+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

Ausschüsse

Breite Zustimmung zur Erhe­bung statisti­scher Daten zur Zeitverwendung

Zeit: Montag, 15. März 2021, 14 bis 15.45 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.200

Das Vorhaben der Bundesregierung, für die Erhebung statistischer Daten zur Zeitverwendung eine eigene gesetzliche Grundlage zu schaffen, ist bei einer Expertenanhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Leitung von Sabine Zimmermann (Die Linke) am Montag, 15. März 2021, auf breite Zustimmung gestoßen. Kritik gab es an der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (19/26935) – vor allem an der vorgesehenen Beibehaltung des Zehn-Jahres-Turnus, in dem die Erhebungen bislang als „Bundesstatistiken für besondere Zwecke nach dem Bundesstatistikgesetz“ durchgeführt wurden. Eine deutliche Mehrheit sprach sich während der Anhörung für eine Erhebung alle fünf Jahre aus.

„Unbezahlte Care-Arbeit präzisieren“

Dr. Ruth Abramowski vom Socium-Forschungszentrum „Ungleichheit und Sozialpolitik“ an der Universität Bremen betonte, Zeitverwendungserhebungen lieferten nicht nur relevante Erkenntnisse über zeitliche Gestaltungsspielräume, sondern seien auch eine äußerst zentrale Datenbasis für die Messung des Wohlstandes von Bevölkerungen. So könnten gezielte politische Maßnahmen abgeleitet werden. Lücken in dem Entwurf gibt es aus ihrer Sicht bei den Erhebungsmerkmalen.

Es brauche eine Präzisierung der unbezahlten „Care-Arbeit“, die zumeist von Frauen ausgeübt werde. Auch die Auslagerung der Care-Arbeit an Frauen, „die sich in noch prekäreren Verhältnissen befinden“, müsse erfasst werden, forderte Abramowski mit Verweis auf mehr als 500.000 „informell und überwiegend schwarz beschäftigte Pflegemigranten“ in Deutschland, die in keiner amtlichen Statistik auftauchen würden.

„Erhebungen zur Verteilung der Sorgearbeit dringender geworden“

Antje Asmus vom Deutschen Frauenrat nannte die Darstellung der Verteilung von bezahlter und unbezahlter Zeit zwischen Frauen und Männern „für die Entwicklung gleichstellungspolitischer Maßnahmen unerlässlich“. Zeitverwendungserhebungen stellten mit ihren Daten zu unbezahlter Haus- und Sorgearbeit auch wichtige Ergänzungen zu der klassischen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dar, die sich primär auf Wohlstand und Wertschätzung der Produktion von Waren und Dienstleistungen fokussiere.

Der Bedarf an repräsentativen Zeitbudgeterhebungen zur Verteilung der Sorgearbeit sei während der Corona-Krise noch dringender geworden, befand Asmus. Es seien Frauen und vor allem Mütter, die während der Pandemie den größeren Anteil der zusätzlich anfallenden Sorgearbeit übernehmen und ihre Erwerbsarbeitszeiten dafür reduzieren, sagte die Frauenratsvertreterin.

„Evaluation von Politikreformen nahezu unmöglich“

Dr. Christina Boll vom Deutschen Jugendinstitut hält – ebenso wie ihre Vorrednerinnen – den Zehnjahreszeitraum zwischen den Erhebungen für zu lang. Zum einen erschwerten seltene Messzeitpunkte den Ländervergleich auf europäischer sowie auf internationaler Ebene.

Zudem sei die Evaluation von Politikreformen mithilfe dieser Daten nahezu unmöglich. Als unzureichende bewertete Boll zugleich den Versuch, im Bereich der Nachtrennungsfamilien mit der Erfassung der Kontakthäufigkeit zu außerhalb des eigenen Haushalts wohnenden Kindern, elterliche Zeitinvestments einzufangen.

Kürzeren Erhebungsrhythmus bevorzugt

Fünf Jahre, „besser noch zwei Jahre“, sollten aus Sicht von Privatdozent Dr. Martin Bujard vom Verein Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie höchstens zwischen den Erhebungen liegen. Für einen zehnjährigen Rhythmus seien die Entwicklungen zu dynamisch, sagte er.

Bujard sprach sich zudem für die Erhebung in Form von einer Panelstruktur, „das heißt mit Wiederholungsbefragungen“, aus. So könnten die Veränderungen innerhalb von Familien – als Folge von Kindergeburt, aber auch infolge politischer Maßnahmen – besser nachvollzogen werden.

„Kinderreiche Familien berücksichtigen“

Sebastian Heimann vom Deutschen Familienverband begrüßte den Gesetzentwurf ebenfalls. Ergänzt werden müsse er jedoch dringend um die Berücksichtigung von kinderreichen Familien „als gesellschaftlich und demografisch besonders bedeutsame Gruppe“. Der Entwurf berücksichtige alleinerziehende Mütter und Väter durch überproportionale Auswahlsätze besonders.

Dies müsse auch für die Gruppe der Mehr-Kind-Familien unbedingt sichergestellt werden. Kinderreiche Familien seien schließlich überproportional von Armut gefährdet und sähen sich verstärkten Herausforderungen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gegenüber, sagte Heimann.

Haushaltsübergreifende Informationen zu Kindern

Mit dem Gesetzentwurf würden vor allem die Erhebungsmerkmale festgelegt, sagte die Soziologin Prof. Dr. Michaela Kreyenfeld von der Hertie School of Governance. Mit der Integration einer neuen Frage zum „Kontakt zu eigenen Kindern, die nicht im Haushalt leben“, sollen erstmalig auch haushaltsübergreifende Informationen zu Kindern erhoben werden, was zu begrüßen sei.

Dennoch könne die Zeitverwendungsstudie in der vorgesehenen Form die Lebenswirklichkeiten von Trennungseltern und -kindern nicht hinreichend abbilden, bemängelte Kreyenfeld. Das etwa Trennungsväter durch die Regelung nicht identifiziert würden, sei „mehr als bedauerlich“.

„Auf die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen achten“

Dr. Heike Wirth vom Mannheimer Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (Gesis) hält eine Periodizität von zehn Jahren für richtig, weil aus ihrer Sicht bei einer Erhebung alle fünf Jahre Abstriche in der Datenqualität hingenommen werden müssten. Im Übrigen sei durch die Verordnungsermächtigung in dem Gesetz die Flexibilität gegeben, bei erkennbarem Bedarf die Periodizität anzupassen.

Handlungsbedarf sieht Wirth in Bezug auf die Messung der Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb des Haushalts, die Erfassung von Kontakten von außerhalb der Haushalte lebenden Eltern und Kindern sowie beim Erwerbsstatus. Wichtig sei es zudem, bei der Quotierung der Haushalte explizit darauf zu achten, „dass die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen mit einem ausreichend hohen Umfang in der Stichprobe vertreten ist“.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Nach Angaben der Bundesregierung hat sie seit den 1990er-Jahren im Turnus von etwa zehn Jahren Daten zur Zeitverwendung der in Deutschland lebenden Menschen erheben lassen. Durch diese Erhebungen seien wesentliche Erkenntnisse für gesellschaftspolitische Maßnahmen gewonnen worden. Sie lieferten Informationen darüber, wie viel Zeit Menschen im Tagesverlauf für bestimmte Aktivitäten aufwenden.

Die Auswertung dieser Daten gebe beispielsweise Auskunft über die Arbeitsbelastung und Arbeitsteilung in Familien, Kinderbetreuung und Pflege oder freiwilliges gesellschaftliches Engagement, heißt es weiter. (aw/15.03.2021)

Marginalspalte