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15.10.2019 Arbeit und Soziales — Anhörung — hib 1124/2019

Geteiltes Echo auf Gesetzentwurf

Berlin: (hib/SAS) Ganz unterschiedlich beurteilen Sachverständige die von der Bundesregierung geplanten rechtlichen Regelungen für Menschen mit Behinderungen, mit denen sich der Ausschuss für Arbeit und Soziales in einer öffentlichen Anhörung am Montag befasst hat. Konkret ging es um den Gesetzentwurf zur Änderung des Neunten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX und SGB XII) und anderer Rechtsvorschriften (19/11006). Damit will die Bundesregierung gesetzliche Unklarheiten beseitigen, um den anstehenden Systemwechsel bei den Unterkunftskosten der besonderen Wohnform nach Paragraf 42a des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) vorzubereiten. Dieser Systemwechsel sieht vor, dass ab dem 1. Januar 2020 Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen personenzentriert ausgerichtet werden. Eine Unterscheidung nach ambulanten, teilstationären und stationären Leistungen soll es dann nicht mehr geben.

Behandelt wurden in der Anhörung auch ein Antrag der AfD-Fraktion (19/8557), eine Vorlage der FDP-Fraktion (19/9928), ein Antrag der Fraktion Die Linke (19/11099) sowie drei Anträge von Bündnis 90/Die Grünen (19/10636, 19/5907, 19/8288).

Claudia Scheytt (Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege) und Carsten Mertins (Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe) begrüßten grundsätzlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung, betonten aber hinsichtlich der Umsetzung der Ergebnisse der Arbeitsgruppe Personenorientierung noch „Nachjustierungsbedarf“. So müsse etwa bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenze für die Wohnkosten ebenso nachgebessert werden wie bei der Anspruchsberechtigtengrundlage für das SGB IX, die „nicht alle sozialhilfegedeckten Wohnkosten“ treffe, erklärte Scheytt. Zudem gebe es Klärungsbedarf hinsichtlich der Leistungskontinuität für junge Menschen sowie hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung von Verpflegungsleistungen in besonderen Einrichtungen.

Auch die im Gesetzentwurf vorgesehene neue Regelung zur wohnortabhängigen Bestimmung der angemessenen Wohnkosten hielten beide Experten grundsätzlich für erforderlich, mahnten aber eine weitere Spezifizierung an. Aufgrund unterschiedlicher Mietspiegel müsse die Angemessenheitsgrenze auf den konkreten Wohnort angewendet werden. Mertins drang zudem darauf, die im Änderungsgesetz geplante Regelung zur Vermeidung einer Rentenlücke im Januar 2020 vorzuziehen und möglichst zeitnah umzusetzen. Mehr als 100.000 Menschen seien betroffen und müssten sonst befürchten, im Januar 2020 keine Rente ausgezahlt zu bekommen.

Kathrin Völker (Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen) begrüßte das Vorhaben der Bundesregierung, in ihrem Entwurf klarzustellen, dass für sogenannte andere Leistungsanbieter eine Anrechnungsmöglichkeit von Aufträgen der Arbeitgeber auf die Ausgleichsabgabe-Schuld nicht bestehe. Durch die Anrechenbarkeit von Aufträgen auf die Ausgleichsabgabe sei es Werkstätten überhaupt erst möglich, am Wettbewerb teilzunehmen, begründete Völker. Andere Leistungsanbieter konzentrierten sich auf leistungsstärkere Menschen, weil sie keine Aufnahmeverpflichtung hätten. Daher sei es richtig, dass diese Bevorzugung weiterhin nur für Werkstätten gelte.

Diese Auffassung vertrat auch Silvia Helbig (Deutscher Gewerkschaftsbund): Andere Leistungsanbieter seien nicht vergleichbar mit den Werkstätten für behinderte Menschen. Sie müssten auch nicht die gleichen Auflagen erfüllen und kein Zertifizierungsverfahren durchlaufen, sagte Helbig. Daher sei die Klarstellung im Gesetz „folgerichtig“.

Anders sah dies Anna Robra (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände): Die Arbeitgeberverbände hätten sich in der Vergangenheit stets für die anderen Leistungsanbieter ausgesprochen, weil sie sich von ihnen eine „größere Betriebsnähe“ erhofften. Die „Ungleichbehandlung“ sei nicht „zielführend“, so Robra.

Barbara Heuerding (Bundesverband der evangelischen Behindertenhilfe) wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es bislang überhaupt nur 14 solcher anderer Leistungsanbieter gebe, daher sollten „Restriktionen vermieden werden“.

Ähnlich urteilte auch Jenny Axmann (Bundesvereinigung Lebenshilfe): Andere Leistungsanbieter sollten „mehr Wahlmöglichkeiten durch flexible und arbeitsmarktnahe Angebote“ schaffen. Daher sei nicht ersichtlich, weshalb die Vergünstigung nicht auch für sie gelten solle. Hinsichtlich des Bundesteilhabegesetzes lobte Axmann, die geplanten Änderungen im SGB IX und SGB XII enthielten „wichtige Klarstellungen“ insbesondere bei der Trennung der Leistung und dem Einkommen und Vermögen. Beim Unterhaltsbeitrag brauche es aber noch Änderungen, damit die bisherige Regelung inhaltsgleich fortgeführt werden kann. Die Weiterentwicklung durch das Bundesteilhabegesetzes solle außerdem „aktiv begleitet“ werden, um wenn nötig zügig nachsteuern zu können. Stärker in den Blick müssten darüber hinaus Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf genommen werden. Personenzentrierte Leistungen sollten auch für diesen Personenkreis zugänglich sein.

