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Sport

Vierter Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht

Zeit: Mittwoch, 14. April 2021, 14 Uhr bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Reichstagsgebäude, Sitzungssaal SPD-Fraktionssaal, 3 S 001

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) fordert vor dem Hintergrund des angekündigten Infektionsschutzgesetzes „eine Privilegierung der bis 14-Jährigen, damit sie wieder Sport treiben können“. Das machte Andreas Silbersack, Vizepräsident Breitensport beim DOSB, am Mittwoch, 14. April 2021, vor dem Sportausschuss unter Vorsitz von Dagmar Freitag (SPD) deutlich. „Wir produzieren ansonsten eine verlorene Generation“, warnte Silbersack. Wenn Kinder und Jugendliche – wie jetzt im Corona-Lockdown zu beobachten – sich daran gewöhnen, von früh bis abends vor dem Computer zu sitzen, „verabschieden sie sich von Bewegung“. Damit verabschiedeten sich die Betroffenen auch von einem „bewegten und gesunden Leben“ in der Zukunft, machte der DOSB-Vertreter in seinem von ihm als Hilfeschrei bezeichneten Wortbeitrag deutlich.

Kinder und Jugendliche bewegen sich zu wenig

Grundlage der Anhörung des Sportausschusses war der von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung initiierte vierte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht. Demzufolge bewegen sich Kinder und Jugendliche in Deutschland – auch ohne Corona – im Alltag zu wenig. Die Mehrheit der Heranwachsenden in Deutschland erfülle die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht, heißt es in dem Bericht.

Besonders dramatisch treffe dies auf weibliche Jugendliche zu. Der Bewegungsmangel habe Auswirkungen auf die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen, die heutzutage deutlich geringer als in früheren Jahren sei.

„Chronisch kranke Kinder nicht länger überbehüten“

Prof. Dr. Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule in Köln, Hauptkoordinator bei der Erstellung des Berichts, sagte vor den Abgeordneten, der Corona-Lockdown verschärfe die Zunahme von Bewegungsmangel und sozialer Ungleichheit im Sport. Der Bericht weise aber auch auf noch ungenutzte Potenziale hin. So müsse die Rolle von Bewegung in Schulen neu gedacht werden. Auch dürften chronisch kranke Kinder nicht länger überbehütet werden.

Die Digitalisierung, so Breuer, werde im Bericht nicht nur als Problem gesehen, sondern auch als Möglichkeit, Anreize zu mehr Bewegung zu setzen. Aus den Befunden würden sich zahlreiche bundespolitische Implikationen ergebe, sagte Breuer weiter. So müsse in Städtebauprogrammen darauf geachtet werden, dass Bewegungsanreize für Kinder und Jugendliche im Alltag ausgebaut und systematisch berücksichtigt werden.

Bewegter Alltag und Ausbildung motorischer Grundlagen

Ein bewegtes Kinderleben bestehe aus zwei Säulen, sagte Kerstin Holz, Vorsitzende der Deutschen Kinderturn-Stiftung: ein bewegter Alltag und eine qualifizierte Ausbildung motorischer Grundlagen. Diese werde ebenso wie eine Leseausbildung benötigt, sagte Holz. Für die motorische Grundlagenausbildung müssten Kinder in Kitas und Schulen ausreichend Platz finden, was derzeit nicht der Fall sei. Für qualifizierte Angebote brauche es aber auch qualifizierte Fachkräfte, betonte die Vorsitzende der Deutschen Kinderturn-Stiftung.

Daher müsse die Kooperation zwischen Schulen, Kitas und Vereinen ausgebaut werden. Seit einem Jahr, so Holz weiter, fehle den Kindern angesichts der Corona-Einschränkungen ein qualifiziertes Bewegungsangebot. Daher müssten die Außen-Sportanlagen geöffnet und das Kinderturnen ins Freie geschickt werden. „Kinder haben ein Recht auf eine bewegte Kindheit“, sagte Holz.

„Überprüfung des Teilhabepakets wünschenwert“

Sören Dallmeyer, Sportwissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule in Köln, machte deutlich, das für einkommensschwache Familien die mit der Sportausübung verbundenen Kosten eine ernsthafte Barriere darstellen könnten. Eine Überprüfung des Teilhabepakets, das einen Betrag von 15 Euro pro Monat für Sport enthalte, sei wünschenswert, sagte er.

Nur 15 Prozent der Antragsberechtigten nutzte zurzeit diese Zuschüsse, was mit der geringen Höhe und der relativ hohen Schwelle bei der Beantragung zu erklären sei.

Neustart beim Kinder- und Jugendsport verlangt

Prof. Dr. Nils Neuber von der Universität Münster forderte einen Neustart beim Kinder- und Jugendsport. Benötigt werde eine Qualitätsoffensive für den Kinder- und Jugendsport. Damit könnten eine Lobby geschaffen, aber zugleich auch die Potenziale des Sports genutzt werden, „um die Gesellschaft insgesamt neu aufzustellen“.

