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Ausschüsse

Organspende

Zeit: Mittwoch, 25. September 2019, 14.30 Uhr bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3 101

Vor der Entscheidung im Parlament über eine neue gesetzliche Grundlage für die Organspende haben sich Experten am Mittwoch, 25. September 2019, in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Erwin Rüddel (CDU/CSU) zu den vorliegenden Gesetzentwürfen positioniert. Die Rechts-, Gesundheits- und Sozialexperten äußerten sich, auch in schriftlichen Stellungnahmen, zu den konkurrierenden Konzepten einer doppelten Widerspruchslösung sowie der Stärkung der Entscheidungsbereitschaft, über die fraktionsübergreifend abgestimmt werden soll.

Zwei Gesetzentwürfe und ein Antrag

Eine Gruppe von Abgeordneten um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock strebt mit ihrem Entwurf (19/11087) eine Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende an. So soll Bürgern über ein Online-Register die Möglichkeit gegeben werden, ihre Entscheidung einfach zu dokumentieren, zu ändern und zu widerrufen. Die Abgabe einer Erklärung zur Organ- und Gewebespende soll künftig auch in Ausweisstellen möglich sein. Ferner ist vorgesehen, dass die Hausärzte ihre Patienten regelmäßig zur Eintragung in das Register ermutigen.

Eine zweite Gruppe um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Gesundheitsexperten Prof. Dr. Karl Lauterbach will mit ihrem Entwurf (19/11096) eine doppelte Widerspruchslösung einführen. Demnach gilt jeder Bürger als möglicher Organspender, der zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt hat. Wenn zugleich auch den nächsten Angehörigen kein entgegenstehender Wille bekannt ist, gilt die Organentnahme als zulässig. Auch hier soll ein Register erstellt werden, in dem Bürger ihre Erklärung eintragen lassen können.

Die AfD-Fraktion verlangt in einem Antrag (19/11124) eine Vertrauenslösung für die Organspende. Die Abgeordneten fordern unter anderem, mit der Koordinierung und Vermittlung der Organe eine unabhängige öffentlich-rechtliche Institution zu betreuen, um das aus ihrer Sicht verbreitete Misstrauen in das jetzige System abzubauen. Eine Entscheidung wird im Herbst erwartet.

„Tatsächliche Spenderzahlen bleiben niedrig“

Die Bundesärztekammer (BÄK) machte sich für die doppelte Widerspruchslösung stark und argumentierte, dass trotz einer positiven Einstellung vieler Bürger zur Organspende die tatsächlichen Spenderzahlen niedrig blieben. Es könne von den Bürgern erwartet werden, sich mit Fragen der Organ- und Gewebespende auseinanderzusetzen und verbindlich für oder gegen eine Spende zu entscheiden.

Die jetzige Entscheidungslösung, wonach die Versicherten alle zwei Jahre von den Krankenkassen schriftlich auf das Thema hingewiesen werden, verursache hohe Kosten, ohne dass in jedem Fall eine nachvollziehbare Entscheidung getroffen werde.

„Jetzige Lage ist katastrophal“

Der Nephrologe Prof. Dr. Kai-Uwe Eckardt von der Berliner Charité nannte die jetzige Lage katastrophal. Die mittlere Wartezeit auf eine Niere liege an der Charité bei rund neun Jahren, wenn die Dialyse bereits begonnen habe. Die Entscheidungslösung würde keine substanzielle Verbesserung bringen und die nachweislich erfolglose Gesetzesnovelle von 2011 nur fortschreiben.

Auch wäre es problematisch, das sensible Thema der Organspende in die Nähe der Verwaltungsbürokratie zu rücken, erklärte Eckardt mit Blick auf die mögliche Entscheidung bei der Antragstellung für einen Ausweis. Die Widerspruchslösung schaffe hingegen in Verbindung mit dem Register ein viel höheres Maß an Verbindlichkeit und Sicherheit. Die Bürger hätten so Gewissheit, dass ihr Wille respektiert werde.

„Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit“

Der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Friedhelm Hufen von der Universität Mainz räumte ein, dass die Widerspruchsregelung einen Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit in Gestalt des Rechts auf Nichtbefassung und Nichtentscheidung bedeute. Allerdings werde das Recht auf Nichtbefassung in der verfassungsgemäßen Ordnung eingeschränkt.

