann. Das muss im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung konkretisiert werden. Das heißt, es muss genau gefragt werden, ob eine bestimmte Tätigkeit in einem bestimmten Zusammenhang gefährlich ist oder nicht. Danach wird entschieden, ob es ein Beschäftigungsverbot gibt. Drittens gibt es den Bereich oder die Berufe, wo ganz klar feststeht, dass eine Schwangere dort nicht mehr arbeiten kann. In einem Bereich, wo es um chemische Giftstoffe oder Ähnliches geht, sollte sie sowieso nicht arbeiten. Es geht also um Bereiche, wo mit Stoffen gearbeitet wird, welche die Schwangere gefährden. Das heißt, es wird festgestellt, ob die Ampel auf „Grün“, „Gelb“ oder „Rot“ gestellt ist. Wenn es darüber hinaus sozusagen individuelle Problemlagen der Frau gibt, dann gibt es selbstverständlich immer noch die Möglichkeit, den Arzt zu konsultieren. Ich glaube, das stärkt noch weiter die Flexibilität der Arbeitnehmerinnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich weise Ihre Unterstellung ganz klar zurück. Wir haben den Gesundheitsschutz als allererste Priorität sichergestellt. Darüber hinaus haben wir die Regelungen aus Achtung vor der Selbstbestimmtheit der Arbeitnehmerin dahin gehend flexibilisiert, darüber zu entscheiden, wann und wie sie arbeitet. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das sieht leider anders aus!) – Vielen Dank, Herr Wunderlich. Ich will aber noch auf wichtige Punkte kommen, die die Ministerin schon angesprochen hat. Denn es gibt Regelungen, die bereits vor dem 1. Januar 2018 umgesetzt werden müssen. Wir haben den 1. Januar 2018 deshalb festgelegt, weil Unternehmen wie auch Verwaltungseinheiten darauf angewiesen sind, dass noch Konkretisierungen für die Umsetzung erfolgen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Die wissen nicht, was eine unverantwortbare Gefährdung ist!) In diesem Zusammenhang ist es unsere Forderung als Parlament an das Ministerium, dass das geleistet wird. Die Unternehmen müssen wissen, was sie zu tun haben. Deswegen ist es richtig, dass wir grundsätzlich das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2018 festgelegt haben. Aber für gewisse Gruppen gilt das nicht. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein Kind eine Behinderung hat. Die verlängerte Schutzfrist nach der Geburt eines Kindes mit einer Behinderung tritt ebenso wie der Kündigungsschutz nach einer Fehlgeburt sofort in Kraft. Das war uns wichtig; wir wollten, dass das sofort gilt. Das ist, glaube ich, auch für die Betroffenen das richtige Signal. In dem Zusammenhang gab es in der Diskussion einen Gedanken der Opposition, den ich gerne aufgreifen möchte. Sie fordern die Mutterschutzfristen auch für Frauen, die eine Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche erlitten haben. Auch wir haben uns darüber Gedanken gemacht. Wir haben uns aber dagegen entschieden. Ich spreche das an, weil das ein wichtiger Punkt ist, und ich finde, man sollte auch darstellen, warum man sich dagegen ausspricht. Wir sind der Auffassung, dass die Frau selbst entscheiden sollte, ob sie ihren Arbeitgeber über eine Fehlgeburt informiert. Mit der von Ihnen vorgeschlagenen Regelung müsste sie das aber tun, weil es sich bei der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist um ein absolutes Beschäftigungsverbot handelt. In diesem Fall einer Fehlgeburt ist – ich glaube, das kann man sagen – die Krankschreibung möglicherweise der bessere Weg; so wird wahrscheinlich verfahren. Deswegen werden wir Ihren Vorschlag ablehnen. Ich kann zusammenfassend feststellen: In neun Monaten entsteht, wie gesagt, viel Gutes. Wir haben jetzt einen guten Gesetzentwurf, finde ich, der Schutzfunktionen auf der einen Seite und Freiheit auf der anderen Seite, aber auch den Schutz der Wirtschaft zusammenbringt. Deswegen war es richtig, dass wir jetzt nach über 60 Jahren endlich das Mutterschutzgesetz reformiert und auf einen vernünftigen Weg gebracht haben. Deswegen bitte ich herzlich um Unterstützung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir Grünen wollen einen modernen und diskriminierungsfreien Mutterschutz. Wir wollen schwangere und stillende Frauen schützen. Was wir aber nicht wollen, sind unsinnige Beschäftigungsverbote. Darin sind wir uns also einig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Und doch ist der Mutterschutz nichts anderes als Arbeits- und Gesundheitsschutz. Deshalb brauchen wir einheitliche Regelungen. Genau das ist an manchen Stellen nicht wirklich gut gelungen. Das hätten Sie vermeiden müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Bei der Arbeitszeit beispielsweise geht es im Mutterschutzgesetz vor allem darum, wann Frauen arbeiten dürfen und wann nicht. Im Arbeitsschutzgesetz aber sind die Arbeitszeitbedingungen ein wesentlicher Teil der Gefährdungsbeurteilungen. Da gibt es einen Unterschied. Ganz abstrus ist – das wurde schon angesprochen – der neue Begriff der „unverantwortbaren Gefährdung“. Was bitte schön ist das? Gibt es jetzt auch verantwortbare Gefährdungen? Eine solche Unterscheidung kennt das Arbeitsschutzgesetz bisher nicht. Es wird jetzt lange dauern, bis der Ausschuss für Mutterschutz diesen neuen Begriff definiert und mit Leben füllt. Bis dahin ist die Rechtslage unklar, und das wird nicht zu weniger, sondern, im Gegenteil, wieder zu mehr Beschäftigungsverboten führen. Denn welcher Betrieb wird es schon wagen, eine Gefährdung als verantwortbar zu beurteilen? Natürlich keiner. Gefährdungen müssen vermieden oder beseitigt werden, und wenn das nicht gelingt, dann müssen Schutzmaßnahmen greifen. Das sind die Grundsätze im Arbeitsschutzgesetz, und genauso muss das auch beim Mutterschutz gelten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Daran ändert auch Ihr komischer Entschließungsantrag nichts. Sie hätten den Begriff der „unverantwortbaren Gefährdungen“ einfach streichen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gibt einen weiteren weißen bzw. blinden Fleck im Mutterschutzgesetz. Gefahrstoffe, Druckluft, Strahlung, Zwangshaltung, Hitze oder Lärm, all diese Belastungen werden aufgezählt, weil sie den Frauen nicht guttun. Die psychische Gesundheit wird aber nur an einer Stelle ganz beiläufig erwähnt. Die negativen Auswirkungen von arbeitsbedingten psychischen Belastungen auf die Gesundheit schwangerer Frauen und auf die Entwicklung ungeborener Kinder sind aber bekannt. Wir haben diese Lücke immer wieder kritisiert und einen entsprechenden Änderungsantrag im Ausschuss gestellt. Aber es bleibt dabei: Stress und psychische Belastungen werden weiterhin ignoriert. Das ist für uns nur schwer nachvollziehbar. Das entspricht vor allem in keiner Weise einem ganzheitlichen Mutterschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit dem neuen Mutterschutzgesetz bekommen die Frauen zu Recht mehr Selbstbestimmungsrechte. Sie können selber mitentscheiden, ob sie arbeiten oder nicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Grundsätzlich ist das richtig. Aber wir sind auch skeptisch. Es muss natürlich gewährleistet sein, dass die Frauen freiwillig arbeiten und nicht auf Druck der Arbeitgeber. Deshalb haben wir eine frühere und regelmäßige Evaluierung des Gesetzes im Ausschuss gefordert. Das ist aber abgelehnt worden. Hier hätten wir uns mehr Problembewusstsein gewünscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für uns gibt es also Licht und Schatten bei diesem Gesetz. Es geht in die richtige Richtung. Wir haben es uns wahrlich nicht leicht gemacht und lange darüber nachgedacht, aber wir können nicht dafürstimmen. Wir werden uns enthalten. Ein wesentlicher Grund sind die ungleichen Regelungen, was den Arbeitsschutz betrifft. Als Beispiel habe ich den Begriff „unverantwortbare Gefährdung“ genannt. Weil es bei diesem Gesetz um die Gesundheit der Frauen und der ungeborenen Kinder geht, werden wir aber ganz genau beobachten und nachfragen, wie das Gesetz tatsächlich umgesetzt wird und wie es sich am Ende auswirkt. Der Mutterschutz ist uns wichtig. Deshalb bleiben wir dran. Das kann ich Ihnen versichern. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Yüksel für die Fraktion der SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gülistan Yüksel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vater und Mutter zu werden, ist etwas Wunderschönes. So schön dieses Ereignis ist, so belastend kann eine Schwangerschaft für werdende Mütter aber auch sein, sowohl körperlich als auch psychisch. Wichtig ist, Mutter und Kind bestmöglich in der Schwangerschaft und darüber hinaus zu schützen. Das geltende Mutterschutzgesetz ist nun 65 Jahre alt. Es ist also an der Zeit, es an die heutige gesellschaftliche Realität anzupassen; denn Frauen gehören mittlerweile ganz selbstverständlich in die Arbeitswelt, und das ist richtig und gut so. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unser Ziel war deshalb, eine Balance zu finden zwischen dem Gesundheitsschutz für die Frau und ihr Kind sowie den individuellen Wünschen der Frau, ihrem Beruf auch in Schwangerschaft und Stillzeit nachzugehen. Mit der Streichung der Branchenausnahmen und neuen verständlichen Regelungen können Frauen nun selbst entscheiden, ob sie sonn- oder feiertags arbeiten wollen. Dafür müssen sie sich ausdrücklich bereiterklären, und Alleinarbeit muss zu ihrem Schutz ausgeschlossen sein. (Beifall bei der SPD) Für Nachtarbeit zwischen 20 und 22 Uhr muss zusätzlich ein ärztliches Attest vorgelegt werden. Außerdem war es uns wichtig, hier deutlich zu machen, dass es sich um keinen Regelfall handelt, und dass die Frauen, die während dieser Uhrzeit arbeiten, besonders geschützt sind. So haben wir in den Verhandlungen ein behördliches Genehmigungsverfahren durchsetzen können, bei dem die zuständige Behörde den Antrag auf Nachtarbeit prüfen muss und gegebenenfalls ablehnen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei der Mehrarbeit haben wir durchgesetzt, dass nun auch Teilzeitbeschäftigte entsprechend ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit berücksichtigt werden, ein wichtiger Verhandlungserfolg, da gerade Frauen überdurchschnittlich häufig in Teilzeit arbeiten. Darüber hinaus haben wir dafür gesorgt, dass im Gesetz ein Rückkehrrecht auf einen gleichen oder vergleichbaren Arbeitsplatz verankert wird. Ich freue mich auch, dass der Mutterschutz nun noch mehr Frauen zugutekommt; denn künftig werden auch Praktikantinnen, Schülerinnen und Studentinnen in den Mutterschutz aufgenommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist gut!) Außerdem gibt es mehr Schutz schon ab dem 1. Juli dieses Jahres für Frauen, die Kinder mit einer Behinderung zur Welt bringen. Ihr nachgeburtlicher Mutterschutz wird von acht auf zwölf Wochen verlängert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch der Kündigungsschutz für Frauen, die nach der zwölften Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden, wird verbessert: Er gilt mindestens vier Monate nach der Geburt. Generell sind kündigungsvorbereitende Handlungen durch den Arbeitgeber während der Schwangerschaft und Schutzfrist verboten. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Schwangerschaft, Geburt und Stillen, das sind natürliche Dinge. Sie sind ein Teil des Lebens. Dadurch, dass sich Betriebe frühzeitig mit dem Thema Mutterschutz beschäftigen und diesen in ihren Alltag integrieren müssen, werden Schwangerschaft und Stillzeit entstigmatisiert. Mit der Reform des Mutterschutzgesetzes gehen wir heute deshalb auch einen wichtigen Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung und Partizipation. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Bettina Hornhues für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Bettina Hornhues (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits während der ersten Lesung haben wir einstimmig festgestellt, dass die Novellierung des Mutterschutzgesetzes ein wichtiges und mehr als überfälliges Vorhaben ist. Umso mehr freue ich mich, dass wir dieses wichtige Gesetz heute verabschieden können. Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion standen während der Gesetzesberatungen immer zwei Dinge im Vordergrund: Erstens. Der Schutz der Schwangeren und der des ungeborenen Lebens stehen an vorderster Stelle. Zweitens. Das Mutterschutzgesetz ist ein Gesetz für die Praxis. Das heißt, es muss verständlich und anwenderfreundlich sowohl für die betroffenen Frauen als auch für ihre Arbeitgeber sein. (Beifall der Abg. Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]) Darum haben wir uns während der Gesetzesberatungen dafür eingesetzt, Bürokratie abzubauen und Rechtssicherheit zu schaffen. Schließlich soll das Gesetz für schwangere und stillende Frauen kein Hemmnis sein, zu arbeiten; wir wollen vielmehr, dass die Frauen selbstbestimmt entscheiden, möglichst lange im Beruf zu bleiben. Schwangerschaft ist eben keine Krankheit, Frau Krellmann, sondern eine besonders schöne und aufregende Zeit im Leben einer Frau. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem gilt der Arbeitsschutz! Das eine schließt das andere nicht aus!) Wenn das Wort „Mutterschutz“ fällt, denken viele zunächst nur an die Schutzfristen von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt. Aber beim Mutterschutz geht es um so viel mehr. Das Mutterschutzgesetz greift ab dem Zeitpunkt, wo eine Frau ihrem Arbeitgeber von der Schwangerschaft berichtet. Dementsprechend sind sowohl viele Aspekte des Arbeitsschutzes beinhaltet als auch die Frage, wie Arbeitgeber und Frauen während dieser Zeit miteinander umzugehen haben. Zwischen allen Beteiligten die richtige Balance zu finden, war die große Herausforderung bei diesem Gesetz, welche wir meiner Meinung nach sehr gut gelöst und einer modernen Arbeitswelt angepasst haben. Ich möchte im Folgenden auf drei wichtige Aspekte eingehen, die für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion besonders wichtig sind. Erstens: das Verbot der Nachtarbeit. Aus einem umgestalteten Paragrafen zur Nachtarbeit, § 5 Mutterschutzgesetz, geht nun deutlich hervor, dass Ausnahmen vom Nachtarbeitsverbot, also auch Arbeit nach 20 Uhr, branchenunabhängig möglich sind. Arbeit nach 20 Uhr muss zwar von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden. Ein großer Erfolg für uns ist hierbei aber, dass die Frau während dieser Zeit der Prüfung, in der die Aufsichtsbehörde über den Antrag entscheidet, weiterarbeiten kann und eben nicht währenddessen im Beschäftigungsverbot landet, was der ursprüngliche Entwurf so vorgesehen hatte. Zweitens: die Gefährdungsbeurteilungen. Dieses war während der gesamten Verhandlungen für uns mit der wichtigste Punkt. Auch hier konnten wir die Vorschläge im ursprünglichen Entwurf noch ändern: Individuelle Eigenschaften und Bedürfnisse der Frauen spielen bei der Gefährdungsbeurteilung auch zukünftig keine Rolle. Natürlich hat aber der Arbeitgeber die Pflicht, Schutzmaßnahmen für die Frau festzulegen, sollten diese notwendig sein. Neu ist jetzt, dass der Arbeitgeber der Frau ein Gespräch über weitere Anpassungen ihrer Arbeitsbedingungen anzubieten hat. Daraus folgen allerdings keine Pflichten für den Arbeitgeber. Steht also sinnbildlich die Ampel auf Grün, gehen von dem Arbeitsplatz also keine Gefahren für die Schwangere und das ungeborene Kind aus, kann hinter die Gefährdungsbeurteilung unbürokratisch ein Haken gemacht werden. Drittens: Verbotsvorbehalt für die getaktete Arbeit. Auch der von uns stark kritisierte Punkt des Verbots der getakteten Arbeit im Gesetzentwurf konnte von uns entschärft werden: Getaktete Arbeit mit vorgeschriebenem Arbeitstempo wird auch weiterhin möglich sein, sofern für die Schwangere und ihr Kind keine unverantwortbare Gefährdung vorliegt. Schließlich muss man bedenken, dass man bei getakteter Arbeit nicht immer gleich von Akkordarbeit ausgehen darf. Viele Taktungen können so dem Arbeitstempo der Schwangeren angepasst werden, dass sie möglichst lange ihre Arbeit weiterverfolgen kann, was den Wünschen der Frauen entspricht. Und mit den Wünschen der Frauen möchte ich auch schließen. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion und speziell als AG Familie haben uns dafür eingesetzt, den Wünschen von modernen Frauen in einer modernen Arbeitswelt mit diesem Gesetz gerecht zu werden – sei es, dass sie noch Schülerinnen oder Studentinnen sind oder dass sie als Arbeitnehmerinnen bzw. arbeitnehmerähnliche Personen beschäftigt werden. Wir müssen zwar die besonders Schutzbedürftigen unter ihnen schützen, dürfen mit zu viel Bürokratie und Verboten den Frauen aber auch nicht die Teilhabe an der Arbeitswelt verwehren. Schließlich haben wir nicht mehr das Jahr 1952, sondern das Jahr 2017. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geschützt werden müssen sie trotzdem!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Mutterschutzrechts. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11782, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8963 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11782 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nutzungsrechte digitaler Güter für Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern Drucksache 18/11416 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Transparenz und Klarheit bei Buchungs- und Vergleichsportalen schaffen Drucksachen 18/10043, 18/11471 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Man glaubt es ja nicht, aber es ist 50 Jahre her, dass der erste Taschenrechner auf den Markt kam. Das war die technische Revolution. Die Sorge war groß. Es hieß nämlich, es könnte sein, dass wir alle das Kopfrechnen vergessen. Wenn man das einmal überlegt: Es ist 50 Jahre her, dass wir diese Sorgen hatten. Jetzt sagen wir schon: Die Zeit, in der wir heute leben, ist ein digitales Zeitalter, da können die Geräte miteinander kommunizieren. Alles ist technischer geworden. Ohne Smartphone geht keiner aus dem Haus. Aber wissen Sie, was auch geschehen ist? Die Unsicherheit ist größer geworden. Die Unsicherheit der Menschen, auch der Kundinnen und Kunden, darüber ist größer geworden, was eigentlich ihre Rechte sind und wie sie diese durchsetzen. Nehmen wir einmal zwei Punkte aus unseren beiden Anträgen. Früher hatte eine Bibliothek ein Regal oder mehrere, gefüllt mit Büchern. Wenn Sie Bücher aus Ihrer privaten Bibliothek verleihen, verschenken oder vererben wollten, dann konnten Sie das problemlos tun. Heute hat man E-Books. Das ist die Weiterentwicklung nach dem Taschenrechner. Was machen wir aber mit dem E-Book? Man hat heutzutage mit seinen E-Books auch eine große, umfangreiche Bibliothek, aber weniger Rechte als im analogen Zeitalter mit damals analogen Gütern. Die Regeln, die wir haben, kommen aus dem Zeitalter, bevor es Tablets, Smartphones und Streaming-Dienste gab. Deshalb sagen wir Grüne mit unserem Antrag zum Urheberrecht: Wir wollen das Urheberrecht an dieser Stelle fit machen für das digitale Zeitalter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Endlich!) Es soll nämlich so sein, dass die Verbraucher nicht mehr schlechtergestellt sind, und da muss ich Sie von der Bundesregierung kritisieren. Sie haben zwar beim Urheberrecht Novellierungen vorgenommen, aber die Nutzungsrechte digitaler Güter haben Sie schlicht nicht angepackt, meine Damen und Herren, obwohl dies im Koalitionsvertrag angekündigt war. Dazu machen Sie ja hin und wieder mit Hingabe nächtliche Koalitionsrunden. Angekündigt war, das Urheberrecht an die Erfordernisse und Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen. Passiert ist aber nichts. Wir legen jetzt den Grundstein. Man muss nämlich ein Buch zum Beispiel weiterverschenken können. Die Verbraucherzentrale hat dazu eine Umfrage gemacht und festgestellt: Eine Weiterveräußerbarkeit wünschen sich 80 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer. Ich finde, das muss auch möglich sein, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Uns wird vorgemacht, dass das digitale Buch billiger ist. Aber wenn Sie nicht gleich Ihr ganzes Gerät mit weggeben wollen, dann können Sie das E-Book gar nicht weiterverschenken, verleihen oder Ähnliches. Dadurch ist es faktisch wieder teurer. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Das ist auch eine Form, uns hinters Licht zu führen, meine Damen und Herren. Wir meinen, wir brauchen endlich Klarheit darüber, was eigentlich die Eigentums- und Besitzverhältnisse in diesem Bereich sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bei den Massen an Geld, um die es da geht, kann ich Ihnen nur sagen: In anderen Bereichen wäre das unvorstellbar. Gleichwertige Nutzungsmöglichkeiten, geräteunabhängige, plattformneutrale Nutzung und ein Weiterveräußerungsrecht – das alles können Sie mit dem Schutz der Urheberrechte am Ende problemlos verbinden, wenn Sie eine Balance und einen Ausgleich schaffen, meine Damen und Herren. In dem zweiten Antrag – die Präsidentin hat es gesagt – geht es um Buchungs- und Vergleichsportale. 72 Prozent aller Nutzer des Internets nutzen beim Kauf von Fernsehern und vielem anderen und auch bei der Buchung von Reisen Buchungs- und Vergleichsportale und kaufen oder buchen nicht direkt. Sie glauben an die Ehrlichkeit und die Fairness dieser Portale, und das ist der Fehler. Das ist ein echter Fehler. Warum? Wie kommen die angezeigten Preise zustande, ist die Frage. Sind das tatsächlich finale Preise? Oder merke ich am Ende des Buchungsvorgangs, wenn ich nur noch auf „Ja“ drücken muss, dass von überallher noch Summen dazukommen? Wie wird die Auswahl getroffen? Wer kommt eigentlich bei den Angeboten nach vorn? Wir hören Beispiele, dass Versicherungen am Ende noch eine oder zwei Vertragsbedingungen verändern und das Ganze noch einen Cent billiger machen, und schon stehen sie vorn. Die Versicherung oder der Kühlschrank steht dann oben auf der Liste. Das ist schön für das Unternehmen, aber der Verbraucher ist betrogen. Deshalb brauchen wir gerade auch in diesem Bereich Regeln. Wir brauchen Transparenz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir sagen: Buchungs- und Vergleichsportale brauchen einheitliche Standards. Sie müssen offenlegen, wer der Betreiber ist, ob es ein Buchungs- oder ein Vergleichsportal ist, ob Provisionen gezahlt werden, ob andere Zahlungen fließen, ob es Absprachen gibt und was die ausschlaggebenden Kriterien sind, meine Damen und Herren. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Künast, ich bitte Sie, einen Punkt zu setzen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letzter Satz. – Sie können nicht ständig von digitaler Agenda reden und davon, dass wir uns fit für das digitale Zeitalter machen müssen, wenn Sie die Alltagsverträge der Kunden, die im Netz abgeschlossen werden, in keiner Weise zugunsten der Kunden regeln. Das ist unsozial. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kathrin Rösel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kathrin Rösel (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer, die zu später Stunde auf der Zuschauertribüne sitzen! Wir befassen uns hier mit zwei Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die zwar nicht den gleichen Inhalt, aber doch einiges gemeinsam haben. Alle Verbraucher werden von Ihnen mal wieder über einen Kamm geschoren, wie kleine Kinder behandelt und bevormundet. Anbieter von digitalen Dienst- und Serviceleistungen sind Ihrer Auffassung nach alle kriminell, müssen reglementiert, kontrolliert und sanktioniert werden. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? Wo steht das denn? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus welchem Jahrhundert ist denn die Rede? – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört! Die wird verstanden!) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, lassen sie mich Ihnen drei Dinge sagen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! 5 Euro für die Phrasenkasse! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So billig?) – Die nehme ich von Ihnen gerne. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erstens. Die Verbraucher, die Sie hier ansprechen, sind erwachsene Menschen. Zweitens. Die Welt ist nun einmal nicht schwarz-weiß. Drittens. Auch Sie werden die neuen Märkte, die sich uns durch die digitale Welt bieten, nicht aufhalten können. Aber nun zur Sache. Antrag 1. Sie möchten, dass sich die Nutzungsrechte von käuflich erworbenen digitalen Gütern, also zum Beispiel E-Books, wie Sie es schon sagten, nicht von denen unterscheiden, die in gebundener Form, also analog, vorliegen. Auf den ersten Blick ist das ja eine gute Idee. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja nicht zu viel verlangt!) Allerdings würden wir mit einer vollständigen Gleichstellung digitaler und analoger Güter Urheberrechte entwerten und bestehende Lizenzsysteme außer Kraft setzen; (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll vererbt werden können!) denn digitale Güter können nun mal völlig ohne Qualitätsverlust in unendlicher Zahl kopiert werden. Schon allein hieran wird deutlich, dass digitale Waren eben nicht mit analogen gleichzusetzen sind. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie auch nicht getan!) Wie wollen Sie es technisch umsetzen, dass bei der Weitergabe, zum Beispiel eines E-Books, keine Kopie zurückgehalten wird? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man sich auskennt, weiß man, dass so etwas geht, Frau Rösel!) Im Übrigen fordern Sie an einer anderen Stelle ausdrücklich, dass Privatkopien angelegt werden dürfen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser wäre Jarzombek!) Damit wir wissen, worüber wir überhaupt beraten sollen, Frau Künast, wäre es schön, zu wissen, was genau Sie nun eigentlich wollen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Wunder, dass im Urheberrecht nichts passiert! Unfassbar!) Antrag 2. Dieser Antrag ist inhaltlich anders, beruht aber auf der gleichen Annahme. Die Anbieter von Onlinevergleichsportalen und -buchungsportalen haben nach Ihrer Auffassung ein und dasselbe Ziel, nämlich die Verbraucher über den Tisch zu ziehen. Aber auch das kann ich so nicht stehen lassen. Allerdings: Ja, es ist korrekt, dass immer mehr Verbraucher diese Vergleichsportale nutzen. Ja, es ist korrekt, dass bei vielen Vergleichsportalen nicht der gesamte Markt abgebildet wird. Ja, es ist korrekt, dass die Betreiber von Vergleichsportalen ihre Waren und Dienstleistungen eben auch verkaufen wollen. Aber es entspricht eben auch der Realität, dass die Verbraucher bei der Nutzung von Vergleichsportalen nur eine Orientierung wollen und gar keinen Anspruch erheben, den vollständigen Markt abgebildet zu bekommen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber doch gelogen! Sie sind doch christlich! Sie können doch die Lüge nicht zulassen! Sie sollen doch die Wahrheit sprechen!) – Frau Künast, hören Sie mir doch zu. Wenn Sie eine Frage haben, melden Sie sich bitte. Die beantworte ich gerne. – Erst letzte Woche habe ich mit der Verbraucherzentrale gesprochen. Mir wurde bestätigt, dass die Nutzer regelrecht erwarten, über diese Portale angebotene Waren und Dienstleistungen auch käuflich erwerben zu können. Sie wollen außerdem, dass derlei Portale genau auflisten müssen – das haben Sie ja schon gesagt –, wie viel sie bei ihrem Service verdienen. Sie wollen die Anbieter gesetzlich verpflichten, alle Angebote tagesaktuell aufzulisten. Wenn wir Ihre Forderung wirklich umsetzen wollen, frage ich mich: Wie wollen wir das ernsthaft kontrollieren? (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn? Machen Sie doch ihre eigenen Vorschläge!) Gerade aus Ihren Reihen habe ich am letzten Freitag den Begriff „Bürokratiemonster“ extrem oft gehört. Dieser Begriff trifft Ihre Anträge ja besser als irgendetwas anderes. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Jetzt wird hier noch die Maut abgefeiert! Das wird ja immer besser! – Gegenruf des Abg. Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Das ist noch viel schlimmer als die Maut! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber billiger! Ein paar Milliarden billiger!) Die Europäische Union hat bereits im letzten Jahr gemeinsam mit den Anbietern von Vergleichsportalen und Verbraucherportalen beschlossen, verbraucherfreundliche und verbraucherschützende Prinzipien für diese Branche zu erarbeiten und diese nun auch anzuwenden. Diese Leitlinien beinhalten unter anderem, wie Sie es schon gefordert haben, dass objektive Vergleiche durchgeführt werden, Geschäftsmodelle deutlich gemacht und Werbebanner als solche gekennzeichnet werden müssen. Diese Prinzipien fließen in das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ein; meiner Meinung nach vollkommen ausreichend. Wir als Union werden Ihre Anträge ablehnen, weil sie weit über das hinausgehen, was wir unter Verbraucherschutz verstehen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaube ich sofort! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was verstehen Sie denn darunter?) Wir sind der Überzeugung, dass Menschen zu selbstbestimmten Entscheidungen durchaus fähig sind, und wir trauen ihnen etwas zu, ohne sie alleinzulassen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das, meine Damen und Herren, verstehen wir Christdemokraten unter verantwortungsvollem Verbraucherschutz. Lassen Sie mich bitte eines zum Schluss sagen. Sie, liebe Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, müssten spätestens seit letztem Sonntag wissen, dass allein die Fähigkeit, die Schilder „Dagegen“ und „Verbieten“ wechselseitig hochzuhalten, nicht ausreicht, um die Verantwortung für unser Land und seine Menschen zu übernehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor vier Wochen hätten Sie sich noch nicht getraut, die Rede so zu beenden, aber jetzt! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was reden wir denn dann nach NRW: Schilder rauf oder runter?) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es soll hier noch Kollegen bzw. Abgeordnete geben, die sich gut daran erinnern, als Henne Gensfleisch zum Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfand. Zu seiner Zeit war die Vervielfältigung von Texten revolutionär und hatte bedeutenden kulturellen Einfluss auf die Kommunikation und auf die Informationswege. Mit nur einer Vorlage konnte man damals schnell und mit niedrigen Kosten Tausende Exemplare herstellen und weitergeben. Sechs Jahrhunderte später reden wir nun wieder über einen demokratischen und partizipativen Umgang mit kulturellen, diesmal digitalen Gütern. Digitale Güter wie elektronische Bücher, Musikdateien, Fotografien, Texte und Software sind im Unterschied zu körperlichen Gütern nicht einfach öffentlich verleih- oder tauschbar, zu vererben oder weiterzuverkaufen. Es war schon die Rede davon. Was für den einen oder die andere private Anwenderin ärgerlich ist, wird für öffentliche Bibliotheken richtig kompliziert. Viele Lesende fragen elektronische Bücher immer stärker nach. Doch die rechtlichen und finanziellen Hürden für die elektronische Ausleihe sind immer höher geworden. Es können nur diejenigen elektronischen Bücher zur Ausleihe angeboten werden, für die der Verlag mit der jeweiligen Bibliothek einen Lizenzvertrag ausgehandelt hat. Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat damals die Handlungsempfehlung ausgesprochen, neben einer höheren Grundfinanzierung der Bibliotheken stärker als bislang digitale Medien zur Nutzung bereitzustellen und deren Verleihbarkeit entsprechend analoger Werke sicherzustellen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gute Forderung!) – Na ja, da waren wir ja auch dabei. – Auch wenn der EuGH in seinem Urteil vom November 2016 entschieden hat, dass die Regeln für das Ausleihen von Büchern grundsätzlich auch für E-Books gelten sollen, braucht es eine gesetzliche Klarstellung im Urheberrecht, um öffentliche Bibliotheken zukunftsfähig zu machen und sie in die Lage zu versetzen, ihren Nutzerinnen und Nutzern ein aktuelles E-Book-Angebot anzubieten und das zu einem fairen Preis und fairen Lizenzkonditionen. Meine Fraktion hat dies bereits vor zwei Jahren – übrigens vor fast genau zwei Jahren – in einem Antrag zur Sicherstellung der Verleihbarkeit digitaler Medien entsprechend analoger Werke in öffentlichen Bibliotheken konkretisiert. (Beifall bei der LINKEN) Zudem würde aber auch eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke Studierenden, Forschenden, Schülerinnen und Schülern erleichtern, publizierte Werke für den nichtgewerblichen, für den wissenschaftlichen Gebrauch genehmigungsfrei und ohne Einschränkung zu nutzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich warte auf den Referentenentwurf zu § 52a Urheberrechtsgesetz. Dort könnten wir endlich alles klären. (Beifall bei der LINKEN) Ganz grundsätzlich sind wir der Meinung, dass digitales Secondhand, also der temporäre Verleih oder der Weiterverkauf, möglich sein muss. Auf den zweiten Antrag, zu dem Renate Künast als Erste gesprochen hat, möchte ich nur kurz eingehen. Zu Recht wird in diesem Antrag auf die Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2014 verwiesen. Fast zwei Drittel der Verbraucherinnen und Verbraucher hatten bereits Probleme bei der Nutzung von Vergleichsplattformen, meist verursacht durch unvollständige Information. Wenn man nicht wahrnehmen kann, dass ein Portal bestimmte Anbieter durch eine Provision bevorzugt, wird eine Neutralität nur vorgespiegelt, die tatsächlich gar nicht gegeben ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Gleiche gilt natürlich, wenn es sich bei dem Angebot um ungekennzeichnete Werbung handelt. Hierfür klare Kriterien zu schaffen, wäre ein ganz wichtiger Schritt, um Kundinnen und Kunden vor Fehlentscheidungen zugunsten der Anbieter zu schützen. Wir unterstützen daher den Antrag, den Sie dazu gestellt haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Petra Rode-Bosse das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Petra Rode-Bosse (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Wer hat nicht schon einmal ein Buch oder eine Musik-CD an Freunde oder Familie verschenkt oder ein solches Gut in einem Sozialkaufhaus oder einer Leseecke abgegeben, damit andere es nutzen können? In vielen Cafés finden wir eine Auswahl an Zeitschriften, die wir lesen dürfen, ohne sie erwerben zu müssen. An diesen Beispielen, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt sich der Unterschied zwischen der Nutzung von analogen, körperlichen Gütern und digitalen Gütern. Denn ein Buch oder eine CD oder DVD kann man weitergeben, ohne einen Rechtsbruch zu begehen, digitale Güter dagegen nach aktueller gesetzlicher Lage so nicht. Jede Lizenz für ein Computerprogramm muss man einzeln erwerben, und man kann sie nicht für ein weiteres Endgerät nutzen, sofern es nicht ausdrücklich zugelassen ist. Videos, die man über das Internet gekauft und heruntergeladen hat, darf man auch nicht weitergeben. So lauten die aktuellen gesetzlichen Regelungen. Der Markt für digitale Güter hat sich rasant entwickelt, ist Bestandteil des Alltags, wird überproportional von der jungen Generation genutzt, jedoch allgemein mit steigender Tendenz. Wir brauchen daher praxisnahe Regeln, die allen Beteiligten gerecht werden, also den Verbrauchern und Verbraucherinnen, aber auch den Urheberinnen und Urhebern, den beteiligten Verlagen und Internetportalen. Eine solche Regelung zu finden, ist wahrlich nicht einfach. Auf der einen Seite bringen digitale Güter uns Nutzerinnen und Nutzern viele Vorteile, und es eröffnen sich viele neue Möglichkeiten. Sie stellen uns aber auch vor große Herausforderungen, was die Verbraucherrechte, den Datenschutz und die Urheberrechte angeht. Wir als SPD-Bundestagsfraktion verfolgen auch den Ansatz, Nutzungsrechte für digitale und analoge Güter so weit wie möglich gleichzustellen. Vereinfachung und Rechtssicherheit sind dabei das Ziel. Doch beachten müssen wir, was möglich ist. Im Vergleich zu analogen Gütern lassen sich die digitalen Güter einfacher und viel schneller verändern und aktualisieren – was ein Vorteil ist –, aber ebenso einfach und schnell auch kopieren und weitergeben, und zwar, ohne dass sie neu hergestellt werden müssen. Hinzu kommt die Anfälligkeit digitaler Datensätze für die Manipulationen Dritter. Dieser Kontrollverlust ist bei den digitalen Gütern, vor allem bei jenen, die nur online vorhanden sind, erheblich größer als bei Gütern mit eingebetteten digitalen Inhalten wie CDs oder DVDs. Sie sind mit einer Internetverbindung permanent abrufbar. Das heißt, dass sie nicht einfach verloren gehen können und sich somit rasant – und meistens wohl auch unwiderruflich – verbreiten lassen, und zwar, noch bevor die Kosten der Herstellung sich amortisiert haben oder Urheberinnen und Urheber ihr angemessenes Honorar für das Werk erhalten konnten. Daher braucht es durchaus Verständnis für eine realistische Umsetzung von Nutzungsrechten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Denn die Stärkung der Verbraucherrechte ist das eine – und ich glaube, sie wollen wir alle –, aber der Schutz der Urheberrechte und damit auch die Sicherung der Existenzgrundlage der Urheberinnen und Urheber ist das andere. Wer würde noch Schriftstellerin, Musiker oder Ähnliches werden wollen, wenn die Existenzgrundlage entzogen wäre? Das Urheberrecht sichert den Schöpfern und Produzenten sowohl die Kontrolle als auch die Beteiligung an der wirtschaftlichen Verwertung ihrer geschützten Güter, Werke und Leistungen. Die Koalitionsfraktionen haben das Urheberrecht in dieser Legislaturperiode bereits gestärkt, und zwar mehr als in den meisten Legislaturperioden davor. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht so! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr als in der vor 50 Jahren!) Das Urhebervertragsrecht wurde reformiert, das Verwertungsgesellschaftengesetz wurde beschlossen, und zumindest wir wollen auch die Bildungs- und Wissenschaftsschranke einführen, die vorhin schon erwähnt worden ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wo ist sie?) Ich kann sehr gut verstehen, dass Bündnis 90/Die Grünen vorstellig werden; denn die digitalen Güter stellen das Urheberrecht und die Verbraucherrechte im Allgemeinen vor große Herausforderungen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!) Ich kann Ihnen aber versichern: Wir nehmen die Herausforderung an, für alle Beteiligten gerechte Regeln auf dem digitalen Markt zu schaffen. (Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der Martin Schulz dann da ist, oder was?) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die digitale Revolution der letzten Jahre hat zu völlig neuen Formen des Konsums von Kunst und Kultur geführt: Menschen hören sich gestreamte Musik an, sie lesen ihre E-Books und schauen sich digitale Filme an. Und da liegt es nahe, die rechtliche Bewertung von digitalen und analogen Gütern genauer zu betrachten. Die Grünen fordern in ihrem Antrag, eine rechtliche Gleichstellung zu prüfen. Ich will Ihnen aber sagen, dass Sie den Umfang und den Charakter von digitalen Gütern nicht vollumfänglich verstanden haben; denn Sie vergleichen in diesem Antrag etwas, was nicht vergleichbar ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für beide wird schon Geld gezahlt! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut! Dann will ich mein E-Book zurück!) Zwar mögen die Inhalte die gleichen sein – und das Werk wirkt gleich, ob Sie es sich auf einem E-Book ansehen oder in gedruckter Form –, aber der Unterschied liegt in der Kopierbarkeit und in der Reproduzierbarkeit. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und für beides zahle ich Geld! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden, Herr Ullrich!) Im Mittelalter musste ein Buch teilweise in monatelanger Handarbeit abgeschrieben werden, um eine Kopie zu bekommen. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass wir nicht mehr im Mittelalter sind!) Zu Zeiten des Buchdruckes mussten die Druckplatten angefertigt werden, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein, die beweglichen Lettern!) um eine Kopie zu erzeugen. Heutzutage können Sie digitale Inhalte ohne weitere Kosten durch einen Mausklick reproduzieren. Im Fachjargon nennt man das: Diese digitalen Inhalte haben in Bezug auf die Reproduzierbarkeit sogenannte Nullgrenzkosten. Wenn Sie ein Produkt haben, bei dessen Vervielfältigung keine Grenzkosten entstehen, dann können Sie dieses Produkt nicht mit einem Produkt vergleichen, bei dem Kosten bei der Reproduktion entstehen. Sie vergleichen Dinge, die nicht vergleichbar sind; das muss ich Ihnen so ehrlich sagen. Ich glaube, die Grünen haben die digitale Welt noch nicht richtig begriffen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje! Oje!) Der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin hat in seinem Buch Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft ganz klar dargelegt, dass wir angesichts der großen Herausforderung, die die Digitalisierung darstellt, neue Rechtsformen benötigen und dass wir nicht einfach die analoge Welt eins zu eins in die digitale Welt übertragen können. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch mal einen Vorschlag!) Deswegen brauchen wir im Urheberrecht völlig neue Modelle. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann los! Seit zwölf Jahren regiert ihr! Nichts passiert! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Los jetzt!) Wir müssen über Lizenzmodelle sprechen. Wir müssen über eine patentähnliche Möglichkeit sprechen, digitale Urheberrechte zu schützen. Uns geht es nämlich um den Schutz des Urhebers. (Beifall bei der CDU/CSU) Denn selbst wenn Sie ohne weitere Kosten ein E-Book unendlich reproduzieren können: Sie können nicht die Wohnung und nicht das Essen des Autors ohne Grenzkosten multiplizieren. Auch Autoren und Kreative müssen im digitalen Zeitalter von ihren Werken leben können. (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Qualität kostet. Wer als Kreativer unterwegs ist, der muss sich auch weiterhin darauf verlassen können, dass ihm der Staat schützend zur Seite steht, dass der Staat sich um ein Urheberrecht kümmert, damit kreative Leistungen auch zukünftig vergütet werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!) Das ist unser Anspruch. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann los!) Frau Künast, Sie haben in Ihrer Rede überhaupt nicht erwähnt, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Das weiß ich genau! – Lachen bei der CDU/CSU) dass der Urheber von seinem Werk leben können muss. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Flasche Großes Gewächs Riesling, dass ich es gesagt habe! – Lachen bei der CDU/CSU) Wir können das Prinzip, dass der Urheber von seinem Werk leben können muss, auch im digitalen Zeitalter nicht einfach aus den Angeln heben, Frau Künast. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber er darbt ja, weil Sie keine Gesetze machen! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie haben es in der Hand!) Ich lade Sie ein, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) mitzuwirken bei einer sinnvollen und guten Umstrukturierung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das dauert mir bei Ihnen zu lang! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wo ist denn Ihre Vorlage?) Ich lade Sie ein, mitzumachen, wenn wir zukünftig die Wissenschaftsschranke einführen, damit Bildung und Wissenschaft im Urheberrecht gut abgebildet sind. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Legislaturperiode ist gleich zu Ende!) Meine Damen und Herren, mit Ihren Anträgen zeigen Sie, dass Sie das digitale Zeitalter nicht verstanden haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird durch Wiederholung auch nicht besser!) Aber ich kann den Menschen klar und deutlich sagen, dass sich die Autoren, dass sich Kreative im digitalen Zeitalter an der Seite der Union am besten aufgehoben fühlen werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das sehen die Umfragen aber anders!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Nächster Redner ist der Kollege Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das kann ja nur besser werden!) Dirk Heidenblut (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um eines vorab klarzustellen: Ich bin nicht der Kollege, der den Buchdruck von Grund auf kennt. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich hier nicht zu den digitalen Büchern reden darf, sondern etwas zu den Onlineportalen sage. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch wichtig!) Das macht letzten Endes ja auch Sinn. Wer von uns nutzt nicht Onlineportale? Wahrscheinlich auch fast alle hier. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) – Okay, Frau Künast nicht. Das ist dann schon mal geklärt. – Aber die meisten anderen nutzen sie. Wir nutzen sie natürlich nicht nur zu Informationszwecken, sondern es werden auch Buchungen oder ähnliche Dinge darüber getätigt. Ja, es macht natürlich Sinn, Verbraucherinnen und Verbraucher an der Stelle zu schützen und dafür Sorge zu tragen, dass vernünftige Transparenzregelungen und Richtlinien gelten. Nein, damit wird nicht unterstellt, dass alle Onlineportalbetreiber Verbrecher sind und das Ganze ausnutzen, sondern es ist einfach eine Notwendigkeit im Geschäftsleben – und Onlineportale sind Teil des Geschäftslebens –, für die Verbraucher so etwas wie Augenhöhe herzustellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Da gehen wir durchaus mit; das ist überhaupt keine Frage. Ihr Antrag geht uns aber zu weit, weil er ein wenig den Eindruck vermittelt, dass die Onlineportale im Internet sich in einem komplett rechtsfreien Raum bewegen. Das ist natürlich nicht der Fall. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Internet gleich rechtsfreier Raum, das sagen die hier drüben!) Wir haben Rechtsregelungen, die natürlich auch da gelten. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ist eine solche Regelung. Erst vor kurzem wurde in einem Urteil sehr deutlich gesagt, welche Offenlegungspflichten bei einem Versicherungsportal bestehen. Das heißt, es gibt Rechtsregelungen. Einiges von dem, was Sie in Ihrem Antrag benennen, wird von diesen Rechtsregelungen durchaus erfasst. Es gibt einen zweiten Punkt, an dem Ihr Antrag in die falsche Richtung zielt, nämlich in die nationale Richtung. Vieles von dem, was Sie ansprechen, muss eigentlich nicht auf unserer Ebene, sondern auf der europäischen Ebene geregelt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch die EU – das muss man sagen – schläft an der Stelle nicht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Wir wissen, dass sie gerade wieder eine Expertise dazu einholt; ich glaube, das wird als „Fitnesscheck“ bezeichnet. Es soll geprüft werden – das ist genau die Richtung, in die Ihr Antrag zielt –, inwieweit der Verbraucherschutz wirklich greift und ausreichend ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die müssen auch endlich mal aus der Prüfphase herauskommen!) Wir erwarten die Ergebnisse dieser Prüfung im zweiten Quartal dieses Jahres. Aus unserer Sicht macht es Sinn, unabhängig von der Frage, wo und auf welcher Ebene etwas zu regeln ist, diese Ergebnisse abzuwarten, um sie in vernünftige Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund werden auch wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!) Aber wir werden den Verbraucherschutz, auch bezogen auf Onlineportale, selbstverständlich weiterhin hoch schätzen und aufrechterhalten. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Debatte. Tagesordnungspunkt 17 a. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11416 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 17 b. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Mehr Transparenz und Klarheit bei Buchungs- und Vergleichsportalen schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11471, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10043 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung des Carsharing (Carsharinggesetz – CsgG) Drucksache 18/11285 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11770 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Intelligente Mobilität fördern – Rechtssichere Regelung zur Ausweisung von Carsharing-Stationen schaffen Drucksachen 18/7652, 18/11770 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Hier höre ich keinen Widerspruch von Ihnen. Dann ist das so beschlossen. Wenn jetzt alle die Plätze eingenommen haben, eröffne ich die Aussprache. – Das Wort hat Herr Bundesminister Dobrindt für die Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir nutzen die Stärken der Sharing Economy und bringen die intelligente Mobilität in unsere Städte und Regionen. Mit unserem Gesetz fördern wir den Trend zum Teilen und nutzen die enormen Potenziale des Carsharing für noch mehr individuelle Mobilität. Was wir derzeit erleben, ist mit Sicherheit die größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung des Automobils. Dazu gehören die Elektromobilität, das automatisierte Fahren und die vernetzten Verkehre. Shared Mobility ist heute ja längst keine Vision mehr, sondern sie ist spätestens mit dem Siegeszug von Smartphones und Apps voll in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Immer mehr Menschen wollen den Komfort der individuellen Mobilität durch das Auto, aber ohne selber eines zu besitzen. Die Potenziale dieser Entwicklung sind enorm. Carsharing bringt mehr Mobilität bei weniger Emissionen und kann – das zeigen alle Studien – den CO2-Ausstoß erheblich reduzieren. Ein Carsharingfahrzeug kann bis zu 20 private Pkws ersetzen und macht 100 Meter Parkplätze am Straßenrand frei. Es gibt auch eine Reihe von neuen Geschäftsmodellen, die damit verbunden sind. Deutschland geht hier seit langem voran. Wir sind heute schon Europameister im Carsharing. Mehr als die Hälfte aller Carsharingnutzer und mehr als die Hälfte der Carsharingautos fahren in Deutschland. Dabei gibt es immer noch ein enormes Wachstum. Im Jahre 2011 gab es 50 000 Nutzer von Carsharingautos in Deutschland. Heute sind es mehr als 1,7 Millionen. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der Nutzer noch einmal um 36 Prozent gestiegen, und die Zahl der am Carsharing teilnehmenden Städte und Gemeinden ist um weitere 60 gewachsen. Wir wollen, dass diese Dynamik noch weiter ausgebaut wird. Dafür haben wir das Carsharinggesetz erarbeitet. Dabei geht es um drei zentrale Punkte. Erstens. Wir definieren erstmals Carsharing und schaffen damit die Grundlage für eine Bevorrechtigung. Dabei beziehen wir alle mit ein, sowohl die stationsgebundenen als auch die stationsunabhängigen Carsharinganbieter. Zweitens. Wir machen Parkbevorrechtigungen möglich. Das heißt, wir schaffen die Grundlage, damit die Straßenverkehrsbehörden vor Ort Sonderparkplätze für Carsharingfahrzeuge ausweisen können. Stationsbasierten Carsharinganbietern geben wir die Möglichkeit, spezielle reservierte Abhol- und Rückgabestellen an ausgewählten Standorten in den öffentlichen Verkehrsraum zu verlagern. Durch das Vernetzen der Carsharingangebote mit dem öffentlichen Personennahverkehr, mit Rad- und Fußgängerverkehr und vielem mehr schaffen wir auch lokale Mobilitätshubs. Drittens. Wir ermöglichen eine Parkgebührenbefreiung. Wir schaffen die Möglichkeit, dass die Länder auf Parkgebühren verzichten. Mit diesen Maßnahmen tragen wir dazu bei, dass der Flächenbedarf für Parkplätze deutlich geringer wird und die Parkplatzsuchverkehre in unseren Städten massiv zurückgehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Aktuell sind bis zu 40 Prozent der Verkehre in den Städten reine Parkplatzsuchverkehre. Das kostet nicht nur Zeit für diejenigen, die da fahren, sondern das schadet auch der Umwelt und belastet unsere Städte. Wir können das mit Carsharingangeboten deutlich reduzieren. Das verstehen wir unter intelligenter Mobilität. So erreicht man mehr Mobilität bei weniger Emissionen. Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, wir arbeiten in allen Bereichen intensiv an der Mobilität 4.0. Wir haben Anfang dieses Monats unser Programm für eine flächendeckende Elektroladeinfrastruktur gestartet. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) 15 000 Ladesäulen bauen wir in Deutschland mit 300 Millionen Euro auf. Gestern haben wir in meinem Haus, im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, den ersten Regierungs-Start-up-Pitch veranstaltet, eine Veranstaltung mit 32 Start-up-Teams mit jungen Gründern. Wir haben uns die Innovationen im digitalen Bereich mit Blick auf Mobilität präsentieren lassen. Wir haben uns zeigen lassen, was die Branche in Deutschland kann. Gerade heute haben wir als erstes Land der Welt den Weg frei gemacht für das automatisierte Fahren. Wir haben ein Gesetz beschlossen, in dem wir die rechtliche Gleichstellung von Mensch und Computer im Auto geschaffen haben. Jetzt beschließen wir das Carsharinggesetz. Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Maßnahmenpaket in Deutschland Innovationsführer bei der Mobilität bleiben – und damit auch an der Spitze von Wachstum, Wohlstand und Arbeit. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn das Grünen-Bashing? Ist der Mann krank?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Herbert Behrens. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sich heute, 30 Jahre nachdem die ersten Carsharingangebote realisiert worden sind – damals noch auf Vereinsbasis –, an die Spitze der Bewegung zu setzen und, nachdem im Jahr 2005 zum ersten Mal im Bundestag Carsharing auf der Tagesordnung stand, im März 2017 einen Gesetzentwurf auf den Tisch zu legen – das ist mit der Rede vom Innovationsführer nicht ganz zusammenzubringen. Aber immerhin: Das gibt es heute. Wenn in jedem Jahr, in dem dieses Thema auf der Tagesordnung stand, eine Verbesserung stattgefunden hätte, hätten wir hier heute einen super Gesetzentwurf vor uns liegen, der möglicherweise sogar hätte einstimmig beschlossen werden können. Aber dieses Gesetz ist, nachdem es 2005 zum ersten Mal hier besprochen worden ist, nicht besser geworden, sondern es hat eigentlich in jedem Jahr an Substanz verloren. Ich glaube, das ist keine gute Voraussetzung, um ein zukunftsweisendes Gesetz zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es wäre vor längerer Zeit schon möglich gewesen, etwas zu unternehmen. Aber vielleicht haben wir eine Chance verpasst: Wir hätten lieber das Ende der Großen Koalition abwarten sollen, um vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt ein richtig gutes Gesetz auf den Weg zu bringen. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Aber nun gut: Heute, im März 2017, liegt es vor, und wir haben uns damit zu befassen. Wir haben damit zu tun, dass wir einen kleinen Einstieg in das Carsharing bzw. in die Unterstützung von Carsharing angeboten bekommen. Die Bundesebene will möglich machen, dass das, was findige Kommunen schon seit Jahrzehnten machen, auch andere Kommunen machen dürfen, nämlich Sonderflächen schaffen, damit Fahrer von Carsharingautos bevorzugt ihren Parkplatz finden können und nicht lange herumsuchen müssen. Das hat dazu geführt, dass in den Kommunen, in Bremen beispielsweise, schon seit langem Sonderflächen zur Verfügung gestellt worden sind und jeder Carsharingnutzer weiß: Dort findet er einen guten Parkplatz, möglicherweise sehr nahe an seiner Wohnung. Denn das ist das Ziel: Carsharing soll als eigenständiger Teil der städtischen Verkehrspolitik das ersetzen, was uns häufig nervt, nämlich die vielen, vielen Autos, die im Schnitt nur 36 Minuten pro Tag genutzt werden und nicht dazu beitragen, dass man individuell mobiler ist. Vielmehr sind es häufig Fahrzeuge, die Wohnquartiere zustellen und Flächen in Beschlag nehmen, weil sie Parkraum benötigen. Wir wollen durch bessere Carsharingangebote dafür sorgen, dass der Flächenverbrauch in den Städten geringer wird, sodass wir in der Lage sind, Wohnquartiere möglichst autofrei zu halten, damit die Belastungen dort sinken. Darum sind Carsharingangebote sehr wichtig und ein wichtiger Bestandteil der Verkehrswende. (Beifall bei der LINKEN – Sören Bartol [SPD]: Dann könnt ihr ja einfach mal mitstimmen!) – Ja, es wäre schön, wenn wir mitstimmen könnten. Aber man ist an einer Minimallösung kleben geblieben, die wir so nicht wollen. Es hat den Vorschlag des Bundesumweltministeriums gegeben, diese Regelung auf eine andere gesetzliche Basis zu stellen. Dann wäre es nämlich möglich gewesen, von der Bundesebene aus sehr weit in die Kommunen hineinzuwirken und entsprechende Vorschläge zu machen, um wirklich einheitliche Angebote zu schaffen. (Sören Bartol [SPD]: Das passiert doch jetzt – nur mit einem Zwischenschritt!) Bei der E-Mobilität – das haben wir gesehen – war der Verkehrsminister etwas mutiger; das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Automobilkonzerne dahintersteckten bzw. -stecken. (Florian Oßner [CDU/CSU]: Woher kommen denn die Carsharingautos? – Zuruf von der SPD: Beim Carsharing stecken sie doch auch dahinter!) Da war es möglich, zu sagen: E-Automobile dürfen auch die Busspuren benutzen. – So etwas hätte ich mir auch für das Carsharing gewünscht. (Kirsten Lühmann [SPD]: Bei der Elektromobilität ist es nur eine Verordnungsermächtigung und keine konkrete Erlaubnis! Genau das Gleiche machen wir jetzt auch!) Das wäre ein wirklich richtungweisendes Angebot gewesen, mit dem wir der Verkehrswende, die wir in den Städten brauchen, ein Stück näher hätten kommen können. Aber da bleibt die Große Koalition einfach kleben. Wir werden uns daher der Stimme enthalten, wenn es zur Abstimmung über diesen Gesetzentwurf kommt. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Ui! – Das ist echt mutig!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2005 war der Megatrend „Teilen statt besitzen“ vielleicht noch nicht da, Herr Behrens. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Doch!) Deswegen ist dies das richtige Gesetz zum richtigen Zeitpunkt; denn es schafft tatsächlich Rechtssicherheit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Sie haben schon recht: Jetzt ist dieser Megatrend da, und er geht einher mit dem Megatrend der Verstädterung. Dieses Potenzial heben wir jetzt, auch im Rahmen anderer Gesetze wie des Elektromobilitätsgesetzes. Außerdem fördert unser Haus auch Hybrid- bzw. künftig Elektrobusse. (Andreas Rimkus [SPD]: Sehr gut!) – Ja, wir wissen, dass wir gut sind. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Die Hälfte der Autofahrten, die in Ballungszentren unternommen werden, sind weniger als 5 Kilometer lang. Man kann es auch so sagen: 23 Stunden am Tag steht das Auto in der Regel. Das macht die Städte natürlich nicht attraktiver, weil der städtische Raum bisher darauf ausgerichtet ist, dass Autos dort ihren Platz finden. Unser Ziel ist deshalb, eine flexiblere, attraktivere und zweckmäßigere Mobilität zu ermöglichen. Das schätzen auch die Nutzerinnen und Nutzer; circa 1,7 Millionen Kunden gibt es bereits. Letztes Jahr war das Kundenwachstum enorm; es betrug etwa im Bereich des stationsbasierten Carsharing 51 Prozent. Das bestätigt, dass dieser Megatrend weiter voranschreitet. Ich freue mich deshalb sehr, dass wir diese Entwicklung mit dem Carsharinggesetz unterstützen können. Im Kern geht es jetzt darum, dass man die Geschäftsmodelle auf sichere Füße stellt und neue Geschäftsmodelle ermöglicht, zum Beispiel durch die Reduzierung der Kosten, die Erhöhung der Verfügbarkeit der Fahrzeuge und nicht zuletzt auch durch die höhere Sichtbarkeit der Fahrzeuge im öffentlichen Raum. Mit diesem Gesetz erhalten die zuständigen Behörden vor Ort die Möglichkeit, für Carsharingfahrzeuge und -unternehmen Bevorrechtigungen im öffentlichen Straßenraum anzuordnen. Geplant sind folgende Privilegien – wir haben es schon gehört –: die Einrichtung von Sonderparkflächen für Carsharingfahrzeuge und die Möglichkeit der Reduzierung der Parkgebühren; das müsste auch Ihnen entgegenkommen. Noch etwas weiter gehen wir im Hinblick auf das stationsbasierte Carsharing, dem insgesamt die größeren Umweltentlastungspotenziale zukommen. Während sich die Free-Floating-Systeme nur auf wenige große Städte beschränken, decken stationsbasierte Carsharingangebote mittlerweile einen großen Teil Deutschlands ab. Sogar im ländlichen Raum sind Carsharingangebote durchaus gang und gäbe. Sie tragen zu einer nachhaltigen Mobilität bei, da viele Menschen zum Beispiel für die Strecke zwischen dem Bahnhof und ihrem Ziel ein Carsharingauto nutzen. Anbieter des stationsbasierten Carsharing sind bislang darauf angewiesen, teures Privatgelände anzumieten, um Abholung und Rückgabe der Autos zu organisieren. Meistens geschieht dies auf wenig attraktiven Plätzen, entweder auf Hinterhöfen oder in Parkhäusern. Entsprechend gering ist auch die Sichtbarkeit der Angebote. Deswegen ist es gut, dass wir das jetzt verbessern. Ich muss aber auch dazusagen, dass wir diese Art der Privilegierung nach langer Diskussion nur für den Bereich der Bundesstraßen regeln konnten; denn nur für sie sind wir vom Bund zuständig. Es gibt also durchaus auch Potenzial bei den Ländern, sich hier mit einzubringen und ihre Landes- und Gemeindestraßen anzubieten, und ich glaube, das ist in unser aller Interesse. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin. Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Ich komme gleich zum Ende. – Wichtig ist uns allerdings auch, dass das Carsharinggesetz alle Carsharingmodelle – das stationsbasierte und das stationsunabhängige, das Free Floating – gleichermaßen berücksichtigt. Es geht hier auch darum, dass Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden. Ich glaube, insgesamt kann man sagen, dass es ein gutes Gesetz ist. Carsharing schont die Umwelt, die Nutzer sparen, und eine lange Parkplatzsuche kann man sich auch schenken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Matthias Gastel. (Florian Oßner [CDU/CSU]: Er ist der Schuldige!) Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Teilen ist in. Wer durch mittelgroße Städte und erst recht durch große Städte läuft, der kann das leicht erkennen. Gerade in Berlin ist das unübersehbar. An jeder Ecke stolpert man über ein Leihfahrrad, an jeder zweiten Ecke findet man einen zur Verleihung zur Verfügung gestellten E-Roller, und wenn man guckt, welche Autos herumfahren, dann sieht man immer häufiger solche mit Aufschriften von car2go, DriveNow oder anderen Anbietern. Das passt in eine Gesellschaft, die mobil sein will und mobil sein muss und in der die Menschen für ihre Mobilität immer häufiger verschiedene Verkehrsmittel individuell kombinieren und für ihre Reisekette einsetzen. Je nach Ziel und Zweck der Reise nutzen sie verschiedene Verkehrsmittel, und unterschiedliche Angebote konkurrieren um einen knappen Verkehrsraum. Das Auto beansprucht mit Abstand am meisten Fläche. Das durchschnittliche Auto steht aber 23 Stunden am Tag. Der Radverkehr fordert mehr Fläche für sich ein und will nicht mehr im Dauerkonflikt mit dem Fußgänger- und dem Kraftfahrzeugverkehr stehen. Und dann geht es auch noch um die Lebensqualität der Menschen. Sie fordern mehr Grün in ihren Städten und mehr Aufenthalts- und Ruheflächen. Auch Flächen für Außengastronomie werden sehr stark nachgefragt. Genau hier liegt der größte Vorteil des Carsharing. Ein Carsharingauto ersetzt im Durchschnitt sieben Privatfahrzeuge, und damit macht es Flächen frei für andere Nutzungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es ist gut, dass der Bund jetzt endlich einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, auf den wir sehr lange, nämlich über zehn Jahre, gewartet haben. Es geht um die Privilegierung des Carsharing und damit auch um die Würdigung des Carsharing als eines Beitrags zur Lebensqualität und für eine bessere Umwelt – zugunsten der Menschen. Dieses Gesetz hat aber erhebliche Schwächen; denn es ist weder ambitioniert noch unbürokratisch: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erstes Beispiel. Die Verringerung des Flächenverbrauchs durch den Kfz-Verkehr wird in diesem Gesetzentwurf schlicht und ergreifend ignoriert. Zweites Beispiel. Dieser Gesetzentwurf gilt ausschließlich für die Flächen an Bundesstraßen. – Herr Minister Dobrindt, ich muss hier schon sagen: Dass ausgerechnet Sie, der keinerlei Skrupel hat, sich bei der Ausländermaut über sämtliche rechtliche Warnungen hinwegzusetzen, rechtliche Bedenken haben, auch andere Straßen durch diesen Gesetzentwurf zu erfassen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Jetzt kommt es! – Das ist unsachlich! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) und das Gesetz an dieser Stelle ausbremsen, muss doch sehr stark verwundern. Es ist geradezu ein Witz, dass diese Bedenken ausgerechnet von Ihnen kommen. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Jetzt fehlt noch das Thema „Stuttgart 21“!) Drittes Beispiel. Hinsichtlich der konkreten Umsetzung ist noch vieles unklar. Die Rechtsverordnung fehlt nämlich noch. Wir haben einen Antrag zum Thema Carsharing gestellt, mit dem wir deutlich mutiger und entschlossener gewesen sind, um dieses wichtige Thema voranzubringen; denn das Potenzial für Carsharing ist riesig. Eine neue Studie von Allensbach sagt: Das Potenzial ist etwa zehnmal höher als der Kreis derer, die Carsharing bisher bereits nutzen. Wir bedauern, dass die Entschlossenheit der Bundesregierung, ein Gesetz zum Carsharing vorzulegen, nicht damit einhergeht, ein wirklich gutes und konsequentes Gesetz vorzulegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein so halbherziges Gesetz kann nicht unsere volle Zustimmung erhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Nur die halbe? Immerhin! – Ulli Nissen [SPD]: Dann nehmen wir die halbe! – Zurufe von der CDU/CSU: Die halbe!) – Die halbe! Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Wir sehen dann bei der Abstimmung, was das heißt. – Jetzt hat der Kollege Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD]) Steffen Bilger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach unserer Debatte heute Nachmittag zum automatisierten Fahren wurde in meiner Fraktion schon Kritik laut, in dieser Debatte sei zu wenig Stimmung aufgekommen. Jetzt habe ich mir gedacht: Ich weiß gar nicht, wie ich das in der Diskussion über das Carsharing hinbekommen soll. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Es geht hier nicht um Stimmungen; es geht um gute Gesetze! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beschimpfen Sie mich ein bisschen! Das fehlt mir!) – Genau. Herr Krischer ist weiterhin bereit, viele Zwischenrufe zu machen. – Aber bei anderen Themen, wenn es nicht um das Carsharing geht, scheint das noch möglich zu sein. An und für sich herrscht bei dem Thema Carsharing große Harmonie und Übereinstimmung, wenn die Linken fast und die Grünen halb zustimmen können. Sie haben noch ein bisschen Zeit, sich zu überlegen, ob daraus noch eine richtige Zustimmung wird, wenn wir nachher darüber abstimmen. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Sie sind mit wenig zufrieden!) Aber, meine Damen und Herren, wie auch immer: Es ist gut, dass wir nun endlich ein Gesetz verabschieden können, auf das wir alle so lange gewartet haben. Wir wollen damit Carsharing in Deutschland dauerhaft fördern und neue Potenziale erschließen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Herr Dobrindt?) Wie ich bereits in meiner Rede vor drei Wochen zu diesem Thema deutlich gemacht habe, hat das Carsharing in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum verzeichnet, sowohl bei den stationären Anbietern als auch bei den stationsunabhängigen Anbietern, dem sogenannten Free Floating. Die Angebote, vor allem von unseren deutschen Firmen, in Großstädten werden wirklich gut genutzt und sind äußerst erfolgreich. Die Nutzerzahlen steigen kontinuierlich. Dieser Trend nimmt in jüngster Zeit noch einmal Fahrt auf. Dieses Gesetz soll dieser Entwicklung einen weiteren Schub geben, damit die Dynamik anhält. Deswegen soll möglichen Hemmnissen, die die Attraktivität des Carsharing in Zukunft gefährden könnten, mit diesem Gesetz frühzeitig begegnet werden. Wir haben schon in der letzten Debatte viel über die Vorteile gesprochen, die sich durch Carsharing eröffnen. Zwischendurch haben wir im Verkehrsausschuss eine Anhörung mit Sachverständigen durchgeführt, in der es viele positive Rückmeldungen zu unserem Vorhaben gab. Es wurde noch einmal deutlich, dass das Carsharing sowohl aus Verkehrs-, Umwelt- als auch stadtplanerischer Sicht große Potenziale in den großen Städten bietet, in denen wir Probleme mit der Luftqualität und mit einem Mangel an Flächen haben. Diese Ziele in den Großstädten haben wir mit dem Carsharinggesetz ebenso im Blick wie den ländlichen Raum. Als Berichterstatter meiner Fraktion für alternative Antriebe möchte ich betonen, dass gerade das Carsharing große Chancen eröffnet und schon heute kräftig dazu beiträgt, verstärkt Elektroautos auf die Straßen zu bringen. Dadurch wird die Akzeptanz für die Elektromobilität weiter erhöht und werden Berührungsängste abgebaut. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Immerhin 10 Prozent der Carsharingfahrzeuge sind bereits Elektroautos. Vor dem Hintergrund dieser vielen positiven Aspekte ist es sehr erfreulich, dass hier im Hause unterm Strich große Einigkeit besteht, das Carsharing weiter zu fördern und auszubauen. Auch über die Frage, wie diese Förderung gestaltet werden könnte, gibt es – das ist alles andere als selbstverständlich – im Großen und Ganzen über die Fraktionsgrenzen hinweg und unter den Sachverständigen einen erfreulichen Konsens. Wir benötigen Privilegien und Bevorrechtigungen für Carsharingfahrzeuge, vorrangig für das Abstellen und Parken im öffentlichen Straßenraum. Gerade in den innerstädtischen Gebieten ist das ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Carsharing. In der rechtlichen Umsetzung – das sage ich auch für die noch aus der vorherigen Debatte anwesenden Rechtspolitiker – gab es bei diesem Gesetz doch einige Kontroversen. Hier ging es vorrangig um die rechtliche Verankerung der vorgesehenen Privilegien. Eine Regelung zur Bevorrechtigung im Straßenverkehrsrecht wäre aufgrund der Privilegienfeindlichkeit dieses Rechtsgebiets äußerst problematisch gewesen. Daher war es richtig, dieses wichtige Vorhaben rechtlich sauber als eigenständiges Gesetz auf den Weg zu bringen. Diese Sichtweise wurde auch in der Anhörung von Sachverständigen ausdrücklich bestätigt. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Gesetz sieht nun im Kern vor, Ländern und Kommunen die Möglichkeit einzuräumen, Sonderstellflächen einzurichten und Carsharingfahrzeuge von den Parkgebühren zu befreien. Dazu enthält das Gesetz die notwendigen Definitionen und Ermächtigungsgrundlagen für die Bevorrechtigung und die Kennzeichnung der Fahrzeuge. Ein Dank gilt unserem Koalitionspartner, vor allem Arno Klare als Berichterstatterkollege, auch Sören Bartol, mit dem man nicht nur die Maut voranbringen kann, sondern auch andere sinnvolle Projekte. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD) Die Zusammenarbeit im parlamentarischen Verfahren war ja wirklich konstruktiv. Wir konnten uns mit dem Koalitionspartner auch noch auf einige kleinere Änderungen einigen. So haben wir uns beispielsweise in der letzten Woche darauf verständigt, die Befristung des Zeitraums, in dem die Flächen zur Verfügung gestellt werden, von längstens fünf auf längstens acht Jahre hochzusetzen. So sinkt der Verfahrensaufwand für die betroffenen Behörden, und den Anbietern kann die notwendige Planungssicherheit eingeräumt werden. Mit dem Gesetzentwurf, dem wir heute zustimmen werden, meine Damen und Herren, haben wir auf Bundesebene unsere Hausaufgaben erledigt. Jetzt sind Länder und Kommunen gefordert, die Möglichkeiten dieses Gesetzes auch zu nutzen und die Potenziale auszuschöpfen. Ich bitte um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Arno Klare die Möglichkeit, die Debatte abzuschließen. (Beifall bei der SPD) Arno Klare (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist schon ein sehr guter Tag für die Mobilität in Deutschland. Die Gäste, die da oben sitzen, haben natürlich nicht alles mitbekommen. Wir haben heute aber schon ein Schienenlärmschutzgesetz – übrigens einstimmig, wohlgemerkt – verabschiedet. Des Weiteren haben wir das Straßenverkehrsgesetz geändert und an das angepasst, was auf uns zukommt, nämlich automatisiertes Fahren. Es ging nicht um autonome Fahrzeuge, sondern um automatisiertes Fahren. Das wurde leider nicht einstimmig verabschiedet. Ich habe jetzt noch genau 3:31 Minuten Zeit, um eventuell noch einmal Einstimmigkeit für etwas ganz Vernünftiges hinzubekommen, dem eigentlich alle zugestimmt haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber erklären Sie das vorher mit der Maut noch einmal! Das will ich jetzt hören!) In der Anhörung haben alle, die dort saßen – auch der Bundesverband CarSharing, auch der VCD, der Verkehrsclub Deutschland –, zwar Kritisches angemerkt, am Ende aber gesagt: Das ist ein vernünftiges Gesetz. Dem muss man jetzt zustimmen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dieser Verband ist ja, wie wir alle wissen, eher grün. Trotzdem duze ich den Gerd Lottsiepen, der dort geredet hat. Ich hoffe aber, dass da nur noch ein wenig Überzeugungsarbeit vonnöten sein wird. Der Deutsche Städtetag hat zugestimmt. Alle kommunalen Spitzenverbände stehen dahinter. Alle sagen: Da gibt es jetzt endlich – zugegeben, nach langer Zeit – den Durchbruch. Das ist aber etwas Vernünftiges. Dem kann man doch, bitte schön, zustimmen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sagen alle: Besser als nichts! Das ist etwas anderes, lieber Arno!) Es geht um den vernünftigen Zusammenhang zwischen öffentlichem Verkehr und Carsharing. Dabei geht es sozusagen um eine Symbiose. Damit wird eine Ergänzung vorgenommen. Carsharing ist – das ist jetzt ein großes Wort – auch ein Element nachhaltiger Suffizienzstrategie. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist jetzt etwas für die Gelehrten. Das heißt, es geht darum, Individualverkehre zu vermeiden, ohne – gut zuhören! – den Zuwachs von Mobilitätsoptionen zu beschneiden. Genau darum geht es. Carsharing schließt die Lücke, die es beim öffentlichen Verkehr immer gibt, nämlich die Tür-zu-Tür-Verbindung. Das ist aber – Herr Gastel hat gerade darauf hingewiesen – sehr wichtig. Es muss eine Integration in den öffentlichen Verkehr geben. Genau das leistet auch dieses Gesetz. Es macht dies jetzt rechtlich möglich. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber leider nur für die Bundesstraßen! Das ist das Problem!) Insofern kann ich mir nicht genau erklären, warum man da nicht zustimmen kann. „Es gibt keine Energiewende ohne Verkehrswende“: Das ist doch eine Überschrift, die wir immer wiederholen. Herr Rimkus wird ja nicht müde, genau das zu wiederholen. Er hat auch völlig recht, wenn er das sagt. Carsharing ist ein Teil davon. Gerade ist darauf hingewiesen worden, dass 10 Prozent der Fahrzeuge, die in Carsharingflotten laufen, E-Fahrzeuge – elektrisch betrieben – sind. Wenn man den jetzigen Anteil der Elektrofahrzeuge am Gesamtverkehr sieht, der im Nullkomma-Bereich liegt, erkennt man, dass es um einen Riesenanteil – und damit auch um eine Riesenchance – geht. Ich hoffe, dass dieser Tag heute ein sehr guter Tag für die Mobilität wird. Das wird so sein, wenn dieses Haus diesem Carsharinggesetz jetzt komplett zustimmen wird. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten Sie noch ein bisschen nachbessern müssen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser als nichts!) Im Grunde warten jetzt alle darauf, dass es heute eine große Zustimmung geben wird. Denn im Grunde ist es – darauf hat Gerd Lottsiepen vom VCD sehr richtig hingewiesen – relativ egal, ob das im Rahmen des Straßenverkehrsrechts oder des Wegerechts gelöst wird. Letzteres passiert jetzt. Vielmehr geht es darum, dass es, rechtlich gesehen, für die Kommunen möglich wird. Und genau das schaffen wir mit diesem Gesetz. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nur an Bundesstraßen?) Auch ich hätte mir eine andere Lösung auf der straßenverkehrsrechtlichen Ebene gewünscht. Verfassungsrechtler haben mir aber gesagt, dass der Bund dafür gar nicht zuständig ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der Dobrindt!) – Nein, das haben mir Verfassungsrechtler aus dem BMJV – sozusagen die Gralshüter unserer Verfassung, unserer Gesetze – gesagt. Deshalb muss ich irgendwann einmal damit anfangen, das ernst zu nehmen. Und weil ich das ernst nehme, bitte ich Sie jetzt um die Zustimmung. Das wäre ein wunderbarer Abschluss für den gesamten Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hätten Sie noch ein bisschen nachbessern müssen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. Das war jetzt ein sehr engagierter Abschluss der Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bevorrechtigung des Carsharing. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11770, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11285 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Jetzt warten alle auf die zweite Hälfte der Abstimmung. (Heiterkeit) Deshalb gebe ich die Gelegenheit zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf Drucksache 18/11770 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7652 mit dem Titel „Intelligente Mobilität fördern – Rechtssichere Regelung zur Ausweisung von Carsharing-Stationen schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Tempel, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Entkriminalisierung von Drogenkonsumierenden Drucksache 18/11610 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktionen DIE LINKE sowie der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen Drucksachen 18/1613, 18/10445 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Fraktion Die Linke Frank Tempel. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Grundlagen des Drogenstrafrechts kenne ich vorrangig aus der polizeilichen Praxis. Ich war unter anderem drei Jahre stellvertretender Leiter einer mobilen Rauschgiftbekämpfungsgruppe. Offizieller Zweck des Drogenstrafrechts ist es, Angebot und Nachfrage zahlreicher Drogen zumindest deutlich zu reduzieren. Der Weg ist gegenwärtig, Menschen nicht nur wegen des Handels, sondern auch wegen Besitzes und Erwerbs dieser Substanzen mit einer Strafandrohung zu konfrontieren. Das Ergebnis ist: Angebot und Nachfrage werden ganz offensichtlich nicht reduziert. Im Gegenteil: Wir haben einen ausufernden Schwarzmarkt mit Betäubungsmitteln als Hauptfinanzierungsquelle der organisierten Kriminalität. Substanzen werden unter den Rahmenbedingungen des Schwarzmarktes oft noch gefährlicher, sind vielfach verunreinigt und gestreckt und damit noch unberechenbarer. Gerade jungen Menschen ist dieser Schwarzmarkt sehr leicht zugänglich. Drogen sind ganz einfach zu gefährlich, um sie Kriminellen auf einem Schwarzmarkt zu überlassen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es erweist sich: Umso gefährlicher die Droge an sich bereits ist, umso gefährlicher sind die Nebenwirkungen des Verbots. Trotzdem setzen Sie die Strafverfolgung bereits sehr früh, nämlich beim Konsumenten direkt an. Das heißt, wer einen Joint raucht, besitzt ihn auch und macht sich damit strafbar. Er schädigt möglicherweise auch sich selbst, lebt ungesund, aber er schadet definitiv keiner anderen Person. Heute entscheiden wir über eine wissenschaftliche Evaluierung, also eine Überprüfung genau dieses Drogenstrafrechts. Parallel kann aber auch die Praxis ein Weg der Überprüfung sein. In Berlin, Bremen, Münster, Düsseldorf, Frankfurt am Main und Köln wird darüber diskutiert, Cannabis in Modellprojekten legal anzubieten und somit dem Schwarzmarkt zu entziehen. Im Wesentlichen von den Unionsparteien bekommen wir hierfür häufig den Vorwurf einer falschen Signalwirkung. Macht aber zum Beispiel Bremen ein solches Modellprojekt und ermöglicht kontrolliert den legalen Erwerb von Cannabis, kann sehr genau evaluiert werden, welche Signalwirkung tatsächlich entsteht: Wie wird sich das Konsumverhalten in der Bevölkerung dann entwickeln? Steigen oder sinken die Risiken für Jugendliche? Gelingt es, den konsumierten Wirkstoffgehalt THC zu reduzieren? Verbessern sich die Möglichkeiten, durch begleitende Prävention und Beratung den riskanten Konsum zu reduzieren? Sind diese Modellprojekte erfolgreich, erweist sich die jahrelange Prohibition von Cannabis als völlig absurd, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erweist sich ein wesentlicher Bestandteil der heutigen Drogenpolitik als absurd. Solche Modellprojekte funktionieren aber nur, wenn dem Konsumenten nach Verlassen der Abgabestelle keine Strafanzeige droht und wenn die Polizei zum Beispiel die gekauften 5 Gramm Cannabis nicht beschlagnahmt. Im Gesetz steht aber bislang: Besitz und Erwerb sind strafbar. – Die Lösung wäre eine gesetzliche Entkriminalisierung des Besitzes geringer Mengen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Selbst das Bundesverfassungsgericht hat 1994 in einer Entscheidung zumindest die Strafbarkeit geringer Mengen infrage gestellt. Nach der jetzigen Rechtslage werden bei diesen Mengen von der Polizei mit hohem Aufwand Anzeigen gefertigt, die die Justiz dann mit ebenfalls nicht geringem Aufwand oft wieder einstellt. Die Linke schlägt deswegen vor, unterhalb einer festgelegten Menge keine Strafanzeigen mehr zu stellen und damit den Weg für die genannten Modellprojekte in den Ländern zu eröffnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach unserem Vorschlag gälte das – im Gegensatz zu den geltenden Regelungen – im gesamten Bundesgebiet. Das heißt, wer einen Joint kauft, bekommt keine Strafanzeige mehr. Der Joint wird nicht beschlagnahmt, und man wird von der Polizei auch nicht mehr in der Falldatei Rauschgift registriert. Wenn man nicht unter Rauscheinfluss ein Fahrzeug geführt hat, bleibt auch der Führerschein unangetastet. Portugal wird übrigens genau für diesen erfolgreichen Weg international gelobt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Strafanzeigen, die wieder eingestellt werden, wirken kriminalisierend. Diese Kriminalisierung ist falsch und muss aufhören. Egal wie lange sich die Union – sie ist hauptsächlich der Gegner – diesen Veränderungen noch entgegenstemmt, zumindest die Linke wird diesen Kampf fortsetzen und gewinnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächste hat Emmi Zeulner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Emmi Zeulner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fangen wir doch einmal mit etwas Positivem an. Die Forderung der Linken nach einer einheitlichen Regelung für die Bundesländer zur Eigenbedarfsmenge bei Cannabis ist nicht verkehrt und sollte diskutiert werden. (Beifall des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Abstrus finde ich allerdings, wie hoch der legale Eigenbedarf Ihrer Meinung nach sein soll. Man könnte meinen, Sie nehmen den bundesweit niedrigsten Wert als Maßstab. Aber nein, Sie wollen mit 15 Gramm Cannabis den bundesweit höchsten Wert nehmen. Faktisch wollen Sie somit wieder einmal eine völkerrechtswidrige Legalisierung nicht nur beim Eigengebrauch; denn diese Menge reicht für 30 Joints und sichert einem Kleindealer somit wunderbar sein Geschäft. Was Sie wollen, ist die bundesweite Möglichkeit zum Dealen mit staatlichem Segen. Eine solche Zusage bekommen Sie von mir natürlich nicht. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Modellprojekte!) Herr Tempel, Sie wollen einen Görlitzer Park in ganz Deutschland, (Frank Tempel [DIE LINKE]: Gerade nicht! Das ist eine Lüge, eine ganz klare Lüge!) ein Park, bei dem die rot-rot-grüne Regierung Berlins bereits kapituliert hat. Im „Görli“ sollen dem Konsum und dem Handel freien Lauf gelassen und zusätzlich soll die Polizeipräsenz verringert werden. Meiner Ansicht nach ist das eine weitere Fehlentscheidung der rot-rot-grünen Regierung in Richtung rechtsfreien Raum. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin Zeulner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tempel? Emmi Zeulner (CDU/CSU): Ja. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Frank Tempel (DIE LINKE): Normalerweise wollte ich um diese Uhrzeit keine Zwischenfrage mehr stellen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das wäre auch vernünftig gewesen!) Aber Sie haben mehrfach ganz klar die Unwahrheit gesagt. Ist Ihnen bekannt – darüber wird seit mehreren Jahren eine Diskussion geführt –, dass wir nicht eine komplette Freigabe wollen, also dass wir nicht wollen, dass der Dealer nun das, was er zuvor illegal verkauft hat, legal verkaufen kann, sondern dass wir eine streng kontrollierte, legale und regulierte Abgabe von Cannabis fordern – genauso wie bei anderen Substanzen –, dass wir nicht wollen, dass die Dealer offiziell und mit staatlichem Segen handeln dürfen, sondern dass wir eine staatliche Kontrolle der Einhaltung der Regelungen zum Jugendschutz und zum Verbraucherschutz fordern und bestimmte Projekte fördern wollen? Nicht umsonst habe ich übrigens von mehreren Parteien befürwortete Modellprojekte angesprochen. Den Verantwortlichen mehrerer Städte – Bremen, Münster, Frankfurt am Main, Berlin usw. – müssten sie genau das Gleiche wie mir jetzt hier unterstellen: dass sie das Tun der Dealer legalisieren wollen. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es bereits eine ganze Reihe von anderen Vorschlägen gibt, wie man sehr vorsichtig kontrolliert, dass man genau diesem Schwarzmarkt etwas entgegensetzen und ihn eben nicht legalisieren will? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Da scheint die Kollegin Ihren wunden Punkt getroffen zu haben, Herr Kollege!) Emmi Zeulner (CDU/CSU): Zur Kenntnis nehme ich das selbstverständlich. Ich würde Ihnen aber empfehlen, Ihr Parteiprogramm zu lesen; denn da fordern Sie etwas ganz anderes. (Zuruf der Abg. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Ja, über die Anträge. Aber Fakt ist doch, was dahintersteht. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Den Abschnitt habe ich geschrieben! Den kenne ich schon!) Bitte, lesen Sie das Parteiprogramm der Linken. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Tempel, keine Zwiegespräche. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Am Ende des Tages stellt sich die Frage: Wie wollen Sie kontrollieren, wenn Sie 15 Gramm Cannabis zur Verfügung stellen, ob da etwas weitergegeben wird oder nicht? Das können Sie gar nicht kontrollieren. Deswegen bleibt meine Aussage so bestehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber die Kapitulation auf das, was im Görlitzer Park passiert, kann natürlich nicht die richtige Antwort, kann kein Ausdruck einer verantwortungsvollen Drogenpolitik sein. Wir als Politiker – ich bin Gesundheitspolitikerin; Sie sind Polizist von Beruf, ich bin gelernte Krankenschwester – haben einen Schutzauftrag, den man nicht einfach wegwischen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Mir ist es wichtig, zu sagen, dass wir in Deutschland ein in höchstem Maß differenziertes Strafverfolgungssystem bei Cannabisdelikten haben. Wir verfolgen eben nicht pauschal, wie Sie es immer wieder hervorbringen; denn es wird in jedem Abschnitt des Verfahrens – in jedem Abschnitt! – eine Einzelfallentscheidung getroffen, und die Möglichkeit zur Einstellung ist gegeben. Bereits die Staatsanwaltschaft kann das Ermittlungsverfahren nach dem Betäubungsmittelgesetz einstellen. Hier spielen die Schwere der Tat, die individuelle Schuld und gerade auch der Eigenbedarf eine Rolle. Auch im Hauptverfahren ist eine Einstellung nach der Strafprozessordnung und dem Jugendgerichtsgesetz noch möglich. Selbst bei der Vollstreckung  – das wissen Sie ganz genau – ist eine Zurückstellung der Strafe nach dem Betäubungsmittelgesetz möglich, wenn sich der Betroffene beispielsweise einer Therapie unterzieht. Gerade bei Umsetzung Ihrer Forderung, dass die Strafverfolgung eingestellt werden muss – Sie haben ein „muss“ in Ihrem Antrag –, verhindern Sie die so wichtige Einzelfallbetrachtung, die unser Strafsystem so wertvoll macht. Deswegen sind wir auch in dieser Legislatur deutlich differenzierte Wege gegangen. Auf der einen Seite wollen wir Cannabis als Medizin. Wir haben die rechtliche Grundlage dafür geschaffen. Das war uns zum Beispiel im Hinblick auf Schmerzpatienten ein ganz wichtiges Anliegen. Aber auf der anderen Seite wollen wir uns ganz klar gegenüber dem Freizeitgebrauch abgrenzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch mir ist es ein Anliegen, zu sagen: Bitte hören Sie endlich auf, Cannabis zu verharmlosen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das macht niemand!) – Doch. – Cannabis ist eben keine harmlose Freizeitdroge. (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt! Da hätten Sie zuhören müssen! Nicht einfach vorlesen! Zuhören!) – Selbstverständlich habe ich zugehört. In vielen Fällen dient es als Einstiegsdroge, und das bestreiten Sie immer wieder. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist wissenschaftlich widerlegt!) – Hören Sie einmal zu! – Ich denke an all die Fälle von Jugendlichen, die in einer Abhängigkeit sind. Ich persönlich habe in Suchtkliniken Gespräche geführt, und in jedem einzelnen Gespräch mit den jungen Leuten war immer ganz klar die Aussage: Der erste Kontakt mit Suchtmitteln kam über Cannabis zustande. Dann haben die Jugendlichen gesagt, sie hätten Interesse an mehr gehabt. Sie wollten schauen, wie sie Erfahrungen in einem breiteren Spektrum sammeln konnten. Deswegen ist Cannabis für mich ganz klar eine Einstiegsdroge. Cannabis kann auch schwere Psychosen, Schizophrenien auslösen, vor allem bei den Jugendlichen; das wissen Sie ganz genau. Es führt zu Konzentrationsstörungen usw. Aufklärung darüber ist deswegen ein wichtiger Teil der Prävention. Bei mir steht im Mittelpunkt, darauf hinzuweisen, welche Gefahren vom Cannabiskonsum ausgehen. Ich habe zum Beispiel in einer Fachambulanz für junge Suchtkranke in München nachgefragt. Da ist es so, dass fast 60 Prozent der Patienten die Hauptdiagnose Cannabisstörung haben. Es muss uns doch einfach zu denken geben, dass da wirklich etwas im Argen liegt. (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Trotz Verbot! Das Verbot hat überhaupt nichts geholfen! Gar nichts!) Sie wissen, dass der THC-Gehalt bei Cannabis in den letzten Jahren um das Dreifache gestiegen ist. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Weil es auf dem Schwarzmarkt keine Kontrolle gibt! Ja!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Tempel, jetzt hat wirklich Frau Zeulner das Wort. Emmi Zeulner (CDU/CSU): Eine Legalisierung ist deswegen für mich ganz klar nicht der richtige Weg. Zum Beispiel Colorado – Herr Tempel, Sie haben Portugal zitiert –: Hier ist mit der Legalisierung von Cannabis für Erwachsene der Konsum bei den Jugendlichen um 71 Prozent höher als in Staaten, in denen es keine Legalisierung gibt. Das zeigt deutlich, dass die Begrenzung der Legalisierung auf Erwachsene gerade keinen ausreichenden Jugendschutz bietet. Das ist aber das, worauf wir uns konzentrieren wollen. Was Sie mit dem Antrag machen, ist reine Klientelpolitik, aber keine Politik, die dem Schutz der Gesundheit dient. Ich möchte das nicht. Ich möchte, dass unsere Parks, auch der Görlitzer Park, den Familien gehören und dass die Familien nicht aus den Parks verdrängt werden. Unsere Prioritäten müssen ganz woanders liegen. Wir müssen Lösungen schaffen, wie wir junge Leute davon abhalten, überhaupt zum Joint zu greifen, wie wir diejenigen stärken, die Nein zu Drogen sagen, wie wir die Eltern, Erzieher und Lehrer in ihrer Schutzaufgabe stärken und ihnen Hilfestellungen geben, wie wir denjenigen, die bereits in einer Abhängigkeit sind, helfen, aus dieser Abhängigkeit wieder herauszufinden. Das sind die Prioritäten, die ich persönlich als Gesundheitspolitikerin setze, und da haben wir genug Arbeit vor uns. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dr. Harald Terpe. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste im Bundestag! Wir haben jetzt eine ganze Menge darüber gehört, wie die Motivation für die Haltung ist, die meine Kollegin Emmi Zeulner eben vorgetragen hat. Glaube mir bitte, liebe Emmi: Mich treibt das Gleiche um. Alles, was du an Problemen geschildert hast, ist aber genau unter den Bedingungen der Prohibition entstanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Alle Negativfolgen – das ist völlig richtig – sind in der jetzigen Welt entstanden. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist aber eine kühne Behauptung!) Ich will als Arzt etwas dagegen unternehmen, nämlich die Prävention stärken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das geht nur, wenn man die Prävention auch zulässt, in die Legalität holt (Tino Sorge [CDU/CSU]: Prävention durch Rausch! Das ist ein interessanter Ansatz!) und die Konsumenten nicht kriminalisiert; sonst kommen sie nicht in die Legalität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Also: Wer weiterhin behauptet, dass das Drogenverbot eine generalpräventive Wirkung hat, ignoriert diese Realität, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) in der das Betäubungsmittelgesetz selbst Teil des Problems ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) An der Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit des geltenden Betäubungsmittelrechts bestehen erhebliche Zweifel, auch weil die Studien beispielsweise nicht sagen, dass Cannabis eine gesicherte Einstiegsdroge ist, weil Studien sagen, dass Entkriminalisierung die Bedingungen für die Prävention verbessert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Drogenverbot basiert auf keinerlei wissenschaftlichen Risikobewertung der einzelnen Substanzen, erschwert vielmehr Prävention mit Blick auf Drogen, die bei uns illegal sind. Es ist unverhältnismäßig und schadet mehr, als es nützt; das haben wir eigentlich schon gehört. Deswegen ist es so wichtig, das Betäubungsmittelgesetz zu evaluieren. Gegen Evaluation und wissenschaftliche Bewertung kann nun wirklich keiner in diesem Hause etwas haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wissen doch alle, dass die Hälfte aller Strafrechtsprofessoren dahintersteht, dass es unterstützt wird von der Neuen Richtervereinigung, von der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, von Experten aus der Suchthilfe, von Sozialarbeitern, Konsumentenverbänden, aus der Erziehungswissenschaft und der Präventionsforschung. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Konsumentenverbände!) Es gibt also viele Unterstützer für den Gedanken, das Gesetz zu evaluieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich kann es nicht nachvollziehen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Union – das gilt möglicherweise auch für einen Teil der Kollegen der SPD –, wenn Sie sich vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen Expertise gegen eine Evaluation stellen und unseren Antrag heute ablehnen. (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Darum geht es in dem Antrag nicht! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Im Antrag steht kein Wort von Evaluation! Da steht nur was von Legalisierung! – Gegenruf des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]: Es sind zwei Anträge!) – Wir reden heute über zwei Anträge. Ich habe jetzt über den Antrag gesprochen, den wir gemeinsam mit den Linken eingebracht haben und in dem es darum geht, eine Evaluation durchzuführen. Diesem Anliegen verweigern Sie sich. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss schon wissen, worüber man abstimmt! – Gegenruf der Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Selbstverständlich!) Eine unabhängige Evaluation des Betäubungsmittelgesetzes ist längst überfällig und dringend notwendig. Wir brauchen in Deutschland eine ideologiefreie, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Drogenpolitik, eine Drogenpolitik der Fakten und nicht des Bauchgefühls – das muss ich einmal sagen –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) eine akzeptierende Drogenpolitik, die Drogen nicht verteufelt, sondern sachlich über Risiken aufklärt, eine Drogenpolitik, die einen zuverlässigen Jugendschutz etabliert, eine Drogenpolitik, die die Drogenkonsumenten nicht unter Generalverdacht stellt, sondern Maßnahmen bereitstellt, um die Schäden durch riskanten Drogenkonsum zu reduzieren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) eine Drogenpolitik, die nicht länger auf die Diskriminierung und Ausgrenzung setzt, sondern Drogenabhängige mit ihren Problemen ernst nimmt. Der Mensch muss da im Mittelpunkt stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Deswegen frage ich Sie noch einmal: Was also spricht gegen eine unabhängige Evaluation des Betäubungsmittelrechts? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Der nächste Redner ist Burkhard Blienert, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Burkhard Blienert (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen Terpe und Tempel, Sie wissen ganz genau: Wir werden den Anträgen auch heute nicht zustimmen. Das ist so, wenn man in einer Koalition sitzt und vertragstreu ist. