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Texte

Laudatio von Stephan Detjen für Günter Bannas

anlässlich der Verleihung des Sonderpreises des Medienpreises Politik 2010 des Deutschen Bundestages am 23. Februar 2011

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
lieber Herr Bannas,

als Beobachter und Akteure der Politik sind wir immer häufiger mit der Frage konfrontiert, wo wir in der heutigen Zeit eigentlich das Politische finden.

Viele der großen Probleme, mit denen unsere Gesellschaft konfrontiert ist, haben eine globale Dimension. Antworten auf drängende Fragen erwarten wir von Naturwissenschaftlern und Ökonomen mindestens ebenso, wie von Politikern. Nationale Verfassungen werden von transnationalen Ordnungen überwölbt. Die digitale Revolution beschleunigt und entgrenzt unsere Kommunikationsmöglichkeiten. Wo findet heute eigentlich die entscheidende Diskussion über das Schicksal des Bundesverteidigungsministers statt? In der aktuellen Stunde des Bundestages? Im Kanzleramt? In den Fernsehtalkshows? Im Plebiszit der Bild-Zeitung? In den Fan-Groups bei facebook?

Viel zu oft gelingt es uns als Journalisten nicht mehr, das Politische in unserer schwer übersichtlichen Gegenwart zu verorten. Keine Talkshow mehr, in der Max Webers Ideal von der Politik als Beruf nicht durch das Gerede von Unberufenen konterkariert wird. Die Eigengesetzlichkeiten des Unterhaltungsgewerbes haben machtvoll von der Politik Besitz ergriffen.

In dieser Zeit ist Günter Bannas ein Journalist, der uns immer wieder an den ursprünglichen Ort des Politischen in der Demokratie zurückführt: in den parlamentarischen Raum mit seinen großartigen Bühnen und verwinkelten Kulissen, hinter denen er mit unvergleichlicher Präzision aufspürt, was Politik in ihrem Kern ausmacht: den Diskurs, in dem Argumente formuliert, ausgetauscht, organisiert, instrumentalisiert, gegeneinander in Stellung gebracht werden.

Die Berliner Sozialwissenschaftlerin Nina Verheyen hat das lustvolle Ringen um das bessere Argument in einem vor kurzem erschienenen Buch unter dem Titel „Diskussionslust“ als kulturhistorisches Phänomen der Bonner Republik historisiert.  Dort, im Bonn der späten siebziger und frühen achtziger Jahre begann Günter Bannas seine journalistische Laufbahn. Zuvor hatte er einige Zeit als freier Mitarbeiter beim Deutschlandfunk gearbeitet. Den damaligen Leiter der  Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks, Hanns Gorschenek, nennt er als eines seiner journalistischen Vorbilder. Als junger Parlamentskorrespondent der FAZ, für knapp zwei Jahre auch als Leiter des Parlamentsbüros der Süddeutschen Zeitung, beobachtete Bannas insbesondere die Grünen und ihre Metamorphose von der Protestbewegung zur Regierungspartei. Seine Notizbücher aus diesen Jahren warten darauf, dass ein Historiker sie als einzigartige Quelle erschließt. Er hat sie dem Archiv der Heinrich Böll Stiftung anvertraut. Und gleichzeitig beweist er bis heute mit jedem seiner Artikel, dass die Konzentration auf das politische Argument sowie das genaue Nachzeichnen von politischen Begründungsmustern nicht nur Stoff für Historiker ist, sondern  unverändert der Schlüssel zum Verständnis von Politik.

Es ist nicht verwunderlich, dass Bannas die Veränderungen der politischen Kommunikation, die mit dem Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin einhergingen, hoch sensibel und kritisch registriert hat.

„Die Wirklichkeit verschwindet im Schein, je mehr die Politik sich öffentlich präsentiert.“

schreibt Bannas im April 2004.

