Gesundheitsexperten befürworten grundsätzlich einen höheren Frauenanteil in Führungspositionen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Allerdings werden verbindliche Frauenquoten teilweise kritisch gesehen, wie eine Anhörung im Ausschuss für Gesundheit unter Vorsitz von Erwin Rüddel (CDU/CSU) am Mittwoch, 5. Juni 2019, ergab. Mehrere Sachverständige sprachen sich in der Anhörung wie auch in schriftlichen Stellungnahmen dafür aus, mit einer Reorganisation von Abläufen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern.
„Frauen stark unterrepräsentiert“
In der Expertenanhörung ging es konkret um einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (19/4855) mit der Forderung von verbindlichen Vorgaben für die Besetzung von Spitzenfunktionen im Gesundheitswesen. Frauen seien in Führungspositionen der Krankenkassen und ihrer Verbände, den Organisationen der Ärzte- und Zahnärzteschaft sowie weiteren Organisationen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen stark unterrepräsentiert. Dies stehe im Gegensatz zum hohen Frauenanteil bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen.
Die Abgeordneten fordern eine angemessene Repräsentanz in den Verwaltungsräten der gesetzlichen Krankenkassen und den Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie den Spitzenverbänden der Selbstverwaltungskörperschaften auf Bundesebene. Für die Vorstände der gesetzlichen Krankenkassen, der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und ihrer Spitzenverbände auf Bundesebene müsse eine verbindliche Frauenquote eingeführt werden. Nötig seien auch verbindliche Vorgaben für die Dokumentation der Nominierungs-, Auswahl- und Wahlverfahren zu den entsprechenden Gremien.
„Strukturelle Diskriminierung“
Die Einzelsachverständige Antje Kapinsky erklärte, es bestehe dringender Handlungsbedarf. In Krankenhäusern und Arztpraxen, bei Krankenkassen und Institutionen, seien Frauen zahlenmäßig stark vertreten, jedoch würden Führungspositionen in den Organisationen und Gremien des Gesundheitswesens überwiegend von Männern besetzt. In wissenschaftlichen Studien werde der Zusammenhang zwischen dem Frauenanteil in entscheidenden Positionen und den medizinischen Entscheidungen klar belegt. Eine stärkere Beteiligung von Frauen führe zu signifikant besseren Ergebnissen.
Auf die medizinische Perspektive ging auch die Sachverständige Prof. Dr. Clarissa Kurscheid ein. So werde immer noch keine genderspezifische Medizin betrieben, obwohl längst bekannt sei, dass gerade bei Volkskrankheiten eine geschlechtersensible Behandlung zu größeren Erfolgen führe und ein Verzicht darauf Fehldiagnosen verursachen könne. Sie rügte außerdem eine strukturelle Diskriminierung, weil Familienarbeit immer zu sehr als Frauenarbeit angesehen werde. In Personalentwicklungsgesprächen werde häufig die Rolle einer Führungskraft und die einer Mutter als unvereinbar angesehen. So seien die Regelungen des Mutterschutzes bei Vorständen nach wie vor nicht an die Lebenswirklichkeit von Frauen mit Kinderwunsch angepasst.
„Wählbarkeitsvoraussetzungen lockern“
Der Arbeitgeberverband BDA erklärte, ein möglichst repräsentatives Verhältnis von Frauen und Männern in der Selbstverwaltung sei wünschenswert, sollte aber nicht durch eine Quote erzwungen werden, zumal die Zulässigkeit von Quoten bei Wahlen verfassungsrechtlich umstritten sei. Für einen höheren Anteil von Frauen in der sozialen Selbstverwaltung wäre es hingegen hilfreich, die Wählbarkeitsvoraussetzungen zu lockern und die Entscheidungsspielräume zu stärken. Zudem sollte darauf hingewirkt werden, dass die mit den Posten verbundene Gremienarbeit auch neben Beruf und Familie möglich sei und Frauen nicht überfordere.
Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hält es für wesentlich, eine hinreichende Vereinbarkeit der beruflichen oder ehrenamtlichen Anforderungen mit parallel bestehenden Erziehungs- und Betreuungspflichten sicherzustellen. Dies gelte auch für die Gewinnung von weiblichen Führungskräften und Vorständen und zweiten Führungsebenen der Krankenkassen. So verfolge der GKV-Spitzenverband mit seinem Gleichstellungsplan das Ziel, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Hierzu zählten konkret flexible Arbeitszeitvorgaben, um mobiles Arbeiten zu ermöglichen, und die Einrichtung eines Eltern-Kind-Arbeitszimmers.
„Ausschließlich quotierte Listen zulassen“
Nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wird der Frauenanteil in den Selbstverwaltungsgremien durch die Zusammensetzung konkurrierender Listen entscheidend beeinflusst. Wenn eine Liste mit Frauenquote aufgestellt sei, könne der Wahlerfolg anderer, männerdominierter Listen im Ergebnis dazu führen, dass Frauen unterrepräsentiert sind. So falle auf, dass die Arbeitgeber überwiegend männliche Repräsentanten in die gemeinsam selbstverwalteten Gremien entsenden. Dadurch gehe der Frauenanteil noch weiter zurück. Zu lösen wäre das Problem, indem für die Teilnahme an den Sozialwahlen ausschließlich quotierte Listen zugelassen würden. Auf diese Weise könnte der Anteil von Frauen in Führungspositionen der Selbstverwaltung deutlich gesteigert werden.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) geht davon aus, dass sich der Anteil der Ärztinnen weiter erhöhen wird und dies dazu führt, dass sich auch mehr Frauen berufspolitisch engagieren und in den Führungspositionen des Gesundheitswesens vertreten sein werden. Um Frauen den Weg dorthin zu ebnen, müssten jedoch die Rahmenbedingungen stimmen mit der Vereinbarkeit von familiären und beruflichen Verpflichtungen. Eine starre Quote könnte Frauen als Makel anhängen. Zudem seien Frauen in den Bundesländern unterschiedlich stark in Gremien vertreten, im Osten stärker. Dies spreche für regionale Lösungen. (pk/05.06.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
Verbände/Institutionen:
- Bundesärztekammer (BÄK)
- Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V. (BDA)
- Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG)
- Deutscher Frauenrat, Lobby der Frauen in Deutschland e. V. (DF)
- Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)
- Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband)
- Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
- Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV)
- ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Einzelsachverständige:
- Milagros Caiña Carreiro-Andree, Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft (BMW AG)
- Dr. Christiane Groß, Deutscher Ärztinnenbund e. V.
- Antje Kapinsky, Initiative Spitzenfrauen Gesundheit
- Prof. Dr. Winfried Kluth, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- Prof. Dr. Clarissa Kurscheid, Healthcare Frauen e. V. (HCF)
- Prof. Dr. Anke Lesinski-Schiedat, Deutsches HörZentrum der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH)
- Holger Lösch, Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI)
- Dr. Monika Schliffke, Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH)
- Prof. Dr. Kay Windthorst, Universität Bayreuth