„Man braucht als Abgeordneter ein dickes Fell“
Der scheidende Bundestagsvizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (FDP) sieht historische Erfolge in der Haushaltspolitik. „Im Zeitraum 2010 bis 2014 haben wir die Bundesausgaben um 8,3 Milliarden Euro gesenkt.“ Das habe noch keine Vorgängerregierung geschafft, sagt Solms in einem am Montag, 9. September 2013, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Das Interview im Wortlaut:
Herr Vizepräsident, der Haushaltsentwurf der jetzigen Regierung für das kommende Jahr war ein Thema der Bundestagsdebatte in der vergangenen Woche. Dieser verschwindet jetzt wieder in der Schublade und ist bestenfalls die Grundlage für einen neuen Entwurf der neuen Regierung. Darüber wird dann der neu gewählte Bundestag erst im kommenden Jahr entscheiden. Ist die Beratung eines absehbar veralteten Entwurfs überhaupt sinnvoll?
Das ist gängige Praxis und durchaus sinnvoll. Turnusmäßig legt das Kabinett jedes Jahr im Frühsommer den Entwurf für das kommende Haushaltsjahr vor. Dieser Entwurf wird dann unmittelbar nach der Sommerpause in den Bundestag eingebracht. Von dieser Praxis wird auch in Wahljahren im Prinzip nicht abgewichen, damit das neu gewählte Parlament dann zügig in die Detailberatungen des Haushaltes einsteigen kann. Ein sehr großer Teil des Haushaltsvolumens ist ohnehin durch gesetzliche Leistungen im Voraus fixiert. Der Teil, der überhaupt zur Disposition steht und politisch strittig beraten wird, ist weitaus kleiner als man so denkt. Die Vergangenheit zeigt, dass selbst bei einem Regierungswechsel der einmal vorgelegte Entwurf keineswegs veraltet, sondern im Wesentlichen die Grundlage für die Detailberatungen bleibt.
Die Bundesausgaben sind in den vier Jahren der schwarz-gelben Koalition fast gleich geblieben. Welchen Anteil hat die FDP daran?
Der Anteil der FDP war ganz entscheidend. Die FDP ist personifizierte Ausgabenbremse dieser Koalition! Der Haushalt 2010 war der erste, den die schwarz-gelbe Koalition zu verantworten hatte. Im Zeitraum 2010 bis 2014 haben wir die Bundesausgaben um 8,3 Milliarden Euro gesenkt. Das ist in jedem Fall ein historischer Erfolg! Das hat noch keine Vorgängerregierung geschafft. Unter Rot-Grün sind die Ausgaben um 13 Milliarden Euro gestiegen, unter der Großen Koalition sogar um 31,3 Milliarden.
Die Opposition wirft der Regierung vor, im Entwurf Risiken zu verschleiern. Sehen Sie das auch so?
Nein. Es können nur solche Risiken berücksichtigt werden, die auch bekannt und quantifizierbar sind. Der vorliegende Haushaltsentwurf orientiert sich an den Grundsätzen der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit. Weder werden Planansätze künstlich verbessert noch werden realitätsferne Hoffnungswerte und Schätzansätze unterstellt, um die Nettokreditaufnahme möglichst niedrig erscheinen zu lassen.
Die Euro-Krise ist noch nicht gelöst. Welche Belastungen kommen dadurch noch auf den Bundesbürger zu?
Sie ist in der Tat noch nicht gelöst. Deutschland versucht alles, damit es nicht zu zusätzlichen Belastungen kommt. Deshalb wurden ja die Rettungspakete geschnürt. Wir sind insgesamt auf einem guten Weg, aber natürlich kann niemand ausschließen, dass auf diesem Weg weitere Schwierigkeiten und Rückschläge auftauchen.
Ab 2015 ist keine Nettokreditaufnahme mehr vorgesehen. Wird der ausgeglichene Haushalt zum Dauerzustand, und werden die Staatsschulden reduziert?
Das ist der Plan. Im Zeitraum 2015 bis 2017 sind Überschüsse in Höhe von insgesamt 15 Milliarden Euro vorgesehen. Wir verfolgen in der Haushaltspolitik einen Dreiklang: Schulden abbauen, Bürger entlasten und Investitionen stärken. Diese drei Ziele müssen gegeneinander abgewogen und in ein gutes Verhältnis gebracht werden.
In der mittelfristigen Finanzplanung fällt auf, dass die Zuschüsse an die Rentenversicherung stark steigen, während zum Beispiel Verkehrsausgaben reduziert werden sollen. Ist es richtig, mehr auf Konsum und weniger auf Investitionen zu setzen?
Es ist richtig, dass die Ausgaben für die Rente in der Haushaltstechnik als Konsum zählen. Diese Ausgaben werden unausweichlich schon aus demografischen Gründen steigen. Außerdem handelt es sich um gesetzlich abgesicherte Leistungen, auf die ein Anspruch besteht. Wenn man aber gleichzeitig das Ausgabenniveau insgesamt deckeln, Schulden abbauen und Steuererhöhungen vermeiden will, dann geht das zulasten anderer Ausgabenbereiche. Deshalb haben die Investitionsausgaben gegenwärtig nicht den Umfang, der eigentlich wünschenswert wäre.
Was bedeutet es, wenn die Zinsen wieder steigen?
Wenn die Zinsen wieder ansteigen, dann werden entweder die Überschüsse sinken oder es werden zusätzliche Einsparungen nötig. In jedem Fall wird es zu einer Neubewertung des Haushaltes und der mittelfristigen Finanzplanung kommen müssen.
