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Hajo Seppelt: Alle stecken in der Doping-Falle

Ob Leichtathletik, Radsport, Schwimmen oder Fußball: Immer wieder wird der internationale Sport durch Doping-Fälle erschüttert. Die Spannweite reicht von individuellem Doping bis hin zu kompletten staatlichen Doping-Systemen. Dadurch werden internationale Wettbewerbe wie Olympische Spiele, Weltmeisterschaften und andere Großveranstaltungen in ein fragwürdiges Licht gerückt.

Über die Abgründe des Dopings im internationalen Spitzensport hat der weltweit bekannte und vielfach ausgezeichnete Sportjournalist und Doping-Experte Hans-Joachim („Hajo“) Seppelt am Montag, 19. November, 2018 in der Reihe „Forum W“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages berichtet. Prof. Dr. Joachim Rickes, Leiter der Unterabteilung Internationale Beziehungen des Bundestages, moderierte die Veranstaltung.

Seppelt: Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende

Seppelt illustrierte anhand seiner jahrelangen Einblicke anschaulich, was schief läuft im internationalen Spitzensport und stellte fest: Der Kampf gegen Doping und das System seiner vielen Profiteure ist noch lange nicht zu Ende. Jeder neu aufgedeckte Skandal zeige, wie fest tradierte Denkweisen noch in den Köpfen verwurzelt sind, und wie stark die restaurativen Kräfte sich Veränderungen in den Weg stellen. 
Das betreffe viele Athleten, die meisten großen Organisationen, darunter auch neu eingerichtete Instanzen, die sich natürlich nicht selbst kontrollieren könnten, und auch die überwiegende Mehrheit der etwa 200 Staaten, bei denen das Thema Doping keine Rolle spiele oder die Doping sogar aktiv förderten.

Das System der Profiteure ist riesig

Doping betreffe nicht nur einzelne Fälle, es werde systematisch betrieben, sagte Seppelt, und zählte auf, wie groß die Zahl der Akteure ist, die von sportlichen Rekorden profitieren: von Athleten und Ärzten, über die Ausrüster, Manager und Medien bis hin zu den Sponsoren und Fachverbänden.
Da dermaßen viele etwas davon hätten, ein weltweites System von Abhängigkeiten bestehe, sei die Aufklärung so schwierig. „Es ist eine Win-win-Situation für alle“, so Seppelt. Unter den Beteiligten bestehe kein Interesse an einer Bekämpfung des Dopings. Der Anreiz, das Thema – „ein Minus-Thema“ – aus der Öffentlichkeit herauszuhalten, sei hoch: „Alle stecken in der Doping-Falle.“ Journalisten und Staatsanwälte, die Fälle aufdecken, würden dagegen als Nestbeschmutzer gesehen und in ihrer Arbeit behindert. 

Staatsdoping in Russland

Doping sei keinesfalls eine Erscheinung der letzten Jahre, sondern existiere bereits seit Jahrzehnten. Seppelt erinnerte an die 1980er-Jahre, die die Hochzeit des Anabolika-Konsums gewesen seien. Über viele Jahrzehnte hätten die DDR und Russland hoch effiziente Systeme des Staatsdopings aufgebaut. Sogar ein „Stillhalte-Abkommen“ habe es zwischen Moskau und Ost-Berlin gegeben.

Die Aufdeckung des russischen Staatsdopings in der jüngsten Vergangenheit mithilfe der Informationen von Whistleblowern habe dann zu einem regelrechten „Erdbeben im Weltsport“ geführt. Die Russische Antidoping-Agentur hatte offenbar jahrelang Doping gefördert, statt es zu bekämpfen. Als einer derjenigen, die maßgeblich zur Aufklärung beigetragen hätten, habe er sich „mit der Weltmacht des Sports angelegt“, so Seppelt. „In Russland gelte ich mittlerweile als unerwünschte Person.“ Die Reaktionen Moskaus auf die Enthüllungen zeigten, wie groß das Ausmaß des staatlich geförderten Dopings gewesen sein muss. „Sie haben Russland bis ins Mark getroffen“, so Seppelt. 

Athleten sind Opfer des Systems

Seppelt plädierte dafür, Athleten, die leistungssteigernde Mittel einnehmen, stärker als Opfer des Doping-Systems zu sehen, und nicht nur als Täter. Es gebe einen „Systemzwang für den einzelnen Athleten“.
Die anachronistischen Strukturen des Spitzensports müssten auch mit dem Ziel reformiert werden, die Athleten wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Deren Finanzierung und Absicherung sei sehr ungerecht, die Verlockung, durch leistungssteigernde Substanzen in kurzer Zeit sehr viel mehr Geld zu verdienen, dagegen sehr hoch. „Die Athleten haben die geringste Macht.“ Die Sportler sollten sich stärker zu Wort melden. Vermutlich werde es künftig Sportgewerkschaften geben, um deren Interessen besser zu vertreten. Seppelt machte auch klar, dass man Sportler nicht unter Generalverdacht stellen dürfe. „Nicht alle dopen“, einige Sportarten seien stärker betroffen als andere.

