Experten wollen Änderungen am Gesetzentwurf zur Finanzmarktintegrität
Zeit:
Montag, 15. März 2021,
11.30 Uhr
bis
13.45 Uhr
Ort: Berlin
Alle Sachverständigen haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (19/26966) prinzipiell begrüßt, gleichzeitig jedoch teilweise deutliche Veränderungen empfohlen. In der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am Montag, 15. März 2021, unter Leitung der Vorsitzenden Katja Hessel (FDP) waren neben dem Gesetzentwurf sieben Initiativen der Oppositionsfraktionen Gegenstand der Diskussion: Ein Gesetzentwurf der AfD (19/27023), zwei Anträge der FDP (19/23120, 19/27186), ein Antrag der Linken (19/22204) sowie drei Anträge von Bündnis 90/Die Grünen (19/24385, 19/23730, 19/24384).
Neue Haftungsobergrenzen für Wirtschaftsprüfer
Besonders intensiv diskutiert wurden die neuen Haftungsobergrenzen für Wirtschaftsprüfer, die Trennung von Beratung und Prüfung der Prüfungsunternehmen sowie die Corporate-Governance-Reformen. Der Gesetzentwurf sieht eine Vielzahl von Maßnahmen vor, mit dem nach dem Wirecard-Skandal das Vertrauen in den Finanzmarkt Deutschland wieder hergestellt werden soll. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) soll hoheitliche Befugnisse bekommen, um bei Verdacht von Bilanzverstößen direkt und unmittelbar gegenüber Kapitalmarktunternehmen auftreten zu können.
Zudem soll sie ein Prüfungsrecht erhalten und das Recht, die Öffentlichkeit früher als bisher über ihr Vorgehen bei der Bilanzkontrolle zu informieren. Das bisherige zweistufige Verfahren der Bilanzkontrolle soll beibehalten werden. Zudem sind Abschlussprüfer-Reformen vorgesehen. Der Gesetzentwurf sieht Haftungsobergrenzen bis zu 16 Millionen Euro vor. Außerdem soll der Haftungstatbestand von „Vorsatz“ auf „grobe Fahrlässigkeit“ erweitert werden. Die Beratung eines Unternehmens durch dessen Abschlussprüfer soll künftig verboten sein.
Pro und contra Haftungsverschärfung
Prof. Dr. Hansrudi Lenz vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsprüfungs- und Beratungswesen der Universität Würzburg hielt eine Haftungsverschärfung für Abschlussprüfer für dringend erforderlich. Er führte Studien aus den USA an, wonach sich die Rechnungslegungsqualität dadurch verbessert habe.
Dem widersprach Prof. Dr. Klaus-Peter Naumann vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in Düsseldorf. Das Gesetz würde zu einer existenzbedrohenden Haftung für Wirtschaftsprüfer führen, auch für deren Gehilfen. Er warnte, durch die Erweiterung auf „grobe Fahrlässigkeit“ würde die Branche nicht nur Nachwuchsprobleme bekommen. Auch führte sie zu einer weiteren Verengung des Prüfermarktes.
Ähnlich argumentierte Prof. Dr. Annette G. Köhler vom Lehrstuhl für Rechnungswesen, Wirtschaftsprüfung und Controlling der Universität Duisburg-Essen. Auch Joachim Hennrichs vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuerrecht der Universität zu Köln argumentierte, von der Erweiterung der Haftungsgrenzen sei keine signifikante Verbesserung zu erwarten.
„Haftungshöchstgrenzen erhöhen“
Die Haftungsobergrenze von 16 Millionen Euro hielt unter anderem der Wirtschaftsprüfer Dr. Richard Wittsiepe für nicht in jedem Fall angemessen. Für DAX-Unternehmen könne die Grenze möglicherweise zu gering sein. Er empfahl eine Erhöhung der Haftungshöchstgrenzen bis zum Faktor vier in Abhängigkeit von verschiedenen Indizes.
Den Vorschlag, die Haftungsobergrenze als Prozentsatz der Bilanzsumme zu bilden, bewertete Klaus-Peter Naumann (IDW) als wenig praktikabel. Er hielt eher eine Verknüpfung mit dem Prüferhonorar für denkbar.
