Parlament Auf dem Weg nach Lissabon: Staffelstabübergabe durch Vizepräsidentin Ziegler
Es schien so, als wolle Francisco Ribeiro de Menezes gar nicht mehr aussteigen. Anlässlich der symbolischen Staffelstabübergabe – Portugal übernimmt ab Januar 2021 von Deutschland den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft – setzte sich der Botschafter Portugals in Deutschland für ein Pressefoto hinter das Steuer des dreirädrigen Infomobils, während Bundestagsvizepräsidentin Dagmar Ziegler das Hinweisschild nach Lissabon hielt. Dann setzte Ribeiro de Menezes das Elektromobil in Bewegung und drehte zur Überraschung aller zwischen Reichstagsgebäude und Jakob-Kaiser-Haus eine Runde, dann noch eine und schließlich eine weitere, ehe er das Gefährt sorgsam parkte und mit strahlender Miene ausstieg. Wer wollte, konnte darin die Bestätigung für eine schon zuvor vom Botschafter gemachte Ankündigung erkennen: Portugal ist fit für die Führungsrolle, Portugal nimmt Fahrt auf.
Botschafter Ribeiro de Menezes: Sind bereit, die Präsidentschaft von Deutschland zu übernehmen
„Wir sind bereit, die Präsidentschaft von Deutschland zu übernehmen“, hatte der Botschafter zuvor deutlich gemacht und dem Bundestag für die Parlamentarische Begleitung der Ratspräsidentschaft in so schwierigen Zeiten gedankt. „Unser Motto für die kommenden sechs Monate spricht für sich: Es ist Zeit zu liefern – für einen fairen, grünen und digitalen Wiederaufbau“, sagte Ribeiro de Menezes. Schwerpunkte seien der Wiederaufbau und die Transformation Europas unter Beachtung der sozialen und ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie. Dabei fänden auch Fragen der Klimapolitik, der Digitalisierung, der Geschlechtergerechtigkeit und der Migration Beachtung.
Letzteres hatte auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in seiner – via Infomobil ausgestrahlten - Videobotschaft an das portugiesische Parlament hervorgehoben. Er freue sich, dass Portugal die im November erstmals einberufene Konferenz zu Fragen von Migration und Asyl fortführen und zudem auch an den im Rahmen der COSAC begonnenen Dialog mit afrikanischen Parlamentariern anknüpfen wolle. Schäuble sagte weiter, die vergangenen sechs Monate hätten gezeigt, dass der Meinungs- und Wissensaustausch auch im Videoformat funktioniere, „und nicht für jedes Treffen aufwändige Dienstreisen notwendig sind“. Ebenso sehr sei aber deutlich geworden, dass persönliche Begegnungen durch nichts zu ersetzen seien. „Deshalb hoffen wir, dass sich die Abgeordneten aus der gesamten EU schon bald wieder persönlich treffen können“, sagte der Bundestagspräsident. Lissabon sei ein guter Ort dafür, befand er.
Ziegler: Persönliche Begegnungen der Bürger sind „Salz in der europäischen Suppe“
Auch Bundestagsvizepräsidentin Ziegler hält persönliche Begegnungen für unersetzbar. Vor allem aber seien die Begegnungen zwischen Bürgerinnen und Bürger der europäischen Staaten „das Salz in der europäischen Suppe“. Umso bedauerlicher sei es gewesen, dass zu Beginn der Krise mit Grenzschließungen und verweigerten Hilfen reagiert worden sei, sagte sie. „Glücklicherweise gelang es den Europäern aber, das Ruder herumzureißen und die Krise so zu bewältigen, wie es von engen Partnern erwartet werden kann und muss.“ Wichtig sei es gewesen, dass sich die Mitgliedstaaten auf eine 750 Milliarden Euro-Hilfe zur Bewältigung der Corona-Folgen hätten verständigen können. Ziegler begrüßte es, dass es unter deutscher Ratspräsidentschaft schlussendlich gelungen sei, den Streit um den europäischen Rechtsstaatsmechanismus beizulegen und den Weg für die Auszahlung der Mittel frei zu machen.
Nun freue sie sich, den Staffelstab an Botschafter Ribeiro de Menezes als Vertreter des portugiesischen Parlamentspräsident Eduardo Ferro Rodrigues weitergeben zu können, sagte die Bundestagsvizepräsidentin. „Wir werden eine gute EU-Ratspräsidentschaft von Portugal erleben“, zeigte sich Ziegler überzeugt.
13 Konferenzen, 50 Stunden Diskussionen und namhafte Gastredner
Mit der Staffelübergabe schließt sich ein Kreis, der am gleichen Ort vor knapp sechs Monaten eröffnet worden ist. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth hatte am 1. Juli 2020 das Infomobil für die Parlamentarische Dimension der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eingeweiht. Dabei hatte die „leidenschaftliche Parlamentarierin“ deutlich gemacht, „dass solch eine Ratspräsidentschaft auch eine wichtige parlamentarische Dimension hat“.
In zwölf Videokonferenzen unter deutschem Vorsitz bzw. Co-Vorsitz mit knapp 1.200 Teilnehmern wurde insgesamt etwa 50 Stunden diskutiert – nicht immer ganz störungsfrei, weil mal das Mikro nicht funktionierte, von den Diskutanten ungern ein Headset genutzt wurde oder auch mal die Internetverbindung zusammenbrach.
Namhaft waren auch die Gastredner auf den Konferenzen. Vorneweg die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die gleich bei mehreren Gelegenheiten mit den Abgeordneten diskutiert hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel zog während der COSAC-TagungAnfang Dezember eine erste Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft. Die deutschen Minister Heiko Maas (Auswärtiges), Peter Altmaier (Wirtschaft), Julia Klöckner (Landwirtschaft) und Olaf Scholz (Finanzen) stellten sich der Diskussion ebenso wie eine Vielzahl von EU-Kommissaren.
Bundestagspräsident Schäuble bietet Hilfe an, „wo immer Sie es benötigen“
Eine Ratspräsidentschaft sei für jedes Parlament eine inhaltliche aber auch eine logistische Herausforderung und sei mit viel Arbeit verbunden, hatte Bundestagspräsident Schäuble in seiner Videobotschaft zutreffend geurteilt. Und zugleich dem portugiesischen Parlament Hilfe und Unterstützung durch Abgeordnete und Mitarbeiter des Bundestages „wo immer Sie es benötigen“ angeboten.
(hau/18.12.2020)