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen sich nicht entschuldigen!) Deshalb wird es von uns auch in keinem Fall eine andere Entscheidung geben. Ich möchte aber deutlich machen, auf welchem Weg ich mich in den letzten drei Jahren befunden habe, mit welchen Fragen ich mich auseinandergesetzt habe und zu welchem Ergebnis ich persönlich an dieser Stelle komme und wofür ich auch werbe. Man muss sich die Frage stellen, warum Handlungsoptionen im Bereich der Cannabispolitik notwendig sind. Sie sind notwendig, weil wir wissen, dass trotz des Verbotes Millionen von Menschen in Deutschland Cannabis konsumieren, weil darunter leider auch viele Jugendliche sind, weil Cannabis dann entweder verbotenerweise angebaut wird oder die Menschen es sich in Deutschland auf dem Schwarzmarkt besorgen. Diese Menschen sind keine Kriminellen. In der Regel stehen sie fest im Leben. Sie erfüllen ihre Aufgabe, sie belästigen niemanden, sie bedrängen niemanden und sind auch sonst nicht gewalttätig. Kiffer sind halt nicht die langhaarigen Ökos, die mit verfilzter Mähne ungewaschen auf der Couch liegen und sich nicht mehr bewegen können, so der Schauspieler Moritz Bleibtreu, der vor wenigen Tagen in der Sonntagsausgabe der Zeitung mit den vier großen Buchstaben dazu Stellung bezogen hat. (Zuruf von der SPD: Gut gelaunt! – Zuruf von der CDU/CSU: Die Welt?) Warum müssen wir etwas tun? Wir müssen etwas tun, weil wir es aus meiner Sicht als Gesellschaft leider zulassen, dass all diese Menschen gedrängt werden, etwas Illegales zu tun, weil sie sich halb im kriminellen Milieu bewegen, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weil wir es leider zulassen, dass Milliarden an Schwarzgeld in diesem Bereich generiert werden, (Ulli Nissen [SPD]: Genau, steuerfrei!) weil allzu deutlich wird, dass wir gesellschaftlich heute viel weiter sind im Umgang mit Drogen und mit Suchterkrankungen, und weil ich weiß, dass diese Gesellschaft stark und selbstbewusst genug ist und leider Gottes die Menschen allein lässt, die aber entscheiden könnten, ob sie kiffen wollen oder nicht. Moritz Bleibtreu sagt wie viele Menschen in Deutschland auch – ich zitiere noch einmal –: Ich halte eine Liberalisierung der Cannabispolitik definitiv für den gesünderen Weg, mit der Droge umzugehen. Ich begrüße daher persönlich alle Diskussionen, die in den einzelnen Bundesländern, in den Städten und Kommunen über Cannabismodellprojekte geführt werden. Dort nämlich tauchen die Probleme auf, die es durch den Konsum von Rausch- und Suchtmitteln gibt. Natürlich haben diese Probleme auch mit Verstoß gegen Recht und Ordnung zu tun, weil es nicht in Ordnung ist, was heute auf deutschen Schulhöfen und in den dunklen Ecken der Städte passiert. Daher ist es mir wichtig, auch die Grenzen zu benennen, in denen wir über einen sachgerechten Umgang mit Drogen reden. Deshalb möchte ich über den Umgang reden und nicht über die Freigabe. Sie wollen in Ihrem Antrag auch den Eigenanbau ermöglichen. Hiervon kann ich nur abraten, weil Sie mit einem solchen Schritt genau das Teilziel der Prävention konterkarieren. Denn wer sagt dem Konsumenten, wie hoch der THC-Gehalt seiner Pflanze ist? Wer sagt dem Konsumenten, wie hoch der Schadstoffgehalt seiner Pflanze ist? Die Gesundheitsgefahren, die wir mit einer regulierten Abgabe zu minimieren versuchen, würden hierdurch wieder erhöht werden. Drogen am Steuer: Auch hier teile ich, dass Verbesserungen nötig sind, ganz klar. Es darf nicht sein, dass das bloße Mitführen von geringen Mengen einer berauschenden Substanz wie zum Beispiel Cannabis zum Verlust der Fahrerlaubnis führt, Alkohol am Steuer aber mit einem Grenzwert versehen ist. Trotzdem sehe ich die Ausweitung auf alle Suchtstoffe in Ihrem Antrag als eher problematisch an. Das wirft noch weitere nicht zu lösende juristische und ordnungspolitische Fragen auf. Wie gehen wir mit beiden Anträgen um? Wir werden sie heute ablehnen. Wir wissen aber ganz genau: Anträge brauchen gesellschaftliche Mehrheiten. Diese notwendigen Mehrheiten führt man aber nicht herbei, indem man permanent die gleichen Anträge vorlegt und wir uns permanent über das Gleiche unterhalten. Ich plädiere eher dafür, diese Aufbruchsstimmung, die wir in den Städten und in den Kommunen haben, zu nutzen und auf Bundesebene in der nächsten Legislaturperiode die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, damit diese Modellprojekte auf den Weg gebracht werden können. Wir sollten gleichzeitig den Austausch mit den Bundesländern suchen, um neue Wege in der Drogenpolitik zu gehen. Ich denke, dass wir einen Punkt hier ganz klar benennen müssen: Es ist nicht nur der Bund, der hier liefern kann. Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass die Bundesländer ihrerseits ihren Einfluss über die Länderkammer geltend machen können. Sie haben in den letzten Jahren feststellen können, dass die Große Koalition einige wichtige drogenpolitische Entscheidungen getroffen hat; meine Kollegin Emmi Zeulner hat diese eben benannt. Wir haben in diesem Bereich viel getan. Was wir vereinbart haben: Cannabis als Medizin, Regelungen zu neuen psychoaktiven Substanzen, oder die Verordnung zur Substitutionstherapie haben wir auf den Weg gebracht. Drogenpolitik eignet sich aus meiner Sicht nicht einseitig für Wahlkampfzwecke. (Zuruf von der LINKEN: Wir machen das nicht nur im Wahlkampf!) Vielmehr müssen wir ernsthaft und vernünftig über die Folgen des missbräuchlichen Umgangs mit Drogen reden. Ich denke, ich bin an dieser Stelle recht unverdächtig, dass ich mich neuen Ansätzen wie beispielsweise Modellprojekten versperre; denn in vielen Gesprächen, die wir teilweise gemeinsam im In- und Ausland geführt haben, hat sich bei mir die Einschätzung verfestigt, dass ein Umdenken in dieser Frage sinnvoll und notwendig wäre. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Ich bin zuversichtlich, dass wir das in der nächsten Legislaturperiode schaffen werden. Ich möchte zum Schluss noch Gustav Radbruch zitieren, der in der Weimarer Republik Rechtspolitiker der Sozialdemokratie war. Er sagte: In der deutschen Politik geschieht das Vernünftige, nicht weil es vernünftig ist, sondern erst, wenn gar nichts anderes mehr übrig bleibt, als das Vernünftige zu tun. In diesem Sinne: Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Tino Sorge, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Er hat nicht gesehen, dass es zwei Anträge sind!) Tino Sorge (CDU/CSU): Doch, das hat er sehr wohl gesehen, Herr Kollege Tempel. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren ja heute zu später Stunde ein altbekanntes Thema, nämlich die Frage: Wollen wir den Konsum illegaler Substanzen entkriminalisieren? Ich kann ja durchaus nachvollziehen, dass die Linke und einige andere, auch die Grünen, meinen, dass man mit einer Entkriminalisierung, dass man mit einer Legalisierung die Zahl der Drogensüchtigen senken kann, weniger Drogenkriminalität generiert und es für alle besser wird. Die Frage ist eben nur, ob wir uns Experimente erlauben wollen oder ob wir sagen: Wir machen das mit Vorsicht und Augenmaß. – Oftmals trügt eben der schöne Schein. Lassen Sie mich deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch auf ein paar Fakten hinweisen. Die Zahl ist hier nur am Rande angesprochen worden: 200 Millionen Menschen weltweit nehmen illegale Drogen. Dazu gehören Cannabis, Kokain, Heroin. In Deutschland gibt es 600 000 Menschen, deren Konsum von Cannabis und anderen illegalen Drogen als problematisch gilt. Gerade die Anzahl, die Art und die Verfügbarkeit sogenannter neuer psychoaktiver Stoffe auf dem europäischen Markt nimmt ja stetig zu. Aktuell werden fast 600 neue psychoaktive Substanzen beobachtet. Allein 2015 wurden davon 98 Substanzen erstmals gemeldet. Vor allem synthetische Cannabinoide und synthetische Cathinone als Substitute für Cannabis sind auf dem Markt, obwohl wir alle wissen, dass diese hochgradig giftig und gefährlich sind. Sie tun hier so, als sei das alles kein Problem und als müssten wir diesen Bereich weiter legalisieren und entkriminalisieren, um dem Problem Herr zu werden. Schauen Sie sich die Zahlen an. Im Februar 2016 gab es eine EU-weite Warnung bezüglich des Cannabinoids MDMB-CHMICA, das in Europa seit 2014  13 Todesfälle verursacht hat. 23 nichttödliche Vergiftungen sind damit in Verbindung gebracht worden. Ich könnte Ihnen noch eine Menge anderer Beispiele nennen, die belegen, dass es nicht einfach entspannend läuft und keine Gefahren zu verzeichnen sind. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das bräuchte keiner, wenn Cannabis legal wäre!) Deshalb sagen wir: Hier geht es nicht um Entwarnung, hier geht es um Entkriminalisierung, hier geht es einfach darum, dass wir mit Augenmaß darauf achten, dass keine Bereiche legalisiert werden, bei denen wir zum Schluss nicht mehr wissen, was passiert. (Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre wissenschaftliche Evaluation! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Nichtstun auch Augenmaß?) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir als Regierungskoalition haben deshalb darauf reagiert. Wir haben im November 2016 das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz verabschiedet. Hintergrund war, dass wir damit effektiver gegen Händler vorgehen wollen. Harmlos wirkende Produkte enthalten meist Betäubungsmittel in unterschiedlicher Konzentration. Für jugendliche Konsumenten ist nicht erkennbar, was dort letztendlich drin ist. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!) Die verführen die Konsumenten zum Rauchen, zum Schniefen, zum Schnupfen zu Rauschzwecken. Sie sagen: Das alles ist kein Problem. Wir müssen das legalisieren. – Wir haben einen anderen Ansatz. Wir wollen nicht legalisieren, wir wollen auch nicht bagatellisieren, sondern wir wollen sensibilisieren, wir wollen aufklären, und wir wollen Leid vermeiden. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Kollegin Emmi Zeulner hat schon darauf hingewiesen, dass das keine harmlosen Einstiegsdrogen sind. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das habe ich auch nicht gesagt!) Es beginnt mit dem ersten Versuch, der passenden Clique, dem passenden Verhalten – das erscheint dann normal, es wird verharmlost, es wird gesagt: Es spielt keine Rolle, ob wir Cannabis, Heroin oder Amphetamin nehmen. Das sind synthetische Suchtstoffe. Deswegen verbietet sich in diesem Bereich jedes Verharmlosen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das macht niemand!) – Genau das machen Sie, Herr Kollege Tempel. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Nein, eben nicht!) Sie stellen sich hierher und sagen: Ich war einmal Polizist. Ich weiß, wie schlimm es auf der Straße ist, wenn die Konsumenten kriminalisiert werden, weil sie keine Drogen bekommen. – Das ist genau der falsche Weg. Wir müssen den Menschen helfen, wir müssen Therapien anbieten, wir müssen über Drogengefahren aufklären. Wir können doch nicht sagen: Weil wir das auf dem Schwarzmarkt nicht in den Griff bekommen, legalisieren wir den Bereich einfach. Das ist der völlig falsche Weg, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege Sorge, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tempel? Tino Sorge (CDU/CSU): Ja, natürlich. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön. Frank Tempel (DIE LINKE): Der Kollege Blienert hat vorgeführt, wie man trotz unterschiedlicher Position ohne Lügen auskommt. Ich weise Sie noch einmal darauf hin, dass ich bei keiner einzigen Veranstaltung die Gefährlichkeit von Cannabis infrage gestellt habe. Ihre permanente Behauptung lautet, hier würde irgendetwas verharmlost. Mehrfach habe ich darauf hingewiesen, dass große Risiken da sind. All das, was Ihre Kollegin Zeulner aus der Suchtklinik erzählt hat, all das, was auch Sie an synthetischen Substanzen von Produkten, die Cannabis ersetzen sollen, erzählt haben, sind Rahmenbedingungen, die durch Ihre Prohibition entstanden sind. Wer bräuchte denn synthetische Cannaboide, wenn Cannabis legal wäre und man auf eine natürliche, rohstoffbasierte Substanz zurückgreifen könnte? (Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Cannabis für Minderjährige wird nie legal!) Sie unterstellen hier permanent, dass wir das gut finden, was erst durch Ihre Prohibition entstanden ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben mehrfach Angebote gemacht, auch auf den Wirkstoffgehalt von THC bezogen, dass gerade legale Modelle die Möglichkeit wären, diesen Wirkstoffgehalt unter Kontrolle zu bringen. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich diskutiere gerne mit dem Kollegen Blienert, ob der Eigenanbau die richtige Variante ist oder nicht. Aber wir machen genau dazu Vorschläge, übrigens mit der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, mit dem Bund Deutscher Kriminalbeamter, mit vielen anderen Bereichen. Der Kollege von den Grünen hat das aufgezählt. Sie sind in der Gesellschaft fast isoliert, sich bei dieser Thematik in der Drogenpolitik einem anderen Weg zuzuwenden. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! – Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Die Mehrheit ist gegen eine Legalisierung! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie wollen mehr Sucht!) Sie arbeiten permanent mit Unterstellungen, dass wir Drogen verharmlosen würden. Nein, wir wollen Schadensminimierung. Wir wollen weniger Suchterkrankungen, wir wollen weniger Begleiterkrankungen, und wir wollen vor allen Dingen weniger Todesfälle. Wenn Sie hier permanent etwas anderes ohne jeglichen Beleg unterstellen, dann bitte ich Sie, sich für solche Lügen zu entschuldigen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Tino Sorge (CDU/CSU): Als Erstes, Herr Kollege Tempel, ist es absolut unterirdisch, wenn Sie jemandem mit einer anderen Meinung immer Lügen unterstellen. (Beifall bei der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Sie haben mir Lügen unterstellt!) Das ist eine Art der Argumentation, die Sie gerne mit Ihren Kollegen machen können, aber dieses Niveau ist einfach nur unterirdisch. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Aber Sie sind doch ein Lügner!) Sie sagen immer, Sie würden auf Gefahren hinweisen und würden nicht für eine Bagatellisierung sein. Genau das Gegenteil ist der Fall: (Frank Tempel [DIE LINKE]: Eben nicht! Das können Sie mir nicht unterstellen!) Sie sagen immer, es gebe gar keine Probleme. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das denn?) Es gab letztens eine Studie der Techniker Krankenkasse und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters. Gerade im rot-grün regierten Niedersachsen fangen die jüngsten Kiffer mit 14 Jahren an; (Frank Tempel [DIE LINKE]: Trotz Ihrer Politik!) frühester Einstieg in die Drogenkarriere. Sie sagen, sie werden alle in die Illegalität gedrängt, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit Niedersachsen zu tun?) weil sie keinen guten Stoff bekommen, und dadurch, dass sie Stoff kaufen, werden sie kriminalisiert, und deshalb muss man es legalisieren. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten ordentlich zuhören!) Da sage ich Ihnen auch ganz offen: Sie sollten die Studien lesen und zur Kenntnis nehmen, (Frank Tempel [DIE LINKE]: Thomasius!) was beispielsweise der Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters, Herr Thomasius, gesagt hat. Sehen Sie, Sie kennen ihn. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Ihr einziger Experte!) Er sagte nicht nur, dass aufgrund des intensiven Cannabisgebrauchs Hirnschäden und Schizophrenie auftreten können – das ist bereits ausgeführt worden –, sondern auch, dass im Grunde besorgniserregende Zustände herrschen. Da können Sie doch nicht das Ursache-Wirkungs-Prinzip umkehren und sagen: Wir müssen alles legalisieren, dann wird alles besser. – Das ist der völlig falsche Weg, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist alles gut, oder wie?) Ich will auf einen anderen Aspekt in der Diskussion und auch in einem Ihrer Anträge hinweisen. Sie haben gesagt, wir müssten auch darauf achten, dass wir im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit im Straßenverkehr nicht zu einer Kriminalisierung derjenigen kommen, die Drogen konsumieren. Ich will nur auf die Zahlen hinweisen: Laut Weltverkehrsforum werden 14 bis 17 Prozent aller Autounfälle mit Toten und Verletzten unter dem Einfluss von Drogen, (Zuruf von der LINKEN: Wie viele mit Alkohol? – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Was ist dann Bier? Oktoberfest!) von Cannabis und Benzodiazepinen, verursacht. Meine Frage ist dann: Wollen Sie tatsächlich beispielsweise den Eltern dieser Verkehrsopfer erklären, es sei richtig gewesen, es sei gut gewesen, dass ein Mensch, der unter Drogen stand, fahren durfte? (Frank Tempel [DIE LINKE]: Sie lügen schon wieder! Ich habe gesagt: wer kein Fahrzeug führt! Lügner! – Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im Gesetz nicht drin! – Gegenruf der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU]: Steht doch drin!) – Schauen Sie in Ihren Antrag! In Ihrem Antrag steht, dass er erst bei einem Drogengebrauch in riskanten Situationen (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Oktoberfest!) oder nach einer wiederholten Drogenfahrt kriminalisiert werden soll, und das ist der völlig falsche Weg. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist gelogen!) – Hören Sie auf, Herr Tempel, die Leute hier immer der Lüge zu bezichtigen. Sie sitzen da, Sie behaupten Dinge, die durch nichts unterlegt sind, (Heike Baehrens [SPD]: Machen Sie doch gerade auch!) Sie stellen sich als Polizist hierhin. (Ulli Nissen [SPD]: „Sie stellen sich als Polizist hierhin“ – was soll das denn?) Ich sage Ihnen einfach mal: (Frank Schwabe [SPD]: Seien Sie ein bisschen netter!) Die Leute, die ich kenne und Polizisten sind und das hören, was Sie reden, sind einfach nur peinlich berührt. (Ulli Nissen [SPD]: Ich kenne genügend Polizisten! Die sind auf meiner Seite!) Sie sagen: Wenn Leute wie Sie auf Streife wären, dann wäre das einfach unterirdisch. (Zurufe von der SPD und der LINKEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott, ist das von Unkenntnis getragen, was Sie da von sich geben!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Jetzt lassen Sie bitte den Kollegen Sorge reden. Tino Sorge (CDU/CSU): Wenn Sie von Drogenkonsum und Einstiegswegen reden, dann klingt das immer sehr abstrakt. Ich will es mal an einem Beispiel festmachen. Ich komme aus dem Bundesland Sachsen-Anhalt. Da ist es tatsächlich so, dass mittlerweile – wie in vielen anderen Bundesländern auch – Cannabis und seine Variationen die unangefochtene Nummer eins sind und bei über 70 Prozent aller Drogendelikte eine Rolle spielen, insbesondere auf Schulhöfen und an Schulen. Man sieht daran, dass eine gewisse Affinität gerade der jungen Menschen dazu besteht, dass es da einen enormen Anstieg gibt. Dafür ist natürlich die schleichende gesellschaftliche Verharmlosung von Cannabis ein zentraler Grund; sie führt letztendlich zu solchen Zahlen. Meine Damen und Herren, ich will mich damit nicht zufriedengeben. Wir, die Unionsfraktion, kämpfen dafür, dass der Drogeneinstieg erschwert wird, (Ulli Nissen [SPD]: Bei Alkohol genauso?) dass Drogensucht klar als Krankheit benannt wird. Wir wollen Prävention mit allen Mitteln, wir wollen die Heilung unterstützen, aber wir wollen auch die Auswirkungen der Drogensucht nicht arglos hinnehmen. Sie wollen Bagatellisierung, Sie wollen Legalisierung, (Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist gelogen! Das ist immer noch gelogen! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir wollen mit Fachleuten darüber reden!) wir wollen Sensibilisierung. Deshalb wird es Sie nicht überraschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir Ihren Anträgen heute hier nicht zustimmen werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Diese sehr emotionale Debatte ist jetzt zu Ende. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen“. Das ist jetzt der Tagesordnungspunkt 19 b. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10445, den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1613 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Jetzt kommt der Tagesordnungspunkt 19 a. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11610 mit dem Titel „Entkriminalisierung von Drogenkonsumierenden“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 sowie Zusatzpunkt 3 auf: 20. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der haushaltsnahen Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Abfällen Drucksache 18/11274 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/11781 ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wertstoffgesetz jetzt vorlegen Drucksachen 18/4648, 18/9693 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold für die Bundesregierung. – Bitte schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Florian Pronold, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Seit nahezu 20 Jahren sind die ökologischen Anforderungen an die Verwertung von Verpackungsabfällen nicht mehr verändert worden. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Man sagt: Liebe Kolleginnen und Kollegen!) Sie zu erhöhen, ist überfällig. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehrte Frau Präsidentin, heute liegt ein Gesetzentwurf vor, auf den wir alle lange gewartet haben. Das Verpackungsgesetz ist ein Kompromiss, und dieser Kompromiss steht am Ende eines langen und zähen Ringens. Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks hat das Vorhaben mit höchster Priorität und mit Nachdruck vorangebracht. Ich möchte mich ganz herzlich bei den Berichterstattern der Koalition bedanken, die über zwei Jahre intensiv an diesem Gesetzentwurf gearbeitet haben. Vielen Dank, liebe Dr. Anja Weisgerber, lieber Dr. Thomas Gebhart und lieber Michael Thews. Ich möchte mich auch ganz herzlich bei meiner zuständigen Abteilung mit ihrem Abteilungsleiter Helge Wendenburg bedanken. Ich glaube, wir alle haben in diesem Prozess viel gelernt und auch viel dazugelernt. Ich habe schon manche komplizierte politische Materien in meinem Leben bearbeitet, aber ich hatte nicht geahnt, dass die komplizierteste dieses Verpackungsgesetz wird. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, entsprechend wenig ist auch herausgekommen!) Im Vordergrund steht die deutliche Erhöhung der Recyclingquoten; ich finde, nach 20 Jahren ist das längst überfällig. In unserer Bevölkerung ist ein hohes Bewusstsein für die Wichtigkeit der Trennung von Müll, auch für die Trennung von Kunststoffverpackungen vorhanden. Aber bis heute dürfen fast zwei Drittel der Kunststoffverpackungen in die Verbrennung gehen, statt recycelt zu werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ändern Sie ja nichts dran! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Da ändert sich nichts!) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir die Anforderungen an die Recyclingquote für Kunststoffverpackungen umdrehen: Zukünftig werden zwei Drittel recycelt. Wir werden die Recyclingquoten bei Metall, Glas und Papier auf fast 90 Prozent erhöhen. Das ist die wichtigste Botschaft in diesem Gesetz. Es ist gut, dass wir das Recycling nach über 20 Jahren noch einmal deutlich verbessern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir verpflichten zudem die Dualen Systeme, die Nachhaltigkeit oder ökologische Vorteilhaftigkeit von Verpackungen bei der Gestaltung ihrer Lizenzentgelte stärker zu berücksichtigen. Da die Kommunen vor Ort immer die Ansprechpartner sind – unabhängig davon, ob sie tatsächlich zuständig sind oder nicht: die Bürgerinnen und Bürger wenden sich in erster Linie immer an die Kommunen, wenn etwas schiefgeht –, haben wir alles getan, um den Kommunen Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten vor Ort zu geben: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das ist das exakte Gegenteil! – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das tut weh!) Sie können die Sammlungen vor Ort besser aufeinander abstimmen, sie können über den Abholrhythmus bestimmen, und sie können bestimmen, in welcher Form gesammelt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das ist ein entscheidender Fortschritt im praktischen Umgang mit der Abfallbeseitigung und der Verpackungssammlung vor Ort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Außerdem garantieren wir durch die Einrichtung einer Zentralen Stelle einen faireren Wettbewerb. Gerade für die kommunalen Wertstoffhöfe ist es eine Vereinfachung, wenn sie nicht mehr mit elf unterschiedlichen Dualen Systemen verhandeln müssen, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern?) sondern mit einer Zentralen Stelle, die über die Spielregeln wacht und die dafür Sorge trägt, dass die schwarzen Schafe ordentlich geschoren werden, damit nicht so viele Lizenzentgelte umgangen werden können. (Ulli Nissen [SPD]: Schwarze Schafe kann man nicht scheren!) Ganz wichtig ist auch das von den Koalitionsfraktionen wieder eingebrachte Konzept zur deutlichen Stärkung des Mehrwegsystems. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Wir haben in der Anhörung ziemlich viel darüber diskutiert, und ich glaube, dass es wichtig ist, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Aber ich sage auch: Es kann nicht bei einer symbolischen Anforderung bleiben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind denn die Sanktionen, wenn die Quote nicht eingehalten wird?) Vielmehr werden wir in den nächsten Jahren ernsthafte Schritte unternehmen müssen, um zu gewährleisten, dass das System auch wirklich funktioniert. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Es reicht nicht, dass wir bei Bierflaschen eine hohe Mehrwegquote haben. Es gibt auch andere Probleme. Niemand hat bisher eine Lösung aufgezeigt, auch nicht in der Anhörung, wie wir de facto zu einer höheren Mehrwegquote kommen. Aber wir alle wissen, dass das gerade für kleine Brauereien, für viele mittelständische Betriebe und für die Arbeitsplätze in Deutschland ein wichtiger Punkt ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja schön! Warum machen Sie es nicht?) Deswegen ist es gut, dass das aufgenommen wird. Sehr geehrte Damen und Herren, die Umwelt profitiert durch ökologische Weiterentwicklung, der Wettbewerb profitiert durch einen besseren rechtlichen Rahmen und einen stärkeren Vollzug, die Bürgerinnen und Bürger profitieren durch eine effiziente und bürgernahe Entsorgung, und die Kommunen profitieren durch mehr Gestaltungsmöglichkeiten – das sind vier gute Gründe, um dem Gesetzentwurf zuzustimmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Linke spricht jetzt der Kollege Ralph Lenkert. (Beifall bei der LINKEN) Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Hinter blumigen Worten wie „Produktverantwortung“ oder „Recyclingquote“ werden in diesem Entwurf eines Verpackungsgesetzes knallharte Profitinteressen privater Unternehmen versteckt. Zur Geschichte: Die Dualen Systeme sollten seit den 90er-Jahren das System der gelben Tonne und des gelben Sacks für Verpackung organisieren. Betrug bei der Abrechnung sorgte für märchenhafte Sammelquoten von 250 Prozent. Angeblich wurden nur 800 000 Tonnen Verpackungen verkauft; aber es landeten 2,5 Millionen Tonnen Verpackung in gelben Säcken oder Tonnen. Trotz Lohndumping, trotz ruinöser Vergaben von Dienstleistungen durch die Dualen Systeme führte dieser Betrug fast zu deren Bankrott. Mit der Änderung der Verpackungsverordnung rettete diese Koalition die betrügerischen Dualen Systeme und verhinderte eine Rekommunalisierung. Mit dem Wertstoffgesetz von 2015 sollte dann die Privatisierung der Wertstoffe im Hausmüll erfolgen. Die Einnahmen aus dem Verkauf dieser Wertstoffe senkten die Kosten der kommunalen Abfallwirtschaft. Fehlen den Kommunen diese Einnahmen, steigen die Müllgebühren für alle Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler um circa 10 Euro pro Jahr. Linke und Grüne verhinderten gemeinsam im Bundesrat dieses Privatisierungswertstoffgesetz. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt versucht die Koalition, auf den letzten Metern der Wahlperiode mit dem neuen Verpackungsgesetz wenigstens die Tür zur Privatisierung zu öffnen. Eine privat organisierte Zentrale Stelle soll als Schiedsrichter für die Verpackungserfassung und -verwertung dienen. Das nimmt den Kommunen ihren Gestaltungsspielraum und bereitet einen späteren, neuen Anlauf zur Privatisierung vor. Das lehnt die Linke ab. (Beifall bei der LINKEN) Der Koalition aus Union und SPD standen als Paten des Gesetzentwurfs unter anderem Rewe, Edeka, Procter & Gamble und andere Handelsketten und Konzerne zur Seite. Die Paten gründeten eine private Projektgesellschaft zur Vorbereitung dieses Verpackungsgesetzes, und die Paten bezahlten diese Gesellschaft aus ihrer Tasche. Genau diese private Gesellschaft hat dann das Bundesumweltministerium beraten und den Gesetzentwurf vorgeschrieben und – natürlich – von den Segnungen einer privat betriebenen Zentralen Stelle überzeugt. Da hatten die Einwände des Verbandes kommunaler Unternehmen und sogar des Bundeskartellamt keine Chance, gehört zu werden. Wer da an eine neutrale Beratung glaubt, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Gesetzentwurf lässt sich noch heilen. Dazu bringt die Linke ihren Entschließungsantrag mit drei Punkten ein: Erstens. Die Zentrale Stelle wird als unabhängige, staatliche Behörde unter Fachaufsicht des Umweltbundesamtes eingerichtet. Zweitens. Wertstofferfassung – ob Papier, Glas oder Pappe – als Teil der Abfallentsorgung ist öffentliche Daseinsvorsorge und damit Pflichtaufgabe der Kommunen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens. Eine Mehrwegquote für Getränkeverpackungen von 80 Prozent vermeidet Verpackungsabfälle und schont die Ressourcen. Stimmen Sie einfach unserem Antrag zu. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Machen wir nicht, Ralph! Keine Chance! Du hast uns nicht überzeugt!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Dr. Thomas Gebhart. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Jahren wird über eine neue Verpackungsgesetzgebung intensiv diskutiert. Es wurden Vorschläge gemacht. Wir haben in unzähligen Diskussionsrunden miteinander debattiert. Jetzt ist es nach jahrelangem Ringen endlich gelungen, den Weg für ein mehrheitsfähiges Gesetz frei zu machen. Es ist uns gelungen, eine vernünftige Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen zu finden. Ich möchte mich ebenfalls herzlich bei allen bedanken, die sich in diesen schwierigen Prozess konstruktiv eingebracht und zu seinem Gelingen beigetragen haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dieses Verpackungsgesetz ist ein Fortschritt. Es ist ein Fortschritt für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland. Es ist ein Fortschritt für die Umwelt. Wir schonen Ressourcen, weil von diesem Gesetz Anreize ausgehen, Verpackungen möglichst zu vermeiden. Wenn Verpackungen gebraucht werden, dann werden sie nach höheren Quoten als bisher recycelt. Es entstehen neue Wertstoffe. Das ist überfällig. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land erwarten zu Recht, dass von dem, was sie sorgsam in den gelben Sack hineinsortieren, mehr recycelt wird und weniger in der Müllverbrennungsanlage landet. Genau dies leisten wir mit diesem Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein bisschen Wunschdenken!) Dieses Verpackungsgesetz ist ein Fortschritt, der Innovationen unterstützt. Wir haben es bei der Anhörung gehört: Bereits im Vorfeld zu diesem Gesetz haben viele Unternehmen in Deutschland angekündigt, in moderne Anlagen zum Kunststoffrecycling zu investieren. Genau darin liegt die Chance, dass wir unsere Vorreiterrolle in Deutschland behaupten und ausbauen. Es ist eine Chance auf zukunftsträchtige Arbeitsplätze. Auch das gehört in diese Debatte. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieses Verpackungsgesetz ist ein Fortschritt für die soziale Marktwirtschaft. Wir setzen weiterhin auf wettbewerbliche Lösungen und auf das Prinzip der Produktverantwortung. Das heißt, Unternehmen übernehmen auch Verantwortung für die spätere Entsorgung ihrer Verpackungen. Damit werden die Kosten für die Entsorgung dieser Verpackungen Teil des Verkaufspreises der Produkte. Sie werden Teil des Wettbewerbs. Damit entstehen auf intelligente Art und Weise Anreize, Verpackungen einzusparen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Umwelt und Wirtschaft werden so in Einklang gebracht. Wir stärken die soziale Marktwirtschaft, indem wir Rahmenbedingungen für einen fairen und funktionierenden Wettbewerb setzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieses Verpackungsgesetz ist auch ein Fortschritt für die Kommunen. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen die anders!) Denn die Rechte der Kommunen werden im Vergleich zur heutigen Situation eindeutig gestärkt. Die Kommunen können künftig Vorgaben für die Sammlung von Kunststoffen, Metallen und Verbundverpackungen machen. Sie können zum Beispiel Vorgaben machen, ob diese Abfälle im gelben Sack oder in einer Tonne gesammelt werden. Sie können Vorgaben über Art und Größe dieser Gefäße machen. Sie können auch darüber Vorgaben machen, wie oft diese Gefäße abgeholt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben die parlamentarischen Beratungen intensiv genutzt, um eine Reihe von Verbesserungen herbeizuführen. Wir haben Regelungen eingeführt, die zu mehr Rechtssicherheit, die zu mehr Klarheit führen. Wir haben die Mehrwegquote wieder ins Gesetz geschrieben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Sanktionen!) Aber wir sagen auch – das ist ein ganz entscheidender Punkt –: Wir brauchen Ökobilanzen. Erst dann, wenn wir saubere Ökobilanzen auf dem Tisch haben, haben wir die notwendige Entscheidungsgrundlage, um weitere Entscheidungen hinsichtlich Mehrweg und Einweg treffen zu können. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, bei dem wir uns ganz klar unterscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da unterscheiden wir uns!) In diese Debatte gehört auch – ich will es noch einmal ausdrücklich sagen –: Ein Pfand auf Weinflaschen wird es nicht geben. Das ist vom Tisch. Wir haben von Anfang an klar gesagt, als die entsprechende Debatte im Bundesrat aufgekommen ist: Mit uns wird es dieses Zwangspfand auf Weinflaschen nicht geben, weil es unverhältnismäßig wäre. – Wir haben Wort gehalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was wäre die Alternative zu diesem Verpackungsgesetz? Natürlich kann man sagen: ein Wertstoffgesetz. Das hätten auch wir uns gewünscht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!) Aber ich sage heute noch einmal ausdrücklich: An der Union ist dieses Wertstoffgesetz nicht gescheitert. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An wem denn dann? – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Am Inhalt!) Die Alternative zu diesem Verpackungsgesetz wäre heute, dass alles so bleibt wie bisher. Das wäre Stillstand, und Stillstand in diesem Bereich bedeutet Rückschritt. Diesen Rückschritt können wir uns nicht leisten, den wollen wir uns nicht leisten, und den werden wir uns nicht leisten. Deswegen bitte ich Sie ausdrücklich um Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Britta Haßelmann spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gebhart, ich frage mich: An wem ist denn ein Wertstoffgesetz gescheitert? (Zuruf von der CDU/CSU: An den Grünen!) – An uns Grünen sicherlich nicht; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) denn wir verlangen und diskutieren das seit Jahren. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Sie wollten ein komplett anderes Wertstoffgesetz!) In die politische Debatte haben wir in dieser Legislaturperiode seit 2015 Vorschläge eingebracht. Doch wir diskutieren heute, meine Damen und Herren, kein Wertstoffgesetz. An diesem Wertstoffgesetz sind diese Bundesregierung und diese Koalition gescheitert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!) Aus dem Wertstoffgesetz ist heute maximal ein Verpackungsgesetz geworden, obwohl Sie seit Ihrem Koalitionsvertrag große Ankündigungen gemacht haben, dass es ein Gesetz zur Verwertung von Wertstoffen geben sollte. Ihr ursprüngliches Ziel, nicht nur Verpackungen, sondern auch sogenannte stoffgleiche Nichtverpackungen wie die Bratpfanne oder das Bobbycar zu sammeln, war doch richtig. (Ulli Nissen [SPD]: Wer schmeißt denn Bobbycars weg?) Aber bei der Umsetzung sind Sie, meine Damen und Herren, kläglich gescheitert. Wenn Sie es mit der Kreislaufwirtschaft wirklich ernst meinen, muss der Abfall nach Materialien, also etwa nach Metallen, Kunststoffen, Papier oder Glas, getrennt werden, aber eben nicht nach Produkten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Das ist doch klar. Das haben wir immer wieder betont. Das sagt die gesamte Fachwelt. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Die Grünen im Bundesrat haben es verhindert!) Den vorliegenden Gesetzentwurf versteht jedoch kein Mensch, meine Damen und Herren. Deshalb ist es ein frommer Wunsch, Herr Gebhart, dass er etwas mit Transparenz und Verbrauchern zu tun haben soll. Deshalb machen ja viele sogenannte intelligente Fehlwürfe. Sie werfen, obwohl es gegen das Gesetz ist, auch Produkte aus Plastik in die gelbe Tonne für Verpackung, weil es keine Transparenz gibt und weil es die Leute nicht verstehen. Die Mülltrennung nach Material hätten Sie bundesweit zum Gesetz machen müssen, wie Sie es im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Dann könnten nämlich bundesweit Sachen wie Bobbycars, Bratpfannen oder vieles mehr mit den Verpackungen in einer Wertstofftonne gesammelt werden. Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ist ein Fehlwurf, und zwar kein besonders intelligenter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Es ist ein Zeichen des Einknickens vor der Abfalllobby, vor dem Handel und vor den Kommunen. Das wissen alle, die sich mit der Sache beschäftigen, genau. Statt eine bundesweite Wertstoffsammlung zu organisieren, lassen Sie es zu, dass alle Beteiligten, Unternehmen und Kommunen, nur ihre eigenen Claims abstecken zulasten der Bürgerinnen und Bürger, die immer noch nicht durchblicken, was eigentlich in die gelbe Tonne gehört. Statt die Sammlung endlich für alle transparent neu zu organisieren – das war eigentlich auch Anspruch und Ziel –, zementieren Sie mit dem Gesetz doch die ineffiziente und krisengeschüttelte Struktur der Dualen Systeme, die weiterhin parallel besteht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Gesetz verabschiedet sich von der Kreislaufwirtschaft und von der Ressourcenschonung. Instrumente zur Vermeidung von Abfall fehlen. Jetzt loben Sie sich auch noch selbst dafür, dass Sie erst die Mehrwegquote aus dem Gesetzentwurf gestrichen haben und diese jetzt wieder hineinbringen. Ich fasse es nicht, meine Damen und Herren, dass Sie sich dafür jetzt auf einmal loben! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Ulli Nissen [SPD]: Hätten wir sie draußen lassen sollen? – Zurufe von der CDU/CSU) Wir Grüne haben schon 2015 dem Bundestag Vorschläge für eine Wertstoffsammlung gemacht, die ökologisch, effizient, transparent und bürgernah organisiert ist. (Zuruf von der CDU/CSU: Ach je!) Die Kommunen sollten Hausmüll und Wertstoffe in einer Hand sammeln. Die Bundesländer haben unsere Vorschläge in einem Bundesratsbeschluss unterstützt. Und, meine Damen und Herren, es ging nicht darum, dass jede Kommune hier selbst sammelt, sondern dass sie die Steuerungsfähigkeit in diesem Bereich hat. Das ist der entscheidende Punkt. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Richtig! Genau darum ging es!) Da unterscheiden wir uns ganz massiv im Vergleich zu Ihren Vorschlägen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Mit diesem Gesetz wird die Abfallsammlung kompliziert, bürokratisch, teuer. Darüber hinaus ist sie nicht ökologisch. Deshalb lehnen wir es ab. Die Mülltrennung nach Material hätte die Regierung bundesweit zum Gesetz machen müssen, so wie im Koalitionsvertrag beschrieben. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Warum haben Sie es dann im Bundesrat verhindert?) Dann könnten nämlich bundesweit Quietscheentchen, Bratpfannen und vieles mehr zusammen mit Verpackungen in einer Wertstofftonne gesammelt werden. 450 000 Stoffe mehr hätten so recycelt werden können. Hier haben Sie wirkliche eine Chance vertan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Michael Thews das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Thews (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Thema Abfall ist den Deutschen wichtig. Das merken wir an der aktuellen Berichterstattung über dieses Gesetz; aber das haben wir auch in den letzten Jahren immer wieder erfahren, wenn es um dieses Thema ging. Wir in Deutschland sind Weltmeister beim Abfalltrennen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten allerdings völlig zu Recht, dass das, was sie trennen, anschließend stofflich hochwertig recycelt wird, dass die Wertstoffe zurückgewonnen werden und daraus neue Produkte entstehen können. Wir wissen seit langem, dass diese Entwicklung sinnvoll ist und wir dafür strengere Recyclingquoten brauchen. Das ist technisch möglich, wurde aber seit Jahren blockiert. Mit diesem Gesetz bekommen wir sie jetzt. Deswegen sind wir sehr froh, dass wir jetzt mit diesem Gesetz vorankommen – das ist eigentlich auch der Kern des Gesetzes – und hier endlich für Klarheit sorgen. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie von der Opposition dieses Gesetz unterstützen würden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Frau Haßelmann hat auch gerade gesagt, warum!) – Zu Frau Haßelmann komme ich gleich. Ich halte es für enorm wichtig, dass wir eine Einigung erzielt haben, die zu einer Stärkung der Kommunen gegenüber den Dualen Systemen führt. In den Städten und Kreisen ist es häufig so, dass die gewählten Vertreter ihre Ansprüche formulieren, zum Beispiel hinsichtlich des Einsatzes von Säcken bzw. Tonnen oder der Abholrhythmen, die in den Kreisen und Kommunen eingehalten werden sollen, die Kommunen aber diese Anforderungen gegenüber den Dualen Systemen in der Vergangenheit nicht immer durchsetzen konnten. Wir haben gerade schon gehört: Es gibt elf Duale Systeme, mit denen man sich abstimmen muss. Das war oft eine endlose Streiterei. Im vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir Klarheit. Nun können die Kommunen diese Dinge vorgeben und sie auch gegenüber den Dualen Systemen durchsetzen. (Beifall bei der SPD) Das war dringend notwendig. Hierdurch haben wir, wie ich finde, eine deutliche Verbesserung erzielt. Ich bin auch sehr froh, dass wir eine Einigung im Hinblick auf die Mehrwegquote erzielt haben. Ich weiß, dass sich viele Verbraucherinnen und Verbraucher ganz bewusst für Mehrweg entscheiden. Ich möchte, dass das auch in Zukunft noch möglich ist. Wenn Mehrweg erst einmal verschwunden ist, geht das nämlich nicht mehr. Was auch wichtig ist, ist die Kennzeichnung am Regal. Denn häufig erkennt der Verbraucher gar nicht: Handelt es sich um Mehrweg oder Einweg? – Diese Unterscheidung wird in Zukunft eindeutig möglich sein. Es gibt auch eine freiwillige Initiative der Getränkeindustrie – auch das ist sehr gut –, die Flaschen entsprechend zu kennzeichnen. Je besser das erkennbar ist, desto besser für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Bei all der Freude darüber, dass wir heute dieses Gesetz beschließen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Freude merkt man Ihnen an!) ist aber auch klar: Wir werden die Entwicklung hin zu einem Wertstoffgesetz nicht aus den Augen verlieren. Weil es gerade um die Frage ging, wer eigentlich dafür verantwortlich ist, dass wir kein Wertstoffgesetz bekommen haben, muss ich Ihnen, Frau Haßelmann, sagen: Es waren teilweise auch die grünen Umweltminister in den Ländern, (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Genau!) die durch ihre Forderungen die Diskussion über ein Wertstoffgesetz deutlich erschwert haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Tja! Was nun, ihr lieben Grünen?) Wir werden weiterhin versuchen, ein Wertstoffgesetz auf den Weg zu bringen. Es ist natürlich erforderlich, dass auch solche Abfälle, die keine Verpackung sind, aber häufig aus denselben Materialien bestehen, einem hochwertigen Recycling zugeführt werden. In Zukunft werden mehr Anreize notwendig sein, auch auf europäischer Ebene, damit Produkte von Anfang an ökologisch geplant und gestaltet werden. Die Menschen in unserem Land erwarten langlebige, reparierbare, wiederverwertbare und recyclingfreundliche Produkte. Ich meine, dass wir mit dem Verpackungsgesetz hier und heute einen großen Schritt vorangekommen sind; weitere müssen folgen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Gut gemacht! Das hat mich überzeugt! Jetzt stimme ich zu!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, heute ist ein guter Tag für die Umwelt. Denn mit dem Verpackungsgesetz erhöhen wir die Recyclingquoten, und damit werden mehr Sekundärrohstoffe wiedergewonnen und in den Stoffkreislauf zurückgeführt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sie vorher rausgestrichen haben!) – Nein, diese haben wir nicht herausgestrichen; das war die Mehrwegquote. Am besten hören Sie mir besser zu! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD], an den Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Ha, jetzt hast du aber eine gekriegt!) Außerdem werden die Lizenzentgelte stärker ökologisiert. Das bedeutet, dass die Beteiligungsentgelte für die Hersteller nach dem Verpackungsmaterial, nach der Menge und nach der Recyclingfähigkeit bemessen werden. Dadurch erhalten Hersteller weitere Anreize, auf Verpackungsmaterialien zu verzichten und recyclingfähige Materialien zu verwenden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch super!) – Genau, das ist super. Deswegen ist das ein guter Tag für die Umwelt. Liebe Frau Haßelmann, ich muss jetzt schon einmal fragen – das wurde auch von meinem Kollegen Thews bereits angesprochen –: Wer hat denn das vorgelegte Wertstoffgesetz in den Bundesländern und im Bundesrat massiv kritisiert? Das waren vor allen Dingen die grünen Umweltminister, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es schlecht war!) und deswegen ist das Wertstoffgesetz so nicht gekommen. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht, weil es ein Wertstoffgesetz war, sondern weil es schlecht war! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war schlecht! Es war Mist!) Die Vorschläge, die Sie auf den Tisch gelegt haben, hätten den Wettbewerb ausgeschaltet. Es wäre für die Verbraucher teurer geworden, und es wäre der Abschaffung der Dualen Systeme gleichgekommen. Weil es eine Abkehr von der Produktverantwortung und damit ein ökologischer Rückschritt gewesen wäre, haben wir genau das abgelehnt, liebe Frau Haßelmann. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht gut!) Ja, wir haben die Mehrwegquote wieder im Gesetzentwurf verankert. Wir als Gesetzgeber haben nämlich gesagt: Wir wollen den Gesetzentwurf an der Stelle nachbessern. Das war auch richtig, und das war auch ein persönliches Anliegen von mir, da wir sonst das bestehende Mehrwegsystem ad absurdum geführt hätten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit den Sanktionen?) Das ist eine gute Botschaft – gerade auch an die kleinen Brauerinnen und Brauer, die mit viel Aufwand Mehrwegstrukturen aufgebaut haben. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Weisgerber, sagen Sie doch mal etwas zu den Sanktionen!) In unserer zur Beschlussempfehlung vorgelegten Entschließung steht auch, dass wir das Ganze mithilfe der Ökobilanzen im Auge behalten müssen. Das ist genau der richtige Weg; denn die Ökobilanzen geben hier Aufschluss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das Verpackungsgesetz ist auch ein Fortschritt für die Kommunen; denn die Kommunen sind die Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger bei der Abfallentsorgung. Wenn im Winter bei Eis und Schnee gelbe Säcke mal nicht abgeholt werden, dann wenden sich die Bürgerinnen und Bürger doch an die Kommunen und beschweren sich dort, obwohl die Dualen Systeme für die Sammlung der Verpackungsmaterialen aus Kunststoff und Metall verantwortlich sind. Bislang hatten die Kommunen aber nicht die Rechte – vor allen Dingen nicht die Durchgriffsrechte –, die sie gegenüber den Dualen Systemen brauchen. Liebe Frau Haßelmann, das ändert sich durch diesen Gesetzentwurf. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nein, das ändert sich nicht!) Wenn man den Gesetzentwurf einmal liest, dann sieht man auch, wo sich Verbesserungen für die Kommunen ergeben. Sie bekommen nämlich mehr Einflussmöglichkeiten und können letztendlich auch gegenüber den Dualen Systemen genau bestimmen, wie die Sammlungen konkret ausgestaltet werden sollen. Sie können die Größe der Behälter festlegen, sie können sagen, ob per Tonne oder per Sack gesammelt werden soll, und sie können die Abholintervalle bestimmen. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt juristische Auseinandersetzungen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das, was Sie da gemacht haben, führt nur wieder zu Gerichtsprozessen!) Eine weitere wichtige Botschaft an die Kommunen ist auch: Alle Landkreise und Gemeinden, die per Wertstoffhof sammeln, können dies auch in Zukunft tun. Das heißt, die gut funktionierenden bestehenden Strukturen können auch in Zukunft erhalten bleiben. Die Kommunen können diese Rechte auch rechtssicher ausüben; denn wir haben den Gesetzentwurf auch in der Form entscheidend verändert, dass wir die Bedingungen, unter denen die Kommunen den Dualen Systemen Vorgaben machen können, zugunsten der Kommunen noch einmal nachgebessert haben. Die Vorgaben, die die Kommunen machen, müssen nun nicht mehr „erforderlich“, sondern nur noch „geeignet“ sein, um eine effektive und umweltverträgliche Erfassung der Abfälle sicherzustellen. Das sind zwar nur zwei kleine Worte, aber das führt doch zu einem sehr großen Unterschied in der Rechtsauslegung. Auch an der Stelle haben wir die Kommunen noch einmal gestärkt. Hinzu kommt letztendlich auch das Durchgriffsrecht. Das heißt, für den Fall, dass etwas schiefgeht, können die Kommunen selbst für eine Ersatzvornahme sorgen und dann den Dualen Systemen die Kosten in Rechnung stellen. Ich hoffe, ich habe Ihnen jetzt noch einmal ausführlich darlegen können, wie die Rechte der Kommunen gestärkt werden. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, danke, Frau Lehrerin!) Sie werden nämlich durch das Gesetz gestärkt, und das merkt man auch, wenn man sich den Gesetzentwurf durchliest. Im gesamten Prozess war es wichtig, die Belange der Wirtschaft nicht außer Acht zu lassen und einen fairen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Kommunen auf der einen Seite und den Interessen der meist mittelständischen Entsorger auf der anderen Seite zu erzielen. Auch das ist meiner Meinung nach gut gelungen. Die Pfandpflicht für Weinflaschen und damit auch für den fränkischen Bocksbeutel ist ebenfalls vom Tisch. Das ist mir auch ein persönliches Anliegen gewesen. (Ulli Nissen [SPD]: Ich trinke lieber Rotwein!) Das Gesetz sieht ambitionierte Recyclingquoten vor und wird so die Kreislaufwirtschaft im Sinne der Umwelt stärken. (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie die Stellungnahmen der Umweltverbände gelesen, Frau Weisgerber?) Also lassen Sie uns heute gemeinsam das Verpackungsgesetz auf den Weg bringen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Die Aussprache ist damit beendet. Ich darf Sie jetzt noch einmal alle um Ihre allerhöchste Konzentration bitten; denn wir haben jetzt eine ganze Reihe von Abstimmungen vorzunehmen, und die Umweltpolitiker dürfen nachher noch einmal reden. (Ulli Nissen [SPD]: Schön, nicht?) Wir beginnen mit der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der haushaltsnahen Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Abfällen. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11781, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11274 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11781 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das ist niemand. Wer enthält sich? – Das ist die Opposition. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11781 empfiehlt der Ausschuss, eine weitere Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11789. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Opposition. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Zusatzpunkt 3. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Wertstoffgesetz jetzt vorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9693, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4648 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Potsdam), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Beteiligung des Bundes am Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam Drucksachen 18/10061, 18/11642 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Damit sind Sie einverstanden.6 Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11642, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10061 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz  – 2. FiMaNoG) Drucksachen 18/10936, 18/11290, 18/11472 Nr. 1.4 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/11775 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Delegierte Verordnung der Kommission zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Anwendung von Positionslimits für Warenderivate K(2016)4362 endg.; Ratsdok. 15163/16 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kommissionsvorschlag zurückweisen Drucksachen 18/11173, 18/11775 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum Schutz von Verbraucherinteressen stärken Drucksachen 18/8609, 18/9734 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.7 Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften aufgrund europäischer Rechtsakte. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11775, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10936 und 18/11290 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11787 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Das ist die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält sich? – Das sind die Grünen. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11788. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 22 b. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 18/11775 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kommissionsvorschlag zurückweisen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 22 c. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum Schutz von Verbraucherinteressen stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9734, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8609 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Artikel 10-Gesetzes und weiterer Gesetze mit Befugnis für die Nachrichtendienste des Bundes zu Beschränkungen von Artikel 10 des Grundgesetzes (G 10-Aufhebungsgesetz – G 10-AufhG) Drucksache 18/5453 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.8 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/5453 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es von Ihrer Seite aus dazu andere Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages gemäß § 6 Absatz 3 des ERP-Verwaltungsgesetzes Drucksachen 18/10825, 18/11779 Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind einverstanden.9 Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/11779. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11779, dem Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/10825 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 25: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Willy-Brandt-Korps für eine solidarische humanitäre Hilfe Drucksachen 18/8390, 18/8649 Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.10 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8649, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8390 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Neufassung) KOM(2016) 861 endg.; Ratsdok. 15135/16 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Neufassung) KOM(2016) 863 endg.; Ratsdok. 15149/16 hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung) Drucksachen 18/11229 A.16 und A.17, 18/11777 (neu) Auch hier werden die Reden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, auch hiermit sind Sie einverstanden.11 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11777 (neu), in Kenntnis der auf Drucksache 18/11229 unter Buchstaben A.16 und A.17 genannten Unterrichtungen eine Entschließung gemäß Protokoll Nummer 2 zum Vertrag von Lissabon in Verbindung mit § 11 des Integrationsverantwortungsgesetzes anzunehmen. Mit der Annahme dieser Entschließung rügt der Deutsche Bundestag die Verletzung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/10937, 18/11289, 18/11472 Nr. 1.3 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11706 Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.12 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11706, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/10937 und 18/11289 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 d auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Gesetzes zur Regelung von Sekundierungen im Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprävention Drucksache 18/11134 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) Drucksache 18/11672 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für eine aktive zivile Friedenspolitik Drucksachen 18/11166, 18/11670 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zivile Krisenprävention und Friedensförderung stärken – Neue Lösungsansätze erarbeiten und umsetzen Drucksachen 18/11174, 18/11669 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Tom Koenigs, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Group of Friends“ für Konfliktprävention im Rahmen der Vereinten Nationen Drucksachen 18/11175, 18/11668 Die Reden werden zu Protokoll gegeben. – Ich sehe keine Einwände.13 Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neufassung des Gesetzes zur Regelung von Sekundierungen im Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprävention. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11672, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11134 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die für den Gesetzentwurf sind, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 28 b. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für eine aktive zivile Friedenspolitik“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11670, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11166 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 28 c. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Zivile Krisenprävention und Friedensförderung stärken – Neue Lösungsansätze erarbeiten und umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11669, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11174 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 28 d. Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „‚Group of Friends‘ für Konfliktprävention im Rahmen der Vereinten Nationen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11668, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11175 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) Drucksache 18/9949 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 18/11778 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/11790 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.14 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11778, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9949 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Drucksache 18/11276 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Drucksache 18/11659 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheit hat Vorrang – Ohne Stand von Wissenschaft und Technik keine Inbetriebnahme von Schacht Konrad Drucksachen 18/6773, 18/11690 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung erhält jetzt das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherheit von Atomkraftwerken im In- und Ausland – was sind die notwendigen Maßnahmen? Auf diese Frage haben wir nach Fukushima national eine eindeutige Antwort gegeben, die das Bundesverfassungsgericht in allen wesentlichen Teilen bestätigt hat. Deshalb werden wir den Ausstieg aus der Atomenergie fortsetzen und vollenden. Daneben treffen wir mit dem Gesetz, über dessen Entwurf wir heute abschließend beraten, die notwendigen Maßnahmen zur lückenlosen Umsetzung des geltenden Europarechts im Hinblick auf die zurzeit noch betriebenen Anlagen in Deutschland. Mit dem Gesetz gehen wir aber auch einen Schritt weiter, indem wir den Topical-Peer-Review-Mechanismus der EU-Richtlinie über nukleare Sicherheit im deutschen Recht verankern. Über diesen Mechanismus wird auf EU-Ebene in den nächsten sechs Jahren eine Untersuchung zu Fragen des Alterungsmanagements von Atomkraftwerken durchgeführt. Wir wirken für die Restlaufzeit der Atomkraftwerke in Deutschland entschlossen darauf hin, diese mit höchstmöglicher Sicherheit zu betreiben. Aber – und das ist besonders wichtig – das Fachwissen muss auch für die Phase der Stilllegung erhalten bleiben. Darüber hinaus müssen wir aus gutem Grund die Entwicklungen in unseren Nachbarstaaten und auf internationaler Ebene kritisch begleiten. Zwar liegt die Entscheidung für oder gegen die Nutzung der Atomkraft bei jedem einzelnen Staat; es muss aber in unserem gemeinsamen Interesse liegen, dass diese Nutzung unter Beachtung des internationalen Wissenstandes in der Kerntechnik erfolgt. Dies gilt insbesondere für die grenznahen Atomkraftwerke in unseren Nachbarstaaten. Unsere Bürgerinnen und Bürger erwarten völlig zu Recht, dass wir, gestützt auf unsere Expertise und unsere Sachverständigenorganisationen, Fragen zu den technischen Bewertungen stellen. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Hier haben wir im Vergleich zu anderen Staaten, die der Atomenergienutzung kritisch gegenüberstehen, den Vorteil, dass wir über großes Know-how verfügen und dass wir das auch erhalten wollen. Dieses Fachwissen nutzen wir heute und werden es auch in Zukunft nutzen, um andere Staaten davon zu überzeugen, dass mit der Kernenergienutzung inakzeptable Risiken verbunden sind. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da merkt man aber nichts von! Wo denn? Wie denn?) Wir müssen das Fachwissen auch nutzen, um in den technischen Diskussionen, Herr Krischer, zu überzeugen und einen Betrieb auf höchstem technischem Niveau zu erreichen, wenn wir ihn schon nicht verhindern können. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie irgendetwas machen würden!) Wie die Fälle in jüngster Vergangenheit zeigen, ist diese Diskussion durch einen Austausch zum konkreten Fall zu führen. Abstrakte Regeln auf EU-Ebene, die wie ein Sicherheitszertifikat wirken und verbindlich festlegen sollen, wie sicher „sicher genug“ ist, sind da nicht förderlich. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hä? Sie wollen keine Regeln?) Bundesministerin Hendricks hat sich deshalb intensiv für eine Vereinbarung mit Belgien über eine bilaterale Kommission eingesetzt, zu deren Abschluss wir jüngst gekommen sind. Auch mit den Nachbarländern, in denen Atomkraftwerke betrieben werden, wurden solche bilateralen Kommissionen eingesetzt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür liefern Sie jetzt ein paar Brennstäbe hinterher!) – Ach, wissen Sie, Herr Krischer, ich frage mich eigentlich, warum nicht schon 2002 und in den Folgejahren eine solche Kommission mit den Belgiern eingerichtet wurde. Das müssen Sie vielleicht auch einmal erklären. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Wenn in unseren Nachbarländern Laufzeitverlängerungen vorgesehen werden, dann setzen wir uns für eine verpflichtende grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung ein. Soweit es noch nicht rechtsverbindlich vorgeschrieben ist, werden wir uns außerdem für freiwillige Beteiligungen der betroffenen Öffentlichkeit auch über die Staatsgrenzen hinweg einsetzen. Das tun wir zum Beispiel bei der Suche des Endlagers an der deutsch-schweizerischen Grenze. Da unterstützt die Bundesregierung die Kommunen und die Landkreise vor Ort mit der Expertengruppe Schweizer Tiefenlager. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum unterstützen Sie denn nicht die Städte in der Region Aachen?) – Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr Krischer: Ich wohne – man hört es am Dialekt – in Südbaden. Dort sind Atomkraftwerke nicht 60, sondern 5 Kilometer entfernt. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!) Wir nehmen die Ängste der Menschen sehr ernst. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Bedenken und kritischen Fragen auch von den jeweiligen Aufsichtsbehörden aufgegriffen werden. Wir schlagen durchaus auch kritische Töne an, wenn zum Beispiel ein Reaktor wie Leibstadt nach einem Dryout-Effekt wieder angefahren wird. Lassen Sie mich abschließend sagen, dass aus meiner Sicht das beste Argument gegen die Kernenergie der erfolgreiche Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland ist. (Beifall bei der SPD) Deshalb lehnen wir eine EU-Förderung für AKWs entschieden ab. Aus unserer Sicht darf es eine EU-Förderung nur für die Technologien geben, die sicher, nachhaltig und kohlenstoffarm sind. (Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Dann können wir doch mal Euratom abschaffen!