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Europapolitik Stabilitäts- und Wachstumspakt soll reformiert werden

Die Europäische Zentralbank (EZB) wird alles tun, um ihr mittelfristiges Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent zu erreichen. Das machte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel im Rahmen der Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU (SWKS) am Montag, 12. Oktober 2020, deutlich. Im Verlauf der vom deutschen Delegationsleiter bei der SWKS-Konferenz, dem Bundestagsabgeordneten André Berghegger (CDU), moderierten ersten Diskussionsrunde betonte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) als zweiter Gastredner, die EU sei auf dem Weg zu einer Fiskalunion, womit „ein großer Fortschritt für die finanzielle Handlungsfähigkeit und Souveränität“, erreicht werde.

Schnabel verteidigt Anleihen-Ankaufprogramme

EZB-Direktoriumsmitglied Schnabel wollte zwar nicht von einer neuen Partnerschaft zwischen Fiskal- und Geldpolitik sprechen, weil dies der Unabhängigkeit der Zentralbanken widersprechen würde. Gleichwohl gebe es in einem Niedrigzinsumfeld „starke Komplementaritäten zwischen Fiskal- und Geldpolitik, die dazu beitragen können, die Volkswirtschaften des Euroraums aus der gegenwärtigen Falle des Niedrigwachstums und der niedrigen Inflation zu bringen“.

Schnabel verteidigte die Anleihen-Ankaufprogramme der EZB. Derartige Maßnahmen seien notwendig, um die Preisstabilität zu sichern. Zugleich hätten sie umfassende positive Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung im Euroraum gehabt. „Die Geldpolitik ist also nicht machtlos geworden im Angesicht des Rückgangs der Zinsen“, sagte sie. Auch seien die Nebeneffekte dieser Maßnahmen nicht so drastisch, wie sie in der öffentlichen Debatte dargestellt werden. So gibt es laut Schnabel keinen Beleg dafür, „dass der Aufkauf der Staatsschulden die Finanzmärkte unterminiert hat“.

Die historische Entscheidung der europäischen Regierungen, diese Krise mit einer gemeinsamen fiskalpolitischen Antwort anzugehen, sei nicht nur ein starkes Zeichen europäischer Solidarität gewesen, sondern auch ein Beitrag, um die Finanzmärkte zu stabilisieren und die Risiken einer Fragmentierung zu bekämpfen, befand das EZB-Direktoriumsmitglied. Befürchtungen, dass ein Anstieg der Staatsschulden heute die Preisstabilität von morgen gefährden könne, teilt Schnabel nicht. Im Gegenteil: Die bereitgestellten Mittel unterstützten die Preisstabilität und förderten die Unabhängigkeit der Zentralbank, „wenn sie gut verwendet werden“.

Scholz: EU muss eigene Einnahmequellen generieren

Dafür ist aus Sicht von Bundesfinanzminister Scholz Sorge getragen. Durch eine gezielte Investitionsstrategie in Klimaschutz, Energiewende und neue digitale Technologien werde Europa zukunftssicher. Fiskalpolitisch, so Scholz, sei die Richtung klar definiert. Die Mittel für die Finanzhilfen werden von der EU selbst aufgenommen, sie sollen für gezielte Investitionen in Zukunft und Wiederaufbau und nicht zur laufenden Finanzierung nationaler Budgets eingesetzt werden. Mit der Rückzahlung des Geldes soll zeitnah begonnen werden. Außerdem sollen eigene Einnahmequellen für die EU geschaffen werden – Stichwort Emissionshandelserlöse, Plastiksteuer, Digitalsteuer und Finanztransaktionssteuer.

Auf Nachfrage aus dem Kreis der Abgeordneten betonte Scholz, wie wichtig es sei, Investitionen in die Realwirtschaft zu generieren. Investoren suchten sichere Wertpapieranlagen, investierten aber nicht in Bereiche, die die Wirtschaft nachhaltig verändern würden, sagte er. Das Geld in diese Investitionen zu leiten, sei eine wichtige Aufgabe.