Als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut seien das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit potenzieller Organempfänger und die internationale Solidarität im Rahmen von Eurotransplant zu beachten. Insgesamt sei die Einführung der Widerspruchslösung verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern im Verfahren Missbrauch und Irrtum ausgeschlossen würden.

„Deutschland profitiert von Organ-Importen“

Ein Vertreter von Eurotransplant sagte in der Anhörung, Deutschland profitiere enorm von Organ-Importen. Andere Länder verstünden nicht, weshalb Deutschland in einer so desparaten Lage nicht auf die Widerspruchslösung setze.

Eine andere Auffassung vertrat der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Winfried Kluth von der Universität Halle-Wittenberg. Dem Gesetzgeber stehe nach derzeitiger Verfassungsrechtslage kein Recht zu, eine solidarische Verhaltenspflicht aufzuerlegen, die in höchstpersönliche Rechte eingreife. Insofern sei der Entwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft vorzuziehen, weil er keine verfassungsrechtlichen Probleme aufwerfe und dazu beitrage, die Bereitschaft zur Organspende in einen praktischen Entschluss zu überführen.

„Schweigen heißt nicht Zustimmung“

Kritik an der Widerspruchslösung kam auch vom Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der darauf hinwies, dass Schweigen nicht als Zustimmung gewertet werden könne. Dies gelte sowohl im Verbraucher- und Datenschutz wie auch im Medizinrecht. Von einer doppelten Widerspruchslösung könne keine Rede sein, vielmehr verlören die Angehörigen im Vergleich zur bestehenden Rechtslage die Möglichkeit, eine eigene Entscheidung zu treffen, sofern keine schriftliche oder mündliche Willensbekundung des potenziellen Organspenders bekannt sei.

Brysch sprach sich zugleich für eine grundlegende Reform des Transplantationssystems aus, das von der Selbstverwaltung in die Hände einer staatlichen Institution gelegt werden sollte.

Die Bezeichnung doppelte Widerspruchslösung ist auch nach Ansicht des Ethikers Prof. Dr. Peter Dabrock geradezu irreführend, da den nahen Angehörigen eben explizit kein eigenes Entscheidungsrecht zuerkannt werden solle. Sofern den Angehörigen die Einstellung des potenziellen Spenders nicht bekannt sei, könne nach dem Entwurf transplantiert werden. Dabrock sprach in der Anhörung von einem eklatanten Etikettenschwindel. Der Gesetzentwurf sei angesichts der damit verbundenen Auswirkungen auf die Gesellschaft unverhältnismäßig.

„Auswirkungen der Novelle abwarten“

Nach Ansicht der beiden großen Kirchen in Deutschland ist eine grundlegende Reform der Organspendenpraxis zum jetzigen Zeitpunkt nicht nötig. Der Handlungsbedarf bestehe vorrangig in Bezug auf strukturelle und organisatorische Aspekte im Transplantationsverfahren. Das im April verabschiedete Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und Strukturen bei der Organspende setze an der richtigen Stelle an.

Die Auswirkungen dieser Novelle sollten abgewartet und evaluiert werden, bevor weitergehende Änderungen in Erwägung gezogen würden. Abseits davon äußerten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und das Kommissariat der deutschen Bischöfe erhebliche rechtliche und ethische Bedenken an der doppelten Widerspruchslösung. Die alternative Entscheidungslösung sei besser geeignet, das Vertrauen in die Organspende zu stärken.

Nierenempfänger gegen Widerspruchsregelung

Der Pfarrer Hans Martin Wirth berichtete in der Anhörung, er habe wegen eines Nierenversagens vor Jahren eine Spenderniere erhalten, mit der er elf Jahre lang ein weitgehend normales Leben führen konnte. Inzwischen müsse er wieder zur Dialyse und hoffe auf ein neues Spenderorgan. Gleichwohl lehne er die Widerspruchsregelung ab, denn: Hier werde auf die Trägheit und Unentschlossenheit der Menschen gesetzt.

