Zeuge des Verfassungsschutzes verteidigt seine Behörde
Ein Referatsleiter aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz hat vor dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) seine Behörde gegen den Verdacht verteidigt, über den späteren Attentäter Anis Amri 2016 mehr gewusst zu haben als sie heute einräumen möchte. „Im Fall Amri war es uns leider nicht möglich, den Anschlag zu verhindern, denn es gab keine Quelle im Umfeld des Täters. In anderen Fällen gelingt uns das sehr wohl“, sagte der unter Decknamen auftretende Zeuge Thilo Bork in seiner Vernehmung unter Vorsitz von Armin Schuster (CDU/CSU) am Donnerstag, 18. Oktober 2018. Amri sei vor dem Zeitpunkt des Attentats für den Verfassungsschutz „nur eine Person unter sehr vielen“ radikalislamischen Gefährdern gewesen.
Vortrag über Anwerbung von Quellen
Nach einem beruflichen Vorleben als Rechtsanwalt fing der heute 48-jährige Zeuge in der für „Islamismus und islamistischen Terrorismus“ zuständigen Abteilung 6 des Bundesamtes zunächst als Quellenführer an, eine Tätigkeit, die er vier Jahre lang „auf der Straße“ ausgeübt habe: „Ich kann sagen, dass sich schon meine, zu wissen, wovon ich spreche, weil ich weiß, wie es draußen zugeht.“ Er wurde anschließend Referatsleiter und ist seit 2015 als Referatsgruppenleiter für „Beschaffung“ tätig, also für Einsatz und Führung von V-Leuten im radikalislamischen Milieu.
In einem einleitenden Vortrag machte Bork die Abgeordneten mit den Schwierigkeiten und rechtlichen Begrenzungen der Anwerbung von Quellen vertraut und erläuterte den nachrichtendienstlichen Begriff des „Umfeldes“. Der Verfassungsschutz, betonte Bork, dürfe niemanden als V-Mann anwerben, der nicht voll geschäftsfähig sei, sich in einem Aussteigerprogramm befinde, seinen Lebensunterhalt mit den Einkünften aus der Spitzeltätigkeit bestreiten müsse, „steuernden Einfluss“ auf Gruppen habe, die der Beobachtung unterlägen oder nicht wenigstens zur Bewährung ausgesetzte Vorstrafen aufweise.
Der nachrichtendienstliche Begriff des „Umfeldes“
Daraus sei schon zu ersehen, sagte Bork, dass sich „nicht jeden Tag eine geeignete Quelle“ finde, im Gegenteil: „Es kommt leider nicht allzu häufig vor.“ Ungeachtet all dessen gelte aber: „Ich bin von den rechtlichen Grundlagen überzeugt, denn ich arbeite für die Erhaltung unseres Rechtsstaats. Die Verfassung, die ich schütze, setzt mir richtigerweise den Rahmen.“ Seine Behörde dürfe und wolle mit einer Quelle nicht alles tun, was möglich wäre.
Zum nachrichtendienstlichen Begriff des „Umfeldes“ führte Bork aus, dieser sei „nicht objektbezogen, sondern personenbezogen“. Das bedeute: Selbst wenn sich eine Quelle in einem Objekt aufhalte, sei noch lange nicht gesagt, dass sie mit allen dort verkehrenden Personen Kontakt habe. Die Darstellung, der Verfassungsschutz habe in Amris Umfeld über keinen Informanten verfügt, wird immer wieder mit dem Hinweis angezweifelt, dass es eingestandenermaßen einen V-Mann in der Moabiter Fussilet-Moschee gab, wo Amri ein und aus ging.
„Wir hatten keine Quelle im Umfeld des Attentäters“
Der Zeuge bekräftigte auch, dass der Verfassungsschutz zu keinem Zeitpunkt federführend mit Amri beschäftigt gewesen sei: „Es war ein Fall, der in die Zuständigkeit der Polizei fiel, und wir haben begleitend gewirkt, und dabei ist es dann auch geblieben. Noch einmal: Wir hatten keine Quelle im Umfeld des Attentäters.“ Allein seine Referatsgruppe, sagte der Zeuge, sei im Jahr „mit einer mittleren dreistelligen Zahl von Gefährdungssachverhalten“ befasst, in denen die Möglichkeit eines Anschlages „immer im Raum“ stehe„.