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Linke hat jetzt der Kollege Hubertus Zdebel das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der heute zu debattierenden Atomgesetzänderung will die Bundesregierung eine Euratom-Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Dabei geht es, so der Anspruch, um die Verbesserung der Information der Öffentlichkeit, um die Verbesserung der Zusammenarbeit der Atomaufsichtsbehörden zwischen den EU-Staaten und um die Verbesserung der Sicherheit der in Europa und Deutschland noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke. Es sollen also alles Verbesserungen sein. Machen wir doch einmal den Realitätscheck, was das Ganze angeht. Von sichereren Reaktoren ist in der Wirklichkeit nichts zu spüren. Immer ältere Atommeiler sind am Netz. Sie werden unter immer abenteuerlicheren Bedingungen von der jeweiligen Atomaufsichtsbehörde gesundgebetet. Ein Blick über die Grenze nach Belgien genügt: Trotz aller toller EU-Richtlinien und deren jeweils nationaler Umsetzung bleiben selbst so marode Atommeiler wie die in Tihange und Doel in Betrieb. Gleichzeitig lässt es die Bundesregierung zu, dass Uranbrennstoff aus deutschen Fabriken in Gronau und Lingen in großem Stil für den Weiterbetrieb der Atommeiler in Belgien sorgen, und das, obwohl diese selbst aus Sicht des Bundesumweltministeriums dringend abgeschaltet gehören. Es ist eine überaus kuriose Sicherheit, die uns hier verkauft werden soll. Was hier erklärt wird, passt doch hinten und vorn nicht zusammen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch in Sachen verbesserter Informationspolitik gegenüber der Bevölkerung kann man nur den Kopf schütteln. Am 10. März – das ist gerade einmal drei Wochen her – blockierten Atomkraftgegnerinnen und -gegner das AKW Brokdorf. Während der laufenden Aktion wurden sie in Anwesenheit von Pressevertretern aufgefordert, ihre Aktion zu unterbrechen. Wäre das nicht passiert, hätte niemand in Deutschland je von dem Flugterroralarm „Renegade“ und von der teilweisen Evakuierung der Mitarbeiter in den Atomkraftwerken erfahren. Eine sofortige Information der Bevölkerung über solche Vorgänge ist nämlich nicht vorgesehen. (Zuruf der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter) – Das haben Sie selber in der Antwort auf eine Anfrage gesagt, die ich letztens gestellt habe. – So weit zur Realität. Das wird durch die Gesetzesnovelle nicht besser. Lediglich Informationen über Sicherheitsprobleme von Atomkraftwerken zwischen den EU-Staaten auszutauschen, wie jetzt vorgesehen, reicht bei weitem nicht aus; denn die wesentlichen Entscheidungen werden weiterhin durch die jeweilige nationale Behörde getroffen. Die Bundesregierung hat es versäumt, mehr Mitspracherechte für die EU-Kommission und die betroffenen Anrainerstaaten einzufordern, um auf den weiteren Betrieb störanfälliger Atomkraftwerke wie in Tihange in Belgien unmittelbar einwirken zu können. (Beifall bei der LINKEN) Das ist nämlich nicht Bestandteil der Umsetzung der EU-Richtlinie. Die radioaktiven Wolken machen nicht an Grenzen halt. Deswegen fordern wir Linken schon seit langem mehr Mitbestimmungsrechte für die betroffenen Staaten in den Grenzregionen. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern von der Bundesregierung jetzt ganz aktuell, im Zuge der anstehenden Brexit-Verhandlungen, bei denen es auch um den Euratom-Vertrag gehen wird, über gemeinsame Sicherheitsüberprüfungen sowie gemeinsame Entscheidungen der Behörden bei grenznahen Kraftwerken zu verhandeln. Setzen Sie das bitte durch! (Beifall bei der LINKEN) Ein Wort noch zum Grünenantrag zum Schacht Konrad, der hier auch zur Abstimmung steht, auf den ich aus Zeitgründen aber leider nicht lange eingehen kann. Natürlich kann eine Inbetriebnahme als Endlagerstandort für schwach- und mittelradioaktiven Müll nur auf Basis des aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik erfolgen. Insofern folgen wir dem Grünenantrag. Aber auch beim Schacht Konrad – zumindest das will ich ansprechen – fehlt jeder Alternativenvergleich mit anderen Standorten, genauso wie er bei Gorleben fehlt und gefehlt hat. Deswegen fordern wir Linken: Ohne ein vergleichendes Suchverfahren und entsprechende Sicherheitskriterien, wie es jetzt bei den hochradioaktiven Abfällen laufen soll, darf Konrad nicht in Betrieb gehen. Hier darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. (Beifall bei der LINKEN) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit zu später Stunde. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Steffen Kanitz, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Steffen Kanitz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Zdebel, ich würde Sie doch herzlich bitten, diese beiden Sachen nicht zu vermischen, Schacht Konrad und Gorleben nicht in einen Topf zu werfen. Schacht Konrad ist ein planfestgestelltes genehmigtes Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Gorleben – das haben wir gerade in einem langen Verfahren in der Endlagerkommission gemeinsam beschlossen – ist möglicherweise einer von ganz vielen Standorten. Wir wissen überhaupt nicht, ob er im Verfahren bleibt, wie lange er im Verfahren bleibt; er muss sich dem Vergleich stellen. Insofern, glaube ich, ist es richtig, dass man die beiden Dinge nicht vermischt. Ich möchte gern das tun, was Sie aufgrund der Zeit nicht tun konnten, nämlich auf den Antrag der Grünen zum Schacht Konrad eingehen, der aus dem November des vorletzten Jahres stammt und insofern leider schon ein bisschen veraltet ist. Inzwischen hat sich relativ viel getan. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht bei Konrad!) – Das ist so. – Wir haben ein Nationales Entsorgungsprogramm aufgestellt, in dem die Bundesregierung sehr klar gesagt hat, um wie viel Abfälle es sich handelt, gerade auch im schwach- und mittelradioaktiven Bereich. Es ist auch dem Engagement der Endlagerkommission geschuldet, dass wir uns sehr klar auf die 303 000 Kubikmeter festgelegt haben. Das loben Sie in dem Antrag völlig zu Recht. Ich glaube, es ist richtig, dass man den Menschen in der Region klarmacht: Es geht jetzt um eine feste Größe von rund 300 000 Kubikmetern, die wir einlagern wollen – hoffentlich ab 2022. Für alles das, was darüber hinausgeht, müsste man ein ganz neues Planfeststellungsverfahren machen. Das haben wir im Nationalen Entsorgungsprogramm so festgelegt. Das BfS als derzeit noch zuständiger Betreiber sagt sehr klar – ich glaube, da missverstehen Sie das BfS im Moment –, dass schon aktuell Sicherheitsuntersuchungen laufen, um die Planfeststellung hinsichtlich des aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik zu untersuchen. Und es will das noch einmal sehr konkret tun, bevor Schacht Konrad 2022 in Betrieb genommen werden soll. In Ihrem Antrag sagen Sie, das darf nicht erst vor Verschluss des Endlagers geschehen. Das ist völlig richtig. Das ist der Grund dafür, warum das BfS das vor Inbetriebnahme noch einmal tun will. Deswegen glaube ich, dass Ihr Antrag in der Tat überholt ist. Ich finde, man kann dann auch ganz ehrlich sagen: Gut, wenn er überholt ist, dann kann man ihn auch zurückziehen. – Aber Sie werden mir vielleicht gleich erklären, Frau Kotting-Uhl, warum er immer noch aktuell sein soll. Ich will aber gern die Chance nutzen, noch einmal kurz auf Schacht Konrad einzugehen, weil das für uns ein extrem wichtiges Projekt ist, das wir wirklich zeitgerecht realisieren müssen. Es ist das Endlager in Deutschland für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Es ist so, dass vom Abfallvolumen her etwa 90 Prozent aller radioaktiven Abfälle schwach- und mittelradioaktive Abfälle sind. Das ist in Bezug auf die Radioaktivität nicht wahnsinnig relevant; das ist ungefähr 1 Prozent der Radioaktivität. Aber es handelt sich insbesondere um die Abfälle, die beim Rückbau der Kernkraftwerke anfallen werden, nämlich um kontaminierte Anlagenteile, um Werkzeuge, um Schutzkleidung, aber natürlich auch um Forschungsabfälle aus dem schwach- und mittelradioaktiven Bereich. Die gesamte Radioaktivität, die wir in Schacht Konrad einlagern werden, wird der von wenigen Castoren, in etwa vier bis fünf Castoren, entsprechen. Das ist natürlich relevant; das ist völlig klar. Aber es ist vom Gefährdungspotenzial nicht mit dem vergleichbar, was wir in einem HAW-Endlager vorfinden werden. Trotzdem und gerade deswegen halten wir uns beim Schacht Konrad natürlich an höchste Sicherheitsstandards. Um dies einmal international einzuordnen: Es gibt schon einige Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Viele Länder – Frankreich, Spanien, Großbritannien, die USA – lagern schwach- und mittelradioaktive Abfälle oberflächennah. Ebenso ist es in Schweden und Finnland. Dort geht man knapp unter die Oberfläche. Deutschland ist neben der Schweiz das einzige Land, das in die Tiefengeologie geht. Das hat auch gute Gründe, denn wir sagen: Wenn wir ein gutes Wirtsgestein haben – und im Schacht Konrad haben wir das; wir haben dort eine 400 Meter dicke Tonschicht, die das Endlager von unten abdichtet –, dann ist das besser, als wenn wir das Lager an der Oberfläche haben. Das zeigt aber, dass der Sicherheitsanspruch Deutschlands auch im Bereich schwach- und mittelradioaktiver Abfälle enorm hoch ist, und das ist, glaube ich, auch richtig. Wir haben ein langes Planfeststellungsverfahren hinter uns gebracht, um Schacht Konrad zu genehmigen. 2002 ist die Genehmigung nach einer übrigens relativ umfangreichen Bürgerbeteiligung erteilt worden. Man kann immer nach mehr rufen, aber ein Blick in die Geschichte zeigt, dass an 75 Tagen Erörterungen stattgefunden haben. Ich finde, so ganz wenig ist das nicht. Dann hat es 2007 noch eine höchstinstanzliche Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht gegeben, das die Planfeststellung noch einmal bestätigt hat. Seit 2008 wird Schacht Konrad umgerüstet zu einem Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle, und alle Beteiligten planen im Moment für das Jahr 2022 die Inbetriebnahme. Ich glaube, daran müssen wir auch alle gemeinsam festhalten, damit wir dieses Zieldatum erreichen, weil wir dann, wenn wir 2022 abschalten, möglichst schnell mit dem Rückbau beginnen wollen. Schacht Konrad bildet natürlich gewissermaßen den Flaschenhals für den Rückbau. Insofern haben wir ein Interesse daran, diesen Zeitplan einzuhalten. Es gibt teilweise Vergleiche mit der Asse, die angestellt werden, die aber, so finde ich, nicht zutreffend sind und die man sehr klar zurückweisen muss. Der Unterschied ist natürlich, dass wir es hier erstens mit einem trockenen Stollen zu tun haben. Zweitens fahren wir völlig neue Einlagerungskammern auf. Wir gehen also nicht in ein altes Grubengebäude, in das wir die Fässer einfach reinwerfen, sondern wir haben – die Konrad-Behälter sind bekannt – eine sehr gute und robuste Art und Weise, die Endlagergebinde in ein sehr robustes Bergwerk einzulagern. Frau Kotting-Uhl, das, was ich gerade gesagt habe, ist in der Tat das, was uns das BfS im Ausschuss gesagt hat und was auch öffentlich nachzulesen ist. Das BfS sagt, dass die Planfeststellungsunterlagen ständig und auch aktuell hinsichtlich des Standes von Wissenschaft und Technik untersucht werden. Ständig heißt, dass man eben nicht nur vor 2022, also vor der Inbetriebnahme, eine abschließende Sicherheitsuntersuchung macht. So, wie ich Herrn König verstehe, ist es so, dass schon aktuell, seit 2014, damit begonnen wird, die Unterlagen zu sichten und zu gucken: Was ist alt, und wo gelten die Sicherheitsmargen der Vergangenheit möglicherweise immer noch? Ich glaube, hier wird extrem verantwortungsvoll gehandelt. Deswegen darf das jedenfalls kein Grund sein, hier in eine Verzögerungsschleife zu kommen. Wir haben in dieser Legislaturperiode eine ganze Menge dafür getan, dass wir den Zeitplan einhalten können und bis 2022 fertig werden. Wir haben eine völlig neue Behördenstruktur aufgebaut, auch dank der Arbeit der Endlagerkommission. Ich glaube, es ist gut und richtig, dass wir eine klare Trennung haben zwischen Regulierer auf der einen Seite und Vorhabenträger auf der anderen Seite. Ich habe mir die Entscheidungsmuster der Vergangenheit genau angeschaut. Wir haben das in der Endlagerkommission besprochen. Das lief über DIN-A3-Blätter. Und wenn man im Bereich der Schachtsanierung jemanden brauchte, dann waren die Entscheidungswege relativ kompliziert. Das haben wir jetzt deutlich gestrafft und vereinfacht. Es ist jetzt so, dass nicht mehr drei oder vier Behörden darüber entscheiden, wie lang die Anker eigentlich sein müssen, die da angebracht werden; vielmehr wird das vom Vorhabenträger vorgeschlagen und vom Regulierer genehmigt, und dann kann das auch in Auftrag gegeben werden. So haben wir sehr dazu beigetragen, dass das Projekt Konrad ein Erfolg werden kann. Gleichzeitig übernimmt der Bund ab 2019 bzw. 2020 die Zwischenlager. Insofern sind wir über ein zentrales Abfallmanagement in der Lage, zu disponieren und zu schauen, welche Abfälle wann eingelagert werden. Eigentlich haben wir also alle Voraussetzungen geschaffen, um jetzt auch zeitnah in den Betrieb einzusteigen – immer unter Sicherheitsgesichtspunkten; das hat das BfS zugesagt –, und ich glaube, das ist auch richtig. Aber unser Anspruch als Union ist es eben – so haben wir es in der Kommission auch immer besprochen –, dass die Zwischenlager, die wir haben, nicht zu faktischen Endlagern werden. Das sind wir den Leuten vor Ort schuldig. Deswegen müssen wir Schacht Konrad auch 2022 in Betrieb nehmen. Ich will, Herr Kollege Zdebel, weil Sie es angesprochen haben, noch einmal kurz auf das Thema eingehen, das die Menschen in Gronau und in Lingen im Moment in der Tat sehr bewegt, und auf den Pressezirkus, der in den letzten drei, vier Tagen um das Thema entstanden ist. Ich will das sehr deutlich sagen: Wir als Unionsfraktion stehen ganz klar an der Seite der Beschäftigten der Urenco und der ANF in Lingen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Wir sind aus der Kernkraft ausgestiegen; das ist völlig klar. Wir sind uns auch absolut einig: Bis 2022 schalten wir die Kernkraftwerke ab. Das heißt aber in der Konsequenz nicht, dass wir sämtliches kerntechnisches Know-how in Deutschland verlieren wollen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht besonders konsequent!) auch deswegen nicht, weil wir Doel und Tihange bewerten wollen, weil wir in der Lage sein wollen, gute Experten auszubilden, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber sehr inkonsequent!) und weil es darum geht, dass wir mit der Areva einen echten Kompetenzverbund an drei Standorten hier in Deutschland haben, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch unfassbar!) durch die wir in der Lage sind, über den Rückbau zu diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Brechen Sie einen dieser Bausteine heraus, dann können Sie sich ganz sicher sein, dass sich der neue Eigentümer in Frankreich sehr genau überlegen wird, wo die Arbeitsplätze in Zukunft entstehen, ob hier bei uns in Deutschland oder ob er das nicht alles nach Frankreich verlagert. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da entstehen keine Arbeitsplätze mehr!) Das sind hochqualifizierte Arbeitsplätze, die gut funktionieren. Lieber Herr Kollege Krischer, auch dank Ihres Engagements hat die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2013 ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Man hat ja, politisch motiviert, versucht, die Standorte zu schließen, und gefragt: Welche Möglichkeiten gibt es? (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Landesregierung kann das nicht! Dazu muss das Atomgesetz geändert werden!) Das Gutachten ist diesbezüglich zu ganz klaren Ergebnissen gekommen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die Landesregierung hat zu schließen!) die da lauten: Die Genehmigung ist unbegrenzt, sie ist erteilt, sie gilt, und es gibt keinen rechtlichen Weg, Kernkraftwerke zu schließen. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie das Gutachten!) Insofern, finde ich, müssen Sie sich am Ende des Tages auch ehrlich machen. Sie wollen, dass die Kerntechnik aus Deutschland in Gänze verschwindet. Wir wollen das Know-how nicht nur erhalten, sondern selbstverständlich auch ausbauen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist eine klare Aussage! Danke!) weil wir in der Lage sein wollen, zu bewerten, ob die Kernkraftwerke an den deutschen Grenzen sicher sind oder nicht. Das geht nur mit eigenem Know-how, und deswegen brauchen wir auch weiterhin beide Standorte in Deutschland. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber nichts mit der Lieferung von Brennelementen zu tun!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Sylvia Kotting-Uhl. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, bei aller Wertschätzung des BMUB muss ich sagen: Ihre Rede hat klargemacht, warum das Bundesumweltministerium sich nicht dafür eingesetzt hat, diese Richtlinie zur sogenannten nuklearen Sicherheit zu verbessern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Na, na, na! Was ist denn das für ein Vorwurf hier?) Es ist ein großes Versäumnis des Bundesumweltministeriums, dass Sie nichts dafür getan haben, diese Richtlinie irgendwie zu verbessern. Ihre Rede war eine Mischung aus den Stichworten „Souveränität der Nachbarländer“, „keine verbindlichen Standards auf EU-Ebene“ und „bilaterale Kommissionen, in denen alles geregelt wird“. (Ulli Nissen [SPD]: „Nichts getan“ ist aber ein ganz schön heftiger Vorwurf!) Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich habe lange bei Ihnen dafür geworben, dass Sie so eine bilaterale Kommission mit Belgien einrichten. Ich habe immer dazugesagt: Machen Sie sie nicht so zahnlos wie die anderen Kommissionen, die nicht einmal Dokumente austauschen. Und was ist mit der bilateralen deutsch-belgischen Kommission? Sie ist genauso zahnlos wie andere. Nicht einmal Dokumente werden ausgetauscht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE]) Das kann man sich in der Tat auch sparen. Die Richtlinie, um deren Umsetzung es heute geht, ist eine Euratom-Richtlinie. Das sagt eigentlich schon alles. Wir finden darin in Artikel 6 unter c) den wunderbaren Satz, dass Kernkraftwerke nur dann nachgerüstet werden sollen, wenn das vernünftigerweise umsetzbar ist. Was heißt denn „vernünftigerweise“? Es muss wirtschaftlich sein. Also wird die Sicherheit in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit relativiert. Oder es geht gar nicht mehr, weil die Anlagen zu alt sind. Das sind doch die Gründe, warum Fessenheim läuft, obwohl das Fundament viel zu dünn ist, warum Cattenom weiterhin läuft, obwohl die Sicherheitseinrichtungen vermascht sind, warum Tihange mit Löchern im Herzen weiterhin läuft. Diese Gründe sind in Euratom zu suchen. Bei solchen zahnlosen Richtlinien brauchen Sie mir nicht mit einer Kommission zu kommen, die auch nichts an der Sache verbessert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Es gibt noch weitere Dinge in der Richtlinie, die wir heute umsetzen, die absolut zahnlos sind: alle zehn Jahre eine Selbstbewertung, Selbsteinschätzung – finden wir uns gut, finden wir uns vielleicht nicht so gut? –, dazu ein Peer Review ohne Umsetzungspflicht. Das alles bringt nichts. Ich muss noch einmal sagen: Ich hätte von einer Bundesregierung, die jetzt den breiten fraktions- und parteiübergreifenden Atomausstieg im Deutschen Bundestag beschlossen und im nationalen Gesetz verankert hat, erwartet, dass sie sich auf EU-Ebene anders einsetzt und nicht hier etwas zur Abstimmung vorlegt, was völlig unverbindlich ist und diese Unverbindlichkeit festschreibt. Ich habe leider nicht so viel Zeit wie der Kollege Kanitz, um noch auf den Schacht Konrad einzugehen. Aber ich will einmal sagen, Herr Kanitz: Vieles, was Sie gesagt haben, kann ich unterstreichen. Da habe ich gar keinen Widerspruch. Ich finde auch Ihre Bewertung des Antrags sehr gut. Sie haben gefragt: Warum ist er überhaupt noch aktuell, nachdem das Bundesamt für Strahlenschutz – das ist ja bald die neue Behörde BfE – bereits alles tut, was in diesem Antrag steht? Ich muss sagen: Die Forderung, sich nach dem Stand von Wirtschaft und Technik auszurichten und nicht einzulagern, bevor dieser Stand von Wirtschaft und Technik nachgewiesen ist – es geht mir darum, dass dieser nachgewiesen wird, bevor durch Einlagerungen Fakten geschaffen werden –, kann durchaus vom Bundestag als richtig bestätigt werden, auch wenn es im Moment tatsächlich so aussieht, als würde die zuständige Behörde diesen Weg auch von alleine gehen. Ich glaube, es wäre trotzdem nicht schlecht, als Bundestag zu sagen: Wir wollen den Stand von Wissenschaft und Technik nachgewiesen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE]) Deswegen, glaube ich, tun auch Sie nichts Verkehrtes, wenn Sie diesem Antrag zustimmen. Wir geben dann noch einmal ein deutliches Zeichen an die zuständige Behörde, dass wir wollen, dass dieser Weg fortgesetzt wird und nicht aus irgendwelchen Gründen – Personalwechsel zum Beispiel – die ganze Sache plötzlich wieder anders aussieht. Also geben Sie sich einen Ruck, und stimmen Sie zu! Allerdings können wir der Umsetzung dieser zahnlosen EU-Richtlinie in die AtG-Novelle nicht zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist Hiltrud Lotze, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Jetzt wird es gut!) Hiltrud Lotze (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der 15. Novelle des Atomgesetzes geht es im Wesentlichen um drei Punkte: Erstens geht es um eine Änderung der Informationspflicht für Betreiber kerntechnischer Anlagen. Diese werden künftig verpflichtet, die Öffentlichkeit über Betrieb und gegebenenfalls Störfälle in enger Abstimmung mit den Behörden zu informieren. Das bringt mehr Transparenz, und es ist immerhin ein Fortschritt. (Beifall bei der SPD) Zweitens wird mit dem Gesetz unmissverständlich klargestellt, dass die Verantwortung der Betreiber für die nukleare Sicherheit auch dessen Auftragnehmer und die Unterauftragnehmer einschließt; auch ein Subunternehmer muss also zukünftig Personal angemessen einsetzen, wenn er dort arbeitet. Drittens enthält das Gesetz Vorgaben zu den europarechtlich vorgeschriebenen Peer Reviews für kerntechnische Anlagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Anpassung machen wir, wenn auch in kleinen Schritten, den Restbetrieb der Kernkraftwerke ein Stück sicherer. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Wir haben in unserem Land die Atomkraft genutzt. Jetzt geht es darum, in den nächsten Jahren möglichst alle Sicherheitsrisiken auszuschließen und für einen geregelten Ab- und Rückbau sowie für ein sicheres Endlager zu sorgen. Wir haben in der letzten Woche das Standortauswahlgesetz beschlossen. Die Suche nach einem Endlager wird neu gestartet. In den vergangenen Monaten haben wir auch die Frage nach den Kosten für Rückbau und Endlagerung geregelt, und wir haben ein Abwälzen der Kosten auf die Allgemeinheit weitestgehend verhindert. Wir von der SPD hätten uns in mancherlei Hinsicht mehr und Besseres gewünscht. Aber das, was wir trotzdem in dieser Koalition in Sachen Atomausstieg und Abwicklung erreicht haben, kann sich durchaus sehen lassen – (Beifall bei der SPD) auch wenn dieser Export von Brennstäben nach Belgien die Bilanz jetzt nicht verbessert. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man so sagen!) Es ist nicht wünschenswert, dass so etwas passiert; es passt auch nicht zu unserem Atomausstieg. Aber die Rechtslage lässt eben nicht immer das zu, was politisch wünschenswert ist. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es gibt Leute, die sehen die Rechtslage anders! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht die Verpflichtung zu solchen Brennstäbelieferungen? Wo steht denn das?) Und dass die Regierung sich an Recht und Gesetz hält, das wollen wir doch wohl alle hier. (Beifall bei der SPD) Weil es so ist, konnte die Umweltministerin den Export eben auch nicht verhindern. Da ich Barbara Hendricks nun schon erwähnt habe: Die Umweltministerin hat sich vehement dafür eingesetzt, dass die Schrottreaktoren in Belgien abgeschaltet werden; (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Vehement“? Sie liefert jetzt die Brennstäbe hinterher!) alle zur Verfügung stehenden Mittel hat sie ausgeschöpft. Es ist doch so: Wir wollen doch auch nicht, dass unsere europäischen Nachbarn uns in die Energiewende reinquatschen. Hier gibt es Grenzen für den Einfluss. Das müssen wir leider zur Kenntnis nehmen, auch wenn uns das nicht gefällt. Ich möchte Barbara Hendricks dafür danken, dass sie sich so vehement dafür eingesetzt hat. (Beifall bei der SPD) Damit bin ich schon am Ende und wünsche einen schönen Abend und eine gute Nacht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ja, aber ich bitte, noch ein bisschen wach zu bleiben, bis wir alle Abstimmungen durchgeführt haben. – Die Aussprache ist beendet. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11659, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11276 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 29 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Sicherheit hat Vorrang – Ohne Stand von Wissenschaft und Technik keine Inbetriebnahme von Schacht Konrad“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11690, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6773 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren für die elektronische Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr über das Zentrale Meldeportal des Bundes und zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes Drucksache 18/11292 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11703 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.15 Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11703, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11292 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung Drucksache 18/11288 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/11666 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden.16 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11666, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11288 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland Drucksache 18/11280 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) Drucksache 18/11665 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.17 Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11665, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11280 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes Drucksache 18/11627 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden, Ihr Einverständnis vorausgesetzt.18 Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/11627 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es von Ihrer Seite aus dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 31. März 2017, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Restabend. (Schluss: 23.37 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 30.03.2017 Barthle, Norbert CDU/CSU 30.03.2017 Böhmer, Dr. Maria CDU/CSU 30.03.2017 Buchholz, Christine DIE LINKE 30.03.2017 Bülow, Marco SPD 30.03.2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 30.03.2017 Flisek, Christian SPD 30.03.2017 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 30.03.2017 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 30.03.2017 Gohlke, Nicole DIE LINKE 30.03.2017 Gröhe, Hermann CDU/CSU 30.03.2017 Gunkel, Wolfgang SPD 30.03.2017 Hajek, Rainer CDU/CSU 30.03.2017 Hardt, Jürgen CDU/CSU 30.03.2017 Heller, Uda CDU/CSU 30.03.2017 Huber, Charles M. CDU/CSU 30.03.2017 Hüppe, Hubert CDU/CSU 30.03.2017 Jung, Andreas CDU/CSU 30.03.2017 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 30.03.2017 Krüger, Dr. Hans-Ulrich SPD 30.03.2017 Merkel, Dr. Angela CDU/CSU 30.03.2017 Möhring, Cornelia DIE LINKE 30.03.2017 Mosblech, Volker CDU/CSU 30.03.2017 Nahles, Andrea SPD 30.03.2017 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 30.03.2017 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 30.03.2017 Rüthrich, Susann * SPD 30.03.2017 Schipanski, Tankred CDU/CSU 30.03.2017 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 30.03.2017 Schmidt (Ühlingen), Gabriele CDU/CSU 30.03.2017 Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 30.03.2017 Stauche, Carola CDU/CSU 30.03.2017 Strebl, Matthäus CDU/CSU 30.03.2017 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 30.03.2017 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 30.03.2017 Wöllert, Birgit DIE LINKE 30.03.2017 Woltmann, Barbara CDU/CSU 30.03.2017 Zech, Tobias CDU/CSU 30.03.2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen (Schienenlärmschutzgesetz – SchlärmschG) (Tagesordnungspunkt 5) Dem Entwurf eines Gesetzes zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen werde ich zustimmen. Wir setzen damit ein – besonders für meinen Wahlkreis – wichtiges Projekt des Koalitionsvertrages um. Die Anwohner im Mittelrheintal leiden seit vielen Jahren unter Schienenlärm, der insbesondere von Güterwagen verursacht wird. Der Deutsche Bundestag hat bereits in erheblichem Umfang finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um innovative Methoden des Lärmschutzes, angepasst an die besondere Topographie der Region, zu entwickeln und in der Praxis zu erproben. Mit dem nunmehr vorliegenden Gesetz fügen wir dem Lärmschutzkonzept für das Mittelrheintal einen weiteren, wichtigen Baustein hinzu. Ab dem Fahrplanwechsel am 13. Dezember 2020 wird ein Schallemissionswert festgelegt, den nur leise Güterwagen einhalten können bzw. laute Güterwagen nur dann, wenn sie mit deutlich reduzierter Geschwindigkeit fahren. Damit wird es wesentlich leiser auf den deutschen Schienenwegen. Der Betrieb lauter Güterzüge auf dem deutschen Schienennetz ist dann nur noch in Ausnahmefällen möglich. Diese Ausnahmefälle sind so konstruiert, dass sie den Betrieb lauter Güterwagen wirtschaftlich unattraktiv machen und somit einen weiteren Anreiz zur Umrüstung oder Ausmusterung darstellen. Ergänzend hierzu fördert der Bund schon heute die Umrüstung der Güterwagen auf lärmmindernde Bremstechnik. Natürlich dürfen wir in unseren Bemühungen um Lärmreduzierung jetzt nicht nachlassen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen mit den technischen Neuerungen Schritt halten. Dies bleibt eine Daueraufgabe – gerade zum Wohl der Menschen im Mittelrheintal. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen (Tagesordnungspunkt 12 a) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Der Deutsche Bundestag stimmt heute über den Entwurf des Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen ab. Ich stimme mit meiner Fraktion für den Gesetzentwurf der Bundesregierung und gegen die Anträge von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Linken. Immer noch verdienen Frauen im Durchschnitt 21 Prozent weniger als Männer. Auch wenn man herausrechnet, dass sie häufiger in Teilzeit arbeiten, seltener in Führungspositionen aufsteigen oder eher in sozialen Berufen mit geringeren Verdiensten tätig sind, verbleibt eine Lücke von durchschnittlich 7 Prozent. Wir haben uns bereits in der letzten Legislaturperiode unter anderem mit einem detaillierten Gesetzentwurf für die Beseitigung dieser Entgeltlücke eingesetzt und die Verabschiedung eines Gesetzes zur Lohngerechtigkeit 2013 zu Beginn dieser Wahlperiode im Koalitionsvertrag mit der Union vereinbart. Im Dezember 2015 hat das Bundesfamilienministerium dazu einen wirksamen Gesetzesentwurf vorgelegt, der von der Union fast ein Jahr lang blockiert wurde. Ich freue mich, dass es uns nun gelungen ist, die Union vor dem Ende der Wahlperiode mit einem verschlankten Entwurf zum Einlenken zu bewegen und das Entgeltgleichheitsgesetz doch noch zu verabschieden. Sicherlich hätten wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, genauso wie Gewerkschaften und Frauenverbände, mehr gewünscht. Vorgaben, wie zum Beispiel ein Verbandsklagerecht oder Verpflichtungen zur Entgeltgleichheit für Unternehmen mit unter 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, halte auch ich für sinnvoll. Jedoch sehe ich im aktuellen Gesetzesentwurf einen ersten zentralen Schritt zu mehr Lohngerechtigkeit, der die Diskussion voranbringen wird und der auch einige Chancen bietet. Denn wir sorgen dafür, dass in Deutschland durch das Gesetz mehr über „das Gehalt“ gesprochen wird und die Höhe des Verdienstes nicht mehr länger als Tabu gelten kann. Damit unterstützen wir das Ziel, zu Lohngleichheit bei gleicher und gleichwertiger Arbeit zwischen Männern und Frauen zu kommen. Hinzu kommt, dass Unternehmen nun die Möglichkeit haben, vorne mit dabei zu sein und bestehende Diskriminierungen offensiv zu beheben. Damit kann Lohngerechtigkeit in Zukunft zu einem wichtigen Argument für Betriebe im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte werden. Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) (CDU/CSU): Ich lehne das „Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen“ ab. Der Beweis, dass die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen systematisch auf eine Diskriminierung von Frauen zurückzuführen ist, wurde nicht erbracht. Auch in der in diesem Zusammenhang oft zitierten Studie des Statistischen Bundesamtes (2006) wird darauf hingewiesen, dass auch die bereinigte Lohndifferenz nicht mit einer erwiesenen Diskriminierung gleichzusetzen ist. Unbezahlte Überstunden etwa, die in Deutschland nach einer Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (2012) mehr als doppelt so oft von Männern wie von Frauen geleistet werden, werden in keiner der einschlägigen Studien berücksichtigt. Man kann die Lohnlücke darauf zurückführen, dass Frauen „in traditionellen Rollenbildern verharren“, „gläserne Decken nicht durchstoßen können“ oder in die „Teilzeitfalle gedrängt“ werden. Ich hingegen gehe davon aus, dass Menschen in ihrem Leben Entscheidungen treffen, darüber, welchen Beruf sie ergreifen, welches Gewicht sie der Karriere einräumen und wie viel Zeit sie für ihre Familie haben möchten. Diese Entscheidungen, mit allen ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen, hat der Staat nicht zu bewerten. Erst recht ist es nicht Aufgabe des Staates, den Versuch zu unternehmen, Menschen umzuerziehen, damit sich männliche und weibliche Biografien möglichst angleichen. Denn nur dann, wenn Männer und Frauen sich in der Wahl ihrer Ausbildungen und Studienfächer, in der Länge ihrer beruflichen Auszeiten nach der Geburt eines Kindes, ihrer Bereitschaft, Teilzeit zu arbeiten, Unternehmen zu gründen und unbezahlte Überstunden zu leisten, nicht mehr unterscheiden, wird sich rechnerisch keine Lohndifferenz mehr zwischen Frauen und Männern ergeben.    Der vorliegende Gesetzentwurf zielt im Kern auf eine Angleichung männlicher und weiblicher Biografien ab. Er trägt dies auf dem Rücken von Unternehmen aus, die unter den Generalverdacht gestellt werden, ihre Mitarbeiterinnen grundlos schlechter zu entlohnen als ihre Mitarbeiter. Dass daran irgendetwas nicht stimmen kann, zeigt schon eine schlichte ökonomische Betrachtung: Wenn wirklich Frauen in Deutschland für die gleiche Arbeit bei gleicher Ausbildung, gleicher Erfahrung und gleichem Arbeitseinsatz sechs Prozent weniger Gehalt bekämen, warum kommen dann nicht mehr Unternehmen auf die Idee, ausschließlich Frauen einzustellen, um so sechs Prozent Lohnkosten zu sparen? Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Potsdam), Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Beteiligung des Bundes am Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam (Tagesordnungspunkt 21) Rüdiger Kruse (CDU/CSU): „Ja! Wir werden Türme haben, zum Beispiel einen Turm fürs Rathaus, einen Turm fürs Kulturhaus. Andere Türme können wir in der sozialistischen Stadt nicht gebrauchen“, so hat der SED-Chef Walter Ulbricht seine städtebaulichen Vorstellungen 1953 zum Ausdruck gebracht. Und das SED-Regime wurde dieser Ansage gerecht. Zwischen 1949 und 1985 wurden auf dem Gebiet der DDR ungefähr 50 Kirchen abgerissen oder gesprengt. Nach Einschätzung von Fachleuten hätten die meisten Kirchen gerettet werden können. Das Schicksal traf auch die Garnisonkirche von Potsdam. Walter Ulbricht hatte sich am 22. Juli 1967 vor einer Wahlkundgebung in Potsdam die Stadt angeschaut und beschlossen, dass der Turm der Garnisonkirche entfernt werden soll. Im Protokoll seines Besuches kann man seinen Satz lesen: „Die Ruine der Garnisonkirche kann man auch auf der Fotografie zeigen und sie verkaufen als Postkarten für Ausländer.“ Auch die Zeit der Sprengung – Sonntagvormittag um 10 Uhr – wurde bewusst auf die Zeit gesetzt, wo jede Woche traditionell die Gemeinde zum Gottesdienst zusammenkam. Bei mehreren anderen Kirchensprengungen verlief das nach gleichem Muster. Die Garnisonkirche von Potsdam ist kein Bau mit einer einfachen Geschichte gewesen. Sie war mit der Zeit des preußischen Militarismus und noch mehr mit der des Nationalsozialismus bedauerlich eng verbunden. Sollten die Gebäude aber dafür haften, was in ihnen passiert ist, würden wir wegen des dann notwendigen Abreißens unsere Städte nicht wiedererkennen. Doch dem ist nicht so. Wir haben vielmehr die Möglichkeit, durch das Erhaltene oder auch das Wiederaufgebaute nicht zu vergessen und daraus zu lernen. Diejenigen, die sagen, dass auch Bronzetafeln diesen Zweck erfüllen können, müssen sich fragen lassen: Wie wenig lebendig ist denn die Erinnerung durch eine Tafel im Vergleich zu einem Kirchenturmbau mit einer Kapelle, unter dessen Dach Aufarbeitung stattfindet und Versöhnung an Kraft gewinnt? Nur wer sich eigener Geschichte stellt, kann versöhnt in die Zukunft blicken. Oft wird dies auf die Aufarbeitung der großen tragischen Kriegsereignisse des 20. Jahrhunderts bezogen. Und es stimmt auch. Allerdings gilt es auch für jeden einzelnen Menschen, in dessen Inneren nicht immer nur das Gute waltet. Die wiederaufgebaute Garnisonkirche wird insofern nicht nur ein Erinnerungsort sein, sondern auch als Besinnungsort dienen können. Denn Versöhnung zwischen den Völkern steht und fällt mit der Fähigkeit zu friedvoller Verständigung ihrer einzelnen Glieder – der einzelnen Menschen. Auch für die Linkspartei bietet die Garnisonkirche die Chance, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen und diese anzunehmen. Hier sehe ich die versöhnliche Rolle der wiederaufzubauenden Garnisonkirche. Der Erfolg des Projektes wird nicht daran gemessen, ob die letzte Barockverzierung ihren Platz an der Fassade findet, sondern daran, ob hier Menschen zueinanderfinden werden und sich aufrichtig der Geschichte stellen. Der Turm der Garnisonkirche wird auch in der finanziell kleineren Variante mit allen Räumlichkeiten und Aussichtsplattform nutzbar sein. Die inhaltliche Arbeit wird unabhängig von der Fassadengestaltung vollständig und ohne Einschränkungen stattfinden können. Daher war es richtig, dass wir hier im Deutschen Bundestag vor einigen Wochen die Unterstützung für das Projekt signalisiert haben. Dies war das entscheidende Signal, das den Start dieses wichtigen Bauvorhabens demnächst ermöglicht. Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Es ist eine wirklich schöne Nachricht, dass der Turm der Garnisonkirche in Potsdam nun wieder errichtet wird. So sehr ich es begrüße, dass wir uns im Deutschen Bundestag mit dem Thema noch einmal befassen, so sehr bedaure ich, dass die Linkspartei weiterhin gegen dieses Projekt kämpft. Ich registriere zwar, dass sich der Tonfall in den Reihen der Linkspartei insgesamt gemäßigt hat, aber dies ändert am Grundsätzlichen leider nichts. Die Linkspartei verpasst – mal wieder – die Gelegenheit, ein Zeichen der Versöhnung zu senden. Sie ist und bleibt die Partei der Spaltung, sei es in Potsdam oder anderswo. Hauptziel des Wiederaufbaus des Turms der Garnisonkirche ist die Wiederherstellung eines barocken, stadtprägenden kirchlichen Prunkstücks, dessen kulturelle Bedeutung weit über Potsdam hinausreicht. Und da hat sich die Diskussion in Potsdam doch stark beruhigt. Der Landtag arbeitet im wiedererstandenen Schloss, das Interhotel kann weiterhin mit schönstem Blick, in bester Innenstadtlage und mit Geschichten aus der alten Zeit Gäste beherbergen, und sogar das Rechenzentrum mit seiner sozialistischen Kitschkunst hat seinen Platz neben dem Kirchturm. Darüber hinaus geht es auch um die Wiederbelebung einer ehemals aktiven christlichen Gemeinde, ein nicht zu unterschätzender Punkt. Deshalb hat das Projekt ja eine so breite Zustimmung innerhalb der EKD, trotz des lautstarken Protests einer kleinen innerkirchlichen Minderheit. In den Kirchen der Reformation lebt eben eine tief demokratische Tradition. Und auch die Diskussion um den geschichtlichen Symbolismus hat sich doch stark versachlicht. Hier muss insbesondere die Wiederaufbauinitiative ausdrücklich gelobt werden: Die problematischen Kapitel der Kirche – Stichwort „Tag von Potsdam“ oder „preußische Militärkirche“ – werden offensiv und damit nachhaltig aufgegriffen. Eigentlich könnten wir uns alle sehr einvernehmlich hinter dieses Projekt stellen. Aber das scheint ja leider für die Linkspartei keine Option zu sein. Stattdessen führt sie wie die anderen verbliebenen Gegner des Projekts bewusst oder unbewusst das Werk der SED fort. Die Sprengung des nur mittelmäßig beschädigten markanten Kirchturms und die Beseitigung einer aktiven Gemeinde – es gab eine Kapelle – war und ist durch nichts zu rechtfertigen. Und es ging nicht nur um die Garnisonkirche, sondern um die Bekämpfung des religiösen Lebens und religiöser Bauten in Ostdeutschland insgesamt. Das war damals das Ziel der Kampagne von Walter Ulbricht und der SED, dem neben der Garnisonkirche Potsdam viele weitere Kirchen in Ostdeutschland zum Opfer fielen. In Summe waren es bis 1968 satte 50 Gebäude, darunter die vollkommen intakte Universitätskirche Leipzig, die Ulrichskirche in Magdeburg oder die Gnadenkirche Berlin. Dieses Vorgehen reihte sich ein in die Unterdrückung der Jungen Gemeinden in den ersten Jahrzehnten der DDR und der schulischen, beruflichen und akademischen Benachteiligung von getauften Kindern, insbesondere von Kindern aus Pfarrerfamilien. Es ist für mich schon eine ganz bittere Ironie, dass eine geschichtsvergessene Enkelgeneration mit überbordendem Selbstbewusstsein den ideologischen Feldzug ihrer Funktionärsgroßeltern weiterführt. Um versöhnlich zu enden: Auf der exzellenten und sehr sachlichen Webseite Kirchensprengung.de von Dr. Tobias Köppe aus Magdeburg, einem plastischen Chirurgen und Vorsitzenden des Kuratoriums Ulrichskirche Magdeburg, werden die ganzen großen und kleinen Barbareien der SED-Kampagne aufgelistet. An einigen zentralen Punkten hat es schon versöhnende Neuanfänge geben; prominentestes Beispiel ist der Kompromiss bei der Universitätskirche in Leipzig. Der Wiederaufbau des Garnisonkirchenturms in Potsdam reiht sich in diese positive Geschichte ein. Darüber freue ich mich sehr. Johannes Kahrs (SPD): März 2017: Ein amerikanischer Präsident verweigert der deutschen Bundeskanzlerin den Handschlag vor laufenden Kameras – ein sehr ungewöhnlicher, unhöflicher und symbolträchtiger Vorgang. März 1933: Ein deutscher Präsident reicht dem deutschen Reichskanzler Adolf Hitler auf den Stufen der Garnisonkirche die Hand – ein Bild wird zum Symbol. Beide Vorgänge stehen selbstredend in keinem politischen oder zeitlichen Zusammenhang, verraten uns aber viel über die Macht der Bilder, und sie verdeutlichen, wie Bilder instrumentalisiert werden können. Leider entstand kein Bild im März des Jahres 1809, als in Potsdam der erste freigewählte Magistrat zusammentrat und im selben Jahr in der Potsdamer Garnisonkirche feierlich vereidigt wurde – ein historischer Moment für die Stadt Potsdam und dennoch weitestgehend vergessen. Die Linke ist offenbar der Meinung – anders erklärt sich ihr Antrag nicht –, dass wir der Geschichtsklitterung der Nationalsozialisten, die sich um den sogenannten „Tag von Potsdam“ rangt, nichts entgegenzusetzen haben. Dieser Meinung bin ich explizit nicht. Die Potsdamer Garnisonkirche ist weit mehr als das Symbol, das die Nationalsozialisten daraus gern machen wollten, und ich weigere mich, ihnen darin die Deutungshoheit zu überlassen. Die Kirche gilt als der bedeutendste Sakralbau des barocken Preußens und war das Wahrzeichen Potsdams. Sie prägte das Stadtbild. Sie ist Motor für jahrelanges bürgerschaftliches Engagement und nicht zuletzt für kontroverse Debatten, von denen unsere Demokratie ja bekanntlich lebt. Ich glaube, dass es deshalb wichtig und richtig ist, die Kirche wieder aufzubauen. Einer der prominentesten Unterstützer des Wiederaufbaus, Günther Jauch, sagte, man brauche diese „authentischen Orte, um uns an die Vielschichtigkeit unserer Geschichte zu erinnern und unsere Lehren daraus zu ziehen ... Dort, wo nichts mehr steht, wird auch nach nichts gefragt.“ Und er hat recht. Denn es gibt ja einen guten Grund, warum wir selbst die ultimativsten Orte des Bösen, die Konzentrationslager der Nazis, als Gedenkstätten erhalten haben. Sie sind Teil unserer Geschichte, und die darf nicht in Vergessenheit geraten. Und wenn das wahr ist, dann gilt das mindestens genauso für Orte, die die Nazis für sich vereinnahmen wollten, obwohl deren Geschichte in Wahrheit weit mehr ist. Deshalb ist es richtig, dass mit dem Wiederaufbau der Kirche ein Ort für Frieden und Versöhnung geschaffen werden soll, der die vielschichtige Vergangenheit des Ortes nicht leugnet, sondern sie richtig einordnet. Der Stiftung „Garnisonkirche“ wurden 12 Millionen Euro des Bundes zugesagt, wenn die restlichen Mittel für den Wiederaufbau des Turms durch Spenden gesichert seien. Nach Informationen der Stiftung betragen die Spenden nach heutigem Stand 9,1 Millionen Euro. Weitere 5 Millionen Euro sollen durch ein zinsfreies Darlehen der evangelischen Kirche bereitgestellt werden. Die Stiftung bittet den Bund nun, für 26,1 Millionen Euro zunächst eine reduzierte Version des Turms bauen zu dürfen. Damit verbindet sich die berechtigte Hoffnung, dass das Spendenaufkommen weiter steigt, sobald für die Menschen etwas Greifbares zu sehen ist. In einer zweiten Stufe könnte dann der Turm inklusive Turmhaube, Glocken, Glockenspiel und einem Teil der Schmuckfassade wiederhergestellt werden. Die zuständigen Berichterstatter der Koalition haben dem zugestimmt. Sie haben aber auch klargestellt, dass der Bund sich an der zweiten Bauphase nicht noch einmal beteiligen wird. Die Bundesbeauftrage für Kultur und Medien hat die Aufgabe, den Bau zu begleiten, und ich habe Vertrauen darin, dass das Projekt in Kooperation mit der Stadt Potsdam und der Stiftung „Garnisonkirche“ zu einem guten Ende geführt wird. Hiltrud Lotze (SPD): Die Garnisonkirche blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Berühmte Preußenkönige wurden in der Gruft der Garnisonkirche beigesetzt; berühmte Musiker wie Johann Sebastian Bach spielten in der Kirche auf der Orgel. Auch Demokratiefeinden hat die Garnisonkirche immer wieder eine Bühne geboten. Bereits in der Weimarer Republik war sie Kundgebungsort für rechtsgerichtete Organisationen. Im Nationalsozialismus avancierte die Kirche zu einer der wichtigsten Stätten der Nazis, insbesondere am „Tag von Potsdam“. 1945 wurde die Kirche dann durch Bombenangriffe schwer beschädigt und in der DDR endgültig gesprengt. Dass die Garnisonkirche bis 1945 vor allem für Militarismus und Demokratiefeindlichkeit stand, ist unumstritten. Die Garnisonkirche aufzubauen, ohne daran zu erinnern, ist ausgeschlossen. Da gebe ich der Linken recht. Die Linke schreibt jedoch in ihrem Antrag, der Wiederaufbau der Garnisonkirche sei ein falsches politisches Signal. Das sehe ich anders. Nach dieser Logik hätte man auch das Brandenburger Tor nach dem Zweiten Weltkrieg nicht instand setzen dürfen. Es ist ja nicht das Bauwerk an sich, das verantwortlich ist für die nationalsozialistische Vereinnahmung, sondern es sind die dort handelnden Akteure und ihre Taten. Deswegen kommt es heute darauf an, welches Konzept hinter dem Wiederaufbau steht. Eine unkritische Rekonstruktion des Vergangenen darf es nicht geben. Darum geht es der Stiftung „Garnisonkirche Potsdam“ aber auch nicht. Das haben mir Gespräche gezeigt. Die Stiftung leugnet die Vergangenheit nicht, sondern greift sie auf. Die wiederaufgebaute Garnisonkirche plant sie als Zentrum für Frieden und Versöhnung. Sie soll eine Bürgerkirche und ein offener Ort für alle Menschen in Potsdam sein. Das spiegeln auch die offene Bauweise wider und die Pläne für die Aussichtsplattform. Es gibt noch einen weiteren Punkt, weswegen der Wiederaufbau unterstützenswert ist: Die Garnisonkirche war einer der schönsten barocken Kirchenbauten aus der Zeit Preußens. Städtebaulich und architektonisch würde die Garnisonkirche die historische Mitte Potsdams hervorragend ergänzen. Mittlerweile ist auch die Finanzierung geklärt. Die Variante mit der reduzierten Version des Turmes ist eine gute Lösung. Die Haushälter haben die BKM darum gebeten, auch in Zukunft auf dem aktuellen Stand der Finanzierung gehalten zu werden. Sie werden also weiterhin ein Auge auf dieses Projekt haben. Das gilt auch für uns Kulturpolitiker. Die Garnisonkirche ist kein „normales“ Wiederaufbauprojekt. Wir als SPD stehen zu der Förderung durch den Bund. Aber die ist an Bedingungen geknüpft, und dazu gehört für mich der kritische Umgang mit der Geschichte. Ich werde das Projekt dementsprechend weiter begleiten. Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Wie kaum ein anderes Bauwerk stand die Potsdamer Garnisonkirche für den preußischen und deutschen Militarismus und Nationalismus. Sie war die Hof- und Militärkirche Preußens. Militärs ließen hier ihre Kriegszüge segnen und feierten anschließend eben hier ihre Siege. So war die Garnisonkirche Symbol der militärischen Stärke und des Herrschaftsanspruches Preußens. Auch im Ersten Weltkrieg wurde hier in Predigten und Gebeten zum Krieg aufgerufen, und die ins Feld ziehenden Soldaten wurden hier gesegnet. So ist es kaum verwunderlich, dass sich die Garnisonkirche in der Zwischenkriegszeit schnell zum Pilgerort all jener deutschnationalen, revisionistischen und reaktionären Kräfte entwickelte, die vor allem eines im Sinn hatten: die schnellstmögliche Beseitigung der Weimarer Republik. Der sogenannte „Tag von Potsdam“, der mit dem öffentlichen Schulterschluss zwischen konservativen Eliten und Nationalsozialisten das Ende der Weimarer Republik besiegelte, war da nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Festzuhalten ist: Die Potsdamer Garnisonkirche stand wie kaum ein anderes Gebäude für die lange Traditionslinie des preußisch-deutschen Militarismus und Nationalismus, die letztendlich in den unvergleichlichen Verbrechen des Zweiten Weltkrieges mündete. Und festzuhalten ist auch: Eine neuaufgebaute Kopie der Potsdamer Garnisonkirche würde genauso für ebenjene unsägliche Traditionslinie stehen. Da ist es ganz egal, ob in diesem Gebäude dann auch ein sogenanntes Versöhnungszentrum Platz findet oder nicht. Der Bau der Garnisonkirchenkopie wäre aber nicht nur unter historischen Gesichtspunkten ein riesiger Fehler, auch aus städtebaulicher Sicht würde mit dem Baubeginn ein großes Risiko eingegangen werden. Wenn vom „Wiederaufbau der Garnisonkirche“ gesprochen wird, meint dies ja schon lange nicht mehr den Nachbau der kompletten Kirche. Schließlich wissen auch die Befürworter und Befürworterinnen, dass es völlig aussichtlos ist, die finanziellen Mittel für die gesamte Kirche inklusive Schiff zusammenzubekommen. Stattdessen geht es nur noch um den Bau des Turms. Da es aber offenbar schwierig ist, selbst hierfür die entsprechenden Gelder zu akquirieren, will die Garnisonkirchenstiftung zunächst mit dem Bau des Turmrumpfes ohne Zierrat und Turmhaube beginnen, und das, obwohl der Bau auf wundersame Weise in den langen Jahren der Planung nach Angaben der Stiftung immer billiger geworden ist und sich dabei die anvisierte Bauzeit auch noch ständig verkürzt hat. Ich möchte, wenn ich mir andere Bauprojekte so anschaue, ja schon fast von einem Hauch göttlichen Segens für die Garnisonkirchenkopie sprechen. Nun Spaß beiseite: Tatsächlich setzen die Befürworterinnen und Befürworter vor allem auf eines: auf Spekulation, die Spekulation nämlich, die restlichen Gelder für den Bau des gesamten Turmes würden im Laufe des Baugeschehens schon noch irgendwie zusammenkommen. Was hierdurch droht, ist offensichtlich: eine riesige Bauruine mitten in Potsdams Zentrum. Wenn der Bund nun tatsächlich 12 Millionen Euro für die Garnisonkirchenkopie bereitstellen sollte, dann ist das erinnerungs- und geschichtspolitisch also nicht nur völlig daneben, sondern auch noch aus städtebaulichen sowie haushalterischen Erwägungen im höchsten Maße unvernünftig. Daher werbe ich für die Zustimmung für unseren Antrag. Lassen Sie uns das Kapitel Garnisonkirche ein für alle Mal beenden! Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Stadt trifft Kirche“ ist das Motto des Potsdamer Beitrags zum Reformationsjubiläum. Auf eine Potsdamer Kirche – und um die geht es hier heute Abend – trifft das Motto aber leider nicht so ganz zu: die Potsdamer Garnisionkirche bzw. das, was davon noch übrig ist. Hier müsste das Motto eher heißen: Stadt streitet über Kirche. In der einstigen Hof- und Militärkirche Preußens fand am 21. März 1933 – nach dem Reichstagsbrand –, begleitet von Protesten der Kirchenleitung, der Festakt zur konstituierenden Sitzung des Reichstages statt. Den dortigen Handschlag Adolf Hiltlers mit dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg nutzten die Nationalsozialisten, um das Ereignis zum „Tag von Potsdam“ zu überhöhen, was wiederum in der DDR dazu genutzt wurde, die Kirche als angebliches Symbol des deutschen Militarismus sprengen zu lassen. Ob die Kirchengemeinde nach 1933 besonders rechts und linientreu gewesen ist, darüber gibt es unterschiedliche Quellen. Und daher halte ich auch den Feststellungsteil des Linkenantrags, über den wir hier heute abstimmen, für sachlich nicht angemessen. In anderen Potsdamer Kirchen soll im Gegensatz zur Garnisonkirche „Mein Kampf“ auf dem Altar neben der Bibel gelegen haben. Mit dem NS-Regime verbundene Pfarrer sollen sich eher über die mangelnde Linientreue innerhalb der Garnisonkirchengemeinde beschwert haben. Adolf Hitler war zwei Stunden in der Garnisonkirche. Aus der gleichen Kirchgemeinde sind aber mehr als zwanzig Männer und Frauen hingerichtet worden, weil sie gegen Hitler waren. Was meine Fraktion und ich aber definitiv unterstützen, ist die Forderung des Linkenantrags, dass der Bund sich nicht finanziell an dem Wiederaufbau beteiligen soll. Wir werden daher trotz einiger für uns kritischer Formulierungen im Feststellungsteil dem Antrag der Linken insgesamt zustimmen. Einer privaten Aufbauinitiative, die sich kritisch der Geschichte des Bauwerks stellt, stehen wir nicht im Wege. Aber wir sehen keine Veranlassung zu öffentlicher Förderung in Millionenhöhe von einem Streitobjekt, zumal Potsdam weder einen Mangel an Kirchen noch an historischen Bauwerken hat und die Stiftung Garnisonkirche 2008 zu Beginn ihrer Arbeit für den Wiederaufbau versicherte, ausschließlich Spendengelder für den Wiederaufbau einzuwerben. In diesem Sinne kann ich nur an die Worte des ehemaligen obersten Brandenburgischen Denkmalschützers Detlef Karg erinnern, der im Februar 2012 zu dem geplanten Bau sagte, es sei „nicht Aufgabe der Denkmalpflege, einen verlorenen Bau wieder aufzurichten. … Wenn man in Potsdam am alten Standort eine Kirche bauen will, kann man das auch in der heutigen Architektursprache tun.“ Er verwies in seiner Kritik, an die Adresse der Evangelischen Kirche gerichtet, insbesondere darauf, dass im Land Brandenburg 1 164 Dorfkirchen und 700 Stadtpfarrkirchen in ihrer Bausubstanz ernsthaft gefährdet seien. Ich habe etliche dieser Dorfkirchen besucht und bin überzeugt, dass ihr Erhalt für das Gemeinwohl weitaus wichtiger wäre. Was diesen lokalen Kirchenneubau gegenüber anderen Projekten so national bedeutsam macht, dass dafür Millionenbeträge aus dem Kulturhaushalt des Bundes bereitgestellt werden, ist meiner Fraktion jedenfalls verschlossen geblieben. Wir könnten viele andere Kulturprojekte nennen, die das Geld aus unserer Sicht dringender bräuchten. An anderer Stelle im Land Brandenburg wie zum Beispiel in Frankfurt/Oder kann die dortige Kommune die für die Sanierung ihrer Konzerthalle notwendigen 5,2 Millionen Euro einfach nicht aufbringen. Dabei ist sie die Spielstätte des international anerkannten Brandenburgischen Staatsorchesters und die ehemalige Kirche des 1270 errichteten früheren Franziskanerklosters. Unsere Ablehnung der öffentlichen Förderung bedeutet jedoch nicht, dass wir das Anliegen der Nagelkreuzgemeinschaft, wovon das Garnisonkirchen-Projekt seit 2004 Mitglied ist, nicht auch als Grüne teilen würden. Die Ziele der weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft lauten neben der Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg: Wunden der Geschichte heilen, mit Verschiedenheiten leben und die Vielfalt feiern, an einer Kultur des Friedens bauen. Allein in Deutschland sind das 63 Orte in 49 Städten. Aus unserer Sicht muss sich das Neubauprojekt dann aber auch kritisch mit der militärisch geprägten Geschichte des Bauwerks auseinandersetzen und einen klaren Schnitt vollziehen. Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung, formulierte treffend, dass „das Projekt zum Wiederaufbau der Kirche nur dann seine Realisierungschance wird nutzen können, wenn es die feine Trennlinie zwischen Mythos und Erinnerungsort nicht überschreitet und immer wieder deutlich macht, dass es darum geht, das Zeugnis der Vergangenheit zu restaurieren, nicht aber die Vergangenheit selbst“. Ob diese Trennlinie tatsächlich gewahrt wird, da haben wir bisher jedoch Zweifel. Warum ist in der Bauplanung das Nagelkreuz von Coventry als Versöhnungszeichen von der alten Wetterfahne mit preußischem Adler und anderen Herrscherinsignien verdrängt worden? Warum wurde das „Internationale Versöhnungszentrum“ aus dem Nutzungskonzept gestrichen? Auch ein ausgearbeitetes inhaltliches Konzept zur geplanten Versöhnungsarbeit ist nicht bekannt. Als Nagelkreuzgemeinde darf der Kirchenneubau aus unserer Sicht zudem nicht wieder zum Ort für Soldatensegnungen werden; denn dann bestünde eine Kontinuität zum Vorgängerbau aus Kaiserzeiten, die wir alle nicht wollen. Viele Christen könnten die Kirche dann zu Recht nicht als die ihre betrachten. Soldaten als Einzelpersonen und in Zivil sollten willkommen sein, aber keine militärischen Formationen. Die Tatsache, dass auch dies alles nicht geklärt ist, unterstreicht für uns, wie falsch es ist, nun öffentliche Gelder fließen zu lassen. Doch die Stiftung steht unter Druck: Da die Baugenehmigung für den Turm Ende 2018 abläuft, muss das Bauwerk nach brandenburgischem Baurecht spätestens ein Jahr später fertiggestellt sein. Ob diese Kirche so die Stadt trifft, ist mehr als fraglich. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines zweiten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Gerhard Schick, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Delegierte Verordnung der Kommission zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Anwendung von Positionslimits für Warenderivate K(2016)4362 endg.; Ratsdok. 15163/16 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 8 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Nahrungsmittelspekulationen stoppen – Kommissionsvorschlag zurückweisen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum Schutz von Verbraucherinteressen stärken (Tagesordnungspunkt 22 a bis c) Matthias Hauer (CDU/CSU): Mit der abschließenden Beratung des Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes verankern wir die Finanzmarktrichtlinie MiFID II, die dazugehörige Verordnung MiFIR sowie weitere europäische Rechtsakte – die SFT-Verordnung und die Benchmark-Verordnung – im deutschen Recht. Bei den europäischen Vorgaben handelt es sich um umfangreiche Modernisierungen und Überarbeitungen bestehender Regelungen, in die viele Erfahrungen, die wir in der Folge der Finanzkrise ab 2007 gesammelt haben, eingeflossen sind. Das nun zu beschließende deutsche Umsetzungsgesetz wie auch die zugrunde liegenden europäischen Rechtsakte verfolgen das Ziel, die Märkte zu stabilisieren, die Anfälligkeit für neue Finanzkrisen zu reduzieren und den Anlegerschutz zu erhöhen. Wir von der Union begrüßen, dass es sich bei dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf weitestgehend um eine Eins-zu-eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben handelt. So wird sichergestellt, dass EU-weit ein einheitlicher Rechtsrahmen gilt. Gleichzeitig steht dadurch aber auch fest, dass der Gestaltungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber gering ist. Die parlamentarischen Beratungen haben wir daher vor allem dazu genutzt, dort, wo es geboten und möglich war, Ergänzungen und Klarstellungen vorzunehmen. Erfreulich ist, dass wir das Gesetzgebungsverfahren zudem dazu nutzen konnten, auf Initiative der Union Verbesserungen in der Aktienberatung vorzunehmen. Wir kommen damit einen guten Schritt voran – für mehr und verständlichere Beratung in Aktien. Die Änderungen betreffen Aktien, die an organisierten Märkten gehandelt werden. Derzeit müssen Berater Hunderte individualisierte Produktinformationsblätter vorhalten, wenn sie Aktienberatung anbieten wollen. Diese Produktinformationsblätter werden wir nun standardisieren. Die derzeitige Regelung ist für Anlageberater und Verbraucher gleichermaßen unbefriedigend, da sie auf der einen Seite zu höheren Kosten sowie mehr Bürokratie führt und auf der anderen Seite keinen Mehrwert für den Verbraucher bietet. Wir mussten sogar einen Rückgang in der Aktienberatung feststellen, weil sich vor allem kleinere Institute wegen des hohen bürokratischen Aufwands aus der Aktienberatung zurückgezogen haben. Wir brauchen in Deutschland aber mehr statt weniger Aktienkultur. Deshalb gehen wir das Thema mit dem Gesetzentwurf an. Wir beseitigen damit Bürokratie und sorgen für mehr Verbraucherschutz. Künftig wird es die Option geben, individuelle Informationsblätter durch ein einheitliches Informationsblatt zu ersetzen, welches die Gattung Aktie beschreibt. Das wird den Bankkundinnen und Bankkunden – gerade in der aktuellen Niedrigzinsphase – zugutekommen und die Aktienkultur in Deutschland stärken. Bei der Formulierung des standardisierten Aktieninformationsblattes wird es auf Initiative der Union neben einer Einbeziehung von Vertreterinnen und Vertretern aus Kreditwirtschaft und Verbraucherschutz auch eine Unterstützung durch die Gesellschaft für deutsche Sprache geben. Das stellt die Verständlichkeit und Transparenz sowie eine praxistaugliche Ausgestaltung sicher. Auch beim Beratungsprotokoll gibt es nun Änderungen. Dieses sorgte seit seiner Einführung 2010 für großen bürokratischen Aufwand und oft sogar für zusätzlichen Streit zwischen Anlegern und Anlageberatern. Das Beratungsprotokoll wird nun durch die sogenannte Geeignetheitserklärung ersetzt. Darin muss der Anlageberater künftig schriftlich erklären, aus welchen Gründen er dem Kunden ein Finanzprodukt empfiehlt. Die bislang vorgeschriebene bürokratische Protokollierung der Beratungsgespräche entfällt. Die Erfahrungen mit dem Beratungsprotokoll haben uns zudem veranlasst, das Bundesministerium der Finanzen zu bitten, bis Ende 2020 die praktischen Erfahrungen mit der Geeignetheitserklärung im Hinblick darauf zu evaluieren, ob eine stärkere Standardisierung angebracht ist. Darüber hinaus haben wir das Ministerium gebeten, sich auf europäischer Ebene für Lösungen für die mit der Gesetzesnovelle einhergehenden besonderen Probleme im Telefonordergeschäft und bei den Förderbanken einzusetzen, da in diesen Fällen dem nationalen Gesetzgeber durch die europäischen Vorgaben weitgehend die Hände gebunden sind. Abschließend möchte ich noch kurz auf die ebenfalls zur Debatte stehenden Anträge der Opposition eingehen. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen befasst sich mit dem Thema Nahrungsmittelspekulationen. Sie fordern darin die Bundesregierung auf, einen Vorschlag der Europäischen Kommission zurückzuweisen. Der Antrag ist allein schon deshalb abzulehnen, weil die Aufforderung an die Bundesregierung ins Leere läuft, da der Vorschlag der Kommission auf europäischer Ebene bereits beschlossen ist. Wir, CDU und CSU, gehen klar gegen Nahrungsmittelspekulationen vor. Die europäischen Vorgaben bilden dafür einen guten Rahmen. Über die auf nationaler Ebene zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht wollen wir als Koalition erreichen, dass bei der Festlegung von Positionslimits in Bezug auf Nahrungsderivate strenge Maßstäbe angelegt werden – gerade um der Entstehung monopolistischer Strukturen an den Nahrungsmittelderivatemärkten entgegenzuwirken. Damit bekämpfen wir Nahrungsmittelspekulationen in Deutschland. Auch der Antrag der Linken schießt weit über das Ziel hinaus. Insbesondere verkennt die Linke darin die Aufgaben einer Aufsichtsbehörde. Sie will die Grenze zur Zuständigkeit von Zivilgerichten verwischen. Das lehnen wir ab. Zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens bedanke ich mich bei meinen Berichterstatterkollegen, Herrn Staatssekretär Dr. Meister sowie den zuständigen Fachbeamten des Bundesministeriums der Finanzen für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz ist ein weiterer Schritt zur Aufarbeitung der Finanzkrise, zur Verhinderung weiterer Verwerfungen und zu mehr Anlegerschutz. Mit diesem Gesetzentwurf werden die Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers nachvollzogen und in das deutsche Recht umgesetzt. Der Deutsche Bundestag hat bereits in der laufenden Legislaturperiode mit dem Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz auf die Folgen der Finanzkrise reagiert. Es ist erklärtes Ziel, die Transparenz und Integrität der Finanzmärkte zu stärken. Die Finanzkrise ab dem Jahr 2008 hat uns gezeigt, dass die Märkte nicht ausreichend reguliert waren. Die unmittelbar spürbare Folge der Finanzkrise war der Vermögensverlust vieler Anleger. Das Vertrauen der Verbraucher in Geldanlagen und in die Finanzbranche wurde nachhaltig erschüttert. Der Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz stellt den Anlegerschutz, regulierte Märkte, Informationspflichten und eine Stärkung der Aufsichtsbefugnisse in den Vordergrund. Die Finanzmarktrichtlinie MiFID II und die dazugehörigen Finanzmarktverordnung MiFIR stellen das regulatorische Rahmenwerk in der Europäischen Union dar. Die MiFID II ist die Grundlage für das Wertpapiergeschäft in Europa mit Verhaltens- und Organisationspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Im nationalen Recht werden sich diese Vorgaben im Wertpapierhandelsgesetz, im Kreditwesengesetz, im Börsengesetz, im Kapitalanlagegesetzbuch und im Versicherungsaufsichtsgesetz widerspiegeln. Hervorzuheben ist eine Eins-zu-eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben, sodass ein einheitlicher Rechtsrahmen in den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen geschaffen wird. Jetzt muss der Anlegerschutz dokumentieren, dass das Produkt für den Anleger geeignet ist. Das ist ein Fortschritt für den Anlegerschutz. Dieser Gesetzentwurf ist auch eine Antwort auf Alleingänge einzelner Staaten innerhalb der Europäischen Union. Mit der Harmonisierung der Vorschriften werden wirksame Instrumente für transparentere Finanzmärkte geschaffen. Die grenzüberschreitenden Finanzmärkte sind ein gutes Beispiel, weshalb mehr Zusammenarbeit in Europa notwendig ist. Mit diesem Gesetz wird nicht zuletzt bezweckt, eine gemeinsame Stabilisierung zu erreichen und die Anfälligkeit für neue Finanzkrisen zu reduzieren. Der Anlegerschutz ist mir ein persönliches Anliegen, weshalb ich einen Punkt herausgreifen möchte. Mit diesem Gesetz wird das Beratungsprotokoll abgeschafft. Das Beratungsprotokoll wurde im Jahr 2010 mit dem Ziel eingeführt, Rechtssicherheit bei der Anlageberatung zu schaffen und mögliche Fehler nachweisen zu können. In der Praxis wurden die Erwartungen durch fehlerhafte und unpräzise Angaben nicht erfüllt. Für Anlageberater führt das Beratungsprotokoll zu einem übermäßigen bürokratischen Aufwand. Es ist ein unbefriedigender Zustand für alle Seiten entstanden. Mit der Ersetzung des Beratungsprotokolls durch eine Geeignetheitserklärung gehen wir einen Schritt weiter. Anleger erhalten künftig eine schriftliche Erklärung über die konkrete Geeignetheit eines Finanzinstruments. Der Anlageberater protokolliert nicht mehr den Verlauf der Beratung, sondern wird verpflichtet, die Gründe für die Empfehlung eines Produktes darzulegen. Mit der Geeignetheitserklärung wird mehr Rechtssicherheit geschaffen. Das Anlegerschutzniveau wird erhöht, indem eine fehlerhafte Anlageberatung künftig besser nachzuweisen sein wird. Zu den beiden Anträgen sind nur ein paar kurze Worte nötig. Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz wurden die Befugnisse der BaFin bereits erweitert und der Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen als weiteres Aufsichtsziel in den Statuten der BaFin verankert. Mit dem vorliegenden Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz wird der Verbraucherschutz an den sinnvollen Stellen verbessert. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz. Christian Petry (SPD): Das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz verankert vier europäische Rechtsakte im deutschen Recht: die europäische Richtlinie „Market in Financial Instruments“ (MiFID II), die dazugehörige Durchführungsverordnung MiFIR, die Verordnung über die Transparenz von Wertpapierfinanzierungsgeschäften sowie die Benchmark-Verordnung. Die Regelungen des Gesetzes haben umfangreiche Auswirkungen auf die Struktur der Finanzmärkte in Europa. Die Schaffung einer weiteren Kategorie für den organisierten Wertpapierhandel und die Ausweitung von Transparenzpflichten wird die Marktransparenz für Anlegerinnen und Anleger dabei spürbar erhöhen. Daneben werden durch europaeinheitliche Regelungen der Hochfrequenzhandel sowie der außerbörsliche OTC-Handel umfassender reguliert und eingeschränkt. Besonders die EU-weite Regulierung des Hochfrequenzhandels ist überfällig. Diese Art des „Handels“ erfüllt keinen sittlichen Mehrwert. Die ökonomische Sinnhaftigkeit dieser Zockerei darf mehr als bezweifelt werden. Die jetzt umzusetzenden Regeln sind ein erster wichtiger Schritt zur Eindämmung des Hochfrequenzhandels. Weitere Schritte müssen folgen. Vertriebsseitig stärkt das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz den Schutz der Anlegerinnen und Anleger deutlich. Durch die EU-weit zu erstellende Geeignetheitserklärung muss Kunden zukünftig im Rahmen der Anlageberatung eine Erklärung zur Geeignetheit des empfohlenen Finanzproduktes übermittelt werden. Für jedes Finanzprodukt muss deshalb ein Zielmarkt definiert werden, der sicherstellt, dass das jeweilige Produkt mit den Kundenbedürfnissen übereinstimmt. Durch die Einführung des „unabhängigen Honorar-Anlageberaters“ wird die Möglichkeit, Provisionen oder andere nichtmonetäre Vorteile einzubehalten, bei der unabhängigen Finanzanlageberatung stark eingeschränkt. Zudem müssen alle Passagen eines Beratungsgesprächs, die zu einer Order führen, aufgenommen und mindestens fünf Jahre dokumentiert werden. Einen wichtigen Teil der parlamentarischen Beratungen zum Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz nahm die Diskussion über die Regulierung von Warenderivaten ein. Auf Druck der SPD fordert der Deutsche Bundestag in seinem Abschlussbericht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf, Positionslimits bei Nahrungsmittelderivaten so festzulegen, dass monopolistische Strukturen an diesen Märkten ausgeschlossen sind. Der Bundestag hat in diesem Punkt aufgrund der europäischen Vorgaben keinen Gestaltungsspielraum. Das Festlegen der Positionslimits ist Aufgabe der nationalen Aufsichtsbehörden. Die von der BaFin zu erstellenden Positionslimits werden wir sehr aufmerksam verfolgen. Die Bundesanstalt untersteht der direkten Aufsicht des Bundesfinanzministeriums. Die Bundesregierung muss deshalb sicherstellen, dass das unanständige Spekulieren mit Nahrungsmittel- und Rohstoffderivaten entsprechend den europäischen Vorgaben eingedämmt wird. Der Gestaltungsspielraum, der der BaFin hierbei zur Verfügung steht, muss so genutzt werden, dass Monopole beim Derivatehandel ausgeschlossen sind. Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt betrifft die deutschen Förderbanken. Die Regelungen der europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II, auf denen das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz in weiten Teilen beruht, erfassen alle Wertpapiergeschäfte eines Unternehmens, das Mitglied einer Börse ist. Förderbanken in Deutschland führen an Börsen durch Wertpapiere besicherte Geschäfte des Liquiditätsmanagements durch. Sie unterfallen demnach den Regeln der MiFID II. Dieser Umstand ist innerhalb der beiden Regierungsfraktionen umstritten. Der Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb in seinem Abschlussbericht auf, die Europäische Kommission auf die besondere Funktion der öffentlichen Förderbanken des Bundes und der Länder aufmerksam zu machen. Die risikoaversen Anlagestrategien der Förderbanken müssen bei der Regulierung berücksichtigt werden. Sowohl regulatorisch als auch aufsichtstechnisch muss man dem Förderauftrag der Banken gerecht werden. Dies hat der Bundestag in seinem Abschlussbericht noch einmal deutlich gemacht und festgeschrieben. Die parlamentarischen Beratungen zum Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz verliefen konstruktiv und geräuschlos. Die öffentliche Sichtbarkeit dieses Mammutgesetzes im Deutschen Bundestag entspricht aber leider nicht seiner großen Bedeutung. Sarah Ryglewski (SPD): Mit dem Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz stärkt die Koalition den Anlegerschutz. Wir sorgen für mehr Transparenz und Gerechtigkeit, insbesondere im Hinblick auf Vergütung, Charakter und Qualität von Finanzberatung. Provisionen können in der Beratung zu Interessenkonflikten führen, weil Berater dem Anreiz unterliegen, nicht das beste Produkt anzubieten, sondern das mit den höchsten Provisionen. Jedoch scheuen viele Verbraucherinnen und Verbraucher noch davor zurück, für unabhängige Beratung zu bezahlen. Wir lassen mit dem Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz, das wir heute im Bundestag beschließen wollen, bewusst beide Wege offen – die provisionsbasierte und die unabhängige Honorarberatung. Wir stellen jedoch sicher, dass die Kosten der Beratung in jedem Fall offengelegt werden. Dabei gilt: Provisionen sind nur dann erlaubt, wenn sie die Beratungsqualität verbessern. Außerdem sollen Kunden schon beim Betreten einer Bank wissen, ob sie unabhängig oder auf Provisionsbasis beraten werden. Erst diese Transparenz ermöglicht den fairen Vergleich zwischen den Anbietern und verringert die bestehenden Wettbewerbsnachteile der unabhängigen Honorarberatung. Wir Sozialdemokraten hätten auch Vertriebsmargen aus Festpreisgeschäften wie Provisionen behandelt. Dabei kauft der Kunde die Wertpapiere direkt von der Bank zu einem festgelegten Preis. Der Gewinn des Instituts resultiert daraus, dass es die Wertpapiere teurer verkauft als es die Wertpapiere selbst einkauft. Auch hieraus entstehen Anreize, die zu Interessenkonflikten bei Beratern führen können. Doch für Festpreisgeschäfte werden die uneingeschränkten Offenlegungspflichten nicht gelten. Die SPD wird auch in Zukunft daran arbeiten, diese Ungleichbehandlung zu überwinden. Gleichermaßen setzen wir uns weiter dafür ein, auch die begriffliche Ungleichbehandlung zwischen unabhängiger Honorarberatung und provisionsbasierter Beratung zu überwinden: Unabhängige Beratung sollte auch begrifflich für Anlegerinnen und Anleger erkennbar sein und eine Betonung des „Honorars“ vermieden werden. Neben den Offenlegungspflichten ersetzen wir das Beratungsprotokoll, das in der Praxis Schwächen zeigte, durch die neue Geeignetheitserklärung. In Zukunft sollen damit inhaltsleere Sätze wie: „Das Produkt ist für den Kunden geeignet, weil es zu seinen Präferenzen passt“, der Vergangenheit angehörigen. Das heißt, Berater müssen künftig für den einzelnen Kunden nachweisen, dass das Produkt für den Kunden geeignet ist und darlegen, warum sie es empfohlen haben. Wir haben deshalb im Gesetz eine Evaluierung festgeschrieben und werden nachsteuern, falls auch die Geeignetheitserklärung nicht zu mehr Anlegerschutz führt. Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Ich möchte mich hier in der Schlussdebatte auf drei Bereiche konzentrieren, in denen wir jeweils per Antrag ganz konkrete Forderungen gestellt haben, auf die Sie von der Großen Koalition leider nicht im Geringsten eingegangen sind. Beim ersten Punkt, dem Hochfrequenzhandel, hatten Sie in der Vergangenheit schon ganz andere Töne angestimmt. Die SPD hat in der letzten Wahlperiode eine Mindestverweildauer für Orders gefordert, um den Hochfrequenzhandel einzudämmen. So hat der Kollege Binding in einer Pressemeldung verkündet: „Außerdem müssen Mindesthaltefristen verbindlich vorgegeben werden, um eine tatsächliche Ausführung der Handelsorder zu gewährleisten und der Schaffung von Scheinliquidität entgegenzuwirken.“ Der Kollege Zöllmer pflichtete ihm 2013 hier im Plenum bei: „Es gäbe einen wirklichen Hebel, um die Märkte zu entschleunigen, um Luft herauszulassen aus dem, was heißgelaufen ist: die Einführung einer Mindesthaltefrist.“ Auch die Bundesbank sieht in dieser Richtung Handlungsbedarf. Dann lassen Sie uns dies doch endlich beschließen! Wir stellen heute einen Änderungsantrag zur Einführung einer Mindestverweildauer zur Abstimmung in der Hoffnung, dass sich gerade unsere Kolleginnen und Kollegen von der SPD an ihre eigenen Forderungen erinnern; denn damit und obendrein mit einer Finanztransaktionsteuer würden wir es schaffen, ein bisschen Luft aus dem hochgepuschten, teils nur noch absurden Finanzmarktkapitalismus zu lassen. Der zweite Bereich umfasst die Anlageberatung. Die Koalition scheint leider nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass die Qualität der Anlageberatung in Deutschland ziemlich schlecht ist. Dies haben etliche Untersuchungen unter anderem von Stiftung Warentest belegt. Die Folgen für die Bürger sind verheerend. Wegen Fehlberatung beim Abschluss von Geldanlagen und Versicherungen erleiden diese je nach Schätzungen zwischen 30 und 98 Milliarden Euro Verlust, und das pro Jahr. Geld geht verloren, das die Menschen dringend für ihre Altersvorsorge benötigen. Zentrales Problem ist die Beratung, die auf Provisionen und anderen Verkaufsanreizen beruht. Allzu oft wird leider das Produkt empfohlen, das dem Berater/Verkäufer die höchste Provision bringt, aber nicht den Kundenbedürfnissen entspricht. Auch dazu gibt es zahlreiche Studien. Die Linke fordert daher mittelfristig die Überwindung der Provisionsberatung. In einem ersten Schritt müsste aber die unabhängige Beratung, also zum Beispiel die Honorarberatung, zumindest mit der abhängigen Beratung, der Provisionsberatung, auf Augenhöhe stehen. Doch der Gesetzentwurf benachteiligt weiter die unabhängige Beratung. Wir wollen den Bestandsschutz der Provisionsberatung beseitigen und zunächst einen fairen Wettbewerb zwischen den Vertriebsformen einleiten. Dafür müssen unter anderem nicht nur die Provisionen, sondern insbesondere die Margen im Rahmen der Festpreisgeschäfte offengelegt werden. Ansonsten kann die Branche immer wieder die Provisionsoffenlegung umgehen und weiter kassieren. Auch muss den Kunden bereits vor der Beratung klar sein, um welche Form der Beratung es sich handelt und wo die jeweiligen Vor- und Nachteile liegen. Es ist zudem ungerecht, dass die unabhängigen Berater das Wort „Honorar“ in ihrer Berufsbezeichnung tragen müssen, während Provisionsberater freier ihren Titel wählen dürfen. Dies muss dringend geändert werden, wenn Sie es mit verbrauchergerechter Anlageberatung ernst meinen. Neben einer nicht manipulierbaren Dokumentation des Beratungsvorgangs sowie einer einheitlichen Beaufsichtigung der Finanzanlagenvermittler durch die Finanzaufsicht BaFin statt durch Gewerbeämter fordern wir speziell für einkommensschwache Menschen eine unabhängige Finanzberatung insbesondere durch Verbraucherzentralen sowie eine Stärkung der Schuldnerberatungsstellen. Wenn Sie tatsächlich etwas für besseren finanziellen Verbraucherschutz tun wollen, sollten Sie die Forderungen aus unserem lesenswerten Entschließungsantrag ebenso umsetzen wie die zentrale Forderung aus unserem tollen Antrag „Finanzaufsicht nach Anlagepleiten zum Schutz von Verbraucherinteressen stärken“. Dies alles sind kleine, aber sehr effektive Hebel, um die Rechte von Verbrauchern zu stärken. Wir kommen folglich zum dritten Bereich: Uns geht es nicht nur darum, dass Kunden ein Produkt empfohlen bekommen, das zu ihren Bedürfnissen und ihrer Risikoneigung passt. Uns geht es ebenfalls darum, dass die Käufer einer solchen Geldanlage auch dann besser geschützt werden, wenn durch Marktmissbrauch oder betrügerisches Handeln der Anbieter einer Geldanlage „pleitegeht“ und sich der Anbieter nun zum Beispiel aus dem Staub machen oder in die Insolvenz gehen will, ohne seine Kunden zu entschädigen. An dieser Stelle muss die Finanzaufsicht BaFin stellvertretend für die Gesamtheit der geschädigten Verbraucher dafür sorgen, dass gesichert ist, dass die Anleger ihre Rechte auch durchsetzen können. Anbietern darf es nicht ermöglicht werden, eine Pleite zu vertuschen oder schlicht auszusitzen, weil für viele Verbraucher eine Klage zu teuer ist oder deren Ansprüche schon längst verjährt sind. Die Finanzaufsicht soll nur die Türen offen halten und damit sichern, dass die Gruppe der geschädigten Anleger überhaupt rechtzeitig die Chance bekommt, ihre Rechte durchzusetzen. Bisher ist mir noch kein stichhaltiges Argument gegen diese kleine Forderung untergekommen; denn es gibt ja noch keine umfassenden Möglichkeiten zur Muster- bzw. Gruppenklage. Apropos „Klage“: Wie Sie sich hinter der schnöden Umsetzung einer EU-Richtlinie verstecken, ist schon kläglich. Da ist viel mehr Luft nach oben. Wenn Sie von der Regierungskoalition nicht mehr Bestandsschützer der Provisionsberatung wären, Verbraucher nach Anlagepleiten besser schützen und endlich Luft aus den Finanzmärkten nehmen würden, gäbe es deutlich weniger Gründe für Klagen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will zunächst auf zwei Geschäftsmodelle eingehen, um deren wirksame Regulierung wir Grünen seit Jahren in Deutschland und Europa ringen: den Hochfrequenzhandel und die Nahrungsmittelspekulation. Die durchschnittliche Haltedauer von Wertpapieren wurde vor wenigen Jahrzehnten noch in Jahren angegeben. Daraus wurden dann Monate, Wochen, Tage, und in den USA, dem Epizentrum des Hochfrequenzhandels, soll sie mittlerweile bei knapp über 20 Sekunden liegen. Dabei hat sich das Anlageverhalten privater und institutioneller Anleger kaum verändert – der Hochfrequenzhandel, in dem Millisekunden Millionen bedeuten können, ist für die Veränderung des Durchschnitts verantwortlich, und das zeigt das gewaltige Ausmaß, das er mittlerweile angenommen hat. Aber bei der Regulierung des Hochfrequenzhandels tut dieses Gesetz zu wenig. Sie haben Angst, eine wirksame Regulierung einzuführen, da Sie den Hochfrequenzhandel in Deutschland halten wollen. Doch warum eigentlich? Der Mehrwert von Hochfrequenzhändlern ist höchst umstritten, wahrscheinlich schaden sie sogar. Die Bundesbank hat dazu im Oktober 2016 eine Studie vorgelegt. Ihr Ergebnis war eindeutig: Hochfrequenzhandel wird dann gefährlich, wenn sich Märkte krisenhaft entwickeln. Die vermeintliche Bereitstellung von Liquidität verschwindet genau dann, wenn sie benötigt wird. Der Antrag der Linken hat hier das richtige Ziel vor Augen. Wir teilen dieses, sehen aber andere Instrumente als wirkungsvoller an, weshalb wir uns enthalten. Auch bei Nahrungsmittelspekulationen ist die Große Koalition inkonsequent. Um diese einzudämmen, sieht die MiFID II Positionslimits für bestimmte Warenderivate vor. Die Regeln hierzu werden auf EU-Ebene gemacht. Doch die dort vorgelegten Standards sind schwach und verhindern Spekulation nicht. Wir haben in unserem Antrag dazu aufgefordert, bei diesen EU-Regeln nachzubessern. Sie haben den Antrag dann an den Ausschuss verwiesen, obwohl klar war, dass dadurch die Frist zur Nachbesserung verstreichen würde. Jetzt fordern Sie, dass die Aufsicht die schwachen Regeln besonders streng umsetzt. Das erschließt sich mir nur folgendermaßen: Entweder, Sie haben spät eingesehen, dass unser Anliegen richtig war, oder Ihr Interesse an der Eindämmung der Nahrungsmittelspekulation ist nur Schaufensterpolitik. Auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes hat die Bundesregierung es versäumt, die von vielen Seiten geäußerten Kritikpunkte aufzugreifen. Wir müssen uns fragen: Warum ist das Anlageverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland von so geringer Kosteneffizienz und entsprechend geringer Rendite geprägt? Warum stecken deutsche Haushalte ihr Geldvermögen zu vier Fünfteln in Bargeld, Einlagen oder Versicherungs- und Alterssicherungsansprüche, obwohl das oft nicht zum individuellen Bedarf passt? Betrachtet man die MiFID-II-Umsetzung, dann sind die Antworten bekannt: Es mangelt an einer verbrauchergerechten Beratung und Offenlegungspflichten vor und während der Vertragsdauer, damit Verbraucherinnen und Verbrauchern überhaupt die Möglichkeit gegeben wird, Produkte zu vergleichen und eine mündige Anlageentscheidung zu treffen. Es geht um Wettbewerbsneutralität bei der Benennung und Regulierung der unabhängigen Honorarberatung und der nichtunabhängigen Provisionsberatung. Und es geht auch darum, dass wir als Gesetzgeber ehrlich sind gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern: Die Bundesregierung hält daran fest, dass die bloße Bereitstellung eines weitverzweigten regionalen Filialnetzes die Qualität der individuellen Beratungsdienstleistung für Kundeninnen und Kunden verbessern würde. Die gesetzliche Folge wäre, dass als eine weitere Ausnahme vom eigentlichen Provisionsverbot auch in diesen Fällen Provisionen ohne Weiteres erlaubt blieben. Das ist absurd. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, ich gehe davon aus, dass Sie demnächst deutlich häufiger bei McDonald’s konspirieren als im Borchardt’s; schließlich gewährleistet das weitverzweigte regionale Filialnetz des großen „M“ ein gesteigertes Maß an Qualität. Der Antrag der Linken hat hier ebenfalls viele wichtige Punkte aufgegriffen, die ich daher nicht weiter ausführen will. Wenn wir über den Tellerrand dieses Gesetzes blicken, dann gibt es noch andere Gründe für das ineffiziente Anlageverhalten in Deutschland. Wer rechtlichen Rat braucht, sucht sich einen Anwalt, wer seine Steuern regeln will, einen Steuerberater. Aber wer eine Anlageentscheidung treffen will, müsste sich überlegen: Gehe ich zum Versicherungsberater, zum Versicherungsvermittler oder doch eher zum Finanzanlageberater? Dabei sage ich „müsste“; denn wem sind die gewerberechtlichen Unterschiede zwischen diesen Berufsgruppen überhaupt bekannt? Ähnlich wie bei der Rechts- und Steuerberatung brauchen wir ein einheitliches Berufsbild des Finanzberaters, der Verbraucherinnen und Verbraucher umfassend und unabhängig bei ihren Anlageentscheidungen zur Seite steht. Zusammengehörende Themenkomplexe wie die Offenlegungs- und Informationspflichten in MiFID II und IDD müssen dafür inhaltlich kongruent sein. Es darf beispielsweise nicht passieren, dass für Finanzprodukte andere Offenlegungspflichten gelten als für kapitalbildende Versicherungen. Mit ihrem jüngsten Änderungsantrag verschärft die Regierungskoalition diese Problematik weiter. Ausgerechnet bei Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen, also in zentralen Fragen der persönlichen Lebensplanung, sollen Kundinnen und Kunden die eigentlich nach der MiFID II vorgesehenen Informationen über Kosten und Nebenkosten erst auf Nachfrage zur Verfügung gestellt bekommen. Standardisierung und Harmonisierung von Informationsblättern sind ein wichtiges Anliegen. Aber sie müssen auf dem höchstmöglichen Verbraucherschutzniveau stattfinden, wenn sie nicht als Einladung für Umgehungsgeschäfte genutzt werden sollen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Andre Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Artikel 10-Gesetzes und weiterer Gesetze mit Befugnis für die Nachrichtendienste des Bundes zu Beschränkungen von Artikel 10 des Grundgesetzes (G 10-Aufhebungsgesetz – G 10-AufhG) (Tagesordnungspunkt 23) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Wir beraten heute das G 10-Aufhebungsgesetz, einen Gesetzentwurf der Fraktion der Linken. Und um es gleich vorwegzunehmen: Es passiert wirklich selten, dass hier ein Gesetzentwurf gelesen wird, der so sehr die Zeichen der Zeit – konkret sind es hier die aktuellen Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus – verkennt, wie dieser Entwurf. Worum geht es inhaltlich? Die vorgelegten Regelungsvorschläge sind schnell zusammengefasst: Den Nachrichtendiensten von Bund und Ländern sollen die Befugnisse entzogen werden, die das G 10-Gesetz ihnen einräumt; das Gesetz soll in Gänze aufgehoben werden. Nachrichtendienstliche Eingriffe in das Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis wären nicht mehr möglich. Im Klartext: Abgesehen von den menschlichen Quellen wären Nachrichtendienste „blind“; sie müssten ihren Erkenntnisgewinn auf öffentlich zugängliche Quellen beschränken, im Klartext: Sie dürften nur noch googeln oder – etwas traditioneller – Zeitungsausschnitte sammeln. Auf diese Idee, das G 10-Gesetz ersatzlos zu streichen und den Nachrichtendiensten das nach allgemeiner Ansicht aller Fachleute unverzichtbare Instrumentarium zu nehmen, muss man erst einmal kommen! Aber vielleicht nennt der Gesetzentwurf ja gute Gründe für die Abschaffung von G 10-Maßnahmen. Welche Beweggründe werden angeführt? Zuerst heißt es, „dass die Nachrichtendienste mittelbar Aufgaben der Gefahrenabwehr- und der Strafverfolgung (mit)übernehmen“. Der Erklärungsansatz erscheint schlicht unverständlich; denn Aufgaben und Zuständigkeiten von Polizei und Strafverfolgungsbehörden einerseits und Nachrichtendiensten andererseits sind aus guten Gründen klar voneinander getrennt. Es wird ein weiterer Aufhebungsgrund genannt: Eine wirksame Kontrolle der G 10-Maßnahmen sei nicht möglich, da gemäß § 1 des Gesetzes über die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes allein die Bundesregierung Gegenstand der Kontrolle sei. Das ist schlicht falsch! Ich zitiere aus einem Kommentar zu § 1 PKGrG, wo es klar und eindeutig heißt: „Die Kontrolle des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist auf die Bundesregierung und die ihr untergeordneten Nachrichtendienste des Bundes beschränkt“. Ein anderer Kommentar schreibt zu den Kontrollobjekten nicht minder eindeutig: „Beobachtungsobjekt der parlamentarischen Kontrolle ist nur die Tätigkeit der in § 1 Satz 1 genannten drei Nachrichtendienste des Bundes“. Es ist somit völlig klar, dass sich die Kontrolltätigkeit des PKGr nicht auf die Bundesregierung beschränkt. Die hier gegebene Begründung ist völlig falsch. Hinzu kommt, dass die G 10-Kommission hier überhaupt nicht genannt wird. Die G 10-Kommission entscheidet von Amts wegen als unabhängiges und an keine Weisungen gebundenes Organ über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste des Bundes – Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst – durchgeführten Beschränkungsmaßnahmen im Bereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Artikel 10 des Grundgesetzes. Wie man ihre Tätigkeit in diesem Zusammenhang hier übersehen kann, ist bemerkenswert. Da zudem die Reichweite der Aufgabe des PKGr, wie soeben gezeigt, zudem völlig falsch verstanden wird, kann man an dieser Stelle nur zu dem Schluss kommen: Dieser Gesetzentwurf ist – einmal abgesehen von allen politischen Bewertungen – bereits handwerklich missglückt und schon insoweit eine ärgerliche Fehlleistung. Wichtiger und viel problematischer als die dargelegten formalen Unzulänglichkeiten des Gesetzentwurfs ist die inhaltliche Zielrichtung, die er verfolgt. Um das zu zeigen, müssen wir uns bloß die noch frische furchtbare Blutspur anschauen, die der islamistische Terrorismus allein in der jüngsten Zeit durch Europa gezogen hat. Ich beginne quasi vor der Haustür: Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz, kommunizierte im Vorfeld – ich betone: im Vorfeld, denn ich komme später noch darauf zurück – unter Nutzung sogenannter Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram. Ein weiterer Terrorakt aus Deutschland: Die Planungen für einen Anschlag auf den Sikh-Tempel wurden gar innerhalb einer WhatsApp-Gruppe geplant, zu der sich die Täter zusammenschlossen. Und ganz aktuell: Nach den jüngsten Anschlägen in London fordert die britische Innenministerin Amber Rudd den Zugriff auf WhatsApp; die Sicherheitsbehörden bräuchten den Zugang zu den verschlüsselten Nachrichten der einschlägigen Messengerdienste. Warum erwähne ich all das? Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Vorbereitungshandlungen aller terroristischen Anschläge – meine Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – der jüngeren Vergangenheit, dass die Kommunikation im Vorfeld über Messengerdienste vorgenommen wurde, die den Sicherheitsbehörden erhebliche Probleme bereiten, weil sie hier nicht mitlesen können. Ihnen fehlen sowohl die technischen als auch die rechtlichen Voraussetzungen zum Sammeln der dort kommunizierten Informationen. Was hat das jetzt alles mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu tun? Nach allgemeiner Ansicht aller Sicherheitsexperten brauchen wir ein Mehr an Überwachung der Kommunikation von Terroristen im Vorfeld von Anschlägen. Und die Linke fordert ein Weniger an technischen Mitteln! Die offensichtlich nicht ausreichenden Möglichkeiten, die unsere Nachrichtendienste – darum hatte ich vorhin auf die Kommunikation im Vorfeld abgestellt; ihre Überwachung obliegt nämlich den Nachrichtendiensten, nicht den Polizeien – haben, wollen Sie noch einschränken, nein, sogar abschaffen. Es ist erstaunlich, in welchem Maße der Gesetzentwurf nicht nur die innenpolitischen Zeichen der Zeit verkennt; verwunderlich ist zudem, dass kaum jemand in der Bevölkerung Verständnis dafür haben dürfte, wenn der Staat bei der Wahrnehmung seiner Kernzuständigkeit, der Gewährleistung der inneren Sicherheit, auf die bereits jetzt kaum ausreichenden Instrumente auch noch ohne Not verzichtet. Ich wage die Prognose, dass auch die Anhänger und Wähler der Linken zu schätzen wissen, wenn unser Staat angemessen gerüstet ist, um den Herausforderungen durch den islamistischen Terrorismus wehrhaft gegenübertreten zu können. Daher erscheint mir der Anlass für die Vorlage dieses Gesetzentwurfs umso rätselhafter, je länger ich über ihn spreche. Schließlich bleibt die Frage: Wozu soll der Gesetzentwurf denn überhaupt gut sein? Ein fachlicher Grund ist nicht erkennbar. Was ist es dann? Ich sage es Ihnen: Es ist ihr fast schon pathologisches Misstrauen gegenüber unseren Nachrichtendiensten. Ich versage mir Spekulationen, woher es rühren mag; ich verweise lieber darauf, dass unsere Nachrichtendienste wie im Übrigen auch alle anderen Sicherheitsbehörden viele Anschläge – nicht nur in Deutschland, sondern auch zum Schutz unserer Soldaten in Afghanistan – erfolgreich verhindert haben, weshalb sie unsere Unterstützung verdienen und kein generelles Misstrauen. Weltweit gibt es in jedem Land Nachrichtendienste; aber die Vorbehalte, die ihnen in Deutschland vor allem von Ihnen entgegengebracht werden, dürften weltweit einzigartig sein. Begleiten Sie die Arbeit der Nachrichtendienste ruhig mit konstruktiver Kritik, und bringen Sie sich sachlich und kenntnisreich in die Debatte ein – aber verschonen Sie uns mit Gesetzentwürfen wie dem vorliegenden, der neben seinen handwerklichen Fehlern auch inhaltlich in die völlig falsche Richtung geht. Wenn Sie sich in den Debatten zur inneren Sicherheit, die Deutschland auf absehbare Zeit beschäftigen werden, Gehör verschaffen wollen: Konzentrieren Sie sich auf seriöse Reformvorschläge, und Sie werden auch gehört werden. Legen Sie weiterhin Gesetzentwürfe dieser Art vor, kann Sie niemand ernst nehmen. Ich glaube kaum, dass das Ihr politisches Ziel sein kann. Clemens Binninger (CDU/CSU): Eine starke und wehrhafte Demokratie braucht leistungsfähige und professionelle Nachrichtendienste, die in der Lage sind, mit ihrer Arbeit die Sicherheit im Land zu gewährleisten. Dies gilt besonders in Zeiten großer Herausforderungen, wie wir sie momentan erleben. Zu dieser Arbeit der Sicherheitsbehörden kann und muss auch die Überwachung der Telekommunikation von extremistischen Gefährdern gehören. Es geht im Artikel 10-Gesetz um eine Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Artikel 10 unseres Grundgesetzes. In § 1 heißt es ganz deutlich, dass die Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes erfolgen kann, wenn hierfür tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Ich bin der Meinung, dass eine solche Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses zu rechtfertigen ist. Sie ist deshalb zu rechtfertigen, weil es hierbei nicht um eine willkürliche Überwachung von beliebigen Bürgerinnen und Bürgern geht, sondern weil es eine ganz gezielte Maßnahme ist, die dazu beiträgt, die Sicherheit der Bundesrepublik bei einer konkreten Gefahr sicherzustellen. Es ist doch zwingend erforderlich, dass unsere Nachrichtendienste die Kommunikation von Terroristen aufzeichnen und überwachen, um Terroranschläge effektiv verhindern zu können. Zudem müssen wir doch nachvollziehen können, mit wem diese Terroristen in Kontakt standen, um an Hintermänner und deren Netzwerke heranzukommen. Der vorgelegte Gesetzentwurf soll die Handlungsfähigkeit der Nachrichtendienste in einer Zeit, in der wir alles Notwendige tun sollten, die innere Sicherheit weiter zu stärken, massiv einschränken. Das ist angesichts der aktuellen Bedrohungen nicht nur total falsch, sondern in Bezug auf unsere Sicherheitsinteressen sogar fahrlässig. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, Sie führen in Ihrer Begründung aus, dass eine Kontrolle der Maßnahme nicht gewährleistet sei. Lassen Sie mich kurz begründen, warum das nicht stimmt: Mit der G 10-Kommission haben wir ein unabhängiges Gremium, das über die Zulässigkeit von solchen Beschränkungsmaßnahmen entscheidet. Die Beschränkungsmaßnahmen können erst vollzogen werden, wenn die G 10-Kommission den Antrag der Sicherheitsbehörde genehmigt hat, der zuvor auch vom Bundesministerium des Innern als berechtigt eingestuft wurde. Ansonsten kann eine solche Überwachung aufgrund des Artikel 10-Gesetzes nicht erfolgen. Selbst wenn die Umstände es erfordern, sofort Da