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30.06.2020 Inneres und Heimat — Anhörung — hib 687/2020

Gesetz mit „Signalwirkung“ umstritten

Berlin: (hib/FLA) Auf deutliche Zustimmung wie Ablehnung der Experten ist ein Gesetzesvorstoß der Fraktion Die Linke für ein Aufenthaltsrecht von Opfern rechter Gewalt gestoßen. Behandelt wurde in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat unter Vorsitz von Jochen Haug (AfD) ein Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (19/6197).

Professor Kay Hailbronner (Universität Konstanz) sah keinen Anlass für eine Gesetzgebung mit „Signalwirkung“ oder „Entschädigungscharakter“. Bundesregierung und Länderregierungen hätten zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um rassistisch motivierte Gewalttaten zu verhindern und mit aller Härte des Gesetzes zu sanktionieren. Eine Ausreisepflicht bestehe in der Regel auf der Grundlage von Umständen, die mit rassistisch motivierten Gewaltanwendungen in keinem sachlichen Zusammenhang stünden, sondern auf das eigene dem Ausländer zurechenbare Verhalten zurückgingen.

Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Marcel Keienborg befand, die bisherigen gesetzlichen Regelungsmechanismen griffen zu kurz und seien lückenhaft. Sie stellten nicht die Notsituation der Opfer in den Mittelpunkt. Der Gesetzentwurf stelle den Behörden ein effektives Mittel zur Verfügung, rechter Gewalt gegen Geflüchtete entgegenzutreten. Gleichzeitig würden die Opfer ermächtigt, das Geschehen aufzuarbeiten. Sie würden in ihrer Situation nicht mehr alleingelassen. Nach seiner Einschätzung würde der Gesetzgeber ein klares Signal gegen rassistische beziehungsweise vorurteilsmotivierte Gewalt gegenüber Geflüchteten senden. Deshalb verdiene der Gesetzentwurf aus rechtsdogmatischer als auch aus rechtspolitischer Sicht die volle Zustimmung.

Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Berlin meinte, mit dem Gesetzentwurf werde eine dringend notwendige Ausweitung des Opferschutzes auch für die Betroffenen rassistischer Gewalt ohne dauerhaften Aufenthaltstitel möglich. Ein derart eindeutiges Signal des Gesetzgebers, sich den politischen Täter-Zielen entgegenzustellen, die unter anderem Geflüchtete und andere Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit durch Gewalt und Terroranschläge einschüchtern und letztlich aus Deutschland vertreiben wollen, sei aus Sicht der Opferberatungsstellen auch deshalb notwendig, weil alle bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung politisch rechts und rassistisch motivierter Gewalt offensichtlich nicht ausreichend seien.

Professor Winfried Kluth von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg riet von einer Umsetzung des Gesetzentwurfs ab. So berechtigt das damit verfolgte Anliegen auch sei - die vorgeschlagene „Lösung“ passe aus systematischen Gründen nicht als weiterer Opferschutztatbestand in das Aufenthaltsgesetz. Es handle sich um ein völlig anders strukturiertes Phänomen, das sich zudem einer einheitlichen Bewertung entziehe. Die vorhandenen Reaktionsmöglichkeiten auf rassistisch motivierte Gewalt seien ausreichend und sollten durch eine bessere Sensibilisierung des Personals verbessert werden.

Bundesverwaltungsrichter Robert Seegmüller, Vizepräsident des Berliner Verfassungsgerichtshofs, beschied, das Aufenthaltsgesetz trage den von dem Gesetzentwurf verfolgten konkreten Zielen bereits Rechnung. Er verwies darauf, dass in dem Gesetzentwurf ein starkes Signal an das Opfer und den Täter gesendet werden solle. Mit der Einräumung einer aufenthaltsrechtlichen Vergünstigung solle die Gesellschaft sich auf die Seite des Opfers stellen und der auf eine Ausreise des Opfers aus dem Bundesgebiet gerichteten Motivation des Täters entgegentreten. Ein Bedürfnis nach dem von dem Gesetz vorgeschlagenen Signal sei nicht erkennbar.

Rechtsanwalt Ulrich Vosgerau stellte die Frage, ob nicht zu erwarten sei, dass die Abneigung mancher Menschen gegen Migranten und das zum Teil vorhandene Misstrauen gegen das politische System überhaupt sich durch die Umsetzung des Gesetzgebungsvorschlags noch verstärken würden. Die konkreten Straftäter würden als Personen gar nicht getroffen und berührt, sondern die staatliche Gemeinschaft als solche, die mit Menschen weiterleben müsse, die sie eigentlich hätte abschieben wollen und müssen.

Philipp Wittmann vom Verwaltungsgericht Karlsruhe vertrat die Auffassung, wesentliche Anliegen des Gesetzentwurfs könnten bereits durch sensible Anwendung des geltenden Rechts beziehungsweise durch individuelle Detailänderungen einzelner ausländerrechtlicher Bestimmungen verwirklicht werden. An ihrer Stelle setze der Gesetzentwurf mit der Schaffung eines im Wesentlichen voraussetzungslosen und in seinen Rechtsfolgen sehr wohlwollend ausgestalteten Daueraufenthaltsrechts eine Art Härtefallregelung ohne individuelle Härtefallprüfung, die vor allem eine deutliche Signalwirkung gegen Rassismus und menschenfeindliche Übergriffe entfalten solle.

Ausländer, die in Deutschland Opfer rassistischer oder vorurteilsmotivierter Gewalt werden, sollen nach dem Willen der Linken ein „unbedingtes Bleiberecht“ in der Bundesrepublik erhalten. Die Fraktion hält „eine gesetzliche Regelung zur Gewährung eines sicheren Aufenthaltsstatus für Opfer rechter Gewalt“ aus mehreren Gründen für erforderlich. Zum einen sei es unerträglich, wenn das Aufenthaltsrecht solcher Opfer „in Gefahr gerät, weil sie infolge der Gewalttat ihre Beschäftigung oder Einkommensgrundlage verlieren“, etwa wegen Verletzungen und Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit. Zum anderen könnten sich Täter „zumindest subjektiv bestätigt fühlen“, wenn „Opfer rechter Gewalt zur Ausreise aufgefordert oder gar abgeschoben“ werden.

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