Angesichts der seit Jahren niedrigen Spenderzahlen soll die gesetzliche Grundlage für Organspenden so bald wie möglich verändert werden. Nach einer allgemeinen Orientierungsdebatte Ende 2018 hatte der Bundestag am 26. Juni 2019 erstmals über die beiden konkurrierenden Gesetzentwürfe sowie den Antrag der AfD-Fraktion beraten.

Gesetzentwurf mit Zustimmungslösung

Die Vorlagen verfolgen zwei unterschiedliche Ansätze: Eine Gruppe von Abgeordneten um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock strebt mit ihrem Gesetzentwurf (19/11087) eine Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende an. So soll Bürgern über ein Online-Register die Möglichkeit gegeben werden, ihre Entscheidung einfach zu dokumentieren, jederzeit zu ändern und zu widerrufen.

Die Abgabe einer Erklärung zur Organ- und Gewebespende soll künftig auch in den Ausweisstellen möglich sein. Ferner ist vorgesehen, dass die Hausärzte ihre Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über die Organ- und Gewebespenden beraten und sie zur Eintragung in das Register ermutigen sollen.

Gesetzentwurf mit Widerspruchslösung

Eine zweite Gruppe von Abgeordneten um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Gesundheitsexperten Prof. Dr. Karl Lauterbach strebt mit ihrem Gesetzentwurf (19/11096) eine doppelte Widerspruchslösung bei der Organspende an. Demnach gilt jeder Bürger als möglicher Organ- oder Gewebespender, der zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt hat. Wenn zugleich auch den nächsten Angehörigen kein entgegenstehender Wille bekannt ist, gilt die Organentnahme als zulässig.

Mit der Einführung der doppelten Widerspruchslösung soll ein Register erstellt werden, in dem Bürger ihre Erklärung eintragen lassen können. Beide Konzepte sehen umfangreiche Aufklärungs- und Informationskampagnen der Bevölkerung vor, um die neuen Regeln bekannt zu machen.

Antrag der AfD-Fraktion

Die AfD-Fraktion verlangt in ihrem Antrag (19/11124) eine Vertrauenslösung für die Organspende. Eine Steigerung der Spenderzahlen setze Vertrauen in das dafür geschaffene System voraus, auf dessen Grundlage dann eine freie Entscheidung in Kenntnis der medizinischen Vorgänge getroffen werden könne. Die letzte Änderung des Transplantationsgesetzes habe nicht zu mehr Transparenz, sondern zu mehr Skepsis geführt.

Wesentlich sei, dass das gesamte Verfahren der Organauffindung und -vermittlung nicht nur durch nichtstaatlich gebundene Organisationen geregelt wird, sondern dass auch die Kontrolle über das Verfahren denselben Organisationen unterliegt. Die Abgeordneten fordern unter anderem, die Aufsichts- und Kontrollpflicht über die Koordinierungsstelle sowie die Aufsicht über die Vermittlungsstelle auf eine unabhängige öffentlich-rechtliche Institution zu übertragen. (pk/25.09.2019)

Liste der geladenen Sachverständigen

Verbände/Institutionen:

  • Bundesärztekammer (BÄK)
  • Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG)
  • Deutsche Stiftung Organtransplantation
  • Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG)
  • Eurotransplant
  • Initiative Leben spenden e. V.
  • Junge Helden e. V.
  • Kommissariat der deutschen Bischöfe
  • TransDia e. V.

Einzelsachverständige:

  • Eugen Brysch, Deutsche Stiftung Patientenschutz
  • Prof. Dr. Peter Dabrock , Deutscher Ethikrat
  • Dr. Fritz Diekmann, Hospital Clinic, Barcelona
  • Prof. Dr. Kai-Uwe Eckardt, Charité Berlin
  • Dr. Beatriz Dominguez Gil, Organización Nacional de Trasplantes
  • Prof. Dr. Ralph Hertwig, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
  • Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • Prof. Dr. Winfried Kluth, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
  • Prof. Dr. Ulrich Kunzendorf, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
  • Prof. Dr. Heinrich Lang, Universität Greifswald
  • Prof. Dr. Reinhard Merkel, Universität Hamburg
  • Prof. Dr. Dr. Eckhard Nagel, Universität Bayreuth
  • Hans Martin Wirth, Diakoniepfarrer em.

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