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Kultur und Geschichte

Baberowski und Beck uneins über den Russland-Ukraine-Konflikt

Seit drei Jahren herrscht im Osten der Ukraine Bürgerkrieg, mit der Halbinsel Krim wurde ein Landesteil abgespalten. Die internationalen Bemühungen, die Konflikte um Europas zweitgrößtes Land zu lösen, waren bislang nicht erfolgreich.

Dafür machen viele Politiker und Diplomaten Russland verantwortlich, das 2014 die Krim annektiert hat und die Separatisten in der Ostukraine unterstützt. Die Differenzen zwischen Russland und der Ukraine, ja ein tief verwurzelter Gegensatz zwischen diesen beiden Ländern, sind offensichtlich der Hauptgrund für die gewaltsamen Konflikte auf dem Boden der Ukraine und dafür, dass die Friedensbemühungen nicht vorankommen.

Was trennt Russland und die Ukraine?

„Was trennt Russland und die Ukraine?“ – unter dieser Überschrift diskutierten am Montag, 17. Oktober 2016, die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) und der Historiker Prof. Dr. Jörg Baberowski, Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität Berlin, über Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten des Konflikts zwischen Moskau und Kiew.

„Leider gibt es genug Gründe, den Wurzeln, Auswirkungen und Aussichten der Konflikte in der Ukraine nachzugehen“ sagte Prof. Dr. Ulrich Schöler, Leiter der Abteilung „Wissenschaft und Außenbeziehungen“ der Bundestagsverwaltung, der die aktuelle Folge der Veranstaltungsreihe W-Forum der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages moderierte. Die innenpolitische Auseinandersetzung um das Assoziierungsabkommen mit der EU, die russische Annexion der Krim und der grausame Stellungskrieg im Osten des Landes seien dabei nur die bekanntesten.

Krise um die Krim

Seinen deutlichsten Ausdruck fand der russisch-ukrainische Gegensatz in der Annexion der Krim durch Russland. Moskau hatte die Schwarzmeerhalbinsel nach einem umstrittenen Referendum im Frühjahr 2014 seinem Staatsgebiet zugeschlagen – ein Schritt, der international nicht anerkannt wird und niemals anerkannt werden darf, wie Marieluise Beck betonte.

Russland habe sich die Krim völkerrechtswidrig einverleibt. Mittlerweile gebe es dort massive Menschenrechtsverletzungen: Kritiker würden mundtot gemacht, den Bewohnern werde die russische Staatsbürgerschaft aufgezwungen, sonst erhielten sie keinen Zugang zum Gesundheitssystem, die Minderheit der Krimtataren verlasse das Land scharenweise, sie seien mit der Annexion nicht einverstanden.

„Das, was auf der Krim geschieht, ist mit dem Völkerrecht nicht vereinbar“, sagte Beck und fügte hinzu: „Wenn wir zulassen, dass die Regeln verloren gehen, dann bekommen wir große Probleme.“ Die Krimkrise sei ein Vorgeschmack darauf, „womit wir es zu tun haben werden, wenn wir zulassen, dass aufgrund militärischer Stärke Regeln gebrochen oder Grenzen verletzt werden.“ Beck mahnte daher auch, die Annexion der Krim nicht in eine Reihe mit Sezessionskonflikten zu stellen.

Der Weg zu den Minsker Vereinbarungen

In dem anderen umkämpften Gebiet der Ukraine, der Region Donbass, stehen sich weiterhin ukrainische Regierungstruppen und prorussische Separatisten gegenüber - eine sich wechselseitig blockierende Situation, wie Schöler in Erinnerung rief: Die Separatisten wollen als erstes die Grenzfragen klären, die Ukraine dagegen fordert, zunächst die schweren Waffen abzuziehen. Fast 10.000 Menschen kamen bei den Auseinandersetzungen in der Ukraine bisher ums Leben: Soldaten und Aufständische ebenso wie Zivilisten.

Die diplomatischen Bemühungen zur Beilegung der Konflikte in der Ostukraine führten zu den sogenannten Minsker Vereinbarungen, einem von Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland ausgehandelten und im Februar 2015 unterzeichneten Abkommen. Mehrfach ausgerufene und von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) überwachte Waffenruhen hielten allerdings nur für kurze Zeit.

Russland als Konfliktpartei

Eines der Hauptprobleme im Ukraine-Konflikt wird in der Rolle Russlands gesehen, das sowohl in die internationalen Bemühungen um eine Beilegung des Konflikts eingebunden ist als auch als Konfliktpartei auftritt. So werfen Kiew und der Westen Russland vor, die Separatisten mit Kämpfern und Waffen zu unterstützen. 

