1. Untersuchungsausschuss

Polizisten berichten über Einsatz in der Tatnacht

Der 1. Untersuchungsausschuss im Europasaal während einer Zeugenvernehmung

Der 1. Untersuchungsausschuss tagt im Europasaal des Paul-Löbe-Hauses. (© picture alliance/Bernd von Jutrczenka/dpa)

In der Nacht nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz hat das Landeskriminalamt die durch islamistische Umtriebe auffälligen Moscheen der Stadt routinemäßig überprüfen lassen, allerdings nichts Verdächtiges festgestellt. Dies berichtete ein beteiligter Beamter eines Mobilen Einsatzkommandos (MEK) am Donnerstag, 5. März 2020, dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) unter Vorsitz des Abgeordneten Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU). Der heute 32-jährige Polizeiobermeister T. A. suchte damals mit zwei Kollegen die Moabiter Fussilet-Moschee auf, die zu den bevorzugten Aufenthaltsorten des Attentäters Anis Amri gezählt hatte. Dieser war in den ersten Stunden nach dem Anschlag als Täter allerdings noch nicht bekannt.

Überprüfung der Fussilet-Moschee

Er erinnere sich an eine „chaotische“ und „unübersichtliche“ Lage in der Nacht zum 20. Dezember 2016, sagte der Zeuge: „Keiner wusste so genau, was vorgefallen war.“ Er selbst sei gegen 22 Uhr zu Hause angerufen und aus dem Feierabend in den Dienst zurückbeordert worden. Etwa eine Stunde später sei er mit einer Dreierstreife aufgebrochen. Der Auftrag, die Fussilet-Moschee anzufahren, sei später über Funk eingetroffen. Zur gleichen Zeit seien andere Streifenwagen zu weiteren verdächtigen Gebetshäusern Berlins unterwegs gewesen. Sie hätten allerdings nirgendwo Auffälligkeiten festgestellt.

Wie sich aus der Aufzeichnung einer Überwachungskamera ergibt, traf der Wagen des Zeugen um 1.07 Uhr vor der Fussilet-Moschee ein. Die Räume seien verdunkelt und augenscheinlich menschenleer gewesen, sagte der Zeuge. Gemeinsam mit einem Kollegen sei er durch die Toreinfahrt in den Hof gegangen, um den Hintereingang zu überprüfen, doch auch hier habe er „überhaupt keine Feststellung“ machen können. Um 1.11 Uhr fuhren die Beamten weiter. Zweck des Einsatzes sei vermutlich gewesen, zu ermitteln, ob es in der islamistischen Szene bereits Reaktionen auf den Anschlag, womögliche Freudenbekundungen, gebe, meinte der Zeuge.

Er ist nach eigenen Worten seit 2009 bei der Berliner Polizei tätig, seit August 2016 im „Bereich Aufklärung“ der Abteilung 6 des Landeskrininalamts. Die Fussilet-Moschee sei ihm in der Tatnacht bereits aus früheren Einsätzen bekannt gewesen. Er habe sie seit August 2016 „drei bis fünf Mal“ aufgesucht, allerdings nie betreten. In der Regel sei es darum gegangen, eine Weile im Streifenwagen vor der Moschee auszuharren und zu beobachten, wer ein und ausging. Auf Nachfrage vermochte der Zeuge sich allerdings nur mit Mühe an damals polizeibekannte Berliner Islamisten zu erinnern. Er habe auch nicht gewusst, dass das LKA vor der Fussilet-Moschee längst eine Überwachungskamera installiert hatte.

Beamter begegnet Amri bei Personenkontrollen

Über einen weiteren Einsatz in Moabit in den ersten Stunden nach dem Anschlag berichtete ein Kollege des Zeugen A., Polizeiobermeister Y. K., dem Ausschuss. Er traf an frühen Morgen des 20. Dezember um 5.21 Uhr mit seinem Streifenwagen vor der Fussilet-Moschee ein und blieb dort länger als drei Stunden. Der Auftrag habe gelautet, die Besucher beobachten: „Wer geht rein? Wer kommt raus? Wer fehlt?“ 

Das Gebetshaus in Moabit sei aus Sicht des Staatsschutzes „eine der relevantesten Moscheen in Berlin“ gewesen, eine der „Top drei“. Er selbst sei seit 2013 in der Aufklärungseinheit der Abteilung 6 des LKA tätig und habe damals im Schnitt alle zwei Tage die Fussilet-Moschee in Augenschein genommen. Dem späteren Attentäter Amri sei er zuvor zweimal bei Personenkontrollen begegnet, allerdings ohne zu wissen, um wen es sich handelte.