Claudia Reif (Bundesagentur für Arbeit) konnte in einer von der AfD in ihrem Antrag geforderten Einführung von Bonuszahlungen für Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, „nicht den richtigen Weg“ erkennen, um mehr behinderte Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Die bestehende Ausgleichsabgabe habe bereits eine Anreizfunktion. Auch sei fraglich, ob eine Bonuszahlung in Höhe von 250 Euro monatlich, wie sie die AfD vorschlage, überhaupt einen Effekt habe. Es sei eher mit mehr Bürokratie zu rechnen.

Dem widersprach der Einzelsachverständige Kurt Schreck. Um mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderten zu schaffen, könne es durchaus sinnvoll sein, über Instrumente wie Bonuszahlungen nachzudenken. Er plädierte generell für weniger Sanktionen und mehr Anreize für Unternehmen. Es brauche zudem mehr Information und mehr Beratung für die Betriebe, um vorhandene Vorbehalte gegenüber Menschen mit Behinderungen abzubauen. Auch könne es sinnvoll sein, Unternehmen, die Schwerbehinderte beschäftigen, bei Auftragsvergaben einen Vorteil einzuräumen.

Janina Bessenich (Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie) sprach sich dafür aus, das derzeit evaluierte Budget für Arbeit weiterzuentwickeln. Es sei eigentlich ein „gutes Förderinstrument“. Derzeit wirke es jedoch wie ein „ICE, der fahren sollte, aber nicht so richtig fährt“. Der Grund liege, so Bessenich, in seiner „exklusiven“ Ausrichtung: Es richte sich ausschließlich an Menschen mit Behinderungen, die in einer Werkstatt tätig sind, dort auch ihre Ausbildung abgeschlossen haben und eine dauerhafte Erwerbsminderung aufweisen. Nur für diese Menschen sei dieses Förderinstrument gedacht, eine Verbindung mit anderen Förderinstrumenten leider bislang nicht möglich. Das wäre aber „sehr sinnvoll“. Es fehle außerdem eine ausreichende individuellen Begleitung der Betroffenen am Arbeitsplatz, monierte Bessenich.

Joachim Radatz (BIS Netzwerk für betriebliche Integration und Sozialforschung) plädierte zudem dafür, dass im Rahmen des Budgets für Arbeit die Leistungsträger Menschen mit Behinderung aktiv unterstützen, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Ohne eine solche Unterstützung drohe das Instrument „stumpf“ zu bleiben.

Um politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten, kritisierte Sigrid Arnade (Selbstbestimmt Leben in Deutschland) die wiederholt „viel zu kurzen“ Fristen für Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen und die mangelnde barrierefreie Bereitstellung der Dokumente. Dies erschwere es Menschen mit Behinderungen, sich einzubringen und komme einer „Scheinbeteiligung“ nahe. Hinsichtlich der geplanten gesetzlichen Änderungen appellierte sie, das geplante Angehörigenentlastungsgesetz möglichst zeitnah zu verabschieden. Die Rentenanpassung zum 1. Januar 2020 vorzuziehen, reiche nicht aus. Eine raschere Entlastung der Angehörigen und schnellere Umsetzung der Grundsicherung im Berufsbildungsbereich sei ein „wichtiges Signal“ an die Menschen mit Behinderungen, die darauf schon lange warteten.

Detlef Eckert (Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland) sprach sich in seiner Stellungnahme dafür aus, die Ausgleichsabgabe und Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. Als Steuerungsinstrument sei sie in ihrer gegenwärtigen Höhe wirkungslos, kritisierte Eckert. Die Absenkung habe in der Vergangenheit, anders als erhofft, nicht dazu geführt, dass Unternehmen mehr Menschen mit Behinderung einstellten. Darüber hinaus drang Eckert darauf, die verschiedenen Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene kompatibler zu gestalten und den Übergang von Förderschulen zu erleichtern. Öffentliche Arbeitgeber könnten so etwa eine Auszubildendenquote einführen.

Der in der Behindertenbewegung aktive Ottmar Miles-Paul monierte als Einzelsachverständiger, dass das Bundesteilhabegesetz zwar „spannende Ansätze“ zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention enthalte, beispielsweise die Trennung der Existenzsicherung und der Fachleistung sowie der Personenzentrierung, dass es aber in der Praxis den Menschen nicht wirklich mehr Teilhabe verschaffe. So enthalte das Gesetz „kontraproduktive Regelungen“ wie den Mehrkostenvorbehalt oder das Zwangspooling. Solche Regelungen hätten nichts mit Teilhabe und Selbstbestimmung zu tun, so Miles-Paul.

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