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Roth: Mehrheit in der IPU lehnt tür­kische Invasion in Nord­syrien ab

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen)

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) (DBT/Inga Haar)

Die Krise in Syrien und die Klimakrise waren Themen bei der 141. Versammlung der Interparlamentarischen Union (IPU), die vom 12. bis 17. Oktober 2019 in Belgrad (Serbien) tagte. Dazu gab es jeweils Dringlichkeitsanträge. Die Delegierten entschieden dann knapp, sich mit dem Antrag zum Weltklima zu beschäftigen, da in der Generalversammlung immer nur ein Antrag behandelt wird. Auch wenn der von Deutschland mit eingebrachte Antrag zu Syrien nicht zum Zuge gekommen sei, zeige das knappe Abstimmungsergebnis doch, „dass die Mehrheit der anwesenden Parlamentarierinnen und Parlamentarier die völkerrechtswidrige Invasion der Türkei in Nordsyrien ablehnt“, sagt Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), stellvertretende Leiterin der Bundestagsdelegation zur IPU, im Interview. Das Interview im Wortlaut:


Frau Roth, Deutschland hat zusammen mit den Ländern der sogenannten „geopolitischen Gruppe 12+“ einen Dringlichkeitsantrag zur Situation in Syrien eingebracht. Die Türkei stellte dann noch einen separaten Antrag. Die Fronten bei der Beurteilung der Lage sind verhärtet. Welche Möglichkeiten sehen Sie als Parlamentarierin, um zu einer gemeinsamen Konfliktlösung in Syrien zu kommen?

Über die geopolitische Gruppe „12+“, der übrigens auch die Türkei angehört, wurde ein Dringlichkeitsantrag zur Lage in Syrien erarbeitet. Wir als deutsche Delegation haben den gemeinsamen Antrag mitinitiiert, der die Türkei klar auffordert, die humanitäre Lage in der Region mit Hunderttausenden neuen Flüchtlingen und Vertriebenen nicht zu verschärfen und den völkerrechtswidrigen Einmarsch in Syriens Norden zu beenden. Nach einer längeren Debatte wurde der Antrag dann als gemeinsamer Antrag der Gruppe „12+“, allerdings ohne Zustimmung der Türkei, der Generalversammlung der IPU vorgelegt. In der „12+“-Gruppe bemühen wir uns normalerweise sehr darum, geschlossen zu handeln. In diesem Fall hat sich die Türkei leider gegen den Antrag gestellt. Wir haben dann erst sehr spät von einem alternativen Dringlichkeitsantrag der Türkei zu dieser Frage erfahren, der inhaltlich konträr zum Antrag von „12+“ steht.

Was passierte dann?

Da letztendlich immer nur ein Dringlichkeitsantrag in der Generalversammlung behandelt werden kann, wurden die verschiedenen Vorschläge zur Dringlichkeit gegeneinander abgestimmt. Am Ende verlor unser Antrag leider knapp mit nur wenigen Stimmen gegen einen weiteren Dringlichkeitsantrag aus Indien zur Klimakrise. Der türkische Vorstoß erhielt kaum Unterstützung. Auch wenn unser Antrag bedauerlicherweise nicht behandelt wurde, zeigt das knappe Abstimmungsergebnis dennoch, dass die Mehrheit der anwesenden Parlamentarierinnen und Parlamentarier die völkerrechtswidrige Invasion der Türkei in Nordsyrien ablehnt.

Haben Sie mit Ihren türkischen Kolleginnen und Kollegen gesprochen?

Die Leiterin der türkischen Delegation versteht sich als Unterstützerin der Regierungslinie von Präsident Erdoğan und vertritt oft Standpunkte, die unsolidarisch oder spalterisch sind und in der „12+“-Gruppe nicht geteilt werden. In diesem Rahmen debattiere ich mit der türkischen Kollegin manchmal durchaus konträr – so, wie mit allen anderen Mitgliedern entlang unserer Inhalte und der gemeinsamen Werte.

Regionale Zusammenarbeit als Beitrag für Frieden und Sicherheit war eines der Hauptthemen der Generaldebatte. Was sind dabei die dringendsten Aufgaben in der Balkan-Region?