Selbstreinigungskräfte des organisierten Sports versagen

Nicht zuletzt durch die Recherchearbeit der ARD-Doping-Redaktion und durch immer mehr investigative Journalisten weltweit, durch Whistleblower, Sportler, die auspacken, aber auch staatsanwaltliche und polizeiliche Ermittlungen, sei in den letzten Jahren eine Menge in Bewegung geraten. Der Deutsche Bundestag habe vor zwei Jahren ein Antidoping-Gesetz verabschiedet. „Es tut sich was, weil Druck von außen gemacht wird“, zeigte sich Seppelt überzeugt. Aber auch wenn es nun Schritte gegeben habe, das Problem des Dopings anzupacken, stecke „der übergroße Teil des organisierten Sports nach wie vor in der Doping-Falle“, so Seppelt. Die Kräfte des Beharrens blieben stark, Selbstkontrolle funktioniere nicht. „Die Selbstreinigungskräfte des organisierten Sports haben versagt.“ 

Die vielen Korruptions- und Doping-Skandale hätten gezeigt, wie hilflos der organisierte Sport mit dem Thema umgehe. Vom Weltfussballverband FIFA bis zum IOC, dem Internationalen Olympischen Komitee – die Verbände müssten noch ihre Hausaufgaben machen. „Solange der Sport unkontrolliert bleibt, wird sich nichts verändern“, mahnte Seppelt. „Nur wirklich unabhängige Kontrolleure sollten den Sport beobachten.“ Es sei nicht überzeugend, dass eine neue „Testing Agency“ auch wieder vom IOC bezahlt werde. „Mangelnde Kontrolle ist das Grundübel im internationalen Spitzensport.“ Seppelt räumte ein, dass „das ideale Anti-Doping-System noch nicht erfunden“ sei und schlug vor, dass in Zukunft beispielsweise fünf Prozent der Sponsorengelder für unabhängige Kontrollen verwendet werden könnten. 

Rolle des Sportjournalismus

„Ich habe mir den Beruf des Sportjournalisten zu Beginn meiner Arbeit ganz anders vorgestellt“, ging Seppelt auch mit seinem eigenen Berufsstand hart ins Gericht. Es gebe in diesem Beruf und in den Medien erhebliche Defizite, Irrwege seien eingeschlagen, fundamentale Fehler begangen worden. Wer das Ziel des Sportjournalismus darin sehe, Berichte über Sportereignisse lediglich als Produkt zu verkaufen, habe den Auftrag des Sportjournalismus nicht verstanden. Ihn habe die unkritische mediale Sicht auf den Sport im Lauf der Jahre schon bald irritiert und skeptisch werden lassen und ihn dazu bewogen auf Distanz zu der traditionellen Berichterstattung zu gehen.

Auch vor Kritik an der Rolle seines eigenen Senders sei er dabei nicht zurückgeschreckt. Er habe sich an investigativen Enthüllungen beteiligt, zahlreiche Informanten und Whistleblower getroffen, die Internetplattform www.dopingleaks.com ins Leben gerufen und so maßgeblich zur Aufklärung mehrerer Doping-Skandale und -Systeme beigetragen. Worum es beim Sportjournalismus gehe, sei, alles, was passiert, genau darzustellen. Ein Fußballspiel biete selbstverständlich einen unterhaltsamen Mehrwert, sei Entertainment. Die Medien dürften sich jedoch nicht allein auf die Darstellung von Sportereignissen fokussieren, sondern müssten auch auf die Rahmenbedingungen eingehen und über das berichten, was der Zuschauer zuerst nicht sieht, was abseits der Spielstätten passiere.

Sport als ein Kulturgut schützen

„Sport ist ein Kulturgut, das geschützt werden muss“, sagte Seppelt. Auch vor Doping, Wettbewerbsverzerrung, Korruption. Es gehe darum, beide Seiten der Medaille zu zeigen und auch die andere Seite der Medaille zu dokumentieren damit sich die Menschen ein vollständiges Bild machen können. Zu oft sei auch die ARD der Versuchung erlegen, lediglich über die heile Sportwelt zu berichten und dafür Millionen an Gebührengeldern auszugeben. „Sportbetrug“ sei so im deutschen Fernsehen übertragen worden. Das passe mit dem Auftrag, den die öffentlich-rechtlichen Sender hätten, nicht zusammen. 

Das Selbstverständnis der ARD habe sich jedoch in den letzten zehn bis 15 Jahren gewandelt. Man habe schließlich eine Kehrtwende um 180 Grad vollzogen und die Doping-Redaktion eingerichtet, eine weltweit einzigartige Abteilung, die Korruption im Sport zum Thema macht und frei von äußeren Einflüssen recherchieren und berichten könne. Die Recherchearbeit seines Teams und von mehr und mehr kritischen und investigativen Journalisten weltweit habe dazu beigetragen das Bewusstsein für das Thema Doping zu schärfen, Fälle aufzudecken und Veränderungen im System und in den Institutionen herbeizuführen. (ll/20.11.2018)

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