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Ausschüsse

Lob und Kritik für geplante Reform der Kinder- und Jugend­hilfe

Zeit: Montag, 22. Februar 2021, 14 Uhr bis 17.15 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.900

Die geplante Reform der Kinder- und Jugendhilfe stößt bei Verbänden und Experten auf ein geteiltes Echo. Begrüßt wird einhellig deren inklusiver Ansatz, kritisch hingegen werden die zu niedrig kalkulierten Kosten gesehen. Dies war das weitestgehend einhellige Urteil der Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses unter Vorsitz von Sabine Zimmermann (Die Linke) am Montag, 22. Februar 2021, zu dem Entwurf der Bundesregierung für ein Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (19/26107) und zu einem Antrag der FDP-Fraktion (19/26158) zur Abschaffung der sogenannten Kostenbeteiligung von Pflegekindern im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Alle Sachverständigen begrüßten einhellig die angestrebte und überfällige Reform der Kinder- und Jugendhilfe, forderten aber an verschiedenen Stellen Nachbesserungen an der Gesetzesnovelle.

Auswirkungen auf Fachkräfte in der Sozialen Arbeit moniert

Dr. Elke Alsago von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) monierte vor allem die Auswirkungen des Gesetzentwurfs auf die Fachkräfte in der Sozialen Arbeit. Bislang habe sich das SGB VIII durch einen Hilfe- und Schutzauftrag, verbunden mit einem dialogischen Verständnis von Kinderschutz, ausgezeichnet. Der Gesetzentwurf weise jedoch auf einen Paradigmenwechsel hin, welcher bei Fachkräften der Sozialen Arbeit auf deutliche Ablehnung stoße.

Statt Kooperation von Fachkräften und Berufsgeheimnisträgern werde der Kinderschutz auf die Kontrolle und Weitergabe von Informationen an das Jugendamt verkürzt. Das Handeln der Fachkräfte stehe damit nicht mehr unter der Prämisse der Prävention und Hilfe, sondern der Gefahrenabwehr, argumentierte Alsago.

„Vertraulichkeit Voraussetzung für Schutz von Kindern und Jugendlichen“

Dieser Kritik schloss sich Prof. Dr. Karin Böllert von der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) an. Sie warnte vor einer Veränderung des Schutz- und Hilfeauftrags des Jugendamts hin zu einer polizeilichen Gefahrenabwehrbehörde. Es sei mehr als nur fragwürdig, wenn Berufsgeheimnisträgern unterstellt werde, sie würden gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung leichtfertig übergehen, und wenn sie jetzt zu einer Meldung an das Jugendamt verpflichtet würden. Das Angebot von Vertraulichkeit sei für etliche Akteure im Kinderschutz die zentrale Voraussetzung, um Kinder und Jugendliche schützen zu können.

In diesem Sinne argumentierte auch Hubert Lautenbach vom Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO).

„Inklusive Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe überfällig“

Durchgängig von allen Sachverständigen begrüßt wurde das Vorhaben, die Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen stufenweise in der Kinder- und Jugendhilfe des SGB VIII zu bündeln. Eine inklusive Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe sei nach mehr als zehn Jahren nach der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland überfällig, um jungen Menschen mit Behinderungen und ihren Familien einen gleichberechtigten Zugang zu den Angeboten und Leistungen dieses Hilfesystems zu eröffnen, führte Christiane Möller vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) aus. Unterschiedlich bewertet wurde hingegen die siebenjährige Frist, in der dies geschehen soll.

Während Stefan Hißnauer vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) und Dr. Koralia Sekler vom Bundesverband für Erziehungshilfe (AFET) diese Frist als angemessen bezeichneten, bewerteten sie Markus Dostal von „Projekt Petra“, der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. med. Jörg M. Fegert vom Universitätsklinikum Ulm und der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Dr. h. c.Reinhard Wiesner von der Freien Universität Berlin als zu langfristig. Vor allem sei der Stufenplan zur Umsetzung zu unverbindlich formuliert, monierte Wiesner.