Wegen der Annektierung der Halbinsel Krim und der Parteinahme auf Seiten der Separatisten in der Ostukraine verhängten die EU und die USA Sanktionen gegen Russland, die jüngst erneut, bis 2017, verlängert wurden: Einreise- und Kontensperrungen für einzelne Personen und Organisationen, die zur Eskalation der Krise beigetragen haben, sowie Handels- und Investitionsbeschränkungen.  Moskau, das die Vorwürfe zurückweist und die Sanktionen für nicht gerechtfertigt hält, hat im Gegenzug Einfuhrverbote für EU- Agrarprodukte verhängt.

„Ein Imperium unterliegt Zwängen“

Jörg Baberowski warb dafür, sich stärker in die russische Perspektive der Dinge hineinzuversetzen. Die Russen hätten eine ganz andere Sicht auf das Geschehen in ihrem Nachbarland. Die Krim sei der Ukraine zwar in einem völkerrechtswidrigen Verfahren genommen worden. Aber der russischen Politik müsse man auch zugestehen, dass sie noch immer unter dem Eindruck der verlorenen Weltmachtrolle handele – und eine weitere Erosion ihrer Macht fürchte. Russland handele in seiner Nachbarschaft gewissermaßen „als Nachlassverwalter der untergegangen Sowjetunion“ und versuche dabei, noch Schlimmeres abzuwenden. „Ein Imperium unterliegt Zwängen“, so Baberowski.

„Aus den Köpfen der Menschen ist das Imperium nicht verschwunden“, viele Russen trauerten der Sowjetunion nach, in vielen ehemaligen Teilrepubliken und nun selbstständigen Staaten hätten 50 Millionen Russen nach 1991 Diskriminierungen erfahren, das Land, in dem sie gelebt hätten, existierte plötzlich nicht mehr. „Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf und ihr Staat ist weg“, so Baberowski launisch.

„Historische Zusammenhänge gewichten“

Der Zerfall der Sowjetunion sei mit Ausnahme etwa des Baltikums kein Aufschrei unterdrückter Nationen gewesen. Seit 1924 sei die Ukraine als Sowjetrepublik Teil dieses Imperiums gewesen, habe sich jedoch als „ein künstlich zusammengesetztes Konglomerat“, nicht als Nation verstanden. Der heute umkämpfte Osten sei mit dem Rest des Landes nur lose verbunden. Diese Fakten müsse man genauso wissen, wenn man mit Russland über die Ukraine rede, wie, „dass es Millionen Menschen gibt, die mit dem Imperium etwas verbinden, das sie für einen lebenswerten Ort halten“.

Baberowski plädierte dafür, „an Verhandlungen mit Russland anders heranzugehen“, die historischen Zusammenhänge stärker zu gewichten und „neben allen völkerrechtlichen Argumenten zu verstehen, warum Russland so anders tickt.“ Man müsse auf die Machtpolitik Moskaus eine Antwort finden, „die sich nicht von moralischen Projekten leiten lässt“, entgegnete Baberowski Beck, sonst werde Präsident Putin die Konflikte in seiner Nachbarschaft so lange eingefroren halten, wie er wolle. Auch die wirtschaftlichen Sanktionen könnten den russischen Präsidenten nicht dazu bewegen, die Krim wieder herauszugeben. Der Westen hätte Putin durch sein „tollpatschiges Verhalten“ erst so stark gemacht, wie er heute sei.

Schutz durch Recht und Verträge

Beck dagegen warnte eindringlich vor einer Politik, die die Macht des Stärkeren vor die Stärke des Rechts setze und versuchte, sich mit Baberowski auf die völkerrechtlich verbrieften universalen Menschenrechte als nicht verhandelbare Diskussionsgrundlage zu einigen.

„Der Amputationsschmerz einer ehemaligen Weltmacht darf nicht Grundlage politischen Handelns sein“, warnte Beck. Dies sei doch auch „unsere Lektion der Geschichte“ gewesen. Das schließe übrigens nicht aus, die Schmerzen der Russen ernst zu nehmen. „Die Diplomatie kann sich deswegen ruhig in den anderen hineinversetzen.“

Die Bemerkung Baberowskis, dass die Ukraine ein künstlich zusammengesetzter Staat sei, wies Beck als nicht statthaft zurück. „Es ist unbestritten, dass die Ukraine ein souveräner Staat sein wollte und will.“ 1991 habe Russland seinem Nachbarland in einem bilateralen Abkommen sogar sichere Grenzen garantiert. Die Tatsache müsse man ebenso berücksichtigen. „Welches Land wird sich denn sonst künftig noch auf eine schriftlich gegebene Zusage verlassen?“ Die politische Klugheit gebiete, nach dem Grundsatz zu handeln, dass Recht und Verträge Schutz garantieren und ein friedliches Zusammenleben der Nationen ermöglichen, mahnte Beck. (ll/18.10.2016)

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