In der Generaldebatte der IPU-Versammlung sprechen Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus den Mitgliedsparlamenten, diesmal waren es 149 Parlamente. Es geht dabei um alle wichtigen Themen der internationalen Politik, wie unsere Verantwortung in Zeiten der Klimakrise, die Erfüllung der nachhaltigen Entwicklungsziele und der SDGs, es geht aber auch Fragen von Krieg, Frieden, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Sicherheit. Zudem werden viele spezifisch regionale Themen angesprochen, die die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in ihren Heimatländern bewegen. Alle Balkan-Länder sprachen beispielsweise von der Notwendigkeit einer besseren regionalen Integration, der Öffnung der Grenzen und der engeren Zusammenarbeit zwischen den Ländern, die noch bis vor Kurzem in kriegerischen Konflikten miteinander gestanden haben. In dieser Lage spielt die EU übrigens eine entscheidende Rolle: Sie ist nicht nur Katalysator dieser friedlichen Entwicklungen und einer perspektivischen EU-Integration, sondern sie muss diese Länder auch aktiv und tatkräftig unterstützen.

Das Gastgeberland Serbien hat eine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union und bekennt sich zu den Werten der EU und des Europarats. Wo steht das Land auf dem Weg in die EU?

In den letzten zehn Jahren hat Serbien offensichtliche Fortschritte im Rahmen des EU-Beitrittsprozesses gemacht, das wird allerseits bestätigt. Die bisherigen Fortschritte sind elementar, um die Beitrittsperspektive nachhaltig zu gestalten, aber definitiv nicht ausreichend. Insbesondere die Fragen von demokratischen Rechten und Gepflogenheiten, der Medien- und Meinungsfreiheit in der serbischen Innenpolitik sind noch verbesserungsbedürftig. In den Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft wurde immer wieder bemängelt, dass die Bereiche Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die EU vernachlässigt würden und die starke Fokussierung auf das Thema Kosovo kritisiert. Für die weiteren EU-Beitrittsgespräche mit Serbien wäre es also wichtig und richtig, den Fokus auf die Bereiche Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu legen und nicht alles von der Kosovo-Frage abhängig zu machen.

Im Ausschuss für Frieden und internationale Sicherheit gab es eine Expertenanhörung zum Thema „Klima und Sicherheit“, für das Sie mit zwei Kollegen als Berichterstatterin für das kommende Jahr eine Resolution vorbereiten. Was sind Ihre wichtigsten Punkte?

Dass das Thema Klimakrise und die immensen Herausforderungen im Umgang mit den Auswirkungen überhaupt auf die Agenda des Ausschusses für Frieden und internationale Sicherheit gesetzt werden konnte, ist schon mal ein Riesenerfolg. Die Dringlichkeit des Themas zeigte sich nicht zuletzt bei unserer Expertenanhörung: Der Saal war voll und Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus der ganzen Welt haben sich an der Diskussion beteiligt. Insbesondere jene Länder, die heute schon die existenziellen Auswirkungen der Klimakrise spüren, waren breit vertreten.

Worauf zielt die Resolution genau?

Gemeinsam mit den beiden Co-Berichterstattern aus Sri Lanka und Senegal bereiten wir nun eine Resolution vor, die sämtliche Perspektiven auf den Nexus Klimakrise, Frieden und Sicherheit vereinen soll. Im April 2020 wird die Resolution dann in Genf in der Generalversammlung diskutiert. Das Ziel der Resolution ist letztendlich, Parlamente weltweit für die sicherheitspolitischen Folgen des Klimawandels zu sensibilisieren und dafür zu werben, dass die Verbindung von Klimawandel und Sicherheitspolitik in allen Konfliktsituationen mitgedacht wird. Die Perspektive soll dabei auf den Klimaschutz und den Schutz der Menschenrechte gerichtet werden. Dass wir dafür alle zusammen an einem Strang ziehen müssen, um diese Jahrhundertaufgabe zu meistern, wurde bei der Anhörung ganz deutlich.

Gehen Sie speziell auf die Forderungen der jungen Generation zum Klimaschutz ein?

Die niederländische Delegation hatte für die geopolitische Gruppe „12+“ sogar einen Dringlichkeitsantrag zur Klimakrise und den Forderungen der jungen Generation vorbereitet. Sie haben den Antrag allerdings zugunsten des Antrags zur schrecklichen Lage in Syrien zurückgezogen. Die Forderungen gingen aber nicht gänzlich verloren: Viele Inhalte aus dem Antrag der Niederländer konnten noch in den Dringlichkeitsantrag der Inder hineinverhandelt werden. Der verabschiedete Antrag zur Klimakrise fordert nun alle Parlamente der Welt dazu auf, alles in ihrer Macht Stehende zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Umsetzung des Pariser Abkommens sowie weiterer klimapolitischer Beschlüsse der internationalen Organisationen zu unternehmen. (ll/18.10.2019)

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