„Kosten der Reform deutlich zu niedrig kalkuliert“

Ebenso durchgängig kritisiert wurde von allen Sachverständigen, dass die Kosten der Reform als deutlich zu niedrig kalkuliert seien. Es sei völlig illusorisch, dass dies unter dem Aspekt der Kostenneutralität zu realisieren sei, wie dies die Bundesregierung offenbar anstrebe, lautete das einhellige Urteil. Vor allem werde mehr Personal benötigt. So schlug Sabine Gallep vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge vor, eine Personalbedarfsbemessung für die Sozialen Dienste der Kinder- und Jugendhilfe in den Gesetzentwurf aufzunehmen.

Jörg Freese von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände forderte die Bundesregierung auf, einen Finanzierungsweg zu finden, wie die Länder in Höhe der Mehrkosten entlastet werden können.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Mit dem Gesetz sollen laut Bundesregierung die rechtlichen Grundlagen der Kinder- und Jugendhilfe weiterentwickelt werden. Ziel sei ein wirksames Hilfesystem, das Kinder vor Gefährdungen schützt und Familien stärkt, schreibt die Bundesregierung.

Dabei gehe es auch darum, gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit für alle jungen Menschen zu sichern beziehungsweise herzustellen. Konkret ist so unter anderem im Gesetzentwurf vorgesehen, die Anforderungen an die Erteilung einer Betriebserlaubnis für Kinderheime und andere Einrichtungen zu erhöhen. Aufsicht und Kontrolle sollen verstärkt werden.

Mehr Kooperation mit Akteuren im Kinderschutz

Die Kooperation zwischen der Kinder- und Jugendhilfe mit wichtigen Akteuren im Kinderschutz soll ausgebaut und verbessert werden. So soll auch das Gesundheitswesen stärker in die Verantwortung für einen wirksamen Kinderschutz einbezogen werden.

Das modernisierte Gesetz regelt die Mitverantwortung der gesetzlichen Krankenversicherung und verbessert die Kooperation zwischen Ärztinnen und Ärzten sowie Angehörigen anderer Heilberufe und dem Jugendamt. Auch das Zusammenwirken von Jugendamt und Jugendgericht, Familiengericht und Strafverfolgungsbehörden sowie anderen bedeutenden Akteuren im Kinderschutz, etwa Lehrerinnen und Lehrern, will sie verbessern.

Rechtsanspruch auf Beratung

Zudem erhalten Eltern bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie einen Rechtsanspruch auf Beratung, Unterstützung und Förderung ihrer Beziehung zum Kind. Zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege müssen dort künftig Schutzkonzepte angewendet werden.

Gewachsene Bindungen und Beziehungen von Pflegekindern sollen gestärkt werden, indem die Möglichkeiten des Familiengerichts erweitert werden. Künftig soll der Verbleib eines Kindes in seiner Pflegefamilie als dauerhafte Maßnahme angeordnet werden können, wenn dies zum Schutz und Wohl des Kindes erforderlich ist.

Bessere Beteiligungsrechte von Betroffenen

Kinder und Jugendliche sollen einen uneingeschränkten Anspruch auf Beratung durch die Kinder- und Jugendhilfe erhalten. Darüber hinaus ist geplant, Ombudsstellen gesetzlich zu verankern, um die Beteiligung junger Menschen und ihrer Eltern zu stärken.

Insbesondere sollen die Rechte von Pflegekindern gestärkt werden.
So ist unter anderem vorgesehen, das Jugendamt zu verpflichten, Möglichkeiten der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten für Pflegekinder zu gewährleisten.

Antrag der FDP

Die Liberalen fordern in ihrem Antrag „bessere Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben auch für Pflegekinder“ (19/26158). Die Fraktion will den Paragrafen 94 Absatz 6 des Achten Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) abschaffen. Dieser legt fest, dass Pflegekinder einen finanziellen Beitrag dafür erbringen müssen, dass sie eine vollstationäre Betreuung durch eine Pflegefamilie oder eine Pflegeeinrichtung in Anspruch nehmen. Jugendliche würden demnach als Leistungsempfänger behandelt, schreiben die Liberalen. Sie müssten „75 Prozent ihres Nettoeinkommens, welches sie im Rahmen ihrer Ausbildung oder eines Nebenjobs verdienen, an das Jugendamt zahlen“.

Diese Kostenheranziehung junger Menschen, die sich in vollstationärer Betreuung durch eine Pflegefamilie oder eine Pflegeeinrichtung befinden, gelte es ersatzlos zu streichen, so die Forderung. (as/ste/22.02.2021)

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