Kultur und Geschichte

Aus­stellung mit Fotogrammen von Floris Neusüss eröffnet

Ein Männer und ein Frauenkopf im Profil, voneinander abgewandt, dunkel vor weißem Hintergrund

Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt mit dem Künstler Floris Neusüss im Schadowhaus des Bundestages (DBT/Meldes)

Die Ausstellung „Ferner Zeiten Schatten“, die Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt (SPD) am Mittwoch, 21. Juni 2017, im Schadow-Haus des Bundestages in Berlin-Mitte eröffnet hat, zeigt sogenannte Fotogramme des Künstlers Floris Neusüss, eine Form der Bildgestaltung, die ihre Wurzeln in der Frühzeit der Fotografie hat. Dr. Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages, gab eine Einführung in die Ausstellung und erklärte die Besonderheiten der von Neusüss angewendeten Technik. Ein Fotogramm entsteht ohne Kamera: Der abgebildete Gegenstand wird zwischen eine Lichtquelle und Fotopapier gebracht. Während der Belichtung entsteht auf dem Fotopapier ein weißer Schatten, da das Papier an dieser Stelle kaum belichtet wird, der Hintergrund hingegen wird stark belichtet und färbt sich schwarz. Beide Sphären sind dabei nicht scharf voneinander getrennt, an den Rändern kommt es zu Überblendeffekten.

Neusüss hat Skulpturen am Reichstag „fotogrammiert“

„Ferner Zeiten Schatten“ ist der Titel einer Installation, die Neusüss für das Reichstagsgebäude in der Fotogramm-Technik geschaffen hat. In der Arbeit aus dem Jahr 2012 hat der Künstler Skulpturen von der Fassade der Ecktürme des Reichstagsgebäudes, die verschiedene Aspekte des Gemeinwesens aus Staat, Wirtschaft, Gesellschaft zeigen, in einem Fries angeordnet, der in der Kantine des Bundestages seinen Platz gefunden hat.

Er zeigt von acht dieser allegorischen Figuren die Köpfe im Profil als Fotogramme: Kunst (Nordost-Turm), Unterricht (Nordost-Turm), Klein- und Hausindustrie (Norwest-Turm), Großindustrie (Nordwest-Turm), Weinbau (Südwest-Turm), Ackerbau (Südwest-Turm), Rechtspflege (Südost-Turm) und Wehrkraft zu Land (Südost-Turm).

Lücke zwischen Malerei und Skulptur gefüllt

„In der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages füllt die Fotokunst von Neusüss nun eine bislang bestehende Lücke zwischen Malerei und Skulptur“, sagte Kaernbach. Der 1937 geborene Neusüss zählt zu den Hauptvertretern der experimentellen Fotografie in Deutschland. Fotogramme bilden den Schwerpunkt seiner Arbeit. Neusüss stehe mit seiner Arbeit mit dieser Technik in einer langen Reihe künstlerischer Pioniere, so der Kurator.

„Es handelt sich um eine Technik, die gleichermaßen traditionell und hochaktuell ist.“ Besonders in den 1920er-Jahren haben Dadaisten und Bauhaus-Künstler wie Christian Schad, Man Ray oder László Moholy-Nagy mit dieser Technik experimentiert. Gegenwärtig ist Floris Neusüss ihr bedeutendster Vertreter, der Künstler habe diese Technik revitalisiert. Er begründete mit dem „Fotoforum Kassel“ eine „Zweite Avantgarde“ und lehrte an der Kunsthochschule Kassel experimentelle Fotografie, erklärte Kaernbach.

Hebebühnen und Kunstlicht bei Nacht

Kaernbach berichtete von der aufwendigen Entstehung der Fotogramme am Reichstagsgebäude, mit Hebebühnen und Kunstlicht bei Nacht. Sie wird ebenfalls in der Ausstellung dokumentiert. Und er verwies auf die Verbindung der Werke von Neusüss zum Ausstellungsort, dem Schadow-Haus. So hat Floris Neusüss seit Jahren die klassizistischen Skulpturen Schadows im Fotogramm abgebildet, etwa die Göttin Eirene oder die Pferdeköpfe von der Quadriga auf dem Brandenburger Tor.

