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Familie

Pro und Contra Rechts­anspruch auf Ganz­tags­be­treu­ung für Grundschüler

Zeit: Montag, 31. Mai 2021, 13 Uhr bis 14.45 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.200

Die geplante stufenweise Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler ab 2026 stößt bei Sozial-und Familienverbänden, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sowie Wissenschaftlern auf große Zustimmung. Angemahnt wird jedoch der Mangel an Fachkräften in den kommenden Jahren.

Vertreter der Kommunen bewerten den Gesetzentwurf hingegen äußerst kritisch. Sie befürchten eine finanzielle Überbelastung. Der Bund müsse sich stärker engagieren. Dies wurde in einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses unter Leitung von Sabine Zimmermann (Die Linke) am Montag, 31. Mai 2021, zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD (19/29764) und einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/22117) deutlich.

„Beitrag zur Teilhabe von Kindern“

Claudia Linsel vom Paritätischen Landesverband begrüßte die Verankerung des Rechtsanspruchs im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Die bereits bestehenden Rechtsansprüche auf Betreuung vor dem Schuleintritt würden so logisch weitergeführt. Die Kindertagesbetreuung könne dazu beitragen, soziale, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe von Kindern sicherzustellen, sagte Linsel.

Maria Theresia Münch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge wies darauf hin, dass eine Verankerung im SGB VIII die einzige Möglichkeit für den Bund darstelle, bundesweit für gleichwertige Lebensverhältnisse für Familien und Kinder zu sorgen. Allerdings sei es fraglich, ob der Bund den Kommunen weitere Aufgaben im SGB VIII zuweisen könne.

Gewerkschaften begrüßen Rechtsanspruch

Elke Alsago von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) und Björn Köhler von der Gewerkschaft Erziehung und Erziehung (GEW) begrüßten die Verankerung des Rechtsanspruchs im SGB VIII ausdrücklich.

Die Erfahrungen aus der Vergangenheit hätten gezeigt, dass die Länder nur dann ausreichend Plätze für die Ganztagsbetreuung von Kindern zur Verfügung stellten, wenn bundesweit ein entsprechender Rechtsanspruch gelte, führte Alsago aus.

„Lücke in der Kindertagesbetreuung wird geschlossen“

Übereinstimmend vertraten alle Sachverständigen die Auffassung, dass der Rechtsanspruch für Grundschüler eine gravierende Lücke in der Kindertagesbetreuung schließt. Miriam Hoheisel vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter führte aus, dass sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Eltern bei Beginn der Schulzeit ihrer Kinder bislang sehr schwierig gestalte. Vor allem für Alleinerziehende sei der Rechtsanspruch besonders wichtig, da sie ansonsten in vielen Fällen keiner Vollzeitbeschäftigung nachgehen könnten. Zugleich monierte sie, dass der Rechtsanspruch erst ab 2026 stufenweise eingeführt werden soll.

Auch Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut kritisierte, dass der Rechtsanspruch faktisch erst bis zum Ende des Jahrzehnts für alle vier Klassenstufen der Grundschule umgesetzt werde.

„100.000 Betreuer müssen zusätzlich eingestellt werden“

Ebenfalls einstimmig mahnten alle Sachverständigen eine Offensive zur Gewinnung von ausreichend pädagogischem Fachpersonal an. Nach Schätzung des Deutschen Jugendinstituts würden bei Umsetzung des Rechtsanspruchs etwa eine Million Betreuungsplätze geschaffen und etwa 100.000 Betreuer zusätzlich eingestellt werden müssen, führte Alsago an. Der Gesetzentwurf mache jedoch keine Angaben dazu, wie dieses Personal gewonnen werden soll. Eine Fachkräfteoffensive wie von den Grünen in ihrem Antrag gefordert, sei deshalb notwendig.

Dieser Forderung schloss sich die deutliche Mehrheit der Sachverständigen an. Donata Kluxen-Pyta von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände lehnte allerdings den von den Grünen geforderten Rechtsanspruch auf Weiterbildung, um den Einstieg in den Erzieher-Beruf zu erleichtern, ab. Dies gehe am Sinn der Förderung von beruflicher Weiterbildung vorbei.

