Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 235. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Mai 2017 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Wohnungseinbruchdiebstahl Drucksache 18/12359 23833 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV 23833 B Frank Tempel (DIE LINKE) 23834 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) 23836 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23838 C Dr. Eva Högl (SPD) 23840 B Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) 23841 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23842 C Dr. Johannes Fechner (SPD) 23844 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 23845 D Frank Tempel (DIE LINKE) 23847 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) 23847 B Tagesordnungspunkt 38: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) Drucksache 18/12356 23847 D b) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Renate Künast, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz und Recht im Netz – Maßnahmen gegen Hasskommentare, „Fake News“ und Missbrauch von „Social Bots“ Drucksache 18/11856 23847 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV 23848 A Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) 23849 B Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 23850 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23852 A Dr. Johannes Fechner (SPD) 23853 B Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) 23854 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23855 C Lars Klingbeil (SPD) 23856 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23857 B Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) 23858 B Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23858 D Hansjörg Durz (CDU/CSU) 23859 B Tagesordnungspunkt 39: Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Annalena Baerbock, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Historische Verantwortung Deutschlands für die Ukraine Drucksache 18/10042 23860 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23861 A Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) 23862 A Andrej Hunko (DIE LINKE) 23863 B Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) 23864 B Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) 23865 A Dr. Fritz Felgentreu (SPD) 23866 A Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23866 D Niels Annen (SPD) 23867 B Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 23868 B Tagesordnungspunkt 40: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21) Drucksache 18/12357 23869 B b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12358 23869 B c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12100 23869 B d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12101 23869 C Helmut Brandt (CDU/CSU) 23869 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 23870 C Dr. Eva Högl (SPD) 23871 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23872 D Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) 23874 C Boris Pistorius, Minister (Niedersachsen) 23875 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 23877 A Tagesordnungspunkt 41: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung 2016 Drucksache 18/11975 23878 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB 23878 B Caren Lay (DIE LINKE) 23879 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) 23880 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23881 B Sören Bartol (SPD) 23882 D Kai Wegner (CDU/CSU) 23883 C Michael Groß (SPD) 23885 A Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) 23885 D Tagesordnungspunkt 42: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt erlassen Drucksachen 18/10892, 18/11221 23887 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wochenhöchstarbeitszeit begrenzen und Arbeitsstress reduzieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Zeitsouveränität – Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksachen 18/8724, 18/8241, 18/12055 23887 B Michael Gerdes (SPD) 23887 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) 23888 C Uwe Lagosky (CDU/CSU) 23889 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23891 A Dr. Martin Rosemann (SPD) 23891 D Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) 23893 B Stephan Stracke (CDU/CSU) 23894 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 23895 A Nächste Sitzung 23896 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 23897 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 23897 D 235. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Mai 2017 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zur letzten Plenarsitzung in dieser Woche. Wir fangen mit dem Zusatzpunkt 12 an: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Wohnungseinbruchdiebstahl Drucksache 18/12359 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dagegen höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister der Justiz, Heiko Maas. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Im vergangenen Jahr hat die Polizei mehr als 150 000 Wohnungseinbrüche registriert. Vor zehn Jahren waren es knapp über 100 000. Diesen massiven Anstieg von über 50 Prozent in den letzten zehn Jahren kann man nicht einfach ignorieren. Auch wenn die Zahlen zuletzt wieder rückläufig sind, bleibt es dabei: Wohnungseinbrüche sind ein massives Sicherheitsproblem in Deutschland. Wir wollen die Menschen besser davor schützen; denn Wohnungseinbrüche haben gravierende Folgen. Die finanziellen Schäden lagen im letzten Jahr bei rund 400 Millionen Euro. Hinzu kommt der nicht zu unterschätzende ideelle Schaden. Wenn ein altes Erbstück oder Dateien mit wichtigen persönlichen Daten weg sind, dann geht das weit über den Verlust hinaus, den man in Euro und Cent beziffern kann. Noch schlimmer sind – das wissen wir – die psychischen Folgen. Wer in die Wohnung eines Menschen eindringt, der dringt in seine absolute Intimsphäre ein. Viele Betroffene bleiben dann mit dem Gefühl zurück, nicht einmal in den eigenen vier Wänden sicher zu sein. Wenn es hier der Politik nicht gelingt, den Menschen mehr Sicherheit zu geben, dann ist das Vertrauen in unseren Staat und vor allen Dingen in den Rechtsstaat massiv gefährdet. Deshalb müssen wir gegen Einbrecher noch besser vorgehen. Dies müssen wir in dreierlei Hinsicht tun. Erstens. Wir müssen die Prävention verbessern. Zweitens. Wir brauchen eine höhere Aufklärungsquote bei den begangenen Taten. Drittens. Wir brauchen eine härtere Bestrafung der überführten Täter. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das größte Plus an Sicherheit schaffen wir dann, wenn es den potenziellen Tätern erst gar nicht gelingt, in eine Wohnung einzubrechen. Deshalb ist Prävention so wichtig. Wir wollen, dass Wohnungen so gesichert sind, dass man eben nicht mit ein paar einfachen Kniffen Türen oder Fenster aushebeln kann. Ein solcher Einbruchschutz zahlt sich aus. Mehr als 40 Prozent der Einbrüche scheitern an einer guten Sicherung von Türen und Fenstern oder durch Alarmanlagen. Aber einen guten Einbruchschutz kann sich nicht jeder leisten. Damit die Sicherheit nicht an fehlendem Geld scheitert, stellt die Kreditanstalt für Wiederaufbau Zuschüsse zur Finanzierung bereit, und zwar sowohl für Eigentümer als auch für Mieter. Die Mittel dafür haben wir in den vergangenen Jahren mit bis zu 1 500 Euro pro Wohnung deutlich erhöht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb richte ich in dem Zusammenhang an alle Vermieter und alle privaten Eigentümer, vor allen Dingen aber auch an die großen Wohnungsbaugesellschaften die Bitte: Sparen Sie nicht an der Sicherheit auf Kosten Ihrer Mieter. Nutzen Sie die staatliche Förderung. Investieren Sie, und schützen Sie Ihr Eigentum, vor allen Dingen aber Ihre Mieterinnen und Mieter noch besser vor Einbrechern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr lag das Risiko, nach einem Einbruch bestraft zu werden, bei nur knapp 17 Prozent. Anders ausgedrückt: Mehr als 80 Prozent aller Einbrecher werden nie gefasst, laufen frei herum und können weiter ihr Unwesen treiben. Es ist eine Binsenweisheit der Kriminologie, dass bei der Entscheidung für eine Straftat das Entdeckungsrisiko eine maßgebliche Rolle spielt. Deshalb ist klar: Wer in der Zukunft Wohnungseinbrüche verhindern will, der muss auch die Aufklärungsquote bei Einbrüchen massiv erhöhen. Das ist eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden. Dafür brauchen sie eine entsprechende Anzahl von Ermittlern, also genügend Personal, aber auch die richtigen Instrumente. Deshalb ist es gut, dass viele Bundesländer bereits reagiert haben. Es bleibt dabei: Um aufzuklären und auch um vorzubeugen, braucht die Polizei bzw. brauchen die Sicherheitsbehörden eine angemessene Ausstattung an Personal und Organisation. (Beifall bei der SPD) Die Polizei braucht aber auch die notwendigen Ermittlungsinstrumente, um Taten und Täterstrukturen aufzudecken. Dazu gehört auch ein besserer Einblick in die Telekommunikation der Täter. Die Polizei soll in Zukunft abfragen dürfen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Funkzelle des Mobilfunknetzes eingeloggt war. Mit solchen Instrumenten kann die Polizei den Täterkreis deutlich eingrenzen. Wenn es bereits einen Tatverdächtigen gibt, dann soll sie zukünftig, um den Verdacht zu überprüfen, auch in Erfahrung bringen dürfen, ob er zum Zeitpunkt des Einbruchs am Tatort war. Auch die Abfrage von Standortdaten soll künftig möglich werden. Beides sind ganz wichtige Maßnahmen, die unserer Polizei helfen werden, in Zukunft mehr Einbrüche aufzuklären. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf, den wir heute vorlegen, wollen wir auch den Strafrahmen anheben. Das Thema Strafverschärfung wird durchaus diskutiert. Die einen meinen, dass den Verbrechern schon der Garaus gemacht werde, wenn nur das Strafrecht immer weiter verschärft wird. Auf der anderen Seite steht die Überzeugung, dass scharfe Strafen eines Rechtsstaates keine Wirkung entfalten. Ich meine, beides ist in dieser Pauschalität falsch. Nötig ist, genau hinzuschauen, um welche Taten es geht, und vor allen Dingen, wer die Täter sind. Bei den Taten, die typischerweise im Affekt geschehen, bei denen die Täter von starken Gefühlen und Überzeugungen oder von einer Sucht getrieben werden, verfehlen hohe Strafen ihre abschreckende Wirkung. Die Täter handeln so kopflos, dass sie an die Konsequenzen ihrer Tat überhaupt nicht denken. Wo Taten aber gut geplant werden, da geht es schon um eine rationale Rechnung. In diese fließt dann auf der einen Seite der Profit aus einer Straftat ein, auf der anderen Seite aber auch das Entdeckungsrisiko und die Höhe der Strafe. Beim Wohnungseinbruch zeigt die Kriminalitätsstatistik: Nur 10 Prozent der Täter sind Konsumenten harter Drogen. Bei 90 Prozent dagegen haben wir es aber eben offenkundig nicht mit sogenannter Beschaffungskriminalität zu tun, sondern dort stecken, wie die Erkenntnisse der Polizei zeigen, straff organisierte kriminelle Netzwerke hinter den Taten. Ich denke, gegenüber diesen Tätern sollte der Rechtsstaat sehr deutlich machen: Wer in eine Privatwohnung einbricht, der begeht ein Verbrechen und den erwartet in Zukunft eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir brauchen also insgesamt einen klugen Mix aus mehr Prävention, höherer Aufklärung und auch härteren Strafen. Nur so können wir mehr Sicherheit schaffen und die Menschen in ihren eigenen vier Wänden noch besser schützen. Das ist das Ziel dieses Gesetzes. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir die Ziele mit diesem Gesetz auch erreichen werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frank Tempel ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir stehen vor einer wichtigen Bundestagswahl. Die Linke setzt jetzt besonders auf soziale Fragen und die Friedenspolitik, die Grünen haben das Image, für Umweltfragen zu streiten, die Union setzt im Wahlkampf traditionell auf die Sicherheitspolitik, (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nicht nur im Wahlkampf!) und die SPD steht für ein kräftiges sozialdemokratisches Sowohl-als-auch, also von allem ein bisschen, aber nichts so richtig. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: So ein Quatsch! – Ulli Nissen [SPD]: Wir wollen was für die Menschen tun!) Wenn wir also heute im Bundestag über härtere Strafen für Einbrecher sprechen, dann ist das ein ganz klares Signal, dass die Bundesregierung noch einmal mit einer Law-and-Order-Ideologie beim Wähler punkten möchte. (Ulli Nissen [SPD]: Ist bei Ihnen schon mal eingebrochen worden? Das würde ich gern mal wissen!) Doch es stellt sich die Frage, ob immer schärfere Gesetze wirklich für eine kompetente Innenpolitik stehen. Die Linke hat erhebliche Zweifel daran. Sie sind es von mir gewohnt, dass ich bei solchen Debatten meine langjährige Erfahrung als Kriminalbeamter einbringe. Das werde ich auch heute tun, versprochen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist in Ordnung!) Aber auch aus meinem ersten Beruf als Schlosser kann ich einige Erfahrungen einbringen. (Heiterkeit) Ich habe gelernt, dass man eben nicht mit einem Hammer auf ein kaputtes Auto einschlagen und dann erwarten kann, dass das Auto anschließend wieder läuft. Ich muss schon genau hinschauen, warum das Auto kaputt ist, und dann bei dem Grund des Übels mit dem richtigen Werkzeug ansetzen. Bei uns Innenpolitikern geht es nicht um ein kaputtes Auto, sondern um die innere Sicherheit, um Gefahren und um Kriminalitätsphänomene. Aber die Innenpolitiker der Großen Koalition haben einen Hammer, und der nennt sich Rechtsverschärfungen. Damit schlagen sie auf jedes Sicherheitsproblem ein, das sich ihnen bietet, oder sie konstruieren eins. Und jedem, der diesen Hammer nicht nutzen möchte – das haben wir gerade gehört –, werfen sie vor, dass er das Problem nicht beheben möchte. Die Innenpolitik und die Rechtspolitik der Großen Koalition haben immer das gleiche einfallslose Muster: hohe Asylbewerberzahlen – Verschärfung der Asylgesetzgebung; mehr extremistische Gefährder – schärfere Sicherheitsgesetze; Gaffer auf der Autobahn – Strafverschärfung; mehr Wohnungseinbrüche – Strafverschärfung. Aber halt, diese Logik hat ein kleines Problem. Nach den jüngsten Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik ist die Zahl der Wohnungseinbrüche eben nicht gestiegen, sondern gesunken. (Burkhard Lischka [SPD]: Ja, in einem Jahr!) Wenn das so ist, warum reden wir dann ausgerechnet jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, von Strafverschärfungen? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Davon reden wir seit zwei Jahren! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) – Weil Wahlkampf ist, richtig. Es gibt übrigens neben der inneren Sicherheit auch einige andere Themen. In meiner Heimat Ostthüringen droht im Jahr 2030 jedem zweiten Rentner die Altersarmut. Sie möchten nicht, dass darüber gesprochen wird; Sie wollen, dass das Thema Sicherheit den Wahlkampf bestimmt, und schüren deshalb Ängste, ähnlich wie es auch die AfD tut. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) Im Osten liegen die Löhne nach wie vor im Durchschnitt 24 Prozent unter denen des Westens. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gerade die Rentner müssen wir vor Wohnungseinbrüchen schützen!) Sie wollen nicht, dass darüber diskutiert wird, Sie wollen, dass über Gaffer, Gefährder und Einbrecher gesprochen wird. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das finden Ihre Rentner nicht gut, wenn eingebrochen wird!) Warum die SPD hier im Bundestag immer wieder den Wahlkampfhelfer der CDU gibt, weiß ich nicht. Das tut mir auch leid. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist doch billig! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Schwach!) Helfen wird Ihnen das nicht; denn das Image der Law-and-Order-Partei ist nun einmal von der CDU/CSU besetzt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber gut, wenn das Thema Sicherheit schon besetzt werden soll, dann schauen wir uns einfach einmal an, wie es beim Thema Einbruchdiebstähle aussieht. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: 150 000!) Da greife ich jetzt tatsächlich auf meinen Erfahrungsschatz als Kriminalbeamter zurück. Wer sind denn eigentlich diese Einbrecher? Es handelt sich überwiegend um junge Männer. In sehr vielen Fällen werden sie erst nach mehreren Einbrüchen ermittelt oder erwischt. Je geringer das Entdeckungsrisiko ist, umso weniger spielt übrigens bei diesen Tätern der mögliche Strafrahmen eine Rolle. – Herr Maas, da waren Sie einige Male eigentlich dicht dran. – Gerade bei den Einbruchdiebstählen agieren häufig in Banden organisierte Täter gemeinsam. Sie spezialisieren sich und sind oft nur mit hohem Ermittlungsaufwand durch die Polizei zu stellen. Einbrecher können lange unbekannt agieren, weshalb besonders in diesem Deliktfeld das Strafmaß kaum eine präventive Rolle spielt. Die Opfer dieser Einbrecher – auch das ist uns klar – erleben oft nicht nur einen materiellen Schaden: Die Täter dringen in ihr intimstes Umfeld ein und hinterlassen Angst und Unsicherheit. Was sind nun eigentlich wirklich die Stellschrauben, mit denen wir – das ist unsere Aufgabe – die Zahl der Einbrüche reduzieren können? Auf einen Täter kommt in der Regel eine Vielzahl von Einbrüchen. Es ist für die Gesamtzahl der Delikte ein wesentlicher Faktor, ob ein Täter 5, 10 oder 20 Einbrüche verübt, bevor er erwischt oder ermittelt wird. Bei organisierten Banden ist die Zahl der verübten Einbrüche im Schnitt noch einmal deutlich höher, weil sie schwerer gefasst werden können. Kein Einbrecher wird sein Gewerbe einstellen, weil ihm höhere Strafen drohen. Er fühlt sich ganz einfach nahezu sicher. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit wann ist Einbruch ein Gewerbe?) – Lesen Sie mehr Krimis. Da steht das öfter so. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich glaube, Sie lesen zu viele Krimis! – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Dreigroschenromane!) Um die Zahl der Einbrüche zu verringern, können wir die Täter also nicht mit Straferhöhungen abschrecken, sondern wir müssen sie erwischen bzw. mit anderen Mitteln abschrecken. (Beifall bei der LINKEN) Man spricht übrigens – das sage ich in Richtung der Kollegen von der CSU – auch von gewerbsmäßigem Diebstahl. Wenn Sie ein bisschen mehr Fachliteratur lesen, dann können Sie die Krimis weglassen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich fange einmal mit den Stellschrauben an. Die Ermittlungsarbeit ist langwierig und mit einem hohen Aufwand verbunden. Ausreichend erfahrene Ermittler können die Handschrift eines Täters lesen, Spuren auswerten, zu einem Gesamtbild zusammenfügen und so Tatverdächtige überführen. Der Personalabbau bei der Polizei hat aber genau hier seine negativen Spuren hinterlassen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Es fehlt in vielen Dienststellen an ausreichend Ermittlern. Zu wenige Beamte müssen zu viele Delikte bearbeiten. Das ist eines der Hauptprobleme, und das muss korrigiert werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sehr hilfreich ist es übrigens zudem, wenn es bereits Tatverdächtige gibt, und es gibt Möglichkeiten, die Voraussetzungen dafür zu verbessern. Die schlaueste Frage von den Sicherheitsexperten der Union im Innenausschuss war, warum die meisten Einbrüche in der späten Nacht bzw. am sehr frühen Morgen stattfinden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Weil es dann nicht so hell ist!) – Ja: Einbrecher wollen keine Zeugen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Die Polizei setzt deswegen auf sogenannte Präventivstreifen. Das Ergebnis dieses taktischen Mittels ist, a) Täter auf frischer Tat zu ertappen – das ist übrigens die beste Art, Einbruchdiebstähle zu bekämpfen –, b) verdächtige Personen, die sich im Umfeld potenzieller Tatorte aufhalten und vielleicht Einbruchswerkzeuge oder Beutegut mit sich führen, durch Kontrollen zu identifizieren und – nicht zu vergessen – c) eine hohe Polizeipräsenz zur Nachtzeit in Gegenden, die für Einbrecher interessant sind, zu gewährleisten. Letzteres erhöht das Entdeckungsrisiko – der Justizminister hat auf diesen Faktor hingewiesen –, was den Täter tatsächlich von einer Tat abschrecken kann. Doch da sind wir leider schon wieder beim Thema Stellenabbau. Ich habe in den letzten Monaten viele Polizeidienststellen von Saarbrücken über Gera bis Cottbus besucht, und die einstimmige Aussage war: Aufgrund des Personalabbaus sind diese Präventivstreifen wenig oder gar nicht mehr möglich. Vielerorts fahren verbliebene Streifenwagenbesatzungen nur noch von konkretem Auftrag zu konkretem Auftrag. So verringert sich jedoch die Chance, verdächtige Personen oder Täter auf frischer Tat festzustellen. Das geringere Entdeckungsrisiko hat dann eine vielfache Wirkung: Erstens. Die Bevölkerung registriert die mangelnde Polizeidichte in der Fläche. Das Gefühl der Unsicherheit wird noch einmal erhöht, woraus die Bundesregierung mit diesem Antrag Kapital schlagen möchte. Zweitens. Die geringere Entdeckungsgefahr senkt zudem die Hemmschwelle der Täter. Sie schlagen dreister und öfter zu. Drittens. Ohne durch die Streifentätigkeit der Schutzpolizei festgestellte Tatverdächtige wird die Arbeit der Ermittler noch einmal schwieriger und langwieriger. Täter können mehr Einbrüche verüben, ehe sie gestellt werden. Um es abzukürzen – meine Redezeit ist gleich um –: Auch ein besseres technisches Know-how bei der Spurensicherung kann zur schnelleren Ermittlung der Täter führen. Selbstverständlich gibt es auch soziale Komponenten beim Thema Einbruch. (Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Justizminister hat richtigerweise gesagt: Häufig wird vorschnell Beschaffungs- oder Flüchtlingskriminalität zur Erläuterung von Einbruchszahlen herangezogen. Vergessen wird aber, dass das Armutsrisiko im eigenen Land ebenfalls ein Faktor bei der Zahl der Eigentumsdelikte ist. Wir sehen also: Es gibt konkrete Stellschrauben zur Verringerung der Eigentumsdelikte. Man darf sie eben nur nicht in die falsche Richtung drehen. Den großen Hammer der Rechtsverschärfung brauchen wir nicht. (Beifall bei der LINKEN) Wir dürfen nur nicht durch Einsparungen an der falschen Stelle, also beim Personal, der Polizei die Handlungsspielräume nehmen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Polizeiliche Kriminalstatistik spricht von 151 000 Fällen von Wohnungseinbrüchen allein im Jahr 2016. Auch wenn diese Zahl im Vergleich zum Jahr 2015 leicht rückläufig ist, so wird in Deutschland dennoch alle dreieinhalb Minuten in eine Privatwohnung eingebrochen. Das ist ein Zustand, den wir weder akzeptieren noch billigen dürfen. Wir müssen und wollen die Menschen in ihren eigenen vier Wänden schützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Wir stehen an der Seite der Menschen, Herr Kollege Tempel, die sich um ihre Sicherheit in den eigenen vier Wänden sorgen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Mit einem großen Hammer, ja!) Dabei geht es nicht allein um materielle Schäden. Wohnungseinbrüche treffen Menschen tief in ihrem eigenen Sicherheitsgefühl. Sie berühren die Menschen dort, wo sie am verletzlichsten sind: in ihren eigenen vier Wänden, in ihrem ganz privaten Rückzugsraum. Sie müssen sich einmal mit Opfern von Wohnungseinbruchdiebstahl unterhalten, die noch lange nach der Tat ein beklemmendes Gefühl haben und sich nicht trauen, sich schlafen zu legen, weil sie Angst haben, jemand könnte neben ihrem Bett stehen. Sie müssen sich einmal mit Menschen unterhalten, deren intimste Gegenstände durchsucht wurden, die Scham empfinden (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber man darf ihnen trotzdem keine falschen Versprechungen machen!) und am Ende sogar aus ihrer Wohnung ausziehen müssen, weil sie es aus psychologischen Gründen nicht schaffen, in dieser Wohnung zu bleiben. Wir stehen an der Seite dieser Opfer und wollen die Freiheit der Menschen, die in ihrer eigenen Wohnung Opfer von Diebstahl und Raub geworden sind, wiederherstellen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Aber mit den falschen Mitteln!) Wer einen Wohnungseinbruch begeht, raubt den Menschen die Freiheit auf ungestörte Privatsphäre. Meine Damen und Herren, wegen der erschütternden und nachhaltigen Wirkung auf die Opfer und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist aus Gründen des Opferschutzes eine Reform des Strafrechts geboten. (Beifall bei der CDU/CSU) Der derzeitige Strafrahmen des Einbruchdiebstahls geht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, bei minderschweren Fällen von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Aber dieser Strafrahmen spiegelt nicht das Unrecht wider, welches durch den Einbruch in eine Privatwohnung begangen wird. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Strafrahmen wird doch fast nie ausgeschöpft!) Deswegen wollen und werden wir das ändern. Wir stellen die dauerhaft genutzte Privatwohnung unter einen besonderen strafrechtlichen Schutz. Durch den neuen § 244 Absatz 4 StGB wird der Einbruchdiebstahl in einer Privatwohnung ein Verbrechenstatbestand, und es wird auch keinen minderschweren Fall mehr geben. Ich kann mir bei Wohnungseinbruchdiebstahl auch keine minderschweren Fälle vorstellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie entmündigen die Richter!) Wichtig ist ebenfalls, dass der Wohnungseinbruchdiebstahl auch in den Katalog der Verkehrsdatenabfrage aufgenommen wird. Es war und ist niemandem so recht zu erklären, weshalb die Polizei nach einem Wohnungseinbruch Fingerabdrücke nehmen, aber bislang nicht bei den Telekommunikationsanbietern abfragen darf, wer in die Funkzelle eingeloggt war. Es darf auch keinen Unterschied machen, ob eine Bande am Werk war – nur in diesem Fall sind Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen bislang möglich – oder ob der Täter ein Einzelner war. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Banden trifft das überhaupt nicht zu! Da gibt es schon ein Gesetz!) Es geht um die Wirkung auf das Opfer. Selbst wenn ein einzelner Einbrecher unterwegs ist, muss es möglich sein, auf Funkzellen zurückzugreifen, weil nämlich auch ein einzelner Einbrecher eine nachhaltige und traumatische Wirkung beim Opfer hervorrufen kann. Deswegen gebietet der Opferschutz, dass das Instrument der Verkehrsdatenabfrage zum Tragen kommt. Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ist mir eine Bemerkung wichtig. Nicht nur in Anbetracht der Wohnungseinbrüche, sondern auch vor dem Hintergrund von vielerlei Bedrohungen unserer Freiheit und Sicherheit durch Kriminelle und Terroristen will ich festhalten: Es war richtig und geboten, dass wir die Speicherung von Verbindungsdaten beschlossen haben und sie dieses Jahr in Kraft treten wird. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war für Terroristen und Mörder, aber nicht für Einbrecher!) Natürlich brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen. Die Prävention ist ebenso wichtig wie eine stärkere strafrechtliche Verfolgung. Es ist deswegen richtig, dass die KfW Zuschüsse zur Sicherung gegen Wohnungs- und Hauseinbrüche ausreicht. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das haben wir durchgesetzt!) Viele Wohnungseinbrüche bleiben nämlich im Versuchsstadium stecken. Eigenvorsorge und Wachsamkeit sind ebenso notwendig wie der staatliche Schutz. Allein im Jahr 2016 sind über 40 000 Förderzuschüsse ausgereicht worden. Wenn 2016 bereits 44 Prozent der Einbrüche im Versuchsstadium stecken geblieben sind und es 2014 erst 40 Prozent waren, dann hängt das vielleicht mit der notwendigen Eigenvorsorge zusammen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Deswegen werden wir dieses Programm weiterführen und fortschreiben. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon steht nichts im Gesetzentwurf!) Meine Damen und Herren, meine große Sorge gilt auch der unterschiedlichen Betroffenheit durch Einbruchdiebstahl in den einzelnen Ländern. Das Risiko, Opfer eines Einbruchsdelikts zu werden, ist abhängig davon, in welchem Bundesland man seine Wohnung hat. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Noch!) In Bayern waren es im letzten Jahr 58 Fälle pro 100 000 Einwohner. In Nordrhein-Westfalen waren es 294 Fälle. In Schleswig-Holstein waren es 269 Fälle. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Der Wahlkampf ist doch vorbei! – Gegenruf des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Was wahr ist, muss auch wahr bleiben! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat mit Wahlkampf nichts zu tun!) Das zeigt ganz klar: Dort, wo die Union den Innenminister stellt und Verantwortung für die innere Sicherheit hat, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Zwölf Jahre wurden im Bund immer Stellen gekürzt!) leben die Menschen sicherer und ist die Zahl der Wohnungseinbrüche geringer. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: So ein Quatsch! – Dr. Eva Högl [SPD]: Das haben wir in Berlin nicht feststellen können!) Wir wollen, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche überall in Deutschland zurückgeht. Das darf nicht nur eine Absichtserklärung sein, sondern das muss ein verbindliches Ziel der Innenpolitik werden. Die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland ist nach wie vor zu hoch. Die Aufklärungsquote ist zu gering. Wir wollen und werden mit diesem Gesamtpaket von Maßnahmen – mit der notwendigen Strafrechtsverschärfung, mit der Ausweitung der Ermittlungsbefugnisse und mit der Fortschreibung des Präventionsprogramms – dem Einbruch weiterhin den Kampf ansagen. Dann, meine Damen und Herren, haben auch die Länder die Pflicht, durch ausreichende Personalbemessung bei der Polizei dafür zu sorgen, dass Fälle aufgedeckt und zur Anklage gebracht werden. Wenn wir diesen Gesamtkanon von Maßnahmen durchführen, dann werden wir die Einbruchskriminalität in diesem Land weiter zurückführen und zugunsten der Menschen die Sicherheit in diesem Land stärken. Einbrüche konsequenter zu bekämpfen, das ist unser Ziel. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Hans-Christian Ströbele erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt es! Jetzt kommt der Beitrag eines Profis! – Gegenruf der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erwarten Sie zu Recht!) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Einbruchdiebstahl ist in der Tat eine Geißel. Es ist nicht nur in allen Fällen extrem ärgerlich, sondern endet für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger sehr häufig in einer Katastrophe, auch in einer familiären Katastrophe. Da gebe ich Ihnen recht: Viele finden in ihrer eigenen Wohnung ihre Ruhe nicht mehr. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Genau!) Wir müssen wieder Zustände erreichen, dass man zu Recht den englischen Satz sagen kann: My home is my castle. Da bin ich sicher. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) So gehört sich das. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da werden Sie noch klug auf Ihre alten Tage!) Wer anzweifelt, dass die Grünen hinter einer solchen Politik stehen, der handelt infam und leugnet die Tatsachen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt hören wir mal!) Es ist uns natürlich ein großes Anliegen, da etwas zu ändern. Die Frage ist nur: Wie? Herr Maas, Sie haben damit geendet, dass Sie gesagt haben, Sie müssten den kriminellen Netzwerken das Handwerk legen. (Anja Karliczek [CDU/CSU]: Genau!) In dieser allgemeinen Form kann ich das voll unterschreiben. Nur – das hat auch Herr Ullrich durcheinandergebracht –: (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Was? – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das kann ich mir gar nicht vorstellen!) Dafür brauchen wir kein neues Gesetz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Bandendiebstahl ist bereits heute mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr als Verbrechen strafbar – nach § 244 bzw. § 244a StGB. (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Aber eben nur der Bandendiebstahl! Und wenn es einer allein macht? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Und wenn die allein losziehen?) – Werfen Sie einen Blick ins Gesetz! Da steht das. – Das heißt, dafür braucht man das überhaupt nicht. Es geht nicht um Bandenkriminalität, sondern darum, dass Einzelpersonen das machen oder Personen das jedenfalls nicht als Bande oder als Netzwerk organisiert machen. Da – das kann ich Ihnen nur sagen; das ist auch von Herrn Maas erwähnt worden – ist das Erste und das Wichtigste, möglichst viele Einbrüche zu verhindern, zu vermeiden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das kann man am besten dadurch, dass die Wohnungen gesichert werden, bestmöglich gesichert werden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das machen wir auch!) Da kann nicht nur der Einzelne etwas tun, sondern der Staat kann mit Gesetzen und mit Geld helfen. Beides ist nicht genügend vorhanden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Das ist falsch!) Hier sollten Sie etwas tun und nicht Symbolpolitik machen und versuchen, mit erhöhten Mindeststrafen dagegen vorzugehen. Ich sage Ihnen: In Berlin und auch in anderen Bundesländern gab es Kampagnen der Kriminalpolizei, mit denen sie die Bürgerinnen und Bürger darüber aufklärten, was man noch alles tun kann. Ich habe aus schlimmer Erfahrung in meiner eigenen Wohnung auch zusätzlich etwas für Sicherheit getan. Man kann ein Stangenschloss anbringen, man kann die Fenster sichern. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Oder einen Hund kaufen!) Man kann, wenn man parterre wohnt, dickere Scheiben einsetzen. Aber das alles kostet Geld. Geringverdiener können sich das nicht leisten. Das heißt, der Staat muss helfen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Macht er ja!) Er muss Geld zur Verfügung stellen. Wenn Sie sagen: „KfW“, dann fragen Sie einmal: Wie viel Geld steht jetzt noch zur Verfügung? (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wird aufgestockt!) Da sage ich Ihnen: Die Mittel sind ausgeschöpft. Hier muss Geld zugelegt werden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen wir!) Die Bürgerinnen und Bürger müssen darüber informiert werden, wo sie Geld bekommen können. Die meisten wissen das gar nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wir haben doch gesagt, dass wir das fortführen!) Aber Sie können auch gesetzgeberisch etwas machen. Sie können zum Beispiel die unsinnige Regelung beseitigen, dass Mieter, wenn sie dafür sorgen, dass ihre Wohnungen sicher werden – zum Beispiel, indem sie ein Stangenschloss anbringen, das insgesamt gut 1 000 Euro kosten kann, weil die ganzen Vorrichtungen angebracht werden müssen –, beim Auszug alles wieder zurückbauen und den ursprünglichen Zustand wiederherstellen müssen. Völlig unsinnige Geschichte. Sie können auch die Vermieter verpflichten – das können Sie in die Bauordnung hineinschreiben –, dass zu einer neuen Wohnung auch gehört, dass sie ausreichend gesichert werden kann. Das muss moderner Standard sein, wenn Wohnungen gebaut werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dazu machen Sie einmal ein Gesetz. Das können Sie ändern, und da können Sie etwas hineinschreiben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür sind die Landesbauordnungen zuständig, aber doch nicht wir!) – Ja, Landesbauordnungen. Auf Bundesebene können Sie da auch anfangen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, nein!) Sie kommen immer noch mit dem alten Argument, das in der Bevölkerung verfangen soll, dass bei höheren Strafen die Einbrecher das auch lassen; denn sie würden vorher abwägen, wie viel sie beim Einbruch bekommen. Wenn die Strafe zu hoch ist, dann lassen sie es. – Das stimmt nicht. Das stimmt schon in der allgemeinen Form nicht, das stimmt aber gerade bei Wohnungseinbrüchen nicht. Vor zwei Jahrzehnten haben Sie schon einmal die Mindeststrafe verdoppelt. Die Mindeststrafe betrug drei Monate. Sie haben sie auf sechs Monate erhöht. Es war völlig ohne Wirkung, weil 95 Prozent der Täter, meistens Männer, aber auch der Täterinnen diese Erwägung, was ihnen das an Gefängnis einbringen kann, vorher überhaupt nicht anstellen. Wenn Ihnen das nicht einleuchtet, dann kommen wir zu einem zweiten Punkt. Sie können am meisten etwas gegen Wohnungseinbrüche tun, indem Sie die Aufklärungsquote erhöhen. Das hat Herr Maas auch gesagt. Aber wie kann man das erreichen? Indem man erstens die Polizei dazu in die Lage versetzt, mehr vor Ort zu sein, indem man zweitens den Wohnungsinhabern, Wohnungseigentümern oder -mietern, die Möglichkeit gibt, sehr viel schneller die Polizei zu erreichen, und indem man drittens die Polizei, die vor Ort Streife fährt, in die Lage versetzt, am Tatort möglichst schnell Tatspuren zu sichern. Das ist heutzutage alles nicht gesichert, weil es viel zu wenig Kriminalbeamte gibt, die Streife fahren und schnell zum Tatort kommen. (Beifall des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Das heißt, hier müssen Sie investieren: bei der Polizei, bei der technischen Ausstattung der Polizei, bei der Stärke und der Präsenz vor Ort. Da können Sie etwas tun; da können Sie etwas erreichen. Wenn die Aufklärungsquote steigt, dann wird die Zahl der Einbrüche zurückgehen. Deshalb sagen wir: Ihr Weg ist der falsche. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er hat so gut angefangen! Und jetzt die falschen Schlussfolgerungen!) Wir können uns – dazu sind wir gerne bereit – mit gutem Rat beteiligen, was man machen kann. Zu Ihrem Argument: „Wir nehmen die Vorratsdatenspeicherung, weil wir dann besser aufklären können“, sage ich Ihnen, Herr Maas: Ich habe noch, als Sie in dieser Frage umgefallen sind, Ihre Versicherung im Ohr: Wir wollen das nur einführen für Mord, Totschlag, für schlimme Sexualstraftaten und Terrorismus. – Jetzt kommen Sie plötzlich und ganz nebenher damit und führen das auch für den Einbruchdiebstahl ein. Das kann nicht wahr sein. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist es aber!) Genauso ist es falsch, eine Strafmilderung bei minderschweren Fällen abzuschaffen. Das ist Blödsinn; denn es gibt tatsächlich Fälle, in denen man minder bestrafen muss. Ich sage Ihnen: Sie misstrauen den Strafverfolgungsbehörden und den Richtern. Sie wollen sie zwingen, Strafen zu verhängen, die gar nicht angemessen sind, die das Schuldprinzip verletzen, und da machen wir nicht mit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es entscheidet aber auch ein Stück weit der Gesetzgeber, was für eine Strafe angemessen ist! Das nennt sich Gewaltenteilung, Herr Kollege!) Wir vertrauen den Richtern, dass sie in jedem Einzelfall zu einem gerechten Urteil kommen, das der Tat angemessen ist. Insofern sage ich Ihnen: Hören Sie mit diesem Misstrauen auf, das sich darin ausdrückt, dass Sie den Richtern jede Einzelheit vorschreiben wollen. Geben Sie ihnen einen weiten Entscheidungsrahmen vor. Damit können Sie die Bürgerinnen und Bürger wirksam schützen, wenn Sie zugleich all das berücksichtigen, was im Bereich der Prävention bitter notwendig ist, was im Hinblick auf eine bessere Ausstattung der Polizei dringend notwendig ist. Wenn Sie da etwas tun, haben Sie uns an Ihrer Seite – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das eine tun, das andere nicht lassen!) gemeinsam im Kampf gegen Einbruchsdiebstähle in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Eva Högl hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen schönen guten Morgen! Ich beginne mit einer guten Nachricht: Die Zahl der Wohnungseinbrüche ist im Jahr 2016 um 10 Prozent gesunken. Das ist erst mal eine richtig gute Nachricht, und wir sagen: Wir machen genauso weiter. (Beifall bei der SPD) Wir haben 150 000 Einbrüche, wir haben allerdings auch 40 Millionen Haushalte in Deutschland. Das muss man in Relation setzen. Ich sage aber auch ganz deutlich, damit ich nicht missverstanden werde: Jeder einzelne Einbruch ist einer zu viel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Er beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger, und dem kann man auch nicht immer mit Verweis auf Statistiken begegnen. Wir wissen, dass Wohnungseinbruchdiebstahl ein besonders fieses, unangenehmes Delikt ist. Es geht meistens weniger um den Verlust der Wertsachen oder um den Wert der gestohlenen Dinge, sondern ganz häufig um Erinnerungen, um Andenken und vor allen Dingen um das Wissen – und das ist richtig fies –: Jemand war in meiner Wohnung. – Nicht selten geschieht das ja sogar bei Anwesenheit der Betroffenen, etwa wenn die Einbrüche nachts erfolgen. Das verursacht nicht nur Unsicherheit bei denjenigen, bei denen eingebrochen wurde, sondern auch bei allen in der Nachbarschaft, bei Freunden und Verwandten – wir kennen das. Lieber Herr Ströbele, ich habe festgestellt: Wir haben eine große Gemeinsamkeit bei dem, was wir alles tun wollen. Wir, die Koalition, haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, den Schutz vor Wohnungseinbrüchen zu verbessern, und wir tun das. Ich zähle mal sechs Maßnahmen auf; denn wir machen nicht nur etwas beim Strafrecht, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) sondern wir machen noch ganz viel mehr. Das Erste ist – das ist ganz wichtig – die Aufklärung. Denn dies ist das große Problem bei Wohnungseinbrüchen: Wir haben eine viel zu niedrige Aufklärungsquote von nur 17 Prozent. Das heißt vor allen Dingen, wir brauchen mehr Polizei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Da sind die Länder gefordert – das wissen wir –; wir sind aber auch im Gespräch mit unseren Kolleginnen und Kollegen auf der Landesebene. Die Polizei muss vor Ort sein (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf dem Fahrrad und zu Fuß!) und die Straftaten schnellstmöglich aufklären. Zweitens wissen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es ganz häufig keine Einzeltäter sind, keine Beschaffungskriminalität ist, sondern international operierende Banden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber dann brauchen wir das Gesetz nicht!) Deswegen haben wir uns dafür engagiert, dass die Koordinierungsstelle im BKA, die für die Verfolgung genau dieser Straftaten zuständig ist, signifikant besser aufgestellt wird und dort mehr Personal angesiedelt wird. (Beifall bei der SPD) Die dritte Maßnahme, liebe Kolleginnen und Kollegen – auch das ist eine Sache der Länder, aber da müssen wir uns auf Bundesebene engagieren und die Länder unterstützen –: Die Justiz muss deutlich besser ausgestattet werden. Das gilt für die Staatsanwaltschaften und für die Strafgerichte. Wir wissen mittlerweile, dass die Justiz ganz häufig ein Nadelöhr ist: Die Polizei ermittelt, und dann bleiben die Sachen liegen. Deswegen brauchen wir eine deutlich besser ausgestattete Justiz, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) damit die Straftaten sofort angeklagt und dann auch bestraft werden können. Jetzt komme ich zu einem ganz wichtigen Punkt – Punkt vier –: die Prävention. Das wissen wir alle: Prävention ist das Allerwichtigste, und da müssen wir noch viel mehr tun. Wenn wir in der Polizeilichen Kriminalstatistik lesen, dass 40 Prozent der Wohnungseinbrüche im Versuchsstadium stecken bleiben – in 40 Prozent der 150 000 Fälle handelt es sich um Einbruchsversuche –, dann wissen wir, dass wir mehr für Prävention machen müssen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn wir bei der Polizei unterwegs sind und uns vor Ort unterhalten, dann sagen uns ganz viele Polizistinnen und Polizisten: Wir haben für Prävention zu wenig Zeit, wir können da nicht genügend in den Kiezen unterwegs sein. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Veranstaltungen machen! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Um eure Demos zu schützen, brauchen wir die Polizei!) Der fünfte Punkt ist – Herr Ströbele, da sind wir einer Meinung – das Thema Eigensicherung. Wir als Koalition haben 50 Millionen Euro für das KfW-Programm zur Verfügung gestellt, wir haben die Schwellen gesenkt, und wir haben die Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützt, dass sie sich besser selber sichern können, und zwar Mieterinnen und Mieter genauso wie Eigentümerinnen und Eigentümer. (Beifall bei der SPD) Was wir nicht geschafft haben, was wir aber angehen müssen, Herr Ströbele, ist genau das, was Sie erwähnt haben: die Landesbauordnung. (Beifall des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Ja, das war auch unser Bestreben: Wir wollen die Landesbauordnung so überarbeiten, dass die entsprechenden Maßnahmen schon im Vorhinein, nämlich wenn die Gebäude gebaut werden, als Vorschrift für Sicherheit in die Bauordnung eingefügt werden. Wir nehmen uns für die nächste Legislaturperiode vor, mit unseren Kollegen noch einmal darüber zu sprechen. (Beifall bei der SPD) Der sechste und letzte Punkt, über den wir heute diskutieren, betrifft das Strafrecht. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, das gehört auch dazu. Es geht hier nicht um Symbolik, sondern wir sagen ganz deutlich: Wohnungseinbruchdiebstahl muss hart bestraft werden. Deswegen legen wir heute den Gesetzentwurf vor. Wir wollen den Tatbestand, wenn in eine dauerhaft genutzte Wohnung eingebrochen wird, zum Verbrechen hochstufen und die Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei verbessern. Es ist ein gutes Paket, das die Koalition vorgelegt hat. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir hier im Bundestag eine möglichst breite Unterstützung haben und im nächsten Jahr sagen können: Die Zahl der Wohnungseinbrüche ist noch einmal um 10 Prozent gesunken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe neun Minuten Redezeit. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh Gott! Neun Minuten!) In diesen neun Minuten wird irgendwo in unserem Land dreimal eingebrochen. Wir debattieren hier 60 Minuten lang über das Thema Wohnungseinbruchdiebstahl. In diesen 60 Minuten, in dieser einen einzigen Stunde, wird fast 20mal irgendwo in Deutschland in eine Privatwohnung eingebrochen. Alle dreieinhalb Minuten passiert in Deutschland ein Einbruch. Wir haben es gehört: 2016 gab es in Deutschland 150 000 Einbrüche. Der Wohnungseinbruchdiebstahl ist ein Massenphänomen. An vielen Orten geht es überhaupt nicht mehr darum, ob eingebrochen wird, sondern es ist nur noch die Frage, wann eingebrochen wird. Wir als Union sagen: Das ist nicht akzeptabel, da müssen wir ran. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Menschen in ihren eigenen vier Wänden, in ihrem Zuhause, in das sie sich zurückziehen wollen, sicher fühlen. Der Staat und damit wir als Gesetzgeber sind in der Pflicht, das zu gewährleisten. (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, es besteht großer Handlungsbedarf. Dabei geht es uns gar nicht so sehr um die materiellen Schäden, obwohl die materiellen Schäden sehr hoch sind; damit wir uns nicht missverstehen. Jahr für Jahr werden durch Einbrüche Schäden in Höhe von 400 Millionen Euro verursacht. Das ist schlimm genug. Für manche Opfer ist es sogar existenzbedrohend, gerade wenn sie zum Beispiel nicht versichert sind. Aber viel schlimmer als die materiellen Schäden ist, dass die Opfer durch den Einbruch oftmals traumatisiert werden. Es ist ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre, ein tiefer Eingriff in die Intimsphäre. Man muss sich das vorstellen: Da werden Schränke durchsucht, etwa die Unterwäsche wird durchwühlt, und persönliche Gegenstände werden zerstört. Manche Opfer müssen sogar ihre Wohnung wechseln, weil sie sagen: Hier fühle ich mich einfach nicht mehr zu Hause. Ich fühle mich hier nicht mehr sicher. Ich traue mich nicht mehr, abends schlafen zu gehen. – Diese gravierenden psychologischen Folgen des Eindringens in die Privat- und Intimsphäre sind nicht etwas Abstraktes, sondern etwas ganz Konkretes. Lassen Sie mich das an einem Beispiel festmachen. Bei meinem Nachbarn ist schon fünfmal eingebrochen worden. Fünfmal! Jetzt kann man sich vorstellen, wie er sich fühlt, vor allen Dingen, wie seine Frau sich fühlt. Er überlegt ernsthaft, ob er sein Haus verkauft und irgendwo anders hinzieht. Er hat schon alles aufgerüstet, was nur möglich ist: eine Alarmanlage usw. Trotzdem wird immer wieder eingebrochen. Er hat Angst. Wir alle kennen das aus unserem Bekannten- und Freundeskreis. Wir als Union sagen: Wir müssen Einbrüche verhindern. Ich finde es zynisch, wenn hier gesagt wird: Na ja, wir haben doch jetzt 10 Prozent weniger Einbrüche. – Jeder Einbruch ist einer zu viel. Hinter jeder Zahl steht doch ein Mensch, steht ein Schicksal. Deswegen müssen wir die Zahlen deutlich senken. (Beifall bei der CDU/CSU) Um das zu erreichen, brauchen wir in der Tat einen Dreiklang: Wir brauchen eine bessere personelle und materielle Ausstattung von Polizei und Justiz, um Einbrecher effektiver verfolgen zu können. Natürlich brauchen wir auch Abschreckung durch härtere Strafen. Wir müssen den Strafermittlungsbehörden mehr Befugnisse geben. Schließlich müssen wir mehr für Prävention tun, um Einbrüche zu verhindern. Gerade der letzte Punkt – das ist angesprochen worden – hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Der Anteil der vollendeten Einbruchsfälle ist glücklicherweise gesunken. Fast die Hälfte aller Einbrüche bleibt mittlerweile im Versuchsstadium stecken. Da greifen die mechanischen Sicherungen, da sind die Türen und die Fenster gesichert. Die Einbrecher, die natürlich Angst haben, entdeckt zu werden, wenn es zu lange dauert, kommen dann nicht rein. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Luczak, darf der Kollege Ströbele eine Zwischenfrage stellen? Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Selbstverständlich. Sehr gerne. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will mich mit Ihnen zusammentun. Ich will gar nichts Böses – diesmal. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: „Diesmal“! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ausnahmsweise!) Herr Kollege, wir alle sind für Prävention. Das erste Problem ist, dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, was man damit erreichen kann. Sie haben zu Recht auf die 40 Prozent der Fälle hingewiesen, die im Versuchsstadium stecken blieben. Das zweite Problem ist, dass viele häufig das Geld dafür nicht haben, weil Prävention viel Geld kostet. Wir alle haben in den nächsten Monaten viele Wahlveranstaltungen. Können wir uns vielleicht darauf verständigen, dass wir auf jeder unserer Wahlveranstaltungen fünf Minuten lang die Bürgerinnen und Bürger informieren? Anstatt sie in Angst und Schrecken zu versetzen, indem wir ihnen sagen: „Alle Einbrecher kommen jetzt mindestens ein Jahr ins Gefängnis“, was ja nicht stimmt, könnten wir stattdessen sagen: Liebe Bürgerinnen und Bürger, ihr könnt die und die Maßnahmen treffen, und wenn ihr das nicht alleine bezahlen könnt, weil ihr vielleicht Geringverdiener seid, dann könnt ihr euch an die und die Stelle, die und die Telefonnummer wenden, um Geld dafür zu bekommen. – Machen wir das doch einmal gemeinsam. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür verteilen wir sogar Flugblätter!) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Lieber Kollege Ströbele, ich weiß nicht, wie Sie Ihre Wahlkreisarbeit machen. Ich jedenfalls habe genau das im Rahmen meiner Wahlkreisarbeit schon gemacht. Ich habe gemeinsam mit dem Landeskriminalamt, mit der örtlichen Polizeidirektion und mit dem Grundeigentümerverband zusammen zu einer Veranstaltung eingeladen, in der ich auf die Möglichkeiten zum Einbruchschutz hingewiesen habe. Diese Veranstaltung war sehr gut besucht und ist sehr gut angekommen. Ich will ein Weiteres sagen: Natürlich wollen die Leute wissen, wo sie etwas machen können. Wir als Staat machen ja eine ganze Menge. Wir haben das staatliche Zuschussprogramm, die Förderung über die KfW, erheblich aufgestockt und die Schwelle für Zuschüsse gesenkt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist kein Geld mehr da! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das läuft jetzt aus! Die Zuschüsse sind im September alle! Das ist Teil des Problems!) Wir haben also wirklich sehr viel gemacht. Die Leute wollen aber wissen: Was macht der Staat darüber hinaus? Die wollen doch auch wissen, dass die Einbrecher hinter Schloss und Riegel gebracht werden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt ja nicht!) Deswegen müssen wir beides tun: Prävention einerseits; andererseits müssen wir uns aber auch den Strafrahmen anschauen. Dieser Gesetzentwurf zeigt, dass wir genau das tun, lieber Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Zuschussprogramm, das ich genannt habe, wirkt. Das ist vernünftig, und das müssen wir auch fortführen. Ich will aber auch sagen: Wir dürfen uns als Staat selbstverständlich nicht aus der Verantwortung stehlen. Es kann nicht angehen, dass wir nur sagen: Liebe Bürger, nehmt mal Geld in die Hand, wir bezuschussen das zwar, aber letztlich müsst ihr eure Wohnung selbst sichern. Dafür seid ihr verantwortlich. – Das geht nicht. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir auch die anderen beiden Punkte aus dem Dreiklang angehen. Wir müssen zum einen die personelle und materielle Ausstattung von Polizei und Justiz – da ist vieles Ländersache – verbessern. Da haben wir als Bund eine ganze Menge gemacht. Wir haben unsere Sicherheitsbehörden personell viel besser ausgestattet. Wir haben einen enormen Aufwuchs an Stellen, auch um die organisierte Kriminalität bekämpfen zu können. Zum anderen müssen wir uns aber auch – jetzt kommen wir zu dem Gesetzentwurf – den strafrechtlichen Regelungsrahmen angucken. Wir müssen die Täter abschrecken und die Ermittlungsbefugnisse ausbauen. Wir als Union wollen – das haben wir hier schon gehört – den Wohnungseinbruch, der momentan ein bloßes Vergehen mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten ist und bei dem es auch einen minderschweren Fall gibt, angesichts der gravierenden Folgen, die ein Wohnungseinbruch für die Opfer hat, als das bestrafen, was es wirklich ist, nämlich als Verbrechen; denn eine Bestrafung als Vergehen ist dem Unrechtsgehalt dieser Taten nicht angemessen. Deswegen erhöhen wir den Strafrahmen auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Es wird keinen minderschweren Fall mehr geben. Das machen wir auch, weil wir als Gesetzgeber ein deutliches Signal an die Strafjustiz aussenden wollen, Wohnungseinbrüche zukünftig generell härter zu bestrafen. Lieber Kollege Ströbele, das hat überhaupt gar nichts mit Misstrauen gegenüber der Strafjustiz zu tun, überhaupt nichts. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Aber wir sehen uns natürlich die Verurteilungen und den Strafrahmen an, und wenn wir feststellen, dass die Strafen in der Regel am unteren Ende des Strafmaßes angesiedelt sind, dann müssen wir als Gesetzgeber reagieren. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also doch Misstrauen!) Das hat etwas mit Gewaltenteilung zu tun. Wir als Gesetzgeber sagen, was wir als besonders strafwürdig ansehen. Wir in der Union und der Koalition sagen gemeinsam: Wohnungseinbruchdiebstahl ist ein Verbrechen; das müssen wir härter bestrafen. (Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Ströbele, Sie haben gesagt, das alles würde nicht helfen, davon würde niemand abgeschreckt. In einer Strafrechtsvorlesung im ersten Semester habe ich beim Thema Strafzwecke gehört – das ist schon ein paar Tage her; ich kann mich aber noch ganz gut daran erinnern –, dass es auch so etwas wie eine negative Generalprävention gibt. Dabei geht es um Fragen der Abschreckung. Auch wenn Sie mir an dieser Stelle nicht folgen wollen, dann müssen Sie doch wenigstens sehen – Sie sind ein guter Jurist, Herr Kollege, Sie wissen das doch –, dass es ganz konkrete weitere Konsequenzen hat, wenn wir den Wohnungseinbruchdiebstahl zu einem Verbrechen hochstufen. Das führt nämlich zum Beispiel dazu, dass schon die Verabredung zu einem Wohnungseinbruchdiebstahl oder die versuchte Anstiftung zukünftig strafbar ist. Das ist vorher nicht der Fall gewesen. Eine solche Hochstufung hat auch ganz konkrete strafprozessuale Auswirkungen. Zukünftig wird es nicht mehr möglich sein, ein solches Strafermittlungsverfahren mit einem Strafbefehl zu beenden oder wegen Geringfügigkeit einzustellen, weil es sich um einen Verbrechenstatbestand handelt. Das sind ganz konkrete Auswirkungen der Höherstufung zu einem Verbrechen. Wir sagen: Ja, hier ertüchtigen wir die Strafjustiz, mehr machen zu können. Deswegen ist es richtig, dass wir zukünftig Wohnungseinbruchdiebstahl als Verbrechen bestrafen. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich geht es hier auch um Ermittlungsbefugnisse. Der beste Fall ist immer noch, dass der Einbruch überhaupt nicht stattfindet. Deswegen müssen wir uns genau anschauen, wie die Taten begangen werden. Wir stellen fest: Natürlich sind es Einzeltäter, gegen die wir hier vorgehen müssen, aber es sind auch vielfach Täter aus der organisierten Kriminalität. Diese werden immer etwas beschönigend als „mobile Tätergruppen“ bezeichnet, tatsächlich sind das fahrende Einbrecherbanden, die auf Diebeszüge gehen und oftmals ganze Straßenzüge ausrauben. Die Objekte werden vorher observiert, es wird geschaut, wann die Bewohner nicht da sind. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Bandenkriminalität!) Da müssen wir ran. Wir müssen die organisierten Strukturen aufdecken. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir an die gespeicherten Telekommunikationsdaten herankommen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) Mit diesem Gesetz wollen wir den Katalog in § 100g StPO anpassen und den Wohnungseinbruchdiebstahl ausdrücklich in diesen Katalog aufnehmen. Das wird zukünftig dazu beitragen, die Aufklärungsquote zu erhöhen. Die Aufklärungsquote liegt momentan bei etwas über 16 Prozent. Das ist viel zu wenig. Das müssen wir ändern. Wir müssen das Risiko, entdeckt zu werden, für die Täter erhöhen. Dann werden sich viele überlegen, ob sie zukünftig noch einbrechen. Das machen wir genau mit diesem Gesetz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zukünftig wird – das Thema ist hier schon angesprochen worden – Funkzellenüberwachung möglich sein. Wir werden zukünftig auch auf die Standortdaten zurückgreifen können. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur, wenn der Täter ein Handy hat!) Hier bekommt die Polizei, hier bekommen die Staatsanwaltschaften mehr Mittel in der Hand, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Das ist also völlig richtig. Ich glaube, dass mit diesem Gesetz insgesamt ein richtiger Ansatz verfolgt wird. Wir machen etwas beim Strafrahmen, wir machen etwas für die Abschreckung, wir verbessern die strafprozessualen Möglichkeiten und geben Polizei und Justiz das Rüstzeug, Täter tatsächlich zu überführen. Was wir im parlamentarischen Verfahren tun müssen, ist in der Tat, Wertungswidersprüche, die es noch gibt, aufzulösen. Ich denke zum Beispiel an den Bandendiebstahl. Hier wäre bei Einbruchdiebstahl die Einstufung als minderschwerer Fall möglich. Da klafft in der Tat etwas auseinander, wenn wir sagen, bei Einzeltätern zählt das nicht als minderschwerer Fall, beim Bandendiebstahl aber schon. Das passt nicht zusammen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dilettantismus!) Auch beim Bandendiebstahl darf es in der logischen Konsequenz keinen minderschweren Fall geben. Dahin müssen wir kommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das werden wir im parlamentarischen Verfahren machen. Wir als Union sind auf der Seite der Bürger, wenn es um ihre Sicherheit geht. Dafür werden wir in den kommenden Wochen sorgen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Auch ich will aus der Polizeilichen Kriminalstatistik zitieren. Wir haben uns gefreut, dass die Zahl der Einbrüche um 10 Prozent zurückgegangen ist. Aber es kam noch immer zu 150 000 Einbrüchen im Jahr 2016. Das ist zu viel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Bürgerinnen und Bürger fordern zu Recht vom Staat mehr Schutz vor Wohnungseinbrüchen. Deshalb ist es für uns ein ganz wichtiges Anliegen, die Wohnungseinbrüche zu bekämpfen, damit sich die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sicherer fühlen. (Beifall bei der SPD) Dazu gehört zunächst, dafür zu sorgen, dass gerade auch im ländlichen Raum mehr Polizeipräsenz stattfindet. In meinem Heimatland Baden-Württemberg ist das leider oft nicht der Fall. Da haben wir gerade in der Fläche zu wenige Polizeistellen und deshalb zu wenig Polizeipräsenz, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wer ist denn dort Innenminister?) und das gerade an den Wochenenden und in den Abendstunden, also genau zu den Zeiten, zu denen die Einbrüche stattfinden. Da müssen wir für mehr Polizeipräsenz sorgen. Das ist eine wichtige Aufgabe für alle Bundesländer. Daraus sollten wir keine Wahlkampfnummer machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Wir müssen natürlich vor allem auf Prävention setzen. Es ist belegt, dass Einbrecher von ihrem Einbruchsversuch ablassen, wenn sie nicht innerhalb einer halben Minute in die Wohnung gelangen. Deshalb ist es entscheidend, dass wir das Förderprogramm, das wir bei der KfW aufgelegt haben, noch weiter ausbauen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da ist nichts drin!) Wir können uns hier nicht aus der Verantwortung stehlen und sagen: Die Bürger sollen alleine für die Sicherheit sorgen. Wir sollten Einbruchschutz also fördern. Ich finde, wir sollten den Zuschuss von 10 Prozent der Investitionssumme auf 20 Prozent erhöhen. Dann können auch Mieter, dann können auch Geringverdiener, also der Personenkreis, den Sie, Kollege Tempel, angesprochen haben, für ihre Sicherheit sorgen. Alle Bürger haben ein Recht auf Sicherheit. Deswegen sollten wir durch dieses Förderprogramm dafür sorgen, dass alle Bürger diesen Zuschuss erhalten, und zwar mindestens 20 Prozent der Investitionssumme. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) An dieser Stelle einen großen Dank an die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die dieses Programm hervorragend umsetzt. Herr Kollege Ströbele, zu der Informationsveranstaltung in meinem Wahlkreis ist sogar ein Mitarbeiter der KfW gekommen. Das hing, nebenbei gesagt, vielleicht auch damit zusammen, dass bei dem zuständigen Abteilungsleiter der KfW im April zweimal eingebrochen wurde. Also auch vor diesem Hintergrund ist die KfW bei diesem Thema sehr engagiert. Daher spreche ich ihr an dieser Stelle ein Lob aus. (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dass die Prävention funktioniert, zeigt die Entwicklung bei den Autodiebstählen. Es gab im Jahre 1993 über 100 000 Autodiebstähle und Einbrüche in Autos. Diese Zahl hat sich auf 19 000 im letzten Jahr reduziert. Das zeigt, dass sich die Investitionen der Autoindustrie in bessere Sicherungstechniken, also Wegfahrsperren, bessere Schlösser usw., gelohnt haben. Die entscheidende Stellschraube, um Einbrüche zu verhindern, ist die Prävention. Daher sollten wir die besten Mechanismen zum Einbruchschutz fördern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich will hier ausdrücklich festhalten, dass mir alle Polizeibeamten, mit denen ich über die Täterkreise gesprochen habe, bestätigt haben, dass Asylbewerber oder Flüchtlinge in den seltensten Fällen die Täter sind. Das macht es nicht besser, das macht die Einbrüche selbstverständlich nicht ungeschehen. Aber die Tatsache, dass es überwiegend osteuropäische Banden sind und eben nicht Flüchtlinge, möchte ich hier ausdrücklich festhalten. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Diese leider noch hohe Zahl an Wohnungseinbrüchen geht nicht auf das Konto von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Sie sehen also: Wir haben eine ganze Menge gegen Wohnungseinbrüche getan. Das müssen wir auch; denn die Einbrüche traumatisieren die Opfer. Oft ist es nicht der Verlust von Geld oder von Gegenständen, was die Opfer am meisten belastet, sondern das Gefühl der Unsicherheit, das Gefühl, dass jemand in die eigenen vier Wände, in die Intimsphäre eingedrungen ist. Angesichts der Tatsache, dass nicht einmal 20 Prozent der Einbrüche aufgeklärt werden, finde ich es richtig, dass wir mit Regelungen auch im Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung Maßnahmen gegen Wohnungseinbrüche ergreifen. (Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir erhöhen mit diesem Gesetzentwurf den Mindeststrafrahmen für Wohnungseinbruchdiebstahl auf ein Jahr. Wir schaffen auch den minderschweren Fall ab. Das sind ohne Zweifel drastische Strafverschärfungen. Ich glaube, wir brauchen sie, um die hohe Zahl der Wohnungseinbrüche zu senken. Solche Strafen werden abschrecken und dazu beitragen, dass es weniger Wohnungseinbrüche gibt. Ich komme zum Schluss. Uns in der SPD-Fraktion ist es wichtig, dass wir die Sorgen der Bürger hinsichtlich Kriminalität ernst nehmen, dass wir handeln und dass wir effektiv genau die Maßnahmen ergreifen, die tatsächlich gegen Wohnungseinbruch helfen. Wir sollten deshalb diesem Gesetzentwurf zustimmen und auch dafür sorgen, dass wir die Mittel für das Zuschussprogramm bei der KfW erhöhen. Ich bin gespannt, ob die Union die Mittel bewilligen wird. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu dem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir in diesem Haus sind uns einig, dass die Situation bei Einbrüchen in private Wohnungen in Deutschland einen Grad erreicht hat, der nicht mehr akzeptabel ist. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nie akzeptabel war!) Wir als CDU/CSU wollen zusammen mit der SPD, aber auch mit der Bundesregierung etwas dagegen machen, und wir machen auch etwas. Während ich die Debatte heute verfolgt habe, meine Damen und Herren der Linken und der Grünen, wurde mir klar: Sie machen nichts. Sie machen einen Abwehrkampf. Sie ignorieren diese Situation. Sie tun nichts. Sie wollen sich auch nicht daran beteiligen, etwas zu tun. Sie diskutieren nur. Es kann nicht sein, dass man Menschen in dieser Situation alleine lässt. Es ist ein trauriges Bild, dass Sie sich überhaupt nicht an der Diskussion positiv beteiligen. (Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben überhaupt nicht zugehört, Herr Sensburg! Das sind Nebelkerzen!) – Ich lege Ihnen das gleich dar. Wir machen einen Dreiklang. Als Erstes stärken wir die Polizei vor Ort, und zwar mit den richtigen Instrumenten. Das ist wichtig. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das hat Herr Ströbele schon gesagt!) Der zweite Punkt ist Prävention. Wir stärken die Menschen dabei, etwas zu tun, sodass sie ihre privaten Wohnungen sichern können. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können sie nicht! Sie haben kein Geld!) Der dritte Punkt ist: Wir verändern auch das Strafrecht. Es muss ein klares Zeichen geben: Angesichts der Vielzahl dieser Delikte und der Tatsache, dass sich die Ausführung dieser Taten verändert hat, muss man im Strafrecht die richtigen Werte hinsichtlich der Höhe des Strafrahmens einziehen. Es muss auch die Konsequenzen geben, die Kollege Luczak, glaube ich, gerade sehr präzise ausgeführt hat. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fünf Jahre!) Kommen wir zum ersten Punkt: Stärkung der Möglichkeiten, die die Bürgerinnen und Bürger haben. Es ist richtig und gut, dass wir bei der KfW mehr Geld einstellen, damit die Bürgerinnen und Bürger ihre Wohnungen sichern können. Da ist noch viel möglich. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Höchstens 20 Prozent!) Das werden wir gemeinsam machen. Es wäre schön, wenn Sie wenigstens das unterstützen würden. Der zweite Punkt ist: Wir möchten, dass die Polizei vor Ort präsent ist und die nötigen Mittel hat. Wenn Sie, Herr Ströbele, diese Auffassung teilen, dann wundert es mich, dass Sie in der Debatte zum Schutz von Vollstreckungsbeamten argumentiert haben, das brauche man gar nicht. Die Kollegin Mihalic hat damals gesagt, die Diskussion sei überflüssig. Sie wollen Polizeibeamte vor Ort nicht schützen. Ihre Argumentation an dieser Stelle ist verlogen und falsch! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso wollen wir die nicht schützen?) Jetzt geht es um die Instrumente. Natürlich ist es richtig, dass wir in einer vernetzten Welt mit immer mehr Banden, die organisiert in Wohnungen einbrechen, die Güter verschieben, teilweise ins Ausland, schauen müssen, wie die Kommunikation läuft. Deswegen ist es gut, dass sich der Justizminister nicht nur für die Vorratsdatenspeicherung eingesetzt hat, sondern sich auch für die Erfassung und retrograde Recherche dieser Daten einsetzt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber reden wir jetzt gar nicht!) Ich freue mich übrigens, dass beim Thema Quellen-TKÜ ein weiterer Fortschritt erreicht werden konnte. Ich finde, dass wir zur Bekämpfung der Kriminalität in Zeiten moderner Kommunikationsmittel gute Schritte gehen. Das machen wir, und das machen wir auch, damit sich Bürgerinnen und Bürger in ihren Wohnungen wieder sicher fühlen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen Symbolpolitik!) Drittens, das Strafrecht. Wir stellen fest, dass sich die Art und Weise der Deliktausführung massiv verändert hat. Ich glaube, Sie gehen noch von dem Bild des Ede aus, der mit seinem Rucksack um die Wohnungen schleicht und fast ehrenvoll versucht, einzubrechen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) Schauen Sie sich doch einmal die Deliktausführung an – Herr Tempel, Sie müssten es doch wissen –: Mit hoher Brutalität, mit hoher Gewalt wird in Wohnungen eingedrungen. Wenn die Bewohner nachts zu Hause sind und aufwachen, dann wird massiv gegen sie vorgegangen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Es gibt sehr verschiedene Vorgehensweisen!) Wenn sich dann jemand in der Wohnung später nicht mehr wohlfühlt, dann kann man das wohl verstehen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Nicht nur Krimis gucken, auch einmal in die Praxis schauen!) Wer angesichts dessen, dass sich die Ausführung der Delikte so verändert hat, am Strafmaß nichts ändern will, der schützt nicht die Bürger, der macht die Augen zu vor denjenigen, die von diesen Straftaten hart betroffen sind. Herr Tempel, Sie rufen gerade so vehement dazwischen. Zu Ihrem Fall mit dem Rentner: Sie können ja gerne über alle Themen diskutieren, auch über die Leistungen für Pensionäre und Rentner. Das ist aber nicht Gegenstand der jetzigen Debatte. Dass Sie für den Rentner nichts tun wollen, wenn in seine Wohnung eingebrochen wird, ist schändlich. Dass Sie ihn alleine lassen und im Grunde nichts tun wollen, ist traurig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir tun etwas. Wir wollen, dass die Menschen in unserem Land geschützt werden. Deswegen dieser richtige Dreiklang: erstens Polizei stärken, mit Präsenz vor Ort und den notwendigen Mitteln, zweitens Sicherung der eigenen Wohnung, dafür Fördermittel bereitstellen, und drittens im Strafrecht den Strafrahmen erhöhen. Das ist ein Zeichen in die Gesellschaft, dass wir etwas tun, und ein Zeichen für diejenigen, die Straftaten begehen, dass wir es ihnen nicht durchgehen lassen. Wohnungseinbrüche sind für uns ein No-Go. Deswegen tun wir etwas. Unterstützen Sie uns doch wenigstens ein bisschen dabei. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun möchte der Kollege Tempel eine Kurzintervention machen. – Bitte schön. Frank Tempel (DIE LINKE): Dem Kollegen ist offensichtlich ein Irrtum unterlaufen; vielleicht ist er während meiner Rede etwas eingenickt. Er sagte, dass wir nichts für den Rentner tun wollen, der Angst vor Einbrüchen hat. Ich habe im zweiten Teil meiner Rede – ungefähr bei Minute vier, fünf, wenn Sie nachlesen wollen – gesagt, dass es von der Bevölkerung wahrgenommen wird, wenn die Polizeidichte deutlich zurückgeht, und dass das das Unsicherheitsgefühl deutlich erhöht. Auch dass die Polizei häufig zu spät vor Ort ist, kam in meiner Rede vor. Das ist für den Rentner in meiner Region, bei dem eh nicht viel zu holen ist, der aber selbstverständlich Angst vor Wohnungseinbrüchen hat, sehr problematisch. Er kann nicht in einer Luxuswohngegend leben, wo man sich private Sicherheitsdienste leisten kann. Er ist tatsächlich darauf angewiesen, dass die Polizei rechtzeitig vor Ort ist. Das habe ich in meiner Rede ausgeführt. Ich möchte Herrn Sensburg noch auf Folgendes hinweisen: Zu wenig Polizeidichte ist für den Bürger ein Problem. Wenn in einer Region, in einem Landkreis nachts nur noch drei Streifenwagen unterwegs sind, wovon ein Auto zu einem Unfall und ein anderes bei einer Familienstreitigkeit ist, weil jemand seine Frau schlägt, dann sind fast alle Streifenwagen im Einsatz. Das ist gerade für den Rentner in meiner Region ein Problem. Das war Bestandteil meiner Rede. Wir haben lediglich ein Mittel stark angegriffen, nämlich das Mittel der Strafverschärfung. Ansonsten habe ich mehrere Stellschrauben benannt, an denen man tatsächlich zur Bekämpfung von Einbruchskriminalität drehen kann. Da ist die CDU bei weitem nicht alleine. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Kurze Erwiderung, Herr Kollege Sensburg. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Erster Punkt. Ganz herzlichen Dank für den Hinweis. Hier sind wir uns sogar einig: Die Polizeidichte vor Ort muss gesteigert werden. Genau die gleiche Situation wie Sie erlebe auch ich in meinem Wahlkreis. Ich möchte es auch noch einmal betonen: Es ist schön, dass Sie von den Linken eine höhere Polizeidichte, also mehr Polizei, fordern. Diesen Zustand hätte ich mir vor vier, fünf Jahren nicht träumen lassen. Es ist wunderbar, dass die Linke eine höhere Polizeidichte vor Ort fordert. Unterstützen Sie uns dabei; das ist auch unsere Forderung. – Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Den Abbau haben wir immer kritisiert!) Zweiter Punkt. Diskutieren Sie einmal mit den Menschen vor Ort darüber – mit dem Rentner in seiner Wohnung, mit den Menschen an der Theke –, wie sie über das Thema Einbruchsdiebstähle denken. An erster Stelle wird ein höheres Strafmaß gefordert und gesagt: Lasst es denen so nicht durchgehen. An zweiter Stelle wird gesagt: Helft uns dabei, unsere Wohnungen zu sichern. Wenn Sie in den Gesetzentwurf schauen, dann sehen Sie, dass von diesem Gesetzentwurf und der Förderung über die KfW genau diejenigen profitieren, die ein geringes Einkommen haben, eben nicht in den Luxusgegenden leben und ihre Wohnungen sichern wollen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 20 Prozent!) Unterstützen Sie also unseren Gesetzentwurf! Genau das, was Sie fordern, steht darin. Ich glaube, es ist ein guter Gesetzentwurf. Wenn Sie das, was Sie gerade gesagt haben, wirklich ernst meinen, dann können Sie in den Beratungen ja zustimmen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Klärung der offenkundig noch bestehenden Meinungsverschiedenheiten besteht ja jede Gelegenheit, wenn nun beschlossen wird, diesen Gesetzentwurf auf dem üblichen Wege im Ausschussverfahren weiter zu beraten. Von den Fraktionen wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 18/12359 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 38 a und 38 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) Drucksache 18/12356 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Renate Künast, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz und Recht im Netz – Maßnahmen gegen Hasskommentare, „Fake News“ und Missbrauch von „Social Bots“ Drucksache 18/11856 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Auch für diese Aussprache sind 60 Minuten vorgesehen. – Das ist auch offenkundig unstreitig. Also verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile wiederum dem Bundesjustizminister das Wort. (Beifall bei der SPD) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle kennen die furchtbaren Beispiele von Mordaufrufen, Bedrohungen und hasserfüllten Postings, die es in den sogenannten sozialen Netzwerken gibt. Wenn sich die Nutzer dann bei ihren Plattformbetreibern beschweren, bekommen viele zu oft die Antwort: Das verstößt nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards, und deshalb wird es nicht gelöscht. Viele von Ihnen kennen auch aus eigener Erfahrung Beleidigungen und Bedrohungen im Netz. Wir alle sind es gewohnt, im Kreuzfeuer von Debatten zu stehen – und wir werden im Übrigen auch gut beschützt. Ich mache mir viel mehr Sorgen um all diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die ansonsten im Netz unterwegs sind: um den freiwilligen Flüchtlingshelfer, der beleidigt und eingeschüchtert wird, um die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker, die beschimpft und bedroht werden, um die Jugendlichen, die im Netz in krimineller Weise gemobbt werden. Hasskriminalität beschädigt unser Zusammenleben, unsere Debattenkultur und letztlich auch die Meinungsfreiheit. Wenn strafbare Bedrohungen und Einschüchterungen im Internet nicht entfernt werden, dann werden sich viele Bürgerinnen und Bürger aus der Onlinediskussion zurückziehen. Zur Klarstellung: Es geht bei unserem Gesetzentwurf darum, dass Äußerungen, die gegen Strafgesetze verstoßen, aus dem Netz gelöscht werden. Es geht um Mordaufrufe, es geht um Aufrufe, Flüchtlingsheime anzuzünden oder andere Gewalttaten zu begehen, es geht um Bedrohungen und Beleidigungen, es geht um Volksverhetzung, und es geht um die Auschwitz-Lüge. Kurzum: Es geht um Straftaten; es geht um Äußerungen, die nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern ganz einfach strafbar sind. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!) All solche Äußerungen sind kein Ausdruck der Meinungsfreiheit, sondern ganz im Gegenteil Angriffe auf die Meinungsfreiheit. Damit sollen Andersdenkende eingeschüchtert und mundtot gemacht werden. Damit sollen eine rhetorische Dominanz und ein Klima der Angst geschaffen werden. Wir müssen und wollen uns mit diesem Gesetz auch um die Meinungsfreiheit derer kümmern, die schon längst im Internet mundtot gemacht worden sind. Das soll nicht so bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die größte Gefahr für die Meinungsfreiheit ist ein Zustand, in dem ohne Konsequenzen bedroht, beleidigt und eingeschüchtert werden darf. Dieser Hass und diese Hetze im Netz sind die wahren Feinde der Meinungsfreiheit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich weiß, dass wir uns mit diesen Regelungen im Gesetz in einem grundrechtssensiblen Bereich bewegen. Deshalb kommt es nicht unerwartet, dass viel über diesen Gesetzentwurf diskutiert wird und dass es auch Kritik gibt. Damit will ich mich einmal auseinandersetzen. Da wird der Vorwurf erhoben, wir würden die Rechtsdurchsetzung auf Private verlagern. Hierzu kann ich nur sagen: Wir verlagern gar nichts. Wir sorgen vielmehr durch Compliance-Regeln dafür, dass bereits bestehende Verpflichtungen der sozialen Netzwerke endlich auch eingehalten werden. Bereits auf der Grundlage des geltenden Rechts, der E-Commerce-Richtlinie, dürfen soziale Netzwerke nach einer konkreten Beschwerde strafbare Inhalte nicht ignorieren, sondern sie müssen handeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Richtig!) Wenn sie das nicht tun, dann können sie sich auch nicht mehr auf ihr Haftungsprivileg beziehen, und das hat Konsequenzen zur Folge. Deshalb wundert mich dieser Punkt der Kritik ganz besonders; er hat mit dem Gesetzentwurf überhaupt nichts zu tun. Denn das sind Regelungen, die es schon längst gibt, und zwar in der E-Commerce-Richtlinie und bei uns im Telemediengesetz. Wer sich jetzt darüber aufregt, der hätte sich auch in den letzten Jahren schon darüber aufregen müssen. Aber mit diesem Gesetzentwurf hat das gar nichts zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das stimmt ja gar nicht!) Ganz im Gegenteil: Den Maßstab dafür, was erlaubt ist und was nicht, legt nicht Facebook oder irgendein anderes soziales Netzwerk fest. Maßstab bleiben einzig und allein die Strafgesetze, und die Gerichte entscheiden nach diesen Gesetzen, was strafbar ist und was nicht. Meine Damen und Herren, in der Diskussion und den Stellungnahmen, die es gegeben hat, wird auch die Gefahr beschworen, dieser Gesetzentwurf könnte das sogenannte Overblocking befördern. Das bedeutet, dass die Plattformbetreiber einfach alles löschen, nur damit sie einer einzelnen Geldbuße entgehen können. Das kann nur ein Missverständnis sein, oder es ist gewollt, dass man das nicht versteht. Die Bußgelder, die der Gesetzentwurf vorsieht, drohen einem Unternehmen nicht, wenn es einen einzelnen Tweet oder Kommentar nicht gelöscht hat. Es geht gar nicht um Einzelfälle. Bußgelder drohen nur dann, wenn es ein systematisches Versagen der Netzwerke gibt, wenn also überhaupt kein effektives Beschwerde- und Löschungsverfahren besteht. Außerdem werden nur schuldhafte Verstöße geahndet. Wenn die Strafbarkeit eines Posts nicht erkennbar ist, dann wird das auch nicht zu einem Bußgeld führen können. Im Übrigen verstehe ich bei diesem Thema eines überhaupt nicht: Das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke beruht doch gerade darauf, möglichst viel zu kommunizieren. Schon aus wirtschaftlichen Interessen werden sie deshalb das alles sehr genau prüfen. Die bisherige Praxis zeigt jedoch das Gegenteil: Es wird nicht zu viel gelöscht, sondern es wird leider viel zu wenig gelöscht. Wenn ein Unternehmen meldet, wie es Facebook gerade getan hat, dass der Gewinn verdoppelt wurde, dann muss ich sagen, meine Damen und Herren: Ich sehe nicht ein, dass strafbare Inhalte im Netz stehen bleiben sollen, damit Facebook und Co kein zusätzliches Geld dafür ausgeben müssen, Mordaufrufe aus ihren Seiten zu tilgen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb glaube ich, dass wir heute an einem Scheideweg stehen: Nehmen wir weiter hin, dass die digitale Revolution den Rechtsstaat und unsere demokratische Kultur massiv infrage stellen kann? Oder machen wir endlich ernst mit dem Anspruch, dass auch das Internet kein rechtsfreier Raum ist und dass auch online nicht erlaubt ist, was offline verboten ist? Meine Damen und Herren, das Recht ist der Garant unserer Freiheit, auch der Meinungsfreiheit. Sorgen wir dafür, dass das auch im Netz endlich von allen beachtet wird. Sorgen wir endlich dafür, dass Mordaufrufe, Volksverhetzung und Bedrohungen so schnell wie möglich aus dem Internet verschwinden. Nur dann bleibt die Meinungsfreiheit für alle wirklich gesichert. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Petra Sitte erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So wie ein Zitronenfalter eben keine Zitronen faltet, setzt ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz eben keine Netzwerke durch. So viel ist schon einmal klar. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!) Die Frage aber, was hier tatsächlich von wem und wem gegenüber durchgesetzt wird, sollten wir an dieser Stelle im Hinterkopf behalten. Wie wir schon hören konnten, soll es um die Durchsetzung von Recht und Gesetz gegenüber den großen sozialen Netzwerken gehen. Das ist – so viel sei hier vorausgeschickt – ein durchaus berechtigtes Anliegen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Facebook, Twitter und Co haben sich in der Vergangenheit oft genug viel zu wenig kooperativ gezeigt, insbesondere dann, wenn es um die Bekämpfung von rechtswidriger Hassrede, um Hetze und Belästigung ging. Aber der nun eingebrachte Gesetzentwurf – das wissen wir schon jetzt – wird neue Probleme schaffen, vor allem deshalb, weil er die Durchsetzung am Ende doch wiederum in Hände legt, in die sie nicht gehört; darin sind wir uns mit Sicherheit einig. Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist die: Eine kleine Anzahl großer kommerzieller Plattformen monopolisiert eine Form der Kommunikation, die wir aus unserem Leben nicht mehr wegdenken wollen. Das führt dann dazu, dass elementare Regeln über Inhalte nicht mehr gesellschaftlich ausgehandelt, sondern in Privatunternehmen einseitig festgelegt werden. Ein Beispiel sind die berüchtigten Gemeinschaftsstandards von Facebook, nach denen weibliche Brustwarzen ganz offensichtlich ein größeres Problem als Nazipropaganda darstellen. Auf diese bzw. ähnliche Herausforderungen brauchen wir in der Tat eine ordnungspolitische Antwort. (Beifall bei der LINKEN) Eine ausführliche Berichtspflicht für die sozialen Netzwerke und bußgeldbewehrte Vorgaben für die Beschwerdebearbeitung sind durchaus keine falschen Ansätze. Aber das Problem mit den Vorgaben, die Sie hier machen, ist, dass die Plattformen selbst die rechtliche Einordnung überantwortet bekommen. Das ist keine Durchsetzung gegenüber den Netzwerken, sondern durch die Netzwerke. Eine Plattform wird dann innerhalb kürzester Zeit selbst entscheiden müssen, ob ein Inhalt rechtswidrig ist. Das kann aber durchaus auch eine komplizierte Abwägungsfrage sein. Wenn die unterlassene Löschung sanktioniert wird, ein zu Unrecht gelöschter Inhalt aber nicht, dann kann man sich relativ leicht ausrechnen, wohin das führen wird. Dann werden eben auch legale Inhalte im großen Stil gelöscht werden. Bei Plattformen, die ein faktisches Monopol innehaben, kann uns das eben ganz und gar nicht egal sein. Wir haben andere Fälle sogenannter Kollateralschäden längst erlebt. Dazu kommt eine neue Verpflichtung im Telemediengesetz, Bestandsdaten auch bei zivilrechtlichen Ansprüchen herauszugeben. Das war bislang nicht der Fall. So eröffnet man nicht nur der Abmahnindustrie ein neues Betätigungsfeld. Bei der Bekämpfung von Hate Speech könnte der Schuss sogar nach hinten losgehen. Viel Fantasie gehört nämlich nicht dazu, um sich vorzustellen, dass derartige Möglichkeiten auch zur Einschüchterung, wie Sie es ja selbst gesagt haben, missbraucht werden, etwa bei Aktivismus gegen Rechtsextreme. Insgesamt merkt man dem Gesetzentwurf sehr wohl die Temperatur der beim Stricken verwendeten Nadeln deutlich an. Die Aufzählung der Straftatbestände mutet willkürlich an. Zuletzt wurde sie noch um die Verbreitung pornografischer Schriften erweitert, obwohl die Zielsetzung angeblich die Bekämpfung von Hasskriminalität ist. Infolgedessen dürfen wir nun der mit heißen Nadeln gestrickten und notdürftig geflickten Begründung des Gesetzes die durchaus interessante Information entnehmen, dass der Grund für die Wahl des Anwendungsbereiches des Gesetzes der Anwendungsbereich des Gesetzes sei. Welche Plattformen nun konkret vom Gesetz betroffen sein werden – ausweislich des Entwurfs sollen es etwa zehn sein –, kann uns die Bundesregierung auch auf direkte Frage nicht mitteilen. Einige sehen auch verfassungs- und europarechtliche Probleme. Ob nun zur Recht oder nicht: Es ist jedenfalls schwer, zu glauben, dass die Vereinbarkeit mit angemessener Gründlichkeit geprüft wurde. Es ist der Bedeutung des Themas aber nicht angemessen, hier auf den letzten Metern der Wahlperiode einen eilig heruntergeschriebenen Gesetzentwurf vorzulegen, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, vor allem dann nicht, wenn die Konsequenzen offensichtlich so wenig bedacht wurden. Nicht ohne Grund hat sich ein breites Bündnis – von BITKOM bis hin zur Amadeu-Antonio-Stiftung, das ist keineswegs eine klassische Kombination – gebildet, das eine Deklaration der Meinungsfreiheit vertritt und sich ausdrücklich gegen diesen Gesetzentwurf ausgesprochen hat und die Einrichtung eines runden Tisches fordert. (Beifall bei der LINKEN) Die Koalition wäre also durchaus gut beraten, die Kritik ernst zu nehmen und sich auf eine umfassendere Diskussion einzulassen. Die Debatte krankt auch daran, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gewissermaßen als Allheilmittel gegen Hate Speech und Fake News verkauft wird. Dadurch haben wir wieder das Problem, dass die Menschen glauben, dass etwas durch die Politik gelöst wird, was sich aber im Leben und in der Praxis ganz anders darstellt. Das kann nicht sein. (Beifall bei der LINKEN) Selbst wenn alle unsere Kritikpunkte zu diesem Gesetzentwurf umgesetzt würden, hätten wir es mit einer breiten gesellschaftlichen Debatte darüber zu tun, wie Kommunikation bzw. die Kultur der Kommunikation in diesem Land gestaltet werden kann. Die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Probleme lassen sich nicht mit einer besseren Durchsetzbarkeit des Strafrechts lösen, ebenso wenig mit einer Ausweitung des Strafrechts an dieser Stelle. Ich bezweifle, dass sich der Begriff „Fake News“ rechtlich sauber definieren lässt und dass sich alles, was völlig zu Recht als Hate Speech verurteilt werden kann, rechtlich sanktionieren lässt. Das ändert nichts daran, dass wir als Gesellschaft diese Probleme benennen müssen; da haben Sie völlig Recht, Herr Maas. Diese Debatte muss geführt werden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was ist denn Euer Lösungsvorschlag?) Politisch müssen wir uns noch weit mehr mit der Rechtsdurchsetzung befassen. (Beifall bei der LINKEN) Dabei geht es um Medienkompetenz, politische Bildung, zivilgesellschaftliches Engagement, die Strukturkrise des Journalismus, Geldflüsse über Werbenetzwerke und grundsätzlich um den ordnungspolitischen Umgang mit der neuen Plattformwirtschaft. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Diese Diskussion muss in der Breite geführt werden. Dafür sollten wir uns in der kommenden Wahlperiode Zeit nehmen. Den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zu verabschieden, halten wir für einen Fehler. Ein noch größerer Fehler wäre, nur das zu tun und zu glauben, das Problem sei damit weitestgehend gelöst. Das ist mitnichten der Fall. Danke. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was machen wir denn jetzt?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Elisabeth Winkelmeier-Becker ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Im digitalen Zeitalter kann jeder ganz einfach mit seinem Smartphone die ganze Weltöffentlichkeit erreichen, kann seinen Hass, seine Hetze gegen Andersdenkende, Anderslebende, Andersgläubige und politische Minderheiten in die ganze Welt hinausposten, kann jedem den Tod wünschen, Vergleiche mit niederen Tieren ziehen und sich mit seinen Taten brüsten, wie zuletzt der Kindermörder aus Herne. Er kann sich aber auch an seinem Arzt rächen, dem er vielleicht auf einer Plattform zur Bewertung von Ärzten etwas einstellt, was nicht der Wahrheit entspricht. Damit müssen die Betroffenen dann umgehen. Was das mit ihnen machen kann, hat in dieser Woche eine Studie zum Cybermobbing dargelegt. Jugendliche leiden extrem darunter. Man ist dem ausgeliefert. Man ist in seinen Grundrechten und insbesondere in seinem Persönlichkeitsrecht zutiefst verletzt und betroffen. Auf der anderen Seite löscht Facebook Einträge, zum Beispiel den Text des ehemaligen Radiomoderators Domian, der sich kritisch zur katholischen Kirche geäußert hatte; das passte Facebook nicht. Auch die ganze Seite des Islamkritikers Imad Karim war zunächst weg. Mittlerweile ist sie wieder da. Aber zuerst hat Facebook sie gelöscht. Das sind zwei Beispiele, bei denen die Nutzer dieser Plattform in ihren Grundrechten betroffen sind, wo aber auch die Grundrechte aufeinandertreffen: auf der einen Seite das Grundrecht der Meinungsfreiheit, auf der anderen Seite das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit. Dabei geht es um eine Anzahl von Fällen, die es sehr schwer bis unmöglich macht, alle mit der Gründlichkeit eines individuellen Gerichtsverfahrens zu klären. In vielen Fällen – da wären wir uns alle hier sehr schnell einig – sind die Dinge eindeutig. Es gibt aber eben auch ein paar Fälle, deren Abgrenzung schwierig ist. Das alles geschieht vor dem Hintergrund, dass Eile geboten ist; denn jeder Post wird schnell weitergeklickt und gespeichert und ist damit uneinholbar in der Welt. Das ist also eine ziemlich schwierige Ausgangskonstellation, bei der sich Grundrechte auf beiden Seiten konträr gegenüberstehen. Für uns ist klar: Hier besteht Handlungsbedarf. Das, was sich im Moment im Netz an Hass und Hetze abspielt, ist unerträglich. Das müssen wir unbedingt bekämpfen und eindämmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) Ausgangspunkt ist die große Zahl eindeutig rechtswidriger Äußerungen im Netz. Der vorliegende Vorschlag sieht ein Beschwerdemanagement vor, ändert im Übrigen aber an der materiellen Rechtslage nichts in Bezug darauf, was zur Meinungsfreiheit gehört, was man sagen darf und wo die Grenze überschritten ist. An der bewusst weiten Grenze bzw. dem bewusst weiten Rahmen, den wir in Deutschland dem Grundrecht der Meinungsfreiheit einräumen, ist überhaupt nichts zu ändern. Trotzdem ist aber auch jetzt schon klar, dass Meinungsfreiheit nicht uneingeschränkt gilt, sondern dass es auch Grenzen gibt, nämlich dann, wenn es um eine strafbare Beleidigung, Verleumdung und Volksverhetzung geht. All das wird durch das hier vorliegende Gesetz nicht geändert. Noch etwas anderes wird nicht geändert. Auch jetzt schon ist die Plattform für die Rechtsverletzungen, die dort passieren, mitverantwortlich. Dabei gelten die Grundsätze der Störerhaftung des deutschen Zivilrechts. Zum Beispiel gilt sie für Zeitungen. Auch diese müssen bereits jetzt prüfen, ob redaktionelle Texte oder Leserbriefe diesen Maßstäben gerecht werden. Wenn das nicht der Fall ist, dürfen sie auch in einer Zeitung nicht veröffentlicht werden. Auch an dieser Stelle haben wir also schon ein Prüfungsrecht und eine Prüfungspflicht durch eine private Stelle, nämlich die Zeitung. Was in der analogen Welt gilt, muss nun in die digitale Welt übertragen werden. Leider ist es so, dass viele Internetplattformen dem nicht nachkommen. Uns liegen dazu ja Zahlen vor. Bei Facebook waren es 46 Prozent der Meldungen, die eindeutig kritikwürdig waren, worauf aber nicht entsprechend reagiert wurde. Bei Twitter war es sogar nur 1 Prozent. Es beginnt damit, dass die Betroffenen keine zustellungsfähige Adresse finden. Selbst dann, wenn es gemeldet werden konnte, passiert lange Zeit gar nichts. Das können wir so nicht stehenlassen. Leider haben wir hier schon sehr viel Zeit mit runden Tischen und freiwilligen Appellen, die nichts gebracht haben, vertan. Leider stehen wir jetzt hier unter einem erheblichen Zeitdruck, gegen Ende der Legislaturperiode noch etwas Vernünftiges auf die Beine zu bekommen und das auch noch mit dem Notifizierungsverfahren in Brüssel abzustimmen. Wir hätten uns sicherlich einen großen Gefallen getan, wenn wir das deutlich früher in Angriff genommen hätten. Leider ist ein entsprechender Vorschlag nicht früher aus dem Ministerium gekommen. Wir haben nun einen Vorschlag vorliegen, der eine schnelle Prüfung verlangt. Innerhalb von 24 Stunden muss reagiert werden, bei schwierigen Fällen innerhalb von einer Woche. Das alles geschieht unter der Aufsicht des Bundesamtes für Justiz, welches aber nur das Verfahren prüft. Man muss hier auch noch einmal klarstellen: Es gibt hier keine inhaltliche Kontrolle. Wenn ein Bußgeld auf die Behauptung der Rechtswidrigkeit gestützt werden soll, dann brauchen wir ein Vorentscheidungsverfahren bei Gericht, das dann mit der entsprechenden Expertise und Legitimation entscheidet. Nun gibt es von beiden Seiten ja schon heftige Kritik. Im Bundesrat gibt es bereits eine Initiative aus dem Lande Bremen, mit der das Gesetz verschärft werden soll. Im Rechtsausschuss des Bundesrates haben auch alle Länder zugestimmt, dass vor allem der Anwendungsbereich erweitert wird. Dabei geht es zum Beispiel um kompromittierende Bilder und um Aufrufe zu erheblichen Straftaten. Das ist ja bisher noch gar nicht erfasst. Außer Bayern und Sachsen haben alle zugestimmt, sodass sozusagen alle Parteien dabei vertreten sind, wenn gefordert wird, dass wir das Gesetz verschärfen. Auf der anderen Seite gibt es die heftige Kritik wegen der Sorge, dass hier eine Zensur stattfinde. Es gibt auch diejenigen – das ist besonders schön –, die zuerst gesagt haben: „Es kommt viel zu spät; es ist viel zu lasch“, jetzt sich aber um 180 Grad gedreht haben und nun von angeblicher Zensur sprechen. Dazu ist zu sagen: Man kann eben nicht beides haben. Wir müssen uns aber die ehrliche Kritik von beiden Seiten anschauen und überlegen, wie wir das aufnehmen können. Was können wir noch verbessern? Ein guter Ausweg könnte sein, bei dieser Kontrolle dem Unternehmen selbst weniger Einfluss einzuräumen, weniger Staat einzubringen und dafür mehr pluralistisch organisierte Selbstkontrolle vorzusehen. Ich glaube, es würde sich lohnen – der Vorschlag ist schon gemacht worden –, wenn wir uns das Verfahren der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft bei der Alterseinstufung von Filmen – Stichwort Jugendschutz – anschauen. Ein solches Verfahren könnte mehr Akzeptanz und mehr Vertrauen der Betroffenen auf beiden Seiten ermöglichen. Wenn das ein Weg ist, sollten wir diese Chance nutzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte kurz einen weiteren Punkt ansprechen. Wir brauchen dann, wenn die weiten Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten worden sind, auch Möglichkeiten, die Urheber von Hass und Hetze persönlich zur Verantwortung zu ziehen. Dafür brauchen wir einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Plattformbetreiber, also die Möglichkeit, die Identität des Betreffenden aufzudecken. Hier ist jetzt die Rechtsgrundlage vorgesehen, dass der Plattformbetreiber die Angaben herausgeben darf. Wir müssen aber noch einen Schritt weitergehen und den Auskunftsanspruch, den die Rechtsprechung bisher nur aufgrund von Treu und Glauben einräumt, ganz klar normieren und regeln. Es geht nicht um die Abschaffung von Anonymität und Pseudonymität, auch wenn ich eigentlich der Meinung bin, dass wir uns im freien Austausch der Meinungen mit offenem Visier begegnen sollten. Jedenfalls muss aber Anonymität dann ein Ende bzw. eine Grenze haben, wenn es um krasse Rechtsverletzungen geht. Dann müssen die Opfer die Möglichkeit haben, diese Daten zu bekommen. Sonst sind sie letztendlich schutzlos gestellt. Das kann nicht das Ergebnis sein. Gerade der Schutzmantel der Anonymität hat oft dazu beigetragen, dass die Hemmschwelle für Hass und Hetze im Netz so gesunken ist. Das Wissen, dass die Anonymität im Fall des Falles auch einmal aufgehoben werden kann, kann schon heilsam wirken. (Beifall bei der CDU/CSU) Wie gesagt, es ist schade, dass wir erst so spät in diese Beratungen hineingehen. Ich denke, wir müssen mit der notwendigen Gründlichkeit herangehen, weil es die Sache wert ist. Wir müssen den Opfern helfen, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich zitiere: „Heil Kanacke! Es wird Zeit das Auschwitz, Buchenwald u.a. den Betrieb wieder aufnehmen! Da gehört Ihr Dreckstürken nähmlich hin. Ab durch den Schornstein …“ Zitat Ende. Den Rest dieses Zitats erspare ich diesem Hohen Haus. Solch hasserfüllte Kommentare fallen eben nicht nur auf der Straße heutzutage, sondern auch im Netz. Das eben Zitierte galt unserem Kollegen Özcan Mutlu. Aber genauso wie er werden täglich viele Menschen in diesem Land unerträglich beleidigt, bedroht und verleumdet. Solche krassen Rechtsverletzungen sind nicht nur eine Zumutung für die Betroffenen, sie sind, hunderttausendfach ausgesprochen, gepostet und geteilt, auch eine gravierende Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie, wenn sie folgenlos bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Es verbindet uns hier alle, dass wir das nicht hinnehmen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber …!) – „Aber“, Herr Grosse-Brömer, Herr Maas: diese Eintracht! Das kommt doch nicht zustande, indem Sie eine ganze Legislaturperiode nichts tun, talken, aussitzen und dann hier in der letzten Kurve dieser Legislatur mit so einem wüsten Gesetz um die Ecke kommen. Da kann man auch gleich wieder gehen, genau. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Was kam denn von euch?) Sie legen hier heute etwas vor, was die Probleme nicht löst. Sie schaffen viele neue Probleme. Das ist jetzt nicht eine krude Oppositionsmeinung, sondern das sagen Ihnen der Deutsche Richterbund, Vertreter der Wirtschaft, die Journalistenverbände, die NGOs. Kritik ist selten so einhellig und so breit wie in diesem Fall. Ihr Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Herr Kauder und Herr Maas, ist selbst eine Gefahr für die Meinungsfreiheit in unserer freiheitlichen Demokratie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: So ein Blödsinn! So ein Quatsch!) Zitat: Das ... ist ein Schnellschuss, das Justizministerium agiert hier nicht als Wahrer der Bürgerrechte, sondern verbietet, was es nicht versteht. Wer hat das gesagt? Die Staatssekretärin Dorothee Bär. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das kann sein, ja!) – Ich komme gleich zum Kollegen Klingbeil. – Thomas Jarzombek beklagt zu Recht, dass dieser Entwurf viele zweifeln lässt, wie es Herr Maas denn nun mit der Meinungsfreiheit hält. Er sagt – Zitat –: Das Ergebnis ... ist leider kein Belegstück für gute ... Handwerkskunst. Substanzielle Teile fehlen: Die Kennzeichnungspflicht für Social Bots ... Der geschätzte Kollege Klingbeil sagt zu diesem Gesetz: (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Guter Mann!) Eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung darf es nicht geben. Recht hat er, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das gibt es auch nicht! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nehmen Sie das mal zur Kenntnis: Das gibt es überhaupt nicht!) So was, Herr Maas, kommt dabei raus, wenn man noch nicht einmal die Stellungnahmen abwartet, sondern das Ganze in einem Facebook-Stream raushaut und verkündet; das ist ja unfassbar. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ja, wir müssen die großen Anbieter hart in die Pflicht nehmen. Aber wir dürfen sie eben nicht in eine Richterrolle drängen. Es ist eben nicht egal, ob zu viel oder zu wenig gelöscht wird. Es braucht klare Regeln und Sanktionen für ein rasches, aber eben auch sorgfältiges Verfahren. (Heiko Maas, Bundesminister: Welche denn?) Schwierige Fälle, Herr Maas, gehören eben – wie im analogen Leben – am Ende vor Gericht geklärt. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: So steht es im Gesetz! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Genau so steht es im Gesetz!) Nach dem Entwurf, den Sie hier vorlegen, kann jeder zu Facebook gehen, um die Identität einer missliebigen Person zu erfahren, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker. Da haben Sie noch nicht einmal einen ordentlichen Richtervorbehalt vorgesehen. Hier droht nicht nur ein schleichender Zensureffekt, sondern auch die digitale Bloßstellung und Gefährdung, übrigens auch für alle Kritikerinnen und Kritiker von der AfD und von Erdogan. Auch sie sind von dieser Auskunftspflicht berührt, und das ist ein Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schließlich: Wir brauchen ein effektives und verhältnismäßiges Notice-and-Take-down, das die Meinungsfreiheit achtet. Unsere Justiz kann das. Wir müssen sie dafür stark machen. Außerdem müssen wir uns mit den sozialen Medien und gesellschaftspolitischen Ursachen für Hate und Fake auseinandersetzen. Unsere Zivilgesellschaft kann das. Wir müssen sie aber einbinden. Beides tun Sie nicht, und das ist zu wenig. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das wird doch gemacht! Was reden Sie denn da?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Johannes Fechner das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Zu den positiven Errungenschaften des Internets gehört, dass Millionen Menschen miteinander in Kontakt treten können. Aber die Schattenseite ist, dass es auch unendlich viele Möglichkeiten gibt, Hassbotschaften, Beleidigungen und Straftaten millionenfach zu verbreiten. Weil es nach der heutigen Rechtslage so unendlich schwierig ist, gegen diese Hassbotschaften im Netz vorzugehen, brauchen wir eine Regulierung. Soziale Netzwerke dürfen kein rechtsfreier Raum sein, in dem gemobbt, beleidigt wird oder in dem zu Straftaten oder gar zum Mord aufgerufen wird. Auch in sozialen Netzwerken muss Recht und Gesetz gelten, und dem dient dieses Gesetz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist schon komisch, Herr von Notz, dass Sie sagen, die Bundesregierung kommt erst auf den letzten Drücker. Selber haben Sie Ihren Antrag aber erst im April 2017 eingebracht. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Da sieht man mal wieder die Verlogenheit!) Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, stelle ich einmal mehr fest, dass Sie keinen konkreten Gesetzesvorschlag machen, dass Sie keine ausformulierten Vorschläge machen, wie es die SPD zu Oppositionszeiten gemacht hat, sondern Sie bringen lose Aufforderungen, schwammig formuliert. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, hören Sie doch auf, Herr Fechner! Ihre eigenen Leute kritisieren das massiv! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch nicht die Fraktion geschrieben! Das ist doch Angabe! Das hat das Ministerium geschrieben!) Wir handeln. Wir legen ganz konkrete Gesetzentwürfe vor, die den Bürgerinnen und Bürgern helfen werden, Herr von Notz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir machen das, weil wir von Einrichtungen wie etwa jugendschutz.net wissen, dass bei YouTube, Twitter oder auch Facebook – YouTube muss ich ausnehmen; dort hat es sich gebessert – (Die Verblendung eines Sitzplatzes in den Reihen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN fällt zu Boden) – bei den Grünen bricht schon Panik aus – (Vereinzelt Heiterkeit – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Baumangel!) bzw. bei Twitter oder Facebook nicht freiwillig gelöscht wird und wir nicht auf die Freiwilligkeit dieser Unternehmen setzen können. Ich finde, wenn Unternehmen Milliardengewinne machen, dann können wir ihnen auch zumuten, dass sie Rechtsanwälte beschäftigen oder eine juristische Abteilung aufbauen, um dafür zu sorgen, dass Lügen und Straftaten im Netz nicht verbreitet werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dabei ist wichtig, zu wissen: Schon heute gibt es Unterlassungsansprüche. Daran ändern wir mit diesem Gesetz nichts, sondern wir sorgen dafür, dass diese Ansprüche tatsächlich durchgesetzt werden können. Die wichtigste Regelung ist dabei, dass wir für die Unternehmen die Pflicht einführen, in Deutschland eine Zustellperson zu benennen, also eine Person, an die Zivilrechtsklagen, Unterlassungsklagen oder auch strafrechtliche Verfügungen der Ermittlungsbehörden zugestellt werden können. Wir müssen dafür sorgen, dass die Opfer in Deutschland ihre Rechte durchsetzen können. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist wichtig, eines klarzustellen: Es geht nicht darum, die Unternehmen zu verpflichten, zu bewerten, ob sie Löschungen vornehmen müssen oder nicht. Es ist ausdrücklich geregelt, dass eine Bußgeldbehörde, bevor sie ein Bußgeld verhängt, eine Gerichtsentscheidung einholen muss, ob ein Inhalt rechtswidrig ist oder nicht. Deswegen kann von einer Privatisierung, die auch wir selbstverständlich nicht wollen, überhaupt keine Rede sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der entscheidende Punkt ist, dass die Sanktion, das Bußgeld kommt, wenn kein systematisches Beschwerdemanagement, kein taugliches Verfahren zur Löschung von rechtswidrigen Inhalten vorhanden ist. Ja, auch wir achten ganz genau darauf, dass dieses Gesetz klar und präzise formuliert ist. Wir haben schon einige Änderungen in der Gesetzesbegründung vorgenommen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Begründung? Ja, was hilft das denn?) Wir haben den Anwendungsbereich präzisiert. Jetzt ist klar, dass Maildienste wie GMX oder Web.de, Bewertungsportale oder Berufsportale wie LinkedIn oder XING nicht unter dieses Gesetz fallen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schreiben Sie das ins Gesetz! In der Begründung hilft das niemandem, Herr Fechner!) Wir stehen dem Vorschlag, das auch im Gesetzestext zu ändern, offen gegenüber. Das können wir gerne beraten. Wenn dort entsprechende Regelungen erforderlich sind, dann machen wir das zur Klarstellung gerne. Ein weiter Punkt ist uns wichtig: Einen Auskunftsanspruch darf es nur geben, wenn ein Gericht dies anordnet. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht gar nicht im Gesetz!) Bestandsdaten dürfen nur dann herausgegeben werden, wenn eine Rechtsverletzung vorliegt, wenn also eine der Straftaten begangen wurde, die wir im Gesetz abschließend und genau normiert haben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!) Auch das ist eine Änderung, auf die wir uns schon verständigt haben und die wir in den Gesetzestext einfügen wollen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum bringen Sie denn dann ein falsches Gesetz ein?) Das ist für uns in der SPD ein ganz wichtiger Punkt. Sie sehen: Wir haben schon eine ganze Menge Kritikpunkte aufgenommen. Für uns gilt, dass im Zweifel für die Meinungsfreiheit zu entscheiden ist. Es darf bei den sozialen Netzwerken nicht die Situation eintreten, dass diese – quasi in vorauseilendem Gehorsam – im Zweifel aus Angst vor einer harten Sanktion zurückschrecken und einen Inhalt deshalb löschen. Genau das wollen wir nicht. Deswegen haben wir eine klare Regelung ins Gesetz aufgenommen. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die SPD setzt sich dafür ein, dass für die Opfer von Straftaten und Verleumdungen in der digitalen Welt die gleichen Rechte wie in der analogen Welt gelten. Dazu brauchen wir ein Gesetz. Wir wollen dieses Gesetz. Wir sind bereit, in den Beratungen die eine oder andere Präzisierung vorzunehmen, möglicherweise auch im Gesetzestext. Darüber, dass wir dieses Thema behandeln müssen, und zwar noch in dieser Legislaturperiode, sollten wir uns aber alle einig sein. Es wird viel zu viel Hass und Hetze im Internet verbreitet. Dagegen müssen wir vorgehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dr. Stefan Heck erhält das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung im Deutschen Bundestag behandeln, hat schon, bevor er uns hier erreicht hat, eine ungewöhnlich breite Debatte in der Öffentlichkeit ausgelöst. Ich glaube, wir sind gut beraten, die Einwände, die uns aus vielen Teilen der Gesellschaft erreichen, ernst zu nehmen und sie sorgfältig abzuwägen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Wenn man die Reden hier aufmerksam verfolgt hat – von Frau Sitte bis zu Herrn von Notz und die Reden aus den Reihen der Koalition –, dann kann man feststellen: In der Bestandsaufnahme sind wir uns zunächst einmal einig. Die derzeitige Praxis ist jedenfalls unbefriedigend. Viele soziale Medien haben sich zu Räumen entwickelt, in denen das Gesetz und das Recht, das unbestritten gilt, derzeit keine Anwendung finden. Dort wird gehetzt, dort wird beleidigt, und dort wird Hass verbreitet, häufig unter dem Deckmantel der Anonymität, meist jedenfalls ohne irgendeine Konsequenz für die Täter. Dabei haben die Betreiber von sozialen Medien ein Privileg. Anders als zum Beispiel Presseverlage haften sie nicht in vollem Umfang für die Inhalte, die über sie verbreitet werden. Das Telemediengesetz verlangt lediglich, dass rechtswidrige Inhalte unmittelbar gelöscht werden, sobald der Betreiber von ihnen Kenntnis erlangt. Unsere ernüchternde Erkenntnis heute ist, dass viele Plattformen dieser Forderung überhaupt nicht nachkommen. Auf der Strecke bleiben dann die Nutzerinnen und die Nutzer, die sich ehrverletzenden Angriffen völlig hilflos ausgesetzt fühlen. Wenn man sich damit beschäftigt, dann erfährt man: Es ist ein komplizierter Prozess, bis selbst eindeutig rechtswidrige Aussagen entfernt werden. Die Meldeportale sind zu kompliziert, das Verfahren ist undurchsichtig, und häufig gibt es niemanden, der am Ende als Ansprechpartner erreichbar ist. Hier entsteht der fatale Eindruck, dass strafbares Verhalten völlig sanktionslos hingenommen wird. Ich bin der festen Überzeugung: Diesen Zustand dürfen wir als Staat und als Gesetzgeber nicht länger dulden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Gesetzentwurf sieht verschiedene Maßnahmen vor – wir haben es eben schon erfahren –: Es soll eine Berichtspflicht zum Umgang mit strafbaren Inhalten geben. Es soll die Verpflichtung zu einem wirksamen Beschwerdemanagement geben. Es soll einen Auskunftsanspruch der Opfer zu den Bestandsdaten der Täter geben. Und es soll eine Bußgeldandrohung in empfindlicher Höhe bei Pflichtverstößen geben. Ich glaube, all das ist ein dringend notwendiges Signal; es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Gleichwohl – auch das will ich offen ansprechen – sehen wir bei einigen zentralen Punkten noch erheblichen Beratungsbedarf. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Ich bin nicht sicher, ob die Löschverpflichtung, die die sozialen Netzwerke in völliger Eigenregie umsetzen sollen, wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Wir haben – Frau Kollegin Winkelmeier-Becker hat es angesprochen – schon in verschiedenen Bereichen des Medienrechts die Einbeziehung von neutralen und allgemein anerkannten Akteuren. Das könnten wir uns hier auch sehr gut vorstellen. Für uns als Fraktion ist ein Punkt ganz wichtig: Wir müssen einen Mechanismus finden, der rechtswidrige Inhalte zielgenau erkennt und ebenso zielgenau beseitigt, ohne dass durch eine zu weit gehende Löschpraxis sozusagen in vorauseilendem Gehorsam die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir stehen jetzt vor intensiven Beratungen. Zur Wahrheit gehört: Herr Minister, es wäre gut gewesen, wenn Sie dieses Gesetz schon sehr viel früher vorgelegt hätten und wir für die Beratungen erheblich mehr Zeit gehabt hätten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für uns gilt: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Aber wir wollen dieses Gesetzesvorhaben innerhalb der nächsten Sitzungswochen zu einem guten Abschluss bringen. Es geht hier um sehr grundsätzliche Fragen: Wie schützen wir die Wahrhaftigkeit in der öffentlichen Debatte? Wie kann sich der Rechtsstaat im digitalen Raum behaupten? Vor allem: Wie können wir Nutzerinnen und Nutzer wirksam vor Straftaten schützen? Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will gar nicht alles wiederholen, weil ich es eigentlich auch hasse, die Sätze, die im Netz oft fallen, wiederholen zu müssen. Es ärgert auch mich immer wieder, was da systematisch passiert – ich habe das selber erlebt –: Nicht nur der Hass. Ich habe das selber erlebt, dass ein Generalstaatsanwalt den Satz „Von Ihnen würde ich gern ein Enthauptungsvideo sehen“ dann nicht als Beleidigung bezeichnet. Ich sage: Wie kann man einen Menschen noch stärker herabwürdigen? Ich habe erlebt, wie es ist, wenn einem Falschzitate, Fake News angehängt werden, und wie lange man braucht, um die wieder zu löschen. Deshalb sage ich, sagen wir: Ja, da muss etwas getan werden. Es muss etwas getan werden, damit das, was heute schon im Telemediengesetz deutsches Recht ist, auch umgesetzt wird, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist schon mal ein guter Ansatz!) Das heißt aber noch nicht, dass es genau so getan werden muss, wie es jetzt vorgesehen ist. Sie bekommen Gegenwind – ich habe Ihren Zwischenruf gar nicht ganz verstanden; aber ich brauche mich da auch gar nicht zu scheuen; wir als Grüne sind schon die ganze Legislaturperiode in dieser Geschichte unterwegs –, Gegenwind von allen Seiten: von der Union, von der SPD, vom Journalistenverband, vom Richterbund, von Rechtswissenschaftlern und, und, und. Meine Damen und Herren, das sollte Ihnen eigentlich zu denken geben. Ich finde das Verfahren nicht angemessen, wie Sie es gemacht haben: Wir bringen mal ein Gesetz ein, das eigentlich vom Minister geschrieben ist; aber es kommt nicht als Regierungsentwurf, sondern als Fraktionsentwurf, weil man den Bundesrat und seine Äußerungsfristen umgehen will. Das alleine ist vom Verfahren her schon nicht angemessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Obwohl, wir sehen natürlich auch, wie groß dieser Hass ist und dass er von einigen Organisationen systematisch mit politischen Absichten betrieben wird, um den Diskurs nach ganz weit rechts zu schieben. Man muss sich ja fast schon dafür schämen, dass manche Journalistinnen und Journalisten auch meinen, Political Correctness sei etwas Falsches. Wenn man also die Würde achtet und Menschen nicht diskriminiert, dann soll man sich schon schämen. So weit ist der Diskurs schon gekommen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das macht mir auch Angst, und nicht nur Hate Speech und Fake News. Fakt ist: Wir reden über die Durchsetzung geltenden Rechts, über die Löschung rechtswidriger Inhalte. Ich meine, die Koalition hat die Chance verpasst, alle Interessen und Rechte der Betroffenen bzw. die Zuständigkeiten – auch der Länder – hier miteinander zu koordinieren. Vergessen wir nicht: Für Jugendschutz, für Presse, für Medien sind die Bundesländer zuständig. Für die Schaffung neuer Staatsanwaltschafts- und Richterstellen sind übrigens auch die Justizbehörden der Länder zuständig. Man sieht ja: Der Bundesrat wundert sich schon. Ich will ein paar Punkte zu dem Notice-and-Take-down-Verfahren sagen, das ja auch schon Pflicht ist und von dem auch wir sagen: So geht es nicht. Ich selber versuche, ich glaube, seit anderthalb Jahren, zu Arvato durchzudringen, die ja im Auftrag von Facebook tätig sind. Ich bin bisher dort nicht durchgekommen. Es wird mir immer angekündigt, ich käme da hin. Man fragt sich also: Was haben die zu verbergen? Arbeiten die gar nicht so gut? – Also: Es ist etwas zu tun. Und: Dieses Verfahren muss besser werden. Aber warum soll es eine Parallelstruktur zum Telemediengesetz geben, meine Damen und Herren? Warum löschen und sperren? Warum unbestimmte Rechtsbegriffe? Wie sollen sie konkret ausgelegt werden? Ich weiß – Herr Fechner, Sie haben es gesagt –: Es soll noch nachgebessert werden. – Aber jetzt komme ich mal zum Verfahren. Was ist das für ein Verfahren, in dem nach anderthalb oder zwei Jahren mit runden Tischen, Zwischenberichten und allem im allerletzten Augenblick dem Bundestag etwas vorgelegt wird? In Klammern: Es ist ja auch noch die Notifizierung der Europäischen Union zu beachten. Also: Wenn wir auf neue und gute Ideen kommen, dann könnten wir das Gesetz nicht entsprechend verbessern, weil wir dann ein neues Notifizierungsverfahren einleiten müssten. Das ist doch eine Engführung des parlamentarischen Prozesses – und das angesichts der Tatsache, dass da Grundrechte tangiert werden. Ich halte das für kein gutes Verfahren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Grundrechte werden tangiert, was die Meinungsfreiheit betrifft, und natürlich auch, das Eigentumsrecht, was die Betriebe betrifft. Wir wissen nicht, für wen es gelten soll. Welche 2 Millionen Nutzer, User sind denn gemeint? Die Löschfristen sind einseitig gemacht. Das heißt, für den Fall, dass eine Löschung falsch war, sehen Sie kein Verfahren vor, um den betreffenden Inhalt wieder einzustellen. Es ist in der Demokratie ja auch möglich, dass das einmal passieren kann. Sie reden über einen Richtervorbehalt beim Drittauskunftsanspruch, aber er steht gar nicht im Gesetz. Ich meine, es gibt dringenden Beratungsbedarf und Änderungsbedarf bei diesem Entwurf, was die Fristen, den Anwendungsbereich, fälschlich gelöschte Inhalte angeht. Wir müssen die Debatte erweitern und müssen uns um Prävention, Medienkompetenzen, Bildung kümmern, weil wir allein mit dem Strafgesetzbuch und dem Ordungswidrigkeitengesetz das, was hier gesellschaftlich passiert, nicht lösen können. Dafür brauchen wir Zeit. Die wollen wir auch haben. Die nehmen Sie sich nicht, obwohl es um Grundrechte geht. Deshalb unsere Kritik an Ihrem Entwurf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lars Klingbeil (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Frau Künast Ministerin gewesen ist, muss es so gewesen sein, dass alle Kabinettsvorlagen von der Grünenfraktion eins zu eins im Parlament durchgewunken wurden. Ich glaube, die Große Koalition kann mit vollem Stolz sagen: Wir reden noch einmal über das, was aus dem Kabinett kommt, und gucken uns genau an, ob man nachbessert. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterste Schublade! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Normalerweise weinen Sie sich aus bei uns über den Koalitionsausschuss! Da nennen Sie das gar nicht „reden“, sondern „weinen“! – Gegenruf des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das scheint ja getroffen zu haben!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über einen Bereich, der sehr sensibel ist. Ich glaube auch, dass bei vielen von uns in den letzten Monaten Erkenntnisse gereift sind. Wir alle sind uns der Verantwortung angesichts des Themenbereichs bewusst, über den wir heute sprechen. Es geht um Meinungsfreiheit, es geht um die Verantwortung, die der Staat, die wir als Parlamentarier tragen. Es geht um die Frage, ob wir es als Politik schaffen, diejenigen zu schützen, die von Hass und Hetze im Internet betroffen sind. Facebook ist heute quasi so etwas wie ein öffentlicher Raum. Es geht heute hier auch um die Frage, ob der Staat dort Handlungsfähigkeit beweisen kann. Ich will Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass seit Beginn der Diskussion vieles passiert ist: Wir sehen eine gestiegene Sensibilität in der Bevölkerung. Wir diskutieren viel, nicht nur über offensichtliche Strafrechtsverletzungen, sondern auch über einen anderen Punkt, über das, was wir als Fake News bezeichnen, und die Frage, wie wir damit umgehen. Facebook kommt in Bewegung. Wir sehen, dass dort mehr Personen eingestellt werden, die löschen sollen. Wir sehen auch, dass Facebook anfängt, mit Journalisten zusammenzuarbeiten und genau zu gucken, was eigentlich wahr ist und wo falsche Dinge verbreitet werden. Für die SPD-Fraktion kann ich sagen – das ist für uns völlig klar –: Es geht, wenn wir über all diese Dinge reden, nicht nur um Gesetze; es geht auch um digitale Kompetenzen. Es geht um die Frage: Wie stärken wir eigentlich diejenigen, die im Internet dagegenhalten? Es geht um die Frage: Wie können wir Fakten viel besser herausstellen? Heute reden wir konkret über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Ich kann für die SPD-Fraktion hier zusagen: Wir werden die vielen Bedenken, die gerade im öffentlichen Raum stehen, in den parlamentarischen Beratungen ernst nehmen. Wir werden zuhören, wir werden uns die Dinge anhören, und wir werden dann sicherlich nach einer gründlichen Debatte dazu kommen, dass wir an vielen Stellen Änderungen an diesem Gesetzentwurf vornehmen. Es geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Schnelligkeit, weil die Legislatur bald zu Ende ist. Ich will hier aber auch sagen: Es geht auch um Gründlichkeit, und beide Dinge werden wir nicht gegeneinander ausspielen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Klingbeil, darf Frau Rößner eine Zwischenfrage stellen? Lars Klingbeil (SPD): Sehr gerne. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Danke, Kollege Klingbeil, dass ich eine Frage stellen darf. Nun gab es ja am Anfang der Legislaturperiode das große Ansinnen der Großen Koalition, eine Bund-Länder-Kommission zur Regelung im Medienbereich auf den Weg zu bringen. Da gab es auch eine Arbeitsgemeinschaft Plattformregulierung und eine Arbeitsgemeinschaft Intermediäre. Jetzt hat die Kommission aber leider ihre Arbeit schon abgeschlossen, es gibt einen Bericht, aber genau diese Thematik ist darin nicht enthalten. Insofern verstehe ich nicht ganz, warum jetzt auf die Schnelle dieses Gesetz durchgeboxt werden soll, ohne dass die Länder miteinbezogen worden sind, obwohl man dort ein Gremium hatte, in dem man intensiv diskutiert und sich Sachverstand geholt hat. Das verstehe ich nicht. Vielleicht können Sie es mir erklären. Lars Klingbeil (SPD): Liebe Kollegin Rößner, es ist doch in der Tat so – das wissen Sie als Mitglied der damaligen Enquete-Kommission und als eine Kollegin, die auch viel in diesem Bereich unterwegs ist –, dass es digitale Entwicklungen gibt, die uns manchmal angesichts ihrer Geschwindigkeit herausfordern. Sie haben zu Recht festgestellt: Wir hätten dieses Thema in der Bund-Länder-Kommission diskutieren sollen. – Wir haben es da leider nicht getan. Das Parlament war ja nicht direkt beteiligt. Aber es gibt jetzt diese Herausforderung, und wir müssen diese Herausforderung annehmen. Für mich wäre es der falsche Weg, nur weil die Legislatur kurz vor dem Ende steht, jetzt zu sagen: Wir ignorieren diese Probleme und diskutieren es hier im Parlament nicht. – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen uns mit den Fragen, die unsere Gesellschaft beschäftigen, auseinandersetzen, und das tut die Große Koalition an dieser Stelle. Ich habe gerade, als Sie sich gemeldet haben, gesagt: Es geht um Gründlichkeit, und es geht um Schnelligkeit. Beides lässt sich nach unserer Meinung nicht gegeneinander ausspielen. Herr Präsident, ich will in meiner Rede fortfahren. – Ich will vier Punkte nennen, die für die SPD bei den Verhandlungen in der Koalition und hier im Parlament sehr wichtig sein werden. Das Erste ist, dass der Gesetzentwurf eine Ausweitung der Auskunftsansprüche ohne Richtervorbehalt vorsieht. Das ist für uns eine rote Linie, die in diesem Fall überschritten wurde. Wir sagen: Der Richtervorbehalt muss rein, und wir brauchen eine Beschränkung des Auskunftsanspruchs auf einen engen Kreis von Straftaten. Der zweite Punkt sind die Bußgelder. Wir wollen diesen Punkt im Gesetzestext konkretisieren, um deutlich zu machen: Es geht nicht um den einzelnen Post und die Frage, ob eine soziale Plattform damit falsch umgeht, sondern um das Vorhalten eines effektiven Beschwerdemanagements. Wir wollen erreichen, dass das im Gesetz deutlicher wird. Der dritte Punkt ist, dass wir eine Klarstellung brauchen, welche Plattformen von diesem Gesetz betroffen sind und welche nicht. Der vierte Punkt ist – auch das kann ich hier für die SPD-Fraktion sagen –: Wir wollen die Möglichkeit der regulierten Selbstregulierung in den Verhandlungen hier im Parlament offen und ehrlich prüfen. Das waren vier Punkte, die uns sehr wichtig sind. Ich will noch einmal sagen: Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass wir als Parlamentarier schauen, wie wir selbst bei guten Gesetzen noch nachbessern können. Dann will ich aber jetzt am Ende etwas ansprechen, was mich schon irritiert. Es gibt vonseiten der Union viel Kritik, Kritik am Minister und an dem, was das Kabinett vorgelegt hat. Ich hätte mir gewünscht, dass heute hier im Parlament diejenigen aus den Reihen der Union sprechen, deren Kritik am Gesetz man sonst nur auf Spiegel Online nachlesen kann. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Genau!) Da fordert Herr Kauder Herrn Maas auf, das Gesetz schneller auf den Weg zu bringen und es härter zu machen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) Dann kommt seine Stellvertreterin Nadine Schön und sagt: Das darf alles nicht so schnell gehen, und das ist doch alles viel zu hart. – Herr Jarzombek schlägt vor, eine quasi-staatliche Behörde einzurichten. Dorothee Bär, die als Staatssekretärin ihren Minister im Kabinett anscheinend schlecht beraten lässt, sagt, sie lehne dieses Gesetz ab. Dieses Hin und Her in der Union wird es schwierig machen, in den kommenden Wochen über alle diese Punkte zu beraten. (Beifall bei der SPD) Ich hätte mir gewünscht, dass die Digitalpolitiker heute zu Wort kommen. Dann hätten wir die Kritik nicht nur bei Spiegel Online gelesen, sondern auch einmal hier im Parlament gehört. (Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können ja aus Spiegel Online vorlesen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Klingbeil, bevor Ihre Redezeit zu Ende ist: Wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen? Lars Klingbeil (SPD): Ja, gerne. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Deswegen hatte ich Sie jetzt unterbrochen. Lars Klingbeil (SPD): Dann habe ich auch mehr Zeit zur Verfügung. Das ist doch gut. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Schön, bitte. Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Lieber Kollege Klingbeil, Sie haben mich direkt angesprochen. Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die Unionsfraktion in dieser Frage immer eine einheitliche Meinung hatte? (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das ist ja ganz neu!) Das ist in unserem Positionspapier nachzulesen, das wir als Gesamtfraktion im Januar verabschiedet haben. Darin haben wir alle Punkte, die heute kritisiert werden, aufgegriffen, nämlich: Wer prüft eigentlich? Gibt es Verfahren der regulierten Selbstregulierung? Wer ist überhaupt betroffen von einem solchen Gesetz? – Das stand schon in unserem Positionspapier. Deswegen wäre es schön gewesen, wenn das zuständige Ministerium die Positionspapiere – Ihre Fraktion hat ja auch eines vorgelegt – als Grundlage für das Gesetz herangezogen hätte. Dann müssten wir viele Diskussionen heute nicht führen. Ich freue mich sehr, wenn Sie sagen, dass für Sie das Thema „regulierte Selbstregulierung“ wichtig ist. Sie teilen unsere Kritik an vielen Stellen. Frau Winkelmeier-Becker hat in ihrer Rede auch Punkte aufgegriffen. Hansjörg Durz wird für die AG Digitale Agenda sprechen. Wir haben ein völlig konsistentes Meinungsbild innerhalb der CDU/CSU-Fraktion. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ja, klar! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Bislang noch nicht groß aufgefallen!) Wir sind aber auch offen für Anregungen von außen; denn wir sind uns einig, dass es ein sehr komplexes und schwieriges Gesetz ist. Wir alle sind gut beraten, wenn wir auch Experten und diejenigen, die mit dem Thema „regulierte Selbstregulierung“ schon Erfahrungen haben, hören und ihre Meinung in unsere Beratungen einbeziehen. Ich möchte die Kritik wiederholen, dass es sehr schade ist, dass die Beratungszeit so kurz ist. Wir hätten uns für dieses Gesetz einfach mehr Zeit gewünscht. Aber es ist schön, zu hören, dass die SPD-Fraktion bei vielen Punkten unserer Meinung ist. Deshalb sollten wir die Zeit nutzen, das Gesetz zu einem guten Gesetz zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Klingbeil, bitte. Lars Klingbeil (SPD): Ich freue mich darüber, dass sich beim geschätzten Koalitionspartner bei diesem Thema endlich Einigkeit andeutet. Ich will noch einmal die für uns wichtigsten vier Punkte nennen: Richtervorbehalt beim Auskunftsanspruch, Bußgelder konkretisieren, deutliche Klarstellung, welche Netzwerke betroffen sind, und Prüfung der regulierten Selbstregulierung. Wenn Herr Durz, der nach mir sprechen wird, sagt: „Wir machen an alle vier Themen einen Haken“, dann würde das im Hinblick auf die Berichterstattergespräche schon einiges erleichtern. Vielen Dank fürs – – Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Klingbeil, Stopp! Sie haben noch eine Sekunde Redezeit. (Heiterkeit) – Ja, bei manchen ist eine Sekunde ziemlich lang, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Wollen Sie noch eine Zusatzfrage von Herrn von Notz zulassen? Lars Klingbeil (SPD): Ja, klar. Gerne. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege Klingbeil. Nach den Selbstgesprächen der Großen Koalition muss ich doch eine Nachfrage stellen, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) weil ich da etwas nicht verstehe. Wenn es in der Union eine einheitliche Linie gibt, wie verstehen Sie denn dann die Äußerungen der Kollegen Bär und Jarzombek? Also ich nehme eine große Lücke zwischen den Aussagen von Herrn Kauder, der jetzt leider nicht mehr da ist, und denen der beiden Kollegen wahr. Gibt es eine sozialdemokratische Erklärtheorie, wie es zu diesem Delta kommen kann? (Heiterkeit – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist mal eine gute Frage!) Lars Klingbeil (SPD): Ich bin ausgebildeter Sozialwissenschaftler und kein Sozialpädagoge. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf setze ich!) Insofern kann ich nicht weiterhelfen. Ich habe aber wahrgenommen – und das ist ein wichtiges Signal –, dass die Union dabei ist, sich auf konkrete Punkte zu einigen, die wir in die Berichterstattergespräche einfließen lassen können. Das wäre für uns wichtig, damit wir das Gesetz in dieser Legislatur noch gründlich beraten und zum Abschluss bringen können. (Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Lars Klingbeil. – Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzter Redner in dieser lebendigen Debatte: Hansjörg Durz für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Soziale Medien bieten großartige Möglichkeiten und Chancen der Kommunikation und sind heute wesentlicher Bestandteil unseres öffentlichen Diskurses. Sie haben sich in den vergangenen Jahren extrem dynamisch weiterentwickelt und haben eine enorme Reichweite. Beispielsweise wird Facebook von 1,9 Milliarden Menschen weltweit genutzt. In Deutschland nutzen das Netzwerk etwa 25 Millionen Menschen jeden Monat. Mit dieser Entwicklung geht eine spürbare Veränderung des öffentlichen Diskurses im Netz sowie in der Gesellschaft insgesamt einher. Neben all den positiven Aspekten sehen wir leider zunehmend auch Beleidigungen, Hass, Diskriminierungen, Aufrufe zur Hetze, ja, sogar Mord. In den letzten Wochen und Monaten sind immer wieder Videos von Gewalttaten auf Internetplattformen veröffentlicht worden, so schlimm, dass man sie gar nicht beschreiben will. Nach der Veröffentlichung eines Mordvideos auf Facebook hat Mark Zuckerberg kürzlich Konsequenzen zugesagt und die Einstellung von Tausenden zusätzlichen Mitarbeitern angekündigt, die löschen sollen. Bereits heute müssen – wir haben das mehrfach gehört – soziale Netzwerke rechtswidrige Inhalte löschen, wenn sie Kenntnis davon erlangen. Die Diensteanbieter kommen dieser Löschpflicht zwar grundsätzlich nach, allerdings nicht in dem erforderlichen Umfang und vor allem oft viel zu spät. Dabei spielt der Faktor Zeit eine ganz entscheidende Rolle. Auch wenn rechtswidrige Inhalte relativ zeitnah gelöscht werden, haben bis dahin möglicherweise Hunderttausende Menschen die Inhalte gesehen, kopiert und weiterverbreitet. Empirische Daten belegen, dass trotz der rechtlichen Verpflichtung oft zu wenig passiert und rechtswidrige Inhalte zu lange im Netz verbleiben. Aus diesem Grund hat Justizminister Maas zunächst das Gespräch mit den Diensteanbietern gesucht. Es wurden runde Tische organisiert und sogar eine Taskforce eingerichtet. Die Bemühungen, über die Selbstverpflichtung der Anbieter eine Verbesserung zu erreichen, haben aber nicht den dringend notwendigen Erfolg gebracht. Es kam zwar Bewegung in die Diskussion. Der Druck, zu handeln, wurde erhöht; aber bislang ist viel zu wenig passiert. Als Unionsfraktion haben wir uns intensiv mit der Entwicklung von und auf sozialen Medien auseinandergesetzt. Wir haben einen Fraktionskongress zum Thema „Hassrede und Fake News“ veranstaltet, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) mit Wissenschaftlern und Experten diskutiert und anschließend ein Positionspapier entwickelt. Wir sehen, dass wir der Entwicklung nicht nur, aber auch mithilfe gesetzlicher Regelungen begegnen müssen. Das Positionspapier ist für uns Grundlage dafür. Es steht seit dem Fraktionskongress im Januar dieses Jahres. Von Volker Kauder bis Thomas Jarzombek und Nadine Schön waren alle anwesend. Alle tragen dieses Positionspapier mit. Das ist unsere Grundlage. Da besteht Einigkeit in der Union. (Beifall bei der CDU/CSU) Mit der gesetzlichen Regelung verfolgen wir das klare Ziel, wirksame Verfahren zu implementieren, um strafrechtlich relevante Inhalte zu identifizieren und die Rechtsdurchsetzung zu stärken. Es gilt aber auch, die oftmals schwierige Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten sicherzustellen und sehr genau darauf zu achten, dass die Regelung keine Eigendynamik zulasten der Meinungsfreiheit auslöst. Ein Löschen auf Vorrat darf und wird es mit uns nicht geben. Ich möchte drei Punkte aus dem vorliegenden Gesetzentwurf herausgreifen und die Frage stellen, ob die grundsätzlich gute Absicht des Gesetzentwurfs tatsächlich zu einem guten Ergebnis führt. Der Kollege Klingbeil wird einige Punkte erkennen, bei denen auch er Änderungsbedarf angemeldet hat. Erstens. Sehen wir uns den Anwendungsbereich an. Wen betrifft das Gesetz? In § 1 steht: Dieses Gesetz gilt für Telemediendienstanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen … Ausgenommen sind soziale Netzwerke im Inland mit weniger als 2 Millionen Nutzern. Nach dieser Definition wären zunächst sehr viele Plattformen eingeschlossen. Zwar wurde der Anwendungsbereich in der Begründung näher definiert, es stellt sich aber die Frage, ob dies ausreichend ist und nicht einer Klarstellung in § 1 bedarf. Ich meine schon. In der Begründung wird ausgeführt, dass mit dem Gesetz maximal zehn soziale Netzwerke erfasst werden sollen. Es muss aber eindeutig klargestellt sein, dass wir nicht beispielsweise E-Mail-Dienste oder Bewertungsportale oder auch innovative Geschäftsmodelle von Start-ups durch unverhältnismäßige Auflagen verhindern bzw. unmöglich machen. In diesem Zusammenhang müssen wir auch über den Schwellenwert von 2 Millionen Nutzern sprechen. Es gibt Plattformen, die, je nach Definition, möglicherweise keine 2 Millionen Nutzer in Deutschland haben, aber durchaus gesellschaftlich relevant sind. Also, ich denke, eine Konkretisierung des Anwendungsbereichs ist zwingend erforderlich. Der zweite Themenbereich, den ich herausgreifen möchte, sind die Qualitätsstandards. Im Gesetz werden vollkommen zu Recht Standards zum Umgang mit Beschwerden eingeführt, Standards aus dem Land und in dem Land, in dem die Dienste angeboten werden. Es ist absolut richtig, den Plattformen Qualitätsstandards abzuverlangen. Das ist auch ein zentraler Ansatz des Entwurfs. Er umfasst die verpflichtende Einführung eines Beschwerdemanagements, regelmäßige Berichtspflichten, die Verhängung von Bußgeldern bei Verstößen gegen die Berichtspflichten und bei Fehlen eines Beschwerdemanagements. Insbesondere halten wir die in § 5 geforderte Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten für zwingend notwendig. Dies sind absolut sinnvolle Maßnahmen, übrigens alles Punkte unseres Positionspapiers. Diese Maßnahmen schaffen Transparenz und führen einen Mechanismus ein, wie mit Beschwerden umgegangen werden muss. Drittens. Die meistdiskutierte und zentrale Frage ist: Wer entscheidet, was gelöscht wird und nach welchen Kriterien? Wie bereits erwähnt, sind Plattformen auch heute schon verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu löschen, wenn sie Kenntnis davon haben. Dies geschieht bisher nach unternehmensinternen Kriterien auf eine intransparente Art und Weise. Bereits diese bisherige Praxis ist zu hinterfragen. Wollen wir tatsächlich den Unternehmen die alleinige Entscheidung darüber überlassen, welche Inhalte gelöscht werden und welche nicht? Ich meine, nein. Wir brauchen einen rechtsstaatlichen Mechanismus, der einer Entscheidung über die Löschung oder den Verbleib eines Inhalts vorgeschaltet werden muss, einen Mechanismus, der sicherstellt, dass die nicht eindeutig rechtswidrigen Inhalte einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung unterzogen werden. Er würde darüber hinaus für Rechtssicherheit aufseiten der Betreiber und Nutzer sorgen und einer unverhältnismäßigen Löschpraxis vorbeugen. (Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Aus dem Bereich des Jugendmedienschutzes kennen wir das Modell der Beschwerdestellen, die sehr erfolgreich mit der Justiz zusammenarbeiten. Dieses Modell der regulierten Selbstregulierung, das von allen Rednern der Union bisher genannt wurde, kann ein Vorbild sein; denn dies würde bedeuten, dass nicht die Plattformbetreiber entscheiden, sondern eine vom Staat kontrollierte und von den Unternehmen finanzierte Instanz. Diese prüft alle kritischen Sachverhalte mit geschultem Personal nach klaren Kriterien. Über solch ein Modell müssen wir im parlamentarischen Verfahren reden. (Beifall bei der CDU/CSU) Ob ein Inhalt rechtswidrig ist oder nicht, das liegt in vielen Fällen klar auf der Hand. In mindestens so vielen Fällen können sich aber hervorragende Juristen stundenlang streiten und am Ende zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Grenze zwischen der Meinungsfreiheit und der Verletzung von Persönlichkeitsrechten ist oft fließend und bedarf einer eingehenden fachlichen Prüfung. Die Intention des Gesetzes ist absolut richtig: Wir wollen und müssen eine Verbesserung bei der Rechtsdurchsetzung erreichen. Was rechtswidrig ist, muss aus dem Netz verschwinden, so schnell wie möglich. Opfern von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten muss zu ihrem Recht verholfen werden. Ein Löschen auf Vorrat darf und wird es mit uns aber nicht geben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Durz. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/12356 und 18/11856 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu wechseln bzw. Platz zu nehmen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Annalena Baerbock, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Historische Verantwortung Deutschlands für die Ukraine Drucksache 18/10042 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen einige Gäste auf der Tribüne recht herzlich begrüßen. Ich begrüße den Botschafter der Ukraine sowie Vertreter und Vertreterinnen der Botschaften von Israel, Belarus, Polen, Litauen, Lettland und Estland. Seien Sie uns herzlich willkommen! (Beifall) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe Marieluise Beck das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mich freut, dass so viele mittel- und osteuropäische Vertretungen an dieser Debatte teilnehmen; denn wir führen hier eine europäische Debatte. In diesem März wurde die deutsch-ukrainische Schriftstellerin Natascha Wodin mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Natascha Wodins Eltern wurden als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Ihre Mutter beging Selbstmord. Die Mutter kam, wie Natascha Wodin heute weiß, aus Mariupol. Auch wer in Yad Vashem in das Kindermausoleum geht, begegnet der Ukraine. Von den unzähligen jüdischen Kindern, deren Namen dort verlesen werden, stammt ein großer Teil aus der Ukraine. Der Angriff auf Polen am 1. September 1939 und der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion gehören zum politischen Gedächtnis Deutschlands. Doch es war nicht nur das heutige Russland, das diesen Vernichtungskrieg erlitten hat. Die Territorien, auf denen sich dieser Vernichtungskrieg abgespielt hat, heißen heute Polen, Litauen, Lettland, Estland, Belarus, Russland und eben auch Ukraine. In diesen Gebieten fanden die Ausmerzung der jüdischen Bevölkerung und der gnadenlose Krieg gegen die slawische Zivilbevölkerung statt. Timothy Snyder zeigt uns in seinem Bloodlands, dass es diese Territorien zwischen Berlin und Moskau waren, die unter dem totalitären Wahn des 20. Jahrhunderts besonders zu leiden hatten. Seit 1941 wüteten Wehrmacht und SS unter der jüdischen und slawischen Bevölkerung, die zuvor schon den Bürgerkrieg, den Holodomor und Stalins Terror erlitten hatte. In der Roten Armee kämpften unter anderem Millionen ukrainische Soldaten. Sie spielten eine maßgebliche Rolle bei der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Die Kreml-Propaganda erweckt heute systematisch den Eindruck, der deutsche Angriffskrieg sei allein gegen Russland geführt worden. Mehr noch: Die Ukraine wird in dieser Lesart vom Opfer des Vernichtungskrieges pauschal zum Nazikollaborateur umgedeutet. Als vor drei Jahren Millionen von Ukrainern für Unabhängigkeit und Freiheit auf die Straße gingen, wurde insinuiert, diese Proteste seien stark getrieben von Bandera-Faschisten und Antisemiten. Leider traf das auch bei uns in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Der Respekt vor den Millionen Opfern in den Zwischenländern verlangt von uns einen neuen Blick auf diesen Teil der Geschichte. Dazu gehört auch die Tatsache, dass mit dem Hitler-Stalin-Pakt die beiden totalitären Systeme für lange Zeit halbe-halbe machten, ganz in der Tradition der monarchischen Imperien in Jahrhunderten zuvor; wir alle haben in der Schule etwas von den polnischen Teilungen gehört. Diese Erfahrung ist tief im kollektiven Gedächtnis Polens und der baltischen Republiken verankert. Deshalb reagieren sie bis heute allergisch auf jede Neuauflage einer Achse Berlin–Moskau. Historische Verantwortung ist nicht gleichzusetzen mit Schuld. Aber Scham über das, was der deutsche Stiefel auf ukrainischem Boden angerichtet hat, sollten wir empfinden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wenn Geschichte etwas bedeutet, dann die Verpflichtung, der Ukraine heute in ihrem Streben nach Freiheit und Würde zur Seite zu stehen. Ja, wir haben auch eine historische Bürde gegenüber Russland abzutragen. Es kann hier nicht darum gehen, das eine gegen das andere auszuspielen. Dennoch dürfen die Zwischenländer nicht erneut zur Verhandlungsmasse mit dem Kreml gemacht werden, schon gar nicht aus Berlin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU) In Jalta wurde Europa gegen den Willen der Osteuropäer geteilt. Europa endet aber nicht an den Grenzen des Baltikums und Polens. Die Mittel-Osteuropäer zahlten für diesen Weltkrieg mit ihrer Freiheit. Sie zählen zu Recht auf unsere Unterstützung, wenn sie dem freiheitlichen Europa angehören wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU) Noch ein Wort zur Ukraine, weil ich weiß, dass hier die Frage aufgeworfen wird: Warum dieser Schwerpunkt auf die Ukraine? Wenn ich die Ukraine so hervorhebe, dann weil es das einzige Land in diesen Bloodlands ist, in dem gegenwärtig Krieg geführt wird. Auf der Tribüne sitzen Frauen und Mütter von Soldaten, die im Donbass verschwunden sind. Nicht nur der Vernichtungskrieg tobte auf dem Boden der Zwischenländer; es gab auch die systematische Verschleppung von Menschen als Zwangsarbeiter. Das traf besonders die Ukraine. Historiker gehen davon aus, dass zwei Drittel der sogenannten Ostarbeiter aus der Ukraine stammten. Sie haben bei unseren Großeltern und Eltern auf Bauernhöfen, in Familienbetrieben, in Fabriken gearbeitet, oft unter entsetzlichen Bedingungen. Es ist an der Zeit, auch diesen Teil der Geschichte in den Blick zu nehmen. Ich hoffe, dass der Deutsche Bundestag diese Debatte weiter verfolgen wird, dass es nicht die erste und letzte war. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Marieluise Beck. – Nächster Redner: Dr. Christoph Bergner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag appelliert an die historisch-moralische Verantwortung Deutschlands gegenüber der Ukraine. Wir nehmen diesen Appell, verehrte Frau Kollegin Beck, sehr ernst. Die Gräuel während des von Deutschland ausgehenden rassistisch motivierten Okkupationskrieges und der barbarische Zivilisationsbruch in Polen, im Baltikum, in der Ukraine, in Belarus und Russland, in der Region, die Timothy Snyder, wie Sie schon sagten, als Bloodlands bezeichnete, wo antisemitischer und antislawischer Rassismus furchtbares Leid verursachte, werden im Antrag eindrücklich beschrieben. Es gibt mehrere Anlässe, die historische Erinnerung an diese Ereignisse in unserem Parlament zu thematisieren. Ein für mich besonders wichtiger Bezug war der 75. Gedenktag des Massakers in der Schlucht von Babi Jar im September letzten Jahres. Eine wichtige Botschaft, mit der ich dieses Gedenken verbinden möchte, finde ich in der Rede des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, die er zu diesem Anlass in Kiew gehalten hat: In dem Maß, in dem es uns gelingen wird, dem Gedächtnis Raum zu geben, „wird auch das gemeinsame Erinnern möglich sein, das wir brauchen, dringend brauchen, weil die Geschichte, um die es geht, eine gemeinsame ist“. Weiter sagte er: Antworten auf unsere Fragen werden wir nur gemeinsam finden. Dies ist kein Plädoyer für die Verwischung von Verantwortlichkeiten, sondern vielmehr für eine grenzübergreifende, gemeinsame Forschung, für eine Forschung, die neuerlich modischen Versuchungen widersteht, die Wahrheit durch das Prisma der Nation zu suchen. Diese Worte des Bundespräsidenten machen deutlich: Wir Deutsche müssen uns der Verantwortung bewusst bleiben, die auf Deutschland als Rechtsnachfolger der Dritten Reiches lastet. Wir sind in einer besonderen Pflicht, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Wir sollten Formen der Aufarbeitung suchen, die im Sinne nachhaltiger Aussöhnung gemeinschaftlich vollzogen werden können. Das gilt nicht nur für die Bloodlands im Allgemeinen, sondern besonders für die Ukraine, gerade angesichts der gewaltigen Herausforderungen, die die Gesellschaft dieses Landes gegenwärtig zu bewältigen hat. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Einrichtung der Deutsch-Ukrainischen Historikerkommission begrüßen, die 2015 erfolgte. Im April 2016 haben Frank-Walter Steinmeier und sein damaliger ukrainischer Kollege Pawlo Klimkin die Schirmherrschaft über die Kommission übernommen. Seit März 2016 wird die Kommission mit Mitteln der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik finanziert. Zwei Aspekte sehe ich als zentrale Aufgaben dieser Kommission an: die Arbeit am gegenseitigen Verstehen und die gemeinsame Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit. Zum gegenseitigen Verstehen. Selbst die Historikerzunft muss eingestehen, sich in der Vergangenheit zu wenig mit der ukrainischen Geschichte als eigenständige Geschichte beschäftigt zu haben. Der renommierte deutsche Historiker Karl Schlögel hat das neulich in einem selbstkritischen Ausruf eingestanden – Zitat –: Ich musste feststellen, dass man sich ein Leben lang mit dem östlichen Europa, mit Russland und der Sowjetunion beschäftigen konnte, ohne eine genauere Kenntnis von der Ukraine zu besitzen ... Das betreffe nicht nur ihn, sondern auch manche andere seiner Zunft, die so spät zu dieser Einsicht kamen. – Wollen wir den Ukrainern auf dem Weg zu einem souveränen und modernen Staat helfen, so müssen wir die Hintergründe verstehen, die diese Gesellschaft geformt haben, bevor wir vorschnelle Schlüsse ziehen. Zum zweiten Aspekt. Es gehört zu meiner Grundüberzeugung, dass der Übergang zu demokratischen Gesellschaften im postsowjetischen Raum insbesondere dort nicht gelungen ist, wo es keine echte Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit gab. Das schließt die Aufarbeitung der totalitären Ära des Stalinismus ein. Kern und Ziel unserer gemeinsamen Vergangenheitsbewältigung ist die umfassende Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit. In seiner letzten Publikation Black Earth erweitert Timothy Snyder sein Konzept der Bloodlands um die These, dass dem Zivilisationsbruch im Einflussbereich beider totalitären Regime – Hitlers und Stalins – eine systematische Vernichtung von Staat und Recht voranging. Damit komme ich zu den Schlussfolgerungen. Wir haben eine historisch-moralische Verpflichtung, die Ukraine am europäischen Friedenswerk zu beteiligen. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen zur Hilfe bereit sein, wenn es darum geht, das Land zu stabilisieren, seine Institutionen zu stärken und dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zur Geltung zu verhelfen. Der vorgegebene Rahmen ist zurzeit das europäische Nachbarschaftskonzept sowie zahlreiche bilaterale Kooperationen, die den Assoziierungsprozess der Ukraine flankieren. Ich habe nicht die Zeit, alle Aktivitäten aufzuführen, die beispielsweise im Rahmen des Haushaltes des Auswärtigen Amtes in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik erfolgen. Wir wollen ein Zeichen für die Aufarbeitung des totalitären Zeitalters des 20. Jahrhunderts auf der Grundlage europäischer Werte setzen und einige Defizite auf diesem Gebiet ausräumen. Die ukrainische Emanzipationsbewegung spätestens seit dem Maidan gibt uns dafür einen guten Anlass. Die Menschen, die in den Februartagen 2014 ihr Leben für die europäische Idee lassen mussten, verpflichten uns dazu. 2012 erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreis. Ich bitte noch einmal, sich die Begründung für die Verleihung dieses Friedensnobelpreises deutlich zu machen, damit sichtbar wird, dass die Europäische Union das sichtbarste und denkbar beste Produkt gemeinsamer Kriegsfolgenaufarbeitung ist. Deshalb ist es so ungeheuer wichtig, dass wir unsere nationale historisch-moralische Verpflichtung, die wir gegenüber der Ukraine, aber auch gegenüber den anderen Bloodlands haben, in unsere europäische Politik einbinden, dass wir die Hand zur Nachbarschaft ausstrecken und Perspektiven setzen und dass wir bereit sind, bei den gleichen Verpflichtungen, die wir gegenüber Russland haben, uns vor faulen Kompromissen zu bewahren. Denn es ist zwar bedauerlich, aber wir haben uns damit auseinanderzusetzen – – Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie an Ihre Redezeit, bitte. Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): – letzter Satz, Frau Präsidentin –: Die gegenwärtige russische Politik sieht in einem erfolgreichen ukrainischen Weg eine Herausforderung oder gar eine Gefahr für das eigene totalitäre Konzept. Dem dürfen wir im Interesse der gemeinsamen europäischen Werte nicht nachgeben. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Bergner. – Nächster Redner: Andrej Hunko für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über den Antrag der Grünen „Historische Verantwortung Deutschlands für die Ukraine“. Die Linke sagt ganz klar: Ja, es gibt eine historische Verantwortung Deutschlands gegenüber der Ukraine, aber auch gegenüber den anderen Ländern, (Beifall bei der LINKEN) gegenüber Russland, Belarus, Polen und dem Baltikum. Die historische Verantwortung ergibt sich in erster Linie aus dem ungeheuerlichsten Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg, den die moderne Geschichte kennt und dem schätzungsweise 27 Millionen damalige Sowjetbürger zum Opfer gefallen sind, darunter neben Millionen Russen auch viele Ukrainer. Die Erinnerung an dieses Menschheitsverbrechen ist meines Erachtens viel zu wenig ausgeprägt. Die wichtigste Lehre sollte es sein, alles zu tun, um im Osten gegenüber der Ukraine und gegenüber Russland eine Politik des Friedens und des Ausgleichs zu entwickeln. Das wäre historische Verantwortung. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Was?) Aber davon sind wir meilenweit entfernt, und das wissen Sie. Schlimmer ist: Mit der NATO-Osterweiterung, der Durchsetzung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens und der Unterstützung des verfassungswidrigen Umsturzes im Februar 2014, aber auch durch die entsprechenden russischen Reaktionen auf der Krim und im Donbass wurde die historisch tief zerrissene Ukraine weiter polarisiert. Bis heute werden die Maidan-Proteste und der folgende Umsturz – das haben wir eben gehört – von der Bundesregierung und auch von den Grünen glorifiziert, obwohl es dort eine starke Hegemonie rechtsnationalistischer Kräfte gab, die sich auf den Nazikollaborateur Bandera bezogen. Sein Bild war überlebensgroß auf dem Maidan zu sehen. Militante Gruppen, die sich auf ihn beziehen, spielten in dieser Entwicklung eine Schlüsselrolle. Hier wäre es historisch verantwortungsvoll gewesen, zu differenzieren, anstatt diese Bewegung, die natürlich nicht nur aus Nazis bestand – das ist klar –, sie spielten aber eine große Rolle, einseitig zu protegieren bis hin zum Besuch des damaligen Außenministers Westerwelle. Die historische Rolle Banderas und seiner Organisation Ukrainischer Nationalisten wird im Antrag der Grünen trotz einiger Auslassungen beschrieben. Gleichzeitig wird beklagt – das haben wir eben gehört –, Bandera diene der russischen Propaganda als Verkörperung eines ukrainischen Faschismus. Was denn sonst? Bandera und seine Organisation waren glühende Antisemiten sowie Polen- und Russenhasser und an Massakern beteiligt, die Tausende Zivilisten das Leben gekostet haben. Als Bandera erstmals im Jahre 2010 vom damaligen Präsidenten Juschtschenko zum „Helden der Ukraine“ erklärt wurde, protestierten nicht nur Russland, sondern auch Polen, das EU-Parlament, mehrere jüdische Organisationen sowie natürlich auch zahlreiche Ukrainer gegen diese Entscheidung. Deutsche historische Verantwortung wäre es, diese Kollaboration der OUN, der Organisation Ukrainischer Nationalisten, mit den Nazis aufzuarbeiten und sich ganz unzweideutig von Kräften in dieser Tradition zu distanzieren. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wie sieht die Lage heute in der Ukraine aus? Darüber wurde gar nicht gesprochen. Vor wenigen Tagen wurden fast alle russischen sozialen Netzwerke in der Ukraine durch einen Erlass von Poroschenko gesperrt – da wäre sicherlich selbst Erdogan vor Neid erblasst –, darunter zum Beispiel das soziale Netzwerk VKontakte, dessen Verbreitungsgrad in der Ukraine mit dem von Facebook in Deutschland vergleichbar ist, und die Suchmaschine Yandex. Diese Sperrung wurde zu allem Überfluss von der NATO begrüßt. Ich habe heute Morgen noch einmal bei der NATO nachgefragt: Die NATO unterstützt diese Sperrung. Ich finde das unerträglich. Frau Beck, das hat doch nichts mit dem Streben nach Freiheit zu tun, wie Sie es hier erzählen. (Beifall bei der LINKEN) Ebenfalls vor einigen Tagen wurde der 25-jährige Denis Kindrat von einem Gericht in Lwiw zu zweinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in den sozialen Netzwerken Lenin-Zitate gepostet hatte. Wo leben wir denn? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Grundlage dafür ist ein Gesetz, das sogenannte Antikommunisierungsgesetz, das die Venedig-Kommission des Europarates sehr deutlich kritisiert hat. Hier wäre statt Schönrederei ein deutliches Wort der Bundesregierung oder auch dieses Parlamentes zu erwarten gewesen. (Beifall bei der LINKEN) Ich will zusammenfassen: Die Ukraine und vor allen Dingen die Bevölkerung in der Ukraine werden als Frontstaat in einem neuen Kalten Krieg keine Zukunft haben. Die Bevölkerung der Ukraine ist ebenso wie die anderen sogenannten Zwischenvölker, die Sie genannt haben, mehr denn je darauf angewiesen, dass es zur Entspannung kommt, dass es zu einem Ausgleich zwischen Ost und West kommt, dass es zu einem guten Verhältnis zu allen Nachbarn kommt. Dafür tritt die Linke ein. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Hunko. – Nächste Rednerin: Dr. Ute Finckh-Krämer für die SPD-Fraktion. Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen! Ich erkenne genau wie alle Vorredner die historische Verantwortung für die Ukraine und die anderen von Deutschland besetzten Territorien der ehemaligen Sowjetunion uneingeschränkt an und möchte daran erinnern, dass deutsche Nichtregierungsorganisationen wie Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in diesen Territorien schon vor dem Ende der Sowjetunion aktiv waren. Ich selber bin mehr zufällig 1983 nicht in Babi Jar, wo ASF schon damals aktiv war, sondern in Chatyn gewesen. Ich bin mit einer anderen kirchlichen Gruppe noch zu Zeiten der Sowjetunion in Leningrad gewesen und habe dort das beeindruckende Hungermuseum besucht. Egal an welchem Gedenkort man gewesen ist, es lässt einen nicht wieder los. Ein solcher Besuch gibt einem eine Vorstellung davon, was diese Länder Fürchterliches durchgemacht haben. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Die Konsequenz darf nicht nur sein, zu überlegen, wie wir der historischen Verantwortung gerecht werden können. Vielmehr müssen wir – dieser Punkt wurde noch nicht genannt – jeder Schlussstrichdebatte, jeder Debatte, die zum Ziel hat, unsere historische Verantwortung zu relativieren, entschieden entgegentreten, und zwar in unserer gesamten Gesellschaft und nicht nur hier im Bundestag. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]) Die entscheidende Frage lautet, was daraus für unsere Zusammenarbeit mit den mittel- und osteuropäischen Staaten folgt, sowohl mit denen, die damals zum Warschauer Pakt gehört haben, als auch mit denen, die einst zur Sowjetunion gehört haben. Es gibt historische Erfahrungen, auf die wir aufbauen können, nämlich die Erfahrungen mit der deutschen Teilung. Die Situation im Verhältnis der Ukraine zu Russland ähnelt derjenigen, die wir zwischen 1949 und 1989 in Deutschland hatten. Es gibt viele verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Menschen, die in der Ukraine leben, und den Menschen, die in Russland leben. Nach den Zahlen, die ich kenne, hat ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung Verwandte in Russland. Umgekehrt ist es ähnlich. Ob die russischsprachigen sozialen Netzwerke in der Ukraine noch zugänglich sind, betrifft nicht nur die Pressefreiheit, sondern auch die Frage, ob Europa diese Kontakte, wie sie auf ähnliche Weise zwischen der Bundesrepublik und der DDR bestanden, erhalten und so eine Kommunikation zwischen diesen beiden Ländern auf der persönlichen Ebene ermöglichen will. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Genauso wichtig ist die Rolle, die Deutschland im Geiste der Entspannungspolitik von Willy Brandt, der nicht nur einen Ausgleich mit der Sowjetunion, sondern auch mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei gesucht hat, spielen kann. Was müssen wir tun, um gutnachbarschaftliche Beziehungen zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken zu schaffen? Wie können wir die anderen Länder einbeziehen, wenn es etwa um die Demokratisierung in der Ukraine und die Weiterentwicklung der ukrainischen Verfassung geht. Aus meiner Sicht war Folgendes ein sehr guter Ansatz: Damals, als die Gewalt auf dem Maidan eskalierte, ist der deutsche Außenminister zusammen mit dem französischen und dem polnischen Außenminister nach Kiew gefahren, um zu einer Gewaltdeeskalation beizutragen. Damit haben ein Staat, der im Zweiten Weltkrieg aufseiten der Sowjetunion gekämpft hat, ein Staat, der besonders gelitten hat und ein Nachbar der Ukraine ist – ich meine Polen –, und Deutschland gemeinsam Verantwortung für den europäischen Nachbarn Ukraine übernommen. Das Normandieformat, das geschaffen wurde, um zu versuchen, den Bürgerkrieg mit russischer Einmischung in der Ostukraine zu deeskalieren, hat sich als tragfähig erwiesen. Polen ist zwar nicht Mitglied dieser Verhandlungsgruppe, wird aber von Deutschland und Frankreich eng eingebunden. (Beifall bei der SPD) Insofern bedeutet Verantwortung zu übernehmen, alles zu tun, um den Bürgerkrieg in der Ostukraine zu beenden. Dabei geht es um die Beteiligung Deutschlands an der Monitoring Mission und an immer neuen Vorschlägen, wie man zu einer Deeskalation bzw. zu einem Waffenstillstand, der Voraussetzung für einen Friedensprozess ist, kommen kann. Es geht aber auch um die ständigen Bemühungen um die Östliche Partnerschaft mit allen Staaten, die sich als ehemalige Sowjetrepubliken zu Europa zählen und bis auf Belarus Mitglieder des Europarates sind. Mit diesen Staaten unterhalten wir enge Beziehungen und wollen das auch weiter tun. Dazu gehören Städtepartnerschaften, und dazu gehört die gemeinsame Arbeit im Europarat. Weiter gehören dazu zivilgesellschaftliche – zum Beispiel kulturelle – Kontakte. Damit werden wir, glaube ich, unserer Verantwortung so gut gerecht, wie wir es angesichts der unvergleichlichen Verbrechen des Zweiten Weltkrieges nur tun können. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ute Finckh-Krämer. – Nächste Rednerin ist Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem Zitat von Roman Herzog: Europäische Identität bedingt die Herausbildung eines europäischen Gedächtnisses, das das Gemeinsame an Verantwortung ins Bewusstsein hebt. Genau darum muss es gehen: um ein europäisches Gedächtnis und um gemeinsame Verantwortung. Die ganze Tragik des NS-Vernichtungskrieges, aber auch die stalinistischen Gräueltaten in Osteuropa – insbesondere in der Ukraine – sind bisher viel zu wenig im europäischen Gedächtnis verankert bzw. in der deutschen Öffentlichkeit bekannt. Deshalb ist es gut, dass der Antrag der Grünen mit der notwendigen Aufarbeitung beginnt und die historische Verantwortung Deutschlands hervorhebt. Mein ausdrücklicher Dank geht an Marieluise Beck, meine Bremer Kollegin. Ich danke ihr dafür, dass sie das hier vorgelegt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr!) Leider bezieht sich der Antrag – das wurde vielfach erwähnt – jedoch isoliert auf die Ukraine. Andere osteuropäische Länder, zum Beispiel Polen, die baltischen Staaten und Belarus, fehlen. Wir müssen aber festhalten: Nirgendwo wurde der NS-Vernichtungskrieg so brutal geführt wie in der Ukraine. Stellvertretend für die systematische Ermordung osteuropäischer Juden steht – auch das wurde erwähnt – die Schlucht von Babi Jar. Hier wurden innerhalb von 36 Stunden 33 761 Juden ermordet. Kinder wurden auf die Leichenberge geworfen und lebendig begraben, um Munition zu sparen. Eine Steigerung der Grausamkeiten gibt es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dies darf sich nun wirklich nie wiederholen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Heute befindet sich die Ukraine wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der kriegerischen Auseinandersetzung mit Russland im Donbass erneut in einer äußerst kritischen Situation. Täglich sterben Soldaten und Zivilisten. Wieder ist die Ukraine Opfer. Diesmal sind es die Machtinteressen Putins und sein Expansionswille, die das Land in eine tiefe Krise gestürzt haben. Hier setzt unsere, aber auch die europäische Verantwortung ein. (Karin Binder [DIE LINKE]: Und die Interessen Europas und der NATO!) – Ja, Sie sind Putinversteher und Russlandversteher. Deshalb sehen Sie das anders. (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) – Sie müssen es einfach ertragen, dass hier gesagt wird, was im Augenblick in der Ukraine wieder an Unrecht und Leid durch das russische System bzw. durch Putin produziert wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD] – Karin Binder [DIE LINKE]: Und durch die NATO nicht?) In dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, sich durch Bildungsarbeit und Kulturprojekte für eine Erinnerungskultur einzusetzen. Dies geschieht – das wurde eben auch erwähnt – auf vielfältige Weise. Allerdings müssen wir sagen: Der Blick zurück in die Geschichte ist nur der eine Teil unserer Verantwortung. Der andere Teil ist der Blick nach vorne. Das bedeutet, dass wir die Ukraine bei ihren Bemühungen auf dem Weg zu einem demokratischen Rechtsstaat unterstützen. Dieser Weg ist schwer und weit. Demokratische Kräfte ringen mit den Kräften, die verharren und alte Strukturen beibehalten wollen. Dennoch sind erste Erfolge sichtbar. Vieles steht noch aus: die Einrichtung von Korruptionsgerichten, weitere Privatisierungen, die Justizreform, die bessere Bezahlung der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Die Ukraine hat ein Umsetzungsproblem. Mit anderen Worten: Es fehlt noch ein Mindestmaß an politischer Kultur. Dennoch: Die Maidan-Revolution – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin – darf nicht umsonst gewesen sein. Wir müssen der russischen Propaganda entgegentreten, die den Maidan als Werk militanter Rechtsextremisten diffamiert. Das kann nicht richtig sein. Wer immer sich in die große Zahl der friedliebenden Demonstranten eingeschleust hat – (Karin Binder [DIE LINKE]: Man kann sich die Welt auch schönreden!) der Maidan war keine Bewegung von Rechtsextremisten. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Karin Binder [DIE LINKE]: Aber durchmischt mit Rechtsextremisten! Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen!) Ich komme zum Schluss. Ich wollte so gerne noch auf die vielfältigen Kulturprojekte, die wir dort verwirklichen, eingehen. Ich schließe damit, dass ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich unserer Bundeskanzlerin dafür danken möchte, dass sie sich in unglaublich guter Weise dafür einsetzt, dass das Abkommen von Minsk eingehalten wird, dass der Konflikt beigelegt wird, dass die Sanktionen eingehalten werden, (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das läuft ja super!) und dass sie viele Gespräche, Verhandlungen und Telefonate mit Putin – das ist schwer – geführt hat. Herzlichen Dank, Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Elisabeth Motschmann. – Nächster Redner: Dr. Fritz Felgentreu für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Nad Bab’im Jarom pamjatnikow net“, „über Babi Jar, da steht keinerlei Denkmal“ – dieser berühmte Stoßseufzer am Anfang von Jewgenij Jewtuschenkos monolithischem Gedicht über das Massaker an den Kiewer Juden im Herbst 1941 wirkt auf mich ein bisschen wie eine abschließende Verdichtung vieler Beweggründe für Ihren Antrag, liebe Frau Beck. Im übertragenen Sinne kann dieser Ort, der als denkmalsloser in die Weltliteratur eingegangen ist, für das Verhältnis immer noch zu vieler Deutscher zur Ukraine stehen. Der Ukraine scheint gleichsam die Landmarke, das Erkennungsmerkmal, zu fehlen. Es fällt zu vielen von uns immer noch schwer, neben dem gewaltigen Russland, das so großen Raum im kollektiven Bewusstsein in Anspruch nimmt, die Ukraine überhaupt als europäisches Land mit eigener Identität und eigener Geschichte angemessen wahrzunehmen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darauf hat sie aber einen Anspruch, sowohl aus eigenem Recht als auch aus einer historischen Verantwortung Deutschlands heraus. Es ist ein Verdienst des Antrags der Grünen, diesen Anspruch zu begründen. Die junge Generation, die bereits in einer unabhängigen Ukraine aufgewachsen ist, sieht sich mit unzähligen Herausforderungen und Problemen konfrontiert. Es handelt sich dabei nicht nur, aber auch um Spätfolgen historischer Katastrophen, für die Deutschland einen großen Teil der Verantwortung trägt. Zweimal hat Deutschland auf ukrainischem Boden zerstörerisch Krieg geführt, ein weiteres Mal brachte der Vormarsch der sowjetischen Armeen große Verwüstungen mit sich. Dass der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion auf dem Boden der Ukraine ausgekämpft wurde, ist eine Tatsache, die wir uns manchmal nicht genügend bewusst machen. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Die Erschütterungen und inneren Konflikte, die diese Kriege ausgelöst, und die Opfer, die sie gekostet haben, zeichnet der vorliegende Antrag nach. Sie haben der Ukraine ihren Stempel aufgedrückt. Ihre Nachwirkungen sind bis heute spürbar. Das Anliegen des Antrags und die einzige Forderung, die er erhebt, erscheinen mir daher durchaus sinnvoll und berechtigt. Die SPD-Fraktion wird aber den Antrag dennoch so, wie wir ihn heute lesen, nicht beschließen können. Gestatten Sie mir, drei Gründe dafür auszuführen. Erstens bedarf eine Positionsbestimmung des Deutschen Bundestages in einer so wichtigen Frage einer gemeinsamen Anstrengung aller Fraktionen, die dazu bereit sind. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich seit Monaten versucht!) Der Antrag einer einzigen Fraktion ist dafür doch eine zu schmale Grundlage. Bisher haben Grüne, SPD und Union nicht zu einer gemeinsamen Haltung gefunden, (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt erklären Sie uns doch einmal, warum!) und mit der Fraktion der Linken dürfte sie gar nicht erreichbar sein. Ob die Ausschussberatungen noch Fortschritte bringen werden, müssen wir ausloten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Felgentreu, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder eine Bemerkung von Frau Beck? Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Ja bitte, gern. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Herr Kollege, dieser Antrag war im September des vergangenen Jahres fertig. Ich habe über Monate hinweg – das können die Kollegen von der SPD und von der CDU/CSU bestätigen – darum geworben und gebeten, dass wir gemeinsam an diesem Antrag arbeiten, um ihn gemeinsam einbringen zu können. Ich habe mit der Einbringung gewartet bis November 2016, um ebendiese Gelegenheit zu geben, daran zu arbeiten. Ich habe dann weiterhin bis in die Fraktionsspitzen hinein trotz des Ärgers mit den Kollegen fast bis zu dem Punkt, an dem ich dachte: „Ich nerve meine Kollegen“, immer wieder darum gebeten: Lasst uns gemeinsam etwas machen. Vielleicht können wir das Ganze voranbringen. Wir werden noch eine Debatte zur Östlichen Partnerschaft haben. Ich lade beide Fraktionen dazu ein, an diesem Antrag in der von Ihnen gewünschten Weise zu arbeiten. Wir könnten ihn dann zu dieser Debatte über die Östliche Partnerschaft gemeinsam einbringen. Es besteht bei uns jede Offenheit für Ergänzungen und Veränderungen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Das ist vielleicht ein ganz gutes Stichwort. Ich bin ja kein Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, wie Sie wissen, und ich bin deswegen nur aus zweiter Hand über die Abstimmungsprozesse informiert, die im Hintergrund im Laufe der letzten zwölf Monate stattgefunden haben. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aus erster Hand!) Ich meine mich aber zu erinnern, dass ursprünglich ein Problem im Umgang mit dem Vorschlag der Grünen darin lag, dass er eigentlich auf eine Stellungnahme zum Jahrestag des Massakers von Babi Jar im vergangenen Jahr ausgerichtet und dass der Beratungszeitraum relativ kurz war. Andererseits gab es zumindest bisher von grüner Seite keine große Bereitschaft, den historischen Blickwinkel, den sie einnehmen, um eine Perspektive auf die Gegenwart zu ergänzen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht wahr! – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD] gewandt: Herr Mützenich, würden Sie das bitte richtigstellen?) Es ist schwierig gewesen, eine Abstimmung vorzunehmen; so habe ich es zumindest verstanden. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre schön, wenn der Kollege Mützenich Ihren Eindruck richtigstellen würde!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Felgentreu, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Niels Annen? Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Er möchte dazu wohl eine Stellungnahme abgeben. Bitte schön. Niels Annen (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich glaube, wir müssen das hier schon ein bisschen klarstellen. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Eben. Niels Annen (SPD): Es ist in der Tat richtig: Der Antragstext von Frau Beck lag seit langem vor. Aber was Frau Beck hier nicht erwähnt, ist, dass vonseiten der Koalitionsfraktionen ebenfalls die Bereitschaft vorlag, darüber zu diskutieren. Sie wissen, wir haben einen Koalitionsvertrag geschlossen. Normalerweise beschließen wir als Koalitionsfraktionen in diesem Parlament die Anträge, die wir gemeinsam in den Bundestag einbringen. Das heißt, es gab ein großes Entgegenkommen. Aber wir wollten gemeinsam, dass wir uns nicht – ich sage das in Anführungszeichen – „nur“ über die Ukraine unterhalten, sondern dass wir einen gemeinsamen Antrag zu unserer Politik, was die Östliche Partnerschaft angeht, auf den Weg bringen – auch aus dem Grund, den der Kollege Felgentreu hier gerade vorgetragen hat: dass geschichtspolitische Beschlüsse des Parlamentes einer großen gesellschaftlichen Debatte bedürfen. Das heißt, die Bereitschaft der Koalitionsfraktionen, Impulse des grünen Antrags aufzunehmen, ist immer da gewesen, ist aber von der sehr geschätzten Kollegin Beck stets abgelehnt worden, weil sie, was ihr gutes Recht und das Recht der Grünenfraktion ist, darauf bestanden hat, einen Antrag – in Anführungszeichen – „nur“ zur Ukraine zu verabschieden. Deswegen werden Sie sich, wenn Sie sich den Entwurf des Antrags zur Östlichen Partnerschaft, den wir einbringen werden, anschauen, selber davon überzeugen können, dass wir einen Schwerpunkt auf die Ukraine legen, dass wir dort auch historische Bezüge formulieren, aber hier eben ganz explizit keinen geschichtspolitischen Antrag einbringen wollen. Insofern werden wir natürlich in den Ausschussberatungen darüber miteinander sprechen. Aber ich finde, wir müssen hier schon bei der Wahrheit bleiben. Das heißt, dass die Dialogbereitschaft vonseiten unserer Fraktion immer gegeben gewesen ist. Deswegen sollte man das hier in einer Debatte, die wir angemessen miteinander führen wollen, richtigstellen. Vielen Dank. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Vielen Dank, lieber Kollege Annen. – Frau Beck, ich bitte um Verständnis: Ich glaube, wir sollten hier jetzt nicht die Ausschussdebatte vorwegnehmen. Für eine solche Debatte ist ja der Ausschuss da. So wie es der Kollege Annen hier eben dargestellt hat, so ist die Kommunikationssituation zumindest auch bei mir angekommen. Das habe ich auch zur Grundlage meiner Ausführungen hier gemacht, die noch ein bisschen weitergehen sollen. Auf genau diese Punkte werde ich noch eingehen. Wie ich eben gesagt habe: Neben einer Positionsbestimmung, die sich der historischen Verantwortung stellt – davon bin ich fest überzeugt –, brauchen wir auch den Blick auf die Gegenwart. Ohne ihn kommen wir nicht aus. Ich finde, das, was Ute Finckh-Krämer gesagt hat, zeigt deutlich, warum das so ist und dass das unbedingt in eine solche Positionsbestimmung des Deutschen Bundestages hineingehört. Anteilig wird dieser Blick jetzt in einem umfassenden Antrag zur Weiterentwicklung der Östlichen Partnerschaft von den Koalitionsfraktionen vorbereitet. Ich würde mich freuen, wenn es gelänge, beide Perspektiven, die historische und die aktuelle, zusammenzuführen. Wir brauchen tatsächlich ein noch genaueres Nachdenken darüber, wodurch sich die deutsche Haltung gegenüber der Ukraine in Abgrenzung von ihren Nachbarstaaten eigentlich auszeichnet. Entweder tun wir das, oder wir müssen mindestens Weißrussland, wahrscheinlich aber auch die Moldau und einige andere Staaten in eine breiter angelegte Positionsbestimmung einbeziehen; denn fast alles, was wir zur deutschen Verantwortung gegenüber der Ukraine formulieren, wäre ähnlich oder gleich auch über Weißrussland zu sagen. Damit wird die Aufgabe, eine Haltung und Richtung festzulegen, noch komplexer, als sie sowieso schon ist; denn bei aller Ähnlichkeit der historischen Erfahrungen sehen wir in der Gegenwart beider Länder doch sehr große Unterschiede. Die SPD-Fraktion wird deshalb, wie eben deutlich geworden ist, die Initiative der Grünen bei der Beratung im Ausschuss konstruktiv würdigen. Ich traue diesem Parlament zu, etwas Gutes daraus erwachsen zu lassen. Aber es könnte sich am Ende in einer ganz anderen Gestalt präsentieren, als wir heute absehen können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Felgentreu. – Letzter Redner in dieser Debatte: Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Unionsfraktion – das vorab – versteht Ihr Anliegen, Frau Beck, bzw. das Anliegen der Grünen durchaus. Wir sind auch bereit – das waren wir auch zuvor schon –, dem Anliegen Ihres Antrags in dem ihm gebührenden größeren Rahmen der bereits erwähnten Östlichen Partnerschaft nachzukommen und eine möglichst breite Übereinstimmung im Umgang mit den Themen zu finden, über die ich jetzt kurz sprechen möchte. Bei der Lektüre Ihres Antrags, Frau Beck, erfasst uns wieder einmal das Erschrecken und Entsetzen über den menschenverachtenden Rassismus, die nationalsozialistische Ideologie und die enthemmte und mörderische Durchsetzung dieses ganz abstrusen Gedankengebäudes. Diese Debatte über die historische Verantwortung Deutschlands für die Ukraine bietet eine gute Gelegenheit, wichtige Fragen zu stellen. Wie wird die Ukraine in Deutschland wahrgenommen? Die so lange gewohnte Wahrnehmung der Ukraine als Teil der Sowjetunion hindert bisweilen daran, sich der historischen Identität als Grundlage eines souveränen Staates bewusst zu sein, eines Staates mit eigener Geschichte, mit eigener Sprache, mit eigenen Sitten und Bräuchen sowie – das ist wichtig – einer kulturell auf Europa ausgerichteten Bevölkerung. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! So ist es!) Was wissen wir in Deutschland über die Masseninhaftierungen und Massenhinrichtungen der ukrainischen Schriftsteller, Publizisten und Künstler in den 20er- und 30er-Jahren, die sogenannte erschossene Renaissance in der Ukraine? Was wissen wir über den Holodomor, (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!) den millionenfachen Völkermord Stalins durch gewolltes Verhungernlassen in den Jahren 1932/1933? Was wissen wir über die massiv unterdrückte Dissidentenbewegung in der Ukraine in den 60er-Jahren? Was wissen wir über die studentische „Revolution auf dem Granit“ – so wird sie genannt – auf dem Kiewer Maidan im Oktober 1990? Die historische Verantwortung Deutschlands für die Ukraine besteht auch darin, das Wissen über die Ukraine in Deutschland zu vertiefen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Erst nach dem Euromaidan 2014 wurde die erste Deutsch-Ukrainische Historikerkommission gegründet – das wurde bereits erwähnt –, und erst im vergangenen Jahr hat das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien seine Arbeit aufgenommen. Ja, es ist die Aufgabe dieses Deutschen Bundestages, der historischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Das friedliche Zusammenleben der Völker, die Versöhnung einer Nation mit sich selbst und mit ihren Nachbarn setzt die wahrheitsgetreue Aufarbeitung der Geschichte voraus. Die Interpretation der Ereignisse im Einzelnen und ihre historische Einordnung sind aber nicht Aufgabe des Staates. Wir lehnen eine ukrainische Staatsgeschichtsschreibung ebenso ab wie die bekannte sowjetische Interpretation der Geschichte; wir lehnen beides gleichermaßen ab. Stattdessen ist es die Aufgabe von Historikern, die geschichtlichen Abläufe wissenschaftlich, wahrheitsgetreu darzustellen. Durch die Annexion der Krim und das aktive Einmischen im Osten der Ukraine hat Russland die territoriale Integrität der Ukraine verletzt und internationale Verträge wie das Budapester Memorandum und die Schlussakte von Helsinki gebrochen. Das ist unsere feste Überzeugung; dies muss immer wieder erwähnt werden. Mit einer Desinformationskampagne und der propagandistischen Geschichtsinterpretation versucht Russland nun, die Ukraine weiter zu schwächen und sie als gescheiterten Staat darzustellen. Wir sind uns in diesem Hause bewusst, dass es im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland nicht um eine kurzfristige Krise geht. Es geht um die Deutungshoheit und künftige Bestimmung historischer Diskurse in ganz Europa, in denen auch Platz sein muss für die ukrainische Sicht der Dinge. Das Bekenntnis zur territorialen Integrität und unsere Hilfe bei den Transformations- und Demokratisierungsprozessen in der Ukraine dürfen deshalb nicht auf einem Opferdiskurs allein begründet werden. Unsere Unterstützung der Ukraine bedarf auch nicht der Sonderbegründung einer zusätzlichen historischen Verantwortung. Nur weil wir wissen, welche Verantwortung wir haben und wie die Dinge sich in den letzten Jahren entwickelt haben, wollen wir den Antrag unterstützen und ihn im größeren Kontext der Östlichen Partnerschaft behandeln. Wir sind noch einige Sitzungswochen beieinander, Frau Kollegin Beck, Sie und ich und die restlichen Kollegen. (Heiterkeit) In dieser Zeit werden wir versuchen, diesen Gedanken von Ihnen, Frau Beck, in würdiger und korrekter Form weiterzuentwickeln. Es geht um eine Weiterentwicklung, die die Ukraine nicht nur als Opfer Nazideutschlands, als Opfer Russlands sieht, sondern die der kulturellen und historischen Souveränität der Ukraine gerecht wird. Das ist unser Anliegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr einverstanden!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Hans-Peter Uhl. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 18/10042 an den Auswärtigen Ausschuss zu überweisen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vielen herzlichen Dank. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 d auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21) Drucksache 18/12357 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12358 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12100 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksache 18/12101 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, ihre Gespräche an einem anderen Ort fortzusetzen. Vorher rufe ich den Kollegen Brandt nicht auf; er will ja, dass man ihm zuhört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Helmut Brandt für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Helmut Brandt (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Besten Dank, dass Sie mir so Gehör verschafft haben. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen! Im Zusammenhang mit dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Parteiverbot wies der Präsident des Verfassungsgerichtes in seiner mündlichen Urteilsbegründung die Politik auf die Möglichkeit gesetzlicher Reaktionen unterhalb eines Parteiverbotes hin. Zwar lehnten die Karlsruher Richter mit ihrem Urteil vom 17. Januar den auf ein Verbot der NPD gerichteten Antrag des Bundesrates als unbegründet ab, allerdings ließ das Gericht auch keinen Zweifel daran, dass es sich bei der NPD um eine verfassungsfeindliche Partei handelt, aber in Anerkennung der besonders hohen Hürden, die das Grundgesetz vorgibt und die durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte noch präzisiert wurden, geht jedenfalls nach Auffassung des Verfassungsgerichts von der NPD derzeit keine Gefahr aus, diese Ziele auch umzusetzen. Dieses Ergebnis ist bei Beibehaltung der jetzigen Rechtslage unbefriedigend. Niemand kann verstehen, dass wir mit Steuermitteln als verfassungsfeindlich identifizierte Parteien auch noch unterstützen. Deswegen wollen wir den Anstoß, den uns das Bundesverfassungsgericht gegeben hat, gesetzgeberisch aufgreifen und als „Minus“ gegenüber einem Parteiverbot die Rechte und Privilegien verfassungsrechtlicher Parteien einschränken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Hierzu gehören die Teilhabe an der staatlichen Teilfinanzierung nach § 18 des Parteiengesetzes, aber auch indirekte Förderungen. So sind Parteien etwa von der Pflicht zur Entrichtung von Körperschaftsteuer befreit, private Personen, die einer Partei Zuwendungen zukommen lassen, werden einkommensteuerrechtlich günstiger gestellt. Das bedingt natürlich auch geringere Steuereinnahmen, also auf diesem Wege eine mittelbare Förderung dieser Parteien. Deshalb stellt sich vielen und mir die Frage: Wie kommt unser Staat dazu, eine verfassungsfeindliche Partei, die unseren Staat, unsere Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit abschaffen will, dabei auch noch finanziell zu unterstützen? Dieser Zustand ist in meinen Augen eine Pervertierung des Sinns und Zwecks der staatlichen Parteienfinanzierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Hinweise, die uns das Gericht sowohl in der mündlichen wie auch später in der schriftlichen Urteilsbegründung gegeben hat, haben uns diese Möglichkeiten eröffnet. Wir wollen deshalb Artikel 21 des Grundgesetzes verändern. Dabei ist uns bewusst, dass wir natürlich zum einen die Initiative des Bundesrates verfolgen, zum anderen aber auch berücksichtigen wollen und müssen, dass Parteien nach unserem Grundgesetz auch eine besondere Bedeutung haben und es nicht so einfach ist, in dieser Weise vorzugehen. Aber die Überprüfung, die in Zukunft ermöglichen wird, Parteien die staatliche Finanzierung zu entziehen, muss daher auch nach unserer Auffassung – insofern unterscheiden wir uns etwas von der Initiative des Bundesrates – vom Bundesverfassungsgericht durchgeführt werden – ich sagte es vorhin schon –, als „Minus“ gegenüber dem Parteiverbot. Die Voraussetzungen für einen solchen Ausschluss sind deshalb auch ähnlich hoch wie bei einem Parteiverbot. Auch hier muss die verfassungsfeindliche Absicht einer Partei festgestellt werden. Anders als beim Parteiverbot kommt es allerdings nicht darauf an, ob die betreffende Partei auch über das Potenzial verfügt, ihre Ziele durchzusetzen. Für den Ausschluss einer Partei von der staatlichen Teilfinanzierung und der steuerlichen Begünstigung gelten damit etwas geringere Voraussetzungen als für ein Parteiverbot. Um Kritikern ihre Argumente vorweg schon zu nehmen, haben wir das Für und Wider dieses Gesetzvorhabens abgewogen und die Bedenken berücksichtigt. Nach meiner und nach unserer Auffassung verbindet doch letztlich alle demokratischen Parteien ein Grundkonsens, dem das Wertesystem unseres Grundgesetzes und das Bekenntnis zu unserem demokratischen Rechtsstaat zugrunde liegt. Dies ist auch vom Grundgesetzgeber so gewollt. Dies unterscheidet demokratische Parteien aber in einem zentralen Punkt von extremistischen Parteien, wie es die NPD ist. Genau deshalb sehe ich im Fall von Parteien, deren erklärtes Ziel ist, unsere Demokratie abzuschaffen, die von uns vorgenommene und beabsichtigte Aktion unterhalb der Schwelle eines Parteiverbotes und den mit dem Ausschluss von der Parteienfinanzierung verbundenen Eingriff in die Chancengleichheit als gerechtfertigt und geboten an. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Demokratie – das wissen wir alle – muss falsche Lehren und grobe Dummheiten aushalten können. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen und die Gleichwertigkeit von Meinungen sind das Wesensmerkmal der Demokratie. Klar ist aber ebenso, dass wir extremistisches Gedankengut durch den Geldentzug nicht ausmerzen können. Eine Streichung von Geldern kann leider weder Dummheit noch eine menschenverachtende Ideologie verhindern. Die Politik, aber auch die Gesellschaft stehen hier weiter in der Verantwortung, sich mit solchen Parteien auseinanderzusetzen. Eine wehrhafte Demokratie darf es aber auch nicht einfach hinnehmen, dass die Grundprinzipien der Verfassung mit ihren eigenen Mitteln untergraben werden. Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich bitte Sie alle: Lassen Sie uns mit diesem Gesetz ein deutliches Zeichen gegen extremistische Parteien setzen. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Helmut Brandt. – Nächste Rednerin: Ulla Jelpke für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf soll dafür sorgen, dass rassistische, antisemitische, demokratiefeindliche Parteien keine Steuergelder mehr erhalten. (Dr. Tim Ostermann [CDU/CSU]: Aber auch linksextreme! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut Ihnen das jetzt weh, dass das gegen rechtsextreme ist, oder was?) Ich möchte gleich zu Beginn sagen: Die Linke unterstützt voll und ganz das Ansinnen, neofaschistischen Parteien den Geldhahn abzudrehen; denn es darf nicht sein, dass Antisemitismus und rassistische Hetze mit Steuergeldern finanziert werden. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, es muss uns klar sein: Jahr für Jahr erhält die NPD ungefähr 1 Million Euro an Parteienfinanzierung. In den letzten zehn Jahren waren es genau 14,5 Millionen Euro. Diese Gelder fließen in den Aufbau des Parteiapparats, in Nazikonzerte, in Strukturen für braune Kameradschaften, die gewalttätig sind. Man muss hier wirklich ganz deutlich sagen, dass staatliche Gelder eigentlich dafür hergegeben werden, neofaschistische Strukturen in Deutschland handlungsfähig zu machen. Damit muss endlich Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN) Das Bundesverfassungsgericht hat im NPD-Verfahren zwar festgestellt, dass die NPD verfassungswidrig ist. Es hat dennoch kein Verbot erlassen, weil der NPD nach Ansicht des Gerichtes die Möglichkeit zur Umsetzung ihrer Ziele fehlt. Ich will für meine Fraktion ganz deutlich sagen: Wir hätten uns gewünscht, dass es ein klares Verbot einer Partei gibt, die sich in die Tradition der NSDAP stellt und menschenverachtende Positionen der NSDAP weiterhin vertritt. Das ist nicht geschehen. Deswegen nehmen wir gerne den Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf, dass man unterhalb des förmlichen Verbots gegen die NPD vorgehen kann, indem man die Parteienfinanzierung infrage stellt. (Beifall bei der LINKEN) Zweifellos – das muss man hier sehr deutlich sagen – ist der Ausschluss von der Parteienfinanzierung ein schwerwiegender Eingriff in die Chancengleichheit. Zu Recht sagt man umgangssprachlich, es handele sich hier um ein „kleines Parteienverbot“. Ich bin sehr erleichtert – Kollege Brandt hat es eben gesagt –, dass man von dem ursprünglichen Vorschlag, hier im Hause darüber zu entscheiden, ob eine Partei keine Staatsgelder mehr bekommt, abgerückt ist und jetzt ganz klar sagt, dass das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden soll. (Beifall bei der LINKEN) Denn bei allem Respekt: Ich meine, dass solche Eingriffe in die Chancengleichheit einer Partei nicht von Mitgliedern einer konkurrierenden Partei vorgenommen werden sollten. Deswegen ist die Instanz des Bundesverfassungsgerichts genau die richtige. (Beifall bei der LINKEN) Im Entwurf wird außerdem geregelt, dass die betroffenen Parteien alle vier Jahre eine Überprüfung beantragen können. Das halten wir für sehr richtig. Das muss jeder Partei zugebilligt werden; obwohl ich, ehrlich gesagt, nicht glaube, dass die NPD ihre Grundauffassung ändert. Nichtsdestotrotz ist die Regelung wichtig. Wir sehen ein weiteres Problem. In der anstehenden Anhörung wird sicherlich deutlich, was in den vorliegenden Gesetzentwürfen noch nicht geregelt ist. Es geht um das Problem der V-Leute vom Verfassungsschutz. Ich will noch einmal daran erinnern: Das NPD-Verbotsverfahren 2003 ist gescheitert, weil V-Leute in der Partei als Geheimdienstspitzel tätig waren, was im Grunde genommen dazu geführt hat, dass man nicht mehr klar wusste: Was war eine staatliche Aktivität, was war eine NPD-Aktivität? Das hat in den letzten Verfahren zu großer Besorgnis geführt und immer wieder Fragen aufgeworfen. Deswegen denke ich, dass eine entsprechende Regelung in die vorliegenden Gesetzentwürfe einfließen müsste. Die Neonazis können zum Beispiel sehr leicht damit argumentieren, es seien staatliche Spitzel gewesen, die das Parteiprogramm der NPD geschrieben hätten oder die möglicherweise gewalttätig gegenüber Flüchtlingen geworden sind. Ich sage es noch einmal: V-Leute innerhalb der NPD nutzen überhaupt nichts. Das haben wir immer wieder betont. Sie müssen endlich aus allen Ebenen abgezogen werden. Dann werden wir auch Erfolg haben, der NPD die Parteifinanzierung zu entziehen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, in der Tat ist richtig: Rassismus ist kein Monopol der NPD, sondern es gibt auch Kräfte wie die AfD, die im Moment den Rassismus in Teilen der Gesellschaft vorantreiben. Aber Herr Brandt, ich möchte auch Ihrer Partei sagen: Mit manchen Gesetzen zur Flüchtlingspolitik, die Sie hier eingebracht haben, (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Oje!) haben auch Sie die Stimmung für Rassismus in diesem Land leider sehr erhöht. (Widerspruch bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Unverschämtheit! – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Unverschämtheit! Es wird Zeit, dass die Rede beendet wird!) Ja, das muss man einfach so sagen. Angesichts dessen, was wir gestern beschlossen haben, müssen Sie sich an die eigene Nase fassen, wenn es darum geht, Rassismus in unserem Land zu bekämpfen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Unverschämtheit! Sie haben gerade allen Grund, über andere zu reden!) Ich hoffe jedenfalls sehr, liebe Kollegen, dass wir die Gesetzentwürfe noch vor der Sommerpause über die Bühne bringen, damit man solchen Parteien wirklich das Wasser abgräbt. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Unerträglich ist das hier! Dreck am Stecken und dann hier so sprechen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Ulla Jelpke. – Nächste Rednerin: Dr. Eva Högl für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserer Demokratie haben Feinde der Demokratie keinen Platz. Das ist eine wichtige Lehre aus unserer deutschen Geschichte. Deswegen haben wir eine sogenannte wehrhafte Demokratie. Das heißt: Meinungsfreiheit, politische Vielfalt, Streitkultur, Chancengleichheit und auch Parteienprivileg. Aber das heißt auch, dass wir klare Regeln dafür brauchen, wenn die Grenzen überschritten sind. Wenn Feinde der Demokratie die Demokratie abschaffen wollen oder sie mit Füßen treten, dann sehen wir nicht tatenlos zu, sondern handeln. (Beifall bei der SPD) Artikel 21 des Grundgesetzes ist ein Ausdruck unserer wehrhaften Demokratie. Ich sage es ganz deutlich: Die SPD hätte es sich gewünscht, wenn das Bundesverfassungsgericht die NPD verboten hätte. Das wäre ein ganz wichtiger Beitrag zum Engagement gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit gewesen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man sich doch nicht einfach wünschen! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Bundesverfassungsgericht ist doch kein Wunschkonzert!) Ich bin sehr dankbar, dass der Bundesrat ein exzellent vorbereitetes und wunderbar organisiertes Verfahren beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet hat. Ich fand und finde es immer noch peinlich, dass der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung sich diesem Verfahren nicht angeschlossen haben. (Beifall bei der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das war gut so!) Wir wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ein Parteiverbot löst nicht alle Probleme, die wir mit Verfassungsfeinden haben, aber ein Parteiverbot ist ein ganz wichtiger Baustein. Deswegen – ich sagte es schon – ist es schade, dass das Bundesverfassungsgericht die NPD nicht verboten hat. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, die NPD sei nicht gefährlich genug, sie sei unbedeutend. Das Bundesverfassungsgericht hat aber ausdrücklich festgestellt, dass die NPD verfassungsfeindlich ist. Es hat uns in der Urteilsverkündung einen ganz wichtigen Hinweis gegeben – uns hier, dem Gesetzgeber –, nämlich dass wir bei der Finanzierung von verfassungsfeindlichen Parteien etwas tun können. Deswegen bringen wir heute ein entsprechendes Gesetz und die Grundgesetzänderung auf den Weg. Die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts greifen wir gerne auf. Wir wissen aus unseren Gesprächen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das, was Bürgerinnen und Bürger am meisten empört, ist doch – das haben alle bisher schon ausgeführt –, dass verfassungsfeindliche Parteien auch noch Staatsgelder bekommen. Das stößt auf Unverständnis und ist nicht zu rechtfertigen. Allein die NPD – nur ein Beispiel – hat in den Jahren 2014, 2015 und 2016 jeweils über 1 Million Euro aus staatlichen Kassen bekommen. Das ist nicht hinnehmbar. Sie finanziert damit eine menschenverachtende Hetze. Das wollen wir beenden, und das machen wir jetzt auch. (Beifall bei der SPD) Der Bundesrat hat am 10. März 2017 eine exzellente Vorlage beschlossen. Ich danke auch dem Land Niedersachsen für die tolle Initiative. Noch im Gerichtssaal des Bundesverfassungsgerichts wurde gesagt: Das gehen wir an, das bringen wir jetzt auf den Weg. – Der Gesetzentwurf entspricht genau dem, was im Bundesrat schon diskutiert wurde. Wir schaffen die Möglichkeit, die öffentliche Parteienfinanzierung zu entziehen, wenn eine Partei verfassungsfeindlich ist. Wir haben die identischen Antragsteller wie beim Parteiverbot: Bundesrat, Bundesregierung und Bundestag. Es entscheidet das Bundesverfassungsgericht, und das ist auch richtig. Nur das Bundesverfassungsgericht kann darüber entscheiden. Wir schaffen zum einen die zusätzliche Möglichkeit, die Parteienfinanzierung zu entziehen, und zum anderen kann dieser Antrag auch hilfsweise zu einem Verbotsverfahren gestellt werden. Das ist ein gutes Regularium. Die Parteien bekommen die Chance, nach vier Jahren überprüfen zu lassen, ob sie immer noch verfassungsfeindlich sind, und das gegebenenfalls feststellen lassen. Man hätte sich vorstellen können, noch weiter zu gehen, zum Beispiel Parteien von der Nutzung von Sendezeiten oder der Nutzung öffentlicher Gebäude auszuschließen. Aber wir haben uns aus guten Gründen entschieden, die Chancengleichheit nicht vollständig zu reduzieren, sondern den Parteien die Möglichkeit zu lassen, auf einen guten Weg zurückzukehren. Der Gesetzentwurf und die Grundgesetzänderung, die wir vorlegen, sind ausgewogen und zwingend, um unsere Demokratie weiter stark und wehrhaft zu halten. Ich sage es ganz deutlich: Wir schaffen keine „Lex NPD“; denn dieses Gesetz gilt für alle Parteien, die nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen und sich gegen unsere Verfassung wenden. Natürlich wissen wir hier im Deutschen Bundestag – das sage ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich –: Dies ist ein Baustein unseres Engagements gegen Extremisten in unserer Gesellschaft. Wir müssen uns weiterhin mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, mit allen Möglichkeiten, mit Prävention, politischer Bildung, Polizei, Justiz und Verfassungsschutz – auch der gehört dazu; da sind wir hier ja nicht immer derselben Auffassung –, gegen die Feinde der Demokratie engagieren, um unsere Demokratie zu stärken. Ich wünsche mir ehrlich gesagt eine große Zustimmung im Deutschen Bundestag. Ich würde mich sehr freuen, wenn auch die beiden Oppositionsfraktionen diesen Vorschlägen zustimmen und wir hier gemeinsam sagen: Wir stärken unsere wehrhafte Demokratie. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Eva Högl. – Nächste Rednerin in der Debatte: Britta Haßelmann für Bündnis 90/Die Grünen. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gemeinsam eintreten für unsere liberale Demokratie, für unsere Grundrechte – darum geht es auch uns, wenn wir über die Gefahren des Rechtsextremismus und des erstarkten Rechtspopulismus in unserem Land diskutieren. Das besorgt uns ebenso wie viele Bürgerinnen und Bürger. Aber das, was Sie heute hier vorlegen, Herr Brandt und Frau Högl, ist aus meiner Sicht und aus Sicht meiner Fraktion nicht durchdacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach, komm jetzt! – Dr. Eva Högl [SPD]: Jetzt bin ich gespannt!) Zweimal sind wir mit einem NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Jedes Mal konnte sich die NPD nach Abschluss des Verfahrens öffentlich als Partei präsentieren und sagen: Seht ihr? Die sind gescheitert, wir als Partei sind nach wie vor eine Kraft in diesem Land. – Beim letzten Mal war die Auffassung des Gerichts sinngemäß: Die NPD ist eine Partei von Verfassungsfeinden, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen will – das sehen wir auch so –, aber sie ist zu schwach auf der Brust. – Ein Blick ins Land zeigt: Die NPD ist ein jämmerlicher Verein mit einer brandgefährlichen Ideologie. Das müssen wir immer wieder deutlich machen, immer wieder sagen und die politische Auseinandersetzung suchen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Bei den Bundestagswahlen erhält die NPD regelmäßig um 1 Prozent der Stimmen. Ich will in aller Klarheit sagen: Jede einzelne Stimme für diese Partei ist eine Stimme zu viel. Aufgrund der geltenden Rechtslage zur Parteienfinanzierung hat die NPD 2015 deshalb 1,3 Millionen Euro erhalten. Auch jeder einzelne Euro an diese Partei ist ein Euro zu viel. Der Rassismus, der Antisemitismus, die menschenverachtende Politik und Ideologie dieser Partei, der NPD, sind brandgefährlich. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, diesem Problem versucht die Koalition jetzt mit einer symbolischen Grundgesetzänderung beizukommen, (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist das Gegenteil von Symbolik!) symbolisch deshalb, weil Sie meinen, man streiche das Geld und damit habe sich ein Teil des Problems erledigt. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das meint niemand!) Wir alle wissen aber doch, dass das nicht der Fall ist. Das Problem der rechten Gewalt, des Alltagsrassismus, des Antisemitismus, der von Gruppen ausgeht, der von dieser NPD ausgeht, lässt sich doch damit nicht lösen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das sagt ja auch kein Mensch! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie denn dann?) Das sind aus meiner Sicht vermeintlich einfache Antworten auf höchst komplexe gesellschaftliche Fragen. Diese Probleme müssen wir mit vielen anderen Mitteln bekämpfen, als den Weg über die Parteienfinanzierung zu gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist heute zwar erst die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs, aber Maas und de Maizière als federführende Minister, auch Oppermann als Vorsitzender der SPD-Fraktion haben deutlich gemacht, dass man dieses Vorhaben in aller Eile noch kurz durch diesen Bundestag bringen wolle. Dabei handelt es sich aber doch um eine Grundgesetzänderung und betrifft damit einen sehr sensiblen Bereich, über den wir hier diskutieren. Hier gilt Sorgfalt vor Schnellschuss. Es bleiben noch drei Sitzungswochen in dieser Legislaturperiode. Mit den Prinzipien des Grundgesetzes und der Demokratie müssen wir doch souverän und seriös umgehen. Eine Grundgesetzänderung, eine Verfassungsänderung wie diese darf nicht übereilt beraten werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie brauchen mindestens ein Jahr! Wunderbar!) Ein unsauberes Vorgehen, meine Damen und Herren, das wieder gerichtlich scheitern wird, (Burkhard Lischka [SPD]: Reden Sie mal über klare Kante!) nutzt am Ende nur den Verfassungsfeinden von der NPD und niemand anderem. Das darf nicht passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Zweifel bestehen – die gibt es doch –, dann muss man auf die große Brisanz dieses Unterfangens, das Sie hier planen, hinweisen. Ansonsten spielt das Populisten und Antidemokraten nur in die Hände. Mit dem Vorschlag, den Sie hier machen, gibt es im Kern ein Problem. Damit, die Steuerbegünstigung bei Parteispenden für verfassungsfeindliche Parteien wegfallen zu lassen, begibt man sich in ein sehr schwieriges Fahrwasser; (Burkhard Lischka [SPD]: Was?) denn mit solchen Sanktionen trifft man nicht nur die Partei selbst, sondern auch die Grundrechte der Unterstützerinnen und Unterstützer. Darin liegt ein großes verfassungsrechtliches Problem. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So groß ist es auch nicht! – Burkhard Lischka [SPD]: Dann können Sie sich weiter den Kopf zerbrechen! Wir machen das!) – Das wissen Sie ganz genau. Darüber zerbrechen wir uns auch den Kopf, Herr Lischka, ganz im Gegensatz zu Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Burkhard Lischka [SPD]: Sie sind ein bisschen hasenfüßig!) Die Tinte war noch nicht ganz getrocknet und das Urteil noch nicht einmal veröffentlicht, da haben Sie schon angekündigt, es über den Weg der Parteienfinanzierung zu versuchen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, natürlich! – Burkhard Lischka [SPD]: Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgefordert förmlich!) Meine große Sorge und die unserer Fraktion ist, dass Sie ein drittes Mal scheitern. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Hätten wir es nicht gemacht, hätten Sie gesagt, wir wären lahm!) Sie tun so, als würde aufgrund dieser Gesetzesänderung etwas passieren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Natürlich! – Burkhard Lischka [SPD]: Ja, den Geldhahn drehen wir ihnen zu!) Nein, es passiert gar nichts. Sie werden möglicherweise wieder vor das Verfassungsgericht müssen, weil Sie eine Verfassungsänderung vornehmen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Geht doch nicht anders! – Burkhard Lischka [SPD]: Wir haben nicht die Hosen voll!) Wenn man sich auf diesen Weg begibt, muss man doch eigentlich seine ganze Energie darauf verwenden. (Burkhard Lischka [SPD]: Ihre Energie ist fehlgeleitet!) Ich bitte Sie um mehr Sorgfalt. Keine Hektik, keinen Schnellschuss, sondern treffen Sie eine sorgfältige Abwägung angesichts dieses sensiblen Rechtsbereiches. Zeitgleich muss der Kampf gegen rechts, gegen Rechtsextremismus, gegen Verfassungsfeinde doch politisch geführt werden. (Burkhard Lischka [SPD]: Aber nicht mit Hasenfüßigkeit! – Dr. Tim Ostermann [CDU/CSU]: Das eine schließt das andere doch nicht aus!) Wir müssen viel mehr Geld investieren zur Unterstützung der Zivilgesellschaft, (Dr. Eva Högl [SPD]: 100 Millionen!) der vielen engagierten Vereine und Institutionen, die im Bereich des Rechtsextremismus und im Kampf dagegen tätig sind. Vizepräsidentin Claudia Roth: Denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Darum geht es. Meine Damen und Herren, deshalb möchten wir Sie eindringlich bitten, hier Sorgfalt vor Schnellschuss walten zu lassen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt aber! Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sonst landen wir wieder vor dem Verfassungsgericht. (Burkhard Lischka [SPD]: Wir machen beides: Schnelligkeit und Sorgfalt!) Das wäre schrecklich; denn dann würde sich diese Partei, gegen die wir alle kämpfen wollen, wieder feiern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir wollen nicht die Politik der lahmen Ente!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Es ist ja was los hier im Haus. – Der nächste Redner: Dr. Tim Ostermann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es schon gehört: Ausgangspunkt dieses Gesetzgebungsvorhabens ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren. In seinem Urteil stellt das Gericht unmissverständlich fest, dass die NPD verfassungswidrig ist, weil sie gegen die Menschenwürde verstößt, weil sie die Demokratie und den Rechtsstaat bekämpft und weil sie wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus ist. Diese Feststellung machen fast 50 Seiten des Urteils aus. Dennoch wurde, wie wir alle wissen, der Antrag auf Verbot der NPD zurückgewiesen mit der Begründung, die NPD sei bedeutungslos, die NPD sei – zum Glück – eine Partei ohne Aussicht auf politischen Erfolg. Dieser ist aber für die Durchsetzung der verfassungsfeindlichen Ziele erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht hat erkannt, dass das Ergebnis des Verfahrens etwas unbefriedigend ist. Eine Partei wird als verfassungsfeindlich eingestuft, kann ihr Treiben aber trotzdem uneingeschränkt fortsetzen. Bisher gilt nun einmal das Alles-oder-nichts-Prinzip. Darum hat der Senat dankenswerterweise auf Handlungsmöglichkeiten für gestufte Sanktionen gegenüber Parteien mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung aufmerksam gemacht. Wenn man an mögliche Sanktionen denkt, kommt man sehr schnell auf die Idee, verfassungsfeindlichen Parteien die finanzielle Unterstützung des Staates zu entziehen. Das Gericht merkte in seinem Urteil an, dass der Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung nach der geltenden Verfassungslage ausgeschlossen sei. Daher bestehe für Sanktionen unterhalb der Ebene des Parteienverbots kein Raum, solange der verfassungsändernde Gesetzgeber keine abweichenden Regelungen trifft. Das ist schon ein sehr deutlicher Hinweis. Um ganz sicher zu gehen, hat Gerichtspräsident Voßkuhle dieses Thema bei der Urteilsverkündung aufgegriffen. Bundestag und Bundesrat haben zugehört und das Urteil genau gelesen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Bei den einleitenden Worten! Nicht beim Urteil!) Schnell war klar: Dieser Hinweis soll auch umgesetzt werden. Auch, aber nicht nur für die Öffentlichkeit ist es schlichtweg nicht nachvollziehbar, wenn eine Partei, deren Verfassungsfeindlichkeit vom Verfassungsgericht festgestellt worden ist, durch den Staat, den sie abschaffen will, alimentiert wird. (Burkhard Lischka [SPD]: Genau!) Steuergelder dürfen nicht in die Hände von Verfassungsfeinden geraten. Auch dies gehört zur wehrhaften Demokratie. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zwar werden es glücklicherweise immer weniger Bürger, die der NPD bei Wahlen ihre Stimme geben, aber es sind immer noch zu viele. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woanders sind immer mehr! Wo war das noch?) Jede Stimme verschafft der NPD einen Zuschuss aus dem Steuersäckel: 1,1 bis 1,4 Millionen Euro pro Jahr. Wir sagen: Jeder Cent für die NPD ist ein Cent zu viel. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Darum ist das Ziel seit längerem klar. Nur der Weg war fraglich. Wie setzt man dies gesetzgeberisch um? Natürlich ist das – hier muss ich denjenigen, die das kritisiert haben, recht geben – juristisch ambitioniert. Wir wollen nun durch eine Änderung des Grundgesetzes unterhalb eines Verbots eine geeignete und vor allem rechtlich unangreifbare Maßnahme schaffen. Für diese Maßnahme kommt es nicht darauf an, ob die verfassungsfeindliche Partei mit der Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Erfolg haben kann. Eine gegen unsere Verfassung gerichtete Zielsetzung genügt hierfür. Es ist übrigens egal, ob diese gegen die Verfassung gerichtete Zielsetzung von rechts oder von links kommt, Frau Kollegin Jelpke. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wir müssen gegen beides vorgehen. Da muss die wehrhafte Demokratie ihre Wehrhaftigkeit zeigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist auch ein Kritikpunkt!) Es ist auch richtig, dass das Verfassungsgericht über eine solche Maßnahme entscheiden soll. Denn schon der Schein, dass ein politischer Mitbewerber einem Konkurrenten die Grundlage für seine Existenz entziehen könnte, sollte vermieden werden. Darum ist es sachgerecht, unmittelbar das Bundesverfassungsgericht entscheiden zu lassen. Bundestag und Bundesrat haben zwar die gleiche Zielsetzung, aber es gibt dennoch zwei Gesetzesinitiativen; das ist nicht ungewöhnlich. Die von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Gesetzentwürfe sind mit denen des Bundesrates im Wesentlichen inhaltsgleich. Die Formulierungen der Koalitionsfraktionen – das meinen jedenfalls wir – sind vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch etwas präziser. Vor allem enthält das Begleitgesetz der Koalition alle erforderlichen steuerrechtlichen Folgeänderungen. Denn der Staat fördert die Tätigkeit von Parteien auch indirekt: Parteien sind zum Beispiel von der Pflicht zur Entrichtung der Körperschaftsteuer befreit, und Privatpersonen, die einer Partei Geld zuwenden, haben eine Abzugsmöglichkeit bei der Einkommensteuer. Dies fördert mittelbar die jeweilige Partei. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass in einem solchen Fall die steuerrechtlichen Privilegien wegfallen. Das sieht auch der Bundesrat so. Aber gerade an dieser Stelle ist der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen etwas umfassender. Ein weiterer Unterschied zwischen diesen beiden Initiativen ist die Länge der Frist, nach deren Ablauf die sanktionierte Partei eine Überprüfung verlangen kann. Der Bundesrat schlägt eine Frist von zwei Jahren vor, wir als Koalition halten eine Frist von vier Jahren für angemessen. Dass es überhaupt eine Überprüfungsfrist geben soll, ist sinnvoll; denn schließlich muss es auch aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Chance auf Läuterung geben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz der kleinen Unterschiede zwischen den beiden Gesetzesinitiativen möchte ich abschließend mit Blick auf die Bundesratsbank betonen: Es besteht eine große Übereinstimmung mit dem Bundesrat im Ziel: kein Cent vom Staat für die NPD und für andere verfassungsfeindliche Parteien. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Tim Ostermann. – Ich begrüße recht herzlich Boris Pistorius, den Minister für Inneres und Sport des Landes Niedersachsen. Oje, dann brauchen Sie morgen Nachmittag starke Nerven – es geht um Fußball –, ich auch als Augsburg-Fan. Boris Pistorius redet jetzt für den Bundesrat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Boris Pistorius, Minister (Niedersachsen): Sehr geehrte Frau Präsidentin, starke Nerven brauchen morgen sicherlich viele der Anwesenden hier. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor den Senatswahlen in Berlin im Jahre 2011 hingen in der Stadt 22 000 Wahlplakate der NPD mit dem Slogan „Gas geben“. Darauf war ihr damaliger Vorsitzender auf einem Motorrad abgebildet. Diese Plakate hingen unter anderem auch am Holocaust-Mahnmal und vor dem Jüdischen Museum. Für einen billigen Werbeeffekt und dreckige Lacher aus der braunen Ecke hatte die NPD die Opfer des Holocaust wieder einmal verhöhnt. Diese im krassen Gegensatz zu den Grundwerten unserer Demokratie und unseres Grundgesetzes stehende Partei hatte sich wie schon so oft davor und danach als Partei des Hasses und der Hetze in der Tradition der Nazis entblößt, ohne jede Scham und ohne jede Moral. Finanziert wurde diese abscheuliche Plakataktion auch aus den Steuergeldern der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Nach dem Parteiengesetz erhalten nun einmal alle Parteien je nach Stimmenanteil bei den verschiedenen Parlamentswahlen staatliche Mittel zur Finanzierung ihrer Wahlkampfkosten und damit eben auch die NPD. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Diese gesetzliche Regelung hat zweifellos ihre Berechtigung. Auch kleineren demokratischen Parteien – dass die NPD ziemlich klein ist, hat gerade erst das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe festgestellt – muss es im Sinne eines fairen Wettbewerbs ermöglicht werden, Wahlkampf zu machen. Die Programmatik, das Auftreten und die Rhetorik von Politikerinnen und Politikern der NPD zeigen jedoch unübersehbar eindeutige Parallelen zur NS-Ideologie eines völkischen Nationalismus, die nichts, aber auch gar nichts mit dem Modell unserer freiheitlichen Demokratie am Hut hat, in der wir leben. Gleichzeitig beschönigen oder verherrlichen sie eines der grausamsten Verbrechen der deutschen Geschichte, den Holocaust. Deshalb war es richtig, dass der Bundesrat 2013 das NPD-Verbotsverfahren erneut auf den Weg gebracht hat, (Beifall bei der SPD und der LINKEN) leider ohne die Unterstützung des Deutschen Bundestages. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar wurde die NPD zwar nicht verboten, das Gericht hat aber unmissverständlich festgestellt: Die NPD ist verfassungsfeindlich. Ich zitiere: Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstoßen gegen die Menschenwürde und den Kern des Demokratieprinzips. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde ist das Herz unseres Grundgesetzes. Plakate wie 2011 im Berliner Wahlkampf belegen: Die NPD missachtet die Menschenwürde, ja sie verachtet sie. Alles, was nicht in ihrem Sinne deutsch ist, ist ihr zuwider. Dankenswerterweise hat das Bundesverfassungsgericht erstmals die rote Linie unmissverständlich definiert, die von keiner Partei überschritten werden darf, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetzen will, als verfassungsfeindlich eingestuft und verboten zu werden. Es hat nur deshalb nicht für ein Parteiverbot gereicht, weil die NPD schlicht zu bedeutungslos geworden ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wussten wir ja vorher!) Was für ein Pyrrhussieg für diese Partei! Was für ein vernichtendes Urteil, dass es nur aufgrund der eigenen gegenwärtigen Irrelevanz nicht zum Verbot gereicht hat! Trotz dieser höchstrichterlich attestierten Verfassungsfeindlichkeit bei gleichzeitiger Bedeutungslosigkeit erhält die NPD weiterhin Steuergelder, unter anderem, um ihre Wahlkampfkosten erstattet zu bekommen. Ich finde es unerträglich, dass eine Partei, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und damit unser Staatssystem ablehnt, von diesem auch noch Unterstützung erhält. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie soll ich zum Beispiel einem Jugendlichen oder einem Erstwähler klarmachen, dass ausgerechnet diejenigen, die unsere Demokratie abschaffen wollen, aus Steuergeldern mitfinanziert werden? Aus diesem Grund und vielen anderen Gründen war es auch so wichtig, sofort nach dem Karlsruher Richterspruch zu handeln. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) Wir haben bei der Urteilsverkündung aufmerksam zugehört und nachgelesen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Bundesverfassungsgericht hat uns nämlich in seinem Urteil den Hinweis gegeben – das war geradezu ein Wink mit dem Zaunpfahl –, dass aufgrund der festgestellten Verfassungsfeindlichkeit der Ausschluss der NPD aus der Parteienfinanzierung durch eine Grundgesetzänderung möglich sei. Wir haben diesen Ball in Niedersachsen sofort aufgenommen und uns mit einer Bundesratsinitiative für eine entsprechende Grundgesetzänderung auf den Weg gemacht. Es wäre ein wichtiges und starkes demokratisches Signal, wenn der Bundestag nur wenige Monate nach dem Urteil aus Karlsruhe diesen historischen Schritt gehen und eine klare Grenze für alle extremistischen Parteien ziehen würde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Parlament gäbe damit ein starkes Signal für unsere wehrhafte Demokratie und gegen die abgewrackte Naziideologie der NPD ab. Diese Grundgesetzänderung würde – anders als gelegentlich kritisiert – keinesfalls zu einer Einschüchterung von politischen Konkurrenten führen. Sie betrifft schließlich ganz klar nur solche Parteien, die eindeutig höchstrichterlich als verfassungsfeindlich eingestuft wurden. Alle Parteien, die sich im Kern zu unserer demokratischen Verfassung bekennen, werden davon in keiner Weise betroffen sein. Das ist eben keine Symbolik, und niemand, der sich für dieses Gesetz einsetzt, glaubt ernsthaft daran, dass damit das Problem des Rechtsextremismus gelöst sei. Nein, das ist nur ein Baustein im gemeinsamen Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich würde mich sehr freuen – und ich bin hier zuversichtlich –, wenn nach den nun folgenden Ausschussberatungen alle Parteien in diesem Hohen Haus dieser wichtigen Änderung des Grundgesetzes sowie des Begleitgesetzes zustimmen würden. Schließlich hat auch der Bundesrat dieser Initiative einstimmig zugestimmt, das heißt unter Zustimmung aller 16 Bundesländer, also auch derjenigen, in denen die Grünen mitregieren. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber Föderalismus, Herr Pistorius! – Gegenruf der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Aber die Grünen waren dabei! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das seid ihr doch! – Burkhard Lischka [SPD]: Die Grünen sind eine Selbsthilfegruppe!) Wer Volksverhetzung betreibt, tritt die Grundrechte in unserer Verfassung mit Füßen. Wer die Menschenwürde missachtet, stellt sich außerhalb unserer Gesellschaft. Wer unsere freiheitlich-demokratischen Werte und die Wesenselemente unseres Grundgesetzes ablehnt und bekämpft, wer damit Feind unserer Verfassung ist, der darf keine staatliche Unterstützung mehr bekommen, um seine Hassbotschaften zu verbreiten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Boris Pistorius. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollegin Jelpke, ich will es einfach einmal ganz undiplomatisch rüberbringen: Ich fand Ihre Randbemerkung in Richtung Union unerträglich, und ich will Ihnen sagen: Für die Partei, die als Nachfolgepartei der SED hier sitzt, für die Partei der Steinewerfer, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Na, Sie machen das ja selber! Dann lassen Sie es doch!) ist das ein starkes Stück gewesen. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie hießen die Blockparteien in der DDR?) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Voraussetzung für Demokratie ist Freiheit. Diese Freiheit macht die Demokratie am Ende des Tages auch wieder verletzlich, weil gerade diese Freiheit unter Umständen genau das Risiko erzeugt, dass sie ausgenutzt wird, um die Demokratie oder die verfassungsrechtliche Ordnung abzuschaffen. Parteien sind in einer Demokratie unentbehrlich. Sie geben politische Orientierung. Sie geben eine politische Richtung, und sie wollen den Menschen die Möglichkeit geben, eine politische Heimat zu finden und sich politisch auszurichten. Deswegen ist es letztendlich eine Gratwanderung, einerseits die Parteienvielfalt zu ermöglichen, aber andererseits dann von staatlicher Seite Grenzen zu setzen. Die Grenzen sind bei den Voraussetzungen für ein Parteienverbot definiert. Nach Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz kann das Bundesverfassungsgericht eine Partei auf Antrag dann verbieten, wenn die Partei „nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger“ darauf ausgeht, „die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“. Bislang ist die Streichung der Parteienfinanzierung erst nach diesem Verbot möglich. Am 17. Januar 2017 ist das Verbotsverfahren an sich gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht hat anerkannt, dass die NPD zwar verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, aber die Strukturen und die Größe der Partei zu gering sind, um davon auszugehen, dass sie darauf ausgerichtet ist – wie es Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz fordert; das heißt sozusagen, dass es von der Wirksamkeit her ausreicht –, die verfassungsrechtliche Grundordnung zu beseitigen. Wenn man diese Entscheidung zum ersten Mal liest, schluckt man zunächst einmal. Man wundert sich auch ein Stück weit; denn entweder ist eine Partei verfassungsfeindlich, oder sie ist es nicht. Wenn sie verfassungsfeindlich ist, dann muss als Konsequenz zwingend das Verbot folgen. Dennoch ist dies eine Entscheidung im Sinne des neuen Artikels 21 Absatz 4 Grundgesetz, was bei dieser unglaublich sensiblen Frage selbstverständlich unentbehrlich ist. Der zweite Punkt, der ein bisschen Bauchschmerzen macht, ist – auch da muss man ehrlich sein –: Wie lange muss man denn warten? Muss man tatsächlich so lange warten, bis eine Partei Struktur und Größe hat, um dann letztlich größeren Schaden anzurichten? Dabei denkt man schon ein wenig an die Vergangenheit; denn genau diese Fehleinschätzung gab es schon einmal. Heute kann ich dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sehr viel mehr abgewinnen. Denn das Verfassungsgericht hat uns Zwischentöne aufgezeigt, nämlich die Möglichkeit des Ausschlusses der Parteienfinanzierung und des Ausschlusses von steuerlichen Privilegien als Vorstufe, und damit meiner Meinung nach letztlich das Parteienverbot neu als Ultima Ratio definiert. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir heute fraktionsübergreifend das ganz klare Signal setzen, dass wir gemeinsam unsere Demokratie schützen wollen. Es kann nicht sein, dass eine Partei mit staatlichen Mitteln finanziert wird und gleichzeitig das Ziel verfolgt, die verfassungsrechtliche Ordnung dieses Staates auf den Kopf zu stellen bzw. zu beseitigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen – auch diese Bemerkung kann ich mir nach Ihrer Rede, Frau Kollegin Haßelmann, die mich durchaus in Erstaunen versetzt hat, nicht verkneifen – die Demokratie mit Gesetzen schützen statt mit Stuhlkreisen, wie Sie es offensichtlich wollen. (Widerspruch der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich freue mich auf die weitere Beratung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Dann schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 18/12357, 18/12358, 18/12100 und 18/12101 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Die gibt es nicht. Sie beschäftigen sich ja auch gerade mit anderen Fragen. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich bitte, jetzt die Plätze einzunehmen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Tschüss!) – Tschüss, Herr Kauder. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Tschüss, Frau Präsidentin! Steigen Sie morgen nicht ab!) – Hoffentlich nicht! Ich bin deswegen schon ganz fertig. (Heiterkeit) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung 2016 Drucksache 18/11975 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agenda Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie ein Entschließungsantrag von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Weil Sie das ja vereinbart haben, gibt es dazu keinen Widerspruch. Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Rita Schwarzelühr-Sutter für die Bundesregierung. (Beifall des Abg. Michael Groß [SPD]) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung 2016 zeigt: Unsere Städte und Kommunen stehen vor großen Herausforderungen. Deutschlands Bevölkerung ist zwischen 2010 und 2015 um 3 Millionen Menschen gewachsen, die zu uns gezogen sind. Auch die Städte wachsen – das ist ein Megatrend –: Mehr als 1 Million Menschen sind zwischen 2014 und 2015 in die Städte gezogen. Gleichzeitig kämpft die Mehrheit der Kommunen im ländlichen Raum mit der Stagnation oder sogar mit dem Rückgang der Bevölkerung. Hinzu kommen auch die Herausforderungen des Klimawandels. Natürlich wollen wir das 2-Grad-Ziel erreichen. Zusätzlich muss der wirtschaftliche Strukturwandel bewältigt werden. Wir brauchen also, um diese Herausforderungen zu bewältigen, mehr bezahlbare Wohnungen. Wir müssen Verdrängung und Polarisierung verhindern, damit der soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft nicht gefährdet wird. Unsere Städte sollen weiterhin attraktive Lebensorte aller sozialen Schichten bleiben. Wir müssen CO2 einsparen, sowohl im Gebäude- als auch im Verkehrsbereich. Wir brauchen auch mehr Grünflächen, einerseits zur Erholung, andererseits auch zur Abkühlung. Schließlich sorgen Grünflächen in den Städten für gute Luft. Das sind große Aufgaben. Unsere Städte und Gemeinden haben mit der Bundesregierung einen verlässlichen und starken Partner an ihrer Seite. Für uns hat die Förderung der Städte eine große wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung. Deshalb investieren wir mit der nationalen Stadtentwicklungspolitik massiv in die Kommunen. Wir unterstützen sie bei ihrer nachhaltigen Entwicklung und lösen so vor Ort eine Impulswirkung aus. Die Förderung für die Städte ist so hoch wie noch nie. 3,4 Milliarden Euro gibt der Bund in dieser Legislaturperiode an Städtebaufördermitteln aus. Also, mehr geht fast gar nicht mehr – es geht immer noch ein bisschen mehr –: Das sind 1,4 Milliarden Euro mehr als unter der letzten Bundesregierung. Allein 2017 investieren wir 790 Millionen Euro in die Städtebauförderung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will einen besonderen Punkt herausgreifen. Bei den Mitteln für das Programm „Soziale Stadt“ haben wir mit 40 Millionen Euro begonnen und liegen jetzt bei 190 Millionen Euro. Ich glaube, das spricht für sich. Dazu kommt die Verdreifachung der Förderung für den sozialen Wohnungsbau auf 1,5 Milliarden Euro. Wir unterstützen also die Städte in ihrem Engagement für mehr Attraktivität und mehr Lebensqualität. Wir fördern auch den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Das sind echte Investitionen in die Zukunft unseres Landes. Das ist gut angelegtes Geld. Wir stoßen mit jedem Euro Städtebauförderung 7 Euro an Investitionen von öffentlichen und privaten Investoren an. Hoffentlich haben vergangenen Samstag ganz viele von ihnen am Tag der Städtebauförderung vor Ort erleben können, wie erfolgreich diese Politik vor Ort ist, wie Bürgerbeteiligung funktioniert und wie wieder attraktive Städte und Kommunen entstehen. Allein für das Jahr 2017 wurden somit 12 Milliarden Euro an Investitionen ausgelöst. Von diesen Zukunftsinvestitionen profitieren die Bürgerinnen und Bürger im ganzen Land; denn wir investieren im ganzen Land, sowohl in die großen Städte als auch in ländliche Regionen, in große und kleine Gemeinden. Wir unterstützen sowohl wachsende als auch schrumpfende Kommunen. Wir lassen Städte und Gemeinden in den ländlichen Regionen nicht zurück. Ein Blick auf die Städtebauförderung seit 1971 zeigt, wie viel Geld in den ländlichen Raum und wie viel in den städtischen Raum geht. Dabei stellt man fest, dass 47 Prozent der Mittel in den ländlichen Raum fließen. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass diese Summe überproportional hoch ist, weil in den ländlichen Räumen weniger Menschen wohnen. Das macht deutlich: Wir nehmen alle mit. Wir wollen, dass die Wertschöpfung in den ländlichen Regionen entsprechend vorangeht. Das zeigt, wie flexibel, anpassungsfähig und erfolgreich die verschiedenen Initiativen und Programme der Bundesregierung sind. Wir wollen starke, schöne, grüne, nachhaltige und kulturell lebendige Städte, in denen sich Menschen wohlfühlen und gerne und gut leben. Die Bundesregierung investiert deshalb auch künftig in diese Entwicklung. Da meine Uhr schon blinkt, möchte ich mich jetzt ausdrücklich bei den Koalitionsfraktionen bedanken, auch für den Entschließungsantrag. Ja, wir wollen auch in Zukunft die Städtebauförderung zumindest auf dem bisherigen Niveau fortführen und den Kommunen – ob groß oder klein – eine gute und sichere Zukunft bieten. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Caren Lay für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Stadtentwicklungsbericht und dem Entschließungsantrag der Koalition stellt sich die Bundesregierung bzw. die Koalition weitgehend ein positives Zeugnis aus. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, so etwas! – Kai Wegner [CDU/CSU]: Zu Recht!) Das hat mich ziemlich überrascht. Sie werden verstehen, dass viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch wir als Linke einen anderen Eindruck von der Entwicklung unserer Städte haben und uns mehr Selbstkritik gewünscht hätten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Karsten Möring [CDU/CSU]: Das ist ein Wahrnehmungsproblem!) So richtig und wichtig die Stadtumbau- und die Stadtentwicklungsprogramme sind: Welche Situation haben wir denn in den Städten? Ganze Stadtteile kippen. Der soziale Zusammenhalt ist in vielen Städten gefährdet. Mieterinnen und Mieter werden verdrängt. Grünflächen müssen Büroanlagen weichen. Das ist doch die Realität in vielen Städten. Darüber können wir nicht hinwegsehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Dann zeigt mal, was ihr könnt, in Berlin!) Ich möchte mit der aus unserer Sicht entscheidenden Frage, der Wohnungsfrage, beginnen. Es ist leider so, dass bezahlbar zu wohnen nicht mehr selbstverständlich ist. Für viele Menschen ist das inzwischen zu einer existenziellen Frage geworden. Der Neubau, der vor allem von der Union immer wieder propagiert wird, kann es allein nicht richten. Ja, wir brauchen mehr Wohnungen. Aber vor allen Dingen brauchen wir mehr bezahlbare Wohnungen. Ich hätte mich gefreut, wenn der Bericht, über den wir heute diskutieren, die kritischen Analysen der letzten Monate beinhaltet hätte, die zum Beispiel zu dem Ergebnis gekommen sind, dass in den 20 größten deutschen Städten die Häuser, die neu gebaut wurden, nur zu 5 Prozent überhaupt noch für den Durchschnittsverdiener bezahlbar sind. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahnsinn!) Das heißt, es wird zwar gebaut, aber nur im hochpreisigen Segment. Es wird für Besserverdienende gebaut. Das ist wirklich nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Bericht kommt an einigen Stellen zu richtigen Analysen. Die entscheidende Frage lautet natürlich, welche Konsequenzen die Regierung daraus zieht. Ein richtiges Analyseergebnis sind zum Beispiel die hohen bzw. zu hohen Grundstücks- und Bodenpreise. Ja, das ist ein Problem. Das ist sogar eines der zentralen Probleme. Das ist aber auch das Ergebnis von zwei Jahrzehnten Privatisierungspolitik. Bedauerlich ist, dass die Regierung aus dieser Analyse nicht die richtigen Schlüsse zieht; denn noch immer werden die vielen Flächen und Wohnungen des Bundes zu Höchstpreisen verkauft. Das heißt: Der Bund spekuliert mit. Der Bund selbst treibt die Preise in die Höhe. – Das müssen wir endlich ändern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es bedauerlich, dass der soziale Aspekt der Stadtentwicklung insgesamt zu kurz kommt. Es sind ja schließlich vorwiegend Menschen mit niedrigem Einkommen überproportional von Luft- und Lärmbelastungen sowie vom Mangel an Grünflächen betroffen. Von den gut 100 Seiten des Berichts wird gerade einmal eine Seite für den sozialen Wohnungsbau verwendet. Es ist zwar richtig erkannt, dass hier zu wenig gebaut wird. Aber trotz mehr Neubaumaßnahmen beläuft sich das Minus auf 25 000 Sozialwohnungen jährlich, die aus der Bindung fallen. Das ist nicht akzeptabel. Den Niedergang des sozialen Wohnungsbaus müssen wir stoppen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich freue mich, dass die Regierung selbstkritisch feststellt, dass die Mietpreisbremse so, wie sie gemacht wurde, nicht funktioniert. Aber auch daraus werden keine Konsequenzen gezogen. Es sieht ja wirklich alles danach aus, dass es in dieser Legislaturperiode keine Nachbesserung bei der Mietpreisbremse mehr geben wird. Das ist nicht akzeptabel. Wir müssen die Mietpreisbremse endlich nachschärfen, damit die Menschen vor Mietenexplosion und Verdrängung geschützt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Bericht finden sich leider eine paar gravierende Fehleinschätzungen, zum Beispiel, dass das bestehende Recht dazu beitrage, die Verdrängung der Bewohner aus ihren Wohnungen weitgehend zu vermeiden, oder auch, dass sich zeitlich begrenzte Mietpreis- und Belegungsbindungen bewährt hätten. Das ist eine gravierende Fehleinschätzung, die wir als Linke so nicht akzeptieren können. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir als Fraktion Die Linke – das gilt auch für mich persönlich – unterstützen die Zusammenlegung sowie auch die Aufstockung der Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“. Klar ist natürlich auch: Diese Zusammenlegung darf finanziell nicht zulasten des Ostens gehen. In meinem Wahlkreis liegt eine Stadt wie Hoyerswerda. Deswegen sagen wir als Linke: Es wird auch zukünftig Unterstützung bei Abrissvorhaben geben müssen. Allerdings kann das nicht länger gewissermaßen das Leitbild der Stadtumbaupolitik sein. Davon müssen wir wegkommen. Wir brauchen Investitionen in altersgerechten Umbau, wir brauchen Investitionen in Modernisierung, (Beifall bei der LINKEN) und wir brauchen auch Investitionen, um die wunderschöne Altbausubstanz von Städten zu retten. Damit zeigen wir, dass wir sie wertschätzen. Denken wir an Görlitz, denken wir an Meißen. Das sind aber Städte, die häufig den kommunalen Eigenanteil nicht aufbringen können. Hier sind einfach mehr Unterstützungsmaßnahmen erforderlich. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, zu guter Letzt begrüßen auch wir als Linke die Förderung von Stadtgrün. Einige von uns waren ja heute bei den Kleingärtnern. Wir als Linke unterstützen die Forderung, die dort erhoben wurde, dass nämlich die Infrastrukturprogramme des Bundes auch für das Kleingartenwesen genutzt werden können. Ich hoffe, wir werden sie gemeinsam unterstützen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Artur Auernhammer hat als nächster Redner das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir den Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung diskutieren, sollten wir auch einmal die Gelegenheit nutzen, all den Menschen zu danken, die in den Städten und Gemeinden ehrenamtlich tätig sind, und zwar nicht nur speziell für ihre eigenen kurzfristigen Anliegen in einer Bürgerinitiative, sondern ehrenamtlich als Gemeinderat, als Stadtrat, Ortssprecher oder Bürgermeister Verantwortung übernehmen. Auch diesen Menschen sollten wir bei der Diskussion über den Stadtentwicklungsbericht herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Frau Staatssekretärin hat es bereits erwähnt: Der Zustrom in die großen Städte hält nach wie vor an – mit all seinen Auswirkungen und Herausforderungen. Das gilt gerade hier für Berlin mit seinen bald 4 Millionen Einwohnern, aber auch für die anderen Ballungsräume, sei es das Ruhrgebiet oder auch München. Das hat natürlich zur Folge, dass in diesen Ballungszentren der Flächenbedarf und die Immobilienpreise steigen. Auch darauf sollten wir kritisch schauen. Das führt aber auch zu Herausforderungen für die Städte, was die Infrastruktur anbelangt. Da sind Investitionen notwendig. Es muss da gehandelt werden. In dem Zusammenhang nenne ich nur das Stichwort „S-Bahn-Ausbau“. Nein, ich erwähne jetzt nicht den Flughafenbau in Berlin; das tue ich hier nicht. Wir müssen also dafür sorgen, dass der öffentliche Personennahverkehr in den Städten weiterhin funktioniert, mehr ausgebaut wird und besser wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Städtebauförderung, die wir vornehmen, ist eine sehr gute Förderung. Wir haben hier sehr viel Geld in die Hand genommen. Ja, ich weiß, dass wir vielleicht noch den einen oder anderen Euro mehr in die Hand nehmen können; denn diese Städtebauförderung wirkt auch in den ländlichen Raum hinein. Sie bewirkt nicht nur etwas in den großen Städten, sondern auch in den mittleren und kleinen Städten. Das ist von daher eine gute Investition. Wir können da aber – wir sind uns in dieser Hinsicht, glaube ich, einig – noch mehr machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird immer über das Grün in der Stadt diskutiert. Wir sollten Anstrengungen unternehmen und etwas auf den Weg bringen, was die Flächen angeht, die in den Städten vorhanden sind. Wenn ich richtig informiert bin, sind in den deutschen Städten circa 100 000 Hektar unbebaut. Diese Flächen sollten wir ökologisch hochwertig ausgestalten und im Sinne von Grün in der Stadt ökologisch aufwerten. Solche Flächen sollten im Blick auf saubere Luft in der Stadt ausgeweitet werden. Ich glaube, da haben wir noch sehr viel Nachholbedarf. Den haben wir auch, wenn es – darüber wird ja diskutiert – um ökologische Ausgleichsflächen geht. Eine hochwertige grüne Fläche in der Stadt ist wichtiger, als wenn eine Stadt irgendwo ganz weit draußen im ländlichen Raum irgendwelche Ausgleichsmaßnahmen durchführt. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade in den Städten diskutieren wir oft im Zusammenhang mit dem Thema „Grün in der Stadt“: Was macht der Bauhof? Was macht die öffentliche Planung? – Aber Grün in der Stadt beruht auch sehr viel auf Privatinitiative. Privatinitiative beginnt auf dem Balkon, man findet sie aber vor allem – das ist bereits angesprochen worden – bei unseren Kleingärtnern. Wir haben in Deutschland 1 Million Kleingartenanlagen. In diesen 1 Million Kleingartenanlagen haben 4,5 Millionen Menschen ihr Zuhause, die Anlagen dienen der Freizeitgestaltung, und die Menschen leisten damit einen großartigen Beitrag zur Sauberkeit der Luft und zur Biodiversität in den Städten. Auch das sollten wir – ich glaube, da sind wir uns überfraktionell einig – in der Zukunft stärker fördern. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir über die Lebensbedingungen in den Städten sprechen – die Kollegin hat gerade Brennpunkte in den Städten aufgezeigt –, dann müssen wir auch den Themenkomplex „Innere Sicherheit in den Städten“ ansprechen. Da haben wir, glaube ich, vielleicht in der einen oder anderen Region in Deutschland noch Nachholbedarf, da müssen wir vielleicht in der einen oder anderen Region noch stärker hinschauen. Da müssen wir vielleicht auch unsere Sicherheitsorgane noch mehr stärken und besser unterstützen, damit auch die Menschen, die in den Städten leben – darunter sind viele ältere Menschen – ein sicheres und gutes Wohngefühl in ihren Städten haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die beste Möglichkeit, den Zustrom in die Ballungsräume zu verringern, damit dort keine Brennpunkte entstehen, ist immer noch ein starker, ein weit entwickelter ländlicher Raum. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass auch die Menschen im ländlichen Raum eine Zukunftsperspektive haben! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Christian Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat als nächster Redner das Wort. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Architekt Jan Gehl hat kürzlich in einem Interview mit einer deutschen Tageszeitung gesagt: „Es geht darum, Städte im menschlichen Maßstab zu gestalten.“ Ich glaube, das beschreibt sehr gut die Zukunftsaufgabe, vor der wir heute bei der Stadtentwicklung stehen. Wir befinden uns in einer Phase der Stadterweiterung und des Stadtumbaus. Wenn ich nun in diesen Stadtentwicklungsbericht schaue, dann kann ich viele positive Entwicklungen sehen. Aber wenn ich in unsere Städte schaue, dann gilt nicht mehr die schöne Sprache des Berichts der Bundesregierung, sondern da treffen wir auf Realität. Da ist es eben so, dass nicht das menschliche Maß gilt, sondern oft ganz andere Kriterien. Herr Auernhammer, Sie haben völlig recht: Beim Thema „saubere Luft in der Stadt“ haben wir Nachholbedarf. Ich bin sehr froh, dass das jemand aus der Unionsfraktion endlich erkennt. (Karsten Möring [CDU/CSU]: Das haben wir schon längst gesagt!) Denn die Feinstaubbelastung und die Stickoxidbelastung in unseren Städten sind untragbar. Hier gilt leider nicht das menschliche Maß, sondern das Maß von VW und anderen Konzernen. Ich sage Ihnen: Hier muss das menschliche Maß wieder gelten – bei der Stadtentwicklung und gerade bei dem Thema „saubere Luft“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nehmen wir die Aufgabe des Klimaschutzes. Sie, Frau Schwarzelühr-Sutter, sind ja auch für den Klimaschutz zuständig und haben es beschrieben. Ich kann es nicht so positiv sehen, was wir da im Augenblick hinbekommen. Die Sanierungsrate im Gebäudebereich liegt immer noch bei 0,7 Prozent. Damit werden wir die Klimaschutzziele von Paris krachend verfehlen. Wir investieren eben nicht in die Wärmewende. Ich glaube, hier hat die Große Koalition nach wie vor eine Leerstelle. Es ist ihnen nicht gelungen, Klimaschutz, Bauen und Stadtentwicklung miteinander zu verbinden. Hier muss endlich wieder ein Klimaschutzmaß, ein ökologisches Maß, ein menschliches Maß gelten, anstatt diejenigen zu schonen, die eigentlich hier investieren sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Schauen wir uns unsere Wohnungsmärkte an: Es ist, glaube ich, offenkundig, dass wir hier ein dickes Problem haben. Minus 50 000 Sozialwohnungen Jahr für Jahr, Mietenexplosion in ganz Deutschland. In Berlin sind die Mieten innerhalb eines Jahres um 1 Euro pro Quadratmeter gestiegen; das zerreißt die Stadtgesellschaft. Deswegen sage ich Ihnen: Wir werden dafür sorgen, dass auf den Wohnungsmärkten wieder das menschliche Maß gilt und nicht das Maß der Spekulanten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir Grünen wollen in dieser Phase der Stadterweiterung und des Stadtumbaus investieren. Wir wollen die Städtebauförderung auf dem jetzigen Niveau verstetigen. Wir werden auch in der nächsten Legislaturperiode sehr genau darauf achten, dass es bei der Städtebauförderung nicht wieder Rückschritte gibt. Vielmehr müssen wir hier mehr tun, als wir es in dieser Legislaturperiode getan haben, gerade bei der Frage des Klimaschutzes. Deswegen setzen wir uns seit Anfang dieser Legislaturperiode für ein Quartierssanierungskonzept ein, für ein Städtebauförderprogramm bei der energetischen Quartierssanierung, damit die Kommunen in die Lage versetzt werden, ihre Quartiere zu sanieren, und hier vorankommen. Da haben sie eine Leerstelle. Das werden wir immer wieder betonen, und wir werden weiter entsprechende Anträge stellen. Ich glaube, ohne die Städtebauförderung wirklich auf den Klimaschutz auszurichten, werden wir an dieser Stelle in unseren Städten nicht weiterkommen. Das menschliche Maß muss auch in der Verkehrspolitik wieder gelten; ich habe es im Zusammenhang mit der sauberen Luft angesprochen. Ich finde, wir brauchen aber auch mehr Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr. Wenn ich mir anschaue, wie unterfinanziert im Augenblick Schieneninfrastrukturprojekte in Kommunen sind, wie viele Projekte da gegeneinander konkurrieren – wir wissen jetzt schon, dass wir in dieser Phase der Stadterweiterung, in der wir die Ballungszentren mit Mittel- und Kleinstädten verbinden müssen, mit den 330 Millionen Euro, deren Bereitstellung vereinbart ist, überhaupt nicht hinkommen –, dann ist vollkommen klar: Hier reicht das Geld nicht aus. Hier braucht es endlich Grüne in der Verantwortung – auch hier im Bund –, damit es bei der Schiene und damit auch bei der Stadtentwicklung vorangeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ja, wir brauchen eine funktionierende Mietpreisbremse, sonst werden wir die angespannten Wohnungsmärkte nicht in den Griff bekommen. Ich meine, da muss sich die Union endlich einmal ehrlich machen. Sie von der Union haben es versprochen, und Sie haben Ihr Versprechen einfach gebrochen; denn diese Mietpreisbremse funktioniert nicht. Wir brauchen eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit; damit investieren wir in das menschliche Maß in unseren Städten. Dazu haben wir gestern sehr lange gesprochen. Ich sage Ihnen: Damit wird es uns gelingen, die Wohnungsmärkte auf Dauer fitzumachen hinsichtlich bezahlbaren Wohnraums. So können wir breiten Schichten, die sich selbst nicht mit Wohnraum versorgen können, in Zukunft eine Wohnung aus dem Pool des gemeinnützigen Wohnungsbaus anbieten. Ich höre von der Union immer wieder, dass das Thema „urbanes Grün“ in ganz vielen Reden sehr betont wird. Ich bin da sehr bei Ihnen, dass das ein ganz wichtiges Infrastrukturthema ist. Herr Auernhammer, Herr Wegner, ich glaube Ihnen sehr, dass Sie persönlich da hinterher sind. Aber wenn ich mir die Debatte in Baden-Württemberg zur dortigen Landesbauordnung anschaue, dann stelle ich fest: (Sören Bartol [SPD]: Was macht denn euer sozialer Wohnungsbau?) Es geht darum, dass Sie gegen jede Regelung kämpfen, die etwa mehr Dachbegrünung oder mehr Fassadengrün bedeutet. Da widersprechen Sie sich einfach. Da sind Sie einfach maximal scheinheilig. Hier auf Bundesebene predigen Sie das urbane Grün; aber in den Ländern kämpfen Sie gegen jede Bauregelung, die eine entsprechende Planung vorsieht. Das passt nicht zusammen. Hier sollten Sie sich wirklich einmal ehrlich machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Schluss. Wir können hier gemeinsam das Hohelied auf die Kleingärten singen. Ich glaube, wir haben dazu heute Morgen eine sehr gute Veranstaltung gehabt. Aber wir müssen gerade für die Kleingärtner in Berlin und in anderen Städten unsere Liegenschaftspolitik ändern; denn ganz viele dieser Kleingartensiedlungen liegen mittlerweile doch in Gebieten, wo die Liegenschaftspolitik des Bundes greift. Deswegen müssen wir unbedingt das Gesetz über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ändern; denn sonst werden diese Kleingartenanlagen an Spekulanten verscherbelt, anstatt dass man in urbanes Grün investiert und diese Kleingartenanlagen für breite Bevölkerungsschichten öffnet. Hier muss die Union nacharbeiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie uns gemeinsam in das menschliche Maß investieren. Wir Grünen sind bereit dazu, bei der Stadtentwicklung noch einen draufzulegen. Ich glaube, diese Bundesregierung muss noch deutlich nacharbeiten. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sören Bartol hat als nächster Redner für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Sören Bartol (SPD): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Stadtentwicklungsbericht macht für mich eins deutlich: Unsere Stadtentwicklungspolitik ist vielseitig, flexibel und auch zielgerichtet. Die Städtebauprogramme setzen genau dort an, wo wir immer Nachbesserungsbedarf gesehen haben. Diese Programme sind ebenso wie unser Land vielfältig. Es gibt Orte, an denen der Druck auf den Wohnungsmarkt immens ist, und die Verdreifachung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau ist deshalb unser großer Erfolg der letzten Legislaturperiode. Noch einmal ein Dank an Barbara Hendricks! (Beifall bei der SPD) Diese Mittel sind sozusagen die Hardware. Sie versetzen Länder, Städte und Gemeinden in die Lage, den Wohnungsmarkt nicht allein dem Markt zu überlassen. Wir müssen und wollen aber auch dort ansetzen, wo Lebenschancen und Lebensqualität in Gefahr sind, weil Menschen aus der einen Stadt weggehen und es dafür in einer anderen Stadt oder Region eng und teurer wird. Für vergleichbare Lebensverhältnisse müssen wir hier im Bundestag ressortübergreifend und vernetzt denken und auch arbeiten. Kommunalpolitiker und politikerinnen tun das üblicherweise. Sie wissen, dass das Vorhandensein bzw. die Qualität einer Schule häufig das entscheidende Kriterium dafür ist, ob eine Familie überhaupt an einem Ort ankommt bzw. dort bleibt, dass Arbeitsplätze bzw. deren Erreichbarkeit darüber entscheiden, ob man einen Ort verlassen muss. Kurz: Bildung und Mobilität sind die zwei Bereiche, in denen auch im Bericht die höchsten Investitionsbedarfe gesehen werden. In einem Ort ist es die Qualität der Schulen, in einem anderen die Anbindung an die nächstgrößere Stadt, oder es gibt Probleme mit sogenannten Schrottimmobilien. Wir brauchen daher in den erfolgreichen Städtebauprogrammen noch mehr Flexibilität und Kontinuität, damit das, was auf den Weg gebracht wurde, seine Wirkung voll und auf lange Sicht entfalten kann. Deshalb fordern wir in unserem Entschließungsantrag die Fortschreibung auf dem jetzigen Niveau, und wir wollen die Fortführung des Investitionspakts „Soziale Integration im Quartier“ prüfen. Aber dabei möchte ich es nicht belassen. Der Bericht drückt es so aus: ... unzureichende Erfolge weist die notwendige Bündelung von investiven Maßnahmen mit nicht-investiven sozialen Maßnahmen in Kooperation mit anderen Ressorts auf. Für mich heißt das, wir brauchen nicht nur städtebauliche Investitionen, sondern wir müssen diese auch noch stärker als bisher durch nichtinvestive ergänzen. Im richtigen Leben ist damit Personal gemeint, also Menschen. Durch sie müssen wir Bildung, Verkehr, Verbraucherschutz, Gesundheitsberatung, Pflege, Berufsberatung noch besser vor Ort verzahnen. Unsere Bauministerin hat das erkannt und die ressortübergreifende Strategie und den Investitionspakt „Soziale Integration im Quartier“ so gut ausgestattet, dass damit investitionsbegleitend Integrationsmanager finanziert werden können, die sich um die Vernetzung mit den Stadtteilen und um die vorhandenen Angebote, eben auch an Schulen, kümmern. Dass wir die Schulen stärken müssen, übrigens auch als Bund, haben wir verstanden – ein Unionskollege in herausragender Position leider immer noch nicht. Wir sollten sie auch durch die Städtebauprogramme stärken. Dort, wo am meisten Unterstützung notwendig ist, sollten die besten Schulen sein. Das sind sie dann, wenn Pädagoginnen und Pädagogen in den Nachbarschaften, unterstützt durch Vereine, Hilfsangebote, Beratung und Ganztagsbetreuung, für Kinder und Eltern da sein können. Der Erfolg der Städtebauprogramme, die den neuen Herausforderungen laufend angepasst wurden, würde damit fortgeschrieben. Ich finde, das muss auch weiterhin unser Ziel bleiben. So vielfältig, wie unsere Städte und Gemeinden sind, so kreativ müssen auch die Städtebauprogramme und unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sein können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Kai Wegner hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kai Wegner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit mehreren Jahren erleben wir nunmehr eine Renaissance der Städte in unserem Land. Städte wachsen und sind echte Anziehungsmagneten für viele Menschen. Frau Lay, das Bild, das Sie von unseren Städten im Allgemeinen gezeichnet haben, ist so nicht richtig; denn sonst müsste man sich ja die Frage stellen, warum so viele Menschen in die Städte drängen. Sie tun das ja nicht nur, weil sie es müssen, sondern auch, weil sie es wollen, Frau Lay. Dabei will ich die Herausforderungen, die wir in den Städten haben, gar nicht kleinreden. (Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür ist Mexico City das beste Beispiel! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was war das jetzt für ein Argument?) – Dass wir die Städte nicht kaputtreden sollten, auch wenn wir in den Städten vor Herausforderungen stehen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das tun wir nicht!) – Das Bild, das Ihre Kollegin von unseren Städten gezeichnet hat, habe zumindest ich so wahrgenommen. (Caren Lay [DIE LINKE]: Sie reden die Probleme klein!) Ja, es ist richtig: Wir stehen vor vielen Herausforderungen in unserem Land, auch und gerade in den Städten. Bezahlbares Wohnen, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Sicherheit, Sauberkeit, klimagerechter Umbau – all das sind Dinge, die wir intensiv vorantreiben müssen. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass der aktuelle Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung die Trends und die Treiber der Stadtentwicklung in Deutschland identifiziert. Hier möchte ich Ihnen, Frau Ministerin Hendricks, ganz herzlich für die gute Vorlage aus Ihrem Hause danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Eine tragende Säule der Stadtentwicklungspolitik ist zweifelsohne die Städtebauförderung. In dieser Wahlperiode haben wir die Mittel der Städtebauförderung von zunächst 450 Millionen Euro auf zuletzt 790 Millionen Euro nahezu verdoppelt. Ich finde, das ist ein großer Erfolg dieser Koalition, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Passend hierzu fand am Sonnabend letzter Woche zum dritten Mal der bundesweite Tag der Städtebauförderung statt. Wir wie auch alle Bürgerinnen und Bürger hatten in diesem Rahmen die Gelegenheit, die erfolgreiche Umsetzung der Städtebauförderung in den Städten und Gemeinden zu erleben. Ich finde es gut, dass es diesen bundesweiten Aktionstag gibt. Wie viele andere Kolleginnen und Kollegen war auch ich in meinem Wahlkreis, in Berlin-Spandau, unterwegs, um mich vor Ort über die zahlreichen guten Projekte zu informieren. So war ich zum Beispiel im Falkenhagener Feld. Das ist eine große Wohnsiedlung der 60er-Jahre. Es war einmal mehr interessant, zu sehen, wie dort das Wohnumfeld qualifiziert wird und wie soziale und Versorgungsinfrastruktur gestärkt werden. Meine Damen und Herren, die Aufwertung im Falkenhagener Feld wird auch über das Programm „Stadtumbau West“ durchgeführt. Vor diesem Hintergrund – das möchte ich an dieser Stelle zumindest einmal sagen – irritiert es mich immer wieder, wenn ich vom Ministerium zumindest gefühlt eine recht einseitige Konzentration auf das Programm „Soziale Stadt“ erlebe. Angesichts dessen, dass wir gerade bei den Stadtumbauprogrammen das größte Programmvolumen bei der Städtebauförderung haben – sogar mit steigender Tendenz –, und angesichts der Erfolge des Stadtumbaus sollten wir auch und gerade diese Programme immer wieder erwähnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ legen wir jetzt zu einem bundesweiten Stadtumbauprogramm zusammen. Ich begrüße das sehr. Wir müssen natürlich aufpassen, dass hier am Ende niemand verliert. Aber das zeigt einmal mehr, dass die Herausforderungen, die wir sowohl im Westen als auch im Osten unseres Landes haben, sich mittlerweile angeglichen haben. Das zeigt zudem, dass wir die deutsche Einheit weiter vollenden, auch mit dieser Zusammenlegung. Für uns ist klar, dass es im Rahmen der Städtebauförderung nicht nur die Programme zum Stadtumbau und das Programm „Soziale Stadt“ gibt; vielmehr gibt es vielfältige Programme. Die Gesamtstruktur der Städtebauförderung mit ihren verschiedenen Herausforderungen ist wichtig. Ja, es treten auch immer wieder neue Herausforderungen auf, die wir dann auch sehen und annehmen. Ich möchte ausdrücklich unserem Koalitionspartner danken, dass es uns als Union gelungen ist, das Programm „Zukunft Stadtgrün“ neu aufzulegen. Wir haben lange dafür geworben. Ich glaube, städtisches Grün ist ein ganz zentraler Baustein für lebenswerte Städte und Gemeinden. Wir sagen in unserem Entschließungsantrag, dass wir das in einem eigenen Programm fördern und das zukünftig sogar verstetigen wollen. Ich glaube, auch das ist wichtig für lebenswerte Städte und Gemeinden in unserem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ein weiteres Förderprogramm der Städtebauförderung, das wir in dieser Legislaturperiode neu aufgelegt haben, möchte ich ausdrücklich erwähnen. Das ist das Programm „Nationale Projekte des Städtebaus“. Wir treiben hier echte Leuchtturmprojekte voran. Die Vorhaben, die wir in diesem Programm fördern, sind beispielgebend für die Stadtentwicklung in Deutschland. Auch deshalb wollen wir unbedingt an diesem neuen Programm festhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Städte sind seit jeher Orte der Freiheit und des Wandels. Städte sind nie fertig gebaut, sondern entwickeln sich immer weiter. Auch das macht ihre Attraktivität aus. Natürlich gehört zu einer guten Stadtentwicklungspolitik auch, Perspektiven für den Wohnungsbau neu aufzuzeigen. Ich bin der Bundesregierung und der Koalition für die Verdreifachung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau dankbar. Ich danke auch Frau Hendricks dafür. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke vor allem unserem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dafür, dass wir in diesem Haushalt so viele Mittel für den sozialen Wohnraum zur Verfügung stellen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber wenn ich mitansehen muss, wie Rot-Rot-Grün in meiner Heimatstadt Berlin (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die machen da eine Superpolitik!) – darauf komme ich gleich, Herr Kühn – 5 000 neue Wohnungen auf der Elisabeth-Aue in Pankow mit einem Federstrich vom Tisch fegt, wie Nachverdichtungen verhindert werden, wie die Bausenatorin ein Projekt nach dem anderen auf Eis legt, wie selbst der Regierende Bürgermeister Michael Müller diese Klientelpolitik öffentlich kritisiert, dann kann ich nur sagen: Was Rot-Rot-Grün in Berlin veranstaltet, ist das Gegenteil von guter Stadtentwicklungspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Kunert [DIE LINKE]: Wer hat denn vorher regiert?) Vor diesem Hintergrund, lieber Herr Kühn, entbehrt es übrigens nicht einer gewissen Komik, wenn ausgerechnet die grüne Bundestagsfraktion in ihrem Entschließungsantrag zum Stadtentwicklungsbericht fordert, mal eben 1 Million zusätzliche günstige Wohnungen zu schaffen. Hier im Bundestag hehre Forderungen aufzustellen, aber vor Ort – für Berlin habe ich es gerade geschildert – sich vor der Verantwortung zu drücken, (Zurufe des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) das ist eine Doppelmoral, die wir Ihnen nicht durchgehen lassen werden, Herr Kühn. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Katrin Kunert [DIE LINKE]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen die Städte mehr denn je als Motor für Nachhaltigkeit, Innovation und Wachstum. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, gerade in den Bereichen Wirtschaft, Demografie, Soziales, Sicherheit, Klima und Umwelt sind groß. Wir werden sie nur in und mit unseren Städten erfolgreich bewältigen können. Kurzum: Ein starkes Deutschland gibt es nur mit starken Städten. Starke Städte gibt es nur mit einer guten Stadtentwicklungspolitik und mit der Städtebauförderung als tragende Säule. Das machen wir als Koalition in unserem Entschließungsantrag deutlich. Daher bitte ich Sie um Unterstützung für unseren Entschließungsantrag. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Michael Groß hat als nächster Redner das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Groß (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle den Parlamentariern, insbesondere den Haushältern, dafür danken, dass wir genügend Mittel für die Städtebauförderung bekommen haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Mindrup [SPD]: Das ist Demokratie!) – Das ist Demokratie, genau. – Der nächste Dank neben dem Dank für die Ministerin sowie für die Parlamentarische Staatssekretärin gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem BMUB, weil dort konkrete Arbeit geleistet wird für die Städtebauförderung, für die Programme „Soziale Stadt“, „Stadtumbau West“ und „Stadtumbau Ost“. Herzlichen Dank an Sie, dass die letzten dreieinhalb Jahre so gut gelaufen sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Spielfeld für bezahlbares Wohnen, gutes Leben und Solidarität in den Städten sowie die Antwort auf die Frage: „Wie können Menschen selbstbestimmt leben, aufwachsen und so alt werden, wie sie es sich wünschen?“, ist die Stadt. Wir haben als Große Koalition in diesen dreieinhalb Jahren die Städte mit 25 Milliarden Euro entlastet. Das reicht bei weitem nicht. Wir wissen, dass sie die Liegenschaftspolitik unbedingt verbessern müssen und dass sie die Bodenspekulation beenden müssen. Dafür brauchen sie natürlich Geld. Dieses Geld haben wir ihnen zur Verfügung gestellt, aber es ist bei weitem nicht ausreichend. Nordrhein-Westfalen hat durch eine Tochtergesellschaft des Landes NRW und der Deutschen Bahn AG ein treuhänderisches Modell auf den Weg gebracht, um Grundstücke anzukaufen, zu entwickeln und den Städten nachher zur Verfügung zu stellen. (Klaus Mindrup [SPD]: Gute Idee!) Das hat dazu geführt, dass sich die Bodenpreise nicht so entwickelt haben, dass Wohnen nicht mehr bezahlbar ist. Ich glaube, solche Modelle müssen wir auch auf der Ebene des Bundes entwickeln. Wir müssen an revolvierende Bodenfonds, an die Gemeinwohlorientierung denken. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir Sozialdemokraten sagen, dass wir diejenigen belohnen müssen, die dafür sorgen, dass Wohnen bezahlbar bleibt, die sich aber auch im Stadtteil engagieren. Aus meiner Region kann ich Ihnen sagen: Die Mittel des Stadtumbaus sind sehr gut angelegt. Wir hatten Quartiere, in denen 30 Prozent Leerstand war; die Ladenzentren waren leergezogen, die Menschen konnten sich auf den freien Plätzen nicht treffen. Es gab keine oder kaum Spielplätze, viele waren verwahrlost. Es gab keine Arbeit im Quartier. Aber gerade die Mittel des „Stadtumbaus West“ und der „Sozialen Stadt“ haben dafür gesorgt, dass wir auch hier Wertschöpfung betrieben haben, Arbeitsplätze generiert haben, dass wir Umweltgerechtigkeit mit dem Thema Bauen, Ökonomie und Soziales versöhnt haben. Es sind Nachbarschaftsparks entstanden. Es sind Treffpunkte entstanden. Schulen haben sich geöffnet. Das wollen die Menschen. Das Wichtigste ist: Es sind Beteiligungsprozesse entstanden. Die Menschen haben mitbestimmen können, wie sie leben wollen, haben Demokratie erlebt und haben erlebt, dass sie Einfluss nehmen können. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Prozess, den wir als Sozialdemokraten weiter unterstützen müssen und wollen. So entsteht eine soziale Stadt für gutes Leben. Glück auf! (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in der Debatte spricht Volkmar Vogel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem heute vorliegenden Stadtentwicklungsbericht beleuchten wir die Siedlungsstrukturen in ihrer Gesamtheit. Man kann zu Recht sagen: Wenn wir vom Stadtentwicklungsbericht sprechen, sprechen wir sowohl von den großen Städten als auch von den kleinen Städten und Gemeinden. Das Ergebnis, Frau Staatssekretärin, auch wenn es uns vor neue Herausforderungen stellt, kann sich durchaus sehen lassen. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, aber nur, weil wir auch gemeinsam arbeiten. Das ist keine Aufgabe, die wir als Bund allein erledigen können, sondern es ist eine Aufgabe, der wir uns als Bund gemeinsam mit den Ländern und Kommunen stellen und die wir anpacken müssen. Eines der wichtigsten Instrumente ist natürlich die Städtebauförderung. Der Abruf der Städtebaufördermittel zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Der Dank gilt allen Akteuren, die daran beteiligt waren. Das sind sowohl unsere kommunalen Unternehmen und die Genossenschaften als auch die vielen privaten Investoren und Selbstnutzer, die dazu beitragen, dass wir hier im Großen und Ganzen – bei allen Problemen, die wir zu lösen haben – doch auf einem richtigen Weg sind. Unser Ziel – wir dürfen es nicht aus den Augen verlieren – sind natürlich lebenswerte, bezahlbare Wohnungen, aber auch das dazugehörige Umfeld in den Städten, in den Kommunen und auf dem flachen Land. Es wurde viel zur Mittelausstattung gesagt; ich kann mich dem nur anschließen. Ich möchte insofern den Blick in die Zukunft richten. Wir haben das auch mit unserem Entschließungsantrag gemacht. Ich bitte die Kollegen der Opposition, sich unserem Antrag anzuschließen und uns zu unterstützen. Die Voraussetzungen in der Zukunft werden sein: demografischer Wandel – es werden die wachsenden und die schrumpfenden Städte in unserem Lande sein, denen wir helfen müssen –, die Binnenwanderung, aber auch der Zuzug von außen, nicht zuletzt der Klimawandel, der in den Städten, aber auch auf dem flachen Land ein Problem ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den Stadtumbauprogrammen, die wir sehr gut ausgestattet haben und jetzt zu einem gemeinsamen Programm zusammenlegen, reagieren wir genau darauf. Ich kann Ihnen sagen – auch Ihnen, Frau Lay, weil Sie es angesprochen haben –: Wir achten sehr darauf, dass die Sonderförderbedingungen für die ostdeutschen Bundesländer beim Abriss erhalten bleiben. Gleichzeitig lassen wir Kommunen in anderen Bundesländern, die in schwierigen finanziellen Lagen sind, diese Unterstützung angedeihen. Das ist, denke ich, mehr als gerecht. Im Übrigen möchte ich, weil wir hier auch die Frage der Bildung im Blick hatten, sagen: Mit den Stadtumbauprogrammen ist es möglich – das ist auch unser Ziel –, nicht nur für einen reinen Abriss, sondern insbesondere auch für die Aufwertung und Umgestaltung der Quartiere zu sorgen. Dazu gehören auch Schulen. Es gab in Thüringen unter der CDU-Regierung ein sehr gutes Schulsanierungsprogramm, über das – auch im Rahmen des Stadtumbaus – Schulen umgestaltet und an die Bedürfnisse angepasst wurden, sodass sie heute hervorragende Lehrbedingungen bieten. Das ist sicherlich ein gutes Beispiel für die Kollegen in anderen Bundesländern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch beim Stadtgrün spielt der Stadtumbau mit hinein, aber es gibt dafür auch ein eigenes Programm: „Zukunft Stadtgrün“. Ich muss sagen: Hier gibt es noch enormes Potenzial. Ich finde es bedauerlich, dass wir in dieser Legislatur nicht dazu gekommen sind, die Kompensationsverordnung zu ändern. Liebe Kollegen von den Grünen, das ist auch ein Appell an Sie: Wir sollten, wenn es darum geht, Ersatz und Ausgleich für Flächeninanspruchnahme zu schaffen, darüber nachdenken, entsprechende Möglichkeiten auch in den Städten, in Siedlungsstrukturen zu eröffnen. Die Kleingärtner geben uns dafür das beste Beispiel: Sie schaffen in ihren Anlagen teilweise Reservate, in denen sich die Tierwelt und die Pflanzenwelt entwickeln können. Das ist durchaus auch in den Städten möglich. Machen wir uns nichts vor: Jeder Stadtkämmerer stöhnt über die Kosten des Stadtgrüns. Mit den entsprechenden Mitteln würden wir auch die städtischen Kassen entlasten. Das ist ein Punkt, dessen wir uns auf jeden Fall annehmen sollten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über Wohnungsbau reden, geht es immer auch um eine soziale Frage. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit ist immer dann am besten gelöst, wenn wir es vielen Menschen ermöglichen, eigenen Wohnraum zu schaffen, der ihnen gehört und über den sie verfügen können. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das debattieren wir noch mal!) Da sind es vor allen Dingen die Familien, die Schwellenhaushalte, die es schwer haben, zu Wohnungseigentum zu kommen. Denen müssen wir helfen, zum Beispiel durch steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten. (Klaus Mindrup [SPD]: Von welchen Steuern denn?) Steuerlich abschreiben kann aber nicht jeder. Deswegen ist unser Ziel – daran sollten wir arbeiten –, die Wohnungsbauprämie zu verändern, damit hier neue Möglichkeiten entstehen. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Acht Jahre den Finanzminister gestellt, aber beim Eigentum nichts gemacht, und jetzt Wahlkampf mit dem Thema machen! Das ist armselig!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch über die Frage der Grunderwerbsteuer, die sehr ins Gewicht fällt, wenn es darum geht, Wohneigentum zu erwerben, sollte man nachdenken. Ich finde es nicht richtig, dass sie zum Beispiel in Thüringen auf 6,5 Prozent erhöht worden ist. In Sachsen liegt sie nach wie vor bei 3,5 Prozent. Auf diese Art und Weise sorgt Sachsen dafür, dass Wohneigentum gebildet werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Sachsen wird keine einzige Sozialwohnung errichtet! Das ist die Realität!) Damit nicht nur über die Städtebauförderung gesprochen wird, möchte ich abschließend sagen: Es ist wichtig, dass wir die Veränderungen nicht nur in die Metropolen und die großen Städte tragen – es ist uns gelungen, die Baunutzungsverordnung zu ändern und das sogenannte Urbane Gebiet zu schaffen –, sondern auch in die kleinen Städte und Gemeinden, damit das Leben auch dort lebenswert bleibt, damit es nicht nur Schlafdörfer sind, sondern sich dort auch Gewerbe entwickeln kann und Menschen vielleicht gar nicht mehr in die großen Städte ziehen, weil sie ihr Daheim in einem Dorf, in einer kleinen Stadt finden. Das ist das, was Deutschland stark macht. Daran müssen wir weiter arbeiten. Dazu rufe ich Sie alle auf. Machen Sie mit der Zustimmung zu unserem Antrag den ersten Schritt. Alles Weitere folgt in der nächsten Legislaturperiode. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache, und wir kommen zu den Abstimmungen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/11975 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Interfraktionell ist vereinbart, über die Entschließungsanträge, abweichend von der Geschäftsordnung, sofort abzustimmen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Zuerst stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/12395 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12396. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a und 42 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt erlassen Drucksachen 18/10892, 18/11221 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wochenhöchstarbeitszeit begrenzen und Arbeitsstress reduzieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Zeitsouveränität – Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksachen 18/8724, 18/8241, 18/12055 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Michael Gerdes für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Michael Gerdes (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit knapp zwei Wochen liegt die Standortbestimmung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt auf dem Tisch. Wir müssen festhalten, dass sich arbeitsbedingter Stress negativ auf die Gesundheit von Erwerbstätigen auswirkt. Die Zahlen derer, die aufgrund psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz fehlen oder eine Erwerbsminderungsrente beantragen, sprechen leider für sich. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das aber schon lange, oder?) Wir sollten dringend über Gegenmaßnahmen nachdenken, wenn wir vermeiden wollen, dass sich psychische Leiden aufgrund von Arbeit ausbreiten und gegebenenfalls ein Fall für die Berufskrankheiten-Liste werden. Anknüpfend an die lange Tradition des Arbeitsschutzes in Deutschland sind wir gut beraten, unsere Vorschriften an die Arbeitswelt 4.0 anzupassen. Technischer und psychosozialer Arbeitsschutz müssen stärker miteinander verknüpft werden. Am Beispiel betrachtet: Das Messen von übermäßigen Geräuschen und zu schwachen Lichtquellen in Büroräumen reicht allein nicht mehr aus. Wohlbefinden in der digitalisierten Arbeitswelt hängt mehr und mehr davon ab, ob wir Zeitdruck haben oder ob wir beispielsweise von permanent eingehenden E-Mails gestört werden. Bisher hat sich der Arbeitsschutz auf den Betrieb bzw. den Arbeitsort konzentriert. Moderner Arbeitsschutz muss auch den Feierabend in den Blick nehmen. Die Studien sagen uns nämlich, dass es darauf ankommt, wie gut wir von der Arbeit abschalten können. Es liegt nun an uns und an den Sozialpartnern, die 10 Empfehlungen der BAuA politisch zu bewerten und Konsequenzen daraus zu ziehen. Das wird wohl angesichts der zu Ende gehenden Legislaturperiode noch einige Zeit dauern. Trotzdem möchte ich eines vorwegnehmen: Die SPD-Fraktion ist von der Idee einer Anti-Stress-Verordnung überzeugt. Entscheidend dabei ist: Psychische Belastungen im Erwerbsleben müssen raus aus der Tabuzone. (Beifall bei der SPD) Vielerorts werden stressbedingte Arbeitsausfälle und Unfälle unterschätzt. Wir dürfen arbeitsbedingten Stress nicht mit einem herausfordernden Arbeitsalltag verwechseln. Umgekehrt finde ich es auch wichtig, Arbeit positiv zu besetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Arbeit ist kein grundsätzlicher Stressfaktor. Arbeit schafft materielle und immaterielle Werte, die uns Menschen guttun. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Stress heißt, mit etwas nicht fertig zu werden. Stress am Arbeitsplatz entsteht durch eine psychische Überlastung. Das empfindet jeder Mensch anders. Die gute Nachricht ist, dass wir Stress bewältigen können, wenn wir den Menschen die richtigen Mittel zur Verfügung stellen. Dazu gehört zum Beispiel auch eine Gefährdungsbeurteilung, in der danach gefragt wird, ob jemand genügend Zeit für die Erledigung seiner Arbeit hat und ausreichend Wissen für die jeweilige Aufgabe hat. Mir ist klar, dass wir als Gesetzgeber gesunde Arbeitsprozesse nicht bis ins kleineste Detail gestalten und regeln können. Wir benötigen praxistaugliche Ansätze direkt im Betrieb. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen machen wir eine Verordnung, oder?) Einerseits ist das Zusammenspiel zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie unter Kolleginnen und Kollegen gefragt. Andererseits müssen sich die gesetzlich vorgesehenen Akteure des Arbeitsschutzes stärker auf die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz fokussieren. Hier kommen auch strukturelle Fragen auf uns zu: Haben wir ausreichend Betriebsärzte und Arbeitsmediziner? Wie bilden wir Arbeitsschutzakteure weiter? Wie bringen wir das neue Arbeitsschutzwissen besser in die Betriebe? Gibt es ausreichend Kontrollen? Mir geht es nicht darum, Sanktionen auszusprechen. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen fehlt es schließlich nicht an der Bereitschaft zur Fürsorge, sondern es mangelt eher an technischen, finanziellen und personellen Ressourcen. Sie brauchen externe Hilfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ziel muss sein, dass weitaus mehr Betriebe als bisher die notwendige Gefährdungsbeurteilung durchführen, und zwar nicht für den Aktenschrank, sondern um herauszufinden, welche Maßnahmen die körperliche und mentale Gesundheit des Arbeitnehmers schützen. Die Gefahr der Überregulierung durch eine eigenständige Verordnung zur psychischen Gesundheit sehe ich momentan nicht. Wir brauchen Verbindlichkeit und Konkretisierung. Psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz – das ist für viele ein diffuses und abstraktes Thema. Was meinen wir denn eigentlich? Welche Risiken gibt es konkret? Worauf müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer achten? Im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie wurden bereits gute Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung bei psychischer Belastung zusammengetragen. Hiermit müssen wir in die Fläche. Gute Praktiken beim Sicherheits- und Gesundheitsschutzmanagement in den Unternehmen bedeuten nicht nur Aufwand, sondern geben auch erkennbare Vorteile: Eine gesunde und motivierte Belegschaft ist produktiv. Sie ermöglicht es den Unternehmen, wettbewerbsfähig und innovativ zu bleiben. Wer gesunde Mitarbeiter hat, hält wertvolle Qualifikationen und Berufserfahrung im Unternehmen. Geringere Fehlzeiten und Krankenstände bedeuten weniger Kosten infolge von Erwerbsunfähigkeit. Wir müssen also gemeinsam mit den Unternehmen darauf abzielen, Erwerbstätige vor Berufsunfähigkeit zu bewahren. Das Gesundheitsmanagement der Betriebe und die Eingliederung nach langer Krankheit sind daher eine große Herausforderung. Ohne Prävention wird es vor dem Hintergrund der älter werdenden Gesellschaft nicht gehen. Wir brauchen eine neue Regelung, eine Regelung, die den Namen Anti-Stress-Verordnung trägt. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte man doch schon auf den Weg bringen können!) Das würde der Bedeutung der mentalen Gesundheit in der modernen Arbeitswelt Rechnung tragen. Herzlichen Dank und Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Sie sind vorbildlich in der Zeit geblieben. Wenn alle nachfolgenden Kollegen sich daran halten, wäre das sehr schön. – Jutta Krellmann hat als nächste Rednerin das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch nie waren die Zahlen so dramatisch wie im Moment – wir haben das gerade gehört –: Jeder dritte Arbeitnehmer leidet dauerhaft unter Stress; die Fehltage wegen psychischer Belastungen und Erkrankungen haben sich seit 1997 verdreifacht, und die Hälfte aller krankheitsbedingten Frühverrentungen geht auf psychische Erkrankungen zurück. Druck und Angst gehören mittlerweile leider bei vielen Beschäftigten zum Arbeitsalltag. Es ist höchste Zeit für eine Anti-Stress-Verordnung, und die wöchentliche Höchstarbeitszeit muss auf 40 Stunden begrenzt werden, (Beifall bei der LINKEN) ob für Ingenieure, Bankkauffrauen, Köchinnen, den Verkäufer oder die Verkäuferin. Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung als Gewerkschaftssekretärin kann ich sagen: Es war noch nie so schlimm wie heute. Die Beschäftigten müssen endlich mitbestimmen können, wenn es um die Gestaltung ihrer Arbeit geht. Ich frage mich, wie Sie als Abgeordnete der regierungstragenden Fraktionen diese Zustände mit ihrem sozialen Gewissen vereinbaren können, ohne irgendetwas zu tun. Die Zahlen sind eine arbeitsmarkt- und gesundheitspolitische Bankrotterklärung. Sie haben beim Schutz der Beschäftigten kläglich versagt. (Beifall bei der LINKEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Klar! 45 Millionen Beschäftigte!) Schlimmer noch: Sie haben mit Ihrer Agenda der Deregulierung und Flexibilisierung maßgeblich dazu beigetragen, dass die Menschen in den Betrieben krank werden. Statt sich um die Menschen zu kümmern, kneifen Sie vor den Arbeitgebern und nehmen Krankheit und Fehlzeiten in Kauf. Die Anti-Stress-Verordnung würde Beschäftigten und Arbeitgebern zeigen, was gegen psychische Belastung konkret getan werden muss. Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt. (Beifall des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE]) Beim Arbeitsschutz funktioniert das ja auch. Wenn über 90 Prozent der deutschen Unternehmer angeben, sich nur mit Arbeits- und Gesundheitsschutz zu befassen, weil sie eine gesetzliche Vorschrift und Vorgabe dafür haben, dann sage ich: Wenn das wirklich so ist und wenn die Arbeitgeber das wollen, dann müssen sie das bekommen, und dann müssen wir etwas beschließen, um eine Anti-Stress-Verordnung anzustoßen. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn bei der aktuellen Beschäftigtenbefragung der IG Metall Hunderttausende angeben, dass die 35Stunden-Woche ihre Wunscharbeitszeit ist, dann kann die Politik das nicht ignorieren. Die Gewerkschaften verhandeln die Arbeitszeit, aber den Rahmen setzen wir; das macht es zu einem klaren Handlungsauftrag für dieses Haus. Sie von der Bundesregierung zwingen den Beschäftigten, ohne mit der Wimper zu zucken, immer mehr Flexibilität auf und durchlöchern das Arbeitszeitgesetz. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Können Sie das einmal benennen? – Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht!) – Ja, gucken Sie sich doch einmal an, wie viele Ausnahmeregelungen es im Zuge der letzten Jahre schon jetzt im Arbeitszeitgesetz gibt. Diese sind nicht mit der Opposition auf den Weg gebracht worden, sondern in der Regel mit Beteiligung der SPD. (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sagen Sie doch mal, was wir in dieser Legislaturperiode da gemacht haben!) Ich sage: Wenn Flexibilität, dann aber nur in den Grenzen einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 40 Stunden. (Zuruf von der CDU/CSU: Ach, so viel?) Alles andere ist eine gesundheitspolitische Amokfahrt. Nur so können wir garantieren, dass die einen nicht wegen zu viel Arbeit krank werden und die anderen nicht krank werden wegen zu wenig oder gar keiner Arbeit. Arbeit muss im Sinne der Beschäftigten gestaltet und Arbeitszeit umverteilt werden. Dafür steht die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Abgeordnete der SPD, ich frage mich, ob Sie sich noch gut an die letzte Legislaturperiode erinnern. (Katja Mast [SPD]: Natürlich!) Es ist eben ein bisschen durchgeschienen. In der letzten Legislaturperiode hatten Sie einen Antrag mit dem Titel „Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten erhalten – Psychische Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren“ eingebracht. Für diesen Antrag haben Sie viel Lob bekommen. Das war ein gelungener Entwurf für eine Anti-Stress-Verordnung. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin sicher: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden ganz genau hinschauen, was Sie gerade in dem Zusammenhang tun werden. (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wie in Nordrhein-Westfalen! Da haben wir auch genau hingeschaut!) Wer von sozialer Gerechtigkeit redet und dann nicht zugreift, wenn sie um die Ecke kommt, der hat an der Stelle seinen Vertretungsanspruch verwirkt. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sollten Sie hier nicht zustimmen, dann zeigt das, dass die Linke die einzige Partei ist, die die Interessen der Beschäftigten in den Betrieben vertritt. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Uwe Lagosky von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Uwe Lagosky (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute sowohl über die Frage der Zeitsouveränität, die im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen entsprechend aufgeführt ist, als auch über Stress in der Arbeitswelt, worüber wir gerade etwas gehört haben. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gehören zusammen!) Ich möchte mich aber dennoch, genauso wie mein Kollege von der SPD, auf den Arbeitsschutz fokussieren. Das Thema Arbeitsschutz ist heute angesichts des Wandels in der Arbeitswelt genauso interessant wie vor 40 Jahren bei der Einführung des Arbeitssicherheitsgesetzes. Dabei geht es heute längst nicht mehr um die klassischen industriellen Themen des Arbeitsschutzes, sondern vermehrt um die Bewahrung der psychischen Gesundheit der Beschäftigten. Psychische Erkrankungen – da ist die Betrachtung der Wirklichkeit tatsächlich angebracht – verursachen aktuell 15 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage und stellen mittlerweile die häufigste Ursache für Frühverrentung dar. Auf circa 29 Milliarden Euro belaufen sich die Krankheitskosten von psychischen Erkrankungen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was machen Sie?) Die deutliche Zunahme der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen spiegelt sich zudem in den zunehmenden Produktivitätsausfällen wider. Sie als Opposition weisen also nicht zu Unrecht auf diese Situation hin. Was Sie allerdings nicht betrachten und völlig ignorieren, ist der aktuelle Diskurs im Bereich des Arbeitsschutzes. Deutschland ist mit der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie bestehend aus Bund, Ländern und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung gut aufgestellt. Zusammen mit den Sozialpartnern wird hier der Schutz der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung vorangetrieben. Um Gesundheitsstörungen und psychische Erkrankungen im Betrieb zu vermeiden, unterstützt das Arbeitsprogramm Psyche die Unternehmen bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Das Programm qualifiziert zudem betriebliche und überbetriebliche Akteure im Arbeits- und Gesundheitsschutz zum Thema psychische Gesundheit und gibt Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilungen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht die Bundesregierung?) Diese Maßnahmen werden durch Handlungshilfen für Betriebe, zum Beispiel durch das Projekt „psyGA“ oder auch durch die Initiative Neue Qualität der Arbeit, flankiert. Darüber hinaus wurde in dieser Legislaturperiode – jetzt beantworte ich Ihre Frage, Frau Müller-Gemmeke, was die Politik macht – die Frage psychischer Belastungen in der Arbeitsstättenverordnung konkretisiert. In das Gesundheitsförderungs- und Präventionsstärkungsgesetz wurden psychische Belastungen ausdrücklich mit aufgenommen. Dies führt zu verbesserten Leistungen der Krankenversicherungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD] – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verhindert nichts!) Besonders verweisen möchte ich an dieser Stelle auf die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Sie stellte vor exakt zwei Wochen – das ist schon angesprochen worden – ihre Langzeitstudie zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt vor. Ziel der Studie war es, psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu untersuchen und daraus Handlungsempfehlungen für den Arbeitsschutz zu geben. Wir haben nun eine umfassende wissenschaftliche Standortbestimmung über psychische Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt. Stressfaktoren wie zu lange Arbeitszeit, schlechte Führung, mangelnde Ruhezeiten oder zu hohe Arbeitsbelastungen können die psychische Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigen. In den meisten Fällen gehen diese Stressfaktoren miteinander einher und führen in der Häufung zu psychischen Belastungen. Dabei erweist sich die Arbeitszeit in den wissenschaftlichen Studien durchgängig als Schlüsselfaktor in ihrer Wirkung auf die Gesundheit. Die erwähnten Risiken werden allerdings im bestehenden Rechtsrahmen klar adressiert und eingeschränkt. Dies ist unter anderem im Arbeitszeitgesetz deutlich zu sehen. Darauf weist die BAuA auch hin. Sie schreibt: Für die Arbeitszeitdauer sind ... Schwellenwerte, deren langfristige Überschreitung bzw. Nichtbeachtung eine gesundheitliche Beeinträchtigung zur Folge haben können, im Arbeitszeitgesetz festgelegt. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Finger weg vom Arbeitszeitgesetz!) Dies betrifft konkret den Umfang der Wochenarbeitszeit, die tägliche Arbeitszeit sowie die Länge der Ruhezeit. Weiter führt die BAuA aus, dass die Befundlage zu den Zusammenhängen von Arbeitszeit und Gesundheit dafür spricht, dass die vorhandenen gesetzlichen Vorgaben aus arbeitswissenschaftlicher Sicht unabhängig von der Arbeitstätigkeit sinnvoll sind. Bei allem, was wir vor dem Hintergrund der Arbeitswelt 4.0 möglicherweise am Arbeitszeitgesetz verändern wollen, sollte man sich die Schutzfunktionen dieses Gesetzes immer wieder vor Augen halten. Das gilt für Ihre Anträge und für alles, was dazu noch vorgelegt werden mag. Sie sehen, wir haben heute bereits ausreichend strenge Arbeitsschutzgesetze. Allerdings werden diese nicht immer konsequent umgesetzt. Gefährdungsbeurteilungen müssen häufiger durchgeführt werden. Hier sind in erster Linie die Bundesländer in der Pflicht und angehalten, ihren Kontrollpflichten nachzukommen. Dafür braucht es möglicherweise hier und da mehr Personal bei den Aufsichtsdiensten der Länder. Eine Anti-Stress-Verordnung würde daher nur den Rechtsrahmen der bestehenden Gesetze ändern, aber nicht die Sensibilität für dieses Thema in den Unternehmen erhöhen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde doch sensibilisieren!) Es geht darum, mit den Akteuren des Arbeitsschutzes in den Unternehmen für das Thema Arbeitsschutz zu sensibilisieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe gesehen, dass die Präsidentin mir ein Zeichen gibt, und komme daher zum Schluss. Insbesondere kommt es darauf an, dass die Sozialpartner und die Kolleginnen und Kollegen des institutionellen Arbeitsschutzes in den Betrieben daran arbeiten. Ich bin daher froh, dass wir auf der Grundlage des BAuA-Berichts jetzt einen Dialogprozess erleben, der die psychische Gesundheit in der Arbeitswelt auf eine richtige Basis stellt. Auf dieser Basis werden wir arbeiten. Deshalb lehnen wir Ihre Anträge heute ab. Herzlichen Dank und ein schönes Wochenende. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bereits unter Schwarz-Gelb haben wir das Thema „psychische Belastungen“ heftig diskutiert und Maßnahmen gefordert, im Übrigen auch die SPD. Die damals für dieses Thema zuständige Ministerin von der Leyen hat eine entsprechende Studie auf den Weg gebracht. Erst jetzt liegen die Ergebnisse vor. Diese zeigen: Es besteht – wenig überraschend – Handlungsbedarf. – Das dauert einfach alles zu lange. Sie, die Regierungsfraktionen, haben sich bei diesem Thema untätig durch diese Legislaturperiode gemogelt. Das ist nicht akzeptabel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Arbeitswelt hat sich verdichtet und beschleunigt. Das wissen wir schon lange. Wer mehr, unregelmäßig oder nicht planbar arbeitet, dem fehlen Erholungszeiten. Häufig ist die Personaldecke zu dünn. Über 50 Prozent der Beschäftigten sind bei der Arbeit gehetzt. Steigende Arbeitsintensität, hohe Leistungsanforderungen – wer diesem Stress ausgeliefert ist, wer das Gefühl hat, die Arbeit nicht zu schaffen, dessen Selbstwertgefühl wird brüchig. Das Arbeitsleben macht Tempo, und das schon seit vielen Jahren. Den Beschäftigten geht deswegen zunehmend die Puste aus. Sie, die Regierungsfraktionen, hätten darauf schon lange reagieren müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Die Arbeitgeber müssen sensibilisiert werden. Das kommt nicht von alleine, Herr Lagosky. Sie müssen wissen, wann und wie Stress entsteht und – vor allem – wie dieser Stress vermieden werden kann. Das Arbeitsschutzgesetz muss also durch eine Verordnung konkretisiert werden. Deshalb werden wir heute dem Antrag zustimmen; denn nur so bekommen die Arbeitgeber und die Betriebsräte ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie Lösungen gegen Stress, ständige Erreichbarkeit und Arbeitsverdichtung entwickeln können. Das ist dringend notwendig; denn es geht immerhin um die Gesundheit der Beschäftigten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ein Aspekt ist uns Grünen dabei besonders wichtig, und zwar die Arbeitszeit. Auch die Studie – es wurde schon gesagt – „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin bezeichnet Länge, Lage und Flexibilität der Arbeitszeit als relevant für die Gesundheit von Beschäftigten. Als positiv wird beurteilt, wenn die Beschäftigten auf die Gestaltung ihrer Arbeitszeit Einfluss nehmen können. Die Beschäftigten brauchen also Zeitsouveränität. Genau das fordern wir in unserem heute vorliegenden Antrag. Damit besteht ein Zusammenhang: Wenn die Arbeitszeit beweglicher wird, dann sind die Beschäftigten weniger gestresst und weniger gehetzt. Vor allem wünschen sich die Menschen, insbesondere die Frauen, mehr Zeitsouveränität, damit ihre Arbeit besser ins eigene Leben passt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Männer auch!) Die Linke fordert das mit ihrem Antrag, aber anders als wir Grüne. Sie wollen ja die Wochenhöchstarbeitszeit auf 40 Stunden absenken. Das lehnen wir ab. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schade eigentlich!) Mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten funktioniert eben nicht in einem engen und starren Rahmen. Die Beschäftigten brauchen die Freiheit, in einer Woche ein bisschen mehr arbeiten zu können, um dann in einer anderen Woche mehr frei zu haben. Natürlich brauchen die Beschäftigten Schutz; denn wir wollen ja Zeitsouveränität ermöglichen und grenzenlose Arbeit verhindern. Dafür reicht das Arbeitszeitgesetz aber so, wie es heute ist. Wir Grünen haben dafür andere Forderungen. Wir wollen, dass die Beschäftigten mehr Mitspracherecht bei der Arbeitszeit erhalten; denn auch so wird Stress reduziert. Weil die Beschäftigten häufig mit ihrem Arbeitsumfang nicht zufrieden sind, wollen wir „Vollzeit“ als flexiblen Arbeitszeitkorridor zwischen 30 und 40 Stunden neu definieren und – ganz wichtig – durch ein Rückkehrrecht ergänzen. Auf das Rückkehrrecht warten wir in dieser Legislaturperiode ja noch immer. Einige wollen wegen der Kinder gerne etwas später anfangen, andere brauchen einen freien Nachmittag für die alten Eltern, und wieder andere wünschen sich einen Tag Homeoffice, um sich die Fahrtzeit ins Büro zu ersparen. Deshalb sollen die Beschäftigten auch mehr Mitspracherechte bekommen, wenn es darum geht, wann und wo sie arbeiten. So entsteht Zeitsouveränität, und sie ist bitter nötig; denn Arbeitszeit ist Lebenszeit. Heute liegen verschiedene Vorschläge dafür auf dem Tisch, den Stress in der Arbeitswelt zu reduzieren. Die Opposition hat Konzepte entwickelt, nimmt das Thema also ernst. Sie, die Regierungsfraktionen, haben das Thema vier Jahre lang ganz einfach verschleppt. So werden Sie Ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Beschäftigten nicht gerecht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächster Redner hat Dr. Martin Rosemann von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Dr. Martin Rosemann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Einordnung dieser Debatte will ich ein paar allgemeine Bemerkungen voranstellen. Ich finde immer noch: Für die allermeisten Menschen in unserem Land ist es wirklich besser, wenn sie Arbeit haben, als wenn sie keine Arbeit haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das hat damit zu tun, dass Arbeit die Grundlage für unseren Wohlstand ist, dass Arbeit materielle und soziale Sicherheit für jeden Einzelnen ermöglicht und dass Arbeit ein Stück weit auch Selbstverwirklichung bedeutet. Deswegen ist Arbeit für jeden Einzelnen und jede Einzelne, aber auch für die Gesellschaft insgesamt wichtig. Klar ist: Unsere Arbeitswelt ist im Wandel. Dieser Wandel vollzieht sich im Zuge der Digitalisierung immer schneller, und das stellt uns vor Herausforderungen. Auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es Veränderungen in der Arbeitswelt, die mit einer Verdichtung der Arbeitsbelastung und tatsächlich mit mehr Stress verbunden waren. Die Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben schon darauf hingewiesen: Die Zahl der psychischen Erkrankungen hat zugenommen. Besonders alarmierend ist, dass der Grund für den Zugang in die Erwerbsminderungsrente zunehmend psychische Erkrankungen sind. Seit 1993 ist der Anteil sehr stark gestiegen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fast 50 Prozent!) 1993 waren 15 Prozent derjenigen, die in die Erwerbsminderungsrente gegangen sind, psychisch erkrankt, 2015 betrug der Anteil sage und schreibe 43 Prozent. Damit sind sie mittlerweile die größte Krankheitsgruppe unter den Neuzugängen in die Erwerbsminderungsrente. Natürlich kann das die Politik und uns alle nicht kaltlassen. Deswegen sind wir hier auch alle in der Verantwortung. Ich glaube, das Wichtigste, was wir in dieser Debatte sagen müssen, wenn wir über ein so zentrales Thema am Freitagnachmittag um 14 Uhr diskutieren, ist – das sage ich mit Blick auf alle, die hier im Saal sind, also auch auf die Besucher auf den Tribünen –: Es ist für uns alle entscheidend, dass wir psychische Erkrankungen in dieser Gesellschaft endlich enttabuisieren, damit sie rechtzeitig angegangen werden können. (Beifall bei der SPD) Dazu gehört, dass wir Prävention und Rehabilitation viel stärker in Verbindung mit dem Arbeitsplatz sehen. Genau hier haben wir in dieser Legislaturperiode angesetzt. Es kann doch nicht die Rede davon sein, wir hätten nichts getan. Mit dem sogenannten Flexirentengesetz (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Gott! Das reduziert Stress am Arbeitsplatz?) und dem Bundesteilhabegesetz haben wir Prävention und Rehabilitation an unterschiedlichen Stellen gestärkt, und gerade mit Blick auf psychische Erkrankungen haben wir Modellvorhaben gestartet und für diese Modellvorhaben mehr Mittel im Bereich der Arbeitsverwaltung, der Jobcenter und der Rentenversicherung bereitgestellt. Das, was dabei an guten Praktiken herauskommt, müssen wir in den kommenden Jahren auch dauerhaft umsetzen. (Beifall bei der SPD) Was wir auch im Blick haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das betriebliche Eingliederungsmanagement, wenn jemand nach langer Krankheit an den Arbeitsplatz zurückkehrt und die Betriebe ihn wieder in den Arbeitsprozess eingliedern sollen. Das ist eine wichtige Aufgabe, die neben dem Arbeitgeber auch die Kolleginnen und Kollegen bzw. das ganze Team angeht und bei der es wichtig ist, dass die Betroffenen nach der Rückkehr tatsächlich wieder ihren Arbeitsplatz erhalten. Das Hauptproblem ist, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement gerade in Klein- und Kleinstbetrieben wenig bekannt ist und die Unternehmen nicht wissen, wie sie so etwas umsetzen können. Deswegen haben wir die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation dazu gebracht, eine Empfehlung dazu abzugeben und Mindeststandards vorzuschlagen, die dann auch in Klein- und Kleinstbetrieben umgesetzt werden können. (Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ändert noch nichts an der Ursache!) Hinter all dem steht die Vorstellung, dass wir – der Staat, die Gesellschaft und die Sozialversicherungen – die Beschäftigten während des Arbeitslebens sehr viel stärker als bisher beraten, begleiten und unterstützen müssen. Wichtig ist aber mit Sicherheit noch ein zweites Thema, nämlich das Thema Arbeitszeit. Ich stimme vielem zu, was Beate Müller-Gemmeke dazu gesagt hat. Die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten weichen in hohem Maße von den tatsächlich gearbeiteten Arbeitszeiten ab. Das gilt übrigens nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. Wenn wir da zu mehr Flexibilität kommen wollen, dann muss sie nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Männer gelten. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht auch in unserem Antrag so drin!) Sonst kriegen wir nämlich nicht beides zusammen. Wir bekommen es nämlich nicht hin, dass Frauen ihre Arbeitszeit gegenüber der Zeit im privaten Bereich erhöhen, wenn wir nicht gleichzeitig den Männern mehr Zeit für den privaten Bereich ermöglichen, indem sie weniger arbeiten. Genau an der Stelle setzen wir mit den Maßnahmen an, die wir in dieser Wahlperiode auf den Weg gebracht haben. Das Elterngeld Plus beispielsweise macht für Eltern von kleinen Kindern Teilzeitbeschäftigung attraktiver und ermöglicht einen längeren Bezug des Elterngelds, wenn man sich das partnerschaftlich teilt. Da wollen wir nicht stehen bleiben. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt denn noch das Rückkehrrecht in dieser Legislaturperiode? Kommt das noch?) – Ja, das Rückkehrrecht ist ein gutes Stichwort. Wir wollen das Rückkehrrecht auf Vollzeit bzw. die befristete Teilzeit. Das wird – das sage ich deutlich – von der rechten Seite dieses Hauses blockiert. (Beifall bei der SPD) Wir wollen noch mehr – Andrea Nahles hat es auch im Weißbuch Arbeiten 4.0 deutlich gemacht –: Wir wollen die starre Trennung von Vollzeit und Teilzeit aufgeben und durch Wahlarbeitszeitmodelle zu einer flexibleren Form von Vollzeit kommen. Andrea Nahles will gemeinsam mit den Tarifpartnern flexible Arbeitszeitmodelle umsetzen, indem sie Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen vorschlägt, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das kann nicht sein, dass die Tarifverträge angegriffen werden! Das ist nicht gut!) die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern unter bestimmten Qualitätsstandards vereinbart werden. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Herr Kollege, Sie müssen jetzt sehr zügig zum Schluss kommen. Dr. Martin Rosemann (SPD): Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Insgesamt geht es um mehr Zeitsouveränität und vor allem um eine größere Flexibilität, die auch und insbesondere den Beschäftigten und ihren Bedürfnissen nutzt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Dann können Sie unserem Antrag zustimmen!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als nächste Rednerin hat Christel Voßbeck-Kayser für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf die Arbeit schimpft man nur so lange, bis man keine mehr hat. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott!) Deshalb möchte ich, bevor ich auf die Anträge eingehe, Kollegen der Linken und der Grünen, erst einmal etwas Grundsätzliches zum Thema Arbeit sagen. Kollege Rosemann hat es eben in seiner Rede schon ausgeführt: Arbeit gehört seit jeher zu unserem Leben. Damit gehen viele Eigenschaften einher, und man sollte es nicht glauben: Der überwiegende Teil der Menschen in Deutschland geht sogar gerne jeden Morgen zur Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Und wer organisiert in Deutschland erfolgreiche Arbeit? Die Sozialpartner – das ist mehrfach ausgeführt worden – in den einzelnen Branchen. Sie vereinbaren ihre gemeinsamen Ziele. Sie wollen unsere Unternehmen wettbewerbsfähig halten und Erfolge erzielen. Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass wir Wachstum und Beschäftigung haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wo landet das Wachstum? Nicht in den Löhnen! Die Lohnquote sinkt! Seit Jahren sinkt die Lohnquote!) Richtig ist: Die Anforderungen an die Arbeitswelt und in der Arbeitswelt haben sich mit der Digitalisierung, der Arbeitswelt 4.0, verändert und somit auch die Anforderungen an die Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Aber auch die veränderten Familienstrukturen und damit einhergehend der Wandel der Ansprüche und Anforderungen machen Anpassungen bei der Arbeitszeit notwendig. (Beifall bei der CDU/CSU) Unsere Wirtschaft und die Sozialpartner in den Unternehmen reagieren darauf. Ihre Zusammenarbeit funktioniert ohne staatliche Regelungen. (Beifall bei der CDU/CSU – Anja Karliczek [CDU/CSU]: Das ist das Beste an dem Ganzen!) So treffen zum Beispiel viele inhabergeführte Familienunternehmen bei mir in der Region in Südwestfalen schon seit längerem Vereinbarungen in Bezug auf flexible Arbeitszeiten. Das gelingt ihnen hervorragend. Dabei werden die Anforderungen und Bedürfnissen beider Seiten, die der Arbeitnehmer und die der Arbeitgeber, berücksichtigt. Die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales im März dieses Jahres hat bestätigt, dass der Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten stark ausgeprägt ist. Deshalb sagen wir ganz klar: Wir suchen die Lösungen auf betrieblicher und auf überbetrieblicher Ebene, bevor wir Gesetze verschärfen und damit Reglementierungen auf den Weg bringen. (Beifall bei der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss den Menschen doch Rechte geben!) Am Montag dieser Woche fand ein Arbeitnehmerkongress der CDU/CSU-Fraktion statt. Auch da wurde deutlich: Es geht um bedarfsgerechte und individuelle Lösungen in den einzelnen Branchen. (Zuruf der Abg. Katja Mast [SPD]) Die Sozialpartner fordern zu Recht, ihnen hierbei Vertrauen zu schenken und das Ganze weniger zu reglementieren. Ich sehe es als unsere Aufgabe in der Politik an, dass wir einen guten Rechtsrahmen schaffen. Der Kollege Rosemann hat das gesagt; da sind wir einer Meinung. Es geht um begleitende Hilfen, Prävention und Rehabilitation. Wir haben das Präventionsgesetz auf den Weg gebracht. Auch darin sind flankierende Hilfen vorgesehen. Es gibt das Arbeitsschutzgesetz, in dem in § 5 die Anforderungen an einen sicheren, gesunden und guten Arbeitsplatz geregelt sind. (Lachen der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich gebe Ihnen ja recht, dass wir die Belastungsformen, die heute durch eine beschleunigte und sich verändernde Arbeitswelt entstehen, nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Aber Ihre Forderungen, darauf mit kürzeren Arbeitszeiten und einer Umverteilung der Arbeit zu reagieren, gehen an der Realität vorbei. Sie gehen an der Realität der deutschen Wirtschaft und der deutschen Arbeitswelt sowie an den Bedürfnissen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Fragen Sie mal die europäischen Partner! Die sehen das anders!) Darauf weisen verschiedene Studien hin. Was ist mit der Sechsten Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen? In den Ergebnissen für Deutschland heißt es: Drei Viertel der Beschäftigten sind mit ihrer Arbeitszeit und mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden, und ein Teil ist sogar sehr zufrieden. (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was das Thema – noch einmal kurz am Ende – „Arbeitsbelastung und Stress“ angeht: Jeder Mensch hat doch ein eigenes Empfinden und beurteilt Anforderungen und Belastungen unterschiedlich. Stress ist subjektiv und wird von jedem anders bewertet. Ja, ich gebe Ihnen recht, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt. Hierauf müssen wir reagieren. Darauf ist der Kollege Lagosky in seiner Rede ausführlich eingegangen. Wir sind uns einig, dass es im Interesse aller liegt, dass sowohl die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz als auch die allgemeine Arbeitsfähigkeit zu fördern und zu erhalten sind. Wir sehen uns mit den bereits installierten Maßnahmen auf einem richtigen Weg und werden diesen angestoßenen Prozess mit weiteren Maßnahmen fortsetzen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit welchen Maßnahmen?) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als letzter Redner in der Aussprache hat Stephan Stracke für die CDU/CSU das Wort. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Maßnahmen haben Sie in petto?) Stephan Stracke (CDU/CSU): Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im Kern geht es bei dieser Debatte um das Thema „Flexibilität, Arbeitszeit, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, es geht um Gesundheit!) Zeitsouveränität und Schutz vor Überlastungen“. Die Digitalisierung hat sicherlich erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Das meiste davon können wir in der Schärfe noch gar nicht abbilden. Aber Unternehmen können in der digitalen Arbeitswelt von räumlich und zeitlich flexiblen Wertschöpfungsprozessen profitieren. Für Arbeitnehmer bieten sich große Chancen auf mehr selbstbestimmtes Arbeiten. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema ist Stress in der Arbeitswelt!) Es geht letztlich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mehr Zeit- und Ortssouveränität sowie lebensphasenorientiertes Arbeiten sind hier die Stichworte. Die entscheidende Frage lautet, wie es uns gelingen kann, den Zugewinn an Flexibilität verantwortungsvoll zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzuteilen. Dabei sehen wir die Frage als zentral an, wie wir das organisieren. Hier sind letztendlich die Betriebe und die Sozialpartner gefragt. Es ist ihre ureigene Aufgabe, den Gewinn an Flexibilität in der digitalen Arbeitswelt zum Wohle der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Unternehmen in der Praxis zu gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen ist es immer gut, das Geschehen vor Ort im Blick zu behalten und die Tarifautonomie zu wahren. Wir brauchen in unserer Arbeitswelt weiß Gott kein starres Korsett von staatlicher Seite. Diese Kritik richtet sich gleichermaßen gegen die Vorschläge der Bundesarbeitsministerin zur Anpassung des Arbeitsrechts im Rahmen des Weißbuchs 4.0. Ein Trommelfeuer aus punktuellen gesetzlichen Maßnahmen hilft nicht weiter. Wir sprechen uns für betriebliche und tarifliche Vereinbarungen aus, um passgenaue Lösungen zu finden. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wären wir noch beim 16-Stunden-Tag!) Ich habe zu Beginn gesagt, dass es um einen Interessenausgleich geht. Es gibt sicherlich große Unterschiede. Deswegen möchte ich noch etwas zum Rückkehrrecht bei Teilzeitbeschäftigung sagen. Dabei müssen wir im Blick behalten, dass wir Planungssicherheit für die Unternehmen brauchen. Wir dürfen insbesondere kleine Unternehmen nicht überfordern. Es ist gerade für sie überlebenswichtig, dass ein konstanter Betriebsablauf gewährleistet wird. Flexibilität und Arbeitsvolumen sind nun einmal untrennbar miteinander verbunden. Deswegen ist es unsere Leitlinie, die Belange der Arbeitgeber auf der einen Seite und die Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der anderen Seite angemessen in Einklang zu bringen. (Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Der Vorschlag der Bundesarbeitsministerin geht in weiten Teilen über das hinaus und stellt eine unverhältnismäßige Belastung dar. Flexibilität ist ein Maßanzug, der sowohl den Unternehmen als auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern passen muss. – Nun hat der Kollege Kurth – Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Frau Präsidentin – das Wort. Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Aber ich bitte, es kurz zu machen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Ich kann es kurz machen. Herr Stracke, Sie haben davon gesprochen, was für die kleinen Unternehmen wichtig ist, zum Beispiel Kontinuität. Stimmen Sie mir dann zu, dass das Allerwichtigste für die Unternehmen ist, dass ihre Arbeitskräfte gesund bleiben, dass sie nicht dauerhaft ausfallen und dass sie nicht innerlich kündigen, kurzum: dass sie keinem Stress, der gesundheitsschädlich ist, am Arbeitsplatz ausgesetzt sind? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Stephan Stracke (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Kurth, natürlich liegt es im Interesse der Unternehmen, dass es ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gut geht; das ist doch selbstverständlich. Das liegt im ureigenen Interesse der Arbeitgeber. Deshalb lehnen wir beispielsweise eine Antistressverordnung ab. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist unlogisch, Herr Kollege! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich fürchte, Sie haben die Frage nicht verstanden! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die ist arbeitnehmerfreundlich!) Wir haben in diesem Bereich zwei Entwicklungen zu verzeichnen, Herr Kurth. Zum einen werden im Zuge der Digitalisierung einfache und ständig wiederkehrende Tätigkeiten automatisiert. Das nimmt Belastungen weg. Das sehen Sie schon daran, dass Unternehmen solche Entwicklungen zum Wohle ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgreifen. Zum anderen müssen wir im Blick behalten: Mehr Flexibilität bedeutet auch mehr Eigenverantwortung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir hier etwas hinbekommen können. – Herr Kurth, bitte schön, Sie können sich wieder hinsetzen. In diesem Sinne haben wir schon vieles im Bereich Stress getan. Wir brauchen Wege, die dazu dienen, die Eigenverantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stärken. Unser Arbeitsschutzsystem ist insgesamt gut aufgestellt und gestaltet die Arbeitswelt sicher und gesund. Das Prinzip der Gefährdungsbeurteilung ist hier tragend. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 50 Prozent der Betriebe machen maximal eine Gefährdungsbeurteilung!) Wir müssen achtsam sein, wenn es um Entwicklungen auf den neuen Handlungsfeldern geht. Vor diesem Hintergrund haben wir uns als Koalition auf den Weg gemacht, Frau Müller-Gemmeke, die Entwicklung neuer Präventionskonzepte und betrieblicher Gestaltungslösungen bei psychischer Belastung in enger Zusammenarbeit mit den Trägern der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie voranzutreiben. Genau das passiert derzeit. Auch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat ihr Gutachten vorgestellt. Jetzt entsteht ein neuer Dialogprozess, in dessen Rahmen wir das erörtern bzw. vertieft diskutieren wollen. All das zeigt, dass bereits viel geschieht. Wir brauchen vor allem eine vorausschauende ganzheitliche Planung in den Betrieben, was den Umgang mit psychischen Belastungsfaktoren angeht. Dabei ist es sicherlich nicht der Königsweg, immer nur nach neuen gesetzlichen Regelungen bzw. Verordnungen zu rufen, sondern wir brauchen vor allem passgenaue betriebliche Lösungen. Genau darauf zielen wir ab. Wir brauchen keine gesetzgeberischen Schnellschüsse, wie sie im Rahmen der jetzt vorgelegten Anträge gefordert werden. Ich sage ein herzliches Dankeschön und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: So weit sind wir aber noch nicht, weil wir jetzt noch eine ganze Reihe von Abstimmungen haben. Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, so lange sitzen zu bleiben. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt erlassen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11221, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10892 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 42 b. Dabei geht es um die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 18/12055. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8724 mit dem Titel „Wochenhöchstarbeitszeit begrenzen und Arbeitsstress reduzieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken angenommen worden. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8241 mit dem Titel „Mehr Zeitsouveränität – Damit Arbeit gut ins Leben passt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 31. Mai 2017, 13.00 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 14.27 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 19.05.2017 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 19.05.2017 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 19.05.2017 Burkert, Martin SPD 19.05.2017 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 19.05.2017 Fabritius, Dr. Bernd CDU/CSU 19.05.2017 Färber, Hermann CDU/CSU 19.05.2017 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 19.05.2017 Gabriel, Sigmar SPD 19.05.2017 Gleicke, Iris SPD 19.05.2017 Göppel, Josef CDU/CSU 19.05.2017 Haase, Christian CDU/CSU 19.05.2017 Hirte, Dr. Heribert CDU/CSU 19.05.2017 Klare, Arno SPD 19.05.2017 Launert, Dr. Silke CDU/CSU 19.05.2017 Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU 19.05.2017 Ludwig, Daniela CDU/CSU 19.05.2017 Meister, Dr. Michael CDU/CSU 19.05.2017 Möhring, Cornelia DIE LINKE 19.05.2017 Nahles, Andrea SPD 19.05.2017 Obermeier, Julia CDU/CSU 19.05.2017 Poschmann, Sabine SPD 19.05.2017 Roth (Heringen), Michael SPD 19.05.2017 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19.05.2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 19.05.2017 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 19.05.2017 Schuster (Weil am Rhein), Armin CDU/CSU 19.05.2017 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 19.05.2017 Spiering, Rainer SPD 19.05.2017 Strenz, Karin CDU/CSU 19.05.2017 Thönnes, Franz SPD 19.05.2017 Veith, Oswin CDU/CSU 19.05.2017 Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE 19.05.2017 Weinberg, Harald DIE LINKE 19.05.2017 Weisgerber, Dr. Anja CDU/CSU 19.05.2017 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 19.05.2017 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 957. Sitzung am 12. Mai 2017 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Neufassung des Gesetzes zur Regelung von Sekundierungen im Rahmen von Einsätzen der zivilen Krisenprävention – Gesetz zur Änderung weinrechtlicher und agrarmarktstrukturrechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen – Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat begrüßt, dass mit der Neuregelung des Mutterschutzrechts das in seinen wesentlichen Regelungsbereichen seit 1952 geltende Mutterschutzgesetz zeitgemäß neu gefasst wird. Er unterstützt die wesentliche Zielstellung des Gesetzes und insbesondere die Einbeziehung von Schülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnen in den Anwendungsbereich. 2. Der Bundesrat schätzt ein, dass das im Bundestagsverfahren neu aufgenommene Verfahren zur Genehmigung von Arbeitszeiten nach 20.00 Uhr (§ 28 MuSchG) sowohl auf Arbeitgeberseite als auch bei den Aufsichtsbehörden einen erheblichen Mehraufwand verursachen wird. Unklar ist, ob ein solcher Genehmigungsvorbehalt für eine Beschäftigung nach 20.00 Uhr tatsächlich sachlich erforderlich ist. 3. Der Bundesrat verweist zudem auf erhebliche Mehraufwände für den Vollzug der in § 4 Absatz 1 Satz 4 MuSchG aufgenommenen Aufgabe zur Überprüfung der vertraglich vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit insbesondere von Teilzeitbeschäftigten. Die Durchsetzung dieser Vorschrift begegnet erheblichen Schwierigkeiten, da eine Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz für den Arbeitgeber erst nach acht Stunden besteht. Im Übrigen handelt es sich hierbei um eine Überprüfung der Einhaltung privatrechtlicher Vereinbarungen aus dem Arbeitsvertrag, die eine Gefährdung der werdenden oder stillenden Mutter nicht indizieren und deshalb keine Aufgabe der Arbeitsschutzbehörden sein kann. 4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, im Rahmen des nach § 34 MuSchG zum 1. Januar 2021 vorzulegenden Evaluationsberichts nicht nur die Auswirkungen der Regelungen zum Verbot der Mehr- und Nachtarbeit zu betrachten, sondern einen weiteren Schwerpunkt auf die Effektivität des neu eingeführten Genehmigungsverfahrens bei Beschäftigung von schwangeren und stillenden Frauen von 20.00 Uhr bis 22.00 Uhr zu legen, damit anhand des Evaluationsberichts bewertet werden kann, ob dieses Genehmigungsverfahren tatsächlich erforderlich ist. 5. Der Bundesrat stellt fest, dass sich aus der Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereiches des Gesetzes, aus der Umsetzung des neu eingeführten Genehmigungsverfahrens sowie aus der Überprüfung der vertraglich vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit erhebliche Ausweitungen der Überwachungs- und Beratungsaufgaben für die Aufsichtsbehörden ergeben. Die Umsetzung wird zu einem personellen Mehrbedarf führen. – Gesetz zur Ergänzung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems und zur Änderung der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat begrüßt die im Gesetz vorgesehenen Änderungen an der Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie, die in Teilen Verbesserungsvorschläge aus dem Gesetzesantrag in der BR-Drucksache 578/16 aufgreifen. Er geht davon aus, dass sich damit die Versorgung mit Immobilienkrediten verbessern wird, ohne dass der Kern der Kreditwürdigkeitsprüfung aufgeweicht wird und Verbraucherinnen und Verbraucher Gefahr laufen, sich zu überschulden. Er verweist insoweit auf seine Stellungnahmen vom 25. September 2015 in BR-Drucksache 359/15 (Beschluss) und vom 10. Februar 2017 in BR-Drucksache 815/16 (Beschluss). 2. Der Bundesrat erneuert seine Forderung, die Rechtsverordnung zur Schaffung von Rechtssicherheit bei der Kreditwürdigkeitsprüfung nunmehr rasch vorzulegen und mit den Ländern im Vorfeld eng abzustimmen. Der Bundesrat geht nach wie vor davon aus, dass in der Verordnung die unbestimmten Rechtsbegriffe bei der Kreditwürdigkeitsprüfung weitest möglich eingegrenzt werden. Damit können die entstandenen Probleme bei der Kreditvergabe für ältere Menschen gelöst werden, wenn diese zu Lebzeiten ihren Verpflichtungen nachkommen können und im Todesfall die Immobilie die Höhe des Darlehens und eventuelle Verwertungskosten abdeckt. Auch für junge Familien muss Rechtssicherheit geschaffen werden. Dazu sollen nach der Lebenserfahrung mögliche, aber nicht überwiegend wahrscheinliche ungünstige Ereignisse nur dann zu berücksichtigen sein, wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt. 3. Der Bundesrat erwartet weiterhin, dass auch die Problematik der Anschlussfinanzierungen und Umschuldungen im Zuge der Verordnung mitgelöst und von der EU als rechtskonform bestätigt wird. – Zweites Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) – Sechstes Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes – Zweites Gesetz zur Änderung des BDBOS-Gesetzes – Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes – Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681 – Erstes Gesetz zur Änderung des Europol-Gesetzes – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union – Gesetz zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften – Erstes Gesetz zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes – Gesetz zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze – Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts – … Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren – Gesetz zur Fortentwicklung der haushaltsnahen Getrennterfassung von wertstoffhaltigen Abfällen – Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes – Gesetz zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben – Gesetz zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: 1. Der Bundesrat begrüßt das am 27. April 2017 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung, mit dem Unionsrecht umgesetzt und das deutsche Strahlenschutzsystem neu geordnet wird. 2. Er stellt fest, dass es im Rahmen der Beratungen des Deutschen Bundestages zu einer Nachbesserung der Verzahnung der Zuständigkeiten der Fachbehörden gekommen ist und dass bestehende Regelungslücken im Bereich der abfallrechtlichen Aufgaben im Wege einer Evaluation geschlossen werden sollen. 3. In diesem Zusammenhang verweist der Bundesrat auf die Begründung des federführenden Bundestagsausschusses zur Einfügung des Artikels 31a – neu – (BT-Drucksache 18/12151, zu Nummer 8). Dort heißt es: „Bei der Evaluierung und den Vorschlägen der Bundesregierung zur künftigen Fortentwicklung des Notfallmanagementsystems von Bund und Ländern sind insbesondere auch die Vorschläge, Anliegen und Bedenken aus den Ziffern 24 bis 32, 54 und 62 (der Stellungnahme) des Bundesrates, die die Entsorgung kontaminierter Abfälle betreffen, in geeigneter Weise zu berücksichtigen.“ 4. Er bedauert jedoch, dass der Deutsche Bundestag nicht bereits jetzt dem Beschluss des Bundesrates vom 10. März 2017 (BR-Drucksache 86/17 – Beschluss –) gefolgt ist und somit den Abfallrechtsbehörden noch nicht die erforderlichen Sondereingriffsrechte zur Verfügung stellt. Da die vorliegenden Regelungen aus abfallrechtlicher Perspektive nicht befriedigend vollzugsfähig sind, bittet er die Bundesregierung um eine zeitnahe Evaluierung der notwendigen Ergänzungsregelungen. Die in Artikel 31a enthaltene Fünfjahresfrist zur Vorlage des Evaluierungsberichts sollte möglichst weit unterschritten werden. 5. Die nach dem Strahlenschutzgesetz vorgesehene Benennung von öffentlich-rechtlichen Entsorgern nützt nichts, da diese regelmäßig nicht über eigene Möglichkeiten oder Anlagen verfügen, um Abfälle oberhalb des noch festzulegenden Kontaminationsgrenzwertes schadlos zu machen. Im radiologischen Notfall ist aus abfallrechtlicher Sicht vielmehr eine Anordnungs- und Vollstreckungsbefugnis der nach Landesrecht zuständigen Behörden, auch gegenüber Privaten, erforderlich. Diese Rechte müssen notwendigerweise im Gesetz verankert werden, da sie in Rechte Dritter eingreifen (grundgesetzlicher Vorbehalt des Gesetzes). 6. Darüber hinaus ist ebenfalls zu evaluieren, ob für diejenigen Abfälle, die den noch festzulegenden Kontaminationsgrenzwert unterschreiten und für die das Kreislaufwirtschaftsgesetz uneingeschränkt gelten soll, auch Sondereingriffsrechte geschaffen werden sollten. 7. Schließlich bittet der Bundesrat die Bundesregierung, im Rahmen der ausstehenden Evaluation eindeutige Festlegungen, Verfahrenslösungen sowie Entsorgungsmöglichkeiten für die Abfälle zu schaffen, die zu hoch kontaminiert sind, um sie mit weiteren Schutzmaßnahmen in konventionellen Entsorgungseinrichtungen behandeln oder entsorgen zu können. Aus Sicht des Bundesrates würde somit auch die wünschenswerte, klare Abgrenzung zum konventionellen Abfallrecht und seinen Zuständigkeiten gezogen. 8. Die geforderten Ergänzungen, Klarstellungen und Verfahrenslösungen sind nach Auffassung des Bundesrates zwingend, um die gewünschte Vollzugsfähigkeit der Notfallpläne im Bereich des Abfallrechts sicherzustellen. Er erwartet daher, dass die Evaluierung im Sinne eines Monitorings erfolgt, also begleitend zu den Arbeiten an den Notfallplänen. Dabei sind die Experten aller betroffenen Fachbereiche der Länder einzubinden und eine zeitnahe Beseitigung der Regelungslücken durch eine Änderung des Strahlenschutzgesetzes bzw. der anderen Fachgesetze anzustreben. – Gesetz zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen und zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes – … Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat unterstützt das Vorhaben, Deutschland zum weltweiten Leitmarkt für hoch- und vollautomatisierte Fahrsysteme im Straßenverkehr zu entwickeln. Ein verbindlicher rechtlicher Rahmen ist dabei für Hersteller und Verbraucherinnen und Verbraucher unerlässlich. Der Bundesrat hebt hervor, dass mit dem vorliegenden Gesetz nur ein erster Schritt zur rechtssicheren und wirtschaftlichen Nutzung für das hoch- und vollautomatisierte Fahren geschaffen wird. Der Bundesrat begrüßt, dass die für 2019 vorgesehene Evaluierung sich nun auf das gesamte Gesetz beziehen soll. Die Technik in diesem Bereich wird ständig weiterentwickelt. Spätestens im Rahmen der Evaluierung sollten daher insbesondere die folgenden Fragen erneut geprüft und das Gesetz gegebenenfalls angepasst werden: – Verantwortlichkeit des Herstellers für Unfälle während des automatisierten Fahrbetriebs (Haftungsfrage). – Der Einsatz hoch- und vollautomatisierter Fahrsysteme soll einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. Eine Verdopplung der Haftungshöchstgrenze ist daher zu überprüfen. – Zur Schaffung von Rechtssicherheit und Akzeptanz sind die Vorgaben zum bestimmungsgemäßen Gebrauch zu prüfen. Da damit unmittelbare Haftungsfragen verbunden sind, ist zu überprüfen, welche weiteren gesetzlichen Vorgaben gemacht werden sollten. – Bezüglich der Erhebung, Verarbeitung, Nutzung und Löschung der Daten sind die Datenschutzbelange hinreichend zu beachten. – Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher. – Die Ergebnisse der eingesetzten Ethikkommission sind zu berücksichtigen. – Gesetz zur Bevorrechtigung des Carsharing (Carsharinggesetz – CsgG) – Gesetz über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften – Gesetz über das Verfahren für die elektronische Abgabe von Meldungen für Schiffe im Seeverkehr über das Zentrale Meldeportal des Bundes, zur Änderung des IGV-Durchführungsgesetzes und des Seeaufgabengesetzes – Gesetz zur Neuordnung der Eisenbahnunfalluntersuchung – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2016/424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über Seilbahnen und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/9/EG (Seilbahndurchführungsgesetz – SeilbDG) – Zweites Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) – Drittes Gesetz zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes – Gesetz zu dem Abkommen vom 29. August 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – Gesetz zu dem Abkommen vom 26. September 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – Gesetz zu dem Abkommen vom 19. Mai 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa zur Änderung des Abkommens vom 13. März 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte Europa über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland – Gesetz zu dem Abkommen vom 8. Dezember 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Agentur für Flugsicherheit über den Sitz der Europäischen Agentur für Flugsicherheit Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Maritime Agenda 2025 Für die Zukunft des maritimen Wirtschaftsstandorts Deutschland Drucksache 18/10911 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland Drucksache 18/11150 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm 2017 Drucksachen 18/11971, 18/12181 Nr. 1.14 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Unterrichtung der Bundesregierung über die Erfahrungen mit § 7 des Flaggenrechtsgesetzes Drucksachen 18/10679, 18/10924 Nr. 1.4 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 18/11229 Nr. A.1 EP P8_TA-PROV(2016)0512 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/12184 Nr. A.1 EP P8_TA-PROV(2017)0092 Drucksache 18/12184 Nr. A.2 Ratsdokument 7377/17 Innenausschuss Drucksache 18/9881 Nr. A.1 KOM(2016)491 endg. Drucksache 18/10449 Nr. A.4 Ratsdokument 13395/16 Drucksache 18/11484 Nr. A.3 Ratsdokument 5684/17 Drucksache 18/11484 Nr. A.4 Ratsdokument 5775/17 Drucksache 18/11825 Nr. A.1 Ratsdokument 6928/17 Haushaltsausschuss Drucksache 18/11693 Nr. A.8 K(2017)1200 endg. Drucksache 18/11693 Nr. A.9 K(2017)1201 endg. Drucksache 18/11693 Nr. A.10 Ratsdokument 6644/17 Drucksache 18/12184 Nr. A.10 Ratsdokument 7232/17 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/11029 Nr. A.20 Ratsdokument 15642/16 Drucksache 18/11229 Nr. A.22 Ratsdokument 5251/17 Drucksache 18/11229 Nr. A.23 Ratsdokument 5431/17 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/11029 Nr. A.25 Ratsdokument 15418/16 Drucksache 18/11484 Nr. A.25 EP P8_TA-PROV(2017)0018 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 18/10932 Nr. A.28 Ratsdokument 14770/16 Ausschuss für Tourismus Drucksache 18/897 Nr. A.5 Ratsdokument 6872/14 Drucksache 18/897 Nr. A.6 Ratsdokument 6875/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.66 Ratsdokument 12286/14 II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 235. Sitzung, Berlin, Freitag, den 19. Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 235. Sitzung, Berlin, Freitag, den 19. Mai 2017 III Plenarprotokoll 18/235