Minijobs
Kontrovers haben Experten drei Anträge von AfD, FDP und Die Linke beurteilt, die sich mit der Zukunft der „Minijobs“ beschäftigen. Uneinig waren die Sachverständigen dabei nicht nur in ihrer Einschätzung der generellen Stoßrichtung der Anträge, sondern auch in ihrer Kritik in Detailfragen. Das zeigte eine öffentliche Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales unter der Leitung von Dr. Matthias Bartke (SPD) am Montag, 22. Februar 2021.
Anträge von AfD, FDP und Die Linke
Während sich die AfD-Fraktion (19/25807) und die FDP-Fraktion (19/24370) in ihren Anträgen für eine Anhebung der Verdienstgrenze für geringfügig Beschäftigte sowie eine Dynamisierung aussprechen, fordert die Fraktion Die Linke (19/24003) die Abschaffung von Minijobs in der jetzigen Form. Konkret fordert die AfD-Fraktion, die Verdienstgrenze für geringfügig Beschäftigte zunächst auf 500 Euro im Monat anzuheben sowie dynamisch an die Inflation zu koppeln.
Die FDP-Fraktion plädiert für eine Festlegung der Verdienstgrenze auf das 60-fache des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. Die Linke wiederum verlangt, dass jede abhängige Beschäftigung ab dem ersten Euro der vollen Sozialversicherungspflicht unterliegen soll.
„Minijobs sind kein Sprungbrett in reguläre Beschäftigung“
Diese Forderungen der Fraktion Die Linke unterstützte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ausdrücklich. Das ursprüngliche Ziel bei der Einführung von Minijobs, vor allem nicht erwerbstätige Frauen an den Arbeitsmarkt heranzuführen und ihnen ein Sprungbrett in reguläre Beschäftigung zu schaffen, sei nicht erreicht worden.
Im Gegenteil: Minijobs wirkten eher als eine Beschäftigungsbremse, so der DGB in seiner Stellungnahme. Es bestehe daher klar „Reformbedarf“, betonte Johannes Jakob, Abteilungsleiter Arbeitsmarktpolitik beim DGB.
„Deutschland hat einen der größten Niedriglohsektoren Europas“
Eine Dynamisierung und Anhebung der Verdienstgrenze, wie die AfD und FDP vorschlagen, sei aber der falsche Weg, sagte Dr. Markus Grabka, Senior Researcher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Deutschland habe bereits einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Eine Dynamisierung würde die Zahl der Minijobber weiter anwachsen lassen – und damit auch die Zahl der Menschen in prekärer Beschäftigung. Minijobber hätten häufig keinen oder nur einen befristeten Arbeitsvertrag, keinen bezahlten Urlaub oder keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, unterstrich der Sozialwissenschaftler.
Auch die Rente falle später sehr gering aus – zudem könnten bei geringfügiger Beschäftigung keine Anwartschaften auf Erwerbsminderungsrente erworben werden, darauf wies Dr. Reinhold Thiede, Leiter des Geschäftsbereichs Forschung und Entwicklung der Deutschen Rentenversicherung Bund, hin.
Minijobs mit Übergangsfristen abschaffen
Eine ähnliche Auffassung wie Grabka vertrat auch Dr. Claudia Weinkopf, stellvertretende Geschäftsführende Direktorin am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen: Sie plädierte für ein „stimmiges Gesamtkonzept“ mit dem Ziel, Minijobs „abzuschmelzen“ und perspektivisch in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen zu überführen.
Für diesen Prozess solle es Übergangsfristen sowie Ausnahmen für bestimmte Gruppen von Minijobbern wie Studierende und Rentner geben, sagte die Sachverständige.
„Bagatellgrenze erhalten“
Prof. Ulrich Walwei, Vize-Direktor am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, sprach sich in seiner Stellungnahme ebenfalls gegen eine „Erweiterung des Geltungsbereichs der Minijobs“ durch eine Erhöhung der Geringfügigkeitsschwelle aus. Dies würde viele heute bestehende Probleme der Minijobs vergrößern. Eine Abschaffung, wie von der Fraktion Die Linke gefordert, lehnte der Wirtschaftswissenschaftler jedoch ab: „Es scheint nicht praktikabel, auf eine Bagatellgrenze zu verzichten.“
Gleichbehandlung von Minijobbern angemahnt
So sah das auch Heribert Jöris, der betonte, Minijobber „gehörten dazu“. Es brauche diese Beschäftigungsverhältnisse. Allerdings dürften sie nicht zu Ungleichbehandlung führen, mahnte der Rechtsanwalt.
Minijobber müssten genauso vergütet werden wie sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Auch im Hinblick auf Urlaubsanspruch und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall dürften Minijobber nicht schlechtergestellt werden.
