3. Untersuchungsausschuss

Ex-Wirecard-Chef Markus Braun verweigert die Aussage

Ein Mann mittleren Alters sitzt auf dem Zeugenstuhl im Sitzungssaal hinter einem Mikrofon.

Markus Braun, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG, als Zeuge vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages (DBT/Simone M. Neumann)

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende des insolventen Wirecard-Konzerns, Dr. Markus Braun, hat sich geweigert, die Fragen der Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu beantworten. Die sechste Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses („Wirecard“) am Donnerstag, 19. November 2020, unter dem Vorsitz des Abgeordneten Kay Gottschalk (AfD) verlief damit für die Parlamentarier zunächst unbefriedigend.

„Jede Angabe strafrechtlich relevant“

Braun berief sich gleich zu Beginn der Ausschusssitzung in einer vorbereiteten Erklärung auf sein Recht, die Aussage da zu verweigern, wo er sich selbst belastet. Da alle Fakten rund um Wirecard ein „mosaikartiges Gesamtbild“ ergeben, sei jede Angabe strafrechtlich relevant. Stattdessen sollten die Gerichte „den Verbleib der veruntreuten Unternehmensgelder“ klären, sagte Braun.

Braun kündigte eine umfangreiche Aussage gegenüber der Staatsanwaltschaft München an. Diese wirft Braun unter anderem Bilanzbetrug vor. Die Ermittlungsbehörden und die zuständigen Berichte hätten Vorrang, erklärte Braun seine Rechtsauffassung. Er werde dem Ausschuss daher keine Fragen beantworten. „Ich werde mich nicht über diese Erklärung hinaus äußern“, sagte Braun – und hielt das auch während seiner Befragung durch.

Mit dieser Formulierung stellte Braun sich eher wie ein unbeteiligter Beobachter dar, während die Staatsanwälte in ihm die treibende Kraft hinter dem groß angelegten Betrug sehen. Bei Wirecard ist der Verbleib mehrerer Milliarden Euro ungeklärt. Zudem gibt es Verwicklungen mit Geheimdiensten, die die Ausschussmitglieder aufklären wollen.

„So können Sie nicht mit dem Bundestag umgehen“

Den Abgeordneten war steigender Ärger über das Verhalten Brauns anzumerken. Sie stellten probeweise auch Fragen, die mit den konkreten Anschuldigungen nichts zu tun haben – beispielsweise nach seiner Einstellung zur guten Unternehmensführung oder dem grundsätzlichen Funktionieren einer Firma wie Wirecard. Auch dazu sagte Braun jedoch nichts. Der Abgeordnete Fabio De Masi (Die Linke) fragte ihn schließlich, ob er eine Tochter habe. Auch darauf verweigerte Braun die Antwort. Er war lediglich bereit, auf Nachfrage sein Geburtsdatum zu nennen.

Die Abgeordneten machten wiederholt klar, dass sie das Aussageverweigerungsrecht bei Weitem nicht so allgemein auslegen wie Braun. „So können Sie nicht mit dem Bundestag umgehen“, sagte der Abgeordnete Matthias Hauer (CDU/CSU). Das Gebaren passe aber zu dem intransparenten Umgang von Wirecard mit der Öffentlichkeit. Schon vor der Insolvenz habe das Unternehmen kritische Anfragen abgeblockt und vorwiegend über Anwälte kommuniziert.

Keine Auskunft zum Kontakt zur Kanzlerin

Der Ausschussvorsitzende Gottschalk stellte ebenfalls eine ganze Reihe von Fragen zur Sache, die Braun allesamt nicht beantwortete. Gottschalk konzentrierte sich vor allem auf die Rolle des Kanzleramts: Es war Wirecard noch 2018 gelungen, Kontakt zu Bundeskanzlerin Angela Merkel aufzunehmen. Auch zu Inhalt und Details dieses Austauschs verweigerte Braun jede Aussage. Er kenne die „Mosaiktheorie“, sagte Gottschalk, doch dazu gebe es auch „andere Meinungen“. Auch er forderte Braun auf, sich zumindest zu Fragen zu äußern, die nicht direkt strafrechtlich relevant seien.

