Parlament

Singhammer: Karls­ruhe wird Ge­setz zur gleichge­schlecht­lichen Ehe prü­fen

Ein Mann mit grauen Haaren, einer Brille und dunklem Anzug hält ein Mikrofon in der Hand

Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CDU/CSU) (DBT/photothek)

Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) geht davon aus, dass es zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die vom Bundestag am Freitag, 30. Juni, beschlossenen Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare kommt. „Ich weiß nicht, wer oder welche Initiative diesen Schritt machen wird. Aber ich bin mir sehr sicher, dass das Gesetz in Karlsruhe überprüft werden wird“, sagte er in einem am Montag, 3. Juli 2017, veröffentlichen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) habe noch vor zwei Jahren mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes den Standpunkt vertreten, dass die gleichgeschlechtliche Ehe eine Änderung des Grundgesetzes erfordere. Singhammer bekräftigt sein Nein zur Öffnung der Ehe und zum vollen Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Das Interview im Wortlaut:


Herr Singhammer, sind Sie verärgert über die Äußerung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU), die Frage nach der „Ehe für alle“ in einer „Gewissensentscheidung“ zu beantworten? Letztlich hat die Kanzlerin die Abstimmung im Bundestag zum Ende der Legislaturperiode doch regelrecht provoziert. Und das wollte die Union ja eigentlich verhindern.

Wir wollten das in der Tat vermeiden, weil wir 2013 im Koalitionsvertrag mit der SPD exakt festgelegt haben, was wir als Koalitionspartner tun wollen und was nicht. Wir haben damals festgelegt, die Rechte eingetragener Lebenspartnerschaften bei der Sukzessivadoption – das heißt wenn ein Partner ein Kind in die Partnerschaft mitbringt – denen der Ehe anzugleichen. Aber eben nicht bei der Volladoption. Die Kanzlerin hat gesagt, dass sie darüber nachdenkt, eine Gewissensentscheidung zuzulassen. Das ist aber nichts Besonderes, sondern die geltende und akzeptierte Grundlage des Parlamentarismus. Jeder Parlamentarier kann bei jeder Entscheidung sein Gewissen prüfen und frei entscheiden, ob er mit der eigenen Fraktion oder gegen die eigene Fraktion stimmt.

Um nach dem eigenen Gewissen abstimmen zu können, muss es aber auch eine Abstimmung geben. Und diese ist von der Koalition über Jahre blockiert worden. Wäre es nicht besser gewesen, die Abstimmung über die „Ehe für alle“ schon früher freizugeben?

Nein. Wir hatten vereinbart, dass wir das nicht wollen. Das war die Grundlage, und an der hat sich auch nichts geändert. Als hoch problematisch empfinde ich es allerdings, mit welcher Eile die Abstimmung über dieses hoch komplexe Thema trotz eines langen Prozesses der Beratungen und Verschiebungen der Abstimmung, die auch durch das Bundesverfassungsgericht für rechtens erklärt wurde, in der allerletzten Sitzungswoche regelrecht übers Knie gebrochen wurde.

Aber das Thema ist doch ausreichend diskutiert worden.

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der sogenannten „Ehe für alle“ ist – freundlich ausgedrückt – nicht geklärt. Ich zitiere an dieser Stelle Justizminister Heiko Maas (SPD), der vor zwei Jahren auf eine Anfrage des Abgeordneten Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) folgendes geantwortet hat: „Mit Blick auf die einschlägige ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes würde eine Öffnung der Ehe für Paare gleichen Geschlechts eine Änderung des Grundgesetzes voraussetzen.“ Das heißt, die Rechtssicherheit wurde durch die Entscheidung des Bundestages nicht größer, sondern hat eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge.

Heißt das, dass die CSU gegen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht klagen wird?

Ich weiß nicht, wer oder welche Initiative diesen Schritt machen wird. Aber ich bin mir sehr sicher, dass das Gesetz in Karlsruhe überprüft werden wird.

Aus welchen Gründen, abgesehen von verfassungsrechtlichen Bedenken, lehnen Sie die „Ehe für alle“ ab?

