Mehr Selbstbestimmung beim rechtlichen Geschlecht
Berlin: (hib/FLA) Gesetzgeberische Vorstöße zur Ausweitung der Selbstbestimmung beim rechtlichen Geschlecht haben - bei einigen kritischen Anmerkungen - überwiegend die Zustimmung zumindest der juristischen Experten gefunden. Dies ergab eine Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat unter der Sitzungsleitung des stellvertretenden Vorsitzenden von Jochen Haug (AfD). Die Sachverständigen bewerteten zwei Gesetzentwürfe der FDP-Fraktion (19/20048) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/19755) sowie einen Antrag der Fraktion Die Linke (19/17791).
Die Rechtsanwältin Laura Adamietz bescheinigte beiden Gesetzentwürfen, in angemessener, nur in Details abweichender Weise eine diskriminierende Rechtssituation im Personenstandsrecht zu lösen. Sie sorgten für die nötige fachliche Beratung und führten zeitnah zum Übergang vom veralteten Verfahren im Gesundheitssystem zur Regelversorgung. Sie setzte sich - bezogen auf den Antrag - für eine ausführliche Erhebung des Ausmaßes an Zwangssterilisationen und erzwungenen Angleichungsmaßnahmen sowie Zwangsscheidungen ein.
Florian Becker (Universität Kiel) wies darauf hin, dass beliebige und nicht auf einen ernsthaften Wunsch zurückzuführende Personenstandswechsel verhindert werden müssten, ohne jedoch bei der hierfür erforderlichen Normierung der konkreten Voraussetzungen für eine Anpassung des Geschlechtseintrags die Grundrechtsverwirklichung auf sexuelle Selbstbestimmung unzumutbar einzuschränken. Eine Absicherung der Ernsthaftigkeit könne etwa durch das Erfordernis eines medizinisch-psychiatrischen Gutachtens, den Nachweis über die Durchführung einer Pflichtberatung oder durch Wartefristen erfolgen.
Für Alexander Korte (Klinikum der Universität München) schien es nicht ausgeschlossen, dass durch eine ausschließliche Selbstdefinition der eigenen Geschlechtszugehörigkeit einer problematischen Beliebigkeit in der offiziellen geschlechtlichen Zuordnung, mit dann auch verwirrenden gesellschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen, der Weg geebnet werde. So werde die gleichstellungspolitische Perspektive total vernachlässigt. Zudem würden Frauen- und Mädchenrechte nicht berücksichtigt.
Kalle Hümpfner (Bundesverband Trans*) strich heraus, dass es um Grundrechte der Betroffenen gehe, die aktuell nicht ausreichend geschützt seien. Es bestehe gesetzlicher Nachbesserungsbedarf. Bei den beiden Gesetzentwürfen und dem Antrag handele es sich um wegweisende Vorschläge, die zentrale Forderungen des Verbandes aufgriffen. Dazu zählten der selbstbestimmte Geschlechtseintrag, Reformen im Abstammungsrecht, die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und die Entschädigung für Zwangssterilisationen.
Ulrike Lembke (Humboldt Universität zu Berlin) machte mit Blick auf die Verfassung gesetzgeberischen Regelungsbedarf aus. Sie erwähnte die Klarstellung, dass nicht liebgewordene Vorstellungen von angeblich biologisch verifizierbarer Binarität geschützt würden, sondern diejenigen, die bei der Etablierung solcher Geschlechtsordnung marginalisiert, strukturell benachteiligt, ausgegrenzt und gewaltsam unterworfen würden. Das bedinge einige gesetzliche Konkretisierungen des Rechts auf diskriminierungsfreie Anerkennung von Geschlechtsidentitäten und entsprechende Folgeregelungen.
Anna Katharina Mangold (Europa-Universität Flensburg) hob hervor, beide Gesetzentwürfe nähmen die Autonomie der Einzelnen in der Frage der Geschlechtszugehörigkeit ernst und verwirklichten damit eine liberale Geschlechterordnung, wie sie das Bundesverfassungsgericht seit Jahrzehnten eingefordert habe. Es sei aus verfassungsrechtlicher Perspektive in hohem Maße begrüßenswert, dass zwei Gesetzentwürfe vorlägen, die die rechtliche Geschlechtszuordnung ausgehend von der individuellen Selbstbestimmung gestalten wollten - und zwar unabhängig von einer medizinischen Qualifikation, die der rechtlichen Einordnung nachrangig sei.