3. Untersuchungsausschuss

Erkenntnisse des NSU-II-Ausschusses im Plenum erörtert

Der Bundestag hat den Bericht des 3. Untersuchungsausschusses (18/12950), der aufbauend auf den Ergebnissen des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode offene Fragen zur Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) untersuchen sollte, am Donnerstag, 29. Juni 2017, nach einstündiger Debatte einstimmig zur Kenntnis genommen. Auch nach fünfeinhalb Jahren parlamentarischer Aufklärungsarbeit im Bundestag bleiben drängende Fragen rund um die Verbrechen der rechten Terrorgruppe sowie das Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden in dem Fall. Zugleich bleibt die weitere Befassung mit dem NSU-Fallkomplex und seinen Lehren eine politische wie gesamtgesellschaftliche Aufgabe.  

Einmütig lobten alle Fraktionen die sachliche und kollegiale Zusammenarbeit im NSU-Ausschuss. Mit dem Abschlussbericht sei die parlamentarische Aufklärung „an einen vorläufigen Endpunkt angelangt“, sagte der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU/CSU). Zugleich verwies er darauf: „Noch nie in der Geschichte des Bundestages wurde ein Sachverhalt so gründlich parlamentarisch untersucht wie diese Verbrechensserie.“ Mit seinen akribischen Nachforschungen habe der Ausschuss neue Informationen gewonnen und Impulse für weitere Ermittlungen gegeben. Mehr könne ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss nicht leisten. „Wir haben mehr herausgefunden, als erwartet, aber weniger, als erhofft“, lautete Binningers Einschätzung.

CDU/CSU: Keine Belege für weitere Täter

Obmann Armin Schuster (CDU/CSU) verwies darauf, dass der Ausschuss insbesondere bei der Aufklärung der Vorgänge rund um die Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011 entscheidende Fortschritte erzielen konnte. „Die Geschehnisse in Eisenach und Zwickau, wo wir viele Vermutungen hatten, sind für mich im Wesentlichen aufgeklärt“, sagte Schuster. Es sei nun eindeutig klar, dass die NSU-Haupttäter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sich an jenem Tag in ihrem angemieteten Wohnmobil selbst gerichtet hätten. Mundlos habe zuerst Böhnhardt und dann sich selbst erschossen. Spekulationen darüber, dass womöglich eine dritte Person im Wohnmobil anwesend war, habe man ausräumen können. „Wir haben keine Belege für weitere Täter gefunden“, sagte Schuster.

Auch im Fall des Sprengstoffanschlags in der Kölner Probsteigasse aus dem Jahr 2001 habe man Vermutungen, nach denen ein führender Neonazi und V-Mann des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen an der Tat beteiligt gewesen sein soll, widerlegen können. Erhebliche Zweifel äußerten die Abgeordneten dagegen daran, dass der NSU tatsächlich nur ein Trio gewesen sein soll und dass Böhnhardt und Mundlos tatsächlich alle 27 Verbrechen, die dem NSU zugerechnet werden, alleine begangen haben. „Für mich ist die Trio-These kaum haltbar“, sagte Schuster und wiederholte damit die einmütige Kritik des Ausschusses an den bisherigen Ermittlungsergebnisse des Bundeskriminalamts und des Generalbundesanwalts, der die Anklage im Münchner NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Mitangeklagte führt.

SPD: Auch nach NSU eine konkrete Terrorgefahr

Auch Obmann Uli Grötsch (SPD) betonte, dass die Aufklärungsarbeit zwar ein Stück weit vorangekommen, aber bei Weitem noch nicht abgeschlossen sei. „Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass es in Deutschland auch nach dem NSU eine konkrete Terrorgefahr gibt, die von Rassistinnen und Rassisten ausgeht“, mahnte er an. 

