1. Untersuchungsausschuss

Merkel verteidigt ihre Haltung in der Snowden-Affäre mit Nachdruck

Eine Frau im orangen Blazer sitzt an einem Tisch mit Kameraleuten im Hintergrund

Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem NSA-Untersuchungsausschuss (DBT/Melde)

Vor dem 1. Untersuchungsausschuss („NSA“) hat Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) ihre Haltung in der Snowden-Affäre im Sommer 2013 mit Nachdruck verteidigt. Sie habe damals „vom ersten Tag an nicht geschwiegen“, betonte sie in ihrer mit Spannung erwarteten Vernehmung am Donnerstag, 16. Februar 2017. Vielmehr habe sie mit der wiederholten Erklärung, dass Abhörmaßnahmen „unter Freunden“ unstatthaft seien, „sehr klare politische Vorgaben gemacht“. Dieser Satz gebe nach wie vor ihre Überzeugung wieder. Er werde nicht dadurch relativiert, dass auch der Bundesnachrichtendienst, wie mittlerweile offenbar wurde, dagegen verstoßen hat. Im Gegenteil: „Alles, was wir bisher getan haben, verhilft dieser Überzeugung mehr zum Durchbruch.“

„Verhältnismäßigkeit immer wichtig“

Merkel machte in der von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) geleiteten Sitzung deutlich, dass sie mit den Enthüllungen des US-Geheimdienstkritikers Edward Snowden über Spitzelaktivitäten der National Security Agency (NSA) in Deutschland eine Grundsatzfrage berührt gesehen habe, nämlich das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit. Sie habe dieses Thema wenige Tage nach Beginn der Affäre mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama bei dessen Besuch in Berlin am 19. Juni 2013 auch persönlich erörtert.

Sie habe darauf hingewiesen, dass geheimdienstliche Tätigkeit zur Gefahrenabwehr unverzichtbar, jedoch auch das Gebot der „Verhältnismäßigkeit immer wichtig“ sei. Der Staat habe gleichermaßen die Sicherheit wie die Privatsphäre der Bürger zu schützen: „Freiheit und Sicherheit stehen seit jeher in einem Spannungsverhältnis. Es muss durch Recht und Gesetz in der Balance gehalten werden.“

„Auf das Wesentliche konzentrieren“

Gerade unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr halte sie Spionageaktivitäten befreundeter Staaten untereinander für unsinnig, betonte Merkel: „Wir leben nicht mehr im Kalten Krieg. Heute haben wir es mit asymmetrischen Bedrohungen zu tun, und dann sollten wir uns auf das Wesentliche konzentrieren. Das Wesentliche ist nicht eine möglichst breite Überwachung von Verbündeten und ihren Institutionen.“

Das Argument, es könne auch unter befreundeten Regierungen von Interesse sein, im Vorfeld wichtiger Verhandlungen den internen Entscheidungsfindungsprozess der Gegenseite zu kennen, leuchte ihr ebenso wenig ein: „Das finde ich absurd. Ich bin gut bis jetzt durch meine Kanzlertätigkeit gekommen, und ich glaube, alle anderen können das auch.“

„Mit meinem politischen Obersatz nicht vereinbar“

Die Kanzlerin räumte ein, über Einzelheiten der Aktivitäten von BND und NSA, etwa den Einsatz von Selektoren, nicht informiert gewesen zu sein, und betonte, sie habe volles Vertrauen in ihre dafür zuständigen Mitarbeiter. Den Begriff „Selektor“ habe sie, wie alle anderen im Kanzleramt, erstmals im März 2015 gehört. Als sie schließlich erfahren habe, dass auch der BND Ziele in EU- und Nato-Staaten ausgespäht hatte, sei ihr „unmittelbar klar“ gewesen, dass das „mit meinem politischen Obersatz, den ich nach wie vor für richtig halte, nicht vereinbar war“.

Sie habe ihre Bemerkung über den angemessenen geheimdienstlichen Umgang unter Verbündeten „selbstverständlich“ in der Annahme geäußert, „dass sich der BND an diese Überzeugung hält“. Sollte freilich, wie der Ausschuss von mehreren Zeugen gehört hat, „dieser Satz im BND zum Nachdenken geführt haben, dann war er noch besser platziert“.

„Nichts Beweisbares herausgekommen“

Dass die NSA möglicherweise ihr Mobiltelefon abgehört hatte, habe sie am 17. Oktober 2013 erfahren, berichtete Merkel. Damals habe ihr der Regierungssprecher die Fotokopie eines Dokuments gezeigt, die er von zwei Spiegel-Journalisten erhalten hatte, und die diesen Eindruck nahelegte. Sie habe darüber in einem Telefonat mit Obama ihre Missbilligung zum Ausdruck gebracht. Wie plausibel die Geschichte gewesen sei, könne sie nicht beurteilen: „Ich habe nur festgestellt, dass nichts Beweisbares herausgekommen ist, und habe zur Kenntnis genommen, dass die amerikanische Seite sagte, mein Handy werde nicht abgehört und auch in Zukunft nicht.“

Selbst wenn der Lauschangriff stattgefunden hätte, glaube sie aber nicht, dass großer politischer Schaden entstanden wäre, da sie in ihrem Kommunikationsverhalten die Regeln der Vorsicht immer beachte.

