„Starke-Familien-Gesetz“
Zeit:
Montag, 11. März 2019,
14 Uhr
bis
17 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.200
Die geplante Erhöhung des Kinderzuschlags von 170 Euro auf 185 Euro pro Kind und Monat sowie die Verbesserungen beim Bildungs- und Teilhabepaket werden von Sachverständigen prinzipiell begrüßt. Zugleich warnen sie davor, dass auch zukünftig zu wenige Anspruchsberechtigte in den Genuss der Leistungen kommen werden. Dies war der Tenor in einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses unter Vorsitz von Sabine Zimmermann (Die Linke) am Montag, 11. März 2019, zu dem von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) vorgelegten Starke-Familien-Gesetz (19/7504) sowie zwei Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Bekämpfung von Kinderarmut (19/1854, 19/7451).
„Ökonomisch kluge Gesetzesreform“
Der Volkswirtschaftler Prof. Dr. Holger Bonin vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) begrüßte die Gesetzesreform als ökonomisch klug. Die Ausweitung des Kinderzuschlags könne dazu führen, dass mehr von Armut bedrohte Familien vor dem Bezug von Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bewahrt werden. So stellten der Plan, bei Inanspruchnahme des Kinderzuschlags jeden zusätzlich verdienten Euro der Eltern nur noch mit 45 statt wie bisher 50 Prozent anzurechnen, und der Wegfall der sogenannten Abbruchkante positive Erwerbsanreize dar.
Den Wegfall der Abbruchkante und die geringere Anrechnung zusätzlichen Einkommens wurde auch von Dr. Birgit Fix vom Deutschen Caritasverband prinzipiell positiv bewertet. Sie sprach sich zugleich aber für ein echtes Wahlrecht zwischen dem SGB-II-Bezug und dem Bezug von Kinderzuschlag aus, bei dem weder Vorleistungen noch Einkommensgrenzen eine Rolle spielen. Die Evaluierung des Kinderzuschlags durch das Bundesfamilienministerium habe ergeben, dass sich bei einem echten Wahlrecht eine Mehrheit für den Kinderzuschlag entscheiden würde.
Regierungsentwurf skeptisch bis kritisch bewertet
Der Humanwissenschaftler Prof. Dr. Michael Klundt von der Hochschule Magdeburg-Stendal bewertete das Starke-Familien-Gesetz skeptisch bis kritisch. Die Erhöhung des Kinderzuschlags und die Verbesserungen beim Bildungs- und Teilhabepakets seien überfällig und reichten vor allem nicht aus, um die verdeckte Armut zu bekämpfen. Schon heute würden lediglich 30 Prozent der Anspruchsberechtigten den Kinderzuschlag auch beziehen. Die Bundesregierung selbst gehe davon aus, dass sich dieser Anteil lediglich auf 35 Prozent erhöhen werde. Auf diesen Umstand verwies auch Jana Liebert vom Deutschen Kinderschutzbund. Sie plädierte dafür, den Kinderzuschlag möglichst automatisiert auszuzahlen, wie dies auch die Grünen fordern.
Auch Jürgen Liminski, Publizist und Geschäftsführer des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie, bezweifelte, dass das Starke-Familien-Gesetz seinen Anspruch, Kinder- und Familienarmut zu beheben, erfüllt. Er bemängelte ganz prinzipiell, dass die Kindergelderhöhungen der Vergangenheit in keinem Verhältnis zu den gestiegenen Kosten für Familien stünden. Der Erziehungsleistung von Eltern werde nicht ausreichend Rechnung getragen. In der Familienpolitik müsse ein Paradigmenwechsel von der Bedürftigkeit als Kriterium hin zur Leistungsgerechtigkeit eingeleitet werden.
Einfacheres Antragsverfahren begrüßt
Einhellig begrüßten die Sachverständigen, dass die Beantragung des Kinderzuschlags und der Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepakets vereinfacht werden soll. Karsten Bunk von der Bundesagentur für Arbeit mahnte, dass der Erfolg der Reform des Kinderzuschlags maßgeblich von einer guten Beratung der anspruchsberechtigten Familien abhängen werde. Die Bundesagentur werde deshalb auch eine Online-Beratungsmöglichkeit einführen.
Für eine bessere Beratung auch außerhalb der üblichen Öffnungszeiten von Behörden warb Dr. Insa Schöningh von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie. Zudem müsse die Beantragung von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket deutlich entbürokratisiert werden. Um in den Genuss aller Leistungen zu kommen, müsste ein Elternpaar mit zwei Kindern derzeit etwa 17 verschiedene Anträge ausfüllen. Für einen Abbau von Bürokratie durch den Wegfall gesonderter Antragstellung beim Bildungs- und Teilhabepaket warben auch Dr. Markus Mempel vom Deutschen Landkreistag und Nikolas Schelling von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände.
