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1. Untersuchungsausschuss

Ex-Behördenchef verteidigt Verfassungsschutzamt

Helmut Roewer

(DBT/Melde)

Alle Informationen des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) über das im Januar 1998 abgetauchte Jenaer Trio, aus dem später der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) wurde, sind an die Polizei geflossen: Dies betonte am Donnerstag, 21. Februar 2013, zum Auftakt seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss, der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem NSU zugerechneten Mordserie durchleuchten soll, der zwischen 1994 und 2000 amtierende Behördenchef Dr. Helmut Roewer.

Roewer: Polizeieinheit suchte nach dem Trio

Der 63-Jährige wies darauf hin, dass die vom LfV gesammelten Erkenntnisse im Januar 1998 zur Entdeckung der Bombenwerkstatt der Gruppe in einer Jenaer Garage durch das Landeskriminalamt (LKA) geführt hätten. Auch bei der nach dem Untertauchen der Zelle von seiner Behörde eingeleiteten Suche nach dem Aufenthaltsort des Trios sei die Polizei umfassend über das Wissen des LfV unterrichtet worden. Zu diesem Zweck sei eigens eine Polizeieinheit in seinem Amt installiert worden, sagte der Zeuge.

Fast wöchentlich habe er sich wegen dieses Falls mit LKA-Präsident Egon Luthardt getroffen. Mehrfach habe die Suche des LfV nach den drei Abgetauchten in deren Nähe geführt, erklärte Roewer. Das Misslingen eines Zugriffs sei nach den Erkenntnissen seiner Behörde nicht auf „Absicht“ zurückzuführen, diese „frohe Botschaft“ könne er aber nur für die Dauer seiner Amtszeit aufrechterhalten.

„Kein Jota Laxheit“

Der Zeuge erklärte, dass viele Informationen aus der Polizei nach außen gelangt seien – etwa an die Medien. Auf die kritische Frage des Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD), ob im LfV der Rechtsextremismus mit Nachdruck bearbeitet worden sei, sagte Roewer, bei diesem Thema habe er „kein Jota Laxheit“ geduldet.

Scharfe Kritik an der Informationspraxis des Erfurter Geheimdiensts gegenüber dem LKA und generell an der mangelnden Zusammenarbeit zwischen den Thüringer Sicherheitsbehörden haben vor Roewers Anhörung die Sprecher der Fraktionen bei der Befragung des ehemaligen LfV-Vizechefs Peter Jörg Nocken geübt. Man habe nicht zusammengearbeitet, ja sogar „gemauert“, monierte Wolfgang Wieland, der ein „Trauerspiel“ ausmachte. Der Grünen-Obmann verwies darauf, das Luthardt mit der Begründung, er sei „nicht verkalkt“, bestritten habe, von Nocken entgegen dessen Darstellung mündlich erfahren zu haben, dass das LfV aufgrund einer Unterrichtung durch den Brandenburger Geheimdienst von den Plänen des untergetauchten Trios zur Waffen- und Geldbeschaffung wisse.

„Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Sicherheitsbehörden“

Sebastian Edathy (SPD) nannte es zwar nicht belegbar, aber „sehr plausibel“, dass Nocken „gelogen hat“: Warum, fragte der SPD-Politiker, hätte Luthardt diese wichtige Erkenntnis nicht an die mit der Suche nach der Zelle beauftragten Zielfahnder weiterleiten sollen, die über die Waffensuche der Gruppe nie informiert wurden? Der SPD-Abgeordnete Sönke Rix kritisierte das „Schwarze-Peter-Spiel“ zwischen den Sicherheitsbehörden, das dazu beigetragen habe, das Jenaer Trio nicht schon frühzeitig aufzuspüren.

Als „unerträglichen Zustand“ beklagte der FDP-Parlamentarier Patrick Kurth die laut Nocken gängige Geheimdienstpraxis, wonach der Schutz von Quellen Vorrang vor der Strafverfolgung genießt und im Falle einer drohenden Enttarnung von V-Leuten Erkenntnisse gegenüber der Polizei auch schon mal zurückgehalten werden.

„System der V-Leute ad absurdum geführt“

Jens Petermann (Die Linke) äußerte den Verdacht, der vom Thüringer Geheimdienst lange Zeit als Spitzel geführte Tino Brandt, eine Führungsfigur des rechtsextremen „Thüringer Heimatschutzes“, könne sogar vom LfV vor polizeilichen Durchsuchungen gewarnt worden sein. Aus Sicht von CDU/CSU-Obmann Clemens Binninger wird das System der V-Leute ad absurdum geführt, wenn deren Informationen wegen des Quellenschutzes vom Geheimdienst nicht an die Polizei übermittelt werden. Der Vorrang des Quellenschutzes dürfe nicht absolut gelten.

Laut Nocken war das LfV während der Suche nach der Jenaer Zelle gegenüber der Polizei in einem Maße offen, wie dies ein Verfassungsschutz noch nie getan habe. Der Ex-Vizepräsident wies die Kritik des LKA-Zielfahnders Sven Wunderlich entschieden zurück, das LfV habe seine schützende Hand über die drei Abgetauchten gehalten.

„200.000 Mark für sich selbst ausgegeben“

Der Zeuge wandte sich auch gegen den Vorwurf, seine Behörde habe den V-Mann Tino Brandt vor Durchsuchungen der Polizei gewarnt. Nocken betonte zudem, Brandt habe die rund 200.000 Mark, die er bis 2001 vom Geheimdienst erhielt, für sich selbst ausgegeben: Dessen Aussage, er habe das Geld vor allem in die rechtsextreme Szene gesteckt, sei nicht glaubwürdig.

Kurth wies indes darauf hin, dass Brandt immer dann viele Demonstrationen und andere Aktionen organisiert habe, wenn er vom LfV als Informant bezahlt worden sei – nicht aber in einer Phase, als er vorübergehend als V-Mann abgeschaltet war. Nocken sagte, ihm sei nicht bekannt, dass seine Behörde Brandts Anwaltskosten finanziert habe. Edathy konfrontierte ihn indes mit der Rechnung eines Anwalts in LfV-Unterlagen. Das könne er sich nicht erklären, sagte der Zeuge.

„Viele wundersame Ereignisse“

„Mir kamen damals viele Dinge sehr merkwürdig vor“: Mit diesen Worten kritisierte in der Sitzung am Freitag, 22. Februar, Jürgen Dressler das Verhalten des LfV gegenüber dem LKA bei der Suche nach den „Bombenbastlern“, die Anfang 1998 in Jena untertauchten und dann später zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) wurden. Zum Auftakt der Zeugenvernehmungen beklagte sich der einstige Leiter der Ermittlungsgruppe Terrorismus/Extremismus beim LKA vor dem Untersuchungsausschuss besonders über die Geheimhaltungspolitik des Geheimdiensts, der auf diese Weise die Arbeit der Polizei verzögert und behindert habe. Dieses Vorgehen des LfV habe sich eingereiht in „viele wundersame Ereignisse“.

Dressler rief in Erinnerung, dass nach dem Fund von drei Bombenattrappen Ende 1997, unter denen sich eine mit Sprengstoff befand, der Verdacht vor allem auf Uwe Böhnhardt fiel, der später mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe den NSU bildete. Da das LKA statt der erwünschten vierwöchigen Observation Böhnhardts mangels personeller Kapazitäten nur eine dreitägige Beobachtung habe bewerkstelligen können, habe diese Aufgabe auf seine Initiative hin im November 1997 der Geheimdienst übernommen.

„Nocken bestand auf Geheimhaltung“

Es habe ihn „sehr erstaunt“, sagte Dressler, dass ihn das LfV schon nach zwei Wochen telefonisch unterrichtete, als Ort zum Bombenbau kämen möglicherweise drei von Böhnhardt und Zschäpe angemietete Garagen in Jena in Betracht. Nach Dresslers Angaben blieb unklar, wie sich der Geheimdienst in so kurzer Zeit diese Information beschaffen konnte, und dies anscheinend ohne personelle Observation. Da er einen Antrag auf Durchsuchung der Garagen gegenüber der Staatsanwaltschaft habe begründen müssen, habe er nach mehrmaligem Nachhaken vom LfV im Januar 1998 schließlich eine schriftliche Auskunft erhalten, die jedoch als geheim eingestuft und deshalb gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht verwendbar gewesen sei.

Auch in einem persönlichen Gespräch habe LfV-Vizechef Peter Jörg Nocken auf Geheimhaltung bestanden, kritisierte Dressler. Er habe den Antrag auf Durchsuchung, in deren von der Polizei schlecht organisiertem Verlauf Böhnhardt verschwinden und dann mit Mundlos und Zschäpe abtauchen konnte, dann „anders verpackt“. CDU/CSU-Obmann Clemens Binninger äußerte die Vermutung, der Nachrichtendienst könne den Hinweis auf die Garagen von einem V-Mann erhalten haben, was das Geheimhaltungsinteresse erklären könne.

„LfV war offenbar parallel zur Polizei tätig“

Zu den „Merkwürdigkeiten“ zählte Dressler auch, dass bei der Suche nach der untergetauchten Gruppe Informationen des LfV oft sehr spät zum LKA gelangt seien und dass der Geheimdienst offenbar parallel zur Polizei tätig gewesen sei. Zudem habe ihm der mit der Suche nach dem Trio beauftragte Zielfahnder Sven Wunderlich mitgeteilt, dass der Vater von Mundlos davon ausgehe, einer aus dieser Zelle sei eine Quelle des LfV.

Wunderlich habe sich auch beklagt, im Zusammenhang mit geplanten Zugriffen auf die Gruppe komme er immer zu spät. Überdies habe LKA-Präsident Egon Luthardt zu Wunderlich gesagt, er werde das Trio niemals finden, da es unter staatlichem Schutz stehe, erklärte Dressler.

Liste mit zahlreichen Kontaktadressen

Mehrere Abgeordnete kritisierten, dass eine bei der Durchsuchung der Garagen entdeckte Liste mit zahlreichen Kontaktadressen aus der rechtsextremen Szene, die Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zum Abtauchen hätten nutzen können, Ende der neunziger Jahre nie bei der LKA-Zielfahndung angekommen sei, für die diese Liste ein hervorragendes Instrument gewesen wäre. „Ich habe dafür keine Erklärung“, gab Dressler an, er könne sich an diesen Vorgang nicht mehr erinnern.

Er wollte indes nicht ausschließen, die Liste vielleicht deswegen nicht an Wunderlich übermittelt zu haben, weil nach Meinung zweier Beamter des Bundeskriminalamts diese Adressen als Beweismittel im Rahmen der gegen das Jenaer Trio laufenden Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bombenbau ohne Bedeutung seien. Aber auch aus Sicht des Zeugen wäre die Liste für die Fahndung nach der Gruppe natürlich von Belang gewesen. (kos/22.02.2013)

Liste der geladenen Zeugen

Donnerstag, 21. Februar

Dr. Helmut Roewer, Präsident des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz a.D.
Peter Jörg Nocken, Vizepräsident des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz a.D.
Friedrich Karl Schrader
Mike Baumbach

Freitag, 22. Februar

Jürgen Dressler, Erster Kriminalhauptkommissar
Michael Brümmendorf, Kriminalhauptkommissar
Christiane Beischer-Sacher, Kriminalhauptkommissarin

 

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