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Parlament

Die Spätberufene: Luc Jochimsen (Die Linke)

Lukrezia Jochimsen

Lukrezia Jochimsen (DBT/photothek.net)

Als Journalistin hat Dr. Lukrezia „Luc“ Jochimsen früh begonnen und nahezu alles erreicht: Sie arbeitet als Redakteurin, ARD-Studioleiterin in London und wird als TV-Chefredakteurin das Gesicht des Hessischen Rundfunks. Als Politikerin jedoch ist die promovierte Soziologin eine Spätberufene. Mit 69 – einem Alter, in dem andere in den Ruhestand gehen – begibt sie sich noch einmal auf „unbekanntes Terrain“. Als kulturpolitische Sprecherin und Kandidatin der Linkspartei für das Amt der Bundespräsidentin erlebt die heute 77-Jährige parlamentarische Höhepunkte und Niederlagen. Der Abschied aus der Politik fällt ihr dennoch nicht leicht. Eins nämlich wäre die Abgeordnete mit den toupierten schwarzen Haaren noch gerne geworden: Alterspräsidentin des Bundestages.

„Das hätte mich sehr gereizt“, gibt Luc Jochimsen zu und lächelt. „Aber da Herr Riesenhuber erneut kandidiert und er drei Monate älter ist als ich, wird das wohl nicht klappen.“ Dann schiebt sie Teekanne, Tasse  und einen Stapel Bücher auf ihrem Schreibtisch ein wenig zur Seite, fährt sich kurz durch die Haare und sucht nach einem Lippenstift, damit der Fotograf ein Bild von ihr in ihrem Büro im Bundestag machen kann. Sehr unaufgeregt und routiniert macht sie das, kein Wunder – Kameras ist die frühere Fernsehjournalistin gewöhnt.

Prägende Kriegserlebnisse

Politisch geprägt hat die 1936 in Nürnberg geborene Jochimsen vor allem die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs. „Ich war drei, als der Krieg ausbrach, neun als er vorbei war – fast meine ganze Kindheit war vom Krieg beherrscht“, sagt Jochimsen und erzählt von den Phosphor- und Splitterbomben, die sie verletzten, von dem frühen Wissen um die Verfolgung der Juden und der Angst, dass sie, ihre Eltern und die kleine Schwester das Kriegsende nicht mehr erleben würden.

Dies alles habe sie politisiert: „Ich erinnere mich, dass mein Vater, der ein Kriegs- und Nazigegner war, zu mir gesagt hat ‚Wenn Du überlebst, dann musst auch etwas tun, damit die neue Zeit eine andere wird‘.“ Jochimsen wird Journalistin. „Ich habe mich immer als politische Journalistin verstanden, als Chronistin und Zeitberichterstatterin. Politik war für mich allerdings nicht nur das, was in der Regierung oder im Parlament passiert, sondern unendlich viel mehr.“

Fernsehchefin im „Rotfunk“

Jochimsen, die in nur sieben Jahren ihr Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie in Hamburg und ihre Promotion mit einer Arbeit über „Zigeuner heute“ absolviert, ist schon während des Studiums als freie Autorin unter anderem für den NDR-Hörfunk aktiv und findet 1975 den Weg in die ARD, zunächst als Redakteurin des Politmagazins Panorama.

Dann folgen unter anderem Korrespondentenjahre in London und 1994 der Sprung in die Chefredaktionsetage des Hessischen Rundfunks (HR) in Frankfurt. Aus ihrer politischen Überzeugung macht die Journalistin schon zu dieser Zeit kein Hehl: Sie sympathisiert mit dem gewerkschaftlichen Flügel der SPD, kritisiert die Ausgrenzung der PDS und lädt demonstrativ Mitglieder der SED-Nachfolgepartei in Talkshows ein. Das gefällt nicht jedem.