Plädoyer für eine klare Regelung
Dagegen sprach sich Prof. Dr. Klaus J. Hopt vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg für die im Gesetzentwurf der Regierung vorgesehene Regelung nach festen Obergrenzen aus. Nötig sei eine klare Regelung. Sie sollte nicht flexibel gestaltet werden.
Prof. Dr. Ralf P. Thomas, Finanzvorstand der Siemens AG, begrüßte den Gesetzentwurf, warnte jedoch vor der vorgesehenen gerichtlichen Ersetzung des Abschlussprüfers bei Bagatellverstößen. Dies würde in der Praxis zu großen Turbulenzen führen. Es sei nahezu unmöglich, den Prüfer kurzfristig zu wechseln. Derzeit würden beispielsweise bei Siemens mehr als 300 Gesellschaften in rund 70 Ländern geprüft. Dazu seien im Jahresverlauf circa 6.000 Mitarbeiter des Prüfers im Einsatz. In allen Ländern einen kompletten Wechsel des Prüferteams zu bewerkstelligen, könne kurzfristig nicht gelingen. Der letzte von ihm selbst organisierte Prüferwechsel habe neun Monate gedauert.
„BaFin soll Regelprüfungen durchführen“
Anna Colban vom Financial Reporting Council in London berichtete von den Finanzmarkt-Reformen im Vereinigten Königreich. Sie referierte, dass die Quersubventionierung vom Berater-Bereich zum Wirtschaftsprüfer-Bereich bei großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen den Markteintritt kleiner Gesellschaften erschwere.
Prof. Dr. Jan Pieter Krahnen vom Leibniz Institute for Financial Research kritisierte das geplante Festhalten am zweistufigen Verfahren der Bilanzkontrolle, wonach die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung weiterhin mit den regulären, stichprobenartigen Prüfungen beauftragt werde. Er empfahl, dass die BaFin die Regelprüfungen durchführen solle, um Kompetenz und Erfahrung aufzubauen.
„Wirksames Risiko-Management einführen“
Prof. Dr. Rolf Nonnenmacher, Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, kritisierte, die Maßnahmen zur Corporate Governance blieben hinter internationalem Standard zurück. Richtig sei, ein wirksames Risiko-Management einzuführen. Jedoch müsse dazu ein Compliance-Management gehören. Zudem werde nach vorliegendem Entwurf keine besondere Sachkenntnis vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses verlangt.
Auch Prof. Dr. Theodor Baums vom Institute for Law und Finance in Frankfurt am Main betonte, Whistleblowing sei eine wichtige Ergänzung des Compliance-Systems, das im vorliegenden Entwurf fehle.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf das Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt wiederherstellen. Der Entwurf sieht eine Reihe von Maßnahmen vor. Das bisherige, auf freiwillige Mitwirkung der geprüften Unternehmen ausgerichtete Bilanzkontrollverfahren soll grundlegend reformiert werden. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) soll hoheitliche Befugnisse erhalten, um bei Verdacht von Bilanzverstößen direkt und unmittelbar gegenüber Kapitalmarktunternehmen auftreten zu können. Zudem soll die BaFin ein Prüfungsrecht gegenüber allen kapitalmarktorientierten Unternehmen erhalten sowie das Recht, die Öffentlichkeit früher als bisher über ihr Vorgehen bei der Bilanzkontrolle zu informieren.
Um Zweifel an der Integrität der BaFin auszuschließen, soll Beschäftigten der BaFin der Handel mit bestimmten Finanzinstrumenten untersagt werden. Starke, vertrauenswürdige Finanzmärkte bräuchten eine glaubhafte und zuverlässige Aufsicht, schreibt die Bundesregierung.
„Unabhängigkeit der Abschlussprüfer stärken“
Die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer werde gestärkt, indem auch für Kapitalmarktunternehmen künftig eine verpflichtende externe Prüferrotation nach zehn Jahren eingeführt wird. Die Pflicht zur Trennung von Prüfung und Beratung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse soll wesentlich ausgeweitet werden. Eine Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung des Abschlussprüfers gegenüber dem geprüften Unternehmen für Pflichtverletzungen soll die Qualität der Abschlussprüfung fördern.
