Nachhaltigkeitsziele in Zeiten von Corona
Berlin: (hib/LL) Die Umsetzung nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen ist durch die Corona-Pandemie weltweit stark unter Druck geraten. Vielerorts fehlt es am Nötigsten. Dennoch gelte es, gerade jetzt an den 2015 vereinbarten Zielen als Kompass für eine nachhaltige Erholung und Entwicklung festzuhalten und die Krise für strukturelle Veränderungen zu nutzen, so der Tenor der Diskussion in einem öffentlichen Fachgespräch des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung am Mittwochabend zum Thema „Globaler Kontext der Corona-Pandemie und Sustainable Development Goals“.
Prof. Dr. h.c. Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt, Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., zeichnete ein drastisches Bild der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die SDGs und die Entwicklungszusammenarbeit. „Wir erleben gerade die schwerste soziale und ökonomische Krise im globalen Süden, die wir je gesehen haben.“
Viele der SDGs seien massiv betroffen. Die gesundheitliche Grundversorgung sei in vielen Ländern, in denen es bereits zuvor strukturelle Engpässe gegeben habe, überhaupt nicht mehr gegeben. So verfüge beispielsweise Somalia über nur ein einziges Beatmungsgerät. Die Behandlung anderer Krankheiten sei massiv zurückgefahren worden. „Weil das Geld einfach nicht reicht.“
„Das Recht auf Gesundheit kann so nicht bedient werden.“ In einem von solchen Mängeln bestimmten Kontext könne man natürlich auch keine Pandemie bekämpfen. In Slums Abstand zu halten sei fast unmöglich. Selbst einfachste Vorsorgepraktiken wie Händewaschen stelle dort ein Problem dar.
Von Land zu Land gebe es zwar große Unterschiede, aber dramatisch seien die sozialen und wirtschaftlichen Folgen überall. Die Hälfte der weltweit tätigen Arbeitnehmer sei als Tagelöhner ohne Sozialversicherung beschäftigt und verfüge über keine finanziellen Reserven. Staatliche Rettungsschirme gebe auch nicht in Entwicklungsländern. Es sei eine Katastrophe für diese Menschen, wenn sie wegen der Quarantäne nicht raus gehen dürften, sei es zur Arbeit oder zum Einkaufen. „Das Recht auf gute Arbeit kann so nicht erfüllt werden“, sagte Füllkrug-Weitzel.
Dr. Adriana Neligan, Senior Economist, vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V., plädierte dafür, wirtschaftlichen Wiederaufbau und Nachhaltigkeit nicht als Gegensatz zu begreifen.
Wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit werde mittlerweile auch von den Unternehmen als Wachstumsmotor begriffen und als Chance ergriffen. Klimaschutz sei nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das werde auch den Entwicklungs- und Schwellenländern zugute kommen.
Bei der Annäherung an das Langfrist-Projekt der Klimaneutralität bis 2050 werde sich bei den Investitionen der Unternehmen in den Umwelt- und Klimaschutz durch die Corona-Krise sicher eine statistische Delle ergeben. Die Unternehmen würden aber schon jetzt auf die Entwicklung umwelt- und klimafreundlicher Produkte setzen. „“Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft sind Schlüsselstrategien: Zwölf der 17 SDGs hängen direkt von der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen ab.„, sagte Neligan.
Neligan machte klar, dass die SGDs kein abgeschlossener Katalog sind, sondern beispielsweise um den Aspekt der Digitalisierung erweitert werden müssten. Die Digitalisierung müsse in sämtlichen Bereichen zur Überwindung der Krise und für nachhaltigen Wiederaufbau und Entwicklung genutzt werden - “kommt aber leider in den SDGs nicht vor„. Die Krise werde zu einem “Digitalisierungs-Schub„ führen, den es als Chance zu begreifen und für die Nachhaltigkeit zu nutzen gelte.
Nachhaltigkeit, wie in den sozialen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen beschrieben, sei aber Teil unserer Wirtschaftskultur. Daran müsse man als Kompass auch während und nach der Corona-Krise festhalten. Auch im Konjunkturpaket der Bundesregierung seien “nachhaltige Aspekte ganz stark verankert„.
Und nun habe Deutschland auch noch die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union inne, mit der sie Schwerpunkte beispielsweise bei den Themen Klimaschutz und Digitalisierung setzen und auf diesen Feldern mit Ländern in Europa und darüber hinaus die Entwicklung vorantrieben könne. Unsere globale Verantwortung gebiete es, auch für andere Länder Wege zu finden, ressourcenschonend und energieeffizient zu wirtschaften.