Parlament

Schlagabtausch über die künftige Rolle Europas

Sechs Wochen vor den Europawahlen haben sich die Bundestagsfraktionen einen Schlagabtausch über die künftige Rolle Europas geliefert. In einer anderthalbstündigen Vereinbarten Debatte wurde am Freitag, 12. April 2019, deutlich, wie weit die Vorstellungen auseinander liegen.

So sprachen sich SPD, Linke und Grüne insbesondere für die Schaffung europaweiter Sozialstandards aus, während Union und FDP im freien Welthandel die Basis für die Sicherung des Wohlstands in der EU sehen. Die AfD will insgesamt weniger Europa und zahlreiche Kompetenzen in die Nationalstaaten zurückverlagern.

Ministerin für Besteuerung von Digitalkonzernen 

Nach Ansicht von Bundesjustizministerin Dr. Katarina Barley (SPD), Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Europawahl, müssen die EU-Bürger konkret spüren, „dass Europa ihnen Schutz gibt“. Es brauche einen europaweiten Mindestlohn, faire Mitbestimmung in alle Mitgliedstaaten und eine Besteuerung von Digitalkonzernen wie Facebook und Google „genau wie beim Buchhändler an der Ecke“. Gäbe es diese Maßnahmen schon, hätte es den Brexit nicht gegeben, zeigte sich Barley, deren Vater aus Großbritannien stammt, überzeugt.

Viel Kritik musste sie in der Debatte einstecken wegen ihres am 11. April veröffentlichten Interviews mit dem russischen Staatssender „Russia Today Deutsch“, dem vorgeworfen wird, Kreml-Propaganda zu verbreiten.

Linke: Mindestlöhne und Mindeststeuern

Eine „Politik, die Europa sozial zusammenführt und nicht auseinandertreibt“, forderte auch Linken-Parteichef Bernd Riexinger. Nicht der Brexit habe die EU in die Krise gestürzt, sondern die tiefe soziale Spaltung in der Union, für die hauptsächlich die konservativen Parteien, wie die britischen Tories von Premierministerin Theresa May, verantwortlich seien.

„Die Alternativen liegen auf der Hand“, sagte Riexinger und nannte Mindestlöhne, Mindeststeuern für Konzerne und eine Digitalsteuer als Maßnahmen gegen Lohndumping, Pflegenotstand und mangelhafte öffentliche Infrastruktur.

Grüne fordern „Kraft hat zum Aufbruch in Europa“ 

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Dr. Anton Hofreiter, vermisste die „substanzielle Antwort“ der Bundesregierung auf die Reformvorschläge von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Es bräuchte eine Große Koalition, die „Kraft hat zum Aufbruch in Europa“, mahnte Hofreiter, stattdessen trete sie bei Themen wie Digitalsteuer, europäischem Haushalt und Klimaschutz auf die Bremse. Hofreiter betonte, die EU sei „die beste Antwort, die wir haben auf die ganz großen Herausforderungen“.

Dass ein harter Brexit nach der erneuten Verschiebung des Austrittsdatums zunächst abgewendet ist, begrüßte der Grünen-Abgeordnete. Problematisch sei allerdings, dass die Verlängerung über die Europawahl hinausgehe und wieder nicht klar sei, wofür die zusätzliche Zeit genutzt werden soll. „Dieser Kompromiss kann die ganze EU in Schwierigkeiten bringen“, warnte Hofreiter, der angesichts des Erstarkens von Rechtspopulisten von einer „enormen Bedeutung“ der im Mai anstehenden Europawahl sprach.

CDU/CSU gegen nationale Alleingänge für Europa 

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU), stellte klar, seine Fraktion lehne nationale Alleingänge für Europa ebenso ab wie „sozialistische Fantasien“. Der Wohlstand der EU basiere auf einer sozialen Marktwirtschaft und freiem und fairem Welthandel.

Auch seine Fraktionskollegin Katja Leikert betonte: „Vor dem Verteilen kommt das Wirtschaften.“ Die EU-Staaten müssten wettbewerbsfähiger und „europäische Champions“ gefördert werden, um das europäische Wohlstandsversprechen zu erfüllen.

FDP: Die EU ist gelähmt 

Nicola Beer, Spitzenkandidatin der FDP bei den Europawahlen, kritisierte die andauernden Brexit-Verhandlungen als „Selbstbeschäftigung der Europäer“, die eine Debatte über wichtige Zukunftsfragen blockiere. Dabei fehle es in Europa noch immer an einem europäischen Asylsystem und einer gemeinsamen Grenzpolitik.

Die Bildung des Europäischen Währungsfonds stehe genauso aus wie die Einführung des Mehrheitsentscheids in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die EU sei gelähmt, auch weil die Bundesregierung, „jeden Versuch, den Kontinent mit innovativen Ideen voranzutreiben“, lähme.

AfD: Vereinheitlichung und Gleichmacherei

Dr. Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD, warf der EU „Vereinheitlichung und Gleichmacherei“ und damit die Zerstörung europäischer Vielfalt vor. Die „Eurokraten“ versuchten, die „Vereinigten Staaten von Europa als industrialisiertes, von Windrädern durchzogenes Siedlungsgebiet, in dem die Identitäten abgeschafft sind und das Einwanderern aus aller Welt offen steht“, zu schaffen, urteilte Gauland.

Wer derart hegemonial agiere, riskiere, „dass der Brexit nicht Anfang, sondern Beginn einer fatalen Entwicklung ist“.  Gaulands Ko-Fraktionsvorsitzende Dr. Alice Weidel ergänzte, die Nationalstaaten würden immer mehr auf den Rang von Provinzen zurückgestuft. Angestrebt sei offenbar die Schaffung eines „Imperiums, geführt von nicht demokratisch legitimierten Entscheidungsträgern“. (joh/12.04.2019)