Enquete-Kommission Berufliche Bildung

Chan­cen und Risi­ken neuer Bil­dungs­wege erörtert

Mit neuen Wegen in neue Berufe und deren Chancen und Risiken hat sich die Enquete-Kommission Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ in einer öffentlichen Anhörung am Montag, 13. Januar 2020, beschäftigt. In der ersten Sitzung des Jahres ging es um atypische, kreative Bildungswege, vor allem mit Blick auf den IT-Bereich. „Private Anbieter bieten Qualifizierungen oder Qualifizierungsbausteine mit eigenen Systematiken an, die wie berufsähnliche Abschlüsse – jenseits des bisherigen deutschen Ordnungsrahmens der Berufswege – wirken“, sagte der Vorsitzende der Kommission, Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU). Die Kommission wolle daher klären, wie diese Entwicklungen zu bewerten sind und wie solche Zertifizierungen durch Politik, Verbände und Sozialpartner im Berufsbildungssystem eingeordnet, dokumentiert und auch validiert werden könnten.

„Digitale Kompetenzen erwerben“

Carsten Johnson von der Cisco Networking Academy betonte, dass Beschäftigte und Auszubildende über alle Branchen und berufliche Handlungsfelder hinweg digitale Kompetenzen erwerben müssten, um handlungs- und gestaltungsfähig zu sein und zu bleiben. Das berufliche Bildungssystem stoße mit der Digitalisierung an Grenzen, was etwa die Fähigkeit, technische Innovationen zeitgerecht zu adaptieren, betreffe. Einen Ausweg könnten digitalen Lernwerkzeuge und Plattformen bilden, durch die „Lerninhalte, handlungsorientierte Übungsaufgaben und Simulationsmedien schnell, effektiv, ortsungebunden und effizient“ verbreitet werden könnten.

Ein solches agiles Bildungselement sei das Cisco Networking Academy-Programm, das auf Industrieniveau bildungsbegleitend zur Verfügung stehe. Damit sei man bereits an vielen Berufsschulen und Bildungseinrichtungen in Deutschland vertreten. Ein weiterer Vorteil von solchen Lernplattformen sei die Vielzahl von Sprachen, in denen die Lernangebote bereitstünden. Eine besonders große Relevanz ergebe sich für diejenigen, die Schwierigkeiten beim Zugang zum klassischen Aus- und Weiterbildungssystem haben und für Quereinsteiger, sagte der Sachverständige. Johnson verwies in seinen Empfehlungen auch auf die weitere Qualifizierung von Lehrkräften.  

Das Projekt ValiKom

Andreas Oehme vom Westdeutschen Handwerkskammertag, Leiter des Projektes ValiKom, berichtete vom Stand des Projekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und den Dachverbänden der Handwerks- und Industrie- und Handelskammern. Der Markt in Deutschland zeige „sehr viele Kompetenz-Feststellungsverfahren mit sehr unterschiedlichen Zielrichtungen“, sagte er. Validierungsverfahren seien gut geeignet, um  Brücken zum formalen Bildungssystem zu schlagen, und könnten ein motivierendes Instrument sein.

Für das Projekt ValiKom gelte, dass es vor allem von Menschen ohne Berufsabschluss mit mehrjähriger Berufserfahrung, Personen mit Berufsabschluss, die aber nicht mehr in ihrem erlernten Beruf tätig sind, und Personen, die im Ausland einen Berufsabschluss erworben haben, der aber in Deutschland nicht durch das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz anerkannt wird, genutzt werde.

Das in diesem Projekt entwickelte und erprobte Validierungsverfahren bewerte und zertifiziere die vorhandenen beruflichen Kompetenzen einer Person im Vergleich zu einem formalen Berufsabschluss. Das Durchschnittsalter liege bei etwa 39 Jahren, die Zielgruppe sei oberhalb der Altersgrenze von 25 Jahren definiert, denn die Berufsausbildung bleibe der Königsweg, betonte Oehme. Er plädierte dafür, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, damit die für Berufsprüfungen zuständigen Stellen, die das Vertrauen der Arbeitsmarktakteure hätten, auch für die Durchführung von Validierungsverfahren zuständig werden.

„Flexible Ausbildungsbausteine fehlen“

Wie die Situation sich aus wissenschaftlicher Sicht gestalte, berichtete Prof. DrEckart Severing vom Institut für Pädagogik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Es gebe nicht nur bei den IT-Berufen disruptive Veränderungen bei den Anforderungen und den Berufsbiografen, sagte Severing. Besonders die Neuordnungsverfahren seien starr und manchmal zu träge. Auch fehle es an flexiblen Ausbildungsbausteinen. Die Verfahren bei den Industriezertifikaten seien sehr langwierig, und bei der Ausbildung gebe es ein sehr geschlossenes System der Beruflichkeit, kritisierte Severing. „Nicht über eine formale Qualifikation zu verfügen, bedeutet nicht, unqualifiziert zu sein“, betonte er.

Wichtig sei die Dokumentation und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen. Severing sprach von einem „gewaltigen Schatz“ an Ressourcen, der dadurch gehoben werden könne. Verfahren zur Sichtbarmachung und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen existierten fast nur auf der Ebene von Projekten, sagte er. Es brauche allerdings mehr Verbreitung und Zugänglichkeit, eine Standardisierung und den Anschluss an das Berufssystem sowie eine verbindliche Anerkennung über einen Rechtsstatus im Bildungssystem. Gerade im Wettbewerb mit agileren Volkswirtschaften könnten dies entscheidende Faktoren sein.

Was die Abgeordneten wissen wollten

In ihren Nachfragen konzentrierten sich die Fraktionen auf Lehren für das deutsche System. Die CDU/CSU-Fraktion wollte Details dazu erfahren, wie genau eine Qualifizierungsoffensive für Lehrende in Bezug auf digitale Kompetenzen aussieht und wie sich auch Lehrplaninhalte verändern müssen. Die SPD-Fraktion interessierte sich dafür, wie Cisco die Rolle von Unternehmen in dem Prozess bewertet und dafür, wer die Lerninhalte entwickelt und die Qualität sichert. Aus der AfD-Fraktion gab es Nachfragen zu Erkenntnissen des ValiKom-Projekts, zum Durchschnittsalter der Teilnehmer und zur Stichprobengröße.

Abgeordnete der FDP-Fraktion fragten danach, wie aus Sicht von ValiKom eine realistische Zielgröße an Teilnehmern aussieht, um zu sagen, dass sich das Projekt gelohnt hat. Die Linke interessierte sich dafür, wie sich die Beruflichkeit verändern muss und wie es um das Thema der digitalen Mündigkeit bei den Angeboten steht. Bündnis 90/Die Grünen wollten wissen, welche Rolle Datenschutz, Datensicherheit und der Umgang mit den eigenen Daten in den Lerninhalten spielen. (lbr/13.01.2020)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Carsten Johnson, Area Academy Manager Deutschland, Cisco Networking Academy, Corporate Social Responsibility (CSR), Berlin
  • Andreas Oehme, Diplom-Kaufmann, Geschäftsführer des Westdeutschen Handwerkskammertages (WHKT), Leiter des Projektes ValiKom, Düsseldorf
  • Prof. Dr. Eckart Severing, apl. Professor am Institut für Pädagogik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

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