In diesem Personenkreis sei Amri damals nicht besonders auffällig erschienen. Dass er einen Anschlag im Sinn hatte, habe die Behörde nicht gewusst, “und ich komme zu entscheidenden Punkt: Wir konnten es auch nicht wissen„. Gemessen an diesem damaligen Kenntnisstand gelte: “Wir haben im Fall Amri nichts falsch gemacht.„
Beamte aus Baden-Württemberg als Zeugen
Zwei Beamte des Landes Baden-Württemberg berichteten im Anschluss über das Verfahren der Aufnahme von Asylbewerbern zum Zeitpunkt der Einreise des späteren Attentäters Anis Amri nach Deutschland. Die beiden Zeugen Andrea Hilpert-Voigt und Harald Bohn waren damals in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Ellwangen beschäftigt, wo der Tunesier am 17. Juli 2015 aus Karlsruhe kommend auftauchte. Beide betonten allerdings, sie hätten an Amri keinerlei persönliche Erinnerungen mehr.
Die Zeugin Hilpert-Voigt war seit der Gründung der LEA in Ellwangen am 1. April 2015 ein Jahr lang im Bereich “Registrierung und Optionierung„ tätig, wo es darum ging, Neuankömmlinge entweder in die Unterkunft einzuweisen oder nach einem automatisierten Verfahren auf die für sie zuständigen Bundesländer zu verteilen.
Sie habe sich nicht einmal nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 erinnern können, dem Attentäter in ihrer beruflichen Funktion schon einmal begegnet zu sein. Erst als sie eine Zeugenladung für den Untersuchungsausschuss erhalten habe, der sich im Düsseldorfer Landtag mit dem Fall beschäftigt, sei ihr klar geworden, “dass ich da involviert war – ich selber wusste das nicht„, sagte die heute 56-Jährige.
“Persönlich sicher nicht begegnet„
Der Zeuge Harald Bohn leitet seit dem 1. Juni 2015 bis heute die Registrierungsstelle in Ellwangen. Als Amri dort eintraf, habe er mit mit einer Handvoll Mitarbeitern täglich bis zu 80 Neuzugänge zu bewältigen gehabt. Die Unterkunft sei damals mit zwischen 2.000 und 2.500 Asylbewerbern belegt gewesen.
Bohn ist Amri nach eigenen Worten persönlich sicher nicht begegnet. Er habe mit den Flüchtlingen direkt überhaupt nichts zu tun gehabt. Er sei vielmehr organisierend und koordinierend tätig gewesen. Erst nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz sei ihm bewusst geworden, dass der Attentäter auch einmal mit seiner LEA in Berührung gekommen war.
Fünf Tage nach seiner Ankunft in Ellwangen erhielt Amri am 22. Juli einen Termin bei der Zeugin Hilpert-Voigt, um über seinen weiteren Verbleib zu entscheiden.
Optionierung statt Registrierung
Da die LEA in Ellwangen nach den Vorgaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) generell nicht zur Aufnahme von Tunesiern vorgesehen war, kam für ihn keine “Registrierung„, also Unterbringung am Ort, sondern die “Optionierung„ infrage, also die computergesteuerte Weiterverweisung an eine andere Einrichtung. Zufällig spuckte das System Karlsruhe als Reiseziel aus, wo Amri schon hergekommen war. Er kehrte dorthin allerdings nicht mehr zurück.
Routinemäßig gab Hilpert-Voigt den Namen des Neuankömmlings, der sich ihr als “Anis Amir„ vorstellte, ins Ausländerzentralregister ein. Dort taucht eine Person allerdings erst frühestens nach Eingang eines Asylantrags auf. Entsprechend ergab die Suche keinen Treffer.
“Das war ein Massengeschäft„
Viele weitere Möglichkeiten, die Identität eines Antragstellers zweifelsfrei festzustellen, habe es damals nicht gegeben, sagten beide Zeugen aus. Nach den Worten Hilpert-Voigts sei es in höchstens einem von hundert Fällen gelungen, einen Asylbewerber einer falschen Namensangabe zu überführen.
Die Beamten hätten glauben müssen, was ihnen die Antragsteller erzählten, sagte auch Bohn: “Das war ein Massengeschäft, das schnell abgewickelt werden musste.„ Einen Ausweis legte Amri bei seiner Einreise nicht vor. Nach der Erinnerung der Zeugin Hilpert-Voigt traf dies damals auf 80 Prozent aller Neuankömmlinge zu. Bohn sprach von 40 bis 50 Prozent ohne gültige Dokumente. (wid/18.10.2018)
Liste der geladenen Zeugen
- Andrea Hilpert-Voigt, Regierungspräsidium Stuttgart, Referat für Öffentlichkeitsarbeit
- Harald Bohn, Oberamtsrat, Regierungspräsidium Stuttgart
- Thilo Bork, Bundesamt für Verfassungsschutz