Vor einigen Wochen entstand das Fotogramm der Skulptur Luthers (nach Johann Gottfried Schadow), die auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin steht – eine Hommage von Floris Neusüss an Johann Gottfried Schadow, den Begründer der Berliner Bildhauerschule. Die Ausstellungseröffnung im Innenhof des Schadow-Hauses  bei angenehmem Frühsommerwetter wurde musikalisch eingerahmt durch drei Darbietungen von Werken der Komponisten Bernard Andres, Eric Satie und Camille Saint-Saëns für Harfe und Violine.

„Die Arbeiten von Neusüss begeistern“

„Ein Gang durch die Ausstellung lohnt sich“, warb Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt, die selbst Mitglied im Kulturbeirat des Deutschen Bundestages ist. „Die Arbeiten von Neusüss begeistern durch die besondere Art des Künstlers, die Dinge zu erblicken, zu erfassen und zu hinterfragen.“

Neusüss habe mit seinem Fries in der Kantine des Bundestages die historischen Skulpturen, die weit weg vom Betrachter auf den Türmen des Reichstagsgebäudes thronen, herabgeholt und damit „einen Teil unserer Geschichte“ mitten in das politische Geschehen des Parlamentsbetriebs, ja der Demokratie gestellt.

Renommierte Sammlung zeitgenössischer Kunst

Es zeichne den Bundestag aus, sich für zeitgenössische Kunst zu engagieren. Mit dem Kunstbeirat hole das Parlament Kunst in diesen öffentlichen Raum und trage auf diese Weise zur Auseinandersetzung mit diesen Werken, zum Dialog zwischen Kunst und Politik, bei – von Schenkungen über Leihgaben bis hin zu Auftragsarbeiten, speziell angefertigt für bestimmte Orte im Parlament. Staatsgäste und Besucher beneideten den Bundestag um seine Sammlung, sagte Ulla Schmidt

Über 35 Millionen Besucher seien seit 2002 in den Bundestag mit seinen historischen und modernen Gebäuden in Berlin gekommen. Dorthin kämen sie nicht nur, um den Parlamentsbetrieb kennenzulernen, sondern auch um der Architektur und der überall dort gezeigten Kunst willen. „Die im Bundestag ausgestellte Kunst zu betrachten, ist ein Erlebnis und stößt auf ein hohes Besucherinteresse“, so Schmidt.

Schmidt: Deutschland ist ein Kulturstaat

„Neusüss ist ein gutes Beispiel, wie der Dialog zwischen Politik und Kunst funktioniert“, sagte die Bundestagsvizepräsidentin und schlug den Bogen von den künstlerischen Werten zum Wert eines stabilen Staatswesens. „Die Bundesrepublik ist nicht nur ein stabiler Rechts- und Sozialstaat, sondern auch ein Kulturstaat.“ Rund 150 Interessierte waren am der Einladung des Kunstbeirates des Deutschen Bundestages zur Ausstellungseröffnung in den Innenhof des Schadow-Hauses gefolgt.

Mit dem vor vier Jahren restaurierten Gebäude gibt der Deutsche Bundestag zeitgenössischer Kunst und Kultur Raum und fördert den Austausch zwischen Politik, Kultur und Öffentlichkeit. Das 1805 errichtete Haus ist benannt nach seinem Erbauer und Bewohner, dem Bildhauer Johann Gottfried Schadow (1764-1850). Neben den Ausstellungsflächen beherbergt es heute das Kunstreferat der Bundestagsverwaltung.

Besichtigung bis 15. April 2018 möglich

Die Ausstellung im Seitenflügel des Schadow-Hauses, Schadowstraße 12-13 in Berlin-Mitte, kann bis Sonntag, 15. April 2018, jeweils dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr, besichtigt werden. Der Eintritt ist frei. (ll 21.06.2017)

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