Gökay Akbulut fordert eine offenere Einwanderungspolitik
Im Streit um die Regierungspläne zur Zuwanderung ausländischer Fachkräfte fordert die Bundestagsabgeordnete der Linken Gökay Akbulut eine „offenere Einwanderungspolitik“. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz sei einseitig auf die Interessen der Konzerne und Unternehmen zugeschnitten, kritisiert die migrations- und integrationspolitische Sprecherin ihrer Fraktion in einem am Montag, 13. Mai 2019, erschienenen Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Die Linke sei auf jeden Fall für Zuwanderung, aber es könne nicht sein, „dass sich das nur nach Qualifikation und Punktesystem richtet und alle anderen, die nach Deutschland wollen, keine Chance haben“. Das Interview im Wortlaut:
Frau Akbulut, Die Linke begrüßt, dass mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz den Arbeitsmarkt für Menschen aus Nicht-EU-Staaten geöffnet werden soll. Trotzdem lehnt Ihre Fraktion den Regierungsentwurf ab. Warum?
Der Entwurf der Regierung ist einseitig zugeschnitten auf die Interessen der Wirtschaft, der Konzerne und Unternehmen. Auch überschätzt die Bundesregierung das Thema Fachkräftemangel total. In bestimmten Branchen gibt es sicherlich einen Fachkräftemangel, aber im Großen und Ganzen wird das sehr stark dramatisiert. Das zeigen auch die Statistiken für die jeweiligen Branchen. Zudem ist der Fachkräftemangel hausgemacht, weil zum einen die Unternehmen vergleichsweise zu wenig in Aus- und Weiterbildung investieren und zum anderen die Arbeitsbedingungen und Löhne in vielen Bereichen einfach schlecht sind.
Zum Beispiel?
Der Pflegebereich. Da haben die Beschäftigten über Jahrzehnte hinweg unter katastrophalen Arbeitsbedingungen gearbeitet. Wenn man dem Fachkräftemangel wirklich etwas entgegensetzen möchte, muss man bei den Arbeitsbedingungen und den Löhnen der Beschäftigten anfangen.
Wenn der Fachkräftemangel zu sehr dramatisiert wird, ist dann eine stärkere Zuwanderung von Fachkräften gar nicht notwendig?
Wir sind auf jeden Fall für Zuwanderung. Aber es kann nicht sein, dass sich das nur nach Qualifikation und Punktesystem richtet und alle anderen, die nach Deutschland wollen, keine Chance haben. De facto will man ja die Deregulierung des Arbeitsmarktes befördern, indem man auf dem weltweiten Arbeitsmarkt Rosinenpickerei betreibt und dort gut Qualifizierte anwirbt, während sich die Arbeitsbedingungen und Löhne hier wie bisher entwickeln. Das kann es nicht sein.
Aber warum sollte Deutschland Arbeitsmigranten ins Land holen wollen, wenn nicht aus Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsinteressen?
Deutschland ist ja ein Einwanderungsland, und es gibt ganz unterschiedliche Formen von Migration: Leute, die nur für das Studium nach Deutschland kommen wollen oder für eine Ausbildung oder aus familiären Gründen. Das muss auch ermöglicht und reguliert werden. Es kann nicht sein, dass das nur auf den Arbeitsmarkt reduziert wird.
Sie plädieren für eine generelle Öffnung und nicht nur eine für Fachkräfte?
Genau – für eine offenere Einwanderungspolitik.
Bleiben wir bei der Fachkräfteeinwanderung: Ihre Fraktion fordert auch einen „Spurwechsel“, damit geduldete Flüchtlinge einen sicheren Aufenthaltsstatus mit Arbeitsmarktzugang erhalten. Zielt darauf nicht auch die Bundesregierung mit der „Beschäftigungsduldung“ für gut integrierte Ausländer?
Ja, aber eine Duldung ist ein vorübergehender Aufenthaltsstatus. Wenn die Betroffenen aber keinen unbefristeten oder wenigstens längerfristigen Aufenthaltsstatus haben, ist es für sie unheimlich schwierig, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Oftmals entscheiden sie sich dann für schlechte Arbeitsverträge, um einen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Das ist dann ein Teufelskreislauf, in dem sich viele Migranten und Geflüchtete befinden, die hier ja auch arbeiten und sich etwas aufbauen wollen.