Bald gilt der HR als „Rotfunk“. Trotzdem: Abstand zu halten zur Parteipolitik sei ihr als Journalistin immer wichtig gewesen, betont Jochimsen: „Ich bin nie in eine Partei eingetreten, habe nie Parteibuch besessen. Diese Nähe wollte ich nicht.“ Bis auf eine kurze Ausnahme, räumt Jochimsen ein: 1974, als die linksliberale FDP in Hamburg nicht mehr in die Bürgerschaft einzieht, wird sie Mitglied der Liberalen. „Doch als sich die Partei kurz darauf für die Atomenergie einsetzte, war Schluss. Da bin ich wieder ausgetreten – das war's. Eine Parteimitgliedschaft war fortan die rote Linie, die ich nie wieder überschritten habe.“

Vom Journalismus in die Politik

Das ändert sich erst wieder nach dem Ende ihrer journalistischen Laufbahn. 2002 gewinnt sie der damalige PDS-Wahlkampfleiter Dietmar Bartsch als unabhängige hessische Spitzenkandidatin. Die Entscheidung anzutreten, sei ihr jedoch nicht leichtgefallen, erinnert sich Jochimsen: „Interesse hatte ich, ja, aber ich war auch unsicher, ob ich das kann.“ Jochimsen holt jedoch für ihre Partei nur 1,3 Prozent; bundesweit scheitert die PDS an der Fünf-Prozent-Hürde. 2005 geht die Wahl anders aus: Jochimsen kann über die Landesliste PDS/Linkspartei in Thüringen in den Bundestag einziehen. Ein Erfolg, den sie vier Jahre später wiederholen kann.

Der „Seitenwechsel“ vom Journalismus in die Politik gelingt – auch weil Jochimsen viele „Parallelen“ zwischen journalistischer und der politischen Arbeit entdeckt: „Ich schreibe Reden statt Kommentare und nehme an etlichen Sitzungen teil. Das hat viel Ähnlichkeit mit der Arbeit an exponierter Stelle beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, sagt Jochimsen und lacht.

Auch die Außenseiterrolle als Linke sei ihr nicht fremd gewesen: „Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Außerdem habe ich mich für die PDS eingesetzt, weil ich deren Ausgrenzung so skandalös fand. Daran hat sich übrigens kaum etwas verändert. Dass wir Paria sind, Schmuddelkinder, das ist so bis heute.“ Als kulturpolitische Sprecherin macht sich Jochimsen unter anderem für den Erhalt des Palasts der Republik stark. Erfolglos.

Ein Schal und seine Folgen 

Auch in anderen Fragen vertritt sie mit ihrer Fraktion Minderheitenpositionen – etwa hinsichtlich der Zukunft der Stasiunterlagenbehörde. „Wir wollten, dass die Akten ins Bundesarchiv gehen, dass sie für die Opfer, für Journalisten oder Wissenschaftler zugänglich sind,  aber dass die Überprüfungen aufhören. Doch die Behörde wird es mindestens bis 2019 geben – eine Niederlage.“ Tröstend findet sie aber eines: „Wenigstens sehen die Menschen, die in der Zukunft die Protokolle der Debatten lesen, dass es Gegenstimmen gab.“

Mehr Aufmerksamkeit als mit ihrer Arbeit als kulturpolitische Sprecherin erregt Jochimsen 2009, als sie beim Festakt für das neue Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin einen Schal mit der Aufschrift. „Nun erst recht. Raus aus dem Krieg“ trägt. Als sie sich weigert, ihn abzunehmen, wird sie der Polizei überstellt.

Bewerberin fürs höchste Amt im Staat

Gegenargumente zu erheben – das ist auch, was Luc Jochimsen nach dem Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler 2010  bewegt, sich als Kandidatin der Linken für das Bundespräsidentenamt aufstellen zu lassen. „Mir war wichtig, Argumente in die Debatte einzubringen und darüber zu diskutieren, was ein Bundespräsident leisten sollte – sich für Frieden und soziale Gerechtigkeit einsetzen, zum Beispiel.“ Dass die Kandidatur wenig Aussicht auf Erfolg hat, ist zweitrangig.

Höhepunkte sind für sie andere Momente im Plenum: „Großartig war, wenn wir fraktionsübergreifend gearbeitet haben – bei der Patientenverfügung war das so, als wir mit FDP, SPD und Grünen einen gemeinsamen Antrag eingebracht haben, oder in der Beschneidungsdebatte. Eine seltene, aber großartige Erfahrung.“

Vermissen, wenn sie aus dem Bundestag ausscheidet, werde sie vor allem „den Diskurs, das Einlassen auf neue Themen“, sagt Jochimsen. Genießen wird die Abgeordnete, die in zweiter Ehe verheiratet ist, dagegen den Zugewinn an Freiheit und Zeit. Die will sie nutzen – auch um die letzten Kapitel ihrer Autobiografie zu schreiben, die im nächsten Jahr erscheinen soll. (sas/01.07.2013)

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