Nur selten scheint in den Texten Bannas' so etwas wie Wehmut auf, wenn er auf die Bonner Zeiten zurückblickt. Wenn allerdings die Rede auf das Rauchen kommt, wird er ungewöhnlich explizit:

„Was waren das für Zeiten, ehe die Bindings und Bätzings die Macht in der Republik übernahmen.“

„Trostlos“ findet Bannas heute den Glaskasten vor dem Marie Elisabeth Lüders Haus, in dem den Rauchern der letzte Rest am Suchtvergnügen ausgetrieben wird:

„Schlimm“, urteilt er. „Scheint die Sonne, wird der Raucher gegrillt. Ist es kalt, hat er zu frieren. Regnet es, wird er nass. Nichts wie weg.“ Und Bannas bricht eine Lanze für die derart Ausgegrenzten: „Sind die Raucher ausgestorben?“ fragt er - und antwortet sich selbst: „Nein. Aber sie gehen klamm und geduckt durch Berlin. Sie tun es heimlich. Ihnen gebührt Persönlichkeitsschutz.“

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda hat einmal in einem Aufsatz in der Zeitschrift für Rechtspolitik versucht, in streng wissenschaftlichem Duktus nachzuweisen, warum das Bundesverfassungsgericht bessere Entscheidungen traf, als in den Beratungszimmern der beiden Senate noch ganz selbstverständlich geraucht wurde.  So weit, zu behaupten, die Gesetze des Bundestages seien besser gewesen, als auf den Fluren des Bundestages ebenso ungehemmt gequalmt wurde, wie bei Werner Höfers politischem Frühschoppen, würde Bannas wohl nicht gehen. Steile Thesen und effekthascherische Pointen hat er nicht nötig.

In der „nervösen Zone“ , dem politischen Betrieb der selbsternannten „Alpha-Journalisten“  und bi- oder trimedialen Selbstvermarkter ist Bannas ein Antipode. Er ist der Uhrmacher in einem Metier, in dem die publizistische Dampframme zum Taktgeber wurde, ein Kammermusiker in einem Ensemble, in dem die Blechbläser den Ton angeben.

Seine Kunst ist die Rekonstruktion von politischen Diskursen. Verschachtelte Diskussionsverläufe werden in den Artikeln Bannas'- häufig über Jahrzehnte hinweg - akribisch nachgezeichnet. Wer hat wann ganz genau was und zu wem gesagt? Wenn Bannas die Genese von Gesetzen, bedeutenden Reden oder die Ursachen des Aufstiegs und Falls von Politikern beschreibt, gewinnt der Leser Einblicke von ungeahnter Tiefenschärfe.

Ganz offenkundig hat Bannas ein ungewöhnliches  Talent, sich seine Quellen dafür zu erschließen. Ein ehemaliger Regierungssprecher (heute ein führender Repräsentant des öffentlich rechtlichen Rundfunks) erinnert sich, wie er von vielen seiner journalistischen Gesprächspartner sogleich mit deren eigenen Thesen bestürmt wurde. Wenn man dagegen mit Bannas telefonierte, so erinnert er sich, „sprach man und sprach und am anderen Ende der Leitung kam immer wieder nur ein tastendes 'hm' oder 'ja' oder 'aha'“.

Mit der Gabe, geduldig zuzuhören, genau zu beobachten und das Wichtige vom Auffälligen zu unterscheiden hat sich Günter Bannas seinen unermesslichen Schatz an Erfahrungswissen erarbeitet. Ein erheblicher Teil davon ist in seinen Notizbüchern und inzwischen auch in digitalen Dokumenten abgespeichert.  Manche Geschichten reifen im Bannas'schen Archiv wie guter Rotwein in Fässern.