Nicht zuletzt sei man es den Hinterbliebenen der NSU-Mordopfer schuldig, den Blick auch auf die möglichen Hintermänner der Terrorgruppe zu richten und möglicherweise noch im Dunkeln liegende rechtsterroristische Unterstützerstrukturen und Netzwerke auszuleuchten. Gerade in Bezug auf die rechtsextremistischen Szenen in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Bayern sieht Grötsch noch „erheblichen Aufklärungsbedarf“.

Dissens zwischen Koalition und Opposition

Dissens zwischen Koalition und Opposition herrschte vor allem bei der Frage, welche Konsequenzen aus den zahlreichen Pannen beim Verfassungsschutz und der nach wie vor weitgehend ungeklärten Rolle von V-Leuten im Umfeld des NSU zu ziehen sind.

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) sagte hierzu, zwar hätten die Verfassungsschutzämter nachweislich „eklatante Fehler“ gemacht, zugleich plädierte er dafür, den Geheimdienst nicht unter Generalverdacht zu stellen. Die bereits vom ersten NSU-Ausschuss des Bundestag angestoßenen Reformen seien im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) weitgehend umgesetzt worden. „Eine wehrhafte Demokratie braucht einen starken Verfassungsschutz“, meint Ullrich.

Grüne kritisieren Verfassungsschutz

Obfrau Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) widersprach: „Nein, es gibt keinen Verfassungsschutz Post-NSU. Da ist immer noch der alte Geist des Blockierens, Vertuschens und Vernebelns.“ Im BfV seien keine entscheidenden Konsequenzen aus den Skandalen gezogen worden.

Vorwürfe erhob Mihalic auch gegen den amtierenden Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen. Der habe sich bewusst dagegen entschieden, aus dem weithin bekannten Schredderskandal, bei dem offenbar vorsätzlich mehrere V-Mann-Akten mit möglichem NSU-Bezug im Bundesamt vernichtet worden waren, noch einmal amtsintern zu untersuchen.

Linke fordert Ende der V-Leute-Praxis

Obfrau Petra Pau (Die Linke) wies darauf hin: ) wies darauf hin: „Die Aktenvernichtungen im BfV waren Straftaten, aber geahndet wurden sie bis heute nicht.“. Hochproblematisch sei, dass im Verfassungsschutz nach wie vor Quellenschutz als wichtiger erachtet werde als polizeiliche Strafverfolgung, und das selbst dann, wenn es um eine Mordserie gehe. „Diese fatale Geheimdienstlogik wird vom Bundesinnenminister und ebenso von der Generalbundesanwaltschaft geteilt“, sagte Pau und forderte, die V-Leute-Praxis sofort zu beenden und den Verfassungsschutz als Inlandsgeheimdienst aufzulösen. 

Nach Auffassung der Linksfraktion solle künftig eine „Koordinierungsstelle zur Dokumentierung gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ die Beobachtung verfassungsfeindlicher Strukturen im Inland übernehmen. Auch die grüne Fraktion hält einen „kompletten institutionellen Neuanfang“ beim BfV für unerlässlich. An die Stelle des jetzigen Bundesamtes solle ein „neues Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr“ treten, dass weiterhin nachrichtendienstlich arbeite, aber klarer abgetrennt sei von den Zuständigkeitsbereichen der Polizei.

Investitionen in Prävention

Alle Fraktionen sprachen sich geschlossen dafür aus, künftig mehr in die Prävention von rechtsextremer und rassistischer Gewalt und die Stärkung der Demokratie und Zivilgesellschaft zu investieren, damit sich eine Verbrechenserie wie die des NSU nicht wiederhole. Für entsprechende Projekte und Initiativen – insbesondere auch die zur Unterstützung von Opfern rechtsextremer Gewalttaten – sei eine tragfähige, langfristige und dauerhafte Finanzierung bereitzustellen. 

Der Untersuchungsausschuss sollte unter Einbeziehung der Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse in mehreren Ländern das Gesamtbild insbesondere zum Umfeld und den Unterstützern sowie dem Terrornetzwerk selbst schärfen. Schließlich war es Aufgabe des Gremiums, die Arbeit der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden mit V-Personen und anderen vergleichbaren Quellen aufklären und prüfen. Auf der Grundlage der von ihm gewonnenen Erkenntnisse sollte der Untersuchungsausschuss nötigenfalls Handlungsempfehlungen aussprechen.

