Parlament

Karl A. Lamers: Mit Biden gibt es viele Mög­lich­keiten der Koope­ration

Ein Mann im blauen Anzug lächelt in die Kamera.

Professor Karl Lamers leitet die Bundestagsdelegation zur Parlamentarischen Versammlung der Nato. (DBT/Florian Gaertner/photothek.net)

„Mit einem Präsident Biden und einem Amerikaner als Präsident der Versammlung gibt es viele Möglichkeiten der Kooperation“, sagt Prof. h. c. Dr. Karl A. Lamers (CDU/CSU), Leiter der Delegation der Bundestagsabgeordneten zur Nato-PV, nach der diesjährigen „Herbsttagung“, der 66. Jahrestagung der Nato-PV, die als Videokonferenz vom 18. bis 23. November 2020 stattfand. Der neu gewählte Präsident der Versammlung, Gerald E. Conolly, werde „die bestehende Brücke ausbauen und das gegenseitige Verständnis vertiefen“, so Lamers im Interview. „Aber auch wir Europäer müssen dafür Sorge tragen, dass die Partnerschaft für beide Seiten ein Gewinn ist.“ Dazu müsse man „die Illusion ablegen, dass andere für uns existenzielle Aufgaben erledigen“. Lamers mahnt den „Ausbau der europäischen Fähigkeiten“ an. Der Verteidigungspolitiker spricht im Interview über aktuelle sicherheitspolitische Spannungen, neue Herausforderungen und den Beitrag der Parlamentarier zur Reform der Nato. Das Interview im Wortlaut:

Herr Professor Lamers, die Nato-PV hat trotz Corona eine Möglichkeit gefunden jetzt geschäftsordnungskonform, in elektronischer Form, zu tagen, konnte wichtige anstehende Wahlen und Abstimmungen durchführen und den Haushalt verabschieden. Wie hat sich die Nato-PV im Online-Format geschlagen? Verlief alles reibungslos und wie geplant?

Das internationale Sekretariat der Versammlung hat es mit einem bewundernswerten Kraftakt und mit Hilfe einer sehr guten Online-Plattform ermöglicht, dass die Tagung reibungslos verlaufen konnte. Seit Ende Mai tagt die Versammlung online, daher hatten die Mitglieder Gelegenheit, sich mit der Videoplattform vertraut zu machen. Auch Abstimmungen hatten bereits problemlos stattgefunden, sodass auch bei den Wahlen und Abstimmungen alles reibungslos verlief. Einigkeit bestand aber, dass eine Videokonferenz nicht die persönlichen Begegnungen und vielen Gespräche ersetzen kann, die am Rande einer solchen Tagung normalerweise stattfinden, Daher hoffen wir, dass im Lauf des kommenden Jahres persönliche Treffen, wenn auch eingeschränkt, wieder möglich sind.

Wie sicherheitspolitisch relevant ist die Corona-Pandemie mittlerweile und welche Rolle kommt der Nato bei der Bewältigung der Pandemie zu?          

Wir müssen alles dafür tun, dass eine Krise dieser Größenordnung sich nicht auch noch gravierend auf die internationalen Angelegenheiten sowie auf die transatlantische Sicherheit auswirkt. Die Nato hat in der Pandemie ihre Mechanismen sowie ihre Stärken und Fähigkeiten überprüft, sodass deren Einsatzfähigkeit bei zukünftigen Notfällen dieser Art noch verbessert werden kann. Dennoch sollten die Nato-Mitglieder die Mittel für die euro-atlantische Koordinierungszentrale für Katastrophenhilfe (EADRCC) erhöhen, die einmal mehr ihre Leistungsfähigkeit bewiesen hat. Bei allen Vorbereitungen auf derartige Szenarien darf sich die Nato jedoch nicht von ihrer eigentlichen Kernaufgabe, der Abschreckung und dem Schutz ihrer Mitglieder vor Sicherheitsgefahren, ablenken lassen.

In Belarus ringen Regierung und Opposition um die politische Führung. Was ist die Botschaft der Nato-Parlamentarierinnen und Nato-Parlamentarier an die Verantwortlichen in Minsk und die Bevölkerung in Belarus?