Zehn Jahre nach dem legendären SPD Parteitag von 1995 rekonstruiert Bannas in der FAZ die Geschichte vom Sturz Rudolf Scharpings im Mannheimer Kongresszentrum am Rosengarten, „auf einem Parteitag, dessen Dramatik und Dramaturgie einzigartig, unvergesslich sind.“

Die Ereignisse sind Stoff für die Veteranenerzählungen politischer Journalisten, die damals dabei waren. Günter Bannas macht daraus eine ebenso vielschichtige wie erkenntnisreiche Schicksalserzählung. Ineinander verknotete Lebenswege, Stationen politischer Karrieren, Reisebeobachtungen des Autors führen in dem Text immer wieder auf die Ereignisse des Mannheimer Parteitages zu. Die Dramatik verdichtet sich auf dem Höhepunkt zu einem Stakkato von Zitaten aus den Bannas'schen Notizblöcken:

„Notizen in einem alten Block. Herta Däubler-Gmelin: Wenn er will, soll er; hier ist der Ort der Wahl. Rudolf Dreßler: Wer so redet, muß springen. Schröder: Wußte nichts vom Auftritt. Lafontaine muß springen, sonst macht er sich selbst kaputt. Heidemarie Wieczorek-Zeul: Arbeitsteilung! Rau muß es sagen. Beck: Die spielen mit unserem Laden. Lafontaine zu Schröder: Ich mach es. Schröder zu Lafontaine: Mir ist es recht. Frager zu Lafontaine: Kandidieren Sie? Lafontaine zum Frager: Fragen Sie doch im Saal. Eichel sagt: Scharping wird Lafontaine zur Kandidatur auffordern.“

In einem anderen Artikel zeichnet Bannas zehn Jahre nach dem Rücktritt Oskar Lafontaines von seinen Partei- und Ministerämtern die Geschichte des Bruches zwischen den beiden Männern an der Spitze von SPD und Regierung nach.  Auch hier eröffnet sich für den Leser der unmittelbare Einblick in Bannas' Archiv:

„Lafontaine - nach Gesprächsnotizen jener Wochen der Entscheidung: 'Ich kann das Amt des Bundeskanzlers besser ausfüllen.' Und: 'Ich bin auch der bessere Fachmann.' Immerhin: 'Er gibt sich wirklich Mühe.' Aber: 'Schröder ist kein Teamspieler.' Noch ein Aber: 'Niedersachsen zu gewinnen, reicht nicht.' Andererseits: 'Ich will den Konsens mit Schröder.'“

Bannas Leser sind so dicht am politischen Geschehen wie die Leser von Bob Woodwards erstaunlichen Insider-Chroniken aus dem Weißen Haus. Der FAZ-Korrespondent kommt jedoch ohne die bildhaften Ausschmückungen aus, die Woodward immer wieder bemüht. Wir erfahren in seinen Text nie, wer was trug, wessen Hemdsärmel hochgekrämpelt waren, welche Frisur an welcher Stelle verrutscht war. Den iconic turn, die Hinwendung zur Übermacht des Visuellen, hat Bannas in seinem Schreiben nicht nachvollzogen. Allenfalls verrät er  zuweilen, welche Speisen bei einer nächtlichen Runde im Kanzleramt serviert wurden oder welche Weine dazu beitrugen, die Diskussionslust einer hinter verschlossenen Türen tagenden Runde zu steigern.

Günter Bannas' Sprache ist dabei frei von Manierismen. Mit leichter Hand zeichnet er verschachtelte Chronologien nach. Er ist der Meister des Imperfekts, Perfekts und Plusquamperfekts.

Der Schriftsteller Rainald Goetz hat einmal versucht, den politischen Betrieb mit den sprachlichen Mitteln des Romanciers zu erfassen. Goetz kapitulierte, weil er feststellen musste: „Es gibt den optimalen Text zu diesen Dingen schon“.  Der studierte Mediziner und Schriftsteller, der sich in den achtziger Jahren einen Namen machte, als er sich beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt mit einer Rasierklinge die Stirn aufschlitzte, war im Berliner Parlamentsbetrieb auf Günter Bannas gestoßen und fand in einem Interview des Zeit-Magzins, geradezu perplex: „Der ist unglaublich. (…) Seine beschreibende Analyse des politischen Betriebs (…) ist unerreichbar. Da kommt man als Literat mit diesem komischen Nervositätssensibilismus überhaupt gar nicht mit.“