Das Bilanzstrafrecht soll geändert werden, um eine „ausreichend abschreckende Ahndung“ der Unternehmensverantwortlichen bei Abgabe eines unrichtigen Bilanzeids zu ermöglichen. Das Gleiche soll für Abschlussprüfer bei Erteilung eines inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerks zu Abschlüssen von Unternehmen von öffentlichem Interesse gelten. Zudem will die Bundesregierung die Qualität der Zulassung von Unternehmen zu den qualifizierten Marktsegmenten der Börse durch Änderungen des Börsengesetzes verbessern.
Erster Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion fordert in ihrem ersten Antrag (19/23120) als Konsequenz aus dem Wirecard-Skandal umfangreiche Reformen der Finanzaufsicht und des Finanzmarktes. Darin heißt es, der Finanzstandort Deutschland habe durch den Bilanzskandal um den Münchner Finanztechnologiekonzern Wirecard AG schweren Schaden genommen. Um das Vertrauen von Anlegern und Investoren zurückzugewinnen, müssten organisatorische, strukturelle und personelle Missstände bei kapitalmarktorientierten Unternehmen, bei der Abschluss- und Konzernprüfung sowie bei staatlichen Aufsichtsbehörden beseitigt werden.
Im Einzelnen verlangt die FDP-Fraktion eine Stärkung der Corporate Governance bei börsennotierten beziehungsweise bei kapitalmarktorientierten Unternehmen. Außerdem soll die Abschlussprüfung reformiert werden. Es müsse dringend eine zuständige Behörde benannt werden, an die Abschlussprüfer ihre Mitteilungen richten könnten. Angesichts des eklatanten Vollzugsdefizits ist nach Ansicht der FDP auch eine Restrukturierung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erforderlich. Die BaFin müsse ihre Zeit und Aufmerksamkeit auf große Risiken konzentrieren. Es dürfe nicht sein, dass die Finanzaufsicht kleine Finanzinstitute oder Finanzdienstleister genauso intensiv beaufsichtige wie große, international aufgestellte Akteure. Außerdem werden in dem Antrag die Bemühungen der Deutschen Börse AG begrüßt, die Mindestanforderungen für Dax-Unternehmen zu reformieren.
Zweiter Antrag der FDP
In ihrem zweiten Antrag (19/27186) verlangt die FDP Maßnahmen, um Insiderhandel von Bundesbeschäftigten zu verhindern. Daher müssten Compliance-Strukturen für private Finanzgeschäfte von Bediensteten in Bundesministerien und Bundesoberbehörden eingeführt werden.
Dazu gehöre das sogenannte Zweitschriftverfahren für Beschäftigte mit Zugang zu marktrelevanten Informationen und Sperrlisten für Beschäftigte, die entsprechende Unternehmen direkt beaufsichtigen. Außerdem fordert sie, eine Zentrale Stelle für Compliance-Angelegenheiten in Bundesministerien und Bundesbehörden einzuführen.
Erster Antrag der Grünen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will die Finanzaufsicht neu aufstellen. In ihrem ersten Antrag (19/24385) fordert sie die Bundesregierung auf, vor dem Hintergrund des Wirecard-Skandals einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die BaFin zu einer „aktiven Hüterin der Integrität des Finanzmarkts“ werde. Die BaFin müsse Betrug, Geldwäsche und andere illegale Aktivitäten im Finanzmarkt schnell aufdecken und bekämpfen sowie einen umfassenden Verbraucherschutz gewährleisten.
In dem Antrag machen die Grünen detailreich Vorschläge zur Verbesserung der internen Struktur der BaFin. Außerdem äußern sie sich zu Maßnahmen für einen besseren Verbraucherschutz im Bereich Finanzen.
Gesetzentwurf der AfD
Gegenstand der Anhörung ist auch ein Gesetzentwurf der AfD-Fraktion zur Änderung des Handelsgesetzbuchs (19/27023). Ziel sei die Verbesserung der Abschlussprüfung von Kapitalgesellschaften als Reaktion auf den Fall Wirecard. Der Zeitraum für den verpflichtenden Wechsel des Wirtschaftsprüfers solle auf maximal vier Jahre verkürzt werden.
Die Haftungsobergrenze für Schäden aufgrund einer fahrlässigen Verletzung der Prüfungspflichten solle auf ein Prozent der Bilanzsumme des geprüften Unternehmens, mindestens aber zehn Millionen Euro, erhöht werden. Zudem solle es Abschlussprüfern untersagt sein, während des Prüfungsmandats steuerrechtliche Beratungsleistungen gegenüber dem geprüften Unternehmen zu erbringen.