In der Versammlung beobachten wir fortlaufend die Entwicklungen in Belarus. Im Rahmen eines Webinars haben wir mit Experten über die Menschenrechtslage in Belarus diskutiert. Im kommenden Jahr wird sich der Wirtschaftsausschuss intensiv mit den politischen und wirtschaftlichen Folgen des gesellschaftlichen Umbruchs für Belarus beschäftigen und einen Bericht dazu erarbeiten. Wir unterstützen das Bestreben der Bevölkerung von Belarus, frei über ihre politische Zukunft entscheiden zu wollen und lehnen die friedlichen Demonstranten entgegengebrachte Gewalt ab. Der Kampf für die Freiheit, sich friedlich zu versammeln und seine Meinung frei äußern zu dürfen, ist jedoch alleine Aufgabe der belarussischen Bevölkerung. Der Konflikt sollte ohne Einfluss von außen gelöst werden. Das ist auch bei meinem persönlichen Gespräch mit Swetlana Tichanowskaja deutlich geworden.

In den letzten Jahren gab es zahlreiche politisch-diplomatische Auseinandersetzungen zwischen Russland und dem Westen. In welchem Aggregatzustand sind die sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen Russland und der Nato? Was sagen die Parlamentarier?

Während der Jahrestagung hat sich der Verteidigungsausschuss der Versammlung eingehend mit der Modernisierung des russischen Militärs beschäftigt und dazu einen Bericht angenommen. In ihm wird festgestellt, dass Moskau weiterhin den Schwerpunkt auf Modernisierung und Ausbau seines Militärs setzt, um Russlands zunehmender Beteiligung an internationalen politischen und militärischen Angelegenheiten Rechnung zu tragen. Beispielhaft sei seine Intervention in Syrien genannt. Russland nutzt Syrien und die Ostukraine als Testlabor für Militärreformen und erprobt viele seiner neuen luft-, boden- und seegestützten Raketensysteme, Flugzeugzellen, Bodenfahrzeuge, Führungsstrukturen sowie zahlreiche andere Modernisierungen der russischen Streitkräfte auf den syrischen Gefechtsfeldern. Auch setzt Russland im Gefecht eine große Anzahl seiner Elitesoldaten ein, die künftig Teil einer schnellen Eingreiftruppe sein könnten. Russland hat potenziell die Macht, die bestehende Weltordnung zu erschüttern. Diese Macht wächst kontinuierlich an, und es steht zu befürchten, dass Russland diese neu gewonnene Macht weiterhin nutzen könnte, um die internationale Ordnung nach den russischen Interessen umzugestalten.

Neben Syrien ist nicht nur die Ukraine ein Zankapfel. Zuletzt wurde der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny nach einem Attentat zur medizinischen Behandlung nach Deutschland gebracht.

Leider zeigt Russland im Prozess zur Lösung des Konflikts in der Ukraine kaum Kompromissbereitschaft. Die Gespräche im Normandie-Format sind durch russische Maximalforderungen geprägt und stecken fest. Nach dem Giftanschlag auf Alexej Nawalny hat die Nato Russland aufgefordert, eine „unparteiische“ internationale Untersuchung zuzulassen und sein Programm zum Nervengift Nowitschok gegenüber der Organisation zum Verbot chemischer Waffen (OVCW) vollständig offenzulegen, denn jede Verwendung des Nervenkampfstoffs Nowitschok stellt einen Verstoß gegen die Chemiewaffen-Konvention dar. In der Diskussion in unserer Versammlung über den Nervengiftanschlag auf Herrn Nawalny haben einige Mitglieder auf frühere Fälle von ermordeten oder vergifteten Gegnern des russischen Präsidenten Wladimir Putin verwiesen, in denen die Täter nie vor Gericht gebracht worden seien. Leider gibt es noch kein Sanktionsregime für Menschenrechtsverletzungen. Ziel muss es sein, die für die Angriffe auf Oppositionelle und Journalisten verantwortlichen Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Im östlichen Mittelmeer sind zwei Nato-Partner aneinandergeraten. Welchen Beitrag kann die Versammlung des Bündnisses leisten, um den griechisch-türkischen Streit um Gasvorkommen beizulegen?