„Chancengleichheit fördern“
Mit dem „Starke-Familien-Gesetz“ plant die Bundesregierung, Familien mit kleinen Einkommen zu stärken und faire Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe für ihre Kinder zu schaffen. Dazu sollen der Kinderzuschlag für Familien mit kleinen Einkommen neu gestaltet und die Bildungs- und Teilhabeleistungen für Kinder und Jugendliche verbessert werden.
Den Kinderzuschlag will die Bundesregierung in zwei Schritten neu gestalten: Zum 1. Juli 2019 soll er von jetzt maximal 170 Euro auf 185 Euro pro Monat und Kind erhöht, für Alleinerziehende geöffnet und deutlich entbürokratisiert werden. Zum 1. Januar 2020 sollen die oberen Einkommensgrenzen entfallen. Einkommen der Eltern, das über deren eigenen Bedarf hinausgeht, soll nur noch zu 45 Prozent statt heute 50 Prozent auf den Kinderzuschlag angerechnet werden. Von dieser Maßnahme erhofft sich die Regierung nach eigener Aussage, dass keine Familie mehr aus dem Kinderzuschlag herausfällt, wenn die Eltern nur etwas mehr verdienen.
„Bildungs- und Teilhabepaket verbessern“
Zum 1. August 2019 soll auch das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung verbessert werden. Das „Schulstarterpaket“ soll von 100 Euro auf 150 Euro steigen und in den Folgejahren dynamisch angepasst werden. Die Eigenanteile der Eltern für das gemeinsame Mittagessen in Kindertagesstätte und Schule sowie für die Schülerbeförderung fallen dann weg.
Darüber hinaus kann laut dem Entwurf eine Lernförderung auch dann beansprucht werden, wenn die Versetzung nicht unmittelbar gefährdet ist. Mit der Maßnahme sollen die Eltern finanziell entlastet werden. Zudem soll so der Bürokratieaufwand für Eltern, Dienstleister und Verwaltung sinken.
Erster Antrag der Grünen
Die Grünen setzen sich in ihrem ersten Antrag (19/1854) für eine Erhöhung und eine automatisierte Auszahlung des Kinderzuschlags ein. Sie fordern die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den bisherigen Kinderzuschlag ersetzt und sicherstellt, dass die Auszahlung der Leistung ebenso einfach geregelt wird wie die automatische Günstigerprüfung zwischen Kindergeld und Kinderfreibeträgen im Rahmen der Steuererklärung.
Zudem soll der maximale Auszahlungsbetrag so erhöht werden, dass er zusammen mit dem Kindergeld für Kinder jeden Alters existenzsichernd ist. Ebenso sollen die Mindest- und Höchsteinkommensgrenzen abgeschafft werden. Bei Alleinerziehenden, bei denen ein Elternteil den Unterhalt für sein Kind nach einer Trennung nicht zahlt, sollen der Unterhaltsvorschuss und der Kinderzuschlag in voller Höhe zusammengeführt werden.
Zweiter Antrag der Grünen
Die Grünen fordern die Bundesregierung in ihrem zweiten Antrag (19/7451) unter anderem auf, die Regelsätze für Kinder in der Grundsicherung so zu erhöhen, dass sie das soziokulturelle Existenzminimum absichern. Mit Ländern und Kommunen sollen Bildungs- und Teilhabeangebote auf der kommunalen Ebene für Kinder und Jugendliche so verbessert werden, dass sie auch bei den Betroffenen ankommen.
Die Fraktion tritt zudem für eine Stärkung der Schulsozialarbeit und für eine bessere Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule ein. Das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung solle aufgelöst werden, heißt es weiter. Stattdessen sollten Leistungen zum Teil im Kinderregelsatz und zum Teil durch kostenlosen Zugang zu den Angeboten vor Ort gewährt werden. (aw/11.03.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Holger Bonin, IZA - Institute of Labor Economics, Bonn
- Dr. Birgit Fix, Deutscher Caritasverband e. V., Berlin
- Jana Liebert, Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e. V., Berlin
- Prof. Dr. Michael Klundt, Hochschule Magdeburg-Stendal
- Jürgen Liminski, Sankt Augustin
- Dr. Markus Mempel, Deutscher Landkreistag e. V.
- Alexander Nöhring, Zukunftsforum Familie e. V., Berlin
- Dr. Insa Schöningh, evangelische arbeitsgemeinschaft familie e. V. (eaf), Berlin
- Karsten Bunk, Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg
- Nikolas Schelling, Vertreter/-in Vertreterin der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, Berlin