Antrag der Linken
Die Fraktion Die Linke strebt mit ihrem Antrag (19/22204) eine umfangreiche Neuordnung des Systems der Wirtschaftsprüfung an, um damit unter anderem Interessenkonflikte zu reduzieren. So sollen Unternehmen für die Abschlussprüfung nicht länger ihre Prüfer frei benennen und bezahlen. Stattdessen sei eine umlagefinanzierte zentrale Bestellung und Vergütung notwendig. Die Unternehmen müssten dann entsprechend ihrer Größe und dem damit verbundenen Prüfungsumfang in einen Fonds einzahlen, aus dem nach einem Zufallsprinzip alle fünf Jahre Prüfer bestellt und entlohnt werden.
Die Bestellung solle durch eine unabhängige Regulierungsbehörde vorgenommen werden. Außerdem solle die Prüfung eines Unternehmens strikt von der Beratung durch dasselbe Wirtschaftsprüfungsunternehmen getrennt werden. Kleine und mittelgroße Wirtschaftsprüfungsunternehmen sollen an diesem Prüfungsverfahren teilnehmen können. Zur Begründung schreibt die Fraktion, der Wirecard-Skandal sei kein Einzelfall. Die Bilanzmanipulationen bei der Wirecard AG würden die Defizite der Wirtschaftsprüfung verdeutlichen. So seien Jahresabschlüsse von Wirecard durch das Wirtschaftsprüfungsunternehmen EY über viele Jahre uneingeschränkt testiert worden, obwohl mittlerweile davon auszugehen sei, dass etwa ein Drittel der Bilanzsumme des Zahlungsabwicklers nicht nachweisbar sei.
Zweiter Antrag der Grünen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will mit ihrem zweiten Antrag (19/23730) die Regeln der Abschlussprüfung so verändern, dass Bilanzbetrug von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften schnell aufgedeckt und erfolgreich bekämpft werden kann. Wirtschaftsprüfer würden durch ihre Prüfungen der Abschlüsse und Lageberichte von Unternehmen eine wichtige Aufgabe erfüllen, stellt die Fraktion fest. Das Urteil der Wirtschaftsprüfer sei Grundlage für Investitionsentscheidungen, für Kreditvergaben, das Eingehen von Geschäftsbeziehungen und solle schließlich Gläubiger, Arbeitnehmer sowie Steuerzahler vor zu hohen Kosten durch Insolvenzen schützen. Genau das sei jedoch im Fall des insolventen Zahlungsabwicklers Wirecard nicht passiert, stellt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fest.
Dazu schlägt die Fraktion eine Reihe von Maßnahmen vor. So soll als Ziel von Prüfungen auch die Aufdeckung von Bilanzbetrug im Gesetz verankert werden. Die Unabhängigkeit von Prüfern solle gewährleistet werden, indem die Rotation von Abschlussprüfungsgesellschaften auf mindestens sechs Jahre bei Unternehmen von öffentlichem Interesse reduziert wird. Zur Sicherstellung der Unabhängigkeit solle außerdem das Abschlussprüfungs- vom Beratungsgeschäft bei den Prüfungsgesellschaften rechtlich getrennt werden. Nur so könne jede Gefahr von Interessenkonflikten ausgeschlossen werden. Die Haftungsobergrenzen für Abschlussprüfer seien deutlich zu niedrig und müssten angepasst werden, verlangt die Fraktion.
Dritter Antrag der Grünen
Mit ihrem dritten Antrag (19/24384) wollen die Grünen die Corporate Governance in Unternehmen von öffentlichem Interesse stärken. Wie die Abgeordneten schreiben, sei vor allem zu überprüfen, inwieweit bei zentralen Elementen für die Wahrnehmung der Aufseherrolle durch den Aufsichtsrat Abweichungen vom Kodex der guten und verantwortungsvollen Unternehmensführung noch zu rechtfertigen sind.
Dazu solle die Bundesregierung unter anderem Unabhängigkeit, Kontrollrechte und Expertise der Aufsichtsräte in Unternehmen von öffentlichem Interesse stärken und die Transparenz gegenüber der Hauptversammlung und Anlegern und deren Kontrollrechte erhöhen. (ab/16.03.2021)