Die Nato hat den beiden Konfliktparteien eine wichtige Plattform zur Deeskalation geboten, mittels derer auf der Grundlage des internationalen Rechts und der Solidarität zwischen den Alliierten eine Lösung zur militärischen Deeskalation gefunden wurde. Wichtiges Ergebnis der Verhandlungen war, dass militärische Übungen abgesagt wurden. Die Versammlung hat sich mit dem Konflikt in verschiedenen Foren intensiv beschäftigt und sich mit den unterschiedlichen Ansichten auseinandergesetzt. Der Beitrag der Versammlung liegt darin, unmittelbare Gesprächskanäle anzubieten und so den Streit zu versachlichen. Wir sehen uns dabei in der Rolle eines Mediators, der als Sachwalter eines übergeordneten Interesses, der Solidarität zwischen den Alliierten, vermittelt.

Was ist der Beitrag der Versammlung zum Reformprozess der Nato („Nato 2030“)?

Die Versammlung hat eine vom Ständigen Ausschuss abgestimmte Entschließung angenommen, mit der sie den Reformprozess flankiert. Die drei Prioritäten des Nato-Generalsekretärs – politische Stärkung der Nato, Bewahrung der militärischen Stärke und Verfolgung eines breiteren weltweiten Ansatzes – werden von der Versammlung auf ganzer Linie unterstützt. Die Versammlung schlägt unter anderem vor, Umfang und Häufigkeit der politischen Konsultationen zu erhöhen und ein Instrument zur Förderung der Konvergenz der Meinungen unter den Nato-Mitgliedstaaten zu entwickeln. Ein Ziel der Reform ist, die Berechenbarkeit von nationalen Maßnahmen zu erhöhen und Meinungsverschiedenheiten auf der Grundlage des Völkerrechts zu lösen. Vorgeschlagen wird, einen regelmäßigen Austausch über nationale strategische Prioritäten und Operationen einzurichten.

Wie sollte die Nato künftig ihr Verhältnis zu China gestalten?

Die Versammlung regt ferner an, das Strategische Konzept von 2010 zu überarbeiten und an das gewandelte strategische Umfeld anzupassen. Gegenüber China regen wir an, dass die Nato ein abgestimmtes Vorgehen innerhalb der Allianz und in enger Abstimmung mit der Europäischen Union und den Partnern im indo-pazifischen Raum prüfen sollte. Denn angesichts der globalen Ambitionen dieses Landes müssen die Möglichkeiten eines engeren Dialogs mit Peking geprüft werden. Für die deutsche Delegation ist außerdem die Forderung, die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Nato zu intensivieren, besonders wichtig. Die Versammlung fordert zudem, den Klimawandel als signifikantes Sicherheitsrisiko einzustufen und die Häufigkeit militärischer und politischer Konsultationen über den Klimawandel innerhalb der Nato zu erhöhen.

Wird es dem neu gewählten Präsidenten der Versammlung, dem Amerikaner Gerald E. Conolly, gelingen, parlamentarisch transatlantische Brücken zu bauen, nach den heftigen Spannungen der vergangenen Jahre zwischen den USA und den europäischen Nato-Mitgliedern?

Ich kenne meinen Kollegen Conolly seit über sieben Jahren und habe ihn immer als überzeugten Transatlantiker und Brückenbauer erlebt. Als Berichterstatter hat er fünf Berichte vorgelegt, unter anderem zu den Themen „70 Jahre Nato“ und „der Aufstieg Chinas“. Er wird, da bin ich mir ganz sicher, die bestehende Brücke ausbauen und das gegenseitige Verständnis vertiefen. Mit der neuen Administration Biden-Harris haben wir jetzt die Chance auf ein stärkeres transatlantisches Bündnis. Als ehemaliger Mitarbeiter des Senats hat Herr Conolly auch für den damaligen Senator Biden gearbeitet. Ich bin sicher, dass er in enger Abstimmung mit der neuen Administration Biden-Harris das langjährige, tiefe und von einem breiten Konsens getragene amerikanische Engagement für die Nato erneuern wird. Aber auch wir Europäer müssen dafür Sorge tragen, dass die Partnerschaft für beide Seiten ein Gewinn ist. Alles spricht doch jetzt dafür, dass unter Präsident Biden Rationalität, Berechenbarkeit und der Geist von Partnerschaft in die transatlantischen Beziehungen zurückkehren werden. Aber ich denke auch, dass wir die Illusion ablegen müssen, dass andere für uns existenzielle Aufgaben erledigen. Insofern ist der Ausbau der europäischen Fähigkeiten wichtig. Mit einem Präsidenten Biden und einem Amerikaner als Präsident der Versammlung gibt es viele Möglichkeiten der Kooperation.

(ll/25.11.2020)

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