Massive Kritik von Kommunen und Landkreisen

Auf massive Kritik stößt der Gesetzentwurf hingegen bei Kommunen und Landkreisen. Übereinstimmend lehnten Stefan Hahn vom Deutschen Städtetag, Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund und Jörg Freese vom Deutschen Landkreistag die Verankerung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler im SGB VIII ab. Sie machten einerseits verfassungsrechtliche Gründe geltend, da der Bund mit diesem Gesetz in die Kompetenz der Länder im Bildungssektor eingreife. Ein Rechtsanspruch müsse vielmehr in den jeweiligen Schulgesetzen der Länder verankert werden.

Hahn, Lübking und Freese argumentierten zudem, dass die zusätzlichen finanziellen Belastungen durch die Kommunen nicht getragen werden könnten. Trotz der geplanten finanziellen Beteiligung des Bundes müssten Länder und Kommunen dauerhaft mehr als die Hälfte der Investitionskosten und knapp 80 Prozent der Betriebskosten tragen, führt Hahn in seiner schriftlichen Stellungsnahme aus. Die drei Sachverständigen bekannten sich allerdings ebenfalls ausdrücklich dazu, die Ganztagsangebote für Grundschulkinder auszubauen. Um dies zu gewährleisten, müssten Bund und Länder jedoch eine verfassungsrechtlich und finanziell tragfähige Lösung finden.

Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD

Der Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD (19/29764) sieht vor, den Rechtsanspruch mit Beginn des Schuljahres 2026/2027 zunächst für Grundschüler der ersten Klasse einzuführen und dann jährlich um je eine weitere Klassenstufe auszuweiten. Vom 1. August 2029 an sollen somit alle Grundschulkinder der Klassenstufen eins bis vier einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung haben.

Der Bund stellt den Bundesländern zur Realisierung des Rechtsanspruchs Investitionshilfen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Darüber hinaus soll er sich auch an den laufenden Betriebskosten beteiligen. Finanziert werden soll dies über eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung zugunsten der Länder. So sollen im Jahr 2026 rund 100 Millionen Euro, 2027 rund 340 Millionen Euro, 2028 rund 580 Millionen Euro und 2029 rund 820 Millionen Euro an die Länder fließen.

In den Folgejahren rechnet der Bund mit rund 960 Millionen Euro, die an die Länder umverteilt werden sollen. Die Investitionskosten der Länder abzüglich der Bundesmittel beziffert der Bund je nach Betreuungsbedarf auf 1,38 bis 3,18 Milliarden Euro. Ab dem Jahr 2030 sollen sich die Betriebskosten der Länder auf 2,22 bis 3,42 Milliarden belaufen.

Antrag der Grünen

Nach dem Willen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sollen die gesetzlichen Grundlagen für den geplanten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter zügig geschaffen werden. In ihrem Antrag (19/22117) fordert sie die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vorzulegen, um den Rechtsanspruch ab dem Jahr 2025 realisieren zu können. Der Rechtsanspruch auf Bildung und Betreuung soll unabhängig vom Umfang der Berufstätigkeit der Eltern an fünf Tagen in der Woche für mindestens neun Stunden pro Tag für jedes Kind gelten und ein Mittagessen umfassen.

Zudem fordern die Grünen eine gemeinsame Qualifizierungsoffensive für pädagogisches Fachpersonal an Schulen und Horten von Bund und Ländern. So sollen unter anderem bundesweit die ausbildungsbezogenen Schulgelder entfallen und ein Rechtsanspruch auf Weiterbildung geschaffen werden, um den Einstieg in den Erzieherberuf zu erleichtern.

Das Sondervermögen für den Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote zur Finanzierung der Investitionskosten soll nach dem Willen der Grünen in den Jahren 2020 und 2021 auf vier Milliarden Euro aufgestockt werden. Auf Grundlage einer realistischen Bedarfsanalyse soll zudem eine faire Aufteilung der Investitions- und Betriebskosten zwischen Bund, Ländern und Kommen erreicht werden. (aw/31.05.2021)

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