Minijobs sorgen für Flexibilität am Arbeitsmarkt
Dr. Susanne Wagenmann, Leiterin Abteilung Soziale Sicherung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), widersprach der Kritik an geringfügen Beschäftigungsverhältnissen: Minijobs sorgten für Flexibilität am Arbeitsmarkt. Gerade kleinen Unternehmen böten sie die Möglichkeit, Beschäftigung passgenau zu organisieren, so Wagenmann, etwa um Auftragsspitzen abzufedern.
Eine Abschaffung widerspräche somit den Interessen der Arbeitgeber – aber auch der geringfügig Beschäftigten selbst. Die BDA-Vertreterin sprach sich klar für eine regelmäßige Anpassung der Geringfügigkeitsgrenze entsprechend der Lohn- und Gehaltsentwicklung aus.
„Anpassungen bei der Verdienstgrenze dringend erforderlich“
Diese Forderung unterstützte auch Sandra Warden, Arbeitsmarktexpertin beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga-Bundesverband): Sie argumentierte, es brauche dringend Anpassungen bei der gegenwärtigen Geringfügigkeitsgrenze, um die Minijobs nicht schleichend zu entwerten. Bislang führten Erhöhungen des gesetzlichen Mindestlohns stets dazu, dass Minijobber auf 450-Euro-Basis weniger Stunden arbeiten dürften.
Zudem widersprach die Rechtsanwältin dem Argument, das zuvor auch der DGB vertreten hatte, Minijobs begünstigten eine Aufsplitterung von Arbeitsverhältnissen. Das Gastgewerbe zeige, dass Minijobs sogar dazu beitragen könnten, reguläre Beschäftigung zu sichern, so Warden. „Dort wo Minijobs zunehmen, wächst auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.“
„Arbeitslosigkeit und Schattenwirtschaft zurückgedrängt“
Peggy Horn, stellvertretende Leiterin der Minijob-Zentrale Deutschland, betonte, Minijobs hätten sich bewährt: Ihre Einführung habe zur Senkung von Arbeitslosigkeit und Zurückdrängung von Schwarzarbeit geführt.
Minijobs seien heute eine „akzeptierte, flexible und auch im Umfang konstante Beschäftigungsform“.
„Minijobs sind für Arbeitgeber teuer und unflexibel“
Dem widersprach Johannes Bungart, Geschäftsführer Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks. Er betonte, Minijobs seien aus Sicht seines Verbands die „teuersten und unflexibelsten Arbeitsverhältnisse“ überhaupt. Sämtliche Lohnerhöhungen der vergangenen Jahre seien bei vielen Beschäftigten, die an der 450-Euro-Grenze arbeiten, immer nur in Form von Arbeitszeitkürzungen angekommen, so auch seine Kritik.
Deswegen habe sein Verband sich ursprünglich für eine Abschaffung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ausgesprochen. Da sich dies aber wohl kaum bald umsetzen lasse, plädierten die Gebäudereiniger nun ebenfalls für eine Dynamisierung.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert eine Anhebung der Verdienstgrenze für geringfügig Beschäftigte durch eine dynamische Kopplung an die Inflation.
In ihrem Antrag (19/25807) verlangt sie von der Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der diese Kopplung regelt, aber auch generell die Verdienstgrenze für sogenannte Minijobs auf 500 Euro im Monat anhebt.
Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion fordert in ihrem Antrag (19/24370) eine Dynamisierung bei den Minijobs. Konkret verlangt sie, die Verdienstgrenze bei geringfügiger Beschäftigung auf das 60-fache des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns festzulegen.
Zur Begründung schreibt die Fraktion, dass durch bessere Zuverdienstmöglichkeiten der Aufstieg innerhalb des Arbeitsmarktes noch besser gelinge. Zuverdienstmöglichkeiten müssten aufstiegs- und chancenorientiert sein, jede einzelne Arbeitsstunde müsse sich für die Beschäftigten lohnen, schreibt die FDP.
Antrag der Linken
Die Fraktion Die Linke verlangt eine Ende der Minijobs in der jetzigen Form. In ihrem Antrag (19/24003) kritisiert sie, geringfügige Beschäftigung sei nicht krisensicher, Minijobber hätten weder Anspruch auf Arbeitslosengeld I noch auf Kurzarbeitergeld. Es stimme nicht, dass diese Beschäftigten Minijobs nicht zur Existenzsicherung bräuchten. „Viele Menschen wählen Minijobs mangels besserer Alternativen“, schreiben die Abgeordneten.
Die Linke will, dass jede abhängige Beschäftigung ab dem ersten Euro der vollen Sozialversicherungspflicht unterliegt und damit geringfügige Beschäftigung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführt wird. Es soll ferner eine Mindestzahl in Höhe von 22 Stunden pro Woche gelten, von der nur auf Wunsch der Beschäftigten nach unten abgewichen werden darf. Die Linke verlangt weiter, den gesetzlichen Mindestlohn umgehend auf mindestens zwölf Euro und zur Eindämmung des Niedriglohnsektors auch die Tarifbindung zu erhöhen. (sas/che/22.02.2021)