Gelegentlich, wenn auch selten, überschreitet auch Günter Bannas die Grenzen seines Ressorts und bereichert das Feuilleton seiner Zeitung. Dann erschließen sich rare Einblicke in das private Leben des politischen Journalisten. Im Vorweihnachts-Feuilleton des Jahres 2003 gibt Bannas preis, auf welch wundersame und beneidenswerte Weise es ihm  immer wieder gelingt sich „frei von den Zwängen und Schlägen der Wirklichkeit (…) von der Realität (zu) lösen“ und ihr eine „neue Gestalt“ zu geben: als Modellbauer.  Vordergründig ist der Text eine Eloge auf Hersteller von Papp-Bastelbögen, mit deren Hilfe Bannas in mühevoller Kleinarbeit Ozeandampfer und andere Schiffe orginalgetreu nachbaut. Wer den Text liest und Bannas als politischen Journalisten kennt, entdeckt mit Erstaunen die Parallelen zwischen der kunstvollen Bearbeitung von Kartonbögen mit Schere, Schnittmesser und Klebstoff sowie dem sprachlichen Sezieren und Nachbilden politischer Prozesse. „Sammeln, sichten, werten“. Mit diesen drei Begriffen umschreibt der Modellbauer Bannas die handwerkliche Essenz seines Hobbys. Sie treffen in gleicher Weise den Kern seines journalistischen Verfahrens: „Sammeln, sichten, werten.“

Betrachtungen Bannas' wie die über die Kunst des Modellbaus oder liebevolle Erinnerungen an das Kölner Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, an dem er 1971 das Abitur machte, sind im Zusammenhang seines Gesamtwerkes so etwas wie die obiter dicta in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts: Anmerkungen, die nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidung gehören. Und dennoch verdienen gerade die obiter dicta der Richter häufig besondere Aufmerksamkeit, so wie die journalistischen obiter dicta Günter Bannas' in der FAZ.

Zu den Texten, die uns in der Jury des Medienpreises in diesem Jahr vorlagen, gehörte ein solcher Text. „Stütze der Republik“ ist der Titel über dem Portrait von Osvaldo Cempellin, dem unter dem Rufnamen „Ossi“ legendären Barkeeper im Bonner Bundeshaus und dann in der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin.  Der Artikel erschien am letzten Arbeitstag Cempellins, dem 8. Juli 2010. „Er war eine Institution“, schreibt Bannas. „Er hat zu den Stützen der Republik gehört, zu den Trägern des Politischen Systems, zu den wenigen Konstanten der Bundesrepublik Deutschland“. Cempellin wollte für den Abschiedsartikel in der FAZ nicht photographiert werden. Und natürlich verzichtet auch Bannas darauf, uns den Barmann über dessen Äußeres nahe zu bringen. Mit knappen Worten wird ein Lebenslauf skizziert. Auch Enthüllungen dürfen die Leser nicht erwarten. Keine Namen. Die Diskretion, mit der Ossi seine Bar als parlamentarische Schutz- und Rückzugszone erhielt, bleibt auch bei Bannas gewahrt:

„Er hat zugehört, wenn die Leute wollten, dass er zuhörte. Er hat weggehört, wenn er merkte, es sei angebracht. Er hat auch geholfen, gar getröstet, wenn und soweit er wollte.“

Am Ende des Artikels haben wir nicht nur einen Menschen und seine Bedeutung für Generationen von Parlamentariern kennen gelernt. Bannas hat uns - wider einmal - einen Ort des Politischen erschlossen. Niemand anderes hätte das auf diese Weise vermocht.

Der Text über den Barkeeper des Bundestages hätte auch als Einzelbeitrag den Medienpreis des Bundestages verdient. Die Jury aber war sich einig, dass wir damit den Journalisten Günter Bannas nicht angemessen gewürdigt hätten. Im Vertrauen auf die Ihnen eigene Bescheidenheit, lieber Herr Bannas, haben wir Sie gebeten, den nicht dotierten Preis für ihr Gesamtschaffen anzunehmen. Ich danke Ihnen im Namen der Jury dafür, dass Sie es heute Abend tun.

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