Augenzeuge auf dem Breitscheidplatz

Ein pensionierter Hauptkommissar der Berliner Polizei schilderte dem Ausschuss anschließend seine Eindrücke auf dem Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche unmittelbar nach dem Terroranschlag des Tunesiers Anis Amri.

Er selber habe sich etwa 60 Meter entfernt auf der anderen Seite des Breitscheidplatzes befunden, als Amri mit seinem Sattelschlepper in eine Budengasse des Weihnachtsmarktes raste, sei aber nur Minuten später am Ort des Geschehens gewesen, sagte der Zeuge R. G. Der heute 62-jährige Ruhestandsbeamte war im Dezember 2016 im Abschnitt 25 der Berliner Polizeidirektion 2 tätig und als Streifenführer auf dem Weihnachtsmarkt im Einsatz.

„Ich habe gedacht, da stürzt ein Haus ein“

„Gegen 20 Uhr vernahm ich einen lauten Knall, ein Geräusch, als wenn ein Feuerwerk abgebrannt wird. Ich habe gedacht, da stürzt ein Haus ein“, schilderte der Zeuge den Augenblick des Anschlags. Vom polizeilichen „Infomobil“, wo er seinen Wachdienst am Weihnachtsmarkt versah, habe er sich so schnell wie möglich in die Richtung begeben, aus der der Knall zu hören gewesen sei. Die Beifahrertür des Sattelschleppers sei verschlossen gewesen, die Fahrertür habe offengestanden.

Ein Zeuge habe berichtet, der Fahrer sei aus dem Führerhaus gestiegen und in Richtung des Bahnhofs Zoo fortgerannt. Der Zeuge habe eine Personenbeschreibung des Mannes gegeben, die er weitergemeldet habe, sagte G.

„In eine helle Decke gehüllt lag ein Mensch“

Nachdem er eine Zeugensammelstelle angewiesen und für die Absperrung der Straße gesorgt habe, habe er einen Blick ins Führerhaus geworfen, berichtete G. weiter. Im Inneren sei alles mit Trümmern übersät gewesen: „Die Windschutzscheibe war kaputt, da war ein halber Weihnachtsbaum drin.“

Zu seiner Überraschung habe er festgestellt, dass über Fahrer- und Beifahrersitz ausgestreckt und in eine helle Decke gehüllt ein Mensch lag. Sein Eindruck sei gewesen, der Mann sei durch die Wucht des Aufpralls aus der Schlafkoje ins Führerhaus geschleudert worden.

„Im Führerhaus förmlich eingekeilt“

Er habe an der Person gerüttelt, aber kein Lebenszeichen mehr festgestellt. Der Mann sei groß und schwer und im Führerhaus förmlich eingekeilt gewesen. Allein habe er ihn nicht bergen können. Dies sei erst mit Hilfe der Feuerwehr gelungen.

Er habe die Leiche durchsucht, aber keine Ausweispapiere gefunden, sagte G. Wie sich herausstellte, handelte es sich um den polnischen Fahrer des Sattelschleppers, den Amri erschoss, als er den Wagen kaperte.

„Über Drohung mit einem Attentat berichtet“

Sein Dienst am Breitscheidplatz habe regulär um 13 Uhr begonnen und hätte um 21 Uhr enden sollen, sagte der Zeuge. Am Nachmittag habe ihn ein Kirchenrat der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in seinem Infomobil aufgesucht und von einer Drohung berichtet, dass auf die Weihnachtsandacht am 24. Dezember ein Attentat verübt werden sollte.

Da er zunächst nicht habe ausschließen können, dass Amris Anschlag mit dieser Drohung in Zusammenhang stand, habe er die Mitteilung des Kirchenrats in seinen Bericht aufgenommen.

„Drei polizeibekannte Islamisten in der Menge“

Wie der Ausschuss von einem anderen Zeugen erfuhr, wurden am Abend des Attentats in der Menge der Schaulustigen mindestens drei polizeibekannte Islamisten festgestellt. Er habe dies von Kollegen, die am Tatort eingesetzt waren, über eine gemeinsame Whatsapp-Gruppe erfahren, sage Polizeioberkommissar R. D. in seiner Vernehmung.