Gescheitertes No-Spy-Abkommen

Die Bundesregierung hat sich nach den Worten der Kanzlerin im Spätsommer und Herbst 2013 ernsthaft Hoffnungen gemacht, mit den USA eine Vereinbarung über gegenseitigen Spionageverzicht zu erreichen.

Sie sei zwar selber nicht ständig unmittelbar beteiligt gewesen, habe aber „nicht den geringsten Zweifel“, dass daran „sehr intensiv“ gearbeitet worden sei, erklärte Merkel. Anfang 2014 habe sich erstmals abgezeichnet, dass das Projekt möglicherweise zum Scheitern verurteilt sei. Endgültige Gewissheit darüber habe aber erst Ende April bestanden.

Treffen mit ranghohen US-Geheimdienstlerin

Das Thema, das unter dem Stichwort „No-Spy-Abkommen“ Schlagzeilen machen sollte, schlug am 7. August 2013 auf Merkels Schreibtisch auf. Sie erhielt einen Bericht ihres Geheimdienstkoordinators Günter Heiß über ein Treffen mit ranghohen US-Geheimdienstlern, das zwei Tage zuvor in Washington stattgefunden hatte.

Dabei habe der damalige NSA-Direktor Keith Alexander, eine Zusicherung angeboten, dass seine Organisation auf deutschem Boden deutsches Recht respektieren und keine Spionage betreiben werde. Ihm gehe es, habe Alexander hinzugesetzt, um eine „beidseitige Erklärung“, ein „Agreement“, über das freilich die Politik das letzte Wort haben müsse.

„Stilbildender Standard“ für westliche Geheimdienste

Nach einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums am 12. August 2013 machte der damalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla das Angebot der NSA öffentlich und gab zu verstehen, dass er damit hochgespannte Erwartungen verknüpfte.

Deutschland und die USA, sagte Pofalla, hätten die „einmalige Chance“, in der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit einen Standard zu setzen, der „stilbildend“ sein könne für westliche Geheimdienste insgesamt. Sozialdemokraten, Grüne und Linke haben Pofalla bis heute im Verdacht, er habe damit aus Gründen der Wahlkampftaktik weit mehr versprochen als er nach eigenem besseren Wissen halten konnte.

„Dem habe ich nichts hinzuzufügen“

Die Kanzlerin wurde Mitte Januar 2014 wieder mit dem Thema befasst. Ihr neuer Geheimdienst-Beauftragter, Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, hatte mit einer Kollegin im Weißen Haus telefoniert und die Auskunft erhalten, „kurzfristig“ sei mit einem Abkommen auf politischer Ebene nicht zu rechnen. Doch sollten die Geheimdienste weiter verhandeln, um im Licht der Ergebnisse später neu zu entscheiden. Entsprechend skeptisch gab sich Merkel in ihrer Regierungserklärung vom 29. Januar 2014: Die Vorstellungen auf beide Seiten lägen noch weit auseinander, stellte sie fest. Sie wolle dennoch die Gespräche weiterführen „mit der Kraft unserer Argumente“.

Die Kanzlerin verweigerte eine Stellungnahme zu der Frage, ob die deutsche Regierung sich am Drohnenkrieg der USA mitschuldig mache, indem sie auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein den Betrieb einer Relaisstation zur Übermittlung von Funksignalen in den Mittleren Osten dulde. „Ich kann dazu nur sagen: Die verantwortlichen Ressorts haben ihre Aussagen gemacht. Dem habe ich nichts hinzuzufügen“, erklärte sie.

„Das ist ihre Bewertung“ 

Ebenfalls abblitzen ließ sie die Opposition mit dem Begehr, die Einreise des in Moskau weilenden Edward Snowden zur Vernehmung durch den Ausschuss zu ermöglichen. Der Linke André Hahn beklagte, dass das Justizministerium seit zwei Jahren die Entscheidung über eine Garantie verschleppe, Snowden in Deutschland nicht festzunehmen und an die USA auszuliefern, und forderte die Kanzlerin auf, das säumige Ressort kraft ihrer Richtlinienkompetenz auf Trab zu bringen.

„Das unterfällt nicht meinem Verständnis von Richtlinienkompetenz - also nein“, lautet die Antwort. Dem Grünen Hans-Christian Ströbele, der mit der Bemerkung nachhakte: „Sie wollen ihn da hängenlassen?“, entgegnete Merkel kühl: „Das ist Ihre Bewertung.“(wid/17.02.2017)

Geladene Zeugin

  • Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin

 

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