„Ein Flächenbrand muss unbedingt verhindert werden“
Otto Fricke, der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestags- fraktion, hält es für richtig, dass der Bürgschaftsrahmen für den Euro-Rettungsschirm auf 211 Milliarden Euro ausgedehnt wird. „Sonst würde später möglicherweise ein viel höherer Schaden entstehen“, sagt er in einem am Montag, 12. September 2011, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Es sei Aufgabe der Politik zu verdeutlichen, dass so ein möglicher „Flächenbrand“ verhindert werden könne. Fricke zeigt sich zuversichtlich, dass die Koalition bei der Abstimmung zum Rettungsschirm am 29. September eine eigene Mehrheit hat. Bei den Beratungen des Haushalts 2012 will die FDP die von der Regierung eingeplante Neuverschuldung von 27,2 Milliarden Euro weiter absenken. Dabei will Fricke auch die Subventionen auf den Prüfstand stellen. Das Interview im Wortlaut:
Herr Fricke, in der vergangenen Woche hat sich der Bundestag erstmals mit zwei Themen beschäftigt, die sicherlich weiter kontrovers diskutiert werden: Es ging um den Haushalt 2012 und um die Ertüchtigung des Euro-Rettungsschirms. Halten Sie es für richtig, dass wir in Zukunft für den Rettungsschirm mit mindestens 211 Milliarden Euro bürgen müssen?
Ja, ich halte es für richtig, dass wir jetzt die Möglichkeit schaffen, in begrenztem Rahmen zu bürgen. Sonst würde später möglicherweise ein viel höherer Schaden entstehen, wenn wir jetzt nicht helfen. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass wir zwar Mittel zur Stabilisierung des Euro zur Verfügung stellen werden, damit aber noch nicht entschieden haben, wie und von wem diese Mittel genutzt werden. Das halte ich gerade im Hinblick auf die nicht einfachen aktuellen Zahlen aus Griechenland für richtig.
Diese Summen, die da im Raum stehen, machen den meisten Deutschen Angst. Was muss getan werden, um ihnen diese Angst zum Beispiel vor einer Inflation zu nehmen?
Dass diese Summen Angst machen, ist nachvollziehbar. Es ist aber unsere Aufgabe, die Aufgabe der Politik, deutlich zu machen, dass es zu einem Flächenbrand führen könnte, wenn wir nicht bürgen würden. Davon wäre dann auch unsere eigene Wirtschaft betroffen. Ein Flächenbrand muss unbedingt verhindert werden. Über die Frage der Inflation werden die nächsten Jahre entscheiden, die nicht einfach werden.
Es gibt ja auch in der Koalition Kritiker, denen die ganze Richtung nicht passt. Meinen Sie, dass man die noch bis zur Schlussabstimmung Ende September überzeugen kann?
Man muss bei den Kritikern unterscheiden zwischen denen, die aus ganz grundsätzlichen Erwägungen dagegen sind, und denen, die meinen, als Abgeordnete nicht richtig mitentscheiden zu können. Das Schwierige bei solchen Dingen ist, dass man eine gewisse Zeit braucht, bis man sich neben der normalen täglichen Arbeit eingearbeitet hat.
Bis zur Schlussabstimmung ist noch drei Wochen Zeit. Wird die Koalition eine eigene Mehrheit haben?
Ich bin jedenfalls davon überzeugt. Es wird deutlich werden, dass nicht in Brüsseler oder Berliner Hinterzimmern entschieden wird, sondern im Deutschen Bundestag – im Zweifel vor laufenden Kameras im Plenum. Die größere Transparenz wird am Ende auch dazu führen, dass wir die notwendigen Mehrheiten dann haben.
Wie wollen Sie die Beteiligung des Bundestages sicherstellen, ohne dass der Rettungsschirm unpraktikabel wird?
Die Parlamentsbeteiligung darf kein starres Gitter sein, sondern ein flexibles Netz. Und dann muss man genau gucken, in welchen Fällen das Parlament, in welchen Fällen der Ausschuss entscheidet und was in besonders eilbedürftigen oder besonders vertrauensbedürftigen Fällen gemacht wird. Darüber müssen wir in den nächsten Tagen noch reden. Da gibt es auch schon gute Vorschläge des Bundestagspräsidenten und ein Papier der Koalitions-Haushälter. Wir werden auf jeden Fall eine Lösung finden, die pragmatisch ist, aber gleichzeitig auch transparent.
Was halten Sie von der Gründung eines neuen Super-Europaausschusses?