Der Abgeordnete Dr. Florian Toncar (FDP) ermahnte Braun, dass seine Komplettverweigerung nicht der vorherrschenden Rechtsauffassung entspreche. „Die staatsanwaltschaftliche Ermittlung steht auf gleicher Stufe wie dieser Ausschuss“, sagte Toncar. Die Abgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD) zeigte sich ebenfalls indigniert. Sie fragte Braun, ob ihm klar sei, welche Schäden er am Wirtschaftssystem und am Standort Deutschland verursacht habe.

„Einer der größten deutschen Wirtschaftsskandale“

Der Abgeordnete De Masi fasste die Fragen im weiteren Verlauf immer allgemeiner. Er wies zudem in Form einer Frage auf den Verdacht hin, dass Wirecard auch Zahlungsabwicklung für Kinderpornografie geleistet habe.

Dr. Danyal Bayaz (Bündnis 90/Die Grünen) ermahnte Braun, dass sein Verhalten vor dem Ausschuss auch seine Wahrnehmung in den Geschichtsbüchern beeinflusse – schließlich handele es sich bei Wirecard um einen der größten deutschen Wirtschaftsskandale. Braun blieb trotz alldem bei seiner Linie.

Lücke von drei Milliarden Euro in den Bilanzen

Während Braun nur gemauert hatte, verlief die weitere Befragung der Zeugen produktiver und aufschlussreicher. Unter Leitung des Abgeordneten Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) befragten die Ausschussmitglieder in der zweiten Hälfte der Sitzung ein ehemaliges Aufsichtsratsmitglied und zwei ehemalige Manager des Unternehmens.

Die Wirecard AG ist heute insolvent, ihre einstige Führung sitzt im Gefängnis, ist geflohen oder ist zumindest Gegenstand von Ermittlungen. Die Vorwürfe lauten Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Betrug. In den Bilanzen des Unternehmens klafft eine Lücke in der Größenordnung von drei Milliarden Euro. Der Skandal hat jedoch nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine politische Ebene: Aufsichtsinstitutionen wie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Geldwäscheüberwachung, aber auch die Wirtschaftsprüfer haben jahrelang das Ausmaß der Täuschung nicht begriffen. Diesen Aspekt will der Ausschuss aufarbeiten.

„Eine Anhäufung von Auffälligkeiten“

Die Unternehmensberaterin Tina Kleingarn war geladen, weil sie in den Jahren 2016 und 2017 im Aufsichtsrat von Wirecard saß, diesen aber aus Protest über die intransparente Firmenkultur wieder verlassen hatte. Damals schrieb sie dem verbleibenden Aufsichtsrat einen Brief, in dem sie ihren Rücktritt begründete. Dieses Schreiben legte sie den Abgeordneten als Grundlage für ihre Befragung vor.

Kleingarn sagte aus, sie habe damals Zweifel an den Abläufen bei Wirecard gehabt, ohne jedoch das Ausmaß des Betrugs auch nur annährend zu durchschauen. Sie habe beispielsweise kein gutes Gefühl damit gehabt, als Braun neue Vorstandsmitglieder ins Unternehmen holte, ohne den Aufsichtsrat wirksam an der Entscheidung über die Spitzenpersonalie zu beteiligen. „Am Ende war es eine Anhäufung von Auffälligkeiten, die das Fass zum Überlaufen gebracht hat“, sagt Kleingarn. Daher sei sie von ihrem Aufsichtsratsposten zurückgetreten.

„Vorstand wehrte sich gegen effektive Überwachung“

Es habe von Anfang an eine erhebliche Diskrepanz zwischen ihren Vorstellungen von guter Unternehmensführung und der Realität bei Wirecard gegeben, sagte Kleingarn vor dem Ausschuss. Der Vorstand habe sich gegen eine effektive Überwachung gewehrt, wodurch immer größere Risiken entstanden seien. Der Vorstand habe dem Aufsichtsrat in vielen Fällen nicht die nötigen Informationen zur Bewertung der Lage des Unternehmens vorgelegt.

Der Abgeordnete Fritz Güntzler (CDU/CSU) wies bei seiner Befragung auf die Relevanz dieser Aussage für die politische Aufarbeitung hin: „Als Gesetzgeber liegt es an uns, an Reformen des Rahmens für die Corporate Governance zu arbeiten.“

„Wir haben dem Testat vertraut“

Kleingarn erklärte bei ihrer Aussage auch, warum Aufseher und Anleger sich trotz aller Verdachtsmomente immer wieder haben täuschen lassen: „Wir haben dem Testat vertraut.“ Damit bezieht sie sich auf den jährlichen Bericht der Wirtschaftsprüfer, in diesem Fall der international tätigen Firma EY. Diese hatte dem Unternehmen jahrelang eine saubere Bilanz bescheinigt. Dabei hatte es erfundene Riesengewinne ausgewiesen, während es in Wirklichkeit Verlust gemacht hat.

Auch das Charisma von Ex-Chef Braun nannte Kleingarn als Faktor für das Debakel. Dessen Präsentationen seien überzeugend gewesen, sie sei von seinen Visionen beeindruckt gewesen. Zu keiner Zeit habe sie in ihrer anderthalbjährigen Aufsichtsratstätigkeit daran gezweifelt, dass das Wachstum und die Gewinne des Unternehmens grundsätzlich echt seien. „Ich habe auch dem Vorstand vertraut.“ Wenn die Vorwürfe, die heute gegen Wirecard erhoben werden, stimmten, dann fühle sie sich „belogen und betrogen“.

Zeuge will Anfang 2021 aussagen

Als weiterer Zeuge war Stephan Freiherr von Erffa per Video zugeschaltet, der als Manager bei Wirecard gearbeitet hat. Er meldete wie Braun an, vorerst von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen zu wollen. Anders als Braun stellte er jedoch einen klaren Termin für seine weitere Befragung in Aussicht: Nach seiner Befragung durch die Staatsanwaltschaft stehe er Anfang kommenden Jahres zur Verfügung.

Darauf ließ sich der Ausschuss grundsätzlich ein. Der Abgeordnete Florian Toncar (FDP) betonte jedoch, dass das Aussageverweigerungsrecht für viele Bereiche nicht gelte. Wenn Anfang des Jahres eine substanzielle Aussage zu erwarten sei, könne der Ausschuss aber so lange warten. Michelbach ermahnte ihn, der Ausschuss werde keine Wiederholung der Verweigerungstaktik akzeptieren, die er von Ex-Chef Braun erlebt habe.

„Die Angelegenheit ist ein Riesendesaster“

Der vierte Zeuge des Tages war Oliver Bellenhaus, der vor dem Zusammenbruch des Firmenkonstrukts eine Tochtergesellschaft für Kartenzahlungen im Nahen Osten geleitet hat. Es handelte sich dabei um eine im Rückblick besonders berüchtigte Geldmaschine des Konzerns. Bellenhaus kann nach Vermutung der Staatsanwaltschaft besonders gut über die Bilanzpraktiken von Wirecard Auskunft geben; er war aus dem Gefängnis zugeschaltet.

Auch Bellenhaus reizte jedoch sein Recht zur Aussageverweigerung maximal – aus Sicht des Ausschusses: übertrieben weit – aus und beantwortete bei dieser Sitzung keine Fragen. Immerhin gab Bellenhaus zu: „Die Angelegenheit ist ein Riesendesaster, das sich durch nichts beschönigen lässt.“ Er entschuldige sich bei den Geschädigten.

Auftrag des 3. Untersuchungsausschusses

Der Bundestag hatte am 1. Oktober 2020 auf Antrag der Fraktionen der FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen die Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses mit den Stimmen der Oppositionsfraktionen bei Enthaltung der Koalitionsfraktionen beschlossen.

Der neunköpfige Ausschuss soll das Verhalten der Bundesregierung und der ihr unterstehenden Behörden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um den inzwischen insolventen Finanzdienstleister Wirecard untersuchen. (fmk/20.11.2020)

Liste der geladenen Zeugen

  • Dr. Markus Braun
  • Tina Kleingarn
  • Stephan Freiherr von Erffa
  • Oliver Bellenhaus
  • Wulf Matthias
  • Thomas Eichelmann

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