Der heute 46-jährige Zeuge war als Beamter der Abteilung 6 des Landeskriminalamts am Morgen nach dem Attentat an einer Beobachtungsmission vor der Moabiter Fussilet-Moschee beteiligt.

Kriminalist schildert Spurensicherung nach Anschlag

Ein Beamter der Berliner Kriminalpolizei hat am Donnerstagabend dem Untersuchungsausschuss über die Spurensicherung nach dem radikalislamischen Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche berichtet. Dabei habe er selber die Anweisung gegeben, den Sattelschlepper, den der Attentäter Anis Amri benutzt hatte, vom Tatort zu entfernen, sagte Kriminalhauptkommissar Thomas Bordasch. Der heute 46-jährige Zeuge ist nach eigenen Worten seit 1995 in der Siebten Mordkommission der Berliner Polizei tätig und wurde am Abend des Anschlags am 19. Dezember 2016 aus dem Feierabend in den Dienst beordert.

Als er gegen 23 Uhr am Tatort eingetroffen sei, sei die „grobe Chaosphase“ bereits vorbei gewesen, sagte der Zeuge. Die Verletzten seien versorgt und vom Schauplatz des Anschlags weggebracht worden. Neun Tote lagen noch zwischen den Trümmern des Weihnachtsmarkts. Die Ladung des Sattelschleppers sei auf möglicherweise versteckten Sprengstoff überprüft und für harmlos befunden worden. Er habe, anders als unmittelbar nach dem Anschlag, die Beifahrertür geöffnet, die Fahrertür geschlossen vorgefunden, berichtete Bordasch. Gegen 1.45 Uhr hätte fünf polizeiliche Schadensteams am Ort mit der Spurensicherung begonnen.

Abtransport des Lastwagens zur Beweissicherung

Er habe angeordnet, so Bordasch weiter, den Lastwagen abzuschleppen und in einer geschlossenen Halle unterzubringen. Das Risiko, dadurch einzelne Befunde zu stören, habe er als nachrangig betrachtet und in Kauf genommen. Entscheidend sei für ihn gewesen, dass es wegen der Winterkälte im Freien nicht möglich gewesen wäre, sensible Hinterlassenschaften wie Fingerabdrücke, Schmauch- und Geruchsspuren oder DNA zuverlässig zu sichern. Es sei zum damaligen Zeitpunkt immerhin noch denkbar gewesen, dass diese Beweismittel in einem Verfahren gegen den Attentäter benötigt worden wären. In der Tat hätten sich an den Außenseiten der Türen des Fahrerhauses zwei Fingerabdrücke gefunden, die sich beide dem Täter Anis Amri hätten zuordnen lassen.

Es habe sich dann aber als gar nicht so einfach erwiesen, den Schwerlaster vom Tatort wegzubewegen. Gegen 5.45 Uhr am Morgen des 20. Dezember sei der Abschleppdienst am Breitscheidplatz eingetroffen. Bis elf Uhr habe es gedauert, bevor der Transport  habe aufbrechen können. Im Schritttempo sei es über die Stadtautobahn zu einer Kaserne gegangen, wo eine geeignete Halle verfügbar gewesen sei. Gegen 14.25 Uhr sei der Sattelschlepper dort angekommen. Zunächst habe allerdings die Luft aus den Reifen gelassen werden müssen, weil er sonst nicht in die Halle gepasst hätte.

Erst um 15.30 Uhr am 20. Dezember habe daher die eigentliche Beweissicherungsarbeit an dem Fahrzeug beginnen können. Das erkläre auch, warum der entscheidende Hinweis auf die Identität des Täters, eine Duldungsbescheinigung des Ausländeramts des Kreises Kleve, erst so spät entdeckt wurde. Sie habe sich in einer Geldbörse befunden, die ihrerseits unter einer Decke am Boden des Führerhauses gelegen habe. Um genau 16.45 Uhr habe er den Fund gemeldet, berichtete der Zeuge. (wid/06.03.2020)

Liste der geladenen Zeugen

  • T. A., Polizeiobermeister, Landeskriminalamt Berlin
  • Y. K., Polizeiobermeister, Landeskriminalamt Berlin
  • T. B., Kriminalhauptkommissar, Landeskriminalamt Berlin
  • R. G., Polizeihauptkommissar, Polizeidirektion 2, Berlin