Besorgnis über steigendende Immobilienpreise

Schnabel ging auf die geäußerte Besorgnis über steigendende Immobilienpreise ein. Bei den meisten Ländern der Eurozone, so die EZB-Vertreterin sei es so, dass die mittleren Haushalte Immobilien besäßen. Insofern seien damit eher positive Effekte verbunden — und nur geringe negative Effekte wie etwa in Deutschland. Auf die Nachfrage, wann wieder mit einer Normalisierung der Geldpolitik der Zentralbanken, also auch dem Ende der Anleihenkäufe, zu rechnen sei, entgegnete Schnabel, die unkonventionellen Instrumente seien notwendig, um die Inflationsrate mittelfristig zu stützen. Das zukünftige Handeln der EZB hänge von der wirtschaftlichen Entwicklung ab.

Abgeordnete fordern schnellen Abfluss der finanziellen Hilfen

Aus den Reihen der Abgeordneten kam auch die Forderung, für einen schnellen Abfluss der finanziellen Hilfen zu sorgen. Zustimmend äußerte sich Olaf Scholz. Die Mittel für die Investitionsbedarfe müssten während der Krise eingesetzt werden können. Lasse man erkennen, dass das Geld auch zehn Jahre später noch zur Verfügung steht, würden die Mitgliedstaaten langfristig den Geldeinsatz planen. „Wir wollen aber, dass das Geld jetzt eingesetzt wird, um die Zukunft zu erobern“, betonte Scholz. Entsprechende Regelungen seien in den Programmen enthalten.

Berghegger: Expansive Geldpolitik muss temporär bleiben

Aus Sicht des deutschen Delegationsleiters Berghegger ist die expansive Geld- und Fiskalpolitik angemessen. Gleichwohl müsse dies ein temporärer Zustand bleiben. „Wir sollten auf einen ,normaleren‘ Zustand hinarbeiten, auch wenn das noch etwas Zeit und Überlegungen bedarf“, sagte er. Als Haushaltspolitiker empfehle er darauf zu achten, dass hohe Schuldenstände in den Mitgliedstaaten während der Zeiten einer guten wirtschaftlichen Entwicklung wieder zurückgeführt werden. Der EU-Aufbauplan setze einen relevanten fiskalpolitischen Impuls und emittiere beträchtliche Summen an Schuldtiteln. „Das sollte ebenfalls eine temporäre Situation sein.“ Wichtig sei, dass die europäischen Finanzhilfen auch wirkliche Impulse setzen und die Hilfen der Mitgliedstaaten nicht im Gegenzug heruntergefahren werden, worauf die Parlamentarier zu achten hätten, sagte Berghegger.

Forderung nach Reform des Euro-Stabilitätspakts

Über eine Reform des Euro-Stabilitätspakts wurde im zweiten Teil der Sitzung gesprochen. Im März dieses Jahres wurde auf Bestreben der EU-Kommission angesichts der Corona-Pandemie die Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakt aktiviert. Wie lange die Klausel noch greift, ist derzeit nicht abschließend zu beantworten. Dass es jedoch keine Eins-zu-Eins-Rückkehr zu dem alten Regularium geben wird, scheint sicher.

Aus Sicht von Paolo Gentiloni, EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung, braucht es künftig einfachere Regelungen und einen gewissen Grad an Flexibilität. Bei der Debatte über eine Änderung müsse aber klar sein, „dass es eine gemeinsame Regelung braucht“. Klaus Regling, Geschäftsführender Direktor des Eurorettungsschirms ESM, hält eine Reform ebenfalls für nötig. Im Moment sei es notwendig, Klarheit über den Haushaltspfad der Mitgliedstaaten in den nächsten zwei oder drei Jahren zu schaffen. „Gleichzeitig sollten wir anfangen, über den stabilen Zustand nachzudenken und wie wir unsere Haushaltsregeln so gestalten können, dass sie transparent und effektiv sind“, sagte er.

