Befragung der Bundesregierung

Merkel: EU hat mit Ei­ni­gung beim Gipfel Hand­lungs­fähigkeit bewiesen

Ob der Zustand der deutsch-russische Beziehungen, die Diskussion um ein Lieferkettengesetz oder die Ausgabe von FFP2-Masken für Risikogruppen – das Spektrum der Themen war denkbar breit, zu denen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) am Mittwoch, 16. Dezember 2020, in ihrer dritten und letzten Regierungsbefragung in diesem Jahr im Bundestag Stellung nahm. Bevor sie den Abgeordneten im Plenum Rede und Antwort stand, hatte Merkel ihr Eingangsstatement genutzt, um über die Ergebnisse des Europäischen Rates am 10. und 11. Dezember 2020 zum Abschluss der deutschen EU-Ratspräsidentschaft berichtet.

„Steiniger Weg zur Einigung beim Europäischen Rat“

So sei es nach langen Verhandlungen gelungen, sich in Brüssel auf den Mehrjährigen Finanzrahmen bis 2027 und den geplanten Aufbaufonds zur Bekämpfung wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie geeinigt. Erstmals werde es mit dem Konditionalitätsmechanismus eine Verknüpfung von EU-Mitteln mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards geben, so Merkel. Zudem hätten sich die Staats- und Regierungschefs auf ein neues Klimaziel für die Europäische Union geeinigt. Um mindestens 55 Prozent wollen die Staaten ihren Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 reduzieren, verglichen mit dem Wert von 1990, sagte Merkel. Bisher habe dieses Ziel bei minus 40 Prozent gelegen.

Der Weg hin zu dieser Einigung sei „steinig“ gewesen, aber die EU habe letztlich bewiesen, dass sie „handlungsfähig“ sei, so das Fazit der Kanzlerin. Weitere Themen des Treffens seien die Beziehungen zur Türkei, die Partnerschaft mit den USA sowie die andauernden Verhandlungen mit Großbritannien über ein Abkommen für die Zeit nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU gewesen.

AfD fragt nach „Neustart der Beziehungen zu Russland“

Den Blick nach Osten lenkte hingegen Tino Chrupalla: Er wollte von der Kanzlerin wissen, wie die Strategie der Bundesregierung für einen „Neustart der Beziehungen“ mit Russland aussehe.

Merkel erwiderte, sie sehe nicht, dass es eines Neustarts bedürfe: „Wir haben da ein hohes Maß an Kontinuität.“ Dennoch könne man nicht darüber hinwegsehen, dass es „schwerwiegende Ereignisse“ in der Vergangenheit gegeben habe, sagte Merkel mit Blick auf den Anschlag auf den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny oder das Attentat im Kleinen Tiergarten in Berlin.

SPD dringt auf ein Lieferkettengesetz 

Frank Schwabe (SPD) fragte nach der Haltung der Bundeskanzlerin zum geplanten Lieferkettengesetz. CDU/CSU und SPD hätten sich auf ein solche Gesetz für faire Arbeitsbedingungen in der globalen Wirtschaft im Koalitionsvertrag geeinigt. In der Union gebe es aber Widerstände. „Minister Müller ist dafür, Minister Altmaier dagegen. Wird es noch etwas mit dem Gesetz in dieser Legislaturperiode?“, wollte der Sozialdemokrat wissen.

Merkel parierte: „Gute Frage.“ Sie sei für ein solches Gesetz und erkundige sich „nahezu täglich“ nach dem Stand der Verhandlungen. Die Union stehe zu allen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. Doch es gebe eben noch Diskussionen über die Ausgestaltung einzelner Punkte. So sei etwa die Frage einer zusätzlichen zivilrechtlichen Haftung strittig.

