Abgas-Ausschuss: Neun Monate Arbeit und kein gemeinsamer Nenner
Es war der 5. Untersuchungsausschuss der 18. Legislaturperiode, und er hatte am wenigsten Zeit. Neun Monate Arbeit, darunter sechs Monate für die Befragungen von 13 Sachverständigen und 57 Zeugen, liegen hinter den Abgeordneten. Rund 2.000 Seiten umfassen die stenografischen Protokolle. Fast 2.400 Aktenordner wurden zur Aufklärung des Abgasskandals herangezogen. Am Ende blieben die Zweifel der Koalitionsfraktionen am Sinn des Ausschusses, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen hingegen finden, dass er notwendig war. Auf einen gemeinsamen Nenner kam man nicht. Grüne und Linke erstellten Sondervoten zum Abschlussbericht (18/12900).
Der Ausschuss konstituierte sich am 7. Juli 2016, den Vorsitz übernahm Herbert Behrens (Die Linke). Zuvor hatte der Bundestag mit den Stimmen der Linken und Grünen bei Enthaltung von CDU/CSU und SPD der Einsetzung zugestimmt (18/8932, 18/8273). Am 8. September 2016 begannen die Anhörungen von Experten. Wichtigste Zeugen waren Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), Ex-VW-Chef Dr. Martin Winterkorn, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), die Chefin der kalifornischen Umweltbehörde Carb, Mary Nichols, und zum Abschluss am 8. März Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU). Am 22. Juni übergab der Ausschuss seinen Bericht an Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert. Am 30. Juni, dem letzten Sitzungstag vor der parlamentarischen Sommerpause, stellten die Obleute im Bundestag ihre Sichtweisen dar.
CDU/CSU moniert unklare EU-Regeln
Für die Union steht fest, Schuld an dem Skandal hätten nicht Bundesregierung und Behörden, sondern schwammige Regeln der EU und Schwächen der NEFZ-Labortests (Neuer Europäischer Fahrzyklus). Von der Verwendung unzulässiger Einrichtungen zum Abschalten der Abgasreinigung bei Dieselfahrzeugen des VW-Konzerns habe die Bundesregierung vor September 2015 weder Kenntnis noch konkrete Hinweise gehabt, bilanzierte Obmann Ulrich Lange (CDU/CSU). Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) sei seinen Pflichten nachgekommen.
Die Arbeit der von Dobrindt eingesetzten Untersuchungskommission sei gründlich und zielführend gewesen. Die „deutliche Unschärfe“ der EU-Vorschrift hinsichtlich der Abschalteinrichtungen hätten die Hersteller systematisch ausgenutzt. Notwendig sei daher eine Präzisierung des EU-Rechts. International habe die Bundesregierung immer wieder auf Weiterentwicklung der Abgas-Gesetzgebung gedrungen. Für die ab September 2017 geltenden RDE-Straßentests habe sich die Regierung für möglichst strenge Konformitätsfaktoren eingesetzt. Diese legen fest, um wie viel die Labor-Grenzwerte im Straßenverkehr überschritten werden dürfen.
Den Verbraucherinteressen - Umrüstung und VW-Garantie, dass diese zu keinerlei Verschlechterungen führt - wurde aus Sicht der Unionsfraktion ausreichend Genüge getan. Fragen wie Schadenersatz oder Bußgelder lägen in den Händen von Zivilgerichten und Strafverfolgung, nicht aber der Regierung.
SPD dringt auf Musterklagen
Auch nach Einschätzung der SPD hat der Ausschuss keine Anhaltspunkte für ein „organisiertes Staatsversagen“ erbracht. Alle Experten und Zeugen hätten bestätigt, dass niemand vor September 2015 von illegalen Abschalteinrichtungen bei Diesel-Pkw wusste, erklärte SPD-Obfrau Kirsten Lühmann. Deutlich sei auch geworden, dass Deutschland bei der Verschärfung der Abgasgesetzgebung eine treibende Kraft gewesen sei, so bei der schnellen Einführung von RDE und strenger Konformitätsfaktoren.
Trotz ihrer Skepsis habe die SPD den Ausschuss konstruktiv begleitet, um Empfehlungen zu erarbeiten, damit sich ein derartiger Skandal nicht wiederholen könne. Ein zentrales Anliegen sei der Schutz der betroffenen Verbraucher. Für künftige Fälle fordert die SPD die Einführung einer Musterfestellungsklage. Im Ausschuss habe man die Union davon überzeugt, betonte Lühmann. Leider sei der entsprechende Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas in dieser Wahlperiode von der Union blockiert worden.
Linke: Industrie konnte „ unbehelligt betrügen“
Dagegen stellte Die Linke der Regierung ein „vernichtendes Urteil“ für den Umgang mit dem Abgasskandal aus. Trotz konkreter Hinweise auf die Verwendung von Abschalteinrichtungen habe die Autoindustrie „unbehelligt weiter betrügen“ können, urteilte Herbert Behrens. Er forderte umfassende Strukturveränderungen bei der Überwachung der Hersteller, „wobei kein Stein auf dem anderen bleiben darf“.
Behrens kritisierte, die Koalitionsfraktionen hätten der Regierung Absolution erteilt und sogar die Gesundheitsgefahren durch Dieselabgase geleugnet. Dennoch wertete der Ausschussvorsitzende die Einsetzung des Ausschusses als notwendig und wichtig. Ohne die Aufklärungsarbeit hätte der öffentliche Druck auf die Autoindustrie nicht aufrechterhalten werden können.
Grüne zweifeln auch Wirkung neuer Prüfzyklen an
Auch Grünen-Obmann Oliver Krischer zog eine kritische Bilanz der Ausschussarbeit. Die Regierung habe Hinweise, dass die Abgasgrenzwerte im realen Betrieb weit überschritten werden, zehn Jahre lang ignoriert. Abschalteinrichtungen seien bekannt gewesen, schließlich tauche der Begriff in der EU-Verordnung von 2007 auf. Die fehlende Überwachung durch die Behörden hätten die Autohersteller als Einladung genommen, ihre Abgaskontrollsysteme unter bestimmen Bedingungen abzuschalten. Manipuliert habe nicht nur VW, sondern die gesamte Branche. Bei anderen Herstellern habe die Untersuchungskommission dies aber als legal definiert.
Krischer beklagte, die Bundesregierung bremse zudem Verbraucherrechte aus. Denkbar wären Ansprüche wie Rücktritt vom Kaufvertrag, eine Minderung des Kaufpreises oder Schadenersatz. Schließlich sei zu befürchten, dass trotz der neuen Prüfzyklen WLTP und RDE auch künftig keine realen Emissionswerte ermittelt werden, da die Hersteller dank der Konformitätsfaktoren die Grenzwerte auf der Straße legal um das Doppelte überschreiten dürfen.
Der Abgas-Untersuchungsausschuss ist Geschichte, die Aufklärung des Skandals geht jedoch weiter. Gegen mehrere Hersteller ermitteln Staatsanwälte. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete über ein Kartell aller großen deutschen Autobauer, das auch die Abgasreinigung bei Dieselautos umfassen soll. Am 2. August wollten Regierung und Industrie bei einem „Nationalen Forum“ Lösungen für die Stickoxid-Probleme finden. Im Vorgriff kündigten Audi und Daimler die Nachrüstung von 850.000 beziehungsweise drei Millionen Diesel der Normen Euro 5 und 6 an. (stu/07.08.2017)