Mit welchen Schritten würden Sie denn Flüchtlingen den Zugang zum Arbeitsmarkt, zur Qualifizierung zu erleichtern?
Es wurde ja schon einiges gemacht, beispielsweise die Vorrangprüfung aufgehoben, was ich wichtig finde...
...bei der geprüft wird, ob für eine Stelle nicht auch ein Deutscher oder ein anderer EU-Bürger in Frage kommt.
Ja. Je schneller die Menschen in Ausbildung, Bildung oder Arbeit kommen, umso schneller gelingen Integration und Teilhabe, und umso schneller kommen die Menschen in unserer Gesellschaft an. Aber wenn sie jahrelang hin- und hergeschickt werden und warten müssen, ob sie eine Arbeitserlaubnis bekommen, ob sie einen Arbeitsplatz bekommen, führt das zu Unsicherheit und Frust. Wer wirklich eine gute Einwanderungspolitik machen will, muss den Leuten auch die Chancen geben.
Laut Regierungsentwurf soll zudem die Beschränkung auf besonders vom Fachkräftemangel betroffene „Engpassberufe“ bei der Fachkräfteeinwanderung entfallen. Auch ein richtiger Schritt?
Das sind sicher gute Schritte, aber wie gesagt: Es kann nicht sein, dass sich das nur auf die Interessen der Wirtschaft bezieht, aber die Rechte der Geflüchteten, der Migranten als zweitrangig eingestuft werden.
Um dem entgegenzuwirken, fordert Die Linke in einem Antrag beispielsweise zwölf Euro Mindestlohn oder eine striktere Begrenzung der Wochenarbeitszeit – wäre das nicht ein zusätzlicher Anreiz für Ausländer, ihr Glück auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu suchen?
Für uns als Linke ist wichtig, dass man die Menschen – Deutsche wie Migranten – nicht gegeneinander ausspielt in einer Konkurrenzdebatte. Uns geht es darum, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Staatsangehörigkeit mit guten Arbeitsbedingungen und sicheren Arbeitsplätzen leben können und dass diese Konkurrenz aufgehoben wird, die aufgrund des kapitalistischen Systems entsteht.
Fachkräfte aus Drittstaaten können dem Regierungsentwurf zufolge künftig für sechs Monate einreisen, um einen Arbeitsplatz zu suchen. Verschärft das nicht auch den Konkurrenzdruck, vor dem Die Linke warnt?
Wir haben in Deutschland ja wirklich eine starke Konjunktur, und für Die Linke ist es ein sehr wichtiges Anliegen, dass die Konzerne und Unternehmen nicht mit den Beschäftigten, die hierher kommen, Lohndumping betreiben und diese Konkurrenzsituation einfach ausnutzen. Das ginge zu Lasten sowohl der deutschen als auch der migrantischen Beschäftigten. Daher muss gemeinsam mit den Gewerkschaften um gute Arbeitsbedingungen für alle gekämpft werden, damit die Beschäftigten nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Dass eine forcierte Einwanderung ausländischer Fachkräfte die fremdenfeindliche Stimmung in Teilen der Bevölkerung weiter schürt, befürchten Sie nicht?
Das wäre abzuwarten, ob sich das so entwickelt. Wir haben ohnehin in allen Lebensbereichen sehr viel Rassismus, Alltagsrassismus, dem Geflüchtete und Migranten ausgesetzt sind. Deshalb ist es wichtig, sich für eine solidarische und offene Gesellschaft einzusetzen, in der Menschen nicht einfach ausgegrenzt werden, weil sie anders aussehen oder eine andere Religionszugehörigkeit haben.
Warum sollten umgekehrt eigentlich ausländische Fachkräfte überhaupt nach Deutschland kommen wollen, also in ein Land, in dem es tagtäglich fremdenfeindliche Übergriffe gibt?
Das gilt ja nicht für die gesamte deutsche Gesellschaft, und es ist wichtig, nach außen zu signalisieren, dass wir in einer offenen und demokratischen Gesellschaft leben. Das sind unsere gemeinsamen Werte, an denen wir festhalten müssen und die wir gemeinsam gegen diese Angriffe von rechts verteidigen müssen.
(sto/13.05.2019)