Regling: Maßnahmen im Interesse zukünftiger Generationen

Gentiloni bestätigte auf Nachfrage, dass die Ausweichklausel im Jahr 2021 auf jeden Fall und eventuell auch im Folgejahr aktiviert bleiben solle. Entscheidend werde die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedsaaten sein. ESM-Direktor Regling ließ den Einwand, die geplanten hohen Staatsverschuldungen im Zusammenhang mit den Aufbauhilfen benachteiligten künftige Generationen, nicht gelten. Wären all die fiskalischen Maßnahmen auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene nicht getroffen worden, gäbe es wirkliche Belastungen für die zukünftigen Generationen, weil das Bruttoinlandsprodukt dann noch stärker zurückgehen würde. Es liege also im Interesse der zukünftigen Generationen, dass die europäischen Institutionen und die nationalen Regierung massiv reagiert haben, befand Regling.

Die Forderung aus den Reihen der Abgeordneten, Fehlanreize zu verhindern und das Geld zielgerichtet zu investieren, griff EU-Kommissar Gentiloni auf. Dafür sei ein ganz klarer Rahmen abgesteckt worden mit verpflichtenden Schwellenwerten für die Zielerreichung.

Schuldenaufnahme durch die EU-Kommission

Der Kommissions-Vertreter äußerte sich auch zu der Frage, ob die Schuldenaufnahme durch die EU-Kommission eine einmalige Aktion war. Ja, sagte Gentiloni, dies sei eine einmalige Entscheidung gewesen, gleichwohl habe sie aber auch „die Grundeinstellung in der EU geändert“. Wenn dieses starke fiskalische Instrument funktioniert, so der EU-Kommissar, „wird das auch Konsequenzen zeigen“. ESM-Direktor Regling sagte zu dem Einwand, dass mit solch einer Schuldenaufnahme in das nationale Haushaltsrecht eingegriffen werde: Man sollte die Konflikte zwischen der nationalen und der europäischen Ebene nicht zu stark betonen. Es sei klar gewesen, dass die Mitgliedstaaten mit dem Beitritt zur Währungsunion „ein gewisses Maß an Souveränität abgegeben haben“.

Schnelle Einigung über Mehrjährigen Finanzrahmen gefordert

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat drei große „Mega-Herausforderungen“ ausgemacht, die Europa seiner Ansicht nach gleichzeitig lösen muss: Der wirtschaftliche Aufschwung nach Covid-19, der Prozess der Digitalisierung und die Erreichung von Klimaneutralität bis 2050. Deshalb, so sagte Altmaier während der Konferenz, sei es richtig, auf dem Höhepunkt der Covid-19-Krise einen starken Akzent für alle drei Herausforderungen zu setzen. Nicht zuletzt deshalb, weil es ein gemeinsames Interesse daran gebe, das die wirtschaftliche Entwicklung in allen EU-Mitgliedstaaten vorankommt. Nun brauche es eine möglichst schnelle Einigung zwischen EU-Kommission, Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament über den Mehrjährigen Finanzrahmen.

Der für Wirtschaft zuständige Vizepräsident der EU-Kommission Valdis Dombrovskis sieht in dem Wiederaufbauplan Next Generation EU ebenfalls die Chance, dass alle EU-Staaten aus der Wirtschaftskrise gestärkt hervorgehen. „Wir können in die Resilienz unserer Volkswirtschaften investieren, ebenso wie in eine digitale und grüne Wende“, sagte er. Das verstärkte langfristige EU-Budget und der Wiederaufbauplan sind aus seiner Sicht technisch untrennbar miteinander verbunden und stellen das größte Rettungspaket sowie eine „nie dagewesene Reaktion“ auf die Krise dar. Die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament müssten das Paket nun verabschieden. „Wir hoffen, dass das schnell passiert“, sagte der Kommissions-Vize.