Wir haben uns in der CSU sehr intensiv mit der Frage auseinandergesetzt und haben in unserem neuen Grundsatzprogramm vor acht Monaten folgenden Beschluss gefasst: Für uns ist die Ehe ein Bund zwischen Frau und Mann. Gleichzeitig wollen wir aber die Lebenspartnerschaften nicht diskriminieren. Der entscheidende Punkt in dieser Diskussion ist die Frage des vollen Adoptionsrechtes. An dieser Stelle müssen wir das Wohl des Kindes im Auge haben. Hierbei spielt die Rolle der Bezugspersonen für Kinder eine erhebliche Rolle. Es stellt sich die Frage, ob es für ein Kind besser ist, Bezugspersonen gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts zu haben. Wir halten es für ein Kind für besser, wenn es Eltern unterschiedlichen Geschlechts, also Vater und Mutter, hat.

Heißt das umgekehrt, dass es Kindern schadet, wenn sie in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft aufwachsen?

Wir sagen, dass es für Kinder besser ist, wenn sie bei Vater und Mutter aufwachsen. Und ich habe bislang noch niemanden gefunden, der dieses Argument bestritten hätte. Auch das Argument, dass es Familien gibt, in denen Kinder unter keinen guten Bedingungen aufwachsen, ist nicht neu und überzeugt  nicht. Familien muss man prinzipiell so unterstützen und stärken, dass es zu keinen Fehlentwicklungen kommt.

Kanzlerin Merkel ist bei ihrem Auftritt in der vergangenen Woche auf das Kindeswohl eingegangen. Sie schilderte die Begegnung mit einem lesbischen Paar, bei dem acht Pflegekinder leben und denen es gut gehe. Merkel sagte, wenn der Staat einem gleichgeschlechtlichen Paar acht Pflegekinder anvertraue, dann könne man das Kindeswohl nicht mehr als Argument gegen das volle Adoptionsrecht anführen. Überzeugt Sie das nicht?

Pflegekinder sind das eine, eine Adoption etwas völlig anderes. Acht Kinder sind ja schon eine gewaltige Herausforderung. Ich kenne wenige Paare, die acht Kinder adoptiert hätten.

Befürchten Sie nach dem Ja des Bundestages zur „Ehe für alle“ eine weitere Erosion konservativer Familienwerte?

Ich denke schon, dass es für eine Zahl von Menschen schwierig ist, mit der Entscheidung umzugehen. Und wir in der Union sind befremdet darüber, dass die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages nicht eingehalten wurden. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat noch am 11. Juni gesagt, in einer Koalition könne man keine Politik gegen den Koalitionspartner machen. Da hatte er recht, und diese Haltung hätte er beibehalten sollen.

Ist es für die Union aus wahltaktischen Gründen denn nicht sogar von Vorteil, dass der Bundestag die „Ehe für alle“ gebilligt hat und aus dem Wahlkampf genommen hat?

Wahltaktisch mag das so sein. Aber ich habe eine Abneigung dagegen, dieses Thema wahltaktisch zu behandeln – dafür ist es zu ernst.

Nach Presseberichten hat sich das CDU-Präsidium bereits am Tag vor Merkels Äußerungen damit befasst, die Frage ohne Fraktionszwang zu entscheiden und dies auch mit dem CSU-Parteivorsitzenden Horst Seehofer abgestimmt gewesen. Können Sie das bestätigen?

Nein, das kann ich nicht bestätigen, weil ich nicht dabei war.

Glauben Sie, Kanzlerin Merkel hat die Bemerkung über die „Gewissensentscheidung“ eher unbeabsichtigt gemacht?

Das weiß ich nicht. Ich glaube aber nicht, dass es im Interesse der Kanzlerin war, eine Entscheidung noch in der letzten Sitzungswoche des Bundestages herbeizuführen.

Sie treten bei der Bundestagswahl nicht mehr an. Hätten Sie sich ihre letzten Tage im Parlament so turbulent vorgestellt.

Nein, ich habe mir vorgestellt, dass die letzten Tage ruhiger ablaufen würden. Aber Politik ist etwas Lebendiges.

Schmerzt es Sie, dass ihre Parlamentarierzeit nun ausgerechnet mit der Entscheidung über die „Ehe für alle“ endet?

Ja, es ist zweifelsfrei etwas Wehmut dabei.

(aw/03.07.2017)

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