Eine Initiative von Bündnis 90/Die Grünen zur Verbesserung der Qualität und Rechtssicherheit von Asylverfahren hat in einer Anhörung des Innenausschusses unter Leitung von Andrea Lindholz (CDU/CSU) überwiegenden Zuspruch gefunden. Zugleich übte die Mehrheit der geladenen Sachverständigen am Montag, 6. Mai 2019, deutliche Kritik an der derzeitigen Praxis.
Antrag und Gesetzentwurf der Grünen
In einem Antrag (19/4853) verlangen die Grünen unter anderem eine unabhängige und kostenlose Rechtsberatung, um Asylsuchende auf ihre Anhörung vorzubereiten, sowie feste Qualitätsstandards für Dolmetscher. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) müsse nach dem Prinzip „Qualität vor Schnelligkeit“ arbeiten.
Die Fraktion hat darüber hinaus einen Gesetzentwurf (19/1319) vorgelegt, um in Asylverfahren vor Verwaltungsgerichten die Möglichkeit der Berufung an eine höhere Instanz auszuweiten.
Qualitativ unzureichende Asylentscheidungen beklagt
In der Anhörung beklagte Bellinda Bartolucci, Leiterin der Abteilung Rechtspolitik bei der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, weiterhin qualitativ unzureichende Asylentscheidungen. Wo es um Leben oder Tod, körperliche Unversehrtheit oder Folter, Freiheit oder willkürliche Haft gehe, wäre eigentlich besondere Sorgfalt geboten, meinte sie.
Im Asylrecht herrsche hingegen der Beschleunigungsgrundsatz mit Schnellverfahren, eingeschränkten Rechtsmitteln und verkürzten Fristen. So sei 2018 jede dritte Bamf-Entscheidung vor Gericht korrigiert worden; Kläger aus Afghanistan seien sogar zu 60 Prozent erfolgreich gewesen. Bessere Entscheidungen entlasteten zugleich die Gerichte, betonte Bartolucci.
Der Gesetzentwurf der Grünen verdiene Zustimmung, sagte auch Prof. Dr. Uwe-Dietmar Berlit, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, der ebenfalls „erhebliche Qualitätsmängel“ in der Arbeit des Bamf seit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen 2015/16 beklagte. Berlit hob die Bedeutung einer unabhängigen Rechtsberatung von Asylbewerbern vor der ersten Anhörung hervor: „Rechtsschutz als Lotterie ist eines Rechtsstaats unwürdig“, sagte er.
„Unhaltbarer Zustand“
Der Jenaer Prof. Dr. Harald Dörig, Vizepräsident der Europäischen Vereinigung von Migrations- und Asylrichtern, begrüßte die von den Grünen vorgeschlagene Ausweitung der Berufungsmöglichkeit zu oberen Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht als Beitrag zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung. Es sei ein unhaltbarer Zustand, wenn die Aussicht auf die Asylgewährung auch davon abhänge, in welchem Bundesland ein Bewerber seinen Antrag stelle. Verfahren würden beschleunigt, wenn sich Richter in höherem Maße an oberinstanzlichen Leitentscheidungen orientieren könnten.
Der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts in Karlsruhe, Dr. Michael Hoppe, wies darauf hin, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit derzeit zu 80 Prozent mit Asylverfahren ausgelastet sei. Sie stehe damit jetzt vor einer ähnlichen Überforderung wie das Bamf in den Jahren 2015 und 2016. Umso wichtiger sei die Kontrolle durch übergeordnete Gerichte, um Rechtsfehler zu vermeiden. Derzeit seien die Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Entscheidungen soweit eingeschränkt, „dass die Qualität nicht vollständig sichergestellt werden kann“.
„Deutsche Rechtslage als Asyllotterie“
Der Frankfurter Asylanwalt Dr. Reinhard Marx rügte die Praxis der „Direktanhörung“ bei den Asylbehörden als Einschränkung der Rechtssicherheit der Betroffenen. Zunehmend werde es zur Regel, dass Asylbewerber bereits eine Woche nach Antragstellung angehört würden. In dieser Frist sei anwaltliche Betreuung kaum zu organisieren. Die Präsidentin des Verwaltungsgerichts in Göttingen Dr. Stefanie Killinger sprach von der deutschen Rechtslage als einer „Asyllotterie“, die dieses Land für Migranten zusätzlich attraktiv mache, denn in einer Lotterie sehe sich jeder als möglichen Gewinner.
Bamf-Präsident Dr. Hans-Eckhard Sommer verteidigte seine Behörde. Der Antrag der Grünen zur Qualitätsverbesserung im Asylverfahren sei bereits nicht mehr aktuell. Unter anderem nehme jeder Mitarbeiter des Bamf an jährlich zwei Fortbildungen teil: „Welche andere Behörde in Deutschland investiert derart in Qualität wie mein Amt?“ (wid/08.05.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Bellinda Bartolucci, Förderverein PRO ASYL e. V., Frankfurt am Main
- Prof. Dr. Uwe-Dietmar Berlit, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig
- Prof. Dr. Harald Dörig, Universität Jena
- Dr. Michael Hoppe, Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Karlsruhe
- Dr. Stefanie Killinger, Präsidentin des Verwaltungsgerichts Göttingen
- Dr. Reinhard Marx, Rechtsanwalt, Frankfurt am Main
- Dr. Hans-Eckhard Sommer, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg