Menschenrechte

Experten besorgt über Lage der Menschenrechte in China

Zeit: Mittwoch, 18. November 2020, 14 bis 17 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3 101

Mit großer Besorgnis beobachten Experten die Menschenrechtssituation in China. In einer Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe unter der Leitung von Gyde Jensen (FDP) am Mittwoch, 18. November 2020, warf die Mehrheit der Sachverständigen der chinesischen Regierung die Missachtung und Verletzung fundamentaler Menschenrechte vor. Es brauche ein entschiedeneres Handeln auch der Bundesregierung als Gegenmaßnahme, so ihr Plädoyer.

Misshandlungen „auf der Tagesordnung“

Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, beleuchtete in seiner Stellungnahme insbesondere die Situation der turkstämmigen Muslime in China. Diese habe sich im Zuge der repressiven Politik der chinesischen Regierung seit 2016 zunehmend verschärft. Willkürliche Massenverhaftungen, Folter und Misshandlungen von Angehörigen der uigurischen Minderheit in der Region Xinjiang stünden „auf der Tagesordnung“.

Der Alltag werde systematisch kontrolliert. Aber auch die Menschenrechtslage in ganz China habe sich seit 2016 „eklatant“ verschlechtert, so Michalski. Ein Problem, das durch die „Belt and Road-Initiative“ der chinesischen Regierung auch „exportiert“ werde, warnte er. Es sei zu beobachten, dass durch wirtschaftliche Investitionen in einzelnen EU-Staaten und das damit verbundene Schaffen von Abhängigkeiten versucht werde die EU zu spalten. Das bedeute auch Gefahren für die Demokratie in Deutschland.

„Terrorismus ist auch in China einen Sicherheitsproblem“

Die emeritierte Sinologin Prof. Dr. Dr. h. c. Mechthild Leutner von der Freien Universität Berlin monierte hingegen, dass die „Kritik an Menschenrechtsverletzungen“ für außenpolitische Strategien instrumentalisiert werde. „Dies ist nicht hilfreich für eine adäquaten China-Politik“, sagte Leutner und verwies darauf, dass Terrorismus auch in China zu einem Sicherheitsproblem geworden sei. In der Region Xinjiang habe seit den 1990er-Jahren eine „Desäkularisierung und Re-Islamisierung“ stattgefunden, so Leutner.

In Reaktion auf eine Reihe von Anschlägen habe China Antiterrorgesetze erlassen und „Präventivmaßnahmen gegen Extremismus“ ergriffen, darunter Programme zur Armutsbekämpfung, zur beruflichen Qualifizierung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Teil dieser Maßnahmen seien auch Zentren für Menschen gewesen, die in terroristische, separatistische oder religiöse Aktivitäten involviert gewesen seien.

„Die tibetische Kultur droht zu verschwinden“

Kai Müller, Geschäftsführer des Vereins International Campaign for Tibet, nahm die Menschenrechtsverstöße in der autonomen Region Tibet in den Blick. Die Kommunistische Partei verfolge hier seit 2011 eine noch „aktivere Assimilierungs-, Indoktrinierungs- und Kontrollpolitik“ als zuvor. Neben der Einrichtung eines „engmaschigen physischen und elektronischen Überwachungsnetzes“ in den Städten und der Übernahme der Verwaltung von buddhistischen Klöstern setze die Partei zudem auf eine strikte „Sinisierungspolitik“, sagte Müller.

Die tibetische Sprache werde dabei „zur Umgangssprache degradiert“, Behörden entschieden selbst über die Einsetzung buddhistischer Geistlicher. Die tibetische Kultur drohe zu verschwinden, warnte Müller. Internationale Kritik reiche nicht, seine Organisation plädiere für personenbezogene Sanktionen gegen die Verantwortlichen im chinesischen Partei- und Staatsapparat. Die Bundesregierung solle sich auch mit „Nachdruck“ dafür einsetzen, dass die Nachfolge des Dalai Lama nicht von der Kommunistischen Partei entschieden werde.

„Organentnahme in Gehirnwäscheeinrichtungen“

Die freie Journalistin Lea Zhou machte in ihrem Statement auf Chinas „außergerichtliche Gehirnwäscheeinrichtungen“ aufmerksam: Die ersten seien bereits 2001 eingerichtet worden, auch um Anhänger der Falun-Gong-Bewegung zu verfolgen. Auch Andersdenkende oder Angehörige anderer Religionen wie Christen, Buddhisten und Muslime würden dort festgehalten und gezwungen, ihren Glauben aufzugeben.