Wir benötigen keinen Super-Ausschuss. Entscheidend ist die Kompetenz. Man muss dafür sorgen, dass wir Fachleute haben, die die Problematik verstehen und deswegen genau so begründet „Ja“ wie „Nein“ sagen können. Da es sich um das Haushaltsrecht, das Königsrecht des Parlaments, handelt, müssten Haushälter ein wesentliches Wort mitreden. Aber es darf keine Haushälterentscheidung allein sein. Es muss eine Rückkopplung in die Fraktionen und die entsprechenden Gremien stattfinden. Wie das genau aussieht, muss man dann mal sehen.
Zum anderen Thema: Etat 2012. Die Regierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt mit rund 300 Milliarden Euro Ausgaben. Wo sehen Sie noch Änderungsbedarf?
Erst mal haben wir, und das wird oft verkannt, einen Haushaltsentwurf, der dafür sorgt, dass die Neuverschuldung weit unter der Schuldenbremse liegt. Trotzdem wollen wir in den Beratungen der nächsten Wochen versuchen, die Neuverschuldung weiter zu senken. Ich will ausdrücklich sagen: Dafür müssen wir noch an die Subventionen ran. Ich wäre schon damit zufrieden, wenn wir bei jeder Subvention ein Prozent einsparen könnten. Aber wir trauen uns das immer wieder nicht, weil jeder einzelne Empfänger begründen kann, warum seine Subvention gerade gut ist. Das wird noch ein hartes Stück Arbeit. Wir haben sowohl im Bereich Arbeitsmarkt als auch im Bereich sonstiger Sozialausgaben noch erhebliche Veränderungen vor uns, denn die guten Arbeitslosenzahlen haben auch entsprechende Auswirkungen auf die Sozialsysteme. Und ich warne davor, gute Arbeitslosenzahlen zu benutzen, um Leistungen in den Sozialsystemen auszuweiten.
Welche Risiken sehen Sie im Etat?
Wir haben natürlich über das Thema Europa hinaus die Unsicherheit, wie hoch die Einnahmen wirklich ausfallen und wie hoch die Zinszahlungen sein werden. Man muss da sehr defensiv sein und dafür sorgen, dass es eine Reserve gibt. Lieber vorsichtig kalkulieren und sich dann freuen, dass man weit unter der Schuldenbremse ist. Das ist besser als nachzusteuern .
Werden Sie die Schuldenbremse auch zukünftig einhalten können?
Die Schuldenbremse sagt, dass der Bund 2016 eine Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt haben darf. Ich denke, dass wir dieses Ziel schon früher erreichen werden, und ich glaube auch, wie der Finanzminister, dass wir schon 2014 einen ausgeglichenen Staatshaushalt haben werden.
Sie wollen Subventionen abbauen und Ausgaben kürzen. Könnte man nicht auch die Einnahmen erhöhen, indem man Steuern erhöht?
Meine Erfahrungen zuerst als Referent der Bundestagsfraktion seit 1996 und als Abgeordneter seit 2002 sind: Wenn man der Politik mehr Geld gibt, gibt sie es aus. Deshalb sind die vorgesehenen Steueranpassungen im unteren und mittleren Bereich der Einkommen auch ein Hinweis an die Politiker: Ihr könnt nicht mehr ausgeben, ihr könnt nicht zum Beispiel mit einer kalten Progression rechnen, die euch weiter Geld reinspült.
Apropos Steuersenkungen. Zieht Ihr Koalitionspartner da mit?
Ich gehe davon aus, dass die Union das genauso sieht, und Bundesfinanzminister Schäuble hat ja schon bestätigt, dass man im Bereich der sogenannten kalten Progression etwas tun muss. Das ist eine Anpassung. Viele werden dann fragen: Wie hoch ist das Volumen? Für mich ist wichtiger: Was bedeutet es für die Arbeitsplatzchancen des Einzelnen im unteren und mittleren Einkommensbereich? Der FDP geht es vor allem um Steuergerechtigkeit!
Viele Probleme kommen auf Sie zu. Wird die Koalition bis 2013 durchhalten?
Ob es ein Durchhalten ist, weiß ich nicht. Ich sehe das immer so: Wir sind für vier Jahre gewählt, und das ist unser Auftrag. Und nach den vier Jahren wird ein Schlussstrich gezogen. Da wird es manches geben, was nicht so toll war. Aber es wird auch vieles sein, wo man dann merkt: Mensch, das haben die gar nicht schlecht gemacht. Man muss es nur rechtzeitig darstellen, denn sonst passiert das, was der SPD passiert ist, dass sie nämlich mit der Agenda 2010 etwas Gutes gemacht hat, es aber nicht dargestellt hat, weil sie sich intern gestritten hat und nicht den Bürgern die Vorteile klargemacht hat. Da müssen wir noch arbeiten, und wenn wir das „mit nüchterner Leidenschaft zur praktischen Vernunft“, um Helmut Schmidt zu zitieren, hinkriegen, dann hält die Koalition bis 2013 sicher.
(mik)