Eine Nachfrage zu den Zinsen. Der Finanzminister spart zwischen 2010 und 2014 rund 40 Milliarden Euro Zinskosten im Haushalt. Umgekehrt sind die ersten Lebensversicherungen, die das Geld der Versicherten in deutschen Staatspapieren angelegt haben, in Schwierigkeiten geraten. Wie lange ist es noch möglich, im Zinstal zu bleiben?
Auch wenn die Europäische Zentralbank möglicherweise im Laufe des nächsten Jahres den Leitzins wieder anhebt, gehe ich davon aus, dass das Zinsniveau nicht wieder die früher übliche Höhe erreichen wird. Ich erwarte allenfalls einen maßvollen Anstieg. Ein guter Haushaltspolitiker muss das einkalkulieren. Zusätzliche Lasten für den Bundeshaushalt wird man im Rahmen des allgemein üblichen Haushaltsgebarens bewältigen können. Solange es der deutschen Politik gelingt, das erreichte Niveau an wirtschaftlicher und finanzieller Stabilität zu halten, wird aber das Gefälle im Verhältnis zum Zinsniveau anderer Euro-Ländern bestehen bleiben.
Der 17. Deutsche Bundestag ist in der vergangenen Woche zum letzten Mal zu einer Sitzung zusammengekommen. Viele Abgeordnete scheiden aus. Wie war die Atmosphäre?
Die Atmosphäre der letzen Sitzung war in erster Linie von dem Eintritt in die heiße Phase des Wahlkampfes geprägt. Auch diejenigen Abgeordneten, die bereits wissen, dass sie dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören werden, brachten sich in die Auseinandersetzungen voll mit ein. Für Wehmut oder Abschiedsschmerz blieb da kein Raum.
Sie waren von 1991 bis 1998 Vorsitzender der FDP-Fraktion. Wie ist Ihnen diese Zeit in Erinnerung?
Das war eine spannende, ja aufregende Zeit. In den Jahren nach dem Mauerfall und dem Ende des Kalten Krieges waren wir im Bundestag mit der Gestaltung der deutschen Einheit befasst – und das auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Diese große Herausforderung habe ich damals gern angenommen und bin froh, persönlich an der Verwirklichung der Einheit mitgearbeitet zu haben. Eine wahrhaft historische Chance!
Wie hat sich die politische Arbeit in Berlin seitdem geändert?
Als ich im Jahre 1980 in den Bundestag einzog, gab es in Deutschland ein stabiles Dreiparteiensystem, heute gibt es im Bundestag fünf Fraktionen. Die Anforderungen an die Abgeordneten sind seither komplexer geworden, nicht selten kurzatmiger. Als Beschleuniger wirken hierbei die neuen Kommunikationsmittel und die Tatsache, dass Ereignisse im Augenblick ihres Geschehens über die digitalen Medien weltumspannend verbreitet werden können. Dadurch hat in der Politik, aber auch in den Medien der Druck zugenommen, schnell zu reagieren. Die Möglichkeit, sich über ein aktuelles Ereignis erst einmal detailliert zu informieren, um dann erst zu reagieren, gibt es häufig nicht. Genau das unterscheidet auch Bonn von Berlin. Bonn ist für mich nach wie vor Symbol einer nachdenklicheren, gelasseneren, aber auch etwas behäbigeren Politik. In Berlin dagegen hat sich die mediale Aufmerksamkeit vervielfacht – und das ist in der politischen Arbeit aller Fraktionen deutlich erkennbar.
Seit 1998 sind Sie Vizepräsident des Bundestages. Im Präsidium müssen Sie eng mit Ihren Kollegen aller Fraktionen zusammenarbeiten. Wie klappt das?
Das klappt sehr gut. Das Bundestagspräsidium ist ein Gremium, in dem das Parlament als Ganzes im Vordergrund steht und nicht die einzelnen Fraktionen und deren jeweilige politische Ausrichtung. Gemeinsam mit den Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung kümmern wir uns darum, dass die Arbeit des Parlaments ohne Reibungsverluste funktioniert und ein Stil gewahrt wird, der der Bedeutung des Parlaments als einzigem Träger einer direkten Legitimation gerecht wird.
Was macht für Sie den besonderen Reiz der Arbeit im Parlament aus?
In meiner Tätigkeit als Parlamentarier war mir immer wichtig, einen vernünftigen Beitrag für die Entwicklung unseres Landes und seiner Bewohner zu leisten. Im Bundestag werden genau dafür die Weichen gestellt: Hier werden die Gesetze eingebracht und verabschiedet, die dafür sorgen sollen, dass sich unser Zusammenleben in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen in eine gute Richtung entwickelt, ohne sich dabei schulmeisterlich in die persönliche Belange der Menschen einzumischen.
Würden Sie nach 33 Jahren im Parlament jungen Menschen empfehlen, ein Bundestagsmandat anzustreben?
Ja, absolut! Das würde ich! Aber ich würde ihnen auch sagen, dass es eine inhaltlich äußerst anspruchsvolle Tätigkeit ist und kein „Job“, den man von neun Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags ausübt. Wer Leidenschaft, Disziplin und Frustrationstoleranz mitbringt, eine gute Analysefähigkeit, Fleiß und Menschenkenntnis, der kann es weit bringen. Nicht zu vergessen: Manchmal braucht man als Abgeordneter beziehungsweise als Politiker auch ein dickes Fell. Öffentlichkeit und Medien gehen mit Politikern nicht gerade zimperlich um. (hle/mik/09.09.2013)