„Es kommt oft zu Folter, weil das Aufsichtspersonal eine bestimmte Quote der Umerziehung erreichen müsse“, sagte Zhou. Zwangsernährung, Elektroschocks, Isolation und sexuelle Übergriffe gehörten zu den üblichen Foltermethoden. Nach Angaben des Falun-Gong-Infozentrums, seien mindestens 4.500 Falun-Gong-Praktizierende an den Folgen der Folter gestorben, außerdem gebe es „unzählige Opfer illegaler Organentnahme“. 

Zivilgesellschaft „am Rande des Zusammenbruchs“

Eva Pils, Professorin an der School of Law des King’s College London, betonte, dass sich die Lage der Zivilgesellschaft in China insgesamt seit dem Amtsantritt Xi Jinpings 2013 sehr verschlechtert habe. Grund dafür seien nicht nur die Gesetze, die auf eine Einschränkung der Zivilgesellschaft zielten, so Pils, sondern auch „ganz wesentlich die Perfektionierung der Technologien zur Zensur, Überwachung und Kontrolle des Verhaltens“.

Ziel der Politik von Xi sei die Ausschaltung von Kritik und die „Gleichschaltung der Zivilgesellschaft in China“. Besonders „dramatisch“ sei die Verschlechterung der Situation in Hongkong: Vor Xi habe es Rechtsstaatlichkeit und Rechtsschutz für Menschenrechtsverteidiger gegeben. Jetzt stehe die Zivilgesellschaft „am Rande des Zusammenbruchs“. 

Bericht einer Whistleblowerin

Die in der Region Ostturkestan geborene chinesische Whistleblowerin Sayragul Sauytbay berichtete von ihren Erfahrungen in einem der geheimen Lager, die die Kommunistische Partei zur Umerziehung von ethnischen Minderheiten errichtet habe. Dorthin sei sie als ehemalige Beamtin 2017 verschleppt worden. Sauytbay – die 2018 freikam, floh und heute in Schweden lebt – sagte, sie habe unter unmenschlichen Bedingungen ihren Mitgefangenen chinesische Sprache und Kultur beibringen müssen.

Folter, Gehirnwäsche, Sklavenarbeit und selbst Tötungen habe sie erlebt, so die Whistleblowerin. Der Kommunistischen Partei warf sie vor, sich „faschistischer Methoden“ zu bedienen, um die turkstämmige Minderheit zu unterdrücken. Sie appellierte an Deutschland, auf China einzuwirken, sonst werde es bald keine Uiguren oder andere osttürkische Völker mehr geben.

„Totalitärer Machtanspruch“ der Kommunistischen Partei 

Prof. Dr. Adrian Zenz von der European School of Culture and Theology vertrat ebenfalls die Auffassung, der „Machtanspruch der Kommunistischen Partei“ sei „zunehmend totalitär“. Der Staat beanspruche eine „immer stärkere Kontrolle über die Medien, das Internet, Handeln und Denken und sogar den Lebensstil der Menschen“, sagte Zenz, der insbesondere wegen seiner Veröffentlichungen zu Chinas Umgang mit den Uiguren in Xinjiang bekannt geworden ist.

Die Umerziehung in Lagern sei nur eine „intensivere Form dessen, was im Bildungssystem und durch politische Propaganda in der Gesellschaft“ geschehen solle: die Ausrichtung der Bürger auf die Partei. Persönliche Freiheiten gebe es nicht. In diesem System seien Menschenrechtsverletzungen ein „unvermeidbares Nebenprodukt des Regierens“, betonte Zenz und forderte, Chinas Menschenrechtssituation ernster zu nehmen: Sie werde zunehmend zu einer „Frage der nationalen Sicherheit“ für andere Staaten, so Experte mit Blick etwa auf „Chinas Geiseldiplomatie“ im Fall der Anklage zweier Kanadier wegen Spionage. (sas/19.11.2020)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Prof. Dr. Dr. h.c. Mechthild Leutner, Professorin (Emerita) für Staat, Gesellschaft und Kultur des modernen China im Fach Sinologie am Ostasiatischen Seminar der FU Berlin
  • Wenzel Michalski, Direktor Human Rights Watch Deutschland
  • Kai Müller, Geschäftsführer International Campaign for Tibet e.V.
  • Prof. Eva Pils, Professorin an der School of Law des King’s College London
  • Sayragul Sauytbay, Ehemalige Beamtin der Volksrepublik China und Whistleblowerin
  • Prof. Dr. Adrian Zenz, European School of Culture and Theology
  • Lea Zhou, Freie Journalistin, Berlin



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