Mängel bei der strafrechtlichen Aufklärung

Bereits am Dienstag hatten die Mitglieder des 3. Untersuchungsausschusses den Abschlussbericht an Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert übergeben. Auf insgesamt 1.798 Seiten wurden weitreichende Mängel bei der strafrechtlichen Aufklärung der Verbrechensserie der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) festgestellt und Empfehlungen unter anderem für die künftige Zusammenarbeit und Koordination zwischen Kriminal- und Justizbehörden sowie den Verfassungsschutzämtern gegeben.

Auftrag des Ausschusses war es, die Aufklärungsarbeit des ersten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags aus der 17. Wahlperiode im Sinne einer – wie es im Bericht heißt – „lückenlosen, gründlichen, und vollständigen Aufklärung staatlichen Versagens bei einer der schwersten Verbrechensserien in der Geschichte der Bundesrepublik“ fortzuführen. Am 25. November 2015 nahm der Ausschuss auf einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen hin seine Arbeit auf. Nach rund neunzehn Monaten liegt mit dem Abschlussbericht nun das Ergebnis seiner umfangreichen Untersuchungen vor.

Beispiellose Aufklärungsarbeit

Neben 22 Zeugenvernehmungen mit insgesamt 84 Zeuginnen und Zeugen habe der Ausschuss eine Datenmenge von 721 Gigabyte an Akten und Daten ausgewertet. Das sei viermal mehr gewesen, als sämtliche andere Untersuchungsausschüsse der laufenden Legislaturperiode zusammen bearbeitet hätten. Eine so umfassende parlamentarische Aufklärung sei – auch im Hinblick auf die sieben noch laufenden NSU-Ausschüsse in den Bundesländern – beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik, wird im Bericht betont.

Zentrale Kritikpunkte des Berichts richten sich unter anderem gegen die Ermittlungsthesen des Generalbundesanwalts (GBA), der die Anklage im NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Mitangeklagte vor dem Oberlandesgericht München führt, sowie des Bundeskriminalamts (BKA) als leitender Ermittlungsbehörde in dem Fall. Die Ermittlungen seien nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011 – auch aufgrund eines vom Bundesgerichtshof ausgegebenen Beschleunigungsgebots – zu sehr auf das NSU-Kerntrio Uwe BöhnhardtUwe Mundlos und Beate Zschäpe und auf eine zügige Anklage von Beate Zschäpe sowie des engsten Unterstützerkreises fokussiert gewesen.

Rechtsterroristische Netzwerke

Das habe zur Folge gehabt, „dass die polizeiliche Ermittlungsarbeit […] nicht in ausreichendem Maß offen war für unterschiedliche Ermittlungsansätze und -hypothesen“. Sowohl gelte das für die Frage nach möglichen weiteren Tatbeteiligten und Unterstützern des NSU als auch für womöglich weiterreichende rechtsterroristische Netzwerke oder Bezüge der Terrorgruppe in den Bereich organisierter Kriminalität. Der Ausschuss sehe sich durch Gutachten in seiner Überzeugung bestätigt, dass sich zahlreiche unmittelbare und mittelbare Kennbeziehungen der Terrorgruppe NSU in die lokalen, regionalen und überregionalen Neonaziszenen nachweisen lassen. „Eine “strukturelle Aufhellung„ dieses erweiterten Personenumfeldes sei aber bis heute nicht erfolgt.