FDP kritisiert „chaotische Verhältnisse“ bei Maskenausgabe

Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) verwies auf „chaotische Verhältnisse“ und lange Schlangen vor Apotheken beim Auftakt der Ausgabe von kostenlosen FFP2-Masken und wollte von Merkel wissen, wie sie die „Kommunikation und Vorgehensweise“ der Abgabe bewerte. „Wir wollen doch gerade nicht, dass die über 60-Jährigen extra deswegen rausgehen, sondern zuhause bleiben. Wäre es nicht besser gewesen, die Masken an diese Gruppe zu versenden?“

Merkel räumte ein, dass dies in einem zweiten Schritt im Januar auch geplant sei. Allerdings sei es der Bundesregierung wichtig gewesen, Risikogruppen schnell mit solchen Masken auszustatten. Eine andere Art der Verteilung so kurzfristig noch vor Weihnachten zu organisieren, sei nicht möglich gewesen: „Das war das, was machbar war.“

CDU/CSU fragt nach EU-Finanzrahmen

Katrin Staffler (CDU/CSU) lobte die Einigung auf den mehrjährigen EU-Finanzrahmen. „Das war eine Mammutaufgabe“, so die Abgeordnete. Mit der Einigung sei der Weg frei für eine „innovative, digitale und nachhaltige EU“. Von Merkel wollte Staffler erfahren, wie „zufrieden“ diese mit der „finanziellen Hinterlegung dieser Bereiche“ sei.

Merkel sagte, sie sei froh, dass im deutschen Vorschlag ein großer Teil der Mittel für die Klimafinanzierung verwendet werden solle. 37 Prozent seien gefordert gewesen, Deutschland werde über 40 Prozent ausgeben. Für die Digitalisierung sei ebenfalls ein höherer Betrag vorgesehen. Auch für soziale Folgen der Pandemie gebe es einen Posten, so die Kanzlerin, sowie für spezielle deutsch-französische Projekte in den Bereichen Künstlichen Intelligenz, Mikroelektronik, Cloud-Computing oder der Wasserstoff-Strategie.

Linke fragt nach Vermögensabgabe 

Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) fragte vor dem Hintergrund der Verabschiedung eines „Rekordhaushalts“ für das kommende Jahr, wer denn eigentlich die „Pandemie-Rechnung“ zahlen werde. „Soll es Einschnitte im sozialen Bereich geben oder planen Sie, die Vermögenden und Millionäre stärker heranzuziehen?“, erkundigte sich die Abgeordnete.

Merkel verneinte beides. „Hauptaufgabe“ sei es, für neues Wachstum in der Wirtschaft zu sorgen. Denn darüber ließen sich wieder mehr Einnahmen generieren. Eine Vermögensabgabe werde es mit ihr nicht geben. Auch Einschnitte bei Sozialausgaben seien nicht geplant, stellte Merkel klar.

Grüne fragen nach „Dezember-Hilfen“ für Unternehmen

Anja Hajduk (Bündnis 90/Die Grünen) machte darauf aufmerksam, dass Unternehmen, die ab dem 16. Dezember vom „Zwang zu Betriebsschließungen“ betroffen seien, keine „am Umsatz orientierten Dezemberhilfe“ bekämen – anders als zum Beispiel Gastronomiebetriebe, die bereits seit dem „Lockdown light“ im November geschlossen hätten. Unternehmen wie etwa Friseure, die jetzt dicht machen müssten, könnten „für die gleiche Maßnahme“ nur noch eine „Fixkostenhilfe“ beantragen, monierte Hajduk. „Wie rechtfertigen Sie diese Ungleichbehandlung – und führt diese nicht zu großen Ungerechtigkeiten?“

Merkel antwortete, es gebe sehr unterschiedlich betroffene Unternehmen. Wer aber durch die Einschnitte im Dezember einen „Umsatzeinbruch von mehr als 40 Prozent“ erlebe, habe nach der Überbrückungshilfe III auch Anspruch auf den Mechanismus der November- und Dezemberhilfe. „In dieser Kombination glauben wir, dass wir ein Instrument geschaffen haben, das nachhaltig und gerecht ist.“

Vor Beginn der Regierungsbefragung hatte der Bundestag gegen die Stimmen der AfD-Fraktion die Tagesordnungen für den 16. und 17. Dezember beschlossen, nachdem zuvor zwischen den Fraktionen darüber kein Einvernehmen hergestellt werden konnte. (sas/16.12.2020)

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