Gesetzt werden müsse auf kommunale und niederschwellige Angebote für benachteiligte Kinder und Jugendliche, sagte der Sportpädagoge. Der Bund, so seine Forderung, müsse für systematische Vernetzungsstrukturen sorgen und so die ressortübergreifende Zusammenarbeit von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren ermöglichen.

„Organisierter Kinder- und Jugendsport ist schon weiter“

Lars Pickardt, Vorsitzender der Deutschen Behindertensportjugend, bemängelte, dass es in dem Bericht ein eigenes Kapitel zum Thema „Inklusion im Kinder- und Jugendsport“ gebe und in anderen Kapiteln, die Kinder und Jugendliche mit Behinderung ebenso betreffen, überhaupt nicht auf das Thema Inklusion eingegangen werde.

Dies zeige deutlich, „dass diese Themen nicht ausreichend berücksichtigt sind“. Der organisierte Kinder- und Jugendsport sei aber schon ein Stück weiter „als in diesem Bericht dargestellt oder auch nicht dargestellt“, sagte Pickardt.

„Zugang zum Sportverein muss niederschwellig sein“

Aus der Sicht von Benjamin Folkmann, zweiter Vorsitzender der Deutschen Sportjugend, bestätigt der Bericht, dass sozialer Status der Eltern Teilhabe und Engagement von Kindern im Vereinssport bedingt und dass beispielsweise soziale Ungleichheiten und Bewegungsmangel zusammenhängen. Aus diesen Gründen müsse der Zugang zum Sportverein niedrigschwellig sein, forderte er.

Auch Folkmann verlangte einen Neustart beim Kinder und Jugendsport. Es gelte, das Thema als Querschnittsaufgabe über alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche hinweg zu begreifen.

„Es geht um die bewegte und gesunde Zukunft unserer Kinder“

Als Vertreter der Sportministerkonferenz (SMK) betonte Randolf Stich (SPD), Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Innenministerium, die hohe Bedeutung des Sports in Kitas und Schulen.

Sport und Bewegung müssten für Kinder und Jugendliche, aber auch in der Freizeit durch die Sportorganisationen stattfinden. „Es geht um die bewegte und gesunde Zukunft unserer Kinder“, sagte er.

Vierter Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht

In dem Bericht wird unter anderem festgestellt, dass die wachsende Ausbreitung von Inaktivität und als Folge davon von Fettleibigkeit sich auch in Deutschland verstärkt bemerkbar macht und die physische, psychische und soziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt. Die Abnahme der motorischen Leistungsfähigkeit sowie der Schwimmfähigkeit von Kindern und Jugendlichen könnte maßgeblich sozial determiniert sein, heißt es.

Darüber hinaus scheine bei einer erheblichen Zahl von Jugendlichen der Einfluss sozial und medial vermittelter Körpernormen auf das Körperselbstkonzept und hierüber auf das Bewegungs- und Sportverhalten zugenommen zu haben; auch Digitalisierung und Mediatisierung sowie die Genese des eSports wirkten sich aus. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen könnten die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland in steigendem Maße beeinflussen. Eine mögliche Folge von zunehmender Inaktivität und Fettleibigkeit könnte ein Rückgang der Lebenserwartung sein, wie dies beispielsweise in den USA bereits gezeigt worden sei.

„Die Bedeutung von Leistung verschiebt sich zunehmend“

Die Bedeutung von Leistung als eigentlichem Kernelement des Kinder- und Jugendsports verschiebe sich zunehmend, wird in dem Bericht festgestellt. Dies betreffe sowohl die Leistungsanforderungen im Kinder- und Jugendsport (etwa in Vereinen und Schul-AGs, aber auch im Sportunterricht) als auch die Nachfrage nach Leistung durch Kinder, Jugendliche und deren Eltern. Diese Entwicklungen hätten vielfältige Gründe und dürften nicht ohne Folgen bleiben etwa für die Sportartenvielfalt im Kinder- und Jugendsport, vor allem für die Vermittlung des gesellschaftlichen Leistungsprinzips, die individuelle schulische und spätere berufliche Leistung und die Bildung von Eliten im Sport.

Folglich seien Annahmen der Sozialisation im und durch Sport neu zu hinterfragen. Damit tangierten diese Phänomene zentrale Legitimationsformeln der öffentlichen Förderung des Kinder- und Jugendsports. Auch der Nachwuchsleistungssport, der als Grundlage für den Spitzensport im Erwachsenenalter und somit für die Generierung öffentlicher Güter wie Nationalprestige und gesellschaftlicher Zusammenhalt eine wichtige Rolle spiele, sei von dieser Entwicklung betroffen. So könne eine zunehmende Verschiebung des Leistungsgedankens auch die Attraktivität und Anziehungskraft des Nachwuchsleistungssports für Kinder und Jugendliche beeinflussen, heißt es in dem Bericht. (hau/14.04.2021)

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