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Bundes­weite Isla­mis­mus-Prä­ventions­stra­te­gie: Zuspruch und Skep­sis

Die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag (18/10477) erhobene Forderung nach einer bundesweiten Präventionsstrategie gegen gewaltbereiten Islamismus stößt bei Experten auf Zuspruch, aber auch auf Skepsis. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses unter Vorsitz von Ansgar Heveling (CDU/CSU) am Montag, 26. Juni 2017, deutlich.

„Wenig befriedigende Situation der Prävention“

Er stimme der Forderung nach einer nationalen Präventionsstrategie zu, sagte Prof. Dr. Peter Neumann vom King's College London. Die Koordination zwischen Bund, Ländern und Kommunen und zum Teil auch innerhalb dieser Ebenen laufe nicht optimal und müsse dringend verbessert werden. Das Fehlen einer solchen Strategie ist aus Sicht von Dr. Wiebke Steffen, der wissenschaftlichen Beraterin und Gutachterin des Deutschen Präventionstages, ein wesentlicher Grund für die wenig befriedigende Situation der Prävention des gewaltbereiten Islamismus.

Sindyan Qasem vom Zentrum für Islamische Theologie in Münster sagte hingegen, aufgrund der damit einhergehenden Normierungen und Normalisierungen seien vereinheitlichte bundesweite Praktiken an sich abzulehnen. Viel eher würden auf lokale und regionale Gegebenheiten reagierende Praktiken von national vereinheitlichten Qualitätsstandards und komparativen Evaluationsverfahren profitieren.

„Wir brauchen eine Anti-Terrorismusstrategie“

Skeptisch zeigte sich auch Dr. Götz Nordbruch von der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus. Eine Zentralisierung von Ansätzen und Maßnahmen über landes- und bundespolitische Gremien stehe einer lokalen Anbindung und Umsetzung von Präventionsangeboten „potenziell entgegen“, sagte er. Die Bedeutung lokaler Ansätze müsse daher auch in der künftigen Präventionspolitik „gestärkt und weiter ausgebaut werden“.

Prävention existiere nicht im Vakuum, betonte Neumann. „Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass wir nicht nur eine Präventionsstrategie brauchen, sondern eine Anti-Terrorismusstrategie“, sagte er. Eine solche Strategie müsse die drei Bereiche - Repression, Prävention, Integration - miteinander ausbalancieren und effektiv aufeinander abstimmen.

„Erfolgreiche Projekte in Regelstrukturen überführen“

Hazim Fouad vom Landesamt für Verfassungsschutz Bremen warnte davor, mit Projektmitteln für Präventionsprogramme strukturelle Defizite ausgleichen zu wollen. So seien Schulprojekte zu begrüßen. Sie brächten aber nichts, wenn auf der anderen Seite Schulsozialarbeiterstellen gestrichen würden oder die Klassengrößen explodierten. „Erfolgreiche Projekte müssen in Regelstrukturen überführt werden“, forderte er.

Seiner Ansicht nach müsste es in jedem Bundesland ein Präventionsnetzwerk geben, was derzeit aber noch nicht der Fall sei. Fouad wies daraufhin, dass es bundesweite Koordinierungen auf der Ebene der Behörden und auf der Ebene der Zivilgesellschaft gebe. „Was fehlt, ist ein Gremium, in dem sowohl alle behördlichen als auch alle zivilgesellschaftlichen Träger der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit an einem Tisch sitzen“, sagte er.

„Flickenteppich ist eine große Stärke“

Der in der Öffentlichkeit oft kritisierte „Flickenteppich“ sei eine große Stärke, befand Nordbruch. Durch die ganz verschiedenen Akteure könnten so auch die ganz unterschiedlichen Ursachen für die Radikalisierung in den Blick genommen werden. Die Verankerung der Präventionsstrategien auf lokaler Ebene dürfe durch eine nationale Strategie nicht infrage gestellt werden, betonte der Vertreter der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus.

Für eine strikte Trennung bei der Förderung von Präventions-, Bildungs- und Integrationsmaßnahmen sprach sich Sindyan Qasem aus. Gleichzeitig kritisierte er das Fehlen empirischer Belege für als feststehend geltende Annahmen wie etwa jene, dass Religiosität zu einem höheren Radikalisierungspotenzial führt.

„Konkrete Ansprechpartner müssen vorhanden sein“

Es gehe darum, jeweils individuelle Lösungen zu finden, sagte Holger Schmidt, Leiter des Kompetenzzentrums für Deradikalisierung im Bayrischen Landeskriminalamt. Wer sich an zivilgesellschaftliche Träger wende, dem solle kein Programm übergestülpt werden, sagte er. Seiner Ansicht nach existieren in den Bundesländern die benötigten Strukturen. Notwendig sei aber, „dass in den einzelnen Bereichen konkrete Ansprechpartner vorhanden sein müssen“. Schmidt sprach sich für Förderstrukturen mit längeren Zeiträumen aus. Ansonsten werde es für die zivilgesellschaftlichen Organisationen sehr schwierig, qualifiziertes Personal zu bekommen.

Nur eine bundesweite Strategie könne einen gesamtgesellschaftlichen, ressortübergreifenden, ganzheitlichen Ansatz gewährleisten, sagte Wiebke Steffen. Damit könne die Zuständigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure gesichert und die „Versicherheitlichung“ der Prävention durch die Dominanz von Polizei und Verfassungsschutz vermieden werden, sagte die wissenschaftliche Beraterin und Gutachterin des Deutschen Präventionstages.

Antrag der Grünen

Die Grünen wollen, dass ein bundesweites Präventionszentrum geschaffen wird, das die Präventionsstrategie erarbeitet und deren Umsetzung begleitet und koordiniert. Die Strategie entwickeln sollen laut Antrag zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure „gemeinsam und auf gleicher Augenhöhe“.

Ferner sollen unter anderem nach den Vorstellungen der Fraktion Bund und Länder die muslimischen Verbände und Moscheegemeinden „ermutigen oder gegebenenfalls dabei unterstützen, zu evaluieren, ob sie wirklich in der Lage sind, Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen beziehungsweise ob sie allein imstande sind, adäquate und nachhaltige Gegenstrategien zu entwickeln“.

 Auch sollten Bund und Länder helfen, die Voraussetzungen zu schaffen für die Einführung eines bedarfsgerechten Angebots für einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht, der den Schülern die Reflexion des eigenen religiösen Selbst- und Weltverständnisses ermöglicht. Ebenso sollten Bund und Länder helfen, die Voraussetzungen für den Aufbau einer muslimischen Gefängnisseelsorge zu schaffen und „Initiativen in Richtung einer demokratischen muslimischen Jugendarbeit zu unterstützen. (hau/26.06.2017)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Hazim Fouad, Landesamt für Verfassungsschutz, Referat für Islamismus und Ausländerextremismus, Bremen
  • Prof. Dr. Peter Neumann, King’s College London, Großbritannien
  • Dr. Götz Nordbruch, Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus, Berlin
  • Sindyan Qasem, Zentrum für Islamische Theologie, Münster
  • Holger Schmidt, Kriminialoberrat, Leiter des Kompetenzzentrums für Deradikalisierung im Bayerischen Landeskriminalamt, München
  • Dr. Wiebke Steffen, Wissenschaftliche Beraterin und Gutachterin des Deutschen Präventionstages, Hannover

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