Kritik an fehlender Beteiligung der Parlamente

Aus dem Kreis der Abgeordneten war jedoch die Sorge vor einer verspäteten Umsetzung der Vereinbarung zu vernehmen. Kritik gab es auch daran, dass die Parlamente nicht von Anfang an in den Prozess der Entwicklung der Hilfsmaßnahmen involviert waren. Schließlich seien es die nationalen Parlamente, die dies den Bürgern erklären müssten und die deren Unterstützung benötigten, hieß es. Die Parlamentarier müssten daher das Recht haben, die entsprechenden Verpflichtungen, die die Regierungen eingehen, vorab zu prüfen.

Altmaier, selbst viele Jahre lang Parlamentarier, warb um Verständnis für das Vorgehen. Es sei sehr schwierig gewesen, einen Konsens im Europäischen Rat zu den Wiederaufbauhilfen zu erreichen. Der Vorschlag für den 750 Milliarden Euro Fonds Next Generation EU habe in den Händen der Regierungschefs gelegen. Selbst die Minister der nationalen Regierungen hätten zwar mit Rat zur Seite gestanden, aber keine Entscheidungen für die Mitgliedstaaten treffen können. Daher könne er die nationalen Parlamente nur auffordern, Vorschläge zur Verbesserung zu entwickeln. Sein Ministerium, so der deutsche Wirtschaftsminister, werde berücksichtigen, „was immer möglich ist“.

30 Prozent der Mittel für Kampf gegen den Klimawandel

Was den Kampf gegen den Klimawandel angeht, so sind im Mehrjährigen Finanzrahmen und im Wiederaufbauplan dafür 30 Prozent der Mittel festgeschrieben worden, sagte EU-Kommissions-Vizepräsident Dombrovskis. „Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel und geht noch über den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission, der bei 25 Prozent lag, hinaus“, machte er deutlich. Nun müsse sichergestellt werden, dass die Mitgliedstaaten diese Ziele auch umsetzen. Sie könnten dabei auch über die Zielvorgaben hinausgehen, sagte Dombrovskis.

Altmaier: Keine Tendenz zu Verstaatlichung in der EU

Auf Nachfrage stellte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier klar, dass es in der EU keine Tendenz zur Verstaatlichung gebe. Vielmehr sei man entschlossen, mit der privaten Wirtschaft zusammenzuarbeiten. „In einer sozialen Marktwirtschaft sind Staat und Wirtschaft Partner, vor allem wenn es um Innovationen und Zukunftsaufgaben geht“, sagte er.

Erleichterungen bei Vergaberegelungen schwierig

Altmaier und Dombrovskis äußerten sich auch zu dem Vorschlag, die EU-Vergaberichtlinien zeitweilig zu lockern, um den Mittelabfluss – etwa für energetische Gebäudesanierungen – zu erleichtern. Flexibilität in den Beihilferegelungen sei wichtig, räumte der EU-Vizepräsident ein. Das Beihilferegelwerk gebe den Mitgliedsstaaten bereits eine nie dagewesen Flexibilität, Unternehmen zu stützen. Durch die Ausweichregelung bei den Maastricht-Kriterien sei auch gesichert, dass dem Haushaltsdefizit keine quantitativen Grenzen gesetzt seien, was für Flexibilität sorge, um Unternehmen zu helfen und Arbeitsplätze zu sichern. Eine konkrete Antwort zum Vorschlag einer Lockerung der EU-Vergaberegeln blieb der EU-Vizepräsident allerdings schuldig. Konkreter wurde Altmaier. Es sei gelungen, in Brüssel einige Erleichterungen bei den Vergaberegelungen zu beschließen. Allerdings bleibe das eine sehr herausfordernde Angelegenheit, da es hier keinen Konsens unter den Mitgliedstaaten gebe. (hau/13.10.2020)

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