Darüber hinaus seien unter anderem die kriminaltechnischen Möglichkeiten der DNA-Analyse nicht ausreichend genutzt worden. Dass auf eine umfassende Sicherung und Erhebung von DNA-Spuren nicht Wert gelegt worden sei, “ist zu bedauern„, lautet das Urteil der Abgeordneten. Zudem sei es dem BKA aufgrund unterschiedlicher technischer und rechtlicher Umstände nur schwer möglich gewesen, einen Gesamtüberblick über den DNA-Spurenkomplex zu erhalten. Bis heute gibt es mehrere offene DNA-Spuren, die an NSU-Tatorten sichergestellt wurden, bisher aber keiner Person zugeordnet werden konnten.

Zweifel an der Trio-These

Auch deshalb hegt der Ausschuss starke Zweifel daran, dass der NSU, wie in der Anklageschrift des GBA behauptet wird, lediglich aus einem Trio bestand und das Böhnhardt und Mundlos alle zehn Morde, 15 Raubüberfälle und drei Sprengstoffanschläge, die dem NSU zugerechnet werden, allein begangen haben sollen. Zudem hätten die Ermittlungen des BKA unter häufigen Personalwechseln und einer mitunter zu kleinteiligen Spurenauswertung gelitten. Der Ausschuss empfiehlt, dass künftig bei der Einrichtung sogenannter Besonderer Aufbauorganisationen, die im Rahmen komplexer BKA-Ermittlungen eingesetzt werden, “auf mehr Kontinuität, Effizienz und eine Minimierung von Wissensverlust hingewirkt„ wird.

Weiteren Verbesserungsbedarf sehen die Abgeordneten auch bei der Kommunikation und dem Datenaustausch zwischen den einzelnen Polizeibehörden. Es sei sicherzustellen, dass “bei Polizeibehörden in Bund und Ländern die notwendigen informationstechnischen Grundlagen geschaffen werden, damit diese über Datensysteme verfügen, die einen gesetzlich vorgesehenen Informationsaustausch ohne Brüche zulassen„. Das gelte im Übrigen auch für den Informationsaustausch zwischen Polizei und Justizbehörden, bei dem für “eine weitgehende Interoperabilität bislang inkompatibler Systeme zu sorgen„ sei.

Ungeklärte Rolle von V-Personen

In Bezug auf die nach wie vor vielfach ungeklärte Rolle von V-Personen des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex stellt der Abschlussbericht fest, dass die durch den Ausschuss festgestellten Defizite in der Anwerbung, Führung und Nachbetreuung von V-Personen “sich nicht wiederholen dürfen„.

Hierzu mahnt der Ausschuss eine Reihe von Sofortmaßnahmen an, unter anderem eine stärkere Rotation bei der Quellenführung und die engere Einbindung stellvertretender V-Mann-Führer, um einer zu engen persönlichen Bindung zwischen V-Personen und deren Führern – wie sie der Ausschuss etwa im Falle des V-Mannes “Corelli„ festgestellt hat – künftig vorzubeugen.

Sondervoten der Fraktionen

Neben einem gemeinsamen Feststellungs- und Bewertungsteil enthält der Bericht Sondervoten der einzelnen Fraktionen, in denen diese eigene Positionen und Empfehlungen formulieren. Während die CDU/CSU auf ein eigenes Votum ausdrücklich verzichtet und die Erfolge der parlamentarischen Untersuchungen betont, schlägt die SPD-Fraktion beispielsweise vor, die Bezüge des NSU nach Bayern noch einmal gesondert und intensiv zu beleuchten. 

Die Fraktion Die Linke fordert unter anderem die sofortige Abschaffung des V-Leute Systems und eine Auflösung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Ersetzt werden solle dieses durch eine Koordinierungsstelle des Bundes und eine Bundesstiftung “gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit„. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert dagegen einen “kompletten institutionellen Neuanfang„ beim BfV. An die Stelle des jetzigen Bundesamtes solle ein “neues Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr„ treten, das weiterhin nachrichtendienstlich arbeitet, aber klarer abgetrennt ist von den Zuständigkeitsbereichen der Polizei. Für die Auswertung öffentlicher Quellen schlagen die Grünen zudem vor, ein unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung einzurichten. (fza/vom/29.06.2017)

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